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362. Nacht

Bei diesem Ruf flog ich jedes Mal von meinem Plätzchen
nach der Straße hinaus, ich sprang, hüpfte und lief vor der Tür hin und her.
Mit diesen Freudenbezeigungen hörte ich erst auf, wenn er herausgetreten war,
und dann begleitete ich ihn treulich, indem ich hinter oder vor ihm her lief und
ihn von Zeit zu Zeit ansah, um ihm meine Freude zu bezeigen.

Ich war schon einige Zeit in diesem Haus, als eines Tages
eine Frau Brot zu kaufen kam. Als sie es meinem Wirt bezahlte, gab sie ihm unter
anderem guten Geld auch ein falsches Geldstück. Der Bäcker, der das falsche
Stück erkannte, gab es der Frau zurück und verlangte dafür ein anderes.

Die Frau weigerte sich, es wieder zu nehmen, und
behauptete, es sei gut. Mein Wirt behauptete das Gegenteil und sagte im
Wortwechsel unter andern zu der Frau: „Dies Stück ist so augenscheinlich
falsch, dass ich versichert bin, mein Hund, der doch bloß ein unvernünftiges
Tier ist, würde sich damit nicht täuschen lassen. Komm her, Rotbacke!“,
fuhr er fort, indem er mich beim Namen rief. Auf seinen Ruf sprang ich behende
auf den Zähltisch. Der Bäcker warf die Geldstücke vor mich hin und sagte:
„Sieh einmal zu, ist darunter nicht ein falsches Stück?“ Ich sah mir
alle Stücke an, legte dann die Pfote auf das falsche, und schob es bei Seite,
indem ich meinen Herrn ansah, als wollte ich es ihm zeigen.

Der Bäcker, der sich bloß beiläufig und zum Scherz auf
mein Urteil berufen hatte, war nicht wenig überrascht, als er sah, dass ich es
so richtig und ohne zu Zaudern getroffen hatte. Die Frau, welche nun von der
Falschheit ihres Geldstückes überführt war, wusste nichts weiter zu sagen,
und musste dafür ein anderes gutes geben. Als sie fort war, rief mein Herr
seine Nachbarn zusammen, und pries vor ihnen auf eine übertriebene Weise meine
Fähigkeit, indem er ihnen erzählte, was vorgefallen.

Die Nachbarn wollten sich selber davon überzeugen, und
unter allen den falschen Münzen, die sie mir unter andere gute gemischt
vorlegten, war auch nicht eine einzige, auf die ich nicht meine Pfote gelegt und
sie von den übrigen guten abgesondert hätte.

Die Frau unterließ ihrerseits ebenfalls nicht, allen
Personen ihrer Bekanntschaft, die sie unterwegs antraf, zu erzählen, was ihr
begegnet sei. Das Gerücht von meiner Geschicklichkeit, das falsche Geld zu
erkennen, verbreitete sich in kurzer Zeit nicht bloß in der Nachbarschaft,
sondern sogar im ganzen Viertel, und zuletzt allmählich in der ganzen Stadt.

Es fehlte mir nun den ganzen Tag über nicht an
Beschäftigung. Ich musste die Neugier aller derer, die bei meinem Herrn Brot
kauften, befriedigen und ihnen meine Geschicklichkeit zeigen. Dies lockte nun
alle Welt herbei, man kam aus den entferntesten Stadtvierteln, um meine
Fähigkeit zu erproben, und mein Ruf verschaffte meinem Herrn so viele Kunden,
dass er sie nicht alle befriedigen konnte. Dies dauerte lange Zeit, und mein
Herr konnte sich nicht enthalten, seinen Nachbarn und Freunden zu gestehen, dass
ich für ihn ein wahrer Schatz wäre.

Mein bisschen Geschicklichkeit zog ihm indessen bald
Neider zu. Man stellte mir nach, um mich ihm zu rauben, und er war genötigt,
ein wachsames Auge auf mich zu haben. Eines Tages kam eine Frau, die wie andere
durch den Reiz der Neuheit hergelockt war, und kaufte Brot. Mein gewöhnlicher
Platz war auf dem Zähltisch. Sie warf mir sechs Geldstücke hin und darunter
auch ein falsches. Ich suchte es unter den übrigen hervor, legte die Pfote auf
das falsche Geldstück und sah sie dabei an, als wollte ich sie fragen, ob es
nicht das rechte sei.

„Ja,“ sagte die Frau, indem sie mich ebenfalls
ansah, „es ist das falsche, du hast dich nicht geirrt.“

Sie betrachtete mich dann fortwährend voll Verwunderung,
während ich sie ebenfalls ansah. Hierauf bezahlte sie das Brot, welches sie
gekauft hatte, und als sie wegzugehen im Begriff war, gab sie mir einen Wink
mitzukommen, ohne dass es der Bäcker merkte.

Ich war stets auf Mittel bedacht, mich von einer so
seltsamen Verwandlung, als die meinige war, zu befreien. Mir war die
Aufmerksamkeit nicht entgangen, womit die Frau mich ins Auge gefasst hatte, und
ich bildete mir nun ein, dass sie vielleicht etwas von meinem Missgeschick und
von meinem unglücklichen Zustand gemerkt haben möge. Worin ich mich denn auch
nicht täuschte. Gleichwohl ließ ich sie fortgehen und begnügte mich, ihr
nachzusehen. Nachdem sie indessen zwei bis drei Schritte gegangen war, drehte
sie sich um und da sie sah, dass ich ihr, ohne mich von der Stelle zu rühren,
nachsah, gab sie mir nochmals einen Wink, ihr zu folgen.

Jetzt schwankte ich nicht länger, sondern da ich sah,
dass der Bäcker soeben damit beschäftigt war, seinen Backofen für ein neues
Gebäck zu reinigen, und nicht auf mich achtete, so sprang ich vom Zähltisch
herab und lief hinter der Frau drein, die darüber sehr erfreut zu sein schien.

Nachdem sie eine Strecke gegangen war, kam sie bei ihrem
Haus an, öffnete die Tür desselben, ging hinein und sagte dann zu mir:
„Komm herein. Es wird dich nicht gereuen, dass du mir nachgekommen
bist.“ Als ich hineingegangen war und sie die Tür hinter mir wieder
zugemacht hatte, führte sie mich in ihr Zimmer, worin ich ein junges Mädchen
von seltener Schönheit dasitzen und sticken sah. Es war die Tochter der
mildtätigen Frau, die mich mit sich genommen hatte, und die, wie ich bald
nachher merkte, in der Zauberkunst sehr geschickt und erfahren war.

„Meine Tochter,“ sagte die Mutter zu ihr:
„Ich bringe dir hier den berühmten Hund des Bäckers, der so gut das
falsche Geld von dem echten zu unterscheiden versteht. Du weißt, was ich dir
gleich beim ersten Gerücht, das sich davon verbreitete, gesagt habe, indem ich
äußerte, es könne dies wohl ein Mensch sein, der irgendwie boshafter Weise in
einen Hund verwandelt worden. Heute fiel es mir ein, zu dem Bäcker hinzugehen
und Brot bei ihm zu kaufen. Ich überzeugte mich von der Wahrheit des Gerüchts
und war so geschickt, diesen seltenen Hund, der die Bewunderung von ganz Bagdad
ist, hinter mir her zu locken. Was sagst du dazu, meine Tochter? Habe ich mich
in meiner Vermutung etwa getäuscht?

„Du hast dich nicht getäuscht, liebe Mutter,“
antwortete die Tochter, „und ich werde dir es sogleich zeigen.“

Das Mädchen stand auf, nahm ein Gefäß voll Wasser,
tauchte die Hand hinein, bespritzte mich damit und sagte:

„Wenn du von Natur ein Hund bist, so bleibe Hund.
Bist du aber von Geburt ein Mensch, so nimm Kraft dieses Wassers wieder
menschliche Gestalt an.“

Augenblicklich war nun der Zauber gelöst. Ich verlor die
Gestalt eines Hundes und war wieder Mensch wie zuvor.