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435. Nacht

„Brüder, es ist umsonst, dass wir alle drei eine so
beschwerliche Reise unternommen haben, in der Hoffnung, durch den Besitz der
reizenden Nurunnihar dafür belohnt zu werden. Diese liebenswürdige Prinzessin
wird binnen wenigen Augenblicken nicht mehr am Leben sein. Ich sah sie eben in
ihrem Bett, umgeben von ihren Frauen und Verschnittenen, die alle in Tränen
schwammen und jeden Augenblick zu erwarten schienen, dass sie den Geist aufgeben
würde. Da nehmt und seht sie selber in diesem traurigen Zustand und vereinigt
eure Tränen mit den meinigen.“

Der Prinz Ali nahm das elfenbeinerne Rohr aus der Hand des
Prinzen Hussain, sah hinein, und gab, nachdem er zu seinem tiefen Schmerz
dasselbe erblickt hatte, es weiter an den Prinzen Achmed, damit dieser ebenfalls
ein so trauriges und betrübendes Schauspiel, das sie alle drei gleich nahe
anging, betrachten möchte.

Als der Prinz Achmed das elfenbeinerne Rohr aus den
Händen des Prinzen Ali empfangen, und beim Hineinsehen ebenfalls die Prinzessin
Nurunnihar dem Tod nahe erblickt hatte, nahm er das Wort und sagte zu den beiden
andern Prinzen, seinen Brüdern:

„Brüder, die Prinzessin Nurunnihar, welche der
gemeinsame Gegenstand unserer Wünsche ist, befindet sich wirklich in einem
höchst beunruhigenden Zustand, indessen, wie es mir scheint, so ist es wohl
noch möglich, sofern wir nur keine Zeit verlieren, den Augenblick des Todes
noch zu entfernen.“

Zugleich zog der Prinz Achmed aus seinem Busen den
künstlichen Apfel, den er sich gekauft hatte, zeigte ihn seinen Brüdern und
sagte:

„Der Apfel, den ihr hier seht, hat mich nicht weniger
gekostet, als der Teppich und das elfenbeinerne Rohr, das ein jeder von euch von
seiner Reise mitgebracht hat. Die Gelegenheit, die sich darbietet, euch seine
Wunderkraft zu zeigen, macht, dass mich die vierzig Beutel, die er mich kostet,
nicht reuen. Um euch nicht länger in gespannter Erwartung zu halten, sage ich
euch hiermit, er hat die Kraft, dass ein jeder Kranke, und läge er auch schon
in den letzten Zügen, durch das bloße daran Riechen seine Gesundheit auf der
Stelle wiedererlangt. Der Versuch, den ich selber damit angestellt, lässt mich
nicht daran zweifeln, und ich kann euch selber die Wirkung desselben an der
Prinzessin Nurunnihar zeigen, wenn wir nur die nötige Eile anwenden, um ihr zu
helfen.“

„Wenn dies der Fall ist,“ sagte hierauf der
Prinz Hussain, „so können wir nicht schleuniger dahin eilen, als wenn wir
uns vermittelst meines Teppichs augenblicklich in das Zimmer der Prinzessin
hinversetzen. Lasst uns keine Zeit verlieren, kommt und setzt euch mit mir
hierher, er ist groß genug, um uns alle drei ohne Unbequemlichkeit aufzunehmen.
Doch vor allen Dingen muss jeder von uns seinem Diener anempfehlen, dass er mit
den andern sogleich Abreise und uns dort im Palast aufsuche.“

Als dieser Befehl gegeben worden war, setzten sich die
Prinzen Ali und Achmed nebst dem Prinzen Hussain auf den Teppich, und da sie
alle drei dasselbe Interesse hatten, so wünschten sie auch alle drei, in das
Zimmer der Prinzessin Nurunnihar versetzt zu werden. Ihr Wunsch wurde erfüllt
und sie wurden so schnell hinversetzt, dass sie es nicht eher merkten, als bis
sie sich an dem erwünschten Ort angelangt sahen.

Die unerwartete Erscheinung der drei Prinzen erschreckte
die Frauen und die Verschnittenen der Prinzessin, welche nicht begreifen
konnten, durch welche Zauberei auf einmal drei Männer in ihrer Mitte
erschienen. Sie erkannten sie sogar anfangs nicht einmal, und die Verschnittenen
waren schon im Begriff, auf sie loszustürzen, als auf Leute, die an einen Ort
sich eingedrängt hätten, wohin sie nicht kommen dürften. Allein sie kamen
sehr bald von ihrem Irrtum zurück und erkannten sie für das, was sie waren.