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423. Nacht

„Herr,“ – nahm jetzt der vermeintliche Arzt das
Wort – „die Nachricht, welche ich soeben von Euer Majestät erhalten habe,
gibt mir ein Mittel an die Hand, um die Heilung der Prinzessin zu vollenden. Da
sie auf diesem Pferd hierher gekommen, und dieses Pferd bezaubert ist, so hat
sie etwas von diesem Zauber angenommen, welches nunmehr bloß durch gewisse
Räucherungen, die mir bekannt sind, vertrieben werden kann. Wenn Euer Majestät
sich dieses Vergnügen machen und zugleich dem ganzen Hof und den Bewohnern
dieser Hauptstadt ein höchst überraschendes Schauspiel geben will, so lasst
morgen das Pferd mitten auf dem Platz, der vor eurem Palast ist, stellen, und
verlasst euch im übrigen ganz auf mich. Ich verspreche, vor euren Augen und vor
der ganzen Versammlung binnen wenigen Augenblicken die Prinzessin von Bengalen
so gesund an Geist und Körper zu machen, als sie es nur je in ihrem Leben
gewesen ist, und damit die Sache auf eine so glänzende Weise vor sich gehe, als
sich gebührt, so wäre es am Besten, wenn die Prinzessin so prächtig als
möglich gekleidet und mit den kostbarsten Juwelen Euer Majestät geschmückt
erschiene.“

Der Sultan von Kaschmir würde in der Tat gern noch
schwerere Opfer gebracht haben, als die waren, die der Prinz von Persien von ihm
verlangte, um zu dem Genuss dessen zu gelangen, was er nun schon so nahe vor
sich sah.

Den folgenden Tag wurde daher das Zauberpferd auf seinen
Befehl aus dem Schatz hervorgeholt und ganz früh auf den großen Platz vor dem
Palast aufgestellt. Das Gerücht davon verbreitete sich schnell in der ganzen
Stadt, und da diese Vorbereitungen etwas ganz außerordentliches ankündigten,
was da vorgehen würde, so lief das Volk haufenweise aus allen Teilen der Stadt
herbei. Die Leibwachen des Sultans waren rings aufgestellt, um Unordnungen zu
verhüten und um einen großen Raum rings um das Pferd her frei zu erhalten.

Der Sultan von Kaschmir erschien gleichfalls, und als er,
umgeben von den bedeutendsten Großen und Beamten seines Hofes, auf einer
erhöhten Bühne Platz genommen hatte, kam die Prinzessin von Bengalen in
Begleitung aller ihrer Frauen, die ihr der Sultan beigegeben hatte, näherte
sich dem Zauberpferd und stieg mit Hilfe ihrer Frauen auf dasselbe hinauf. Als
sie sich auf dem Sattel festgesetzt, ihre Füße in beide Steigbügel gesteckt
und den Zügel in die Hand genommen hatte, ließ der angebliche Arzt mehrere
Räucherpfannen voll glühender Kohlen, die er hatte herbeibringen lassen, rings
um das Pferd aufstellen, und in die Runde herumgehend warf er in eine jede
derselben ein Gemisch des auserlesensten Räucherpulvers. Hierauf schien er ganz
in sich gekehrt zu sein, und ging dann mit nieder gesenkten Augen und die Hände
auf die Brust gelegt, dreimal um das Pferd im Kreis herum, indem er tat, als
murmelte er gewisse Worte vor sich hin, und während nun von den Räucherpfannen
insgesamt der dichteste und süß duftendste Rauch aufstieg, und die Prinzessin
und das Pferd so einhüllte, dass man sie kaum selber sehen konnte, benutzte er
den günstigen Augenblick, schwang sich behände hinter sie aufs Pferd, fasste
den Wirbel an und drehte ihn, und während das Pferd sich mit ihnen in die
Lüfte erhob, rief er mit lauter Stimme und so deutlich, dass der Sultan es
vernehmen konnte, die Worte:

„Sultan von Kaschmir, wenn du künftig einmal
Prinzessinnen, die deinen Schutz anflehen, heiraten willst, so unterlasse ja
nicht, dich zuvor um ihr Jawort zu bewerben!“

Auf diese Weise also gelang es dem Prinzen von Persien,
die Prinzessin von Bengalen wiederzuerlangen und zu befreien. Er führte sie
binnen kurzer Zeit und noch an demselben Tag nach der Hauptstadt Persiens
zurück, wo er nicht im Lustschloss, sondern in der Mitte des Palastes vor den
Zimmern seines königlichen Vaters abstieg. Der König von Persien verschob nun
die Feier der Vermählung seines Sohnes mit der Prinzessin von Bengalen nicht
längere Zeit, als gerade zu den Vorkehrungen nötig war, wodurch er die
Zeremonie noch glänzender machen und den innigen Anteil, den er selber daran
nahm, mehr an den Tag legen wollte.