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441. Nacht

„Lieber Bruder,“ erwiderte sie, „es ist
mein Gemahl, sein Name ist Achmed, und er ist der Sohn des Sultans von Indien.
Der Grund, warum ich dich nicht zu meiner Hochzeit eingeladen habe, war der,
dass ich dich nicht von deinem Kriegszug abhalten wollte, den du damals vor
hattest, und von dem du, wie ich mit vielen Vergnügen höre, jetzt so siegreich
zurückgekehrt bist. Bloß um seinetwillen bin ich so frei gewesen, dich rufen
zu lassen.“

Bei diesen Worten sagte Schaïbar, indem er den Prinzen
Achmed mit einem freundlichen Blick ansah, der indessen sein stolzes und wildes
Aussehen nicht im geringsten milderte:

„Liebe Schwester, kann ich ihm in irgend etwas
dienen? Er darf es bloß sagen. Es ist hinreichend für mich, zu wissen, dass er
dein Gemahl ist, um mir es zur Pflicht zu machen, ihm in allem, was er irgend
wünschen mag, gefällig zu sein.“

„Der Sultan, sein Vater,“ erwiderte Pari Banu,
„ist neugierig, dich zu sehen. Ich bitte dich also um die Gefälligkeit,
dich von ihm hinführen zu lassen.“

„Er darf bloß vorangehen,“ antwortete
Schaïbar, „ich bin bereit, ihm zu folgen.“

„Lieber Bruder,“ erwiderte Pari Banu, „es
ist wohl schon zu spät, um noch heute diese Reise zu unternehmen, du wirst sie
also wohl gefälligst auf morgen früh verschieben. Indessen, da es gut ist,
dass du von dem unterrichtet wirst, was zwischen dem Sultan von Indien und dem
Prinzen Achmed seit unserer Verheiratung vorgefallen, so werde ich dich diesen
Abend davon unterhalten.“

Den folgenden Morgen brach Schaïbar, von allem, was
irgend ihm zu wissen nötig war, unterrichtet, sehr zeitig auf, begleitet von
dem Prinzen Achmed, der ihn dem Sultan vorstellen sollte. Sie erreichten die
Hauptstadt, und sobald Schaïbar sich am Tor zeigte, so wurden alle, die ihn
sahen, beim Anblick eines so scheußlichen Gegenstandes von Entsetzen ergriffen,
und versteckten sich teils in Buden und Häusern, deren Türen sie hinter sich
zuschließen ließen, teils ergriffen sie die Flucht und teilten allen, denen
sie begegneten, dasselbe Entsetzen mit, die dann sogleich umkehrten, ohne sich
weiter umzusehen. Je weiter nun Schaïbar und Prinz Achmed mit abgemessenen
Schritten vorwärts kamen, je öder und menschenleerer fanden sie alle Straßen
und öffentlichen Plätze bis zum Palast des Sultans. Dort aber ergriffen die
Pförtner, anstatt Vorkehrungen zu treffen, dass Schaïbar nicht hereinkäme,
nach allen Seiten hin die Flucht und ließen das Tor offen stehen. Der Prinz und
Schaïbar gelangten nun ohne Hindernis bis an den Saal der Ratsversammlung, wo
der Sultan auf seinem Thron sitzend jedem Gehör gab, und da auch die Türsteher
beim Erscheinen Schaïbars ihren Posten im Stich ließen, so traten sie
ungehindert hinein.

Schaïbar näherte sich stolz und mit erhobenem Kopf dem
Thron, und ohne erst zu warten, bis der Prinz Achmed ihn vorstellte, redete er
den Sultan von Indien mit folgenden Worten an: „Du hast mich zu sehen
verlangt. Hier bin ich. Was willst du von mir.“

Der Sultan hielt sich, anstatt zu antworten, die Hände
vor die Augen, und wandte das Gesicht seitwärts, um eine so fürchterliche
Gestalt nicht ansehen zu dürfen. Schaïbar, voll Unwillen darüber, dass man
ihn erst herbemüht habe und ihn nun auf eine so unhöfliche und beleidigende
Weise empfange, hob seine Eisenstange empor, und mit den Worten: „So rede
doch!“, ließ er sie ihm auf den Kopf herab fallen, und schlug ihn tot, ehe
noch der Prinz Achmed daran denken konnte, für ihn um Gnade zu bitten. Er
vermochte nichts weiter zu tun, als zu verhindern, dass er nicht auch den
Großwesir tot schlug, der nicht weit von der Rechten des Sultans entfernt war,
indem er ihm vorstellte, dass er mit den guten Ratschlägen, welche derselbe von
seinem Vater gegeben, nicht anders als zufrieden sein könne.