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391. Nacht

Das
Zauberpferd

Scheherasade fuhr fort, dem Sultan von Indien ihre
angenehmen Geschichten, an denen er so viel Gefallen fand, zu erzählen, und
erzählte ihm nun auch die vom Zauberpferd.

„Herr,“ fing sie an, „der Nurus, das heißt
der neue Tag, der zugleich der erste Tag des Jahres und des Frühlings ist, ist
– wie Euer Majestät weiß – ein so feierliches und uraltes Fest in ganz
Persien, noch von den ersten Zeiten ihres Götzendienstes her, dass die
Religionslehre unseres Propheten, so rein und wahrhaft sie auch ist, ungeachtet
ihrer Einführung dort, bis auf diesen Tag es noch nicht ganz abzuschaffen
vermocht hat, obwohl man sagen kann, das es durchaus heidnisch ist, und dass die
dabei beobachteten Zeremonien höchst abergläubisch sind. Um von den großen
Städten zu schweigen – es gibt da kein Städtchen, keinen Marktflecken, kein
Dorf, keinen Weiler, wo es nicht mit allen nur möglichen Lustbarkeiten begangen
würde.

Doch die Lustbarkeiten, die schon am Hof gefeiert werden,
übertreffen alle übrigen durch die Mannigfaltigkeit der neuen und
überraschenden Schauspiele, und aus den benachbarten Ländern nicht bloß,
sondern auch aus den entferntesten, werden Fremde herbeigelockt durch die
Belohnungen und durch die Freigebigkeit der Könige gegen diejenigen, welche
sich durch ihre Erfindungen und durch ihre Betriebsamkeit auszeichnen, so dass
man in allen übrigen Teilen der Welt nichts zu sehen bekommt, was dieser Pracht
und Herrlichkeit gleichkäme.

Bei einem dieser Feste war es, wo der König, nachdem die
geschicktesten und sinnreichsten Männer des Inlands und Auslands zu Schiras, wo
der Hof damals sich aufhielt, den König und den Hof mit den ergötzlichsten
Schauspielen unterhalten hatten, einen jeden nach seinem Verdienst und je
nachdem er mehr oder weniger seltsame, wunderbare oder befriedigende Dinge hatte
sehen lassen, beschenkte, so dass kein einziger ohne eine angemessene Belohnung
blieb. Während er nun schon im Begriff war, sich zu entfernen, und die
zahlreiche Versammlung zu entlassen, erschien ein Inder am Fuß seines Thrones
und führte ein gesatteltes, gezäumtes und reich angeschirrtes Pferd vor,
welches mit vieler Kunst gefertigt und gebildet war, so dass man beim ersten
Anblick es für ein wirkliches gehalten haben würde.

Der Inder warf sich vor dem Thron nieder, und als er
wieder aufgestanden war, zeigte er dem König das Pferd mit folgenden Worten:

„Herr, obwohl ich vor Euer Majestät ganz zuletzt
erscheine, um mit den übrigen zu wetteifern, so kann ich gleichwohl versichern,
dass ihr an diesem Festtag gewiss nichts so wunderbares und erstaunliches
gesehen haben werdet, als das Pferd ist, das ich euch hier in Augenschein zu
nehmen bitte.“

„Ich sehe,“ erwiderte der König, „an
diesem nichts als die Kunst und Geschicklichkeit, womit der Anfertiger demselben
die täuschende ähnlichkeit eines lebendigen zu geben gewusst hat. Indessen ein
anderer Künstler könnte vielleicht ein ähnliches verfertigen, welches
dasselbe an Vollkommenheit wohl noch übertreffen könnte.“

„Herr,“ antwortete darauf der Inder, „es
ist nicht sowohl der Bau noch das äußere Ansehen desselben, warum ich mein
Pferd vor Euer Majestät als ein Wunder ausgebe, sondern der Gebrauch, den ich
davon zu machen weiß, und den jeder andere, so gut wie ich, wenn er von mir das
Geheimnis erfahren, davon zu machen im Stande ist. Wenn ich mich nämlich hinauf
setze, so kann ich in sehr kurzer Zeit mich an jeden beliebigen Ort auf der
Erde, und wäre er auch noch so weit entfernt, hinversetzen. Mit einem Wort, o
Herr, darin besteht eben die wunderbare Eigenschaft meines Pferdes, – eine
Eigenschaft, die noch nie erhört worden, und wovon ich vor Euer Majestät eine
Probe abzulegen mich erbiete, sofern ihr es befehlt.“

Der König von Persien, der auf alles, was ans Wunderbare
grenzte, sehr neugierig war, und der nach so vielen Dingen dieser Art, wie er
teils schon gesehen, teils zu sehen gesucht und gewünscht hatte, noch nie etwas
gesehen, oder davon gehört hatte, das diesem nahe gekommen wäre, sagte zu dem
Inder, nur ein Versuch der Art, wie er ihn vorgeschlagen, könne ihn von der
Vorzüglichkeit seines Pferdes überzeugen, und er sei bereit, einen solchen zu
sehen.

Der Inder setzte sogleich seinen Fuß in den Steigbügel,
schwang sich mit großer Leichtigkeit aufs Pferd, und als er auch in den anderen
Steigbügel den Fuß gesetzt und sich auf dem Sattel recht befestigt hatte,
fragte er den König von Persien, wohin es ihn zu schicken ihm gefällig sei.

Etwa drei Stunden von Schiras lag ein hoher Berg, den man
von dem großen Platz vor dem königlichen Schloss, wo der König von Persien
sich damals befand, sehr gut sehen konnte. „Siehst du jenen Berg,“
sagte der König zu dem Inder, indem er auf denselben hinwies, „dorthin
will ich, dass du reiten sollst. Die Entfernung ist nicht groß, doch ist sie
hinlänglich, um die Schnelligkeit, womit du hin und wieder zurück reiten
wirst, abnehmen zu können. Und da es nicht möglich ist, dich mit den Augen bis
dahin zu verfolgen, so will ich, dass du mir zum sichern Beweis deines
Dagewesenseins einen Zweig von einem Palmbaum, der am Fuß des Berges steht,
mitbringst.“

Kaum hatte der König seine Willensmeinung in diesen
Worten ausgesprochen, als der Inder einen hölzernen Wirbel, der an der Stelle
des Nackens am Pferd befestigt war, herumdrehte und ihn dem Sattelknopf näher
brachte. Augenblicklich erhob sich nun das Pferd, und entführte mit
Blitzesschnelle den Reiter in die Lüfte, und zwar so hoch, dass ihn binnen
wenigen Augenblicken selbst die scharf sehendsten aus den Augen verloren, zur
großen Verwunderung des Königs und seiner Hofleute, und unter lautem Geschrei
des Erstaunens von Seiten aller versammelten Zuschauer.

Der Inder war noch keine Viertelstunde fort, als man ihn
in der Luft mit dem Palmzweig in der Hand zurückkehren sah. Endlich sah man ihn
oberhalb des Platzes anlangen, wo er sein Pferd unter dem freudigen Beifallsruf
der Zuschauer einige Mal im Kreis herumtummelte, bis er sich vor dem Thron des
Königs auf dieselbe Stelle wieder niederließ, von welcher er ausgeritten war,
und zwar ohne die mindeste unangenehme Erschütterung. Er stieg nun ab, warf
sich vor dem Thron nieder, und legte den Palmzweig dem König zu Füßen.

Der König von Persien, der mit ebenso großer
Verwunderung als Erstaunen Zeuge dieses unerhörten Schauspiels war, welches der
Inder ihm gegeben, wurde auf einmal von einer heftigen Begierde ergriffen, dies
Pferd zu besitzen. Und in der Meinung, er werde bei der Unterhandlung mit dem
Inder wenig Schwierigkeiten finden, zumal da er entschlossen war, ihm jede
Summe, die er nur irgend fordern könnte, dafür zu geben. So betrachtete er es
bereits als das kostbarste Stück seines Schatzes.

„Nach dem äußeren Ansehen deines Pferdes,“
sagte er zu dem Inder, „hätte ich nie geglaubt, dass es so hoch geschätzt
werden müsse, als es wirklich verdient, wie du mir soeben bewiesen hast. Ich
danke dir, dass du mich eines Besseren belehrt hast, und um dir zu zeigen, wie
hoch ich es aufnehme, so bin ich bereit, es zu kaufen, sofern es dir feil
steht.“

„Herr,“ erwiderte der Inder, „ich zweifle
nicht, dass Euer Majestät, die unter allen gegenwärtigen Königen, die auf
Erden sind, dafür gilt, dass sie alle Dinge am besten zu beurteilen und nach
ihrem Wert zu schätzen wisse, meinem Pferd diese Gerechtigkeit widerfahren
lassen würde, sobald ich euch gezeigt haben würde, wie sehr es eurer
Aufmerksamkeit würdig ist. Ich hatte sogar vorausgesehen, dass ihr euch nicht
damit begnügen würdet, es zu bewundern und zu loben, sondern dass ihr euch es
zu besitzen wünschen würdet, wie ihr mir soeben angedeutet habt. Ich
meinerseits, obwohl ich den Wert desselben so gut kenne, wie nur irgend einer,
und recht gut weiß, dass sein Besitz mir die Mittel gibt, mich in der Welt
unsterblich zu machen, hänge gleichwohl nicht so daran, dass ich nicht, um die
Begierde Euer Majestät zu befriedigen, mich desselben zu berauben entschließen
könnte. Indessen mit dieser Erklärung muss ich zugleich noch eine andere
verbinden, welche sich auf die Bedingung bezieht, ohne welche ich es nicht wohl
ablassen kann, – eine Bedingung, die ihr freilich wohl nicht gut aufnehmen
werdet. Euer Majestät wird daher wohl es genehm finden,“ fuhr der Inder
fort, „wenn ich gestehe, dass ich dies Pferd nicht gekauft, sondern von dem
Erfinder und Anfertiger es nur dadurch bekam, dass ich ihm meine einzige
Tochter, die er verlangte, zur Ehe gab, wobei er zugleich die Forderung an mich
machte, dass ich es nie verkaufen solle, sondern dass, wenn ich es je an einen
andern Besitzer abließe, dies nur durch einen Tausch, wie ich ihn für gemessen
erachtete, stattfinden könne.“

Der Inder wollte noch weiter sprechen, doch bei dem Wort
Tausch unterbrach ihn der König von Persien dadurch, dass er sagte:

„Ich bin bereit, einen solchen Tausch, wie du ihn nur
verlangen wirst, einzugehen. Du weißt, mein Reich ist groß und voll großer,
mächtiger, wohlhabender und volkreicher Städte. Ich lasse dir nun die Wahl,
dir eine derselben zu deinem vollen und unbeschränkten Besitz auf Lebenszeit
auszusuchen.“