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434. Nacht

Als der Prinz Achmed bei seinen beiden Brüdern wieder
eingetroffen war, und sie sich einander zärtlich umarmt und sich zu dem
glücklichen Wiedersehen an diesem Ort Glück gewünscht hatten, nahm der Prinz
Hussain als der älteste das Wort und sagte:

„Meine Brüder, wir werden noch Zeit genug übrig
haben um uns von den einzelnen Umständen unserer gegenseitigen Reisen zu
unterhalten. Für jetzt wollen wir davon reden, was uns zu wissen am wichtigsten
ist. Da ihr gewiss euch noch so gut wie ich daran erinnert, welches der
Hauptbeweggrund zu unseren Reisen gewesen, so wollen wir uns nicht verhehlen,
was wir von da mitgebracht, und indem wir es uns gegenseitig vorzeigen, wollen
wir im voraus jedem sein Recht widerfahren lassen und zusehen, welchem von uns
wohl der Sultan, unser Vater, den Vorzug erteilen könnte.“

„Um euch mit gutem Beispiel voranzugehen,“ fuhr
der Prinz Hussain fort, „will ich euch nur sagen, dass die Seltenheit, die
ich von meiner Reise in das Königreich Bisnagar mitgebracht, in dem Teppich
besteht, worauf ich sitze. Es ist freilich ein sehr gewöhnlicher und
unscheinbarer, wie ihr seht. Doch wenn ich euch seine Eigenschaft werde
auseinander gesetzt haben, so werdet ihr euch umso mehr wundern, da ihr wohl nie
von etwas ähnlichem der Art gehört habt, wie ihr selbst eingestehen werdet. In
der Tat, wie gering er auch immer in euren Augen erscheinen mag, wenn man sich,
wie wir jetzt, darauf setzt und an irgend einen Ort hin versetzt zu werden
wünscht, wie entfernt er auch immer sein mag, so ist man fast in einem
Augenblick da. Ich habe es selber versucht, ehe ich die vierzig Beutel, die er
mich kostet, bezahlte, und habe es nicht bereut. Als ich nun meine Neugierde am
Hof und im ganzen Königreich von Bisnagar befriedigt hatte und heimkehren
wollte, so bediente ich mich keines Fuhrwerks weiter als dieses Wunderteppichs,
um sowohl mich hierher zurück zu bringen, als auch meinen Reisegefährten, der
euch wird sagen können, wie viel Zeit ich gebraucht habe, um hierher zu
gelangen. Ich werde euch beiden, sobald ihr es nur werdet haben wollen, eine
Probe davon zeigen. Ich erwarte nun, dass ihr mir sagt, ob das, was ihr
mitgebracht habt, mit meinem Teppich irgend in Vergleich kommen kann.“

Der Prinz Hussain hörte mit diesen Worten auf, seinen
Teppich heraus zu preisen, und der Prinz Ali nahm nun das Wort und sprach:

„Mein Bruder, man muss gestehen, dass dein Teppich
eines der wunderbarsten Dinge ist, die man sich nur denken kann, wenn er
wirklich, wie ich nicht zweifle, die Eigenschaft besitzt, die du von ihm
ausgesagt hast. Indessen du wirst eingestehen, dass es noch andere Dinge geben
kann, die, wenn auch nicht noch mehr, doch wenigstens ebenso wunderbar in ihrer
Art sind, und um dich zu dieser Ansicht zu stimmen, – fuhr er fort, – so ist zum
Beispiel dies elfenbeinerne Rohr hier, so gut wie dein Teppich, eine Seltenheit,
die alle Aufmerksamkeit verdient. Ich habe sie minder teuer gekauft als du
deinen Teppich, und ich bin mit meinem Kauf nicht minder zufrieden als du mit
dem deinigen. Bei deiner Billigkeit wirst du mir bald eingestehen, dass ich
damit nicht betrogen worden bin, wenn du dich durch einen eigenen Versuch
überzeugt haben wirst, dass, wenn man in das eine Ende desselben hineinsieht,
man alles erblickt, was man nur irgend wünscht. Du darfst mir nicht auf mein
bloßes Wort glauben“ – fügte der Prinz Ali hinzu, indem er ihm das Rohr
überreichte – „hier ist es, siehe zu, ob ich dir bloß etwas vorspiegele
oder nicht.“

Der Prinz Hussain nahm das elfenbeinerne Rohr aus der Hand
des Prinzen Ali, hielt es mit dem von ihm bezeichneten Ende an sein Auge und
wünschte, die Prinzessin Nurunnihar zu sehen und zu erfahren, wie sie sich
befinde. Der Prinz Ali und der Achmed, welche die Augen auf ihn geheftet hatten,
gerieten in das äußerste Erstaunen, als sie ihn plötzlich die Farbe
verändern sahen und zwar auf eine Weise, die die höchste Bestürzung und eine
große Betrübnis verriet. Der Prinz Hussain ließ ihnen nicht erst Zeit, um ihn
nach der Ursache dieser Erscheinung zu fragen, sondern rief aus: