Project Description

421. Nacht

Dem Sultan von Indien gelang es nicht, den Prinzen Achmed
durch seine Rede zu überzeugen. Der Prinz hätte es weit lieber gesehen, wenn
er jedes andere von ihm verlangt hätte, als etwas, das ihn der Gefahr
aussetzte, seiner geliebten Pari Banu zu missfallen. Voll Verdruss darüber
reiste er vom Hof zwei Tage früher ab, als er sonst pflegte. Sobald er zu Hause
angekommen war, fragte die Fee, welche ihn bisher immer mit heiterem Angesicht
vor ihr erscheinen gesehen hatte, ihn nach der Ursache der Veränderung, die sie
an ihm bemerkte. Da sie sah, dass er, anstatt zu antworten, sich nach ihrem
Befinden erkundigte, und zwar mit einer Miene, die deutlich zu erkennen ab, dass
er einer Antwort auszuweichen suchte, sagte sie zu ihm:

„Ich werde eure Frage nicht eher beantworten, als bis
ihr auf die meinige geantwortet haben werdet.“ Der Prinz sträubte sich
lange dagegen, indem er sie versicherte, es sei weiter nichts. Allein je mehr er
sich sträubte, desto mehr drang sie in ihn. „Ich kann euch,“ sagte
sie zu ihm, „nicht in eurer gegenwärtigen Stimmung sehen, ohne dass ihr
mir die Ursache eurer Bekümmernis entdeckt, damit ich dieselbe heben kann, von
welcher Art sein, wenn es nicht in meiner Macht stehen sollte, es wäre denn,
dass euer Vater, der Sultan gestorben wäre. In diesem Fall müsste außer dem,
was ich etwa dazu beitragen könnte, hauptsächlich die Zeit euch Trost
gewähren.“

Der Prinz Achmed vermochte nicht länger den inständigen
Bitten der Fee zu widerstehen, und sagte also zu ihr:

„Meine Gemahlin, Gott verlängere das Leben des
Sultans, meines Vaters, und segne ihn bis an das Ende seiner Tage! Ich verließ
ihn vollkommen frisch und gesund. Dies ist es also nicht, was mir die
Bekümmernis veranlasst, die ihr an mir wahrgenommen habt, sondern der Sultan
selber ist die Ursache davon, und es betrübt mich umso mehr, da er mich in die
unangenehme Notwendigkeit versetzt, euch beschwerlich zu fallen. Erstens, meine
Gemahlin, wisst ihr, wie sorgfältig ich, und zwar mit eurer Genehmigung, ihm
das Glück zu verhehlen gesucht habe, das mir dadurch zu Teil geworden, dass ich
euch sah, euch liebte, eure Gunst und eure Liebe erwarb, und von euch das
Gelübde der Treue empfing, indem ich euch das meinige gab. Gleichwohl weiß ich
nicht, auf welchem Weg er alles erfahren hat.“

Bei diesen Worten unterbrach die Fee Pari Banu den Prinzen
Achmed und sagte zu ihm:

„Und ich dagegen weiß es recht gut. Erinnerst euch
nur an das, was ich euch in Betreff der Frau vorausgesagt habe, die sich krank
stellte und mit welcher ihr so großes Mitleid hattet. Diese eben ist es, die
dem Sultan, eurem Vater, alles berichtet hat, was ihr ihm verhehlt. Ich hatte
euch damals vorausgesagt, dass sie ebenso wenig krank sei als wir beide, und
dies hat sich wirklich an ihr bestätigt. In der Tat, nachdem die beiden Frauen,
denen ich sie anempfohlen, ihr einen Universaltrank gegen alle Arten von Fieber,
dessen sie aber gar nicht bedurfte, eingegeben hatten, stellte sie sich, als sei
sie durch diesen Trank gesund geworden, und ließ sich zu mir führen, um
Abschied zu nehmen, damit sie unverzüglich von dem Erfolg ihres Unternehmens
Bericht abstatten könnte. Sie war so eilig, dass sie fort gegangen sein würde,
ohne sich meinen Palast zu besehen, wenn ich sie nicht durch meine beiden Frauen
darin hätte herumführen und ihr begreiflich machen lassen, dass es ich wohl
der Mühe lohne, ihn gesehen zu haben. Indessen fahrt nur fort: Wir wollen
sehen, inwiefern der Sultan, euer Vater, euch in die Notwendigkeit versetzt hat,
mir lästig zu fallen, was indessen, wie ich euch zu glauben bitte, niemals der
Fall sein wird.“

„Meine Gemahlin,“ fuhr der Prinz Achmed fort,
„ihr werdet bemerkt haben, dass ich bis diesen Augenblick mich mit eurer
Liebe begnügt und nie irgend eine andere Gunstbezeugung von euch verlangt habe.
Was könnte ich auch bei dem Besitz einer so liebenswürdigen Gemahlin noch
weiter wünschen? Es war mir keineswegs unbekannt, wie groß eure Macht sei.
Allein ich hatte mir es zur Pflicht gemacht, dieselbe nie auf die Probe zu
stellen. Bedenkt also, ich beschwöre euch darum, dass nicht ich es bin, sondern
mein Vater, der Sultan, der die unbescheidene Bitte an euch tut, ihm einen
Pavillon zu verschaffen, der ihn, seinen ganzen Hof und sein ganzes Heer, so oft
er im Felde ist, gegen das Ungemach der Witterung schützt, aber dabei in der
Hand Platz hat. Noch einmal sage ich es, nicht ich, sondern mein Vater, der
Sultan ist es, der euch um diese Gefälligkeit bittet.“

„Prinz,“ erwiderte die Fee lächelnd, „es
tut mir leid, dass eine solche Kleinigkeit euch so viel Unruhe und Herzenspein
verursacht hat, als ihr gegen mich blicken ließet. Ich sehe wohl, dass
zweierlei dazu beigetragen hat: Erstens, dass ihr es euch zum Gesetz gemacht
hattet, euch mit meiner Liebe zu begnügen und mich nie um etwas zu bitten, das
meine Macht auf die Probe stellen könnte. Zweitens, dass ihr, was ihr auch
immer dagegen sagen möget, euch ohne Zweifel einbildet, die Erfüllung der
Bitte, die ihr auf Verlangen eures Vaters an mich tun sollet, liege nicht mehr
in den Grenzen meiner Macht. Was das erste betrifft, so lobe ich euch darum, und
würde euch deshalb nur noch mehr lieben, wenn dies irgend möglich wäre. Was
das zweite betrifft, so würde ich euch leicht dartun können, dass das
Verlangen des Sultans zu erfüllen für mich eine Kleinigkeit ist, und dass ich
gelegentlich wohl noch schwierigere Sachen zu vollbringen im Stande bin.
Beruhigt also euer Gemüt, und seid überzeugt, dass ich anstatt mich dadurch
belästigt zu fühlen, mir stets ein großes Vergnügen daraus machen werde,
euch alles zu gewähren, was ihr irgend nur wünschen mögt, das ich euch zu
Liebe tun soll.“

Nach diesen Worten befahl die Fee, ihre Schatzmeisterin zu
rufen. Die Schatzmeistern kam und die Fee sagte zu ihr:

„Nurdschihan1),“
so hieß nämlich die Schatzmeistern, „bringe mir den größten Pavillon,
der in meinem Schatz ist.“

Nurdschihan kam binnen wenigen Augenblicken wieder und
brachte einen Pavillon, der nicht bloß in der Hand Platz hatte, sondern den man
sogar in der Hand fest verschließen konnte. Sie überreicht ihn ihrer
Gebieterin, der Fee, die ihn nahm und dem Prinzen Achmed einhändigte, damit er
ihn besehen möchte.


1)
Nurdschihan heißt im arabischen: Licht der Welt.