Project Description

424. Nacht

Sobald die Zahl der zu den Lustbarkeiten bestimmten Tage
verflossen war, war die erste Sorge des Königs von Persien, eine feierliche
Gesandtschaft zu ernennen und an den König von Bengalen abzusenden, um ihm von
allem, was vorgefallen, Bericht abzustatten, und um seine Einwilligung und
Bestätigung der Verbindung einzuholen, in die er mit ihm durch diese Heirat
getreten war. Der König von Bengalen aber, nachdem er von dem Hergang der
ganzen Sache unterrichtet worden, machte sich eine Ehre und ein Vergnügen
daraus, diese Bestätigung zu erteilen.

Geschichte
des Prinzen Achmed und der Fee Pari Bann

Die Sultanin Scheherasade ließ auf die Geschichte vom
Zauberpferd, die des Prinzen Achmed und der Fee Pari Banu1)
folgen, und begann diese auf folgende Weise:

„Herr, es war einmal ein Sultan und zwar einer von
den Vorfahren Eurer Majestät, welcher nach einer vieljährigen friedlichen
Regierung, in seinem Alter die Freude hatte, zu sehen, dass seine drei Prinzen,
als würdige Nachahmer seiner Tugenden, nebst einer Prinzessin, die seine Nichte
war, die Zierde seines Hofes ausmachten. Der älteste von diesen Prinzen hieß
Hussain, der zweite Ali, der jüngste Achmed, und seine Prinzessin Nichte
Nurunnihar2).

Die Prinzessin Nurunnihar war die Tochter des jüngsten
Bruders des Sultans, der von dem Sultan ein bedeutendes Jahresgehalt bezogen,
aber schon wenige Jahre nach seiner Vermählung gestorben war, und sie als zarte
Waise zurückgelassen hatte. Der Sultan hatte in Rücksicht auf die treue
Anhänglichkeit, die sein verstorbener Bruder ihm stets beweisen, die Erziehung
seiner hinterlassenen Tochter übernommen, und sie in seinen Palast aufgenommen,
um sie dort mit seinen drei Söhnen erziehen zu lassen. Mit einer
unvergleichlichen Schönheit und mit allen Vollkommenheiten des Körpers verband
diese Prinzessin einen ebenso außerordentlichen Verstand, und ihre fleckenlose
Tugend zeichnete sie unter allen Prinzessinnen ihrer Zeit aus.

Der Sultan, als Onkel der Prinzessin, der sich längst
vorgenommen hatte, sie, wenn sie mannbar geworden sein würde, zu verheiraten
und durch ihre Vermählung ein Verwandtschaftsbündnis mit irgend einem
benachbarten Fürsten anzuknüpfen, dachte jetzt umso ernsthafter daran, da er
bemerkte, dass seine drei Prinzen dieselbe leidenschaftlich liebten. Er
betrübte sich darüber außerordentlich, nicht sowohl deswegen, weil ihre
Zuneigung ihn hinderte, die beabsichtigte Verbindung zu schließen, als vielmehr
wegen der Schwierigkeit, sie alle drei über diesen Punkt zu einigen, und die
beiden jüngeren wenigstens zu vermögen, die Prinzessin dem ältesten zu
überlassen. Er sprach mit jedem von ihnen insbesondere, und nachdem er ihnen
die Unmöglichkeit dargetan, dass eine einzige Prinzessin drei Männer auf
einmal heiraten könne, und zugleich, welche Uneinigkeit daraus entstehen
würde, wenn sie alle drei bei ihrer Leidenschaft beharrten, bot er alles auf,
um sie zu bewegen, dass sie entweder der Prinzessin die entscheidende Wahl unter
ihnen dreien überlassen, oder selber von ihren Ansprüchen abstehen, auf eine
andere Wahl denken und sie einem auswärtigen Prinzen anvermählen lassen
sollten. Doch als er bei ihnen eine unüberwindliche Hartnäckigkeit fand, ließ
er sie alle drei vor sich kommen und redete sie mit folgenden Worten an:

„Meine Kinder, da es mir nicht gelungen ist, euch zu
eurem Glück und zu eurer Ruhe dahin zu vermögen, dass ihr nicht weiter euch um
die Hand meiner Nichte bewerben möchtet, und ich von meinem väterlichen
Ansehen nicht Gebrauch machen und sie etwa einem von euch vorzugsweise geben
will, so glaube ich ein Mittel gefunden zu haben, um euch alle zufrieden zu
stellen und die Einheit unter euch zu erhalten, sofern ihr anders auf mich
hören und das, was ich euch sagen werde, tun wollt. Ich finde es nämlich am
passendsten, dass ihr alle drei, doch jeder anderswohin, eine Reise macht, so
dass ihr durchaus nicht einander treffen oder begegnen könnt, und da ihr wisst,
wie neugierig ich auf alles bin, was in seiner Art selten und einzig ist, so
verspreche ich die Prinzessin demjenigen zur Gemahlin, der mir die
außerordentlichste Seltenheit mitbringen wird. Auf diese Weise werdet ihr dann
selber über die Vorzüglichkeit der von euch mitgebrachten Sachen durch
Vergleich derselben entscheiden und ohne Schwierigkeit euch selbst euer Urteil
sprechen können, indem ihr den Vorzug demjenigen unter euch gebt, der ihn
verdient. Zu den Reisekosten und zu dem Ankauf von Seltenheiten, die ihr euch zu
verschaffen suchen werdet, will ich jedem von euch eine eurem Stand angemessene
Summe mitgeben, die ihr indessen nicht auf Reisegefolge oder Reisegepäck
verwenden dürft, weil ihr dadurch verraten würdet, wer ihr seid, und dadurch
jede Freiheit einbüßen würdet, deren ihr nicht bloß zu Ausführung dieses
Planes, sondern auch sonst noch bedürft, um alles das, was eurer Aufmerksamkeit
wert ist, beobachten und überhaupt einen größeren Nutzen von eurer Reise
ziehen zu können.


1) Pari
Banu sind zwei persische Worte, die ein und dasselbe deuten, nämlich:
weiblicher Geist oder Fee.
2)
Nurunnihar bedeutet im arabischen: Licht des Tages.