Project Description

426. Nacht

Der Prinz Hussain konnte das Stadtviertel, worin er sich
befand, nicht ohne Verwunderung betrachten. Es war sehr geräumig, und von
mehreren Straßen durchschnitten, welche gegen die Sonnenglut oben überwölbt
und doch alle sehr hell waren. Die Kaufläden waren alle gleich groß und von
einer und derselben Form, und die Läden derjenigen Kaufleute, welche einerlei
Waren verkauften, waren nicht zerstreut, sondern in einer und derselben Straße
beisammen, und ebenso war es mit den Buden der Handwerker.

Die Menge der Läden, welche mit einer und derselben
Gattung von Waren angefüllt waren, wie z.B. mit den feinsten indischen
Schleiertüchern, mit bunt gemalten Linnentüchern, welche in den lebhaftesten
Farben ganze Landschaften, Menschen, Bäume und Blumen darstellten, mit Brokat
und Seidenstoffen aus Persien, China und andern Orten, ferner mit japanischen
Porzellan, oder mit Fußteppichen von allen Gattungen und von jeder Größe, –
dies alles überraschte ihn so sehr, dass er nicht wusste, ob er seinen eigenen
Augen trauen dürfte. Doch als er zu den Läden der Goldschmiede und Juwelieren
kam, – beide Gewerbe wurden nämlich von einer und derselben Klasse von
Kaufleuten betrieben – so war er beim Anblick der ungeheuren Menge trefflicher
Gold- und Silberarbeiten ganz außer sich und wie geblendet von dem Glanz der
Perlen, der Diamanten, Smaragden, Rubinen, Saphiren und anderer Edelsteine, die
hier in Fülle zum Verkauf ausgeboten wurden. Wenn er nun schon über so viele,
an einem einzigen Ort aufgehäufte Reichtümer verwundert war, so musste er sich
noch mehr über den Reichtum des ganzen Königreichs im Allgemeinen wundern, als
er bemerkte, dass – mit Ausnahme der Brahmanen und der Tempeldiener, die es zu
ihrem Beruf machten, fern von den Eitelkeiten der Welt zurückgezogen zu leben –
es im ganzen Reich nicht leicht einen Inder oder eine Inderin gab, die nicht
Hals- und Armbänder, Schmuck an den Schenkeln und Füßen von Perlen und
Edelsteinen gehabt hätten, die umso glänzender erschienen, da die Hautfarbe
der sämtlichen Bewohner so schwarz war, dass sie den Glanz derselben bedeutend
hob.

Eine andere Eigentümlichkeit, die der Prinz Hussain
bewunderte, war die große Menge von Rosenverkäufern, von denen die Straßen
wimmelten. Er schloss, dass die Einwohner große Liebhaber dieser Blumengattung
sein müssten, da er auch nicht einen sah, der nicht einen Rosenstrauß in der
Hand oder einen Rosenkranz auf dem Haupt gehabt hätte, so das das ganze
Stadtviertel, so groß es sein mochte, davon ganz durchduftet war1).

Der Prinz Hussain, nachdem er das ganze Stadtviertel von
Straße zu Straße durchgegangen war und den Kopf ganz voll von den Reichtümern
hatte, die sich seinen Augen darboten, empfand endlich das Bedürfnis, etwas
auszuruhen. Er gab diese einem Kaufmann zu erkennen, und dieser lud ihn sehr
höflich ein, in seinen Laden hinein zu treten und sich darin zu setzen, was er
denn auch annahm. Er hatte noch nicht lange da gesessen, als er einen Ausrufer
vorüber gehen sah, mit einem Teppich von etwa sechs Fuß ins Gevierte, den er
zu einem Preis von dreißig Beuteln ausbot. Er rief den Ausrufer heran, und
wünschte den Teppich zu sehen, der ihm nicht bloß wegen seiner Kleinheit,
sondern auch in Hinsicht auf seine Güte viel zu teuer ausgeboten zu werden
schien. Als er den Teppich genug besichtigt hatte, sagte er zu dem Ausrufer, er
begreife nicht, wie ein so kleiner und so unscheinbarer Fußteppich zu einem so
hohen Preis feilgeboten werden könne.


1) Noch
heute tragen die Brahmanen Kränze aus Rosen.