5. Kapitel


5. Kapitel

Die ursprüngliche Verfassung Roms

Vater und Mutter, Söhne und Töchter, Hof und Wohnung, Knechte und Gerät – das sind die natürlichen Elemente, aus denen überall, wo nicht durch die Polygamie die Mutter als solche verschwindet, das Hauswesen besteht. Darin aber gehen die Völker höherer Kulturfähigkeit auseinander, daß diese natürlichen Gegensätze flacher oder tiefer, mehr sittlich oder mehr rechtlich aufgefaßt und durchgearbeitet werden. Keines kommt dem römischen gleich an schlichter, aber unerbittlicher Durchführung der von der Natur selbst vorgezeichneten Rechtsverhältnisse.

Die Familie, das heißt der durch den Tod seines Vaters in eigene Gewalt gelangte freie Mann mit der feierlich ihm von den Priestern zu Gemeinschaft des Wassers und des Feuers durch das heilige Salzmehl (durch Confarreatio) angetrauten Ehefrau, mit ihren Söhnen und Sohnessöhnen und deren rechten Frauen und ihren unverheirateten Töchtern und Sohnestöchtern nebst allem, einem von diesen zukommenden Hab und Gut ist eine Einheit, von der dagegen die Kinder der Töchter ausgeschlossen sind, da sie entweder, wenn sie ehelich sind, der Familie des Mannes angehören, oder, wenn außer der Ehe erzeugt, in gar keiner Familie stehen. Eigenes Haus und Kindersegen erscheinen dem römischen Bürger als das Ziel und der Kern des Lebens. Der Tod ist kein Übel, denn er ist notwendig; aber das Aussterben des Hauses oder gar des Geschlechts ist ein Unheil, selbst für die Gemeinde, welche darum in frühester Zeit dem Kinderlosen einen Rechtsweg eröffnete, durch Annahme fremder Kinder anstatt eigener diesem Verhängnis auszuweichen. Von vornherein trug die römische Familie die Bedingungen höherer Kultur in sich in der sittlich geordneten Stellung der Familienglieder zueinander. Familienhaupt kann nur der Mann sein; die Frau ist zwar im Erwerb von Gut und Geld nicht hinter dem Manne zurückgesetzt, sondern es nimmt die Tochter gleichen Erbteil mit dem Bruder, die Mutter gleichen Erbteil mit den Kindern, aber immer und notwendig gehört die Frau dem Hause, nicht der Gemeinde an, und ist auch im Hause notwendig hausuntertänig, die Tochter dem Vater, das Weib dem ManneDie folgende Grabschrift, obwohl einer viel späteren Zeit angehörig, ist nicht unwert, hier zu stehen. Es ist der Stein, der spricht.

Kurz, Wandrer ist mein Spruch: halt‘ an und lies ihn durch.
Es deckt der schlechte Grabstein eine schöne Frau.
Mit Namen nannten Claudia die Eltern sie;
Mit eigner Liebe liebte sie den eignen Mann;
Zwei Söhne gebar sie; einen ließ auf Erden sie
Zurück, den andern barg sie in der Erde Schoß.
Sie war von artiger Rede und von edlem Gang,
Versah ihr Haus und spann. Ich bin zu Ende, geh.

Vielleicht noch bezeichnender ist die Aufführung des Wollspinnens unter lauter sittlichen Eigenschaften, die in römischen Grabschriften nicht ganz selten ist. Orelli 4639: optima et pulcherrima, lanifica pia pudica frugi casta domiseda. Orelli 4860: modestia probitate pudicitia obsequio lanificzo diligentia fide par similisque cetereis probeis feminis fuit. Grabschrift der Turia 1, 30: domestica bona pudicitiae, obsequi, comitatis, facilitatis, lanificiis [tuis adsiduitatis, religionis] sine superstitione, ornatus non conspiciendi, cultus modici.

Indes war die Einheit der Familie so mächtig, daß selbst der Tod des Hausherrn sie nicht vollständig löste. Die durch denselben selbständig gewordenen Deszendenten betrachten dennoch in mancher Hinsicht sich noch als eine Einheit, wovon bei der Erbfolge und in vielen anderen Beziehungen Gebrauch gemacht wird, vor allen Dingen aber, um die Stellung der Witwe und der unverheirateten Töchter zu ordnen. Da nach älterer römischer Ansicht das Weib nicht fähig ist, weder über andere noch über sich die Gewalt zu haben, so bleibt die Gewalt über sie oder, wie sie mit milderem Ausdruck heißt, die Hut (tutela), bei dem Hause, dem sie angehört, und wird statt des verstorbenen Hausherrn jetzt ausgeübt durch die Gesamtheit der nächsten männlichen Familienglieder, regelmäßig also über die Mütter durch die Söhne, über die Schwestern durch die Brüder. In diesem Sinne dauerte die einmal gegründete Familie unverändert fort, bis der Mannesstamm ihres Urhebers ausstarb; nur mußte freilich von Generation zu Generation faktisch das Band sich lockern und zuletzt selbst die Möglichkeit des Nachweises der ursprünglichen Einheit verschwinden. Hierauf, und hierauf allein, beruht der Unterschied der Familie und des Geschlechts, oder, nach römischem Ausdruck, der Agnaten und der Gentilen. Beide bezeichnen den Mannesstamm; die Familie aber umfaßt nur diejenigen Individuen, welche von Generation zu Generation aufsteigend den Grad ihrer Abstammung von einem gemeinschaftlichen Stammherrn dartun können, das Geschlecht dagegen auch diejenigen, welche bloß die Abstammung selbst von einem gemeinschaftlichen Ahnherrn, aber nicht mehr vollständig die Zwischenglieder, also nicht den Grad, nachzuweisen vermögen. Sehr klar spricht sich das in den römischen Namen aus, wenn es heißt: „Quintus, Sohn des Quintus, Enkel des Quintus und so weiter, der Quintier“, so reicht die Familie so weit, als die Aszendenten individuell bezeichnet werden, und wo sie endlich aufhört, tritt ergänzend ein das Geschlecht, die Abstammung von dem gemeinschaftlichen Urahn, der auf alle seine Nachkommen den Namen der Quintuskinder vererbt hat.

Diesen streng geschlossenen, unter der Gewalt eines lebenden Herrn vereinigten oder aus der Auflösung solcher Häuser hervorgegangenen Familien- und Geschlechtseinheiten gehörten außerdem noch an zwar nicht die Gäste, das sind die Glieder anderer gleichartiger Kreise, welche vorübergehend in einem fremden Hause verweilen, und ebensowenig die Sklaven, welche rechtlich nur als Habe, nicht als Glieder des Hauses angesehen werden, aber wohl die Hörigen (clientes, von cluere), das heißt diejenigen Individuen, die, ohne freie Bürger irgendeines Gemeinwesens zu sein, doch in einem solchen im Zustande geschützter Freiheit sich befanden. Dahin gehörten teils die landflüchtigen Leute, die bei einem fremden Schutzherrn Aufnahme gefunden hatten, teils diejenigen Knechte, denen gegenüber der Herr auf den Gebrauch seiner Herrenrechte vorläufig verzichtet, ihnen die tatsächliche Freiheit geschenkt hatte. Es war dies Verhältnis in seiner Eigentümlichkeit nicht ein streng rechtliches wie das zu dem Gast; der Hörige blieb ein unfreier Mann, für den Treuwort und Herkommen die Unfreiheit milderte. Darum bilden die „Hörigen“ (clientes) des Hauses in Verbindung mit den eigentlichen Knechten die von dem Willen des „Bürgers“ (patronus, wie patricius) abhängige „Knechtschaft“ (familia); darum ist nach ursprünglichem Recht der Bürger befugt, das Vermögen des Klienten teilweise oder ganz wieder an sich zu ziehen, ihn vorkommenden Falls in die Sklaverei zurückzuversetzen, ja ihn am Leben zu strafen; und es sind nur tatsächliche Verschiedenheiten, wenn gegen den Klienten nicht so leicht wie gegen den wirklichen Knecht die volle Schärfe dieses hausherrlichen Rechtes hervorgekehrt wird und wenn auf der andern Seite die sittliche Verpflichtung des Herrn, für seine eigenen Leute zu sorgen und sie zu vertreten, bei dem tatsächlich freier gestellten Klienten größere Bedeutung gewinnt als bei dem Sklaven. Ganz besonders mußte die faktische Freiheit des Klienten der rechtlichen da sich nähern, wo das Verhältnis durch mehrere Generationen hindurchgegangen war: wenn der Freilasser und der Freigelassene selber gestorben waren, konnte das Herrenrecht über die Nachkommen des Freigelassenen von den Rechtsnachfolgern des Freilassers nicht ohne schreiende Impietät in Anspruch genommen werden. Also bildete schon in dem Hause selbst sich ein Kreis abhängig freier Leute, die von den Knechten sich ebenso unterschieden wie von den gleichberechtigten Geschlechtsgenossen.

Auf diesem römischen Hause beruht der römische Staat sowohl den Elementen als der Form nach. Die Volksgemeinde entstand aus der wie immer erfolgten Zusammenfügung jener alten Geschlechtsgenossenschaften der Romilier, Voltinier, Fabier und so ferner, das römische Gebiet aus den vereinigten Marken dieser Geschlechter; römischer Bürger war, wer einem jener Geschlechter angehörte. Jede innerhalb des Kreises in den üblichen Formen abgeschlossene Ehe galt als echte römische und begründete für die Kinder das Bürgerrecht; wer in unrechter oder außer der Ehe erzeugt war, war aus dem Gemeindeverband ausgeschlossen. Deshalb nannten die römischen Bürger sich die „Vaterkinder“ (patricii), insofern nur sie rechtlich einen Vater hatten. Die Geschlechter wurden mit allen in ihnen zusammengeschobenen Familien dem Staat, wie sie bestanden, einverleibt. Die häuslichen und Geschlechterkreise blieben innerhalb des Staates bestehen; allein dem Staate gegenüber galt die Stellung in denselben nicht, so daß der Haussohn im Hause unter, aber in politischen Pflichten und Rechten neben dem Vater stand. Die Stellung der Schutzbefohlenen änderte sich natürlich dahin, daß die Freigelassenen und die Klienten eines jeden Schutzherrn um seinetwillen in der ganzen Gemeinde geduldet wurden; zwar blieben sie zunächst angewiesen auf den Schutz derjenigen Familie, der sie angehörten, aber es lag doch auch in der Sache, daß von dem Gottesdienst und den Festlichkeiten der Gemeinde die Schutzbefohlenen der Gemeindeglieder nicht gänzlich ausgeschlossen werden konnten, wenn auch die eigentlichen bürgerlichen Rechte wie die eigentlichen bürgerlichen Lasten selbstverständlich dieselben nicht trafen. Um so mehr galt dies von den Schutzbefohlenen der Gesamtschaft. So bestand der Staat wie das Haus aus den eigenen und den zugewandten Leuten, den Bürgern und den Insassen.

Wie die Elemente des Staates die auf der Familie ruhenden Geschlechter sind, so ist auch die Form der Staatsgemeinschaft im einzelnen wie im ganzen der Familie nachgebildet. Dem Hause gibt die Natur selbst den Vater, mit dem dasselbe entsteht und vergeht. In der Volksgemeinde aber, die unvergänglich bestehen soll, findet sich kein natürlicher Herr, wenigstens in der römischen nicht, die aus freien und gleichen Bauern bestand und keines Adels von Gottes Gnaden sich zu rühmen vermochte. Darum wird einer aus ihrer Mitte ihr Leiter (rex) und Herr im Hause der römischen Gemeinde, wie denn auch in späterer Zeit in oder neben seiner Wohnung der ewig flammende Herd und die wohlversperrte Vorratskammer der Gemeinde, die römische Vesta und die römischen Penaten zu finden sind – sie alle die sichtbare Einheit des obersten Hauses darstellend, das ganz Rom einschloß. Das Königsamt beginnt, wenn das Amt erledigt und der Nachfolger bezeichnet ist, sofort und von Rechts wegen; aber vollen Gehorsam ist die Gemeinde dem König erst schuldig, wenn er die Versammlung der waffenfähigen Freien zusammenberufen und sie förmlich in Pflicht genommen hat. Alsdann hat er ganz die Macht in der Gemeinde, die im Hause dem Hausvater zukommt, und herrscht wie dieser auf Lebenszeit. Er verkehrt mit den Göttern der Gemeinde, die er befragt und befriedigt (auspicia publica), und ernennt alle Priester und Priesterinnen. Die Verträge, die er abschließt im Namen der Gemeinde mit Fremden, sind verpflichtend für das ganze Volk, obwohl sonst kein Gemeindeglied durch einen Vertrag mit dem Nichtmitglied der Gemeinschaft gebunden wird. Sein Gebot (imperium) ist allmächtig im Frieden wie im Kriege, weshalb die Boten (lictores, von licere laden) mit Beilen und Ruten ihm überall voranschreiten, wo er in amtlicher Funktion auftritt. Er allein hat das Recht, öffentlich zu den Bürgern zu reden, und er ist es, der die Schlüssel zu dem Gemeindeschatz führt. Ihm steht wie dem Vater das Züchtigungsrecht und die Gerichtsbarkeit zu. Er erkennt Ordnungsstrafen, namentlich Stockschläge wegen Versehen im Kriegsdienst. Er sitzt zu Gericht in allen privaten und kriminellen Rechtshändeln und entscheidet unbedingt über Leben und Tod wie über die Freiheit, so daß er dem Bürger den Mitbürger an Knechtes Statt zusprechen oder auch den Verkauf desselben in die wirkliche Sklaverei, also ins Ausland anordnen kann; der Berufung an das Volk um Begnadigung nach gefälltem Bluturteil stattzugeben, ist er berechtigt, jedoch nicht verpflichtet. Er bietet das Volk zum Kriege auf und er befehligt das Heer; nicht minder aber muß er bei Feuerlärm persönlich auf der Brandstelle erscheinen. Wie der Hausherr im Hause nicht der Mächtigste ist, sondern der allein Mächtige, so ist auch der König nicht der erste, sondern der einzige Machthaber im Staate; er mag aus den der heiligen oder der Gemeindesatzungen besonders kundigen Männern Sachverständigenvereine bilden und deren Rat einfordern; er mag, um sich die Übung der Gewalt zu erleichtern, einzelne Befugnisse andern übertragen, die Mitteilungen an die Bürgerschaft, den Befehl im Kriege, die Entscheidung der minder wichtigen Prozesse, die Aufspürung der Verbrechen; er mag namentlich, wenn er den Stadtbezirk zu verlassen genötigt ist, einen Stadtvogt (praefectus urbi) mit der vollen Gewalt eines Stellvertreters daselbst zurücklassen; aber jede Amtsgewalt neben der königlichen ist aus dieser abgeleitet und jeder Beamte nur durch den König und so lange dieser will im Amt. Alle Beamten der ältesten Zeit, der außerordentliche Stadtvogt sowohl wie die Abteilungsführer (tribuni, von tribus Teil) des Fußvolks (milites) und der Reiterei (celeres), sind nichts als Beauftragte des Königs und keineswegs Magistrate im späteren Sinn. Eine äußere rechtliche Schranke hat die Königsgewalt nicht und kann sie nicht haben; für den Herrn der Gemeinde gibt es so wenig einen Richter innerhalb der Gemeinde wie für den Hausherrn innerhalb des Hauses. Nur der Tod beendigt seine Macht. Die Wahl des neuen Königs steht bei dem Rat der Alten, auf den im Fall der Vakanz das „Zwischenkönigtum“ (interregnum) übergeht. Eine formelle Mitwirkung bei der Königswahl kommt der Bürgerschaft erst nach der Ernennung zu; rechtlich ruht das Königtum auf dem dauernden Kollegium der Väter (patres), das durch den interimistischen Träger der Gewalt den neuen König auf Lebenszeit einsetzt. Also wird „der hohe Göttersegen, unter dem die berühmte Roma gegründet ist“, von dem ersten königlichen Empfänger in stetiger Folge auf die Nachfolger übertragen und die Einheit des Staats trotz des Personenwechsels der Machthaber unveränderlich bewahrt. Diese Einheit des römischen Volkes, die im religiösen Gebiet der römische Diovis darstellt, repräsentiert rechtlich der Fürst, und darum ist auch seine Tracht die des höchsten Gottes; der Wagen selbst in der Stadt, wo sonst jedermann zu Fuß geht, der Elfenbeinstab mit dem Adler, die rote Gesichtsschminke, der goldene Eichenkranz kommen dem römischen Gott wie dem römischen König in gleicher Weise zu. Aber man würde sehr irren, darum aus der römischen Verfassung eine Theokratie zu machen; nie sind den Italienern die Begriffe Gott und König in ägyptischer und orientalischer Weise ineinander verschwommen. Nicht der Gott des Volkes ist der König, sondern viel eher der Eigentümer des Staats. Darum weiß man auch nichts von besonderer göttlicher Begnadigung eines Geschlechts oder von irgendeinem geheimnisvollen Zauber, danach der König von anderem Stoff wäre als andere Menschen; die edle Abkunft, die Verwandtschaft mit früheren Regenten ist eine Empfehlung, aber keine Bedingung; vielmehr kann rechtlich jeder zu seinen Jahren gekommene und an Geist und Leib gesunde römische Mann zum Königtum gelangenDaß Lahmheit vom höchsten Amte ausschloß, sagt Dionys. Daß das römische Bürgertum Bedingung wie des Konsuls so auch des Königtums war, versteht sich so sehr von selbst, daß es kaum der Mühe wert ist, die Fabeleien über den Bürger von Cures noch ausdrücklich abzuweisen.. Der König ist also eben nur ein gewöhnlicher Bürger, den Verdienst oder Glück, vor allem aber die Notwendigkeit, daß einer Herr sein müsse in jedem Hause, zum Herrn gesetzt haben über seinesgleichen, den Bauer über Bauern, den Krieger über Krieger. Wie der Sohn dem Vater unbedingt gehorcht und doch sich nicht geringer achtet als den Vater, so unterwirft sich der Bürger dem Gebieter, ohne ihn gerade für seinen Besseren zu halten. Darin liegt die sittliche und faktische Begrenzung der Königsgewalt. Der König konnte zwar, auch ohne gerade das Landrecht zu brechen, viel Unbilliges tun; er konnte den Mitstreitern ihren Anteil an der Beute schmälern, er konnte übermäßige Fronden auflegen oder sonst durch Auflagen unbillig eingreifen in das Eigentum des Bürgers; aber wenn er es tat, so vergaß er, daß seine Machtfülle nicht von Gott kam, sondern unter Gottes Zustimmung von dem Volke, das er vertrat, und wer schützte ihn, wenn dieses wieder des Eides vergaß, den es ihm geschworen? Die rechtliche Beschränkung aber der Königsgewalt lag darin, daß er das Gesetz nur zu üben, nicht zu ändern befugt war, jede Abweichung vom Gesetze vielmehr entweder von der Volksversammlung und dem Rat der Alten zuvor gutgeheißen sein mußte oder ein nichtiger und tyrannischer Akt war, dem rechtliche Folgen nicht entsprangen. So ist sittlich und rechtlich die römische Königsgewalt im tiefsten Grunde verschieden von der heutigen Souveränität und überhaupt im modernen Leben so wenig vom römischen Hause wie vom römischen Staat ein entsprechendes Abbild vorhanden.

Die Einteilung der Bürgerschaft ruht auf der Pflegschaft, der curia (wohl mit curare = coerare, κοίρανος verwandt); zehn Pflegschaften bilden die Gemeinde; jede Pflegschaft stellt hundert Mann zum Fußheer (daher miles, wie eques, der Tausendgänger), zehn Reiter und zehn Ratmänner. Bei kombinierten Gemeinden erscheint eine jede derselben natürlich als Teil (tribus) der ganzen Gemeinde (tota umbrisch und oskisch) und vervielfältigt sich die Grundzahl mit der Zahl der Teile. Diese Einteilung bezog sich zwar zunächst auf den Personalbestand der Bürgerschaft, ward aber ebenso auch angewandt auf die Feldmark, soweit diese überhaupt aufgeteilt war. Daß es nicht bloß Teil-, sondern auch Kurienmarken gab, kann um so weniger bezweifelt werden, als unter den wenigen überlieferten römischen Kuriennamen neben anscheinend gentilizischen, wie zum Beispiel Faucia, auch sicher örtliche, zum Beispiel Veliensis, vorkommen; eine jede derselben umfaßte in dieser ältesten Zeit der Feldgemeinschaft eine Anzahl der Geschlechtsmarken, von denen schon die Rede war.

In ihrer einfachsten GestaltSelbst in Rom, wo die einfache Zehnkurienverfassung sonst früh verschwunden ist, findet sich noch eine praktische Anwendung derselben, und merkwürdig genug eben bei demjenigen Formalakt, den wir auch sonst Grund haben, unter allen deren unsere Rechtsüberlieferung gedenkt für den ältesten zuhalten, bei der Confarreatio. Es scheint kaum zweifelhaft, daß deren zehn Zeugen dasselbe in der Zehnkurien-, was die dreißig Liktoren in der Dreißigkurienverfassung sind. begegnet diese Verfassung in dem Schema der späterhin unter römischem Einfluß entstandenen latinischen oder Bürgergemeinden; durchgängig zählten dieselben hundert Ratmänner (centumviri). Aber auch in der ältesten Tradition über das dreiteilige Rom, welche demselben dreißig Kurien, dreihundert Reiter, dreihundert Senatoren; dreitausend Fußsoldaten beilegt, treten durchgängig dieselben Normalzahlen hervor.

Nichts ist gewisser, als daß dieses älteste Verfassungsschema nicht in Rom entstanden, sondern uraltes, allen Latinern gemeinsames Recht ist, vielleicht sogar über die Trennung der Stämme zurückreicht. Die in solchen Dingen sehr glaubwürdige römische Verfassungstradition, die für alle übrigen Einteilungen der Bürgerschaft eine Geschichte hat, läßt einzig die Kurieneinteilung entstehen mit der Entstehung der Stadt; und damit im vollsten Einklang erscheint die Kurienverfassung nicht bloß in Rom, sondern tritt in dem neuerlich aufgefundenen Schema der latinischen Gemeindeordnungen auf als wesentlicher Teil des latinischen Stadtrechts überhaupt.

Der Kern dieses Schemas war und blieb die Gliederung in Kurien. Die „Teile“ können schon deshalb kein wesentliches Moment gewesen sein, weil ihr Vorkommen überhaupt wie nicht minder ihre Zahl zufällig ist; wo es deren gab, kam ihnen sicher keine andere Bedeutung zu, als daß das Andenken an eine Epoche, wo diese Teile selber Ganze gewesen waren, sich in ihnen bewahrteEs liegt dies schon im Namen. Der „Teil“ ist, wie der Jurist weiß, nichts als ein ehemaliges oder auch ein künftiges Ganze, also in der Gegenwart ohne alle Realität.. Es ist nirgends überliefert, daß der einzelne Teil einen Sondervorstand und Sonderzusammenkünfte gehabt habe; und die große Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß im Interesse der Einheit des Gemeinwesens den Teilen, aus denen es zusammengeschmolzen war, dergleichen in der Tat nie verstattet worden sind. Selbst im Heere zählte das Fußvolk zwar soviel Anführerpaare, als es Teile gab; aber es befehligte nicht jedes dieser Kriegstribunenpaare das Kontingent einer Tribus, sondern sowohl jeder einzelne Kriegstribun wie alle zusammen geboten über das gesamte Fußheer. Die Geschlechter sind unter die einzelnen Kurien verteilt, die Grenzen derselben wie die des Hauses durch die Natur gegeben. Darauf, daß die gesetzgebende Gewalt modifizierend in diese Kreise eingegriffen hat, das große Geschlecht in Zweige gespalten und es als doppeltes gezählt oder mehrere schwache zusammengeschlagen, führt in der römischen Überlieferung schlechterdings keine Spur; auf jeden Fall ist dies nur in so beschränkter Weise geschehen, daß der verwandtschaftliche Grundcharakter des Geschlechtes dadurch nicht verändert worden ist. Es wird darum weder die Zahl der Geschlechter, noch viel weniger die der Häuser gedacht werden dürfen als rechtlich fixiert; wenn die Kurie hundert Mann zu Fuß und zehn Reiter zu stellen hatte, so ist es weder überliefert noch glaublich, daß man aus jedem Geschlecht einen Reiter und aus jedem Hause einen Fußgänger genommen hat. Das einzig funktionierende Glied in dem ältesten Verfassungsorganismus ist die Kurie, deren es zehn, oder wo mehrere Teile waren, je zehn auf jeden Teil gab. Eine solche Pflegschaft war eine wirkliche korporative Einheit, deren Mitglieder wenigstens zu gemeinsamen Festen sich versammelten, die auch jede unter einem besonderen Pfleger (curio) standen und einen eigenen Priester (flamen curialis) hatten; ohne Zweifel wurde auch nach Kurien ausgehoben und geschätzt, und im Ding trat die Bürgerschaft nach Kurien zusammen und stimmte nach Kurien ab. Indes kann diese Ordnung nicht zunächst der Abstimmung wegen eingeführt sein, da man sonst sicherlich die Zahl der Abteilungen ungerade gemacht haben würde.

So schroff der Bürger dem Nichtbürger gegenüberstand, so vollkommen war innerhalb der Bürgerschaft die Rechtsgleichheit. Vielleicht gibt es kein Volk, das in unerbittlich strenger Durchführung des einen wie des andern Satzes es den Römern jemals gleichgetan hat. Die Schärfe des Gegensatzes zwischen Bürgern und Nichtbürgern bei den Römern tritt vielleicht nirgends mit solcher Deutlichkeit hervor wie in der Behandlung der uralten Institution des Ehrenbürgerrechts, welches ursprünglich bestimmt war, diesen Gegensatz zu vermitteln. Wenn ein Fremder durch Gemeindebeschluß in den Kreis der Bürger hineingenommen ward, so konnte er zwar sein bisheriges Bürgerrecht aufgeben, wo er dann völlig in die neue Gemeinschaft übertrat, aber auch jenes mit dem ihm neu gewährten verbinden. So war es älteste Sitte und so ist es in Hellas immer geblieben, wo auch späterhin nicht selten derselbe Mann in mehreren Gemeinden gleichzeitig verbürgert war. Allein das lebendiger entwickelte Gemeindegefühl Latiums duldete es nicht, daß man zweien Gemeinden zugleich als Bürger angehören könne, und ließ für den Fall, wo der neugewählte Bürger nicht die Absicht hatte, sein bisheriges Gemeinderecht aufzugeben, dem nominellen Ehrenbürgerrecht nur die Bedeutung der gastrechtlichen Freundschaft und Schutzverpflichtung, wie sie auch Ausländern gegenüber von jeher vorgekommen war.

Aber mit dieser strengen Einhaltung der Schranken gegen außen ging Hand in Hand, daß aus dem Kreise der römischen Bürgergemeinde jede Rechtsverschiedenheit der Glieder unbedingt ferngehalten wurde. Daß die innerhalb des Hauses bestehenden Unterschiede, welche freilich nicht beseitigt werden konnten, innerhalb der Gemeinde wenigstens ignoriert wurden, wurde bereits erwähnt; derselbe, der als Sohn dem Vater zu eigen untergeben war, konnte also als Bürger in den Fall kommen ihm als Herr zu gebieten. Standesvorzüge aber gab es nicht; daß die Titier den Ramnern, beide den Lucerern in der Reihe vorangingen, tat ihrer rechtlichen Gleichstellung keinen Eintrag. Die Bürgerreiterei, welche in dieser Zeit zum Einzelgefecht vor der Linie zu Pferd oder auch zu Fuß verwandt ward und mehr eine Eliten- oder Reservetruppe als eine Spezialwaffe war, also durchaus die wohlhabendste, bestgerüstete und bestgeübte Mannschaft in sich schloß, war natürlich angesehener als das Bürgerfußvolk; aber auch dieser Gegensatz war rein tatsächlicher Art und der Eintritt in die Reiterei ohne Zweifel jedem Patrizier gestattet. Es war einzig und allein die verfassungsmäßige Gliederung der Bürgerschaft, welche rechtliche Unterschiede hervorrief; im übrigen war die rechtliche Gleichheit aller Gemeindeglieder selbst in der äußerlichen Erscheinung durchgeführt. Die Tracht zeichnete wohl den Vorsteher der Gemeinde vor den Gliedern derselben, den erwachsenen dienstpflichtigen Mann vor dem noch nicht heerbannfähigen Knaben aus; übrigens aber durfte der Reiche und Vornehme wie der Arme und Niedriggeborene öffentlich nur erscheinen in dem gleichen einfachen Umwurf (toga) von weißem Wollenstoff. Diese vollkommene Rechtsgleichheit der Bürger ist ohne Zweifel ursprünglich begründet in der indogermanischen Gemeindeverfassung, aber in dieser Schärfe der Auffassung und Durchführung doch eine der bezeichnendsten und der folgenreichsten Eigentümlichkeiten der latinischen Nation; und wohl mag man dabei sich erinnern, daß in Italien keine den latinischen Einwanderern botmäßig gewordene Rasse älterer Ansiedlung und geringerer Kulturfähigkeit begegnet und damit die hauptsächliche Gelegenheit mangelte, woran das indische Kastenwesen, der spartanische und thessalische und wohl überhaupt der hellenische Adel und vermutlich auch die deutsche Ständescheidung angeknüpft hat.

Daß der Staatshaushalt auf der Bürgerschaft ruht, versteht sich von selbst. Die wichtigste Bürgerleistung war der Heerdienst; denn nur die Bürgerschaft hatte das Recht und die Pflicht die Waffen zu tragen. Die Bürger sind zugleich die „Kriegerschaft“ (populus, verwandt mit populari verheeren); in den alten Litaneien ist es die „speerbewehrte Kriegsmannschaft“ (pilumnus poplus), auf die der Segen des Mars herabgefleht wird und selbst die Benennung, mit welcher der König sie anredet, der QuiritenUnter den acht sakralen Institutionen des Numa führt Dionysios (2, 64) nach den Kurionen und den Flamines als dritte auf die Führer der Reiter (οι ηγεμόνες τών Κελερίων). Nach dem praenestinischen Kalender wird am 19. März ein Fest auf dem Comitium begangen [adstantibus pon]tificibus et trib(unis) celer(um). Valerius Antias (bei Dion. Hal. 1, 13 vgl. 3, 41) gibt der ältesten römischen Reiterei einen Führer Celer und drei Centurionen, wogegen in der Schrift ‚De viris illustribus‘ 1 Celer selbst centurio genannt wird. Ferner soll Brutus bei Vertreibung der Könige tribunus celerum gewesen sein (Liv. 1, 59), nach Dionysios (4, 71) sogar kraft dieses Amtes die Verbannung der Tarquinier beantragt haben. Endlich identifizieren Pomponius (dig. 1, 2, 2, 15; 19) und ähnlich, zum Teil wohl aus ihm schöpfend, Lydus (mag. 1, 14; 37) den tribunus celerum mit dem Celer des Antias, dem magister equitum des republikanischen Diktators, dem Praefectus Praetorio der Kaiserzeit.

Von diesen Angaben, den einzigen, die über die tribuni celerum vorhanden sind, rührt die letzte nicht bloß von späten und gänzlich unzuverlässigen Gewährsmännern her, sondern widerspricht auch der Bedeutung des Namens, welcher nur „Teilführer der Reiter“ heißen kann; vor allen Dingen aber kann der immer nur außerordentlich und späterhin gar nicht mehr ernannte Reiterführer der republikanischen Zeit unmöglich identisch gewesen sein mit der für das Jahrfest des 19. März erforderlichen, also stehenden Magistratur. Sieht man, wie man notwendig muß, ab von der Nachricht des Pomponius, die offenbar lediglich hervorgegangen ist aus der mit immer steigender Unwissenheit historisierten Brutusanekdote, so ergibt sich einfach, daß die tribuni celerum den tribuni militum in Zahl und Wesen durchaus entsprechen und die Abteilungsführer der Reiter gewesen sind, also völlig verschieden von dem Reiterfeldherrn.

Indes nicht bloß leistend und dienend erscheint die römische Bürgerschaft, sondern auch beteiligt an dem öffentlichen Regimente. Es traten hierzu die Gemeindeglieder alle, mit Ausnahme der Weiber und der noch nicht waffenfähigen Kinder, also, wie die Anrede lautet, die „Lanzenmänner“ (quirites) auf der Dingstätte zusammen, wenn der König sie berief, um ihnen eine Mitteilung zu machen (conventio, contio) oder auch sie förmlich auf die dritte Woche (in trinum noundinum) zusammentreten hieß (comitia), um sie nach Kurien zu befragen. Ordnungsmäßig setzte derselbe zweimal im Jahr, zum 24. März und zum 24. Mai, dergleichen förmliche Gemeindeversammlungen an und außerdem, so oft es ihm erforderlich schien; immer aber lud er die Bürger nicht zum Reden, sondern zum Hören, nicht zum Fragen, sondern zum Antworten. Niemand spricht in der Versammlung als der König oder wem er das Wort zu gestatten für gut findet; die Rede der Bürgerschaft ist einfache Antwort auf die Frage des Königs, ohne Erörterung, ohne Begründung, ohne Bedingung, ohne Fragteilung. Nichtsdestoweniger ist die römische Bürgergemeinde eben wie die deutsche und vermutlich die älteste indogermanische überhaupt die eigentliche und letzte Trägerin der Idee des souveränen Staats; allein diese Souveränität ruht im ordentlichen Lauf der Dinge oder äußert sich doch hier nur darin, daß die Bürgerschaft sich zum Gehorsam gegen den Vorsteher freiwillig verpflichtet. Zu diesem Ende richtet der König, nachdem er sein Amt angetreten hat, an die versammelten Kurien die Frage, ob sie ihm treu und botmäßig sein und ihn selbst wie seine Boten (lictores) in hergebrachter Weise anerkennen wollen; eine Frage, die ohne Zweifel ebensowenig verneint werden durfte, als die ihr ganz ähnliche Huldigung in der Erbmonarchie verweigert werden darf. Es war durchaus folgerichtig, daß die Bürgerschaft, eben als der Souverän, ordentlicher Weise an dem Gang der öffentlichen Geschäfte sich nicht beteiligte. Solange die öffentliche Tätigkeit sich beschränkt auf die Ausübung der bestehenden Rechtsordnungen, kann und darf die eigentlich souveräne Staatsgewalt nicht eingreifen: es regieren die Gesetze, nicht der Gesetzgeber. Aber anders ist es, wo eine Änderung der bestehenden Rechtsordnung oder auch nur eine Abweichung von derselben in einem einzelnen Fall notwendig wird; und hier tritt denn auch in der römischen Verfassung ohne Ausnahme die Bürgerschaft handelnd auf, so daß ein solcher Akt der souveränen Staatsgewalt vollzogen wird durch das Zusammenwirken der Bürgerschaft und des Königs oder Zwischenkönigs. Wie das Rechtsverhältnis zwischen Regent und Regierten selbst durch mündliche Frage und Antwort kontraktmäßig sanktioniert wird, so wird auch jeder Oberherrlichkeitsakt der Gemeinde zustande gebracht durch eine Anfrage (rogatio), welche der König an die Bürger gerichtet und welcher die Mehrzahl der Kurien zugestimmt hat; in welchem Fall die Zustimmung ohne Zweifel auch verweigert werden durfte. Darum ist den Römern das Gesetz nicht zunächst, wie wir es fassen, der von dem Souverän an die sämtlichen Gemeindeglieder gerichtete Befehl, sondern zunächst der zwischen den konstitutiven Gewalten des Staates durch Rede und Gegenrede abgeschlossene VertragLēx, die Bindung (verwandt mit lēgare, zu etwas verbinden) bezeichnet bekanntlich überhaupt den Vertrag, jedoch mit der Nebenbedeutung eines Vertrages, dessen Bedingungen der Proponent diktiert und der andere Teil einfach annimmt oder ablehnt; wie dies z. B. bei öffentlichen Lizitationen der Fall zu sein pflegt. Bei der lex publica populi Romani ist der Proponent der König, der Akzeptant das Volk; die beschränkte Mitwirkung des letzteren ist also auch sprachlich prägnant bezeichnet.. Einer solchen Gesetzvertragung bedurfte es rechtlich in allen Fällen, die der ordentlichen Rechtskonsequenz zuwiderliefen. Im gewöhnlichen Rechtslauf kann jeder unbeschränkt sein Eigentum weggeben an wen er will, allein nur in der Art, daß er dasselbe sofort aufgibt; daß das Eigentum vorläufig dem Eigentümer bleibe und bei seinem Tode auf einen andern übergehe, ist rechtlich unmöglich – es sei denn, daß ihm die Gemeinde solches gestatte; was hier nicht bloß die auf dem Markt versammelte, sondern auch die zum Kampf sich ordnende Bürgerschaft bewilligen konnte. Dies ist der Ursprung der Testamente. Im gewöhnlichen Rechtslauf kann der freie Mann das unveräußerliche Gut der Freiheit nicht verlieren noch weggeben, darum auch, wer keinem Hausherrn untertan ist, sich nicht einem andern an Sohnes Statt unterwerfen – es sei denn, daß ihm die Gemeinde solches gestatte. Dies ist die Adrogation. Im gewöhnlichen Rechtslauf kann das Bürgerrecht nur gewonnen werden durch die Geburt und nicht verloren werden – es sei denn, daß die Gemeinde das Patriziat verleihe oder dessen Aufgeben gestatte, was beides unzweifelhaft ursprünglich ohne Kurienbeschluß nicht in gültiger Weise geschehen konnte. Im gewöhnlichen Rechtslauf trifft den todeswürdigen Verbrecher, nachdem der König oder sein Stellvertreter nach Urteil und Recht den Spruch getan, unerbittlich die Todesstrafe, da der König nur richten, nicht begnadigen kann – es sei denn, daß der zum Tode verurteilte Bürger die Gnade der Gemeinde anrufe und der Richter ihm die Betretung des Gnadenwegs freigebe. Dies ist der Anfang der Provokation, die darum auch vorzugsweise nicht dem leugnenden Verbrecher gestattet wird, der überwiesen ist, sondern dem geständigen, der Milderungsgründe geltend macht. Im gewöhnlichen Rechtslauf darf der mit einem Nachbarstaat geschlossene ewige Vertrag nicht gebrochen werden – es sei denn, daß wegen zugefügter Unbill die Bürgerschaft sich desselben entbunden erachtet. Daher mußte sie notwendig befragt werden, wenn ein Angriffskrieg beabsichtigt wird, nicht aber bei dem Verteidigungskrieg, wo der andere Staat den Vertrag bricht, noch auch beim Abschluß des Friedens; doch richtete sich jene Frage, wie es scheint, nicht an die gewöhnliche Versammlung der Bürger, sondern an das Heer. So wird endlich überhaupt, wenn der König eine Neuerung beabsichtigt, eine Änderung des bestehenden gemeinen Rechtes, es notwendig, die Bürger zu befragen; und insofern ist das Recht der Gesetzgebung von alters her nicht ein Recht des Königs, sondern ein Recht des Königs und der Gemeinde. In diesen und in allen ähnlichen Fällen konnte der König ohne Mitwirkung der Gemeinde nicht mit rechtlicher Wirkung handeln; der vom König allein zum Patrizier erklärte Mann blieb nach wie vor Nichtbürger, und es konnte der nichtige Akt nur etwa faktische Folgen erzeugen. Insofern war also die Gemeindeversammlung, wie beschränkt und gebunden sie auch auftrat, doch von alters her ein konstitutives Element des römischen Gemeinwesens und stand dem Rechte nach mehr über als neben dem König.

Aber neben dem König und neben der Bürgerversammlung erscheint in der ältesten Gemeindeverfassung noch eine dritte Grundgewalt, nicht zum Handeln bestimmt wie jener noch zum Beschließen wie diese, und dennoch neben beide und innerhalb ihres Rechtskreises über beide gesetzt. Dies ist der Rat der Alten oder der senatus. Unzweifelhaft ist derselbe hervorgegangen aus der Geschlechtsverfassung: die alte Überlieferung, daß in dem ursprünglichen Rom die sämtlichen Hausväter den Senat gebildet hätten, ist staatsrechtlich insofern richtig, als jedes der nicht erst nachher zugewanderten Geschlechter des späteren Rom seinen Ursprung zurückführte auf einen jener Hausväter der ältesten Stadt als auf seinen Stammvater und Patriarchen. Wenn, wie dies wahrscheinlich ist, es in Rom oder doch in Latium einmal eine Zeit gegeben hat, wo wie der Staat selbst, so auch jedes seiner letzten Bestandteile, das heißt jedes Geschlecht gleichsam monarchisch organisiert war und unter einem, sei es durch Wahl der Geschlechtsgenossen oder des Vorgängers, sei es durch Erbfolge bestimmten Ältesten stand, so ist in derselben Epoche auch der Senat nichts gewesen als die Gesamtheit dieser Gechlechtsältesten und demnach eine vom König wie von der Bürgerversammlung unabhängige Institution, gegenüber der letzteren, unmittelbar durch die Gesamtheit der Bürger gebildeten gewissermaßen eine repräsentative Versammlung von Volksvertretern. Allerdings ist jene gleichsam staatliche Selbständigkeit der Geschlechter bei dem latinischen Stamm in unvordenklich früher Zeit überwunden und der erste und vielleicht schwerste Schritt, um aus der Geschlechtsordnung die Gemeinde zu entwickeln, die Beseitigung der Geschlechtsältesten, möglicherweise in Latium lange vor der Gründung Roms getan worden; wie wir das römische Geschlecht kennen, ist es durchaus ohne ein sichtbares Haupt und zur Vertretung des gemeinsamen Patriarchen, von dem alle Geschlechtsmänner abstammen oder abzustammen behaupten, von den lebenden Geschlechtsgenossen kein einzelner vorzugsweise berufen, so daß selbst Erbschaft und Vormundschaft, wenn sie dem Geschlecht ansterben, von den Geschlechtsgenossen insgesamt geltend gemacht werden. Aber nichtsdestoweniger sind von dem ursprünglichen Wesen des Rates der Ältesten auch auf den römischen Senat noch viele und wichtige Rechtsfolgen übergegangen; um es mit einem Worte zu sagen, die Stellung des Senats, wonach er etwas anderes und mehr ist als ein bloßer Staatsrat, als die Versammlung einer Anzahl vertrauter Männer, deren Ratschläge der König einzuholen zweckmäßig findet, beruht lediglich darauf, daß er einst eine Versammlung gewesen war gleich jener, die Homer schildert, der um den König im Kreise herum zu Rate sitzenden Fürsten und Herren des Volkes. Solange der Senat durch die Gesamtheit der Geschlechtshäupter gebildet ward, kann die Zahl der Mitglieder eine feste nicht gewesen sein, da die der Geschlechter es auch nicht war; aber in frühester, vielleicht schon in vorrömischer Zeit ist die Zahl der Mitglieder des Rats der Ältesten für die Gemeinde ohne Rücksicht auf die Zahl der zur Zeit vorhandenen Geschlechter auf hundert festgestellt worden, sodaß von der Verschmelzung der drei Urgemeinden die Vermehrung der Senatssitze auf die seitdem feststehende Normalzahl von dreihundert die staatsrechtlich notwendige Folge war. Auf Lebenszeit ferner sind die Ratsherren zu allen Zeiten berufen worden; und wenn in späterer Zeit dies lebenslängliche Verbleiben mehr tatsächlich als von Rechts wegen eintrat und die von Zeit zu Zeit stattfindenden Revisionen der Senatsliste eine Gelegenheit darboten, den unwürdigen oder auch nur mißliebigen Ratsherrn zu beseitigen, so hat diese Einrichtung sich nachweislich erst im Laufe der Zeit entwickelt. Die Wahl der Senatoren hat allerdings, seit es Geschlechtshäupter nicht mehr gab, bei dem König gestanden; wohl aber mag bei dieser Wahl in älterer Zeit, solange noch die Individualität der Geschlechter im Volke lebendig war, als Regel, wenn ein Senator starb, der König einen anderen erfahrenen und bejahrten Mann derselben Geschlechtsgenossenschaft an seine Stelle berufen haben. Vermutlich ist erst mit der steigenden Verschmelzung und inneren Einigung der Volksgemeinde hiervon abgegangen worden und die Auswahl der Ratsherren ganz in das freie Ermessen des Königs übergegangen, so daß nur das noch als Mißbrauch erschien, wenn er erledigte Stellen unbesetzt ließ.

Die Befugnis dieses Rates der Ältesten beruht auf der Anschauung, daß die Herrschaft über die aus den Geschlechtern gebildete Gemeinde von Rechts wegen den sämtlichen Geschlechtsältesten zusteht, wenn sie auch, nach der schon in dem Hause so scharf sich ausprägenden monarchischen Grundanschauung der Römer, zur Zeit immer nur von einem dieser Ältesten, das ist von dem König, ausgeübt werden kann. Ein jedes Mitglied des Senats ist also als solches, nicht der Ausübung, aber der Befugnis nach, ebenfalls König der Gemeinde; weshalb auch seine Abzeichen zwar geringer als die königlichen, aber denselben gleichartig sind: er trägt den roten Schuh gleich dem König, nur daß der des Königs höher und ansehnlicher ist als der des Senators. Hierauf beruht es ferner, daß, wie bereits erwähnt ward, die königliche Gewalt in der römischen Gemeinde überhaupt nicht erledigt werden kann. Stirbt der König, so treten ohne weiteres die Ältesten an seine Stelle und üben die Befugnisse der königlichen Gewalt. Jedoch nach dem unwandelbaren Grundsatz, daß nur einer zur Zeit Herr sein kann, herrscht auch jetzt immer nur einer von ihnen und es unterscheidet sich ein solcher „Zwischenkönig“ (interrex) von dem auf Lebenszeit ernannten zwar in der Dauer, nicht aber in der Fülle der Gewalt. Die Dauer des Zwischenkönigtums ist für die einzelnen Inhaber festgesetzt auf höchstens fünf Tage; es geht dasselbe demnach unter den Senatoren in der Art um, daß, bis das Königtum auf die Dauer wieder besetzt ist, der zeitige Inhaber bei Ablauf jener Frist gemäß der durch das Los festgesetzten Reihenfolge es dem Nachfolger ebenfalls auf fünf Tage übergibt. Ein Treuwort wird dem Zwischenkönig begreiflicherweise von der Gemeinde nicht geleistet. Im übrigen aber ist der Zwischenkönig berechtigt und verpflichtet, nicht bloß alle dem König sonst zustehenden Amtshandlungen vorzunehmen, sondern selbst einen König auf Lebenszeit zu ernennen – nur dem erstbestellten von ihnen fehlt ausnahmsweise das letztere Recht, vermutlich weil dieser angesehen wird als mangelhaft eingesetzt, da er nicht von seinem Vorgänger ernannt ist. Also ist diese Ältestenversammlung am letzten Ende die Trägerin der Herrschermacht (imperium) und des Gottesschutzes (auspicia) des römischen Gemeinwesens und in ihr die Bürgschaft gegeben für die ununterbrochene Dauer desselben und seiner monarchischen, nicht aber erblich monarchischen Ordnung. Wenn also dieser Senat später den Griechen eine Versammlung von Königen zu sein dünkte, so ist das nur in der Ordnung: ursprünglich ist er in der Tat eine solche gewesen.

Aber nicht bloß insofern der Begriff des ewigen Königtums in dieser Versammlung seinen lebendigen Ausdruck fand, ist sie ein wesentliches Glied der römischen Gemeindeverfassung. Zwar hat der Rat der Ältesten sich nicht in die Amtstätigkeit des Königs einzumischen. Seine Stellvertreter freilich hat dieser, falls er nicht imstande war, selbst das Heer zu führen oder den Rechtsstreit zu entscheiden, wohl von jeher aus dem Senat genommen – weshalb auch später noch die höchsten Befehlshaberstellen regelmäßig nur an Senatoren vergeben und ebenso als Geschworene vorzugsweise Senatoren verwendet werden. Aber weder bei der Heerleitung noch bei der Rechtsprechung ist der Senat in seiner Gesamtheit je zugezogen worden; weshalb es auch in dem späteren Rom nie ein militärisches Befehlsrecht und keine Gerichtsbarkeit des Senats gegeben hat. Aber wohl galt der Rat der Alten als der berufene Wahrer der bestehenden Verfassung, selbst gegenüber dem König und der Bürgerschaft. Es lag deshalb ihm ob, jeden auf Antrag des Königs von dieser gefaßten Beschluß zu prüfen und, wenn derselbe die bestehenden Rechte zu verletzen schien, demselben die Bestätigung zu versagen; oder, was dasselbe ist, in allen Fällen, wo verfassungsmäßig ein Gemeindebeschluß erforderlich war, also bei jeder Verfassungsänderung, bei der Aufnahme neuer Bürger, bei der Erklärung eines Angriffskrieges, kam dem Rat der Alten ein Veto zu. Allerdings darf man dies wohl nicht so auffassen, als habe die Gesetzgebung der Bürgerschaft und dem Rat gemeinschaftlich zugestanden, etwa wie den beiden Häusern in dem heutigen konstitutionellen Staat: der Senat war nicht sowohl Gesetzgeber als Gesetzwächter und konnte den Beschluß nur dann kassieren, wenn die Gemeinde ihre Befugnisse überschritten, also bestehende Verpflichtungen gegen die Götter oder gegen auswärtige Staaten oder auch organische Einrichtungen der Gemeinde durch ihren Beschluß verletzt zu haben schien. Immer aber bleibt es vom größten Gewichte, daß zum Beispiel, wenn der römische König die Kriegserklärung beantragt und die Bürgerschaft dieselbe zum Beschluß erhoben hatte, auch die Sühne, welche die auswärtige Gemeinde zu erlegen verpflichtet schien, von derselben umsonst gefordert worden war, der römische Sendbote die Götter zu Zeugen der Unbill anrief, und mit den Worten schloß: „darüber aber wollen wir Alten Rat pflegen daheim, wie wir zu unsrem Rechte kommen“; erst wenn der Rat der Alten sich einverstanden erklärt hatte, war der nun von der Bürgerschaft beschlossene, vom Senat gebilligte Krieg förmlich erklärt. Gewiß war es weder die Absicht noch die Folge dieser Satzung, ein stetiges Eingreifen des Senats in die Beschlüsse der Bürgerschaft hervorzurufen und durch solche Bevormundung die Bürgerschaft ihrer souveränen Gewalt zu entkleiden; aber wie im Fall der Vakanz des höchsten Amtes der Senat die Dauer der Gemeindeverfassung verbürgte, finden wir auch hier ihn als den Hort der gesetzlichen Ordnung gegenüber selbst der höchsten Gewalt, der Gemeinde.

Hieran wahrscheinlich knüpft endlich auch die allem Anschein nach uralte Übung an, daß der König die an die Volksgemeinde zu bringenden Anträge vorher dem Rat der Alten vorlegte und dessen sämtliche Mitglieder eines nach dem anderen darüber ihr Gutachten abgeben ließ. Da dem Senat das Recht zustand, den gefaßten Beschluß zu kassieren, so lag es dem König nahe, sich vorher die Überzeugung zu verschaffen, daß Widerspruch hier nicht zu befürchten sei; wie denn überhaupt einerseits die römische Sitte es mit sich brachte, in wichtigen Fällen sich nicht zu entscheiden, ohne anderer Männer Rat vernommen zu haben, anderseits der Senat seiner ganzen Zusammensetzung nach dazu berufen war, dem Herrscher der Gemeinde als Staatsrat zur Seite zu stehen. Aus diesem Raterteilen ist, weit mehr als aus der bisher bezeichneten Kompetenz, die spätere Machtfülle des Senats hervorgegangen; die Anfänge indes sind unscheinbar und gehen eigentlich auf in die Befugnis der Senatoren, dann zu antworten, wenn sie gefragt werden. Es mag üblich gewesen sein, bei Angelegenheiten von Wichtigkeit, die weder richterliche noch feldherrliche waren, also zum Beispiel, abgesehen von den an die Volksversammlung zu bringender Anträgen, auch bei der Auflage von Fronden und Steuern, bei der Einberufung der Bürger zum Wehrdienst und bei Verfügungen über das eroberte Gebiet, den Senat vorher zu fragen; aber wenn auch üblich, rechtlich notwendig war eine solche vorherige Befragung nicht. Der König beruft den Rat, wenn es ihm beliebt und legt die Fragen ihm vor; ungefragt darf kein Ratsherr seine Meinung sagen, noch weniger der Rat sich ungeladen versammeln, abgesehen von dem einen Fall, wo er in der Vakanz zusammentritt, um die Reihenfolge der Zwischenkönige festzustellen. Daß es ferner dem König zusteht, neben den Senatoren und gleichzeitig mit ihnen auch andere Männer seines Vertrauens zu berufen und zu befragen, ist in hohem Grade wahrscheinlich. Der Ratschlag sodann ist kein Befehl; der König kann es unterlassen, ihm zu folgen, ohne daß dem Senat ein anderes Mittel zustände, seiner Ansicht praktische Geltung zu schaffen als jenes früher erwähnte keineswegs allgemein anwendbare Kassationsrecht. „Ich habe euch gewählt, nicht daß ihr mich leitet, sondern um euch zu gebieten“: diese Worte, die ein späterer Schriftsteller dem König Romulus in den Mund legt, bezeichnen nach dieser Seite hin die Stellung des Senats gewiß im wesentlichen richtig.

Fassen wir die Ergebnisse zusammen. Es war die römische Bürgergemeinde, an welcher der Begriff der Souveränität haftete; aber allein zu handeln war sie nie, mitzuhandeln nur dann befugt, wenn von der bestehenden Ordnung abgegangen werden sollte. Neben ihr stand die Versammlung der lebenslänglich bestellten Gemeindeältesten, gleichsam ein Beamtenkollegium mit königlicher Gewalt, berufen im Fall der Erledigung des Königsamtes, dasselbe bis zur definitiven Wiederbesetzung durch ihre Mitglieder zu verwalten, und befugt, den rechtswidrigen Beschluß der Gemeinde umzustoßen. Die königliche Gewalt selber war, wie Sallust sagt, zugleich unbeschränkt und durch die Gesetze gebunden (imperium legitimum); unbeschränkt, insofern des Königs Gebot, gerecht oder nicht, zunächst unbedingt vollzogen werden mußte, gebunden, insofern ein dem Herkommen zuwiderlaufendes und nicht von dem wahren Souverän, dem Volke, gutgeheißenes Gebot auf die Dauer keine rechtlichen Folgen erzeugte. Also war die älteste römische Verfassung gewissermaßen die umgekehrte konstitutionelle Monarchie. Wie in dieser der König als Inhaber und Träger der Machtfülle des Staates gilt und darum zum Beispiel die Gnadenakte lediglich von ihm ausgehen, den Vertretern des Volkes aber und den ihnen verantwortlichen Beamten die Staatsverwaltung zukommt, so war die römische Volksgemeinde ungefähr, was in England der König ist und das Begnadigungsrecht, wie in England ein Reservatrecht der Krone, so in Rom ein Reservatrecht der Volksgemeinde, während alles Regiment bei dem Vorsteher der Gemeinde stand.

Fragen wir endlich nach dem Verhältnis des Staates selbst zu dessen einzelnen Gliedern, so finden wir den römischen Staat gleich weit entfernt von der Lockerheit des bloßen Schutzverbandes und von der modernen Idee einer unbedingten Staatsallmacht. Die Gemeinde verfügte wohl über die Person des Bürgers durch Auflegung von Gemeindelasten und Bestrafung der Vergehen und Verbrechen; aber ein Spezialgesetz, das einen einzelnen Mann wegen nicht allgemein verpönter Handlungen mit Strafe belegte oder bedrohte, ist, selbst wenn in den Formen nicht gefehlt war, doch den Römern stets als Willkür und Unrecht erschienen. Bei weitem beschränkter noch war die Gemeinde hinsichtlich der Eigentums- und, was damit mehr zusammenfiel als zusammenhing, der Familienrechte; in Rom wurde nicht, wie in dem lykurgischen Polizeistaat, das Haus geradezu vernichtet und die Gemeinde auf dessen Kosten groß gemacht. Es ist einer der unleugbarsten wie einer der merkwürdigsten Sätze der ältesten römischen Verfassung, daß der Staat den Bürger wohl fesseln und hinrichten, aber nicht ihm seinen Sohn oder seinen Acker wegnehmen oder auch nur ihn mit bleibender Wirkung besteuern durfte. In diesen und ähnlichen Dingen war selbst die Gemeinde dem Bürger gegenüber beschränkt, und diese Rechtsschranke bestand nicht bloß im Begriff, sondern fand ihren Ausdruck und ihre praktische Anwendung in dem verfassungsmäßigen Veto des Senats, der gewiß befugt und verpflichtet war, jeden einem solchen Grundrecht zuwiderlaufenden Gemeindebeschluß zu vernichten. Keine Gemeinde war innerhalb ihres Kreises so wie die römische allmächtig; aber in keiner Gemeinde auch lebte der unsträflich sich führende Bürger in gleich unbedingter Rechtssicherheit gegenüber seinen Mitbürgern wie gegenüber dem Staat selbst.

So regierte sich die römische Gemeinde, ein freies Volk, das zu gehorchen verstand, in klarer Absagung von allem mystischen Priesterschwindel, in unbedingter Gleichheit vor dem Gesetz und unter sich, in scharfer Ausprägung der eigenen Nationalität, während zugleich – es wird dies nachher dargestellt werden – dem Verkehr mit dem Auslande so großherzig wie verständig die Tore weit aufgetan wurden. Diese Verfassung ist weder gemacht noch erborgt, sondern erwachsen in und mit dem römischen Volke. Es versteht sich, daß sie auf der älteren italischen, graecoitalischen und indogermanischen Verfassung beruht; aber es liegt doch eine unübersehbar lange Kette staatlicher Entwicklungsphasen zwischen den Verfassungen, wie die Homerischen Gedichte oder Tacitus‘ Bericht über Deutschland sie schildern, und der ältesten Ordnung der römischen Gemeinde. In dem Zuruf des hellenischen, in dem Schildschlagen des deutschen Umstandes lag wohl auch eine Äußerung der souveränen Gewalt der Gemeinde; aber es war weit von da bis zu der geordneten Kompetenz und der geregelten Erklärung der latinischen Kurienversammlung. Es mag ferner sein, daß, wie das römische Königtum den Purpurmantel und den Elfenbeinstab sicher den Griechen – nicht den Etruskern – entlehnt hat, so auch die zwölf Liktoren und andere Äußerlichkeiten mehr vom Ausland herübergenommen worden sind. Aber wie entschieden die Entwicklung des römischen Staatsrechts nach Rom oder doch nach Latium gehört, und wie wenig und wie unbedeutend das Geborgte darin ist, beweist die durchgängige Bezeichnung aller seiner Begriffe mit Wörtern latinischer Prägung.

Diese Verfassung ist es, die die Grundgedanken des römischen Staats für alle Zeiten tatsächlich festgestellt hat; denn trotz der wandelnden Formen steht es fest, solange es eine römische Gemeinde gibt, daß der Beamte unbedingt befiehlt, daß der Rat der Alten die höchste Autorität im Staate ist und daß jede Ausnahmebestimmung der Sanktionierung des Souveräns bedarf, das heißt der Volksgemeinde.

6. Kapitel


6. Kapitel

Die Nichtbürger und die reformierte Verfassung

Die Geschichte einer jeden Nation, der italischen aber vor allen, ist ein großer Synökismus: schon das älteste Rom, von dem wir Kunde haben, ist ein dreieiniges, und erst mit der völligen Erstarrung des Römerrums endigen die ähnlichen Inkorporationen. Abgesehen von jenem ältesten Verschmelzungsprozeß der Ramner, Titier und Lucerer, von dem fast nur die nackte Tatsache bekannt ist, ist der früheste derartige Inkorporationsakt derjenige, durch den die Hügelbürgerschaft aufging in dem palatinischen Rom. Die Ordnung der beiden Gemeinden wird, als sie verschmolzen werden sollten, im wesentlichen gleichartig und die durch die Vereinigung gestellte Aufgabe in der Art gedacht werden dürfen, daß man zu wählen hatte zwischen dem Festhalten der Doppelinstitution oder, unter Aufhebung der einen, der Beziehung der übrigbleibenden auf die ganze vereinigte Gemeinde. Hinsichtlich der Heiligtümer und Priesterschaften hielt man im ganzen den ersten Weg ein. Die römische Gemeinde besaß fortan zwei Springer- und zwei Wolfsgilden und wie einen zwiefachen Mars, so auch einen zwiefachen Marspriester, von denen sich späterhin der palatinische den Priester des Mars, der collinische den des Quirinus zu nennen pflegte. Es ist glaublich, wenngleich nicht mehr nachzuweisen, daß die gesamten altlatinischen Priesterschaften Roms, der Augurn, Pontifices, Vestalen, Fetialen in gleichartiger Weise aus den kombinierten Priesterkollegien der beiden Gemeinden vom Palatin und vom Quirinal hervorgegangen sind. Ferner trat in der örtlichen Einteilung zu den drei Quartieren der palatinischen Stadt, Subura, Palatin und Vorstadt, die Hügelstadt auf dem Quirinal als viertes hinzu. Wenn dagegen bei dem ursprünglichen Synökismus die beitretende Gemeinde auch nach der Vereinigung wenigstens als Teil der neuen Bürgerschaft gegolten und somit gewissermaßen politisch fortbestanden hatte, so ist dies weder in Beziehung auf die Hügelrömer noch überhaupt bei einem der späteren Annexionsprozesse wieder vorgekommen. Auch nach der Vereinigung zerfiel die römische Gemeinde in die bisherigen drei Teile zu je zehn Pflegschaften, und die Hügelrömer, mögen sie nun ihrerseits mehrteilig gewesen sein oder nicht, müssen in die bestehenden Teile und Pflegschaften eingeordnet worden sein. Wahrscheinlich ist dies in der Art geschehen, daß jeder Teil und jede Pflegschaft eine Quote der Neubürger zugewiesen erhielt, in diesen Abteilungen aber die Neu- mit den Altbürgern nicht vollständig verschmolzen; vielmehr treten fortan jene Teile doppelgliedrig auf und scheiden sich die Titier, ebenso die Ramner und die Lucerer in sich wieder in erste und zweite (priores, posteriores). Eben damit hängt wahrscheinlich die in den organischen Institutionen der Gemeinde überall hervortretende paarweise Anordnung zusammen. So werden die drei Paare der heiligen Jungfrauen ausdrücklich als die Vertreterinnen der drei Teile erster und zweiter Ordnung bezeichnet; auch das in jeder Gasse verehrte Larenpaar ist vermutlich ähnlich aufzufassen. Vor allem erscheint diese Anordnung im Heerwesen: nach der Vereinigung stellt jeder Halbteil der dreiteiligen Gemeinde hundert Berittene, und es steigt dadurch die römische Bürgerreiterei auf sechs Hundertschaften, die Zahl der Reiterführer wahrscheinlich auch von drei auf sechs. Von einer entsprechenden Vermehrung des Fußvolks ist nichts überliefert; wohl aber wird man den nachherigen Gebrauch, daß die Legionen regelmäßig je zwei und zwei einberufen wurden, hierauf zurückführen dürfen, und wahrscheinlich rührt von dieser Verdoppelung des Aufgebotes ebenfalls her, daß nicht, wie wohl ursprünglich, drei, sondern sechs Abteilungsführer die Legion befehligen. Eine entsprechende Vermehrung der Senatsstellen hat entschieden nicht stattgefunden, sondern die uralte Zahl von dreihundert Ratsherren ist bis in das siebente Jahrhundert hinein die normale geblieben; womit sich sehr wohl verträgt, daß eine Anzahl der angesehensten Männer der neu hinzutretenden Gemeinde in den Senat der palatinischen Stadt aufgenommen sein mag. Ebenso verfuhr man mit den Magistraturen: auch der vereinigten Gemeinde stand nur ein König vor, und von seinen hauptsächlichsten Stellvertretern, namentlich dem Stadtvorsteher, gilt dasselbe. Man sieht, daß die sakralen Institutionen der Hügelstadt fortbestanden und in militärischer Hinsicht man nicht unterließ, der verdoppelten Bürgerschaft die doppelte Mannszahl abzufordern, im übrigen aber die Einordnung der quirinalischen Stadt in die palatinische eine wahre Unterordnung der ersteren gewesen ist. Wenn wir mit Recht angenommen haben, daß der Gegensatz zwischen den palatinischen Alt- und den quirinalischen Neubürgern zusammenfiel mit dem zwischen den ersten und zweiten Titiern, Ramnern und Lucerern, so sind die Geschlechter der Quirinalstadt die „zweiten“ oder die „minderen“ gewesen. Indes war der Unterschied sicherlich mehr ein Ehren- als ein Rechtsvorzug. Bei den Abstimmungen im Rat wurden die aus den alten Geschlechtern genommenen Ratsherren vor denen der „minderen“ gefragt. In gleicher Weise steht das collinische Quartier im Range zurück selbst hinter dem vorstädtischen der palatinischen Stadt, der Priester des quirinalischen Mars hinter dem des palatinischen, die quirinalischen Springer und Wölfe hinter denen vom Palatin. Sonach bezeichnet der Synökismus, durch den die palatinische Gemeinde die quirinalische in sich aufnahm, eine Mittelstufe zwischen dem ältesten, durch den die Titier, Ramner und Lucerer miteinander verwuchsen, und allen späteren: einen eigenen Teil zwar durfte die zutretende Gemeinde in dem neuen Ganzen nicht mehr bilden, wohl aber noch wenigstens einen Teil in jedem Teile, und ihre sakralen Institutionen ließ man nicht bloß bestehen, was auch nachher noch, zum Beispiel nach der Einnahme von Alba, geschah, sondern erhob sie zu Institutionen der vereinigten Gemeinde, was späterhin in dieser Weise nicht wieder vorkam.

Diese Verschmelzung zweier im wesentlichen gleichartiger Gemeinwesen war mehr eine quantitative Steigerung als eine innerliche Umgestaltung der bestehenden Gemeinde. Von einem zweiten Inkorporationsprozeß, der weit allmählicher durchgeführt ward und weit tiefere Folgen gehabt hat, reichen die ersten Anfänge gleichfalls bis in diese Epoche zurück: es ist dies die Verschmelzung der Bürgerschaft und der Insassen. Von jeher standen in der römischen Gemeinde neben der Bürgerschaft die Schutzleute, die „Hörigen“ (clientes), wie man sie nannte, als die Zugewandten der einzelnen Bürgerhäuser, oder die „Menge“ (plebes, von pleo, plenus), wie sie negativ hießen mit Hinblick auf die mangelnden politischen RechteHabuit plebem in clientelas principum descriptam (Cic. rep. 2, 2).. Die Elemente zu dieser Mittelstufe zwischen Freien und Unfreien waren, wie gezeigt ward, bereits in dem römischen Hause vorhanden; aber in der Gemeinde mußte diese Klasse aus einem zwiefachen Grunde tatsächlich und rechtlich zu größerer Bedeutung erwachsen. Einmal konnte die Gemeinde selbst wie Knechte, so auch halbfreie Hörige besitzen; besonders mochte nach Überwindung einer Stadt und Auflösung ihres Gemeinwesens es oft der siegenden Gemeinde zweckmäßig erscheinen, die Masse der Bürgerschaft nicht förmlich als Sklaven zu verkaufen, sondern ihnen den faktischen Fortbesitz der Freiheit zu gestatten, so daß sie gleichsam als Freigelassene der Gemeinde, sei es zu den Geschlechtern, sei es zu dem König in Klientelverhältnis traten. Zweitens aber war durch die Gemeinde und deren Macht über die einzelnen Bürger die Möglichkeit gegeben, auch deren Klienten gegen mißbräuchliche Handhabung des rechtlich fortbestehenden Herrenrechts zu schützen. Bereits in unvordenklich früher Zeit ist in das römische Landrecht der Grundsatz eingeführt worden, von dem die gesamte Rechtsstellung der Insassenschaft ihren Ausgang genommen hat: daß, wenn der Herr bei Gelegenheit eines öffentlichen Rechtsakts – Testament, Prozeß, Schatzung – sein Herrenrecht ausdrücklich oder stillschweigend aufgegeben habe, weder er selbst noch seine Rechtsnachfolger diesen Verzicht gegen die Person des Freigelassenen selbst oder gar seiner Deszendenten jemals wieder sollten willkürlich rückgängig machen können. Die Hörigen und ihre Nachkommen besaßen nun zwar weder Bürger- noch Gastrecht; denn zu jenem bedurfte es förmlicher Erteilung von seiten der Gemeinde, dieser aber setzte das Bürgerrecht des Gastes in einer mit der römischen in Vertrag stehenden Gemeinde voraus. Was ihnen zuteil ward, war ein gesetzlich geschützter Freiheitsbesitz bei rechtlich fortdauernder Unfreiheit; und darum scheinen längere Zeit hindurch ihre vermögensrechtlichen Beziehungen gleich denen der Sklaven als Rechtsverhältnisse des Patrons gegolten und dieser prozessualisch sie notwendig vertreten zu haben, womit denn auch zusammenhängen wird, daß der Patron im Notfall Beisteuern von ihnen einheben und sie vor sich zu krimineller Verantwortung ziehen konnte. Aber allmählich entwuchs die Insassenschaft diesen Fesseln; sie fingen an, in eigenem Namen zu erwerben und zu veräußern und ohne die formelle Vermittlung ihres Patrons von den römischen Bürgergerichten Recht anzusprechen und zu erhalten. In Ehe und Erbrecht ward die Rechtsgleichheit mit den Bürgern zwar weit eher den Ausländern gestattet als diesen keiner Gemeinde angehörigen, eigentlich unfreien Leuten; aber es konnte denselben doch nicht wohl gewehrt werden, in ihrem eigenen Kreise Ehen einzugehen und die daran sich knüpfenden Rechtsverhältnisse der eheherrlichen und väterlichen Gewalt, der Agnation und des Geschlechts, der Erbschaft und der Vormundschaft, nach Art der bürgerrechtlichen zu gestalten.

Teilweise zu ähnlichen Folgen führte die Ausübung des Gastrechts, insofern auf Grund desselben Ausländer sich auf die Dauer in Rom niederließen und dort eine Häuslichkeit begründeten. In dieser Hinsicht müssen seit uralter Zeit die liberalsten Grundsätze in Rom bestanden haben. Das römische Recht weiß weder von Erbgutsqualität noch von Geschlossenheit der Liegenschaften und gestattet einesteils jedem dispositionsfähigen Mann bei seinen Lebzeiten vollkommen unbeschränkte Verfügung über sein Vermögen, anderseits, soviel wir wissen, jedem, der überhaupt zum Verkehr mit römischen Bürgern befugt war, selbst dem Fremden und dem Klienten, das unbeschränkte Recht bewegliches und, seitdem Immobilien überhaupt im Privateigentum stehen konnten, in gewissen Schranken auch unbewegliches Gut in Rom zu erwerben. Es ist eben Rom eine Handelsstadt gewesen, die, wie sie den Anfang ihrer Bedeutung dem internationalen Verkehr verdankte, so auch das Niederlassungsrecht mit großartiger Freisinnigkeit jedem Kinde ungleicher Ehe, jedem freigelassenen Knecht, jedem nach Rom unter Aufgebung seines Heimatrechts übersiedelnden Fremden gewährt hat.

Anfänglich waren also die Bürger in der Tat die Schutzherren, die Nichtbürger die Geschützten; allein wie in allen Gemeinden, die die Ansiedlung freigeben und das Bürgerrecht schließen, ward es auch in Rom bald schwer und wurde immer schwerer, dieses rechtliche Verhältnis mit dem faktischen Zustand in Harmonie zu erhalten. Das Aufblühen des Verkehrs, die durch das latinische Bündnis allen Latinern gewährleistete volle privatrechtliche Gleichstellung mit Einschluß selbst der Erwerbung von Grundbesitz, die mit dem Wohlstand steigende Häufigkeit der Freilassungen mußten schon im Frieden die Zahl der Insassen unverhältnismäßig vermehren. Es kam dazu der größere Teil der Bevölkerung der mit den Waffen bezwungenen und Rom inkorporierten Nachbarstädte, welcher, mochte er nun nach Rom übersiedeln oder in seiner alten, zum Dorf herabgesetzten Heimat verbleiben, in der Regel wohl sein eigenes Bürgerrecht mit römischem Metökenrecht vertauschte. Dazu lastete der Krieg ausschließlich auf den Altbürgern und lichtete beständig die Reihen der patrizischen Nachkommenschaft, während die Insassen an dem Erfolg der Siege Anteil hatten, ohne mit ihrem Blute dafür zu bezahlen.

Unter solchen Verhältnissen ist es nur befremdlich, daß das römische Patriziat nicht noch viel schneller zusammenschwand, als es in der Tat der Fall war. Daß er noch längere Zeit eine zahlreiche Gemeinde blieb, davon ist der Grund schwerlich zu suchen in der Verleihung des römischen Bürgerrechts an einzelne ansehnliche auswärtige Geschlechter, die nach dem Austritt aus ihrer Heimat oder nach der Überwindung ihrer Stadt das römische Bürgerrecht empfingen – denn diese Verleihungen scheinen von Anfang an sparsam erfolgt und immer seltener geworden zu sein, je mehr das römische Bürgerrecht im Preise stieg. Von größerer Bedeutung war vermutlich die Einführung der Zivilehe, wonach das von patrizischen, als Eheleute wenn auch ohne Konfarreation zusammenlebenden Eltern erzeugte Kind volles Bürgerrecht erwarb, so gut wie das in konfarreierter Ehe erzeugte; es ist wenigstens wahrscheinlich, daß die schon vor den Zwölf Tafeln in Rom bestehende, aber doch gewiß nicht ursprüngliche Zivilehe eben eingeführt ward, um das Zusammenschwinden des Patriziats zu hemmenDie Bestimmungen der Zwölf Tafeln über den Usus zeigen deutlich, daß dieselben die Zivilehe bereits vorfanden. Ebenso klar geht das hohe Alter der Zivilehe daraus hervor, daß auch sie so gut wie die religiöse Ehe die eheherrliche Gewalt notwendig in sich schloß und von der religiösen Ehe hinsichtlich der Gewalterwerbung nur darin abwich, daß die religiöse Ehe selbst als eigentümliche und rechtlich notwendige Erwerbsform der Frau galt, wogegen zu der Zivilehe eine der anderweitigen allgemeinen Formen des Eigentumserwerbs, Übergabe von seiten der Berechtigten oder auch Verjährung, hinzutreten mußte, um eine gültige eheherrliche Gewalt zu begründen.. Auch die Maßregeln, durch welche bereits in ältester Zeit auf die Erhaltung einer zahlreichen Nachkommenschaft in den einzelnen Häusern hingewirkt ward, gehören in diesen Zusammenhang.

Nichtsdestoweniger war notwendigerweise die Zahl der Insassen in beständigem und keiner Minderung unterliegendem Wachsen begriffen, während die der Bürger sich im besten Fall nicht vermindern mochte; und infolgedessen erhielten die Insassen unmerklich eine andere und freiere Stellung. Die Nichtbürger waren nicht mehr bloß entlassene Knechte und schutzbedürftige Fremde; es gehörten dazu die ehemaligen Bürgerschaften der im Krieg unterlegenen latinischen Gemeinden und vor allen Dingen die latinischen Ansiedler, die nicht durch Gunst des Königs oder eines anderen Bürgers, sondern nach Bundesrecht in Rom lebten. Vermögensrechtlich unbeschränkt gewannen sie Geld und Gut in der neuen Heimat und vererbten gleich dem Bürger ihren Hof auf Kinder und Kindeskinder. Auch die drückende Abhängigkeit von den einzelnen Bürgerhäusern lockerte sich allmählich. Stand der befreite Knecht, der eingewanderte Fremde noch ganz isoliert im Staate, so galt dies schon nicht mehr von seinen Kindern, noch weniger von den Enkeln, und die Beziehungen zu dem Patron traten damit von selbst immer mehr zurück. War in älterer Zeit der Klient ausschließlich für den Rechtsschutz angewiesen auf die Vermittlung des Patrons, so mußte, je mehr der Staat sich konsolidierte und folgeweise die Bedeutung der Geschlechtsvereine und der Häuser sank, desto häufiger auch ohne Vermittlung des Patrons vom König dem einzelnen Klienten Rechtsfolge und Abhilfe der Unbill gewährt werden. Eine große Zahl der Nichtbürger, namentlich die Mitglieder der aufgelösten latinischen Gemeinden, standen überhaupt, wie schon gesagt ward, wahrscheinlich von Haus aus nicht in der Klientel der königlichen und der sonstigen großen Geschlechter und gehorchten dem König ungefähr in gleicher Art wie die Bürger. Dem König, dessen Herrschaft über die Bürger denn doch am Ende abhing von dem guten Willen der Gehorchenden, mußte es willkommen sein, in diesen wesentlich von ihm abhängigen Schutzleuten sich eine ihm näher verpflichtete Genossenschaft zu bilden.

So erwuchs neben der Bürgerschaft eine zweite römische Gemeinde; aus den Klienten ging die Plebs hervor. Dieser Namenwechsel ist charakteristisch; rechtlich ist kein Unterschied zwischen dem Klienten und dem Plebejer, dem Hörigen und dem Manne aus dem Volk, faktisch aber ein sehr bedeutender, indem jene Bezeichnung das Schutzverhältnis zu einem der politisch berechtigten Gemeindeglieder, diese bloß den Mangel der politischen Rechte hervorhebt. Wie das Gefühl der besonderen Abhängigkeit zurücktrat, drängte das der politischen Zurücksetzung den freien Insassen sich auf; und nur die über allen gleichmäßig waltende Herrschaft des Königs verhinderte das Ausbrechen des politischen Kampfes zwischen der berechtigten und der rechtlosen Gemeinde.

Der erste Schritt zur Verschmelzung der beiden Volksteile geschah indes schwerlich auf dem Wege der Revolution, den jener Gegensatz vorzuzeichnen schien. Die Verfassungsreform, die ihren Namen trägt vom König Servius Tullius, liegt zwar ihrem geschichtlichen Ursprung nach in demselben Dunkel, wie alle Ereignisse einer Epoche, von der wir, was wir wissen, nicht durch historische Überlieferung, sondern nur durch Rückschlüsse aus den späteren Institutionen wissen; aber ihr Wesen zeugt dafür, daß nicht die Plebejer sie gefordert haben können, denen die neue Verfassung nur Pflichten, nicht Rechte gab. Sie muß vielmehr entweder der Weisheit eines der römischen Könige ihren Ursprung verdanken oder auch dem Drängen der Bürgerschaft auf Befreiung von der ausschließlichen Belastung und auf Zuziehung der Nichtbürger teils zu der Besteuerung, das heißt zu der Verpflichtung, dem Staat im Notfall vorzuschießen (dem Tributum), und zu den Fronden, teils zu dem Aufgebot. Beides wird in der Servianischen Verfassung zusammengefaßt, ist aber schwerlich gleichzeitig erfolgt. Ausgegangen ist die Heranziehung der Nichtbürger vermutlich von den ökonomischen Lasten: es wurden diese früh auch auf die „Begüterten“ (locupletes) oder die „stetigen Leute“ (adsidui) erstreckt, und nur die gänzlich Vermögenslosen, die „Kinderzeuger“ (proletarii, capite censi) blieben davon frei. Weiter folgte die politisch wichtigere Heranziehung der Nichtbürger zu der Wehrpflicht. Diese wurde fortan, statt auf die Bürgerschaft als solche, gelegt auf die Grundbesitzer, die tribules, mochten sie Bürger oder bloß Insassen sein; die Heeresfolge wurde aus einer persönlichen zu einer Reallast. Im einzelnen war die Ordnung folgende. Pflichtig zum Dienst war jeder ansässige Mann vom achtzehnten bis zum sechzigsten Lebensjahr mit Einschluß der Hauskinder ansässiger Väter, ohne Unterschied der Geburt; so daß selbst der entlassene Knecht zu dienen hatte, wenn er ausnahmsweise zu Grundbesitz gelangt war. Auch die grundbesitzenden Latiner – anderen Ausländern war der Erwerb römischen Bodens nicht gestattet – wurden zum Dienst herangezogen, sofern sie, was ohne Zweifel bei den meisten derselben der Fall war, auf römischem Gebiet ihren Wohnsitz genommen hatten. Nach der Größe der Grundstücke wurde die kriegstüchtige Mannschaft eingeteilt in die Volldienstpflichtigen oder die Vollhufener, welche in vollständiger Rüstung erscheinen mußten und insofern vorzugsweise das Kriegsheer (classis) bildeten, während von den vier folgenden Reihen der kleineren Grundbesitzer, den Besitzern von Dreivierteln, Hälften, Vierteln und Achteln einer ganzen Bauernstelle, zwar auch die Erfüllung der Dienstpflicht, nicht aber die volle Armierung verlangt ward, und sie also unterhalb des Vollsatzes (infra classem) standen. Nach der damaligen Verteilung des Bodens waren fast die Hälfte der Bauernstellen Vollhufen, während die Dreiviertel-, Halb- und Viertelhufener jede knapp, die Achtelhufener reichlich ein Achtel der Ansässigen ausmachten; weshalb festgesetzt ward, daß für das Fußvolk auf achtzig Vollhufener je zwanzig der drei folgenden und achtundzwanzig der letzten Reihe ausgehoben werden sollten. Ähnlich verfuhr man bei der Reiterei: die Zahl der Abteilungen wurde in dieser verdreifacht, und nur darin wich man hier ab, daß die bereits bestehenden sechs Abteilungen mit den alten Namen (Tities, Ramnes, Luceres primi und secundi) den Patriziern blieben, während die zwölf neuen hauptsächlich aus den Nichtbürgern gebildet wurden. Der Grund dieser Abweichung ist wohl darin zu suchen, daß man damals die Fußtruppen für jeden Feldzug neu formierte und nach der Heimkehr entließ, dagegen die Reiter mit ihren Rossen aus militärischen Rücksichten auch im Frieden zusammengehalten wurden und regelmäßige Übungen hielten, die als Festlichkeiten der römischen Ritterschaft bis in die späteste Zeit fortbestandenAus demselben Grund wurde bei der Steigerung des Aufgebots nach dem Eintritt der Hügelrömer die Ritterschaft verdoppelt, bei der Fußmannschaft aber statt der einfachen Lese eine Doppellegion einberufen.. So ließ man denn auch bei dieser Reform den einmal bestehenden Schwadronen ihre hergebrachten Namen. Um auch die Reiterei jedem Bürger zugänglich zu machen, wurden die unverheirateten Frauen und die unmündigen Waisen, soweit sie Grundbesitz hatten, angehalten, anstatt des eigenen Dienstes einzelnen Reitern die Pferde – jeder Reiter hatte deren zwei – zu stellen und zu füttern. Im ganzen kam auf neun Fußsoldaten ein Reiter; doch wurden beim effektiven Dienst die Reiter mehr geschont.

Die nicht ansässigen Leute (adcensi, neben dem Verzeichnis der Wehrpflichtigen stehende Leute) hatten zum Heere die Werk- und Spielleute zu stellen sowie eine Anzahl Ersatzmänner, die unbewaffnet (velati) mit dem Heer zogen und, wenn im Felde Lücken entstanden, mit den Waffen der Kranken und Gefallenen ausgerüstet in die Reihe eingestellt wurden.

Zum Behuf der Aushebung des Fußvolks wurde die Stadt eingeteilt in vier „Teile“ (tribus) wodurch die alte Dreiteilung wenigstens in ihrer lokalen Bedeutung beseitigt ward: den palatinischen, der die Anhöhe gleiches Namens nebst der Velia in sich schloß; den der Subura, dem die Straße dieses Namens, die Carinen und der Caelius angehörten; den esquilinischen; und den collinischen, den der Quirinal und Viminal, die „Hügel“ im Gegensatz der „Berge“ des Kapitol und Palatin, bildeten. Von der Bildung dieser Distrikte ist bereits früher die Rede gewesen und gezeigt, in welcher Weise dieselben aus der alten palatinischen und quirinalischen Doppelstadt hervorgegangen sind. In welcher Weise es herbeigeführt worden ist, daß jeder ansässige Bürger einem dieser Stadtteile angehörte, läßt sich nicht sagen; aber es war dies der Fall, und daß die vier Distrikte ungefähr gleiche Mannzahl hatten, ergibt sich aus ihrer gleichmäßigen Anziehung bei der Aushebung. Überhaupt hat diese Einteilung, die zunächst auf den Boden allein und nur folgeweise auf die Besitzer sich bezog, einen ganz äußerlichen Charakter und namentlich ist ihr niemals eine religiöse Bedeutung zugekommen; denn daß in jedem Stadtdistrikt eine gewisse Zahl der rätselhaften Argeerkapellen sich befanden, macht dieselben ebensowenig zu sakralen Bezirken, als es die Gassen dadurch wurden, daß in jeder ein Larenaltar errichtet ward.

Jeder dieser vier Aushebungsdistrikte hatte annähernd den vierten Teil wie der ganzen Mannschaft, so jeder einzelnen militärischen Abteilung zu stellen, sodaß jede Legion und jede Zenturie gleich viel Konskribierte aus jedem Bezirk zählte, um alle Gegensätze gentilizischer und lokaler Natur in dem einen und gemeinsamen Gemeindeaufgebot aufzuheben und vor allem durch den mächtigen Hebel des nivellierenden Soldatengeistes Insassen und Bürger zu einem Volke zu verschmelzen.

Militärisch wurde die waffenfähige Mannschaft geschieden in ein erstes und zweites Aufgebot, von denen jene, die „Jüngeren“, vom laufenden achtzehnten bis zum vollendeten sechsundvierzigsten Jahre, vorwiegend zum Felddienst verwandt wurden, während die „Älteren“ die Mauern daheim schirmten. Die militärische Einheit ward in der Infanterie die jetzt verdoppelte Legion, eine vollständig nach alter dorischer Art gereihte und gerüstete Phalanx von sechstausend Mann, die sechs Glieder hoch eine Front von tausend Schwergerüsteten bildete; wozu dann noch 2400 „Ungerüstete“ (velites, s. 1, 84, A.) kamen. Die vier ersten Glieder der Phalanx, die classis, bildeten die vollgerüsteten Hopliten der Vollhufener, im fünften und sechsten standen die minder gerüsteten Bauern der zweiten und dritten Abteilung; die beiden letzten traten als letzte Glieder zu der Phalanx hinzu oder kämpften daneben als Leichtbewaffnete. Für die leichte Ausfüllung zufälliger Lücken, die der Phalanx so verderblich sind, war gesorgt. Es standen also in derselben 84 Zenturien oder 8400 Mann, davon 6000 Hopliten, 4000 der ersten, je 1000 der beiden folgenden Abteilungen, ferner 2400 Leichte, davon 1000 der vierten, 1200 der fünften Abteilung; ungefähr stellte jeder Aushebungsbezirk zu der Phalanx 2100, zu jeder Zenturie 25 Mann. Diese Phalanx war das zum Ausrücken bestimmte Heer, während die gleiche Truppenmacht auf die für die Stadtverteidigung zurückbleibenden Älteren gerechnet wurde; wodurch also der Normalbestand des Fußvolks auf 16800 Mann kam, 80 Zenturien der ersten, je 20 der drei folgenden, 28 der letzten Abteilung; ungerechnet die beiden Zenturien Ersatzmannschaft sowie die der Werk- und die der Spielleute. Zu allen diesen kam die Reiterei, welche aus 1800 Pferden bestand; dem ausrückenden Heer ward indes oft nur der dritte Teil der Gesamtzahl beigegeben. Der Normalbestand des römischen Heeres ersten und zweiten Aufgebots stieg sonach auf nahe an 20000 Mann; welche Zahl dem Effektivbestand der römischen Waffenfähigen, wie er war zur Zeit der Einführung dieser neuen Organisation, unzweifelhaft im allgemeinen entsprochen haben wird. Bei steigender Bevölkerung wurde nicht die Zahl der Zenturien vermehrt, sondern man verstärkte durch zugegebene Leute die einzelnen Abteilungen, ohne doch die Grundzahl ganz fallen zu lassen; wie denn die römischen der Zahl nach geschlossenen Korporationen überhaupt häufig durch Aufnahme überzähliger Mitglieder die ihnen gesetzte Schranke umgingen.

Mit dieser neuen Heeresordnung Hand in Hand ging die sorgfältigere Beaufsichtigung des Grundbesitzes von seiten des Staats. Es wurde entweder jetzt eingeführt oder doch sorgfältiger bestimmt, daß ein Erdbuch angelegt werde, in welchem die einzelnen Grundbesitzer ihre Äcker mit dem Zubehör, den Gerechtigkeiten, den Knechten, den Zug- und Lasttieren verzeichnen lassen sollten. Jede Veräußerung, die nicht offenkundig und vor Zeugen geschah, wurde für nichtig erklärt und eine Revision des Grundbesitzregisters, das zugleich Aushebungsrolle war, in jedem vierten Jahre vorgeschrieben. So sind aus der servianischen Kriegsordnung die Manzipation und der Zensus hervorgegangen.

Augenscheinlich ist diese ganze Institution von Haus aus militärischer Natur. In dem ganzen weitläufigen Schema begegnet auch nicht ein einziger Zug, der auf eine andere als die rein kriegerische Bestimmung der Zenturien hinwiese; und dies allein muß für jeden, der in solchen Dingen zu denken gewohnt ist, genügen, um ihre Verwendung zu politischen Zwecken für spätere Neuerung zu erklären. Wenn, wie wahrscheinlich, in ältester Zeit, wer das sechzigste Jahr überschritten hat, von den Zenturien ausgeschlossen ist, so hat dies keinen Sinn, sofern dieselben von Anfang an bestimmt waren, gleich und neben den Kurien die Bürgergemeinde zu repräsentieren. Indes wenn auch die Zenturienordnung lediglich eingeführt ward, um die Schlagfertigkeit der Bürgschaft durch die Beziehung der Insassen zu steigern, und insofern nichts verkehrter ist, als die Servianische Ordnung für die Einführung der Timokratie in Rom auszugeben, so wirkte doch folgeweise die neue Wehrpflichtigkeit der Einwohnerschaft auch auf ihre politische Stellung wesentlich zurück. Wer Soldat werden muß, muß auch Offizier werden können, solange der Staat nicht faul ist; ohne Frage konnten in Rom jetzt auch Plebejer zu Centurionen und Kriegstribunen ernannt werden. Wenn ferner auch der bisherigen in den Kurien vertretenen Bürgerschaft durch die Zenturieninstitution der Sonderbesitz der politischen Rechte nicht geschmälert werden sollte, so mußten doch unvermeidlich diejenigen Rechte, welche die bisherige Bürgerschaft nicht als Kurienversammlung, sondern als Bürgeraufgebot geübt hatte, übergehen auf die neuen Bürger- und Insassenzenturien. Die Zenturien also sind es fortan, die der König vor dem Beginn eines Angriffskrieges um ihre Einwilligung zu befragen hat. Es ist wichtig der späteren Entwicklung wegen, diese ersten Ansätze zu einer Beteiligung der Zenturien an den öffentlichen Angelegenheiten zu bezeichnen; allein zunächst trat der Erwerb dieser Rechte durch die Zenturien mehr folgeweise ein, als daß er geradezu beabsichtigt worden wäre, und nach wie vor der Servianischen Reform galt die Kurienversammlung als die eigentliche Bürgergemeinde, deren Huldigung das ganze Volk dem König verpflichtete. Neben diesen neuen grundsässigen Vollbürgern standen die angesessenen Ausländer aus dem verbündeten Latium als teilnehmend an den öffentlichen Lasten, der Steuer und den Fronden (daher municipes); während die außer den Tribus stehenden, nicht ansässigen und des Wehr- und Stimmrechts entbehrenden Bürger nur als steuerpflichtig (aerarii) in Betracht kommen.

Hatte man somit bisher nur zwei Klassen der Gemeindeglieder: Bürger und Schutzverwandte unterschieden, so stellten jetzt sich diese drei politischen Klassen fest, die viele Jahrhunderte hindurch das römische Staatsrecht beherrscht haben.

Wann und wie diese neue militärische Organisation der römischen Gemeinde ins Leben trat, darüber sind nur Vermutungen möglich. Sie setzt die vier Quartiere voraus, das heißt, die Servianische Mauer mußte gezogen sein, bevor die Reform stattfand. Aber auch das Stadtgebiet mußte schon seine ursprüngliche Grenze beträchtlich überschritten haben, wenn es 8000 volle ebensoviel Teilhufener oder Hufenersöhne stellen konnte. Wir kennen zwar den Flächenraum der vollen römischen Bauernstelle nicht, allein es wird nicht möglich sein, sie unter 20 Morgen anzusetzenSchon um 480 erschienen Landlose von sieben Morgen (Val. Max. 3, 3, 5; Colum. 1 praef. 14, 1, 3, 11; Plin. nat. 18,3,18; vierzehn Morgen: Ps. Aur. Vict. 33; Plut. apophth. reg. et imp. p. 235 Dübner, wonach Plut. Crass. 2 zu berichtigen ist) den Empfängern klein.

Die Vergleichung der deutschen Verhältnisse ergibt dasselbe. Jugerum und Morgen, beide ursprünglich mehr Arbeits- als Flächenmaße, können angesehen werden als ursprünglich identisch. Wenn die deutsche Hufe regelmäßig aus 30, nicht selten auch aus 20 oder 40 Morgen bestand, und die Hofstätte häufig, wenigstens bei den Angelsachsen, ein Zehntel der Hufe betrug, so wird bei Berücksichtigung der klimatischen Verschiedenheit und des römischen Heredium von zwei Morgen die Annahme einer römischen Hufe von 20 Morgen den Verhältnissen angemessen erscheinen. Freilich bleibt es zu bedauern, daß die Überlieferung uns eben hier im Stich läßt.

Im allgemeinen aber ist es einleuchtend einerseits, daß diese Servianische Institution nicht hervorgegangen ist aus dem Ständekampf, sondern daß sie den Stempel eines reformierenden Gesetzgebers an sich trägt gleich der Verfassung des Lykurgos, des Solon, des Zaleukos, anderseits, daß sie entstanden ist unter griechischem Einfluß. Einzelne Analogien können trügen, wie zum Beispiel die schon von den Alten hervorgehobene, daß auch in Korinth die Ritterpferde auf die Witwen und Waisen angewiesen wurden; aber die Entlehnung der Rüstung wie der Gliederstellung von dem griechischen Hoplitensystem ist sicher kein zufälliges Zusammentreffen. Erwägen wir nun, daß eben im zweiten Jahrhundert der Stadt die griechischen Staaten in Unteritalien von der reinen Geschlechterverfassung fortschritten zu einer modifizierten, die das Schwergewicht in die Hände der Besitzenden legteAuch die Analogie zwischen der sogenannten Servianischen Verfassung und der Behandlung der attischen Metöken verdient hervorgehoben zu werden. Athen hat eben wie Rom verhältnismäßig früh den Insassen die Tore geöffnet und dann auch dieselben zu den Lasten des Staates mit herangezogen. Je weniger hier ein unmittelbarer Zusammenhang angenommen werden kann, desto bestimmter zeigt es sich, wie dieselben Ursachen – städtische Zentralisierung und städtische Entwicklung – überall und notwendig die gleichen Folgen herbeiführen., so werden wir hierin den Anstoß erkennen, der in Rom die Servianische Reform hervorrief, eine im wesentlichen auf demselben Grundgedanken beruhende und nur durch die streng monarchische Form des römischen Staats in etwas abweichende Bahnen gelenkte Verfassungsänderung.

7. Kapitel


7. Kapitel

Roms Hegemonie in Latium

An Fehden unter sich und mit den Nachbarn wird es der tapfere und leidenschaftliche Stamm der Italiker niemals haben fehlen lassen; mit dem Aufblühen des Landes und der steigenden Kultur muß die Fehde allmählich in den Krieg, der Raub in die Eroberung übergegangen sein und politische Mächte angefangen haben, sich zu gestalten. Indes von jenen frühesten Raufhändeln und Beutezügen, in denen der Charakter der Völker sich bildet und sich äußerst wie in den Spielen und Fahrten des Knaben der Sinn des Mannes, hat kein italischer Homer uns ein Abbild aufbewahrt; und ebensowenig gestattet uns die geschichtliche Überlieferung, die äußere Entwicklung der Machtverhältnisse der einzelnen latinischen Gaue auch nur mit annähernder Genauigkeit zu erkennen. Höchstens von Rom läßt die Ausdehnung seiner Macht und seines Gebietes sich einigermaßen verfolgen. Die nachweislich ältesten Grenzen der vereinigten römischen Gemeinde sind bereits angegeben worden; sie waren landeinwärts durchschnittlich nur etwa eine deutsche Meile von dem Hauptort des Gaus entfernt und erstreckten sich einzig gegen die Küste zu bis an die etwas über drei deutsche Meilen von Rom entfernte Tibermündung (Ostia). „Größere und kleinere Völkerschaften“, sagt Strabon in der Schilderung des ältesten Rom, „umschlossen die neue Stadt, von denen einige in unabhängigen Ortschaften wohnten und keinem Stammverband botmäßig waren“. Auf Kosten zunächst dieser stammverwandten Nachbarn scheinen die ältesten Erweiterungen des römischen Gebietes erfolgt zu sein.

Die am oberen Tiber und zwischen Tiber und Anio gelegenen latinischen Gemeinden Antemnae, Crustumerium, Ficulnea, Medullia, Caenina, Corniculum, Cameria, Collatia drückten am nächsten und empfindlichsten auf Rom und scheinen schon in frühester Zeit durch die Waffen der Römer ihre Selbständigkeit eingebüßt zu haben. Als selbständige Gemeinde erscheint in diesem Bezirk später nur Nomentum, das vielleicht durch Bündnis mit Rom seine Freiheit rettete; um den Besitz von Fidenae, dem Brückenkopf der Etrusker am linken Ufer des Tiber, kämpften Latiner und Etrusker, das heißt Römer und Veienter mit wechselndem Erfolg. Gegen Gabii, das die Ebene zwischen dem Anio und den Albaner Bergen innehatte, stand der Kampf lange Zeit im Gleichgewicht; bis in die späte Zeit hinab galt das gabinische Gewand als gleichbedeutend mit dem Kriegskleid und der gabinische Boden als Prototyp des feindlichen LandesAber zu bezweifeln, daß die Zerstörung Albas in der Tat von Rom ausgegangen sei wie es neulich von achtbarer Seite geschehen ist, scheint kein Grund vorhanden. Es ist wohl richtig, daß der Bericht über Albas Zerstörung in seinen Einzelheiten eine Kette von Unwahrscheinlichkeiten und Unmöglichkeiten ist; aber das gilt eben von jeder in Sagen eingesponnenen historischen Tatsache. Auf die Frage, wie sich das übrige Latium zu dem Kampfe zwischen Alba und Rom verhielt, haben wir freilich keine Antwort; aber die Frage selbst ist falsch gestellt, denn es ist unerwiesen, daß die latinische Bundesverfassung einen Sonderkrieg zweier latinischer Gemeinden schlechterdings untersagte. Noch weniger widerspricht die Aufnahme einer Anzahl albischer Familien in den römischen Bürgerverband der Zerstörung Albas durch die Römer; warum soll es nicht in Alba eben wie in Capua eine römische Partei gegeben haben? Entscheidend dürfte aber der Umstand sein, daß Rom in religiöser wie in politischer Hinsicht als Rechtsnachfolgerin von Alba auftritt; welcher Anspruch nicht auf die Übersiedelung einzelner Geschlechter, sondern nur auf die Eroberung der Stadt sich gründen konnte und gegründet ward..

Daß in der gleichen Zeit, wo Rom sich am Anio und auf dem Albaner Gebirge festsetzte, auch Praeneste, welches späterhin als Herrin von acht benachbarten Ortschaften erscheint, ferner Tibur und andere latinische Gemeinden in gleicher Weise ihr Gebiet erweitert und ihre spätere verhältnismäßig ansehnliche Macht begründet haben mögen, läßt sich vollends nur vermuten.

Mehr als die Kriegsgeschichten vermissen wir genaue Berichte über den rechtlichen Charakter und die rechtlichen Folgen dieser ältesten latinischen Eroberungen. Im ganzen ist es nicht zu bezweifeln, daß sie nach demselben Inkorporationssystem behandelt wurden, woraus die dreiteilige römische Gemeinde hervorgegangen war; nur daß die durch die Waffen zum Eintritt gezwungenen Gaue nicht einmal, wie jene ältesten drei, als Quartiere der neuen vereinigten Gemeinde eine gewisse relative Selbständigkeit bewahrten, sondern völlig und spurlos in dem Ganzen verschwanden (I, 99). Soweit die Macht des latinischen Gaues reichte, duldete er in ältester Zeit keinen politischen Mittelpunkt außer dem eigenen Hauptort, und noch weniger legte er selbständige Ansiedlungen an, wie die Phöniker und die Griechen es taten und damit in ihren Kolonien vorläufig Klienten und künftige Rivalen der Mutterstadt erschufen. Am merkwürdigsten in dieser Hinsicht ist die Behandlung, die Ostia durch Rom erfuhr: Die faktische Entstehung einer Stadt an dieser Stelle konnte und wollte man nicht hindern, gestattete aber dem Orte keine politische Selbständigkeit und gab darum den dort Angesiedelten kein Ortsbürger-, sondern ließ ihnen bloß, wenn sie es bereits besaßen, das allgemeine römische BürgerrechtDarauf geht ohne Zweifel die Bestimmung der Zwölf Tafeln: Nex[i mancipiique] forti sanatique idem ius esto, d. h. es soll im privatrechtlichen Verkehr dem Guten und dem Gebesserten gleiches Recht zustehen. An die latinischen Bundesgenossen kann hier nicht gedacht sein, da deren rechtliche Stellung durch die Bundesverträge bestimmt wird und das Zwölftafelgesetz überhaupt nur vom Landrecht handelt; sondern die sanates sind die Latini prisci cives Romani, das heißt die von den Römern in das Plebejat genötigten Gemeinden Latiums.; einzelne Geschlechter wurden aber auch wohl mit dem Bürgerrecht, das heißt dem Patriziat, beschenkt. Noch in der Kaiserzeit kannte man die nach dem Fall ihrer Heimat in die römische Bürgerschaft eingereihten albischen Geschlechter, darunter die Iulier, Servilier, Quinctilier, Cloelier, Geganier, Curiatier, Metilier; das Andenken ihrer Herkunft bewahrten ihre albischen Familienheiligtümer, unter denen das Geschlechterheiligtum der Iulier in Bovillae sich in der Kaiserzeit wieder zu großem Ansehen erhob.

Diese Zentralisierung mehrerer kleiner Gemeinden in einer größeren war natürlich nichts weniger als eine spezifisch römische Idee. Nicht bloß die Entwicklung Latiums und der sabellischen Stämme bewegt sich um die Gegensätze der nationalen Zentralisation und der kantonalen Selbständigkeit, sondern es gilt das gleiche auch von der Entwicklung der Hellenen. Es war dieselbe Verschmelzung vieler Gaue zu einem Staat, aus der in Latium Rom und in Attika Athen hervorging; und eben dieselbe Fusion war es, welche der weise Thales dem bedrängten Bunde der ionischen Städte als den einzigen Weg zur Rettung ihrer Nationalität bezeichnete. Wohl aber ist es Rom gewesen, das diesen Einheitsgedanken folgerichtiger, ernstlicher und glücklicher festhielt als irgendein anderer italischer Gau; und eben wie Athens hervorragende Stellung in Hellas die Folge seiner frühen Zentralisierung ist, so hat auch Rom seine Größe lediglich demselben hier noch weit energischer durchgeführten System zu danken.

Wenn also die Eroberungen Roms in Latium im wesentlichen als gleichartige, unmittelbare Gebiets- und Gemeindeerweiterungen betrachtet werden dürfen, so kommt doch derjenigen von Alba noch eine besondere Bedeutung zu. Es sind nicht bloß die problematische Größe und der etwaige Reichtum der Stadt, welche die Sage bestimmt haben, die Entnahme Albas in so besonderer Weise hervorzuheben. Alba galt als die Metropole der latinischen Eidgenossenschaft und hatte die Vorstandschaft unter den dreißig berechtigten Gemeinden. Die Zerstörung Albas hob natürlich den Bund selbst so wenig auf wie die Zerstörung Thebens die böotische GenossenschaftEs scheint sogar aus einem Teile der albischen Mark die Gemeinde Bovillae gebildet und diese an Albas Platz unter die autonomen latinischen Städte eingetreten zu sein. Ihren albischen Ursprung bezeugt der Iulierkult und der Name Albani Longani Bovillenses (Orelli-Henzen 119, 2252, 6019); ihre Autonomie Dionysios (5, 61) und Cicero (Planc. 9, 23).; vielmehr nahm, dem streng privatrechtlichen Charakter des latinischen Kriegsrechts vollkommen entsprechend, Rom jetzt als Rechtsnachfolgerin von Alba dessen Bundesvorstandschaft in Anspruch. Ob und welche Krisen der Anerkennung dieses Anspruchs vorhergingen oder nachfolgten, vermögen wir nicht anzugeben; im ganzen scheint man die römische Hegemonie über Latium bald und durchgängig anerkannt zu haben, wenn auch einzelne Gemeinden, wie zum Beispiel Labici und vor allem Gabii, zeitweilig sich ihr entzogen haben mögen. Schon damals mochte Rom als seegewaltig der Landschaft, als Stadt den Dorfschaften, als Einheitsstaat der Eidgenossenschaft gegenüberstehen, schon damals nur mit und durch Rom die Latiner ihre Küsten gegen Karthager, Hellenen und Etrusker schirmen und ihre Landgrenze gegen die unruhigen Nachbarn sabellischen Stammes behaupten und erweitern können. Ob der materielle Zuwachs, den Rom durch die Überwältigung von Alba erhielt, größer war als die durch die Einnahme von Antemnae oder Collatia erlangte Machtvermehrung, läßt sich nicht ausmachen; es ist sehr möglich, daß Rom nicht erst durch die Eroberung Albas die mächtigste latinische Gemeinde ward, sondern schon lange vorher es war; aber was dadurch gewonnen ward, war die Vorstandschaft bei dem latinischen Feste und damit die Grundlage der künftigen Hegemonie der römischen Gemeinde über die gesamte latinische Eidgenossenschaft. Es ist wichtig, diese entscheidenden Verhältnisse so bestimmt wie möglich zu bezeichnen.

Die Form der römischen Hegemonie über Latium war im ganzen die eines gleichen Bündnisses zwischen der römischen Gemeinde einer- und der latinischen Eidgenossenschaft anderseits, wodurch ein ewiger Landfriede in der ganzen Mark und ein ewiges Bündnis für den Angriff wie für die Verteidigung festgestellt ward. „Friede soll sein zwischen den Römern und allen Gemeinden der Latiner, solange Himmel und Erde bestehen; sie sollen nicht Krieg führen untereinander noch Feinde ins Land rufen noch Feinden den Durchzug gestatten; dem Angegriffenen soll Hilfe geleistet werden mit gesamter Hand und gleichmäßig verteilt werden, was gewonnen ist im gemeinschaftlichen Krieg.“ Die verbriefte Rechtsgleichheit im Handel und Wandel, im Kreditverkehr wie im Erbrecht, verflocht die Interessen der schon durch die gleiche Sprache und Sitte verbundenen Gemeinden noch durch die tausendfachen Beziehungen des Geschäftsverkehrs, und es ward damit etwas ähnliches erreicht wie in unserer Zeit durch die Beseitigung der Zollschranken. Allerdings blieb jeder Gemeinde formell ihr eigenes Recht; bis auf den Bundesgenossenkrieg war das latinische Recht mit dem römischen nicht notwendig identisch, und wir finden zum Beispiel, daß die Klagbarkeit der Verlöbnisse, die in Rom früh abgeschafft ward, in den latinischen Gemeinden bestehen blieb. Allein die einfache und rein volkstümliche Entwicklung des latinischen Rechtes und das Bestreben, die Rechtsgleichheit möglichst festzuhalten, führten denn doch dahin, daß das Privatrecht in Inhalt und Form wesentlich dasselbe war in ganz Latium. Am schärfsten tritt diese Rechtsgleichheit hervor in den Bestimmungen über den Verlust und den Wiedergewinn der Freiheit des einzelnen Bürgers. Nach einem alten ehrwürdigen Rechtssatz des latinischen Stammes konnte kein Bürger in dem Staat, wo er frei gewesen war, Knecht werden oder innerhalb dessen das Bürgerrecht einbüßen; sollte er zur Strafe die Freiheit und, was dasselbe war, das Bürgerrecht verlieren, so mußte er ausgeschieden werden aus dem Staat und bei Fremden in die Knechtschaft eintreten. Diesen Rechtssatz erstreckte man auf das gesamte Bundesgebiet; kein Glied eines der Bundesstaaten sollte als Knecht leben können innerhalb der gesamten Eidgenossenschaft. Anwendungen davon sind die in die Zwölf Tafeln aufgenommene Bestimmung, daß der zahlungsunfähige Schuldner, wenn der Gläubiger ihn verkaufen wolle, verkauft werden müsse jenseits der Tibergrenze, das heißt außerhalb des Bundesgebietes, und die Klausel des zweiten Vertrags zwischen Rom und Karthago, daß der von den Karthagern gefangene römische Bundesgenosse frei sein solle, so wie er einen römischen Hafen betrete. Wenngleich allgemeine Ehegemeinschaft innerhalb des Bundes wahrscheinlich nicht bestand, so sind dennoch Zwischenehen zwischen den verschiedenen Gemeinden, wie dies schon früher bemerkt worden ist, häufig vorgekommen. Die politischen Rechte konnte zunächst jeder Latiner nur da ausüben, wo er eingebürgert war; dagegen lag es im Wesen der privatrechtlichen Gleichheit, daß jeder Latiner an jedem latinischen Orte sich niederlassen konnte, oder, nach heutiger Terminologie, es bestand neben den besonderen Bürgerrechten der einzelnen Gemeinden ein allgemeines eidgenössisches Niederlassungsrecht; und seitdem der Plebejer in Rom als Bürger anerkannt war, wandelte sich dieses Recht Rom gegenüber um in volle Freizügigkeit. Daß dies wesentlich zum Vorteil der Hauptstadt ausschlug, die allein in Latium städtischen Verkehr, städtischen Erwerb, städtische Genüsse darzubieten hatte, und daß die Zahl der Insassen in Rom sich reißend schnell vermehrte, seit die latinische Landschaft im ewigen Frieden mit Rom lebte, ist begreiflich.

In Verfassung und Verwaltung blieb nicht bloß die einzelne Gemeinde selbständig und souverän, soweit nicht die Bundespflichten eingriffen, sondern, was mehr bedeutet, es blieb dem Bunde der dreißig Gemeinden als solchem Rom gegenüber die Autonomie. Wenn versichert wird, daß Albas Stellung zu den Bundesgemeinden eine überlegenere gewesen sei als die Roms, und daß die letzteren durch Albas Sturz die Autonomie erlangt hätten, so ist dies insofern wohl möglich, als Alba wesentlich Bundesglied war, Rom von Haus aus mehr als Sonderstaat dem Bunde gegenüber als innerhalb desselben stand; aber es mag, eben wie die Rheinbundstaaten formell souverän waren, während die deutschen Reichsstaaten einen Herrn hatten, der Sache nach vielmehr Albas Vorstandschaft gleich der des deutschen Kaisers ein Ehrenrecht, Roms Protektorat von Haus aus wie das napoleonische eine Oberherrlichkeit gewesen sein. In der Tat scheint Alba im Bundesrat den Vorsitz geführt zu haben, während Rom die latinischen Abgeordneten selbständig, unter Leitung, wie es scheint, eines aus ihrer Mitte gewählten Vorsitzenden, ihre Beratungen abhalten ließ und sich begnügte mit der Ehrenvorstandschaft bei dem Bundesopferfest für Rom und Latium und mit der Errichtung eines zweiten Bundesheiligtums in Rom, des Dianatempels auf dem Aventin, so daß von nun an teils auf römischem Boden für Rom und Latium, teils auf latinischem für Latium und Rom geopfert ward. Nicht minder im Interesse des Bundes war es, daß die Römer in dem Vertrag mit Latium sich verpflichteten, mit keiner latinischen Gemeinde ein Sonderbündnis einzugehen – eine Bestimmung, aus der die ohne Zweifel wohlbegründete Besorgnis der Eidgenossenschaft gegenüber der mächtigen leitenden Gemeinde sehr klar heraussieht. Am deutlichsten zeigt sich die Stellung Roms nicht innerhalb, sondern neben Latium in dem Kriegswesen. Die Bundesstreitmacht ward, wie die spätere Weise des Aufgebots unwidersprechlich zeigt, gebildet aus zwei gleich starken Massen, einer römischen und einer latinischen. Das Oberkommando stand ein für allemal bei den römischen Feldherren; Jahr für Jahr hatte der latinische Zuzug vor den Toren Roms sich einzufinden und begrüßte hier den erwählten Befehlshaber durch Zuruf als seinen Feldherrn, nachdem die vom latinischen Bundesrat dazu beauftragten Römer sich aus der Beobachtung des Vögelflugs der Zufriedenheit der Götter mit der getroffenen Wahl versichert hatten. Was im Bundeskrieg an Land und Gut gewonnen war, wurde nach dem Ermessen der Römer unter die Bundesglieder verteilt. Daß dem Ausland gegenüber die römisch-latinische Föderation nur durch Rom vertreten worden ist, läßt sich nicht mit Sicherheit behaupten. Der Bundesvertrag untersagte weder Rom noch Latium, auf eigene Hand einen Angriffskrieg zu beginnen; und wenn, sei es nach Bundesschluß, sei es infolge eines feindlichen Überfalls, ein Bundeskrieg geführt ward, so mag bei der Führung wie bei der Beendigung desselben auch der latinische Bundesrat rechtlich beteiligt gewesen sein. Tatsächlich freilich wird Rom damals schon die Hegemonie besessen haben, wie denn, wo immer ein einheitlicher Staat und ein Staatenbund in eine dauernde Verbindung zueinander treten, das Übergewicht auf die Seite von jenem zu fallen pflegt.

Wie nach Albas Fall Rom, jetzt sowohl die Herrin eines verhältnismäßig bedeutenden Gebietes als auch vermutlich die führende Macht innerhalb der latinischen Eidgenossenschaft, sein unmittelbares und mittelbares Gebiet weiter ausgedehnt hat, können wir nicht mehr verfolgen. Mit den Etruskern, zunächst den Veientern, hörten die Fehden namentlich um den Besitz von Fidenae nicht auf; es scheint aber nicht, daß es den Römern gelang, diesen auf dem latinischen Ufer des Flusses nur eine starke Meile von Rom gelegenen etruskischen Vorposten dauernd in ihre Gewalt zu bringen und die Veienter aus dieser gefährlichen Offensivbasis zu verdrängen. Dagegen behaupten sie sich, wie es scheint, unangefochten im Besitz des Ianiculum und der beiden Ufer der Tibermündung. Den Sabinern und Aequern gegenüber erscheint Rom in einer mehr überlegenen Stellung; von der späterhin so engen Verbindung mit den entfernteren Hernikern werden wenigstens die Anfänge schon in der Königszeit bestanden und die vereinigten Latiner und Herniker ihre östlichen Nachbarn von zwei Seiten umfaßt und niedergehalten haben. Der beständige Kriegsschauplatz aber war die Südgrenze, das Gebiet der Rutuler und mehr noch das der Volsker. Nach dieser Richtung hat die latinische Landschaft sich am frühesten erweitert, und hier begegnen wir zuerst den von Rom und Latium in dem feindlichen Lande begründeten und als autonome Glieder der latinischen Eidgenossenschaft konstituierten Gemeinden, den sogenannten latinischen Kolonien, von denen die ältesten noch in die Königszeit hineinzureichen scheinen. Wie weit indes das römische Machtgebiet um das Ende der Königszeit sich erstreckte, läßt sich in keiner Weise bestimmen. Von Fehden mit den benachbarten latinischen und volskischen Gemeinden ist in den römischen Jahrbüchern der Königszeit genug und nur zuviel die Rede; aber kaum dürften wenige einzelne Meldungen, wie etwa die der Einnahme von Suessa in der pomptinischen Ebene, einen geschichtlichen Kern enthalten. Daß die Königszeit nicht bloß die staatlichen Grundlagen Roms gelegt, sondern auch nach außen hin Roms Macht begründet hat, läßt sich nicht bezweifeln; die Stellung der Stadt Rom mehr gegenüber als in dem latinischen Staatenbund ist bereits im Beginn der Republik entschieden gegeben und läßt erkennen, daß in Rom schon in der Königszeit eine energische Machtentfaltung nach außen hin stattgefunden haben muß. Gewiß sind große Taten, ungemeine Erfolge hier verschollen; aber der Glanz derselben ruht auf der Königszeit Roms, vor allem auf dem königlichen Hause der Tarquinier, wie ein fernes Abendrot, in dem die Umrisse verschwimmen.

So war der latinische Stamm im Zuge, sich unter der Führung Roms zu einigen und zugleich sein Gebiet nach Osten und Süden hin zu erweitern; Rom selbst aber war durch die Gunst der Geschicke und die Kraft der Bürger aus einer regsamen Handels- und Landstadt der mächtige Mittelpunkt einer blühenden Landschaft geworden. Die Umgestaltung der römischen Kriegsverfassung und die darin im Keim enthaltene politische Reform, welche uns unter dem Namen der Servianischen Verfassung bekannt ist, steht im engsten Zusammenhang mit dieser innerlichen Umwandlung des römischen Gemeindewesens. Aber auch äußerlich mußte mit den reicher strömenden Mitteln, mit den steigenden Anforderungen, mit dem erweiterten politischen Horizont der Charakter der Stadt sich ändern. Die Verschmelzung der quirinalischen Nebengemeinde mit der palatinischen muß bereits vollzogen gewesen sein, als die sogenannte Servianische Reform stattfand; seit in dieser die Bürgerwehr sich in festen und einheitlichen Formen zusammengenommen hatte, konnte die Bürgerschaft nicht dabei beharren, die einzelnen Hügel, wie sie nacheinander mit Gebäuden sich gefüllt hatten, zu verschanzen und etwa noch zur Beherrschung des Tiberlaufes die Flußinsel und die Höhe am entgegengesetzten Ufer besetzt zu halten. Die Hauptstadt von Latium verlangte ein anderes und abgeschlossenes Verteidigungssystem: man schritt zu dem Bau der Servianischen Mauer. Der neue, zusammenhängende Stadtwall begann am Fluß unterhalb des Aventin und umschloß diesen Hügel, an dem neuerdings (1855) an zwei Stellen, teils am westlichen Abhang gegen den Fluß zu, teils an dem entgegengesetzten östlichen, die kolossalen Überreste dieser uralten Befestigungen zum Vorschein gekommen sind, Mauerstücke von der Höhe derjenigen von Alatri und Ferentino, aus mächtigen, viereckig behauenen Tuffblöcken unregelmäßig geschichtet, die wiedererstandenen Zeugen einer gewaltigen Epoche, deren Bauten in diesen Felswänden unvergänglich dastehen und deren geistige Taten unvergänglicher als diese in Ewigkeit fortwirken werden. Weiter umfaßte der Mauerring den Caelius und den ganzen Raum des Esquilin, Viminal und Quirinal, wo ein ebenfalls erst vor kurzem (1862) wieder in größeren Resten zu Tage gekommener Bau, nach außen von Peperinblöcken aufgesetzt und durch einen vorgezogenen Graben geschützt, nach innen in einen mächtigen, gegen die Stadt zu abgeböschten und noch heute imponierenden Erddamm auslaufend, den Mangel der natürlichen Verteidigungsmittel ersetzte, lief von da zum Kapitol, dessen steile Senkung gegen das Marsfeld zu einen Teil des Stadtwalls ausmachte, und stieß oberhalb der Tiberinsel zum zweitenmal an den Fluß. Die Tiberinsel nebst der Pfahlbrücke und das Ianiculum gehörten nicht zur eigentlichen Stadt, wohl aber war die letztere Höhe ein befestigtes Vorwerk. Wenn ferner bisher der Palatin die Burg gewesen war, so wurde dieser Hügel jetzt dem freien städtischen Anbau überlassen und dagegen auf dem nach allen Seiten hin freistehenden und bei seinem mäßigen Umfang leicht zu verteidigenden tarpeischen Hügel die neue „Burg“ (arx, capitolium)Die Bestimmung, ne quis patricius in arce aut capitolio habitaret, untersagte wohl nur die Umwandlung des Bodens in Privateigentum, nicht die Anlegung der Wohnhäuser. Vgl. W. A. Becker Topographie der Stadt Rom (Becker, Handbuch, 1). Leipzig 1843, S. 386.; und der Raum zwischen den beiden Spitzen des Hügels, das Heiligtum des argen Gottes (Ve-diovis) oder, wie die spätere hellenisierende Epoche es nannte, das Asyl war mit Wald bedeckt und vermutlich bestimmt, die Bauern mit ihren Herden aufzunehmen, wenn Überschwemmung oder Krieg sie von der Ebene vertrieb. Das Kapitol war dem Namen wie der Sache nach die Akropole Roms, ein selbständiges, auch noch nach dem Fall der Stadt verteidigungsfähiges Kastell, dessen Tor wahrscheinlich nach dem späteren Markt zu gelegen hatEs kommen vier solcher Gilden vor: 1. die Capitolini (Cic. ad Q. fr. 2, 5, 2) mit eigenen magistri (Henzen 6010, 6011) und jährlichen Spielen (Liv. 5, 50); vgl. zu CIL I, 805; 2. die Mercuriales (Liv. 2, 27; Cic. a.a.O.; Preller, Römische Mythologie. Berlin 1858. Bd. 1, S. 597) ebenfalls mit magistri (Henzen 6010), die Gilde aus dem Circustal, wo der Mercurtempel sich befand; 3. die pagani Aventinenses ebenfalls mit magistri (Henzen 6010); 4. die pagani pagi Ianiculensis ebenfalls mit magistri (CIL I, 801, 802). Es ist gewiß nicht zufällig, daß diese vier Gilden, die einzigen derartigen, die in Rom vorkommen, eben den von den vier örtlichen Tribus aus-, aber von der Servianischen Mauer eingeschlossenen beiden Hügeln, dem Kapitol und dem Aventin, und dem zu derselben Befestigung gehörigen Ianiculum angehören; und damit steht weiter im Zusammenhang, daß als Bezeichnung der gesamten städtischen Eingesessenen Roms montani paganive gebraucht wird – vgl. außer der bekannten Stelle Cic. dom. 28; 74 besonders das Gesetz über die städtischen Wasserleitungen bei Festus unter sifus p. 340: [mon]tani paganive si[fis aquam dividunto]. Die montani, eigentlich die Bewohner der palatinischen drei Bezirke, scheinen hier a potiori für die ganze eigentliche Stadtbürgerschaft der vier Quartiere gesetzt zu sein; die pagani sind sicher die außerhalb der Tribus stehenden Genossenschaften von Aventin und Ianiculum und die analogen Kollegien vom Kapitol und dem Circustal. . Der von der neuen Stadtmauer umschlossene Raum umfaßte also außer der bisherigen palatinischen und quirinalischen Stadt noch die beiden Bundesfestungen des Kapitol und des Aventin, ferner das IaniculumSowohl die Lage der beiden Tempel als das ausdrückliche Zeugnis des Dionysios (2, 25), daß der Vestatempel außerhalb der Roma quadrata lag, bezeugen es, daß diese Anlagen nicht mit der palatinischen, sondern mit der zweiten (Servianischen) Stadtgründung im Zusammenhang stehen; und wenn den Späteren dieses Königshaus mit dem Vestatempel als Anlage Numas gilt, so ist die Ursache dieser Annahme zu offenbar, um darauf Gewicht zu legen.. Längs der beiden Langseiten des Marktes reihten sich die Fleischbuden und andere Kaufläden. In dem Tal zwischen Aventin und Palatin ward für die Rennspiele der „Ring“ abgesteckt; das ward der Circus. Unmittelbar am Flusse ward der Rindermarkt angelegt und bald entstand hier eines der am dichtesten bevölkerten Quartiere. Auf allen Spitzen erhoben sich Tempel und Heiligtümer, vor allem auf dem Aventin das Bundesheiligtum der Diana und auf der Höhe der Burg der weithin sichtbare Tempel des Vater Diovis, der seinem Volk all diese Herrlichkeit gewährt hatte und nun, wie die Römer über die umliegenden Nationen, so mit ihnen über die unterworfenen Götter der Besiegten triumphierte.

Die Namen der Männer, auf deren Geheiß diese städtischen Großbauten sich erhoben, sind nicht viel weniger verschollen, als die der Führer in den ältesten römischen Schlachten und Siegen. Die Sage freilich knüpft die verschiedenen Werke an verschiedene Könige an, das Rathaus an Tullus Hostilius, das Ianiculum und die Holzbrücke an Ancus Marcius, die große Kloake, den Circus, den Jupitertempel, an Tarquinius den Älteren, den Dianatempel und den Mauerring an Servius Tullius. Manche dieser Angaben mögen richtig sein, und es scheint nicht zufällig, daß der Bau des neuen Mauerrings mit der neuen Heeresordnung, die ja auf die stetige Verteidigung der Stadtwälle wesentliche Rücksicht nahm, auch der Zeit und dem Urheber nach zusammengestellt wird. Im ganzen aber wird man sich begnügen müssen, aus dieser Überlieferung zu entnehmen, was schon an sich einleuchtet, daß diese zweite Schöpfung Roms mit der Anbahnung der Hegemonie über Latium und mit der Umschaffung des Bürgerheeres im engsten Zusammenhange stand; und daß sie zwar aus einem und demselben großen Gedanken hervorgegangen, übrigens aber weder eines Mannes noch eines Menschenalters Werk ist. Daß auch in diese Umgestaltung des römischen Gemeindewesens die hellenische Anregung mächtig eingegriffen hat, ist ebenso unzweifelhaft, als es unmöglich ist, die Art und den Grad dieser Einwirkung darzutun. Es wurde schon bemerkt, daß die Servianische Militärverfassung wesentlich hellenischer Art ist, und daß die Circusspiele nach hellenischem Muster geordnet wurden, wird später gezeigt werden. Auch das neue Königshaus mit dem Stadtherd ist vollständig ein griechisches Prytaneion und der runde, nach Osten schauende und nicht einmal von den Auguren eingeweihte Vestatempel in keinem Stück nach italischem, sondern durchaus nach hellenischem Ritus erbaut. Es scheint danach durchaus nicht unglaublich, was die Überlieferung meldet, daß der römisch-latinischen Eidgenossenschaft die ionische in Kleinasien gewissermaßen als Muster diente und darum auch das neue Bundesheiligtum auf dem Aventin dem ephesischen Artemision nachgebildet ward.

8. Kapitel


8. Kapitel

Die umbrisch-sabellischen Stämme. Anfänge der Samniten

Später als die der Latiner scheint die Wanderung der umbrischen Stämme begonnen zu haben, die gleich der latinischen sich südwärts bewegte, jedoch mehr in der Mitte der Halbinsel und gegen die östliche Küste zu sich hielt. Es ist peinlich, davon zu reden, denn die Kunde davon kommt zu uns wie der Klang der Glocken aus der im Meer versunkenen Stadt. Das Volk der Umbrer dehnt noch Herodotos bis an die Alpen aus, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß sie in ältester Zeit ganz Norditalien innehatten, bis wo im Osten die illyrischen Stämme begannen, im Westen die Ligurer, von deren Kämpfen mit den Umbrern es Sagen gibt, und auf deren Ausdehnung in ältester Zeit gegen Süden zu einzelne Namen, zum Beispiel der der Insel Ilva (Elba), verglichen mit den ligurischen Ilvates, vielleicht einen Schluß gestatten. Dieser Epoche der umbrischen Größe mögen die offenbar italischen Namen der ältesten Ansiedlungen im Potal, Atria (Schwarzstadt) und Spina (Dornstadt), sowie die zahlreichen umbrischen Spuren in Südetrurien (Fluß Umbro, Camars alter Name von Clusium, Castrum Amerinum) ihren Ursprung verdanken. Ganz besonders begegnen dergleichen Anzeichen einer der etruskischen voraufgegangenen italischen Bevölkerung in dem südlichen Strich Etruriens zwischen dem Ciminischen Wald (unterhalb Viterbo) und dem Tiber. In Falerii, der Grenzstadt Etruriens gegen Umbrien und das Sabinerland, ward nach Strabons Zeugnis eine andere Sprache geredet als die etruskische, und neuerdings sind daselbst derartige Inschriften zum Vorschein gekommen, deren Alphabet und Sprache zwar auch mit dem Etruskischen Berührungspunkte hat, aber doch im allgemeinen dem Latinischen analog istIn dem Alphabet ist besonders bemerkenswert, das r von der lateinischen (R), nicht von der etruskischen Form (D) und das z (); es kann nur aus dem primitiven lateinischen abgeleitet sein und wird dies sehr getreu darstellen. Die Sprache steht ebenfalls dem ältesten Latein nah; Marci Acarcelini he cupa, das ist Marcius Acarcelinius heic cubat; Menerva A. Cotena La. f. …. zenatuo sentem …. dedet cuando … cuncaptum, das ist Minervae A(ulus?) Cotena La(rtis) f(ilius) . . de senatus sententia dedit quando (wohl = olim) conceptum. Zugleich mit diesen und ähnlichen haben sich einige andere Inschriften gefunden von abweichender und unzweifelhaft etruskischer Sprache und Schrift.. Auch der Lokalkult zeigt sabellische Spuren; in denselben Kreis gehören die uralten, auch sakralen Beziehungen zwischen Caere und Rom. Wahrscheinlich haben die Etrusker diese südlichen Striche bedeutend später als die Landschaft nordwärts vom Ciminischen Wald den Umbrern entrissen und hat sogar noch nach der tuskischen Eroberung umbrische Bevölkerung sich hier gehalten. Die später nach der römischen Eroberung im Vergleich mit dem zähen Festhalten etruskischer Sprache und Sitte im nördlichen Etrurien so auffallend schnell erfolgende Latinisierung der südlichen Landschaft findet vermutlich eben hierin ihren letzten Grund. Daß von Norden und Westen her die Umbrer nach harten Kämpfen zurückgedrängt wurden in das enge Bergland zwischen den beiden Armen des Apennin, das sie später innehaben, bezeichnet schon ihre geographische Lage ebenso deutlich, wie heutzutage die der Bewohner Graubündens und die der Basken ihre ähnlichen Schicksale andeutet; auch die Sage weiß zu berichten, daß die Tusker den Umbrern dreihundert Städte entrissen haben, und, was mehr ist, in den Nationalgebeten der umbrischen Iguviner, die wir noch besitzen, werden nebst anderen Stämmen vor allem die Tusker als Landesfeinde verwünscht.

Vermutlich infolge dieses von Norden her auf sie geübten Druckes dringen die Umbrer vor gegen Süden, im allgemeinen sich haltend auf dem Gebirgszug, da sie die Ebenen schon von den latinischen Stämmen besetzt fanden, jedoch ohne Zweifel das Gebiet ihrer Stammverwandten oft betretend und beschränkend und mit ihnen sich um so leichter vermischend, als der Gegensatz in Sprache und Weise damals noch bei weitem nicht so scharf ausgeprägt sein konnten, wie wir später ihn finden. In diesen Kreis gehört, was die Sage zu erzählen weiß von dem Eindringen der Reatiner und Sabiner in Latium und ihren Kämpfen mit den Römern; ähnliche Erscheinungen mögen sich längs der ganzen Westküste wiederholt haben. Im ganzen behaupten die Sabiner sich in den Bergen, so in der von ihnen seitdem benannten Landschaft neben Latium und ebenso in dem Volskerland, vermutlich, weil die latinische Bevölkerung hier fehlte oder doch minder dicht war; während anderseits die wohlbevölkerten Ebenen besser Widerstand zu leisten vermochten, ohne indes das Eindringen einzelner Genossenschaften, wie der Titier und später der Claudier in Rom, ganz abwehren zu können oder zu wollen. So mischten sich hier die Stämme hüben und drüben, woraus sich auch erklärt, weshalb die Volsker mit den Latinern in zahlreichen Beziehungen stehen und nachher dieser Strich sowie die Sabina so früh und so schnell sich latinisieren konnten.

Der Hauptstock des umbrischen Stammes aber warf sich aus der Sabina östlich in die Gebirge der Abruzzen und das südlich an diese sich anschließende Hügelland: sie besetzten auch hier wie an der Westküste die bergigen Striche, deren dünne Bevölkerung den Einwanderern wich oder sich unterwarf, während dagegen in dem ebenen apulischen Küstenland die alte einheimische Bevölkerung der Iapyger, zwar unter steten Fehden, namentlich an der Nordgrenze um Luceria und Arpi, doch im ganzen sich behauptete. Wann diese Wanderungen stattfanden, läßt sich natürlich nicht bestimmen; vermutlich aber doch um die Zeit, wo in Rom die Könige herrschten. Die Sage erzählt, daß die Sabiner, gedrängt von den Umbrern, einen Lenz gelobten, das heißt schwuren, die in dem Kriegsjahre geborenen Söhne und Töchter, nachdem sie erwachsen wären, preiszugeben und über die Landesgrenze zu schaffen, damit die Götter sie nach ihrem Gefallen verderben oder auswärts ihnen neue Sitze bescheren möchten. Den einen Schwarm führte der Stier des Mars: das wurden die Safiner oder Samniten, die zuerst sich festsetzten auf den Bergen am Sagrusfluß und in späterer Zeit von da aus die schöne Ebene östlich vom Matesegebirg an den Quellen des Tifernus besetzten und im alten wie im neuen Gebiet ihre Dingstätte, dort bei Agnone, hier bei Bojano gelegen, von dem Stier, der sie leitete, Bovianum nannten. Einen zweiten Haufen führte der Specht des Mars: das wurden die Picenter, das Spechtvolk, das die heutige anconitanische Mark gewann; einen dritten der Wolf (hirpus) in die Gegend von Benevent: das wurden die Hirpiner. In ähnlicher Weise zweigten von dem gemeinschaftlichen Stamm sich die übrigen kleinen Völkerschaften ab: die Praetuttier bei Teramo, die Vestiner am Gran Sasso, die Marruciner bei Chieti, die Frentaner an der apulischen Grenze, die Paeligner am Majellagebirg, die Marser endlich am Fuciner See, diese mit den Volskern und den Latinern sich berührend. In ihnen allen blieb das Gefühl der Verwandtschaft und der Herkunft aus dem Sabinerlande lebendig, wie es denn in jenen Sagen deutlich sich ausspricht. Während die Umbrer im ungleichen Kampf erlagen und die westlichen Ausläufer des gleichen Stammes mit der latinischen oder hellenischen Bevölkerung verschmolzen, gediehen die sabellischen Stämme in der Abgeschlossenheit des fernen Gebirgslandes, gleich entrückt dem Anstoß der Etrusker, der Latiner und der Griechen. Städtisches Leben entwickelte bei ihnen sich nicht oder nur in geringem Grad; von dem Großverkehr schloß ihre geographische Lage sie beinahe völlig aus und dem Bedürfnis der Verteidigung genügten die Bergspitzen und die Schutzburgen, während die Bauern wohnen blieben in den offenen Weilern oder auch, wo Quell und Wald oder Wiese einem jeden gefiel. So blieb denn auch die Verfassung, wie sie war; ähnlich wie bei den ähnlich gelegenen Arkadern in Hellas kam es hier nicht zur Inkorporation der Gemeinden, und es bildeten höchstens mehr oder minder lockere Eidgenossenschaften sich aus. Vor allem in den Abruzzen scheint die scharfe Sonderung der Bergtäler eine strenge Abgeschlossenheit der einzelnen Kantone hervorgerufen zu haben, sowohl unter sich wie gegen das Ausland; woher es kommt, daß diese Bergkantone in geringem Zusammenhang unter sich und in völliger Isolierung gegen das übrige Italien verharrt und trotz der Tapferkeit ihrer Bewohner weniger als irgendein anderer Teil der italischen Nation in die Entwicklung der Geschichte der Halbinsel eingegriffen haben. Dagegen ist das Volk der Samniten in dem östlichen Stamm der Italiker ebenso entschieden der Höhepunkt der politischen Entwicklung wie in dem westlichen das latinische. Seit früherer Zeit, vielleicht von der ersten Einwanderung an, umschloß ein vergleichungsweise festes politisches Band die samnitische Nation und gab ihr die Kraft, später mit Rom um den ersten Platz in Italien in ebenbürtigem Kampf zu ringen. Wann und wie das Band geknüpft ward, wissen wir ebensowenig als wir die Bundesverfassung kennen; das aber ist klar, daß in Samnium keine einzelne Gemeinde überwog und noch weniger ein städtischer Mittelpunkt den samnitischen Stamm zusammenhielt wie Rom den latinischen, sondern daß die Kraft des Landes in den einzelnen Bauernschaften, die Gewalt in der aus ihren Vertretern gebildeten Versammlung lag; sie war es, die erforderlichenfalls den Bundesfeldherrn ernannte. Damit hängt es zusammen, daß die Politik dieser Eidgenossenschaft nicht wie die römische aggressiv ist, sondern sich beschränkt auf die Verteidigung der Grenzen; nur im Einheitsstaat ist die Kraft so konzentriert, die Leidenschaft so mächtig, daß die Erweiterung des Gebiets planmäßig verfolgt wird. Darum ist denn auch die ganze Geschichte der beiden Völker vorgezeichnet in ihrem diametral auseinandergehenden Kolonisationssystem. Was die Römer gewannen, erwarb der Staat; was die Samniten besetzten, das eroberten freiwillige Scharen, die auf Landraub ausgingen und von der Heimat im Glück wie im Unglück preisgegeben waren. Doch gehören die Eroberungen, welche die Samniten an den Küsten des Tyrrhenischen und des Ionischen Meeres machten, erst einer späteren Periode an; während die Könige in Rom herrschten, scheinen sie selbst erst die Sitze sich gewonnen zu haben, in denen wir später sie finden. Als ein einzelnes Ereignis aus dem Kreise der durch diese samnitische Ansiedelung veranlaßten Völkerbewegungen ist der Überfall von Kyme durch Tyrrhener vom oberen Meer, Umbrer und Daunier im Jahre der Stadt 230 (524) zu erwähnen; es mögen sich, wenn man den allerdings sehr romantisch gefärbten Nachrichten trauen darf, hier, wie das bei solchen Zügen zu geschehen pflegt, die Drängenden und die Gedrängten zu einem Heer vereinigt haben, die Etrusker mit ihren umbrischen Feinden, mit diesen die von den umbrischen Ansiedlern südwärts gedrängten Iapyger. Indes das Unternehmen scheiterte; für diesmal gelang es noch der überlegenen hellenischen Kriegskunst und der Tapferkeit des Tyrannen Aristodemos, den Sturm der Barbaren von der schönen Seestadt abzuschlagen.

11. Kapitel


11. Kapitel

Recht und Gericht

Das Volksleben in seiner unendlichen Mannigfaltigkeit anschaulich zu machen, vermag die Geschichte nicht allein; es muß ihr genügen, die Entwicklung der Gesamtheit darzustellen. Das Schaffen und Handeln, das Denken und Dichten des einzelnen, wie sehr sie auch von dem Zuge des Volksgeistes beherrscht werden, sind kein Teil der Geschichte. Dennoch scheint der Versuch, diese Zustände, wenn auch nur in den allgemeinsten Umrissen, anzudeuten, eben für diese älteste, geschichtlich so gut wie verschollene Zeit deswegen notwendig, weil die tiefe Kluft, die unser Denken und Empfinden von dem der alten Kulturvölker trennt, sich auf diesem Gebiet allein einigermaßen zum Bewußtsein bringen läßt. Unsere Überlieferung mit ihren verwirrten Völkernamen und getrübten Sagen ist wie die dürren Blätter, von denen wir mühsam begreifen, daß sie einst grün gewesen sind; statt die unerquickliche Rede durch diese säuseln zu lassen und die Schnitzel der Menschheit, die Choner und Oenotrer, die Siculer und Pelasger zu klassifizieren, wird es sich besser schicken zu fragen, wie denn das reale Volksleben des alten Italien im Rechtsverkehr, das ideale in der Religion sich ausgeprägt, wie man gewirtschaftet und gehandelt hat, woher die Schrift den Völkern kam und die weiteren Elemente der Bildung. So dürftig auch hier unser Wissen ist, schon für das römische Volk, mehr noch für das der Sabeller und das etruskische, so wird doch selbst die geringe und lückenvolle Kunde dem Leser statt des Namens eine Anschauung oder doch eine Ahnung gewähren. Das Hauptergebnis einer solchen Betrachtung, um dies gleich hier vorwegzunehmen, läßt in dem Satze sich zusammenfassen, daß bei den Italikern und insbesondere bei den Römern von den urzeitlichen Zuständen verhältnismäßig weniger bewahrt worden ist als bei irgendeinem anderen indogermanischen Stamm. Pfeil und Bogen, Streitwagen, Eigentumunfähigkeit der Weiber, Kauf der Ehefrau, primitive Bestattungsform, Blutrache, mit der Gemeindegewalt ringende Geschlechtsverfassung, lebendiger Natursymbolismus – alle diese und unzählige verwandte Erscheinungen müssen wohl auch als Grundlage der italischen Zivilisation vorausgesetzt werden; aber wo diese uns zuerst anschaulich entgegentritt, sind sie bereits spurlos verschwunden, und nur die Vergleichung der verwandten Stämme belehrt uns über ihr einstmaliges Vorhandensein. Insofern beginnt die italische Geschichte bei einem weit späteren Zivilisationsabschnitt als zum Beispiel die griechische und deutsche und trägt von Haus aus einen relativ modernen Charakter.

Die Rechtssatzungen der meisten italischen Stämme sind verschollen: nur von dem latinischen Landrecht ist in der römischen Überlieferung einige Kunde auf uns gekommen.

Alle Gerichtsbarkeit ist zusammengefaßt in der Gemeinde, das heißt in dem König, welcher Gericht oder „Gebot“ (ius) hält an den Spruchtagen (dies fasti) auf der Richterbühne (tribunal) der Dingstätte, sitzend auf dem Wagenstuhl (sella curulis)Die Erzählung von dem Tode des Königs Tatius, wie Plutarch (Rom. 23, 24) sie gibt: daß Verwandte des Tatius laurentinische Gesandte ermordet hätten; daß Tatius den klagenden Verwandten der Erschlagenen das Recht geweigert habe; daß dann Tatius von diesen erschlagen worden sei; daß Romulus die Mörder des Tatius freigesprochen, weil Mord mit Mord gesühnt sei; daß aber infolge göttlicher über beide Städte zugleich ergangener Strafgerichte sowohl die ersten als die zweiten Mörder in Rom und in Laurentum nachträglich zur gerechten Strafe gezogen seien – diese Erzählung sieht ganz aus wie eine Historisierung der Abschaffung der Blutrache, ähnlich wie die Einführung der Provokation dem Horatiermythus zugrunde liegt. Die anderswo vorkommenden Fassungen dieser Erzählung weichen freilich bedeutend ab, scheinen aber auch verwirrt oder zurechtgemacht. und es scheint demnach die Blutrache in Rom sehr früh durch das energische Auftreten der Gemeindegewalt unterdrückt worden zu sein. Ebenso ist weder von dem Einfluß, der den Genossen und dem Umstand auf die Urteilsfällung nach ältestem deutschen Recht zukommt, in dem ältesten römischen etwas wahrzunehmen, noch findet sich in diesem, was in jenem so häufig ist, daß der Wille selbst und die Macht einen Anspruch mit den Waffen in der Hand zu vertreten als gerichtlich notwendig oder doch zulässig behandelt wird. Das Gerichtsverfahren ist Staats- oder Privatprozeß, je nachdem der König von sich aus oder erst auf Anrufen des Verletzten einschreitet. Zu jenem kommt es nur, wenn der gemeine Friede gebrochen ist, also vor allen Dingen im Falle des Landesverrats oder der Gemeinschaft mit dem Landesfeind (proditio) und der gewaltsamen Auflehnung gegen die Obrigkeit (perduellio). Aber auch der arge Mörder (parricida), der Knabenschänder, der Verletzer der jungfräulichen oder Frauenehre, der Brandstifter, der falsche Zeuge, ferner wer die Ernte durch bösen Zauber bespricht oder wer zur Nachtzeit auf dem der Hut der Götter und des Volkes überlassenen Acker unbefugt das Korn schneidet, auch sie brechen den gemeinen Frieden und werden deshalb dem Hochverräter gleich geachtet. Den Prozeß eröffnet und leitet der König und fällt das Urteil, nachdem er mit den zugezogenen Ratsmännern sich besprochen hat. Doch steht es ihm frei, nachdem er den Prozeß eingeleitet hat, die weitere Verhandlung und die Urteilsfällung an Stellvertreter zu übertragen, die regelmäßig aus dem Rat genommen werden; die späteren außerordentlichen Stellvertreter, die Zweimänner für Aburteilung der Empörung (duoviri perduellionis) und die späteren ständigen Stellvertreter, die „Mordspürer“ (quaestores parricidii), denen zunächst die Aufspürung und Verhaftung der Mörder, also eine gewisse polizeiliche Tätigkeit oblag, gehören der Königszeit nicht an, mögen aber wohl an gewisse Einrichtungen derselben anknüpfen. Untersuchungshaft ist Regel, doch kann auch der Angeklagte gegen Bürgschaft entlassen werden. Folterung zur Erzwingung des Geständnisses kommt nur vor für Sklaven. Wer überwiesen ist, den gemeinen Frieden gebrochen zu haben, büßt immer mit dem Leben; die Todesstrafen sind mannigfaltig: so wird der falsche Zeuge vom Burgfelsen gestürzt, der Erntedieb aufgeknüpft, der Brandstifter verbrannt. Begnadigen kann der König nicht, sondern nur die Gemeinde; der König aber kann dem Verurteilten die Betretung des Gnadenweges (provocatio) gestatten oder verweigern. Außerdem kennt das Recht auch eine Begnadigung des verurteilten Verbrechers durch die Götter; wer vor dem Priester des Jupiter einen Kniefall tut, darf an demselben Tag nicht mit Ruten gestrichen, wer gefesselt sein Haus betritt, muß der Bande entledigt werden; und das Leben ist dem Verbrecher geschenkt, welcher auf seinem Gang zum Tode einer der heiligen Jungfrauen der Vesta zufällig begegnet.

Bußen an den Staat wegen Ordnungswidrigkeit und Polizeivergehen verhängt der König nach Ermessen; sie bestehen in einer bestimmten Zahl (daher der Name multa) von Rindern oder Schafen. Auch Rutenhiebe zu erkennen steht in seiner Hand.

In allen übrigen Fällen, wo nur der einzelne, nicht der gemeine Friede verletzt war, schreitet der Staat nur ein auf Anrufen des Verletzten, welcher den Gegner veranlaßt, nötigenfalls mit handhafter Gewalt zwingt, sich mit ihm persönlich dem König zu stellen. Sind beide Parteien erschienen und hat der Kläger die Forderung mündlich vorgetragen, der Beklagte deren Erfüllung in gleicher Weise verweigert, so kann der König entweder die Sache untersuchen oder sie in seinem Namen durch einen Stellvertreter abmachen lassen. Als die regelmäßige Form der Sühnung eines solchen Unrechts galt der Vergleich zwischen dem Verletzer und dem Verletzten; der Staat trat nur ergänzend ein, wenn der Schädiger den Geschädigten nicht durch eine ausreichende Sühne (poena) zufriedenstellte, wenn jemand sein Eigentum vorenthalten oder seine gerechte Forderung nicht erfüllt ward.

Was in dieser Epoche der Bestohlene von dem Dieb zu fordern berechtigt war und wann der Diebstahl als überhaupt der Sühne fähig galt, läßt sich nicht bestimmen. Billig aber forderte der Verletzte von dem auf frischer Tat ergriffenen Diebe Schwereres als von dem später entdeckten, da die Erbitterung, welche eben zu sühnen ist, gegen jenen stärker ist als gegen diesen. Erschien der Diebstahl der Sühne unfähig oder war der Dieb nicht imstande, die von dem Beschädigten geforderte und von dem Richter gebilligte Schätzung zu erlegen, so ward er vom Richter dem Bestohlenen als eigener Mann zugesprochen.

Bei Schädigung (iniuria) des Körpers wie der Sachen mußte in den leichteren Fällen der Verletzte wohl unbedingt Sühne nehmen; ging dagegen durch dieselbe ein Glied verloren, so konnte der Verstümmelte Auge um Auge fordern und Zahn um Zahn.

Das Eigentum hat, da das Ackerland bei den Römern lange in Feldgemeinschaft benutzt und erst in verhältnismäßig später Zeit aufgeteilt worden ist, sich nicht an den Liegenschaften, sondern zunächst an dem „Sklaven- und Viehstand“ (familia pecuniaque) entwickelt. Als Rechtsgrund desselben gilt nicht etwa das Recht des Stärkeren, sondern man betrachtet vielmehr alles Eigentum als dem einzelnen Bürger von der Gemeinde zu ausschließlichem Haben und Nutzen zugeteilt, weshalb auch nur der Bürger und wen die Gemeinde in dieser Beziehung dem Bürger gleich achtet, fähig ist, Eigentum zu haben. Alles Eigentum geht frei von Hand zu Hand; das römische Recht macht keinen wesentlichen Unterschied zwischen beweglichem und unbeweglichem Gut, seit überhaupt der Begriff des Privateigentums auf das letztere erstreckt war, und kennt kein unbedingtes Anrecht der Kinder oder der sonstigen Verwandten auf das väterliche oder Familienvermögen. Indes ist der Vater nicht imstande, die Kinder ihres Erbrechts willkürlich zu berauben, da er weder die väterliche Gewalt aufheben noch anders als mit Einwilligung der ganzen Gemeinde, die auch versagt werden konnte und in solchem Falle gewiß oft versagt ward, ein Testament errichten kann. Bei seinen Lebzeiten zwar konnte der Vater auch den Kindern nachteilige Verfügungen treffen; denn mit persönlichen Beschränkungen des Eigentümers war das Recht sparsam und gestattete im ganzen jedem erwachsenen Mann die freie Verfügung über sein Gut. Doch mag die Einrichtung, wonach derjenige, welcher sein Erbgut veräußerte und seine Kinder desselben beraubte, obrigkeitlich gleich dem Wahnsinnigen unter Vormundschaft gesetzt ward, wohl schon bis in die Zeit zurückreichen, wo das Ackerland zuerst aufgeteilt ward und damit das Privatvermögen überhaupt eine größere Bedeutung für das Gemeinwesen erhielt. Auf diesem Wege wurden die beiden Gegensätze, unbeschränktes Verfügungsrecht des Eigentümers und Zusammenhaltung des Familiengutes, soweit möglich, im römischen Recht miteinander vereinigt. Dingliche Beschränkungen des Eigentums wurden, mit Ausnahme der namentlich für die Landwirtschaft unentbehrlichen Gerechtigkeiten, durchaus nicht zugelassen. Erbpacht und dingliche Grundrente sind rechtlich unmöglich; anstatt der Verpfändung, die das Recht ebensowenig kennt, dient die sofortige Übertragung des Eigentums an dem Unterpfand auf den Gläubiger gleichsam als den Käufer desselben, wobei dieser sein Treuwort (fiducia) gibt, bis zum Verfall der Forderung die Sache nicht zu veräußern und sie nach Rückzahlung der vorgestreckten Summe dem Schuldner zurückzustellen.

Verträge, die der Staat mit einem Bürger abschließt, namentlich die Verpflichtung der für eine Leistung an den Staat eintretenden Garanten (praevides, praedes), sind ohne weitere Förmlichkeit gültig. Dagegen die Verträge der Privaten untereinander geben in der Regel keinen Anspruch auf Rechtshilfe von Seiten des Staats; den Gläubiger schützt nur das nach kaufmännischer Art hochgehaltene Treuwort und etwa noch bei dem häufig hinzutretenden Eide die Scheu vor den den Meineid rächenden Göttern. Rechtlich klagbar sind nur das Verlöbnis, infolgedessen der Vater, wenn er die versprochene Braut nicht gibt, dafür Sühne und Ersatz zu leisten hat, ferner der Kauf (mancipatio) und das Darlehen (nexum). Der Kauf gilt als rechtlich abgeschlossen dann, wenn der Verkäufer dem Käufer die gekaufte Sache in die Hand gibt (mancipare) und gleichzeitig der Käufer dem Verkäufer den bedungenen Preis in Gegenwart von Zeugen entrichtet; was, seit das Kupfer anstatt der Schafe und Rinder der regelmäßige Wertmesser geworden war, geschah durch Zuwägen der bedungenen Quantität Kupfer auf der von einem Unparteiischen richtig gehaltenen WaageNämlich für das zehnmonatliche Jahr den zwölften Teil des Kapitals (uncia), also für das zehnmonatliche Jahr 8 1/3, für das zwölfmonatliche zehn vom Hundert.. In der gleichen Form erfolgte seinerzeit auch die Rückzahlung des Darlehens. Erfüllte ein Schuldner dem Staat gegenüber seine Verbindlichkeit nicht, so wurde derselbe ohne weiteres mit allem, was er hatte, verkauft; daß der Staat forderte, genügte zur Konstatierung der Schuld. Ward dagegen von einem Privaten die Vergewaltigung seines Eigentums dem König angezeigt (vindiciae), oder erfolgte die Rückzahlung des empfangenen Darlehens nicht, so kam es darauf an, ob das Sachverhältnis der Feststellung bedurfte, was bei Eigentumsklagen regelmäßig der Fall war, oder schon klar vorlag, was bei Darlehensklagen nach den geltenden Rechtsnormen mittels der Zeugen leicht bewerkstelligt werden konnte. Die Feststellung des Sachverhältnisses geschah in Form einer Wette, wobei jede Partei für den Fall des Unterliegens einen Einsatz (sacramentum) machte: bei wichtigen Sachen von mehr als zehn Rindern Wert einen von fünf Rindern, bei geringeren einen von fünf Schafen. Der Richter entschied sodann, wer recht gewettet habe, worauf der Einsatz der unterliegenden Partei den Priestern zum Behuf der öffentlichen Opfer zufiel. Wer also unrecht gewettet hatte, und, ohne den Gegner zu befriedigen, dreißig Tage hatte verstreichen lassen; ferner, wessen Leistungspflicht von Anfang an feststand, also regelmäßig der Darlehensschuldner, wofern er nicht Zeugen für die Rückzahlung hatte, unterlag dem Exekutionsverfahren „durch Handanlegung“ (manus iniectio), indem ihn der Kläger packte, wo er ihn fand, und ihn vor Gericht stellte, lediglich um die anerkannte Schuld zu erfüllen. Verteidigen durfte der Ergriffene sich selber nicht; ein Dritter konnte zwar für ihn auftreten und diese Gewalttat als unbefugte bezeichnen (vindex), worauf dann das Verfahren eingestellt ward; allein diese Vertretung machte den Vertreter persönlich verantwortlich, weshalb auch für den steuerzahlenden Bürger der Proletarier nicht Vertreter sein konnte. Trat weder Erfüllung noch Vertretung ein, so sprach der König den Ergriffenen dem Gläubiger so zu, daß dieser ihn abführen und halten konnte gleich einem Sklaven. Waren alsdann sechzig Tage verstrichen, war während derselben der Schuldner dreimal auf dem Markt ausgestellt und dabei ausgerufen worden, ob jemand seiner sich erbarme, und dies alles ohne Erfolg geblieben, so hatten die Gläubiger das Recht, ihn zu töten und sich in seine Leiche zu teilen, oder auch ihn mit seinen Kindern und seiner Habe als Sklaven in die Fremde zu verkaufen, oder auch ihn bei sich an Sklaven Statt zu halten; denn freilich konnte er, so lange er im Kreis der römischen Gemeinde blieb, nach römischem Recht nicht vollständig Sklave werden. So ward Habe und Gut eines jeden von der römischen Gemeinde gegen den Dieb und Schädiger sowohl wie gegen den unbefugten Besitzer und den zahlungsunfähigen Schuldner mit unnachsichtlicher Strenge geschirmt.

Ebenso schirmte man das Gut der nicht wehrhaften, also auch nicht zur Schirmung des eigenen Vermögens fähigen Personen, der Unmündigen und der Wahnsinnigen und vor allem das der Weiber, indem man die nächsten Erben zu der Hut desselben berief.

Nach dem Tode fällt das Gut den nächsten Erben zu, wobei alle Gleichberechtigten, auch die Weiber gleiche Teile erhalten und die Witwe mit den Kindern auf einen Kopfteil zugelassen wird. Dispensieren von der gesetzlichen Erbfolge kann nur die Volksversammlung, wobei noch vorher wegen der an dem Erbgang haftenden Sakralpflichten das Gutachten der Priester einzuholen ist; indes scheinen solche Dispensationen früh sehr häufig geworden zu sein, und wo sie fehlte, konnte bei der vollkommen freien Disposition, die einem jeden über sein Vermögen bei seinen Lebzeiten zustand, diesem Mangel dadurch einigermaßen abgeholfen werden, daß man sein Gesamtvermögen einem Freund übertrug, der dasselbe nach dem Tode dem Willen des Verstorbenen gemäß verteilte.

Die Freilassung war dem ältesten Recht unbekannt. Der Eigentümer konnte freilich der Ausübung seines Eigentumsrechts sich enthalten; aber die zwischen dem Herrn und dem Sklaven bestehende Unmöglichkeit gegenseitiger Verbindlichmachung wurde hierdurch nicht aufgehoben, noch weniger dem letzteren der Gemeinde gegenüber das Gast- oder gar das Bürgerrecht erworben. Die Freilassung kann daher anfangs nur Tatsache, nicht Recht gewesen sein und dem Herrn nie die Möglichkeit abgeschnitten haben, den Freigelassenen wieder nach Gefallen als Sklaven zu behandeln. Indes ging man hiervon ab in den Fällen, wo sich der Herr nicht bloß dem Sklaven, sondern der Gemeinde gegenüber anheischig gemacht hatte, denselben im Besitze der Freiheit zu lassen. Eine eigene Rechtsform für eine solche Bindung des Herrn gab es jedoch nicht – der beste Beweis, daß es anfänglich eine Freilassung nicht gegeben haben kann –, sondern es wurden dafür diejenigen Wege benutzt, welche das Recht sonst darbot: das Testament, der Prozeß, die Schatzung. Wenn der Herr entweder bei Errichtung seines letzten Willens in der Volksversammlung den Sklaven freigesprochen hatte oder wenn er dem Sklaven verstattet hatte, ihm gegenüber vor Gericht die Freiheit anzusprechen oder auch sich in die Schatzungsliste einzeichnen zu lassen, so galt der Freigelassene zwar nicht als Bürger, aber wohl als frei selbst dem früheren Herrn und dessen Erben gegenüber und demnach anfangs als Schutzverwandter, späterhin als Plebejer. Auf größere Schwierigkeiten als die Freilassung des Knechts stieß diejenige des Sohnes; denn wenn das Verhältnis des Herrn zum Knecht zufällig und darum willkürlich lösbar ist, so kann der Vater nie aufhören Vater zu sein. Darum mußte späterhin der Sohn, um von dem Vater sich zu lösen, erst in die Knechtschaft eintreten, um dann aus dieser entlassen zu werden; in der gegenwärtigen Periode aber kann es eine Emanzipation überhaupt noch nicht gegeben haben.

Nach diesem Rechte lebten in Rom die Bürger und die Schutzverwandten, zwischen denen, soweit wir sehen, von Anfang an vollständige privatrechtliche Gleichheit bestand. Der Fremde dagegen, sofern er sich nicht einem römischen Schutzherrn ergeben hat und also als Schutzverwandter lebt, ist rechtlos, er wie seine Habe. Was der römische Bürger ihm abnimmt, das ist ebenso recht erworben wie die am Meeresufer aufgelesene herrenlose Muschel; nur, das Grundstück, das außerhalb der römischen Grenze liegt, kann der römische Bürger wohl faktisch gewinnen, aber nicht im Rechtssinn als dessen Eigentümer gelten; denn die Grenze der Gemeinde vorzurücken, ist der einzelne Bürger nicht befugt. Anders ist es im Kriege; was der Soldat gewinnt, der unter dem Heerbann ficht, bewegliches wie unbewegliches Gut, fällt nicht ihm zu, sondern dem Staat, und hier hängt es denn auch von diesem ab, die Grenze vorzuschieben oder zurückzunehmen.

Ausnahmen von diesen allgemeinen Regeln entstehen durch besondere Staatsverträge, die den Mitgliedern fremder Gemeinden innerhalb der römischen gewisse Rechte sichern. Vor allem erklärte das ewige Bündnis zwischen Rom und Latium alle Verträge zwischen Römern und Latinern für rechtsgültig und verordnete zugleich für diese einen beschleunigten Zivilprozeß vor geschworenen „Wiederschaffern“ (reciperatores), welche, da sie, gegen den sonstigen römischen Gebrauch einem Einzelrichter die Entscheidung zu übertragen, immer in der Mehrheit und in ungerader Zahl sitzen, wohl als ein aus Richtern beider Nationen und einem Obmann zusammengesetztes Handels- und Meßgericht zu denken sind. Sie urteilen am Ort des abgeschlossenen Vertrages und müssen spätestens in zehn Tagen den Prozeß beendigt haben. Die Formen, in denen der Verkehr zwischen Römern und Latinern sich bewegte, waren natürlich die allgemeinen, in denen auch Patrizier und Plebejer miteinander verkehrten; denn die Manzipation und das Nexum sind ursprünglich gar keine Formalakte, sondern der prägnante Ausdruck der Rechtsbegriffe, deren Herrschaft reichte wenigstens so weit man lateinisch sprach.

In anderer Weise und anderen Formen ward der Verkehr mit dem eigentlichen Ausland vermittelt. Schon in frühester Zeit müssen mit den Caeriten und anderen befreundeten Völkern Verträge über Verkehr und Rechtsfolge abgeschlossen und die Grundlage des internationalen Privatrechts (ius gentium) geworden sein, das sich in Rom allmählich neben dem Landrecht entwickelt hat. Eine Spur dieser Rechtsbildung ist das merkwürdige mutuum, der „Wandel“ (von mutare; wie dividuus); eine Form des Darlehens, die nicht wie das Nexum auf einer ausdrücklich vor Zeugen abgegebenen bindenden Erklärung des Schuldners, sondern auf dem bloßen Übergang des Geldes aus einer Hand in die andere beruht und die so offenbar dem Verkehr mit Fremden entsprungen ist wie das Nexum dem einheimischen Geschäftsverkehr. Es ist darum charakteristisch, daß das Wort als μοίτον im sizilischen Griechisch wiederkehrt; womit zu verbinden ist das Wiedererscheinen des lateinischen carcer in dem sizilischen κάρκαρον. Da es sprachlich feststeht, daß beide Wörter ursprünglich latinisch sind, so wird ihr Vorkommen in dem sizilischen Lokaldialekt ein wichtiges Zeugnis für den häufigen Verkehr der latinischen Schiffer auf der Insel, welcher sie veranlaßte, dort Geld zu borgen und der Schuldhaft, die ja überall in den älteren Rechten die Folge des nicht bezahlten Darlehens ist, sich zu unterwerfen. Umgekehrt ward der Name des syrakusanischen Gefängnisses, „Steinbrüche“ oder λατομίαι, in alter Zeit auf das erweiterte römische Staatsgefängnis, die lautumiae übertragen.

Werfen wir noch einen Blick zurück auf die Gesamtheit dieser Institutionen, die im wesentlichen entnommen sind der ältesten, etwa ein halbes Jahrhundert nach der Abschaffung des Königtums veranstalteten Aufzeichnung des römischen Gewohnheitsrechts und deren Bestehen schon in der Königszeit sich wohl für einzelne Punkte, aber nicht im ganzen bezweifeln läßt, so erkennen wir darin das Recht einer weit vorgeschrittenen, ebenso liberalen als konsequenten Acker- und Kaufstadt. Hier ist die konventionelle Bildersprache, wie zum Beispiel die deutschen Rechtssatzungen sie aufzeigen, bereits völlig verschollen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß eine solche auch bei den Italikern einmal vorgekommen sein muß; merkwürdige Belege dafür sind zum Beispiel die Form der Haussuchung, wobei der Suchende nach römischer wie nach deutscher Sitte ohne Obergewand im bloßen Hemd erscheinen mußte, und vor allem die uralte latinische Formel der Kriegserklärung, worin zwei, wenigstens auch bei den Kelten und den Deutschen vorkommende Symbole begegnen: das „reine Kraut“ (herba pura, fränkisch chrene chruda) als Symbol des heimischen Bodens und der angesengte blutige Stab als Zeichen der Kriegseröffnung. Mit wenigen Ausnahmen aber, in denen religiöse Rücksichten die altertümlichen Gebräuche schützten – dahin gehört außer der Kriegserklärung durch das Fetialenkollegium namentlich noch die Konfarreation –, verwirft das römische Recht, das wir kennen, durchaus und prinzipiell das Symbol und fordert in allen Fällen nicht mehr und nicht weniger als den vollen und reinen Ausdruck des Willens. Die Übergabe der Sache, die Aufforderung zum Zeugnis, die Eingebung der Ehe sind vollzogen, so wie die Parteien die Absicht in verständlicher Weise erklärt haben; es ist zwar üblich, dem neuen Eigentümer die Sache in die Hand zu geben, den zum Zeugnis Geladenen am Ohre zu zupfen, der Braut das Haupt zu verhüllen und sie in feierlichem Zuge in das Haus des Mannes einzuführen; aber alle diese uralten Übungen sind schon nach ältestem römischen Landrecht rechtlich wertlose Gebräuche. Vollkommen analog wie aus der Religion alle Allegorie und damit alle Personifikation beseitigt ward, wurde auch aus dem Rechte jede Symbolik grundsätzlich ausgetrieben. Ebenso ist hier jener älteste Zustand, den die hellenischen wie die germanischen Institutionen uns darstellen, wo die Gemeindegewalt noch ringt mit der Autorität der kleineren, in die Gemeinde aufgegangenen Geschlechts- oder Gaugenossenschaften, gänzlich beseitigt; es gibt keine Rechtsallianz innerhalb des Staates zur Ergänzung der unvollkommenen Staatshilfe durch gegenseitigen Schutz und Trutz, keine ernstliche Spur der Blutrache oder des die Verfügung des einzelnen beschränkenden Familieneigentums. Auch dergleichen muß wohl einmal bei den Italikern bestanden haben; es mag in einzelnen Institutionen des Sakralrechts, zum Beispiel in dem Sühnbock, den der unfreiwillige Totschläger den nächsten Verwandten des Getöteten zu geben verpflichtet war, davon eine Spur sich finden; allein schon für die älteste Periode Roms, die wir in Gedanken erfassen können, ist dies ein längst überwundener Standpunkt. Zwar vernichtet ist das Geschlecht, die Familie in der römischen Gemeinde nicht; aber die ideelle wie die reale Allmacht des Staates auf dem staatlichen Gebiet ist durch sie ebensowenig beschränkt wie durch die Freiheit, die der Staat dem Bürger gewährt und gewährleistet. Der letzte Rechtsgrund ist überall der Staat: die Freiheit ist nur ein anderer Ausdruck für das Bürgerrecht im weitesten Sinn; alles Eigentum beruht auf ausdrücklicher oder stillschweigender Übertragung von der Gemeinde auf den einzelnen; der Vertrag gilt nur, insofern die Gemeinde in ihren Vertretern ihn bezeugt, das Testament nur, insofern die Gemeinde es bestätigt. Scharf und klar sind die Gebiete des öffentlichen und des Privatrechts voneinander geschieden: die Vergehen gegen den Staat, welche unmittelbar das Gericht des Staates herbeirufen und immer Lebensstrafe nach sich ziehen; die Vergehen gegen den Mitbürger oder den Gast, welche zunächst auf dem Wege des Vergleichs durch Sühne oder Befriedigung des Verletzten erledigt und niemals mit dem Leben gebüßt werden, sondern höchstens mit dem Verlust der Freiheit. Hand in Hand gehen die größte Liberalität in Gestattung des Verkehrs und das strengste Exekutionsverfahren; ganz wie heutzutage in Handelsstaaten die allgemeine Wechselfähigkeit und der strenge Wechselprozeß zusammen auftraten. Der Bürger und der Schutzgenosse stehen sich im Verkehr vollkommen gleich; Staatsverträge gestatten umfassende Rechtsgleichheit auch dem Gast; die Frauen sind in der Rechtsfähigkeit mit den Männern völlig auf eine Linie gestellt, obwohl sie im Handeln beschränkt sind; ja der kaum erwachsene Knabe bekommt sogleich das umfassendste Dispositionsrecht über sein Vermögen, und wer überhaupt verfügen kann, ist in seinem Kreise so souverän, wie im öffentlichen Gebiet der Staat. Höchst charakteristisch ist das Kreditsystem: ein Bodenkredit existiert nicht, sondern anstatt der Hypothekarschuld tritt sofort ein, womit heutzutage das Hypothekarverfahren schließt, der Übergang des Eigentums vom Schuldner auf den Gläubiger; dagegen ist der persönliche Kredit in der umfassendsten, um nicht zu sagen ausschweifendsten Weise garantiert, indem der Gesetzgeber den Gläubiger befugt, den zahlungsunfähigen Schuldner dem Diebe gleich zu behandeln und ihm dasjenige, was Shylock sich von seinem Todfeind halb zum Spott ausbedingt, hier in vollkommen legislatorischem Ernste einräumt, ja den Punkt wegen des Zuvielabschneidens sorgfältiger verklausuliert, als es der Jude tat. Deutlicher konnte das Gesetz es nicht aussprechen, daß es zugleich unabhängige, nicht verschuldete Bauernwesen und kaufmännischen Kredit herzustellen, alles Scheineigentum aber wie alle Wortlosigkeit mit unerbittlicher Energie zu unterdrücken beabsichtige. Nimmt man dazu das früh anerkannte Niederlassungsrecht sämtlicher Latiner und die gleichfalls früh ausgesprochene Gültigkeit der Zivilehe, so wird man erkennen, daß dieser Staat, der das Höchste von seinen Bürgern verlangte und den Begriff der Untertänigkeit des einzelnen unter die Gesamtheit steigerte, wie keiner vor oder nach ihm, dies nur tat und nur tun konnte, weil er die Schranken des Verkehrs selber niederwarf und die Freiheit ebensosehr entfesselte, wie er sie beschränkte. Gestattend oder hemmend tritt das Recht stets unbedingt auf: wie der unvertretene Fremde dem gehetzten Wild, so steht der Gast dem Bürger gleich; der Vertrag gibt regelmäßig keine Klage, aber wo das Recht des Gläubigers anerkannt wird, da ist es so allmächtig, daß dem Armen nirgends eine Rettung, nirgends eine menschliche und billige Berücksichtigung sich zeigt; es ist, als fände das Recht eine Freude daran, überall die schärfsten Spitzen hervorzukehren, die äußersten Konsequenzen zu ziehen, das Tyrannische des Rechtsbegriffs gewaltsam dem blödesten Verstande aufzudrängen. Die poetische Form, die gemütliche Anschaulichkeit, die in den germanischen Rechtsordnungen anmutig walten, sind dem Römer fremd, in seinem Recht ist alles klar und knapp, kein Symbol angewandt, keine Institution zuviel. Es ist nicht grausam; alles Nötige wird vollzogen ohne Umstände, auch die Todesstrafe; daß der Freie nicht gefoltert werden kann, ist ein Ursatz des römischen Rechts, den zu gewinnen andere Völker Jahrtausende haben ringen müssen. Aber es ist schrecklich, dies Recht mit seiner unerbittlichen Strenge, die man sich nicht allzusehr gemildert denken darf durch eine humane Praxis, denn es ist ja Volksrecht – schrecklicher als die Bleidächer und die Marterkammern, jene Reihe lebendiger Begräbnisse, die der Arme in den Schuldtürmen der Vermögenden klaffen sah. Aber darin eben ist die Größe Roms beschlossen und begründet, daß das Volk sich selber ein Recht gesetzt und ein Recht ertragen hat, in dem die ewigen Grundsätze der Freiheit und der Botmäßigkeit, des Eigentums und der Rechtsfolge unverfälscht und ungemildert walteten und heute noch walten.

12. Kapitel


12. Kapitel

Religion

Die römische Götterwelt ist, wie schon früher angedeutet ward, hervorgegangen aus der Widerspiegelung des irdischen Rom in einem höheren und idealen Anschauungsgebiet, in dem sich mit peinlicher Genauigkeit das Kleine wie das Große wiederholte. Der Staat und das Geschlecht, das einzelne Naturereignis wie die einzelne geistige Tätigkeit, jeder Mensch, jeder Ort und Gegenstand, ja jede Handlung innerhalb des römischen Rechtskreises kehren in der römischen Götterwelt wieder; und wie der Bestand der irdischen Dinge flutet im ewigen Kommen und Gehen, so schwankt auch mit ihm der Götterkreis. Der Schutzgeist, der über der einzelnen Handlung waltet, dauert nicht länger als diese Handlung selbst, der Schutzgeist des einzelnen Menschen lebt und stirbt mit dem Menschen; und nur insofern kommt auch diesen Götterwesen ewige Dauer zu, als ähnliche Handlungen und gleichartige Menschen und damit auch gleichartige Geister immer aufs neue sich erzeugen. Wie die römischen über der römischen, walten über jeder auswärtigen Gemeinde deren eigene Gottheiten; wie schroff auch der Bürger dem Nichtbürger, der römische dem fremden Gott entgegentreten mag, so können fremde Menschen wie fremde Gottheiten dennoch durch Gemeindebeschluß in Rom eingebürgert werden, und wenn aus der eroberten Stadt die Bürger nach Rom übersiedelten, wurden auch wohl die Stadtgötter eingeladen, in Rom eine neue Stätte sich zu bereiten.

Den ursprünglichen Götterkreis, wie er in Rom vor jeder Berührung mit den Griechen sich gestaltet hat, lernen wir kennen aus dem Verzeichnis der öffentlichen und benannten Festtage (feriae publicae) der römischen Gemeinde, das in dem Kalender derselben erhalten und ohne Frage die älteste aller aus dem römischen Altertum auf uns gekommenen Urkunden ist. Den Vorrang in demselben nehmen die Götter Jupiter und Mars nebst dem Doppelgänger des letzteren, dem Quirinus, ein. Dem Jupiter sind alle Vollmondstage (idus) heilig, außerdem die sämtlichen Weinfeste und verschiedene andere, später noch zu erwähnende Tage; seinem Widerspiel, dem „bösen Jovis“ (Vediovis), ist der 21. Mai (agonalia) gewidmet. Dem Mars dagegen gehört das Neujahr des 1. März und überhaupt das große Kriegerfest in diesem, von dem Gotte selbst benannten Monat, das, eingeleitet durch das Pferderennen (equirria) am 27. Februar, im März selbst an den Tagen des Schildschmiedens (equirria öder Mamuralia, 14. März), des Waffentanzes auf der Dingstätte (quinquatrus, 19. März) und der Drommetenweihe (tubilustrium, 23. März) seine Hochtage hatte. Wie, wenn ein Krieg zu führen war, derselbe mit diesem Feste begann, so folgte nach Beendigung des Feldzuges im Herbst wiederum eine Marsfeier, das Fest der Waffenweihe (armilustrium, 19. Oktober). Dem zweiten Mars endlich, dem Quirinus, war der 17. Februar (Quirinalia) eigen. Unter den übrigen Festtagen nehmen die auf den Acker- und Weinbau bezüglichen die erste Stelle ein, woneben die Hirtenfeste eine untergeordnete Rolle spielen. Hierher gehört vor allem die große Reihe der Frühlingsfeste im April, wo am 15. der Tellus, das ist der nährenden Erde (fordicidia, Opfer der trächtigen Kuh), und am 19. der Ceres, das ist der Göttin des sprossenden Wachstums (Cerialia), dann am 21. der befruchtenden Herdengöttin Pales (Parilia), am 23. dem Jupiter als dem Schützer der Reben und der an diesem Tage zuerst sich öffnenden Fässer von der vorjährigen Lese (Vinalia), am 25. dem bösen Feinde der Saaten, dem Roste (Robigus: Robigalia) Opfer dargebracht werden. Ebenso wird nach vollendeter Arbeit und glücklich eingebrachtem Feldersegen dem Gott und der Göttin des Einbringens und der Ernte, dem Consus (von condere) und der Ops ein Doppelfest gefeiert: zunächst unmittelbar nach vollbrachtem Schnitt (21. August, Consualia; 25. August, Opiconsiva), sodann im Mittwinter, wo der Segen der Speicher vor allem offenbar wird (15. Dezember, Consualia; 19. Dezember, Opalia), zwischen welchen letzteren beiden Feiertagen die sinnige Anschauung der alten Festordner das Fest der Aussaat (Saturnalia von Saëturnus oder Saturnus, 17. Dezember), einschaltete. Gleichermaßen wird das Most- oder Heilefest (meditrinalia, 11. Oktober), so benannt, weil man dem jungen Most heilende Kraft beilegte, dem Jovis als dem Weingott nach vollendeter Lese dargebracht, während die ursprüngliche Beziehung des dritten Weinfestes (Vinalia, 19. August) nicht klar ist. Zu diesen Festen kommen weiter am Jahresschluß das Wolfsfest (Lupercalia, 17. Februar) der Hirten zu Ehren des guten Gottes, des Faunus, und das Grenzsteinfest (Terminalia, 23. Februar) der Ackerbauer, ferner das zweitägige sommerliche Hainfest (Lucaria, 19., 21. Juli) das den Waldgöttern (Silvani) gegolten haben mag, die Quellfeier (Fontinalia, 13. Oktober) und das Fest des kürzesten Tages, der die neue Sonne heraufführt (An-geronalia, Divalia, 21. Dezember).

Von nicht geringer Bedeutung sind ferner, wie das für die Hafenstadt Latiums sich nicht anders erwarten läßt, die Schifferfeste der Gottheiten der See (Neptunalia, 23. Juli), des Hafens (Portunalia, 17. August) und des Tiberstromes (Volturnalia, 27. August). Handwerk und Kunst dagegen sind in diesem Götterkreis nur vertreten durch den Gott des Feuers und der Schmiedekunst, den Vulcanus, welchem außer dem nach seinem Namen benannten Tag (Volcanalia, 23. August) auch das zweite Fest der Drommetenweihe (tubilustrium, 23. Mai) gewidmet ist, und allenfalls noch durch das Fest der Carmentis (Carmentalia, 11., 15. Januar), welche wohl ursprünglich als die Göttin der Zauberformel und des Liedes und nur folgeweise als Schützerin der Geburten verehrt ward.

Dem häuslichen und Familienleben überhaupt galten das Fest der Göttin des Hauses und der Geister der Vorratskammer, der Vesta und der Penaten (Vestalia, 9. Juni); das Fest der GeburtsgöttinDas ist allem Anschein nach das ursprüngliche Wesen der „Morgenmutter“ oder Mater matuta; wobei man sich wohl daran zu erinnern hat, daß, wie die Vornamen Lucius und besonders Manius beweisen, die Morgenstunde für die Geburt als glückbringend galt. Zur See- und Hafengöttin ist die Mater matuta wohl erst später unter dem Einfluß des Leukotheamythus geworden; schon daß die Göttin vorzugsweise von den Frauen verehrt ward, spricht dagegen, sie ursprünglich als Hafengöttin zu fassen. (Matralia, 11. Juni), das Fest des Kindersegens, dem Liber und der Libera gewidmet (Liberalia, 17. März), das Fest der abgeschiedenen Geister (Feralia, 21. Februar) und die dreitägige Gespensterfeier (Lemuria, 9., 11., 13. Mai), während auf die bürgerlichen Verhältnisse sich die beiden übrigens für uns nicht klaren Festtage der Königsflucht (Regifugium, 24. Februar) und der Volksflucht (Poplifugia, 5. Juli), von denen wenigstens der letzte Tag dem Jupiter zugeeignet war, und das Fest der sieben Berge (Agonia oder Septimontium, 11. Dezember) bezogen. Auch dem Gott des Anfangs, dem Janus, war ein eigener Tag (agonia, 9. Januar) gewidmet. Einige andere Tage, der der Furrina (25. Juli) und der dem Jupiter und der Acca Larentia gewidmete der Larentalien, vielleicht ein Larenfest (23. Dezember), sind ihrem Wesen nach verschollen.

Diese Tafel ist vollständig für die unbeweglichen öffentlichen Feste; und wenn auch neben diesen stehenden Festtagen sicher seit ältester Zeit Wandel- und Gelegenheitsfeste vorgekommen sind, so öffnet doch diese Urkunde, in dem, was sie sagt, wie in dem, was sie ausläßt, uns den Einblick in eine sonst für uns beinahe gänzlich verschollene Urzeit. Zwar die Vereinigung der altrömischen Gemeinde und der Hügelrömer war bereits erfolgt, als diese Festtafel entstand, da wir in ihr neben dem Mars den Quirinus finden; aber noch stand der kapitolinische Tempel nicht, als sie aufgesetzt ward, denn es fehlen Juno und Minerva; noch war das Dianaheiligtum auf dem Aventin nicht errichtet; noch war den Griechen kein Kultbegriff entlehnt. Der Mittelpunkt nicht bloß des römischen, sondern überhaupt des italischen Gottesdienstes in derjenigen Epoche, wo der Stamm noch sich selber überlassen auf der Halbinsel hauste, war allen Spuren zufolge der Gott Maurs oder Mars, der tötende GottAus Maurs, was die älteste überlieferte Form ist, entwickeln sich durch verschiedene Behandlung des u Mars, Mavors, mors; der Übergang in ŏ (ähnlich wie Paula, Pola und dergleichen mehr) erscheint auch in der Doppelform Mar-Mor (vgl. Ma-mŭrius) neben Mar-Mar und Ma-Mers., vorwiegend gedacht als der speerschwingende, die Herde schirmende, den Feind niederwerfende göttliche Vorfechter der Bürgerschaft – natürlich in der Art, daß eine jede Gemeinde ihren eigenen Mars besaß und ihn für den stärksten und heiligsten unter allen achtete, demnach auch jeder zu neuer Gemeindebegründung auswandernde heilige Lenz unter dem Schutz seines eigenen Mars zog. Dem Mars ist sowohl in der – sonst götterlosen – römischen Monatstafel wie auch wahrscheinlich in den sämtlichen übrigen latinischen und sabellischen der erste Monat geheiligt; unter den römischen Eigennamen, die sonst ebenfalls keiner Götter gedenken, erscheinen Marcus, Mamercus, Mamurius seit uralter Zeit in vorwiegendem Gebrauch; an den Mars und seinen heiligen Specht knüpft sich die älteste italische Weissagung; der Wolf, das heilige Tier des Mars, ist auch das Wahrzeichen der römischen Bürgerschaft, und was von heiligen Stammsagen die römische Phantasie aufzubringen vermocht hat, geht ausschließlich zurück auf den Gott Mars und seinen Doppelgänger, den Quirinus. In dem .Festverzeichnis nimmt allerdings der Vater Diovis, eine reinere und mehr bürgerliche als kriegerische Widerspiegelung des Wesens der römischen Gemeinde, einen größeren Raum ein als der Mars, ebenso wie der Priester des Jupiter an Rang den beiden Priestern des Kriegsgottes vorgeht; aber eine sehr hervorragende Rolle spielt doch auch der letztere in demselben, und es ist sogar ganz glaublich, daß, als diese Festordnung festgestellt wurde, Jovis neben Mars stand wie Ahuramazda neben Mithra und daß der wahrhafte Mittelpunkt der Gottesverehrung in der streitbaren römischen Gemeinde auch damals noch der kriegerische Todesgott und dessen Märzfest war, wogegen gleichzeitig nicht der durch die Griechen später eingeführte „Sorgenbrecher“, sondern der Vater Jovis selbst als der Gott galt des herzerfreuenden Weines.

Es ist nicht die Aufgabe dieser Darstellung, die römischen Gottheiten im einzelnen zu betrachten; aber wohl ist es auch geschichtlich wichtig, ihren eigentümlichen, zugleich niedrigen und innigen Charakter hervorzuheben. Abstraktion und Personifikation sind das Wesen der römischen wie der hellenischen Götterlehre; auch der hellenische Gott ruht auf einer Naturerscheinung oder einem Begriff, und daß dem Römer eben wie dem Griechen jede Gottheit als Person erscheint, dafür zeugt die Auffassung der einzelnen als männlicher oder weiblicher und die Anrufung an die unbekannte Gottheit: „bist du Gott oder Göttin, Mann oder auch Weib“; dafür der tiefhaftende Glaube, daß der Name des eigentlichen Schutzgeistes der Gemeinde unausgesprochen bleiben müsse, damit nicht ein Feind ihn erfahre und, den Gott bei seinem Namen rufend, ihn über die Grenzen hinüberlocke. Ein Überrest dieser mächtig sinnlichen Auffassung haftet namentlich der ältesten und nationalsten italischen Göttergestalt, dem Mars, an. Aber wenn die Abstraktion, die jeder Religion zu Grunde liegt, anderswo zu weiten und immer weiteren Konzeptionen sich zu erheben, tief und immer tiefer in das Wesen der Dinge einzudringen versucht, so verhalten sich die römischen Glaubensbilder auf einer unglaublich niedrigen Stufe des Anschauens und des Begreifens. Wenn dem Griechen jedes bedeutsame Motiv sich rasch zur Gestaltengruppe, zum Sagen- und Ideenkreis erweitert, so bleibt dem Römer der Grundgedanke in seiner ursprünglichen nackten Starrheit stehen. Der apollinischen Religion irdisch sittlicher Verklärung, dem göttlichen dionysischen Rausche, den tiefsinnigen und geheimnisvollen chthonischen und Mysterienkulten hat die römische Religion nichts auch nur entfernt ähnliches entgegenzustellen, das ihr eigentümlich wäre. Sie weiß wohl auch von einem „schlimmen Gott“ (Ve-diovis), von Erscheinungen und Gespenstern (lemures), späterhin auch von Gottheiten der bösen Luft, des Fiebers, der Krankheiten, vielleicht sogar des Diebstahls (laverna); aber den geheimnisvollen Schauer, nach dem das Menschenherz doch auch sich sehnt, vermag sie nicht zu erregen, nicht sich zu durchdringen mit dem Unbegreiflichen und selbst dem Bösartigen in der Natur und dem Menschen, welches der Religion nicht fehlen darf, wenn der ganze Mensch in ihr aufgehen soll. Es gab in der römischen Religion kaum etwas Geheimes als etwa die Namen der Stadtgötter, der Penaten; das Wesen übrigens auch dieser Götter war jedem offenbar.

Die nationalrömische Theologie sucht nach allen Seiten hin die wichtigen Erscheinungen und Eigenschaften begreiflich zu fassen, sie terminologisch auszuprägen und schematisch – zunächst nach der auch dem Privatrecht zu Grunde liegenden Einteilung von Personen und Sachen – zu klassifizieren, um darnach die Götter und Götterreihen selber richtig anzurufen und ihre richtige Anrufung der Menge zu weisen (indigitare). In solchen äußerlich abgezogenen Begriffen von der einfältigsten, halb ehrwürdigen, halb lächerlichen Schlichtheit ging die römische Theologie wesentlich auf; Vorstellungen wie Saat (saëturnus) und Feldarbeit (ops), Erdboden (tellus) und Grenzstein (terminus) gehören zu den ältesten und heiligsten römischen Gottheiten. Vielleicht die eigentümlichste unter allen römischen Göttergestalten und wohl die einzige, für die ein eigentümlich italisches Kultbild erfunden ward, ist der doppelköpfige Janus; und doch liegt in ihm eben nichts als die für die ängstliche römische Religiosität bezeichnende Idee, daß zur Eröffnung eines jeden Tuns zunächst der „Geist der Eröffnung“ anzurufen sei, und vor allem das tiefe Gefühl davon, daß es ebenso unerläßlich war, die römischen Götterbegriffe in Reihen zusammenzufügen, wie die persönlicheren Götter der Hellenen notwendig jeder für sich standenDaß Tor und Türe und der Morgen (ianus matutinus) dem Janus heilig ist und er stets vor jedem anderen Gott angerufen ja selbst in der Münzreihe noch vor dem Jupiter und den anderen Göttern aufgeführt wird, bezeichnet ihn unverkennbar als die Abstraktion der Öffnung und Eröffnung. Auch der nach zwei Seiten schauende Doppelkopf hängt mit dem nach zwei Seiten hin sich öffnenden Tore zusammen. Einen Sonnen- und Jahresgott darf man um so weniger aus ihm machen, als der von ihm benannte Monat ursprünglich der elfte, nicht der erste ist; vielmehr scheint dieser Monat seinen Namen davon zu führen, daß in dieser Zeit nach der Rast des Mittwinters der Kreislauf der Feldarbeiten wieder von vorn beginnt. Daß übrigens, namentlich seit der Januarius an der Spitze des Jahres stand, auch die Eröffnung des Jahres in den Bereich des Janus hineingezogen ward, versteht sich von selbst.. Vielleicht der innigste unter allen römischen ist der Kult der in und über dem Hause und der Kammer waltenden Schutzgeister, im öffentlichen Gottesdienst der der Vesta und der Penaten, im Familienkult der der Wald- und Flurgötter, der Silvane und vor allem der eigentlichen Hausgötter, der Lasen oder Laren, denen regelmäßig von der Familienmahlzeit ihr Teil gegeben ward, und vor denen seine Andacht zu verrichten noch zu des älteren Cato Zeit des heimkehrenden Hausvaters erstes Geschäft war. Aber in der Rangordnung der Götter nahmen diese Haus- und Feldgeister eher den letzten als den ersten Platz ein; es war, wie es bei einer auf Idealisierung verzichtenden Religion nicht anders sein konnte, nicht die weiteste und allgemeinste, sondern die einfachste und individuellste Abstraktion, in der das fromme Herz die meiste Nahrung fand.

Hand in Hand mit dieser Geringhaltigkeit der idealen Elemente ging die praktische und utilitarische Tendenz der römischen Religion, wie sie in der oben erörterten Festtafel deutlich genug sich darlegt. Vermögensmehrung und Gütersegen durch Feldbau und Herdengewinn, durch Schiffahrt und Handel – das ist es, was der Römer von seinen Göttern begehrt; es stimmt dazu recht wohl, daß der Gott des Worthaltens (deus fidius), die Zufalls- und Glücksgöttin (fors fortuna) und der Handelsgott (mercurius), alle aus dem täglichen Verkehr hervorgegangen, zwar noch nicht in jener uralten Festtafel, aber doch schon sehr früh weit und breit von den Römern verehrt auftreten. Strenge Wirtschaftlichkeit und kaufmännische Spekulation waren zu tief im römischen Wesen begründet, um nicht auch dessen göttliches Abbild bis in den innersten Kern zu durchdringen.

Von der Geisterwelt ist wenig zu sagen. Die abgeschiedenen Seelen der sterblichen Menschen, die „Guten“ (manes) lebten schattenhaft weiter, gebannt an den Ort, wo der Körper ruhte (dii inferi), und nahmen von den Überlebenden Speise und Trank. Allein sie hausten in den Räumen der Tiefe und keine Brücke führte aus der unteren Welt weder zu den auf der Erde waltenden Menschen noch empor zu den oberen Göttern. Der griechische Heroenkult ist den Römern völlig fremd und wie jung und schlecht die Gründungssage von Rom erfunden ist, zeigt schon die ganz unrömische Verwandlung des Königs Romulus in den Gott Quirinus. Numa, der älteste und ehrwürdigste Name in der römischen Sage, ist in Rom nie als Gott verehrt worden wie Theseus in Athen.

Die ältesten Gemeindepriestertümer beziehen sich auf den Mars: vor allem auf Lebenszeit ernannte Priester des Gemeindegottes, der „Zünder des Mars“ (flamen Martialis), wie er vom Darbringen der Brandopfer benannt ward, und die zwölf „Springer“ (salii), eine Schar junger Leute, die im März den Waffentanz zu Ehren des Mars aufführten und dazu sangen. Daß die Verschmelzung der Hügelgemeinde mit der palatinischen die Verdoppelung des römischen Mars und damit die Einführung eines zweiten Marspriesters – des flamen Quirinalis – und einer zweiten Tänzergilde – der salii collini – herbeiführte, ist bereits früher auseinandergesetzt worden.

Hierzu kamen andere öffentliche, zum Teil wohl ihrem Ursprung nach weit über Roms Entstehung hinaufreichende Verehrungen, für welche entweder Einzelpriester angestellt waren – solche gab es zum Beispiel der Carmentis, des Volcanus, des Hafen- und des Flußgottes – oder deren Begehung einzelnen Genossenschaften oder Geschlechtern im Namen des Volkes übertragen war. Eine derartige Genossenschaft war vermutlich die der zwölf „Ackerbrüder“ (fratres arvales), welche die „schaffende Göttin“ (dea dia) im Mai anriefen für das Gedeihen der Saaten; obwohl es sehr zweifelhaft ist, ob dieselbe bereits in dieser Epoche dasjenige besondere Ansehen genoß, welches wir ihr in der Kaiserzeit beigelegt finden. Ihnen schloß die titische Brüderschaft sich an, die den Sonderkult der römischen Sabiner zu bewahren und zu besorgen hatte, sowie die für die Herde der dreißig Kurien eingesetzten dreißig Kurienzünder (flamines curiales). Das schon erwähnte „Wolfsfest“ (lupercalia) wurde für die Beschirmung der Herden dem „günstigen Gotte“ (faunus) von dem Quinctiergeschlecht und den nach dem Zutritt der Hügelrömer ihnen zugegebenen Fabiern im Monat Februar gefeiert – ein rechtes Hirtenkarneval, bei dem die „Wölfe“ (luperci) nackt mit dem Bocksfell umgürtet herumsprangen und wen sie trafen mit Riemen klatschten. Ebenso mag noch bei andern gentilizischen Kulten zugleich die Gemeinde gedacht sein als mitvertreten.

Zu diesem ältesten Gottesdienst der römischen Gemeinde traten allmählich neue Verehrungen hinzu. Die wichtigste darunter ist diejenige, welche auf die neu geeinigte und durch den großen Mauer- und Burgbau gleichsam zum zweitenmal gegründete Stadt sich bezieht: in ihr tritt der höchste beste Jovis vom Burghügel, das ist der Genius des römischen Volkes, an die Spitze der gesamten römischen Götterschaft, und sein fortan bestellter Zünder, der Flamen Dialis, bildet mit den beiden Marspriestern die heilige oberpriesterliche Dreiheit. Gleichzeitig beginnt der Kultus des neuen einigen Stadtherdes – der Vesta – und der dazu gehörige der Gemeindepenaten. Sechs keusche Jungfrauen versahen, gleichsam als die Haustöchter des römischen Volkes, jenen frommen Dienst und hatten das heilsame Feuer des Gemeindeherdes den Bürgern zum Beispiel und zum Wahrzeichen stets lodernd zu unterhalten. Es war dieser häuslich-öffentliche Gottesdienst der heiligste aller römischen, wie er denn auch von allem Heidentum am spätesten in Rom der christlichen Verfemung gewichen ist. Ferner wurde der Aventin der Diana angewiesen als der Repräsentantin der latinischen Eidgenossenschaft, aber eben darum eine besondere römische Priesterschaft für sie nicht bestellt; und zahlreichen anderen Götterbegriffen gewöhnte allmählich die Gemeinde sich in bestimmter Weise durch allgemeine Feier oder durch besonders zu ihrem Dienst bestimmte stellvertretende Priesterschaften zu huldigen, wobei sie einzelnen – zum Beispiel der Blumen (Flora) und der Obstgöttin (Pomona) – auch wohl einen eigenen Zünder bestellte, sodaß deren zuletzt fünfzehn gezählt wurden. Aber sorgfältig unterschied man unter ihnen jene drei „großen Zünder“ (flamines maiores), die bis in die späteste Zeit nur aus den Altbürgern genommen werden konnten, ebenso wie die alten Genossenschaften der palatinischen und quirinalischen Salier stets den Vorrang vor allen übrigen Priesterkollegien behaupteten. Also wurden die notwendigen und stehenden Leistungen an die Götter der Gemeinde bestimmten Genossenschaften oder ständigen Dienern vom Staat ein für allemal übertragen und zur Deckung der vermutlich nicht unbeträchtlichen Opferkosten teils den einzelnen Tempeln gewisse Ländereien, teils die Bußen angewiesen.

Daß der öffentliche Kult der übrigen latinischen und vermutlich auch der sabellischen Gemeinden im wesentlichen gleichartig war, ist nicht zu bezweifeln; nachweislich sind die Flamines, Sauer, Luperker und Vestalinnen nicht spezifisch römische, sondern allgemein latinische Institutionen gewesen und wenigstens die drei ersten Kollegien scheinen in den stammverwandten Gemeinden nicht erst nach römischem Muster gebildet zu sein.

Endlich kann, wie der Staat für den Götterkreis des Staats, so auch der einzelne Bürger innerhalb seines individuellen Kreises ähnliche Anordnungen treffen und seinen Göttern nicht bloß Opfer darbringen, sondern auch Stätten und Diener ihnen weihen.

Also gab es Priestertum und Priester in Rom genug; indes wer ein Anliegen an den Gott hat, wendet sich nicht an den Priester, sondern an den Gott. Jeder Flehende und Fragende redet selber zu der Gottheit, die Gemeinde natürlich durch den Mund des Königs wie die Kurie durch den Curio und die Ritterschaft durch ihre Obristen; und keine priesterliche Vermittlung durfte das ursprüngliche und einfache Verhältnis verdecken oder verdunkeln. Allein es ist freilich nicht leicht, mit dem Gotte zu verkehren. Der Gott hat seine eigene Weise zu sprechen, die nur dem kundigen Manne verständlich ist; wer es aber recht versteht, der weiß den Willen des Gottes nicht bloß zu ermitteln, sondern auch zu lenken, sogar im Notfall ihn zu überlisten oder zu zwingen. Darum ist es natürlich, daß der Verehrer des Gottes regelmäßig kundige Leute zuzieht und deren Rat vernimmt; und hieraus sind die religiösen Sachverständigenvereine hervorgegangen, eine durchaus national-italische Institution, die auf die politische Entwicklung weit bedeutender eingewirkt hat als die Einzelpriester und die Priesterschaften. Mit diesen sind sie oft verwechselt worden, allein mit Unrecht. Den Priesterschaften liegt die Verehrung einer bestimmten Gottheit ob, diesen Genossenschaften aber die Bewahrung der Tradition für diejenigen allgemeineren gottesdienstlichen Verrichtungen, deren richtige Vollziehung eine gewisse Kunde voraussetzte und für deren treue Überlieferung zu sorgen im Interesse des Staates lag. Diese geschlossenen und sich selbst, natürlich aus den Bürgern, ergänzenden Genossenschaften sind dadurch die Depositare der Kunstfertigkeiten und Wissenschaften geworden. In der römischen und überhaupt der latinischen Gemeindeverfassung gibt es solcher Kollegien ursprünglich nur zwei: das der Augurn und das der PontificesAm deutlichsten zeigt sich dies darin, daß in den nach dem latinischen Schema geordneten Gemeinden Augurn und Pontifices überall vorkommen (z. B. Cic. leg. agr. 2, 35, 96 und zahlreiche Inschriften), ebenso der pater patratus der Fetialen in Laurentum (Orelli 2276), die übrigen Kollegien aber nicht. Jene also stehen auf einer Linie mit der Zehnkurienverfassung, den Flamines, Saliern, Luperkern als ältestes latinisches Stammgut; wogegen die Duovirn sacris faciundis und die anderen Kollegien, wie die dreißig Kurien und die Servianischen Tribus und Zenturien, in Rom entstanden und darum auch auf Rom beschränkt geblieben sind. Nur der Name des zweiten Kollegiums, der Pontifices, ist wohl entweder durch römischen Einfluß in das allgemein latinische Schema anstatt älterer, vielleicht mannigfaltiger Namen eingedrungen, oder es bedeutete ursprünglich, was sprachlich manches für sich hat, pons nicht Brücke, sondern Weg überhaupt, pontifex also den Wegebauer.

Die Angaben über die ursprüngliche Zahl namentlich der Augurn schwanken. Daß die Zahl derselben ungerade sein mußte, widerlegt Cicero (leg. agr. 2, 35, 96); und auch Livius (10, 6) sagt wohl nicht dies, sondern nur, daß die Zahl der römischen Augurn durch drei teilbar sein und insofern auf eine ungerade Grundzahl zurückgehen müsse. Nach Livius (a.a.O.) war die Zahl bis zum Ogulnischen Gesetz sechs, und eben das sagt wohl auch Cicero (rep. 2, 9 14), indem er Romulus vier, Numa zwei Augurstellen einrichten läßt. Über die Zahl der Pontifices vgl. Römisches Staatsrecht, Bd. 2, S. 20.

Gewissermaßen läßt diesen beiden ältesten und ansehnlichsten Genossenschaften geistlicher Sachverständigen das Kollegium der zwanzig Staatsboten (fētiales, ungewisser Ableitung) sich anreihen, bestimmt als lebendiges Archiv das Andenken an die Verträge mit den benachbarten Gemeinden durch Überlieferung zu bewahren, über angebliche Verletzungen des vertragenen Rechts gutachtlich zu entscheiden und nötigenfalls den Sühneversuch und die Kriegserklärung zu bewirken. Sie waren durchaus für das Völkerrecht, was die Pontifices für das Götterrecht, und hatten daher auch wie diese die Befugnis, Recht zwar nicht zu sprechen, aber doch zu weisen.

Aber wie hochansehnlich immer diese Genossenschaften waren und wie wichtige und umfassende Befugnisse sie zugeteilt erhielten, nie vergaß man, und am wenigsten bei den am höchsten gestellten, daß sie nicht zu befehlen, sondern sachverständigen Rat zu erteilen, die Antwort der Götter nicht unmittelbar zu erbitten, sondern die erteilte dem Frager auszulegen hatten. So steht auch der vornehmste Priester nicht bloß im Rang dem König nach, sondern er darf ungefragt nicht einmal ihn beraten. Dem König steht es zu, zu bestimmen, ob und wann er die Vögel beobachten will; der Vogelschauer steht nur dabei und verdolmetscht ihm, wenn es nötig ist, die Sprache der Himmelsboten. Ebenso kann der Fetialis und der Pontifex in das Staats- und das Landrecht nicht anders eingreifen als wenn die Beikommenden es von ihm begehren, und mit unerbittlicher Strenge hat man trotz aller Frömmigkeit festgehalten an dem Grundsatz, daß in dem Staat der Priester in vollkommener Machtlosigkeit zu verbleiben und, von allen Befehlen ausgeschlossen, gleich jedem anderen Bürger dem geringsten Beamten Gehorsam zu leisten hat. Die latinische Gottesverehrung beruht wesentlich auf dem Behagen des Menschen am Irdischen und nur in untergeordneter Weise auf der Furcht vor den wilden Naturkräften; sie bewegt sich darum auch vorwiegend in Äußerungen der Freude, in Liedern und Gesängen, in Spielen und Tänzen, vor allem aber in Schmäusen. Wie überall bei den ackerbauenden, regelmäßig von Vegetabilien sich nährenden Völkerschaften war auch in Italien das Viehschlachten zugleich Hausfest und Gottesdienst; das Schwein ist den Göttern das wohlgefälligste Opfer nur darum, weil es der gewöhnliche Festbraten ist. Aber alle Verschwendung wie alle Überschwenglichkeit des Jubels ist dem gehaltenen römischen Wesen zuwider. Die Sparsamkeit gegen die Götter ist einer der hervortretendsten Züge des ältesten latinischen Kultes; und auch das freie Walten der Phantasie wird durch die sittliche Zucht, in der die Nation sich selber hält, mit eiserner Strenge niedergedrückt. Infolgedessen sind die Auswüchse, die von solcher Maßlosigkeit unzertrennlich sind, den Latinern ferngeblieben. Wohl liegt der tief sittliche Zug des Menschen, irdische Schuld und irdische Strafe auf die Götterwelt zu beziehen und jene als ein Verbrechen gegen die Gottheit, diese als deren Sühnung aufzufassen, im innersten Wesen auch der latinischen Religion. Die Hinrichtung des zum Tode verurteilten Verbrechers ist ebenso ein der Gottheit dargebrachtes Sühnopfer wie die im gerechten Krieg vollzogene Tötung des Feindes; der nächtliche Dieb der Feldfrüchte büßt der Ceres am Galgen wie der böse Feind auf dem Schlachtfeld der Mutter Erde und den guten Geistern. Auch der tiefe und furchtbare Gedanke der Stellvertretung begegnet hierbei: wenn die Götter der Gemeinde zürnen, ohne daß auf einen bestimmten Schuldigen gegriffen werden kann, so mag sie versöhnen, wer sich freiwillig hingibt (devovere se), wie denn giftige Erdspalten sich schließen, halbverlorene Schlachten sich in Siege wandeln, wenn ein braver Bürger sich als Sühnopfer in den Schlund oder in die Feinde stürzt. Auf ähnlicher Anschauung beruht der heilige Lenz, indem den Göttern dargebracht wird, was der bestimmte Zeitraum an Vieh und Menschen geboren werden läßt. Will man dies Menschenopfer nennen, so gehört solches freilich zum Kern des latinischen Glaubens; aber man muß hinzufügen, daß, soweit unser Blick in die Ferne irgend zurückträgt, diese Opferung, insofern sie das Leben fordert, sich beschränkt auf den Schuldigen, der vor dem bürgerlichen Gericht überwiesen ist, und den Unschuldigen, der freiwillig den Tod wählt. Menschenopfer anderer Art laufen dem Grundgedanken der Opferhandlung zuwider und beruhen wenigstens bei den indogermanischen Stämmen überall, wo sie vorkommen, auf späterer Ausartung und Verwilderung. Bei den Römern haben sie nie Eingang gefunden; kaum daß einmal in Zeiten höchster Not auch hier Aberglaube und Verzweiflung außerordentlicherweise im Greuel Rettung suchten. Von Gespensterglauben, Zauberfurcht und Mysterienwesen finden sich bei den Römern verhältnismäßig sehr geringe Spuren. Das Orakel- und Prophetentum hat in Italien niemals die Bedeutung erlangt wie in Griechenland und nie vermocht, das private und öffentliche Leben ernstlich zu beherrschen. Aber auf der andern Seite ist dafür auch die latinische Religion in eine unglaubliche Nüchternheit und Trockenheit verfallen und früh eingegangen auf einen peinlichen und geistlosen Zeremonialdienst. Der Gott des Italikers ist, wie schon gesagt ward, vor allen Dingen ein Hilfsinstrument zur Erreichung sehr konkreter irdischer Zwecke; wie denn den religiösen Anschauungen des Italikers durch seine Richtung auf das Faßliche und Reelle diese Wendung überhaupt gegeben wird und nicht minder scharf noch in dem heutigen Heiligenkult der Italiener hervortritt. Die Götter stehen dem Menschen völlig gegenüber wie der Gläubiger dem Schuldner; jeder von ihnen hat ein wohlerworbenes Recht auf gewisse Verrichtungen und Leistungen, und da die Zahl der Götter so groß war wie die Zahl der Momente des irdischen Lebens und die Vernachlässigung oder verkehrte Verehrung eines jeden Gottes in dem entsprechenden Moment sich rächte, so war es eine mühsame und bedenkliche Aufgabe, seiner religiösen Verpflichtungen auch nur sich bewußt zu werden, und so mußten wohl die des göttlichen Rechtes kundigen und dasselbe weisenden Priester, die Pontifices, zu ungemeinem Einfluß gelangen. Denn der rechtliche Mann erfüllt die Vorschriften des heiligen Rituals mit derselben kaufmännischen Pünktlichkeit, womit er seinen irdischen Verpflichtungen nachkommt und tut auch wohl ein Übriges, wenn der Gott es seinerseits getan hat. Auch auf Spekulation läßt man mit dem Gotte sich ein: das Gelübde ist der Sache wie dem Namen nach ein förmlicher Kontrakt zwischen dem Gotte und dem Menschen, wodurch dieser jenem für eine gewisse Leitung eine gewisse Gegenleistung zusichert, und der römische Rechtssatz, daß kein Kontrakt durch Stellvertretung abgeschlossen werden kann, ist nicht der letzte Grund, weshalb in Latium bei den religiösen Anliegen der Menschen alle Priestervermittlung ausgeschlossen blieb. Ja wie der römische Kaufmann, seiner konventionellen Rechtlichkeit unbeschadet, den Vertrag bloß dem Buchstaben nach zu erfüllen befugt ist, so ward auch, wie die römischen Theologen lehren, im Verkehr mit den Göttern das Abbild statt der Sache gegeben und genommen. Dem Herrn des Himmelsgewölbes brachte man Zwiebel- und Mohnköpfe dar, um auf deren statt auf der Menschen Häupter seine Blitze zu lenken; dem Vater Tiberis wurden zur Lösung der jährlich von ihm erheischten Opfer jährlich dreißig von Binsen geflochtene Puppen in die Wellen geworfenHierin konnte nur unüberlegte Auffassung Überreste alter Menschenopfer finden.. Die Ideen göttlicher Gnade und Versöhnbarkeit sind hier ununterscheidbar gemischt mit der frommen Schlauigkeit, welche es versucht, den gefährlichen Herrn durch scheinhafte Befriedigung zu berücken und abzufinden. So ist die römische Gottesfurcht wohl von gewaltiger Macht über die Gemüter der Menge, aber keineswegs jenes Bangen vor der allwaltenden Natur oder der allmächtigen Gottheit, das den pantheistischen und monotheistischen Anschauungen zu Grunde liegt, sondern sehr irdischer Art und kaum wesentlich verschieden von demjenigen Zagen, mit dem der römische Schuldner seinem gerechten, aber sehr genauen und sehr mächtigen Gläubiger sich naht. Es ist einleuchtend, daß eine solche Religion die künstlerische und die spekulative Auffassung viel mehr zu erdrücken als zu zeitigen geeignet war. Indem der Grieche die naiven Gedanken der Urzeit mit menschlichem Fleisch und Blut umhüllte, wurden diese Götterideen nicht bloß die Elemente der bildenden und der dichtenden Kunst, sondern sie erlangten auch die Universalität und die Elastizität, welche die tiefste Eigentümlichkeit der Menschennatur und eben darum der Kern aller Weltreligion ist. Durch sie konnte die einfache Naturanschauung zu kosmogonischen, der schlichte Moralbegriff zu allgemein humanistischen Anschauungen sich vertiefen; und lange Zeit hindurch vermochte die griechische Religion die physischen und metaphysischen Vorstellungen, die ganze ideale Entwicklung der Nation in sich zu fassen und mit dem wachsenden Inhalt in Tiefe und Weite sich auszudehnen, bevor die Phantasie und die Spekulation das Gefäß, das sie gehegt hatte, zersprengten. Aber in Latium blieb die Verkörperung der Gottheitsbegriffe so vollkommen durchsichtig, daß weder der Künstler noch der Dichter daran sich heranzubilden vermochte und die latinische Religion der Kunst stets fremd, ja feindlich gegenüberstand. Da der Gott nichts war und nichts sein durfte als die Vergeistigung einer irdischen Erscheinung, so fand er eben in diesem irdischen Gegenbild seine Stätte (templum) und sein Abbild; Wände und Idole, von Menschenhand gemacht, schienen die geistigen Vorstellungen nur zu trüben und zu befangen. Darum war der ursprüngliche römische Gottesdienst ohne Gottesbilder und Gotteshäuser; und wenngleich auch in Latium, vermutlich nach griechischem Vorbild, schon in früher Zeit der Gott im Bilde verehrt und ihm ein Häuschen (aedicula) gebaut ward, so galt doch diese bildliche Darstellung als den Gesetzen Numas zuwiderlaufend und überhaupt als unrein und fremdländisch. Mit Ausnahme etwa des doppelköpfigen Janus hat die römische Religion kein ihr eigentümliches Götterbild aufzuweisen und noch Varro spottete über die nach Puppen und Bilderchen verlangende Menge. Der Mangel aller zeugenden Kraft in der römischen Religion ist gleichfalls die letzte Ursache, warum die römische Poesie und noch mehr die römische Spekulation so vollständig nicht waren und blieben.

Aber auch auf dem praktischen Gebiet offenbart sich derselbe Unterschied. Der praktische Gewinn, welcher der römischen Gemeinde aus ihrer Religion erwuchs, war ein von den Priestern, namentlich den Pontifices entwickeltes, formuliertes Moralgesetz, welches teils in dieser – der polizeilichen Bevormundung des Bürgers durch den Staat noch fernstehenden – Zeit die Stelle der Polizeiordnung vertrat, teils die sittlichen Verpflichtungen vor das Gericht der Götter zog und sie mit göttlicher Strafe belegte. Zu den Bestimmungen der ersteren Art gehörte außer der religiösen Einschärfung der Heiligung des Feiertags und eines kunstmäßigen Acker- und Rebenbaus, die wir unten kennenlernen werden, zum Beispiel der auch mit gesundheitspolizeilichen Rücksichten zusammenhängende Herd- oder Larenkult und vor allem die bei den Römern ungemein früh, weit früher als bei den Griechen, durchgeführte Leichenverbrennung, welche eine rationelle Auffassung des Lebens und Sterbens voraussetzt, wie sie der Urzeit und selbst unserer Gegenwart noch fremd ist. Man wird es nicht gering anschlagen dürfen, daß die latinische Landesreligion diese und ähnliche Neuerungen durchzusetzen vermocht hat. Wichtiger aber noch war ihre sittlichende Wirkung. Wenn der Mann die Ehefrau, der Vater den verheirateten Sohn verkaufte; wenn das Kind oder die Schnur den Vater oder den Schwiegervater schlug; wenn der Schutzvater gegen den Gast oder den zugewandten Mann die Treupflicht verletzte; wenn der ungerechte Nachbar den Grenzstein verrückte oder der Dieb sich bei nächtlicher Weile an der dem Gemeinfrieden anvertrauten Halmfrucht vergriff, so lastete fortan der göttliche Fluch auf dem Haupt des Frevlers. Nicht als wäre der also Verwünschte (sacer) vogelfrei gewesen; eine solche, aller bürgerlichen Ordnung zuwiderlaufende Acht ist nur ausnahmsweise als Schärfung des religiösen Bannfluchs in Rom während des ständischen Haders vorgekommen. Nicht dem einzelnen Bürger oder gar dem völlig machtlosen Priester kommt die Vollstreckung solchen göttlichen Fluches zu. Zunächst ist der also Gebannte dem göttlichen Strafgericht anheim gefallen, nicht der menschlichen Willkür, und schon der fromme Volksglaube, auf dem dieser Bannfluch fußt, wird selbst über leichtsinnige und bösartige Naturen Macht gehabt haben. Aber die Bannung beschränkt darauf sich nicht; vielmehr ist der König befugt und verpflichtet, den Bann zu vollstrecken und, nachdem die Tatsache, auf welche das Recht die Bannung setzt, nach seiner gewissenhaften Überzeugung festgestellt worden ist, den Gebannten der verletzten Gottheit gleichwie ein Opfertier zu schlachten (supplicium) und also die Gemeinde von dem Verbrechen des einzelnen zu reinigen. Ist das Vergehen geringerer Art, so tritt an die Stelle der Tötung des Schuldigen die Lösung durch Darbringung eines Opfertiers oder ähnlicher Gaben. So ruht das ganze Kriminalrecht in seinem letzten Grunde auf der religiösen Idee der Sühnung.

Weitere Leistungen aber als dergleichen Förderungen bürgerlicher Ordnung und Sittlichkeit hat die Religion in Latium auch nicht verrichtet. Unsäglich viel hat hier Hellas vor Latium voraus gehabt – dankt es doch seiner Religion nicht bloß seine ganze geistige Entwicklung, sondern auch seine nationale Einigung, soweit sie überhaupt erreicht ward; um Götterorakel und Götterfeste, um Delphi und Olympia, um die Töchter des Glaubens, die Musen, bewegt sich alles, was im hellenischen Leben groß, und alles, was darin nationales Gemeingut ist. Und dennoch knüpfen eben hier auch Latiums Vorzüge vor Hellas an. Die latinische Religion, herabgedrückt wie sie ist auf das Maß der gewöhnlichen Anschauung, ist jedem vollkommen verständlich und allen insgemein zugänglich; und darum bewahrte die römische Gemeinde ihre bürgerliche Gleichheit, während Hellas, wo die Religion auf der Höhe des Denkens der Besten stand, von frühester Zeit an unter allem Segen und Unsegen der Geistesaristokratie gestanden hat. Auch die latinische Religion ist wie jede andere ursprünglich hervorgegangen aus der unendlichen Glaubensvertiefung; nur der oberflächlichen Betrachtung, die über die Tiefe des Stromes sich täuscht, weil er klar ist, kann ihre durchsichtige Geisterwelt flach erscheinen. Dieser innige Glaube verschwindet freilich im Laufe der Zeiten so notwendig wie der Morgentau vor der höher steigenden Sonne und auch die latinische Religion ist also späterhin verdorrt; aber länger als die meisten Völker haben die Latiner die naive Gläubigkeit sich bewahrt, und vor allem länger als die Griechen. Wie die Farben die Wirkungen, aber auch die Trübungen des Lichtes sind, so sind Kunst und Wissenschaft nicht bloß die Geschöpfe, sondern auch die Zerstörer des Glaubens; und so sehr in dieser zugleich Entwicklung und Vernichtung die Notwendigkeit waltet, so sind doch durch das gleiche Naturgesetz auch der naiven Epoche gewisse Erfolge vorbehalten, die man später vergeblich sich bemüht zu erringen. Eben die gewaltige geistige Entwicklung der Hellenen, welche jene immer unvollkommene religiöse und literarische Einheit erschuf, machte es ihnen unmöglich, zu der echten politischen Einigung zu gelangen; sie büßten damit die Einfalt, die Lenksamkeit, die Hingebung, die Verschmelzbarkeit ein, welche die Bedingung aller staatlichen Einigung ist. Es wäre darum wohl an der Zeit, einmal abzulassen von jener kinderhaften Geschichtsbetrachtung, welche die Griechen nur auf Kosten der Römer oder die Römer nur auf Kosten der Griechen preisen zu können meint und, wie man die Eiche neben der Rose gelten läßt, so auch die beiden großartigen Organismen, die das Altertum hervorgebracht hat, nicht zu loben oder zu tadeln, sondern es zu begreifen, daß ihre Vorzüge gegenseitig durch ihre Mangelhaftigkeit bedingt sind. Der tiefste und letzte Grund der Verschiedenheit beider Nationen liegt ohne Zweifel darin, daß Latium nicht, wohl aber Hellas in seiner Werdezeit mit dem Orient sich berührt hat. Kein Volksstamm der Erde für sich allein war groß genug, weder das Wunder der hellenischen noch späterhin das Wunder der christlichen Kultur zu erschaffen; diese Silberblicke hat die Geschichte da erzeugt, wo aramäische Religionsideen in den indogermanischen Boden sich eingesenkt haben. Aber wenn eben darum Hellas der Prototyp der rein humanen, so ist Latium nicht minder für alle Zeiten der Prototyp der nationalen Entwicklung; und wir Nachfahren haben beides zu verehren und von beiden zu lernen.

Also war und wirkte die römische Religion in ihrer reinen und ungehemmten durchaus volkstümlichen Entwicklung. Es tut ihrem nationalen Charakter keinen Eintrag, daß seit ältester Zeit Weise und Wesen der Gottesverehrung aus dem Auslande herübergenommen wurden; so wenig als die Schenkung des Bürgerrechts an einzelne Fremde den römischen Staat denationalisiert hat. Daß man von alters her mit den Latinern die Götter tauschte wie die Waren, versteht sich; bemerkenswerter ist die Übersiedlung von nicht stammverwandten Göttern und Gottesverehrungen. Von dem sabinischen Sonderkult der Titier ist bereits gesprochen worden. Ob auch aus Etrurien Götterbegriffe entlehnt worden sind, ist zweifelhafter; denn die Lasen, die ältere Bezeichnung der Genien (von lascivus), und die Minerva, die Göttin des Gedächtnisses (mens, menervare), welche man wohl als ursprünglich etruskisch zu bezeichnen pflegt, sind nach sprachlichen Gründen vielmehr in Latium heimisch. Sicher ist es auf jeden Fall, und paßt auch wohl zu allem, was wir sonst vom römischen Verkehr wissen, daß früher und ausgedehnter als irgendein anderer ausländischer der griechische Kult im Rom Berücksichtigung fand. Den ältesten Anlaß gaben die griechischen Orakel. Die Sprache der römischen Götter beschränkte sich im ganzen auf Ja und Nein und höchstens auf die Verkündigung ihres Willens durch das – wie es scheint, ursprünglich italische – Werfen der LoseSors, von serere, reihen. Es waren wahrscheinlich an einer Schnur gereihte Holztäfelchen, die geworfen verschiedenartige Figuren bildeten; was an die Runen erinnert.; während seit sehr alter Zeit, wenngleich dennoch wohl erst infolge der aus dem Osten empfangenen Anregung, die redseligeren Griechengötter wirkliche Wahrsprüche erteilten. Solche Ratschläge in Vorrat zu haben waren die Römer gar früh bemüht, und Abschriften der Blätter der weissagenden Priesterin Apollons, der kymäischen Sibylle, deshalb eine hochgehaltene Gabe der griechischen Gastfreunde aus Kampanien. Zur Lesung und Ausdeutung des Zauberbuches wurde in frühester Zeit ein eigenes, nur den Augurn und Pontifices im Range nachstehendes Kollegium von zwei Sachverständigen (duoviri sacris faciundis) bestellt, auch für dasselbe zwei der griechischen Sprache kundige Sklaven von Gemeinde wegen angeschafft; diese Orakelbewahrer ging man in zweifelhaften Fällen an, wenn es, um ein drohendes Unheil abzuwenden, eines gottesdienstlichen Aktes bedurfte und man doch nicht wußte, welchem Gott und wie er zu beschaffen sei. Aber auch an den delphischen Apollon selbst wandten schon früh sich ratsuchende Römer; außer den schon erwähnten Sagen über diesen Verkehr zeugt davon noch teils die Aufnahme des mit dem delphischen Orakel eng zusammenhängenden Wortes thesaurus in alle uns bekannte italische Sprachen, teils die älteste römische Form des Namens Apollon Aperta, der Eröffner, eine etymologisierende Entstellung des dorischen Apellon, deren Alter eben ihre Barbarei verrät. Auch der griechische Herakles ist früh als Herclus, Hercoles, Hercules in Italien einheimisch und dort in eigentümlicher Weise aufgefaßt worden, wie es scheint zunächst als Gott des gewagten Gewinns und der außerordentlichen Vermögensmehrung; weshalb sowohl von dem Feldherrn der Zehnte der gemachten Beute wie auch von dem Kaufmann der Zehnte des errungenen Guts ihm an dem Hauptaltar (ara maxima) auf dem Rindermarkt dargebracht zu werden pflegte. Er wurde darum überhaupt der Gott der kaufmännischen Verträge, die in älterer Zeit häufig an diesem Altar geschlossen und mit Eidschwur bekräftigt wurden, und fiel insofern mit dem alten latinischen Gott des Worthaltens (deus fidius) zusammen. Die Verehrung des Hercules ist früh eine der weitverbreitetsten geworden; er wurde, mit einem alten Schriftsteller zu reden, an jedem Fleck Italiens verehrt und in den Gassen der Städte wie an den Landstraßen standen überall seine Altäre. Die Schiffergötter ferner, Kastor und Polydeukes oder römisch Pollux, ferner der Gott des Handels, Hermes, der römische Mercurius, und der Heilgott Asklapios oder Aesculapius, wurden den Römern früh bekannt, wenngleich deren öffentliche Verehrung erst später begann. Der Name des Festes der „guten Göttin“ (bona dea) damium, entsprechend dem griechischen δάμιον oder δήμιον, mag gleichfalls schon bis in diese Epoche zurückreichen. Auf alter Entlehnung muß es auch beruhen, daß der alte Liber pater der Römer später als „Vater Befreier“ gefaßt ward und mit dem Weingott der Griechen, dem „Löser“ (Lyäos) zusammenfloß, und daß der römische Gott der Tiefe der „Reichtumspender“ (Pluton – Dis pater) hieß, dessen Gemahlin Persephone aber, zugleich durch Anlautung und durch Begriffsübertragung, überging in die römische Proserpina, daß heißt Aufkeimerin. Selbst die Göttin des römisch-latinischen Bundes, die aventinische Diana scheint der Bundesgöttin der kleinasiatischen Ionier, der ephesischen Artemis nachgebildet zu sein; wenigstens war das Schnitzbild in dem römischen Tempel nach dem ephesischen Typus gefertigt. Nur auf diesem Wege, durch die früh mit orientalischen Vorstellungen durchdrungenen apollinischen, dionysischen, plutonischen, herakleischen und Artemismythen, hat in dieser Epoche die aramäische Religion eine entfernte und mittelbare Einwirkung auf Italien geübt. Deutlich erkennt man dabei, wie das Eindringen der griechischen Religion vor allen Dingen auf den Handelsbeziehungen beruht und wie zunächst Kaufleute und Schiffer die griechischen Götter nach Italien gebracht haben.

Indessen sind die einzelnen Entlehnungen aus dem Ausland nur von sekundärer Bedeutung, die Trümmer des Natursymbolismus der Urzeit aber, wie etwa die Sage von den Rindern des Cacus eines sein mag, so gut wie ganz verschollen; im großen und ganzen ist die römische Religion eine organische Schöpfung des Volkes, bei dem wir sie finden.

Die sabellische und umbrische Gottesverehrung beruht, nach dem wenigen zu schließen, was wir davon wissen, auf ganz gleichen Grundanschauungen wie die latinische mit lokal verschiedener Färbung und Gestaltung. Daß sie abwich von der latinischen, zeigt am bestimmtesten die Gründung einer eigenen Genossenschaft in Rom zur Bewahrung der sabinischen Gebräuche; aber eben sie gibt ein belehrendes Beispiel, worin der Unterschied bestand. Die Vogelschau war beiden Stämmen die regelmäßige Weise der Götterbefragung; aber die Titier schauten nach anderen Vögeln als die ramnischen Augurn. Überall, wo wir vergleichen können, zeigen sich ähnliche Verhältnisse; die Fassung der Götter als Abstraktion des Irdischen und ihre unpersönliche Natur sind beiden Stämmen gemein, Ausdruck und Ritual verschieden. Daß dem damaligen Kultus diese Abweichungen gewichtig erschienen, ist begreiflich; wir vermögen den charakteristischen Unterschied, wenn einer bestand, nicht mehr zu erfassen.

Aber aus den Trümmern, die vom etruskischen Sakralwesen auf uns gekommen sind, redet ein anderer Geist. Es herrscht in ihnen eine düstere und dennoch langweilige Mystik, Zahlenspiel und Zeichendeuterei und jene feierliche Inthronisierung des reinen Aberwitzes, die zu allen Zeiten ihr Publikum findet. Wir kennen zwar den etruskischen Kult bei weitem nicht in solcher Vollständigkeit und Reinheit wie den latinischen; aber mag die spätere Grübelei auch manches erst hineingetragen haben, und mögen auch gerade die düsteren und phantastischen, von dem latinischen Kult am meisten sich entfernenden Sätze uns vorzugsweise überliefert sein, was beides in der Tat nicht wohl zu bezweifeln ist, so bleibt immer noch genug übrig, um die Mystik und Barbarei dieses Kultes zu bezeichnen als im innersten Wesen des etruskischen Volkes begründet.

Ein innerlicher Gegensatz des sehr ungenügend bekannten etruskischen Gottheitsbegriffs zu dem italischen läßt sich nicht erfassen; aber bestimmt treten unter den etruskischen Göttern die bösen und schadenfrohen in den Vordergrund, wie denn auch der Kult grausam ist und namentlich das Opfern der Gefangenen einschließt – so schlachtete man in Caere die gefangenen Phokäer, in Tarquinii die gefangenen Römer. Statt der stillen, in den Räumen der Tiefe friedlich schaltenden Welt der abgeschiedenen „guten Geister“, wie die Latiner sie sich dachten, erscheint hier eine wahre Hölle, in die die armen Seelen zur Peinigung durch Schlägel und Schlangen abgeholt werden von dem Totenführer; einer wilden, halb tierischen Greisengestalt mit Flügeln und einem großen Hammer; einer Gestalt, die man später in Rom bei den Kampfspielen verwandte, um den Mann zu kostümieren, der die Leichen der Erschlagenen vom Kampfplatz wegschaffte. So fest ist mit diesem Zustand der Schatten die Pein verbunden, daß es sogar eine Erlösung daraus gibt, die nach gewissen geheimnisvollen Opfern die arme Seele versetzt unter die oberen Götter. Es ist merkwürdig, daß, um ihre Unterwelt zu bevölkern, die Etrusker früh von den Griechen deren finstere Vorstellungen entlehnten, wie denn die acherontische Lehre und der Charon eine große Rolle in der etruskischen Weisheit spielen.

Aber vor allen Dingen beschäftigt den Etrusker die Deutung der Zeichen und Wunder. Die Römer vernahmen wohl auch in der Natur die Stimme der Götter; allein ihr Vogelschauer verstand nur die einfachen Zeichen und erkannte nur im allgemeinen, ob die Handlung Glück oder Unglück bringen werde. Störungen im Laufe der Natur galten ihm als unglückbringend und hemmten die Handlung, wie zum Beispiel bei Blitz und Donner die Volksversammlung auseinanderging, und man suchte auch wohl, sie zu beseitigen, wie zum Beispiel die Mißgeburt schleunigst getötet ward. Aber jenseits des Tiber begnügte man sich damit nicht. Der tiefsinnige Etrusker las aus den Blitzen und aus den Eingeweiden der Opfertiere dem gläubigen Mann seine Zukunft bis ins einzelne heraus, und je seltsamer die Göttersprache, je auffallender das Zeichen und Wunder, desto sicherer gab er an, was er verkünde und wie man das Unheil etwa abwenden könne. So entstanden die Blitzlehre, die Haruspizes, die Wunderdeutung, alle ausgesponnen mit der ganzen Haarspalterei des im Absurden lustwandelnden Verstandes, vor allem die Blitzwissenschaft. Ein Zwerg von Kindergestalt mit grauen Haaren, der von einem Ackersmann bei Tarquinii war ausgepflügt worden, Tages genannt – man sollte meinen, daß das zugleich kindische und altersschwache Treiben in ihm sich selber habe verspotten wollen –, also Tages hatte sie zuerst den Etruskern verraten und war dann sogleich gestorben. Seine Schüler und Nachfolger lehrten, welche Götter Blitze zu schleudern pflegten; wie man am Quartier des Himmels und an der Farbe den Blitz eines jeden Gottes erkenne; ob der Blitz einen dauernden Zustand andeute oder ein einzelnes Ereignis und wenn dieses, ob dasselbe ein unabänderlich datiertes sei oder durch Kunst sich verschieben lasse bis zu einer gewissen Grenze; wie man den eingeschlagenen Blitz bestatte oder den drohenden einzuschlagen zwinge, und dergleichen wundersame Künste mehr, denen man gelegentlich die Sportulierungsgelüste anmerkt. Wie tief dies Gaukelspiel dem römischen Wesen widerstand, zeigt, daß, selbst als man später in Rom es benutzte, doch nie ein Versuch gemacht ward, es einzubürgern; in dieser Epoche genügten den Römern wohl noch die einheimischen und die griechischen Orakel.

Höher als die römische Religion steht die etruskische insofern, als sie von dem, was den Römern völlig mangelt, einer in religiöse Formen gehüllten Spekulation, wenigstens einen Anfang entwickelt hat. Über der Welt mit ihren Göttern walten die verhüllten Götter, die der etruskische Jupiter selber befragt; jene Welt aber ist endlich und wird, wie sie entstanden ist, so auch wieder vergehen nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums, dessen Abschnitte die Saecula sind. Über den geistigen Gehalt, den diese etruskische Kosmogonie und Philosophie einmal gehabt haben mag, ist schwer zu urteilen; doch scheint auch ihnen ein geistloser Fatalismus und ein plattes Zahlenspiel von Haus aus eigen gewesen zu sein.

13. Kapitel


13. Kapitel

Ackerbau, Gewerbe und Verkehr

Ackerbau und Verkehr sind so innig verwachsen mit der Verfassung und der äußeren Geschichte der Staaten, daß schon bei deren Schilderung vielfach auf dieselben Rücksicht genommen werden mußte. Hier soll es versucht werden, anknüpfend an jene einzelnen Betrachtungen, die italische, namentlich die römische Ökonomie zusammenfassend und ergänzend zu schildern.

Daß der Übergang von der Weide- zur Ackerwirtschaft jenseits der Einwanderung der Italiker in die Halbinsel fällt, ward schon bemerkt. Der Feldbau blieb der Grundpfeiler aller italischen Gemeinden, der sabellischen und der etruskischen nicht minder als der latinischen; eigentliche Hirtenstämme hat es in Italien in geschichtlicher Zeit nicht gegeben, obwohl natürlich die Stämme überall, je nach der Art der Örtlichkeit in geringerem oder stärkerem Maße, neben dem Ackerbau die Weidewirtschaft betrieben. Wie innig man es empfand, daß jedes Gemeinwesen auf dem Ackerbau beruhe, zeigt die schöne Sitte, die Anlage neuer Städte damit zu beginnen, daß man dort, wo der künftige Mauerring sich erheben sollte, mit dem Pflug eine Furche vorzeichnete. Daß namentlich in Rom, über dessen agrarische Verhältnisse sich allein mit einiger Bestimmtheit sprechen läßt, nicht bloß der Schwerpunkt des Staates ursprünglich in der Bauernschaft lag, sondern auch dahin gearbeitet ward, die Gesamtheit der Ansässigen immer festzuhalten als den Kern der Gemeinde, zeigt am klarsten die Servianische Reform. Nachdem im Laufe der Zeit ein großer Teil des römischen Grundbesitzes in die Hände von Nichtbürgern gelangt war und also die Rechte und Pflichten der Bürgerschaft nicht mehr auf der Ansässigkeit ruhten, beseitigte die reformierte Verfassung dies Mißverhältnis und die daraus drohenden Gefahren nicht bloß für einmal, sondern für alle Folgezeit, indem sie die Gemeindeglieder ohne Rücksicht auf ihre politische Stellung ein für allemal nach der Ansässigkeit heranzog und die gemeine Last der Wehrpflicht auf die Ansässigen legte, denen die gemeinen Rechte im natürlichen Lauf der Entwicklung nachfolgen mußten. Auch die ganze Kriegs- und Eroberungspolitik der Römer war ebenso wie die Verfassung basiert auf die Ansässigkeit; wie im Staat der ansässige Mann allein galt, so hatte der Krieg den Zweck, die Zahl der ansässigen Gemeindeglieder zu vermehren. Die überwundene Gemeinde ward entweder genötigt, ganz in der römischen Bauernschaft aufzugehen, oder, wenn es zu diesem Äußersten nicht kam, wurde ihr doch nicht Kriegskontribution oder fester Zins auferlegt, sondern die Abtretung eines Teils, gewöhnlich eines Drittels ihrer Feldmark, wo dann regelmäßig römische Bauernhöfe entstanden. Viele Völker haben gesiegt und erobert wie die Römer; aber keines hat gleich dem römischen den erkämpften Boden also im Schweiße seines Angesichts sich zu eigen gemacht und was die Lanze gewonnen hatte, mit der Pflugschar zum zweitenmal erworben. Was der Krieg gewinnt, kann der Krieg wieder entreißen, aber nicht also die Eroberung, die der Pflüger macht; wenn die Römer viele Schlachten verloren, aber kaum je bei dem Frieden römischen Boden abgetreten haben, so verdanken sie dies dem zähen Festhalten der Bauern an ihrem Acker und Eigen. In der Beherrschung der Erde liegt die Kraft des Mannes und des Staates; die Größe Roms ist gebaut auf die ausgedehnteste und unmittelbarste Herrschaft der Bürger über den Boden und auf die geschlossene Einheit dieser also festgegründeten Bauernschaft.

Daß in ältester Zeit das Ackerland gemeinschaftlich, wahrscheinlich nach den einzelnen Geschlechtsgenossenschaften, bestellt und erst der Ertrag unter die einzelnen, dem Geschlecht angehörigen Häuser verteilt ward, ist bereits angedeutet worden; wie denn Feldgemeinschaft und Geschlechtergemeinde innerlich zusammenhängen und auch späterhin in Rom noch das Zusammenwohnen und Wirtschaften der Mitbesitzer sehr häufig vorkamCicero (rep. 2, 9, 14; vgl. Plut. q. Rom. 15) berichtet: Tunc (zur Zeit des Romulus) erat res in pecore et locorum possessionibus, ex quo pecuniosi et locupletes vocabantur. – (Numa) primum agros, quos bello Romulus ceperat, divisit viritim civibus. Ebenso läßt Dionys den Romulus das Land in dreißig Kuriendistrikte teilen, den Numa die Grenzsteine setzen und das Terminalienfest einführen (1, 7; 2, 74; daraus Plut. Num. 16).. Besseres Zeugnis dafür gewährt die älteste Bezeichnung des Vermögens als „Viehstand“ (pecunia) oder „Sklaven- und Viehstand“ (familia pecuniaque) und des Sonderguts der Hauskinder und Sklaven als „Schäfchen“ (peculium); ferner die älteste Form des Eigentumserwerbs durch Handangreifen (mancipatio), was nur für bewegliche Sachen angemessen ist, und vor allem das älteste Maß des „Eigenlandes“ (heredium von herus, Herr) von zwei Jugeren oder preußischen Morgen, das nur Gartenland, nicht Hufe, gewesen sein kannDa dieser Behauptung fortwährend noch widersprochen wird, so mögen die Zahlen reden. Die römischen Landwirte der späteren Republik und der Kaiserzeit rechnen durchschnittlich für das Iugerum als Aussaat fünf römische Scheffel Weizen, als Ertrag das fünffache Korn; der Ertrag eines Heredium ist demnach, selbst wenn man, von dem Haus- und Hofraum absehend, es lediglich als Ackerland betrachtet und auf Brachjahre keine Rücksicht nimmt, 50 oder nach Abzug des Saatkorns 40 Scheffel. Auf den erwachsenen, schwer arbeitenden Sklaven rechnet Cato (agr. c. 56) für das Jahr 51 Scheffel Weizen. Die Frage, ob eine römische Familie von dem Heredium leben konnte oder nicht, mag danach sich jeder selber beantworten. Der versuchte Gegenbeweis stützt sich darauf, daß der Sklave der späteren Zeit ausschließlicher als der freie Bauer der älteren von Getreide gelebt hat und daß für die ältere Zeit die Annahme des fünffachen Kornes eine zu niedrige ist; beides ist wohl richtig, aber für beides gibt es eine Grenze. Ohne Zweifel sind die Nebennutzungen, welche das Ackerland selbst und die Gemeinweide an Feigen, Gemüse, Milch, Fleisch (besonders durch die alte und intensive Schweinezucht) und dergleichen abwirft, besonders für die ältere Zeit in Anschlag zu bringen; aber die ältere römische Weidewirtschaft war, wenn auch nicht unbedeutend, so doch von untergeordneter Bedeutung und die Hauptnahrung des Volkes immer notorisch das Getreide. Man mag ferner wegen der Intensität der älteren Kultur zu einer sehr ansehnlichen Steigerung besonders des Bruttoertrags gelangen – und ohne Frage haben die Bauern dieser Zeit ihren Ackern einen größeren Ertrag abgewonnen, als die Plantagenbesitzer der späteren Republik und der Kaiserzeit ihn erzielten; aber Maß wird auch hier zu halten sein, da es ja um Durchschnittssätze sich handelt und um eine weder rationell noch mit großem Kapital betriebene Bauernbewirtschaftung. Die Annahme des zehnten Korns statt des fünften wird die äußerste Grenze sein, und sie genügt doch weitaus nicht. Auf keinen Fall läßt das enorme Defizit, welches auch nach diesen Ansätzen zwischen dem Ertrag des Heredium und dem Bedarf des Hauswesens bleibt, durch bloße Kultursteigerung sich decken. In der Tat wird der Gegenbeweis erst dann als geführt zu betrachten sein, wenn eine rationelle landwirtschaftliche Berechnung aufgestellt sein wird, wonach bei einer überwiegend von Vegetabilien sich nährenden Bevölkerung der Ertrag eines Grundstückes von zwei Morgen sich als durchschnittlich für die Ernährung einer Familie ausreichend herausstellt.

Man behauptet nun zwar, daß selbst in geschichtlicher Zeit Koloniegründungen mit Ackerlosen von zwei Morgen vorkommen; aber das einzige Beispiel der Art (Liv. 4, 47), die Kolonie Labici vom Jahr 336, wird von denjenigen Gelehrten, gegen welche es überhaupt der Mühe sich verlohnt, Argumente zu gebrauchen, sicherlich nicht zu der im geschichtlichen Detail zuverlässigen Überlieferung gezählt werden und unterliegt auch noch anderen sehr ernsten Bedenken. Das allerdings ist richtig, daß bei der nichtkolonialen Ackeranweisung an die gesamte Bürgerschaft (adsignatio viritana) zuweilen nur wenige Morgen gegeben worden sind (so z. B. Liv. 8, 11, 21); aber hier sollten auch keineswegs in den Losen neue Bauernwesen geschaffen, sondern vielmehr in der Regel zu den bestehenden vom eroberten Lande neue Parzellen hinzugefügt werden (vgl. CIL I, p. 88). Auf alle Fälle wird jede andere Annahme besser sein als eine Hypothese, welche mit den fünf Broten und zwei Fischen des Evangeliums ziemlich auf einer Linie steht. Die römischen Bauern waren bei weitem weniger bescheiden als ihre Historiographen; sie meinten selbst auf Grundstücken von sieben Morgen oder 140 römischen Scheffeln Ertrag nicht auskommen zu können.

Die Landwirtschaft ging wesentlich auf den Getreidebau, das gewöhnliche Korn war der Spelt (far)Vielleicht der jüngste, obwohl schwerlich der letzte Versuch, den Nachweis zu führen, daß die latinische Bauernfamilie von zwei Morgen Landes hat leben können, ist hauptsächlich darauf gestützt worden, daß Varro (tust. 1, 44, 1) als Aussaat auf den Morgen fünf Scheffel Weizen, dagegen zehn Scheffel Spelt rechnet und diesem entsprechend den Ertrag ansetzt, woraus denn gefolgert wird, daß der Speltbau wo nicht den doppelten, doch einen beträchtlich höheren Ertrag liefert als der Weizenbau. Es ist aber vielmehr das Umgekehrte richtig und jene nominell höhere Aussaat und Ernte einfach zu erklären aus dem Umstand, daß die Römer den Weizen ausgehülst lagerten und säten, den Spelt aber in den Hülsen (Plin. nat. 18, 7, 61), die sich hier durch das Dreschen nicht von der Frucht trennen. Aus demselben Grunde wird der Spelt auch heutzutage noch doppelt so stark gesät als der Weizen und liefert nach Scheffelmaß doppelt höheren Ertrag, nach Abzug der Hülsen aber geringeren. Nach württembergischen Angaben, die mir G. Hanssen mitteilt, rechnet man dort als Durchschnittsertrag für den württembergischen Morgen an Weizen (bei einer Aussaat von ¼-½ Scheffel) drei Scheffel zum mittleren Gewicht von 275 Pfund (= 825 Pfund), an Spelt (bei einer Aussaat von ½-1½ Scheffel) mindestens sieben Scheffel zum mittleren Gewicht von 150 Pfund (= 1050 Pfund), welche durch die Schälung sich auf etwa vier Scheffel reduzieren. Also liefert der Spelt, verglichen mit dem Weizen, im Bruttoertrag mehr als doppelte, bei gleich gutem Boden vielleicht dreifache Ernte, dem spezifischen Gewicht nach aber vor der Enthülsung nicht viel über, nach der Enthülsung (als Kern“) weniger als die Hälfte. Nicht aus Versehen, wie behauptet worden ist, sondern weil es zweckmäßig ist, bei Überschlägen dieser Art von überlieferten und gleichartigen Ansetzungen auszugehen, ist die oben aufgestellte Berechnung auf Weizen gestellt worden; sie durfte es, weil sie, auf Spelt übertragen, nicht wesentlich abweicht und der Ertrag eher fällt als steigt. Der Spelt ist genügsamer in bezug auf Boden und Klima und weniger Gefahren ausgesetzt als der Weizen; aber der letztere liefert im ganzen, namentlich wenn man die nicht unbeträchtlichen Enthülsungskosten in Anschlag bringt, einen höheren Reinertrag (nach fünfzigjährigem Durchschnitt stellt in der Gegend von Frankenthal in Rheinbayern sich der Malter Weizen auf 11 Gulden 3 Kreuzer, der Malter Spelt auf 4 Gulden 30 Kreuzer), und wie in Süddeutschland, wo der Boden ihn zuläßt, der Weizenbau vorgezogen wird, und überhaupt bei vorschreitender Kultur dieser den Speltbau zu verdrängen pflegt, so ist auch der gleichartige Übergang der italischen Landwirtschaft vom Spelt- zum Weizenbau unleugbar ein Fortschritt gewesen. ; doch wurden auch Hülsenfrüchte, Rüben und Gemüse fleißig gezogen.

Daß die Pflege des Weinstocks nicht erst durch die griechischen Ansiedler nach Italien kam, beweist das in die vorgriechische Zeit hinaufreichende Festverzeichnis der römischen Gemeinde, das drei Weinfeste kennt und diese dem Vater Iovis, nicht dem jüngeren, erst von den Griechen entlehnten Weingott, dem Vater Befreier, feiern heißt. Wenn nach einer recht alten Sage der König Mezentius von Caere von den Latinern oder den Rutulern einen Weinzins fordert, wenn als die Ursache, welche die Kelten veranlaßte, die Alpen zu überschreiten, in einer weit verbreiteten und sehr verschiedenartig gewendeten italischen Erzählung die Bekanntschaft mit den edlen Früchten Italiens und vor allem mit der Traube und dem Wein genannt wird, so spricht daraus der Stolz der Latiner auf ihre herrliche, von den Nachbarn vielbeneidete Rebe. Früh und allgemein wurde von den latinischen Priestern auf eine sorgfältige Rebenzucht hingewirkt. In Rom begann die Lese erst, wenn der höchste Priester der Gemeinde, der Flamen des Jupiter sie gestattet und selbst damit begonnen hatte; in gleicher Weise verbot eine tusculanische Ordnung das Feilbieten des neuen Weines, bevor der Priester das Fest der Faßöffnung abgerufen hatte. Ebenso gehört hierher nicht bloß die allgemeine Aufnahme der Weinspende in das Opferritual, sondern auch die als Gesetz des Königs Numa bekannt gemachte Vorschrift der römischen Priester, den Göttern keinen von unbeschnittenen Reben gewonnenen Wein zum Trankopfer auszugießen; eben wie sie, um das nützliche Dörren des Getreides einzuführen, die Opferung ungedörrten Getreides untersagten.

Jünger ist der Ölbau und sicher erst durch die Griechen nach Italien gekommenOleum, oliva sind aus έλαιον, έλαια, amurca (Ölhefe) aus αμόργη entstanden.. Die Olive soll zuerst gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts der Stadt am westlichen Mittelmeer gepflanzt worden sein; es stimmt dazu, daß der Ölzweig und die Olive im römischen Ritual eine weit untergeordnetere Rolle spielen als der Saft der Rebe. Wie wert übrigens der Römer beide edle Bäume hielt, beweisen der Rebstock und Ölbaum, die mitten auf dem Markte der Stadt unweit des Curtischen Teiches gepflanzt wurden.

Von den Fruchtbäumen ward vor allem die nahrhafte und wahrscheinlich in Italien einheimische Feige gepflanzt; um die alten Feigenbäume, deren ebenfalls mehrere auf und an dem römischen Markte standenAber daß der vor dem Saturnustempel stehende im Jahr 260 (494) umgehauen ward (Plin. nat. 15, 18, 77), ist nicht überliefert; die Ziffer CCLX fehlt in allen guten Handschriften und ist, wohl mit Anlehnung an Liv. 2, 21, interpoliert., hat die römische Ursprungssage ihre dichtesten Fäden gesponnen.

Es waren der Bauer und dessen Söhne, welche den Pflug führten und überhaupt die landwirtschaftlichen Arbeiten verrichteten; daß auf den gewöhnlichen Bauernwirtschaften Sklaven oder freie Tagelöhner regelmäßig mit verwandt worden sind, ist nicht wahrscheinlich. Den Pflug zog der Stier, auch die Kuh; zum Tragen der Lasten dienten Pferde, Esel und Maultiere. Eine selbständige Viehwirtschaft zur Gewinnung des Fleisches oder der Milch bestand wenigstens auf dem in Geschlechtseigentum stehenden Land nicht oder nur in sehr beschränktem Umfang; wohl aber wurden außer dem Kleinvieh, das man auf die gemeine Weide mit auftrieb, auf dem Bauernhof Schweine und Geflügel, besonders Gänse gehalten. Im allgemeinen ward man nicht müde zu pflügen und wieder zu pflügen – der Acker galt als mangelhaft bestellt, bei dem die Furchen nicht so dicht gezogen waren, daß das Eggen entbehrt werden konnte; aber der Betrieb war mehr intensiv als intelligent, und der mangelhafte Pflug, das unvollkommene Ernte- und Dreschverfahren, blieben unverändert. Mehr als das hartnäckige Festhalten der Bauern an dem Hergebrachten wirkte hierzu wahrscheinlich die geringe Entwicklung der rationellen Mechanik; denn dem praktischen Italiener war die gemütliche Anhänglichkeit an die mit der ererbten Scholle überkommene Bestellungsweise fremd, und einleuchtende Verbesserungen der Landwirtschaft, wie zum Beispiel der Anbau von Futterkräutern und das Berieselungssystem der Wiesen, mögen schon früh von den Nachbarvölkern übernommen oder selbständig entwickelt worden sein; begann doch die römische Literatur selbst mit der theoretischen Behandlung des Ackerbaus. Der fleißigen und verständigen Arbeit folgte die erfreuliche Rast; und auch hier machte die Religion ihr Recht geltend, die Mühsal des Lebens auch dem Niedrigen durch Pausen der Erholung und der freieren menschlichen Bewegung zu mildern. Jeden achten Tag (nonae), also durchschnittlich viermal im Monat, geht der Bauer in die Stadt, um zu verkaufen und zu kaufen und seine übrigen Geschäfte zu besorgen. Eigentliche Arbeitsruhe bringen aber nur die einzelnen Festtage und vor allem der Feiermonat nach vollbrachter Wintersaat (feriae sementivae); während dieser Fristen rastete nach dem Gebote der Götter der Pflug und es ruhten in Feiertagsmuße nicht bloß der Bauer, sondern auch der Knecht und der Stier.

In solcher Weise etwa ward die gewöhnliche römische Bauernstelle in ältester Zeit bewirtschaftet. Gegen schlechte Verwaltung gab es für die Anerben keinen anderen Schutz, als das Recht, den leichtsinnigen Verschleuderer ererbten Vermögens gleichsam als einen Wahnsinnigen unter Vormundschaft stellen zu lassen. Den Frauen war überdies das eigene Verfügungsrecht wesentlich entzogen, und wenn sie sich verheirateten, gab man ihnen regelmäßig einen Geschlechtsgenossen zum Mann, um das Gut in dem Geschlecht zusammenzuhalten. Der Überschuldung des Grundbesitzes suchte das Recht zu steuern teils dadurch, daß es bei der Hypothekenschuld den vorläufigen Übergang des Eigentums an der verpfändeten Liegenschaft vom Schuldner auf den Gläubiger verordnete, teils durch das strenge und rasch zum faktischen Konkurs führende Exekutivverfahren bei dem einfachen Darlehen; doch erreichte, wie die Folge zeigt, das letztere Mittel seinen Zweck sehr unvollkommen. Die freie Teilbarkeit des Eigentums blieb gesetzlich unbeschränkt. So wünschenswert es auch sein mochte, daß die Miterben im ungeteilten Besitz des Erbguts blieben, so sorgte doch schon das älteste Recht dafür die Auflösung einer solchen Gemeinschaft zu jeder Zeit jedem Teilnehmer offenzuhalten; es ist gut, wenn Brüder friedlich zusammenwohnen, aber sie dazu zu nötigen, ist dem liberalen Geiste des römischen Rechts fremd. Die Servianische Verfassung zeigt denn auch, daß es schon in der Königszeit in Rom an Insten und Gartenbesitzern nicht gefehlt hat, bei denen an die Stelle des Pfluges der Karst trat. Die Verhinderung der übermäßigen Zerstückelung des Bodens blieb der Gewohnheit und dem gesunden Sinn der Bevölkerung überlassen; und daß man sich hierin nicht getäuscht hat und die Landgüter in der Regel zusammengeblieben sind, beweist schon die allgemeine römische Sitte, sie mit feststehenden Individualnamen zu bezeichnen. Die Gemeinde griff nur indirekt hier ein durch die Ausführung von Kolonien, welche regelmäßig die Gründung einer Anzahl neuer Vollhufen, und häufig wohl auch, indem man kleine Grundbesitzer als Kolonisten ausführte, die Einziehung einer Anzahl Instenstellen herbeiführte. Bei weitem schwieriger ist es, die Verhältnisse des größeren Grundbesitzes zu erkennen. Daß es einen solchen in nicht unbedeutender Ausdehnung gab, ist nach der frühen Entwicklung der Ritterschaft nicht zu bezweifeln und erklärt sich auch leicht teils aus der Aufteilung der Geschlechtsmarken, welche bei der notwendig ungleichen Kopfzahl der in den einzelnen Geschlechtern daran Teilnehmenden von selbst einen Stand von größeren Grundbesitzern ins Leben rufen mußte, teils aus der Menge der in Rom zusammenströmenden kaufmännischen Kapitalien. Aber eine eigentliche Großwirtschaft, gestützt auf einen ansehnlichen Sklavenstand, wie wir sie später in Rom finden, kann für diese Zeit nicht angenommen werden; vielmehr ist die alte Definition, wonach die Senatoren Väter genannt worden sind von den Äckern, die sie an geringe Leute austeilen wie der Vater an die Kinder, hierher zu ziehen und wird ursprünglich der Gutsbesitzer den Teil seines Grundstückes, den er nicht selber zu bewirtschaften vermochte, oder auch das ganze Gut in kleinen Parzellen unter abhängige Leute zur Bestellung verteilt haben, wie dies noch jetzt in Italien allgemein geschieht. Der Empfänger konnte Hauskind oder Sklave des Verleihers sein; wenn er ein freier Mann war, so war sein Verhältnis dasjenige, welches später unter dem Namen des „Bittbesitzes“ (precarium) erscheint. Der Empfänger behielt diesen, solange es dem Verleiher beliebte, und hatte kein gesetzliches Mittel, um sich gegen denselben im Besitz zu schützen; vielmehr konnte dieser ihn jederzeit nach Gefallen ausweisen. Eine Gegenleistung des Bodennutzers an den Bodeneigentümer lag in dem Verhältnis nicht notwendig; ohne Zweifel aber fand sie häufig statt und mag wohl in der Regel in der Abgabe eines Teils vom Fruchtertrag bestanden haben, wo dann das Verhältnis der späteren Pacht sich nähert, immer aber von ihr unterschieden bleibt teils durch den Mangel eines festen Endtermins, teils durch den Mangel an Klagbarkeit auf beiden Seiten und den lediglich durch das Ausweisungsrecht des Verpächters vermittelten Rechtsschutz der Pachtforderung. Offenbar war dies wesentlich ein Treueverhältnis und konnte ohne das Hinzutreten eines mächtigen, religiös geheiligten Herkommens nicht bestehen; aber dieses fehlte auch nicht. Das durchaus sittlich-religiöse Institut der Klientel ruhte ohne Zweifel im letzten Grunde auf dieser Zuweisung der Bodennutzungen. Dieselbe wurde auch keineswegs erst durch die Aufhebung der Feldgemeinschaft möglich; denn wie nach dieser der einzelne, konnte vorher das Geschlecht die Mitnutzung seiner Mark abhängigen Leuten gestatten, und eben damit hängt ohne Zweifel zusammen, daß die römische Klientel nicht persönlich war, sondern von Haus aus der Klient mit seinem Geschlecht sich dem Patron und seinem Geschlecht zu Schutz und Treue anbefahl. Aus dieser ältesten Gestalt der römischen Gutswirtschaft erklärt es sich, weshalb aus den großen Grundbesitzern in Rom ein Land-, kein Stadtadel hervorging. Da die verderbliche Institution der Mittelmänner den Römern fremd blieb, fand sich der römische Gutsherr nicht viel weniger an den Grundbesitz gefesselt als der Pächter und der Bauer; er sah überall selbst zu und griff selber ein, und auch dem reichen Römer galt es als das höchste Lob, ein guter Landwirt zu heißen. Sein Haus war auf dem Lande; in der Stadt hatte er nur ein Quartier, um seine Geschäfte dort zu besorgen und etwa während der heißen Zeit dort die reinere Luft zu atmen. Vor allem aber wurde durch diese Ordnungen eine sittliche Grundlage für das Verhältnis der Vornehmen zu den Geringen hergestellt und dadurch dessen Gefährlichkeit wesentlich gemindert. Die freien Bittpächter, hervorgegangen aus heruntergekommenen Bauernfamilien, zugewandten Leuten und Freigelassenen, machten die große Masse des Proletariats aus und waren von dem Grundherrn nicht viel abhängiger, als es der kleine Zeitpächter dem großen Gutsbesitzer gegenüber unvermeidlich ist. Die für den Herrn den Acker bauenden Knechte waren ohne Zweifel bei weitem weniger zahlreich als die freien Pächter. Überall wo die einwandernde Nation nicht sogleich eine Bevölkerung in Masse geknechtet hat, scheinen Sklaven anfänglich nur in sehr beschränktem Umfang vorhanden gewesen zu sein und infolgedessen die freien Arbeiter eine ganz andere Rolle im Staate gehabt zu haben, als in der wir später sie finden. Auch in Griechenland erscheinen in der älteren Epoche die „Tagelöhner“ (θήτες) vielfach an der Stelle der späteren Sklaven und hat in einzelnen Gemeinden, zum Beispiel bei den Lokrern, es bis in die historische Zeit keine Sklaverei gegeben. Selbst der Knecht aber war doch regelmäßig italischer Abkunft; der volskische, sabinische, etruskische Kriegsgefangene mußte seinem Herrn anders gegenüberstehen als in späterer Zeit der Syrer und der Kelte. Dazu hatte er als Parzelleninhaber zwar nicht rechtlich, aber doch tatsächlich Land und Vieh, Weib und Kind wie der Gutsherr, und seit es eine Freilassung gab, lag die Möglichkeit, sich frei zu arbeiten, ihm nicht fern. Wenn es mit dem großen Grundbesitz der ältesten Zeit sich also verhielt, so war er keineswegs eine offene Wunde des Gemeinwesens, sondern für dasselbe vom wesentlichsten Nutzen. Nicht bloß verschaffte er nach Verhältnis ebenso vielen Familien eine wenn auch im ganzen geringere Existenz wie der mittlere und kleine; sondern es erwuchsen auch in den verhältnismäßig hoch und frei gestellten Grundherren die natürlichen Leiter und Regierer der Gemeinde, in den ackerbauenden und eigentumslosen Bittpächtern aber das rechte Material für die römische Kolonisationspolitik, welche ohne ein solches nimmermehr gelingen konnte; denn der Staat kann wohl dem Vermögenlosen Land, aber nicht demjenigen, der kein Ackerbauer ist, den Mut und die Kraft geben, um die Pflugschar zu führen.

Das Weideland ward von der Landaufteilung nicht betroffen. Es ist der Staat, nicht die Geschlechtsgenossenschaft, der als Eigentümer der Gemeinweide betrachtet wird, und teils dieselbe für seine eigenen, für die Opfer und zu anderen Zwecken bestimmten und durch die Viehbußen stets in ansehnlichem Stande gehaltenen Herden benutzt, teils den Viehbesitzern das Auftreiben auf dieselbe gegen eine mäßige Abgabe (scriptura) gestattet. Das Triftrecht am Gemeindeanger mag ursprünglich tatsächlich in einem gewissen Verhältnis zum Grundbesitz gestanden haben. Allein eine rechtliche Verknüpfung der einzelnen Ackerhufe mit einer bestimmten Teilnutzung der Gemeinweide kann in Rom schon deshalb nie stattgefunden haben, weil das Eigentum auch von dem Insassen erworben werden konnte, das Nutzungsrecht aber dem Insassen wohl nur ausnahmsweise durch königliche Gnade gewährt ward. In dieser Epoche indes scheint das Gemeindeland in der Volkswirtschaft überhaupt nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben, da die ursprüngliche Gemeinweide wohl nicht sehr ausgedehnt war, das eroberte Land aber wohl größtenteils sogleich unter die Geschlechter oder später unter die einzelnen als Ackerland verteilt ward.

Daß der Ackerbau in Rom wohl das erste und ausgedehnteste Gewerbe war, daneben aber andere Zweige der Industrie nicht gefehlt haben, folgt schon aus der frühen Entwicklung des städtischen Lebens in diesem Emporium der Latiner, und in der Tat werden unter den Institutionen des Königs Numa, das heißt unter den seit unvordenklicher Zeit in Rom bestehenden Einrichtungen, acht Handwerkerzünfte aufgezählt: der Flötenbläser, der Goldschmiede, der Kupferschmiede, der Zimmerleute, der Walker, der Färber, der Töpfer, der Schuster – womit für die älteste Zeit, wo man das Brotbacken und die gewerbmäßige Arzneikunst noch nicht kannte und die Frauen des Hauses die Wolle zu den Kleidern selber spannen, der Kreis der auf Bestellung für fremde Rechnung arbeitenden Gewerke wohl im wesentlichen erschöpft sein wird. Merkwürdig ist es, daß keine eigene Zunft der Eisenarbeiter erscheint. Es bestätigt dies aufs neue, daß man in Latium erst verhältnismäßig spät mit der Bearbeitung des Eisens begonnen hat; weshalb denn auch im Ritual zum Beispiel für den heiligen Pflug und das priesterliche Schermesser bis in die späteste Zeit durchgängig nur Kupfer verwandt werden durfte. Für das städtische Leben Roms und seine Stellung zu der latinischen Landschaft müssen diese Gewerkschaften in der ältesten Periode von großer Bedeutung gewesen sein, die nicht abgemessen werden darf nach den späteren, durch die Masse der für den Herrn oder auf seine Rechnung arbeitenden Handwerkersklaven und die steigende Einfuhr von Luxuswaren gedrückten Verhältnissen des römischen Handwerks. Die ältesten Lieder Roms feierten nicht bloß den gewaltigen Streitgott Mamers, sondern auch den kundigen Waffenschmied Mamurius, der nach dem göttlichen vom Himmel gefallenen Musterschild seinen Mitbürgern gleiche Schilde zu schmieden verstanden hatte; der Gott des Feuers und der Esse Volcanus erscheint bereits in dem uralten römischen Festverzeichnis. Auch in dem ältesten Rom sind also wie allerorten die Kunst, die Pflugschar und das Schwert zu schmieden und sie zu führen, Hand in Hand gegangen und fand sich nichts von jener hoffärtigen Verachtung der Gewerke, die später daselbst begegnet. Seit indes die Servianische Ordnung den Heerdienst ausschließlich auf die Ansässigen legte, waren die Industriellen zwar nicht gesetzlich, aber doch wohl infolge ihrer durchgängigen Nichtansässigkeit tatsächlich vom Waffenrecht ausgeschlossen, außer insofern aus den Zimmerleuten, den Kupferschmieden und gewissen Klassen der Spielleute eigene militärisch organisierte Abteilungen dem Heer beigegeben wurden; und es mag dies wohl der Anfang sein zu der späteren sittlichen Geringschätzung und politischen Zurücksetzung der Gewerke. Die Einrichtung der Zünfte hatte ohne Zweifel denselben Zweck wie die der auch im Namen ihnen gleichenden Priestergemeinschaften: die Sachverständigen taten sich zusammen, um die Tradition fester und sicherer zu bewahren. Daß unkundige Leute in irgendeiner Weise ferngehalten wurden, ist wahrscheinlich; doch finden sich keine Spuren weder von Monopoltendenzen noch von Schutzmitteln gegen schlechte Fabrikation – freilich sind auch über keine Seite des römischen Volkslebens die Nachrichten so völlig versiegt wie über die Gewerke.

Daß der italische Handel sich in der ältesten Epoche auf den Verkehr der Italiker untereinander beschränkt hat, versteht sich von selbst. Die Messen (mercatus), die wohl zu unterscheiden sind von den gewöhnlichen Wochenmärkten (nundinae), sind in Latium sehr alt. Sie mögen sich zunächst an die internationalen Zusammenkünfte und Feste angereiht, vielleicht also in Rom mit der Festfeier in dem Bundestempel auf dem Aventin in Verbindung gestanden haben; die Latiner, die hierzu jedes Jahr am 13. August nach Rom kamen, mochten diese Gelegenheit zugleich benutzen, um ihre Angelegenheiten in Rom zu erledigen und ihren Bedarf daselbst einzukaufen. Ähnliche und vielleicht noch größere Bedeutung hatte für Etrurien die jährliche Landesversammlung am Tempel der Voltumna (vielleicht bei Montefiascone) im Gebiet von Volsinii, welche zugleich als Messe diente und auch von römischen Kaufleuten regelmäßig besucht ward. Aber die bedeutendste unter allen italischen Messen war die, welche am Soracte im Hain der Feronia abgehalten ward, in einer Lage, wie sie nicht günstiger zu finden war für den Warentausch unter den drei großen Nationen. Der hohe, einzeln stehende Berg, der mitten in die Tiberebene wie von der Natur selbst den Wanderern zum Ziel hingestellt erscheint, liegt an der Grenzscheide der etruskischen und sabinischen Landschaft, zu welcher letzteren er meistens gehört zu haben scheint, und ist auch von Latium und Umbrien aus mit Leichtigkeit zu erreichen; regelmäßig erschienen hier die römischen Kaufleute, und Verletzungen derselben führten manchen Hader mit den Sabinern herbei.

Ohne Zweifel handelte und tauschte man auf diesen Messen, lange bevor das erste griechische oder phönikische Schiff in die Westsee eingefahren war. Hier halfen bei vorkommenden Mißernten die Landschaften einander mit Getreide aus; hier tauschte man ferner Vieh, Sklaven, Metalle und was sonst in jenen ältesten Zeiten notwendig oder wünschenswert erschien. Das älteste Tauschmittel waren Rinder und Schafe, so daß auf ein Rind zehn Schafe gingen; sowohl die Feststellung dieser Gegenstände als gesetzlich allgemein stellvertretender oder als Geld, als auch der Verhältnissatz zwischen Groß- und Kleinvieh reichen, wie die Wiederkehr von beiden besonders bei den Deutschen zeigt, nicht bloß in die graecoitalische, sondern noch darüber hinaus in die Zeit der reinen Herdenwirtschaft zurückDer gesetzliche Verhältniswert der Schafe und Rinder geht bekanntlich daraus hervor, daß, als man die Vieh- in Geldbußen umsetzte, das Schaf zu zehn, das Rind zu hundert Assen angesetzt wurde (Fest. v. peculatus p. 237, vgl. p. 34, 144; Gell. 11, 1; Plut. Publ. 11). Es ist dieselbe Bestimmung, wenn nach isländischem Recht der Kuh zwölf Widder gleich gelten; nur daß hier, wie auch sonst, das deutsche Recht dem älteren dezimalen das Duodezimalsystem substituiert hat.

Daß die Bezeichnung des Viehs bei den Latinern (pecunia) wie bei den Deutschen (englisch fee) in die des Geldes übergeht, ist bekannt.

In welcher Art der überseeische Verkehr auf die unabhängig gebliebenen Italiker einwirkte, wurde im allgemeinen schon früher bezeichnet. Fast ganz unberührt von ihm blieben die sabellischen Stämme, die nur einen geringen und unwirtlichen Küstensaum innehatten, und was ihnen von den fremden Nationen zukam, wie zum Beispiel das Alphabet, nur durch tuskische oder latinische Vermittlung empfingen; woher denn auch der Mangel städtischer Entwicklung rührt. Auch Tarents Verkehr mit den Apulern und Messapiern scheint in dieser Epoche noch gering gewesen zu sein. Anders an der Westküste, wo in Kampanien Griechen und Italiker friedlich nebeneinander wohnten, in Latium und mehr noch in Etrurien ein ausgedehnter und regelmäßiger Warentausch stattfand. Was die ältesten Einfuhrartikel waren, läßt sich teils aus den Fundstücken schließen, die uralte, namentlich caeritische Gräber ergeben haben, teils aus Spuren, die in der Sprache und den Institutionen der Römer bewahrt sind, teils und vorzugsweise aus den Anregungen, die das italische Gewerbe empfing; denn natürlich kaufte man längere Zeit die fremden Manufakte, ehe man sie nachzuahmen begann. Wir können zwar nicht bestimmen, wie weit die Entwicklung der Handwerke vor der Scheidung der Stämme und dann wieder in derjenigen Periode gediehen ist, wo Italien sich selbst überlassen blieb; es mag dahingestellt werden, inwieweit die italischen Walker, Färber, Gerber und Töpfer von Griechenland oder von Phönikien aus den Anstoß empfangen oder selbständig sich entwickelt haben. Aber sicher kann das Gewerk der Goldschmiede, das seit unvordenklicher Zeit in Rom bestand, erst aufgekommen sein, nachdem der überseeische Handel begonnen und in einiger Ausdehnung unter den Bewohnern der Halbinsel Goldschmuck vertrieben hatte. So finden wir denn auch in den ältesten Grabkammern von Caere und Vulci in Etrurien und Praeneste in Latium Goldplatten mit eingestempelten geflügelten Löwen und ähnlichen Ornamenten babylonischer Fabrik. Es mag über das einzelne Fundstück gestritten werden, ob es vom Ausland eingeführt oder einheimische Nachahmung ist; im ganzen leidet es keinen Zweifel, daß die ganze italische Westküste in ältester Zeit Metallwaren aus dem Osten bezogen hat. Es wird sich später, wo von der Kunstübung die Rede ist, noch deutlicher zeigen, daß die Architektur wie die Plastik in Ton und Metall daselbst in sehr früher Zeit durch griechischen Einfluß eine mächtige Anregung empfangen haben, das heißt, daß die ältesten Werkzeuge und die ältesten Muster aus Griechenland gekommen sind. In die eben erwähnten Grabkammern waren außer dem Goldschmuck noch mit eingelegt Gefäße von bläulichem Schmelzglas oder grünlichem Ton, nach Material und Stil wie nach den eingedrückten Hieroglyphen zu schließen, ägyptischen UrsprungsVelum ist sicher latinischen Ursprungs; ebenso malus, zumal da dies nicht bloß den Mast-, sondern überhaupt den Baum bezeichnet; auch antenna kann von ανά (anhelare, antestari) und tendere = supertensa herkommen. Dagegen sind griechisch gubernare steuern κυβερνάν, ancora Anker άγκυρα, prora Vorderteil πρώρα, aplustre Schiffshinterteil άφλαστον, anquina der die Rahen festhaltende Strick άγκοινα, nausea Seekrankheit ναυσία. Die alten vier Hauptwinde – aquilo der Adlerwind, die nordöstliche Tramontana; volturnus (unsichere Ableitung, vielleicht der Geierwind), der Südost; auster, der ausdörrende Südwestwind, der Scirocco; favonius, der günstige, vom Tyrrhenischen Meer herwehende Nordwestwind – haben einheimische nicht auf Schiffahrt bezügliche Namen; alle übrigen lateinischen Windnamen aber sind griechisch (wie eurus, notus) oder aus griechischen übersetzt (z. B. solanus = απηλιώτης, Africus = λίψ).; ferner die griechische Benennung des Briefes (επιστολή epistula), der Marke (tessera, von τέσσαραZunächst sind die Marken im Lagerdienst gemeint, die ξυλήφια κατά φυλακήν βραχέα τελέως έχοντα χαρακτήρα (Polyb. 6, 35, 7); die vier vigiliae des Nachtdienstes haben den Marken überhaupt den Namen gegeben. Die Vierteilung der Nacht für den Wachtdienst ist griechisch wie römisch; die Kriegswissenschaft der Griechen mag wohl, etwa durch Pyrrhos (Liv. 35, 14), auf die Organisation des Sicherheitsdienstes im römischen Lager eingewirkt haben. Die Verwendung der nicht dorischen Form spricht für verhältnismäßig späte Übernahme des Wortes.), der Waage (στατήρ statera) und des Aufgeldes (αρραβών arrabo, arra) im Lateinischen und umgekehrt die Aufnahme italischer Rechtsausdrücke in das sizilische Griechisch, sowie der nachher zu erwähnende Austausch der Münz-, Maß- und Gewichtsverhältnisse und Namen. Namentlich der barbarische Charakter, den alle diese Entlehnungen an der Stirne tragen, vor allem die charakteristische Bildung des Nominativs aus dem Akkusativ (placenta = πλακούντα; ampora = αμφορέα; statera = στατήρα), ist der klarste Beweis ihres hohen Alters. Auch die Verehrung des Handelsgottes (Mercurius) erscheint von Haus aus durch griechische Vorstellungen bedingt und selbst sein Jahrfest darum auf die Iden des Mai gelegt zu sein, weil die hellenischen Dichter ihn feierten als den Sohn der schönen Maia.

Sonach bezog das älteste Italien so gut wie das kaiserliche Rom seine Luxuswaren aus dem Osten, bevor es nach den von dort empfangenen Mustern selbst zu fabrizieren versuchte; zum Austausch aber hatte es nichts zu bieten als seine Rohprodukte, also vor allen Dingen sein Kupfer, Silber und Eisen, dann Sklaven und Schiffsbauholz, den Bernstein von der Ostsee und, wenn etwa im Ausland Mißernte eingetreten war, sein Getreide.

Aus diesem Stande des Warenbedarfs und der dagegen anzubietenden Äquivalente ist schon früher erklärt worden, warum sich der italische Handel in Latium und in Etrurien so verschiedenartig gestaltete. Die Latiner, denen alle hauptsächlichen Ausfuhrartikel mangelten, konnten nur einen Passivhandel führen und mußten schon in ältester Zeit das Kupfer, dessen sie notwendig bedurften, von den Etruskern gegen Vieh oder Sklaven eintauschen, wie denn der uralte Vertrieb der letzteren auf das rechte Tiberufer schon erwähnt ward; dagegen mußte die tuskische Handelsbilanz in Caere wie in Populonia, in Capua wie in Spina sich notwendig günstig stellen. Daher der schnell entwickelte Wohlstand dieser Gegenden und ihre mächtige Handelsstellung, während Latium vorwiegend eine ackerbauende Landschaft bleibt. Es wiederholt sich dies in allen einzelnen Beziehungen: die ältesten nach griechischer Art, nur mit ungriechischer Verschwendung gebauten und ausgestatteten Gräber finden sich in Caere, während mit Ausnahme von Praeneste, das eine Sonderstellung gehabt zu haben und mit Falerii und dem südlichen Etrurien in besonders enger Verbindung gewesen zu sein scheint, die latinische Landschaft nur geringen Totenschmuck ausländischer Herkunft und kein einziges eigentliches Luxusgrab aus älterer Zeit aufweist, vielmehr hier wie bei den Sabellern in der Regel ein einfacher Rasen die Leiche deckte. Die ältesten Münzen, den großgriechischen der Zeit nach wenig nachstehend, gehören Etrurien, namentlich Populonia an; Latium hat in der ganzen Königszeit mit Kupfer nach dem Gewicht sich beholfen und selbst die fremden Münzen nicht eingeführt, denn nur äußerst selten haben dergleichen, wie zum Beispiel eine von Poseidonia, dort sich gefunden. In Architektur, Plastik und Toreutik wirkten dieselben Anregungen auf Etrurien und auf Latium, aber nur dort kommt ihnen überall das Kapital entgegen und erzeugt ausgedehnten Betrieb und gesteigerte Technik. Es waren wohl im ganzen dieselben Waren, die man in Latium und Etrurien kaufte, verkaufte und fabrizierte; aber in der Intensität des Verkehrs stand die südliche Landschaft weit zurück hinter den nördlichen Nachbarn. Eben damit hängt es zusammen, daß die nach griechischem Muster in Etrurien angefertigten Luxuswaren auch in Latium, namentlich in Praeneste, ja in Griechenland selbst Absatz fanden, während Latium schwerlich jemals dergleichen ausgeführt hat.

Ein nicht minder bemerkenswerter Unterschied des Verkehrs der Latiner und Etrusker liegt in dem verschiedenen Handelszug. Über den ältesten Handel der Etrusker im Adriatischen Meere können wir kaum etwas aussprechen als die Vermutung, daß er von Spina und Hatria vorzugsweise nach Kerkyra gegangen ist. Daß die westlichen Etrusker sich dreist in die östlichen Meere wagten und nicht bloß mit Sizilien, sondern auch mit dem eigentlichen Griechenland verkehrten, ward schon gesagt. Auf alten Verkehr mit Attika deuten nicht bloß die attischen Tongefäße, die in den jüngeren etruskischen Gräbern so zahlreich vorkommen und zu anderen Zwecken als zum Gräberschmuck, wie bemerkt, wohl schon in dieser Epoche eingeführt worden sind, während umgekehrt die tyrrhenischen Erzleuchter und Goldschalen früh in Attika ein gesuchter Artikel wurden, sondern bestimmter noch die Münzen. Die Silberstücke von Populonia sind nachgeprägt einem uralten, einerseits mit dem Gorgoneion gestempelten, anderseits bloß mit einem eingeschlagenen Quadrat versehenen Silberstück, das sich in Athen und an der alten Bernsteinstraße in der Gegend von Posen gefunden hat und das höchst wahrscheinlich eben die in Athen auf Solons Geheiß geschlagene Münze ist. Daß außerdem, und seit der Entwicklung der karthagisch-etruskischen Seeallianz vielleicht vorzugsweise, die Etrusker mit den Karthagern verkehrten, ward gleichfalls schon erwähnt; es ist beachtenswert, daß in den ältesten Gräbern von Caere außer einheimischem Bronze- und Silbergerät vorwiegend orientalische Waren sich gefunden haben, welche allerdings auch von griechischen Kaufleuten herrühren können, wahrscheinlicher aber doch von phönikischen Handelsmännern eingeführt wurden. Indes darf diesem phönikischen Verkehr nicht zu viel Bedeutung beigelegt und namentlich nicht übersehen werden, daß das Alphabet wie alle sonstigen Anregungen und Befruchtungen der einheimischen Kultur von den Griechen, nicht von den Phönikern nach Etrurien gebracht sind.

Nach einer anderen Richtung weist der latinische Verkehr. So selten wir auch Gelegenheit haben, Vergleichungen der römischen und der etruskischen Aufnahme hellenischer Elemente anzustellen, so zeigen sie doch, wo sie möglich sind, eine vollständige Unabhängigkeit beider Völkerschaften voneinander. Am deutlichsten tritt dies hervor im Alphabet: das von den chalkidisch-dorischen Kolonien in Sizilien oder Kampanien den Etruskern zugebrachte griechische weicht nicht unwesentlich ab von dem den Latinern ebendaher mitgeteilten, und beide Völker haben also hier zwar aus derselben Quelle, aber doch jedes zu anderer Zeit und an einem anderen Ort geschöpft. Auch in einzelnen Wörtern wiederholt sich dieselbe Erscheinung: der römische Pollux, der tuskische Pultuke sind jedes eine selbständige Korruption des griechischen Polydeukes; der tuskische Utuze oder Uthuze ist aus Odysseus gebildet, der römische Ulixes gibt genau die in Sizilien übliche Namensform wieder; ebenso entspricht der tuskische Aivas der altgriechischen Form dieses Namens, der römische Aiax einer wohl auch sikelischen Nebenform; der römische Aperta oder Apello, der samnitische Appellun sind entstanden aus dem dorischen Apellon, der tuskische Apulu a us Apollon. So deuten Sprache und Schrift Latiums ausschließlich auf den Zug des latinischen Handels zu den Kymäern und Sikelioten; und eben dahin führt jede andere Spur, die aus so ferner Zeit uns geblieben ist: die in Latium gefundene Münze von Poseidonia; der Getreidekauf bei Mißernten in Rom bei den Volskern, Kymäern und Sikelioten, daneben freilich auch wie begreiflich bei den Etruskern; vor allen Dingen aber das Verhältnis des latinischen Geldwesens zu dem sizilischen. Wie die lokale dorisch-chalkidische Bezeichnung der Silbermünze νόμος, das sizilische Maß ημίνα als nummus und hemina in gleicher Bedeutung nach Latium übergingen, so waren umgekehrt die italischen Gewichtsbezeichnungen libra, triens, quadrans, sextans, uncia, die zur Abmessung des nach dem Gewichte an Geldes Statt dienenden Kupfers in Latium aufgekommen sind, in den korrupten und hybriden Formen λίτρα, τριάς, τετράς, εζάς, ουγκία schon im dritten Jahrhundert der Stadt in Sizilien in den gemeinen Sprachgebrauch eingedrungen. Ja es ist sogar das sizilische Gewicht- und Geldsystem allein unter allen griechischen zu dem italischen Kupfersystem in ein festes Verhältnis gesetzt worden, indem nicht bloß dem Silber der zweihundertfünfzigfache Wert des Kupfers konventionell und vielleicht gesetzlich beigelegt, sondern auch das hiernach bemessene Äquivalent eines sizilischen Pfundes Kupfer (1/120 des attischen Talents, 1/3 des römischen Pfundes) als Silbermünze (λίτρα αργυρίου, das ist „Kupferpfund in Silber“) schon in frühester Zeit namentlich in Syrakus geschlagen ward. Es kann danach nicht bezweifelt werden, daß die italischen Kupferbarren auch in Sizilien an Geldes Statt umliefen; und es stimmt dies auf das beste damit zusammen, daß der Handel der Latiner nach Sizilien ein Passivhandel war und also das latinische Geld nach Sizilien abfloß. Noch andere Beweise des alten Verkehrs zwischen Sizilien und Italien, namentlich die Aufnahme der italischen Benennungen des Handelsdarlehens, des Gefängnisses, der Schüssel in den sizilischen Dialekt und umgekehrt, sind bereits früher erwähnt worden. Auch von dem alten Verkehr der Latiner mit den chalkidischen Städten in Unteritalien, Kyme und Neapolis, und mit den Phokäern in Elea und Massalia begegnen einzelne, wenn auch minder bestimmte Spuren. Daß er indes bei weitem weniger intensiv war als der mit den Sikelioten, beweist schon die bekannte Tatsache, daß alle in älterer Zeit nach Latium gelangten griechischen Wörter – es genügt an Aesculapius, Latona, Aperta, machina zu erinnern – dorische Formen zeigen. Wenn der Verkehr mit den ursprünglich ionischen Städten, wie Kyme und die phokäischen Ansiedlungen waren, dem mit den sikelischen Dorern auch nur gleichgestanden hätte, so würden ionische Formen wenigstens daneben erscheinen; obwohl allerdings auch in diese ionischen Kolonien selbst der Dorismus früh eingedrungen ist und der Dialekt hier sehr geschwankt hat. Während also alles sich vereinigt, um den regen Handel der Latiner mit den Griechen der Westsee überhaupt und vor allem mit den sizilischen zu belegen, hat mit den asiatischen Phönikern schwerlich ein unmittelbarer Verkehr stattgefunden und kann der Verkehr mit den afrikanischen, den Schriftstellen und Fundstücke hinreichend belegen, in seiner Einwirkung auf den Kulturstand Latiums doch nur in zweiter Reihe gestanden haben; namentlich ist dafür beweisend, daß – von einigen Lokalnamen abgesehen – es für den alten Verkehr der Latiner mit den Völkerschaften aramäischer Zunge an jedem sprachlichen Zeugnis gebrichtDas Latein scheint, abgesehen von Sarranus, Afer und anderen örtlichen Benennungen, nicht ein einziges, in älterer Zeit unmittelbar aus dem Phönikischen entlehntes Wort zu besitzen. Die sehr wenigen in demselben vorkommenden, wurzelhaft phönikischen Wörter, wie namentlich arrabo oder arra und etwa noch murra, nardus und dergleichen mehr, sind offenbar zunächst Lehnwörter aus dem Griechischen, das in solchen orientalischen Lehnwörtern eine ziemliche Anzahl von Zeugnissen seines ältesten Verkehrs mit den Aramäern aufzuweisen hat. Daß ελέφας und ebur von dem gleichen phönikischen Original mit oder ohne Hinzufügung des Artikels, also jedes selbständig gebildet seien, ist sprachlich unmöglich, da der phönikische Artikel vielmehr ha ist, auch so nicht verwendet wird; überdies ist das orientalische Urwort bis jetzt noch nicht gefunden. Dasselbe gilt von dem rätselhaften Worte thesaurus; mag dasselbe nun ursprünglich griechisch oder von den Griechen aus dem Phönikischen oder Persischen entlehnt sein, im Lateinischen ist es, wie schon die Festhaltung der Aspiration beweist, auf jeden Fall griechisches Lehnwort..

Fragen wir weiter, wie dieser Handel vorzugsweise geführt ward, ob von italischen Kaufleuten in der Fremde oder von fremden Kaufleuten in Italien, so hat, wenigstens was Latium anlangt, die erstere Annahme alle Wahrscheinlichkeit für sich: es ist kaum denkbar, daß jene latinischen Bezeichnungen des Geldsurrogats und des Handelsdarlehens in den gemeinen Sprachgebrauch der Bewohner der sizilischen Insel dadurch hätten eindringen können, daß sizilische Kaufleute nach Ostia gingen und Kupfer gegen Schmuck einhandelten.

Was endlich die Personen und Stände anlangt, durch die dieser Handel in Italien geführt ward, so hat sich in Rom kein eigener, dem Gutsbesitzerstand selbständig gegenüberstehender höherer Kaufmannsstand entwickelt. Der Grund dieser auffallenden Erscheinung ist, daß der Großhandel von Latium von Anfang an sich in den Händen der großen Grundbesitzer befunden hat – eine Annahme, die nicht so seltsam ist, wie sie scheint. Daß in einer von mehreren schiffbaren Flüssen durchschnittenen Landschaft der große Grundbesitzer, der von seinen Pächtern in Fruchtquoten bezahlt wird, früh zu dem Besitz von Barken gelangte, ist natürlich und beglaubigt; der überseeische Eigenhandel mußte also um so mehr dem Gutsbesitzer zufallen, als er allein die Schiffe und in den Früchten die Ausfuhrartikel besaß. In der Tat ist der Gegensatz zwischen Land- und Geldaristokratie den Römern der älteren Zeit nicht bekannt; die großen Grundbesitzer sind immer zugleich die Spekulanten und die Kapitalisten. Bei einem sehr intensiven Handel wäre allerdings diese Vereinigung nicht durchzuführen gewesen; allein wie die bisherige Darstellung zeigt, fand ein solcher in Rom wohl relativ statt, insofern der Handel der latinischen Landschaft sich hier konzentrierte, allein im wesentlichen ward Rom keineswegs eine Handelsstadt wie Caere oder Tarent, sondern war und blieb der Mittelpunkt einer ackerbauenden Gemeinde.

14. Kapitel


14. Kapitel

Maß und Schrift

Die Kunst des Messens unterwirft dem Menschen die Welt; durch die Kunst des Schreibens hört seine Erkenntnis auf, so vergänglich zu sein, wie er selbst ist; sie beide geben dem Menschen, was die Natur ihm versagte, Allmacht und Ewigkeit. Es ist der Geschichte Recht und Pflicht, den Völkern auch auf diesen Bahnen zu folgen.

Um messen zu können, müssen vor allen Dingen die Begriffe der zeitlichen, räumlichen und Gewichtseinheit und des aus gleichen Teilen bestehenden Ganzen, das heißt die Zahl und das Zahlensystem entwickelt werden. Dazu bietet die Natur als nächste Anhaltspunkte für die Zeit die Wiederkehr der Sonne und des Mondes oder Tag und Monat, für den Raum die Länge des Mannesfußes, der leichter mißt als der Arm, für die Schwere diejenige Last, welche der Mann mit ausgestrecktem Arm schwebend auf der Hand zu wiegen (librare) vermag oder das „Gewicht“ (libra). Als Anhalt für die Vorstellung eines aus gleichen Teilen bestehenden Ganzen liegt nichts so nahe als die Hand mit ihren fünf oder die Hände mit ihren zehn Fingern, und hierauf beruht das Dezimalsystem. Es ist schon bemerkt worden, daß diese Elemente alles Zählens und Messens nicht bloß über die Trennung des griechischen und lateinischen Stammes, sondern bis in die fernste Urzeit zurückreichen. Wie alt namentlich die Messung der Zeit nach dem Monde ist, beweist die Sprache; selbst die Weise, die zwischen den einzelnen Mondphasen verfließenden Tage nicht von der zuletzt eingetretenen vorwärts, sondern von der zunächst zu erwartenden rückwärts zu zählen, ist wenigstens älter als die Trennung der Griechen und Lateiner. Das bestimmteste Zeugnis für das Alter und die ursprüngliche Ausschließlichkeit des Dezimalsystems bei den Indogermanen gewährt die bekannte Übereinstimmung aller indogermanischen Sprachen in den Zahlwörtern bis hundert einschließlich. Was Italien anlangt, so sind hier alle ältesten Verhältnisse vom Dezimalsystem durchdrungen: es genügt, an die so gewöhnliche Zehnzahl der Zeugen, Bürgen, Gesandten, Magistrate, an die gesetzliche Gleichsetzung von einem Rind und zehn Schafen, an die Teilung des Gaues in zehn Kurien und überhaupt die durchstehende Dekuriierung, an die Limitation, den Opfer- und Ackerzehnten, das Dezimieren, den Vornamen Decimus zu erinnern. Dem Gebiet von Maß und Schrift angehörige Anwendungen dieses ältesten Dezimalsystems sind zunächst die merkwürdigen italischen Ziffern. Konventionelle Zahlzeichen hat es noch bei der Scheidung der Griechen und Italiker offenbar nicht gegeben. Dagegen finden wir für die drei ältesten und unentbehrlichsten Ziffern, für ein, fünf, zehn, drei Zeichen, I, V oder A, X, offenbar Nachbildungen des ausgestreckten Fingers, der offenen und der Doppelhand, welche weder den Hellenen noch den Phönikern entlehnt, dagegen den Römern, Sabellern und Etruskern gemeinschaftlich sind. Es sind die Ansätze zur Bildung einer national italischen Schrift und zugleich Zeugnisse von der Regsamkeit des ältesten, dem überseeischen voraufgehenden binnenländischen Verkehrs der Italiker; welcher aber der italischen Stämme diese Zeichen erfunden und wer von wem sie entlehnt hat, ist natürlich nicht auszumachen. Andere Spuren des rein dezimalen Systems sind auf diesem Gebiet sparsam; es gehören dahin der Vorsus, das Flächenmaß der Sabeller von 100 Fuß ins Gevierte und das römische zehnmonatliche Jahr. Sonst ist im allgemeinen in denjenigen italischen Maßen, die nicht an griechische Festsetzungen anknüpfen und wahrscheinlich von den Italikern vor Berührung mit den Griechen entwickelt worden sind, die Teilung des „Ganzen“ (as) in zwölf „Einheiten“ (unciae) vorherrschend. Nach der Zwölfzahl sind eben die ältesten latinischen Priesterschaften, die Kollegien der Salier und Arvalen sowie auch die etruskischen Städtebünde geordnet. Die Zwölfzahl herrscht im römischen Gewichtsystem, wo das Pfund (libra), und im Längenmaß, wo der Fuß (pes) in zwölf Teile zerlegt zu werden pflegen; die Einheit des römischen Flächenmaßes ist der aus dem Dezimal- und Duodezimalsystem zusammengesetzte „Trieb“ (actus) von 120 Fuß ins GevierteUrsprünglich sind sowohl „actus“ Trieb, wie auch das noch häufiger vorkommende Doppelte davon, „iugerum“, Joch, wie unser „Morgen“ nicht Flächen-, sondern Arbeitsmaße und bezeichnen dieser das Tage-, jener das halbe Tagewerk, mit Rücksicht auf die namentlich in Italien scharf einschneidende Mittagsruhe des Pflügers.. Im Körpermaß mögen ähnliche Bestimmungen verschollen sein.

Wenn man erwägt, worauf das Duodezimalsystem beruhen, wie es gekommen sein mag, daß aus der gleichen Reihe der Zahlen so früh und allgemein neben der Zehn die Zwölf hervorgetreten ist, so wird die Veranlassung wohl nur gefunden werden können in der Vergleichung des Sonnen- und Mondlaufs. Mehr noch als an der Doppelhand von zehn Fingern ist an dem Sonnenkreislauf von ungefähr zwölf Mondkreisläufen zuerst dem Menschen die tiefsinnige Vorstellung einer aus gleichen Einheiten zusammengesetzten Einheit aufgegangen und damit der Begriff eines Zahlensystems, der erste Ansatz mathematischen Denkens. Die feste duodezimale Entwicklung dieses Gedankens scheint national italisch zu sein und vor die erste Berührung mit den Hellenen zu fallen.

Als nun aber der hellenische Handelsmann sich den Weg an die italische Westküste eröffnet hatte, empfanden zwar nicht das Flächen-, aber wohl das Längenmaß, das Gewicht und vor allem das Körpermaß, das heißt diejenigen Bestimmungen, ohne welche Handel und Wandel unmöglich ist, die Folgen des neuen internationalen Verkehrs. Der älteste römische Fuß ist verschollen; der, den wir kennen und der in frühester Zeit bei den Römern in Gebrauch war, ist aus Griechenland entlehnt und wurde neben seiner neuen römischen Einteilung in Zwölftel auch nach griechischer Art in vier Hand- (palmus) und sechzehn Fingerbreiten (digitus) geteilt. Ferner wurde das römische Gewicht in ein festes Verhältnis zu dem attischen gesetzt, welches in ganz Sizilien herrschte, nicht aber in Kyme – wieder ein bedeutsamer Beweis, daß der latinische Verkehr vorzugsweise nach der Insel sich zog; vier römische Pfund wurden gleich drei attischen Minen oder vielmehr das römische Pfund gleich anderthalb sizilischen Litren oder Halbminen gesetzt. Das seltsamste und buntscheckigste Bild aber bieten die römischen Körpermaße teils in den Namen, die aus den griechischen entweder durch Verderbnis (amphora, modius nach μέδιμνος congius aus χοεύς, hemina, cyathus) oder durch Übersetzung (acetabulum von οξύβαφον) entstanden sind, während umgekehrt ξέστης Korruption von sextarius ist; teils in den Verhältnissen. Nicht alle, aber die gewöhnlichen Maße sind identisch: für Flüssigkeiten der Congius oder Chus, der Sextarius, der Cyathus, die beiden letzteren auch für trockene Waren, die römische Amphora ist im Wassergewicht dem attischen Talent gleichgesetzt und steht zugleich im festen Verhältnisse zu dem griechischen Metretes von 3 : 2, zu dem griechischen Medimnos von 2 : 1. Für den, der solche Schrift zu lesen versteht, steht in diesen Namen und Zahlen die ganze Regsamkeit und Bedeutung jenes sizilisch-latinischen Verkehrs geschrieben.

Die griechischen Zahlzeichen nahm man nicht auf; wohl aber benutzte der Römer das griechische Alphabet, als ihm dies zukam, um aus den ihm unnützen Zeichen der drei Hauchbuchstaben die Ziffern 50 und 1000, vielleicht auch die Ziffer 100 zu gestalten. In Etrurien scheint man auf ähnlichem Wege wenigstens das Zeichen für 100 gewonnen zu haben. Später setzte sich wie gewöhnlich das Ziffersystem der beiden benachbarten Völker ins gleiche, indem das römische im wesentlichen in Etrurien angenommen ward.

In gleicher Weise ist der römische und wahrscheinlich überhaupt der italische Kalender, nachdem er sich selbständig zu entwickeln begonnen hatte, später unter griechischen Einfluß gekommen. In der Zeiteinteilung drängt sich die Wiederkehr des Sonnenauf- und -unterganges und des Neu- und Vollmondes am unmittelbarsten dem Menschen auf; demnach haben Tag und Monat, nicht nach zyklischer Vorberechnung, sondern nach unmittelbarer Beobachtung bestimmt, lange Zeit ausschließlich die Zeit gemessen. Sonnenauf- und -untergang wurden auf dem römischen Markte durch den öffentlichen Ausrufer bis in späte Zeit hinab verkündigt, ähnlich vermutlich einstmals an jedem der vier Mondphasentage die von da bis zum nächstfolgenden verfließende Tagzahl durch die Priester abgerufen. Man rechnete also in Latium und vermutlich ähnlich nicht bloß bei den Sabellern, sondern auch bei den Etruskern nach Tagen, welche, wie schon gesagt, nicht von dem letztverflossenen Phasentag vorwärts, sondern von dem nächsterwarteten rückwärts gezählt wurden; nach Mondwochen, die bei der mittleren Dauer von 7⅜ Tagen zwischen sieben- und achttägiger Dauer wechselten; und nach Mondmonaten, die gleichfalls bei der mittleren Dauer des synodischen Monats von 29 Tagen 12 Stunden 44 Minuten bald neunundzwanzig-, bald dreißigtägig waren. Eine gewisse Zeit hindurch ist den Italikern der Tag die kleinste, der Mond die größte Zeiteinteilung geblieben. Erst späterhin begann man Tag und Nacht in je vier Teile zu zerlegen, noch viel später der Stundenteilung sich zu bedienen; damit hängt auch zusammen, daß in der Bestimmung des Tagesanfangs selbst die sonst nächstverwandten Stämme auseinandergehen, die Römer denselben auf die Mitternacht, die Sabeller und die Etrusker auf den Mittag setzen. Auch das Jahr ist, wenigstens als die Griechen von den Italikern sich schieden, noch nicht kalendarisch geordnet gewesen, da die Benennungen des Jahres und der Jahresteile bei den Griechen und den Italikern völlig selbständig gebildet sind. Doch scheinen die Italiker schon in der vorhellenischen Zeit wenn nicht zu einer festen kalendarischen Ordnung, doch zur Aufstellung sogar einer doppelten größeren Zeiteinheit fortgeschritten zu sein. Die bei den Römern übliche Vereinfachung der Rechnung nach Mondmonaten durch Anwendung des Dezimalsystems, die Bezeichnung einer Frist von zehn Monaten als eines „Ringes“ (annus) oder eines Jahrganzen trägt alle Spuren des höchsten Altertums an sich. Später, aber auch noch in einer sehr frühen und unzweifelhaft ebenfalls jenseits der griechischen Einwirkung liegenden Zeit ist, wie schon gesagt wurde, das Duodezimalsystem in Italien entwickelt und, da es eben aus der Beobachtung des Sonnenlaufs als des Zwölffachen des Mondlaufs hervorgegangen ist, sicher zuerst und zunächst auf die Zeitrechnung bezogen worden; damit wird es zusammenhängen, daß in den Individualnamen der Monate – welche erst entstanden sein können, seit der Monat als Teil eines Sonnenjahres aufgefaßt wurde –, namentlich in den Namen des März und des Mai, nicht Italiker und Griechen, aber wohl die Italiker unter sich übereinstimmen. Es mag also das Problem, einen zugleich dem Mond und der Sonne entsprechenden praktischen Kalender herzustellen – diese in gewissem Sinne der Quadratur des Zirkels vergleichbare Aufgabe, die als unlösbar zu erkennen und zu beseitigen es vieler Jahrhunderte bedurft hat –, in Italien bereits vor der Epoche, wo die Berührungen mit den Griechen begannen, die Gemüter beschäftigt haben; indes diese rein nationalen Lösungsversuche sind verschollen. Was wir von dem ältesten Kalender Roms und einiger andern latinischen Städte wissen – über die sabellische und etruskische Zeitmessung ist überall nichts überliefert –, beruht entschieden auf der ältesten griechischen Jahresordnung, die der Absicht nach zugleich den Phasen des Mondes und den Sonnenfahrzeiten folgte und aufgebaut war auf der Annahme eines Mondumlaufs von 29½ Tagen, eines Sonnenumlaufs von 12½ Mondmonaten oder 368¾ Tagen und dem stetigen Wechsel der vollen oder dreißigtägigen und der hohlen oder neunundzwanzigtägigen Monate sowie der zwölf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, daneben aber durch willkürliche Aus- und Einschaltungen in einiger Harmonie mit den wirklichen Himmelserscheinungen gehalten ward. Es ist möglich, daß diese griechische Jahrordnung zunächst unverändert bei den Latinern in Gebrauch gekommen ist; die älteste römische Jahrform aber, die sich geschichtlich erkennen läßt, weicht zwar nicht im zyklischen Ergebnis und ebenso wenig in dem Wechsel der zwölf- und der dreizehnmonatlichen Jahre, wohl aber wesentlich in der Benennung wie in der Abmessung der einzelnen Monate von ihrem Muster ab. Dies römische Jahr beginnt mit Frühlingsanfang; der erste Monat desselben und der einzige, der von einem Gott den Namen trägt, heißt nach dem Mars (Martius), die drei folgenden vom Sprossen (aprilis), Wachsen (maius) und Gedeihen (iunius), der fünfte bis zehnte von ihren Ordnungszahlen (quinctilis, sextilis, september, october, november, december), der elfte vom Anfangen (ianuarius, 1, 178), wobei vermutlich an den nach dem Mittwinter und der Arbeitsruhe folgenden Wiederbeginn der Ackerbestellung gedacht ist, der zwölfte und im gewöhnlichen Jahr der letzte vom Reinigen (februarius). Zu dieser im stetigen Kreislauf wiederkehrenden Reihe tritt im Schaltjahr noch ein namenloser „Arbeitsmonat“ (mercedonius) am Jahresschluß, also hinter dem Februar hinzu. Ebenso wie in den wahrscheinlich aus dem altnationalen herübergenommenen Namen der Monate ist der römische Kalender in der Dauer derselben selbständig: für die vier aus je sechs dreißig- und sechs neunundzwanzigtägigen Monaten und einem jedes zweite Jahr eintretenden, abwechselnd dreißig- und neunundzwanzigtägigen Schaltmonat zusammengesetzten Jahre des griechischen Zyklus (354 + 384 + 354 + 383 = 1475 Tage) sind in ihm gesetzt worden vier Jahre von je vier – dem ersten, dritten, fünften und achten – einunddreißig- und je sieben neunundzwanzigtägigen Monaten, ferner einem in drei Jahren acht-, in dem vierten neunundzwanzigtägigen Februar und einem jedes andere Jahr eingelegten siebenundzwanzigtägigen Schaltmonat (355 + 383 + 355 + 382 = 1475 Tage). Ebenso ging dieser Kalender ab von der ursprünglichen Einteilung des Monats in vier, bald sieben-, bald achttägige Wochen; er ließ die achttägige Woche ohne Rücksicht auf die sonstigen Kalenderverhältnisse durch die Jahre laufen, wie unsere Sonntage es tun, und setzte auf deren Anfangstage (noundinae) den Wochenmarkt. Er setzte daneben ein für allemal das erste Viertel in den einunddreißigtägigen Monaten auf den siebenten, in den neunundzwanzigtägigen auf den fünften, Vollmond in jenen auf den fünfzehnten, in diesen auf den dreizehnten Tag. Bei dem also fest geordneten Verlauf der Monate brauchte von jetzt ab allein die Zahl der zwischen dem Neumond und dem ersten Viertel liegenden Tage angekündigt zu werden; davon empfing der Tag des Neumonds den Namen des Rufetages (kalendae). Der Anfangstag des zweiten, immer achttägigen Zeitabschnitts des Monats wurde – der römischen Sitte gemäß, den Zieltag der Frist mit in dieselbe einzuzählen – bezeichnet als Neuntag (nonae). Der Tag des Vollmonds behielt den alten Namen idus (vielleicht Scheidetag). Das dieser seltsamen Neugestaltung des Kalenders zu Grunde liegende Motiv scheint hauptsächlich der Glaube an die heilbringende Kraft der ungeraden Zahl gewesen zu seinAus derselben Ursache sind sämtliche Festtage ungerade, sowohl die in jedem Monat wiederkehrenden (kalendae am 1., nonae am 5. oder 7., idus am 13. oder 15.) als auch, mit nur zwei Ausnahmen, die Tage der oben erwähnten 45 Jahresfeste. Dies geht so weit, daß bei mehrtägigen Festen dazwischen die geraden Tage ausfallen, also z. B. das der Carmentis am 11., 15. Januar, das Hainfest am 19., 21. Juli, die Gespensterfeier am 9., 11., 13. Mai begangen wird., und wenn er im allgemeinen an die älteste griechische Jahrform sich anlehnt, so tritt in seinen Abweichungen von dieser bestimmt der Einfluß der damals in Unteritalien übermächtigen, namentlich in Zahlenmystik sich bewegenden Lehren des Pythagoras hervor. Die Folge aber war, daß dieser römische Kalender, so deutlich er auch die Spur an sich trägt, sowohl mit dem Mond- wie mit dem Sonnenlauf harmonieren zu wollen, doch in der Tat mit dem Mondlauf keineswegs so übereinkam, wie wenigstens im ganzen sein griechisches Vorbild, den Sonnenfahrzeiten aber, eben wie der älteste griechische, nicht anders als mittels häufiger willkürlicher Ausschaltungen folgen konnte, und da man den Kalender schwerlich mit größerem Verstande gehandhabt als eingerichtet hat, höchst wahrscheinlich nur sehr unvollkommen folgte. Auch liegt in der Festhaltung der Rechnung nach Monaten oder, was dasselbe ist, nach zehnmonatlichen Jahren ein stummes, aber nicht mißzuverstehendes Eingeständnis der Unregelmäßigkeit und Unzuverlässigkeit des ältesten römischen Sonnenjahres. Seinem wesentlichen Schema nach wird dieser römische Kalender mindestens als allgemein latinisch angesehen werden können. Bei der allgemeinen Wandelbarkeit des Jahresanfangs und der Monatsnamen sind kleinere Abweichungen in der Bezifferung und den Benennungen mit der Annahme einer gemeinschaftlichen Grundlage wohl vereinbar; ebenso konnten bei jenem Kalenderschema, das tatsächlich von dem Mondumlauf absieht, die Latiner leicht zu ihren willkürlichen, etwa nach Jahrfesten abgegrenzten Monatlängen kommen, wie denn beispielsweise in den albanischen die Monate zwischen 16 und 36 Tagen schwanken. Wahrscheinlich also ist die griechische Trieteris von Unteritalien aus frühzeitig wenigstens nach Latium, vielleicht auch zu anderen italischen Stämmen gelangt und hat dann in den einzelnen Stadtkalendern weitere untergeordnete Umgestaltungen erfahren.

Zur Messung mehrjähriger Zeiträume konnte man sich der Regierungsjahre der Könige bedienen; doch ist es zweifelhaft, ob diese dem Orient geläufige Datierung in Griechenland und Italien in ältester Zeit vorgekommen ist. Dagegen scheint an die vierjährige Schaltperiode und die damit verbundene Schatzung und Sühnung der Gemeinde eine der griechischen Olympiadenzählung der Anlage nach gleiche Zählung der Lustren angeknüpft zu haben, die indes infolge der bald in der Abhaltung der Schatzungen einreißenden Unregelmäßigkeit ihre chronologische Bedeutung früh wieder eingebüßt hat.

Jünger als die Meßkunst ist die Kunst der Lautschrift. Die Italiker haben sowenig wie die Hellenen von sich aus eine solche entwickelt, obwohl in den italischen Zahlzeichen, etwa auch in dem uralt italischen und nicht aus hellenischem Einfluß hervorgegangenen Gebrauch des Losziehens mit Holztäfelchen, die Ansätze zu einer solchen Entwicklung gefunden werden können. Wie schwierig die erste Individualisierung der in so mannigfaltigen Verbindungen auftretenden Laute gewesen sein muß, beweist am besten die Tatsache, daß für die gesamte aramäische, indische, griechisch-römische und heutige Zivilisation ein einziges, von Volk zu Volk und von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanztes Alphabet ausgereicht hat und heute noch ausreicht; und auch dieses bedeutsame Erzeugnis des Menschengeistes ist gemeinsame Schöpfung der Aramäer und der Indogermanen. Der semitische Sprachstamm, in dem der Vokal untergeordneter Natur ist und nie ein Wort beginnen kann, erleichtert eben deshalb die Individualisierung des Konsonanten; weshalb denn auch hier das erste, der Vokale aber noch entbehrende Alphabet erfunden worden ist. Erst die Inder und die Griechen haben, jedes Volk selbständig und in höchst abweichender Weise, aus der durch den Handel ihnen zugeführten aramäischen Konsonantenschrift das vollständige Alphabet erschaffen durch Hinzufügung der Vokale, welche erfolgte durch die Verwendung von vier für die Griechen als Konsonantenzeichen unbrauchbarer Buchstaben für die vier Vokale a e i o und durch Neubildung des Zeichens für u, also durch Einführung der Silbe in die Schrift statt des bloßen Konsonanten, oder wie Palamedes bei Euripides sagt:

Heilmittel also ordnend der Vergessenheit
Fügt ich lautlos‘ und lautende in Silben ein
Und fand des Schreibens Wissenschaft den Sterblichen.

Dies aramäisch-hellenische Alphabet ist denn auch den Italikern zugebracht worden und zwar durch die italischen Hellenen, nicht aber durch die Ackerkolonien Großgriechenlands, sondern durch die Kaufleute etwa von Kyme oder Tarent, von denen es zunächst nach den uralten Vermittlungsstätten des internationalen Verkehrs in Latium und Etrurien, nach Rom und Caere gelangt sein wird. Das Alphabet, das die Italiker empfingen, ist keineswegs das älteste hellenische: es hatte schon mehrfache Modifikationen erfahren, namentlich den Zusatz der drei Buchstaben ξ φ χ und die Abänderung der Zeichen für υ γ λDie Geschichte des Alphabets bei den Hellenen besteht im wesentlichen darin, daß gegenüber dem Uralphabet von 23 Buchstaben, das heißt dem vokalisierten und mit dem u vermehrten phönikischen, die verschiedenartigsten Vorschläge zur Ergänzung und Verbesserung desselben gemacht worden sind und daß jeder dieser Vorschläge seine eigene Geschichte gehabt hat. Die wichtigsten dieser Vorschläge, die auch für die Geschichte der italischen Schrift im Auge zu behalten vor. Interesse ist, sind die folgenden.

  1. Einführung eigener Zeichen für die Laute ξ φ χ. Dieser Vorschlag ist so alt, daß mit einziger Ausnahme desjenigen der Inseln Thera, Melos und Kreta alle griechischen und schlechterdings alle aus dem griechischen abgeleiteten Alphabete unter dem Einfluß desselben stehen. Ursprünglich ging er wohl dahin, die Zeichen Χ ξι, Φ φι, Ψ χι dem Alphabet am Schluß anzufügen, und in dieser Gestalt hat er auf dem Festland von Hellas mit Ausnahme von Athen und Korinth und ebenso bei den sizilischen und italischen Griechen Annahme gefunden. Die kleinasiatischen Griechen dagegen und die der Inseln des Archipels, ferner auf dem Festland die Korinther scheinen, als dieser Vorschlag zu ihnen gelangte, für den Laut ~i bereits das fünfzehnte Zeichen des phönikischen Alphabets (Samech) Ξ im Gebrauch gehabt zu haben; sie verwendeten deshalb von den drei neuen Zeichen zwar das Φ auch für φι, aber das Χ nicht für ξι sondern für χι. Das dritte, ursprünglich für χι erfundene Zeichen ließ man wohl meistenteils fallen; nur im kleinasiatischen Festland hielt man es fest, gab ihm aber den Wert ψι. Der kleinasiatischen Schreibweise folgte auch Athen, nur daß hier nicht bloß das ψι, sondern auch das ξι nicht angenommen, sondern dafür wie früher der Doppelkonsonant geschrieben ward.
  2. Ebenso früh, wenn nicht noch früher, hat man sich bemüht, die naheliegende Verwechslung der Formen für i und s zu verhüten; denn sämtliche uns bekannte griechische Alphabete tragen die Spuren des Bestrebens, beide Zeichen anders und schärfer zu unterscheiden. Aber schon in ältester Zeit müssen zwei Änderungsvorschläge gemacht sein, deren jeder seinen eigenen Verbreitungskreis gefunden hat: entweder man verwendete für den Sibilanten, wofür das phönikische Alphabet zwei Zeichen, das vierzehnte (M) für sch und das achtzehnte (Σ) für s, darbot, statt des letzteren, lautlich angemesseneren vielmehr jenes – und so schrieb man in älterer Zeit auf den östlichen Inseln, in Korinth und Kerkyra und bei den italischen Achäern – oder man ersetzte das Zeichen des i durch einfachen Strich І, was bei weitem das Gewöhnlichere war und in nicht allzu später Zeit wenigstens insofern allgemein ward, als das gebrochene i 5 überall verschwand, wenngleich einzelne Gemeinden das s in der Form M auch neben dem І festhielten.
  3. Jünger ist die Ersetzung des leicht mit Γ γ zu verwechselnden λ Λ durch V, der wir in Athen und Böotien begegnen, während Korinth und die von Korinth abhängigen Gemeinden denselben Zweck dadurch erreichten, daß sie dem γ statt der haken- die halbkreisförmige Gestalt C gaben.
  4. Die ebenfalls der Verwechslung sehr ausgesetzten Formen für ρ Ρ p p und r P wurden unterschieden durch Umgestaltung des letzteren in R; welche jüngere Form nur den kleinasiatischen Griechen, den Kretern, den italischen Achäern und wenigen anderen Landschaften fremd geblieben ist, dagegen sowohl in dem eigentlichen wie in Großgriechenland und Sizilien weit überwiegt. Doch ist die ältere Form des r p hier nicht so früh und so völlig verschwunden wie die ältere Form des l; diese Neuerung fällt daher ohne Zweifel später.

Die Differenzierung des langen und kurzen e und des langen und kurzen o ist in älterer Zeit beschränkt geblieben auf die Griechen Kleinasiens und der Inseln des Ägäischen Meeres.

Alle diese technischen Verbesserungen sind insofern gleicher Art und geschichtlich von gleichem Wert, als eine jede derselben zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Orte aufgekommen ist und sodann ihren eigenen Verbreitungsweg genommen und ihre besondere Entwicklung gefunden hat. Die vortreffliche Untersuchung A. Kirchhoffs (Studien zur Geschichte des griechischen Alphabets. Gütersloh 1863), welche auf die bisher so dunkle Geschichte des hellenischen Alphabets ein helles Licht geworfen und auch für die ältesten Beziehungen zwischen Hellenen und Italikern wesentliche Daten ergeben, namentlich die bisher ungewisse Heimat des etruskischen Alphabets unwiderleglich festgestellt hat, leidet insofern an einer gewissen Einseitigkeit, als sie auf einen einzelnen dieser Vorschläge verhältnismäßig zu großes Gewicht legt. Wenn überhaupt hier Systeme geschieden werden sollen, darf man die Alphabete nicht nach der Geltung des X als ξ oder als χ in zwei Klassen teilen, sondern wird man das Alphabet von 23 und das von 25 oder 26 Buchstaben und etwa in dem letzteren noch das kleinasiatisch-ionische, aus dem das spätere Gemeinalphabet hervorgegangen ist, und das gemeingriechische der älteren Zeit zu unterscheiden haben. Es haben aber vielmehr im Alphabet die einzelnen Landschaften sich den verschiedenen Modifikationsvorschlägen gegenüber wesentlich eklektisch verhalten und ist der eine hier, der andere dort rezipiert worden. Eben insofern ist die Geschichte des griechischen Alphabets so lehrreich, als sie zeigt, wie in Handwerk und Kunst einzelne Gruppen der griechischen Landschaften die Neuerungen austauschten, andere in keinem solchen Wechselverhältnis standen. Was insbesondere Italien betrifft, so ist schon auf den merkwürdigen Gegensatz der achäischen Ackerstädte zu den chalkidischen und dorischen mehr kaufmännischen Kolonien aufmerksam gemacht worden; in jenen sind durchgängig die primitiven Formen festgehalten, in diesen die verbesserten Formen angenommen, selbst solche, die von verschiedenen Seiten kommend sich gewissermaßen widersprechen, wie das C Y neben dem V l. Die italischen Alphabete stammen, wie Kirchhoff gezeigt hat, durchaus von dem Alphabet der italischen Griechen und zwar von dem chalkidisch-dorischen her; daß aber die Etrusker und die Latiner nicht die einen von den andern, sondern beide unmittelbar von den Griechen das Alphabet empfingen, setzt besonders die verschiedene Form des r außer Zweifel. Denn während von den vier oben bezeichneten Modifikationen des Alphabets, die die italischen Griechen überhaupt angehen (die fünfte blieb auf Kleinasien beschränkt), die drei ersten bereits durchgeführt waren, bevor dasselbe auf die Etrusker und Latiner überging, war die Differenzierung von p und r noch nicht geschehen, als dasselbe nach Etrurien kam, dagegen wenigstens begonnen, als die Latiner es empfingen, weshalb für r die Etrusker die Form R gar nicht kennen, dagegen bei den Faliskern und den Latinern mit der einzigen Ausnahme des Dresselschen Tongefäßes ausschließlich die jüngere Form begegnet.

Welchen gewaltigen Eindruck die Erwerbung des Buchstabenschatzes auf die Empfänger machte und wie lebhaft sie die in diesen unscheinbaren Zeichen schlummernde Macht ahnten, beweist ein merkwürdiges Gefäß aus einer vor Erfindung des Bogens gebauten Grabkammer von Caere, worauf das altgriechische Musteralphabet, wie es nach Etrurien kam, und daneben ein daraus gebildetes etruskisches Syllabarium, jenem des Palamedes vergleichbar, verzeichnet ist – offenbar eine heilige Reliquie der Einführung und der Akklimatisierung der Buchstabenschrift in Etrurien.

Nicht minder wichtig als die Entlehnung des Alphabets ist für die Geschichte dessen weitere Entwicklung auf italischem Boden, ja vielleicht noch wichtiger; denn hierdurch fällt ein Lichtstrahl auf den italienischen Binnenverkehr, der noch weit mehr im Dunkeln liegt als der Verkehr an den Küsten mit den Fremden. In der ältesten Epoche der etruskischen Schrift, in der man sich im wesentlichen des eingeführten Alphabets unverändert bediente, scheint der Gebrauch desselben sich auf die Etrusker am Po und in der heutigen Toskana beschränkt zu haben; dieses Alphabet ist alsdann, offenbar von Atria und Spina aus, südlich an der Ostküste hinab bis in die Abruzzen, nördlich zu den Venetern und später sogar zu den Kelten an und in den Alpen, ja jenseits derselben gelangt, sodaß die letzten Ausläufer desselben bis nach Tirol und Steiermark reichen. Die jüngere Epoche geht aus von einer Reform des Alphabets, welche sich hauptsächlich erstreckt auf die Einführung abgesetzter Zeilenschrift, auf die Unterdrückung des o, das man im Sprechen vom u nicht mehr zu unterscheiden wußte, und auf die Einführung eines neuen Buchstabens f, wofür dem überlieferten Alphabet das entsprechende Zeichen mangelte. Diese Reform ist offenbar bei den westlichen Etruskern entstanden und hat, während sie jenseits des Apennin keinen Eingang fand, dagegen bei sämtlichen sabellischen Stämmen, zunächst bei den Umbrern sich eingebürgert; im weiteren Verlaufe sodann hat das Alphabet bei jedem einzelnen Stamm, den Etruskern am Arno und um Capua, den Umbrern und Samniten seine besonderen Schicksale erfahren, häufig die Mediae ganz oder zum Teil verloren, anderswo wieder neue Vokale und Konsonanten entwickelt. Jene westetruskische Reform des Alphabets aber ist nicht bloß so alt wie die ältesten in Etrurien gefundenen Gräber, sondern beträchtlich älter, da das erwähnte, wahrscheinlich in einem derselben gefundene Syllabarium das reformierte Alphabet bereits in einer wesentlich modifizierten und modernisierten Gestalt gibt; und da das reformierte selbst wieder, gegen das primitive gehalten, relativ jung ist, so versagt sich fast der Gedanke dem Zurückgehen in jene Zeit, wo dies Alphabet nach Italien gelangte.

Erscheinen sonach die Etrusker als die Verbreiter des Alphabets im Norden, Osten und Süden der Halbinsel, so hat sich dagegen das latinische Alphabet auf Latium beschränkt und hier im ganzen mit geringen Veränderungen sich behauptet; nur fielen γ κ und ζ ς allmählich lautlich zusammen, wovon die Folge war, daß je eins der homophonen Zeichen (κ ζ) aus der Schrift verschwand. In Rom waren diese nachweislich schon vor dem Ende des vierten Jahrhunderts der Stadt beseitigtDies ist die 1, 227 angeführte Inschrift der Spange von Praeneste. Dagegen hat selbst schon auf der ficoronischen Kiste c den späteren Wert von κ. kennt sie nicht. Wer nun erwägt, daß in den ältesten Abkürzungen der Unterschied von γ c und κ k noch regelmäßig durchgeführt wirdWenn dies richtig ist, so muß die Entstehung der Homerischen Gedichte, wenn auch natürlich nicht gerade die der uns vorliegenden Redaktion, weit vor die Zeit fallen, in welche Herodot die Blüte des Homeros setzt (100 vor Rom 850); denn die Einführung des hellenischen Alphabets in Italien gehört wie der Beginn des Verkehrs zwischen Hellas und Italien selbst erst der nachhomerischen Zeit an.. Für das hohe Alter der Schreibkunst in Rom sprechen auch sonst zahlreiche und deutliche Spuren. Die Existenz von Urkunden aus der Königszeit ist hinreichend beglaubigt: so des Sondervertrags zwischen Gabii und Rom, den ein König Tarquinius, und schwerlich der letzte dieses Namens, abschloß, und der, geschrieben auf das Fell des dabei geopferten Stiers, in dem an Altertümern reichen, wahrscheinlich dem gallischen Brande entgangenen Tempel des Sancus auf dem Quirinal aufbewahrt ward; des Bündnisses, das König Servius Tullius mit Latium abschloß und das noch Dionysios auf einer kupfernen Tafel im Dianatempel auf dem Aventin sah – freilich wohl in einer nach dem Brand mit Hilfe eines latinischen Exemplars hergestellten Kopie, denn daß man in der Königszeit schon in Metall grub, ist nicht wahrscheinlich. Auf den Stiftungsbrief dieses Tempels beziehen sich noch die Stiftungsbriefe der Kaiserzeit als auf die älteste derartige römische Urkunde und das gemeinschaftliche Muster für alle. Aber schon damals ritzte man (exarare, scribere verwandt mit scrobesEbenso altsächsisch writan eigentlich reißen, dann schreiben. ) oder malte (linere, daher littera) auf Blätter (folium), Bast (liber) oder Holztafeln (tabula, albuni), später auch auf Leder und Leinen. Auf leinene Rollen waren die heiligen Urkunden der Samniten wie der anagninischen Priesterschaft geschrieben, ebenso die ältesten, im Tempel der Göttin der Erinnerung (Iuno moneta) auf dem Kapitol bewahrten Verzeichnisse der römischen Magistrate. Es wird kaum noch nötig sein, zu erinnern an das uralte Marken des Hutviehs (scriptura), an die Anrede im Senat „Väter und Eingeschriebene“ (patres conscripti), an das hohe Alter der Orakelbücher, der Geschlechtsregister, des albanischen und des römischen Kalenders. Wenn die römische Sage schon in der frühesten Zeit der Republik von Hallen am Markte spricht, in denen die Knaben und Mädchen der Vornehmen lesen und schreiben lernten, so kann das, aber muß nicht notwendig erfunden sein. Nicht die Unkunde der Schrift, vielleicht nicht einmal der Mangel an Dokumenten hat uns die Kunde der ältesten römischen Geschichte entzogen, sondern die Unfähigkeit der Historiker derjenigen Zeit, die zur Geschichtsforschung berufen war, die archivalischen Nachrichten zu verarbeiten, und ihre Verkehrtheit, für die älteste Epoche Schilderung von Motiven und Charakteren, Schlachtberichte und Revolutionserzählungen zu begehren und über deren Erfindung zu vernachlässigen, was die vorhandene schriftliche Überlieferung dem ernsten und entsagenden Forscher nicht verweigert haben würde.

Die Geschichte der italischen Schrift bestätigt also zunächst die schwache und mittelbare Einwirkung des hellenischen Wesens auf die Sabeller im Gegensatz zu den westlicheren Völkern. Daß jene das Alphabet von den Etruskern, nicht von den Römern empfingen, erklärt sich wahrscheinlich daraus, daß sie das Alphabet schon besaßen, als sie den Zug auf den Rücken des Apennin antraten, die Sabiner wie die Samniten also dasselbe schon vor ihrer Entlassung aus dem Mutterlande in ihre neuen Sitze mitbrachten. Andererseits enthält diese Geschichte der Schrift eine heilsame Warnung gegen die Annahme, welche die spätere, der etruskischen Mystik und Altertumströdelei ergebene römische Bildung aufgebracht hat und welche die neuere und neueste Forschung geduldig wiederholt, daß die römische Zivilisation ihren Keim und ihren Kern aus Etrurien entlehnt habe. Wäre dies wahr, so müßte hier vor allem eine Spur sich davon zeigen; aber gerade umgekehrt ist der Keim der latinischen Schreibkunst griechisch, ihre Entwicklung so national, daß sie nicht einmal das so wünschenswerte etruskische Zeichen für f sich angeeignet hatDas Rätsel, wie die Latiner dazu gekommen sind, das griechische dem v entsprechende Zeichen für das lautlich ganz verschiedene f zu verwenden, hat die Spange von Praeneste gelöst mit ihrem fhefhaked für fecit und damit zugleich die Herleitung des lateinischen Alphabets von den chalkidischen Kolonien Unteritaliens bestätigt. Denn in einer, demselben Alphabet angehörigen böotischen Inschrift findet sich in dem Worte fhekadamoe (Gustav Meyer, Griechische Grammatik, § 244 a. E.) dieselbe Lautverbindung, und ein aspiriertes v mochte allerdings dem lateinischen f lautlich sich nähern.. Ja wo Entlehnung sich zeigt, in den Zahlzeichen, sind es vielmehr die Etrusker, die von den Römern wenigstens das Zeichen für 50 übernommen haben.

Endlich ist es charakteristisch, daß in allen italischen Stämmen die Entwicklung des griechischen Alphabets zunächst in einer Verderbung desselben besteht. So sind die Mediae in den sämtlichen etruskischen Dialekten untergegangen, während die Umbrer γ d, die Samniten d, die Römer γ einbüßten und diesen auch d mit r zu verschmelzen drohte. Ebenso fielen den Etruskern schon früh o und u zusammen, und auch bei den Lateinern finden sich Ansätze derselben Verderbnis. Fast das Umgekehrte zeigt sich bei den Sibilanten; denn während der Etrusker die drei Zeichen z s sch festhält, der Umbrer zwar das letzte wegwirft, aber dafür zwei neue Sibilanten entwickelt, beschränkt sich der Samnite und der Falisker auf s und z gleich dem Griechen, der spätere Römer sogar auf s allein. Man sieht, die feineren Lautverschiedenheiten wurden von den Einführern des Alphabets, gebildeten und zweier Sprachen mächtigen Leuten, wohl empfunden; aber nach der völligen Lösung der nationalen Schrift von dem hellenischen Mutteralphabet fielen allmählich die Mediae und ihre Tenues zusammen und wurden die Sibilanten und Vokale zerrüttet, von welchen Lautverschiebungen oder vielmehr Lautzerstörungen namentlich die erste ganz ungriechisch ist. Die Zerstörung der Flexions- und Derivationsformen geht mit dieser Lautzerrüttung Hand in Hand. Die Ursache dieser Barbarisierung ist also im allgemeinen keine andere als die notwendige Verderbnis, welche an jeder Sprache fortwährend zehrt, wo ihr nicht literarisch und rationell ein Damm entgegengesetzt wird; nur daß von dem, was sonst spurlos vorübergeht, hier in der Lautschrift sich Spuren bewahrten. Daß diese Barbarisierung die Etrusker in stärkerem Maße erfaßte als irgendeinen der italischen Stämme, stellt sich zu den zahlreichen Beweisen ihrer minderen Kulturfähigkeit; wenn dagegen, wie es scheint, unter den Italikern am stärksten die Umbrer, weniger die Römer, am wenigsten die südlichen Sabeller von der gleichen Sprachverderbnis ergriffen wurden, so wird der regere Verkehr dort mit den Etruskern, hier mit den Griechen wenigstens mit zu dieser Erscheinung beigetragen haben.

15. Kapitel


15. Kapitel

Die Kunst

Dichtung ist leidenschaftliche Rede, deren bewegter Klang die Weise; insofern ist kein Volk ohne Poesie und Musik. Allein zu den poetisch vorzugsweise begabten Nationen gehörte und gehört die italienische nicht; es fehlt dem Italiener die Leidenschaft des Herzens, die Sehnsucht, das Menschliche zu idealisieren und das Leblose zu vermenschlichen, und damit das Allerheiligste der Dichtkunst. Seinem scharfen Blick, seiner anmutigen Gewandtheit gelingen vortrefflich die Ironie und der Novellenton, wie wir sie bei Horaz und bei Boccaccio finden, der launige Liebes- und Liederscherz, wie Catullus und die guten neapolitanischen Volkslieder ihn zeigen, vor allem die niedere Komödie und die Posse. Auf italischem Boden entstand in alter Zeit die parodische Tragödie, in neuer das parodische Heldengedicht. In der Rhetorik und Schauspielkunst vor allem tat und tut es den Italienern keine andere Nation gleich. Aber in den vollkommenen Kunstgattungen haben sie es nicht leicht über Fertigkeiten gebracht, und keine ihrer Literaturepochen hat ein wahres Epos und ein echtes Drama erzeugt. Auch die höchsten in Italien gelungenen literarischen Leistungen, göttliche Gedichte wie Dantes Commedia und Geschichtbücher wie Sallustius und Macchiavelli, Tacitus und Colletta sind doch von einer mehr rhetorischen als naiven Leidenschaft getragen. Selbst in der Musik ist in alter wie in neuer Zeit das eigentlich schöpferische Talent weit weniger hervorgetreten als die Fertigkeit, die rasch zur Virtuosität sich steigert und an der Stelle der echten und innigen Kunst ein hohles und herzvertrocknendes Idol auf den Thron hebt. Es ist nicht das innerliche Gebiet, insoweit in der Kunst überhaupt ein Innerliches und ein Äußerliches unterschieden werden kann, das dem Italiener als eigene Provinz anheimgefallen ist; die Macht der Schönheit muß, um voll auf ihn zu wirken, nicht im Ideal vor seine Seele, sondern sinnlich ihm vor die Augen gerückt werden. Darum ist er denn auch in den bauenden und bildenden Künsten recht eigentlich zu Hause und darin in der alten Kulturepoche der beste Schüler des Hellenen, in der neuen der Meister aller Nationen geworden.

Es ist bei der Lückenhaftigkeit unserer Überlieferung nicht möglich, die Entwicklung der künstlerischen Ideen bei den einzelnen Völkergruppen Italiens zu verfolgen; und namentlich läßt sich nicht mehr von der italischen Poesie reden, sondern nur von der Poesie Latiums. Die latinische Dichtkunst ist wie jede andere ausgegangen von der Lyrik oder vielmehr von dem ursprünglichen Festjubel, in welchem Tanz, Spiel und Lied noch in ungetrennter Einheit sich durchdringen. Es ist dabei bemerkenswert, daß in den ältesten Religionsgebräuchen der Tanz und demnächst das Spiel weit entschiedener hervortreten als das Lied. In dem großen Feierzug, mit dem das römische Siegesfest eröffnet ward, spielten nächst den Götterbildern und den Kämpfern die vornehmste Rolle die ernsten und die lustigen Tänzer: jene geordnet in drei Gruppen, der Männer, der Jünglinge und der Knaben, alle in roten Röcken mit kupfernem Leibgurt, mit Schwertern und kurzen Lanzen, die Männer überdies behelmt, überhaupt in vollem Waffenschmuck; diese in zwei Scharen geteilt, der Schafe in Schafpelzen mit buntem Überwurf, der Böcke nackt bis auf den Schurz mit einem Ziegenfell als Umwurf. Ebenso waren vielleicht die älteste und heiligste von allen Priesterschaften die „Springer“ und durften die Tänzer (ludii, ludiones) überhaupt bei keinem öffentlichen Aufzug und namentlich bei keiner Leichenfeier fehlen, weshalb denn der Tanz schon in alter Zeit ein gewöhnliches Gewerbe ward. Wo aber die Tänzer erscheinen, da stellen auch die Spielleute oder, was in ältester Zeit dasselbe ist, die Flötenbläser sich ein. Auch sie fehlen bei keinem Opfer, bei keiner Hochzeit und bei keinem Begräbnis, und neben der uralten öffentlichen Priesterschaft der Springer steht gleich alt, obwohl im Range bei weitem niedriger, die Pfeifergilde (collegium tibicinum, 1, 205), deren echte Musikantenart bezeugt wird durch das alte und selbst der strengen römischen Polizei zum Trotz behauptete Vorrecht, an ihrem Jahresfest maskiert und süßen Weines voll auf den Straßen sich herumzutreiben. Wenn also der Tanz als ehrenvolle Verrichtung, das Spiel als untergeordnete, aber notwendige Tätigkeit auftritt und darum öffentliche Genossenschaften für beide bestellt sind, so erscheint die Dichtung mehr als ein Zufälliges und gewissermaßen Gleichgültiges, mochte sie nun für sich entstehen oder dem Tänzer zur Begleitung seiner Sprünge dienen.

Den Römern galt als das älteste dasjenige Lied, das in der grünen Waldeseinsamkeit die Blätter sich selber singen. Was der „günstige Geist“ (faunus, von favere) im Haine flüstert und flötet, das verkünden die, denen es gegeben ist, ihm zu lauschen, den Menschen wieder in rhythmisch gemessener Rede (casmen, später carmen, von canere). Diesen weissagenden Gesängen der vom Gott ergriffenen Männer und Frauen (vates) verwandt sind die eigentlichen Zaubersprüche, die Besprechungsformeln gegen Krankheiten und anderes Ungemach und die bösen Lieder, durch welche man dem Regen wehrt und den Blitz herabruft oder auch die Saat von einem Feld auf das andere lockt; nur daß in diesen wohl von Haus aus neben den Wort- auch reine Klangformeln erscheinenSo gibt der ältere Cato (agr. 160) als kräftig gegen Verrenkungen den Spruch: hauat hauat hauat ista pista sista damia bodannaustra, der vermutlich seinem Erfinder ebenso dunkel war, wie er es uns ist. Natürlich finden sich daneben auch Wortformeln; so z. B. hilft es gegen Gicht, wenn man nüchtern eines andern gedenkt und dreimal neunmal, die Erde berührend und ausspuckend, die Worte spricht: „Ich denke dein, hilf meinen Füßen. Die Erde empfange das Unheil, Gesundheit sei mein Teil“ (terra pestem teneto, salus hic maneto. Varro rust. 1, 2, 27).. Fester überliefert und gleich uralt sind die religiösen Litaneien, wie die Springer und andere Priesterschaften sie sangen und tanzten und von denen die einzige bis auf uns gekommene, ein wahrscheinlich als Wechselgesang gedichtetes Tanzlied der Ackerbrüder zum Preise des Mars, wohl auch hier eine Stelle verdient:

Enos, Lases, iuvate!
Ne velue rue, Marmar, sins incurrere in pleores!
Satur fu, fere Mars! Timen sali! sta! berber!
Semunis alternei advocapit conctos!
Enos, Marmar, invato!
Triumpe!
Nos, Lares, iuvate! Ne veluem (= malam luem) ruem (= ruinam), Mamers, sinas incurrere in plures! Satur esto, fere Mars! In limen insili! sta! verbera (limen?)! Semones alterni advocate cunctos! Nos, Mamers, iuvato! Tripudia! Die ersten fünf Zeilen werden je dreimal, der Schlußruf fünfmal wiederholt. Die Übersetzung ist vielfach unsicher, besonders der dritten Zeile.

Die drei Inschriften des Tongefäßes vom Quirinal lauten: ioue sat deiuosqoi med mitat nei ted endo gosmis uirgo sied – asted noisi ope toitesiai pakariuois – duenos med feked (= onus me fecit) enmanom einom dze noine (wahrscheinlich = die noni) med malo statod. Sicher verständlich sind nur einzelne Wörter; bemerkenswert vor allem, daß Formen, die wir bisher nur als umbrische und oskische kannten, wie das Adjektiv pacer und die Partikel einom im Wert von et, hier wahrscheinlich doch als altlateinische uns entgegentreten.

 

Uns, Laren, helfet!

an die Götter

Nicht Sterben und Verderben, Mars, Mars,

 

laß einstürmen auf mehrere.

 

Satt sei, grauser Mars!

an die einzelnen

Auf die Schwelle springe! stehe! tritt sie!

Brüder

 

an alle

 

Brüder

Den Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen

an den Gott

Uns, Mars, Mars, hilf!

an die einzelnen

Springe!

Brüder

 

 

Das Latein dieses Liedes und der verwandten Bruchstücke der Baliarischen Gesänge, welche schon den Philologen der augustischen Zeit als die ältesten Urkunden ihrer Muttersprache galten, verhält sich zu dem Latein der Zwölf Tafeln etwa wie die Sprache der Nibelungen zu der Sprache Luthers; und wohl dürfen wir der Sprache wie dem Inhalt nach diese ehrwürdigen Litaneien den indischen Veden vergleichen.

Schon einer jüngeren Epoche gehören die Lob- und Schimpflieder an. Daß es in Latium der Spottlieder schon in alten Zeiten im Überfluß gab, würde sich aus dem Volkscharakter der Italiener abnehmen lassen, auch wenn nicht die sehr alten polizeilichen Maßnahmen dagegen es ausdrücklich bezeugten. Wichtiger aber wurden die Lobgesänge. Wenn ein Bürger zur Bestattung weggetragen ward, so folgte der Bahre eine ihm anverwandte oder befreundete Frau und sang ihm unter Begleitung eines Flötenspielers das Leichenlied (nenia). Desgleichen wurden bei dem Gastmahl von den Knaben, die nach der damaligen Sitte die Väter auch zum Schmaus außer dem eigenen Hause begleiteten, Lieder zum Lobe der Ahnen abwechselnd bald ebenfalls zur Flöte gesungen, bald auch ohne Begleitung bloß gesagt (assa voce canere). Daß auch die Männer bei dem Gastmahl der Reihe nach sangen, ist wohl erst spätere vermutlich den Griechen entlehnte Sitte. Genaueres wissen wir von diesen Ahnenliedern nicht; aber es versteht sich, daß sie schilderten und erzählten und insofern neben und aus dem lyrischen Moment der Poesie das epische entwickelten.

Andere Elemente der Poesie waren tätig in dem uralten, ohne Zweifel über die Scheidung der Stämme zurückreichenden Volkskarneval, dem lustigen Tanz oder der Satura (I, 44). Der Gesang wird dabei nie gefehlt haben; es lag aber in den Verhältnissen, daß bei diesen vorzugsweise an Gemeindefesten und den Hochzeiten aufgeführten und gewiß vorwiegend praktischen Späßen leicht mehrere Tänzer oder auch mehrere Tänzerscharen ineinander griffen und der Gesang eine gewisse Handlung in sich aufnahm, welche natürlich überwiegend einen scherzhaften und oft einen ausgelassenen Charakter trug. So entstanden hier nicht bloß die Wechsellieder, wie sie später unter dem Namen der fescenninischen Gesänge auftreten, sondern auch die Elemente einer volkstümlichen Komödie, die bei dem scharfen Sinn der Italiener für das Äußerliche und das Komische und bei ihrem Behagen an Gestenspiel und Verkleidung auf einen vortrefflich geeigneten Boden gepflanzt war.

Erhalten ist nichts von diesen Inkunabeln des römischen Epos und Drama. Daß die Ahnenlieder traditionell waren, versteht sich von selbst und wird zum Überfluß dadurch bewiesen, daß sie regelmäßig von Kindern vorgetragen wurden; aber schon zu des älteren Cato Zeit waren dieselben vollständig verschollen. Die Komödien aber, wenn man den Namen gestatten will, sind in dieser Epoche und noch lange nachher durchaus improvisiert worden. Somit konnte von dieser Volkspoesie und Volksmelodie nichts fortgepflanzt werden als das Maß, die musikalische und chorische Begleitung und vielleicht die Masken.

Ob es in ältester Zeit das gab, was wir Versmaß nennen, ist zweifelhaft; die Litanei der Arvalbrüder fügt sich schwerlich einem äußerlich fixierten metrischen Schema und erscheint uns mehr als eine bewegte Rezitation. Dagegen begegnet in späterer Zeit eine uralte Weise, das sogenannte saturnischeDer Name bezeichnet wohl nichts als das „Liedermaß“, insofern die sătura ursprünglich das beim Karneval gesungene Lied ist. Von demselben Stamm ist auch der Säegott Saeturnus oder Saiturnus, später Sāturnus benannt; sein Fest, die Saturnalien, ist allerdings eine Art Karneval, und es ist möglich, daß die Possen ursprünglich vorzugsweise an diesem aufgeführt wurden. Aber Beweise einer Beziehung der Satura zu den Saturnauen fehlen, und vermutlich gehört die unmittelbare Verknüpfung des versus sāturnius mit dem Gott Saturnus und die damit zusammenhängende Dehnung der ersten Silbe erst der späteren Zeit an. oder faunische Maß, welches den Griechen fremd ist und vermutlich gleichzeitig mit der ältesten latinischen Volkspoesie entstand. Das folgende, freilich einer weit späteren Zeit angehörende Gedicht mag von demselben eine Vorstellung geben.

Quod ré suá difeídens – ásperé afleícta
Paréns timéns heíc vóvit – vóto hóc soúto
Decumá factá poloúcta – leíbereís lubéntes
Donú danúnt –
Hércolei – m áxsumé – méreto
Semól te oránt se vóti – crébro cóndémnes

Was, Mißgeschick befürchtend – schwer betroffnem Wohlstand,
Sorgvoll der Ahn gelobt hier, – des Gelöbnis eintraf,
Zu Weih‘ und Schmaus den Zehnten – bringen gern die Kinder
Dem Hercoles zur Gabe – dar, dem hochverdienten;
Sie flehn zugleich dich an, daß – oft du sie erhörest.

In saturnischer Weise scheinen die Lob- wie die Scherzlieder gleichmäßig gesungen worden zu sein, zur Flöte natürlich und vermutlich so, daß namentlich der Einschnitt in jeder Zeile scharf angegeben ward, bei Wechselliedern hier auch wohl der zweite Sänger den Vers aufnahm. Es ist die saturnische Messung, wie jede andere im römischen und griechischen Altertum vorkommende, quantitativer Art, aber wohl unter allen antiken Versmaßen sowohl das am mindesten durchgebildete, da es außer anderen mannigfaltigen Lizenzen sich die Weglassung der Senkungen im weitesten Umfang gestattet, als auch das der Anlage nach unvollkommenste, indem diese einander entgegengesetzten iambischen und trochäischen Halbzeilen wenig geeignet sind, einen für höhere poetische Leistungen genügenden rhythmischen Bau zu entwickeln.

Die Grundelemente der volkstümlichen Musik und Choreutik Latiums, die ebenfalls in dieser Zeit sich festgestellt haben müssen, sind für uns verschollen; außer daß uns von der latinischen Flöte berichtet wird als einem kurzen und dünnen, nur mit vier Löchern versehenen, ursprünglich, wie der Name zeigt, aus einem leichten Tierschenkelknochen verfertigten musikalischen Instrument.

Daß endlich die späteren stehenden Charaktermasken der latinischen Volkskomödie oder der sogenannten Atellane: Maccus der Harlekin, Bucco der Vielfraß, Pappus der gute Papa, der weise Dossennus – Masken, die man so artig wie schlagend mit den beiden Bedienten, dem Pantalon und dem Dottore der italienischen Pulcinellkomödie verglichen hat –, daß diese Masken bereits der ältesten latinischen Volkskunst angehören, läßt sich natürlich nicht eigentlich beweisen; da aber der Gebrauch der Gesichtsmasken in Latium für die Volksbühne von unvordenklichem Alter ist, während die griechische Bühne in Rom erst ein Jahrhundert nach ihrer Begründung dergleichen Masken an nahm, da jene Atellanenmasken ferner entschieden italischen Ursprungs sind und da endlich die Entstehung wie die Durchführung improvisierter Kunstspiele ohne feste, dem Spieler seine Stellung im Stück ein für allemal zuweisende Masken nicht wohl denkbar ist, so wird man die festen Masken an die Anfänge des römischen Schauspiels anknüpfen oder vielmehr sie als diese Anfänge selbst betrachten dürfen.

Wenn unsere Kunde über die älteste einheimische Bildung und Kunst von Latium spärlich fließt, so ist es begreiflich, daß wir noch weniger wissen über die frühesten Anregungen, die hier den Römern von außen her zuteil wurden. In gewissem Sinn kann schon die Kunde der ausländischen, namentlich der griechischen Sprache hierher gezählt werden, welche letztere den Latinern natürlich im allgemeinen fremd war, wie dies schon die Anordnung hinsichtlich der Sibyllinischen Orakel beweist, aber doch unter den Kaufleuten nicht gerade selten gewesen sein kann; und dasselbe wird zu sagen sein von der eng mit der Kunde des Griechischen zusammenhängenden Kenntnis des Lesens und Schreibens. Indes die Bildung der antiken Welt ruhte weder auf der Kunde fremder Sprachen noch auf elementaren technischen Fertigkeiten; wichtiger als jene Mitteilungen wurden für die Entwicklung Latiums die musischen Elemente, die sie bereits in frühester Zeit von den Hellenen empfingen. Denn lediglich die Hellenen und weder Phöniker noch Etrusker sind es gewesen, welche in dieser Beziehung eine Einwirkung auf die Italiker übten; nirgends begegnet bei den letzteren eine musische Anregung, die auf Karthago oder Caere zurückwiese, und es darf wohl überhaupt die phönikische wie die etruskische den Bastard- und darum auch nicht weiterzeugenden Formen der Zivilisation zugezählt werdenDen Gebrauch der Leier im Ritual bezeugen Cic. De orat. 3, 51,197; Cic. Tusc. 4, 2, 4; Dion. Hal. 7, 72; App. Pun. 66 und die Inschrift Orelli 2448, vgl. 1803. Ebenso ward sie bei den Nenien angewandt (Varro bei Nonius unter nenia und praeficae). Aber das Leierspiel blieb darum nicht weniger unschicklich (Scipio bei Macr. Sat. 2, 10 und sonst); von dem Verbot der Musik im Jahre 639 wurden nur der „latinische Flötenspieler samt dem Sängern, nicht der Saitenspieler ausgenommen, und die Gäste bei dem Mahle sangen nur zur Flöte (Cato bei Cic. Tusc. 1, 2, 3; 4, 2, 3; Varro bei Nonius unter assa voce; Hor. carm. 4, 15, 30). Quintilian, der das Gegenteil sagt (inst. 1, 10, 20), hat, was Cicero (De orat. 3, 51) von den Götterschmäusen erzählt, ungenau auf Privatgastmähler übertragen.. Daß von dem Sagenschatz der Griechen bereits in dieser Zeit nach Latium floß, zeigt schon die bereitwillige Aufnahme der griechischen Bildwerke mit ihren durchaus auf dem poetischen Schaue der Nation ruhenden Darstellungen; und auch die altlatinischen Barbarisierungen der Persephone in Prosepna, des Bellerophontes in Melerpanta, des Kyklops in Codes, des Laomedon in Alumentus, des Ganymedes in Catamitus, des Neilos in Melus, der Semele in Stimula lassen erkennen, in wie ferner Zeit schon solche Erzählungen von Latinern vernommen und wiederholt worden sind. Endlich aber und vor allem kann das römische Haupt- und Stadtfest (ludi maximi, Romani) wo nicht seine Entstehung, doch seine spätere Einrichtung nicht wohl anders als unter griechischem Einfluß erhalten haben. Es ward als außerordentliche Dankfeier, regelmäßig auf Grund eines von dem Feldherrn vor der Schlacht getanen Gelübdes und darum gewöhnlich bei der Heimkehr der Bürgerwehr im Herbst, dem kapitolinischen Jupiter und den mit ihm zusammen hausenden Göttern ausgerichtet. Im Festzuge begab man sich nach dem zwischen Palatin und Aventin abgesteckten und mit einer Arena und Zuschauerplätzen versehenen Rennplatz: voran die ganze Knabenschaft Roms, geordnet nach den Abteilungen der Bürgerwehr zu Pferde und zu Fuß; sodann die Kämpfer und die früher beschriebenen Tänzergruppen, jede mit der ihr eigenen Musik; hierauf die Diener der Götter mit den Weihrauchfässern und dem anderen heiligen Gerät; endlich die Bahren mit den Götterbildern selbst. Das Schaufest selbst war das Abbild des Krieges, wie er in ältester Zeit gewesen, der Kampf zu Wagen, zu Roß und zu Fuß. Zuerst liefen die Streitwagen, deren jeder nach homerischer Art einen Wagenlenker und einen Kämpfer trug, darauf die abgesprungenen Kämpfer, alsdann die Reiter, deren jeder nach römischer Fechtart mit einem Reit- und einem Handpferd erschien (desultor); endlich maßen die Kämpfer zu Fuß, nackt bis auf einen Gürtel um die Hüften, sich miteinander im Wettlauf, im Ringen und im Faustkampf. In jeder Gattung der Wettkämpfe ward nur einmal und zwischen nicht mehr als zwei Kämpfern gestritten. Den Sieger lohnte der Kranz, und wie man den schlichten Zweig in Ehren hielt, beweist die gesetzliche Gestattung, ihm denselben, wenn er starb, auf die Bahre zu legen. Das Fest dauerte also nur einen Tag, und wahrscheinlich ließen die Wettkämpfe an diesem selbst noch Zeit genug für den eigentlichen Karneval, wobei denn die Tänzergruppen ihre Kunst und vor allem ihre Possen entfaltet haben mögen und wohl auch andere Darstellungen, zum Beispiel Kampfspiele der Knabenreiterei, ihren Platz fandenDas Stadtfest kann ursprünglich nur einen Tag gewährt haben, da es noch im sechsten Jahrhundert aus vier Tagen szenischer und einem Tag circensischer Spiele bestand (F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) und notorisch die szenischen Spiele erst später hinzugekommen sind. Daß in jeder Kampfgattung ursprünglich nur einmal gestritten ward, folgt aus Liv. 44, 9; wenn später an einem Spieltag bis zu fünfundzwanzig Wagenpaare nacheinander liefen (Varro bei Serv. georg. 3, 18), so ist das Neuerung. Daß nur zwei Wagen und ebenso ohne Zweifel nur zwei Reiter und zwei Ringer um den Preis stritten, folgt daraus, daß zu allen Zeiten in den römischen Wagenrennen nur so viel Wagen zugleich liefen, als es sogenannte Faktionen gab und dieser ursprünglich nur zwei waren, die weiße und die rote. Das zu den circensischen gehörende Reiterspiel der patrizischen Epheben, die sogenannte Troia, ward bekanntlich von Caesar wieder ins Leben gerufen; ohne Zweifel knüpfte es an den Aufzug der Knabenbürgerwehr zu Pferde, dessen Dionys (7, 72) gedenkt. . Auch die im ernsten Kriege gewonnenen Ehren spielten bei diesem Feste eine Rolle; der tapfere Streiter stellte an diesem Tage die Rüstungen der erschlagenen Gegner aus und trug ebenso wie der Sieger im Wettspiel den Kranz, mit dem die dankbare Gemeinde ihn geschmückt hatte.

Solcher Art war das römische Sieges- oder Stadtfest, und auch die übrigen öffentlichen Festlichkeiten Roms werden wir uns ähnlich, wenn auch in den Mitteln beschränkter vorzustellen haben. Bei der öffentlichen Leichenfeier traten regelmäßig Tänzer und daneben, wenn mehr geschehen sollte, noch Wettreiter auf, wo dann die Bürgerschaft durch den öffentlichen Ausrufer vorher besonders zu dem Begräbnis eingeladen ward.

Aber dieses mit den Sitten und den Übungen Roms so eng verwachsene Stadtfest trifft mit den hellenischen Volksfesten wesentlich zusammen: so vor allem in dem Grundgedanken der Vereinigung einer religiösen Feier und eines kriegerischen Wettkampfs; in der Auswahl der einzelnen Übungen, die bei dem Fest von Olympia nach Pindaros‘ Zeugnis von Haus aus im Laufen, Ringen, Faustkampf, Wagenrennen, Speer- und Steinwerfen bestanden; in der Beschaffenheit des Siegespreises, der in Rom so gut wie bei den griechischen Nationalfesten ein Kranz ist und dort wie hier nicht dem Lenker, sondern dem Besitzer des Gespannes zuteil wird; endlich in dem Hineinziehen allgemein patriotischer Taten und Belohnungen in das allgemeine Volksfest. Zufällig kann diese Übereinstimmung nicht sein, sondern nur entweder ein Rest uralter Volksgemeinschaft oder eine Folge des ältesten internationalen Verkehrs; für die letztere Annahme spricht die überwiegende Wahrscheinlichkeit. Das Stadtfest in der Gestalt, wie wir es kennen, ist keine der ältesten Einrichtungen Roms, da der Spielplatz selbst erst zu den Anlagen der späteren Königszeit gehört (I, 123); und so gut wie die Verfassungsreform damals unter griechischem Einfluß erfolgt ist (I, 109), kann gleichzeitig im Stadtfest eine ältere Belustigungsweise – der „Sprung“ (triumpus, 1, 44) und etwa das in Italien uralte und bei dem Fest auf dem Albaner Berg noch lange in Übung gebliebene Schaukeln – mit den griechischen Rennen verbunden und bis zu einem gewissen Grade durch dieselben verdrängt worden sein. Es ist ferner von dem ernstlichen Gebrauch der Streitwagen wohl in Hellas, aber nicht in Latium eine Spur vorhanden. Endlich ist das griechische Stadion (dorisch σπάδιον) als spatium mit der gleichen Bedeutung in sehr früher Zeit in die lateinische Sprache übergegangen und liegt sogar ein ausdrückliches Zeugnis dafür vor, daß die Römer die Pferde- und Wagenrennen von den Thurinern entlehnten, wogegen freilich eine andere Angabe sie aus Etrurien herleitet. Demnach scheinen die Römer außer den musikalischen und poetischen Anregungen auch den fruchtbaren Gedanken des gymnastischen Wettstreits den Hellenen zu verdanken.

Es waren also in Latium nicht bloß dieselben Grundlagen vorhanden, aus denen die hellenische Bildung und Kunst erwuchs, sondern es hat auch diese selbst in frühester Zeit mächtig auf Latium gewirkt. Die Elemente der Gymnastik besaßen die Latiner nicht bloß insofern, als der römische Knabe wie jeder Bauernsohn Pferde und Wagen regieren und den Jagdspieß führen lernte und als in Rom jeder Gemeindebürger zugleich Soldat war; sondern es genoß die Tanzkunst von jeher öffentlicher Pflege, und früh trat mit den hellenischen Wettkämpfen eine gewaltige Anregung hinzu. In der Poesie war die hellenische Lyrik und Tragödie aus ähnlichen Gesängen erwachsen, wie das römische Festlied sie darbot, enthielt das Ahnenlied die Keime des Epos, die Maskenposse die Keime der Komödie; und auch hier mangelte griechische Einwirkung nicht.

Um so merkwürdiger ist es, daß alle diese Samenkörner nicht aufgingen oder verkümmerten. Die körperliche Erziehung der latinischen Jugend blieb derb und tüchtig, aber fern von dem Gedanken einer künstlerischen Ausbildung des Körpers, wie die hellenische Gymnastik sie verfolgte. Die öffentlichen Wettkämpfe der Hellenen veränderten in Italien nicht gerade ihre Satzungen, aber ihr Wesen. Während sie Wettkämpfe der Bürger sein sollten und ohne Zweifel anfangs auch in Rom waren, wurden sie Wettkämpfe von Kunstreitern und Kunstfechtern; und wenn der Beweis freier und hellenischer Abstammung die erste Bedingung der Teilnahme an den griechischen Festspielen war, so kamen die römischen bald in die Hände von freigelassenen und fremden, ja selbst von unfreien Leuten. Folgeweise verwandelte sich der Umstand der Mitstreiter in ein Zuschauerpublikum, und von dem Kranz des Wettsiegers, den man mit Recht das Wahrzeichen von Hellas genannt hat, ist in Latium späterhin kaum die Rede.

Ähnlich erging es der Poesie und ihren Schwestern. Nur die Griechen und die Deutschen besitzen den freiwillig hervorsprudelnden Liederquell; aus der goldenen Schale der Musen sind auf Italiens grünen Boden eben nur wenige Tropfen gefallen. Zur eigentlichen Sagenbildung kam es nicht. Die italischen Götter sind Abstraktionen gewesen und geblieben und haben nie zu rechter persönlicher Gestaltung sich gesteigert oder, wenn man will, verdunkelt. Ebenso sind die Menschen, auch die größten und herrlichsten, dem Italiker ohne Ausnahme Sterbliche geblieben und wurden nicht wie in Griechenland in sehnsüchtiger Erinnerung und liebevoll gepflegter Überlieferung in der Vorstellung der Menge zu göttergleichen Heroen erhoben. Vor allem aber kam es in Latium nicht zur Entwicklung einer Nationalpoesie. Es ist die tiefste und herrlichste Wirkung der musischen Künste und vor allem der Poesie, daß sie die Schranken der bürgerlichen Gemeinden sprengen und aus den Stämmen ein Volk, aus den Völkern eine Welt erschaffen. Wie heutzutage in unserer und durch unsere Weltliteratur die Gegensätze der zivilisierten Nationen aufgehoben sind, so hat die griechische Dichtkunst das dürftige und egoistische Stammgefühl zum hellenischen Volksbewußtsein und dieses zum Humanismus umgewandelt. Aber in Latium trat nichts Ähnliches ein; es mochte Dichter in Alba und in Rom geben, aber es entstand kein latinisches Epos, nicht einmal, was eher noch denkbar wäre, ein latinischer Bauernkatechismus von der Art wie die Hesiodischen ‚Werke und Tage‘. Es konnte wohl das latinische Bundesfest ein musisches Nationalfest werden wie die Olympien und Isthmien der Griechen. Es konnte wohl an Albas Fall ein Sagenkreis anknüpfen, wie er um Ilions Eroberung sich spann, und jede Gemeinde und jedes edle Geschlecht Latiums seine eigenen Anfänge darin wiederfinden oder hineinlegen. Aber weder das eine noch das andere geschah und Italien blieb ohne nationale Poesie und Kunst.

Was hieraus mit Notwendigkeit folgt, daß die Entwicklung der musischen Künste in Latium mehr ein Eintrocknen als ein Aufblühen war, das bestätigt, auch für uns noch unverkennbar, die Überlieferung. Die Anfänge der Poesie eignen wohl überall mehr den Frauen als den Männern; Zaubergesang und Totenlied gehören vorzugsweise jenen und nicht ohne Grund sind die Liedesgeister, die Casmenen oder Camenen und die Carmentis Latiums, wie die Musen von Hellas weiblich gefaßt worden. Aber in Hellas kam die Zeit, wo der Dichter die Sangfrau ablöste und Apollon an die Spitze der Musen trat; Latium hat keinen nationalen Gott des Gesanges und die ältere lateinische Sprache keine Bezeichnung für den DichterVates ist wohl zunächst der Vorsänger (denn so wird der vates der Salier zu fassen sein) und nähert sich dann im älteren Sprachgebrauch dem griechischen προφήτης: es ist ein dem religiösen Ritual angehörendes Wort und hat, auch als es später vom Dichter gebraucht ward, immer den Nebenbegriff des gotterfüllten Sängers, des Musenpriesters, behalten.. Die Liedesmacht ist hier unverhältnismäßig schwächer aufgetreten und rasch verkümmert. Die Übung musischer Künste hat sich hier früh teils auf Frauen und Kinder, teils auf zünftige und unzünftige Handwerker beschränkt. Daß die Klagelieder von den Frauen, die Tischlieder von den Knaben gesungen wurden, ist schon erwähnt worden; auch die religiösen Litaneien wurden vorzugsweise von Kindern ausgeführt. Die Spielleute bildeten ein zünftiges, die Tänzer und die Klagefrauen (praeficae) unzünftige Gewerbe. Wenn Tanz, Spiel und Gesang in Hellas stets blieben, was sie auch in Latium ursprünglich gewesen waren, ehrenvolle und dem Bürger wie seiner Gemeinde zur Zier gereichende Beschäftigungen, so zog sich in Latium der bessere Teil der Bürgerschaft mehr und mehr von diesen eitlen Künsten zurück, und um so entschiedener, je mehr die Kunst sich öffentlich darstellte und je mehr sie von den belebenden Anregungen des Auslandes durchdrungen war. Die einheimische Flöte ließ man sich gefallen, aber die Lyra blieb geächtet; und wenn das nationale Maskenspiel zugelassen ward, so schien das ausländische Ringspiel nicht bloß gleichgültig, sondern schändlich. Während die musischen Künste in Griechenland immer mehr Gemeingut eines jeden einzelnen und aller Hellenen zusammen werden und damit aus ihnen eine allgemeine Bildung sich entwickelt, schwinden sie in Latium allgemach aus dem allgemeinen Volksbewußtsein, und indem sie zu in jeder Beziehung geringen Handwerken herabsinken, kommt hier nicht einmal die Idee einer der Jugend mitzuteilenden, allgemein nationalen Bildung auf. Die Jugenderziehung blieb durchaus befangen in den Schranken der engsten Häuslichkeit. Der Knabe wich dem Vater nicht von der Seite und begleitete ihn nicht bloß mit dem Pfluge und der Sichel auf das Feld, sondern auch in das Haus des Freundes und in den Sitzungssaal, wenn der Vater zu Gaste oder in den Rat geladen war. Diese häusliche Erziehung war wohl geeignet, den Menschen ganz dem Hause und ganz dem Staate zu bewahren; auf der dauernden Lebensgemeinschaft zwischen Vater und Sohn und auf der gegenseitigen Scheu des werdenden Menschen vor dem fertigen und des reifen Mannes vor der Unschuld der Jugend beruhte die Festigkeit der häuslichen und staatlichen Tradition, die Innigkeit des Familienbandes, überhaupt der gewichtige Ernst (gravitas) und der sittliche und würdige Charakter des römischen Lebens. Wohl war auch diese Jugenderziehung eine jener Institutionen schlichter und ihrer selbst kaum bewußter Weisheit, die ebenso einfach sind wie tief; aber über der Bewunderung, die sie erweckt, darf es nicht übersehen werden, daß sie nur durchgeführt werden konnte und nur durchgeführt ward durch die Aufopferung der eigentlichen individuellen Bildung und durch völligen Verzicht auf die so reizenden wie gefährlichen Gaben der Musen.

Über die Entwicklung der musischen Künste bei den Etruskern und Sabellern mangelt uns so gut wie jede KundeDaß die Atellanen und Fescenninen nicht der kampanischen und etruskischen, sondern der latinischen Kunst angehören, wird seiner Zeit gezeigt werden.. Es kann höchstens erwähnt werden, daß auch in Etrurien die Tänzer (histri, histriones) und die Flötenspieler (subulones) früh und wahrscheinlich noch früher als in Rom aus ihrer Kunst ein Gewerbe machten und nicht bloß in der Heimat, sondern auch in Rom um geringen Lohn und keine Ehre sich öffentlich produzierten. Bemerkenswerter ist es, daß an dem etruskischen Nationalfest, welches die sämtlichen Zwölfstädte durch einen Bundespriester ausrichteten, Spiele wie die des römischen Stadtfestes gegeben wurden; indes die dadurch nahegelegte Frage, inwieweit die Etrusker mehr als die Latiner zu einer nationalen, über den einzelnen Gemeinden stehenden musischen Kunst gelangt sind, sind wir zu beantworten nicht mehr imstande. Anderseits mag wohl in Etrurien schon in früherer Zeit der Grund gelegt sein zu der geistlosen Ansammlung gelehrten, namentlich theologischen und astrologischen Plunders, durch den die Tusker späterhin, als in dem allgemeinen Verfall die Zopfgelehrsamkeit zur Blüte kam, mit den Juden, Chaldäern und Ägyptern die Ehre teilten, als Urquell göttlicher Weisheit angestaunt zu werden.

Womöglich noch weniger wissen wir von sabellischer Kunst; woraus natürlich noch keineswegs folgt, daß sie der der Nachbarstämme nachgestanden hat. Vielmehr läßt sich nach dem sonst bekannten Charakter der drei Hauptstämme vermuten, daß an künstlerischer Begabung die Samniten den Hellenen am nächsten, die Etrusker ihnen am fernsten gestanden haben mögen; und eine gewisse Bestätigung dieser Annahme gewährt die Tatsache, daß die bedeutendsten und eigenartigsten unter den römischen Poeten, wie Naevius, Ennius, Lucilius, Horatius, den samnitischen Landschaften angehören, wogegen Etrurien in der römischen Literatur fast keine anderen Vertreter hat als den Arretiner Maecenas, den unleidlichsten aller herzvertrockneten und worteverkräuselnden Hofpoeten, und den Volaterraner Persius, das rechte Ideal eines hoffärtigen und mattherzigen, der Poesie beflissenen Jungen.

Die Elemente der Baukunst sind, wie dies schon angedeutet ward, uraltes Gemeingut der Stämme. Den Anfang aller Tektonik macht das Wohnhaus; es ist dasselbe bei Griechen und Italikern. Von Holz gebaut und mit einem spitzen Stroh- oder Schindeldach bedeckt, bildet es einen viereckigen Wohnraum, welcher durch die mit dem Regenloch im Boden korrespondierende Deckenöffnung (cavum aedium) den Rauch entläßt und das Licht einführt. Unter dieser „schwarzen Decke“ (atrium) werden die Speisen bereitet und verzehrt; hier werden die Hausgötter verehrt und das Ehebett wie die Bahre aufgestellt; hier empfängt der Mann die Gäste und sitzt die Frau spinnend im Kreise ihrer Mägde. Das Haus hatte keinen Flur, insofern man nicht den unbedeckten Raum zwischen der Haustür und der Straße dafür nehmen will, welcher seinen Namen vestibulum, das ist der Ankleideplatz, davon erhielt, daß man im Hause im Untergewand zu gehen pflegte und nur, wenn man hinaustrat, die Toga umwarf. Auch eine Zimmereinteilung mangelte, außer daß um den Wohnraum herum Schlaf- und Vorratskammern angebracht werden konnten; und an Treppen und aufgesetzte Stockwerke ist noch weniger zu denken.

Ob und wieweit aus diesen Anfängen eine national-italische Tektonik hervorging, ist kaum zu entscheiden, da die griechische Einwirkung schon in der frühesten Zeit hier übermächtig eingegriffen und die etwa vorhandenen volkstümlichen Anfänge fast ganz überwuchert hat. Schon die älteste italische Baukunst, welche uns bekannt ist, steht nicht viel weniger unter dem Einfluß der griechischen als die Tektonik der augustischen Zeit. Die uralten Gräber von Caere und Alsium sowie wahrscheinlich auch das älteste unter den kürzlich aufgedeckten praenestinischen sind ganz wie die Thesauren von Orchomenos und Mykenae durch übereinandergeschobene, allmählich einspringende und mit einem großen Deckstein geschlossene Steinlagen überdacht gewesen. In derselben Weise ist ein sehr altertümliches Gebäude an der Stadtmauer von Tusculum gedeckt, und ebenso gedeckt war ursprünglich das Quellhaus (tullianum) am Fuße des Kapitols, bis des darauf gesetzten Gebäudes wegen die Spitze abgetragen ward. Die nach demselben System angelegten Tore gleichen sich völlig in Arpinum und in Mykenae. Der Emissar des Albaner Sees hat die größte Ähnlichkeit mit dem des Kopaischen. Die sogenannten kyklopischen Ringmauern kommen in Italien, vorzugsweise in Etrurien, Umbrien, Latium und der Sabina häufig vor und gehören der Anlage nach entschieden zu den ältesten Bauwerken Italiens, obwohl der größte Teil der jetzt vorhandenen wahrscheinlich erst viel später, einzelne sicher erst im siebenten Jahrhundert der Stadt aufgeführt worden sind. Sie sind, eben wie die griechischen, bald ganz roh aus großen unbearbeiteten Felsblöcken mit dazwischen eingeschobenen kleineren Steinen, bald quadratisch in horizontalen LagenDieser Art sind die Servianischen Mauern gewesen. Sie bestehen teils aus einer Verstärkung der Hügelabhänge durch vorgelegte bis zu vier Metern starke Futtermauern, teils in den Zwischenräumen, vor allem am Viminal und Quirinal, wo vom Esquilinischen bis zum Collinischen Tore die natürliche Verteidigung fehlte, aus einem Erdwall, welcher nach außen durch eine ähnliche Futtermauer abgeschlossen wird. Auf diesen Futtermauern ruhte die Brustwehr. Ein Graben, nach zuverlässigen Berichten der Alten 30 Fuß tief und 100 Fuß breit, zog sich vor dem Wall hin, zu dem die Erde aus eben diesem Graben genommen war. Die Brustwehr hat sich nirgends erhalten; von den Futtermauern sind in neuerer Zeit ausgedehnte Überreste zum Vorschein gekommen. Die Tuffblöcke derselben sind im länglichen Rechteck behauen, durchschnittlich 60 Zentimeter (= 2 röm. Fuß) hoch und breit, während die Länge von 70 Zentimetern bis zu drei Metern wechselt, und ohne Anwendung von Mörtel, abwechselnd mit den Lang- und mit den Schmalseiten nach außen, in mehreren Reihen nebeneinander geschichtet.

Der im Jahre 1862 in der Villa Negroni aufgedeckte Teil des Servianischen Walls am Viminalischen Tor ruht auf einem Fundament gewaltiger Tuffblöcke von drei bis vier Metern Höhe und Breite, auf welchem dann aus Blöcken von demselben Material und derselben Größe, wie sie bei der Mauer sonst verwandt waren, die Außenmauer sich erhob. Der dahinter aufgeschüttete Erdwall scheint auf der oberen Fläche eine Breite bis zu etwa dreizehn Metern oder reichlich 40 röm. Fuß, die ganze Mauerwehr mit Einrechnung der Außenmauer von Quadern eine Breite bis zu fünfzehn Metern oder 50 röm. Fuß gehabt zu haben. Die Stücke aus Peperinblöcken, welche mit eisernen Klammern verbunden sind, sind erst bei späteren Ausbesserungsarbeiten hinzugekommen.

Den Servianischen wesentlich gleichartig sind die in der Vigna Nussiner am Abhang des Palatins nach der Kapitolseite und an anderen Punkten des Palatin aufgefundenen Mauern, die von Jordan (Topographie der Stadt Rom im Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S. 173) wahrscheinlich mit Recht für Überreste der Burgmauer des palatinischen Rom erklärt worden sind.

Die bildenden und zeichnenden Künste sind jünger als die Architektur; das Haus muß erst gebaut sein, ehe man daran geht, Giebel und Wände zu schmücken. Es ist nicht wahrscheinlich, daß diese Künste in Italien schon während der römischen Königszeit recht in Aufnahme gekommen sind; nur in Etrurien, wo Handel und Seeraub früh große Reichtümer konzentrierten, wird die Kunst oder, wenn man lieber will, das Handwerk in frühester Zeit Fuß gefaßt haben. Die griechische Kunst, wie sie auf Etrurien gewirkt hat, stand, wie ihr Abbild beweist, noch auf einer sehr primitiven Stufe und es mögen wohl die Etrusker in nicht viel späterer Zeit von den Griechen gelernt haben, in Ton und Metall zu arbeiten, als diejenige war, in der sie das Alphabet von ihnen entlehnten. Von etruskischer Kunstfertigkeit dieser Epoche geben die Silbermünzen von Populonia, fast die einzigen mit einiger Sicherheit dieser Epoche zuzuweisenden Arbeiten, nicht gerade einen hohen Begriff; doch mögen von den etruskischen Bronzewerken, welche die späteren Kunstkenner so hoch stellten, die besten eben dieser Urzeit angehört haben, und auch die etruskischen Terrakotten können nicht ganz gering gewesen sein, da die ältesten in den römischen Tempeln aufgestellten Werke aus gebrannter Erde, die Bildsäule des kapitolinischen Jupiter und das Viergespann auf seinem Dache, in Veii bestellt worden waren und die großen derartigen Aufsätze auf den Tempeldächern überhaupt bei den späteren Römern als „tuscanische Werke“ gingen.

Dagegen war bei den Italikern, nicht bloß bei den sabellischen Stämmen, sondern selbst bei den Latinern, das eigene Bilden und Zeichnen in dieser Zeit noch erst im Entstehen. Die bedeutendsten Kunstwerke scheinen im Auslande gearbeitet worden zu sein. Der angeblich in Veii verfertigten Tonbilder wurde schon gedacht; daß in Etrurien verfertigte und mit etruskischen Inschriften versehene Bronzearbeiten wenn nicht in Latium überhaupt, doch mindestens in Praeneste gangbar waren, haben die neuesten Ausgrabungen bewiesen. Das Bild der Diana in dem römisch-latinischen Bundestempel auf dem Aventin, welches als das älteste Götterbild in Rom galtWenn Varro (bei Aug. civ. 4, 31, vgl. Plut. Num. 8) sagt, daß die Römer mehr als 170 Jahre die Götter ohne Bilder verehrt hätten, so denkt er offenbar an dies uralte Schnitzbild, welches nach der konventionellen Chronologie zwischen 176 und 219 (578 und 535) der Stadt dediziert und ohne Zweifel das erste Götterbild war, dessen Weihung die dem Varro vorliegenden Quellen erwähnten. Vgl. oben 1, 230., glich genau dem massaliotischen der ephesischen Artetuis und war vielleicht in Elea oder Massalia gearbeitet. Es sind fast allein die seit alter Zeit in Rom vorhandenen Zünfte der Töpfer, Kupfer- und Goldschmiede, welche das Vorhandensein eigenen Bildens und Zeichnens daselbst beweisen; von ihrem Kunststandpunkt aber ist es nicht mehr möglich, eine konkrete Vorstellung zu gewinnen.

Versuchen wir aus den Archiven ältester Kunstüberlieferung und Kunstübung geschichtliche Resultate zu gewinnen, so ist zunächst offenbar, daß die italische Kunst ebenso wie italisches Maß und italische Schrift nicht unter phönikischem, sondern ausschließlich unter hellenischem Einfluß sich entwickelt hat. Es ist nicht eine einzige unter den italischen Kunstrichtungen, die nicht in der altgriechischen Kunst ihr bestimmtes Musterbild fände, und insofern hat die Sage ganz recht, wenn sie die Verfertigung der bemalten Tonbilder, ohne Zweifel der ältesten Kunstart, in Italien zurückführt auf die drei griechischen Künstler: den „Bildner“, „Ordner“ und „Zeichner“, Eucheir, Diopos und Eugrammos, obwohl es mehr als zweifelhaft ist, daß diese Kunst zunächst von Korinth und zunächst nach Tarquinii kam. Von unmittelbarer Nachahmung orientalischer Muster findet sich ebensowenig eine Spur als von einer selbständig entwickelten Kunstform; wenn die etruskischen Steinschneider an der ursprünglich ägyptischen Käfer- oder Skarabäenform festhielten, so sind doch auch die Skarabäen in Griechenland in sehr früher Zeit nachgeschnitten worden, wie denn ein solcher Käferstein mit sehr alter griechischer Inschrift sich in Aegina gefunden hat, und können also den Etruskern recht wohl durch die Griechen zugekommen sein. Von dem Phöniker mochte man kaufen; man lernte nur von dem Griechen.

Auf die weitere Frage, von welchem griechischen Stamm den Etruskern die Kunstmuster zunächst zugekommen sind, läßt sich eine kategorische Antwort nicht geben; doch bestehen bemerkenswerte Beziehungen zwischen der etruskischen und der ältesten attischen Kunst. Die drei Kunstformen, die in Etrurien wenigstens späterhin in großer, in Griechenland nur in sehr beschränkter Ausdehnung geübt worden sind, die Grabmalerei, die Spiegelzeichnung und die Steinschneidekunst, sind bis jetzt auf griechischem Boden einzig in Athen und Aegina beobachtet worden. Der tuskische Tempel entspricht genau weder dem dorischen noch dem ionischen; aber in den wichtigsten Unterscheidungsmomenten, in dem um die Cella herumgeführten Säulengang sowie in der Unterlegung eines besonderen Postaments unter jede einzelne Säule, folgt der etruskische Stil dem jüngeren ionischen; und eben der noch vom dorischen Element durchdrungene ionisch-attische Baustil steht in der allgemeinen Anlage unter allen griechischen dem tuskischen am nächsten. Für Latium mangelt es so gut wie ganz an sicheren kunstgeschichtlichen Verkehrsspuren; wenn aber, wie sich dies ja genau genommen von selbst versteht, die allgemeinen Handels- und Verkehrsbeziehungen auch für die Kunstmuster entscheidend gewesen sind, so kann mit Sicherheit angenommen werden, daß die kampanischen und sizilischen Hellenen wie im Alphabet so auch in der Kunst die Lehrmeister Latiums gewesen sind; und die Analogie der aventinischen Diana mit der ephesischen Artemis widerspricht dem wenigstens nicht. Daneben war denn natürlich die ältere etruskische Kunst auch für Latium Muster. Den sabellischen Stämmen ist wie das griechische Alphabet so auch die griechische Bau- und Bildkunst wenn überhaupt doch nur durch Vermittlung der westlicheren italischen Stämme nahegetreten.

Wenn aber endlich über die Kunstbegabung der verschiedenen italischen Nationen ein Urteil gefällt werden soll, so ist schon hier ersichtlich, was freilich in den späteren Stadien der Kunstgeschichte noch bei weitem deutlicher hervortritt, daß die Etrusker wohl früher zur Kunstübung gelangt sind und massenhafter und reicher gearbeitet haben, dagegen ihre Werke hinter den latinischen und sabellischen an Zweckrichtigkeit und Nützlichkeit nicht minder wie an Geist und Schönheit zurückstehen. Es zeigt sich dies allerdings für jetzt nur noch in der Architektur. Der ebenso zweckmäßige wie schöne polygone Mauerbau ist in Latium und dem dahinterliegenden Binnenland häufig, in Etrurien selten und nicht einmal Caeres Mauern sind aus vieleckigen Blöcken geschichtet. Selbst in der auch kunstgeschichtlich merkwürdigen religiösen Hervorhebung des Bogens und der Brücke in Latium ist es wohl erlaubt, die Anfänge der späteren römischen Aquädukte und römischen Konsularstraßen zu erkennen. Dagegen haben die Etrusker den hellenischen Prachtbau wiederholt, aber auch verdorben, indem sie die für den Steinbau festgestellten Gesetze nicht durchaus geschickt auf den Holzbau übertrugen und durch das tief hinabgehende Dach und die weiten Säulenzwischenräume ihrem Gotteshaus, mit einem alten Baumeister zu reden, „ein breites, niedriges, sperriges und schwerfälliges Ansehen“ gegeben haben. Die Latiner haben aus der reichen Fülle der griechischen Kunst nur sehr weniges ihrem energisch realistischen Sinne kongenial gefunden, aber was sie annahmen, der Idee nach und innerlich sich angeeignet und in der Entwicklung des polygonen Mauerbaus vielleicht ihre Lehrmeister übertroffen; die etruskische Kunst ist ein merkwürdiges Zeugnis handwerksmäßig angeeigneter und handwerksmäßig festgehaltener Fertigkeiten, aber so wenig wie die chinesische ein Zeugnis auch nur genialer Rezeptivität. Wie man sich auch sträuben mag, so gut wie man längst aufgehört hat, die griechische Kunst aus der etruskischen abzuleiten, wird man sich auch noch entschließen müssen, in der Geschichte der italischen Kunst die Etrusker aus der ersten in die letzte Stelle zu versetzen.

1. Kapitel


1. Kapitel

Einleitung

Rings um das mannigfaltig gegliederte Binnenmeer, das tief einschneidend in die Erdfeste den größten Busen des Ozeans bildet und, bald durch Inseln oder vorspringende Landfesten verengt, bald wieder sich in beträchtlicher Breite ausdehnend, die drei Teile der Alten Welt scheidet und verbindet, siedelten in alten Zeiten Völkerstämme sich an, welche, ethnographisch und sprachgeschichtlich betrachtet, verschiedenen Rassen angehörig, historisch ein Ganzes ausmachen. Dies historische Ganze ist es, was man nicht passend die Geschichte der alten Welt zu nennen pflegt, die Kulturgeschichte der Anwohner des Mittelmeers, die in ihren vier großen Entwicklungsstadien an uns vorüberfährt: die Geschichte des koptischen oder ägyptischen Stammes an dem südlichen Gestade, die der aramäischen oder syrischen Nation, die die Ostküste einnimmt und tief in das innere Asien hinein bis an den Euphrat und Tigris sich ausbreitet, und die Geschichte des Zwillingsvolkes der Hellenen und der Italiker, welche die europäischen Uferlandschaften des Mittelmeers zu ihrem Erbteil empfingen. Wohl knüpft jede dieser Geschichten an ihren Anfängen an andere Gesichts- und Geschichtskreise an; aber jede auch schlägt bald ihren eigenen abgesonderten Gang ein. Die stammfremden oder auch stammverwandten Nationen aber, die diesen großen Kreis umwohnen, die Berber und Neger Afrikas, die Araber, Perser und Inder Asiens, die Kelten und Deutschen Europas, haben mit jenen Anwohnern des Mittelmeers wohl auch vielfach sich berührt, aber eine eigentlich bestimmende Entwicklung doch weder ihnen gegeben noch von ihnen empfangen; und soweit überhaupt Kulturkreise sich abschließen lassen, kann derjenige als eine Einheit gelten, dessen Höhepunkt die Namen Theben, Karthago, Athen und Rom bezeichnen. Es haben jene vier Nationen, nachdem jede von ihnen auf eigener Bahn zu einer eigentümlichen und großartigen Zivilisation gelangt war, in mannigfaltigster Wechselbeziehung zueinander alle Elemente der Menschennatur scharf und reich durchgearbeitet und entwickelt, bis auch dieser Kreis erfüllt war, bis neue Völkerschaften, die bis dahin das Gebiet der Mittelmeerstaaten nur wie die Wellen den Strand umspült hatten, sich über beide Ufer ergossen und, indem sie die Südküste geschichtlich trennten von der nördlichen, den Schwerpunkt der Zivilisation verlegten vom Mittelmeer an den Atlantischen Ozean. So scheidet sich die alte Geschichte von der neuen nicht bloß zufällig und chronologisch; was wir die neue Geschichte nennen, ist in der Tat die Gestaltung eines neuen Kulturkreises, der in mehreren seiner Entwicklungsepochen wohl anschließt an die untergehende oder untergegangene Zivilisation der Mittelmeerstaaten wie diese an die älteste indogermanische, aber auch wie diese bestimmt ist, eine eigene Bahn zu durchmessen und Völkerglück und Völkerleid im vollen Maße zu erproben: die Epochen der Entwicklung, der Vollkraft und des Alters, die beglückende Mühe des Schaffens in Religion, Staat und Kunst, den bequemen Genuß erworbenen materiellen und geistigen Besitzes, vielleicht auch dereinst das Versiegen der schaffenden Kraft in der satten Befriedigung des erreichten Zieles. Aber auch dieses Ziel wird nur ein vorläufiges sein; das großartigste Zivilisationssystem hat seine Peripherie und kann sie erfüllen, nimmer aber das Geschlecht der Menschen, dem, so wie es am Ziele zu stehen scheint, die alte Aufgabe auf weiterem Felde und in höherem Sinne neu gestellt wird.

Unsere Aufgabe ist die Darstellung des letzten Akts jenes großen weltgeschichtlichen Schauspiels, die alte Geschichte der mittleren unter den drei Halbinseln, die vom nördlichen Kontinent aus sich in das Mittelmeer erstrecken. Sie wird gebildet durch die von den westlichen Alpen aus nach Süden sich verzweigenden Gebirge. Der Apennin streicht zunächst in südöstlicher Richtung zwischen dem breiteren westlichen und dem schmalen östlichen Busen des Mittelmeers, an welchen letzteren hinantretend er seine höchste, kaum indes zu der Linie des ewigen Schnees hinansteigende Erhebung in den Abruzzen erreicht. Von den Abruzzen aus setzt das Gebirge sich in südlicher Richtung fort, anfangs ungeteilt und von beträchtlicher Höhe; nach einer Einsattlung, die eine Hügellandschaft bildet, spaltet es sich in einen flacheren südöstlichen und einen steileren südlichen Höhenzug und schließt dort wie hier mit der Bildung zweier schmaler Halbinseln ab. Das nördlich zwischen Alpen und Apennin bis zu den Abruzzen hinab sich ausbreitende Flachland gehört geographisch und bis in sehr späte Zeit auch historisch nicht zu dem südlichen Berg- und Hügelland, demjenigen Italien, dessen Geschichte uns hier beschäftigt. Erst im siebenten Jahrhundert Roms wurde das Küstenland von Sinigaglia bis Rimini, erst im achten das Potal Italien einverleibt; die alte Nordgrenze Italiens sind also nicht die Alpen, sondern der Apennin. Dieser steigt von keiner Seite in steiler Kette empor, sondern breit durch das Land gelagert und vielfache, durch mäßige Pässe verbundene Täler und Hochebenen einschließend gewährt er selbst den Menschen eine wohl geeignete Ansiedelungsstätte, und mehr noch gilt dies von dem östlich, südlich und westlich an ihn sich anschließenden Vor- und Küstenland. Zwar an der östlichen Küste dehnt sich, gegen Norden von dem Bergstock der Abruzzen geschlossen und nur von dem steilen Rücken des Garganus inselartig unterbrochen, die apulische Ebene in einförmiger Fläche mit schwach entwickelter Küsten- und Strombildung aus. An der Südküste aber zwischen den beiden Halbinseln, mit denen der Apennin endigt, lehnt sich an das innere Hügelland eine ausgedehnte Niederung, die zwar an Häfen arm, aber wasserreich und fruchtbar ist. Die Westküste endlich, ein breites, von bedeutenden Strömen, namentlich dem Tiber, durchschnittenes, von den Fluten und den einst zahlreichen Vulkanen in mannigfaltigster Tal- und Hügel-, Hafen- und Inselbildung entwickeltes Gebiet, bildet in den Landschaften Etrurien, Latium und Kampanien den Kern des italischen Landes, bis südlich von Kampanien das Vorland allmählich verschwindet und die Gebirgskette fast unmittelbar von dem Tyrrhenischen Meere bespült wird. Überdies schließt, wie an Griechenland der Peloponnes, so an Italien die Insel Sizilien sich an, die schönste und größte des Mittelmeers, deren gebirgiges und zum Teil ödes Innere ringsum, vor allem im Osten und Süden, mit einem breiten Saume des herrlichsten, großenteils vulkanischen Küstenlandes umgürtet ist; und wie geographisch die sizilischen Gebirge die kaum durch den schmalen „Riß“ (Ρήγιον) der Meerenge unterbrochene Fortsetzung des Apennins sind, so ist auch geschichtlich Sizilien in älterer Zeit ebenso entschieden ein Teil Italiens wie der Peloponnes von Griechenland, der Tummelplatz derselben Stämme und der gemeinsame Sitz der gleichen höheren Gesittung. Die italische Halbinsel teilt mit der griechischen die gemäßigte Temperatur und die gesunde Luft auf den mäßig hohen Bergen und im ganzen auch in den Tälern und Ebenen. In der Küstenentwicklung steht sie ihr nach; namentlich fehlt das Inselreiche Meer, das die Hellenen zur seefahrenden Nation gemacht hat. Dagegen ist Italien dem Nachbarn überlegen durch die reichen Flußebenen und die fruchtbaren und kräuterreichen Bergabhänge, wie der Ackerbau und die Viehzucht ihrer bedarf. Es ist wie Griechenland ein schönes Land, das die Tätigkeit des Menschen anstrengt und belohnt und dem unruhigen Streben die Bahnen in die Ferne, dem ruhigen die Wege zu friedlichem Gewinn daheim in gleicher Weise eröffnet. Aber wenn die griechische Halbinsel nach Osten gewendet ist, so ist es die italische nach Westen. Wie das epirotische und akarnanische Gestade für Hellas, so sind die apulischen und messapischen Küsten für Italien von untergeordneter Bedeutung; und wenn dort diejenigen Landschaften, auf denen die geschichtliche Entwicklung ruht, Attika und Makedonien, nach Osten schauen, so sehen Etrurien, Latium und Kampanien nach Westen. So stehen die beiden so eng benachbarten und fast verschwisterten Halbinseln gleichsam voneinander abgewendet; obwohl das unbewaffnete Auge von Otranto aus die akrokeraunischen Berge erkennt, haben Italiker und Hellenen sich doch früher und enger auf jeder andern Straße berührt als auf der nächsten über das Adriatische Meer. Es war auch hier wie so oft in den Bodenverhältnissen der geschichtliche Beruf der Völker vorgezeichnet: die beiden großen Stämme, auf denen die Zivilisation der Alten Welt erwuchs, warfen ihre Schatten wie ihren Samen der eine nach Osten, der andere nach Westen.

Es ist die Geschichte Italiens, die hier erzählt werden soll, nicht die Geschichte der Stadt Rom. Wenn auch nach formalem Staatsrecht die Stadtgemeinde von Rom es war, die die Herrschaft erst über Italien, dann über die Welt gewann, so läßt sich doch dies im höheren geschichtlichen Sinne keineswegs behaupten und erscheint das, was man die Bezwingung Italiens durch die Römer zu nennen gewohnt ist, vielmehr als die Einigung zu einem Staate des gesamten Stammes der Italiker, von dem die Römer wohl der gewaltigste, aber doch nur ein Zweig sind.

Die italische Geschichte zerfällt in zwei Hauptabschnitte: in die innere Geschichte Italiens bis zu seiner Vereinigung unter der Führung des latinischen Stammes und in die Geschichte der italischen Weltherrschaft. Wir werden also darzustellen haben des italischen Volksstammes Ansiedelung auf der Halbinsel; die Gefährdung seiner nationalen und politischen Existenz und seine teilweise Unterjochung durch Völker anderer Herkunft und älterer Zivilisation, durch Griechen und Etrusker; die Auflehnung der Italiker gegen die Fremdlinge und deren Vernichtung oder Unterwerfung; endlich die Kämpfe der beiden italischen Hauptstämme, der Latiner und der Samniten, um die Hegemonie auf der Halbinsel und den Sieg der Latiner am Ende des vierten Jahrhunderts vor Christi Geburt oder des fünften der Stadt Rom. Es wird dies den Inhalt der beiden ersten Bücher bilden. Den zweiten Abschnitt eröffnen die Punischen Kriege; er umfaßt die reißend schnelle Ausdehnung des Römerreiches bis an und über Italiens natürliche Grenzen, den langen Status quo der römischen Kaiserzeit und das Zusammenstürzen des gewaltigen Reiches. Dies wird im dritten und den folgenden Büchern erzählt werden.