11. Kapitel


11. Kapitel

Regiment und Regierte

Der Sturz des Junkertums nahm dem römischen Gemeinwesen seinen aristokratischen Charakter keineswegs. Es ist schon früher darauf hingewiesen worden, daß die Plebejerpartei von Haus aus denselben gleichfalls, ja in gewissem Sinne noch entschiedener an sich trug als das Patriziat; denn wenn innerhalb des alten Bürgertums die unbedingte Gleichberechtigung gegolten hatte, so ging die neue Verfassung von Anfang an aus von dem Gegensatz der in den bürgerlichen Rechten wie in den bürgerlichen Nutzungen bevorzugten senatorischen Häuser zu der Masse der übrigen Bürger. Unmittelbar mit der Beseitigung des Junkertums und mit der formellen Feststellung der bürgerlichen Gleichheit bildeten sich also eine neue Aristokratie und die derselben entsprechende Opposition; und es ist früher dargestellt worden, wie jene dem gestürzten Junkertum sich gleichsam aufpfropfte und darum auch die ersten Regungen der neuen Fortschrittspartei sich mit den letzten der alten ständischen Opposition verschlangen. Die Anfänge dieser Parteibildung gehören also dem fünften, ihre bestimmte Ausprägung erst dem folgenden Jahrhundert an. Aber es wird diese innere Entwicklung nicht bloß von dem Waffenlärm der großen Kriege und Siege gleichsam übertäubt, sondern es entzieht sich auch ihr Bildungsprozeß mehr als irgendein anderer in der römischen Geschichte dem Auge. Wie eine Eisdecke unvermerkt über den Strom sich legt und unvermerkt denselben mehr und mehr einengt, so entsteht diese neue römische Aristokratie; und ebenso unvermerkt tritt ihr die neue Fortschrittspartei gegenüber gleich der im Grunde sich verbergenden und langsam sich wieder ausdehnenden Strömung. Die einzelnen jede für sich geringen Spuren dieser zwiefachen und entgegengesetzten Bewegung, deren historisches Fazit für jetzt noch in keiner eigentlichen Katastrophe tatsächlich vor Augen tritt, zur allgemeinen geschichtlichen Anschauung zusammenzufassen, ist sehr schwer. Aber der Untergang der bisherigen Gemeindefreiheit und die Grundlegung zu den künftigen Revolutionen fallen in diese Epoche; und die Schilderung derselben sowie der Entwicklung Roms überhaupt bleibt unvollständig, wenn es nicht gelingt, die Mächtigkeit jener Eisdecke sowohl wie die Zunahme der Unterströmung anschaulich darzulegen und in dem furchtbaren Dröhnen und Krachen die Gewalt des kommenden Bruches ahnen zu lassen.

Die römische Nobilität knüpfte auch formell an ältere, noch der Zeit des Patriziats angehörende Institutionen an. Die gewesenen ordentlichen höchsten Gemeindebeamten genossen nicht bloß, wie selbstverständlich, von jeher tatsächlich höherer Ehre, sondern es knüpften sich daran schon früh gewisse Ehrenvorrechte. Das älteste derselben war wohl, daß den Nachkommen solcher Beamten gestattet ward, im Familiensaal an der Wand, wo der Stammbaum gemalt war, die Wachsmasken dieser ihrer erlauchten Ahnen nach dem Tode derselben aufzustellen und diese Bilder bei Todesfällen von Familiengliedern im Leichenkondukt aufzuführen; wobei man sich erinnern muß, daß die Verehrung des Bildes nach italisch-hellenischer Anschauung als unrepublikanisch galt, und die römische Staatspolizei darum die Ausstellung der Bilder von Lebenden überall nicht duldete und die der Bilder Verstorbener streng überwachte. Hieran schlossen mancherlei äußere, solchen Beamten und ihren Nachkommen durch Gesetz oder Gebrauch reservierte Abzeichen sich an: der goldene Fingerring der Männer, der silberbeschlagene Pferdeschmuck der Jünglinge, der Purpurbesatz des Oberkleides und die goldene Amulettkapsel der Knaben45

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Die rechtliche Abhängigkeit des römischen Senats der Republik, namentlich des weiteren patrizisch-plebejischen, von der Magistratur, hatte sich rasch gelockert, ja in das Gegenteil verwandelt. Die durch die Revolution von 244 (510) eingeleitete Unterwerfung der Gemeindeämter unter den Gemeinderat, die Übertragung der Berufung in den Rat vom Konsul auf den Zensor, endlich und vor allem die gesetzliche Feststellung des Anrechts gewesener kurulischer Beamten auf Sitz und Stimme im Senat hatten den Senat aus einer, von den Beamten berufenen und in vieler Hinsicht von ihnen abhängigen Ratsmannschaft in ein so gut wie unabhängiges und in gewissem Sinn sich selber ergänzendes Regierungskollegium umgewandelt; denn die beiden Wege, durch welche man in den Senat gelangte: die Wahl zu einem kurulischen Amte und die Berufung durch den Zensor, standen der Sache nach beide bei der Regierungsbehörde selbst. Zwar war in dieser Epoche die Bürgerschaft noch zu unabhängig, um die Nichtadligen aus dem Senat vollständig ausschließen zu lassen, auch wohl die Adelschaft noch zu verständig, um dies auch nur zu wollen; allein bei der streng aristokratischen Gliederung des Senats in sich selbst, der scharfen Unterscheidung sowohl der gewesenen kurulischen Beamten nach ihren drei Rangklassen der Konsulare, Prätorier und Ädilizier, als auch namentlich der nicht durch ein kurulisches Amt in den Senat gelangten und darum von der Debatte ausgeschlossenen Senatoren, wurden doch die Nichtadligen, obgleich sie wohl in ziemlicher Anzahl im Senate saßen, zu einer unbedeutenden und verhältnismäßig einflußlosen Stellung in demselben herabgedrückt und ward der Senat wesentlich Träger der Nobilität.

Zu einem zweiten, zwar minder wichtigen, aber darum nicht unwichtigen Organ der Nobilität wurde das Institut der Ritterschaft entwickelt. Dem neuen Erbadel mußte, da er nicht die Macht hatte, sich des Alleinbesitzes der Komitien anzumaßen, es in hohem Grade wünschenswert sein, wenigstens eine Sonderstellung innerhalb der Gemeindevertretung zu erhalten. In der Quartierversammlung fehlte dazu jede Handhabe; dagegen schienen die Ritterzenturien in der Servianischen Ordnung für diesen Zweck wie geschaffen. Die achtzehnhundert Pferde, welche die Gemeinde lieferte47

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Verwandter Art ist die förmliche Trennung der Plätze des senatorischen Standes von denjenigen, von welchen aus die übrige Menge den Volksfesten zuschaute. Es war der große Scipio, der in seinem zweiten Konsulat 560 (194) sie bewirkte. Auch das Volksfest war eine Volksversammlung so gut wie die zur Abstimmung berufene der Zenturien; und daß jene nichts zu beschließen hatte, machte die hierin liegende offizielle Ankündigung der Scheidung von Herrenstand und Untertanenschaft nur um so prägnanter. Die Neuerung fand darum auch auf Seiten der Regierung vielfachen Tadel, weil sie nur gehässig und nicht nützlich war und dem Bestreben des klügeren Teiles der Aristokratie ihr Sonderregiment unter den Formen der bürgerlichen Gleichheit zu verstecken, ein sehr offenkundiges Dementi gab. Hieraus erklärt es sich, weshalb die Zensur der Angelpunkt der späteren republikanischen Verfassung ward; warum dieses ursprünglich keineswegs in erster Reihe stehende Amt sich allmählich mit einem ihm an sich durchaus nicht zukommenden äußeren Ehrenschmuck und einer ganz einzigen aristokratisch-republikanischen Glorie umgab und als der Gipfelpunkt und die Erfüllung einer wohlgeführten öffentlichen Laufbahn erschien; warum die Regierung jeden Versuch der Opposition, ihre Männer in dieses Amt zu bringen oder gar den Zensor während oder nach seiner Amtsführung wegen derselben vor dem Volke zur Verantwortung zu ziehen, als einen Angriff auf ihr Palladium ansah und gegen jedes derartige Beginnen wie ein Mann in die Schranken trat – es genügt in dieser Beziehung an den Sturm zu erinnern, den die Bewerbung Catos um die Zensur hervorrief und an die ungewöhnlich rücksichtslosen und formverletzenden Maßregeln, wodurch der Senat die gerichtliche Verfolgung der beiden unbeliebten Zensoren des Jahres 550 (204) verhinderte. Dabei verbindet mit dieser Glorifizierung der Zensur sich ein charakteristisches Mißtrauen der Regierung gegen dieses ihr wichtigstes und eben darum gefährlichstes Werkzeug. Es war durchaus notwendig, den Zensoren das unbedingte Schalten über das Senatoren- und Ritterpersonal zu belassen, da das Ausschließungs- von dem Berufungsrecht nicht wohl getrennt und auch jenes nicht wohl entbehrt werden konnte, weniger um oppositionelle Kapazitäten aus dem Senat zu beseitigen, was das leisetretende Regiment dieser Zeit vorsichtig vermied, als um der Aristokratie ihren sittlichen Nimbus zu bewahren, ohne den sie rasch eine Beute der Opposition werden mußte. Das Ausstoßungsrecht blieb; aber man brauchte hauptsächlich den Glanz der blanken Waffe – die Schneide, die man fürchtete, stumpfte man ab. Außer der Schranke, welche in dem Amte selbst lag, insofern die Mitgliederlisten der adligen Körperschaften nur von fünf zu fünf Jahren der Revision unterlagen, und außer den in dem Interzessionsrecht des Kollegen und dem Kassationsrecht des Nachfolgers gegebenen Beschränkungen trat noch eine weitere sehr fühlbare hinzu, indem eine dem Gesetz gleichstehende Observanz es dem Zensor zur Pflicht machte, keinen Senator und keinen Ritter ohne Angabe schriftlicher Entscheidungsgründe und in der Regel nicht ohne ein gleichsam gerichtliches Verfahren von der Liste zu streichen.

In dieser hauptsächlich auf den Senat, die Ritterschaft und die Zensur gestützten politischen Stellung riß die Nobilität nicht bloß das Regiment wesentlich an sich, sondern gestaltete auch die Verfassung in ihrem Sinne um. Es gehört schon hierher, daß man, um die Gemeindeämter im Preise zu halten, die Zahl derselben so wenig wie irgend möglich und keineswegs in dem Grade vermehrte, wie die Erweiterung der Grenzen und die Vermehrung der Geschäfte es erfordert hätten. Nur dem allerdringlichsten Bedürfnis ward notdürftig abgeholfen durch die Teilung der bisher von dem einzigen Prätor verwalteten Gerichtsgeschäfte unter zwei Gerichtsherren, von denen der eine die Rechtssachen unter römischen Bürgern, der andere diejenigen unter Nichtbürgern oder zwischen Bürgern und Nichtbürgern übernahm, im Jahre 511 (243), und durch die Ernennung von vier Nebenkonsuln für die vier überseeischen Ämter Sizilien (527 227), Sardinien und Korsika (527 227), das Dies- und das Jenseitige Spanien (557 197). Die allzu summarische Art der römischen Prozeßeinleitung sowie der steigende Einfluß des Büropersonals gehen wohl zum großen Teil zurück auf die materielle Unzulänglichkeit der römischen Magistratur.

Unter den von der Regierung veranlaßten Neuerungen, die darum, weil sie fast durchgängig nicht den Buchstaben, sondern nur die Übung der bestehenden Verfassung ändern, nicht weniger Neuerungen sind, treten am bestimmtesten die Maßregeln hervor, wodurch die Bekleidung der Offiziersstellen wie der bürgerlichen Ämter nicht, wie der Buchstabe der Verfassung es gestattete und deren Geist es forderte, lediglich von Verdienst und Tüchtigkeit, sondern mehr und mehr von Geburt und Anciennetät abhängig gemacht ward. Bei der Ernennung der Stabsoffiziere geschah dies nicht der Form, um so mehr aber der Sache nach. Sie war schon im Laufe der vorigen Periode großenteils vom Feldherrn auf die Bürgerschaft übergegangen; in dieser Zeit kam es weiter auf, daß die sämtlichen Stabsoffiziere der regelmäßigen jährlichen Aushebung, die vierundzwanzig Kriegstribune der vier ordentlichen Legionen, in den Quartierversammlungen ernannt wurden. Immer unübersteiglicher zog sich also die Schranke zwischen den Subalternen, die ihre Posten durch pünktlichen und tapferen Dienst vom Feldherrn, und dem Stab, der seine bevorzugte Stelle durch Bewerbung von der Bürgerschaft sich erwarb. Um nur den ärgsten Mißbräuchen dabei zu steuern und ganz ungeprüfte junge Menschen von diesen wichtigen Posten fernzuhalten, wurde es nötig, die Vergebung der Stabsoffiziersstellen an den Nachweis einer gewissen Zahl von Dienstjahren zu knüpfen. Nichtsdestoweniger wurde, seit das Kriegstribunat, die rechte Säule des römischen Heerwesens, den jungen Adligen als erster Schrittstein auf ihrer politischen Laufbahn hingestellt war, die Dienstpflicht unvermeidlich sehr häufig eludiert und die Offizierswahl abhängig von allen Übelständen des demokratischen Ämterbettels und der aristokratischen Junkerexklusivität. Es war eine schneidende Kritik der neuen Institution, daß bei ernsthaften Kriegen (zum Beispiel 583 171) es notwendig befunden ward, diese demokratische Offizierswahl zu suspendieren und die Ernennung des Stabes wieder dem Feldherrn zu überlassen.

Bei den bürgerlichen Ämtern ward zunächst und vor allem die Wiederwahl zu den höchsten Gemeindestellen beschränkt. Es war dies allerdings notwendig, wenn das Jahrkönigtum nicht ein leerer Name werden sollte; und schon in der vorigen Periode war die abermalige Wahl zum Konsulat erst nach Ablauf von zehn Jahren gestattet und die zur Zensur überhaupt untersagt worden. Gesetzlich ging man in dieser Epoche nicht weiter; wohl aber lag eine fühlbare Steigerung darin, daß das Gesetz hinsichtlich des zehnjährigen Intervalls zwar im Jahre 537 (217) für die Dauer des Krieges in Italien suspendiert, nachher aber davon nicht weiter dispensiert, ja gegen das Ende dieses Zeitabschnitts die Wiederwahl überhaupt schon selten ward. Weiter erging gegen das Ende dieser Periode (574 180) ein Gemeindebeschluß, der die Bewerber um Gemeindeämter verpflichtete, dieselben in einer festen Stufenfolge zu übernehmen und bei jedem gewisse Zwischenzeiten und Altersgrenzen einzuhalten. Die Sitte freilich hatte beides längst vorgeschrieben; aber es war doch eine empfindliche Beschränkung der Wahlfreiheit, daß die übliche Qualifikation zur rechtlichen erhoben und der Wählerschaft das Recht entzogen ward, in außerordentlichen Fällen sich über jene Erfordernisse wegzusetzen. Überhaupt wurde den Angehörigen der regierenden Familien ohne Unterschied der Tüchtigkeit der Eintritt in den Senat eröffnet, während nicht bloß der ärmeren und geringeren Schichten der Bevölkerung der Eintritt in die regierenden Behörden sich völlig verschloß, sondern auch alle nicht zu der erblichen Aristokratie gehörenden römischen Bürger zwar nicht gerade aus der Kurie, aber wohl von den beiden höchsten Gemeindeämtern, dem Konsulat und der Zensur, tatsächlich ferngehalten wurden. Nach Manius Curius und Gaius Fabricius ist kein nicht der sozialen Aristokratie angehöriger Konsul nachzuweisen und wahrscheinlich überhaupt kein einziger derartiger Fall vorgekommen. Aber auch die Zahl der Geschlechter, die in dem halben Jahrhundert vom Anfang des Hannibalischen bis zum Ende des Perseischen Krieges zum ersten Male in den Konsular- und Zensorenlisten erscheinen, ist äußerst beschränkt; und bei weitem die meisten derselben, wie zum Beispiel die Flaminier, Terentier, Porcier, Acilier, Laelier lassen sich auf Oppositionswahlen zurückführen oder gehen zurück auf besondere aristokratische Konnexionen, wie denn die Wahl des Gaius Laelius 564 (190) offenbar durch die Scipionen gemacht worden ist. Die Ausschließung der Ärmeren vom Regiment war freilich durch die Verhältnisse geboten. Seit Rom ein rein italischer Staat zu sein aufgehört und die hellenische Bildung adoptiert hatte, war es nicht länger möglich, einen kleinen Bauersmann vom Pfluge weg an die Spitze der Gemeinde zu stellen. Aber das war nicht notwendig und nicht wohlgetan, daß die Wahlen fast ohne Ausnahme in dem engen Kreis der kurulischen Häuser sich bewegten und ein „neuer Mensch“ nur durch eine Art Usurpation in denselben einzudringen vermochte49

  Konsuln 388-500
(366-254):
Konsuln 501-581
(253-173):
Kurulische Ädilen jener
16 patrizische Kollegien
Cornelier 15 15 14
Valerier 10 8 4
Claudier 4 8 2
Aemilier 9 6 2
Fabier 6 6 1
Manlier 4 6 1
Postumier 2 6 2
Servilier 3 4 2
Quinctier 2 3 1
Furier 2 3
Sulpicier 6 2 2
Veturier 2
Papirier 3 1
Nautier 2
Julier 1 1
Foslier 1

  70 70 32

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Von diesem allmählich sich verändernden Geiste der Regierung trug den Stempel das Regiment. Zwar in der Verwaltung der äußeren Angelegenheiten überwog in dieser Zeit noch diejenige Folgerichtigkeit und Energie, durch welche die Herrschaft der römischen Gemeinde über Italien gegründet worden war. In der schweren Lehrzeit des Krieges um Sizilien hatte die römische Aristokratie sich allmählich auf die Höhe ihrer neuen Stellung erhoben; und wenn sie das von Rechts wegen lediglich zwischen den Gemeindebeamten und der Gemeindeversammlung geteilte Regiment verfassungswidrig für den Gemeinderat usurpierte, so legitimierte sie sich dazu durch ihre zwar nichts weniger als geniale, aber klare und feste Steuerung des Staats während des hannibalischen Sturmes und der daraus sich entspinnenden weiteren Verwicklungen, und bewies es der Welt, daß den weiten Kreis der italisch-hellenischen Staaten zu beherrschen einzig der römische Senat vermochte und in vieler Hinsicht einzig verdiente: Allein über dem großartigen und mit den großartigsten Erfolgen gekrönten Auftreten des regierenden römischen Gemeinderats gegen den äußeren Feind darf es nicht übersehen werden, daß in der minder scheinbaren und doch weit wichtigeren und weit schwereren Verwaltung der inneren Angelegenheiten des Staates sowohl die Handhabung der bestehenden Ordnungen wie die neuen Einrichtungen einen fast entgegengesetzten Geist offenbaren, oder, richtiger gesagt, die entgegengesetzte Richtung hier bereits das Übergewicht gewonnen hat.

Vor allem dem einzelnen Bürger gegenüber ist das Regiment nicht mehr, was es gewesen. Magistrat heißt der Mann, der mehr ist als die andern; und wenn er der Diener der Gemeinde ist, so ist er eben darum der Herr eines jeden Bürgers. Aber diese straffe Haltung läßt jetzt sichtlich nach. Wo das Koteriewesen und der Ämterbettel so in Blüte steht wie in dem damaligen Rom, hütet man sich, die Gegendienste der Standesgenossen und die Gunst der Menge durch strenge Worte und rücksichtslose Amtspflege zu verscherzen. Wo einmal ein Beamter mit altem Ernst und alter Strenge auftritt, da sind es in der Regel, wie zum Beispiel Cotta (502 252) und Cato, neue, nicht aus dem Schoße des Herrenstandes hervorgegangene Männer. Es war schon etwas, daß Paullus, als er zum Oberfeldherrn gegen Perseus ernannt worden war, statt nach beliebter Art sich bei der Bürgerschaft zu bedanken, derselben erklärte, er setze voraus, daß sie ihn zum Feldherrn gewählt hätten, weil sie ihn für den fähigsten zum Kommando gehalten, und ersuche sie deshalb, ihm nun nicht kommandieren zu helfen, sondern stillzuschweigen und zu gehorchen. Roms Suprematie und Hegemonie im Mittelmeergebiet ruhte nicht zum wenigsten auf der Strenge seiner Kriegszucht und seiner Rechtspflege. Unzweifelhaft war es auch, im großen und ganzen genommen, den ohne Ausnahme tief zerrütteten hellenischen, phönikischen und orientalischen Staaten in diesen Beziehungen damals noch unendlich überlegen; dennoch kamen schon arge Dinge auch in Rom vor. Wie die Erbärmlichkeit der Oberfeldherren, und zwar nicht etwa von der Opposition gewählter Demagogen, wie Gaius Flaminius und Gaius Varro, sondern gut aristokratischer Männer, bereits im dritten Makedonischen Krieg das Wohl des Staates auf das Spiel gesetzt hatte, ist früher erzählt worden. Und in welcher Art die Rechtspflege schon hin und wieder gehandhabt ward, das zeigt der Auftritt im Lager des Konsuls Lucius Quinctius Flamininus bei Placentia (562 192) – um seinen Buhlknaben für die ihm zuliebe versäumten Fechterspiele in der Hauptstadt zu entschädigen, hatte der hohe Herr einen in das römische Lager geflüchteten, vornehmen Boier herbeirufen lassen und ihn mit eigener Hand beim Gelage niedergestoßen. Schlimmer als der Vorgang selber, dem mancher ähnliche sich an die Seite stellen ließe, war es noch, daß der Täter nicht bloß nicht vor Gericht gestellt ward, sondern, als ihn der Zensor Cato deswegen aus der Liste der Senatoren strich, seine Standesgenossen den Ausgestoßenen im Theater einluden, seinen Senatorenplatz wieder einzunehmen – freilich war er der Bruder des Befreiers der Griechen und eines der mächtigsten Koteriehäupter des Senats.

Auch das Finanzwesen der römischen Gemeinde ging in dieser Epoche eher zurück als vorwärts. Zwar der Betrag der Einnahmen war zusehends im Wachsen. Die indirekten Abgaben – direkte gab es in Rom nicht – stiegen infolge der erweiterten Ausdehnung des römischen Gebietes, welche es zum Beispiel nötig machte, in den Jahren 555, 575 (199, 179) an der kampanischen und brettischen Küste neue Zollbüros in Puteoli, Castra (Squillace) und anderswo einzurichten. Auf demselben Grunde beruht der neue, die Salzverkaufspreise nach den verschiedenen Distrikten Italiens abstufende Salztarif vom Jahre 550 (204), indem es nicht länger möglich war, den jetzt durch ganz Italien zerstreuten römischen Bürgern das Salz zu einem und demselben Preise abzugeben; da indes die römische Regierung wahrscheinlich den Bürgern dasselbe zum Produktionspreis, wenn nicht darunter abgab, so ergab diese Finanzmaßregel für den Staat keinen Gewinn. Noch ansehnlicher war die Steigerung des Ertrages der Domänen. Die Abgabe freilich, welche von dem zur Okkupation verstatteten italischen Domanialland dem Ärar von Rechts wegen zukam, ward zum allergrößten Teil wohl weder gefordert noch geleistet. Dagegen blieb nicht bloß das Hutgeld bestehen, sondern es wurden auch die infolge des Hannibalischen Krieges neu gewonnenen Domänen, namentlich der größere Teil des Gebiets von Capua und das von Leontini, nicht zum Okkupieren hingegeben, sondern parzelliert und an kleine Zeitpächter ausgetan und der auch hier versuchten Okkupation von der Regierung mit mehr Nachdruck als gewöhnlich entgegengetreten; wodurch dem Staate eine beträchtliche und sichere Einnahmequelle entstand. Auch die Bergwerke des Staats, namentlich die wichtigen spanischen, wurden durch Verpachtung verwertet. Endlich traten zu den Einnahmen die Abgaben der überseeischen Untertanen hinzu. Außerordentlicherweise flossen während dieser Epoche sehr bedeutende Summen in den Staatsschatz, namentlich an Beutegeld aus dem Antiochischen Kriege 200 (14500000 Taler), aus dem Perseischen 210 Mill. Sesterzen (15 Mill. Taler) – letzteres die größte Barsumme, die je auf einmal in die römische Kasse gelangt ist.

Indes ward diese Zunahme der Einnahme durch die steigenden Ausgaben größtenteils wieder ausgeglichen. Die Provinzen, etwa mit Ausnahme Siziliens, kosteten wohl ungefähr ebensoviel als sie eintrugen; die Ausgaben für Wege- und andere Bauten stiegen im Verhältnis mit der Ausdehnung des Gebiets; auch die Rückzahlung der von den ansässigen Bürgern während der schweren Kriegszeiten erhobenen Vorschüsse (tributa) lastete noch manches Jahr nachher auf dem römischen Ärar. Dazu kamen die durch die verkehrte Wirtschaft und die schlaffe Nachsicht der Oberbehörden dem gemeinen Wesen verursachten sehr namhaften Verluste. Von dem Verhalten der Beamten in den Provinzen, von ihrer üppigen Wirtschaft aus gemeinem Säckel, von den Unterschleifen namentlich am Beutegut, von dem beginnenden Bestechungs- und Erpressungssystem wird unten noch die Rede sein. Wie der Staat bei den Verpachtungen seiner Gefälle und den Akkorden über Lieferungen und Bauten im allgemeinen wegkam, kann man ungefähr danach ermessen, daß der Senat im Jahre 587 (167) beschloß, von dem Betrieb der an Rom gefallenen makedonischen Bergwerke abzusehen, weil die Grubenpächter doch entweder die Untertanen plündern oder die Kasse bestehlen würden – freilich ein naives Armutszeugnis, das die kontrollierende Behörde sich selber ausstellte. Man ließ nicht bloß, wie schon gesagt ward, die Abgabe von dem okkupierten Domanialland stillschweigend fallen, sondern man litt es auch, daß bei Privatanlagen in der Hauptstadt und sonst auf öffentlichen Grund und Boden übergegriffen und das Wasser aus den öffentlichen Leitungen zu Privatzwecken abgeleitet ward; es machte sehr böses Blut, wenn einmal ein Zensor gegen solche Kontravenienten ernstlich einschritt und sie zwang, entweder auf die Sondernutzung des gemeinen Gutes zu verzichten oder dafür das gesetzliche Boden- und Wassergeld zu zahlen. Der Gemeinde gegenüber bewies das sonst so peinliche ökonomische Gewissen der Römer eine merkwürdige Weite. „Wer einen Bürger bestiehlt“, sagt Cato, „beschließt sein Leben in Ketten und Banden; in Gold und Purpur aber, wer die Gemeinde bestiehlt.“ Wenn trotz dessen, daß das öffentliche Gut der römischen Gemeinde ungestraft und ungescheut von Beamten und Spekulanten geplündert ward, noch Polybios es hervorhebt, wie selten in Rom der Unterschleif sei, während man in Griechenland kaum hier und da einen Beamten finde, der nicht in die Kasse greife; wie der römische Kommissar und Beamte auf sein einfaches Treuwort hin ungeheure Summen redlich verwalte, während in Griechenland der kleinsten Summe wegen zehn Briefe besiegelt und zwanzig Zeugen aufgeboten würden und doch jedermann betrüge, so liegt hierin nur, daß die soziale und ökonomische Demoralisation in Griechenland noch viel weiter vorgeschritten war als in Rom und namentlich hier noch nicht wie dort der unmittelbare und offenbare Kassendefekt florierte. Das allgemeine finanzielle Resultat spricht sich für uns am deutlichsten in dem Stand der öffentlichen Bauten und in dem Barbestand des Staatsschatzes aus. Für das öffentliche Bauwesen finden wir in Friedenszeiten ein Fünftel, in Kriegszeiten ein Zehntel der Einkünfte verwendet, was den Umständen nach nicht gerade reichlich gewesen zu sein scheint. Es geschah mit diesen Summen sowie mit den nicht in die Staatskasse unmittelbar fallenden Bruchgeldern wohl manches für die Pflasterung der Wege in und vor der Hauptstadt, für die Chaussierung der italischen Hauptstraßen51, für die Anlage öffentlicher Gebäude. Wohl die bedeutendste unter den aus dieser Periode bekannten hauptstädtischen Bauten war die wahrscheinlich im Jahre 570 (184) verdungene große Reparatur und Erweiterung des hauptstädtischen Kloakennetzes, wofür auf einmal 1700000 Taler (24 Mill. Sesterzen) angewiesen wurden und der vermutlich der Hauptsache nach angehört, was von den Kloaken heute noch vorhanden ist. Aber allem Anschein nach stand in dem öffentlichen Bauwesen, auch abgesehen von den schweren Kriegszeiten, diese Periode hinter dem letzten Abschnitt der vorigen zurück; zwischen 482 und 607 (272 und 147) ist in Rom keine neue Wasserleitung angelegt worden. Der Staatsschatz nahm freilich zu: die letzte Reserve betrug im Jahre 545 (209), wo man sich genötigt sah, sie anzugreifen, nur 1144000 Taler (4000 Pfund Gold; 2, 171), wogegen kurze Zeit nach dem Schluß dieser Periode (597 157) nahe an 6 Mill. Taler in edlen Metallen in der Staatskasse vorrätig waren. Allein bei den ungeheuren außerordentlichen Einnahmen, welche in dem Menschenalter nach dem Ende des Hannibalischen Krieges der römischen Staatskasse zuflossen, befremdet die letztere Summe mehr durch ihre Niedrigkeit als durch ihre Höhe. Soweit bei den vorliegenden, mehr als dürftigen Angaben es zulässig ist, hier von Resultaten zu sprechen, zeigen die römischen Staatsfinanzen wohl einen Überschuß der Einnahme über die Ausgabe, aber darum doch nichts weniger als ein glänzendes Gesamtergebnis.

Am bestimmtesten tritt der veränderte Geist der Regierung hervor in der Behandlung der italischen und außeritalischen Untertanen der römischen Gemeinde. Man hatte sonst in Italien unterschieden die gewöhnlichen und die latinischen bundesgenössischen Gemeinden, die römischen Passiv- und die römischen Vollbürger. Von diesen vier Klassen wurde die dritte im Laufe dieser Periode so gut wie vollständig beseitigt, indem das, was früher schon für die Passivbürgergemeinden in Latium und in der Sabina geschehen war, jetzt auch auf die des ehemaligen volskischen Gebiets Anwendung fand und diese allmählich, zuletzt vielleicht im Jahre 566 (188) Arpinum, Fundi und Formiae, das volle Bürgerrecht empfingen. In Kampanien wurde Capua nebst einer Anzahl benachbarter kleinerer Gemeinden infolge seines Abfalls von Rom im Hannibalischen Kriege aufgelöst. Wenn auch einige wenige Gemeinden, wie Velitrae im Volskergebiet, Teanum und Cumae in Kampanien, in dem früheren Rechtsverhältnis verblieben sein mögen, so darf doch, im großen und ganzen betrachtet, dies Bürgerrecht zweiter Klasse jetzt als beseitigt gelten.

Dagegen trat neu hinzu eine besonders zurückgesetzte, der Kommunalfreiheit und des Waffenrechts entbehrende und zum Teil fast den Gemeindesklaven gleich behandelte Klasse (peregrini dediticii), wozu namentlich die Angehörigen der ehemaligen, mit Hannibal verbündet gewesenen kampanischen, südlichen picentischen und brettischen Gemeinden gehörten. Ihnen schlossen sich die diesseits der Alpen geduldeten Kettenstämme an, deren Stellung zu der italischen Eidgenossenschaft zwar nur unvollkommen bekannt ist, aber doch durch die in ihre Bundesverträge mit Rom aufgenommene Klausel, daß keiner aus diesen Gemeinden je das römische Bürgerrecht solle gewinnen dürfen, hinreichend als eine zurückgesetzte charakterisiert wird.

Die Stellung der nichtlatinischen Bundesgenossen hatte, wie schon früher angedeutet ward, durch den Hannibalischen Krieg sich sehr zu ihrem Nachteil verändert. Nur wenige Gemeinden dieser Kategorie, wie zum Beispiel Neapel, Nola, Rhegion, Herakleia, hatten während aller Wechselfälle dieses Krieges unverändert auf der Seite Roms gestanden und darum ihr bisheriges Bundesrecht unverändert behalten; bei weitem die meisten mußten infolge ihres Parteiwechsels sich eine nachteilige Revision der bestehenden Verträge gefallen lassen. Von der gedrückten Stellung der nichtlatinischen Bundesgenossen zeugt die Auswanderung aus ihren Gemeinden in die latinischen; als im Jahre 577 (177) die Samniten und Paeligner bei dem Senat um Herabsetzung ihrer Kontingente einkamen, wurde dies damit motiviert, daß während der letzten Jahre 4000 samnitische und paelignische Familien nach der latinischen Kolonie Fregellae übergesiedelt seien.

Daß die Latiner, das heißt jetzt die wenigen noch außerhalb des römischen Bürgerverbandes stehenden Städte im alten Latium wie Tibur und Praeneste, die ihnen rechtlich gleichgestellten Bundesstädte, wie namentlich einzelne der Herniker, und die durch ganz Italien zerstreuten latinischen Kolonien auch jetzt noch besser gestellt waren, ist hierin enthalten; doch hatten auch sie im Verhältnis kaum weniger sich verschlechtert. Die ihnen auferlegten Lasten wurden unbillig gesteigert und der Druck des Kriegsdienstes mehr und mehr von der Bürgerschaft ab auf sie und die anderen italischen Bundesgenossen gewälzt. So wurden zum Beispiel 536 (218) fast doppelt soviel Bundesgenossen aufgeboten als Bürger; so nach dem Ende des Hannibalischen Krieges die Bürger alle, nicht aber die Bundesgenossen verabschiedet; so die letzteren vorzugsweise für den Besatzungs- und den verhaßten spanischen Dienst verwandt; so bei dem Triumphalgeschenk 577 (177) den Bundesgenossen nicht wie sonst die gleiche Verehrung mit den Bürgern, sondern nur die Hälfte gegeben, so daß inmitten des ausgelassenen Jubels dieses Soldatenkarnevals die zurückgesetzten Abteilungen stumm dem Siegeswagen folgten: so erhielten bei Landanweisungen in Norditalien die Bürger je zehn, die Nichtbürger je drei Morgen Ackerlandes. Die unbeschränkte Freizügigkeit war den latinischen Gemeinden bereits früher (486 268) genommen und ihnen die Auswanderung nach Rom nur dann gestattet worden, wenn sie leibliche Kinder und einen Teil ihres Vermögens in der Heimatgemeinde zurückließen. Indes diese lästigen Vorschriften wurden auf vielfache Weise umgangen oder übertreten, und der massenhafte Zudrang der Bürger der latinischen Ortschaften nach Rom und die Klagen ihrer Behörden über die zunehmende Entvölkerung der Städte und die Unmöglichkeit, unter solchen Umständen das festgesetzte Kontingent zu leisten, veranlaßten die römische Regierung, polizeiliche Ausweisungen aus der Hauptstadt in großem Umfang zu veranstalten (567, 577 187, 177). Die Maßregel mochte unvermeidlich sein, ward aber darum nicht weniger schwer empfunden. Weiter fingen die von Rom im italischen Binnenland angelegten Städte gegen das Ende dieser Periode an, statt des latinischen, das volle Bürgerrecht zu empfangen, was bis dahin nur hinsichtlich der Seekolonien geschehen war, und die bisher fast regelmäßige Erweiterung der Latinerschaft durch neu hinzutretende Gemeinden hatte damit ein Ende. Aquileia, dessen Gründung 571 (183) begann, ist die jüngste der italischen Kolonien Roms geblieben, welche mit latinischem Recht beliehen wurden; den ungefähr gleichzeitig ausgeführten Kolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma, Luna (570-577 184-177) ward schon das volle Bürgerrecht gegeben. Die Ursache war offenbar das Sinken des latinischen im Vergleich mit dem römischen Bürgerrecht. Die in die neuen Pflanzstädte ausgeführten Kolonisten wurden von jeher und jetzt mehr als je vorwiegend aus der römischen Bürgerschaft ausgewählt, und es fehlten selbst unter dem ärmeren Teile derselben die Leute, die willig gewesen wären, auch mit Erwerbung bedeutender materieller Verteile ihr Bürger- gegen latinisches Recht zu vertauschen.

Endlich ward den Nichtbürgern, Gemeinden wie Einzelnen, der Eintritt in das römische Bürgerrecht fast vollständig gesperrt. Das ältere Verfahren, die unterworfenen Gemeinden der römischen einzuverleiben, hatte man um 400 (350) fallenlassen, um nicht durch übermäßige Ausdehnung der römischen Bürgerschaft dieselbe allzusehr zu dezentralisieren, und deshalb die Halbbürgergemeinden eingerichtet. Jetzt gab man die Zentralisation der Gemeinde auf, indem teils die Halbbürgergemeinden das Vollbürgerrecht empfingen, teils zahlreiche entferntere Bürgerkolonien zu der Gemeinde hinzutraten; aber auf das ältere Inkorporationssystem kam man den verbündeten Gemeinden gegenüber nicht zurück. Daß nach der vollendeten Unterwerfung Italiens auch nur eine einzige italische Gemeinde das bundesgenössische mit dem römischen Bürgerrecht vertauscht hätte, läßt sich nicht nachweisen; wahrscheinlich hat in der Tat seitdem keine mehr dieses erhalten. Auch der Übertritt einzelner Italiker in das römische Bürgerrecht fand fast allein noch statt für die latinischen Gemeindebeamten und durch besondere Begünstigung für einzelne der bei Gründung von Bürgerkolonien mit zugelassenen Nichtbürger52.

Diesen tatsächlichen und rechtlichen Umgestaltungen der Verhältnisse der italischen Untertanen kann wenigstens innerer Zusammenhang und Folgerichtigkeit nicht abgesprochen wer den. Die Lage der Untertanenklassen wurde im Verhältnis ihrer bisherigen Abstufung durchgängig verschlechtert und, während die Regierung sonst die Gegensätze zu mildern und durch Übergänge zu vermitteln bemüht gewesen war, würden jetzt überall die Mittelglieder beseitigt und die verbindenden Brücken abgebrochen. Wie innerhalb der römischen Bürgerschaft der Herrenstand von dem Volke sich absonderte, den öffentlichen Lasten durchgängig sich entzog und die Ehren und Vorteile durchgängig für sich nahm, so trat die Bürgerschaft ihrerseits der italischen Eidgenossenschaft gegenüber und schloß diese mehr und mehr von dem Mitgenuß der Herrschaft aus, während sie an den gemeinen Lasten doppelten und dreifachen Anteil überkam. Wie die Nobilität gegenüber den Plebejern, so lenkte die Bürgerschaft gegenüber den Nichtbürgern zurück in die Abgeschlossenheit des verfallenen Patriziats; das Plebejat, das durch die Liberalität seiner Institutionen großgeworden war, schnürte jetzt selbst sich ein in die starren Satzungen des Junkertums. Die Aufhebung der Passivbürgerschaften kann an sich nicht getadelt werden und gehört auch ihrem Motiv nach vermutlich in einen anderen, später noch zu erörternden Zusammenhang; dennoch ging schon dadurch ein vermittelndes Zwischenglied verloren. Bei weitem bedenklicher aber war das Schwinden des Unterschieds zwischen den latinischen und den übrigen italischen Gemeinden. Die Grundlage der römischen Macht war die bevorzugte Stellung der latinischen Nation innerhalb Italiens; sie wich unter den Füßen, seit die latinischen Städte anfingen, sich nicht mehr als die bevorzugten Teilhaber an der Herrschaft der mächtigen stammverwandten Gemeinde, sondern wesentlich gleich den übrigen als Untertanen Roms zu empfinden und alle Italiker ihre Lage gleich unerträglich zu finden begannen. Denn daß die Brettier und ihre Leidensgenossen schon völlig wie Sklaven behandelt wurden und völlig wie Sklaven sich verhielten, zum Beispiel von der Flotte, auf der sie als Ruderknechte dienten, ausrissen, wo sie konnten und gern gegen Rom Dienste nahmen; daß ferner in den keltischen und vor allem den überseeischen Untertanen eine noch gedrücktere und von der Regierung in berechneter Absicht der Verachtung und Mißhandlung durch die Italiker preisgegebene Klasse den Italikern zur Seite gestellt ward, schloß freilich auch eine Abstufung innerhalb der Untertanenschaft in sich, konnte aber doch für den früheren Gegensatz zwischen den stammverwandten und den stammfremden italischen Untertanen nicht entfernt einen Ersatz gewähren. Eine tiefe Verstimmung bemächtigte sich der gesamten italischen Eidgenossenschaft, und nur die Furcht hielt sie ab, laut sich zu äußern. Der Vorschlag, der nach der Schlacht bei Cannae im Senat gemacht ward, aus jeder latinischen Gemeinde zwei Männern das römische Bürgerrecht und Sitz im Senat zu gewähren, war freilich zur Unzeit gestellt und ward mit Recht abgelehnt; aber er zeigt doch, mit welcher Besorgnis man schon damals in der herrschenden Gemeinde auf das Verhältnis zwischen Latium und Rom blickte. Wenn jetzt ein zweiter Hannibal den Krieg nach Italien getragen hätte, so durfte man zweifeln, ob auch er an dem felsenfesten Widerstand des latinischen Namens gegen die Fremdherrschaft gescheitert sein würde.

Aber bei weitem die wichtigste Institution, welche diese Epoche in das römische Gemeinwesen eingeführt hat, und zugleich diejenige, welche am entschiedensten und verhängnisvollsten aus der bisher eingehaltenen Bahn wich, waren die neuen Vogteien. Das ältere römische Staatsrecht kannte zinspflichtige Untertanen nicht; die überwundenen Bürgerschaften wurden entweder in die Sklaverei verkauft oder in der römischen aufgehoben oder endlich zu einem Bündnis zugelassen, das ihnen wenigstens die kommunale Selbständigkeit und die Steuerfreiheit sicherte. Allein die karthagischen Besitzungen in Sizilien, Sardinien und Spanien sowie Hierons Reich hatten ihren früheren Herren gesteuert und gezinst; wenn Rom diese Besitzungen einmal behalten wollte, war es nach dem Urteil der Kurzsichtigen das Verständigste und unzweifelhaft das Bequemste, die neuen Gebiete lediglich nach den bisherigen Normen zu verwalten. Man behielt also die karthagisch-hieronische Provinzialverfassung einfach bei und organisierte nach derselben auch diejenigen Landschaften, die man, wie das Diesseitige Spanien, den Barbaren entriß. Es war das Hemd des Nessos, das man vom Feind erbte. Ohne Zweifel war es anfänglich die Absicht der römischen Regierung, durch die Abgaben der Untertanen nicht eigentlich sich zu bereichern, sondern nur die Kosten der Verwaltung und Verteidigung damit zu decken; doch wich man auch hiervon schon ab, als man Makedonien und Illyrien tributpflichtig machte, ohne daselbst die Regierung und die Grenzbesetzung zu übernehmen. Überhaupt aber kam es weit weniger darauf an, daß man noch in der Belastung Maß hielt, als darauf, daß man überhaupt die Herrschaft in ein nutzbares Recht verwandelte; für den Sündenfall ist es gleich, ob man nur den Apfel nimmt oder gleich den Baum plündert. Die Strafe folgte dem Unrecht auf dem Fuß. Das neue Provinzialregiment nötigte zu der Einsetzung von Vögten, deren Stellung nicht bloß mit der Wohlfahrt der Vogteien, sondern auch mit der römischen Verfassung schlechthin unverträglich war. Wie die römische Gemeinde in den Provinzen an die Stelle des früheren Landesherrn trat, so war ihr Vogt daselbst an Königs Statt; wie denn auch zum Beispiel der sizilische Prätor in dem Hieronischen Palast zu Syrakus residierte. Von Rechts wegen sollte nun zwar der Vogt nichtsdestoweniger sein Amt mit republikanischer Ehrbarkeit und Sparsamkeit verwalten. Cato erschien als Statthalter von Sardinien in den ihm untergebenen Städten zu Fuß und von einem einzigen Diener begleitet, welcher ihm den Rock und die Opferschale nachtrug, und als er von seiner spanischen Statthalterschaft heimkehrte, verkaufte er vorher sein Schlachtroß, weil er sich nicht befugt hielt, die Transportkosten desselben dem Staate in Rechnung zu bringen. Es ist auch keine Frage, daß die römischen Statthalter, obgleich sicherlich nur wenige von ihnen die Gewissenhaftigkeit so wie Cato bis an die Grenze der Knauserei und Lächerlichkeit trieben, doch zum guten Teil durch ihre altväterliche Frömmigkeit, durch die bei ihren Mahlzeiten herrschende ehrbare Stille, durch die verhältnismäßig rechtschaffene Amts- und Rechtspflege, namentlich die angemessene Strenge gegen die schlimmsten unter den Blutsaugern der Provinzialen, die römischen Steuerpächter und Bankiers, überhaupt durch den Ernst und die Würde ihres Auftretens den Untertanen, vor allen den leichtfertigen und haltungslosen Griechen nachdrücklich imponierten. Auch die Provinzialen befanden sich unter ihnen verhältnismäßig leidlich. Man war durch die karthagischen Vögte und syrakusanischen Herren nicht verwöhnt und sollte bald Gelegenheit finden, im Vergleich mit den nachkommenden Skorpionen der gegenwärtigen Ruten sich dankbar zu erinnern; es ist wohl erklärlich, wie späterhin das sechste Jahrhundert der Stadt als die goldene Zeit der Provinzialherrschaft erschien. Aber es war auf die Länge nicht durchführbar, zugleich Republikaner und König zu sein. Das Landvogtspielen demoralisierte mit furchtbarer Geschwindigkeit den römischen Herrenstand. Hoffart und Übermut gegen die Provinzialen lagen so sehr in der Rolle, daß daraus dem einzelnen Beamten kaum ein Vorwurf gemacht werden darf. Aber schon war es selten, und um so seltener, als die Regierung mit Strenge an dem alten Grundsatz festhielt, die Gemeindebeamten nicht zu besolden, daß der Vogt ganz reine Hände aus der Provinz wieder mitbrachte; daß Paullus, der Sieger von Pydna, kein Geld nahm, wird bereits als etwas Besonderes angemerkt. Die üble Sitte, dem Amtmann „Ehrenwein“ und andere „freiwillige“ Gaben zu verabreichen, scheint so alt wie die Provinzialverfassung selbst und mag wohl auch ein karthagisches Erbstück sein; schon Cato mußte in seiner Verwaltung Sardiniens 556 (198) sich begnügen, diese Hebungen zu regulieren und zu ermäßigen. Das Recht der Beamten und überhaupt der in Staatsgeschäften Reisenden auf freies Quartier und freie Beförderung ward schon als Vorwand zu Erpressungen benutzt. Das wichtigere Recht des Beamten, Getreidelieferungen teils zu seinem und seiner Leute Unterhalt (in cellam), teils im Kriegsfall zur Ernährung des Heeres oder bei anderen besonderen Anlässen gegen einen billigen Taxpreis in seiner Provinz auszuschreiben, wurde schon so arg gemißbraucht, daß auf die Klagen der Spanier der Senat im Jahre 583 (171) die Feststellung des Taxpreises für beiderlei Lieferungen den Amtsleuten zu entziehen sich veranlaßt fand. Selbst für die Volksfeste in Rom fing schon an bei den Untertanen requiriert zu werden; die maßlosen Tribulationen, die der Ädil Tiberius Sempronius Gracchus für die von ihm auszurichtende Festlichkeit über italische wie außeritalische Gemeinden ergehen ließ, veranlaßten den Senat, offiziell dagegen einzuschreiten (572 182). Was überhaupt der römische Beamte sich am Schlusse dieser Periode nicht bloß gegen die unglücklichen Untertanen, sondern selbst gegen die abhängigen Freistaaten und Königreiche herausnahm, das zeigen die Raubzüge des Gnaeus Volso in Kleinasien und vor allem die heillose Wirtschaft in Griechenland während des Krieges gegen Perseus. Die Regierung hatte kein Recht, sich darüber zu verwundern, da sie es an jeder ernstlichen Schranke gegen die übergriffe dieses militärischen Willkürregiments fehlen ließ. Zwar die gerichtliche Kontrolle mangelte nicht ganz. Konnte auch der römische Vogt nach dem allgemeinen und mehr als bedenklichen Grundsatz: gegen den Oberfeldherrn während der Amtsverwaltung keine Beschwerdeführung zu gestatten, regelmäßig erst dann zur Rechenschaft gezogen werden, wenn das Übel geschehen war, so war doch an sich sowohl eine Kriminal- als eine Zivilverfolgung gegen ihn möglich. Um jene einzuleiten, mußte ein Volkstribun kraft der ihm zustehenden richterlichen Gewalt die Sache in die Hand nehmen und sie an das Volksgericht bringen; die Zivilklage wurde von dem Senator, der die betreffende Prätur verwaltete, an eine nach der damaligen Gerichtsverfassung aus dem Schoße des Senats bestellte Jury gewiesen. Dort wie hier lag also die Kontrolle in den Händen des Herrenstandes, und obwohl dieser noch rechtlich und ehrenhaft genug war, um gegründete Beschwerden nicht unbedingt beiseite zu legen, der Senat sogar verschiedene Male auf Anrufen der Geschädigten die Einleitung eines Zivilverfahrens selber zu veranlassen sich herbeiließ, so konnten doch Klagen von Niedrigen und Fremden gegen mächtige Glieder der regierenden Aristokratie vor weit entfernten und wenn nicht in gleicher Schuld befangenen, doch mindestens dem gleichen Stande angehörigen Richtern und Geschworenen von Anfang an nur dann auf Erfolg rechnen, wenn das Unrecht klar und schreiend war; und vergeblich zu klagen, war fast gewisses Verderben. Einen gewissen Anhalt fanden die Geschädigten freilich in den erblichen Klientelverhältnissen, welche die Städte und Landschaften der Untertanen mit ihren Besiegern und andern ihnen näher getretenen Römern verknüpften. Die spanischen Statthalter empfanden es, daß an Catos Schutzbefohlenen sich niemand ungestraft vergriff; und daß die Vertreter der drei von Paullus überwundenen Nationen, der Spanier, Ligurer und Makedonier, sich es nicht nehmen ließen, seine Bahre zum Scheiterhaufen zu tragen, war die schönste Totenklage um den edlen Mann. Allein dieser Sonderschutz gab nicht bloß den Griechen Gelegenheit, ihr ganzes Talent, sich ihren Herren gegenüber wegzuwerfen, in Rom zu entfalten und durch ihre bereitwillige Servilität auch ihre Herren zu demoralisieren – die Beschlüsse der Syrakusaner zu Ehren des Marcellus, nachdem er ihre Stadt zerstört und geplündert und sie ihn vergeblich deshalb beim Senat verklagt hatten, sind eines der schandbarsten Blätter in den wenig ehrbaren Annalen von Syrakus –, sondern es hatte auch bei der schon gefährlichen Familienpolitik dieses Hauspatronat seine politisch bedenkliche Seite. Immer wurde auf diesem Wege wohl bewirkt, daß die römischen Beamten die Götter und den Senat einigermaßen fürchteten und im Stehlen meistenteils Maß hielten, allein man stahl denn doch, und ungestraft, wenn man mit Bescheidenheit stahl. Die heillose Regel stellte sich fest, daß bei geringen Erpressungen und mäßiger Gewalttätigkeit der römische Beamte gewissermaßen in seiner Kompetenz und von Rechts wegen straffrei sei, die Beschädigten also zu schweigen hätten; woraus denn die Folgezeit die verhängnisvollen Konsequenzen zu ziehen nicht unterlassen hat. Indes wären auch die Gerichte so streng gewesen, wie sie schlaff waren, es konnte doch die gerichtliche Rechenschaft nur den ärgsten Übelständen steuern. Die wahre Bürgschaft einer guten Verwaltung liegt in der strengen und gleichmäßigen Oberaufsicht der höchsten Verwaltungsbehörde; und hieran ließ der Senat es vollständig mangeln. Hier am frühesten machte die Schlaffheit und Unbeholfenheit des kollegialischen Regiments sich geltend. Von Rechts wegen hätten die Vögte einer weit strengeren und spezielleren Aufsicht unterworfen werden sollen, als sie für die italischen Munizipalverwaltungen ausgereicht hatte, und mußten jetzt, wo das Reich große überseeische Gebiete umfaßte, die Anstalten gesteigert werden, durch welche die Regierung sich die Übersicht über das Ganze bewahrte. Von beidem geschah das Umgekehrte. Die Vögte herrschten so gut wie souverän, und das wichtigste der für den letzteren Zweck dienenden Institute, die Reichsschatzung, wurde noch auf Sizilien, aber auf keine der später erworbenen Provinzen mehr erstreckt. Diese Emanzipation der obersten Verwaltungsbeamten von der Zentralgewalt war mehr als bedenklich. Der römische Vogt, an der Spitze der Heere des Staats und im Besitz bedeutender Finanzmittel, dazu einer schlaffen gerichtlichen Kontrolle unterworfen und von der Oberverwaltung tatsächlich unabhängig, endlich mit einer gewissen Notwendigkeit dahin geführt, sein und seiner Administrierten Interesse von dem der römischen Gemeinde zu scheiden und ihm entgegenzustellen, glich weit mehr einem persischen Satrapen als einem der Mandatare des römischen Senats in der Zeit der Samnitischen Kriege, und kaum konnte der Mann, der eben im Auslande eine gesetzliche Militärtyrannis geführt hatte, von da den Weg wieder zurück in die bürgerliche Gemeinschaft finden, die wohl Befehlende und Gehorchende, aber nicht Herren und Knechte unterschied. Auch die Regierung empfand es, daß die beiden fundamentalen Sätze die Gleichheit innerhalb der Aristokratie und die Unterordnung der Beamtengewalt unter das Senatskollegium, ihr hier unter den Händen zu schwinden begannen. Aus der Abneigung der Regierung gegen Erwerbung neuer Vogteien und gegen das ganze Vogteiwesen, der Einrichtung der Provinzialquästuren, die wenigstens die Finanzgewalt den Vögten aus den Händen zu nehmen bestimmt waren, der Beseitigung der an sich so zweckmäßigen Einrichtung längerer Statthalterschaften leuchtet sehr deutlich die Besorgnis hervor, welche die weiterblickenden römischen Staatsmänner vor der hier gesäten Saat empfanden. Aber Diagnose ist nicht Heilung. Das innere Regiment der Nobilität entwickelte sich weiter in der einmal angegebenen Richtung, und der Verfall der Verwaltung und des Finanzwesens, die Vorbereitung künftiger Revolutionen und Usurpationen hatten ihren wenn nicht unbemerkten, doch ungehemmten stetigen Fortgang.

Wenn die neue Nobilität weniger scharf als die alte Geschlechtsaristokratie formuliert war und wenn diese gesetzlich, jene nur tatsächlich die übrige Bürgerschaft im Mitgenuß der politischen Rechte beeinträchtigte, so war eben darum die zweite Zurücksetzung nur schwerer zu ertragen und schwerer zu sprengen als die erste. An Versuchen zu dem letzteren fehlte es natürlich nicht. Die Opposition ruhte auf der Gemeindeversammlung wie die Nobilität auf dem Senat; um jene zu verstehen, ist zunächst die damalige römische Bürgerschaft nach ihrem Geist und ihrer Stellung im Gemeinwesen zu schildern.

Was von einer Bürgerversammlung wie die römische war, nicht dem bewegenden Triebrad, sondern dem festen Grund des Ganzen, gefordert werden kann: ein sicherer Blick für das gemeine Beste, eine einsichtige Folgsamkeit gegenüber dem richtigen Führer, ein festes Herz in guten und bösen Tagen und vor allem die Aufopferungsfähigkeit des Einzelnen für das Ganze, des gegenwärtigen Wohlbehagens für das Glück der Zukunft – das alles hat die römische Gemeinde in so hohem Grade geleistet, daß, wo der Blick auf das Ganze sich richtet, jede Bemäkelung in bewundernder Ehrfurcht verstummt. Auch jetzt war der gute und verständige Sinn noch durchaus in ihr vorwiegend. Das ganze Verhalten der Bürgerschaft der Regierung wie der Opposition gegenüber beweist mit vollkommener Deutlichkeit, daß dasselbe gewaltige Bürgertum, vor dem selbst Hannibals Genie das Feld räumen mußte, auch in den römischen Komitien entschied; die Bürgerschaft hat wohl oft geirrt, jedoch nicht geirrt in Pöbeltücke, sondern in bürgerlicher und bäuerlicher Beschränktheit. Aber allerdings wurde die Maschinerie, mittels welcher die Bürgerschaft in den Gang der öffentlichen Angelegenheiten eingriff, immer unbehilflicher und wuchsen ihr durch ihre eigenen Großtaten die Verhältnisse vollständig über den Kopf. Daß im Laufe dieser Epoche teils die meisten bisherigen Passivbürgergemeinden, teils eine beträchtliche Anzahl neuangelegter Pflanzstädte das volle römische Bürgerrecht empfingen, ist schon angegeben worden. Am Ende derselben erfüllte die römische Bürgerschaft in ziemlich geschlossener Masse Latium im weitesten Sinn, die Sabina und einen Teil Kampaniens, so daß sie an der Westküste nördlich bis Caere, südlich bis Cumae reichte; innerhalb dieses Gebiets standen nur wenige Städte, wie Tibur, Praeneste, Signia, Norba, Ferentinum außer derselben. Dazu kamen die Seekolonien an den italischen Küsten, welche durchgängig das römische Vollbürgerrecht besaßen, die picenischen und transapenninischen Kolonien der jüngsten Zeit, denen das Bürgerrecht hatte eingeräumt werden müssen, und eine sehr beträchtliche Anzahl römischer Bürger, die, ohne eigentliche, gesonderte Gemeinwesen zu bilden, in Marktflecken und Dörfern (fora et conciliabula) durch ganz Italien zerstreut lebten. Wenn man der Unbehilflichkeit einer also beschaffenen Stadtgemeinde auch für die Zwecke der Rechtspflege53 und der Verwaltung teils durch die früher schon erwähnten stellvertretenden Gerichtsherren einigermaßen abhalf, teils wohl auch schon, namentlich in den See- und den neuen picenischen und transapenninischen Kolonien, zu der späteren Organisation kleinerer städtischer Gemeinwesen innerhalb der großen römischen Stadtgemeinde wenigstens die ersten Grundlinien zog, so blieb doch in allen politischen Fragen die Urversammlung auf dem römischen Marktplatz allein berechtigt; und es springt in die Augen, daß diese in ihrer Zusammensetzung wie in ihrem Zusammenhandeln jetzt nicht mehr war, was sie gewesen, als die sämtlichen Stimmberechtigten ihre bürgerliche Berechtigung in der Art ausübten, daß sie am Morgen von ihren Höfen weggehen und an demselben Abend wieder zurück sein konnten. Es kam hinzu, daß die Regierung – ob aus Unverstand, Schlaffheit oder böser Absicht, läßt sich nicht sagen – die nach dem Jahre 513 (241) in den Bürgerverband eintretenden Gemeinden nicht mehr wie früher in neuerrichtete Wahlbezirke, sondern in die alten mit einschrieb; so daß allmählich jeder Bezirk aus verschiedenen, über das ganze römische Gebiet zerstreuten Ortschaften sich zusammensetzte. Wahlbezirke wie diese, von durchschnittlich 8000, die städtischen natürlich von mehr, die ländlichen von weniger Stimmberechtigten, und ohne örtlichen Zusammenhang und innere Einheit, ließen schon keine bestimmte Leitung und keine genügende Vorbesprechung mehr zu; was um so mehr vermißt werden mußte, als den Abstimmungen selbst keine freie Debatte voranging. Wenn ferner die Bürgerschaft vollkommen die Fähigkeit. hatte, ihre Gemeindeinteressen wahrzunehmen, so war es doch sinnlos und geradezu lächerlich, in den höchsten und schwierigsten Fragen, welche die herrschende Weltmacht zu lösen überkam, einem wohlgesinnten, aber zufällig zusammengetriebenen Haufen italischer Bauern das entscheidende Wort einzuräumen und über Feldherrnernennungen und Staatsverträge in letzter Instanz Leute urteilen zu lassen, die weder die Gründe noch die Folgen ihrer Beschlüsse begriffen. In allen über eigentliche Gemeindesachen hinausgehenden Dingen haben denn auch die römischen Urversammlungen eine unmündige und selbst alberne Rolle gespielt. In der Regel standen die Leute da und sagten ja zu allen Dingen; und wenn sie ausnahmsweise aus eigenem Antrieb nein sagten, wie zum Beispiel bei der Kriegserklärung gegen Makedonien 554 (200), so machte sicher die Kirchturms- der Staatspolitik eine kümmerliche und kümmerlich auslaufende Opposition.

Endlich stellte dem unabhängigen Bürgerstand sich der Klientenpöbel formell gleichberechtigt und tatsächlich oft schon übermächtig zur Seite. Die Institutionen, aus denen er hervorging, waren uralt. Seit unvordenklicher Zeit übte der vornehme Römer auch über seine Freigelassenen und Zugewandten eine Art Regiment aus und ward von denselben bei allen ihren wichtigeren Angelegenheiten zu Rate gezogen, wie denn zum Beispiel ein solcher Klient nicht leicht seine Kinder verheiratete, ohne die Billigung seines Patrons erlangt zu haben, und sehr oft dieser die Partien geradezu machte. Aber wie aus der Aristokratie ein eigener Herrenstand ward, der in seiner Hand nicht bloß die Macht, sondern auch den Reichtum vereinigte, so wurden aus den Schutzbefohlenen Günstlinge und Bettler; und der neue Anhang der Reichen unterhöhlte äußerlich und innerlich den Bürgerstand. Die Aristokratie duldete nicht bloß diese Klientel, sondern beutete finanziell und politisch sie aus. So zum Beispiel wurden die alten Pfennigkollekten, welche bisher hauptsächlich nur zu religiösen Zwecken und bei der Bestattung verdienter Männer stattgefunden hatten, jetzt von angesehenen Herren – zuerst 568 (186) von Lucius Scipio in Veranlassung eines von ihm beabsichtigten Volksfestes – benutzt, um bei außerordentlichen Gelegenheiten vom Publikum eine Beisteuer zu erheben. Die Schenkungen wurden besonders deshalb gesetzlich beschränkt (550 204), weil die Senatoren anfingen, unter diesem Namen von ihren Klienten regelmäßigen Tribut zu nehmen. Aber vor allen Dingen diente der Schweif dem Herrenstande dazu, die Komitien zu beherrschen; und der Ausfall der Wahlen zeigt es deutlich, welche mächtige Konkurrenz der abhängige Pöbel bereits in dieser Zeit dem selbständigen Mittelstand machte.

Die reißend schnelle Zunahme des Gesindels, namentlich in der Hauptstadt, welche hierdurch vorausgesetzt wird, ist auch sonst nachweisbar. Die steigende Zahl und Bedeutung der Freigelassenen beweisen die schon im vorigen Jahrhundert gepflogenen und in diesem sich fortsetzenden, sehr ernsten Erörterungen über ihr Stimmrecht in den Gemeindeversammlungen, und der während des Hannibalischen Krieges vom Senat gefaßte merkwürdige Beschluß, die ehrbaren freigelassenen Frauen zur Beteiligung bei den öffentlichen Kollekten zuzulassen und den rechten Kindern freigelassener Väter die bisher nur den Kindern der Freigeborenen zukommenden Ehrenzeichen zu gestatten. Wenig besser als die Freigelassenen mochte die Majorität der nach Rom übersiedelnden Hellenen und Orientalen sein, denen die nationale Servilität ebenso unvertilgbar wie jenen die rechtliche anhaftete.

Aber es wirkten nicht bloß diese natürlichen Ursachen mit zu dem Aufkommen eines hauptstädtischen Pöbels, sondern es kann auch weder die Nobilität noch die Demagogie von dem Vorwurf freigesprochen werden, systematisch denselben großgezogen und durch Volksschmeichelei und noch schlimmere Dinge den alten Bürgersinn, soviel an ihnen war, unterwühlt zu haben. Noch war die Wählerschaft durchgängig zu achtbar, als daß unmittelbare Wahlbestechung im großen sich hätte zeigen dürfen; aber indirekt ward schon in unlöblichster Weise um die Gunst der Stimmberechtigten geworben. Die alte Verpflichtung der Beamten, namentlich der Ädilen, für billige Kornpreise zu sorgen und die Spiele zu beaufsichtigen, fing an, in das auszuarten, woraus endlich die entsetzliche Parole des kaiserlichen Stadtpöbels hervorging: Brot umsonst und ewiges Volksfest. Große Kornsendungen, welche entweder die Provinzialstatthalter zur Verfügung der römischen Marktbehörde stellten oder auch wohl die Provinzen selbst, um sich bei einzelnen römischen Beamten in Gunst zu setzen, unentgeltlich nach Rom lieferten, machten es seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts den Ädilen möglich, an die hauptstädtische Bürgerbevölkerung das Getreide zu Schleuderpreisen abzugeben. Es sei kein Wunder, meinte Cato, daß die Bürgerschaft nicht mehr auf guten Rat höre – der Bauch habe eben keine Ohren. Die Volkslustbarkeiten nahmen in erschreckender Weise zu. Fünfhundert Jahre hatte die Gemeinde sich mit einem Volksfest im Jahr und mit einem Spielplatz begnügt; der erste römische Demagoge von Profession, Gaius Flaminius, fügte ein zweites Volksfest und einen zweiten Spielplatz hinzu (534 220)54, und mag sich mit diesen Einrichtungen, deren Tendenz schon der Name des neuen Festes: „plebejische Spiele“ hinreichend bezeichnet, die Erlaubnis erkauft haben, die Schlacht am Trasimenischen See zu liefern. Rasch ging man weiter in der einmal eröffneten Bahn. Das Fest zu Ehren der Ceres, der Schutzgottheit des Plebejertums, kann, wenn überhaupt, doch nur wenig jünger sein als das plebejische. Weiter ward nach Anleitung der Sibyllinischen und Marcischen Weissagungen schon 542 (212) ein viertes Volksfest zu Ehren Apollons, 550 (204) ein fünftes zu Ehren der neu aus Phrygien nach Rom übergesiedelten Großen Mutter hinzugefügt. Es waren dies die schweren Jahre des Hannibalischen Krieges – bei der ersten Feier der Apollospiele ward die Bürgerschaft von dem Spielplatz weg zu den Waffen gerufen; die eigentümlich italische Deisidämonie war fieberhaft aufgeregt, und es fehlte nicht an solchen, welche sie nutzten, um Sibyllen- und Prophetenorakel in Umlauf zu setzen und durch deren Inhalt und Vertretung sich der Menge zu empfehlen; kaum darf man es tadeln, daß die Regierung, welche der Bürgerschaft so ungeheure Opfer zumuten mußte, in solchen Dingen nachgab. Was man aber einmal nachgegeben, blieb bestehen; ja selbst in ruhigeren Zeiten (581 173) kam noch ein freilich geringeres Volksfest, die Spiele zu Ehren der Flora hinzu. Die Kosten dieser neuen Festlichkeiten bestritten die mit der Ausrichtung der einzelnen Feste beauftragten Beamten aus eigenen Mitteln – so die kurulischen Ädilen zu dem alten Volksfest noch das Fest der Göttermutter und das der Flora, die plebejischen das Plebejer- und das Ceresfest, der städtische Prätor die Apollinarischen Spiele. Man mag damit, daß die neuen Volksfeste wenigstens dem gemeinen Säckel nicht zur Last fielen, sich vor sich selber entschuldigt haben; in der Tat wäre es weit weniger nachteilig gewesen, das Gemeindebudget mit einer Anzahl unnützer Ausgaben zu belasten, als zu gestatten, daß die Ausrichtung einer Volkslustbarkeit tatsächlich zur Qualifikation für die Bekleidung des höchsten Gemeindeamtes ward. Die künftigen Konsularkandidaten machten bald in dem Aufwande für diese Spiele einander eine Konkurrenz, die die Kosten derselben ins Unglaubliche steigerte; und es schadete begreiflicherweise nicht, wenn der Konsul in Hoffnung noch außer dieser gleichsam gesetzlichen eine freiwillige „Leistung“ (munus), ein Fechterspiel auf seine Kosten zum besten gab. Die Pracht der Spiele wurde allmählich der Maßstab, nach dem die Wählerschaft die Tüchtigkeit der Konsulatsbewerber bemaß. Die Nobilität hatte freilich schwer zu zahlen – ein anständiges Fechterspiel kostete 750000 Sesterzen (50000 Taler); allein sie zahlte gern, da sie ja damit den unvermögenden Leuten die politische Laufbahn verschloß. Aber die Korruption beschränkte sich nicht auf den Markt, sondern übertrug sich auch schon auf das Lager. Die alte Bürgerwehr hatte sich glücklich geschätzt, eine Entschädigung für die Kriegsarbeit und im glücklichen Fall eine geringe Siegesgabe heimzubringen; die neuen Feldherren, an ihrer Spitze Scipio Africanus, warfen das römische wie das Beutegeld mit vollen Händen unter sie aus – es war darüber, daß Cato während der letzten Feldzüge gegen Hannibal in Afrika mit Scipio brach. Die Veteranen aus dem Zweiten Makedonischen und dem kleinasiatischen Krieg kehrten bereits durchgängig als wohlhabende Leute heim; schon fing der Feldherr an, auch von den Besseren gepriesen zu werden, der die Gaben der Provinzialen und den Kriegsgewinn nicht bloß für sich und sein unmittelbares Gefolge nahm und aus dessen Lager nicht wenige Männer mit Golde, sondern viele mit Silber in den Taschen zurückkamen – daß auch die bewegliche Beute des Staates sei, fing an in Vergessenheit zu geraten. Als Lucius Paullus wieder in alter Weise mit derselben verfuhr, da fehlte wenig, daß seine eigenen Soldaten, namentlich die durch die Aussicht auf reichen Raub zahlreich herbeigelockten Freiwilligen, nicht durch Volksbeschluß dem Sieger von Pydna die Ehre des Triumphes aberkannt hätten, die man schon an jeden Bezwinger von drei ligurischen Dörfern wegwarf.

Wie sehr die Kriegszucht und der kriegerische Geist der Bürgerschaft unter diesem Übergang der Kriegs- in das Raubhandwerk litten, kann man an den Feldzügen gegen Perseus verfolgen; und fast in skurriler Weise offenbarte die einreißende Feigheit der unbedeutende Istrische Krieg (576 178), wo über ein geringes, vom Gerüchte lawinenhaft vergrößertes Scharmützel das Landheer und die Seemacht der Römer, ja die Italiker daheim ins Weglaufen kamen und Cato seinen Landsleuten über ihre Feigheit eine eigene Strafpredigt zu halten nötig fand. Auch hier ging die vornehme Jugend voran. Schon während des Hannibalischen Krieges (545 200) sahen die Zensoren sich veranlaßt, gegen die Lässigkeit der Militärpflichtigen von Ritterschatzung mit ernsten Strafen einzuschreiten. Gegen das Ende dieser Periode (574 ? 180) stellte ein Bürgerschaftsbeschluß den Nachweis von zehn Dienstjahren als Qualifikation für die Bekleidung eines jeden Gemeindeamtes fest, um die Söhne der Nobilität dadurch zum Eintritt in das Heer zu nötigen.

Aber wohl nichts spricht so deutlich für den Verfall des rechten Stolzes und der rechten Ehre bei Hohen wie bei Geringen als das Jagen nach Abzeichen und Titeln, das im Ausdruck verschieden, aber im Wesen gleichartig bei allen Ständen und Klassen erscheint. Zu der Ehre des Triumphes drängte man sich so, daß es kaum gelang, die alte Regel aufrecht zu erhalten, welche nur dem die Macht der Gemeinde in offener Feldschlacht mehrenden, ordentlichen höchsten Gemeindebeamten verstattete zu triumphieren und dadurch allerdings nicht selten eben die Urheber der wichtigsten Erfolge von dieser Ehre ausschloß. Man mußte es schon sich gefallen lassen, daß diejenigen Feldherren, welche vergeblich versucht oder keine Aussicht hatten, den Triumph vom Senat oder der Bürgerschaft zu erlangen, auf eigene Hand wenigstens auf dem Albanischen Berg triumphierend aufzogen (zuerst 523 231). Schon war kein Gefecht mit einem ligurischen oder korsischen Haufen zu unbedeutend, um nicht daraufhin den Triumph zu erbitten. Um den friedlichen Triumphatoren, wie zum Beispiel die Konsuln des Jahres 570 (184) gewesen waren, das Handwerk zu legen, wurde die Gestattung des Triumphes an den Nachweis einer Feldschlacht geknüpft, die wenigstens 5000 Feinden das Leben gekostet; aber auch dieser Nachweis ward öfter durch falsche Bulletins umgangen – sah man doch auch schon in den vornehmen Häusern manche feindliche Rüstung prangen, die keineswegs vom Schlachtfeld dahin kam. Wenn sonst der Oberfeldherr des einen Jahres es sich zur Ehre gerechnet hatte, das nächste Jahr in den Stab seines Nachfolgers einzutreten, so war es jetzt eine Demonstration gegen die neumodische Hoffart, daß der Konsular Cato unter Tiberius Sempronius Longus (560 194) und Manius Glabrio (563 191; 2, 258) als Kriegstribun Dienste nahm. Sonst hatte für den der Gemeinde erwiesenen Dienst der Dank der Gemeinde ein- für allemal genügt; jetzt schien jedes Verdienst eine bleibende Auszeichnung zu fordern. Bereits der Sieger von Mylae (494 260) Gaius Duilius hatte es durchgesetzt, daß ihm, wenn er abends durch die Straßen der Hauptstadt ging, ausnahmsweise ein Fackelträger und ein Pfeifer voraufzog. Statuen und Denkmäler, sehr oft auf Kosten des Geehrten errichtet, wurden so gemein, daß man es spöttisch für eine Auszeichnung erklären konnte, ihrer zu entbehren. Aber nicht lange genügten derartige bloß persönliche Ehren. Es kam auf, aus den gewonnenen Siegen dem Sieger und seinen Nachkommen einen bleibenden Zunamen zu schöpfen; welchen Gebrauch vornehmlich der Sieger von Zama begründet hat, indem er sich selber den Mann von Afrika, seinen Bruder den von Asien, seinen Vetter den von Spanien nennen ließ55. Dem Beispiel der Hohen folgten die Niederen nach. Wenn der Herrenstand es nicht verschmähte, die Rangklassen der Leichenordnung festzustellen und dem gewesenen Zensor ein purpurnes Sterbekleid zu dekretieren, so konnte man es den Freigelassenen nicht verübeln, daß auch sie verlangten, wenigstens ihre Söhne mit dem vielbeneideten Purpurstreif schmücken zu dürfen. Der Rock, der Ring und die Amulettkapsel unterschieden nicht bloß den Bürger und die Bürgerin von dem Fremden und dem Sklaven, sondern auch den Freigeborenen von dem gewesenen Knecht, den Sohn freigeborener von dem freigelassener Eltern, den Ritter- und den Senatorensohn von dem gemeinen Bürger, den Sprößling eines kurulischen Hauses von dem gemeinen Senator – und das in derjenigen Gemeinde, in der alles, was gut und groß, das Werk der bürgerlichen Gleichheit war!

Die Zwiespältigkeit innerhalb der Gemeinde wiederholt sich in der Opposition. Gestützt auf die Bauernschaft erheben die Patrioten den lauten Ruf nach Reform; gestützt auf die hauptstädtische Menge beginnt die Demagogie ihr Werk. Obwohl die beiden Richtungen sich nicht völlig trennen lassen, sondern mehrfach Hand in Hand gehen, wird es doch notwendig sein, sie in der Betrachtung voneinander zu sondern.

Die Reformpartei tritt uns gleichsam verkörpert entgegen in der Person des Marcus Porcius Cato (520-605 234-149). Cato, der letzte namhafte Staatsmann des älteren, noch auf Italien sich beschränkenden und dem Weltregiment abgeneigten Systems, galt darum späterhin als das Muster des echten Römers von altem Schrot und Korn; mit größerem Recht wird man ihn betrachten als den Vertreter der Opposition des römischen Mittelstandes gegen die neue hellenisch-kosmopolitische Nobilität. Beim Pfluge hergekommen, ward er durch seinen Gutsnachbarn, einen der wenigen dem Zuge der Zeit abholden Adligen, Lucius Valerius Flaccus, in die politische Laufbahn gezogen; der derbe sabinische Bauer schien dem rechtschaffenen Patrizier der rechte Mann, um dem Strom der Zeit sich entgegenzustemmen; und er hatte in ihm sich nicht getäuscht. Unter Flaccus‘ Ägide und nach guter alter Sitte mit Rat und Tat den Mitbürgern und dem Gemeinwesen dienend, focht er sich empor bis zum Konsulat und zum Triumph, ja sogar bis zur Zensur. Mit dem siebzehnten Jahre eingetreten in die Bürgerwehr, hatte er den ganzen Hannibalischen Krieg von der Schlacht am Trasimenischen See bis zu der bei Zama durchgemacht, unter Marcellus und Fabius, unter Nero und Scipio gedient und bei Tarent und Sena, in Afrika, Sardinien, Spanien, Makedonien sich als Soldat, als Stabsoffizier und als Feldherr gleich tüchtig bewährt. Wie auf der Walstatt stand er auf dem Marktplatz. Seine furchtlose und schlagfertige Rede, sein derber treffender Bauernwitz, seine Kenntnis des römischen Rechts und der römischen Verhältnisse, seine unglaubliche Rührigkeit und sein eiserner Körper machten ihn zuerst in den Nachbarstädten angesehen, alsdann, nachdem er auf dem Markt und in der Kurie der Hauptstadt auf einen größeren Schauplatz getreten war, zu dem einflußreichsten Sachwalter und Staatsredner seiner Zeit. Er nahm den Ton auf, den zuerst Manius Curius, unter den römischen Staatsmännern sein Ideal, angeschlagen hatte; sein langes Leben hat er daran gesetzt, dem einreißenden Verfall redlich, wie er es verstand, nach allen Seiten hin zu begegnen, und noch in seinem fünfundachtzigsten Jahre auf dem Marktplatz dem neuen Zeitgeist Schlachten geliefert. Er war nichts weniger als schön – grüne Augen habe er, behaupteten seine Feinde, und rote Haare – und kein großer Mann, am wenigsten ein weitblickender Staatsmann. Politisch und sittlich gründlich borniert und stets das Ideal der guten alten Zeit vor den Augen und auf den Lippen, verachtete er eigensinnig alles Neue. Durch seine Strenge gegen sich vor sich selber legitimiert zu mitleidloser Schärfe und Härte gegen alles und alle, rechtschaffen und ehrbar, aber ohne Ahnung einer jenseits der polizeilichen Ordnung und der kaufmännischen Redlichkeit liegenden Pflicht, ein Feind aller Büberei und Gemeinheit wie aller Eleganz und Genialität und vor allen Dingen der Feind seiner Feinde, hat er nie einen Versuch gemacht, die Quellen des Übels zu verstopfen, und sein Leben lang gegen nichts gefochten als gegen Symptome und namentlich gegen Personen. Die regierenden Herren sahen zwar auf den ahnenlosen Beller vornehm herab und glaubten nicht mit Unrecht, ihn weit zu übersehen; aber die elegante Korruption in und außer dem Senat zitterte doch im geheimen vor dem alten Sittenmeisterer von stolzer republikanischer Haltung, vor dem narbenbedeckten Veteranen aus dem Hannibalischen Krieg, vor dem höchst einflußreichen Senator und dem Abgott der römischen Bauernschaft. Einem nach dem andern seiner vornehmen Kollegen hielt er öffentlich sein Sündenregister vor, allerdings ohne es mit den Beweisen sonderlich genau zu nehmen, und allerdings auch mit besonderem Genuß denjenigen, die ihn persönlich gekreuzt oder gereizt hatten. Ebenso ungescheut verwies und beschalt er öffentlich auch der Bürgerschaft jede neue Unrechtfertigkeit und jeden neuen Unfug. Seine bitterbösen Angriffe erweckten ihm zahllose Feinde und mit den mächtigsten Adelskoterien der Zeit, namentlich den Scipionen und den Flamininen, lebte er in ausgesprochener unversöhnlicher Fehde; vierundvierzigmal ist er öffentlich angeklagt worden. Aber die Bauernschaft – und es ist dies bezeichnend dafür, wie mächtig noch in dieser Zeit in dem römischen Mittelstand derjenige Geist war, der den Tag von Cannae hatte übertragen machen – ließ den rücksichtslosen Verfechter der Reform in ihren Abstimmungen niemals fallen; ja als im Jahre 570 (184) Cato mit seinem adligen Gesinnungsgenossen Lucius Flaccus sich um die Zensur bewarb und im voraus ankündigte, daß sie in diesem Amte eine durchgreifende Reinigung der Bürgerschaft an Haupt und Gliedern vorzunehmen beabsichtigten, wurden die beiden gefürchteten Männer von der Bürgerschaft gewählt ungeachtet aller Anstrengungen des Adels, und derselbe mußte es hinnehmen, daß in der Tat das große Fegefest stattfand und dabei unter anderen der Bruder des Afrikaners von der Ritter-, der Bruder des Befreiers der Griechen von der Senatorenliste gestrichen wurden.

Dieser Krieg gegen die Personen und die vielfachen Versuche, mit Justiz und Polizei den Geist der Zeit zu bannen, wie achtungswert auch die Gesinnung war, aus der sie hervorgingen, konnten doch höchstens den Strom der Korruption auf eine kurze Weile zurückstauen; und wenn es bemerkenswert ist, daß Cato dem zum Trotz oder vielmehr dadurch seine politische Rolle zu spielen vermocht hat, so ist es ebenso bezeichnend, daß es so wenig ihm gelang, die Koryphäen der Gegenpartei wie diesen ihn zu beseitigen, und die von ihm und seinem Gesinnungsgenossen vor der Bürgerschaft angestellten Rechenschaftsprozesse wenigstens in den politisch wichtigen Fällen durchgängig ganz ebenso erfolglos geblieben sind wie die gegen Cato gerichteten Anklagen. Nicht viel mehr als diese Anklagen haben die Polizeigesetze gewirkt, welche namentlich zur Beschränkung des Luxus und zur Herbeiführung eines sparsamen und ordentlichen Haushaltes in dieser Epoche in ungemeiner Anzahl erlassen wurden und die zum Teil in der Darstellung der Volkswirtschaft noch zu berühren sein werden.

Bei weitem praktischer und nützlicher waren die Versuche, dem einreißenden Verfall mittelbar zu steuern, unter denen die Ausweisungen von neuen Bauernhufen aus dem Domanialland ohne Zweifel den ersten Platz einnehmen. Dieselben haben in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Kriege mit Karthago und wieder vom Ende des letzteren bis gegen den Schluß dieses Zeitabschnitts in großer Anzahl und in bedeutendem Umfange stattgefunden; die wichtigsten darunter sind die Aufteilung der picenischen Possessionen durch Gaius Flaminius im Jahre 522 (232),die Anlage von acht neuen Seekolonien im Jahre 560 (194) und vor allem die umfassende Kolonisation der Landschaft zwischen dem Apennin und dem Po durch die Anlage der latinischen Pflanzstädte Placentia, Cremona, Bononia und Aquileia und der Bürgerkolonien Potentia, Pisaurum, Mutina, Parma und Luna in den Jahren 536 (218) und 565-577 (189-177). Bei weitem die meisten dieser segensreichen Gründungen dürfen der Reformpartei zugeschrieben werden. Hinweisend einerseits auf die Verwüstung Italiens durch den Hannibalischen Krieg und das erschreckende Hinschwindender Bauernstellen und überhaupt der freien italischen Bevölkerung, anderseits auf die weit ausgedehnten, neben und gleich Eigentum besessenen Possessionen der Vornehmen im Cisalpinischen Gallien, in Samnium, in der apulischen und brettischen Landschaft haben Cato und seine Gesinnungsgenossen sie gefordert; und obwohl die römische Regierung diesen Forderungen wahrscheinlich nicht in dem Maßstab nachkam, wie sie es gekonnt und gesollt hätte, so blieb sie doch nicht taub gegen die warnende Stimme des verständigen Mannes.

Verwandter Art ist der Vorschlag, den Cato im Senat stellte, dem Verfall der Bürgerreiterei durch Errichtung von vierhundert neuen Reiterstellen Einhalt zu tun. An den Mitteln dazu kann es der Staatskasse nicht gefehlt haben; doch scheint der Vorschlag an dem exklusiven Geiste der Nobilität und ihrem Bestreben, diejenigen, die nur Reiter und nicht Ritter waren, aus der Bürgerreiterei zu verdrängen, gescheitert zu sein. Dagegen erzwangen die schweren Kriegsläufte, welche ja sogar die römische Regierung zu dem glücklicherweise verunglückenden Versuch bestimmten, ihre Heere nach orientalischer Art vom Sklavenmarkt zu rekrutieren, die Milderung der für den Dienst im Bürgerheer bisher geforderten Qualifikationen: des Minimalzensus von 11000 Assen (300 Taler) und der Freigeborenheit. Abgesehen davon, daß man die zwischen 4000 (115 Taler) und 1500 Assen (43 Taler) geschätzten Freigeborenen und sämtliche Freigelassene zum Flottendienst anzog, wurde der Minimalzensus für den Legionär auf 4000 Asse (115 Taler) ermäßigt und wurden im Notfall auch sowohl die Flottendienstpflichtigen als sogar die zwischen 1500 (43 Taler) und 375 Asse (11 Taler) geschätzten Freigeborenen in das Bürgerfußvolk miteingestellt. Diese vermutlich dem Ende der vorigen oder dem Anfang dieser Epoche angehörenden Neuerungen sind ohne Zweifel ebensowenig wie die servianische Militärreform aus Parteibestrebungen hervorgegangen; allein sie taten doch der demokratischen Partei insofern wesentlichen Vorschub, als mit den bürgerlichen Belastungen zuerst die bürgerlichen Ansprüche und sodann auch die bürgerlichen Rechte sich notwendig ins Gleichgewicht setzten. Die Armen und Freigelassenen fingen an in dem Gemeinwesen etwas zu bedeuten, seit sie ihm dienten; und hauptsächlich daraus entsprang eine der wichtigsten Verfassungsänderungen dieser Zeit, die Umgestaltung der Zenturiatkomitien, welche höchst wahrscheinlich in demselben Jahre erfolgte, in welchem der Krieg um Sizilien zu Ende ging (513 241).

Nach der bisherigen Stimmordnung hatten in den Zenturiatkomitien wenn auch nicht mehr, wie bis auf die Reform des Appius Claudius, allein die Ansässigen gestimmt, aber doch die Vermögenden überwogen: es hatten zuerst die Ritter gestimmt, das heißt der patrizisch-plebejische Adel, sodann die Höchstbesteuerten, das heißt diejenigen, die ein Vermögen von mindestens 100000 Assen (2900 Taler) dem Zensor nachgewiesen hatten56; und diese beiden Abteilungen hatten, wenn sie zusammenhielten, jede Abstimmung entschieden. Das Stimmrecht der Steuerpflichtigen der vier folgenden Klassen war von zweifelhaftem Gewicht, das derjenigen, deren Schätzung unter dem niedrigsten Klassensatz von 11000 Assen (300 Taler) geblieben war, wesentlich illusorisch gewesen. Nach der neuen Ordnung wurde der Ritterschaft, obwohl sie ihre gesonderten Abteilungen behielt, das Vorstimmrecht entzogen und dasselbe auf eine aus der ersten Klasse durch das Los erwählte Stimmabteilung übertragen. Die Wichtigkeit jenes adligen Vorstimmrechts kann nicht hoch genug angeschlagen werden, zumal in einer Epoche, in der tatsächlich der Einfluß des Adels auf die Gesamtbürgerschaft in stetigem Steigen war. War doch selbst der eigentliche Junkerstand noch in dieser Zeit mächtig genug, um die gesetzlich den Patriziern wie den Plebejern offenstehende zweite Konsul- und zweite Zensorstelle, jene bis an den Schluß dieser Periode (bis 582 172), diese noch ein Menschenalter darüber hinaus (bis 623 131), lediglich aus den Seinigen zu besetzen, ja in dem gefährlichsten Moment, den die römische Republik erlebt hat, in der Krise nach der Cannensischen Schlacht, die vollkommen gesetzlich erfolgte Wahl des nach aller Ansicht fähigsten Offiziers, des Plebejers Marcellus, zu der durch des Patriziers Paullus Tod erledigten Konsulstelle einzig seines Plebejertums wegen rückgängig zu machen. Dabei ist es freilich charakteristisch für das Wesen auch dieser Reform, daß das Vorstimmrecht nur dem Adel, nicht aber den Höchstbesteuerten entzogen ward, das den Ritterzenturien entzogene Vorstimmrecht nicht auf eine etwa durch das Los aus der ganzen Bürgerschaft erwählte Abteilung, sondern ausschließlich auf die erste Klasse überging. Diese sowie überhaupt die fünf Stufen blieben wie sie waren; nur die Grenze nach unter, wurde wahrscheinlich in der Weise verschoben, daß der Minimalzensus wie für den Dienst in der Legion so auch für das Stimmrecht in den Zenturien von 11000 auf 4000 Asse herabgesetzt ward. Überdies lag schon in der formeller Beibehaltung der früheren Sätze bei dem allgemeinen Steigen des Vermögensstandes gewissermaßen eine Ausdehnung des Stimmrechts im demokratischen Sinn. Die Gesamtzahl der Abteilungen blieb gleichfalls unverändert; aber wenn bis dahin, wie gesagt, die achtzehn Ritterzenturien und die 80 der ersten Klasse in den 193 Stimmzenturien allein die Majorität gehabt hatten, so wurden in der reformierten Ordnung die Stimmen der ersten Klasse auf 70 herabgesetzt und dadurch bewirkt, daß unter allen Umständen wenigstens die zweite Stufe zur Abstimmung gelangte. Wichtiger noch und der eigentliche Schwerpunkt der Reform war die Verbindung, in welche die neuen Stimmabteilungen mit der Tribusordnung gesetzt wurden. Von jeher sind die Zenturien aus den Tribus in der Weise hervorgegangen, daß wer einer Tribus angehörte, von dem Zensor in eine der Zenturien eingeschrieben werden mußte. Seitdem die nicht ansässigen Bürger in die Tribus eingeschrieben worden waren, gelangten also auch sie in die Zenturien, und während sie in den Tribusversammlungen selbst auf die vier städtischen Abteilungen beschränkt waren, hatten sie in denen der Zenturien mit den ansässigen Bürgern formell das gleiche Recht, wenngleich wahrscheinlich die zensorische Willkür in der Zusammensetzung der Zenturien dazwischen trat und den in die Landtribus eingeschriebenen Bürgern das Übergewicht auch in der Zenturienversammlung gewährte. Dieses Übergewicht wurde durch die reformierte Ordnung rechtlich in der Weise festgestellt, daß von den 70 Zenturien der ersten Klasse jeder Tribus zwei zugewiesen wurden, demnach die nicht ansässigen Bürger davon nur acht erhielten; in ähnlicher Weise muß auch in den vier anderen Stufen den ansässigen Bürgern das Übergewicht eingeräumt worden sein. Im gleichen Sinne wurde die bisherige Gleichstellung der Freigelassenen mit den Freigeborenen im Stimmrecht in dieser Zeit beseitigt und wurden auch die ansässigen Freigelassenen in die vier städtischen Tribus gewiesen. Dies geschah im Jahre 534 (220) durch einen der namhaftesten Männer der Reformpartei, den Zensor Gaius Flaminius, und wurde dann von dem Zensor Tiberius Sempronius Gracchus, dem Vater der beiden Urheber der römischen Revolution, fünfzig Jahre später (585 169) wiederholt und verschärft. Diese Reform der Zenturien, die vielleicht in ihrer Gesamtheit ebenfalls von Flaminius ausgegangen ist, war die erste wichtige Verfassungsänderung, die die neue Opposition der Nobilität abgewann, der erste Sieg der eigentlichen Demokratie. Der Kern derselben besteht teils in der Beschränkung des zensorischen Willkürregiments, teils in der Beschränkung des Einflusses einerseits der Nobilität, anderseits der Nichtansässigen und der Freigelassenen, also in der Umgestaltung der Zenturiatkomitien nach dem für die Tributkomitien schon geltenden Prinzip; was sich schon dadurch empfahl, daß Wahlen, Gesetzvorschläge, Kriminalanklagen und überhaupt alle die Mitwirkung der Bürgerschaft erfordernde Angelegenheiten durchgängig an die Tributkomitien gebracht und die schwerfälligeren Zenturien nicht leicht anders zusammengerufen wurden, als wo es verfassungsmäßig notwendig oder doch üblich war, um die Zensoren, Konsuln und Prätoren zu wählen und um einen Angriffskrieg zu beschließen. Es ward also durch diese Reform nicht ein neues Prinzip in die Verfassung hinein, sondern ein längst in der praktisch häufigeren und wichtigeren Kategorie der Bürgerschaftsversammlungen maßgebendes zu allgemeiner Geltung gebracht. Ihre wohl demokratische, aber keineswegs demagogische Tendenz zeigt sich deutlich in ihrer Stellungnahme zu den eigentlichen Stützen jeder wirklich revolutionären Partei, dem Proletariat und der Freigelassenschaft. Darum darf denn auch die praktische Bedeutung dieser Abänderung der für die Urversammlungen maßgebenden Stimmordnung nicht allzu hoch angeschlagen werden. Das neue Wahlgesetz hat die gleichzeitige Bildung eines neuen politisch privilegierten Standes nicht verhindert und vielleicht nicht einmal wesentlich erschwert. Es ist sicher nicht bloß Schuld der allerdings mangelhaften Überlieferung, daß wir nirgend eine tatsächliche Einwirkung der vielbesprochenen Reform auf den politischen Verlauf der Dinge nachzuweisen vermögen. Innerlich hängt übrigens mit dieser Reform noch die früher schon erwähnte Beseitigung der nicht stimmberechtigten römischen Bürgergemeinden und deren allmähliches Aufgehen in die Vollbürgergemeinde zusammen. Es lag in dem nivellierenden Geiste der Fortschrittspartei, die Gegensätze innerhalb des Mittelstandes zu beseitigen, während die Kluft zwischen Bürgern und Nichtbürgern sich gleichzeitig breiter und tiefer zog.

Faßt man zusammen, was von der Reformpartei dieser Zeit gewollt und erreicht ward, so hat sie dem einreißenden Verfall, vor allem dem Einschwinden des Bauernstandes und der Lockerung der alten, strengen und sparsamen Sitte, aber auch dem übermächtigen politischen Einfluß der neuen Nobilität unzweifelhaft patriotisch und energisch zu steuern sich bemüht und bis zu einem gewissen Grade auch gesteuert. Allein man vermißt ein höheres politisches Ziel. Das Mißbehagen der Menge, der sittliche Unwille der Besseren fanden wohl in dieser Opposition ihren angemessenen und kräftigen Ausdruck; aber man sieht weder eine deutliche Einsicht in die Quelle des Übels noch einen festen Plan, im großen und ganzen zu bessern. Eine gewisse Gedankenlosigkeit geht hindurch durch all diese sonst so ehrenwerten Bestrebungen, und die rein defensive Haltung der Verteidiger weissagt wenig Gutes für den Erfolg. Ob die Krankheit überhaupt durch Menschenwitz geheilt werden konnte, bleibt billig dahingestellt; die römischen Reformatoren dieser Zeit aber scheinen mehr gute Bürger als gute Staatsmänner gewesen zu sein und den großen Kampf des alten Bürgertums gegen den neuen Kosmopolitismus auf ihrer Seite einigermaßen unzulänglich und spießbürgerlich geführt zu haben.

Aber wie neben der Bürgerschaft der Pöbel in dieser Zeit emporkam, so trat auch schon neben die achtbare und nützliche Oppositionspartei die volksschmeichelnde Demagogie. Bereits Cato kennt das Gewerbe der Leute, die an der Redesucht kranken wie andere an der Trink- und der Schlafsucht; die sich Zuhörer mieten, wenn sich keine freiwillig einfinden, und die man wie den Marktschreier anhört, ohne auf sie zu hören, geschweige denn, wenn man Hilfe braucht, sich ihnen anzuvertrauen. In seiner derben Art schildert der Alte diese nach dem Muster der griechischen Schwätzer des Marktes gebildeten spaßigen und witzelnden, singenden und tanzenden, allezeit bereiten Herrchen; zu nichts, meint er, ist so einer zu brauchen, als um sich im Zuge als Hanswurst zu produzieren und mit dem Publikum Reden zu wechseln – für ein Stück Brot ist ihm ja das Reden wie das Schweigen feil. In der Tat, diese Demagogen waren die schlimmsten Feinde der Reform. Wie diese vor allen Dingen und nach allen Seiten hin auf sittliche Besserung drang, so hielt die Demagogie vielmehr hin auf Beschränkung der Regierungs- und Erweiterung der Bürgerschaftskompetenz. In ersterer Beziehung ist die wichtigste Neuerung die tatsächliche Abschaffung der Diktatur. Die durch Quintus Fabius und seine populären Gegner 537 (217) hervorgerufene Krise gab diesem von Haus aus unpopulären Institut den Todesstoß. Obwohl die Regierung einmal nachher noch (538 216) unter dem unmittelbaren Eindruck der Schlacht von Cannae einen mit aktivem Kommando ausgestatteten Diktator ernannt hat, so durfte sie dies doch in ruhigeren Zeiten nicht wieder wagen, und nachdem noch ein paar Male (zuletzt 552 202), zuweilen nach vorgängiger Bezeichnung der zu ernennenden Person durch die Bürgerschaft, ein Diktator für städtische Geschäfte eingesetzt worden war, kam dieses Amt, ohne förmlich abgeschafft zu werden, tatsächlich außer Gebrauch. Damit ging dem künstlich ineinander gefugten römischen Verfassungssystem ein für dessen eigentümliche Beamtenkollegialität sehr wünschenswertes Korrektiv verloren und büßte die Regierung, von der das Eintreten der Diktatur, das heißt die Suspension der Konsuln, durchaus und in der Regel auch die Bezeichnung des zu ernennenden Diktators abgehangen hatte, eines ihrer wichtigsten Werkzeuge ein – nur unvollkommen ward dasselbe ersetzt durch die vom Senat seitdem in Anspruch genommene Befugnis, in außerordentlichen Fällen, namentlich bei plötzlich ausbrechendem Aufstand oder Krieg, den zeitigen höchsten Beamten gleichsam diktatorische Gewalt zu verleihen durch die Instruktion: nach Ermessen für das gemeine Wohl Maßregeln zu treffen, und damit einen dem heutigen Standrecht ähnlichen Zustand herbeizuführen. Daneben dehnte die formelle Kompetenz des Volkes in der Beamtenernennung wie in Regierungs-, Verwaltungs- und Finanzfragen in bedenklicher Weise sich aus. Die Priesterschaften, namentlich die politisch wichtigsten Kollegien der Sachverständigen, ergänzten sich nach altem Herkommen selber und ernannten selber ihre Vorsteher, soweit diese Körperschaften überhaupt Vorsteher hatten; und in der Tat war für diese zur Überlieferung der Kunde göttlicher Dinge von Geschlecht zu Geschlecht bestimmten Institute die einzige ihrem Geist entsprechende Wahlform die Kooptation. Es ist darum zwar nicht von großem politischen Gewicht, aber bezeichnend für die beginnende Desorganisation der republikanischen Ordnungen, daß in dieser Zeit (vor 542 212) zwar noch nicht die Wahl in die Kollegien selbst, aber wohl die Bezeichnung der Vorstände der Curionen und der Pontifices aus dem Schoße dieser Körperschatten von den Kollegien auf die Gemeinde überging; wobei überdies noch, mit echt römischer formaler Götterfurcht, um ja nichts zu versehen, nur die kleinere Hälfte der Bezirke, also nicht das „Volk“ den Wahlakt vollzog. Von größerer Bedeutung war das zunehmende Eingreifen der Bürgerschaft in persönliche und sachliche Fragen aus dem Kreise der Militärverwaltung und der äußeren Politik. Hierher gehört der Übergang der Ernennung der ordentlichen Stabsoffiziere vom Feldherrn auf die Bürgerschaft, dessen schon gedacht ward; hierher die Wahlen der Führer der Opposition zu Oberfeldherren gegen Hannibal; hierher der verfassungs- und vernunftwidrige Bürgerschaftsbeschluß von 537 (217), wodurch das höchste Kommando zwischen dem unpopulären Generalissimus und seinem populären und ihm im Lager wie daheim opponierenden Unterfeldherrn geteilt ward; hierher das gegen einen Offizier wie Marcellus vor der Bürgerschaft verführte tribunizische Gequengel wegen unverständiger und unredlicher Kriegführung (545 209), welches denselben doch schon nötigte, aus dem Lager nach der Hauptstadt zu kommen und sich wegen seiner militärischen Befähigung vor dem Publikum der Hauptstadt auszuweisen; hierher die noch skandalöseren Versuche, dem Sieger von Pydna durch Bürgerschaftsbeschluß den Triumph abzuerkennen; hierher die allerdings wohl vom Senat veranlaßte Bekleidung eines Privatmanns mit außerordentlicher konsularischer Amtsgewalt (544 210); hierher die bedenkliche Drohung Scipios, den Oberbefehl in Afrika, wenn der Senat ihm denselben verweigere, sich von der Bürgerschaft bewilligen zu lassen (549 205); hierher der Versuch eines vor Ehrgeiz. halb närrischen Menschen, der Bürgerschaft wider Willen der Regierung eine in jeder Hinsicht ungerechtfertigte Kriegserklärung gegen die Rhodier zu entreißen (587 167); hierher das neue staatsrechtliche Axiom, daß jeder Staatsvertrag erst durch Ratifikation der Gemeinde vollgültig werde. Dieses Mitregieren und Mitkommandieren der Bürgerschaft war in hohem Grade bedenklich, aber weit bedenklicher noch ihr Eingreifen in das Finanzwesen der Gemeinde; nicht bloß, weil die Macht des Senats in der Wurzel getroffen wurde durch jeden Angriff auf das älteste und wichtigste Recht der Regierung: die ausschließliche Verwaltung des Gemeindevermögens, sondern weil die Unterstellung der wichtigsten hierher gehörigen Angelegenheit, der Aufteilung der Gemeindedomänen, unter die Urversammlungen der Bürgerschaft mit Notwendigkeit der Republik ihr Grab grub. Die Urversammlung aus dem Gemeingut unbeschränkt in den eigenen Beutel hineindekretieren zu lassen, ist reicht bloß verkehrt, sondern der Anfang vom Ende; es demoralisiert die bestgesinnte Bürgerschaft und gibt dem Antragsteller eine mit keinem freien Gemeinwesen verträgliche Macht. Wie heilsam auch die Aufteilung des Gemeinlandes und wie zwiefachen Tadels darum der Senat wert war, indem er es unterließ, durch freiwillige Aufteilung des okkupierten Landes dies gefährlichste aller Agitationsmittel abzuschneiden, so hat doch Gaius Flaminius, indem er mit dem Antrag auf Aufteilung der picenischen Domänen im Jahre 522 (232) an die Bürgerschaft ging, durch das Mittel ohne Zweifel dem Gemeinwesen mehr geschadet, als durch den Zweck ihm genützt. Wohl hatte zweihundertundfünfzig Jahre zuvor Spurius Cassius dasselbe beantragt; aber die beiden Maßregeln, wie genau sie auch dem Buchstaben nach zusammenstimmten, waren dennoch insofern völlig verschieden, als Cassius eine Gemeindesache an die lebendige und noch sich selber regierende Gemeinde, Flaminius eine Staatsfrage an die Urversammlung eines großen Staates brachte. Mit vollem Recht betrachtete nicht etwa bloß die Regierungs-, sondern auch die Reformpartei das militärische, administrative und finanzielle Regiment als legitime Domäne des Senats und hütete sie sich wohl, von der formellen Macht der innerlich in unabwendbarer Auflösung begriffenen Urversammlungen vollen Gebrauch zu machen, geschweige denn sie zu steigern. Wenn nie, selbst nicht in der beschränktesten Monarchie, dem Monarchen eine so völlig nichtige Rolle zugefallen ist, wie sie dem souveränen römischen Volke zugeteilt ward, so war dies zwar in mehr als einer Hinsicht zu bedauern, aber bei dem dermaligen Stande der Komitialmaschine auch nach der Ansicht der Reformfreunde eine Notwendigkeit. Darum haben Cato und seine Gesinnungsgenossen nie eine Frage an die Bürgerschaft gebracht, welche in das eigentliche Regiment eingegriffen hätte, niemals die von ihnen gewünschten politischen oder finanziellen Maßregeln, wie zum Beispiel die Kriegserklärung gegen Karthago und die Ackerauslegungen, mittelbar oder unmittelbar durch Bürgerschaftsbeschluß dem Senat abgezwungen. Die Regierung des Senats mochte schlecht sein; die Urversammlungen konnten nicht regieren. Nicht als hätte in ihnen eine böswillige Majorität vorgeherrscht; im Gegenteil fand das Wort eines angesehenen Mannes, fand der laute Ruf der Ehre und der lautere der Not in der Regel in den Komitien noch Gehör und wendete die äußersten Schädigungen und Schändlichkeiten ab – die Bürgerschaft, vor der Marcellus sich verantwortete, ließ den Ankläger schimpflich durchfallen und wählte den Angeklagten zum Konsul für das folgende Jahr; auch von der Notwendigkeit des Krieges gegen Philippos ließ die Versammlung sich überzeugen, endigte den Krieg gegen Perseus durch die Wahl des Paullus und bewilligte diesem den wohlverdienten Triumph. Aber zu solchen Wahlen und solchen Beschlüssen bedurfte es doch schon eines besonderen Aufschwungs; durchgängig folgte die Masse willenlos dem nächsten Impulse, und Unverstand und Zufall entschieden.

Im Staate wie in jedem Organismus ist das Organ, welches nicht mehr wirkt, schon auch schädlich; auch die Nichtigkeit der souveränen Volksversammlung schloß keine geringe Gefahr ein. Jede Minorität im Senat konnte der Majorität gegenüber verfassungsmäßig an die Komitien appellieren. Jedem einzelnen Manne, der die leichte Kunst besaß, unmündigen Ohren zu predigen oder auch nur Geld wegzuwerfen, war ein Weg eröffnet, um sich eine Stellung zu verschaffen oder einen Beschluß zu erwirken, denen gegenüber Beamte und Regierung formell gehalten waren zu gehorchen. Daher denn jene Bürgergenerale, gewohnt, im Weinhaus Schlachtpläne auf den Tisch zu zeichnen und kraft ihres angeborenen strategischen Genies mitleidig auf den Gamaschendienst herabzusehen; daher jene Stabsoffiziere, die ihr Kommando dem hauptstädtischen Ämterbettel verdankten und, wenn es einmal Ernst galt, vor allen Dingen in Masse verabschiedet werden mußten – und daher die Schlachten am Trasimenischen See und bei Cannae und die schimpfliche Kriegführung gegen Perseus. Auf Schritt und Tritt ward die Regierung durch jene unberechenbaren Bürgerschaftsbeschlüsse gekreuzt und beirrt, und begreiflicherweise eben da am meisten, wo sie am meisten in ihrem guten Recht war.

Aber die Schwächung der Regierung und der Gemeinde selbst waren noch die geringere unter den aus dieser Demagogie sich entwickelnden Gefahren. Unmittelbarer noch drängte unter der Ägide der verfassungsmäßigen Rechte der Bürgerschaft die faktiöse Gewalt der einzelnen Ehrgeizigen sich empor. Was formell als Wille der höchsten Autorität im Staate auftrat, war der Sache nach sehr oft nichts als das persönliche Belieben des Antragstellers; und was sollte werden aus einem Gemeinwesen, in welchem Krieg und Frieden, Ernennung und Absetzung des Feldherrn und der Offiziere, die gemeine Kasse und das gemeine Gut von den Launen der Menge und ihrer zufälligen Führer abhingen? Das Gewitter war noch nicht ausgebrochen; aber dicht und dichter ballten die Wolken sich zusammen und einzelne Donnerschläge rollten bereits durch die schwüle Luft. Dabei trafen in zwiefach bedenklicher Weise die scheinbar entgegengesetztesten Richtungen in ihren äußersten Spitzen sowohl hinsichtlich der Zwecke wie hinsichtlich der Mittel zusammen. In der Pöbelklientel und dem Pöbelkultus machten Familienpolitik und Demagogie sich eine gleichartige und gleich gefährliche Konkurrenz. Gaius Flaminius galt den Staatsmännern der folgenden Generation als der Eröffner derjenigen Bahn, aus welcher die Gracchischen Reformen und – setzen wir hinzu – weiterhin die demokratisch-monarchische Revolution hervorging. Aber auch Publius Scipio, obwohl tonangebend in der Hoffart, der Titeljagd, der Klientelmacherei der Nobilität, stützte sich in seiner persönlichen und fast dynastischen Politik gegen den Senat auf die Menge, die er nicht bloß durch den Schimmer seiner Individualität bezauberte, sondern auch durch seine Kornsendungen bestach, auf die Legionen, deren Gunst er durch rechte und unrechte Mittel sich erwarb, und vor allen Dingen auf die ihm persönlich anhängende hohe und niedere Klientel – nur die träumerische Unklarheit, auf welcher der Reiz wie die Schwäche dieses merkwürdigen Mannes großenteils beruht, ließen ihn aus dem Glauben: nichts zu sein noch sein zu wollen als der erste Bürger von Rom, nicht oder doch nicht völlig erwachen.

Die Möglichkeit einer Reform zu behaupten, würde ebenso verwegen sein, wie sie zu leugnen; daß eine durchgreifende Verbesserung des Staats an Haupt und Gliedern dringendes Bedürfnis war und daß von keiner Seite dazu ein ernstlicher Versuch gemacht ward, ist gewiß. Zwar im einzelnen geschah von seiten des Senats wie von seiten der bürgerschaftlichen Opposition mancherlei. Dort wie hier waren die Majoritäten noch wohlgesinnt und boten über den Riß weg, der die Parteien trennte, noch häufig sich die Hände, um gemeinschaftlich die schlimmsten Übelstände zu beseitigen. Aber da man die Quellen nicht verstopfte, so half es wenig, daß die besseren Männer mit Besorgnis auf das dumpfe Tosen der anschwellenden Flut lauschten und an Deichen und Dämmen arbeiteten. Indem auch sie sich mit Palliativen begnügten und selbst diese, namentlich eben die wichtigsten, wie die Verbesserung der Justiz und die Aufteilung des Domaniallandes, nicht rechtzeitig und umfänglich genug anwandten, halfen sie mit dazu, den Nachkommen eine böse Zukunft zu bereiten. Indem sie versäumten, den Acker umzubrechen während es Zeit war, zeitigten Unkraut auch, die es nicht säten. Den späteren Geschlechtern, die die Stürme der Revolution erlebten, erschien die Zeit nach dem Hannibalischen Kriege als die goldene Roms und Cato als das Muster des römischen Staatsmanns. Es war vielmehr die Windstille vor dem Sturm und die Epoche der politischen Mittelmäßigkeiten, eine Zeit wie die des Walpoleschen Regiments in England; und kein Chatham fand sich in Rom, der die stockenden Adern der Nation wieder in frische Wallung gebracht hätte. Wo man den Blick hinwendet, klaffen in dem alten Bau Risse und Spalten; man sieht die Arbeiter geschäftig, bald sie zu verstreichen, bald sie zu erweitern; von Vorbereitungen aber zu einem ernstlichen Um- oder Neubau gewahrt man nirgend eine Spur, und es fragt sich nicht mehr, ob, sondern nur noch, wann das Gebäude einstürzen wird. In keiner Epoche ist die römische Verfassung formell so stabil geblieben wie in der vom Sizilischen Kriege bis auf den Dritten Makedonischen und noch ein Menschenalter darüber hinaus; aber die Stabilität der Verfassung war hier wie überall nicht ein Zeichen der Gesundheit des Staats, sondern der beginnenden Erkrankung und der Vorbote der Revolution.

  1. All diese Abzeichen kommen, seit sie überhaupt aufkommen, zunächst wahrscheinlich nur der eigentlichen Nobilität, d. h. den agnatischen Deszendenten kurulischer Beamten zu, obwohl sie nach der Art solcher Dekorationen im Laufe der Zeit alle auf einen weiteren Kreis ausgedehnt worden sind. Bestimmt nachzuweisen ist dies für den goldenen Fingerring, den im fünften Jahrhundert nur die Nobilität (Plin. nat. 33, 1, 18), im sechsten schon jeder Senator und Senatorensohn (Liv. 26, 36), im siebenten jeder von Ritterzensus, in der Kaiserzeit jeder Freigeborene trägt; ferner von dem silbernen Pferdeschmuck, der noch im Hannibalischen Kriege nur der Nobilität zukommt (Liv. 26, 37); von dem Purpurbesatz der Knabentoga, der anfangs nur den Söhnen der kurulischen Magistrate, dann auch denen der Ritter, späterhin denen aller Freigeborenen endlich, aber doch schon zur Zeit des Hannibalischen Krieges, selbst den Söhnen der Freigelassenen gestattet ward (Macr. Sat. 1, 6). Die goldene Amulettkapsel (bulla) war Abzeichen der Senatorenkinder in der Zeit des Hannibalischen Krieges (Macr. Sat. a.a.O.; Liv. 26, 36), in der ciceronischen der Kinder von Ritterzensus (Cic. Verr. 1, 58, 152), wogegen die Geringeren das Lederamulett (lorum) tragen.
  2. Der Purpurstreif (clavus) an der Tunika ist Abzeichen der Senatoren und der Ritter, so daß wenigstens in späterer Zeit ihn jene breit, diese schmal trugen; mit der Nobilität hat der Clavus nichts zu schaffen.
  3. Die gangbare Annahme, wonach die sechs Adelszenturien allein 1200 die gesamte Reiterei also 3600 Pferde gezählt haben soll, ist nicht haltbar. Die Zahl der Ritter nach der Anzahl der von den Annalisten aufgeführten Verdoppelungen zu bestimmen, ist ein methodischer Fehler; jede dieser Erzählungen ist vielmehr für sich entstanden und zu erklären. Bezeugt aber ist weder die erste Zahl, die nur in der selbst von den Verfechtern dieser Meinung als verschrieben anerkannten Stelle Ciceros (rep. 2, 20), noch die zweite, die überhaupt nirgend bei den Alten erscheint. Dagegen spricht für die im Text vorgetragene Annahme einmal und vor allem die nicht durch Zeugnisse, sondern durch die Institutionen selbst angezeigte Zahl; denn es ist gewiß, daß die Zenturie 100 Mann zählt und es ursprünglich drei, dann sechs, endlich seit der Servianischen Reform achtzehn Ritterzenturien gab. Die Zeugnisse gehen nur scheinbar davon ab. Die alte, in sich zusammenhängende Tradition, die W. A. Becker (Handbuch, Bd. 2,1, S. 243) entwickelt hat, setzt nicht die achtzehn patrizisch-plebejischen, sondern die sechs patrizischen Zenturien auf 1800 Köpfe an: und dieser sind Livius (1, 36, nach der handschriftlich allein beglaubigten und durchaus nicht nach Livius‘ Einzelansätzen zu korrigierenden Lesung) und Cicero a.a.O. (nach der grammatisch allein zulässigen Lesung MDCCC, s. Becker, a.a.O., S. 244) offenbar gefolgt. Allein eben. Cicero deutet zugleich sehr verständlich an, daß hiermit der damalige Bestand der römischen Ritterschaft überhaupt bezeichnet werden soll. Es ist also die Zahl der Gesamtheit auf den hervorragendsten Teil übertragen worden durch eine Prolepsis, wie sie den alten nicht allzu nachdenklichen Annalisten geläufig ist – ganz in gleicher Art werden ja auch schon der Stammgemeinde, mit Antizipation des Kontingents der Titier und der Lucerer, 300 Reiter statt 100 beigelegt (Becker, a.a.O., S. 238). Endlich ist der Antrag Catos (p. 66 Jordan), die Zahl der Ritterpferde auf 2200 zu erhöhen, eine ebenso bestimmte Bestätigung der oben vorgetragenen wie Widerlegung der entgegengesetzten Ansicht. Die geschlossene Zahl der Ritterschaft hat wahrscheinlich fortbestanden bis auf Sulla, wo mit dem faktischen Wegfall der Zensur die Grundlage derselben wegfiel und allem Anschein nach an die Stelle der zensorischen Erteilung des Ritterpferdes die Erwerbung desselben durch Erbrecht trat: fortan ist der Senatorensohn geborener Ritter. Indes neben dieser geschlossenen Ritterschaft, den equites equo publico, stehen seit frührepublikanischer Zeit die zum Roßdienst auf eigenem Pferd pflichtigen Bürger, welche nichts sind als die höchste Zensusklasse; sie stimmen nicht in den Ritterzenturien, aber gelten sonst als Ritter und nehmen die Ehrenrechte der Ritterschaft ebenfalls in Anspruch.
  4. In der Augustischen Ordnung bleibt den senatorischen Häusern das erbliche Ritterrecht; daneben aber wird die zensorische Verleihung des Ritterpferdes als Kaiserrecht und ohne Beschränkung auf eine bestimmte Zahl erneuert und fällt damit für die erste Zensusklasse als solche die Ritterbenennung weg.
  5. Die Stabilität des römischen Adels kann man namentlich für die patrizischen Geschlechter in den konsularischen und ädilizischen Fasten deutlich verfolgen. Bekanntlich haben in den Jahren 388-581 (366-173) (mit Ausnahme der Jahre 399, 400, 401, 403, 405, 409, 411, in denen beide Konsuln Patrizier waren) je ein Patrizier und ein Plebejer das Konsulat bekleidet. Ferner sind die Kollegien der kurulischen Ädilen in den varronisch ungeraden Jahren wenigstens bis zum Ausgang des sechsten Jahrhunderts ausschließlich aus den Patriziern gewählt worden und sind für die sechzehn Jahre 541, 545, 547, 549, 551, 553, 555, 557, 561, 565, 567, 575, 585, 589, 591, 593 bekannt. Diese patrizischen Konsuln und Ädilen verteilen sich folgendermaßen nach den Geschlechtern:
  6. Also die fünfzehn bis sechzehn hohen Adelsgeschlechter, die zur Zeit der Licinischen Gesetze in der Gemeinde mächtig waren, haben ohne wesentliche Änderung des Bestandes, freilich zum Teil wohl durch Adoption aufrecht erhalten, die nächsten zwei Jahrhunderte, ja bis zum Ende der Republik sich behauptet. Zu dem Kreise der plebejischen Nobilität treten zwar von Zeit zu Zeit neue Geschlechter hinzu; indes auch die alten plebejischen Häuser, wie die Licinier, Fulvier, Atilier, Domitier, Marcier, Junier, herrschen in den Fasten in der entschiedensten Weise durch drei Jahrhunderte vor.
  7. Die Kosten von diesen sind indes wohl großenteils auf die Anlieger geworfen worden. Das alte System, Fronen anzusagen, war nicht abgeschafft; es muß nicht selten vorgekommen sein, daß man den Gutsbesitzern die Sklaven wegnahm, um sie beim Straßenbau zu verwenden (Cato agr. 2).
  8. So wurde bekanntlich dem Rudiner Ennius bei Gelegenheit der Gründung der Bürgerkolonien Potentia und Pisaurum von einem der Triumvirn, Q. Fulvius Nobilior, das Bürgerrecht geschenkt (Cic. Brut. 20, 79); worauf er denn auch nach bekannter Sitte dessen Vornamen annahm. Von Rechts wegen erwarben, wenigstens in dieser Epoche, die in die Bürgerkolonie mit deduzierten Nichtbürger dadurch die römische Civität keineswegs, wenn sie auch häufig dieselbe sich anmaßten (Liv. 34, 42); es wurde aber den mit der Gründung einer Kolonie beauftragten Beamten durch eine Klausel in dem jedesmaligen Volksschluß die Verleihung des Bürgerrechts an eine beschränkte Anzahl von Personen gestattet (Cic. Balb. 21, 48).
  9. In der bekanntlich zunächst auf ein Landgut in der Gegend von Venafrum sich beziehenden landwirtschaftlichen Anweisung Catos wird die rechtliche Erörterung der etwa entstehenden Prozesse nur für einen bestimmten Fall nach Rom gewiesen: wenn nämlich der Gutsherr die Winterweide an den Besitzer einer Schafherde verpachtet, also mit einem in der Regel nicht in der Gegend domizilierten Pächter zu tun hat (agr. 149). Es läßt sich daraus schließen. daß in dem gewöhnlichen Fall, wo mit einem in der Gegend domizilierten Manne kontrahiert ward, die etwa entspringenden Prozesse schon zu Catos Zeit nicht in Rom, sondern vor den Ortsrichtern entschieden wurden.
  10. Die Anlage des Circus ist bezeugt. Über die Entstehung der plebejischen Spiele gibt es keine alte Überlieferung, denn was der falsche Asconius (p. 143 Orelli) sagt, ist keine; aber da sie in dem Flaminischen Circus gefeiert wurden (Val. Max. 1, 7, 4) und zuerst sicher im Jahre 538 (216), vier Jahre nach dessen Erbauung, vorkommen (Liv. 23, 30), so wird das oben Gesagte dadurch hinreichend bewiesen.
  11. 2, 276. Das erste sichere Beispiel eines solchen Beinamens ist das des Manius Valerius Maximus, Konsul 491 (263), der als Sieger von Messana den Namen Messala annahm; daß der Konsul von 419 (335) in ähnlicher Weise Calenus genannt worden sei, ist falsch. Die Beinamen Maximus im Valerischen und Fabischen Geschlecht sind nicht durchaus gleichartig.
  12. Über die ursprünglichen römischen Zensussätze ist es schwierig, etwas Bestimmtes aufzustellen. Späterhin galten bekanntlich als Minimalzensus der ersten Klasse 100000 As, wozu die Zensus der vier übrigen Klassen in dem (wenigstens ungefähren) Verhältnis von ¾, ½, ¼, 1/9 stehen. Diese Sätze aber versteht bereits Polybios und verstehen alle späteren Schriftsteller von dem leichten As (zu 1/10 Denar), und es scheint hieran festgehalten werden zu müssen, wenn auch in Beziehung auf das Voconische Gesetz dieselben Summen als schwere Asse (zu ¼ Denar) in Ansatz gebracht werden (Geschichte des Römischen Münzwesens, S. 302). Appius Claudius aber, der zuerst im Jahre 442 (312) die Zensussätze in Geld statt in Grundbesitz ausdrückte, kann sich dabei nicht des leichten As bedient haben, der erst 485 (269) aufkam. Entweder also hat er dieselben Beträge in schweren Assen ausgedrückt und sind diese bei der Münzreduktion in leichte umgesetzt worden, oder er stellte die späteren Ziffern auf, und es blieben dieselben trotz der Münzreduktion, welche in diesem Falle eine Herabsetzung der Klassensätze um mehr als die Hälfte enthalten haben würde. Gegen beide Annahmen lassen sich gültige Bedenken erheben; doch scheint die erstere glaublicher, da ein so exorbitanter Fortschritt in der demokratischen Entwicklung weder für das Ende des fünften Jahrhunderts noch als beiläufige Konsequenz einer bloß administrativen Maßregel wahrscheinlich ist, auch wohl schwerlich ganz aus der Überlieferung verschwunden sein würde. 100000 leichte As oder 40000 Sesterzen können übrigens füglich als Äquivalent der ursprünglichen römischen Vollhufe von vielleicht 20 Morgen angesehen werden; so daß danach die Schatzungssätze überhaupt nur im Ausdruck, nicht aber im Wert gewechselt haben würden.

12. Kapitel


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Boden- und Geldwirtschaft

Wie mit dem sechsten Jahrhundert der Stadt zuerst eine einigermaßen pragmatisch zusammenhängende Geschichte derselben möglich wird, so treten auch in dieser Zeit zuerst die ökonomischen Zustände mit größerer Bestimmtheit und Anschaulichkeit hervor. Zugleich stellt die Großwirtschaft im Ackerbau wie im Geldwesen in ihrer späteren Weise und Ausdehnung jetzt zuerst sich fest, ohne daß sich genau scheiden ließe, was darin auf älteres Herkommen, was auf Nachahmung der Boden- und Geldwirtschaft der früher zivilisierten Nationen, namentlich der Phöniker, was auf die steigende Kapitalmasse und die steigende Intelligenz der Nation zurückgeht. Zur richtigen Einsicht in die innere Geschichte Roms wird es beitragen, diese wirtschaftlichen Verhältnisse hier zusammenfassend zu schildern.

Die Bodenwirtschaft57

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Vererbpachtung ist der italischen Privat- wie der römischen Gemeindewirtschaft fremd; nur bei den abhängigen Gemeinden kam sie vor. Verpachtung auf kürzere Zeit, sowohl gegen eine feste Geldsumme als auch in der Art, daß der Pächter alle Betriebskosten trug und dafür einen Anteil, in der Regel wohl die Hälfte der Früchte, empfing60, war nicht unbekannt, aber Ausnahme und Notbehelf; ein eigener Pächterstand hat sich deshalb in Italien nicht gebildet61. Regelmäßig leitete also der Eigentümer selber den Betrieb seiner Güter; indes wirtschaftete er nicht eigentlich selbst, sondern erschien nur von Zeit zu Zeit auf dem Gute, um den Wirtschaftsplan festzustellen, die Ausführung zu beaufsichtigen und seinen Leuten die Rechnung abzunehmen, wodurch es ihm möglich ward, teils eine Anzahl Güter gleichzeitig zu nutzen, teils sich nach Umständen den Staatsgeschäften zu widmen.

Von Getreide wurden namentlich Spelt und Weizen, auch Gerste und Hirse gebaut; daneben Rüben, Rettiche, Knoblauch, Mohn und, besonders zum Viehfutter, Lupinen, Bohnen, Erbsen, Wicken und andere Futterkräuter. In der Regel ward im Herbst, nur ausnahmsweise im Frühjahr gesät. Für die Bewässerung und Entwässerung war man sehr tätig und zum Beispiel die Drainage durch geblendete Gräben früh im Gebrauch. Auch Wiesen zur Heugewinnung fehlten nicht und schon zu Catos Zeit wurden sie häufig künstlich berieselt. Von gleicher, wo nicht von größerer wirtschaftlicher Bedeutung als Korn und Kraut waren der Ölbaum und der Rebstock, von denen jener zwischen die Saaten, dieser für sich auf eigenen Weinbergen gepflanzt ward62. Auch Feigen-, Apfel-, Birn- und andere Fruchtbäume wurden gezogen und ebenso, teils zum Holzschlag, teils wegen des zur Streu und zum Viehfutter nützlichen Laubes, Ulmen, Pappeln und andere Laubbäume und Büsche. Dagegen hat bei den Italikern, bei denen durchgängig Vegetabilien, Fleischspeisen nur ausnahmsweise und dann fast nur Schweine- und Lammfleisch auf den Tisch kamen, die Viehzucht eine weit geringere Rolle gespielt als in der heutigen Ökonomie. Obwohl man den ökonomischen Zusammenhang des Ackerbaus und der Viehzucht und namentlich die Wichtigkeit der Düngerproduktion nicht verkannte, so war doch die heutige Verbindung von Acker- und Viehwirtschaft dem Altertum fremd. An Großvieh ward nur gehalten, was zur Bestellung des Ackers erforderlich war, und dasselbe nicht auf eigenem Weideland, sondern im Sommer durchaus und meistens auch im Winter im Stall gefüttert. Dagegen wurden auf die Stoppelweide Schafe aufgetrieben, von denen Cato 100 Stück auf 240 Morgen rechnet; häufig indes zog der Eigentümer es vor, die Winterweide an einen großen Herdenbesitzer in Pacht zu geben oder auch seine Schafherde einem Teilpächter gegen Ablieferung einer bestimmten Anzahl von Lämmern und eines gewissen Maßes von Käse und Milch zu überlassen. Schweine – Cato rechnet auf das größere Landgut zehn Ställe –, Hühner, Tauben wurden auf dem Hofe gehalten und nach Bedürfnis gemästet, auch, wo Gelegenheit dazu war, eine kleine Hasenschonung und ein Fischkasten eingerichtet – die bescheidenen Anfänge der später so unermeßlich sich ausdehnenden Wild- und Fischhegung und Züchtung.

Die Feldarbeit ward beschafft mit Ochsen, die zum Pflügen, und Eseln, die besonders zum Düngerschleppen und zum Treiben der Mühle verwandt wurden; auch ward wohl noch, wie es scheint für den Herrn, ein Pferd gehalten. Man zog diese Tiere nicht auf dem Gut, sondern kaufte sie; durchgängig waren wenigstens Ochsen und Pferde verschnitten. Auf das Gut von 100 Morgen rechnet Cato ein, auf das von 240 drei Joch Ochsen, ein jüngerer Landwirt Saserna auf 200 Morgen zwei Joch; Esel wurden nach Catos Anschlag für das kleinere Grundstück drei, für das größere vier erfordert.

Die Menschenarbeit ward regelmäßig durch Sklaven beschafft. An der Spitze der Gutssklavenschaft (familia rustica) stand der Wirtschafter (vilicus, von villa), der einnimmt und ausgibt, kauft und verkauft, die Instruktionen des Herrn entgegennimmt und in dessen Abwesenheit anordnet und straft. Unter ihm stehen die Wirtschafterin (vilica), die Haus, Küche und Speisekammer, Hühnerhof und Taubenschlag besorgt; eine Anzahl Pflüger (bubulci) und gemeiner Knechte, ein Eseltreiber, ein Schweine- und, wo es eine Schafherde gab, ein Schafhirt. Die Zahl schwankte natürlich je nach der Bewirtschaftungsweise. Auf ein Ackergut von 200 Morgen ohne Baumpflanzungen werden zwei Pflüger und sechs Knechte, auf ein gleiches mit Baumpflanzungen zwei Pflüger und neun Knechte, auf ein Gut von 240 Morgen mit Olivenpflanzungen und Schafherde drei Pflüger, fünf Knechte und drei Hirten gerechnet. Für den Weinberg brauchte man natürlich mehr Arbeitskräfte: auf ein Gut von 100 Morgen mit Rebpflanzungen kommen ein Pflüger, elf Knechte und zwei Hirten. Der Wirtschafter stand natürlich freier als die übrigen Knechte; die Magonischen Bücher rieten, ihm Ehe, Kinderzeugung und eigene Kasse zu gestatten, und Cato, ihn mit der Wirtschafterin zu verheiraten; er allein wird auch Aussicht gehabt haben, im Fall des Wohlverhaltens von dem Herrn die Freiheit zu erlangen. Im übrigen bildeten alle einen gemeinschaftlichen Hausstand. Die Knechte wurden eben wie das Großvieh nicht auf dem Gut gezogen, sondern in arbeitsfähigem Alter auf dem Sklavenmarkt gekauft, auch wohl, wenn sie durch Alter oder Krankheit arbeitsunfähig geworden waren, mit anderem Ausschuß wieder auf den Markt geschickt63. Das Wirtschaftsgebäude (villa rustica) war zugleich Stallung für das Vieh, Speicher für die Früchte und Wohnung des Wirtschafters wie der Knechte; wogegen für den Herrn häufig auf dem Gut ein abgesondertes Landhaus (villa urbana) eingerichtet war. Ein jeder Sklave, auch der Wirtschafter selbst, erhielt seine Bedürfnisse auf Rechnung des Herrn in gewissen Fristen nach festen Sätzen geliefert, womit er dann auszukommen hatte; so Kleider und Schuhzeug, die auf dem Markte gekauft wurden und von denen die Empfänger nur die Instandhaltung selber beschafften; so monatlich eine Quantität Weizen, die jeder selbst zu mahlen hatte, ferner Salz, Zukost – Oliven oder Salzfisch –, Wein und Öl. Die Quantität richtete sich nach der Arbeit, weshalb zum Beispiel der Wirtschafter, der leichtere Arbeit hat als die Knechte, knapperes Maß als diese empfing. Alles Backen und Kochen besorgte die Wirtschafterin und alle aßen gemeinschaftlich dieselbe Kost. Es war nicht Regel, die Sklaven zu fesseln; wer aber Strafe verwirkt hatte oder einen Entweichungsversuch befürchten ließ, ward angeschlossen auf die Arbeit geschickt und des Nachts in den Sklavenkerker gesperrt64. Regelmäßig reichten diese Gutssklaven hin; im Notfall halfen, wie sich von selbst versteht, die Nachbarn mit ihren Sklaven gegen Tagelohn einer dem andern aus. Fremde Arbeiter wurden sonst für gewöhnlich nicht verwandt, außer in besonders ungesunden Gegenden, wo man es vorteilhaft fand, den Sklavenstand zu beschränken und dafür gemietete Leute zu verwenden, und zur Einbringung der Ernte, für welche die stehenden Arbeitskräfte nirgend genügten. Bei der Korn- und Heuernte nahm man gedungene Schnitter hinzu, die oft an Lohnes Statt von ihrem Eingebrachten die sechste bis neunte Garbe oder, wenn sie auch droschen, das fünfte Korn empfingen – so zum Beispiel gingen jährlich umbrische Arbeiter in großer Zahl in das Tal von Rieti, um hier die Ernte einbringen zu helfen. Die Trauben- und Olivenernte ward in der Regel einem Unternehmer in Akkord gegeben, welcher durch seine Mannschaften, gedungene Freie oder auch fremde oder eigene Sklaven, unter Aufsicht einiger vom Gutsbesitzer dazu angestellter Leute das Lesen und Pressen besorgte und den Ertrag an den Herrn ablieferte65; sehr häufig verkaufte auch der Gutsbesitzer die Ernte auf dem Stock oder Zweig und ließ den Käufer die Einbringung besorgen.

Die ganze Wirtschaft ist durchdrungen von der unbedingten Rücksichtslosigkeit der Kapitalmacht. Knecht und Vieh stehen auf einer Linie; ein guter Kettenhund, heißt es bei einem römischen Landwirt, muß nicht zu freundlich gegen seine „Mitsklaven“ sein. Man nährt gehörig den Knecht wie den Stier, solange sie arbeiten können, weil es nicht wirtschaftlich wäre, sie hungern zu lassen; und man verkauft sie wie die abgängige Pflugschar, wenn sie arbeitsunfähig geworden sind, weil es ebenfalls nicht wirtschaftlich wäre, sie länger zu behalten. In älterer Zeit hatten religiöse Rücksichten auch hier mildernd eingegriffen und den Knecht wie den Pflugstier an den gebotenen Fest- und Rasttagen66 von der Arbeit entbunden; nichts ist bezeichnender für den Geist Catos und seiner Gesinnungsgenossen als die Art, wie sie die Heiligung des Feiertags dem Buchstaben nach einschärften und der Sache nach umgingen, nämlich anrieten, den Pflug an jenen Tagen allerdings ruhen zu lassen, aber mit anderen nicht ausdrücklich verpönten Arbeiten auch an diesen Tagen die Sklavenschaft rastlos zu beschäftigen. Grundsätzlich ward ihr keinerlei freie Regung gestattet – der Sklave, lautet einer von Catos Wahrsprüchen, muß entweder arbeiten oder schlafen –, und durch menschliche Beziehungen die Knechte an das Gut oder an den Herrn zu knüpfen, ward nicht einmal versucht. Der Rechtsbuchstabe waltete in unverhüllter Scheußlichkeit, und man machte sich keine Illusionen über die Folgen. „Soviel Sklaven, soviel Feinde“, sagt ein römisches Sprichwort. Es war ein ökonomischer Grundsatz, Spaltungen innerhalb der Sklavenschaft eher zu hegen als zu unterdrücken; in demselben Sinne warnten schon Platon und Aristoteles und nicht minder das Orakel der Ackerwirte, der Karthager Mago, davor, Sklaven gleicher Nationalität zusammenzubringen, um nicht landsmannschaftliche Verbindungen und vielleicht Komplotte herbeizuführen. Es ward, wie schon gesagt, die Sklavenschaft von den Gutsherren ganz ebenso regiert, wie die römische Gemeinde die Untertanenschaften regierte in den „Landgütern des römischen Volkes“, den Provinzen; und die Welt hat es empfunden, daß der herrschende Staat sein neues Regierungs- nach dem Sklavenhaltersystem entwickelte. Wenn man übrigens sich zu jener wenig beneidenswerten Höhe des Denkens emporgeschwungen hat, wo in der Wirtschaft durchaus nichts gilt als das darin steckende Kapital, so kann man der römischen Gutswirtschaft das Lob der Folgerichtigkeit, Tätigkeit, Pünktlichkeit, Sparsamkeit und Solidität nicht versagen. Der kernige, praktische Landmann spiegelt sich in der Catonischen Schilderung des Wirtschafters, wie er sein soll, der zuerst im Hofe auf und zuletzt im Bette ist, der streng gegen sich ist wie gegen seine Leute und vor allem die Wirtschafterin in Respekt zu halten weiß, aber auch die Arbeiter und das Vieh, insbesondere den Pflugstier wohl versorgt, der oft und bei jeder Arbeit mit anfaßt, aber sich nie wie ein Knecht müde arbeitet, der stets zu Hause ist, nicht borgt noch verborgt, keine Gastereien gibt, um keinen anderen Gottesdienst als um den der eignen Haus- und Feldgötter sich kümmert und als rechter Sklave allen Verkehr mit den Göttern wie mit den Menschen dem Herrn anheimstellt, der endlich vor allen Dingen demselben bescheiden begegnet und den von ihm empfangenen Instruktionen, ohne zu wenig und ohne zu viel zu denken, getreulich und einfach nachlebt. Der ist ein schlechter Landmann, heißt es anderswo, der das kauft, was er auf seinem Gute erzeugen kann; ein schlechter Hausvater, welcher bei Tage vornimmt, was bei Licht sich beschaffen läßt, es sei denn, daß das Wetter schlecht ist; ein noch schlechterer, welcher am Werkeltag tut, was am Feiertag getan werden kann; der schlechteste von allen aber der, welcher bei gutem Wetter zu Hause statt im Freien arbeiten läßt. Auch die charakteristische Düngerbegeisterung mangelt nicht; und wohl sind es goldene Regeln, daß für den Landmann der Boden nicht da ist zum Scheuern und Fegen, sondern zum Säen und Ernten, daß man also zuvor Reben und Ölbäume pflanzen und erst nachher und nicht in allzu früher Jugend ein Landhaus sich einrichten soll. Eine gewisse Bauernhaftigkeit ist der Wirtschaft freilich eigen und anstatt der rationellen Ermittlung der Ursachen und Wirkungen treten durchgängig die bekannten bäurischen Erfahrungssätze auf; doch ist man sichtbar bestrebt, sich fremde Erfahrungen und ausländische Produkte anzueignen, wie denn schon in Catos Verzeichnis der Fruchtbaumsorten griechische, afrikanische und spanische erscheinen.

Die Bauernwirtschaft war von der des Gutsbesitzers hauptsächlich nur verschieden durch den kleineren Maßstab. Der Eigentümer selbst und seine Kinder arbeiteten hier mit den Sklaven oder auch an deren Statt. Der Viehstand zog sich zusammen, und wo das Gut nicht länger die Kosten des Pfluges und seiner Bespannung deckte, trat dafür die Hacke ein. Öl- und Weinbau traten zurück oder fielen ganz weg. In der Nähe Roms oder eines anderen größeren Absatzplatzes bestanden auch sorgfältig berieselte Blumen- und Gemüsegärten, ähnlich etwa wie man sie jetzt um Neapel sieht, und gaben sehr reichlichen Ertrag.

Die Weidewirtschaft ward bei weitem mehr ins Große getrieben als der Feldbau. Das Weidelandgut (saltus) mußte auf jeden Fall beträchtlich mehr Flächenraum haben als das Ackergut – man rechnete mindestens 800 Morgen – und konnte mit Vorteil für das Geschäft fast ins Unendliche ausgedehnt werden. Nach den klimatischen Verhältnissen Italiens ergänzen sich daselbst gegenseitig die Sommerweide in den Bergen und die Winterweide in den Ebenen; schon in jener Zeit wurden, eben wie jetzt noch und großenteils wohl auf denselben Pfaden, die Herden im Frühjahr von Apulien nach Samnium und im Herbst wieder zurück von da nach Apulien getrieben. Die Winterweide indes fand, wie schon bemerkt ist, nicht durchaus auf besonderem Weideland statt, sondern war zum Teil Stoppelweide. Man zog Pferde, Rinder, Esel Maulesel, hauptsächlich um den Gutsbesitzern, Frachtführern, Soldaten und so weiter die benötigten Tiere zu liefern; auch Schweine- und Ziegenherden fehlten nicht. Weit selbständiger aber und weit höher entwickelt war infolge des fast durchgängigen Tragens von Wollstoffen die Schafzucht. Der Betrieb ward durch Sklaven beschafft und war im ganzen dem Gutsbetrieb ähnlich, so daß der Viehmeister (magister pecoris) an die Stelle des Wirtschafters trat. Den Sommer über kamen die Hirtensklaven meistenteils nicht unter Dach, sondern hausten, oft meilenweit von menschlichen Wohnungen entfernt, unter Schuppen und Hürden; es lag also in den Verhältnissen, daß man die kräftigsten Männer dazu auslas, ihnen Pferde und Waffen gab und ihnen eine bei weitem freiere Bewegung gestattete, als dies bei der Gutsmannschaft geschah.

Um die ökonomischen Resultate dieser Bodenwirtschaft einigermaßen zu würdigen, sind die Preisverhältnisse und namentlich die Kornpreise dieser Zeit zu erwägen. Durchschnittlich sind dieselben zum Erschrecken gering, und zum guten Teil durch Schuld der römischen Regierung, welche in dieser wichtigen Frage, nicht so sehr durch ihre Kurzsichtigkeit, als durch eine unverzeihliche Begünstigung des hauptstädtischen Proletariats auf Kosten der italischen Bauernschaft, zu den furchtbarsten Fehlgriffen geführt worden ist. Es handelt sich hier vor allem um den Konflikt des überseeischen und des italischen Korns. Das Getreide, das von den Provinzialen teils unentgeltlich, teils gegen eine mäßige Vergütigung der römischen Regierung geliefert ward, wurde von dieser teils an Ort und Stelle zur Verpflegung des römischen Beamtenpersonals und der römischen Heere verwandt, teils an die Zehntpächter in der Art abgetreten, daß diese dafür entweder Geldzahlung leisteten oder auch es übernahmen, gewisse Quantitäten Getreide nach Rom oder wohin es sonst erforderlich war zu liefern. Seit dem Zweiten Makedonischen Kriege wurden die römischen Heere durchgängig mit überseeischem Korne unterhalten, und wenn dies auch der römischen Staatskasse zum Vorteil gereichte, so verschloß sich doch damit eine wichtige Absatzquelle für den italischen Landmann. Indes dies war das geringste. Der Regierung, welche längst wie billig auf die Kornpreise ein wachsames Auge gehabt hatte und bei drohenden Teuerungen durch rechtzeitigen Einkauf im Ausland eingeschritten war, lag es nahe, seit die Kornlieferungen der Untertanen ihr alljährlich große Getreidemassen und wahrscheinlich größere, als man in Friedenszeiten brauchte, in die Hände führten, und seit ihr überdies die Gelegenheit geboten war, ausländisches Getreide in fast unbegrenzter Quantität zu mäßigen Preisen zu erwerben, mit solchem Getreide die hauptstädtischen Märkte zu überführen und dasselbe zu Sätzen abzugeben, die entweder an sich oder doch verglichen mit den italischen Schleuderpreise waren. Schon in den Jahren 551-554 (203-200) und, wie es scheint, zunächst auf Veranstaltung Scipios, wurde in Rom der preußische Scheffel (sechs Modii) spanischen und afrikanischen Weizens von Gemeinde wegen an die Bürger zu 24, ja zu 12 Assen (17-8½ Groschen) abgegeben; einige Jahre nachher (558 196) kamen über 160000 Scheffel sizilischen Getreides zu dem letzteren Spottpreis in der Hauptstadt zur Verteilung. Umsonst eiferte Cato gegen diese kurzsichtige Politik; die beginnende Demagogie mischte sich hinein, und diese außerordentlichen, aber vermutlich sehr häufigen Austeilungen von Korn unter dem Marktpreis durch die Regierung oder einzelne Beamte, sind der Keim der späteren Getreidegesetze geworden. Aber auch wenn das überseeische Korn nicht auf diesem außerordentlichen Wege an die Konsumenten gelangte, drückte es auf den italischen Ackerbau. Nicht bloß wurden die Getreidemassen, die der Staat an die Zehntpächter losschlug, ohne Zweifel in der Regel von diesen so billig erworben, daß sie beim Wiederverkauf unter dem Produktionspreis weggegeben werden konnten; sondern wahrscheinlich war auch in den. Provinzen, namentlich in Sizilien, teils infolge der günstigen Bodenverhältnisse, teils der ausgedehnten Groß- und Sklavenwirtschaft nach karthagischem System der Produktionspreis überhaupt beträchtlich niedriger als in Italien, der Transport aber des sizilischen und sardinischen Getreides nach Latium wenigstens ebenso billig, wenn nicht billiger wie der Transport dahin aus Etrurien, Kampanien oder gar Norditalien. Es mußte also schon im natürlichen Laufe der Dinge das überseeische Korn nach der Halbinsel strömen und das dort erzeugte im Preise herabdrücken. Unter diesen durch die leidige Sklavenwirtschaft unnatürlich verschobenen Verhältnissen wäre es vielleicht gerechtfertigt gewesen, zu Gunsten des italischen Getreides auf das überseeische einen Schutzzoll zu legen; aber es scheint vielmehr das Umgekehrte geschehen und zu Gunsten der Einfuhr des überseeischen Korns nach Italien in den Provinzen ein Prohibitivsystem in Anwendung gebracht zu sein – denn wenn die Ausfuhr einer Quantität Getreide aus Sizilien den Rhodiern als besondere Vergünstigung gestattet ward, so muß wohl der Regel nach die Kornausfuhr aus den Provinzen nur nach Italien hin frei gewesen und also das überseeische Korn für das Mutterland monopolisiert worden sein. Die Wirkungen dieser Wirtschaft liegen deutlich vor. Ein Jahr außerordentlicher Fruchtbarkeit wie 504 (250), wo man in der Hauptstadt für 6 römische Modii (= 1 preuß. Scheffel) Spelt nicht mehr als 3/5 Denar (4 Groschen) zahlte und zu demselben Preise 180 römische Pfund (zu 22 Lot preußisch) trockene Feigen, 60 Pfund Öl, 72 Pfund Fleisch und 6 Congii (= 17 preuß. Quart) Wein verkauft wurden, kommt freilich eben seiner Außerordentlichkeit wegen wenig in Betracht; aber bestimmter sprechen andere Tatsachen. Schon zu Catos Zeit heißt Sizilien die Kornkammer Roms. In fruchtbaren Jahren wurde in den italischen Häfen das sizilische und sardinische Korn um die Fracht losgeschlagen. In den reichsten Kornlandschaften der Halbinsel, in der heutigen Romagna und Lombardei zahlte man zu Polybios‘ Zeit für Kost und Nachtquartier im Wirtshaus durchschnittlich den Tag einen halben As (1/3 Groschen); der preußische Scheffel Weizen galt hier einen halben Denar (3½ Groschen). Der letztere Durchschnittspreis, etwa der zwölfte Teil des sonstigen Normalpreises67

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In einem großen Industriestaat, dessen Ackerbau die Bevölkerung nicht zu ernähren vermag, hätte ein solches Ergebnis als nützlich oder doch nicht unbedingt als nachteilig betrachtet werden mögen; ein Land wie Italien, wo die Industrie unbedeutend, die Landwirtschaft durchaus Hauptsache war, ward auf diesem Wege systematisch ruiniert und den Interessen der wesentlich unproduktiven hauptstädtischen Bevölkerung, der freilich das Brot nicht billig genug werden konnte, das Wohl des Ganzen auf die schmählichste Weise geopfert. Nirgend vielleicht liegt es so deutlich wie hier zutage, wie schlecht die Verfassung und wie unfähig die Verwaltung dieser sogenannten goldenen Zeit der Republik war. Das dürftigste Repräsentativsystem hätte wenigstens zu ernstlichen Beschwerden und zur Einsicht in den Sitz des Übels geführt; aber in jenen Urversammlungen der Bürgerschaft machte alles andere eher sich geltend als die warnende Stimme des vorahnenden Patrioten. Jede Regierung, die diesen Namen verdiente, würde von selber eingeschritten sein; aber die Masse des römischen Senats mag in gutem Köhlerglauben in den niedrigen Kornpreisen das wahre Glück des Volkes gesehen haben, und die Scipionen und Flaminine hatten ja wichtigere Dinge zu tun, die Griechen zu emanzipieren und die republikanische Königskontrolle zu besorgen – so trieb das Schiff ungehindert in die Brandung hinein.

Seit der kleine Grundbesitz keinen wesentlichen Reinertrag mehr lieferte, war die Bauernschaft rettungslos verloren, und um so mehr, als allmählich auch aus ihr, wenngleich langsamer als aus den übrigen Ständen, die sittliche Haltung und sparsame Wirtschaft der früheren republikanischen Zeit entwich. Es war nur noch eine Zeitfrage, wie rasch die italischen Bauernhufen durch Aufkaufen und Niederlegen in den größeren Grundbesitz aufgehen würden.

Eher als der Bauer war der Gutsbesitzer imstande, sich zu behaupten. Derselbe produzierte an sich schon billiger als jener, wenn er sein Land nicht nach dem älteren System an kleinere Zeitpächter abgab, sondern es nach dem neueren durch seine Knechte bewirtschaften ließ; wo dies also nicht schon früher geschehen war, zwang die Konkurrenz des sizilischen Sklavenkorns den italischen Gutsherrn, zu folgen und anstatt mit freien Arbeiterfamilien mit Sklaven ohne Weib und Kind zu wirtschaften. Es konnte der Gutsbesitzer ferner sich eher durch Steigerung oder auch durch Änderung der Kultur den Konkurrenten gegenüber halten und eher auch mit einer geringeren Bodenrente sich begnügen als der Bauer, dem Kapital wie Intelligenz mangelten und der nur eben hatte, was er brauchte, um zu leben. Hierauf beruht in der römischen Gutswirtschaft das Zurücktreten des Getreidebaus, der vielfach sich auf die Gewinnung der für das Arbeiterpersonal erforderlichen Quantität beschränkt zu haben scheint69, und die Steigerung der Öl- und Weinproduktion sowie der Viehzucht. Diese hatten bei den günstigen klimatischen Verhältnissen Italiens die ausländische Konkurrenz nicht zu fürchten: der italische Wein, das italische Öl, die italische Wolle beherrschten nicht bloß die eigenen Märkte, sondern gingen bald auch ins Ausland; das Potal, das sein Getreide nicht abzusetzen vermochte, versorgte halb Italien mit Schweinen und Schinken. Dazu stimmt recht wohl, was uns über die ökonomischen Resultate der römischen Bodenwirtschaft berichtet wird. Es ist einiger Grund zu der Annahme vorhanden, daß das in Grundstücken angelegte Kapital mit sechs Prozent sich gut zu verzinsen schien; was auch der damaligen, um das Doppelte höheren durchschnittlichen Kapitalrente angemessen erscheint. Die Viehzucht lieferte im ganzen bessere Ergebnisse als die Feldwirtschaft; in dieser rentierte am besten der Weinberg, demnächst der Gemüsegarten und die Olivenpflanzung, am wenigsten Wiese und Kornfeld70

Kaufpreis des Bodens 1000 Sesterzen
Kaufpreis der Arbeitssklaven auf den Morgen repartiert 1143 Sesterzen
Reben und Pfähle 2000 Sesterzen
Verlorene Zinsen während der ersten zwei Jahre 497 Sesterzen
Zusammen 4640 Sesterzen = 336 Taler.

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Von der römischen Geldwirtschaft in ähnlicher Weise eine zusammenfassende Darstellung zu geben, verbietet teils der Mangel von Fachschriften aus dem römischen Altertum über dieselbe, teils ihre Natur selbst, die bei weitem mannigfaltiger und vielseitiger ist als die Bodennutzung. Was sich ermitteln läßt, gehört seinen Grundzügen nach vielleicht weniger noch als die Bodenwirtschaft den Römern eigentümlich an, sondern ist vielmehr Gemeingut der gesamten antiken Zivilisation, deren Großwirtschaft begreiflicherweise eben wie die heutige überall zusammenfiel. Im Geldwesen namentlich scheint das kaufmännische Schema zunächst von den Griechen festgestellt und von den Römern nur aufgenommen worden zu sein. Dennoch sind die Schärfe der Durchführung und die Weite des Maßstabes eben hier so eigentümlich römisch, daß der Geist der römischen Ökonomie und ihre Großartigkeit im Guten wie im Schlimmen vor allem in der Geldwirtschaft sich offenbart.

Der Ausgangspunkt der römischen Geldwirtschaft war natürlich das Leihgeschäft, und kein Zweig der kommerziellen Industrie ist von den Römern eifriger gepflegt worden als das Geschäft des gewerbmäßigen Geldverleihers (fenerator) und des Geldhändlers oder des Bankiers (argentarius). Das Kennzeichen einer entwickelten Geldwirtschaft, der Übergang der größeren Kasseführung von den einzelnen Kapitalisten auf den vermittelnden Bankier, der für seine Kunden Zahlung empfängt und leistet, Gelder belegt und aufnimmt und im In- und Ausland ihre Geldgeschäfte vermittelt, ist schon in der catonischen Zeit vollständig entwickelt. Aber die Bankiers machten nicht bloß die Kassierer der Reichen in Rom, sondern drangen schon überall in die kleinen Geschäfte ein und ließen immer häufiger in den Provinzen und Klientelstaaten sich nieder. Den Geldsuchenden vorzuschießen fing schon im ganzen Umfange des Reiches an sozusagen Monopol der Römer zu werden.

Eng damit verwandt war das unermeßliche Gebiet der Entreprise. Das System der mittelbaren Geschäftsführung durchdrang den ganzen römischen Verkehr. Der Staat ging voran, indem er all seine komplizierteren Hebungen, alle Lieferungen, Leistungen und Bauten gegen eine feste zu empfangende oder zu zahlende Summe an Kapitalisten oder Kapitalistengesellschaften abgab. Aber auch Private gaben durchgängig in Akkord, was irgend in Akkord sich geben ließ: die Bauten und die Einbringung der Ernte und sogar die Regulierung der Erbschafts- und der Konkursmasse, wobei der Unternehmer – gewöhnlich ein Bankier – die sämtlichen Aktiva erhielt und dagegen sich verpflichtete, die Passiva vollständig oder bis zu einem gewissen Prozentsatz zu berichtigen und nach Umständen noch daraufzuzahlen.

Welche hervorragende Rolle in der römischen Volkswirtschaft der überseeische Handel bereits früh gespielt hatte, ist seinerzeit gezeigt worden; von dem weiteren Aufschwung, den derselbe in dieser Periode nahm, zeugt die steigende Bedeutung der italischen Hafenzölle in der römischen Finanzwirtschaft. Außer den keiner weiteren Auseinandersetzung bedürfenden Ursachen, durch die die Bedeutung des überseeischen Handels stieg, ward derselbe noch künstlich gesteigert durch die bevorrechtete Stellung, die die herrschende italische Nation in den Provinzen einnahm, und durch die wohl jetzt schon in vielen Klientelstaaten den Römern und Latinern vertragsmäßig zustehende Zollfreiheit.

Dagegen blieb die Industrie verhältnismäßig zurück. Die Gewerke waren freilich unentbehrlich, und es zeigen sich wohl auch Spuren, daß sie bis zu einem gewissen Grade in Rom sich konzentrierten, wie denn Cato dem kampanischen Landwirt anrät, seinen Bedarf an Sklavenkleidung und Schuhzeug, an Pflügen, Fässern und Schlössern in Rom zu kaufen. Auch kann bei dem starken Verbrauch von Wollstoffen die Ausdehnung und Einträglichkeit der Tuchfabrikation nicht bezweifelt werden75. Doch zeigen sich keine Versuche, die gewerbsmäßige Industrie, wie sie in Ägypten und Syrien bestand, nach Italien zu verpflanzen oder auch nur sie im Auslande mit italischem Kapital zu betreiben. Zwar wurde auch in Italien Flachs gebaut und Purpur bereitet, aber wenigstens die letztere Industrie gehörte wesentlich dem griechischen Tarent an, und überall überwog hier wohl schon jetzt die Einfuhr von ägyptischem Linnen und milesischem oder tyrischem Purpur die einheimische Fabrikation.

Dagegen gehört gewissermaßen hierher die Pachtung oder der Kauf außeritalischer Ländereien durch römische Kapitalisten, um daselbst den Kornbau und die Viehzucht im großen zu betreiben. Die Anfänge dieser späterhin in so enormen Verhältnissen sich entwickelnden Spekulation fallen, namentlich auf Sizilien, wahrscheinlich schon in diese Zeit; zumal da die den Sikelioten auferlegten Verkehrsbeschränkungen, wenn sie nicht dazu eingeführt waren, doch wenigstens dahin wirken mußten, den davon befreiten römischen Spekulanten eine Art von Monopol für den Grundbesitzerwerb in die Hände zu geben.

Der Geschäftsbetrieb in all diesen verschiedenen Zweigen erfolgte durchgängig durch Sklaven. Der Geldverleiher und der Bankier richteten, soweit ihr Geschäftskreis reichte, Nebenkontore und Zweigbanken unter Direktion ihrer Sklaven und Freigelassenen ein. Die Gesellschaft, die vom Staate Hafenzölle gepachtet hatte, stellte für das Hebegeschäft in jedem Bureau hauptsächlich ihre Sklaven und Freigelassenen an. Wer in Bauunternehmungen machte, kaufte sich Architektensklaven; wer sich damit abgab, die Schauspiele oder Fechterspiele für Rechnung der Beikommenden zu besorgen, erhandelte oder erzog sich eine spielkundige Sklaventruppe oder eine Bande zum Fechthandwerk abgerichteter Knechte. Der Kaufmann ließ sich seine Waren auf eigenen Schiffen unter der Führung von Sklaven oder Freigelassenen kommen und vertrieb sie wieder in derselben Weise im Groß- oder Kleinverkehr. Daß der Betrieb der Bergwerke und der Fabriken lediglich durch Sklaven erfolgte, braucht danach kaum gesagt zu werden. Die Lage dieser Sklaven war freilich auch nicht beneidenswert und durchgängig ungünstiger als die der griechischen; dennoch befanden, wenn von den letzten Klassen abgesehen wird, die Industriesklaven sich im ganzen erträglicher als die Gutsknechte. Sie hatten häufiger Familie und faktisch selbständige Wirtschaft und die Möglichkeit, Freiheit und eigenes Vermögen zu erwerben, lag ihnen nicht fern. Daher waren diese Verhältnisse die rechte Pflanzschule der Emporkömmlinge aus dem Sklavenstand, welche durch Bediententugend und oft durch Bedientenlaster in die Reihen der römischen Bürger und nicht selten zu großem Wohlstand gelangten und sittlich, ökonomisch und politisch wenigstens ebensoviel wie die Sklaven selbst zum Ruin des römischen Gemeinwesens beigetragen haben.

Der römische Geschäftsverkehr dieser Epoche ist der gleichzeitigen politischen Machtentwicklung vollkommen ebenbürtig und in seiner Art nicht minder großartig. Wer ein anschauliches Bild von der Lebendigkeit des Verkehrs mit dem Ausland zu haben wünscht, braucht nur die Literatur, namentlich die Lustspiele dieser Zeit aufzuschlagen, in denen der phönikische Handelsmann phönikisch redend auf die Bühne gebracht wird und der Dialog von griechischen und halbgriechischen Worten und Phrasen wimmelt. Am bestimmtesten aber läßt sich die Ausdehnung und Intensität des römischen Geschäftsverkehrs in den Münz- und Geldverhältnissen verfolgen. Der römische Denar hielt völlig Schritt mit den römischen Legionen. Daß die sizilischen Münzstätten, zuletzt im Jahre 542 (212) die syrakusanische, infolge der römischen Eroberung geschlossen oder doch auf Kleinmünze beschränkt wurden und in Sizilien und Sardinien der Denar wenigstens neben dem älteren Silbercourant und wahrscheinlich sehr bald ausschließlich gesetzlichen Kurs erhielt, wurde schon gesagt. Ebenso rasch, wo nicht noch rascher, drang die römische Silbermünze in Spanien ein, wo die großen Silbergruben bestanden und eine ältere Landesmünze so gut wie nicht vorhanden war; sehr früh haben die spanischen Städte sogar angefangen, auf römischen Fuß zu münzen. Überhaupt bestand, da Karthago nur in beschränktem Umfang münzte, außer der römischen keine einzige bedeutende Münzstätte im westlichen Mittelmeergebiet mit Ausnahme derjenigen von Massalia und etwa noch der Münzstätten der illyrischen Griechen in Apollonia und Dyrrhachion. Diese wurden demnach, als die Römer anfingen sich im Pogebiet festzusetzen, um 525 (229) dem römischen Fuß in der Art unterworfen, daß ihnen zwar die Silberprägung blieb, sie aber durchgängig, namentlich die Massalioten, veranlaßt wurden, ihre Drachme auf das Gewicht des römischen Dreivierteldenars zu regulieren, den denn auch die römische Regierung ihrerseits unter dem Namen der Victoriamünze (victoriatus) zunächst für Oberitalien zu prägen begann. Dieses neue von dem römischen abhängige System beherrschte nicht bloß das massaliotische, oberitalische und illyrische Gebiet, sondern es gingen auch diese Münzen in die nördlichen Barbarenlandschaften, namentlich die massaliotischen in die Alpengegenden das ganze Rhonegebiet hinauf und die illyrischen bis hinein in das heutige Siebenbürgen. Auf die östliche Hälfte des Mittelmeergebiets erstreckte in dieser Epoche wie die unmittelbare römische Herrschaft so auch die römische Münze sich noch nicht; dafür aber trat hier der rechte und naturgemäße Vermittler des internationalen und überseeischen Handels, das Gold, ein. Zwar die römische Regierung hielt in ihrer streng konservativen Art, abgesehen von einer vorübergehenden, durch die Finanzbedrängnis während des Hannibalischen Krieges veranlaßten Goldprägung, unwandelbar daran fest, außer dem national-italischen Kupfer nichts als Silber zu schlagen; aber der Verkehr hatte bereits solche Verhältnisse angenommen, daß er auch ohne Münze mit dem Golde nach dem Gewicht auszukommen vermochte. Von dem Barbestande, der im Jahre 597 (157) in der römischen Staatskasse lag, war kaum ein Sechstel geprägtes oder ungeprägtes Silber, fünf Sechstel Gold in Barren76, und ohne Zweifel fanden sich in allen Kassen der größeren römischen Kapitalisten die edlen Metalle wesentlich in dem gleichen Verhältnisse. Bereits damals also nahm das Gold im Großverkehr die erste Stelle ein und überwog, wie hieraus weiter geschlossen werden darf, im allgemeinen Verkehr derjenige mit dem Ausland und namentlich mit dem seit Philipp und Alexander dem Großen zum Goldcourant übergegangenen Osten.

Der Gesamtgewinn aus diesem ungeheuren Geschäftsverkehr der römischen Kapitalisten floß über kurz oder lang in Rom zusammen; denn soviel dieselben auch ins Ausland gingen, siedelten sie doch sich dort nicht leicht dauernd an, sondern kehrten früher oder später zurück nach Rom, indem sie ihr gewonnenes Vermögen entweder realisierten und in Italien anlegten oder auch mit den erworbenen Kapitalien und Verbindungen den Geschäftsbetrieb von Rom aus fortsetzten. Die Geldübermacht Roms gegen die übrige zivilisierte Welt war denn auch vollkommen ebenso entschieden wie seine politische und militärische. Rom stand in dieser Beziehung den übrigen Ländern ähnlich gegenüber wie heutzutage England dem Kontinent – wie denn ein Grieche von dem jüngeren Scipio Africanus sagt, daß er „für einen Römer“ nicht reich gewesen sei. Was man in dem damaligen Rom unter Reichtum verstand, kann man ungefähr danach abnehmen, daß Lucius Paullus bei einem Vermögen von 100000 Talern (60 Talente) nicht für einen reichen Senator galt, und daß eine Mitgift, wie jede der Töchter des älteren Scipio Africanus sie erhielt, von 90000 Talern (50 Talente) als angemessene Aussteuer eines vornehmen Mädchens angesehen ward, während der reichste Grieche dieses Jahrhunderts nicht mehr als eine halbe Million Taler (300 Talente) im Vermögen hatte.

Es war denn auch kein Wunder, daß der kaufmännische Geist sich der Nation bemächtigte, oder vielmehr – denn er war nicht neu in Rom –, daß daselbst das Kapitalistentum jetzt alle übrigen Richtungen und Stellungen des Lebens durchdrang und verschlang und der Ackerbau wie das Staatsregiment anfingen, Kapitalistenentreprisen zu werden. Die Erhaltung und Mehrung des Vermögens war durchaus ein Teil der öffentlichen und der Privatmoral. „Einer Witwe Habe mag sich mindern“, schrieb Cato in dem für seinen Sohn aufgesetzten Lebenskatechismus, „der Mann muß sein Vermögen mehren, und derjenige ist ruhmwürdig und göttlichen Geistes voll, dessen Rechnungsbücher bei seinem Tode nachweisen, daß er mehr hinzuerworben als ererbt hat“. Wo darum Leistung und Gegenleistung sich gegenüberstehen, wird jedes auch ohne irgendwelche Förmlichkeit abgeschlossene Geschäft respektiert, und wenn nicht durch das Gesetz, doch durch kaufmännische Gewohnheit und Gerichtsgebrauch erforderlichenfalls dem verletzten Teil das Klagerecht zugestanden77; aber das formlose Schenkungsversprechen ist nichtig in der rechtlichen Theorie wie in der Praxis. In Rom, sagt Polybios, schenkt keiner keinem, wenn er nicht muß, und niemand zahlt einen Pfennig vor dem Verfalltag, auch unter nahen Angehörigen nicht. Sogar die Gesetzgebung ging ein auf diese kaufmännische Moral, die in allem Weggeben ohne Entgelt eine Verschleuderung findet; das Geben von Geschenken und Vermächtnissen, die Übernahme von Bürgschaften wurden in dieser Zeit durch Bürgerschaftsschluß beschränkt, die Erbschaften, wenn sie nicht an die nächsten Verwandten fielen, wenigstens besteuert. Im engsten Zusammenhang damit durchdrang die kaufmännische Pünktlichkeit, Ehrlichkeit und Respektabilität das ganze römische Leben. Buch über seine Ausgabe und Einnahme zu führen, ist jeder ordentliche Mann sittlich verpflichtet – wie es denn auch in jedem wohleingerichteten Hause ein besonderes Rechnungszimmer (tablinum) gab –, und jeder trägt Sorge, daß er nicht ohne letzten Willen aus der Welt scheide; es gehörte zu den drei Dingen, die Cato in seinem Leben bereut zu haben bekennt, daß er einen Tag ohne Testament gewesen sei. Die gerichtliche Beweiskraft, ungefähr wie wir sie den kaufmännischen Büchern beizulegen pflegen, kam nach römischer Übung jenen Hausbüchern durchgängig zu. Das Wort des unbescholtenen Mannes galt nicht bloß gegen ihn, sondern auch zu seinen eigenen Gunsten: bei Differenzen unter rechtschaffenen Leuten war nichts gewöhnlicher als sie durch einen, von der einen Partei geforderten und von der anderen geleisteten Eid zu schlichten, womit sie sogar rechtlich als erledigt galten; und den Geschworenen schrieb eine traditionelle Regel vor, in Ermangelung von Beweisen zunächst für den unbescholtenen gegen den bescholtenen Mann und nur bei gleicher Reputierlichkeit beider Parteien für den Beklagten zu sprechen78. Die konventionelle Respektabilität tritt namentlich in der scharfen und immer schärferen Ausprägung des Satzes hervor, daß kein anständiger Mann sich für persönliche Dienstleistungen bezahlen lassen dürfe. Darum erhielten denn nicht bloß Beamte, Offiziere, Geschworene, Vormünder und überhaupt alle mit öffentlichen Verrichtungen beauftragten anständigen Männer keine andere Vergütung für ihre Dienstleistungen als höchstens den Ersatz ihrer Auslagen, sondern es wurden auch die Dienste, welche Bekannte (amici) sich untereinander leisten: Verbürgung, Vertretung im Prozeß, Aufbewahrung (depositum), Gebrauchsüberlassung der nicht zum Vermieten bestimmten Gegenstände (commodatum), überhaupt Geschäftsverwaltung und Besorgung (procuratio) nach demselben Grundsatz behandelt, so daß es unschicklich war, dafür eine Vergütung zu empfangen, und eine Klage selbst auf die versprochene nicht gestattet ward. Wie vollständig der Mensch im Kaufmann aufging, zeigt wohl am schärfsten die Ersetzung des Duells, auch des politischen, in dem römischen Leben dieser Zeit durch die Geldwette und den Prozeß. Die gewöhnliche Form, um persönliche Ehrenfragen zu erledigen, war die, daß zwischen dem Beleidiger und dem Beleidigten um die Wahrheit oder Falschheit der beleidigenden Behauptung gewettet und im Wege der Einklagung der Wettsumme die Tatfrage in aller Form rechtens vor die Geschworenen gebracht ward; die Annahme einer solchen, von dem Beleidigten oder dem Beleidiger angebotenen Wette war, ganz wie heutzutage die der Ausforderung zum Zweikampf rechtlich freigestellt, aber ehrenhafterweise oft nicht zu vermeiden.

Eine der wichtigsten Folgen dieses mit einer dem Nichtgeschäftsmann schwer faßlichen Intensität auftretenden Kaufmannstums war die ungemeine Steigerung des Assoziationswesens. In Rom erhielt dasselbe noch besondere Nahrung durch das schon oft erwähnte System der Regierung, ihre Geschäfte durch Mittelsmänner beschaffen zu lassen; denn bei dem Umfang dieser Verrichtungen war es natürlich und wohl auch der größeren Sicherheit wegen oft vom Staate vorgeschrieben, daß nicht einzelne Kapitalisten, sondern Kapitalistengesellschaften diese Pachtungen und Lieferungen übernahmen. Nach dem Muster dieser Unternehmungen organisierte sich der gesamte Großverkehr. Es finden sogar sich Spuren, daß für das Assoziationswesen so charakteristische Zusammentreten der konkurrierenden Gesellschaften zur gemeinschaftlichen Aufstellung von Monopolpreisen auch bei den Römern vorgekommen ist79. Namentlich in den überseeischen und den sonst mit bedeutendem Risiko verbundenen Geschäften nahm das Assoziationswesen eine solche Ausdehnung an, daß es praktisch an die Stelle der dem Altertum unbekannten Assekuranzen trat. Nichts war gewöhnlicher als das sogenannte Seedarlehen, das heutige Großaventurgeschäft, wodurch Gefahr und Gewinn des überseeischen Handels sich auf die Eigentümer von Schiff und Ladung und die sämtlichen für diese Fahrt kreditierenden Kapitalisten verhältnismäßig verteilt. Es war aber überhaupt römische Wirtschaftsregel, sich lieber bei vielen Spekulationen mit kleinen Parten zu beteiligen, als selbständig zu spekulieren; Cato riet dem Kapitalisten, nicht ein einzelnes Schiff mit seinem Gelde auszurüsten, sondern mit neunundvierzig andern Kapitalisten zusammen fünfzig Schiffe auszusenden und an jedem zum fünfzigsten Teil sich zu interessieren. Die hierdurch herbeigeführte größere Verwicklung der Geschäftsführung übertrug der römische Kaufmann durch seine pünktliche Arbeitsamkeit und seine – vom reinen Kapitalistenstandpunkt aus freilich unserem Kontorwesen bei weitem vorzuziehende – Sklaven- und Freigelassenenwirtschaft. So griffen diese kaufmännischen Assoziationen mit hundertfachen Fäden in die Ökonomie eines jeden angesehenen Römers ein. Es gab nach Polybios‘ Zeugnis kaum einen vermögenden Mann in Rom, der nicht als offener oder stiller Gesellschafter bei den Staatspachtungen beteiligt gewesen wäre; und um soviel mehr wird ein jeder durchschnittlich einen ansehnlichen Teil seines Kapitals in den kaufmännischen Assoziationen überhaupt stecken gehabt haben.

Auf allem diesem aber beruht die Dauer der römischen Vermögen, die vielleicht noch merkwürdiger ist als deren Größe. Die früher hervorgehobene, in dieser Art vielleicht einzige Erscheinung, daß der Bestand der großen Geschlechter durch mehrere Jahrhunderte sich fast gleich bleibt, findet hier, in den einigermaßen engen, aber soliden Grundsätzen der kaufmännischen Vermögensverwaltung ihre Erklärung.

Bei der einseitigen Hervorhebung des Kapitals in der römischen Ökonomie konnten die von der reinen Kapitalistenwirtschaft unzertrennlichen Übelstände nicht ausbleiben. Die bürgerliche Gleichheit, welche bereits durch das Emporkommen des regierenden Herrenstandes eine tödliche Wunde empfangen hatte, erlitt einen gleich schweren Schlag durch die scharf und immer schärfer sich zeichnende soziale Abgrenzung der Reichen und der Armen. Für die Scheidung nach unten hin ist nichts folgenreicher geworden als der schon erwähnte, anscheinend gleichgültige, in der Tat einen Abgrund von Kapitalistenübermut und Kapitalistenfrevel in sich schließende Satz, daß es schimpflich sei, für die Arbeit Geld zu nehmen – es zog sich damit die Scheidewand nicht bloß zwischen dem gemeinen Tagelöhner und Handwerker und dem respektablen Guts- und Fabrikbesitzer, sondern ebenso auch zwischen dem Soldaten und Unteroffizier und dem Kriegstribun, zwischen dem Schreiber und Boten und dem Beamten. Nach oben hin zog eine ähnliche Schranke das von Gaius Flaminius veranlaßte Claudische Gesetz (kurz vor 536 218), welches Senatoren und Senatorensöhnen untersagte, Seeschiffe außer zum Transport des Ertrags ihrer Landgüter zu besitzen und wahrscheinlich auch sich bei den öffentlichen Lizitationen zu beteiligen, überhaupt ihnen alles das zu betreiben verbot, was die Römer unter „Spekulation“ (quaestus) verstanden80. Zwar ward diese Bestimmung nicht von den Senatoren hervorgerufen, sondern war ein Werk der demokratischen Opposition, welche damit zunächst wohl nur den Übelstand beseitigen wollte, daß Regierungsmitglieder mit der Regierung selbst Geschäfte machten; es kann auch sein, daß die Kapitalisten hier schon, wie später so oft, mit der demokratischen Partei gemeinschaftliche Sache gemacht und die Gelegenheit wahrgenommen haben, durch den Ausschluß der Senatoren die Konkurrenz zu vermindern. Jener Zweck ward natürlich nur sehr unvollkommen erreicht, da das Assoziationswesen den Senatoren Wege genug eröffnete, im stillen weiter zu spekulieren; aber wohl hat dieser Volksschluß eine gesetzliche Grenze zwischen den nicht oder doch nicht offen spekulierenden und den spekulierenden Vornehmen gezogen und der zunächst politischen eine reine Finanzaristokratie an die Seite gestellt, den später so genannten Ritterstand, dessen Rivalitäten mit dem Herrenstand die Geschichte des folgenden Jahrhunderts erfüllen.

Eine weitere Folge der einseitigen Kapitalmacht war das unverhältnismäßige Hervortreten eben der sterilsten und für die Volkswirtschaft im ganzen und großen am wenigsten produktiven Verkehrszweige. Die Industrie, die in erster Stelle hätte erscheinen sollen, stand vielmehr an der letzten. Der Handel blühte; aber er war durchgängig passiv. Nicht einmal an der Nordgrenze scheint man imstande gewesen zu sein, für die Sklaven, welche aus den keltischen und wohl auch schon aus den deutschen Ländern nach Ariminum und den anderen norditalischen Märkten strömten, mit Waren Deckung zu geben; wenigstens wurde schon 523 (231) die Ausfuhr des Silbergeldes in das Keltenland von der römischen Regierung untersagt. In dem Verkehr nun gar mit Griechenland, Syrien, Ägypten, Kyrene, Karthago mußte die Bilanz notwendig zum Nachteil Italiens sich stellen. Rom fing an, die Hauptstadt der Mittelmeerstaaten und Italien Roms Weichbild zu werden; mehr wollte man eben auch nicht sein und ließ den Passivhandel, wie jede Stadt, die nichts weiter als Hauptstadt ist, notwendig ihn führt, mit opulenter Gleichgültigkeit sich gefallen – besaß man doch Geld genug, um damit alles zu bezahlen, was man brauchte und nicht brauchte. Dagegen die unproduktivsten aller Geschäfte, der Geldhandel und das Hebungswesen, waren der rechte Sitz und die feste Burg der römischen Ökonomie. Was endlich in dieser noch an Elementen zur Emporbringung eines wohlhabenden Mittel- und auskömmlichen Kleinstandes enthalten war, verkümmerte unter dem unseligen Sklavenbetrieb oder steuerte im besten Fall zur Vermehrung des leidigen Freigelassenenstandes bei.

Aber vor allem zehrte die tiefe Unsittlichkeit, welche der reinen Kapitalwirtschaft inwohnt, an dem Marke der Gesellschaft und des Gemeinwesens und ersetzte die Menschen- und die Vaterlandsliebe durch den unbedingten Egoismus. Der bessere Teil der Nation empfand es sehr lebendig, welche Saat des Verderbens in jenem Spekulantentreiben lag; und vor allem richteten sich der instinktmäßige Haß des großen Haufens wie die Abneigung des wohlgesinnten Staatsmanns gegen das seit langem von den Gesetzen verfolgte und dem Buchstaben des Rechtes nach immer noch verpönte gewerbsmäßige Leihgeschäft. Es heißt in einem Lustspiel dieser Zeit:

Wahrhaftig gleich eracht‘ ich ganz die Kuppler und euch Wuchrer;
Wenn jene feilstehn insgeheim, tut ihr’s auf offnem Markte.
Mit Kneipen die, mit Zinsen ihr, schindet die Leut‘ ihr beide.
Gesetze gnug hat eurethalb die Bürgerschaft erlassen;
Ihr bracht‘ sie, wie man sie erließ; ein Schlupf ist stets gefunden.
Wie heißes Wasser, das verkühlt, so achtet das Gesetz ihr.

Energischer noch als der Lustspieldichter sprach der Führer der Reformpartei Cato sich aus. „Es hat manches für sich“, heißt es in der Vorrede seiner Anweisung zum Ackerbau, „Geld auf Zinsen zu leihen; aber es ist nicht ehrenhaft. Unsere Vorfahren haben also geordnet und in dem Gesetze geschrieben, daß der Dieb zwiefachen, der Zinsnehmer vierfachen Ersatz zu leisten schuldig sei; woraus man abnehmen kann, ein wieviel schlechterer Bürger als der Dieb der Zinsnehmer von ihnen erachtet ward“. Der Unterschied, meint er anderswo, zwischen einem Geldverleiher und einem Mörder sei nicht groß; und man muß es ihm lassen, daß er in seinen Handlungen nicht hinter seinen Reden zurückblieb – als Statthalter in Sardinien hat er durch seine strenge Rechtspflege die römischen Bankiers geradezu zum Lande hinausgetrieben. Der regierende Herrenstand betrachtete überhaupt seiner überwiegenden Majorität nach die Wirtschaft der Spekulanten mit Widerwillen und führte sich nicht bloß durchschnittlich rechtschaffener und ehrbarer in den Provinzen als diese Geldleute, sondern tat auch öfter ihnen Einhalt; nur brachen der häufige Wechsel der römischen Oberbeamten und die unvermeidliche Ungleichheit ihrer Gesetzhandhabung dem Bemühen, jenem Treiben zu steuern, notwendig die Spitze ab. Man begriff es auch wohl, was zu begreifen nicht schwer war, daß es weit weniger darauf ankam, die Spekulation polizeilich zu überwachen, als der ganzen Volkswirtschaft eine veränderte Richtung zu geben; hauptsächlich in diesem Sinne wurde von Männern, wie Cato war, durch Lehre und Beispiel der Ackerbau gepredigt. „Wenn unsere Vorfahren“, fährt Cato in der eben angeführten Vorrede fort, „einem tüchtigen Mann die Lobrede hielten, so lobten sie ihn als einen tüchtigen Bauern und einen tüchtigen Landwirt; wer also gelobt ward, schien das höchste Lob erhalten zu haben. Den Kaufmann halte ich für wacker und erwerbsfleißig; aber sein Geschäft ist Gefahren und Unglücksfällen allzusehr ausgesetzt. Dagegen die Bauern geben die tapfersten Leute und die tüchtigsten Soldaten; kein Erwerb ist wie dieser ehrbar, sicher und niemandem gehässig, und die damit sich abgeben, kommen am wenigsten auf böse Gedanken“. Von sich selber pflegte er zu sagen, daß sein Vermögen lediglich aus zwei Erwerbsquellen herstamme: aus dem Ackerbau und aus der Sparsamkeit; und wenn das auch weder sehr logisch gedacht noch genau der Wahrheit gemäß war81, so hat er doch nicht mit Unrecht seinen Zeitgenossen wie der Nachwelt als das Muster eines römischen Gutsbesitzers gegolten. Leider ist es eine ebenso merkwürdige wie schmerzliche Wahrheit, daß dieses soviel und sicher im besten Glauben gepriesene Heilmittel der Landwirtschaft selber durchdrungen war von dem Gifte der Kapitalistenwirtschaft. Bei der Weidewirtschaft liegt dies auf der Hand; sie war darum auch bei dem Publikum am meisten beliebt und bei der Partei der sittlichen Reform am wenigsten gut angeschrieben. Aber wie war es denn mit dem Ackerbau selbst? Der Krieg, den vom dritten bis zum fünften Jahrhundert der Stadt das Kapital gegen die Arbeit in der Art geführt hatte, daß es mittels des Schuldzinses die Bodenrente den arbeitenden Bauern entzog und den müßig zehrenden Rentiers in die Hände führte, war ausgeglichen worden hauptsächlich durch die Erweiterung der römischen Ökonomie und das Hinüberwerfen des in Latium vorhandenen Kapitals auf die in dem ganzen Mittelmeergebiet tätige Spekulation. Jetzt vermochte auch das ausgedehnte Geschäftsgebiet die gesteigerte Kapitalmasse nicht mehr zu fassen; und eine wahnwitzige Gesetzgebung arbeitete zugleich daran, teils die senatorischen Kapitalien auf künstlichem Wege zur Anlage in italischem Grundbesitz zu drängen, teils durch die Einwirkung auf die Kornpreise das italische Ackerland systematisch zu entwerten. So begann denn der zweite Feldzug des Kapitals gegen die freie Arbeit oder, was im Altertum wesentlich dasselbe ist, gegen die Bauernwirtschaft; und war der erste arg gewesen, so schien er mit dem zweiten verglichen milde und menschlich. Die Kapitalisten liehen nicht mehr an den Bauern auf Zinsen aus, was an sich schon nicht anging, da der Kleinbesitzer keinen Überschuß von Belang mehr erzielte, und auch nicht einfach und nicht radikal genug war, sondern sie kauften die Bauernstellen auf und verwandelten sie im besten Fall in Meierhöfe mit Sklavenwirtschaft. Man nannte das ebenfalls Ackerbau; in der Tat war es wesentlich die Anwendung der Kapitalwirtschaft auf die Erzeugung der Bodenfrüchte. Die Schilderung der Ackerbauer, die Cato gibt, ist vortrefflich und vollkommen richtig; aber wie paßt sie auf die Wirtschaft selbst, die er schildert und anrät? Wenn ein römischer Senator, wie das nicht selten gewesen sein kann, solcher Landgüter wie das von Cato beschriebene vier besaß, so lebten auf dem gleichen Raum, der zur Zeit der alten Kleinherrschaft hundert bis hundertundfünfzig Bauernfamilien ernährt hatte, jetzt eine Familie freier Leute und etwa fünfzig größtenteils unverheiratete Sklaven. Wenn dies das Heilmittel war, um die sinkende Volkswirtschaft zu bessern, so sah es leider der Krankheit selber bis zum Verwechseln ähnlich.

Das Gesamtergebnis dieser Wirtschaft liegt in den veränderten Bevölkerungsverhältnissen nur zu deutlich vor Augen. Freilich war der Zustand der italischen Landschaften sehr ungleich und zum Teil sogar gut. Die bei der Kolonisation des Gebietes zwischen den Apenninen und dem Po in großer Anzahl daselbst gegründeten Bauernstellen verschwanden nicht so schnell. Polybios, der nicht lange nach dem Ende dieser Periode die Gegend bereiste, rühmt ihre zahlreiche, schöne und kräftige Bevölkerung; bei einer richtigen Korngesetzgebung wäre es wohl möglich gewesen, nicht Sizilien, sondern die Polandschaft zur Kornkammer der Hauptstadt zu machen. Ähnlich hatte Picenum und der sogenannte „gallische Acker“ durch die Aufteilungen des Domaniallandes in Gemäßheit des Flaminischen Gesetzes 522 (232) eine zahlreiche Bauernschaft erhalten, welche freilich im Hannibalischen Krieg arg mitgenommen ward. In Etrurien und wohl auch in Umbrien waren die inneren Verhältnisse der untertänigen Gemeinden dem Gedeihen eines freien Bauernstandes ungünstig. Besser stand es in Latium, dem die Vorteile des hauptstädtischen Marktes doch nicht ganz entzogen werden konnten und das der Hannibalische Krieg im ganzen verschont hatte, sowie in den abgeschlossenen Bergtälern der Marser und Sabeller. Süditalien dagegen hatte der Hannibalische Krieg furchtbar heimgesucht und außer einer Menge kleinerer Ortschaften die beiden größten Städte, Capua und Tarent, beide einst imstande, Heere von 30000 Mann ins Feld zu stellen, zugrunde gerichtet. Samnium hatte von den schweren Kriegen des fünften Jahrhunderts sich wieder erholt; nach der Zählung von 529 (225) war es imstande, halb soviel Waffenfähige zu stellen als die sämtlichen latinischen Städte und wahrscheinlich damals nach dem römischen Bürgerdistrikt die blühendste Landschaft der Halbinsel. Allein der Hannibalische Krieg hatte das Land aufs neue verödet und die Ackeranweisungen daselbst an die Soldaten des Scipionischen Heeres, obwohl bedeutend, deckten doch wahrscheinlich nicht den Verlust. Noch übler waren in demselben Kriege Kampanien und Apulien, beides bis dahin wohlbevölkerte Landschaften, von Freund und Feind zugerichtet worden. In Apulien fanden später zwar Ackeranweisungen statt, allein die hier angelegten Kolonien wollten nicht gedeihen. Bevölkerter blieb die schöne kampanische Ebene; doch ward die Mark von Capua und der anderen, im Hannibalischen Kriege aufgelösten Gemeinden Staatsbesitz und waren die Inhaber derselben durchgängig nicht Eigentümer, sondern kleine Zeitpächter. Endlich in dem weiten lucanischen und brettischen Gebiet ward die schon vor dem Hannibalischen Krieg sehr dünne Bevölkerung von der ganzen Schwere des Krieges selbst und der daran sich reihenden Strafexekutionen getroffen; und auch von Rom aus geschah nicht viel, um hier den Ackerbau wieder in die Höhe zu bringen – mit Ausnahme etwa von Valentia (Vibo, jetzt Monteleone) kam keine der dort angelegten Kolonien recht in Aufnahme. Bei aller Ungleichheit der politischen und ökonomischen Verhältnisse der verschiedenen Landschaften und dem verhältnismäßig blühenden Zustand einzelner derselben ist im ganzen doch der Rückgang unverkennbar, und er wird durch die unverwerflichsten Zeugnisse über den allgemeinen Zustand Italiens bestätigt. Cato und Polybios stimmen darin überein, daß Italien am Ende des sechsten Jahrhunderts weit schwächer als am Ende des fünften bevölkert und keineswegs mehr imstande war, Heermassen aufzubringen wie im Ersten Punischen Kriege. Die steigende Schwierigkeit der Aushebung, die Notwendigkeit, die Qualifikation zum Dienst in den Legionen herabzusetzen, die Klagen der Bundesgenossen über die Höhe der von ihnen zu stellenden Kontingente bestätigen diese Angaben; und was die römische Bürgerschaft anlangt, so reden die Zahlen. Sie zählte im Jahre 502 (252), kurz nach Regulus‘ Zug nach Afrika, 298000 waffenfähige Männer; dreißig Jahre später, kurz vor dem Anfang des Hannibalischen Krieges (534 220), war sie auf 270000 Köpfe, also um ein Zehntel, wieder zwanzig Jahre weiter, kurz vor dem Ende desselben Krieges (550 204) auf 214000 Köpfe, also um ein Viertel gesunken; und ein Menschenalter nachher, während dessen keine außerordentlichen Verluste eingetreten waren, wohl aber die Anlage besonders der großen Bürgerkolonien in der norditalischen Ebene einen fühlbaren außerordentlichen Zuwachs gebracht hatte, war dennoch kaum die Ziffer wieder erreicht, auf der die Bürgerschaft zu Anfang dieser Periode gestanden hatte. Hätten wir ähnliche Ziffern für die italische Bevölkerung überhaupt, so würden sie ohne allen Zweifel ein verhältnismäßig noch ansehnlicheres Defizit aufweisen. Das Sinken der Volkskraft läßt sich weniger belegen, doch ist es von landwirtschaftlichen Schriftstellern bezeugt, daß Fleisch und Milch aus der Nahrung des gemeinen Mannes mehr und mehr verschwanden. Daneben wuchs die Sklavenbevölkerung, wie die freie sank. In Apulien, Lucanien und dem Brettierland muß schon zu Catos Zeit die Viehwirtschaft den Ackerbau überwogen haben; die halbwilden Hirtensklaven waren hier recht eigentlich die Herren im Hause. Apulien ward durch sie so unsicher gemacht, daß starke Besatzung dorthin gelegt werden mußte; im Jahre 569 (185) wurde daselbst eine im größten Maßstab angelegte, auch mit dem Bacchanalienwesen sich verzweigende Sklavenverschwörung entdeckt und gegen 7000 Menschen kriminell verurteilt. Aber auch in Etrurien mußten römische Truppen gegen eine Sklavenbande marschieren (558 196, und sogar in Latium kam es vor, daß Städte wie Setia und Praeneste Gefahr liefen, von einer Bande entlaufener Knechte überrumpelt zu werden (556 198). Zusehends schwand die Nation zusammen und löste die Gemeinschaft der freien Bürger sich auf in eine Herren- und Sklavenschaft; und obwohl es zunächst die beiden langjährigen Kriege mit Karthago waren, welche die Bürger- wie die Bundesgenossenschaft dezimierten und ruinierten, so haben zu dem Sinken der italischen Volkskraft und Volkszahl die römischen Kapitalisten ohne Zweifel ebensoviel beigetragen wie Hamilkar und Hannibal. Es kann niemand sagen, ob die Regierung hätte helfen können; aber erschreckend und beschämend ist es, daß in den doch großenteils wohlmeinenden und tatkräftigen Kreisen der römischen Aristokratie nicht einmal die Einsicht in den ganzen Ernst der Situation und die Ahnung von der ganzen Höhe der Gefahr sich offenbart. Als eine römische Dame vom hohen Adel, die Schwester eines der zahlreichen Bürgeradmirale, die im Ersten Punischen Krieg die Flotten der Gemeinde zugrunde gerichtet hatten, eines Tages auf dem römischen Markt ins Gedränge geriet, sprach sie es laut vor den Umstehenden aus, daß es hohe Zeit sei, ihren Bruder wieder an die Spitze einer Flotte zu stellen und durch einen neuen Aderlaß der Bürgerschaft auf dem Markte Luft zu machen (508 246). So dachten und sprachen freilich die wenigsten; aber es war diese frevelhafte Rede doch nichts als der schneidende Ausdruck der sträflichen Gleichgültigkeit, womit die gesamte hohe und reiche Welt auf die gemeine Bürger- und Bauernschaft herabsah. Man wollte nicht gerade ihr Verderben, aber man ließ es geschehen; und so kam denn über das eben noch in mäßiger und verdienter Wohlfahrt unzähliger freier und fröhlicher Menschen blühende italische Land mit Riesenschnelle die Verödung.

  1. Um übrigens von dem alten Italien ein richtiges Bild zu gewinnen, ist es notwendig, sich zu erinnern, welche großen Veränderungen auch hier durch die neuere Kultur entstanden sind. Von den Getreidearten ward im Altertum Roggen nicht gebaut und des als Unkraut wohlbekannten Hafers sah man in der Kaiserzeit mit Verwunderung die Deutschen sich zum Brei bedienen. Der Reis ward in Italien zuerst am Ende des fünfzehnten, der Mais daselbst zuerst am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts kultiviert. Die Kartoffeln und Tomaten stammen aus Amerika; die Artischocken scheinen nichts als eine durch Kultur entstandene Varietät der den Römern bekannten Cardonen, aber doch in ihrer Eigentümlichkeit neueren Ursprungs zu sein. Die Mandel dagegen oder die „griechische Nuß“, der Pfirsich oder die „persische“, auch die „weiche Nuß“ (nux mollusca) sind zwar Italien ursprünglich fremd, aber begegnen wenigstens schon hundertfünfzig Jahre vor Christus. Die Dattelpalme, in Italien aus Griechenland, wie in Griechenland aus dem Orient eingeführt und ein lebendiger Zeuge des uralten kommerziell-religiösen Verkehrs des Okzidents mit den Orientalen, ward in Italien bereits dreihundert Jahre vor Christus gezogen (Liv. 10, 47; Pallad. 5, 5, 2; 11, 12, 1), nicht der Früchte wegen (Plin. nat. 13, 4, 26), sondern eben wie heutzutage, als Prachtgewächs und um der Blätter bei öffentlichen Festlichkeiten sich zu bedienen. Jünger ist die Kirsche oder die Frucht von Kerasus am Schwarzen Meer, die erst in der ciceronischen Zeit in Italien gepflanzt zu werden anfing, obwohl der wilde Kirschbaum daselbst einheimisch ist; noch jünger vielleicht die Aprikose oder die „armenische Pflaume“. Der Zitronenbaum ward erst in der späteren Kaiserzeit in Italien kultiviert; die Orange kam gar erst durch die Mauren im zwölften oder dreizehnten Jahrhundert dahin, ebenso erst im sechzehnten von Amerika die Aloe (Agave americana). Die Baumwolle ist in Europa zuerst von Arabern gebaut worden. Auch der Büffel und der Seidenwurm sind nur dem neuen, nicht dem alten Italien eigen.
  2. Wie man sieht, sind die mangelnden großenteils eben diejenigen Produkte, die uns recht „italienisch“ scheinen; und wenn das heutige Deutschland, verglichen mit demjenigen, welches Caesar betrat, ein südliches Land genannt werden kann, so ist auch Italien in nicht minderem Grade seitdem „südlicher“ geworden.
  3. Die römischen Landgüter waren, als größerer Grundbesitz betrachtet, durchgängig von beschränktem Umfang. Das von Cato beschriebene hatte ein Areal von 240 Morgen; ein sehr gewöhnliches Maß war die sogenannte Centuria von 200 Morgen. Wo die mühsame Rebenzucht betrieben ward, wurde die Wirtschaftseinheit noch kleiner gemacht; Cato setzt für diesen Fall einen Flächeninhalt von 100 Morgen voraus. Wer mehr Kapital in die Landwirtschaft stecken wollte, vergrößerte nicht sein Gut, sondern erwarb mehrere Güter; wie denn wohl schon der Maximalsatz des Okkupationsbesitzes von 500 Morgen als Inbegriff von zwei oder drei Landgütern gedacht worden ist.
  4. Nach Cato (agr. 137, vgl. 16) wird bei der Teilpacht der Bruttoertrag des Gutes, nach Abzug des für die Pflugstiere benötigten Futters, zwischen Verpächter und Pächter (colonus partiarius) zu den zwischen ihnen ausgemachten Teilen geteilt. Daß die Teile in der Regel gleich waren, läßt die Analogie des französischen bail à cheptel und der ähnlichen italienischen Pachtung auf halb und halb sowie die Abwesenheit jeder Spur anderer Quotenteilung vermuten. Denn unrichtig hat man den politor, der das fünfte Korn, oder, wenn vor dem Dreschen geteilt wird, den sechsten bis neunten Ährenkorb erhält (Cato agr. 136, vgl. 5), hierher gezogen; er ist nicht Teilpächter, sondern ein in der Erntezeit angenommener Arbeiter, der seinen Tagelohn durch jenen Gesellschaftsvertrag erhält.
  5. Eigentliche Bedeutung hat die Pacht erst gewonnen, als die römischen Kapitalisten anfingen, überseeische Besitzungen in großem Umfang zu erwerben; wo man es denn auch zu schätzen wußte, wenn eine Zeitpacht durch mehrere Generationen fortging (Colum. 1, 7, 3).
  6. Daß zwischen den Rebstöcken kein Getreide gebaut ward, sondern höchstens leicht im Schatten fortkommende Futterkräuter, geht aus Cato (agr. 33, vgl. 137) hervor; und darum rechnet auch Columella (3, 3) bei dem Weinberg keinen anderen Nebengewinn als den Ertrag der verkauften Ableger. Dagegen die Baumpflanzung (arbustum) wird wie jedes Getreidefeld besät (Colum. 2, 9, 6). Nur wo der Wein an lebendigen Bäumen gezogen wird, baut man auch zwischen diesen Getreide.
  7. Mago oder sein Übersetzer (bei Varro tust. 1, 17, 3) rät, die Sklaven nicht zu züchten, sondern nicht jünger als zweiundzwanzigjährig zu kaufen; und ein ähnliches Verfahren muß auch Cato im Sinn gehabt haben, wie der Personalbestand seiner Musterwirtschaft deutlich beweist, obwohl er es nicht geradezu sagt. Den Verkauf der alten und kranken Sklaven rät Cato (agr. 2) ausdrücklich an. Die Sklavenzüchtung, wie sie Columella (1, 8) beschreibt, wobei die Sklavinnen, welche drei Söhne haben, von der Arbeit befreit, die Mütter von vier Söhnen sogar freigelassen werden, ist wohl mehr eine selbständige Spekulation als ein Teil des regelmäßigen Gutsbetriebes, ähnlich wie das von Cato selbst betriebene Geschäft, Sklaven zur Abrichtung und zum Wiederverkauf aufzukaufen (Plut. Cato mai. 21). Die ebendaselbst erwähnte charakteristische Besteuerung bezieht sich wohl auf die eigentliche Dienerschaft (familia urbana).
  8. In dieser Beschränkung ist die Fesselung der Sklaven und selbst der Haussöhne (Dion. Hal. 2, 26) uralt; und also als Ausnahme erscheinen auch bei Cato die gefesselten Feldarbeiter, denen, da sie nicht selbst mahlen können, statt des Kornes Brot verabreicht werden muß (56). Sogar in der Kaiserzeit tritt die Fesselung der Sklaven durchgängig noch auf als eine definitiv von dem Herrn, provisorisch von dem Wirtschafter zuerkannte Bestrafung (Colum. 1, 8; Gaius inst. 1, 13; Ulp. reg. 1, 11). Wenn dennoch die Bestellung der Felder durch gefesselte Sklaven in späterer Zeit als eigenes Wirtschaftssystem vorkommt und der Arbeiterzwinger (ergastulum), ein Kellergeschoß mit vielen aber schmalen und nicht vom Boden aus mit der Hand zu erreichenden Fensteröffnungen (Colum. 1, 6), ein notwendiges Stück des Wirtschaftsgebäudes wird, so vermittelt sich dies dadurch, daß die Lage der Gutssklaven härter war als die der übrigen Knechte und darum vorwiegend diejenigen Sklaven dazu genommen wurden, welche sich vergangen hatten oder zu haben schienen. Daß grausame Herren übrigens auch ohne jeden Anlaß die Fesselung eintreten ließen, soll damit nicht geleugnet werden und liegt auch klar darin angedeutet, daß die Rechtsbücher die den Verbrechersklaven treffenden Nachteile nicht über die Gefesselten, sondern die Strafe halber Gefesselten verhängen. Ganz ebenso stand es mit der Brandmarkung; sie sollte eigentlich Strafe sein; aber es wurde auch wohl die ganze Herde gezeichnet (Diod. 35, 5; J. Bernays, Über das Phokylideische Gedicht. Berlin 1856, S. XXXI).
  9. Von der Weinlese sagt dies Cato nicht ausdrücklich wohl aber Varro (rust. 1, 17), und es liegt auch in der Sache. Es wäre ökonomisch fehlerhaft gewesen, den Stand der Gutssklavenschaft nach dem Maß der Erntearbeiten einzurichten, und am wenigsten würde man, wenn es dennoch geschehen wäre, die Trauben auf dem Stock verkauft haben, was doch häufig vorkam (Cato agr. 147).
  10. Columella (2, 12, 9) rechnet auf das Jahr durchschnittlich 45 Regen- und Feiertage; und damit stimmt überein, daß nach Tertullian (idol. 14) die Zahl der heidnischen Festtage noch nicht die fünfzig Tage der christlichen Freudenzeit von Ostern bis Pfingsten erreicht. Dazu kommt dann die Rastzeit des Mittwinters nach vollbrachter Herbstsaat, welche Columella auf dreißig Tage anschlägt. In diese fiel ohne Zweifel durchgängig das wandelbare „Saatfest“ (feriae sementivae; vgl. 1, 201 und Ov. fast. 1, 661). Mit den Gerichtsferien in der Ernte (Plin. epist. 8, 21, 2 und sonst) und Weinlesezeit darf dieser Rastmonat nicht verwechselt werden.
  11. Als hauptstädtischer Mittelpreis des Getreides kann wenigstens für das siebente und achte Jahrhundert Roms angenommen werden 1 Denar für den römischen Modius oder 1/3 Taler für den preußischen Scheffel Weizen, wofür heutzutage (nach dem Durchschnitt der Preise in den Provinzen Brandenburg und Pommern von 1816- 1841) ungefähr 1 Taler 24 Silbergroschen gezahlt wird. Ob diese nicht sehr bedeutende Differenz der römischen und der heutigen Preise auf dem Steigen des Korn- oder dem Sinken des Silberwertes beruht, läßt sich schwerlich entscheiden.
  12. Übrigens dürfte es sehr zweifelhaft sein, ob in dem Rom dieser und der späteren Zeit die Kornpreise wirklich stärker geschwankt haben, als dies heutzutage der Fall ist. Vergleicht man Preise wie die oben angeführten von 4 und 7 Groschen den preußischen Scheffel mit denen der ärgsten Kriegsteuerung und Hungersnot, wo zum Beispiel im Hannibalischen Kriege der preußische Scheffel auf 99 (1 Medimnos = 15 Drachmen: Polyb. 9, 44), im Bürgerkriege auf 198 (1 Modius = 5 Denare: Cic. Verr. E, 92; 214), in der großen Teuerung unter Augustus gar auf 218 Groschen (5 Modii = 27; Denare: Euseb. chron. p. Chr. 7 Scal.) stieg, so ist der Abstand freilich ungeheuer; allein solche Extreme sind wenig belehrend und könnten nach beiden Seiten hin unter gleichen Bedingungen auch heute noch sich wiederholen.
  13. Darum nennt Cato die beiden Güter, die er schildert, kurzweg Olivenpflanzung (olivetum) und Weinberg (vinea), obwohl darauf keineswegs bloß Wein und Öl, sondern auch Getreide und anderes mehr gebaut ward. Wären freilich die 800 culei, auf die der Besitzer des Weinbergs angewiesen wird, sich mit Fässern zu versehen (11), das Maximum einer Jahresernte, so müßten alle 100 Morgen mit Reben bepflanzt gewesen sein, da der Ertrag von 8 culei für den Morgen schon ein fast unerhörter war (Colum. 3, 3); allein Varro (rust. 1, 22) verstand, und offenbar mit Recht, die Angabe, daß der Weinbergbesitzer in den Fall kommen kann, die neue Lese eintun zu müssen, bevor die alte verkauft ist.
  14. Daß der römische Landwirt von seinem Kapital durchschnittlich sechs Prozent machte, läßt Columella (3, 3, 9) schließen. Einen genaueren Anschlag für Kosten und Ertrag haben wir nur für den Weinberg, wofür Columella auf den Morgen folgende Kostenberechnung aufstellt:
  15. Den Ertrag berechnet er auf wenigstens 60 Amphoren von mindestens 900 Sesterzen (65 Taler) Wert, was also eine Rente von 17 Prozent darstellen würde. Indes ist dieselbe zum Teil illusorisch, da, auch von Mißernten abgesehen, die Kosten der Einbringung und die für Instandhaltung der Reben, Pfähle und Sklaven. aus dem Ansatz gelassen worden sind.
  16. Den Bruttoertrag von Wiese, Weide und Wald berechnet derselbe Landwirt auf höchstens 100 Sesterzen den Morgen und den des Getreidefeldes eher auf weniger als auf mehr; wie denn ja auch der Durchschnittsertrag von 25 römischen Scheffeln Weizen auf den Morgen schon nach dem hauptstädtischen Durchschnittspreis von 1 Denar den Scheffel nicht mehr als 100 Sesterzen Bruttoertrag gibt und am Produktionsplatz der Preis noch niedriger gestanden haben muß. Varro (3, 2) rechnet als gewöhnlichen guten Bruttoertrag eines größeren Gutes 150 Sesterzen vom Morgen. Entsprechende Kostenanschläge sind hierfür nicht überliefert; daß die Bewirtschaftung hier bei weitem weniger Kosten machte als bei dem Weinberg, versteht sich von selbst.
  17. Alle diese Angaben fallen übrigens ein Jahrhundert und länger nach Catos Tod. Von ihm haben wir nur die allgemeine Angabe, daß sich Viehwirtschaft besser rentiere als Ackerbau (bei Cic. off. 2,25; 89; Colum. 6 praef. 4, vgl. 2, 16, 2; Plin. nat. 18, 5, 30; Plut. Cato mai. 21); was natürlich nicht heißen soll, daß es überall rätlich ist, Ackerland in Weide zu verwandeln, sondern relativ zu verstehen ist dahin, daß das für die Herdenwirtschaft auf Bergweiden und sonst geeignetem Weideland angelegte Kapital, verglichen mit dem in die Feldwirtschaft auf geeignetem Kornland gesteckten, höhere Zinsen trage. Vielleicht ist dabei auch noch darauf Rücksicht genommen, daß die mangelnde Tätigkeit und Intelligenz des Grundherrn bei Weideland weniger nachteilig wirkt als bei der hoch gesteigerten Reben- und Olivenkultur. Innerhalb des Ackergutes stellt sich nach Cato die Bodenrente folgendermaßen in absteigender Reihe: 1. Weinberg; 2. Gemüsegarten; 3. Weidenbusch, der infolge der Rebenkultur hohen Ertrag abwarf; 4. Olivenpflanzung; 5. Wiese zur Heugewinnung; 6. Kornfeld; 7. Busch; 8. Schlagforst; 9. Eichenwald zur Viehfütterung – welche neun Bestandteile in dem Wirtschaftsplan der catonischen Mustergüter sämtlich wiederkehren.
  18. Von dem höheren Reinertrag des Weinbaues gegenüber dem Kornbau zeugt auch, daß nach dem im Jahre 637 (117) zwischen der Stadt Genua und den ihr zinspflichtigen Dörfern ausgefällten Schiedsspruch die Stadt von dem Wein den Sechsten, von dem Getreide den Zwanzigsten als Erbzins empfängt.
  19. Die industrielle Bedeutung des römischen Tuchgewerks ergibt sich schon aus der merkwürdigen Rolle, die die Walker in der römischen Komödie spielen. Die Einträglichkeit der Walkergruben bezeugt Cato (bei Plut. Cato mai. 21).
  20. Es lagen in der Kasse 17410 römische Pfund Gold, 22070 Pfund ungeprägten, 18230 Pfund geprägten Silbers. Das Legalverhältnis des Goldes zum Silber war 1 Pfund Gold = 4000 Sesterzen oder 1:11,91.
  21. Darauf beruht die Klagbarkeit des Kauf-, Miet-, Gesellschaftsvertrags und überhaupt die ganze Lehre von den nicht formalen klagbaren Verträgen.
  22. Die Hauptstelle darüber ist das Fragment Catos bei Gell. 14, 2. Auch für den Literalkontrakt, das heißt die lediglich auf die Eintragung des Schuldpostens in das Rechnungsbuch des Gläubigers basierte Forderung, gibt diese rechtliche Berücksichtigung der persönlichen Glaubwürdigkeit der Partei, selbst wo es sich um ihr Zeugnis in eigener Sache handelt, den Schlüssel; und daher ist auch, als später diese kaufmännische Reputierlichkeit aus dem römischen Leben entwich, der Literalkontrakt nicht gerade abgeschafft worden, aber von selber verschwunden.
  23. In dem merkwürdigen Musterkontrakt Catos (agr. 144) für den wegen der Olivenlese abzuschließenden Akkord findet sich folgender Paragraph: „Es soll [bei der Lizitation von den Unternehmungslustigen] niemand zurücktreten, um zu bewirken, daß die Olivenlese und Presse teurer verdungen werde; außer wenn [der Mitbieter den andern Bieter] sofort als seinen Kompagnon namhaft macht. Wenn dagegen gefehlt zu sein scheint, so sollen auf Verlangen des Gutsherrn oder des von ihm bestellten Aufsehers alle Kompagnons [derjenigen Assoziation, mit welcher der Akkord abgeschlossen worden ist,] beschwören, [nicht zu jener Beseitigung der Konkurrenz mitgewirkt zu haben]. Wenn sie den Eid nicht schwören, wird der Akkordpreis nicht gezahlt.“ Daß der Unternehmer eine Gesellschaft, nicht ein einzelner Kapitalist ist, wird stillschweigend vorausgesetzt.
  24. Liv. 21, 63 (vgl. Cic. Verr. 5, 18, 45) spricht nur von der Verordnung über die Seeschiffe; aber daß auch die Staatsentreprisen (redemptiones) dem Senator gesetzlich untersagt waren, sagen Asconius (tog. cand. p. 94 Orelli) und Dio Cassius (55, 10, 5), und da nach Livius „jede Spekulation für den Senator unschicklich gefunden ward“, so hat das Claudische Gesetz wahrscheinlich weiter gereicht.
  25. Einen Teil seines Vermögens steckte Cato wie jeder andere Römer in Viehzucht und Handels- und andere Unternehmungen. Aber es war nicht seine Art, geradezu die Gesetze zu verletzen; er hat weder in Staatspachtungen spekuliert, was er als Senator nicht durfte, noch Zinsgeschäfte betrieben. Man tut ihm Unrecht, wenn man ihm in letzter Beziehung eine von seiner Theorie abweichende Praxis vorwirft: das Seedarlehen, mit dem er allerdings sich abgab, ist vor dem Gesetz kein verbotener Zinsbetrieb und gehört auch der Sache nach wesentlich zu den Reederei- und Befrachtungsgeschäften.

13. Kapitel


13. Kapitel

Glaube und Sitte

In strenger Bedingtheit verfloß dem Römer das Leben und je vornehmer er war, desto weniger war er ein freier Mann. Die allmächtige Sitte bannte ihn in einen engen Kreis des Denkens und Handelns und streng und ernst oder, um die bezeichnenden lateinischen Ausdrücke zu brauchen, traurig und schwer gelebt zu haben, war sein Ruhm. Keiner hatte mehr und keiner weniger zu tun, als sein Haus in guter Zucht zu halten und in Gemeideangelegenheiten mit Tat und Rat seinen Mann zu stehen. Indem aber der einzelne nichts sein wollte noch sein konnte als ein Glied der Gemeinde, ward der Ruhm und die Macht der Gemeinde auch von jedem einzelnen Bürger als persönlicher Besitz empfunden und ging zugleich mit dem Namen und dern Hof auf die Nachfahren über; und wie also ein Geschlecht nach dem anderen in die Gruft gelegt. ward und jedes folgende zu dem alten Ehrenbestande neuen Erwerb häufte, schwoll das Gesamtgefühl der edlen römischen Familien zu jenem gewaltigen Bürgerstolz an, dessengleichen die Erde wohl nicht wieder gesehen hat und dessen so fremd- wie großartige Spuren, wo wir ihnen begegnen, uns gleichsam einer anderen Welt anzugehören scheinen. Zwar gehörte zu dem eigentümlichen Gepräge dieses mächtigen Bürgersinnes auch dies, daß er durch die starre bürgerliche Einfachheit und Gleichheit während des Lebens nicht unterdrückt, aber gezwungen ward, sich in die schweigende Brust zu verschließen und daß er erst nach dem Tode sich äußern durfte; dann aber trat er auch in dem Leichenbegängnis des angesehenen Mannes mit einer sinnlichen Gewaltigkeit hervor, die mehr als jede andere Erscheinung im römischen Leben geeignet ist, uns Späteren von diesem wunderbaren Römergeist eine Ahnung zu geben. Es war ein seltsamer Zug, dem beizuwohnen die Bürgerschaft geladen ward durch den Ruf des Weibels der Gemeinde: „Jener Wehrmann ist Todes verblichen; wer da kann, der komme, dem Lucius Aemilius das Geleite zu geben; er wird weggetragen aus seinem Hause“. Es eröffneten ihn die Scharen der Klageweiber, der Musikanten und der Tänzer, von welchen letzteren einer in Kleidung und Maske als des Verstorbenen Konterfei erschien, auch wohl gestikulierend und agierend den wohlbekannten Mann noch einmal der Menge vergegenwärtigte. Sodann folgte der großartigste und eigentümlichste Teil dieser Feierlichkeit, die Ahnenprozession, gegen die alles übrige Gepränge so verschwand, daß wahrhaft vornehme römische Männer wohl ihren Erben vorschrieben, die Leichenfeier lediglich darauf zu beschränken. Es ist schon früher gesagt worden, daß von denjenigen Ahnen, die die kurulische Ädilität oder ein höheres ordentliches Amt bekleidet hatten, die in Wachs getriebenen und bemalten Gesichtsmasken, soweit möglich nach dem Leben gefertigt, aber auch für die frühere Zeit bis in und über die der Könige hinauf nicht mangelnd, an den Wänden des Familiensaales in hölzernen Schreinen aufgestellt zu werden pflegten und als der höchste Schmuck des Hauses galten. Wenn ein Todesfall in der Familie eintrat, so wurden mit diesen Gesichtsmasken und der entsprechenden Amtstracht geeignete Leute, namentlich Schauspieler, für das Leichenbegängnis staffiert, so daß die Vorfahren, jeder in dem bei Lebzeiten von ihm geführten vornehmsten Schmuck, der Triumphator im goldgestickten, der Zensor im purpurnen, der Konsul im purpurgesäumten Mantel, mit ihren Liktoren und den sonstigen Abzeichen ihres Amtes, alle zu Wagen dem Toten das letzte Geleite gaben. Auf der mit schweren purpurnen und goldgestickten Decken und feinen Leintüchern überspreiteten Bahre lag dieser selbst, gleichfalls in dem vollen Schmuck des höchsten von ihm bekleideten Amtes und umgeben von den Rüstungen der von ihm erlegten Feinde und den in Scherz und Ernst ihm gewonnenen Kränzen. Hinter der Bahre kamen die Leidtragenden, alle in schwarzem Gewande und ohne Schmuck, die Söhne des Verstorbenen mit verhülltem Haupt, die Töchter ohne Schleier, die Verwandter. und Geschlechtsgenossen, die Freunde, Klienten: und Freigelassenen. So ging der Zug auf den Markt. Hier wurde die Leiche in die Höhe gerichtet; die Ahnen stiegen von den Wagen herab und ließen auf den kurulischen Stühlen sich nieder, und des verstorbenen Sohn oder der nächste Geschlechtsgenosse betrat die Rednerbühne, um in schlichter Aufzählung die Namen und Taten eines jeden der im Kreise herumsitzenden Männer und zuletzt die des jüngst Verstorbenen der versammelten Menge zu verlautbaren.

Man mag das Barbarensitte nennen, und eine künstlerisch empfindende Nation hätte freilich diese wunderliche Auferstehung der Toter, sicherlich nicht bis in die Epoche der voll entwickelten Zivilisation hinein ertragen; aber selbst sehr kühle und sehr wenig ehrfürchtig geartete Griechen, wie zum Beispiel Polybios, ließen doch durch die grandiose Naivität dieser Totenfeier sich imponieren. Zu der ernsten Feierlichkeit, zu dem gleichförmigen Zuge, zu der stolzen Würdigkeit des römischen Lebens gehörte es notwendig mit, daß die abgeschiedenen Geschlechter fortfuhren, gleichsam körperlich unter dem gegenwärtigen zu wandeln und daß, wenn ein Bürger, der Mühsal und der Ehren satt, zu seinen Vätern versammelt ward, diese Väter selbst auf dem Markte erschienen, um ihn in ihrer Mitte zu empfangen.

Aber man war jetzt an einem Wendepunkt angelangt. Soweit Roms Macht sich nicht mehr auf Italien beschränkte, sondern weithin nach Osten und Westen übergriff, war es auch mit der alten italischen Eigenartigkeit vorbei und trat an deren Stelle die hellenisierende Zivilisation. Zwar unter griechischem Einfluß hatte Italien gestanden, seit es überhaupt eine Geschichte hatte. Es ist früher dargestellt worden, wie das jugendliche Griechenland und das jugendliche Italien, beide mit einer gewissen Naivität und Originalität, geistige Anregungen gaben und empfingen; wie in späterer Zeit in mehr äußerlicher Weise Rom sich die Sprache und die Erfindungen der Griechen zum praktischen Gebrauche anzueignen bemüht war. Aber der Hellenismus der Römer dieser Zeit war dennoch in seinen Ursachen wie in seinen Folgen etwas wesentlich Neues. Man fing an, das Bedürfnis nach einem reicheren Geistesleben zu empfinden und vor der eigenen geistigen Nichtigkeit gleichsam zu erschrecken; und wenn selbst künstlerisch begabte Nationen, wie die englische und die deutsche, in den Pausen ihrer Produktivität es nicht verschmäht haben, sich der armseligen französischen Kultur als Lückenbüßer zu bedienen, so kann es nicht befremden, daß die italische jetzt sich mit brennendem Eifer auf die herrlichen Schätze wie auf den wüsten Unflat der geistigen Entwicklung von Hellas warf. Aber es war doch noch etwas Tieferes und Innerlicheres, was die Römer unwiderstehlich in den hellenischen Strudel hineinriß. Die hellenische Zivilisation nannte wohl noch sich hellenisch, aber sie war es nicht mehr, sondern vielmehr humanistisch und kosmopolitisch. Sie hatte auf dem geistigen Gebiete vollständig und bis zu einem gewissen Grade auch politisch das Problem gelöst, aus einer Masse verschiedener Nationen ein Ganzes zu gestalten; und indem dieselbe Aufgabe in weiteren Grenzen jetzt auf Rom überging, übernahm es mit der anderen Erbschaft Alexanders des Großen auch den Hellenismus. Darum ist derselbe jetzt weder bloß Anregung mehr noch Nebensache, sondern durchdringt das innerste Mark der italischen Nation. Natürlich sträubte die lebenskräftige italische Eigenartigkeit sich gegen das fremde Element. Erst nach dem heftigsten Kampfe räumte der italische Bauer dem weltbürgerlichen Großstädter das Feld; und wie bei uns der französische Frack den germanischen Deutschrock ins Leben gerufen hat, so hat auch der Rückschlag des Hellenismus in Rom eine Richtung erweckt, die sich in einer den früheren Jahrhunderten durchaus fremden Weise dem griechischen Einfluß prinzipiell opponierte und dabei ziemlich häufig in derbe Albernheiten und Lächerlichkeiten verfiel.

Es gab kein Gebiet des menschlichen Tuns und Sinnens, auf dem dieser Kampf der alten und der neuen Weise nicht geführt worden wäre. Selbst die politischen Verhältnisse wurden davon beherrscht. Das wunderliche Projekt, die Hellenen zu emanzipieren, dessen wohlverdienter Schiffbruch früher dargestellt ward; der verwandte gleichfalls hellenische Gedanke der Solidarität der Republiken den Königen gegenüber und die Propaganda hellenischer Politie gegen orientalische Despotie, welche beide zum Beispiel für die Behandlung Makedoniens mit maßgebend gewesen sind, sind die fixen Ideen der neuen Schule, eben wie die Karthagerfurcht die fixe Idee der alten war; und wenn Cato die letztere bis zur Lächerlichkeit gepredigt hat, so ward auch mit dem Philhellenentum hier und da wenigstens ebenso albern kokettiert – so zum Beispiel ließ der Besieger des Königs Antiochos nicht bloß sich in griechischer Tracht seine Bildsäule auf dem Kapitol errichten, sondern legte auch, statt auf gut lateinisch sich Asiaticus zu nennen, den freilich sinn- und sprachwidrigen, aber doch prächtigen und beinahe griechischen Beinamen Asiagenus sich zu82. Eine wichtigere Konsequenz dieser Stellung der herrschenden Nation zu dem Hellenentum war es, daß die Latinisierung in Italien überall, nur nicht den Hellenen gegenüber Boden gewann. Die Griechenstädte in Italien, soweit der Krieg sie nicht zernichtete, blieben griechisch. In Apulien, um das die Römer sich freilich wenig bekümmerten, scheint eben in dieser Epoche der Hellenismus vollständig durchgedrungen zu sein und die dortige lokale Zivilisation mit der verblühenden hellenischen sich ins Niveau gesetzt zu haben. Die Überlieferung schweigt zwar davon; aber die zahlreichen, durchgängig mit griechischer Aufschrift versehenen Stadtmünzen und die hier allein in Italien mehr schwunghaft und prächtig als geschmackvoll betriebene Fabrikation bemalter Tongefäße nach griechischer Art zeigen uns Apulien vollständig eingegangen in griechische Art und griechische Kunst.

Aber der eigentliche Kampfplatz des Hellenismus und seiner nationalen Antagonisten war in der gegenwärtigen Periode das Gebiet des Glaubens und der Sitte und der Kunst und Literatur; und es darf nicht unterlassen werden, von dieser freilich in tausenderlei Richtungen zugleich sich bewegenden und schwer zu einer Anschauung zusammenzufassenden großen Prinzipienfehde eine Darstellung zu versuchen.

Wie der alte einfache Glaube noch jetzt in den Italikern lebendig war, zeigt am deutlichsten die Bewunderung oder Verwunderung, welche dies Problem der italischen Frömmigkeit bei den hellenischen Zeitgenossen erregte. Bei dem Zwiste mit den Ätolern bekam es der römische Oberfeldherr zu hören, daß er während der Schlacht nichts getan habe als wie ein Pfaffe beten und opfern; wogegen Polybios mit seiner etwas platten Gescheitheit seine Landsleute auf die politische Nützlichkeit dieser Gottesfurcht aufmerksam macht und sie belehrt, daß der Staat nun einmal nicht aus lauter klugen Leuten bestehen könne und dergleichen Zeremonien um der Menge willen sehr zweckmäßig seien.

Aber wenn man in Italien noch besaß, was in Hellas längst eine Antiquität war, eine nationale Religion, so fing sie doch schon sichtlich an, sich zur Theologie zu verknöchern. In nichts vielleicht tritt die beginnende Erstarrung des Glaubens so bestimmt hervor wie in den veränderten ökonomischen Verhältnissen des Gottesdienstes und der Priesterschaft. Der öffentliche Gottesdienst wurde nicht bloß immer weitschichtiger, sondern vor allem auch immer kostspieliger. Lediglich zu dem wichtigen Zweck, die Ausrichtung der Götterschmäuse zu beaufsichtigen, wurde im Jahre 558 (196) zu den drei alten Kollegien der Augurn, Pontifices und Orakelbewahrer ein viertes der drei Schmausherren (tres viri epulones) hinzugefügt. Billig schmausen nicht bloß die Götter, sondern auch ihre Priester; neuer Stiftungen indes bedurfte es hierfür nicht, da ein jedes Kollegium sich seiner Schmausangelegenheiten mit Eifer und Andacht befliß. Neben den klerikalen Gelagen fehlt auch die klerikale Immunität nicht. Die Priester nahmen selbst in Zeiten schwerer Bedrängnis es als ihr Recht in Anspruch, zu den öffentlichen Abgaben nicht beizutragen und ließen erst nach sehr ärgerlichen Kontroversen sich zur Nachzahlung der rückständigen Steuern zwingen (558 196). Wie für die Gemeinde wurde auch für den einzelnen Mann die Frömmigkeit mehr und mehr ein kostspieliger Artikel. Die Sitte der Stiftungen und überhaupt der Übernahme dauernder pekuniärer Verpflichtungen zu religiösen Zwecken war bei den Römern in ähnlicher Weise wie heutzutage in den katholischen Ländern verbreitet; diese Stiftungen, namentlich seit sie von der höchsten geistlichen und zugleich höchsten Rechtsautorität der Gemeinde, den Pontifices, als eine auf jeden Erben und sonstigen Erwerber des Gutes von Rechts wegen übergehende Reallast betrachtet wurden, fingen an, eine höchst drückende Vermögenslast zu werden – „Erbschaft ohne Opferschuld“ ward bei den Römern sprichwörtlich gesagt, etwa wie bei uns „Rose ohne Dornen“. Das Gelübde des Zehnten der Habe wurde so gemein, daß jeden Monat ein paar Male infolgedessen auf dem Rindermarkt in Rom öffentliches Gastgebot abgehalten ward. Mit dem orientalischen Kult der Göttermutter gelangten unter anderem gottseligen Unfug auch die jährlich an festen Tagen wiederkehrenden, von Haus zu Haus geheischten Pfennigkollekten (stipem cogere) nach Rom. Endlich die untergeordnete Priester- und Prophetenschaft gab wie billig nichts für nichts; und es ist ohne Zweifel aus dem Leben gegriffen, wenn auf der römischen Bühne in der ehelichen Gardinenkonversation neben der Küchen-, Hebammen- und Präsentenrechnung auch das fromme Konto mit erscheint:

Gleichfalls, Mann, muß ich was haben auf den nächsten Feiertag
Für die Küsterin, für die Wahrsagerin, für die Traum- und die kluge Frau;
Sähst du nur, wie die mich anguckt! Eine Schand‘ ist’s, schick‘ ich nichts.
Auch der Opferfrau durchaus mal geben muß ich ordentlich.

Man schuf zwar in dieser Zeit in Rom nicht wie früher einen Silber- so jetzt einen Goldgott; aber in der Tat regierte er dennoch in den höchsten wie in den niedrigsten Kreisen des religiösen Lebens. Der alte Stolz der latinischen Landesreligion, die Billigkeit ihrer ökonomischen Anforderungen, war unwiederbringlich dahin. Aber gleichzeitig war es auch mit der alten Einfachheit aus. Das Bastardkind von Vernunft und Glauben, die Theologie, war bereits geschäftig, die ihr eigene beschwerliche Weitläufigkeit und feierliche Gedankenlosigkeit in den alten Landesglauben hinein und dessen Geist damit auszutreiben. Der Katalog der Verpflichtungen und Vorrechte des Jupiterpriesters zum Beispiel könnte füglich im Talmud stehen. Mit der natürlichen Regel, daß nur die fehlerlos verrichtete religiöse Pflicht den Göttern genehm sei, trieb man es praktisch so weit, daß ein einzelnes Opfer wegen wieder und wieder begangener Versehen bis dreißigmal hintereinander wiederholt wird, daß die Spiele, die ja auch Gottesdienst waren, wenn der leitende Beamte sich versprochen oder vergriffen oder die Musik einmal eine unrichtige Pause gemacht hatte, als nicht geschehen galten und von vorne, oft mehrere, ja bis zu sieben Malen hintereinander wieder begonnen werden maßten. In dieser Übertreibung der Gewissenhaftigkeit liegt an sich schon ihre Erstarrung; und die Reaktion dagegen, die Gleichgültigkeit und der Unglaube ließen auch nicht auf sich warten. Schon im Ersten Punischen Kriege (505 249) kam es vor, daß mit den vor der Schlacht zu befragenden Auspizien der Konsul selber offenkundigen Spott trieb – freilich ein Konsul aus dem absonderlichen und im Guten und Bösen der Zeit voraneilenden Geschlecht der Claudier. Gegen das Ende dieser Epoche werden schon Klagen laut, daß die Augurallehre vernachlässigt werde und daß, mit Cato zu reden, eine Menge alter Vogelkunden und Vogelschauungen durch die Trägheit des Kollegiums in Vergessenheit geraten sei. Ein Augur wie Lucius Paullus, der in dem Priestertum eine Wissenschaft und nicht einen Titel sah, war bereits eine seltene Ausnahme und mußte es auch wohl sein, wenn die Regierung immer offener und ungescheuter die Auspizien zur Durchsetzung ihrer politischen Absichten benutzte, das heißt die Landesreligion nach Polybios‘ Auffassung als einen zur Prellung des großen Publikums brauchbaren Aberglauben behandelte. Wo also vorgearbeitet war, fand die hellenistische Irreligiosität offene Bahn. Mit der beginnenden Kunstliebhaberei fingen schon zu Catos Zeit die heiligen Bildnisse der Götter an, die Zimmer der Reichen gleich anderem Hausgerät zu schmücken. Gefährlichere Wunden schlug der Religion die beginnende Literatur. Zwar offene Angriffe durfte sie nicht wagen, und was geradezu durch sie zu den religiösen Vorstellungen hinzukam, wie zum Beispiel durch Ennius, der in Nachbildung des griechischen Uranos dem römischen Saturnus geschöpfte Vater Caelus, war wohl auch hellenistisch, aber nicht von großer Bedeutung. Folgenreich dagegen war die Verbreitung der Epicharmischen und Euhemeristischen Lehren in Rom. Die poetische Philosophie, welche die späteren Pythagoreer aus den Schriften des alten sizilischen Lustspieldichters Epicharmos von Megara (um 280 470) ausgezogen oder vielmehr, wenigstens größtenteils, ihm untergeschoben hatten, sah in den griechischen Göttern Natursubstanzen, in Zeus die Luft, in der Seele ein Sonnenstäubchen und so weiter; insofern diese Naturphilosophie, ähnlich wie in späterer Zeit die stoische Lehre, in ihren allgemeinsten Grundzügen der römischen Religion wahlverwandt war, war sie geeignet, die allegorisierende Auflösung der Landesreligion einzuleiten. Eine historisierende Zersetzung der Religion lieferten die „heiligen Memoiren“ des Euhemeros von Messene (um 450 300), die in Form von Berichten über die von dem Verfasser in das wunderbare Ausland getanen Reisen die von den sogenannten Göttern umlaufenden Nachrichten gründlich und urkundlich sichteten und im Resultat darauf hinausliefen, daß es Götter weder gegeben habe noch gebe. Zur Charakteristik des Buches mag das eine genügen, daß die Geschichte von Kronos‘ Kinderverschlingung erklärt wird aus der in ältester Zeit bestehenden und durch König Zeus abgeschafften Menschenfresserei. Trotz oder auch durch seine Plattheit und Tendenzmacherei machte das Produkt in Griechenland ein unverdientes Glück und half in Gemeinschaft mit den gangbaren Philosophien dort die tote Religion begraben. Es ist ein merkwürdiges Zeichen des ausgesprochenen und wohlbewußten Antagonismus zwischen der Religion und der neuen Literatur, daß bereits Ennius diese notorisch destruktiven Epicharmischen und Euhemeristischen Schriften ins Lateinische übertrug. Die Übersetzer mögen vor der römischen Polizei sich damit gerechtfertigt haben, daß die Angriffe sich nur gegen die griechischen und nicht gegen die latinischen Götter wandten; aber die Ausrede war ziemlich durchsichtig. In seinem Sinne hatte Cato ganz recht, diese Tendenzen, wo immer sie ihm vorkamen, ohne Unterschied mit der ihm eigenen Bitterkeit zu verfolgen und auch den Sokrates einen Sittenverderber und Religionsfrevler zu heißen.

So ging es mit der alten Landesreligion zusehends auf die Neige; und wie man die mächtigen Stämme des Urwaldes rodete, bedeckte sich der Boden mit wucherndem Domgestrüpp und bis dahin nicht gesehenem Unkraut. Inländischer Aberglaube und ausländische Afterweisheit gingen buntscheckig durch-, neben- und gegeneinander. Kein italischer Stamm blieb frei von der Umwandlung alten Glaubens in neuen Aberglauben. Wie bei den Etruskern die Gedärme- und Blitzweisheit, so stand bei den Sabellern, besonders den Marsern, die freie Kunst des Vogelguckens und Schlangenbeschwörens in üppigem Flor. Sogar bei der latinischen Nation, ja in Rom selbst begegnen, obwohl hier verhältnismäßig am wenigsten, doch auch ähnliche Erscheinungen – so die praenestinischen Spruchlose und in Rom im Jahre 573 (181) die merkwürdige Entdeckung des Grabes und der hinterlassenen Schriften des Königs Numa, welche ganz unerhörten und seltsamen Gottesdienst vorgeschrieben haben sollen. Mehr als dies und daß die Bücher sehr neu ausgesehen hätten, erfuhren die Glaubensdurstigen zu ihrem Leidwesen nicht; denn der Senat legte die Hand auf den Schatz und ließ die Rollen kurzweg ins Feuer werfen. Die inländische Fabrikation reichte also vollkommen aus, um jeden billigerweise zu verlangenden Bedarf von Unsinn zu decken; allein man war weit entfernt, sich daran genügen zu lassen. Der damalige, bereits denationalisierte und von orientalischer Mystik durchdrungene Hellenismus brachte wie den Unglauben so auch den Aberglauben in seinen ärgerlichsten und gefährlichsten Gestaltungen nach Italien, und eben als ausländischer hatte dieser Schwindel noch einen ganz besonderen Reiz. Die chaldäischen Astrologen und Nativitätensteller waren schon im sechsten Jahrhundert durch ganz Italien verbreitet; noch weit bedeutender aber, ja weltgeschichtlich epochemachend war die Aufnahme der phrygischen Göttermutter unter die öffentlich anerkannten Götter der römischen Gemeinde, zu der die Regierung während der letzten bangen Jahre des Hannibalischen Krieges (550 204) sich hatte verstehen müssen. Es ging deswegen eine eigene Gesandtschaft nach Pessinus, einer Stadt des kleinasiatischen Keltenlandes, und der raube Feldstein, den die dortige Priesterschaft als die richtige Mutter Kybele den Fremden freigebig verehrte, ward mit unerhörtem Gepränge von der Gemeinde eingeholt, ja es wurden zur ewigen Erinnerung an das fröhliche Ereignis unter den höheren Ständen Klubgesellschaften mit umgehender Bewirtung der Mitglieder untereinander gestiftet, welche das beginnende Cliquentreiben wesentlich gefördert zu haben scheinen. Mit der Konzessionierung dieses Kybelekultes fußte die Gottesverehrung der Orientalen offiziell Fuß in Rom, und wenn auch die Regierung noch streng darauf hielt, daß die Kastratenpriester der neuen Götter Kelten (Galli), wie sie hießen, auch blieben und noch kein römischer Bürger zu diesem frommen Eunuchentum sich hergab, so mußte dennoch der wüste Apparat der „Großen Mutter“, diese, mit dem Obereunuchen an der Spitze unter fremdländischer Musik von Pfeifen und Pauken in orientalischer Kleiderpracht durch die Gassen aufziehende und von Haus zu Haus bettelnde Priesterschaft und das ganze sinnlich-mönchische Treiben vom wesentlichsten Einfluß auf die Stimmung und Anschauung des Volkes sein. Wohin das führte, zeigte sich nur zu rasch und nur zu schrecklich. Wenige Jahre später (568 186) kam eine Muckerwirtschaft der scheußlichsten Art bei den römischen Behörden zur Anzeige, eine geheime nächtliche Feier zu Ehren des Gottes Bakchos, die durch einen griechischen Pfaffen zuerst nach Etrurien gekommen war und, wie ein Krebsschaden um sich fressend, sich rasch nach Rom und über ganz Italien verbreitet, überall die Familien zerrüttet und die ärgsten Verbrechen, unerhörte Unzucht, Testamentsfälschungen, Giftmorde hervorgerufen hatte. Über 7000 Menschen wurden deswegen kriminell, großenteils mit dem Tode bestraft und strenge Vorschriften für die Zukunft erlassen; dennoch gelang es nicht, der Wirtschaft Herr zu werden, und sechs Jahre später (574 180) klagte der betreffende Beamte, daß wieder 3000 Menschen verurteilt seien und noch kein Ende sich absehen lasse.

Natürlich waren in der Verdammung dieser ebenso unsinnigen wie gemeinschädlichen Afterfrömmigkeit alle vernünftigen Leute sich einig; die altgläubigen Frommen wie die Angehörigen der hellenischen Aufklärung trafen hier im Spott wie im Ärger zusammen. Cato setzte seinem Wirtschafter in die Instruktion, „daß er ohne Vorwissen und Auftrag des Herrn kein Opfer darbringen noch für sich darbringen lassen solle außer an dem Hausherd und am Flurfest auf dem Fluraltar, und daß er nicht sich Rats erholen dürfe weder bei einem Eingeweidebeschauer noch bei einem klugen Mann noch bei einem Chaldäer“. Auch die bekannte Frage, wie nur der Priester es anfange, das Lachen zu verbeißen, wenn er seinem Kollegen begegne, ist ein Catonisches Wort und ursprünglich auf den etruskischen Gedärmebetrachter angewandt worden. Ziemlich in demselben Sinn schilt Ennius in echt euripideischem Stil auf die Bettelpropheten und ihren Anhang:

Diese abergläubischen Pfaffen, dieses freche Prophetenpack,
Die verrückt und die aus Faulheit, die gedrängt von Hungerpein,
Wollen andern Wege weisen, die sie sich nicht finden aus,
Schenken Schätze dem, bei dem sie selbst den Pfennig betteln gehn.

Aber in solchen Zeiten hat die Vernunft von vornherein gegen die Unvernunft verlorenes Spiel. Die Regierung schritt freilich ein; die frommen Preller wurden polizeilich gestraft und ausgewiesen, jede ausländische nicht besonders konzessionierte Gottesverehrung untersagt, selbst die Befragung des verhältnismäßig unschuldigen Spruchorakels in Praeneste noch 512 (242) von Amts wegen verhindert und, wie schon gesagt ward, das Muckerwesen streng verfolgt. Aber wenn die Köpfe einmal gründlich verrückt sind, so setzt auch der höhere Befehl sie nicht wieder in die Richte. Wieviel die Regierung dennoch nachgeben mußte oder wenigstens nachgab, geht gleichfalls aus dem Gesagten hervor. Die römische Sitte, die etruskischen Weisen in vorkommenden Fällen von Staats wegen zu befragen und deshalb auch auf die Fortpflanzung der etruskischen Wissenschaft in den vornehmen etruskischen Familien von Regierungs wegen hinzuwirken, sowie die Gestattung des nicht unsittlichen und auf die Frauen beschränkten Geheimdienstes der Demeter mögen wohl noch der älteren, unschuldigen und verhältnismäßig gleichgültigen Übernahme ausländischer Satzungen beizuzählen sein. Aber die Zulassung des Göttermutterdienstes ist ein arges Zeichen davon, wie schwach dem neuen Aberglauben gegenüber sich die Regierung fühlte, vielleicht auch davon, wie tief er in sie selber eingedrungen war; und ebenso ist es entweder eine unverzeihliche Nachlässigkeit oder etwas noch Schlimmeres, daß gegen eine Wirtschaft, wie die Bacchanalien waren, erst so spät und auch da noch auf eine zufällige Anzeige hin von den Behörden eingeschritten ward.

Wie nach der Vorstellung der achtbaren Bürgerschaft dieser Zeit das römische Privatleben beschaffen sein sollte, läßt sich im wesentlichen abnehmen aus dem Bilde, das uns von dem des älteren Cato überliefert worden ist. Wie tätig Cato als Staatsmann, Sachwalter, Schriftsteller und Spekulant auch war, so war und blieb das Familienleben der Mittelpunkt seiner Existenz – besser ein guter Ehemann sein, meinte er, als ein großer Senator. Die häusliche Zucht war streng. Die Dienerschaft durfte nicht ohne Befehl das Haus verlassen noch über die häuslichen Vorgänge mit Fremden schwatzen. Schwerere Strafen wurden nicht mutwillig auferlegt, sondern nach einer gleichsam gerichtlichen Verhandlung zuerkannt und vollzogen; wie scharf es dabei herging, kann man daraus abnehmen, daß einer seiner Sklaven wegen eines ohne Auftrag von ihm abgeschlossenen und dem Herrn zu Ohren gekommenen Kaufhandels sich erhing. Wegen leichter Vergehen, zum Beispiel bei Beschickung der Tafel vorgekommener Versehen, pflegte der Konsular dem Fehlbaren die verwirkten Hiebe nach Tische eigenhändig mit dem Riemen aufzuzählen. Nicht minder streng hielt er Frau und Kinder in Zucht, aber in anderer Art; denn an die erwachsenen Kinder und an die Frau Hand anzulegen wie an die Sklaven, erklärte er für sündhaft. Bei der Wahl der Frau mißbilligte er die Geldheiraten und empfahl, auf gute Herkunft zu sehen, heiratete übrigens selbst im Alter die Tochter eines seiner armen Klienten. Übrigens nahm er es mit der Enthaltsamkeit auf Seiten des Mannes so, wie man es damit überall in Sklavenländern nimmt; auch galt ihm die Ehefrau durchaus nur als ein notwendiges Übel. Seine Schriften fließen über von Scheltreden gegen das schwatzhafte, putzsüchtige, unregierliche schöne Geschlecht; „überlästig und hoffärtig sind die Frauen alle“ – meinte der alte Herr – und „wären die Menschen der Weiber los, so möchte unser Leben wohl minder gottlos sein“. Dagegen war die Erziehung der ehelichen Kinder ihm Herzens- und Ehrensache und die Frau in seinen Augen eigentlich nur der Kinder wegen da. Sie nährte in der Regel selbst, und wenn sie ihre Kinder an der Brust von Sklavinnen saugen ließ, so legte sie dafür auch wohl selbst deren Kinder an die eigene Brust – einer der wenigen Züge, worin das Bestreben hervortritt, durch menschliche Beziehungen, Muttergemeinschaft und Milchbrüderschaft die Institution der Sklaverei zu mildern. Bei dem Waschen und Wickeln der Kinder war der alte Feldherr, wenn irgend möglich, selber zugegen. Mit Ehrfurcht wachte er über die kindliche Unschuld; wie in Gegenwart der vestalischen Jungfrauen, versichert er, habe er in Gegenwart seiner Kinder sich gehütet, ein schändliches Wort in den Mund zu nehmen und nie vor den Augen seiner Tochter die Mutter umfaßt, außer wenn diese bei einem Gewitter in Angst geraten sei. Die Erziehung seines Sohnes ist wohl der schönste Teil seiner mannigfaltigen und vielfach ehrenwerten Tätigkeit. Seinem Grundsatz getreu, daß der rotbackige Bube besser tauge als der blasse, leitete der alte Soldat seinen Knaben selbst zu allen Leibesübungen an und lehrte ihn ringen, reiten, schwimmen und fechten und Hitze und Frost ertragen. Aber er empfand auch sehr richtig, daß die Zeit vorbei war, wo der Römer damit auskam, ein tüchtiger Bauer und Soldat zu sein, und ebenso den nachteiligen Einfluß, den es auf das Gemüt des Knaben haben mußte, wenn er in dem Lehrer, der ihn gescholten und gestraft und ihm Ehrerbietung abgewonnen hatte, späterhin einen Sklaven erkannte. Darum lehrte er selbst den Knaben, was der Römer zu lernen pflegte, lesen und schreiben und das Landrecht kennen; ja er arbeitete noch in späten Jahren sich in die allgemeine Bildung der Hellenen soweit hinein, daß er imstande war, das, was er daraus dem Römer brauchbar erachtete, seinem Sohn in der Muttersprache zu überliefern. Auch seine ganze Schriftstellerei war zunächst auf den Sohn berechnet, und sein Geschichtswerk schrieb er für diesen mit großen deutlichen Buchstaben eigenhändig ab. Er lebte schlicht und sparsam. Seine strenge Wirtschaftlichkeit litt keine Luxusausgaben. Kein Sklave durfte ihn mehr kosten als 1500 (460 Taler), kein Kleid mehr als 100 Denare (30 Taler); in seinem Haus sah man keinen Teppich und lange Zeit an den Zimmerwänden keine Tünche. Für gewöhnlich aß und trank er dieselbe Kost mit seinem Gesinde und litt nicht, daß die Mahlzeit über 30 Asse (21 Groschen) an baren Auslagen zu stehen kam; im Kriege war sogar der Wein durchgängig von seinem Tisch verbannt und trank er Wasser oder nach Umständen Wasser mit Essig gemischt. Dagegen war er kein Feind von Gastereien; sowohl mit seiner Klubgesellschaft in der Stadt als auch auf dem Lande mit seinen Gutsnachbarn saß er gern und lange bei Tafel, und wie seine mannigfaltige Erfahrung und sein schlagfertiger Witz ihn zu einem beliebten Gesellschafter machten, so verschmähte er auch weder die Würfel noch die Flasche, teilte sogar in seinem Wirtschaftsbuch unter anderen Rezepten ein erprobtes Hausmittel mit für den Fall, daß man eine ungewöhnlich starke Mahlzeit und einen allzutiefen Trunk getan. Sein ganzes Sein bis ins höchste Alter hinauf war Tätigkeit. Jeder Augenblick war eingeteilt und ausgefüllt, und jeden Abend pflegte er bei sich zu rekapitulieren, was er den Tag über gehört, gesagt und getan hatte. So blieb denn Zeit für die eigenen Geschäfte wie für die der Bekannten und der Gemeinde und nicht minder für Gespräch und Vergnügen; alles ward rasch und ohne viel Reden abgetan, und in echtem Tätigkeitsinn war ihm nichts so verhaßt als die Vielgeschäftigkeit und die Wichtigtuerei mit Kleinigkeiten.

So lebte der Mann, der den Zeitgenossen und den Nachkommen als der rechte römische Musterbürger galt und in dem, gegenüber dem griechischen Müßiggang und der griechischen Sittenlosigkeit, die römische, allerdings etwas grobdrähtige Tätigkeit und Bravheit gleichsam verkörpert erschienen – wie denn ein später römischer Dichter sagt:

Nichts ist an der fremden Sitt‘ als tausendfache Schwindelei;
Besser als der römische Bürger führt sich keiner auf der Welt;
Mehr als hundert Sokratesse gilt der eine Cato mir.

Solche Urteile wird die Geschichte nicht unbedingt sich aneignen; aber wer die Revolution ins Auge faßt, welche der entartete Hellenismus dieser Zeit in dem Leben und Denken der Römer vollzog, wird geneigt sein, die Verurteilung der fremden Sitte eher zu schärfen als zu mildern.

Die Bande der Familie lockerten sich mit grauenvoller Geschwindigkeit. Pestartig griff die Grisetten- und Buhlknabenwirtschaft um sich, und wie die Verhältnisse lagen, war es nicht einmal möglich, gesetzlich dagegen. etwas Wesentliches zu tun – die hohe Steuer, welche Cato als Zensor (570 184) auf diese abscheulichste Gattung der Luxussklaven legte, wollte nicht viel bedeuten und ging überdies ein paar Jahre darauf mit der Vermögenssteuer überhaupt tatsächlich ein. Die Ehelosigkeit, über die schon zum Beispiel im Jahre 520 (234) schwere Klage geführt ward, und die Ehescheidungen nahmen natürlich im Verhältnis zu. Im Schoße der vornehmsten Familien kamen grauenvolle Verbrechen vor, wie zum Beispiel der Konsul Gaius Calpurnius Piso von seiner Gemahlin und seinem Stiefsohn vergiftet ward, um eine Nachwahl zum Konsulat herbeizuführen und dadurch dem letzeren das höchste Amt zu verschaffen, was auch gelang (574 180). Es beginnt ferner die Emanzipation der Frauen. Nach alter Sitte stand die verheiratete Frau von Rechts wegen unter der eheherrlichen, mit der väterlichen gleichstehenden Gewalt, die unverheiratete unter der Vormundschaft ihrer nächsten männlichen Agnaten, die der väterlichen Gewalt wenig nachgab; eigenes Vermögen hatte die Ehefrau nicht, die vaterlose Jungfrau und die Witwe wenigstens nicht dessen Verwaltung. Aber jetzt fingen die Frauen an, nach vermögensrechtlicher Selbständigkeit zu streben und teils auf Advokatenschleichwegen, namentlich durch Scheinehen, sich der agnatischen Vormundschaft entledigend die Verwaltung ihres Vermögens selbst in die Hand zu nehmen, teils bei der Verheiratung sich auf nicht viel bessere Weise der nach der Strenge des Rechts notwendigen eheherrlichen Gewalt zu entziehen. Die Masse von Kapital, die in den Händen der Frauen sich zusammenfand, schien den Staatsmännern der Zeit so bedenklich, daß man zu dem exorbitanten Mittel griff, die testamentarische Erbeseinsetzung der Frauen gesetzlich zu untersagen (585 169), ja sogar durch eine höchst willkürliche Praxis auch die ohne Testament auf Frauen fallenden Kollateralerbschaften denselben größtenteils zu entziehen. Ebenso wurden die Familiengerichte über die Frau, die an jene eheherrliche und vormundschaftliche Gewalt anknüpften, praktisch mehr und mehr zur Antiquität. Aber auch in öffentlichen Dingen fingen die Frauen schon an, einen Willen zu haben und gelegentlich, wie Cato meinte, „die Herrscher der Welt zu beherrschen“; in der Bürgerschaftsversammlung war ihr Einfluß zu spüren, ja es erhoben sich bereits in den Provinzen Statuen römischer Damen.

Die Üppigkeit stieg in Tracht, Schmuck und Gerät, in den Bauten und in der Tafel; namentlich seit der Expedition nach Kleinasien im Jahre 564 (190) trug der asiatisch-hellenische Luxus, wie er in Ephesos und Alexandreia herrschte, sein leeres Raffinement und seine geld-, tag- und freudenverderbende Kleinkrämerei über nach Rom. Auch hier waren die Frauen voran; sie setzten es trotz Catos eifrigem Schelten durch, daß der bald nach der Schlacht von Cannae (539 215) gefaßte Bürgerschaftsbeschluß, welcher ihnen den Goldschmuck, die bunten Gewänder und die Wagen untersagte, nach dem Frieden mit Karthago (559 195) wieder aufgehoben ward; ihrem eifrigen Gegner blieb nichts übrig, als auf diese Artikel eine hohe Steuer zu legen (570 184). Eine Masse neuer und größtenteils frivoler Gegenstände, zierlich figuriertes Silbergeschirr, Tafelsofas mit Bronzebeschlag, die sogenannten attalischen Gewänder und Teppiche von schwerem Goldbrokat fanden jetzt ihren Weg nach Rom. Vor allem war es die Tafel, um die dieser neue Luxus sich drehte. Bisher hatte man ohne Ausnahme nur einmal am Tage warm gegessen; jetzt wurden auch bei dem zweiten Frühstück (prandium) nicht selten warme Speisen aufgetragen, und für die Hauptmahlzeit reichten die bisherigen zwei Gänge nicht mehr aus. Bisher hatten die Frauen im Hause das Brotbacken und die Küche selber beschafft und nur bei Gastereien hatte man einen Koch von Profession besonders gedungen, der dann Speisen wie Gebäck gleichmäßig besorgte. Jetzt dagegen begann die wissenschaftliche Kochkunst. In den guten Häusern ward ein eigener Koch gehalten. Die Arbeitsteilung ward notwendig, und aus dem Küchenhandwerk zweigte das des Brot- und Kuchenbackens sich ab – um 583 (171) entstanden die ersten Bäckerläden in Rom. Gedichte über die Kunst, gut zu essen, mit langen Verzeichnissen der essenswertesten Seefische und Meerfrüchte fanden ihr Publikum; und es blieb nicht bei der Theorie. Ausländische Delikatessen, pontische Sardellen, griechischer Wein fingen an, in Rom geschätzt zu werden, und Catos Rezept, dem gewöhnlichen Landwein mittels Salzlake den Geschmack des koischen zu geben, wird den römischen Weinhändlern schwerlich erheblichen Abbruch getan haben. Das alte ehrbare Singen und Sagen der Gäste und ihrer Knaben wurde verdrängt durch die asiatischen Harfenistinnen. Bis dahin hatte man in Rom wohl bei der Mahlzeit tapfer getrunken, aber eigentliche Trinkgelage nicht gekannt; jetzt kam das förmliche Kneipen in Schwung, wobei der Wein wenig oder gar nicht gemischt und aus großen Bechern getrunken ward und das Vortrinken mit obligater Nachfolge regierte, das „griechisch Trinken“ (Graeco more bibere) oder „griechen“ (pergraecari, congraecare), wie die Römer es nennen. Im Gefolge dieser Zechwirtschaft nahm das Würfelspiel, das freilich bei den Römern längst üblich war, solche Verhältnisse an, daß die Gesetzgebung es nötig fand, dagegen einzuschreiten. Die Arbeitsscheu und das Herumlungern griffen zusehends um sich83

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Schon verdarb nicht mehr bloß die hellenische Ansteckung die römischen Sitten, sondern umgekehrt fingen die Schüler an, die Lehrmeister zu demoralisieren. Die Fechterspiele, die in Griechenland unbekannt waren, führte König Antiochos Epiphanes (579-590 175-164), der Römeraffe von Profession, zuerst am syrischen Hofe ein, und obwohl sie dem menschlicheren und kunstsinnigeren griechischen Publikum anfangs mehr Abscheu als Freude erregten, so hielten sie sich doch dort ebenfalls und kamen allmählich in weiteren Kreisen in Gebrauch.

Selbstverständlich hatte diese Revolution in Leben und Sitte auch eine ökonomische Revolution in ihrem Gefolge. Die Existenz in der Hauptstadt ward immer begehrter wie immer kostspieliger. Die Mieten stiegen zu unerhörter Höhe. Die neuen Luxusartikel wurden mit Schwindelpreisen bezahlt; das Fäßchen Sardellen aus dem Schwarzen Meer mit 1600 Sesterzen (120 Taler) höher als ein Ackerknecht, ein hübscher Knabe mit 24000 Sesterzen (1800 Taler) höher als mancher Bauernhof. Geld also und nichts als Geld war die Losung für hoch und niedrig. Schon lange tat in Griechenland niemand etwas umsonst, wie die Griechen selber mit unlöblicher Naivität einräumten; seit dem Zweiten Makedonischen Krieg fingen die Römer an, auch in dieser Hinsicht zu hellenisieren. Die Respektabilität mußte mit gesetzlichen Notstützen versehen und zum Beispiel durch Volksschluß den Sachwaltern untersagt werden, für ihre Dienste Geld zu nehmen; eine schöne Ausnahme machten nur die Rechtsverständigen, die bei ihrer ehrbaren Sitte, guten Rat umsonst zu geben, nicht durch Bürgerbeschluß festgehalten zu werden brauchten. Man stahl womöglich nicht geradezu; aber alle krummen Wege, zu schnellem Reichtum zu gelangen, schienen erlaubt: Plünderung und Bettel, Lieferantenbetrug und Spekulantenschwindel, Zins- und Kornwucher, selbst die ökonomische Ausnutzung rein sittlicher Verhältnisse wie der Freundschaft und der Ehe. Vor allem die letztere wurde auf beiden Seiten Gegenstand der Spekulation; Geldheiraten waren gewöhnlich und es zeigte sich nötig, den Schenkungen, welche die Ehegatten sich untereinander machten, die rechtliche Gültigkeit abzuerkennen. Daß unter Verhältnissen dieser Art Pläne zur Anzeige kamen, die Hauptstadt an allen Ecken anzuzünden, kann nicht befremden. Wenn der Mensch keinen Genuß mehr in der Arbeit findet und bloß arbeitet, um so schnell wie möglich zum Genuß zu gelangen, so ist es nur ein Zufall, wenn er kein Verbrecher wird. Alle Herrlichkeiten der Macht und des Reichtums hatte das Schicksal über die Römer mit voller Hand ausgeschüttet; aber wahrlich, die Pandorabüchse war eine Gabe von zweifelhaftem Wert.

  1. Daß Asiagenus die ursprüngliche Titulatur des Helden von Magnesia und seiner Deszendenten war, ist durch Münzen und Inschriften festgestellt; wenn die kapitolinischen Fasten ihn Asiaticus nennen, so stellt sich dies zu den mehrfach vorkommenden Spuren nicht gleichzeitiger Redaktion. Es kann jener Beiname nichts sein als eine Korruption von Ασιαγένης. wie auch spätere Schriftsteller wohl dafür schreiben, was aber nicht den Sieger von Asia bezeichnet, sondern den geborenen Asiaten.
  2. Eine Art Parabase in dem Plautinischen ‚Curculio‘ schildert das derzeitige Treiben auf dem hauptstädtischen Markte, zwar mit wenig Witz, aber mit großer Anschaulichkeit:
  3. Laßt euch weisen, welchen Orts ihr welche Menschen finden mögt,
    Daß nicht seine Zeit verliere, wer von euch zu sprechen wünscht
    Einen rechten oder schlechten, guten oder schlimmen Mann.
    Suchst Du einen Eidesfälscher? auf die Dingstatt schick‘ ich Dich.
    Einen Lügensack und Prahlhans? geh zur Cluacina hin.
    [Reiche wüste Ehemänner sind zu haben im Bazar;
    Auch der Lustknab‘ ist zu Haus dort und wer auf Geschäftchen paßt.]
    Doch am Fischmarkt sind, die gehen kneipen aus gemeinem Topf.
    Brave Männer, gute Zahler wandeln auf dem untern Markt,
    In der Mitt‘ am Graben aber die, die nichts als Schwindler sind.
    Dreiste Schwätzer, böse Buben stehn zusammen am Bassin;
    Mit der frechen Zunge schimpfen sie um nichts die Leute aus
    Und doch liefern wahrlich selber gnug, das man rügen mag.
    Unter den alten Buden sitzen, welche Geld auf Zinsen leihn;
    Unterm Kastortempel, denen rasch zu borgen schlecht bekommt;
    Auf der Tuskergasse sind die Leute, die sich bieten feil;
    Im Velabrum hat es Bäcker, Fleischer, Opferpfaffen auch,
    Schuldner den Termin verlängernd, Wuchrer verhelfend zum Ganttermin:
    Reiche wüste Ehemänner bei Leucadia Oppia.
  4. Die eingeklammerten Verse sind ein späterer, erst nach Erbauung des ersten römischen Basars (570 184) eingelegter Zusatz.
  5. Mit dem Geschäft des Bäckers (pistor, wörtlich Müller) war in dieser Zeit Delikatessenverkauf und Kneipgelegenheit verbunden (Fest. v. alicariae p. 7 Müller; Plaut. Capt. 160; Poen. 1, 2, 54; Trin. 407). Dasselbe gilt von den Fleischern. Leucadia Oppia mag ein schlechtes Haus gehalten haben.

1. Kapitel


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Karthago

Der semitische Stamm steht inmitten und doch auch außerhalb der Völker der alten klassischen Welt. Der Schwerpunkt liegt für jenen im Osten, für diese am Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wanderung die Grenze verschoben und die Stämme durcheinanderwarfen, immer schied und scheidet ein tiefes Gefühl der Fremdartigkeit die indogermanischen Völker von den syrischen, israelitischen, arabischen Nationen. Dies gilt auch von demjenigen semitischen Volke, das mehr als irgendein anderes gegen Westen sich ausgebreitet hat, von den Phönikern. Ihre Heimat ist der schmale Küstenstreif zwischen Kleinasien, dem syrischen Hochland und Ägypten, die Ebene genannt, das heißt Kanaan. Nur mit diesem Namen hat die Nation sich selber genannt – noch in der christlichen Zeit nannte der afrikanische Bauer sich einen Kanaaniter; den Hellenen aber hieß Kanaan das „Purpurland“ oder auch das „Land der roten Männer“, Phönike, und Punier pflegten auch die Italiker, Phöniker oder Punier pflegen wir noch die Kanaaniter zu heißen. Das Land ist wohl geeignet zum Ackerbau; aber vor allen Dingen sind die vortrefflichen Häfen und der Reichtum an Holz und Metallen dem Handel günstig, der hier, wo das überreiche östliche Festland hinantritt an die weithin sich ausbreitende insel- und hafenreiche Mittelländische See, vielleicht zuerst in seiner ganzen Großartigkeit dem Menschen aufgegangen ist. Was Mut, Scharfsinn und Begeisterung vermögen, haben die Phöniker aufgeboten, um dem Handel und was aus ihm folgt, der Schiffahrt, Fabrikation, Kolonisierung, die volle Entwicklung zu geben und Osten und Westen zu vermitteln. In unglaublich früher Zeit finden wir sie in Kypros und Ägypten, in Griechenland und Sizilien, in Afrika und Spanien, ja sogar auf dem Atlantischen Meer und der Nordsee. Ihr Handelsgebiet reicht von Sierra Leone und Cornwall im Westen bis östlich zur malabarischen Küste; durch ihre Hände gehen das Gold und die Perlen des Ostens, der tyrische Purpur, die Sklaven, das Elfenbein, die Löwen- und Pardelfelle aus dem inneren Afrika, der arabische Weihrauch, das Linnen Ägyptens, Griechenlands Tongeschirr und edle Weine, das kyprische Kupfer, das spanische Silber, das englische Zinn, das Eisen von Elba. Jedem Volke bringen die phönikischen Schiffer, was es brauchen kann oder doch kaufen mag, und überall kommen sie herum, um immer wieder zurückzukehren zu der engen Heimat, an der ihr Herz hängt. Die Phöniker haben wohl ein Recht, in der Geschichte genannt zu werden neben der hellenischen und der latinischen Nation; aber auch an ihnen und vielleicht an ihnen am meisten bewährt es sich, daß das Altertum die Kräfte der Völker einseitig entwickelte. Die großartigen und dauernden Schöpfungen, welche auf dem geistigen Gebiete innerhalb des aramäischen Stammes entstanden sind, gehören nicht zunächst den Phönikern an; wenn Glauben und Wissen in gewissem Sinn den aramäischen Nationen vor allen anderen eigen und den Indogermanen erst aus dem Osten zugekommen sind, so hat doch weder die phönikische Religion noch die phönikische Wissenschaft und Kunst, soviel wir sehen, jemals unter den aramäischen einen selbständigen Rang eingenommen. Die religiösen Vorstellungen der Phöniker sind formlos und unschön, und ihr Gottesdienst schien Lüsternheit und Grausamkeit mehr zu nähren als zu bändigen bestimmt; von einer besonderen Einwirkung phönikischer Religion auf andere Völker wird wenigstens in der geschichtlich klaren Zeit nichts wahrgenommen. Ebensowenig begegnet eine auch nur der italischen, geschweige denn derjenigen der Mutterländer der Kunst vergleichbare phönikische Tektonik oder Plastik. Die älteste Heimat der wissenschaftlichen Beobachtung und ihrer praktischen Verwertung ist Babylon oder doch das Euphratland gewesen: hier wahrscheinlich folgte man zuerst dem Lauf der Sterne; hier schied und schrieb man zuerst die Laute der Sprache; hier begann der Mensch über Zeit und Raum und über die in der Natur wirkenden Kräfte zu denken; hierhin führen die ältesten Spuren der Astronomie und Chronologie, des Alphabets, der Maße und Gewichte. Die Phöniker haben wohl von den kunstreichen und hoch entwickelten babylonischen Gewerken für ihre Industrie, von der Sternbeobachtung für ihre Schiffahrt, von der Lautschrift und der Ordnung der Maße für ihren Handel Vorteil gezogen und manchen wichtigen Keim der Zivilisation mit ihren Waren vertrieben; aber daß das Alphabet oder irgendein anderes jener genialen Erzeugnisse des Menschengeistes ihnen eigentümlich angehöre, läßt sich nicht erweisen, und was durch sie von religiösen und wissenschaftlichen Gedanken den Hellenen zukam, das haben sie mehr wie der Vogel das Samenkorn als wie der Ackersmann die Saat ausgestreut. Die Kraft die bildungsfähigen Völker, mit denen sie sich berührten, zu zivilisieren und sich zu assimilieren, wie sie die Hellenen und selbst die Italiker besitzen, fehlte den Phönikern gänzlich. Im Eroberungsgebiet der Römer sind vor der romanischen Zunge die iberischen und die keltischen Sprachen verschollen; die Berber Afrikas reden heute noch dieselbe Sprache wie zu den Zeiten der Hannos und der Barkiden. Aber vor allem mangelt den Phönikern, wie allen aramäischen Nationen im Gegensatz zu den indogermanischen, der staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke der sich selber regierenden Freiheit. Während der höchsten Blüte von Sidon und Tyros ist das phönikische Land der ewige Zankapfel der am Euphrat und am Nil herrschenden Mächte und bald den Assyrern, bald den Ägyptern untertan. Mit der halben Macht hätten hellenische Städte sich unabhängig gemacht; aber die vorsichtigen sidonischen Männer, berechnend, daß die Sperrung der Karawanenstraßen nach dem Osten oder der ägyptischen Häfen ihnen weit höher zu stehen komme als der schwerste Tribut, zahlten lieber pünktlich ihre Steuern, wie es fiel nach Ninive oder nach Memphis, und fochten sogar, wenn es nicht anders sein konnte, mit ihren Schiffen die Schlachten der Könige mit. Und wie die Phöniker daheim den Druck der Herren gelassen ertrugen, waren sie auch draußen keineswegs geneigt, die friedlichen Bahnen der kaufmännischen mit der erobernden Politik zu vertauschen. Ihre Niederlassungen sind Faktoreien; es liegt ihnen mehr daran, den Eingeborenen Waren abzunehmen und zuzubringen, als weite Gebiete in fernen Ländern zu erwerben und daselbst die schwere und langsame Arbeit der Kolonisierung durchzuführen. Selbst mit ihren Konkurrenten vermeiden sie den Krieg; aus Ägypten, Griechenland, Italien, dem östlichen Sizilien lassen sie fast ohne Widerstand sich verdrängen und in den großen Seeschlachten, die in früher Zeit um die Herrschaft im westlichen Mittelmeer geliefert worden sind, bei Alalia (217 537) und Kyme (280 474), sind es die Etrusker, nicht die Phöniker, die die Schwere des Kampfes gegen die Griechen tragen. Ist die Konkurrenz einmal nicht zu vermeiden, so gleicht man sich aus, so gut es gehen will; es ist nie von den Phönikern ein Versuch gemacht worden, Caere oder Massalia zu erobern. Noch weniger natürlich sind die Phöniker zum Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der älteren Zeit offensiv auf dem Kampfplatze erscheinen, in der großen sizilischen Expedition der afrikanischen Phöniker, welche mit der Niederlage bei Himera durch Gelon von Syrakus endigte (274 480), sind sie nur als gehorsame Untertanen des Großkönigs und um der Teilnahme an dem Feldzug gegen die östlichen Hellenen auszuweichen, gegen die Hellepen des Westens ausgerückt; wie denn ihre syrischen Stammgenossen in der Tat in demselben Jahr sich mit den Persern bei Salamis mußten schlagen lassen.

Es ist das nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten Gewässern und mit bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und daß diese unter den Phönikern zu finden waren, haben sie oft bewiesen. Es ist noch weniger Mangel an Zähigkeit und Eigenartigkeit des Nationalgefühls; vielmehr haben die Aramäer mit einer Hartnäckigkeit, welche kein indogermanisches Volk je erreicht hat und welche uns Okzidentalen bald mehr, bald weniger als menschlich zu sein dünkt, ihre Nationalität gegen alle Lockungen der griechischen Zivilisation wie gegen alle Zwangsmittel der orientalischen und okzidentalischen Despoten mit den Waffen des Geistes wie mit ihrem Blute verteidigt. Es ist der Mangel an staatlichem Sinn, der bei dem lebendigsten Stammgefühl, bei der treuesten Anhänglichkeit an die Vaterstadt doch das eigenste Wesen der Phöniker bezeichnet. Die Freiheit lockte sie nicht und es gelüstete sie nicht nach der Herrschaft; „ruhig lebten sie“, sagt das Buch der Richter, „nach der Weise der Sidonier, sicher und wohlgemut und im Besitz von Reichtum“.

Unter allen phönikischen Ansiedlungen gediehen keine schneller und sicherer als die von den Tyriern und Sidoniern an der Südküste Spaniens und an der nordafrikanischen gegründeten, in welche Gegenden weder der Arm des Großkönigs noch die gefährliche Rivalität der griechischen Seefahrer reichte, die Eingeborenen aber den Fremdlingen gegenüberstanden wie in Amerika die Indianer den Europäern. Unter den zahlreichen und blühenden phönikischen Städten an diesen Gestaden ragte vor allem hervor die „Neustadt“, Karthada oder, wie die Okzidentalen sie nennen, Karchedon oder Karthago. Nicht die früheste Niederlassung der Phöniker in dieser Gegend und ursprünglich vielleicht schutzbefohlene Stadt des nahen Utica, der ältesten Phönikerstadt in Libyen, überflügelte sie bald ihre Nachbarn, ja die Heimat selbst durch die unvergleichlich günstige Lage und die rege Tätigkeit ihrer Bewohner. Gelegen unfern der (ehemaligen) Mündung des Bagradas (Medscherda), der die reichste Getreidelandschaft Nordafrikas durchströmt, auf einer fruchtbaren noch heute mit Landhäusern besetzten und mit Oliven- und Orangenwäldern bedeckten Anschwellung des Bodens, der gegen die Ebene sanft sich abdacht und an der Seeseite als meerumflossenes Vorgebirg endigt, inmitten des großen Hafens von Nordafrika, des Golfes von Tunis, da wo dies schöne Bassin den besten Ankergrund für größere Schiffe und hart am Strande trinkbares Quellwasser darbietet, ist dieser Platz für Ackerbau und Handel und die Vermittlung beider so einzig günstig, daß nicht bloß die tyrische Ansiedlung daselbst die erste phönikische Kaufstadt ward, sondern auch in der römischen Zeit Karthago, kaum wiederhergestellt, die dritte Stadt des Kaiserreichs wurde und noch heute unter nicht günstigen Verhältnissen und an einer weit weniger gut gewählten Stelle dort eine Stadt von hunderttausend Einwohnern besteht und gedeiht. Die agrikole, merkantile, industrielle Blüte einer Stadt in solcher Lage und mit solchen Bewohnern erklärt sich selbst; wohl aber fordert die Frage eine Antwort, auf welchem Weg diese Ansiedlung zu einer politischen Machtentwicklung gelangte, wie sie keine andere phönikische Stadt besessen hat.

Daß der phönikische Stamm seine politische Passivität auch in Karthago nicht verleugnet hat, dafür fehlt es keineswegs an Beweisen. Karthago bezahlte bis in die Zeiten seiner Blüte hinab für den Boden, den die Stadt einnahm, Grundzins an die einheimischen Berber, den Stamm der Maxyer oder Maxitaner; und obwohl das Meer und die Wüste die Stadt hinreichend schützten vor jedem Angriff der östlichen Mächte, scheint Karthago doch die Herrschaft des Großkönigs wenn auch nur dem Namen nach anerkannt und ihm gelegentlich gezinst zu haben, um sich die Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu sichern.

Aber bei allem guten Willen, sich zu fügen und zu schmiegen, traten doch Verhältnisse ein, die diese Phöniker in eine energischere Politik drängten. Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich unaufhaltsam gegen Westen ergoß, der die Phöniker schon aus dem eigentlichen Griechenland und von Italien verdrängt hatte und eben sich anschickte, in Sizilien, in Spanien, ja in Libyen selbst das gleiche zu tun, mußten die Phöniker doch irgendwo standhalten, wenn sie nicht gänzlich sich wollten erdrücken lassen. Hier, wo sie mit griechischen Kaufleuten und nicht mit dem Großkönig zu tun hatten, genügte es nicht, sich zu unterwerfen, um gegen Schoß und Zins Handel und Industrie in alter Weise fortzuführen. Schon waren Massalia und Kyrene gegründet; schon das ganze östliche Sizilien in den Händen der Griechen; es war für die Phöniker die höchste Zeit zu ernstlicher Gegenwehr. Die Karthager nahmen sie auf; in langen und hartnäckigen Kriegen setzten sie dem Vordringen der Kyrenäer eine Grenze und der Hellenismus vermochte nicht sich westwärts der Wüste von Tripolis festzusetzen. Mit karthagischer Hilfe erwehrten ferner die phönikischen Ansiedler auf der westlichen Spitze Siziliens sich der Griechen und begaben sich gern und freiwillig in die Klientel der mächtigen stammverwandten Stadt. Diese wichtigen Erfolge, die ins zweite Jahrhundert Roms fallen und die den südwestlichen Teil des Mittelmeers den Phönikern retteten, gaben der Stadt, die sie erfochten hatte, von selbst die Hegemonie der Nation und zugleich eine veränderte politische Stellung. Karthago war nicht mehr eine bloße Kaufstadt; sie zielte nach der Herrschaft über Libyen und über einen Teil des Mittelmeers, weil sie es mußte. Wesentlich trug wahrscheinlich bei zu diesen Erfolgen das Aufkommen der Söldnerei, die in Griechenland etwa um die Mitte des vierten Jahrhunderts der Stadt in Übung kam, bei den Orientalen aber, namentlich bei den Karern weit älter ist und vielleicht eben durch die Phöniker emporkam. Durch das ausländische Werbesystem ward der Krieg zu einer großartigen Geldspekulation, die eben recht im Sinn des phönikischen Wesens ist.

Es war wohl erst die Rückwirkung dieser auswärtigen Erfolge, welche die Karthager veranlaßte, in Afrika von Miet- und Bitt- zum Eigenbesitz und zur Eroberung überzugehen. Erst um 300 Roms (450) scheinen die karthagischen Kaufleute sich des Bodenzinses entledigt zu haben, den sie bisher den Einheimischen hatten entrichten müssen. Dadurch ward eine eigene Ackerwirtschaft im großen möglich. Von jeher hatten die Phöniker es sich angelegen sein lassen, ihre Kapitalien auch als Grundbesitzer zu nutzen und den Feldbau im großen Maßstab zu betreiben durch Sklaven oder gedungene Arbeiter; wie denn ein großer Teil der Juden in dieser Art den tyrischen Kaufherren um Tagelohn dienstbar war. Jetzt konnten die Karthager unbeschränkt den reichen libyschen Boden ausbeuten durch ein System, das dem der heutigen Plantagenbesitzer verwandt ist: gefesselte Sklaven bestellten das Land – wir finden, daß einzelne Bürger deren bis zwanzigtausend besaßen. Man ging weiter. Die ackerbauenden Dörfer der Umgegend – der Ackerbau scheint bei den Libyern sehr früh und wahrscheinlich schon vor der phönikischen Ansiedlung, vermutlich von Ägypten aus, eingeführt zu sein – wurden mit Waffengewalt unterworfen und die freien libyschen Bauern umgewandelt in Fellahs, die ihren Herren den vierten Teil der Bodenfrüchte als Tribut entrichteten und zur Bildung eines eigenen karthagischen Heeres einem regelmäßigen Rekrutierungssystem unterworfen wurden. Mit den schweifenden Hirtenstämmen (νομάδες) an den Grenzen währten die Fehden beständig; indes sicherte eine verschanzte Postenkette das befriedete Gebiet und langsam wurden jene zurückgedrängt in die Wüsten und Berge oder gezwungen, die karthagische Oberherrschaft anzuerkennen, Tribut zu zahlen und Zuzug zu stellen. Um die Zeit des Ersten Punischen Krieges ward ihre große Stadt Theveste (Tebessa, an den Quellen des Medscherda) von den Karthagern erobert. Dies sind die „Städte und Stämme (έθνη) der Untertanen“, die in den karthagischen Staatsverträgen erscheinen; jenes die unfreien libyschen Dörfer, dieses die untertänigen Nomaden.

Hierzu kam endlich die Herrschaft Karthagos über die übrigen Phöniker in Afrika oder die sogenannten Libyphöniker. Es gehörten zu diesen teils die von Karthago aus an die ganze afrikanische Nord- und einen Teil der Nordwestküste geführten kleineren Ansiedelungen, die nicht unbedeutend gewesen sein können, da allein am Atlantischen Meer auf einmal 30000 solcher Kolonisten seßhaft gemacht wurden, teils die besonders an der Küste der heutigen Provinz Constantine und des Beylik von Tunis zahlreichen altphönikischen Niederlassungen, zum Beispiel Hippo, später regius zugenannt (Bona), Hadrumetum (Susa), Klein-Leptis (südlich von Susa) – die zweite Stadt der afrikanischen Phöniker –, Thapsus (ebendaselbst), Groß-Leptis (Lebda westlich von Tripolis). Wie es gekommen ist, daß sich all diese Städte unter karthagische Botmäßigkeit begaben, ob freiwillig, etwa um sich zu schirmen vor den Angriffen der Kyrenäer und Numidier, oder gezwungen, ist nicht mehr nachzuweisen; sicher aber ist es, daß sie als Untertanen der Karthager selbst in offiziellen Aktenstücken bezeichnet werden, ihre Mauern hatten niederreißen müssen und Steuer und Zuzug nach Karthago zu leisten hatten. Indes waren sie weder der Rekrutierung noch der Grundsteuer unterworfen, sondern leisteten ein Bestimmtes an Mannschaft und Geld, Klein-Leptis zum Beispiel jährlich die ungeheure Summe von 465 Talenten (574000 Taler); ferner lebten sie nach gleichem Recht mit den Karthagern und konnten mit ihnen in gleiche Ehe treten1. Einzig Utica war, wohl weniger durch seine Macht als durch die Pietät der Karthager gegen ihre alten Beschützer, dem gleichen Schicksal entgangen und hatte seine Mauern und seine Selbständigkeit bewahrt; wie denn die Phöniker für solche Verhältnisse eine merkwürdige, von der griechischen Gleichgültigkeit wesentlich abstechende Ehrfurcht hegten. Selbst im auswärtigen Verkehr sind es stets „Karthago und Utica“, die zusammen festsetzen und versprechen; was natürlich nicht ausschließt, daß die weit größere Neustadt der Tat nach auch über Utica die Hegemonie behauptete. So ward aus der tyrischen Faktorei die Hauptstadt eines mächtigen nordafrikanischen Reiches, das von der tripolitanischen Wüste sich erstreckte bis zum Atlantischen Meer, im westlichen Teil (Marokko und Algier) zwar mit zum Teil oberflächlicher Besetzung der Küstensäume sich begnügend, aber in dem reicheren östlichen, den heutigen Distrikten von Constantine und Tunis, auch das Binnenland beherrschend und seine Grenze beständig weiter gegen Süden vorschiebend; die Karthager waren, wie ein alter Schriftsteller bezeichnend sagt, aus Tyriern Libyer geworden. Die phönikische Zivilisation herrschte in Libyen ähnlich wie in Kleinasien und Syrien die griechische nach den Zügen Alexanders, wenn auch nicht mit gleicher Gewalt. An den Höfen der Nomadenscheichs ward phönikisch gesprochen und geschrieben und die zivilisierteren einheimischen Stämme nahmen für ihre Sprache das phönikische Alphabet an2; sie vollständig zu phönikisieren lag indes weder im Geiste der Nation noch in der Politik Karthagos.

Die Epoche, in der diese Umwandlung Karthagos in die Hauptstadt von Libyen stattgefunden hat, läßt sich um so weniger bestimmen, als die Veränderung ohne Zweifel stufenweise erfolgt ist. Der eben erwähnte Schriftsteller nennt als den Reformator der Nation den Hanno; wenn dies derselbe ist, der zur Zeit des ersten Krieges mit Rom lebte, so kann er nur als Vollender des neuen Systems angesehen werden, dessen Durchführung vermutlich das vierte und fünfte Jahrhundert Roms ausgefüllt hat.

Mit dem Aufblühen Karthagos Hand in Hand ging das Sinken der großen phönikischen Städte in der Heimat, von Sidon und besonders von Tyros, dessen Blüte teils infolge innerer Bewegungen, teils durch die Drangsale von außen, namentlich die Belagerungen durch Salmanassar im ersten, Nabukodrossor im zweiten, Alexander im fünften Jahrhundert Roms zugrunde gerichtet ward. Die edlen Geschlechter und die alten Firmen von Tyros siedelten größtenteils über nach der gesicherten und blühenden Tochterstadt und brachten dorthin ihre Intelligenz, ihre Kapitalien und ihre Traditionen. Als die Phöniker mit Rom in Berührung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste kanaanitische Stadt wie Rom die erste der latinischen Gemeinden.

Aber die Herrschaft über Libyen war nur die eine Hälfte der karthagischen Macht; ihre See- und Kolonialherrschaft hatte gleichzeitig nicht minder gewaltig sich entwickelt.

In Spanien war der Hauptplatz der Phöniker die uralte tyrische Ansiedlung in Gades (Cadiz); außerdem besaßen sie westlich und östlich davon eine Kette von Faktoreien und im Innern das Gebiet der Silbergruben, so daß sie etwa das heutige Andalusien und Granada oder doch wenigstens die Küste davon innehatten. Das Binnenland den einheimischen kriegerischen Nationen abzugewinnen war man nicht bemüht; man begnügte sich mit dem Besitz der Bergwerke und der Stationen für den Handel und für den Fisch- und Muschelfang und hatte Mühe auch nur hier sich gegen die anwohnenden Stämme zu behaupten. Es ist wahrscheinlich, daß diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch waren, sondern tyrisch, und Gades nicht mitzählte unter den tributpflichtigen Städten Karthagos; doch stand es wie alle westlichen Phöniker tatsächlich unter karthagischer Hegemonie, wie die von Karthago den Gaditanern gegen die Eingeborenen gesandte Hilfe und die Anlegung karthagischer Handelsniederlassungen westlich von Gades beweist. Ebusus und die Balearen wurden dagegen von den Karthagern selbst in früher Zeit besetzt, teils der Fischereien wegen, teils als Vorposten gegen die Massalioten, mit denen von hier aus die heftigsten Kämpfe geführt wurden.

Ebenso setzten die Karthager schon am Ende des zweiten Jahrhunderts Roms sich fest auf Sardinien, welches ganz in derselben Art wie Libyen von ihnen ausgebeutet ward. Während die Eingeborenen sich in dem gebirgigen Innern der Insel der Verknechtung zur Feldsklaverei entzogen wie die Numidier in Afrika an dem Saum der Wüste, wurden nach Karalis (Cagliari) und anderen wichtigen Punkten phönikische Kolonien geführt und die fruchtbaren Küstenlandschaften durch eingeführte libysche Ackerbauern verwertet.

In Sizilien endlich war zwar die Straße von Messana und die größere östliche Hälfte der Insel in früher Zeit den Griechen in die Hände gefallen; allein den Phönikern blieben unter dem Beistand der Karthager teils die kleineren Inseln in der Nähe, die Aegaten, Melite, Gaulos, Kossyra, unter denen namentlich die Ansiedlung auf Malta reich und blühend war, teils die West- und Nordwestküste Siziliens, wo sie von Motye, später von Lilybäon aus die Verbindung mit Afrika, von Panormos und Soloeis aus die mit Sardinien unterhielten. Das Innere der Insel blieb in dem Besitz der Eingeborenen, der Elymer, Sikaner, Sikeler. Es hatte sich in Sizilien, nachdem das weitere Vordringen der Griechen gebrochen war, ein verhältnismäßig friedlicher Zustand hergestellt, den selbst die von den Persern veranlaßte Heerfahrt der Karthager gegen ihre griechischen Nachbarn auf der Insel (274 480) nicht auf die Dauer unterbrach und der im ganzen fortbestand bis auf die attische Expedition nach Sizilien (339-341 415-413). Die beiden rivalisierenden Nationen bequemten sich, einander zu dulden, und beschränkten sich im wesentlichen jede auf ihr Gebiet.

Alle diese Niederlassungen und Besitzungen waren an sich wichtig genug; allein noch von weit größerer Bedeutung insofern, als sie die Pfeiler der karthagischen Seeherrschaft wurden. Durch den Besitz Südspaniens, der Balearen, Sardiniens, des westlichen Sizilien und Melites in Verbindung mit der Verhinderung hellenischer Kolonisierung, sowohl an der spanischen Ostküste als auf Korsika und in der Gegend der Syrten machten die Herren der nordafrikanischen Küste ihre See zu einer geschlossenen und monopolisierten die westliche Meerenge. Nur das Tyrrhenische und gallische Meer mußten die Phöniker mit andern Nationen teilen. Es war dies allenfalls zu ertragen, solange die Etrusker und die Griechen sich hier das Gleichgewicht hielten; mit den ersteren als den minder gefährlichen Nebenbuhlern trat Karthago sogar gegen die Griechen in Bündnis. Indes als nach dem Sturz der etruskischen Macht, den, wie es zu gehen pflegt bei derartigen Notbündnissen, Karthago wohl schwerlich mit aller Macht abzuwenden bestrebt gewesen war, und nach der Vereitelung der großen Entwürfe des Alkibiades Syrakus unbestritten dastand als die erste griechische Seemacht, fingen begreiflicherweise nicht nur die Herren von Syrakus an, nach der Herrschaft über Sizilien und Unteritalien und zugleich über das Tyrrhenische und Adriatische Meer zu streben, sondern wurden auch die Karthager gewaltsam in eine energischere Politik gedrängt. Das nächste Ergebnis der langen und hartnäckigen Kämpfe zwischen ihnen und ihrem ebenso mächtigen als schändlichen Gegner Dionysios von Syrakus (348-389 406-365) war die Vernichtung oder Schwächung der sizilischen Mittelstaaten, die im Interesse beider Parteien lag und die Teilung der Insel zwischen den Syrakusanern und den Karthagern. Die blühendsten Städte der Insel: Selinus, Himera, Akragas, Gela, Messana, wurden im Verlauf dieser heillosen Kämpfe von den Karthagern von Grund aus zerstört; nicht ungern sah Dionysios, wie das Hellenentum hier zugrunde ging oder doch geknickt ward, um sodann, gestützt auf die fremden, aus Italien, Gallien und Spanien angeworbenen Söldner, die verödeten oder mit Militärkolonien belegten Landschaften desto sicherer zu beherrschen. Der Friede, der nach des karthagischen Feldherrn Mago Sieg bei Kronion 371 (383) abgeschlossen ward und den Karthagern die griechischen Städte Thermae (das alte Himera), Egesta, Herakleia Minoa, Selinus und einen Teil des Gebietes von Akragas bis an den Halykos unterwarf, galt den beiden um den Besitz der Insel ringenden Mächten nur als vorläufiges Abkommen; immer von neuem wiederholten sich beiderseits die Versuche, den Nebenbuhler ganz zu verdrängen. Viermal – zur Zeit des älteren Dionysios 360 (394), in der Timoleons 410 (344), in der des Agathokles 445 (309), in der pyrrhischen 476 (278) – waren die Karthager Herren von ganz Sizilien bis auf Syrakus und scheiterten an dessen festen Mauern; fast ebenso oft schienen die Syrakusaner unter tüchtigen Führern, wie der ältere Dionysios, Agathokles und Pyrrhos waren, ihrerseits ebenso nahe daran, die Afrikaner von der Insel zu verdrängen. Mehr und mehr aber neigte sich das Übergewicht auf die Seite der Karthager, von denen regelmäßig der Angriff ausging und die, wenn sie auch nicht mit römischer Stetigkeit ihr Ziel verfolgten, doch mit weit größerer Planmäßigkeit und Energie den Angriff betrieben als die von Parteien zerrissene und abgehetzte Griechenstadt die Verteidigung. Mit Recht durften die Phöniker erwarten, daß nicht immer eine Pest oder ein fremder Condottiere die Beute ihnen entreißen würde; und vorläufig war wenigstens zur See der Kampf schon entschieden: Pyrrhos‘ Versuch, die syrakusanische Flotte wiederherzustellen, war der letzte. Nachdem dieser gescheitert war, beherrschte die karthagische Flotte ohne Nebenbuhler das ganze westliche Mittelmeer; und ihre Versuche, Syrakus, Rhegion, Tarent zu besetzen, zeigten, was man vermochte und wohin man zielte. Hand in Hand damit ging das Bestreben, den Seehandel dieser Gegend immer mehr sowohl dem Ausland wie den eigenen Untertanen gegenüber zu monopolisieren; und es war nicht karthagische Art, vor irgendeiner zum Zwecke führenden Gewaltsamkeit zurückzuscheuen. Ein Zeitgenosse der Punischen Kriege, der Vater der Geographie Eratosthenes (479-560 275-194), bezeugt es, daß jeder fremde Schiffer, welcher nach Sardinien oder nach der Gaditanischen Straße fuhr, wenn er den Karthagern in die Hände fiel, von ihnen ins Meer gestürzt ward; und damit stimmt es völlig überein, daß Karthago den römischen Handelsschiffen die spanischen, sardinischen und libyschen Häfen durch den Vertrag vom Jahre 406 (348) freigab, dagegen durch den vom Jahre 448 (306) sie ihnen mit Ausnahme des eigenen karthagischen sämtlich schloß.

Die Verfassung Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa fünfzig Jahre vor dein Anfang des Ersten Punischen Krieges starb, als übergegangen aus der monarchischen in eine Aristokratie oder in eine zur Oligarchie sich neigende Demokratie; denn mit beiden Namen benennt er sie. Die Leitung der Geschäfte stand zunächst bei dem Rat der Alten, welcher gleich der spartanischen Gerusia bestand aus den beiden jährlich von der Bürgerschaft ernannten Königen und achtundzwanzig Gerusiasten, die auch, wie es scheint, Jahr für Jahr von der Bürgerschaft erwählt wurden. Dieser Rat ist es, der im wesentlichen die Staatsgeschäfte erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege trifft, die Aushebungen und Werbungen anordnet, den Feldherrn ernennt und ihm eine Anzahl Gerusiasten beiordnet, aus denen dann regelmäßig die Unterbefehlshaber genommen werden; an ihn werden die Depeschen adressiert. Ob neben diesem kleinen Rat noch ein großer stand, ist zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er viel zu bedeuten. Ebensowenig scheint den Königen ein besonderer Einfluß zugestanden zu haben; hauptsächlich funktionierten sie als Oberrichter, wie sie nicht selten auch heißen (Schofeten, praetores). Größer war die Gewalt des Feldherrn; Isokrates, Aristoteles‘ älterer Zeitgenosse, sagt, daß die Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten und so mag das Amt des karthagischen Feldherrn mit Recht von römischen Schriftstellern als Diktatur bezeichnet werden, obgleich die ihm beigegebenen Gerusiasten tatsächlich wenigstens seine Macht beschränken mußten, und ebenso nach Niederlegung des Amtes ihn eine den Römern unbekannte ordentliche Rechenschaftslegung erwartete. Eine feste Zeitgrenze bestand für das Amt des Feldherrn nicht, und es ist derselbe also schon deshalb vom Jahrkönig unzweifelhaft verschieden gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdrücklich unterscheidet; doch war die Vereinigung mehrerer Ämter in einer Person bei den Karthagern üblich, und so kann es nicht befremden, daß oft derselbe Mann zugleich als Feldherr und als Schofet erscheint.

Aber über der Gerusia und über den Beamten stand die Körperschaft der Hundertvier-, kürzer Hundertmänner oder der Richter, das Hauptbollwerk der karthagischen Oligarchie. In der ursprünglichen karthagischen Verfassung fand sie sich nicht, sondern sie war gleich dem spartanischen Ephorat hervorgegangen aus der aristokratischen Opposition gegen die monarchischen Elemente derselben. Bei der Käuflichkeit der Ämter und der geringen Mitgliederzahl der höchsten Behörde drohte eine einzige durch Reichtum und Kriegsruhm vor allen hervorleuchtende karthagische Familie, das Geschlecht des Mago, die Verwaltung in Krieg und Frieden und die Rechtspflege in ihren Händen zu vereinigen; dies führte ungefähr um die Zeit der Dezemvirn zu einer Änderung der Verfassung und zur Einsetzung dieser neuen Behörde. Wir wissen, daß die Bekleidung der Quästur ein Anrecht gab zum Eintritt in die Richterschaft, daß aber dennoch der Kandidat einer Wahl unterlag durch gewisse sich selbst ergänzende Fünfmännerschaften; ferner daß die Richter, obwohl sie rechtlich vermutlich von Jahr zu Jahr gewählt wurden, doch tatsächlich längere Zeit, ja lebenslänglich im Amt blieben, weshalb sie bei den Römern und Griechen gewöhnlich Senatoren genannt werden. So dunkel das einzelne ist, so klar erkennt man das Wesen der Behörde als einer aus aristokratischer Kooptation hervorgehenden oligarchischen; wovon eine vereinzelte, aber charakteristische Spur ist, daß in Karthago neben dem gemeinen Bürger- ein eigenes Richterbad bestand. Zunächst waren sie bestimmt zu fungieren als politische Geschworene, die namentlich die Feldherren, aber ohne Zweifel vorkommendenfalls auch die Schofeten und Gerusiasten nach Niederlegung ihres Amtes zur Verantwortung zogen und nach Gutdünken, oft in rücksichtslos grausamer Weise, selbst mit dem Tode bestraften. Natürlich ging hier wie überall, wo die Verwaltungsbehörden unter Kontrolle einer anderen Körperschaft gestellt werden, der Schwerpunkt der Macht über von der kontrollierten auf die kontrollierende Behörde; und es begreift sich leicht, teils daß die letztere allenthalben in die Verwaltung eingriff, wie denn zum Beispiel die Gerusia wichtige Depeschen erst den Richtern vorlegt und dann dem Volke, teils daß die Furcht vor der regelmäßig nach dem Erfolg abgemessenen Kontrolle daheim den karthagischen Staatsmann wie den Feldherrn in Rat und Tat lähmte.

Die karthagische Bürgerschaft scheint, wenn auch nicht wie in Sparta ausdrücklich auf die passive Assistenz bei den Staatshandlungen beschränkt, doch tatsächlich dabei nur in einem sehr geringen Grade von Einfluß gewesen zu sein. Bei den Wahlen in die Gerusia war ein offenkundiges Bestechungssystem Regel; bei der Ernennung eines Feldherrn wurde das Volk zwar befragt, aber wohl erst, wenn durch Vorschlag der Gerusia der Sache nach die Ernennung erfolgt war; und in anderen Fällen ging man nur an das Volk, wenn die Gerusia es für gut fand oder sich nicht einigen konnte. Volksgerichte kannte man in Karthago nicht. Die Machtlosigkeit der Bürgerschaft ward wahrscheinlich wesentlich durch ihre politische Organisierung bedingt; die karthagischen Tischgenossenschaften, die hierbei genannt und den spartanischen Pheiditien verglichen werden, mögen oligarchisch geleitete Zünfte gewesen sein. Sogar ein Gegensatz zwischen „Stadtbürgern“ und „Handarbeitern“ wird erwähnt, der auf eine sehr niedrige, vielleicht rechtlose Stellung der letzteren schließen läßt.

Fassen wir die einzelnen Momente zusammen, so erscheint die karthagische Verfassung als ein Kapitalistenregiment, wie es begreiflich ist bei einer Bürgergemeinde ohne wohlhabende Mittelklasse und bestehend einerseits aus einer besitzlosen, von der Hand in den Mund lebenden städtischen Menge, anderseits aus Großhändlern, Plantagenbesitzern und vornehmen Vögten. Das System, die heruntergekommenen Herren auf Kosten der Untertanen wieder zu Vermögen zu bringen, indem sie als Schatzungsbeamte und Fronvögte in die abhängigen Gemeinden ausgesendet werden, dieses unfehlbare Kennzeichen einer verrotteten städtischen Oligarchie, fehlt auch in Karthago nicht; Aristoteles bezeichnet es als die wesentliche Ursache der erprobten Dauerhaftigkeit der karthagischen Verfassung. Bis auf seine Zeit hatte in Karthago weder von oben noch von unten eine nennenswerte Revolution stattgefunden; die Menge blieb führerlos infolge der materiellen Vorteile, welche die regierende Oligarchie allen ehrgeizigen oder bedrängten Vornehmen zu bieten imstande war und ward abgefunden mit den Brosamen, die in Form der Wahlbestechung oder sonst von dem Herrentisch für sie abfielen. Eine demokratische Opposition konnte freilich bei solchem Regiment nicht mangeln; aber noch zur Zeit des Ersten Punischen Krieges war dieselbe völlig machtlos. Späterhin, zum Teil unter dem Einfluß der erlittenen Niederlagen, erscheint ihr politischer Einfluß im Steigen und in weit rascherem, als gleichzeitig der der gleichartigen römischen Partei: die Volksversammlungen begannen in politischen Fragen die letzte Entscheidung zu geben und brachen die Allmacht der karthagischen Oligarchie. Nach Beendigung des Hannibalischen Krieges ward auf Hannibals Vorschlag sogar durchgesetzt, daß kein Mitglied des Rates der Hundert zwei Jahre nacheinander im Amte sein könne und damit die volle Demokratie eingeführt, welche allerdings nach der Lage der Dinge allein Karthago zu retten vermochte, wenn es dazu überhaupt noch Zeit war. In dieser Opposition herrschte ein mächtiger patriotischer und reformierender Schwung; doch darf darüber nicht übersehen werden, auf wie fauler und morscher Grundlage sie ruhte. Die karthagische Bürgerschaft, die von kundigen Griechen der alexandrinischen verglichen wird, war so zuchtlos, daß sie insofern es wohl verdient hatte, machtlos zu sein; und wohl durfte gefragt werden, was da aus Revolutionen für Heil kommen solle, wo, wie in Karthago, die Buben sie machen halfen.

In finanzieller Hinsicht behauptet Karthago in jeder Beziehung unter den Staaten des Altertums den ersten Platz. Zur Zeit des Peloponnesischen Krieges war diese phönikische Stadt nach dem Zeugnis des ersten Geschichtschreibers der Griechen allen griechischen Staaten finanziell überlegen und werden ihre Einkünfte denen des Großkönigs verglichen; Polybios nennt sie die reichste Stadt der Welt. Von der Intelligenz der karthagischen Landwirtschaft, welche Feldherren und Staatsmänner dort wie später in Rom wissenschaftlich zu betreiben und zu lehren nicht verschmähten, legt ein Zeugnis ab die agronomische Schrift des Karthagers Mago, welche von den späteren griechischen und römischen Landwirten durchaus als der Grundkodex der rationellen Ackerwirtschaft betrachtet und nicht bloß ins Griechische übersetzt, sondern auch auf Befehl des römischen Senats lateinisch bearbeitet und den italischen Gutsbesitzern offiziell anempfohlen ward. Charakteristisch ist die enge Verbindung dieser phönikischen Acker- mit der Kapitalwirtschaft; es wird als eine Hauptmaxime der phönikischen Landwirtschaft angeführt, nie mehr Land zu erwerben, als man intensiv zu bewirtschaften vermöge. Auch der Reichtum des Landes an Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen, worin Libyen infolge seiner Nomadenwirtschaft es nach Polybios‘ Zeugnis vielleicht allen übrigen Ländern der Erde damals zuvortat, kam den Karthagern zugute. Wie in der Ausnutzung des Bodens die Karthager die Lehrmeister der Römer waren, wurden sie es auch in der Ausbeutung der Untertanen; durch diese floß nach Karthago mittelbar die Grundrente „des besten Teils von Europa“ und der reichen, zum Teil, zum Beispiel in der Byzakitis und an der Kleinen Syrte, überschwenglich gesegneten nordafrikanischen Landschaft. Der Handel, der in Karthago von jeher als ehrenhaftes Gewerbe galt, und die auf Grund des Handels aufblühende Reederei und Fabrikation brachten schon im natürlichen Laufe der Dinge den dortigen Ansiedlern jährlich goldene Ernten, und es ist früher schon bezeichnet worden, wie man durch ausgedehnte und immer gesteigerte Monopolisierung nicht bloß aus dem Aus-, sondern auch aus dem Inland allen Handel des westlichen Mittelmeeres und den ganzen Zwischenhandel zwischen dem Westen und Osten mehr und mehr in diesem einzigen Hafen zu konzentrieren verstand. Wissenschaft und Kunst scheinen in Karthago, wie späterhin in Rom, zwar wesentlich durch hellenischen Einfluß bestimmt, aber nicht vernachlässigt worden zu sein; es gab eine ansehnliche phönikische Literatur und bei Eroberung der Stadt fanden sich reiche, freilich nicht in Karthago geschaffene, sondern aus den sizilischen Tempeln weggeführte Kunstschätze und beträchtliche Bibliotheken vor. Aber auch der Geist stand hier im Dienste des Kapitals; was von der Literatur hervorgehoben wird, sind vornehmlich die agronomischen und geographischen Schriften, wie das schon erwähnte Werk des Mago und der noch in Übersetzung vorhandene, ursprünglich in einem der karthagischen Tempel öffentlich aufgestellte Bericht des Admirals Hanno von seiner Beschiffung der westafrikanischen Küste. Selbst die allgemeine Verbreitung gewisser Kenntnisse und besonders der Kunde fremder Sprachen3

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Vergleichen wir die Macht der Karthager und der Römer. Beide waren Acker- und Kaufstädte und lediglich dieses; die durchaus untergeordnete und durchaus praktische Stellung von Kunst und Wissenschaft war in beiden wesentlich dieselbe, nur daß in dieser Hinsicht Karthago weiter vorgeschritten war als Rom. Aber in Karthago hatte die Geld- über die Grundwirtschaft, in Rom damals noch die Grund- über die Geldwirtschaft das Übergewicht, und wenn die karthagischen Ackerwirte durchgängig große Guts- und Sklavenbesitzer waren, bebaute in dem Rom dieser Zeit die große Masse der Bürgerschaft noch selber das Feld. Die Mehrzahl der Bevölkerung war in Rom besitzend, das ist konservativ, in Karthago besitzlos und dem Golde der Reichen wie dem Reformruf der Demokraten zugänglich. In Karthago herrschte schon die ganze, mächtigen Handelsstädten eigene Opulenz, während Sitte und Polizei in Rom wenigstens äußerlich noch altväterische Strenge und Sparsamkeit aufrecht erhielten. Als die karthagischen Gesandten von Rom zurückkamen, erzählten sie ihren Kollegen, daß das innige Verhältnis der römischen Ratsherren zueinander alle Vorstellung übersteige; ein einziges silbernes Tafelgeschirr reiche aus für den ganzen Rat und sei in jedem Haus, wo man sie zu Gaste geladen, ihnen wieder begegnet. Der Spott ist bezeichnend für die beiderseitigen wirtschaftlichen Zustände.

Beider Verfassung war aristokratisch; wie der Senat in Rom regierten die Richter in Karthago und beide nach dem gleichen Polizeisystem. Die strenge Abhängigkeit, in welcher die karthagische Regierungsbehörde den einzelnen Beamten hielt, der Befehl derselben an die Bürger, sich des Erlernens der griechischen Sprache unbedingt zu enthalten und mit einem Griechen nur vermittels des öffentlichen Dolmetschers zu verkehren, sind aus demselben Geiste geflossen wie das römische Regierungssystem; aber gegen die grausame Härte und die ans Alberne streifende Unbedingtheit solcher karthagischen Staatsbevormundung erscheint das römische Brüchen- und Rügesystem mild und verständig. Der römische Senat, welcher der eminenten Tüchtigkeit sich öffnete und im besten Sinn die Nation vertrat, durfte ihr auch vertrauen und brauchte die Beamten nicht zu fürchten. Der karthagische Senat dagegen beruhte auf einer eifersüchtigen Kontrolle der Verwaltung durch die Regierung und vertrat ausschließlich die vornehmen Familien; sein Wesen war das Mißtrauen noch oben wie nach unten und darum konnte er weder sicher sein, daß das Volk ihm folgte, wohin er führte, noch unbesorgt vor Usurpationen der Beamten. Daher der feste Gang der römischen Politik, die im Unglück keinen Schritt zurückwich und die Gunst des Glückes nicht verscherzte durch Fahrlässigkeit und Halbheit; während die Karthager vom Kampf abstanden, wo eine letzte Anstrengung vielleicht alles gerettet hätte, und, der großen nationalen Aufgaben überdrüssig oder vergessen, den halbfertigen Bau einstürzen ließen, um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Daher ist der tüchtige Beamte in Rom regelmäßig im Einverständnis mit seiner Regierung, in Karthago häufig in entschiedener Fehde mit den Herren daheim und gedrängt, sich ihnen verfassungswidrig zu widersetzen und mit der opponierenden Reformpartei gemeinschaftliche Sache zu machen.

Karthago wie Rom beherrschten ihre Stammgenossen und zahlreiche stammfremde Gemeinden. Aber Rom hatte einen Distrikt nach dem andern in sein Bürgerrecht aufgenommen und den latinischen Gemeinden selbst gesetzlich Zugänge zu demselben eröffnet; Karthago schloß von Haus aus sich ab und ließ den abhängigen Distrikten nicht einmal die Hoffnung auf dereinstige Gleichstellung. Rom gönnte den stammverwandten Gemeinden Anteil an den Früchten des Sieges, namentlich an den gewonnenen Domänen, und suchte in den übrigen untertänigen Staaten durch materielle Begünstigung der Vornehmen und Reichen wenigstens eine Partei in das Interesse Roms zu ziehen; Karthago behielt nicht bloß für sich, was die Siege einbrachten, sondern entriß sogar den Städten besten Rechts die Handelsfreiheit. Rom nahm der Regel nach nicht einmal den unterworfenen Gemeinden die Selbständigkeit ganz und legte keiner eine feste Steuer auf; Karthago sandte seine Vögte überall hin und belastete selbst die altphönikischen Städte mit schwerem Zins, während die unterworfenen Stämme faktisch als Staatssklaven behandelt wurden. So war im karthagisch-afrikanischen Staatsverband nicht eine einzige Gemeinde mit Ausnahme von Utica, die nicht durch den Sturz Karthagos politisch und materiell sich verbessert haben würde; in dem römisch-italischen nicht eine einzige, die bei der Auflehnung gegen ein Regiment, das die materiellen Interessen sorgfältig schonte und die politische Opposition wenigstens nirgend durch äußerste Maßregeln zum Kampf herausforderte, nicht noch mehr zu verlieren gehabt hätte als zu gewinnen. Wenn die karthagischen Staatsmänner meinten, die phönikischen Untertanen durch die größere Furcht vor den empörten Libyern, die sämtlichen Besitzenden durch das Zeichengeld an das karthagische Interesse geknüpft zu haben, so übertrugen sie einen kaufmännischen Kalkül dahin, wo er nicht hingehört; die Erfahrung bewies, daß die römische Symmachie trotz ihrer scheinbar loseren Fügung gegen Pyrrhos zusammenhielt wie eine Mauer aus Felsenstücken, die karthagische dagegen wie Spinneweben zerriß, sowie ein feindliches Heer den afrikanischen Boden betrat. So geschah es bei den Landungen. von Agathokles und von Regulus und ebenso im Söldnerkrieg; von dem Geiste, der in Afrika herrschte, zeugt zum Beispiel, daß die libyschen Frauen den Söldnern freiwillig ihren Schmuck steuerten zum Kriege gegen Karthago. Nur in Sizilien scheinen die Karthager milder aufgetreten zu sein und darum auch bessere Ergebnisse erlangt zu haben. Sie gestatteten ihren Untertanen hier verhältnismäßige Freiheit im Handel mit dem Ausland und ließen sie ihren inneren Verkehr wohl von Anfang an und ausschließlich mit Metallgeld treiben, überhaupt bei weitem freier sich bewegen, als dies den Sarden und Libyern erlaubt ward. Wäre Syrakus in ihre Hände gefallen, so hätte sich freilich dies bald geändert; indes dazu kam es nicht, und so bestand, bei der wohlberechneten Milde des karthagischen Regiments und bei der unseligen Zerrissenheit der sizilischen Griechen, in Sizilien in der Tat eine ernstlich phönikisch gesinnte Partei – wie denn zum Beispiel noch nach dem Verlust der Insel an die Römer Philinos von Akragas die Geschichte des großen Krieges durchaus im phönikischen Sinne schrieb. Aber im ganzen mußten doch auch die Sizilianer als Untertanen wie als Hellenen ihren phönikischen Herren wenigstens ebenso abgeneigt sein wie den Römern die Samniten und Tarentiner.

Finanziell überstiegen die karthagischen Staatseinkünfte ohne Zweifel um vieles die römischen; allein dies glich zum Teil sich wieder dadurch aus, daß die Quellen der karthagischen Finanzen, Tribute und Zölle weit eher und eben, wenn man sie am nötigsten brauchte, versiegten als die römischen, und daß die karthagische Kriegführung bei weitem kostspieliger war als die römische.

Die militärischen Hilfsmittel der Römer und Karthager waren sehr verschieden, jedoch in vieler Beziehung nicht ungleich abgewogen. Die karthagische Bürgerschaft betrug noch bei Eroberung der Stadt 700000 Köpfe mit Einschluß der Frauen und Kinder5 und mochte am Ende des fünften Jahrhunderts wenigstens ebenso zahlreich sein; sie vermochte im fünften Jahrhundert im Notfall ein Bürgerheer von 40 000 Hopliten auf die Beine zu bringen. Ein ebenso starkes Bürgerheer hatte Rom schon im Anfang des fünften Jahrhunderts unter gleichen Verhältnissen ins Feld geschickt; seit den großen Erweiterungen des Bürgergebiets im Laufe des fünften Jahrhunderts mußte die Zahl der waffenfähigen Vollbürger mindestens sich verdoppelt haben. Aber weit mehr noch als der Zahl der Waffenfähigen nach war Rom in dem Effektivstand des Bürgermilitärs überlegen. So sehr die karthagische Regierung auch es sich angelegen sein ließ, die Bürger zum Waffendienst zu bestimmen, so konnte sie doch weder dem Handwerker und Fabrikarbeiter den kräftigen Körper des Landmanns geben noch den angeborenen Widerwillen der Phöniker vor dem Kriegswerk überwinden. Im fünften Jahrhundert focht in den sizilischen Heeren noch eine „heilige Schar“ von 2500 Karthagern als Garde des Feldherrn; im sechsten findet sich in den karthagischen Heeren, zum Beispiel in dem spanischen, mit Ausnahme der Offiziere nicht ein einziger Karthager. Dagegen standen die römischen Bauern keineswegs bloß in den Musterrollen, sondern auch auf den Schlachtfeldern. Ähnlich verhielt es sich mit den Stammverwandten der beiden Gemeinden; während die Latiner den Römern nicht mindere Dienste leisteten als ihre Bürgertruppen, waren die Libyphöniker ebensowenig kriegstüchtig wie die Karthager und begreiflicherweise noch weit weniger kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den Heeren, indem die zuzugspflichtigen Städte ihre Verbindlichkeit vermutlich mit Geld abkauften. In dem eben erwähnten spanischen Heer von etwa 15000 Mann bestand nur eine einzige Reiterschar von 450 Mann und auch diese nur zum Teil aus Libyphönikern. Den Kern der karthagischen Armeen bildeten die libyscher. Untertanen, aus deren Rekruten sich unter tüchtigen Offizieren ein gutes Fußvolk bilden ließ und deren leichte Reiterei in ihrer Art unübertroffen war. Dazu kamen die Mannschaften der mehr oder minder abhängigen Völkerschaften Libyens und Spaniens und die berühmten Schleuderer von den Balearen, deren Stellung zwischen Bundeskontingenten und Söldnerscharen die Mitte gehalten zu haben scheint; endlich im Notfall die im Ausland angeworbene Soldateska. Ein solches Heer konnte der Zahl nach ohne Mühe fast auf jede beliebige Stärke gebracht werden und auch an Tüchtigkeit der Offiziere, an Waffenkunde und Mut fähig sein, mit dem römischen sich zu messen; allein nicht bloß verstrich, wenn Söldner angenommen werden mußten, ehe dieselben bereit standen, eine gefährlich lange Zeit, während die römische Miliz jeden Augenblick auszurücken imstande war, sondern, was die Hauptsache ist, während die karthagischen Heere nichts zusammenhielt als die Fahnenehre und der Vorteil, fanden sich die römischen durch alles vereinigt, was sie an das gemeinsame Vaterland band. Dem karthagischen Offizier gewöhnlichen Schlages galten seine Söldner, ja selbst die libyschen Bauern ungefähr soviel wie heute im Krieg die Kanonenkugeln; daher Schändlichkeiten, wie zum Beispiel der Verrat der libyschen Truppen durch ihren Feldherrn Himilko 358 (396), der einen gefährlichen Aufstand der Libyer zur Folge hatte, und daher jener zum Sprichwort gewordene Ruf der „punischen Treue“, der den Karthagern nicht wenig geschadet hat. Alles Unheil, welches Fellah- und Söldnerheere über einen Staat bringen können, hat Karthago in vollem Maße erfahren und mehr als einmal seine bezahlten Knechte gefährlicher erfunden als seine Feinde.

Die Mängel dieses Heerwesens konnte die karthagische Regierung nicht verkennen und suchte sie allerdings auf jede Weise wieder einzubringen. Man hielt auf gefüllte Kassen und gefüllte Zeughäuser, um jederzeit Söldner ausstatten zu können. Man wandte große Sorgfalt auf das, was bei den Alten die heutige Artillerie vertrat: den Maschinenbau, in welcher Waffe wir die Karthager den Sikelioten regelmäßig überlegen finden, und die Elefanten, seit diese im Kriegswesen die älteren Streitwagen verdrängt hatten; in den Kasematten Karthagos befanden sich Stallungen für 300 Elefanten. Die abhängigen Städte zu befestigen, konnte man freilich nicht wagen und mußte es geschehen lassen, daß jedes in Afrika gelandete feindliche Heer mit dem offenen Lande auch die Städte und Flecken gewann; recht im Gegensatz zu Italien, wo die meisten unterworfenen Städte ihre Mauern behalten hatten und eine Kette römischer Festungen die ganze Halbinsel beherrschte. Dagegen für die Befestigung der Hauptstadt bot man auf, was Geld und Kunst vermochten; und mehrere Male rettete den Staat nichts als die Stärke der karthagischen Mauern, während Rom politisch und militärisch so gesichert war, daß es eine förmliche Belagerung niemals erfahren hat. Endlich das Hauptbollwerk des Staats war die Kriegsmarine, auf die man die größte Sorgfalt verwandte. Im Bau wie in der Führung der Schiffe waren die Karthager den Griechen überlegen; in Karthago zuerst baute man Schiffe mit mehr als drei Ruderverdecken, und die karthagischen Kriegsfahrzeuge, in dieser Zeit meistens Fünfdecker, waren in der Regel bessere Segler als die griechischen, die Ruderer, sämtlich Staatssklaven, die nicht von den Galeeren kamen, vortrefflich eingeschult und die Kapitäne gewandt und furchtlos. In dieser Beziehung war Karthago entschieden den Römern überlegen, die mit den wenigen Schiffen der verbündeten Griechen und den wenigeren eigenen nicht imstande waren, sich in der offenen See auch nur zu zeigen gegen die Flotte, die damals unbestritten das westliche Meer beherrschte.

Fassen wir schließlich zusammen, was die Vergleichung der Mittel der beiden großen Mächte ergibt, so rechtfertigt sich wohl das Urteil eines einsichtigen und unparteiischen Griechen, daß Karthago und Rom, da der Kampf zwischen ihnen begann, im allgemeinen einander gewachsen waren. Allein wir können nicht unterlassen hinzuzufügen, daß Karthago wohl aufgeboten hatte, was Geist und Reichtum vermochten, um künstliche Mittel zum Angriff und zur Verteidigung sich zu erschaffen, aber daß es nicht imstande gewesen war, die Grundmängel des fehlenden eigenen Landheers und der nicht auf eigenen Füßen stehenden Symmachie in irgend ausreichender Weise zu ersetzen. Daß Rom nur in Italien, Karthago nur in Libyen ernstlich angegriffen werden konnte, ließ sich nicht verkennen; und ebensowenig, daß Karthago auf die Dauer einem solchen Angriff nicht entgehen konnte. Die Flotten waren in jener Zeit der Kindheit der Schiffahrt noch nicht bleibendes Erbgut der Nationen, sondern ließen sich herstellen, wo es Bäume, Eisen und Wasser gab; daß selbst mächtige Seestaaten nicht imstande waren, den zur See schwächeren Feinden die Landung zu wehren, war einleuchtend und in Afrika selbst mehrfach erprobt worden. Seit Agathokles den Weg dahin gezeigt hatte, konnte auch ein römischer General ihn finden, und während in Italien mit dem Einrücken einer Invasionsarmee der Krieg begann, war er in Libyen im gleichen Fall zu Ende und verwandelte sich in eine Belagerung, in der, wenn nicht besondere Zufälle eintraten, auch der hartnäckigste Heldenmut endlich unterliegen mußte.

  1. Die schärfste Bezeichnung dieser wichtigen Klasse findet sich in dem karthagischen Staatsvertrag (Polyb. 7, 9), wo sie im Gegensatz einerseits zu den Uticensern, anderseits zu den libyschen Untertanen heißen: οι Καρχ ηδονίων ύπαρχη όσοι τοίς αυτοίς νόμοις χρώνται. Sonst heißen sie auch Bundes- συμμαχίδες πόλεις Diod. 20, 10) oder steuerpflichtige Städte (Liv. 34, 62; Iust. 22, 7, 3). Ihr Conubium mit den Karthagern erwähnt Diodoros 20, 55; das Commercium folgt aus den „gleichen Gesetzen“. Daß die altphönikischen Kolonien zu den Libyphönikern gehören, beweist die Bezeichnung Hippos als einer libyphönikischen Stadt (Liv. 25, 40); anderseits heißt es hinsichtlich der von Karthago aus gegründeten Ansiedlungen zum Beispiel im Periplus des Hanno: „Es beschlossen die Karthager, daß Hanno jenseits der Säulen des Herkules schiffe und Städte der Libyphöniker gründe“. Im wesentlichen bezeichnen die Libyphöniker bei den Karthagern nicht eine nationale, sondern eine staatsrechtliche Kategorie. Damit kann es recht wohl bestehen, daß der Name grammatisch die mit Libyern gemischten Phöniker bezeichnet (Liv. 21, 22, Zusatz zum Text des Polybios); wie denn in der Tat wenigstens bei der Anlage sehr exponierter Kolonien den Phönikern häufig Libyer beigegeben wurden (Diod. 13, 79; Cic. Scaur. 42). Die Analogie im Namen und im Rechtsverhältnis zwischen den Latinern Roms und den Libyphönikern Karthagos ist unverkennbar.
  2. Das libysche oder numidische Alphabet, das heißt dasjenige, womit die Berber ihre nichtsemitische Sprache schrieben und schreiben, eines der zahllosen aus dem aramäischen Uralphabet abgeleiteten, scheint allerdings diesem in einzelnen Formen näher zu stehen als das phönikische; aber es folgt daraus noch keineswegs, daß die Libyer die Schrift nicht von den Phönikern, sondern von älteren Einwanderern erhielten, so wenig als die teilweise älteren Formen der italischen Alphabete diese aus dem griechischen abzuleiten verbieten. Vielmehr wird die Ableitung des libyschen Alphabets aus dem phönikischen einer Periode des letzteren angehören, welche älter ist als die, in der die auf uns gekommenen Denkmäler der phönikischen Sprache geschrieben wurden.
  3. Der Wirtschafter auf dem Landgut, obwohl Sklave, muß dennoch, nach der Vorschrift des karthagischen Agronomen Mago (bei Varro rast. 1, 17), lesen können und einige Bildung besitzen. Im Prolog des Plautinischen ‚Poeners‘ heißt es von dem Titelhelden:
  4. Die Sprachen alle kann er, aber tut, als könn‘
    Er keine – ein Poener ist es durchaus; was wollt ihr mehr?
  5. Man hat an der Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Rücksicht auf den Raum die mögliche Einwohnerzahl auf höchstens 250000 Köpfe berechnet. Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen, namentlich in einer Handelsstadt mit sechsstöckigen Häusern, ist dagegen zu erinnern, daß die Zählung wohl politisch zu verstehen ist, nicht städtisch, ebenso wie die römischen Zensuszahlen, und daß dabei also alle Karthager gezählt sind, mochten sie in der Stadt oder in der Umgegend wohnen oder im untertänigen Gebiet oder im Ausland sich aufhalten. Solcher Abwesenden gab es natürlich eine große Zahl in Karthago; wie denn ausdrücklich berichtet wird, daß in Gades aus gleichem Grunde die Bürgerliste stets eine weit höhere Ziffer wies als die der in Gades ansässigen Bürger war.