Geleitwort


Geleitwort des Herausgebers

Statt seine » Römische Geschichte«, die von den Anfängen Roms bis zum Siege Cäsars führt, durch das unübersichtliche Dickicht der oft verfälschten Kaisergeschichte chronologisch weiterzuführen, reizte es Mommsen, ein abschließendes Kulturbild der spätantiken Welt in einer zusammenfassenden historischen Übersicht über die im Laufe der Jahrhunderte gewonnenen Provinzen und Grenzgebiete zu geben, so daß uns eine Überschau über den gewaltigen Umkreis geboten wird: er suchte die Geschichte des » Imperium Romanum« positiv abzurunden und durch einen » Orbis pictus« der » Länder und Leute von Cäsar bis Diocletian« – zugleich in einer Umreißung der Romanisierung der Italien wie ein Kranz umschließenden römischen Annexionen – einer häufig unrichtigen und unbilligen Beurteilung der römischen Kaiserzeit ein abschließend notwendiges Gegengewicht zu schaffen.

Mommsen stellt in den Mittelpunkt seiner Darstellung den historio-geographischen Gegensatz zwischen Rom – als Vormacht des Westens – und dem nachalexandrinischen hellenisierten Osten.

Bis in die kleinsten Details der Lokalforschung zeichnet er die vielfarbigen Physiognomien all der überwundenen und mehr oder weniger romanisierten Völkerschaften und Stämme: vornehmlich der Iberer, Kelten, Germanen, Illyrier, Daker, Thraker, Hellenen, Parther, Syrer, Juden und Ägypter sowie der weiteren Nordafrikaner. Mit Bewunderung folgen wir seiner kundigen Führung und staunen über die einzigartige Verschmelzungsorganisation dieser vielseitigen Umwelt.

Mommsens Darstellung des »Imperium Romanum« beginnt im Norden mit den Donauländern, geht über die Alpenscheide nach Germanien und dem Rhein (Drusus und Tiberius, Varus 1 und Arminius und Germanicus), schildert dann Hispanien sowie die Romanisierung Galliens, das Verhältnis der römischen und der durch Arminius freigebliebenen Germanen, den Bataverkrieg unter Claudius Civilis und die Schaffung des Limes, sowie die ständigen Germanenkämpfe der späteren Kaiser, die Unterwerfung Britanniens durch Claudius, dessen vielfach verzeichnete Erscheinung ein Neffe Rankes, Robert von Ranke-Graves, in seinem Buche »Ich Claudius« gerechter gezeichnet hat, die Besiegung Illyricums und Dalmatiens, die Begründung der Provinz Thrakien, die Dakerkriege Domitians und Trajans, den Markomannenkrieg Marc Aurels, die Gotenkriege des Decius und Claudius (Gothicus), ferner das griechische Europa unter römischer Verwaltung, Thessalien, Makedonien, Thrakien, das Reich von Pontos, die Gewinnung des Bosporus, die kleinasiatischen Provinzen, den griechischen Archipelagos, die Euphratgrenze und das Partherreich, Parthoindien, die Partherkriege, die Sicherung des Ostens, die Entstehung des Sassanidenreiches in Persien, den Untergang von Palmyra, die weiteren Perserkriege der Kaiser bis Diocletian, die Provinz Syrien, das Eindringen des Christentums, das jüdische Reich, die Provinz Arabien, Judäa unter Herodes und den Herodianern, den jüdischen Krieg unter Vespasian und Titus, die späteren Judenaufstände, schließlich Ägypten und den alexandrinischen Hellenismus, Äthiopien und Abessinien und die Provinz Afrika und Numidien, die Gätulerkriege und die Mauren. Ein grandioses Panorama! Die Essenz dieser gewaltigen Außenkolonisation Roms ergibt sich in der Mommsenschen Darstellung dieser vor ihm noch ungeschriebenen Provinzialgeschichte der Kaiserzeit.

Mommsen, der im Gegensatz zu dem »Idealisten« Ranke ein – bei aller künstlerischer Dämonie – sehr real eingestellter Historiker war, hat es vermieden, an seine Darstellung eine geschichtsphilosophische Summa anzuhängen, weswegen wir die unser Blickfeld bis zu Justinian und der germanischen Umgestaltung erweiternde und uns in das »Reich der Ideen« erhebende Zusammenfassung Rankes über die »Weltgeschichte des römischen Imperiums« abschließend folgen lassen; aber Mommsen hat einmal betont, daß Griechenland – seiner Lage nach – nach dem Osten schaue, Rom und Italien nach dem Westen: Griechenlands Weltmission war es, den Orient zu hellenisieren, Roms Aufgabe, den Okzident unter Zuhilfenahme des griechischen Kulturerbes zu romanisieren. Man kann nicht sagen, daß das hellenische Element das stärkere war, wenn es auch im ganzen Osten die geistige Vormacht blieb und auch die Starrheit des römischen Wesens gemildert und gelockert hat.

Gewiß erkannte Mommsen die finale Unzulänglichkeit des Imperium Romanum sehr wohl. Er warnte als Greis vor einer Pax Romana, die aus dem Recht des Stärkeren ihre letzten Konsequenzen zog: »Denn, wenn also eine Nation bereichert wird, so vergeht eben die göttliche Welt mit ihrer glänzenden Mannigfaltigkeit, und wohl tritt ein Frieden ein, aber der Frieden des Grabes.«

Roms antike Sendung war, das Bollwerk Europas gegen den Osten zu sein, und die Fixierung des römischen Rechts.

Wie sagt Grabbes Faust (in seinem »Don Juan und Faust«):

»… Und als Dein Schwert nun alles
Dir errungen, fielst Du auch mit allem wieder
in Nacht und Barbarei. – Aus dieser quoll
ein neues Blut, ein neues Licht hervor …
Der Klang nur von zerissnen Geistesfesseln,
die Du um halb Europa wandest, ist
geblieben – Frankreichs, Spaniens, Italiens Sprachen.«

Kurt L. Walter-Schomburg.

Gehe durch die Welt und sprich mit Jedem
Firdusi

  1. Edm. Meyer macht in seinen »Untersuchungen über die Schlacht im Teutoburger Walde« (Berlin 1893) nicht unbeachtliche Einwendungen gegen die Auffassung Mommsens.

Einleitung


Einleitung

Die Geschichte der römischen Kaiserzeit stellt ähnliche Probleme wie diejenige der früheren Republik.

Was aus der literarischen Überlieferung unmittelbar entnommen werden kann, ist nicht bloß ohne Farbe und Gestalt, sondern in der Tat meistens ohne Inhalt. Das Verzeichnis der römischen Monarchen ist ungefähr ebenso glaubwürdig wie das der Konsuln der Republik und ungefähr ebenso instruktiv. Die den ganzen Staat erschütternden großen Krisen sind in ihren Umrissen erkennbar; viel besser aber als über die Samnitenkriege sind wir auch nicht unterrichtet über die germanischen unter den Kaisern Augustus und Marcus. Der republikanische Anekdotenschatz ist sehr viel ehrbarer als der gleiche der Kaiserzeit; aber die Erzählungen von Fabricius und die vom Kaiser Gaius sind ziemlich gleich flach und gleich verlogen. Die innerliche Entwickelung des Gemeinwesens liegt vielleicht für die frühere Republik in der Überlieferung vollständiger vor als für die Kaiserzeit; dort bewahrt sie eine wenn auch getrübte und verfälschte Schilderung der schließlich wenigstens auf dem Markte Roms endigenden Wandelungen der staatlichen Ordnung; hier vollzieht sich diese im kaiserlichen Kabinett und gelangt in der Regel nur mit ihren Gleichgültigkeiten in die Öffentlichkeit. Dazu kommt die ungeheure Ausdehnung des Kreises und die Verschiebung der lebendigen Entwickelung vom Zentrum in die Peripherie. Die Geschichte der Stadt Rom hat sich zu der des Landes Italien, diese zu der der Welt des Mittelmeers erweitert, und worauf es am meisten ankommt, davon erfahren wir am wenigsten. Der römische Staat dieser Epoche gleicht einem gewaltigen Baum, um dessen im Absterben begriffenen Hauptstamm mächtige Nebentriebe rings emporstreben. Der römische Senat und die römischen Herrscher entstammen bald jedem andern Reichsland ebensosehr wie Italien; die Quiriten dieser Epoche, welche die nominellen Erben der weltbezwingenden Legionäre geworden sind haben zu den großen Erinnerungen der Vorzeit ungefähr dasselbe Verhältnis wie unsere Johanniter zu Rhodos und Malta und betrachten ihre Erbschaft als ein nutzbares Recht, als stiftungsmäßige Versorgung arbeitsscheuer Armen. Wer an die sogenannten Quellen dieser Epoche, auch die besseren geht, bemeistert schwer den Unwillen über das Sagen dessen, was verschwiegen zu werden verdiente und das Verschweigen dessen, was notwendig war zu sagen. Denn groß Gedachtes und weithin Wirkendes ist auch in dieser Epoche geschaffen worden; die Führung des Weltregiments ist selten so lange in geordneter Folge verblieben und die festen Verwaltungsnormen, wie sie Cäsar und Augustus ihren Nachfolgern vorzeichneten, haben sich im ganzen mit merkwürdiger Festigkeit behauptet, trotz allem Wechsel der Dynastien und der Dynasten, welcher in der nur daraufblickenden und bald zu Kaiserbiographien zusammenschwindenden Überlieferung mehr als billig im Vordergrunde steht. Die scharfen Abschnitte, welche in der landläufigen durch jene Oberflächlichkeit der Grundlage geirrten Auffassung die Regierungswechsel machen, gehören weit mehr dem Hoftreiben an als der Reichsgeschichte. Das eben ist das Großartige dieser Jahrhunderte, daß das einmal angelegte Werk, die Durchführung der lateinisch-griechischen Zivilisierung in der Form der Ausbildung der städtischen Gemeindeverfassung, die allmähliche Einziehung der barbarischen oder doch fremdartigen Elemente in diesen Kreis, eine Arbeit, welche ihrem Wesen nach Jahrhunderte stetiger Tätigkeit und ruhiger Selbstentwickelung erforderte, diese lange Frist und diesen Frieden zu Lande und zur See gefunden hat. Das Greisenalter vermag nicht neue Gedanken und schöpferische Tätigkeit zu entwickeln, und das hat auch das römische Kaiserregiment nicht getan; aber es hat in seinem Kreise, den die, welche ihm angehörten, nicht mit Unrecht als die Welt empfanden, den Frieden und das Gedeihen der vielen vereinigten Nationen länger und vollständiger gehegt als es irgendeiner anderen Vormacht je gelungen ist. In den Ackerstädten Afrikas, in den Winzerheimstätten an der Mosel, in den blühenden Ortschaften der lykischen Gebirge und des syrischen Wüstenrandes ist die Arbeit der Kaiserzeit zu suchen und auch zu finden. Noch heute gibt es manche Landschaft des Orients wie des Okzidents, für welche die Kaiserzeit den an sich sehr bescheidenen, aber doch vorher wie nachher nie erreichten Höhepunkt des guten Regiments bezeichnet; und wenn einmal ein Engel des Herrn die Bilanz aufmachen sollte, ob das von Severus Antoninus beherrschte Gebiet damals oder heute mit größerem Verstande und mit größerer Humanität regiert worden ist, ob Gesittung und Völkerglück im allgemeinen seitdem vorwärts- oder zurückgegangen sind, so ist es sehr zweifelhaft, ob der Spruch zugunsten der Gegenwart ausfallen würde. Aber wenn wir finden, daß dieses also war, so fragen wir die Bücher, die uns geblieben sind, meistens umsonst, wie dieses also geworden ist. Sie geben darauf so wenig eine Antwort, wie die Überlieferung der früheren Republik die gewaltige Erscheinung des Rom erklärt, welches in Alexanders Spuren die Welt unterwarf und zivilisierte.

Ausfüllen läßt sich die eine Lücke so wenig wie die andere. Aber es schien des Versuches wert, einmal abzusehen von den Regentenschilderungen mit ihren bald grellen, bald blassen und nur zu oft gefälschten Farben wie auch von dem scheinhaft chronologischen Aneinanderreihen nicht zusammenpassender Fragmente, und dafür zu sammeln und zu ordnen, was für die Darstellung des römischen Provinzialregiments die Überlieferung und die Denkmäler bieten, der Mühe wert durch diese oder durch jene zufällig erhaltene Nachrichten, in dem Gewordenen aufbewahrte Spuren des Werdens, allgemeine Institutionen in ihrer Beziehung auf die einzelnen Landesteile, mit den für jeden derselben durch die Natur des Bodens und der Bewohner gegebenen Bedingungen durch die Phantasie, welche wie aller Poesie so auch aller Historie Mutter ist, nicht zu einem Ganzen, aber zu dem Surrogat eines solchen zusammenzufassen. Über die Epoche Diocletians habe ich dabei nicht hinausgehen wollen, weil das neue Regiment, welches damals geschaffen wurde, höchstens im zusammenfassenden Ausblick den Schlußstein dieser Erzählung bilden kann; seine volle Würdigung verlangt eine besondere Erzählung und einen anderen Weltrahmen, ein bei schärferem Verständnis des einzelnen in dem großen Sinn und mit dem weiten Blick Gibbons durchgeführtes selbständiges Geschichtswerk. Italien und seine Inseln sind ausgeschlossen worden, da diese Darstellung von der des allgemeinen Reichsregiments nicht getrennt werden kann. Die sogenannte äußere Geschichte der Kaiserzeit ist aufgenommen als integrierender Teil der Provinzialverwaltung; was wir Reichskriege nennen würden, sind gegen das Ausland unter der Kaiserzeit nicht geführt worden, wenngleich die durch die Arrondierung oder Verteidigung der Grenzen hervorgerufenen Kämpfe einige Male Verhältnisse annahmen, daß sie als Kriege zwischen zwei gleichartigen Mächten erscheinen, und der Zusammensturz der römischen Herrschaft in der Mitte des dritten Jahrhunderts, welcher einige Dezennien hindurch ihr definitives Ende werden zu sollen schien, aus der an mehreren Stellen gleichzeitig unglücklich geführten Grenzverteidigung sich entwickelte. Die große Vorschiebung und Regulierung der Nordgrenze, wie sie unter Augustus teilweise ausgeführt ward, teilweise mißlang, leitet die Erzählung ein. Auch sonst sind die Ereignisse auf einem jeden der drei hauptsächlichsten Schauplätze der Grenzverteidigung, des Rheins, der Donau, des Euphrat, zusammengefaßt worden. Im übrigen ist die Darstellung nach den Landschaften geordnet. Im einzelnen fesselndes Detail, Stimmungsschilderungen und Charakterköpfe hat sie nicht zu bieten; es ist dem Künstler, aber nicht dem Geschichtschreiber erlaubt, das Antlitz des Arminius zu erfinden. Mit Entsagung ist dies Buch geschrieben und mit Entsagung möchte es gelesen sein.

Kapitel IX


Die Euphratgrenze und die Parther

Kapitel IX

Der einzige Großstaat, mit welchem das römische Reich grenzte, war das Reich von Iran, ruhend auf derjenigen Nationalität, die im Altertum wie heutzutage am bekanntesten ist unter dem Namen der Perser, staatlich zusammengefaßt durch das altpersische Königsgeschlecht der Achämeniden und seinen ersten Großkönig Kyros, religiös geeinigt durch den Glauben des Ahura Mazda und des Mithra. Keines der alten Kulturvölker hat das Problem der nationalen Einigung gleich früh und gleich vollständig gelöst. Südlich reichten die iranischen Stämme bis an den Indischen Ozean, nördlich bis zum Kaspischen Meer; nordöstlich war die innerasiatische Steppe der stete Kampfplatz der seßhaften Perser und der nomadischen Stämme Turans. Östlich schieden mächtige Grenzgebirge sie von den Indern. Im westlichen Asien trafen früh drei große Nationen jede ihrerseits vordrängend aufeinander: die von Europa aus auf die kleinasiatische Küste übergreifenden Hellenen, die von Arabien und Syrien aus in nördlicher und nordöstlicher Richtung vorschreitenden und das Euphrattal wesentlich ausfüllenden aramäischen Völkerschaften, endlich die nicht bloß bis zum Tigris wohnenden, sondern selbst nach Armenien und Kappadokien vorgedrungenen Stämme von Iran, während andersartige Urbewohner dieser weitgedehnten Landschaften unter diesen Vormächten erlagen und verschwanden. Über dieses weite Stammgebiet ging in der Epoche der Achämeniden, dem Höhepunkt der Herrlichkeit Irans, die iranische Herrschaft nach allen Seiten, insbesondere aber nach Westen weit hinaus. Abgesehen von den Zeiten, wo Turan über Iran die Oberhand gewann und die Seldschuken und Mongolen den Persern geboten, ist eigentliche Fremdherrschaft über den Kern der iranischen Stämme nur zweimal gekommen, durch den großen Alexander und seine nächsten Nachfolger und durch die arabischen Kalifen, und beide Male nur auf verhältnismäßig kurze Zeit; die östlichen Landschaften, in jenem Fall die Parther, in diesem die Bewohner des alten Baktrien warfen nicht bloß bald das Joch des Ausländers wieder ab, sondern verdrängten ihn auch aus dem stammverwandten Westen.

Das durch die Parther regenerierte Perserreich fanden die Römer vor, als sie in der letzten Zeit der Republik infolge der Besetzung Syriens in unmittelbare Berührung mit Iran traten. Wir haben dieses Staates schon mehrfach früherhin zu gedenken gehabt; hier ist der Ort, das Wenige zusammenzufassen, was über die Eigentümlichkeit des auch für die Geschicke des Nachbarstaats so vielfach ausschlaggebenden Reiches sich erkennen läßt. Allerdings hat auf die meisten Fragen, die der Geschichtsforscher hier zu stellen hat, die Überlieferung keine Antwort. Die Okzidentalen geben über die inneren Verhältnisse ihrer parthischen Nachbarn und Feinde nur gelegentliche in der Vereinzelung leicht irreführende Notizen; und wenn die Orientalen es überhaupt kaum verstanden haben, die geschichtliche Überlieferung zu fixieren und zu bewahren, so gilt dies doppelt von der Arsakidenzeit, da diese den späteren Iraniern mit der vorhergehenden Fremdherrschaft der Seleukiden zusammen als unberechtigte Usurpation zwischen der alt- und der neupersischen Herrschaftsperiode, den Achämeniden und den Sassaniden gegolten hat; dies halbe Jahrtausend wird sozusagen aus der Geschichte Irans herauskorrigiert und ist wie nicht vorhanden.

Der Standpunkt, den die Hofhistoriographen der Sassanidendynastie damit einnahmen, ist mehr der legitimistisch-dynastische des persischen Adels als derjenige der iranischen Nationalität. Freilich bezeichnen die Schriftsteller der ersten Kaiserzeit die Sprache der Parther, deren Heimat etwa dem heutigen Chorasan entspricht, als mitten inne stehend zwischen der medischen und der skythischen, das heißt als einen unreinen iranischen Dialekt; dementsprechend galten sie als Einwanderer aus dem Land der Skythen und in diesem Sinne wird ihr Name auf flüchtige Leute gedeutet und der Gründer der Dynastie Arsakes zwar von einigen für einen Baktrer, von anderen dagegen für einen Skythen von der Mäotis erklärt. Daß ihre Fürsten nicht in Seleukeia am Tigris ihre Residenz nahmen, sondern in der unmittelbaren Nähe bei Ktesiphon ihr Winterlager aufschlugen, wird darauf zurückgeführt, daß sie die reiche Kaufstadt nicht mit skythischen Truppen hätten belegen wollen. Vieles in der Weise und den Ordnungen der Parther entfernt sich von der iranischen Sitte und erinnert an nomadische Lebensgewohnheiten: zu Pferde handeln und essen sie und nie geht der freie Mann zu Fuß. Es läßt sich wohl nicht bezweifeln, daß die Parther, deren Namen allein von allen Stämmen dieser Gegend die heiligen Bücher der Perser nicht nennen, dem eigentlichen Iran fernstehen, in welchem die Achämeniden und die Magier zu Hause sind. Der Gegensatz dieses Iran gegen das aus einem unzivilisierten und halb fremdartigen Distrikt herstammende Herrschergeschlecht und dessen nächstes Gefolge, dieser Gegensatz, den die römischen Schriftsteller nicht ungern von den persischen Nachbaren übernahmen, hat allerdings die ganze Arsakidenherrschaft hindurch bestanden und gegärt, bis er schließlich ihren Sturz herbeiführte. Darum aber darf die Herrschaft der Arsakiden noch nicht als Fremdherrschaft gefaßt werden. Dem parthischen Stamm und der parthischen Landschaft wurden keine Vorrechte eingeräumt. Als Residenz der Arsakiden wird zwar auch die parthische Stadt Hekatompylos genannt; aber hauptsächlich verweilten sie im Sommer in Ekbatana (Hamadan) oder auch in Rhagä gleich den Achämeniden, im Winter, wie bemerkt, in der Lagerstadt Ktesiphon oder auch in Babylon an der äußersten westlichen Grenze des Reiches. Das Erbbegräbnis in der Partherstadt Nisäa blieb; aber später diente dafür häufiger Arbela in Assyrien. Die arme und ferne parthische Heimatlandschaft war für die üppige Hofhaltung und die wichtigen Beziehungen zu dem Westen besonders der späteren Arsakiden in keiner Weise geeignet. Das Hauptland blieb auch jetzt Medien, eben wie unter den Achämeniden. Mochten immer die Arsakiden skythischer Herkunft sein, mehr als auf das, was sie waren, kam darauf an, was sie sein wollten; und sie selber betrachteten und gaben sich durchaus als die Nachfolger des Kyros und des Dareios. Wie die sieben persischen Stammfürsten den falschen Achämeniden beseitigt und durch die Erhebung des Dareios die legitime Herrschaft wiederhergestellt hatten, so mußten andere Sieben die makedonische Fremdherrschaft gestürzt und den König Arsakes auf den Thron gesetzt haben. Mit dieser patriotischen Fiktion wird weiter zusammenhängen, daß dem ersten Arsakes statt der skythischen die baktrische Heimat beigelegt ward. Die Tracht und die Etikette am Hof der Arsakiden war die des persischen; nachdem König Mithradates I. seine Herrschaft bis zum Indus und Tigris ausgedehnt hatte, vertauschte die Dynastie den einfachen Königstitel mit dem des Königs der Könige, wie ihn die Achämeniden geführt hatten, und die spitze skythische Kappe mit der hohen perlengeschmückten Tiara; auf den Münzen führt der König den Bogen wie Dareios. Auch die mit den Arsakiden in das Land gekommene ohne Zweifel vielfach mit der alteinheimischen gemischte Aristokratie nahm persische Sitte und Tracht, meistens auch persische Namen an; von dem Partherheer, das mit Crassus stritt, heißt es, daß die Soldaten noch das struppige Haar nach skythischer Weise trugen, der Feldherr aber nach medischer Art mit in der Mitte gescheiteltem Haar und geschminktem Gesicht erschien.

Die staatliche Ordnung, wie sie durch den ersten Mithradates festgestellt wurde, ist dementsprechend wesentlich diejenige der Achämeniden. Das Geschlecht des Begründers der Dynastie ist mit allem Glanz und mit aller Weihe angestammter und göttlich verordneter Herrschaft umkleidet: sein Name überträgt sich von Rechts wegen auf jeden seiner Nachfolger, und es wird ihm göttliche Ehre erwiesen; seine Nachfolger heißen darum auch Gottessöhne und außerdem »Brüder des Sonnengottes und der Mondgöttin«, wie noch heute der Schah von Persien die Sonne im Titel führt; das Blut eines Gliedes des Königsgeschlechts auch nur durch Zufall zu vergießen ist ein Sakrilegium – alles Ordnungen, die mit wenigen Abminderungen bei den römischen Cäsaren wiederkehren und vielleicht zum Teil von diesen der älteren Großherrschaft entlehnt sind.

Obwohl die königliche Würde also fest an das Geschlecht geknüpft ist, besteht dennoch eine gewisse Königswahl. Da der neue Herrscher sowohl dem Kollegium der »Verwandten des königlichen Hauses« wie dem Priesterrat angehören muß, um den Thron besteigen zu können, so wird ein Akt stattgefunden haben, wodurch vermutlich eben diese Kollegien selbst den neuen Herrscher anerkannten. Unter den »Verwandten« sind wohl nicht bloß die Arsakiden selbst zu verstehen, sondern die »sieben Häuser« der Achämenidenordnung, Fürstengeschlechter, welchen nach dieser die Ebenbürtigkeit und der freie Eintritt bei dem Großkönig zukommt und die auch unter den Arsakiden ähnliche Privilegien gehabt haben werden. Diese Geschlechter waren zugleich Inhaber von erblichen Kronämtern; die Surên zum Beispiel – der Name ist wie der Name Arsakes zugleich Personen- und Amtbezeichnung –, das zweite Geschlecht nach dem Königshaus, setzten als Kronmeister jedesmal dem neuen Arsakes die Tiara aufs Haupt. Aber wie die Arsakiden selbst der parthischen Provinz angehörten, so waren die Surên in Sakastane (Sedjistân) zu Hause und vielleicht Saker, also Skythen; ebenso stammten die Karên aus dem westlichen Medien, während die höchste Aristokratie unter den Achämeniden rein persisch war.

Die Verwaltung liegt in den Händen der Unterkönige oder der Satrapen; nach den römischen Geographen der vespasianischen Zeit besteht der Staat der Parther aus achtzehn »Königreichen«. Einige dieser Satrapien sind Sekundogenituren des Herrscherhauses; insbesondere scheinen die beiden nordwestlichen Provinzen, das atropatenische Medien (Aderbeidjan) und, sofern es in der Gewalt der Parther stand, Armenien, den dem zeitigen Herrscher nächststehenden Prinzen zur Verwaltung übertragen worden zu sein. Im übrigen ragen unter den Satrapen hervor der König der Landschaft Elymais oder von Susa, dem eine besondere Macht- und Ausnahmestellung eingeräumt war, demnächst derjenige der Persis, des Stammlandes der Achämeniden. Die wenn nicht ausschließliche, so doch überwiegende und den Titel bedingende Verwaltungsform war im Partherreich, anders als in dem der Cäsaren, das Lehnkönigtum, so daß die Satrapen nach Erbrecht eintraten, aber der großherrlichen Bestätigung unterlagen. Allem Anschein nach hat sich dies nach unten hin fortgesetzt, so daß kleinere Dynasten und Stammhäupter zu dem Unterkönig in demselben Verhältnis standen, wie dieser zu dem Großkönig. Somit war das Großkönigtum der Parther äußerst beschränkt zugunsten der hohen Aristokratie durch die ihm anhaftende Gliederung der erblichen Landesverwaltung. Dazu paßt recht wohl, daß die Masse der Bevölkerung aus halb oder ganz unfreien Leuten bestand und Freilassung nicht statthaft war. In dem Heer, das gegen Antonius focht, sollen unter 50 000 nur 400 Freie gewesen sein. Der vornehmste unter den Vasallen des Orodes, welcher als Feldherr desselben den Crassus schlug, zog ins Feld mit einem Harem von 200 Weibern und einer von 1000 Lastkamelen getragenen Bagage; er selber stellte 10 000 Reiter zum Heer aus seinen Klienten und Sklaven. Ein stehendes Heer haben die Parther niemals gehabt, sondern zu allen Zeiten blieb hier die Kriegführung angewiesen auf das Aufgebot der Lehnsfürsten und der ihnen untergeordneten Lehnsträger sowie der großen Masse der Unfreien, über welche diese geboten.

Allerdings fehlte das städtische Element in der politischen Ordnung des Partherreichs nicht ganz. Zwar die aus der eigenen Entwicklung des Ostens hervorgegangenen größeren Ortschaften sind keine städtischen Gemeinwesen, wie denn selbst die parthische Residenz Ktesiphon im Gegensatz zu der benachbarten griechischen Gründung Seleukeia ein Flecken genannt wird; sie hatten keine eigenen Vorsteher und keinen Gemeinderat, und die Verwaltung lag hier wie in den Landbezirken ausschließlich bei den königlichen Beamten. Aber von den Gründungen der griechischen Herrscher war ein freilich verhältnismäßig geringer Teil unter parthische Herrschaft gekommen. In den ihrer Nationalität nach aramäischen Provinzen Mesopotamien und Babylonien hatte das griechische Städtewesen unter Alexander und seinen Nachfolgern festen Fuß gefaßt. Mesopotamien war mit griechischen Gemeinwesen bedeckt und in Babylonien war die Nachfolgerin des alten Babylon, die Vorläuferin Bagdads, eine Zeitlang die Residenz der griechischen Könige Asiens, Seleukeia am Tigris durch ihre günstige Handelslage und ihre Fabriken emporgeblüht zu der ersten Kaufstadt außerhalb der römischen Grenzen, angeblich von mehr als einer halben Million Einwohner. Ihre freie hellenische Ordnung, auf der ohne Zweifel ihr Gedeihen vor allem beruhte, wurde im eigenen Interesse auch von den parthischen Herrschern nicht angetastet, und die Stadt bewahrte sich nicht bloß ihren Stadtrat von 300 erwählten Mitgliedern, sondern auch griechische Sprache und griechische Sitte mitten im ungriechischen Osten. Freilich bildeten in diesen Städten die Hellenen nur das herrschende Element; neben ihnen lebten zahlreiche Syrer und als dritter Bestandteil gesellten sich dazu die nicht viel weniger zahlreichen Juden, so daß, die Bevölkerung dieser Griechenstädte des Partherreichs, ähnlich wie die von Alexandreia, sich aus drei gesondert nebeneinander stehenden Nationalitäten zusammensetzte. Zwischen diesen kam es, eben wie in Alexandreia, nicht selten zu Konflikten, wie zum Beispiel zur Zeit der Regierung des Gaius unter den Augen der parthischen Regierung die drei Nationen miteinander handgemein und schließlich die Juden aus den größeren Städten ausgetrieben wurden. – Insofern ist das parthische Reich zu dem römischen das rechte Gegenstück. Wie in diesem das orientalische Unterkönigtum ausnahmsweise vorkommt, so in jenem die griechische Stadt; dem allgemeinen orientalisch-aristokratischen Charakter des Partherregiments tun die griechischen Kaufstädte an der Westgrenze so wenig Eintrag wie die Lehnkönigtümer Kappadokien und Armenien dem städtisch gegliederten Römerstaat. Während in dem Staat der Cäsaren das römisch-griechische städtische Gemeinwesen weiter und weiter um sich greift und allmählich zur allgemeinen Verwaltungsform wird, so reißt die Städtegründung, das rechte Merkzeichen der hellenisch-römischen Zivilisation, welche die griechischen Kaufstädte und die Militärkolonien Roms ebenso umspannt wie die großartigen Ansiedlungen Alexanders und der Alexandriden, mit dem Eintreten des Partherregiments im Osten plötzlich ab, und auch die bestehenden Griechenstädte des Partherreiches verkümmern im weiteren Lauf der Entwicklung. Dort wie hier drängt die Regel mehr und mehr die Ausnahmen zurück.

Irans Religion, mit ihrer dem Monotheismus sich nähernden Verehrung des »höchsten der Götter, der Himmel und Erde und die Menschen und für diese alles Gute geschaffen hat«, mit ihrer Bildlosigkeit und Geistigkeit, mit ihrer strengen Sittlichkeit und Wahrhaftigkeit, ihrer Hinwirkung auf praktische Tätigkeit und energische Lebensführung, hat die Gemüter ihrer Bekenner in ganz anderer und tieferer Weise gepackt, als die Religionen des Okzidents es je vermochten, und wenn vor der entwickelten Zivilisation weder Zeus noch Jupiter standgehalten haben, ist der Glaube bei den Parsen ewig jung geblieben, bis er einem andern Evangelium, dem der Bekenner des Mohammed erlag oder doch vor ihm nach Indien entwich. Wie sich der alte Mazda-Glaube, zu dem die Achämeniden sich bekannten und dessen Entstehung in die vorgeschichtliche Zeit fällt, zu demjenigen verhielt, den als Lehre des weisen Zarathustra die wahrscheinlich unter den späteren Achämeniden entstandenen heiligen Bücher der Perser, das Awestâ verkünden, ist nicht unsere Aufgabe darzustellen; für die Epoche, wo der Okzident mit dem Orient in Berührung steht, kommt nur die spätere Religionsform in Betracht, wie sie, entstanden vielleicht im Osten Irans, in Baktrien, insbesondere vom Westen her, von Medien aus dem Okzident gegenüber trat und in ihn eindrang. Enger aber als selbst bei den Kelten sind in Iran die nationale Religion und der nationale Staat miteinander verwachsen. Es ist schon hervorgehoben worden, daß das legitime Königtum in Iran zugleich eine religiöse Institution, der oberste Herrscher des Landes als durch die oberste Landesgottheit besonders zum Regiment berufen und selbst gewissermaßen göttlich gedacht wird. Auf den Münzen nationalen Gepräges erscheint regelmäßig der große Feueraltar und über ihm schwebend der geflügelte Gott Ahura Mazda, neben ihm in kleinerer Gestalt und in betender Stellung der König und dem König gegenüber das Reichsbanner. Dementsprechend geht auch die Übermacht des Adels im Partherreich Hand in Hand mit der privilegierten Stellung des Klerus. Die Priester dieser Religion, die Magier erscheinen schon in den Urkunden der Achämeniden und in den Erzählungen Herodots und haben, wahrscheinlich mit Recht, den Okzidentalen immer als national persische Institution gegolten. Das Priestertum ist erblich, und wenigstens in Medien, vermutlich auch in anderen Landschaften galt die Gesamtheit der Priester, etwa wie die Leviten in dem späteren Israel, als ein besonderer Volksteil. Auch unter der Herrschaft der Griechen haben die alte Religion des Staates und das nationale Priestertum ihren Platz behauptet. Als der erste Seleukos die neue Hauptstadt seines Reiches, das schon erwähnte Seleukeia gründen wollte, ließ er die Magier Tag und Stunde dafür bestimmen, und erst nachdem diese Perser, nicht gern, das verlangte Horoskop gestellt hatten, vollzogen ihrer Anweisung gemäß der König und sein Heer die feierliche Grundsteinlegung der neuen Griechenstadt. Also auch ihm standen beratend die Priester des Ahura Mazda zur Seite und sie, nicht die des hellenischen Olymp wurden bei den öffentlichen Angelegenheiten insoweit befragt, als diese göttliche Dinge betrafen. Selbstverständlich gilt dies um so mehr von den Arsakiden. Daß bei der Königswahl neben dem Adelsrat der der Priester mitwirkte, wurde schon bemerkt. König Tiridates von Armenien, aus dem Haus der Arsakiden, kam nach Rom unter Geleit eines Gefolges von Magiern, und nach deren Vorschrift reiste und speiste er, auch in Gemeinschaft mit dem Kaiser Nero, der gern sich von den fremden Weisen ihre Lehre verkünden und die Geister beschwören ließ. Daraus folgt allerdings noch nicht, daß der Priesterstand als solcher auf die Führung des Staates wesentlich bestimmend eingewirkt hat; aber keineswegs ist der Mazda-Glaube erst durch die Sassaniden wieder hergestellt worden; vielmehr ist bei allem Wechsel der Dynastien und bei aller eigenen Entwicklung die Landesreligion in Iran in ihren Grundzügen die gleiche geblieben.

Die Landessprache im Partherreich ist die einheimische Irans. Keine Spur führt darauf, daß unter den Arsakiden jemals eine Fremdsprache in öffentlichem Gebrauch gewesen ist. Vielmehr ist es der iranische Landesdialekt Babyloniens und die diesem eigentümliche Schrift, wie beide vor und in der Arsakidenzeit unter dem Einfluß von Sprache und Schrift der aramäischen Nachbarn sich entwickelten, welche mit der Benennung Pahlavi, das heißt Parthava belegt und damit bezeichnet werden als die des Reiches der Parther. Auch das Griechische ist in demselben nicht Reichssprache geworden. Keiner der Herrscher führt auch nur als zweiten Namen einen griechischen; und hätten die Arsakiden diese Sprache zu der ihrigen gemacht, so würden uns griechische Inschriften in ihrem Reiche nicht fehlen. Allerdings zeigen ihre Münzen bis auf die Zeit des Claudius ausschließlich und auch später überwiegend griechische Aufschrift, wie sie auch keine Spur der Landesreligion aufweisen und im Fuß sich der örtlichen Prägung der römischen Ostprovinzen anschließen, ebenso die Jahrteilung sowie die Jahr-Zählung so beibehalten haben, wie sie unter den Seleukiden geregelt worden waren. Aber es wird dies vielmehr dahin aufzufassen sein, daß die Großkönige selber überhaupt nicht prägten und diese Münzen, die ja wesentlich für den Verkehr mit den westlichen Nachbarn dienten, von den griechischen Städten des Reiches auf den Namen des Landesherrn geschlagen worden sind. Die Bezeichnung des Königs auf diesen Münzen als »Griechenfreund« (φιλέλλην), die schon früh begegnet und seit Mithradates I., das heißt seit der Ausdehnung des Staates bis an den Tigris, stehend wird, hat einen Sinn nur, wenn auf diesen Münzen die parthische Griechenstadt redet. Vermutlich war der griechischen Sprache im Partherreich neben der persischen eine ähnliche sekundäre Stellung im öffentlichen Gebrauch eingeräumt, wie sie sie im Römerstaat neben der lateinischen besaß. Das allmähliche Schwinden des Griechentums unter der parthischen Herrschaft läßt sich auf diesen städtischen Münzen deutlich verfolgen, sowohl in dem Auftreten der einheimischen Sprache neben und statt der griechischen wie auch in der mehr und mehr hervortretenden Sprachzerrüttung.

Dem Umfang nach stand das Reich der Arsakiden weit zurück nicht bloß hinter dem Weltstaat der Achämeniden, sondern auch hinter dem ihrer unmittelbaren Vorgänger, dem Seleukidenstaat. Von dessen ursprünglichem Gebiet besaßen sie nur die größere östliche Hälfte; nach der Schlacht, in welcher König Antiochos Sidetes, ein Zeitgenosse der Gracchen, gegen die Parther fiel, haben die syrischen Könige nicht wieder ernstlich versucht, ihre Herrschaft jenseits des Euphrat geltend zu machen; aber das Land dieseits des Euphrat blieb den Okzidentalen.

Von dem Persischen Meerbusen waren beide Küsten, auch die arabische, im Besitz der Parther, die Schiffahrt auf demselben also vollständig in ihrer Gewalt; die übrige arabische Halbinsel gehorchte weder den Parthern noch den über Ägypten gebietenden Römern.

Das Ringen der Nationen um den Besitz des Industales und der westlich und östlich angrenzenden Landschaften zu schildern, soweit die gänzlich zerrissene Überlieferung überhaupt eine Schilderung zuläßt, ist die Aufgabe unserer Darstellung nicht; aber die Hauptzüge dieses Kampfes, welcher dem um das Euphrattal geführten stetig zur Seite geht, dürfen auch in diesem Zusammenhang um so weniger fehlen, als unsere Überlieferung uns nicht gestattet, die Verhältnisse Irans nach Osten in ihrem Eingreifen in die westlichen Beziehungen im einzelnen zu verfolgen und es daher notwendig erscheint, wenigstens die Grundlinien derselben uns zu vergegenwärtigen. Bald nach dem Tode des großen Alexander wurde durch das Abkommen seines Marschalls und Teilerben Seleukos mit dem Gründer des Inderreiches Tschandragupta oder griechisch Sandrakottos die Grenze zwischen Iran und Indien gezogen. Danach herrschte der letztere nicht bloß über das Gangestal in seiner ganzen Ausdehnung und das gesamte nördliche Vorderindien, sondern im Gebiet des Indus wenigstens über einen Teil des Hochtals des heutigen Kabul, ferner über Arachosien oder Afghanistan, vermutlich auch über das wüste und wasserarme Gedrosien, das heutige Balutschistan, sowie über das Delta und die Mündungen des Indus; die in Stein gehauenen Urkunden, durch welche Tschandraguptas Enkel, der gläubige Buddhaverehrer Asoka, das allgemeine Sittengesetz seinen Untertanen einschärfte, sind wie in diesem ganzen weit ausgedehnten Gebiet, so namentlich noch in der Gegend von Pischawar gefunden worden. Der Hindukusch, der Parapanisos der Alten, und dessen Fortsetzung nach Osten und Westen schieden also mit ihrer gewaltigen nur von wenigen Pässen durchsetzten Kette Iran und Indien. Aber langen Bestand hat dies Abkommen nicht gehabt.

In der früheren Diadochenzeit brachten die griechischen Herrscher des Reiches von Baktra, das von dem Seleukidenstaat gelöst einen mächtigen Aufschwung nahm, das Grenzgebirge überschreitend einen großen Teil des Industales in ihre Gewalt und setzten vielleicht noch weiter hinein in Vorderindien sich fest, so daß das Schwergewicht dieses Reiches sich aus dem westlichen Iran nach dem östlichen Indien verschob und der Hellenismus dem Indertum wich. Die Könige dieses Reiches heißen indische und führen späterhin ungriechische Namen; auf den Münzen erscheint neben und statt der griechischen die einheimisch indische Sprache und Schrift, ähnlich wie in der parthisch-persischen Prägung neben dem Griechischen das Pahlavi emporkommt.

Es trat dann eine Nation mehr in den Kampf ein: die Skythen oder, wie sie in Iran und in Indien heißen, die Saker brachen aus ihren Stammsitzen am Jaxartes über das Gebirge nach Süden vor. Die. baktrische Landschaft kam wenigstens großenteils in ihre Gewalt und etwa im letzten Jahrhundert der römischen Republik müssen sie sich in dem heutigen Afghanistan und Balutschistan festgesetzt haben. Darum heißt in der frühen Kaiserzeit die Küste zu beiden Seiten der Indusmündung um Minnagara Skythien und führt im Binnenlande die westlich von Kandahar gelegene Landschaft der Dranger später den Namen »Sakerland«, Sakastane, das heutige Sedjistan. Diese Einwanderung der Skythen in die Landschaften des baktro-indischen Reiches hat dasselbe wohl eingeschränkt und geschädigt, etwa wie die ersten Wanderungen der Germanen das römische, aber es nicht zerstört; noch unter Vespasian hat ein wahrscheinlich selbständiger baktrischer Staat bestanden.

Unter den Juliern und den Claudiern scheinen dann an der Indusmündung die Parther die Vormacht gewesen zu sein. Ein zuverlässiger Berichterstatter aus augustischer Zeit führt eben jenes Sakastane unter den parthischen Provinzen auf und nennt den König der Saker-Skythen einen Unterkönig der Arsakiden; als letzte parthische Provinz gegen Osten bezeichnet er Arachosien mit der Hauptstadt Alexandropolis, wahrscheinlich Kandahar. Ja bald darauf in vespasianischer Zeit herrschen in Minnagara parthische Fürsten. Indes war dies für das Reich am Indusstrom mehr ein Wechsel der Dynastie als eine eigentliche Annexion an den Staat von Ktesiphon. Der Partherfürst Gondopharos, den die christliche Legende mit dem Apostel der Parther und der Inder, dem heiligen Thomas, verknüpft, hat allerdings von Minnagara aus bis nach Pischawar und Kabul hinauf geherrscht; aber diese Herrscher gebrauchen, wie ihre Vorherrscher im indischen Reich, neben der griechischen die indische Sprache und nennen sich Großkönige wie diejenigen von Ktesiphon; sie scheinen mit den Arsakiden darum nicht weniger rivalisiert zu haben, weil sie demselben Fürstengeschlecht angehörten. – Auf diese parthische Dynastie folgt dann in dem indischen Reich nach kurzer Zwischenzeit die in der indischen Überlieferung als die der Saker oder die des Königs Kanerku oder Kanischka bezeichnete, welche mit dem J. 78 n. Chr. beginnt und wenigstens bis in das 3. Jahrhundert bestanden hat. Sie gehören zu den Skythen, deren Einwanderung früher erwähnt ward und auf ihren Münzen tritt an die Stelle der indischen die skythische Sprache. So haben im Indusgebiet nach den Indern und den Hellenen in den ersten drei Jahrhunderten unserer Zeitrechnung Parther und Skythen das Regiment geführt. Aber auch unter den ausländischen Dynastien hat dort dennoch eine national-indische Staatenbildung sich vollzogen und behauptet und der parthisch-persischen Machtentwicklung im Osten eine nicht minder dauernde Schranke entgegengestellt wie der Römerstaat im Westen.

Gegen Norden und Nordosten grenzte Iran mit Turan. Wie das westliche und südliche Ufer des Kaspischen Meeres und die oberen Täler des Oxos und Jaxartes der Zivilisation eine geeignete Stätte bieten, so gehört die Steppe um den Aralsee und das dahinter sich ausbreitende Flachland von Rechts wegen den schweifenden Leuten. Es sind unter diesen Nomaden wohl einzelne den Iraniern verwandte Völkerschaften gewesen; aber auch diese haben keinen Teil an der iranischen Zivilisation, und es ist das bestimmende Moment für die geschichtliche Stellung Irans, daß es die Vormauer der Kulturvölker bildet gegen diejenigen Horden, die als Skythen, Saken, Hunnen, Mongolen, Türken keine andere weltgeschichtliche Bestimmung zu haben scheinen als die der Kulturvernichtung. Baktra, das große Bollwerk Irans gegen Turan, hat in der nachalexandrischen Epoche unter seinen griechischen Herrschern längere Zeit dieser Abwehr genügt; aber es ist schon erwähnt worden, daß es späterhin zwar nicht unterging, aber das Vordringen der Skythen nach Süden nicht länger zu hindern vermochte. Mit dem Rückgang der baktrischen Macht ging die gleiche Aufgabe über auf die Arsakiden. Wieweit dieselben ihr entsprochen haben, ist schwierig zu sagen. In der ersten Kaiserzeit scheinen die Großkönige von Ktesiphon, wie südlich vom Hindukusch so auch in den nördlichen Landschaften, die Skythen zurückgedrängt oder sich botmäßig gemacht zu haben; einen Teil des baktrischen Gebiets haben sie ihnen wieder entrissen. Aber welche und ob überhaupt dauernde Grenzen hier sich feststellten, ist zweifelhaft. Der Kriege der Parther und der Skythen wird oft gedacht. Die letzteren, hier zunächst die Umwohner des Aralsees, die Vorfahren der heutigen Turkmenen, sind regelmäßig die Angreifenden, indem sie teils zu Wasser über das Kaspische Meer in die Täler des Kyros und des Araxes einfallen, teils von ihrer Steppe aus die reichen Fluren Hyrkaniens und die fruchtbare Oase der Margiana (Merw) ausrauben. Die Grenzgebiete verstanden sich dazu, die willkürliche Brandschatzung mit Tributen abzukaufen, welche regelmäßig in festen Terminen eingefordert wurden, wie heute die Beduinen Syriens von den Bauern daselbst die Kubba erheben. Das parthische Regiment also vermochte wenigstens in der früheren Kaiserzeit so wenig wie das heutige türkische, hier dem friedlichen Untertan die Früchte seiner Arbeit zu sichern und einen dauernden Friedensstand an der Grenze herzustellen. Auch für die Reichsgewalt selbst blieben diese Grenzwirren eine offene Wunde; oftmals haben sie in die Sukzessionskriege der Arsakiden sowie in ihre Streitigkeiten mit Rom eingegriffen.

Wie das Verhältnis der Parther zu den Römern sich gestaltet und die Grenzen der beiden Großmächte sich festgestellt hatten, ist seiner Zeit dargelegt worden. Während die Armenier mit den Parthern rivalisiert hatten und das Königtum am Araxes sich anschickte, in Vorderasien die Großkönigsrolle zu spielen, hatten die Parther im allgemeinen freundliche Beziehungen zu den Römern unterhalten als den Feinden ihrer Feinde. Aber nach der Niederwerfung des Mithradates und des Tigranes hatten die Römer, namentlich durch die von Pompeius getroffenen Organisationen, eine Stellung genommen, die mit ernstlichem und dauerndem Frieden zwischen den beiden Staaten sich schwer vertrug. Im Süden stand Syrien jetzt unter unmittelbarer römischer Herrschaft und die römischen Legionen hielten Wacht an dem Saume der großen Wüste, die das Küstenland vom Euphrattal scheidet. Im Norden waren Kappadokien und Armenien römische Lehnsfürstentümer. Die nordwärts an Armenien grenzenden Völkerschaften, die Kolcher, Iberer, Albaner, waren damit notwendig dem parthischen Einfluß entzogen und wenigstens nach römischer Auffassung ebenfalls römische Lehnstaaten. Das südöstlich an Armenien angrenzende durch den Araxes von ihm getrennte Klein-Medien oder Atropatene (Aderbeidjan) hatte schon den Seleukiden gegenüber unter seiner alteinheimischen Dynastie seine Nationalität behauptet und sogar sich selbständig gemacht; unter den Arsakiden erscheint der König dieser Landschaft je nach Umständen als Lehnsträger der Parther oder als unabhängig von diesen durch Anlehnung an die Römer. Somit reichte der bestimmende Einfluß Roms bis zum Kaukasus und zum westlichen Ufer des Kaspischen Meeres. Es lag hierin ein Übergreifen über die durch die nationalen Verhältnisse angezeigten Grenzen. Das hellenische Volkstum hatte wohl an der Südküste des Schwarzen Meeres und im Binnenland in Kappadokien und Kommagene so weit Fuß gefaßt, daß hier die römische Vormacht an ihm einen Rückhalt fand; aber Armenien ist auch unter der langjährigen römischen Herrschaft immer ein ungriechisches Land geblieben, durch die Gemeinschaft der Sprache und des Glaubens, die zahlreichen Zwischenheiraten der Vornehmen, die gleiche Kleidung und gleiche Bewaffnung an den Partherstaat mit unzerreißbaren Banden geknüpft. Die römische Aushebung und die römische Besteuerung sind nie auf Armenien erstreckt worden; höchstens bestritt das Land die Aufstellung und die Unterhaltung der eigenen Truppen und die Verpflegung der daselbst liegenden römischen. Die armenischen Kaufleute vermittelten den Warentausch über den Kaukasus mit Skythien, über das Kaspische Meer mit Ostasien und China, den Tigris hinab mit Babylonien und Indien, nach Westen hin mit Kappadokien; nichts hätte näher gelegen, als das politisch abhängige Land in das römische Steuer- und Zollgebiet einzuschließen; dennoch ist nie dazu geschritten worden. Die Inkongruenz der nationalen und der politischen Zugehörigkeit Armeniens bildet ein wesentliches Moment in dem durch die ganze Kaiserzeit sich hinziehenden Konflikt mit dem östlichen Nachbar. Man erkannte es wohl auf römischer Seite, daß die Annektierung jenseits des Euphrat ein Übergriff in das Stammgebiet der orientalischen Nationalität und für Rom kein eigentlicher Machtzuwachs war. Der Grund aber oder wenn man will die Entschuldigung dafür, daß diese Übergriffe dennoch sich fortsetzten, liegt darin, daß das Nebeneinanderstehen gleichberechtigter Großstaaten mit dem Wesen der römischen, man darf vielleicht sagen mit der Politik des Altertums überhaupt unvereinbar ist. Das römische Reich kennt als Grenze genau genommen nur das Meer oder das wehrlose Landgebiet. Dem schwächeren, aber doch wehrhaften Staatswesen der Parther gönnten die Römer die Machtstellung nicht und nahmen ihm, worauf diese wieder nicht verzichten konnten; und darum ist das Verhältnis zwischen Rom und Iran durch die ganze Kaiserzeit eine nur durch Waffenstillstände unterbrochene ewige Fehde um das linke Ufer des Euphrat.

In den von Lucullus und Pompeius mit den Parthern abgeschlossenen Verträgen war die Euphratgrenze anerkannt, also Mesopotamien ihnen zugestanden worden. Aber dies hinderte die Römer nicht, die Herrscher von Edessa in ihre Klientel aufzunehmen und, wie es scheint, durch Erstreckung der Grenzen Armeniens gegen Süden, einen großen Teil des nördlichen Mesopotamien wenigstens für ihre mittelbare Herrschaft in Anspruch zu nehmen. Deswegen hatte nach einigem Zaudern die parthische Regierung den Krieg gegen die Römer in der Form begonnen, daß sie ihn den Armeniern erklärte. Die Antwort darauf war der Feldzug des Crassus und nach der Niederlage bei Karrhä die Zurückführung Armeniens unter parthische Gewalt; man kann hinzusetzen die Wiederaufnahme der Ansprüche auf die westliche Hälfte des Seleukidenstaates, deren Durchführung freilich damals mißlang. Während des ganzen zwanzigjährigen Bürgerkrieges, in dem die römische Republik zugrunde ging und schließlich der Prinzipat sich feststellte, dauerte der Kriegsstand zwischen Römern und Parthern, und nicht selten griffen beide Kämpfe ineinander ein. Pompeius hatte vor der Entscheidungsschlacht versucht, den König Orodes als Verbündeten zu gewinnen; aber als dieser die Abtretung Syriens forderte, vermochte er es nicht über sich, die durch ihn selbst römisch gewordene Provinz auszuliefern. Nach der Katastrophe hatte er dennoch sich dazu entschlossen; aber Zufälligkeiten lenkten seine Flucht statt nach Syrien vielmehr nach Ägypten, wo er dann sein Ende fand. Die Parther schienen im Begriff abermals in Syrien einzubrechen; und die späteren Führer der Republikaner verschmähten den Beistand der Landesfeinde nicht. Noch bei Cäsars Lebzeiten hatte Cäcilius Bassus, als er die Fahnen des Aufstandes in Syrien erhob, sofort die Parther herbeigerufen. Sie waren diesem Ruf auch gefolgt; des Orodes Sohn Pakoros hatte den Statthalter Cäsars geschlagen und die von ihm in Apameia belagerte Truppe des Bassus befreit (709). Sowohl aus diesem Grunde wie um für Karrhä Revanche zu nehmen, hatte Cäsar beschlossen, im nächsten Frühling persönlich nach Syrien und über den Euphrat zu gehen; aber die Ausführung dieses Planes verhinderte sein Tod. Als dann Cassius in Syrien rüstete, knüpfte er auch mit dem Partherkönig an und in der Entscheidungsschlacht bei Philippi (712) haben parthische berittene Schützen mit für die Freiheit Roms gestritten. Da die Republikaner unterlagen, verhielt der Großkönig zunächst sich ruhig, und auch Antonius hatte wohl die Absicht, des Diktators Pläne auszuführen, aber zunächst mit der Ordnung des Orients genug zu tun. Der Zusammenstoß konnte nicht ausbleiben; der Angreifende war diesmal der Partherkönig. Als im J. 713 Cäsar der Sohn in Italien mit den Feldherren und der Gemahlin des Antonius schlug und dieser in Ägypten bei der Königin Kleopatra untätig verweilte, entsprach Orodes dem Drängen eines bei ihm im Exil lebenden Römers, des Quintus Labienus und sandte diesen, einen Sohn des erbitterten Gegners des Diktators Titus Labienus und ehemaligen Offizier im Heere des Brutus, sowie (713) seinen Sohn Pakoros mit einer starken Armee über die Grenze. Der Statthalter Syriens Decidius Saxa unterlag dem unvermuteten Angriff; die römischen Besatzungen, großenteils gebildet aus alten Soldaten der republikanischen Armee, stellten sich unter den Befehl ihres früheren Offiziers; Apameia und Antiocheia, überhaupt alle Städte Syriens mit Ausnahme der ohne Flotte nicht zu bezwingenden Inselstadt Tyros, unterwarfen sich; auf der Flucht nach Kilikien gab sich Saxa, um nicht gefangen zu werden, selber den Tod. Nach der Einnahme Syriens wandte sich Pakoros gegen Palästina, Labienus nach der Provinz Asia; auch hier unterwarfen sich weithin die Städte oder wurden mit Gewalt bezwungen mit Ausnahme des karischen Stratonikeia. Antonius, durch die italischen Verwicklungen in Anspruch genommen, sandte seinen Statthaltern keinen Sukkurs und fast zwei Jahre (Ende 713 bis Frühjahr 715) geboten in Syrien und einem großen Teil Kleinasiens die parthischen Feldherren und der republikanische Imperator Labienus – der Parthiker, wie er mit schamloser Ironie sich nannte, nicht der Römer, der die Parther, sondern der Römer, der mit den Parthern die Seinigen überwand. Erst nachdem der drohende Bruch zwischen den beiden Machthabern abgewandt war, sandte Antonius ein neues Heer unter Führung des Publius Ventidius Bassus, dem er das Kommando in den Provinzen Asia und Syrien übergab. Der tüchtige Feldherr traf in Asia den Labienus allein mit seinen römischen Truppen und schlug ihn rasch aus der Provinz hinaus. An der Scheide von Asia und Kilikien, in den Pässen des Taurus, wollte eine Abteilung der Parther die fliehenden Verbündeten aufnehmen; aber auch sie wurden geschlagen, bevor sie sich mit Labienus vereinigen konnten, und darauf dieser auf der Flucht in Kilikien aufgegriffen und getötet. Mit gleichem Glück erstritt Ventidius die Pässe des Amanos an der Grenze von Kilikien und Syrien; hier fiel Pharnapates, der beste der parthischen Generale (715). Damit war Syrien vom Feinde befreit. Allerdings überschritt den Jahre darauf Pakoros noch einmal den Euphrat, aber um in einem entscheidenden Treffen bei Gindaros nordöstlich von Antiocheia (9. Juni 716) mit dem größten Teil seines Heeres den Untergang zu finden. Es war ein Sieg, der den Tag bei Karrhä einigermaßen aufwog, und von dauernder Wirkung: auf lange hinaus haben die Parther nicht wieder ihre Truppen am römischen Ufer des Euphrat gezeigt.

Wenn es im Interesse Roms lag, die Eroberungen gegen Osten auszudehnen und die Erbschaft des großen Alexander hier in ihrem vollen Umfang anzutreten, so lagen dafür die Verhältnisse nie günstiger als im J. 716. Die Beziehungen der Zweiherrscher zueinander hatten zur rechten Zeit dafür sich neu befestigt und auch Cäsar wünschte damals wahrscheinlich aufrichtig eine ernstliche und glückliche Kriegführung seines Herrschaftsgenossen und neuen Schwagers. Die Katastrophe von Gindaros hatte bei den Parthern eine schwere dynastische Krise hervorgerufen. König Orodes legte, tief erschüttert durch den Tod seines ältesten und tüchtigsten Sohnes, das Regiment zugunsten seines zweitgeborenen, Phraates, nieder. Dieser führte, um sich den Thron besser zu sichern, ein Regiment des Schreckens, dem seine zahlreichen Brüder und der alte Vater selbst sowie eine Anzahl der hohen Adligen des Reiches zum Opfer fielen; andere derselben traten aus und suchten Schutz bei den Römern, unter ihnen der mächtige und angesehene Monäses. Nie hat Rom im Orient ein Heer von gleicher Zahl und Tüchtigkeit gehabt wie in dieser Zeit: Antonius vermochte nicht weniger als 16 Legionen, gegen 70 000 Mann römischer Infanterie, gegen 40 000 der Hilfsvölker, 10 000 pansische und gallische, 6000 armenische Reiter über den Euphrat zu führen; wenigstens die Hälfte derselben waren altgediente aus dem Westen herangeführte Truppen, alle bereit, ihrem geliebten und verehrten Führer, dem Sieger von Philippi wo immer hin zu folgen und die glänzenden Siege, die nicht durch, aber für ihn über die Parther bereits erfochten waren, unter seiner eigenen Führung mit noch größeren Erfolgen zu krönen.

In der Tat faßte Antonius die Aufrichtung eines asiatischen Großkönigtums nach dem Muster Alexanders ins Auge. Wie Crassus vor seinem Einrücken verkündigt hatte, daß er die römische Herrschaft bis nach Baktrien und Indien ausdehnen werde, so nannte Antonius den ersten Sohn, den die ägyptische Königin ihm gebar, mit dem Namen Alexanders. Er scheint geradezu beabsichtigt zu haben, einerseits mit Anschluß der vollständig hellenisierten Provinzen Bithynien und Asia das gesamte Reichsgebiet im Osten, soweit es nicht schon unter abhängigen Kleinfürsten stand, in diese Form zu bringen, andererseits alle einstmals von den Okzidentalen besetzten Landschaften des Ostens in Form von Satrapien sich untertänig zu machen. Von dem östlichen Kleinasien wurde der größte Teil und der militärische Primat dem streitbarsten der dortigen Fürsten, dem Galater Amyntas, zugewiesen. Neben dem galatischen standen die Fürsten von Paphlagonien, die von Galatien verdrängten Nachkommen des Deiotarus; Polemon, der neue Fürst im Pontos und der Gemahl der Enkelin des Antonius Pythodoris; ferner wie bisher die Könige von Kappadokien und Kommagene. Einen großen Teil Kilikiens und Syriens sowie Kypros und Kyrene vereinigte Antonius mit dem ägyptischen Staat, dem er also fast die Grenzen wiedergab, wie sie unter den Ptolemäern gewesen waren, und wie er die Buhle Cäsars, die Königin Kleopatra, zu der seinigen oder vielmehr zu seiner Gattin gemacht hatte, so erhielt ihr Bastard von Cäsar Cäsarion, schon früher anerkannt als Mitherrscher in Ägypten, die Anwartschaft auf das alte Ptolemäerreich, die auf Syrien ihr Bastard von Antonius Ptolemäos Philadelphos. Einem anderen Sohn, den sie dem Antonius geboren hatte, dem schon erwähnten Alexander ward für jetzt Armenien zugeteilt als Abschlagzahlung auf die ihm weiter zugedachte Herrschaft des Ostens. Mit diesem nach orientalischer Art geordneten Großkönigtum dachte er den Prinzipat über den Okzident zu vereinigen. Er selbst hat nicht den Königsnamen angenommen, vielmehr seinen Landsleuten und den Soldaten gegenüber nur diejenigen Titel geführt, die auch Cäsar zukamen. Aber auf Reichsmünzen mit lateinischer Aufschrift heißt Kleopatra Königin der Könige, ihre Söhne von Antonius wenigstens Könige; den Kopf seines ältesten Sohnes zeigen die Münzen neben dem des Vaters, als verstände die Erblichkeit sich von selbst; die Ehe und die Erbfolge der echten und der Bastardkinder wird von ihm behandelt, wie es bei den Großkönigen des Ostens Gebrauch ist oder, wie er selbst sagte, mit der göttlichen Freiheit seines Ahnherrn Herakles; jenen Alexander und dessen Zwillingsschwester Kleopatra nannte er den ersteren Helios, die letztere Selene nach dem Muster eben dieser Großkönige, und wie einst der Perserkönig dem flüchtigen Themistokles eine Anzahl asiatischer Städte, so schenkte er dem zu ihm übergetretenen Parther Monäses drei Städte Syriens. Auch in Alexander gingen der König der Makedonier und der König der Könige des Ostens einigermaßen nebeneinander her, und auch ihm war für das Lagerzelt von Gaugamela das Brautbett in Susa der Lohn; aber seine römische Kopie zeigt in ihrer Genauigkeit ein starkes Element der Karikatur.

Ob Antonius gleich bei der Übernahme des Regiments im Osten seine Stellung in dieser Weise aufgefaßt, ist nicht zu entscheiden; vermutlich ist die Schaffung eines neuen orientalischen Großkönigtums in Verbindung mit dem okzidentalischen Prinzipat allmählich in ihm gereift und der Gedanke erst völlig zu Ende gedacht worden, nachdem er im J. 717 bei seiner Rückkehr aus Italien nach Asien abermals das Verhältnis mit der letzten Königin des Lagidenhauses angeknüpft hatte, um es nicht wieder zu zerreißen. Aber sein Naturell war solchem Unterfangen nicht gewachsen. Eine jener militärischen Kapazitäten, die dem Feind gegenüber und besonders in schwieriger Lage besonnen und kühn zu schlagen wissen, fehlte ihm der staatsmännische Wille, das sichere Erfassen und entschlossene Verfolgen des politischen Ziels. Hätte der Diktator Cäsar ihm die Unterwerfung des Ostens zur Aufgabe gestellt, so würde er sie wohl gelöst haben; zum Herrscher taugte der Marschall nicht. Nach der Vertreibung der Parther aus Syrien verstrichen fast zwei Jahre (Sommer 716 bis Sommer 718), ohne daß irgendein Schritt zum Ziele getan ward. Antonius selbst, auch darin untergeordnet, daß er seinen Generalen bedeutende Erfolge ungern gönnte, hatte den Besieger des Labienus und des Pakoros, den tüchtigen Ventidius sofort nach diesem letzten Erfolg entfernt und selbst den Oberbefehl übernommen, um die armselige Ehre der Einnahme Samosatas, der Hauptstadt des kleinen syrischen Dependenzstaates Kommagene, zu verfolgen und zu verfehlen; ärgerlich darüber verließ er den Osten, um in Italien mit seinem Schwager über die künftige Ordnung zu verhandeln oder mit seiner jungen Gattin Octavia sich des Lebens zu freuen. Seine Statthalter im Osten waren nicht untätig. Publius Canidius Crassus ging von Armenien aus gegen den Kaukasus vor und unterwarf daselbst den König der Iberer Pharnabazos und den der Albaner Zober. Gaius Sossius nahm in Syrien die letzte noch zu den Parthern haltende Stadt Arados; er stellte ferner in Judäa die Herrschaft des Herodes wieder her und ließ den von den Parthern eingesetzten Thronprätendenten, den Hasmonäer Antigonos hinrichten. Die Konsequenzen des Sieges auf römischem Gebiet wurden also gezogen und bis zum Kaspischen Meer und der syrischen Wüste die römische Herrschaft zur Anerkennung gebracht. Aber die Kriegführung gegen die Parther zu beginnen hatte sich Antonius selbst vorbehalten, und er kam nicht. Als er endlich im J. 718 sich nicht Octavias, sondern Kleopatras Armen entwand und die Heersäulen in Marsch setzte, war bereits ein guter Teil der geeigneten Jahreszeit verstrichen. Noch, viel auffallender als die Säumnis ist die Richtung, welche Antonius wählte. Früher und später haben alle Angriffskriege der Römer gegen die Parther den Weg auf Ktesiphon eingeschlagen, die Hauptstadt des Reiches und zugleich an dessen Westgrenze gelegen, also für die am Euphrat oder am Tigris hinabmarschierenden Heere das natürliche und nächste Operationsziel. Auch Antonius konnte, nachdem er durch das nördliche Mesopotamien ungefähr auf dem Wege, den Alexander beschritten hatte, an den Tigris gelangt war, am Fluß hinab auf Ktesiphon und Seleukeia vorrücken. Aber statt dessen ging er vielmehr in nördlicher Richtung zunächst nach Armenien und von da, wo er seine gesamten Streitkräfte vereinigte und namentlich durch die armenische Reiterei sich verstärkte, in die Hochebene von Media Atropatene (Aderbeidjân). Der verbündete König von Armenien mag diesen Feldzugsplan wohl empfohlen haben, da die armenischen Herrscher zu allen Zeiten nach dem Besitz dieses Nachbarlandes strebten und König Artavazdes von Armenien hoffen mochte den gleichnamigen Satrapen von Atropatene jetzt zu bewältigen und dessen Gebiet zu dem seinigen zu fügen. Aber Antonius selbst ist durch solche Rücksichten unmöglich bestimmt worden. Eher mochte er meinen von Atropatene aus in das Herz des feindlichen Landes vordringen zu können und die alten persischen Residenzen Ekbatana und Rhagä als Marschziel betrachten. Aber wenn er dies plante, handelte er ohne Kenntnis des schwierigen Terrains und unterschätzte durchaus die Widerstandskraft des Gegners, wobei die kurze für Operationen in diesem Gebirgsland verfügbare Zeit und der späte Beginn des Feldzugs schwer in die Waagschale fielen. Da ein geschickter und erfahrener Offizier, wie Antonius war, sich darüber schwerlich hat täuschen können, so haben wahrscheinlich besondere politische Erwägungen hier eingewirkt. Phraates Herrschaft wankte, wie gesagt ward; Monäses, von dessen Treue Antonius sich versichert hielt und den er vielleicht an Phraates Stelle zu setzen hoffte, war dem Wunsche des Partherkönigs gemäß in sein Vaterland zurückgekehrt; Antonius scheint auf eine Schilderhebung desselben gegen Phraates gezählt und in Erwartung dieses Bürgerkrieges seine Armee in die inneren parthischen Provinzen geführt zu haben. Es wäre wohl möglich gewesen in dem befreundeten Armenien den Erfolg dieses Anschlags abzuwarten, und wenn danach weitere Operationen erforderlich waren, im folgenden Jahre wenigstens über die volle Sommerzeit zu verfügen; aber dies Zuwarten mißfiel dem hastigen Feldherrn. In Atropatene traf er nicht bloß auf den hartnäckigen Widerstand des mächtigen und halb unabhängigen Unterkönigs, der in seiner Hauptstadt Praaspa oder Phraarta (südlich vom Urmia-See, vermutlich am oberen Lauf des Djaghatu) entschlossen die Belagerung aushielt, sondern der feindliche Angriff brachte auch den Parthern, wie es scheint, den inneren Frieden. Phraates führte ein stattliches Heer zum Entsatz der angegriffenen Stadt heran. Antonius hatte einen großen Belagerungspark mitgeführt, aber ungeduldig vorwärts eilend diesen in der Obhut von zwei Legionen unter dem Legaten Oppius Statianus zurückgelassen. So kam er seinerseits mit der Belagerung nicht vorwärts; König Phraates aber sandte unter eben jenem Monäses seine Reitermassen in den Rücken der Feinde gegen das mühsam nachrückende Korps des Statianus. Die Parther hieben die Deckungsmannschaft nieder, darunter den Feldherrn selbst, nahmen den Rest gefangen und vernichteten den gesamten Park von 300 Wagen. Damit war der Feldzug verloren. Der Armenier, an dem Erfolge des Feldzugs verzweifelnd, nahm seine Leute zusammen und ging heim. Antonius gab nicht sofort die Belagerung auf und schlug sogar das königliche Heer in offener Feldschlacht, aber die flinken Reiter entrannen ohne wesentlichen Verlust und es war ein Sieg ohne Wirkung. Ein Versuch, von dem König wenigstens die Rückgabe der alten und der neu verlorenen Adler zu erlangen und also wenn nicht mit Vorteil, doch mit Ehren zu schließen, schlug fehl; so leichten Kaufes gab der Parther den sicheren Erfolg nicht aus der Hand. Er versicherte nur den Abgesandten des Antonius, daß, wenn die Römer die Belagerung aufheben würden, er sie auf der Heimkehr nicht belästigen werde. Diese weder ehrenvolle noch zuverlässige feindliche Zusage wird Antonius schwerlich zum Aufbruch bestimmt haben. Es lag nahe, in Feindesland Winterquartier zu nehmen, zumal da die parthischen Truppen dauernden Kriegsdienst nicht kannten und voraussichtlich beim Einbrechen des Winters die meisten Mannschaften heimgegangen sein würden. Aber es fehlte ein fester Stützpunkt und die Zufuhr in dem ausgesogenen Land war nicht gesichert, vor allen Dingen Antonius selbst einer solchen zähen Kriegführung nicht fähig. Also gab er die Maschinen preis, die die Belagerten sofort verbrannten und trat den schweren Rückweg an, entweder zu früh oder zu spät. Fünfzehn Tagemärsche (300 röm. Meilen) durch feindliches Land trennten das Heer von dem Araxes, dem Grenzfluß Armeniens, wohin trotz der zweideutigen Haltung des Herrschers allein der Rückzug gerichtet werden konnte. Ein feindliches Heer von 40 000 Berittenen gab trotz der gegebenen Zusage den Abziehenden das Geleit und mit dem Abmarsch der Armenier hatten die Römer den besten Teil ihrer Reiterei verloren. Die Lebensmittel und die Zugtiere waren knapp, die Jahreszeit weit vorgerückt. Aber Antonius fand in der gefährlichen Lage seine Kraft und seine Kriegskunst wieder, einigermaßen auch sein Kriegsglück; er hatte gewählt, und der Feldherr wie die Truppen lösten die Aufgabe in rühmlicher Weise. Hätten sie nicht einen ehemaligen Soldaten des Crassus bei sich gehabt, der, zum Parther geworden, Weg und Steg auf das genaueste kannte und sie statt durch die Ebene, auf der sie gekommen waren, auf Gebirgswegen zurückführte, die den Reiterangriffen weniger ausgesetzt waren – wie es scheint über die Berge um Tabriz –, so würde das Heer schwerlich an das Ziel gelangt sein; und hätte nicht Monäses, in seiner Art dem Antonius die Dankesschuld abtragend, ihn rechtzeitig von den falschen Zusicherungen und den hinterlistigen Anschlägen seiner Landsleute in Kenntnis gesetzt, so wären die Römer wohl in einen der Hinterhalte gefallen, die ihnen mehrfach gelegt wurden. Antonius Soldatennatur trat in diesen schweren Tagen oftmals glänzend hervor, in seiner geschickten Benutzung jedes günstigen Moments, in seiner Strenge gegen die Feigen, in seiner Macht über die Soldatengemüter, in seiner treuen Fürsorge für die Verwundeten und die Kranken. Dennoch war die Rettung fast ein Wunder; schon hatte Antonius einen treuen Leibdiener angewiesen, im äußersten Fall ihn nicht lebend in die Hände der Feinde fallen zu lassen. Unter stetigen Angriffen des tückischen Feindes, in winterlich kalter Witterung, bald ohne genügende Nahrung und oft ohne Wasser erreichten sie in siebenundzwanzig Tagen die schützende Grenze, wo der Feind von ihnen abließ. Der Verlust war ungeheuer; man rechnete auf jene siebenundzwanzig Tage achtzehn größere Treffen und in einem einzigen derselben zählten die Römer 3000 Tote und 5000 Verwundete. Es waren eben die besten und bravsten, die die stetigen Nachhuts- und Flankengefechte hinrafften. Das ganze Gepäck, ein Drittel des Trosses, ein Viertel der Armee, 20 000 Fußsoldaten und 4000 Reiter waren auf diesem medischen Feldzug zugrunde gegangen, zum großen Teil nicht durch das Schwert, sondern durch Hunger und Seuchen. Auch am Araxes waren die Leiden der unglücklichen Truppen noch nicht zu Ende. Artavazdes nahm sie als Freund auf und hatte auch keine andere Wahl; es wäre wohl möglich gewesen, hier zu überwintern. Aber die Ungeduld des Antonius litt dies nicht; der Marsch ging weiter, und bei der immer rauher werdenden Jahreszeit und dem Gesundheitszustand der Soldaten kostete dieser letzte Abschnitt der Expedition vom Araxes bis nach Antiocheia, obwohl kein Feind ihn behinderte, noch weitere 8000 Mann. Wohl ist dieser Feldzug ein letztes Aufleuchten dessen, was in Antonius Charakter brav und tüchtig war, aber politisch seine Katastrophe, um so mehr, als gleichzeitig Cäsar durch die glückliche Beendigung des sizilischen Krieges die Herrschaft im Okzident und das Vertrauen Italiens für jetzt und alle Zukunft gewann. Die Verantwortung für den Mißerfolg, den zu verleugnen er vergeblich versuchte, warf Antonius auf die abhängigen Könige von Kappadokien und Armenien, auf den letzteren insofern mit Recht, als dessen vorzeitiger Abmarsch von Praaspa die Gefahren und die Verluste des Rückzugs wesentlich gesteigert hatte. Aber für den Feldzugsplan trug nicht er die Verantwortung, sondern Antonius; und das Fehlschlagen der auf Monäses gesetzten Hoffnungen, die Katastrophe des Statianus, das Scheitern der Belagerung von Praaspa sind nicht durch den Armenier herbeigeführt worden. Die Unterwerfung des Ostens gab Antonius nicht auf, sondern brach im nächsten Jahre (719) abermals aus Ägypten auf. Die Verhältnisse lagen auch jetzt noch verhältnismäßig günstig. Mit dem medischen König Artavazdes wurde ein Freundschaftsbündnis angeknüpft; derselbe war nicht bloß mit dem parthischen Oberherrn in Streit geraten, sondern grollte auch vor allem dem armenischen Nachbar und durfte bei der wohlbekannten Erbitterung des Antonius gegen diesen darauf rechnen, an dem Feind seines Feindes eine Stütze zu finden. Alles kam an auf das feste Einvernehmen der beiden Machthaber, des sieggekrönten Herrn des Westens und des geschlagenen Herrschers im Osten; und auf die Kunde hin, daß Antonius die Fortführung des Krieges beabsichtige, begab sich seine rechtmäßige Gattin, die Schwester Cäsars von Italien nach dem Osten, um ihm neue Mannschaften zuzuführen und das Verhältnis zu ihr und zu dem Bruder neu zu befestigen. Wenn Octavia groß genug dachte, trotz des Verhältnisses mit der ägyptischen Königin dem Gatten die Hand zur Versöhnung zu bieten, so muß auch Cäsar, wie dies weiter die eben jetzt erfolgende Eröffnung des Krieges an der italischen Nordostgrenze bestätigt, damals noch bereit gewesen sein, das bestehende Verhältnis aufrechtzuerhalten. Beide Geschwister ordneten ihre persönlichen Interessen denen des Gemeinwesens in hochherziger Weise unter. Aber wie laut das Interesse wie die Ehre dafür sprachen, die hingereichte Hand anzunehmen, Antonius konnte es nicht über sich gewinnen, das Verhältnis zu der Ägyptierin zu lösen; er wies die Gattin zurück, und dies war zugleich der Bruch mit deren Bruder, und, wie man hinzusetzen kann, der Verzicht auf die Fortführung des Krieges gegen die Parther. Nun mußte, ehe daran gedacht werden konnte, die Herrschaftsfrage zwischen Antonius und Cäsar erledigt werden. Antonius ging denn auch sofort aus Syrien nach Ägypten zurück und unternahm in den folgenden Jahren nichts weiteres zur Ausführung seiner orientalischen Eroberungspläne; nur strafte er die, denen er die Schuld des Mißerfolges beimaß. Den König von Kappadokien Ariarathes ließ er hinrichten und gab das Königreich einem illegitimen Verwandten desselben, dem Archelaos. Das gleiche Schicksal war dem Armenier zugedacht. Wenn Antonius, wie er sagte, zur Fortführung des Krieges im J. 720 (34 v. Chr.) in Armenien erschien, so hatte dies nur den Zweck, die Person des Königs, der sich geweigert hatte, nach Ägypten zu gehen, in die Gewalt zu bekommen. Dieser Akt der Rache wurde auf nichtswürdige Weise im Wege der Überlistung ausgeführt und in nicht minder nichtswürdiger Weise durch eine in Alexandreia aufgeführte Karikatur des kapitolinischen Triumphes gefeiert. Damals wurde der zum Herrn des Ostens bestimmte Sohn des Antonius, wie früher angegeben ward, als König von Armenien eingesetzt und mit der Tochter des neuen Bundesgenossen, des Königs von Medien vermählt, während der älteste Sohn des gefangenen und einige Zeit später auf Geheiß der Kleopatra hingerichteten Königs von Armenien, Artaxes, den die Armenier anstatt des Vaters zum König ausgerufen hatten, landflüchtig zu den Parthern ging. Armenia und Media Atropatene waren hiermit in Antonius‘ Gewalt oder ihm verbündet; die Fortführung des parthischen Krieges wurde wohl angekündigt, blieb aber verschoben bis nach der Überwindung des westlichen Rivalen. Phraates seinerseits ging gegen Medien vor, anfangs ohne Erfolg, da die in Armenien stehenden römischen Truppen den Medern Beistand leisteten; aber als im Verlauf der Rüstungen gegen Cäsar Antonius seine Mannschaften von dort abrief, gewannen die Parther die Oberhand, überwanden die Meder und setzten in Medien sowie auch in Armenien den König Artaxes ein, der, um die Hinrichtung des Vaters zu vergelten, sämtliche im Lande zerstreute Römer greifen und töten ließ. Daß Phraates die große Fehde zwischen Antonius und Cäsar, während sie vorbereitet und ausgefochten ward, nicht voller ausnutzte, wurde wahrscheinlich wieder einmal durch die im eigenen Lande ausbrechenden Unruhen verhindert. Diese endigten damit, daß er ausgetrieben ward und zu den Skythen des Ostens ging; an seiner Stelle wurde Tiridates als Großkönig ausgerufen. Als die entscheidende Seeschlacht an der Küste von Epirus geschlagen ward und dann in Ägypten die Katastrophe des Antonius sich vollzog, saß in Ktesiphon dieser neue Großkönig auf dem schwankenden Thron und schickten an der entgegengesetzten Reichsgrenze die Scharen Turans sich an, den früheren Herrscher wieder an seine Stelle zu setzen, was ihnen bald darauf auch gelang.

Der kluge und klare Mann, dem die Liquidation der Unternehmungen des Antonius und die Feststellung des Verhältnisses der beiden Reichsteile zufiel, bedurfte ebensosehr der Mäßigung wie der Energie. Es würde der schwerste Fehler gewesen sein, in Antonius‘ Gedanken eingehend den Orient oder auch nur im Orient weiter zu erobern. Augustus erkannte dies; seine militärischen Ordnungen zeigen deutlich, daß er zwar den Besitz der syrischen Küste wie den der ägyptischen als ein unentbehrliches Komplement für das Reich des Mittelmeers betrachtete, aber auf binnenländischen Besitz daselbst keinen Wert legte. Indes Armenien war nun einmal seit einem Menschenalter römisch und konnte, nach Lage der Verhältnisse, nur römisch oder parthisch sein; die Landschaft war durch ihre Lage militärisch für jede der Großmächte ein Ausfallstor in das Gebiet der andern. Augustus dachte auch nicht daran, auf Armenien zu verzichten und es den Parthern zu überlassen; und wie die Dinge lagen, durfte er schwerlich daran denken. Wenn aber Armenien festgehalten ward, konnte man dabei nicht stehenbleiben; die örtlichen Verhältnisse nötigten die Römer weiter, das Stromgebiet des Kyros, die Landschaften der Iberer an seinem oberen, der Albaner an seinem unteren Lauf, das heißt die als Reiter wie zu Fuß kampftüchtigen Bewohner des heutigen Georgien und Schirwân, unter ihren maßgebenden Einfluß zu bringen, das parthische Machtgebiet nicht nördlich vom Araxes über Atropatene hinaus sich erstrecken zu lassen. Schon die Expedition des Pompeius hatte gezeigt, daß die Festsetzung in Armenien die Römer notwendig einerseits bis an den Kaukasus, andrerseits bis an das Westufer des Kaspischen Meeres führte. Die Ansätze waren überall da. Antonius‘ Legaten hatten mit den Iberern und den Albanern gefochten. Polemon, von Augustus in seiner Stellung bestätigt, herrschte nicht bloß über die Küste von Pharnakeia bis Trapezunt, sondern auch über das Gebiet der Kolcher an der Phasismündung. Zu dieser allgemeinen Sachlage kamen die besonderen Verhältnisse des Augenblicks, welche es dem neuen Alleinherrscher Rom in dringendster Weise nahelegten, das Schwert den Orientalen gegenüber nicht bloß zu zeigen, sondern auch zu ziehen. Daß König Artaxes, wie einst Mithradates, sämtliche Römer innerhalb seiner Grenzen umzubringen befohlen hatte, konnte nicht unvergolten bleiben. Auch der landflüchtige König von Medien hatte Hilfe jetzt bei Augustus gesucht, wie er sie sonst bei Antonius gesucht haben würde. Der Bürger- und Prätendentenkrieg im parthischen Reiche erleichterte nicht bloß den Angriff, sondern der vertriebene Herrscher Tiridates suchte gleichfalls Schutz bei Augustus und erklärte sich bereit, als römischer Vasall das Reich von Augustus zu Lehen zu nehmen. Die Rückgabe der bei den Niederlagen des Crassus und der Antonianer in die Gewalt der Parther geratenen Römer und der verlorenen Adler mochte an sich dem Herrscher der Kriegführung nicht wert erscheinen; fallen lassen konnte der Wiederhersteller des römischen Staates diese militärische und politische Ehrenfrage nicht. Mit diesen Tatsachen mußte der römische Staatsmann rechnen; bei der Stellung, die Augustus im Orient nahm, war die Politik der Aktion überhaupt und durch die vorhergegangenen Mißerfolge doppelt geboten. Ohne Zweifel war es wünschenswert, die Ordnung der Dinge in Rom bald vorzunehmen; aber eine zwingende Nötigung, dies sofort zu tun, bestand für den unbestrittenen Alleinherrscher nicht. Er befand sich nach den entscheidenden Schlägen von Aktion und Alexandreia an Ort und Stelle und an der Spitze eines starken und siegreichen Heeres; was einmal geschehen mußte, geschah am besten gleich. Ein Herrscher vom Schlage Cäsars wäre schwerlich nach Rom zurückgegangen, ohne in Armenien die Schutzherrschaft hergestellt, die römische Suprematie bis zum Kaukasus und zum Kaspischen Meere zur Anerkennung gebracht und mit dem Parther abgerechnet zu haben. Ein Herrscher von Umsicht und Tatkraft hätte die Grenzverteidigung im Osten gleich jetzt geordnet, wie die Verhältnisse es erforderten; es war von vornherein klar, daß die vier syrischen Legionen von zusammen 40 000 Mann nicht genügten, um die Interessen Roms zugleich am Euphrat, am Araxes und am Kyros zu wahren und daß die Milizen der abhängigen Königreiche den Mangel der Reichstruppen nur verdeckten, nicht deckten. Armenien hielt durch politische und nationale Sympathie mehr zu den Parthern als zu den Römern; die Könige von Kommagene, Kappadokien, Galatien, Pontus neigten wohl umgekehrt mehr nach der römischen Seite, aber sie waren unzuverlässig und schwach. Auch die maßhaltende Politik bedurfte zu ihrer Begründung eines energischen Schwertschlages, zu ihrer Aufrechthaltung des nahen Arms einer überlegenen römischen Militärmacht.

Augustus hat weder geschlagen noch geschirmt; gewiß nicht, weil er über die Sachlage sich täuschte, sondern weil es in seiner Art lag, das als notwendig Erkannte zögernd und schwächlich durchzuführen und die Rücksichten der inneren Politik auf das Verhältnis zum Ausland mehr als billig einwirken zu lassen. Das Unzulängliche des Grenzschutzes durch die kleinasiatischen Klientelstaaten hat er wohl eingesehen; es gehört in diesen Zusammenhang, daß er schon im J. 729 (25 v. Chr.) nach dem Tode des Königs Amyntas, des Herrn im ganzen inneren Kleinasien, diesem keinen Nachfolger gab, sondern das Land einem kaiserlichen Legaten unterstellte. Vermutlich sollten auch die benachbarten bedeutenderen Klientelstaaten, namentlich Kappadokien in gleicher Weise nach dem Ableben der derzeitigen Inhaber in kaiserliche Statthalterschaften verwandelt werden. Dies war ein Fortschritt, insofern die Milizen dieser Landschaften damit der Reichsarmee inkorporiert und unter römische Offiziere gestellt wurden; einen ernstlichen Druck auf die unsicheren Grenzlandschaften oder gar auf den benachbarten Großstaat konnten diese Truppen nicht ausüben, wenn sie auch jetzt zu denen des Reiches zählte. Aber alle diese Erwägungen wurden überwogen durch die Rücksicht auf die Herabdrückung der Ziffer des stehenden Heeres und der Ausgabe für das Heerwesen auf das möglichst niedrige Maß.

Ebenso ungenügend waren den augenblicklichen Verhältnissen gegenüber die auf der Heimkehr von Alexandreia von Augustus getroffenen Maßregeln. Er gab dem vertriebenen König der Meder die Herrschaft von Kleinarmenien und dem parthischen Prätendenten Tiridates ein Asyl in Syrien, um durch jenen den in offener Feindseligkeit gegen Rom verharrenden König Artaxes in Schach zu halten, durch diesen auf den König Phraates zu drücken. Die mit diesem wegen der Rückgabe der parthischen Siegestrophäen angeknüpften Verhandlungen zogen sich ergebnislos hin, obwohl Phraates im J. 731 (23 v. Chr.), um die Entlassung eines zufällig in die Gewalt der Römer geratenen Sohnes zu erlangen, die Rückgabe zugesichert hatte.

Erst als Augustus im J. 734 (20 v. Chr.) sich persönlich nach Syrien begab und Ernst zeigte, fügten sich die Orientalen. In Armenien, wo eine mächtige Partei sich gegen den König Artaxes erhoben hatte, warfen sich die Insurgenten den Römern in die Arme und erbaten für des Artaxes jüngeren am kaiserlichen Hof erzogenen und in Rom lebenden Bruder Tigranes die kaiserliche Belehnung. Als des Kaisers Stiefsohn Tiberius Claudius Nero, damals ein 22jähriger Jüngling, mit Heeresmacht in Armenien einrückte, wurde König Artaxes von seinen eigenen Verwandten ermordet und Tigranes empfing die königliche Tiara aus der Hand des kaiserlichen Vertreters, wie sie fünfzig Jahre früher sein gleichnamiger Großvater von Pompeius empfangen hatte. Atropatene wurde wieder von Armenien getrennt und kam unter die Herrschaft eines ebenfalls in Rom erzogenen Herrschers, des Ariobarzanes, Sohnes des früher erwähnten Artavazdes; doch scheint dieser das Land nicht als römisches, sondern als parthisches Lehnsreich erhalten zu haben. Über die Ordnung der Dinge in den Fürstentümern am Kaukasus erfahren wir nichts; aber da sie später unter die römischen Klientelstaaten gerechnet werden, so hat wahrscheinlich damals auch hier der römische Einfluß obgesiegt. Selbst König Phraates, jetzt vor die Wahl gestellt, sein Wort einzulösen oder zu schlagen, entschloß sich schweren Herzens zu der die nationalen Gefühle der Seinen empfindlich verletzenden Herausgabe der wenigen noch lebenden römischen Kriegsgefangenen und der gewonnenen Feldzeichen.

Unendlicher Jubel begrüßte diesen von dem Fürsten des Friedens errungenen unblutigen Sieg. Auch bestand nach demselben mit dem Partherkönig längere Zeit ein freundschaftliches Verhältnis, wie denn die unmittelbaren Interessen der beiden Großstaaten sich wenig stießen. In Armenien dagegen hatte die römische Lehnsherrschaft, die nur auf sich selbst ruhte, der nationalen Opposition gegenüber einen schweren Stand. Nach dem frühen Tode des Königs Tigranes schlugen dessen Kinder oder die unter ihrem Namen regierenden Staatsleiter sich selber zu dieser. Gegen sie wurde von den Römerfreunden ein anderer Herrscher Artavazdes aufgestellt; aber er vermochte nicht gegen die stärkere Gegenpartei durchzudringen. Diese armenischen Wirren störten auch das Verhältnis zu den Parthern; es lag in der Sache, daß die antirömisch gesinnten Armenier sich auf diese zu stützen suchten, und auch die Arsakiden konnten nicht vergessen, daß Armenien früher eine parthische Sekundogenitur gewesen war. Unblutige Siege sind oft schwächliche und gefährliche. Es kam so weit, daß die römische Regierung im J. 748 (6 v. Chr.) demselben Tiberius, der vierzehn Jahre zuvor den Tigranes als Lehnkönig von Armenien eingesetzt hatte, den Auftrag erteilte, abermals mit Heeresmacht dort einzurücken und die Verhältnisse nötigenfalls mit Waffengewalt zu ordnen. Aber das Zerwürfnis in der kaiserlichen Familie, welches die Unterwerfung der Germanen unterbrochen hatte, griff auch hier ein und hatte die gleiche üble Wirkung. Tiberius lehnte den Auftrag des Stiefvaters ab und in Ermangelung eines geeigneten prinzlichen Feldherrn sah die römische Regierung einige Jahre hindurch wohl oder übel dem Schalten der antirömischen Partei in Armenien unter parteiischem Schutz untätig zu. Endlich im J. 753 wurde dem älteren Adoptivsohn des Kaisers, dem zwanzigjährigen Gaius Cäsar, nicht bloß derselbe Auftrag erteilt, sondern es sollte, wie der Vater hoffte, die Unterwerfung Armeniens der Anfang größerer Dinge sein, der Orientfeldzug des zwanzigjährigen Kronprinzen, man möchte fast sagen, die Alexanderfahrt fortsetzen. Vom Kaiser beauftragte oder dem Hofe nahestehende Literaten, der Geograph Isidoros, selber an der Euphratmündung zu Hause, und der Vertreter der griechischen Gelehrsamkeit unter den Fürstlichkeiten des augustischen Kreises, König Juba von Mauretanien, widmeten jener seine im Orient selbst eingezogenen Erkundigungen, dieser literarische Kollektaneen über Arabien dem jungen Prinzen, der vor Begierde zu brennen schien mit der Eroberung Arabiens, über welche Alexander weggestorben war, einen vor längerer Zeit dort eingetretenen Mißerfolg des augustischen Regiments glänzend zu begleichen. Zunächst für Armenien war diese Sendung ebenso von Erfolg wie die des Tiberius. Der römische Kronprinz und der parthische Großkönig Phraatakes trafen persönlich auf einer Insel des Euphrat zusammen; die Parther gaben wieder einmal Armenien auf und die nahegerückte Gefahr eines parthischen Krieges ward abgewandt, das gestörte Einvernehmen wenigstens äußerlich wiederhergestellt. Den Armeniern setzte Gaius den Ariobarzanes, einen Prinzen aus dem medischen Fürstenhause, zum König, und die Oberherrschaft Roms wurde abermals befestigt. Indes fügten die antirömisch gesinnten Armenier sich nicht ohne Widerstand; es kam nicht bloß zum Einrücken der Legionen, sondern auch zum Schlagen. Vor den Mauern des armenischen Kastells Artageira empfing der junge Kronprinz von einem parthischen Offizier durch tückische List die Wunde (J. 2 n. Chr.), an der er nach monatelangem Siechen hinstarb. Die Verschlingung der Reichs- und der dynastischen Politik bestrafte sich aufs neue. Der Tod eines jungen Mannes änderte den Gang der großen Politik; die so zuversichtlich dem Publikum angekündigte arabische Expedition fiel weg, nachdem ihr Gelingen dem Sohn des Kaisers nicht mehr den Weg zur Nachfolge ebnen konnte. Auch an weitere Unternehmungen am Euphrat wurde nicht mehr gedacht; das Nächste, die Besetzung Armeniens und die Wiederherstellung der Beziehungen zu den Parthern war erreicht, wie trübe Schatten auch durch den Tod des Kronprinzen auf diesen Erfolg fielen.

Bestand hatte derselbe so wenig wie der der glänzenderen Expedition des J. 734 (20 v. Chr.). Die von Rom eingesetzten Herrscher Armeniens wurden bald von denen der Gegenpartei unter versteckter oder offener Beteiligung der Parther bedrängt und verdrängt. Als der in Rom erzogene parthische Prinz Vonones auf den erledigten parthischen Thron berufen ward, hofften die Römer an ihm eine Stütze zu finden; allein eben deswegen mußte er bald ihn räumen, und an seine Stelle kam König Artabanos von Medien, ein mütterlicherseits den Arsakiden entsprossener, aber dem skythischen Volke der Daker angehöriger und in einheimischer Sitte aufgewachsener tatkräftiger Mann (um 10 n. Chr.). Vonones ward damals von den Armeniern als Herrscher aufgenommen und damit diese unter römischem Einfluß gehalten. Aber um so weniger konnte Artabanos seinen verdrängten Nebenbuhler als Nachbarfürsten dulden; die römische Regierung hätte, um den für seine Stellung in jeder Hinsicht ungeeigneten Mann zu halten, Waffengewalt gegen die Parther wie gegen seine eigenen Untertanen anwenden müssen. Tiberius, der inzwischen zur Regierung gekommen war, ließ nicht sofort einrücken, und für den Augenblick siegte in Armenien die antirömische Partei; aber es war nicht seine Absicht, auf das wichtige Grenzland zu verzichten. Im Gegenteil wurde die wahrscheinlich längst beschlossene Einziehung des Königreichs Kappadokien im J. 17 zur Ausführung gebracht: der alte Archelaos, der dort seit dem J. 718 (36 v. Chr.), den Thron einnahm, ward nach Rom berufen und ihm hier angekündigt, daß er aufgehört habe zu regieren. Ebenso kam das kleine, aber wegen der Euphratübergänge wichtige Königreich Kommagene damals unter unmittelbare kaiserliche Verwaltung. Damit war die unmittelbare Reichsgrenze bis an den mittleren Euphrat vorgeschoben. Zugleich ging der Kronprinz Germanicus, der soeben am Rhein mit großer Auszeichnung kommandiert hatte, mit ausgedehnter Machtvollkommenheit nach dem Osten, um die neue Provinz Kappadokien zu ordnen und das gesunkene Ansehen der Reichsgewalt wieder herzustellen. Auch diese Sendung kam bald und leicht zum Ziel. Germanicus, obwohl von dem Statthalter Syriens Gnaeus Piso nicht mit derjenigen Truppenmacht unterstützt, die er fordern durfte und gefordert hatte, ging nichts destoweniger nach Armenien und brachte durch das bloße Gewicht seiner Persönlichkeit und seiner Stellung das Land zum Gehorsam zurück. Den unfähigen Vonones ließ er fallen und setzte den Armeniern, den Wünschen der römisch gesinnten Vornehmen entsprechend, zum Herrscher einen Sohn jenes Polemon, den Antonius zum König im Pontus gemacht hatte, den Zenon oder, wie er als König von Armenien heißt, Artaxias; dieser war einerseits dem kaiserlichen Hause verbunden durch seine Mutter, die Königin Pythodoris, eine Enkelin des Triumvir Antonius, andererseits nach Landesart erzogen, ein tüchtiger Waidmann und bei dem Gelag ein tapferer Zecher. Auch der Großkönig Artabanos kam dem römischen Prinzen in freundschaftlicher Weise entgegen und bat nur um Entfernung seines Vorgängers Vonones aus Syrien, um den zwischen diesem und den unzufriedenen Parthern sich anspinnenden Zettelungen zu steuern. Da Germanicus dieser Bitte entsprach und den unbequemen Flüchtling nach Kilikien schickte, wo er bald darauf bei einem Fluchtversuch umkam, stellten zwischen den beiden Großstaaten die besten Beziehungen sich her. Artabanos wünschte sogar mit Germanicus am Euphrat persönlich zusammenzukommen, wie dies auch Phraatakes und Gaius getan hatten; dies aber lehnte Germanicus ab, wohl mit Rücksicht auf Tiberius‘ leicht erregten Argwohn. Freilich fiel auf diese orientalische Expedition derselbe trübe Schatten wie auf die letztvorhergehende; auch von dieser kam der Kronprinz des römischen Reiches nicht lebend heim.

Eine Zeitlang taten die getroffenen Einrichtungen ihren Dienst. So lange Tiberius mit sicherer Hand die Herrschaft führte und so lange König Artaxias von Armenien lebte, blieb im Orient Ruhe; aber in den letzten Jahren des alten Kaisers, als derselbe von seiner einsamen Insel aus die Dinge gehen ließ und vor jedem Eingreifen zurückscheute, und insbesondere nach dem Tode des Artaxias (um 34) begann das alte Spiel abermals. König Artabanos, gehoben durch sein langes und glückliches Regiment und durch vielfache gegen die Grenzvölker Irans erstrittene Erfolge und überzeugt, daß der alte Kaiser keine Neigung haben werde, einen schweren Krieg im Orient zu beginnen, bewog die Armenier, seinen eigenen ältesten Sohn, den Arsakes, zum Herrscher auszurufen, das heißt die römische Oberherrlichkeit mit der parthischen zu vertauschen. Ja er schien es geradezu auf den Krieg mit Rom anzulegen; er forderte die Verlassenschaft seines in Kilikien umgekommenen Vorgängers und Rivalen Vonones von der römischen Regierung und seine Schreiben an diese sprachen ebenso unverhüllt aus, daß der Orient den Orientalen gehöre, wie sie die Greuel am kaiserlichen Hofe, die man in Rom sich nur im vertrautesten Kreise zuzuflüstern wagte, bei ihrem rechten Namen nannten. Er soll sogar einen Versuch gemacht haben, sich in Besitz von Kappadokien zu setzen. Aber in dem alten Löwen hatte er sich verrechnet. Tiberius war auch auf Capreä nicht bloß den Hofleuten furchtbar und nicht der Mann, sich und in sich Rom ungestraft verhöhnen zu lassen. Er sandte den Lucius Vitellius, den Vater des späteren Kaisers, einen entschlossenen Offizier und geschickten Diplomaten, nach dem Orient mit ähnlicher Machtvollkommenheit, wie sie früher Gaius Cäsar und Germanicus gehabt hatten, und mit dem Auftrag nötigenfalls die syrischen Legionen über den Euphrat zu führen. Zugleich wandte er das oft erprobte Mittel an, den Herrschern des Ostens durch Insurrektionen und Prätendenten in ihrem eigenen Lande zu schaffen zu machen. Dem Partherprinzen, den die armenischen Nationalen zum Herrscher ausgerufen hatten, stellte er einen Fürsten aus dem Königshaus der Iberer entgegen, den Mithradates, des Ibererkönigs Pharasmanes Bruder und wies diesen sowie den Fürsten der Albaner an den römischen Prätendenten für Armenien mit Heeresmacht zu unterstützen. Von den streitbaren und für jeden Werber leicht zugänglichen transkaukasischen Sarmaten wurden große Scharen mit römischem Golde für den Einfall in Armenien gedungen. Es gelang auch dem römischen Prätendenten seinen Nebenbuhler durch bestochene Hofleute zu vergiften und sich des Landes und der Hauptstadt Artaxata zu bemächtigen. Artabanos sandte an des Ermordeten Stelle einen anderen Sohn Orodes nach Armenien und versuchte auch seinerseits transkaukasische Hilfstruppen zu beschaffen; aber nur wenige kamen nach Armenien durch, und die parthischen Reiterscharen waren der guten Infanterie der Kaukasusvölker und den gefürchteten sarmatischen berittenen Schützen nicht gewachsen. Orodes wurde in harter Feldschlacht überwunden und selbst im Zweikampf mit seinem Rivalen schwer verwundet. Da brach Artabanos selber nach Armenien auf. Nun aber setzte auch Vitellius die syrischen Legionen in Bewegung, um den Euphrat zu überschreiten und in Mesopotamien einzufallen; und dies brachte die lange gärende Insurrektion im Partherreiche zum Ausbruch. Das energische und mit den Erfolgen selbst immer schroffere Auftreten des skythischen Herrschers hatte viele Personen und Interessen verletzt, insbesondere die mesopotamischen Griechen und die mächtige Stadtgemeinde von Seleukeia, welcher er ihre nach griechischer Art demokratische Gemeindeverfassung genommen hatte, ihm abwendig gemacht. Das römische Gold nährte die sich vorbereitende Bewegung. Unzufriedene Adlige hatten schon früher sich mit der römischen Regierung in Verbindung gesetzt und einen echten Arsakiden von dieser erbeten. Tiberius hatte des Phraates einzigen überlebenden dem Vater gleichnamigen Sohn und, nachdem der alte römisch gewöhnte Mann den Anstrengungen noch in Syrien erlegen war, an dessen Stelle einen ebenfalls in Rom lebenden Enkel des Phraates namens Tiridates geschickt. Der parthische Fürst Sinnakes, der Führer dieser Zettelungen, kündigte jetzt dem Skythen den Gehorsam und pflanzte das Banner der Arsakiden auf. Vitellius überschritt mit den Legionen den Euphrat und in seinem Gefolge der neue Großkönig von römischen Gnaden. Der parthische Statthalter von Mesopotamien Ornospades, der einst als Verbannter unter Tiberius den pannonischen Krieg mitgemacht hatte, stellte sich und seine Truppen sofort dem neuen Herrn zur Verfügung; des Sinnakes Vater Abdagäses lieferte den Reichsschatz aus; in kürzester Zeit sah sich Artabanos von dem ganzen Lande verlassen und gezwungen, in seine skythische Heimat zu flüchten, wo er als unsteter Mann in den Wäldern herumirrte und mit seinem Bogen sich das Leben fristete, während dem Tiridates von den nach parthischer Staatsordnung zur Krönung des Herrschers berufenen Fürsten in Ktesiphon feierlich die Tiara aufs Haupt gesetzt ward. Indes die Herrschaft des von dem Reichsfeind geschickten neuen Großkönigs währte nicht lange. Das Regiment, welches weniger er führte, ein junger unerfahrener und untüchtiger Mann, als die ihn zum König gemacht hatten, vornehmlich Abdagäses, rief bald Opposition hervor. Einige der vornehmsten Satrapen waren schon bei der Krönungsfeier ausgeblieben und zogen den vertriebenen Herrscher wieder aus der Verbannung hervor; mit ihrem Beistand und den von seinen skythischen Landsleuten gestellten Mannschaften kehrte Artabanos zurück, und schon im folgenden Jahre (36) war das ganze Reich mit Ausnahme von Seleukeia wieder in seiner Gewalt, Tiridates ein flüchtiger Mann und genötigt, bei seinen römischen Beschützern die Zuflucht zu heischen, die ihm nicht versagt werden konnte. Vitellius führte die Legionen abermals an den Euphrat; aber da der Großkönig persönlich erschien und sich zu allem Verlangten bereit erklärte, falls die römische Regierung von Tiridates abstehe, war der Friede bald geschlossen. Artabanos erkannte nicht bloß den Mithradates als König von Armenien an, sondern brachte auch dem Bildnis des römischen Kaisers die Huldigung dar, die von den Lehnsmannen gefordert zu werden pflegte und stellte seinen Sohn Dareios den Römern als Geißel. Darüber war der alte Kaiser gestorben; aber diesen so unblutigen wie vollständigen Sieg seiner Politik über die Auflehnung des Orients hat er noch erlebt.

Was die Klugheit des Greises erreicht hatte, verdarb sofort der Unverstand des Nachfolgers. Abgesehen davon, daß er verständige Einrichtungen des Tiberius rückgängig machte, zum Beispiel das eingezogene Königreich Kommagene wiederherstellte, gönnte sein törichter Neid dem toten Kaiser den erreichten Erfolg nicht; den tüchtigen Statthalter von Syrien wie den neuen König von Armenien lud er zur Verantwortung nach Rom vor, setzte den letzteren ab und schickte ihn, nachdem er ihn eine Zeitlang gefangen gehalten hatte, ins Exil. Selbstverständlich griff die parthische Regierung zu und nahm das herrenlose Armenien wiederum in Besitz. Claudius hatte, als er im J. 41 zur Regierung kam, die getane Arbeit von neuem zu beginnen. Er verfuhr nach dem Beispiel des Tiberius. Mithradates, aus dem Exil zurückgerufen, wurde wieder eingesetzt und angewiesen, mit Hilfe seines Bruders sich Armeniens zu bemächtigen. Der damals zwischen den drei Söhnen des Königs Artabanos III. geführte Bruderkrieg im Partherreich ebnete den Römern den Weg. Nach der Ermordung des ältesten Sohnes stritten jahrelang Gotarzes und Vardanes um den Thron; Seleukeia, das schon dem Vater den Gehorsam aufgekündigt hatte, trotzte sieben Jahre hindurch ihm und nachher den Söhnen; die Völker Turans griffen wie immer auch in diesen Hader der Fürsten Irans ein. Mithradates vermochte mit Hilfe der Truppen seines Bruders und der Garnisonen der benachbarten römischen Provinzen die parthisch Gesinnten in Armenien zu überwältigen und sich wieder zum Herrn daselbst zu machen; das Land erhielt römische Besatzung. Nachdem Vardanes sich mit dem Bruder verglichen und endlich Seleukeia wieder eingenommen hatte, machte er Miene in Armenien einzurücken; aber die drohende Haltung des römischen Legaten von Syrien hielt ihn ab, und sehr bald brach der Bruder den Vergleich und begann der Bürgerkrieg aufs neue. Nicht einmal die Ermordung des tapferen und im Kampf mit den Völkern Turans siegreichen Vardanes setzte demselben ein Ziel; die Gegenpartei wendete sich nun nach Rom und erbat sich von der dortigen Regierung den dort lebenden Sohn des Vonones, den Prinzen Meherdates, welcher denn auch vom Kaiser Claudius vor dem versammelten Senat den Seinigen zur Verfügung gestellt und nach Syrien entlassen ward mit der Ermahnung, sein neues Reich gut und gerecht zu verwalten und der römischen Schutzfreundschaft eingedenk zu bleiben (J. 49). Er kam nicht in die Lage, von diesen Ermahnungen Anwendung zu machen. Die römischen Legionen, die ihm bis zum Euphrat das Geleit gaben, übergaben ihn dort denen, die ihn gerufen hatten, dem Haupt des mächtigen Fürstengeschlechts der Karen und den Königen Abgaros von Edessa und Izates von Adiabene. Der unerfahrene und unkriegerische Jüngling war der Aufgabe so wenig gewachsen wie alle anderen von den Römern aufgestellten parteiischen Herrscher; eine Anzahl seiner namhaftesten Anhänger verließen ihn, so wie sie ihn kennenlernten und gingen zu Gotarzes; in der entscheidenden Schlacht gab der Fall des tapferen Karen den Ausschlag. Meherdates wurde gefangen und nicht einmal hingerichtet, sondern nur nach orientalischer Sitte durch Verstümmelung der Ohren regierungsunfähig gemacht.

Trotz dieser Niederlage der römischen Politik im Partherreich blieb Armenien den Römern, solange der schwache Gotarzes über die Parther herrschte. Aber so wie eine kräftigere Hand die Zügel der Herrschaft faßte und die inneren Kämpfe ruhten, ward auch der Kampf um jenes Land wieder aufgenommen. König Vologasos, der nach dem Tode des Gotarzes und dem kurzen Regiment Vonones II. diesem seinem Vater im J. 51 sukzedierte, bestieg den Thron ausnahmsweise in vollem Einverständnis mit seinen beiden Brüdern Pakoros und Tiridates. Er war ein fähiger und umsichtiger Regent – auch als Städtegründer finden wir ihn und mit Erfolg bemüht, den Handel von Palmyra nach seiner neuen Stadt Vologasias am unteren Euphrat zu lenken –, raschen und extremen Entschlüssen abgeneigt und bemüht, mit dem mächtigen Nachbar womöglich Frieden zu halten. Aber die Rückgewinnung Armeniens war der leitende politische Gedanke der Dynastie und auch er bereit, jede Gelegenheit zu seiner Verwirklichung zu benutzen. Diese Gelegenheit schien jetzt sich zu bieten. Der armenische Hof war der Schauplatz einer der entsetzlichsten Familientragödien geworden, die die Geschichte verzeichnet. Der alte König der Iberer Pharasmanes unternahm es, seinen Bruder, den König von Armenien Mithradates vom Thron zu stoßen und seinen eigenen Sohn Rhadamistos an dessen Stelle zu setzen. Unter dem Vorwande eines Zerwürfnisses mit dem Vater erschien Rhadamistos bei seinem Oheim und Schwiegervater und knüpfte mit angesehenen Armeniern Verhandlungen in jenem Sinne an. Nachdem er sich eines Anhanges versichert hatte, überzog Pharasmanes im J. 52 unter nichtigen Vorwänden den Bruder mit Krieg und brachte auch das Land in seine oder vielmehr seines Sohnes Gewalt. Mithradates stellte sich unter den Schutz der römischen Besatzung des Castells Gorneä. Diese anzugreifen wagte Rhadamistos nicht; aber der Kommandant Cälius Pollio war als nichtswürdig und feil bekannt. Der unter ihm den Befehl führende Centurio begab sich zu Pharasmanes, um ihn zur Zurückrufung seiner Truppen zu bestimmen, was dieser wohl versprach, aber nicht hielt. Während der Abwesenheit des Zweitkommandierenden nötigte Pollio den König, der wohl ahnte, was ihm bevorstand, durch die Drohung ihn im Stiche zu lassen, sich dem Rhadamistos in die Hände zu liefern. Von diesem wurde er umgebracht, mit ihm seine Gattin, des Rhadamistos Schwester und die Kinder derselben, weil sie im Anblick der Leichen ihrer Eltern in Jammergeschrei ausbrachen. Auf diese Weise gelangte Rhadamistos zur Herrschaft von Armenien. Die römische Regierung durfte weder solchen von ihren Offizieren mitverschuldeten Greueln zusehen noch dulden, daß einer ihrer Lehnsträger den andern mit Krieg überzog. Nichtsdestoweniger erkannte der Statthalter von Kappadokien Julius Pälignus den neuen König von Armenien an. Auch im Rat des Statthalters von Syrien Ummidius Quadratus überwog die Meinung, daß es den Römern gleichgültig sein könne, ob der Oheim oder der Neffe über Armenien herrsche; der nach Armenien mit einer Legion gesendete Legat erhielt nur den Auftrag, den Status quo bis auf weiteres aufrechtzuhalten. Da hielt der Partherkönig, in der Voraussetzung, daß die römische Regierung sich nicht beeifern werde für den König Rhadamistos einzutreten, den Moment für geeignet, seine alten Ansprüche auf Armenien wieder aufzunehmen. Er belehnte mit Armenien seinen Bruder Tiridates, und die einrückenden parteiischen Truppen bemächtigten sich fast ohne Schwertstreich der beiden Hauptstädte Tigranokerta und Artaxata und des ganzen Landes. Als Rhadamistos einen Versuch machte, den Preis seiner Bluttaten festzuhalten, schlugen die Armenier selbst ihn zum Lande hinaus. Die römische Besatzung scheint nach der Übergabe von Gorneä Armenien verlassen zu haben; die aus Syrien in Marsch gesetzte Legion zog der Statthalter zurück, um nicht mit den Parthern in Konflikt zu geraten. Als diese Kunde nach Rom kam (Ende 54), war Kaiser Claudius eben gestorben und regierten für den jungen siebzehnjährigen Nachfolger tatsächlich die Minister Burrus und Seneca. Das Vorgehen des Vologasos konnte nur mit der Kriegserklärung beantwortet werden. In der Tat sandte die römische Regierung nach Kappadokien, das sonst Statthalterschaft zweiten Ranges und nicht mit Legionen belegt war, ausnahmsweise den konsularischen Legaten Gnäus Domitius Corbulo. Er war als Schwager des Kaisers Gaius rasch vorwärts gekommen, dann unter Claudius im J. 47 Legat von Untergermanien gewesen und galt seitdem als einer der damals nicht zahlreichen tüchtigen, die vielfach verfallende Disziplin energisch handhabenden Heerführer, selbst eine herkulische Gestalt, jeder Strapaze gewachsen und nicht bloß dem Feind, sondern auch seinen eigenen Soldaten gegenüber von rücksichtslosem Mut. Es schien ein Zeichen des Besserwerdens der Dinge, daß die neronische Regierung das erste von ihr zu besetzende wichtige Kommando an ihn vergab. Der unfähige syrische Legat von Syrien Quadratus wurde nicht abgerufen, aber angewiesen, zwei von seinen vier Legionen dem Statthalter der Nachbarprovinz zur Verfügung zu stellen. Die Legionen alle wurden an den Euphrat herangezogen und die sofortige Schlagung der Brücken über den Fluß angeordnet. Die beiden westlich zunächst an Armenien grenzenden Landschaften Klein-Armenien und Sophene wurden zwei zuverlässigen syrischen Fürsten, dem Aristobulos aus einem Seitenzweig des herodischen Hauses und dem Sohämos aus der Herrscherfamilie von Hemesa zugeteilt und beide unter Corbulos Befehle gestellt. Der König des damals noch übrigen Restes des Judenstaates Agrippa und der König von Kommagene Antiochos erhielten ebenfalls Marschbefehl. Indes zunächst kam es nicht zum Schlagen. Die Ursache lag zum Teil in dem Zustand der syrischen Legionen; es war ein schlimmes Armutszeugnis für die bisherige Verwaltung, daß Corbulo die ihm überwiesenen Truppen geradezu als unbrauchbar bezeichnen mußte. Die in den griechischen Provinzen ausgehobenen und garnisonierenden Legionen waren immer geringer gewesen als die okzidentalischen; jetzt hatte die entnervende Gewalt des Orients bei dem langen Friedensstand und der schlaffen Heereszucht dieselben völlig demoralisiert. Die Soldaten hielten mehr in den Städten sich auf als in den Lagern; nicht wenige derselben waren des Waffentragens entwöhnt und wußten nichts von Lagerschlagen und Wachdienst; die Regimenter waren lange nicht ergänzt und enthielten zahlreiche alte unbrauchbare Leute; Corbulo hatte zunächst eine große Anzahl von Soldaten zu entlassen und in noch viel größerer Zahl Rekruten auszuheben und auszubilden. Der Wechsel der bequemen Winterquartiere am Orontes mit denen in den rauhen armenischen Bergen, die plötzliche Einführung unerbittlich strenger Lagerzucht führte vielfach Erkrankungen herbei und veranlaßte zahlreiche Desertionen. Trotz alledem sah sich der Feldherr, als es Ernst ward, genötigt, um Zusendung einer der besseren Legionen des Okzidents zu bitten. Unter diesen Umständen beeilte er sich nicht, seine Soldaten an den Feind zu bringen; indes waren doch dabei überwiegend politische Rücksichten maßgebend.

Wäre es die Absicht der römischen Regierung gewesen, den parthischen Herrscher sofort aus Armenien zu vertreiben, und zwar nicht den Rhadamistos, mit dessen Blutschuld die Römer keine Veranlassung hatten sich zu beflecken, aber irgendeinen anderen Fürsten ihrer Wahl an dessen Stelle zu setzen, so hätten dazu die Streitkräfte Corbulos wohl sofort ausgereicht, da König Vologasos, wieder einmal durch innere Unruhen abgezogen, seine Truppen aus Armenien weggeführt hatte. Aber dies lag nicht im Plane der Römer; man wollte dort vielmehr das Regiment des Tiridates sich gefallen lassen und ihn nur zur Anerkennung der römischen Oberherrlichkeit bestimmen und nötigenfalls zwingen; nur zu diesem Zweck sollten äußerstenfalls die Legionen marschieren. Es kam dies der Sache nach der Abtretung Armeniens an die Parther sehr nahe. Was für diese sprach und was sie verhinderte, ist früher entwickelt worden. Wurde jetzt Armenien als parteiische Sekundogenitur geordnet, so war die Anerkennung des römischen Lehnsrechts wenig mehr als eine Formalität, genau genommen nichts als eine Deckung der militärischen und politischen Ehre. Also hat die Regierung der früheren neronischen Zeit, der notorisch an Einsicht und Energie wenige gleichkamen, beabsichtigt sich Armeniens in schicklicher Weise zu entledigen; und es kann das nicht verwundern. Man schöpfte hier in der Tat in das Sieb. Der Besitz Armeniens war wohl im J. 20 v. Chr. durch Tiberius, dann durch Gaius im J. 2, durch Germanicus im J. 18, durch Vitellius im J. 36 im Lande selbst wie bei den Parthern zur Geltung und Anerkennung gebracht worden. Aber eben diese regelmäßig sich wiederholenden und regelmäßig von Erfolg gekrönten und doch niemals zu dauernder Wirkung gelangenden außerordentlichen Expeditionen gaben den Parthern Recht, wenn sie in den Verhandlungen unter Nero behaupteten, daß die römische Oberherrschaft über Armenien ein leerer Name, das Land nun einmal parthisch sei und sein wolle. Zur Geltendmachung der römischen Obergewalt bedurfte es immer wenn nicht der Kriegführung, doch der Kriegsdrohung, und die dadurch bedingte stetige Reibung machte den dauernden Friedensstand zwischen den beiden benachbarten Großmächten unmöglich. Die Römer hatten, wenn sie folgerichtig verfuhren, nur die Wahl, Armenien und das linke Euphratufer überhaupt entweder durch Beseitigung der bloß mittelbaren Herrschaft effektiv in ihre Gewalt zu bringen oder es so weit den Parthern zu überlassen, als dies mit dem obersten Grundsatz des römischen Regiments, keine gleichberechtigte Grenzmacht anzuerkennen, sich vertrug. Augustus und die bisherigen Regenten hatten die erstere Alternative entschieden abgelehnt, und sie hätten also den zweiten Weg einschlagen sollen; aber auch diesen abzulehnen hatten sie wenigstens versucht und das parthische Königshaus von der Herrschaft über Armenien ausschließen wollen, ohne es zu können. Dies müssen die leitenden Staatsmänner der früheren neronischen Zeit als einen Fehler betrachtet haben, da sie Armenien den Arsakiden überließen und sich auf das denkbar geringste Maß von Rechten daran beschränkten. Wenn die Gefahren und die Nachteile, welche das Festhalten dieser nur äußerlich dem Reich anhaftenden Landschaft dem Staate brachte, gegen diejenigen abgewogen wurden, welche die Partherherrschaft über Armenien für die Römer nach sich zog, so konnte, zumal bei der geringen Offensivkraft des parthischen Reiches, die Entscheidung wohl in dem letzteren Sinne gefunden werden. Unter allen Umständen aber war diese Politik konsequent und suchte das auch von Augustus verfolgte Ziel in klarerer und verständigerer Weise zu erreichen.

Von diesem Standpunkt aus versteht man, weshalb Corbulo und Quadratus, statt den Euphrat zu überschreiten, mit Vologasos Verhandlungen anknüpften und nicht minder, daß dieser, ohne Zweifel von den wirklichen Absichten der Römer unterrichtet, sich dazu verstand, in ähnlicher Weise wie sein Vorgänger den Römern sich zu beugen und ihnen als Friedenspfand eine Anzahl dem königlichen Hause nahestehender Geißeln zu überliefern. Die stillschweigend vereinbarte Gegenleistung dafür war die Duldung der Herrschaft des Tiridates über Armenien und die Nichtaufstellung eines römischen Prätendenten. So gingen einige Jahre in faktischem Friedensstand hin. Aber da Vologasos und Tiridates sich nicht dazu verstanden, um die Belehnung des letzteren mit Armenien bei der römischen Regierung einzukommen, ergriff Corbulo im J. 58 gegen Tiridates die Offensive. Eben die Politik des Zurückweichens und Nachgebens bedurfte, wenn sie bei Freund und Feind nicht als Schwäche erscheinen sollte, der Folie, also entweder der förmlichen und feierlichen Anerkennung der römischen Obergewalt oder besser noch des mit den Waffen gewonnenen Sieges.

Im Sommer des J. 58 führte Corbulo eine leidlich schlagfähige Armee von mindestens 30 000 Mann über den Euphrat. Die Reorganisation und die Abhärtung der Truppen wurde durch die Kampagne selbst vollendet und das erste Winterquartier auf armenischem Boden genommen. Im Frühjahr 59 begann er den Vormarsch in der Richtung auf Artaxata. Zugleich brachen in Armenien von Norden her die Iberer ein, deren König Pharasmanes, um seine eigenen Frevel zu bedecken, seinen Sohn Rhadamistos hatte hinrichten lassen und nun weiter bemüht war, durch gute Dienste seine Verschuldung in Vergessenheit zu bringen; nicht minder ihre nordwestlichen Nachbaren, die tapferen Moscher, von Süden König Antiochos von Kommagene. König Vologasos war durch den Aufstand der Hyrkaner an der entgegengesetzten Seite des Reiches festgehalten und konnte oder wollte in den Kampf nicht unmittelbar eingreifen. Tiridates leistete mutigen Widerstand; aber es vermochte nichts gegen die erdrückende Übermacht. Vergeblich versuchte er sich auf die Verbindungslinien der Römer zu werfen, die ihre Bedürfnisse über das Schwarze Meer und den Hafen von Trapezus bezogen. Die Burgen Armeniens fielen unter den Angriffen der stürmenden Römer, und die Besatzungen wurden bis auf den letzten Mann niedergemacht. In einer Feldschlacht unter den Mauern von Artaxata, geschlagen, gab Tiridates den ungleichen Kampf auf und ging zu den Parthern. Artaxata ergab sich und hier, im Herzen von Armenien, überwinterte das römische Heer. Im Frühjahr 60 brach Corbulo von dort auf, nachdem er die Stadt niedergebrannt hatte, und marschierte quer durch das Land auf dessen zweite Hauptstadt Tigranokerta oberhalb Nisibis im Tigrisgebiet. Der Schrecken über die Zerstörung Artaxatas ging ihm voraus; ernstlicher Widerstand wurde nirgends geleistet; auch Tigranokerta öffnete dem Sieger freiwillig die Tore, der hier in wohlberechneter Weise die Gnade walten ließ. Tiridates machte noch einen Versuch zurückzukehren und den Kampf wieder aufzunehmen, wurde aber ohne besondere Anstrengung abgewiesen. Am Ausgang des Sommers 60 war ganz Armenien unterworfen und stand zur Verfügung der römischen Regierung.

Es ist begreiflich, daß man in Rom jetzt von Tiridates absah. Der Prinz Tigranes, ein Urenkel von väterlicher Seite Herodes des Großen, von mütterlicher des Königs Archelaos von Kappadokien, auch dem alten armenischen Königshause von weiblicher Seite verwandt und ein Neffe eines der ephemeren Herrscher Armeniens aus den letzten Jahren des Augustus, in Rom erzogen und durchaus ein Werkzeug der römischen Regierung, wurde jetzt (J. 60) von Nero mit dem Königreich Armenien belehnt und auf des Kaisers Befehl von Corbulo in die Herrschaft eingesetzt. Im Lande blieb römische Besatzung, 1000 Legionarier und drei- bis viertausend Reiter und Infanterie der Auxilien. Ein Teil der Grenzlandschaften ward von Armenien abgetrennt und verteilt unter die benachbarten Könige Polemon von Pontus und Trapezus, Aristobulos von Klein-Armenien, Pharasmanes von Iberien und Antiochos von Kommagene. Dagegen rückte der neue Herr von Armenien, natürlich mit Einwilligung der Römer, in die angrenzende parthische Provinz Adiabene ein, schlug den dortigen Statthalter Monobazos und schien auch diese Landschaft vom parthischen Staat abreißen zu wollen. Diese Wendung der Dinge nötigte die parthische Regierung aus ihrer Passivität herauszutreten; es handelte sich nun nicht mehr um die Wiedergewinnung Armeniens, sondern um die Integrität des parthischen Reiches. Die lange drohende Kollision zwischen den beiden Großstaaten schien unvermeidlich. Vologasos bestätigte in einer Versammlung der Großen des Reiches den Tiridates wiederholt als König von Armenien und sandte mit ihm den Feldherrn Monäses gegen den römischen Usurpator des Landes, der in Tigranokerta, welches die römischen Truppen besetzt hielten, von den Parthern belagert ward. Vologasos selbst zog die parthische Hauptmacht in Mesopotamien zusammen und bedrohte (Anf. 61) Syrien. Corbulo, der nach Quadratus Tode zur Zeit in Kappadokien wie in Syrien das Kommando führte, aber von der Regierung die Ernennung eines anderen Statthalters für Kappadokien und Armenien erbeten hatte, sandte vorläufig zwei Legionen nach Armenien, um Tigranes Beistand zu leisten, während er selbst an den Euphrat rückte, um den Partherkönig zu empfangen. Indes es kam wieder nicht zum Schlagen, sondern zum Vertrag. Vologasos, wohl wissend, wie gefährlich das beginnende Spiel sei, erklärte sich jetzt bereit, auf die vor dem Ausbruch des armenischen Krieges von den Römern vergeblich angebotenen Bedingungen einzugehen und die Belehnung des Bruders durch den römischen Kaiser zu gestatten. Corbulo ging auf den Vorschlag ein. Er ließ den Tigranes fallen, zog die römischen Truppen aus Armenien zurück und ließ es geschehen, daß Tiridates daselbst sich festsetzte, während die parthischen Hilfstruppen ebenfalls abzogen; dagegen schickte Vologasos eine Gesandtschaft an die römische Regierung und erklärte die Bereitwilligkeit seines Bruders, das Land von Rom zu Lehen zu nehmen.

Diese Maßnahmen Corbulos waren bedenklicher Art und führten zu einer üblen Verwicklung. Der römische Feldherr mag wohl mehr noch als die Staatsmänner in Rom von der Nutzlosigkeit des Festhaltens von Armenien durchdrungen gewesen sein; aber nachdem die römische Regierung den Tigranes als König von Armenien eingesetzt hatte, durfte er nicht von sich aus auf die früher gestellten Bedingungen zurückgreifen, am wenigsten seine eigenen Eroberungen preisgeben und die römischen Truppen aus Armenien zurückziehen. Er war dazu um so weniger berechtigt, als er Kappadokien und Armenien nur interimistisch verwaltete und selbst der Regierung erklärt hatte, daß er nicht imstande sei, zugleich dort und in Syrien das Kommando zu führen; woraufhin der Konsular Lucius Cäsennius Pätus zum Statthalter von Kappadokien ernannt und auch dorthin bereits unterwegs war. Der Verdacht ist kaum abzuweisen, daß Corbulo diesem die Ehre der schließlichen Unterwerfung Armeniens nicht gönnte und durch den faktischen Friedensschluß mit den Parthern vor seinem Eintreffen ein Definitivum herzustellen wünschte. Die römische Regierung lehnte denn auch die Anträge des Vologasos ab und bestand auf der Festhaltung Armeniens, das, wie der neue im Laufe des Sommers 61 in Kappadokien eingetroffene Statthalter erklärte, sogar in unmittelbare römische Verwaltung genommen werden sollte. Ob die römische Regierung in der Tat sich entschlossen hatte so weit zu gehen, ist nicht auszumachen; aber es lag dies allerdings in der Konsequenz ihrer Politik. Die Einsetzung eines von Rom abhängigen Königs war nur die Verlängerung des bisherigen unhaltbaren Zustandes; wer die Abtretung Armeniens an die Parther nicht wollte, mußte die Umwandlung des Königreichs in eine römische Provinz ins Auge fassen. Der Krieg hatte also seinen Fortgang; es wurde darum auch eine der mösischen Legionen dem kappadokischen Heer zugesandt. Als Pätus eintraf, lagerten die beiden von Corbulo ihm zugewiesenen Legionen diesseits des Euphrat in Kappadokien; Armenien war geräumt und mußte wieder erobert werden. Pätus ging sofort an das Werk, überschritt bei Melitene (Malatia) den Euphrat, rückte in Armenien ein und bezwang die nächsten Burgen an der Grenze. Indes die vorgerückte Jahreszeit nötigte ihn bald, die Operationen einzustellen und auf die beabsichtigte Wiederbesetzung Tigranokertas für dies Jahr zu verzichten; doch nahm er, um im nächsten Frühjahr den Marsch sogleich wieder aufzunehmen, nach Corbulos Beispiel, die Winterquartiere in Feindesland bei Rhandeia, an einem Nebenfluß des Euphrat, dem Arsanias unweit des heutigen Charput, während der Troß und die Weiber und Kinder unweit davon in dem festen Kastell Arsamosata untergebracht wurden. Aber er hatte die Schwierigkeit des Unternehmens unterschätzt. Die eine und die beste seiner Legionen, die mösische, war noch auf dem Marsch und überwinterte diesseits des Euphrat im pontischen Gebiet; die beiden anderen waren nicht diejenigen, welche Corbulo kriegen und siegen gelehrt hatte, sondern die früheren syrischen des Quadratus, unvollzählig und ohne durchgreifende Reorganisation kaum brauchbar. Dabei stand er nicht wie Corbulo den Armeniern allein, sondern der Hauptmasse der Parther gegenüber; Vologasos hatte, als es mit dem Kriege Ernst ward, den Kern seiner Truppen aus Mesopotamien nach Armenien geführt und den strategischen Vorteil, daß er die inneren und kürzeren Linien beherrschte, verständig zur Geltung gebracht. Corbulo hätte, zumal da er den Euphrat überbrückt und am anderen Ufer Brückenköpfe angelegt hatte, diesen Abmarsch durch einen rechtzeitigen Einfall in Mesopotamien wenigstens erschweren oder doch wettmachen können; aber er rührte sich nicht aus seinen Stellungen und überließ es Pätus, sich der Gesamtmacht der Feinde zu erwehren, wie er konnte. Dieser war weder selber Militär noch bereit, militärischen Rat anzunehmen und zu befolgen, nicht einmal ein Mann von entschlossenem Charakter, übermütig und ruhmredig im Anlauf, verzagt und kleinmütig gegenüber dem Mißerfolg. Also kam, was kommen mußte. Im Frühling 62 griff nicht Pätus an, sondern Vologasos; die vorgeschobenen Truppen, welche den Parthern den Weg verlegen sollten, wurden von der Übermacht erdrückt; der Angriff verwandelte sich rasch in eine Belagerung der römischen weit auseinandergezogenen Stellungen in dem Winterlager und dem Kastell. Die Legionen konnten weder vorwärts noch zurück; die Soldaten desertierten massenweise; die einzige Hoffnung ruhte auf Corbulos fern im nördlichen Syrien, ohne Zweifel bei Zeugma, untätig lagernden Legionen. In die Schuld der Katastrophe teilten sich beide Generale, Corbulo wegen des verspäteten Aufbruchs zur Hilfe, obwohl er dann, als er den ganzen Umfang der Gefahr erkannte, den Marsch nach Möglichkeit beschleunigte, Pätus, weil er den kühnen Entschluß lieber unterzugehen als zu kapitulieren nicht zu fassen vermochte und damit die nahe Rettung verscherzte; noch drei Tage länger und die 5000 Mann, welche Corbulo heranführte, hätten die ersehnte Hilfe gebracht. Die Bedingungen der Kapitulation waren freier Abzug für die Römer und Räumung Armeniens unter Auslieferung aller von ihnen besetzten Kastelle und aller in ihren Händen befindlichen Vorräte, deren die Parther dringend benötigt waren. Dagegen erklärte Vologasos sich bereit, trotz dieses militärischen Erfolges Armenien als römisches Lehen für den Bruder von der kaiserlichen Regierung zu erbitten und deswegen Gesandte an Nero zu senden. Die Mäßigung des Siegers kann darauf beruhen,, daß er von Corbulos Annähern bessere Kunde hatte als die eingeschlossene Armee; aber wahrscheinlicher lag dem vorsichtigen Mann gar nichts daran, die Katastrophe des Crassus zu erneuern und wiederum römische Adler nach Ktesiphon zu bringen. Die Niederlage einer römischen Armee, das wußte er, war nicht die Überwältigung Roms, und die reale Konzession, welche in der Anerkennung des Tiridates lag, ward durch die Nachgiebigkeit in der Form nicht allzu teuer erkauft.

Die römische Regierung lehnte das Anerbieten des Partherkönigs abermals ab und befahl die Fortsetzung des Krieges. Sie konnte nicht wohl anders; war die Anerkennung des Tiridates vor dem Wiederbeginn des Krieges bedenklich und nach der parthischen Kriegserklärung kaum annehmbar, so erschien sie jetzt, als Konsequenz der Kapitulation von Rhandeia, geradezu als deren Ratifikation. Von Rom aus wurde die Wiederaufnahme des Kampfes gegen die Parther in energischer Weise betrieben. Pätus wurde abberufen; Corbulo, in dem die durch die schimpfliche Kapitulation erregte öffentliche Meinung nur den Besieger Armeniens sah und den auch die, welche die Sachlage genau kannten und scharf beurteilten, nicht umhin konnten als den fähigsten und für diesen Krieg einzig geeigneten Feldherrn zu bezeichnen, übernahm wieder die Statthalterschaft von Kappadokien, aber zugleich das Kommando über sämtliche für diesen Feldzug verwendbare Truppen, welche noch weiter durch eine siebente aus Pannonien herbeigerufene Legion verstärkt wurden; demnach wurden alle Statthalter und Fürsten des Orients angewiesen in militärischen Angelegenheiten seinen Anordnungen Folge zu leisten, so daß seine Amtsgewalt derjenigen, welche den Kronprinzen Gaius und Germanicus für ihre Sendungen in den Orient beigelegt worden war, ziemlich gleich kam. Wenn diese Maßregeln eine ernste Reparation der römischen Waffenehre herbeiführen sollten, so verfehlten sie ihren Zweck. Wie Corbulo die Sachlage ansah, zeigte schon das Abkommen, das er nicht lange nach der Katastrophe von Rhandeia mit dem Partherkönig traf: dieser zog die parteiischen Besatzungen aus Armenien zurück, die Römer räumten die auf mesopotamischem Gebiet zum Schutz der Brücken angelegten Kastelle. Für die römische Offensive waren die parthischen Besatzungen in Armenien ebenso gleichgültig wie die Euphratbrücken wichtig; sollte dagegen Tiridates als römischer Lehnskönig in Armenien anerkannt werden, so waren allerdings die letzteren überflüssig und parthische Besatzungen in Armenien unmöglich. Im nächsten Frühjahr 63 schritt Corbulo allerdings zu der ihm anbefohlenen Offensive und führte die vier besten seiner Legionen bei Melitene über den Euphrat gegen die in der Gegend von Arsamosata stehende parthisch-armenische Hauptmacht. Aber aus dem Schlagen ward nicht viel; nur einige Schlösser armenischer antirömisch gesinnter Adliger wurden zerstört. Dagegen führte auch diese Begegnung zum Vertragen. Corbulo nahm die früher von seiner Regierung zurückgewiesenen parthischen Anträge an, und zwar, wie der weitere Verlauf der Dinge zeigte, in dem Sinne, daß Armenien ein für allemal eine parthische Sekundogenitur ward und die römische Regierung, wenigstens nach dem Geiste des Abkommens, darauf einging, diese Krone in Zukunft nur an einen Arsakiden zu verleihen. Hinzugefügt wurde nur, daß Tiridates sich verpflichten solle, in Rhandeia, eben da, wo die Kapitulation geschlossen worden war, öffentlich unter den Augen der beiden Armeen das königliche Diadem vom Haupte zu nehmen und es vor dem Bildnis des Kaisers niederzulegen, gelobend, es nicht wieder aufzusetzen, bevor er es aus seiner Hand, und zwar in Rom selbst, empfangen haben werde. So geschah es (63). Durch diese Demütigung wurde daran nichts geändert, daß der römische Feldherr, statt den ihm aufgetragenen Krieg zu führen, auf die von seiner Regierung verworfenen Bedingungen Frieden schloß. Aber die früher leitenden Staatsmänner waren inzwischen gestorben oder zurückgetreten und das persönliche Regiment des Kaisers dafür installiert, und auf das Publikum und vor allem auf den Kaiser persönlich verfehlte der feierliche Akt in Rhandeia und das in Aussicht gestellte Schaugepränge der Belehnung des parthischen Fürsten mit der Krone von Armenien in der Reichshauptstadt seine Wirkung nicht. Der Friede wurde ratifiziert und erfüllt. Im J. 66 erschien der parthische Fürst versprochenermaßen in Rom, geleitet von 3000 parthischen Reitern, als Geißeln die Kinder der drei Brüder sowie die des Monobazos von Adiabene heranführend. Er begrüßte kniefällig seinen auf dem Markte der Hauptstadt auf dem Kaiserstuhl sitzenden Lehnsherrn, und hier knüpfte dieser ihm vor allem Volke die königliche Binde um die Stirn. Die von beiden Seiten zurückhaltende, man möchte sagen friedliche Führung des letzten nominell zehnjährigen Krieges und der entsprechende Abschluß desselben durch den faktischen Übergang Armeniens an die Parther unter Schonung der Suszeptibilitäten des mächtigeren Westreiches trug gute Frucht. Armenien war unter der nationalen von den Römern anerkannten Dynastie mehr von ihnen abhängig als früher unter den dem Lande aufgedrungenen Herrschern. Wenigstens in der zunächst an den Euphrat grenzenden Landschaft Sophene blieb römische Besatzung. Für die Wiederherstellung von Artaxata wurde die Erlaubnis des Kaisers erbeten und gewährt und der Bau von Kaiser Nero mit Geld und Arbeitern gefördert. Zwischen den beiden mächtigen Staaten, die der Euphrat voneinander schied, hat zu keiner Zeit ein gleich gutes Verhältnis bestanden wie nach dem Abschluß des Vertrages von Rhandeia in den letzten Jahren Neros und weiter unter den drei Herrschern des flavischen Hauses. Noch andere Umstände trugen dazu bei. Die transkaukasischen Völkermassen, vielleicht gelockt durch ihre Beteiligung an den letzten Kriegen, während welcher sie als Söldner teils der Iberer, teils der Parther den Weg nach Armenien gefunden hatten, fingen damals an, vor allem die westlichen parthischen Provinzen, aber zugleich die östlichen des römischen Reiches zu bedrohen. Wahrscheinlich um ihnen zu wehren, wurde unmittelbar nach dem armenischen Kriege im J. 63 die Einziehung des sogenannten pontischen Königreichs verfügt, das heißt der Südostecke der Küste des Schwarzen Meeres mit der Stadt Trapezus und dem Phasisgebiet. Die große orientalische Expedition, welche Kaiser Nero eben anzutreten im Begriff war, als ihn die Katastrophe ereilte (68), und für welche er bereits die Kerntruppen des Westens teils nach Ägypten, teils an die Donau in Marsch gesetzt hatte, sollte freilich auch nach anderen Seiten hin die Reichsgrenze vorschieben; aber der eigentliche Zielpunkt waren die Kaukasuspässe oberhalb Tiflis und die am Nordabhang ansässigen skythischen Stämme, zunächst die Alanen. Eben diese berannten einerseits Armenien, andererseits Medien. Jene neronische Expedition richtete sich so wenig gegen die Parther, daß sie vielmehr aufgefaßt werden konnte als diesen zur Hilfe unternommen; den wilden Horden des Nordens gegenüber war für die beiden Kulturstaaten des Westens und des Ostens gemeinsame Abwehr allerdings angezeigt. Vologasos lehnte freilich die freundschaftliche Aufforderung seines römischen Kollegen, ihn ebenso wie der Bruder in Rom zu besuchen, in gleicher Freundschaftlichkeit ab, da ihn keineswegs gelüstete auch seinerseits als Lehnsträger des römischen Herrschers auf dem römischen Markt zu figurieren; aber er erklärte sich bereit, dem Kaiser sich vorzustellen, wenn dieser im Orient eintreffen werde, und nicht die Römer, aber wohl die Orientalen haben Nero aufrichtig betrauert. König Vologasos richtete an den Senat offiziell das Ersuchen, Neros Gedächtnis in Ehren zu halten, und als späterhin ein Pseudo-Nero auftrat, fand er vor allem im Partherstaat Sympathien.

Indes war es dem Parther nicht so sehr um die Freundschaft Neros zu tun, als um die des römischen Staates. Nicht bloß enthielt er sich während der Krisen des Vierkaiserjahres jedes Übergriffes, sondern er bot Vespasian, den wahrscheinlichen Ausgang des schwebenden Entscheidungskampfes richtig schätzend, noch in Alexandreia 40 000 berittene Schützen zum Kampfe gegen Vitellius an, was natürlich dankend abgelehnt ward. Vor allem aber fügte er sich ohne weiteres den Anordnungen, welche die neue Regierung für den Schutz der Ostgrenze traf. Vespasian hatte selbst als Statthalter von Judäa die Unzulänglichkeit der dort ständig verwendeten Streitkräfte kennengelernt; und als er diese Statthalterschaft mit der Kaisergewalt vertauschte, wurde nicht nur Kommagene wieder nach dem Vorgang des Tiberius aus einem Königreich eine Provinz, sondern es ward auch die Zahl der ständigen Legionen im römischen Asien von vier auf sieben erhöht, auf welche Zahl sie vorübergehend für den parthischen und wieder für den jüdischen Krieg gebracht worden waren. Während ferner es bis dahin in Asien nur ein einziges größeres Militärkommando, das des Statthalters von Syrien, gegeben hatte, wurden jetzt drei derartige Oberbefehlshaberstellen daselbst eingerichtet. Syrien, zu dem Kommagene hinzutrat, behielt wie bisher vier Legionen; die beiden bisher nur mit Truppen zweiter Ordnung besetzten Provinzen Palästina und Kappadokien wurden die erste mit einer, die zweite mit zwei Legionen belegt. Armenien blieb römisches Lehnfürstentum im Besitz der Arsakiden; aber unter Vespasian stand römische Besatzung jenseit der armenischen Grenze in dem iberischen Kastell Harmozika bei Tiflis und danach muß in dieser Zeit auch Armenien militärisch in römischer Gewalt gewesen sein. Alle diese Maßregeln, so wenig sie auch nur eine Kriegsdrohung enthielten, richteten die Spitze gegen den östlichen Nachbar. Dennoch war Vologasos nach dem Fall Jerusalems der erste, der dem römischen Kronprinzen seinen Glückwunsch zu der Befestigung der römischen Herrschaft in Syrien darbrachte, und die Einrichtung der Legionslager in Kommagene, Kappadokien und Klein-Armenien nahm er ohne Widerrede hin. Ja er regte sogar bei Vespasian jene transkaukasische Expedition wieder an und erbat die Sendung einer römischen Armee gegen die Alanen unter Führung eines der kaiserlichen Prinzen; obwohl Vespasian auf diesen weitaussehenden Plan nicht einging, so kann doch jene römische Truppe in der Gegend von Tiflis kaum zu anderem Zweck hingeschickt worden sein als zur Sperrung des Kaukasuspasses und vertrat insofern dort auch die Interessen der Parther. Trotz der Verstärkung der militärischen Stellung Roms am Euphrat oder auch vielleicht infolge derselben – denn dem Nachbar Respekt einzuflössen ist auch ein Mittel, den Frieden zu erhalten – blieb der Friedensstand während der gesamten Herrschaft der Flavier wesentlich ungestört. Wenn, wie das zumal bei dem steten Wechsel der parthischen Dynasten nicht befremden kann, ab und zu Kollisionen eintraten und selbst Kriegswolken sich zeigten, so verschwanden sie wieder ebenso rasch. Das Auftreten eines falschen Nero in den letzten Jahren Vespasians – es ist derjenige, der zu der Offenbarung Johannis den Anstoß gegeben hat – hätte fast zu einer solchen Kollision geführt. Der Prätendent, in Wirklichkeit ein gewisser Terentius Maximus aus Kleinasien, aber in Antlitz und Stimme und Künsten dem Sängerkaiser täuschend ähnlich, fand nicht bloß Zulauf in dem römischen Gebiet am Euphrat, sondern auch Unterstützung bei den Parthern. Bei diesen scheinen damals, wie sooft, mehrere Herrscher miteinander im Kampfe gelegen, und der eine von ihnen, Artabanos, weil Kaiser Titus sich gegen ihn erklärte, die Sache des römischen Prätendenten aufgenommen zu haben. Indes es hatte dies keine Folgen; vielmehr lieferte bald darauf die parthische Regierung den Prätendenten an Kaiser Domitianus aus. Der für beide Teile vorteilhafte Handelsverkehr von Syrien nach dem unteren Euphrat, wo eben damals König Vologasos nicht weit von Ktesiphon das neue Emporium Vologasias oder Vologasocerta ins Leben rief, wird das Seinige dazu beigetragen haben, den Friedensstand zu fördern.

Zu einem Konflikt kam es unter Traianus. In den früheren Jahren seiner Regierung hatte er in den östlichen Verhältnissen nichts Wesentliches geändert, abgesehen von der Verwandlung der an der Grenze der syrischen Wüste bis dahin bestehenden beiden Klientelstaaten, des nabatäischen von Petra und des jüdischen von Cäsarea Paneas, in unmittelbar römische Verwaltungsbezirke (J. 106). Die Beziehungen zu dem damaligen Herrscher des Partherreichs, dem König Pakoros, waren nicht die freundlichsten, aber erst unter dessen Bruder und Nachfolger Chosroes kam es zum Bruch, und zwar wiederum über Armenien. Die Schuld davon trugen die Parther. Indem Traianus den erledigten armenischen Königsthron dem Sohn des Pakoros Axidares verlieh, hielt er sich innerhalb der Grenzen seines Rechts; aber König Chosroes bezeichnete diese Persönlichkeit als unfähig zu regieren und setzte eigenmächtig einen anderen Sohn des Pakoros, den Parthomasiris, an dessen Stelle zum König ein. Die Antwort darauf war die römische Kriegserklärung. Gegen Ausgang des J. 114 verließ Traianus die Hauptstadt, um sich an die Spitze der römischen Truppen des Ostens zu stellen, die allerdings wieder in dem tiefsten Verfall sich befanden, aber von dem Kaiser schleunigst reorganisiert und außerdem durch bessere aus Pannonien herbeigezogene Legionen verstärkt wurden. In Athen trafen ihn Gesandte des Partherkönigs; aber sie hatten nichts zu bieten als die Anzeige, daß Parthomasiris bereit sei, Armenien als römisches Lehen entgegenzunehmen, und wurden abgewiesen. Der Krieg begann. In den ersten Gefechten am Euphrat zogen die Römer den kürzeren; aber als der alte schlagfertige und sieggewohnte Kaiser im Frühjahr des J. 115 selbst sich an die Spitze der Truppen stellte, unterwarfen sich ihm die Orientalen fast ohne Gegenwehr. Es kam hinzu, daß bei den Parthern wieder einmal der Bürgerkrieg im Gange und gegen Chosroes ein Prätendent Manisaros aufgetreten war. Von Antiocheia aus marschierte der Kaiser an den Euphrat und weiter nordwärts bis zu dem nördlichsten Legionslager Satala in Klein-Armenien, von wo aus er in Armenien einrückte und die Richtung auf Artaxata nahm. Unterwegs in Elegeia erschien Parthomasiris und nahm das Diadem vom Haupte, in der Hoffnung, durch diese Demütigung, wie einst Tiridates, die Belehnung zu erwirken. Allein Traianus war entschlossen, auch diesen Lehnsstaat zur Provinz zu machen und überhaupt die östliche Reichsgrenze zu verlegen. Dies erklärte er dem Partherfürsten vor dem versammelten Heer und wies ihn an, mit seinem Gefolge sofort das Lager und das Reich zu räumen; es kam darüber zu einem Auflauf, bei welchem der Prätendent das Leben verlor. Armenien ergab sich in sein Schicksal und wurde römische Statthalterschaft. Auch die Fürsten der Kaukasusvölker, der Albaner, der Iberer, weiter gegen das Schwarze Meer der Apsiler, der Kolcher, der Heniocher, der Lazen und anderer mehr, selbst die der transkaukasischen Sarmaten wurden in dem Lehnsverhältnis bestätigt oder jetzt demselben unterworfen. Traianus rückte darauf in das Gebiet der Parther ein und besetzte Mesopotamien. Auch hier fügte sich alles ohne Schwertstreich; Batnä, Nisibis, Singara kamen in die Gewalt der Römer; in Edessa nahm der Kaiser nicht bloß die Unterwerfung des Landesherrn Abgaros entgegen, sondern auch die der übrigen Dynasten und gleich Armenien wurde Mesopotamien römische Provinz. Die Winterquartiere nahm Traianus abermals in Antiocheia, wo ein gewaltiges Erdbeben mehr Opfer forderte als der Feldzug des Sommers. Im nächsten Frühjahr (116) ging Traian, »der Parthersieger«, wie der Senat ihn jetzt begrüßte, von Nisibis aus über den Tigris und besetzte, nicht ohne bei dem Übergang und nachher Widerstand zu finden, die Landschaft Adiabene; dies wurde die dritte neue römische Provinz, Assyria genannt. Weiter ging der Marsch den Tigris abwärts nach Babylonien; Seleukeia und Ktesiphon fielen in die Hände der Römer und mit ihnen der goldene Thronsitz des Königs und dessen Tochter; Traianus gelangte bis nach der persischen Satrapie Mesene und der großen Kaufstadt an der Tigrismündung Charax Spasinu. Auch dieses Gebiet scheint dem Reich in der Weise einverleibt worden zu sein, daß die neue Provinz Mesopotamien das gesamte von den beiden Flüssen umschlossene Gebiet umfaßte. Mit sehnsüchtigen Gedanken soll Traianus hier sich die Jugend Alexanders gewünscht haben, um von dem Ufersaum des Persischen Meeres aus seine Waffen in das indische Wunderland zu tragen. Indes er erfuhr bald, daß er sie für nähere Gegner brauchte. Das große Partherreich hatte bisher dem Angriff kaum ernstlich die Stirn geboten und oftmals vergeblich um Frieden gebeten. Jetzt aber auf dem Rückweg in Babylon trafen den Kaiser die Botschaften von dem Abfall Babyloniens und Mesopotamiens; während er an der Tigrismündung verweilte, hatte gegen ihn die gesamte Bevölkerung dieser neuen Provinzen sich erhoben; die Bürger von Seleukeia am Tigris, von Nisibis, ja von Edessa selbst machten die römischen Besatzungen nieder oder verjagten sie und schlossen ihre Tore. Der Kaiser sah sich genötigt, seine Truppen zu teilen und gegen die verschiedenen Herde des Aufstandes einzelne Korps zu schicken; eine dieser Legionen unter Maximus wurde mit ihrem Feldherrn in Mesopotamien umzingelt und niedergehauen. Doch ward der Kaiser der Insurgenten Herr, namentlich durch den schon im dazischen Kriege erprobten Feldherrn Lusius Quietus, einen geborenen Maurenscheich. Seleukeia und Edessa wurden belagert und niedergebrannt. Traianus ging so weit, Parthien zum römischen Vasallenstaat zu erklären und belehnte damit in Ktesiphon einen Parteigänger Roms, den Parther Parthamaspates, obwohl die römischen Soldaten nicht mehr als den westlichen Saum des großen Reiches betreten hatten. Alsdann schlug er den Rückweg nach Syrien ein auf dem Wege, den er gekommen war, unterwegs aufgehalten durch einen vergeblichen Angriff auf die Araber in Hatra, der Residenz des Königs der tapferen Stämme der mesopotamischen Wüste, deren gewaltige Festungswerke und prachtvolle Bauten noch heute in ihren Ruinen imponieren. Er beabsichtigte den Krieg im nächsten Jahre fortzusetzen, also die Unterwerfung der Parther zur Wahrheit zu machen. Aber das Gefecht in der Wüste von Hatra, in welchem der sechzigjährige Kaiser tapfer mit den arabischen Reitern sich herumgeschlagen hatte, sollte sein letztes sein. Er erkrankte und starb auf der Heimreise (8. August 117), ohne seinen Sieg vollenden und die Siegesfeier in Rom abhalten zu können; es war in seinem Sinn, daß ihm noch nach dem Tode die Ehre des Triumphes zuteil ward und er daher der einzige der vergötterten römischen Kaiser ist, welcher auch als Gott noch den Siegestitel führt.

Traianus hatte den Krieg mit den Parthern nicht gesucht, sondern er war ihm aufgenötigt worden; nicht er, sondern Chosroes hatte das Abkommen über Armenien gebrochen, welches die letzten vierzig Jahre hindurch die Grundlage des Friedensstandes im Euphratgebiet gewesen war. Wenn es begreiflich ist, daß die Parther sich dabei nicht beruhigten, da die fortdauernde Lehnsherrschaft der Römer über Armenien den Stachel zur Auflehnung in sich trug, so muß man auch andererseits anerkennen, daß auf dem bisherigen Wege nicht weitergegangen werden konnte, als Corbulo gegangen war; der unbedingte Verzicht auf Armenien und, was davon die notwendige Folge war, die Anerkennung des Partherstaates in voller Gleichberechtigung liegen nun einmal außer dem Horizont der römischen Politik, so gut wie die Aufhebung der Sklaverei und ähnliche zu jener Zeit undenkbare Gedanken. Wenn aber mit dieser Alternative nicht zu dauerhaftem Frieden gelangt werden konnte, so blieb in dem großen Dilemma der römischen Orientpolitik nur die andere übrig, die Erstreckung der unmittelbaren römischen Herrschaft auf das linke Ufer des Euphrat. Darum ward Armenien jetzt römische Provinz und nicht minder Mesopotamien. Es war das nur sachgemäß. Die Verwandlung Armeniens aus einem römischen Lehnsstaat mit römischer Besatzung in eine römische Statthalterschaft änderte nach außen hin nicht viel; die Parther konnten aus Armenien wirksam nur ausgewiesen werden, indem sie den Besitz der benachbarten Landschaft verloren; und vor allem fand die römische Herrschaft wie die römische Provinzialverfassung in dem halb griechischen Mesopotamien einen weit günstigeren Boden als in dem durchaus orientalischen Armenien. Andere Erwägungen kamen hinzu. Die römische Zollgrenze in Syrien war übel beschaffen und den internationalen Verkehr von den großen Handelsplätzen Syriens nach dem Euphrat und dem Tigris ganz in die Gewalt zu bekommen für den römischen Staat ein wesentlicher Gewinn, wie denn auch Traianus sofort daran ging, die neuen Euphrat- und Tigriszölle einzurichten. Auch militärisch war die Tigrisgrenze leichter zu verteidigen als die bisherige an der syrischen Wüste und weiter am Euphrat hinlaufende Grenzlinie. Die Umwandlung der Landschaft Adiabene jenseits des Tigris in eine römische Provinz, wodurch Armenien Binnenprovinz ward, und die Umgestaltung des parthischen Reiches selbst in einen römischen Lehnsstaat sind Korollarien desselben Gedankens. Es soll in keiner Weise geleugnet werden, daß bei der Eroberungspolitik die Konsequenz ein bedenkliches Lob ist, und daß Traianus nach seiner Art bei diesen Unternehmungen dem Streben nach äußerlichem Erfolg mehr als billig nachgegeben und über das verständige Ziel hinausgegriffen hat; aber es geschieht ihm Unrecht, wenn sein Auftreten im Osten auf blinde Eroberungslust zurückgeführt wird. Er tat, was Cäsar, wenn er gelebt hätte, auch getan haben würde. Seine Politik ist nur die andere Seite derjenigen der Staatsmänner Neros, und beide sind so entgegengesetzt wie gleich folgerichtig und gleichberechtigt. Die Folgezeit hat mehr der erobernden Politik Recht gegeben als derjenigen der Nachgiebigkeit.

Für den Augenblick freilich kam es anders. Die orientalischen Eroberungen Traians durchleuchten den trüben Abend des Römerreiches wie die Blitzstrahlen die dunkle Nacht, aber wie diese bringen sie keinen neuen Morgen. Der Nachfolger fand sich vor die Wahl gestellt, das unfertige Werk der Unterwerfung der Parther zu vollenden oder fallen zu lassen. Ohne bedeutende Steigerung der Armee wie des Budgets konnte die Grenzerweiterung überall nicht durchgeführt werden; und die damit unvermeidlich gegebene Verschiebung des Schwerpunktes nach Osten war eine bedenkliche Stärkung des Reiches. Hadrian und Pius lenkten also völlig wieder ein in die Bahnen der früheren Kaiserzeit. Den römischen Lehnskönig von Parthien, den Parthamaspates, ließ Hadrian fallen und fand ihn in anderer Weise ab. Er räumte Assyrien und Mesopotamien und gab diese Provinzen freiwillig dem früheren Herrn zurück. Nicht minder sandte er diesem die gefangene Tochter; das bleibende Zeichen des gewonnenen Sieges, den goldenen Thron von Ktesiphon, weigerte selbst der friedfertige Pius sich den Parthern wieder auszuliefern. Hadrianus sowohl wie Pius waren ernstlich bemüht, mit dem Nachbar in Frieden und Freundschaft zu leben, und zu keiner Zeit scheinen die Handelsbeziehungen zwischen den römischen Entrepots an der syrischen Ostgrenze und den Kaufstädten am Euphrat reger gewesen zu sein als in dieser Epoche. – Armenien hörte ebenfalls auf römische Provinz zu sein und trat in seine frühere Stellung zurück als römischer Lehnsstaat und parthische Sekundogenitur. Abhängig blieben gleichfalls die Fürsten der Albaner und Iberer am Kaukasus und die zahlreichen kleinen Dynasten in dem südöstlichen Winkel des Schwarzen Meeres. Römische Besatzungen standen nicht bloß an der Küste in Apsaros und am Phasis, sondern nachweislich unter Commodus in Armenien selbst unweit Artaxata; militärisch gehörten alle diese Staaten zum Sprengel des Kommandanten von Kappadokien. Indes scheint diese ihrem Wesen nach sehr unbestimmte Oberhoheit überhaupt, und namentlich von Hadrian, in einer Weise gehandhabt zu sein, daß sie mehr als ein Schutzrecht erschien, denn als eigentliche Untertänigkeit, und wenigstens die mächtigeren unter diesen Fürsten taten und ließen im wesentlichen, was ihnen gefiel. Das schon früher hervorgehobene gemeinsame Interesse der Abwehr der wilden transkaukasischen Stämme trat in dieser Epoche noch bestimmter hervor und hat offenbar namentlich zwischen Römern und Parthern als ein Band gedient. Gegen das Ende der Regierung Hadrians fielen die Alanen, im Einverständnis, wie es scheint, mit dem damaligen König von Iberien Pharasmanes II, dem es zunächst oblag, ihnen den Kaukasuspaß zu sperren, in die südlichen Landschaften ein und plünderten nicht bloß das Gebiet der Albaner und der Armenier, sondern auch die parthische Provinz Medien und die römische Provinz Kappadokien; wenn es auch nicht zu gemeinschaftlicher Kriegführung kam, sondern das Gold des damals in Parthien regierenden Herrschers Vologasos III. und die Mobilmachung der kappadokischen Armee von seiten der Römer die Barbaren zur Umkehr bestimmten, so gingen die Interessen doch zusammen, und die Beschwerde, welche die Parther in Rom über Pharasmanes von Iberien führten, zeigt das Zusammenhalten der beiden Großmächte.

Die Störungen des Status quo kamen wieder von parthischer Seite. Die Oberherrlichkeit der Römer über Armenien hat in der Geschichte eine ähnliche Rolle gespielt wie die des deutschen Kaiserreiches über Italien; wesenlos wie sie war, wurde sie doch stets als Übergriff empfunden und trug die Kriegsgefahr im Schoße. Schon unter Hadrian drohte der Konflikt; es gelang dem Kaiser in einer persönlichen Zusammenkunft mit dem Partherfürsten den Friedensstand zu wahren. Unter Pius schien abermals die parthische Invasion Armeniens bevorzustehen; seine ernste Abmahnung war zunächst von Erfolg. Aber selbst dieser friedfertigste aller Kaiser, dem es mehr am Herzen lag, das Leben eines Bürgers zu sparen als tausend Feinde zu töten, mußte in der letzten Zeit seiner Regierung sich auf den Angriff gefaßt machen und die Heere des Orients verstärken. Kaum hatte er die Augen geschlossen (J. 161), als sich das lange drohende Gewitter entlud. Auf Befehl des Königs Vologasos IV. rückte der persische Feldherr Chosroes in Armenien ein und setzte den Arsakidenprinzen Pakoros auf den Thron. Der Statthalter von Kappadokien Severianus tat, was seine Pflicht war, und führte seinerseits die römischen Truppen über den Euphrat. Bei Elegeia, eben da, wo ein Menschenalter zuvor der ebenfalls von den Parthern auf den armenischen Thron gesetzte König Parthomasiris sich vor Traian vergeblich gedemütigt hatte, stießen die Heere aufeinander; das römische wurde nicht bloß geschlagen, sondern in dreitägigem Kampfe vernichtet; der unglückliche Feldherr gab, wie einst Varus, sich selber den Tod. Die siegreichen Orientalen begnügten sich nicht mit der Einnahme Armeniens, sondern überschritten den Euphrat und brachen in Syrien ein; auch das dort stehende Heer wurde geschlagen, und man fürchtete für die Treue der Syrer. Die römische Regierung hatte keine Wahl. Da die Truppen des Orients auch bei dieser Gelegenheit ihre geringe Schlagfähigkeit bewiesen und überdies durch die erlittene Niederlage geschwächt und demoralisiert waren, wurden aus dem Westen, selbst vom Rhein her weitere Legionen nach dem Osten gesandt und in Italien selbst Aushebungen angeordnet. Der eine der beiden kurz vorher zur Regierung gelangten Kaiser Lucius Verus ging selbst nach dem Orient (J. 162), um den Oberbefehl zu übernehmen; und wenn er, weder kriegerisch noch auch nur pflichttreu, sich der Aufgabe nicht gewachsen zeigte und von seinen Taten im Orient kaum etwas anderes zu berichten ist, als daß er mit seiner Nichte daselbst Hochzeit machte und wegen seines Theaterenthusiasmus selbst von den Antiochenern ausgelacht ward, so führten die Statthalter von Kappadokien und von Syrien, dort zuerst Statius Priscus, dann Martius Verus, hier Avidius Cassius, die besten Generale dieser Epoche, die Sache Roms besser als der Träger der Krone. Noch einmal, bevor die Heere aneinander kamen, boten die Römer den Frieden; gern hätte Marcus den schweren Krieg vermieden. Aber Vologasos wies die billigen Vorschläge schroff zurück; und diesmal war der friedfertige Nachbar auch der stärkere. Armenien wurde sofort wieder gewonnen; schon im J. 163 nahm Priscus die Hauptstadt Artaxata ein und zerstörte sie. Nicht weit davon wurde die neue Landeshauptstadt, Kainepolis, armenisch Nor-Khalakh oder Valarschapat (Etschmiazin), von den Römern erbaut und mit starker Besatzung belegt. Im Jahre darauf wurde an Pakoros Stelle Sohämos, der Abstammung nach auch ein Arsakide, aber römischer Untertan und römischer Senator, zum König von Groß-Armenien ernannt. Rechtlich also änderte in Armenien sich nichts; doch wurden die Bande, die es an Rom knüpften, straffer angezogen. – Ernster waren die Kämpfe in Syrien und Mesopotamien. Die Euphratlinie wurde von den Parthern hartnäckig verteidigt; nach einem lebhaften Gefecht am rechten Ufer bei Sura wurde die Festung Nikephorion (Rakka) auf dem linken von den Römern erstürmt. Noch heftiger wurde um den Übergang bei Zeugma gestritten; aber auch hier blieb in der entscheidenden Schlacht bei Europos (Djerabis südlich von Biredjik) den Römern der Sieg. Sie rückten nun ihrerseits in Mesopotamien ein. Edessa wurde belagert, Dausara unweit davon erstürmt; die Römer erschienen vor Nisibis; der parthische Feldherr rettete sich schwimmend über den Tigris. Die Römer konnten von Mesopotamien aus den Marsch nach Babylon antreten. Die Satrapen verließen teilweise die Fahnen des geschlagenen Großkönigs; Seleukeia, die große Kapitale der Hellenen am Euphrat, öffnete den Römern freiwillig die Tore, wurde aber später, weil die Bürgerschaft mit Recht oder mit Unrecht des Einverständnisses mit dem Feinde beschuldigt ward, von den Römern niedergebrannt. Auch die parthische Hauptstadt Ktesiphon wurde genommen und zerstört; mit gutem Grund konnte zu Anfang des J. 165 der Senat die beiden Herrscher als die parthischen Großsieger begrüßen. In dem Feldzug dieses Jahres drang Cassius sogar in Medien ein; indes namentlich die in diesen Gegenden ausbrechende Pest dezimierte die Truppen und nötigte zur Umkehr, beschleunigte vielleicht auch den Friedensschluß. Das Ergebnis des Krieges war die Abtretung des westlichen Strichs von Mesopotamien: die Fürsten von Edessa oder von Osrhoene traten in den römischen Lehnsverband, und die Stadt Karrhä, seit langem gut griechisch gesinnt, wurde Freistadt unter römischem Schutz. Dem Umfang nach war, zumal dem vollständigen Kriegserfolg gegenüber, der Gebietszuwachs mäßig, dennoch aber von Bedeutung, insofern damit die Römer Fuß faßten am linken Ufer des Euphrat. Im übrigen wurden die besetzten Gebiete den Parthern zurückgegeben und der Status quo wiederhergestellt. Im ganzen also gab man die zurückhaltende, von Hadrian aufgenommene Politik jetzt wieder auf und lenkte ein in die Bahn des Traianus. Es ist dies um so bemerkenswerter, als der Regierung des Marcus gewiß nicht Ehrgeiz und Vergrößerungsstreben zum Vorwurf gemacht werden kann; was sie tat, tat sie notgedrungen und in bescheidenen Grenzen.

Den gleichen Weg ging weiter und entschiedener Kaiser Severus. Das Dreikaiserjahr 193 hatte zum Kriege zwischen den Legionen des Westens und denen des Ostens geführt und mit Pescennius Niger waren diese unterlegen. Die römischen Lehnsfürsten des Ostens und nicht minder der Beherrscher der Parther, Vologasos V., des Sanatrukios Sohn, hatten, wie begreiflich, den Niger anerkannt und ihm sogar ihre Truppen zur Verfügung gestellt; dieser hatte erst dankend abgelehnt, dann, als seine Sache eine üble Wendung nahm, ihre Hilfe angerufen. Die übrigen römischen Lehnsträger, vor allem der von Armenien, hielten sich vorsichtig zurück; nur der Fürst von Edessa, Abgaros, sandte den verlangten Zuzug. Die Parther versprachen Hilfe, und sie kam auch wenigstens aus den nächsten Distrikten, von dem Fürsten Barsemias von Hatra in der mesopotamischen Wüste und von jenseit des Tigris von dem Satrapen der Adiabener. Auch nach Nigers Tod (J. 194) blieben diese Fremden nicht bloß in dem römischen Mesopotamien, sondern forderten sogar das Herausziehen der daselbst stehenden römischen Besatzungen und die Rückgabe dieses Gebietes. Darauf rückte Severus in Mesopotamien ein und nahm die ganze ausgedehnte und wichtige Landschaft in Besitz. Von Nisibis aus wurde eine Expedition gegen den Araberfürsten von Hatra geführt, der es indes nicht gelang, die feste Stadt zu nehmen; auch jenseit des Tigris gegen den Satrapen von Adiabene richteten die Generale des Severus nichts Bedeutendes aus. Aber Mesopotamien, das heißt das ganze Gebiet zwischen Euphrat und Tigris bis zum Chaboras, wurde römische Provinz und mit zwei dieser Gebietserweiterung wegen neu geschaffenen Legionen belegt. Das Fürstentum Edessa blieb als römische Lehnsherrschaft bestehen, war aber jetzt nicht mehr Grenzgebiet, sondern von unmittelbarem Reichsland umschlossen. Hauptstadt der neuen Provinz und Sitz des Statthalters wurde die ansehnliche und feste Stadt Nisibis, seitdem nach dem Namen des Kaisers genannt und als römische Kolonie geordnet. Nachdem also von dem parthischen Reiche ein wichtiger Gebietsteil abgerissen und gegen zwei von ihm abhängige Satrapen Waffengewalt gebraucht worden war, machte sich der Großkönig mit den Truppen auf, um den Römern entgegenzutreten. Severus bot die Hand zum Frieden und trat für Mesopotamien einen Teil von Armenien ab. Indes war damit die Waffenentscheidung nur vertagt. So wie Severus nach dem Westen aufgebrochen war, wohin die Verwicklung mit seinem Mitherrscher in Gallien ihn abrief, brachen die Parther den Frieden und rückten in Mesopotamien ein; der Fürst von Osrhoene ward vertrieben, das Land besetzt und der Statthalter Lätus, einer der vorzüglichsten Kriegsmänner der Zeit, in Nisibis belagert. Er schwebte in großer Gefahr, als Severus, nachdem Albinus unterlegen war, im J. 198 abermals im Orient eintraf. Damit wendete sich das Kriegsglück. Die Parther wichen zurück, und nun ergriff Severus die Offensive. Er rückte in Babylonien ein und gewann Seleukeia und Ktesiphon; der Partherkönig rettete sich mit wenigen Reitern durch die Flucht, der Kronschatz wurde die Beute der Sieger, die parthische Hauptstadt den römischen Soldaten zur Plünderung preisgegeben und über 100 000 Gefangene auf den römischen Sklavenmarkt gebracht. Besser freilich als der Partherstaat selbst wehrten sich die Araber in Hatra; vergeblich versuchte Severus in zwiefacher schwerer Belagerung die Wüstenburg zu bezwingen. Aber im wesentlichen war der Erfolg der beiden Feldzüge der J. 198 und 199 ein vollständiger. Durch die Einrichtung der Provinz Mesopotamien und des großen Kommandos daselbst verlor Armenien die Zwischenstellung, welche es bisher gehabt hatte; es konnte in den bisherigen Verhältnissen verbleiben und von der förmlichen Einverleibung abgesehen werden. Das Land behielt also seine eigenen Truppen, und die Reichsregierung hat sogar für dieselben späterhin einen Zuschuß aus der Reichskasse gezahlt.

Die weitere Entwicklung dieser Nachbarverhältnisse ist bedingt durch die Verschiebung der inneren Ordnung in den beiden Reichen. Wenn unter der Dynastie Nervas und nicht minder unter Severus dem oft von Bürgerkrieg und Thronfehde zerrissenen Partherstaat die relativ stabile römische Monarchie überlegen gegenübergestanden hatte, so brach diese Ordnung nach Severus Tode zusammen, und fast ein Jahrhundert lang folgten sich in dem Westreich meist elende und durchaus ephemere Regenten, die dem Ausland gegenüber stetig schwankten zwischen Übermut und Schwäche. Während also die Schale des Westens sank, stieg diejenige des Ostens. Wenige Jahre nach dem Tode des Severus (211) trat in Iran eine Umwälzung ein, welche nicht bloß, wie so viele frühere Krisen, den herrschenden Regenten stürzte, nicht einmal bloß eine andere Dynastie an die Stelle der verkommenen Arsakiden ans Regiment rief, sondern die nationalen und religiösen Elemente zu gewaltigem Aufschwung entfesselnd an die Stelle der vom Hellenismus durchdrungenen Bastardzivilisation des Partherstaates die Staatsordnung, den Glauben, die Sitte und die Fürsten derjenigen Landschaft setzte, welche das alte Perserreich geschaffen hatte und seit dessen Übergang an die parthische Dynastie wie die Gräber des Dareios und des Xerxes, so auch die Keime der Wiedergeburt des Volkes in sich bewahrte. Es erfolgte die Wiederherstellung des von Alexander niedergeworfenen Großkönigtums der Perser durch das Eintreten der Dynastie der Sassaniden. Werfen wir auf diese neue Gestaltung der Dinge einen Blick, bevor wir den Verlauf der römisch-parthischen Beziehungen im Orient weiter verfolgen.

Es ist schon ausgesprochen worden, daß die parthische Dynastie, obwohl in der Tat sie Iran dem Hellenismus entrissen hatte, doch der Nation sozusagen als illegitim galt. Artahschatr oder neupersisch Ardaschir, so berichtet die offizielle Historiographie der Sassaniden, trat auf, um das Blut des von Alexander ermordeten Dara zu rächen und um die Herrschaft an die legitime Familie zurückzubringen und sie so wieder herzustellen, wie sie zur Zeit seiner Vorfahren, vor den Teilkönigen gewesen war. In dieser Legende steckt ein gutes Stück Wirklichkeit. Die Dynastie, welche von dem Großvater Ardaschirs Sasan den Namen führt, ist keine andere als die königliche der persischen Landschaft; Ardaschirs Vater Papak oder Pabek und eine lange Reihe seiner Ahnen hatten unter der Obergewalt der Arsakiden in diesem Stammlande der iranischen Nation das Szepter geführt, in Istachr, unweit des alten Persepolis residiert und ihre Münzen mit iranischer Sprache und iranischer Schrift und mit den heiligen Emblemen des persischen Landesglaubens bezeichnet, während die Großkönige in dem halb griechischen Grenzland ihren Sitz hatten und ihre Münzen in griechischer Sprache und griechischer Weise prägen ließen. Die Grundordnung des iranischen Staatensystems, das den Teilkönigen übergeordnete Großkönigtum, ist unter den beiden Dynastien ebenso wenig eine verschiedene gewesen, wie die des Reiches deutscher Nation unter den sächsischen und den schwäbischen Kaisern. Nur darum wird in jener offiziellen Version die Arsakidenzeit als die der Teilkönige und Ardaschir als das erste gemeinsame Haupt von ganz Iran nach dem letzten Dareios bezeichnet, weil im alten persischen Reich die persische Landschaft wie zu den übrigen, so auch zu den Parthern sich verhält wie im römischen Staat Italien zu den Provinzen und der Perser dem Parther die Legitimation für das von Rechts wegen mit seiner Landschaft verbundene Großkönigtum bestritt.

Wie dem Umfange nach das Sassanidenreich sich zu dem der Arsakiden verhielt, ist eine Frage, auf die die Überlieferung keine genügende Antwort gibt. Die Provinzen des Westens sind, seit die neue Dynastie fest im Sattel saß, sämtlich derselben untertänig geblieben, und die Ansprüche, die die letztere gegen die Römer erhob, gingen, wie wir sehen werden, weit hinaus über die Prätensionen der Arsakiden. Aber wie weit die Herrschaft der Sassaniden gegen den Osten gereicht hat und wann sie bis zum Oxos vorgedrungen ist, der später als die legitime Grenze zwischen Iran und Turan gilt, entzieht sich unseren Blicken.

Das Staatssystem Irans hat infolge des Eintritts der neuen Dynastie sich nicht gerade prinzipiell umgestaltet. Die offizielle Titulatur des ersten Sassanidenherrschers, wie sie unter dem Felsrelief von Nakschi-Rustam in drei Sprachen gleichmäßig angegeben ist: »der Mazda-Diener Gott Artaxares, König der Könige der Arianer, göttlicher Abstammung«, ist im wesentlichen die der Arsakiden, nur daß die iranische Nation, wie schon in der alteinheimischen Königstitulatur, und der einheimische Gott jetzt ausdrücklich genannt werden. Daß eine in der Persis heimische Dynastie an die Stelle einer ursprünglich stammfremden und nur nationalisierten trat, war ein Werk und ein Sieg nationaler Reaktion; aber den daraus sich ergebenden Konsequenzen setzte die Macht der Verhältnisse vielfach unübersteigliche Schranken. Persepolis oder, wie es jetzt heißt, Istachr, wird wieder dem Namen nach die Hauptstadt des Reiches und neben den gleichartigen des Dareios verkünden dort auf derselben Felsenwand die merkwürdigen Bildwerke und noch merkwürdigeren eben erwähnten Inschriften den Ruhm Ardachirs und Schapurs; aber die Verwaltung konnte von dieser entlegenen Örtlichkeit aus nicht wohl geführt werden, und ihr Mittelpunkt blieb auch ferner Ktesiphon. Den rechtlichen Vorzug der Perser, wie er unter den Achämeniden bestanden hatte, nahm die neupersische Regierung nicht wieder auf; wenn Dareios sich »einen Perser, Sohn eines Persers, einen Arier aus arischem Stamm« nannte, so nannte Ardaschir sich, wie wir sahen, lediglich den König der Arianer. Ob in die großen Geschlechter, abgesehen von dem königlichen, persische Elemente neu eingeführt worden sind, wissen wir nicht; auf jeden Fall sind mehrere von ihnen geblieben, wie die Suren und die Karen; nur unter den Achämeniden, nicht unter den Sassaniden sind dieselben ausschließlich persisch gewesen.

Auch in religiöser Beziehung trat ein eigentlicher Wechsel nicht ein; wohl aber gewann der Glaube und gewannen die Priester unter den persischen Großkönigen einen Einfluß und eine Macht, wie sie sie unter den parthischen niemals besessen hatten. Es mag wohl sein, daß die zwiefache Propaganda fremder Kulte gegen Iran, des Buddhatums vom Osten her und des jüdisch-christlichen Glaubens aus dem Westen, der alten Mazda-Religion eben durch die Fehde eine Regeneration brachten. Der Stifter der neuen Dynastie Ardaschir war, wie glaubhaft berichtet wird, ein eifriger Feueranbeter und nahm selbst die Weihen des Priestertums; darum, heißt es weiter, wurde von da an der Stand der Magier einflußreich und anmaßend, während er bis dahin keineswegs solche Ehre und solche Freiheit gehabt, sondern bei den Machthabern nicht eben viel gegolten hatte. »Seitdem ehren und verehren die Perser alle die Priester; die öffentlichen Angelegenheiten werden nach ihren Ratschlägen und Orakeln geordnet; jeder Vertrag und jeder Rechtsstreit unterliegt ihrer Aufsicht und ihrem Urteil, und nichts erscheint den Persern recht und gesetzlich, was nicht von einem Priester bestätigt worden ist.« Dementsprechend begegnen wir einer Ordnung der geistlichen Verwaltung, die an die Stellung des Papstes und der Bischöfe neben dem Kaiser und den Fürsten erinnert. Jeder Kreis steht unter einem Obermagier (Magupat, Magierherr, neupersisch Mobedh) und diese alle wieder unter dem Obersten der Obermagier (Mobedhan-Mobedh), dem Abbild des »Königs der Könige«, und er ist es jetzt, der den König krönt. Die Folgen dieser Priesterherrschaft blieben nicht aus: das starre Ritual, die beengenden Vorschriften über Schuld und Sühne, die in wüstes Orakelwesen und Zauberkunst sich auflösende Wissenschaft haften zwar dem Parsentum von jeher an, sind aber doch vermutlich erst in dieser Epoche zu voller Entwicklung gelangt. Auch in dem Gebrauch der Landessprache und den Landesgebräuchen zeigen sich die Spuren der nationalen Reaktion. Die größte Griechenstadt des Partherreiches, die alte Seleukeia, blieb bestehen, aber sie heißt seitdem nicht nach dem Namen des griechischen Marschalls, sondern nach dem ihres neuen Herrn Beh, das heißt gut, Ardaschir. Die griechische Sprache, bisher, wenn auch zerrüttet und nicht mehr alleinherrschend, doch immer noch in Gebrauch, verschwindet mit dem Eintritt der neuen Dynastie mit einem Schlag von den Münzen, und nur auf den Inschriften der ersten Sassaniden begegnet sie noch neben und hinter der eigentlichen Landessprache. Die »Partherschrift«, das Pahlavi, behauptet sich, aber neben sie tritt eine zweite wenig verschiedene, und zwar, wie die Münzen beweisen, als eigentlich offizielle, wahrscheinlich die bis dahin in der persischen Provinz gebrauchte, so daß die ältesten Denkmäler der Sassaniden, ähnlich wie die der Achämeniden, dreisprachig sind, etwa wie im deutschen Mittelalter lateinisch, sächsisch und fränkisch nebeneinander Anwendung gefunden haben. Nach König Sapor I. (  272) verschwindet die Zwiesprachigkeit und behauptet die zweite Schreibweise allein den Platz, den Namen Pahlavi erbend. Das Jahr der Seleukiden und die dazugehörigen Monatsnamen verschwinden mit dem Wechsel der Dynastie; dafür treten nach altem persischen Herkommen die Regentenjahre ein und die einheimischen persischen Monatsnamen. Selbst die altpersische Legende wird auf das neue Persien übertragen. Die noch vorhandene »Geschichte von Ardaschir Papaks Sohn«, welche diesen Sohn eines persischen Hirten an den medischen Hof geraten, dort Knechtsdienste tun und dann den Befreier seines Volkes werden läßt, ist nichts als das alte Märchen vom Kyros auf die neuen Namen umgeschrieben. Ein anderes Fabelbuch der indischen Parsen weiß zu berichten, wie König Iskander Rumi, das heißt »Alexander der Römer«, die heiligen Bücher Zarathustras habe verbrennen lassen, dann aber sie hergestellt worden seien von dem frommen Ardaviraf, als König Ardaschir den Thron bestiegen habe. Hier steht der Römer-Hellene gegen den Perser; den arsakidischen Bastard hat die Sage, wie billig, vergessen. Im übrigen werden die Zustände wesentlich die alten geblieben sein. In militärischer Beziehung namentlich sind die Heere auch der Sassaniden sicher keine stehenden und geschulten Truppen gewesen, sondern das Aufgebot der wehrfähigen Mannschaften, in das mit der nationalen Bewegung wohl ein neuer Geist gefahren sein mag, aber das nach wie vor im wesentlichen auf dem adligen Roßdienst ruhte. Auch die Verwaltung blieb wie sie war: der tüchtige Herrscher schritt mit unerbittlicher Strenge ein gegen den Straßenräuber wie gegen den erpressenden Beamten und, verglichen wenigstens mit der späteren arabischen und der türkischen Herrschaft, befanden sich die Untertanen des Sassanidenreiches im Wohlstand und der Staatsschatz in Fülle.

Bedeutsam aber ist die Verschiebung der Stellung des neuen Reiches gegenüber dem römischen. Die Arsakiden haben den Cäsaren sich nie völlig ebenbürtig gefühlt. Wie oft auch beide Staaten in Krieg und Frieden als gleichgewogene Mächte sich einander entgegentraten, wie entschieden die Anschauung der doppelten Großmacht auch den römischen Orient beherrscht, es bleibt der römischen Macht ein ähnlicher Vorrang, wie ihn das heilige römische Reich deutscher Nation lange Jahrhunderte sehr zu seinem Schaden besessen hat. Unterwerfungsakte, wie sie gegenüber Tiberius und Nero die parthischen Großkönige auf sich nahmen, ohne durch die äußerste Notwendigkeit dazu gezwungen zu sein, lassen sich umgekehrt nicht einmal denken. Deutlicher noch spricht die Unterlassung der Goldprägung. Es kann nicht Zufall sein, daß nie unter dem Regiment der Arsakiden eine Goldmünze geschlagen worden ist und gleich der erste Sassanidenherrscher die Goldprägung geübt hat; es ist dieselbe das greifbarste Zeichen der durch keine Vasallenpflichten beschränkten Souveränität. Dem Anspruch des Cäsarenreiches allein die Weltmünze schlagen zu können, hatten die Arsakiden ohne Ausnahme sich wenigstens insoweit gefügt, daß sie selber überhaupt sich der Prägung enthielten und diese in Silber und Kupfer den Städten oder den Satrapen überließen; die Sassaniden schlugen wieder Goldstücke, auch wie König Dareios. Das Großkönigtum des Ostens fordert endlich sein volles Recht; die Welt gehört nicht ferner den Römern allein. Mit der Unterwürfigkeit der Orientalen und der Oberherrlichkeit der Okzidentalen ist es vorbei. Dementsprechend tritt an die Stelle der bis dahin immer wieder zum Frieden zurückwendenden Beziehungen zwischen Römern und Parthern durch Generationen die erbitterte Fehde.

Nachdem die neue Staatsordnung dargestellt worden ist, mit der das sinkende Rom bald zu ringen haben sollte, nehmen wir den Faden der Erzählung wieder auf. Severus Sohn und Nachfolger Antoninus, kein Krieger und Staatsmann wie sein Vater, aber von beidem eine wüste Karikatur, muß die Absicht gehabt haben, soweit bei solchen Persönlichkeiten überhaupt von Absicht geredet werden kann, den Osten ganz in römische Gewalt zu bringen. Es hielt nicht schwer, die Fürsten von Osrhoene und von Armenien, nachdem sie an den kaiserlichen Hof entboten worden waren, gefangenzusetzen und diese Lehen für eingezogen zu erklären. Aber schon auf die Kunde hin brach in Armenien ein Aufstand aus. Der Arsakidenprinz Tiridates wurde zum König ausgerufen und rief den Schutz der Parther an. Darauf stellte sich Antoninus an die Spitze einer großen Truppenmacht und erschien im J. 216 im Osten, um die Armenier und nötigenfalls auch die Parther niederzuwerfen. Tiridates selbst gab sogleich seine Sache verloren, obwohl die nach Armenien gesandte Abteilung dort nachher noch auf heftige Gegenwehr stieß, und flüchtete zu den Parthern. Die Römer forderten die Auslieferung. Die Parther waren nicht geneigt, sich seinetwegen auf einen Krieg einzulassen, um so weniger als eben damals die beiden Söhne des Königs Vologasos V., Vologasos VI. und Artabanos, in erbitterter Thronfehde lagen. Der erstere fügte sich, als die römische Forderung gebieterisch wiederholt ward, und lieferte den Tiridates aus. Darauf begehrte der Kaiser von dem inzwischen zur Anerkennung gelangten Artabanos die Hand seiner Tochter zu dem ausgesprochenen Zwecke, damit das Reich zu erheiraten und Orient und Okzident unter eine Herrschaft zu bringen. Die Zurückweisung dieses wüsten Vorschlags war das Signal zum Krieg; die Römer erklärten ihn und überschritten den Tigris. Die Parther waren unvorbereitet; ohne Widerstand zu finden brannten die Römer die Städte und Dörfer in Adiabene nieder und zerstörten mit ruchloser Hand sogar die alten Königsgräber bei Arbela. Aber für den nächsten Feldzug machte Artabanos die äußersten Anstrengungen und stellte im Frühjahr 217 eine gewaltige Heeresmacht in das Feld. Antoninus, der den Winter in Edessa zugebracht hatte, wurde eben, als er zu dieser zweiten Kampagne aufbrach, von seinen Offizieren ermordet. Sein Nachfolger Macrinus, unbefestigt im Regiment und wenig angesehen, dazu an der Spitze einer der Zucht und Haltung entbehrenden und durch den Kaisermord erschütterten Armee, hätte gern des mutwillig angezettelten und sehr ernsthafte Verhältnisse annehmenden Krieges sich entledigt. Er schickte dem Partherkönig die Gefangenen zurück und warf die Schuld für die begangenen Frevel auf den Vorgänger. Aber Artabanos war damit nicht zufrieden; er forderte Ersatz für alle begangene Verwüstung und die Räumung Mesopotamiens. So kam es bei Nisibis zur Schlacht, in der die Römer den kürzeren zogen. Dennoch gewährten die Parther, zum Teil weil ihr Aufgebot sich aufzulösen Miene machte, vielleicht auch unter dem Einfluß des römischen Goldes, den Frieden (218) auf verhältnismäßig günstige Bedingungen: Rom zahlte eine ansehnliche Kriegsentschädigung (50 Millionen Denare), behielt aber Mesopotamien; Armenien blieb dem Tiridates, aber dieser nahm es von den Römern zum Lehen. Auch in Osrhoene wurde das alte Fürstenhaus wieder eingesetzt.

Es ist dies der letzte Friedensvertrag, den die Arsakidendynastie mit Rom geschlossen hat. Fast unmittelbar nachher und vielleicht mit infolge dieses Pakts, der allerdings, wie die Verhältnisse lagen, von den Orientalen als eine Preisgebung der erfochtenen Siege durch die eigene Regierung angesehen werden konnte, begann die Insurrektion, welche den Staat der Parther in einen Staat der Perser umwandelte. Ihr Führer, König Ardaschir oder Artaxares (J. 224-241), stritt manches Jahr mit den Anhängern der alten Dynastie, bevor er vollen Erfolg hatte; nach drei großen Schlachten, in deren letzter König Artabanos fiel, war er im eigentlichen Partherreich Herr und konnte in die mesopotamische Wüste einrücken, um die Araber von Hatra zu unterwerfen und von da aus gegen das römische Mesopotamien vorzugehen. Aber die tapferen und unabhängigen Araber wehrten sich, wie früher gegen die römische Invasion, so jetzt gegen die Perser in ihren gewaltigen Mauern mit gutem Erfolg, und Artaxares fand sich veranlaßt, zunächst gegen Medien und Armenien zu operieren, wo die Arsakiden sich noch behaupteten und auch die Söhne des Artabanos eine Zuflucht gefunden hatten. Erst um das J. 230 wandte er sich gegen die Römer und erklärte ihnen nicht bloß den Krieg, sondern forderte alle Provinzen zurück, die einst zum Reich seiner Vorgänger, des Dareios und des Xerxes gehört hatten, das heißt die Abtretung von ganz Asien. Den drohenden Worten Nachdruck zu geben, führte er ein gewaltiges Heer über den Euphrat; Mesopotamien wurde besetzt und Nisibis belagert; die feindlichen Reiter zeigten sich in Kappadokien und in Syrien. Den römischen Thron nahm damals Severus Alexander ein, ein Herrscher, an dem nichts kriegerisch war als der Name und für den in der Tat die Mutter Mamäa das Regiment führte. Dringende, fast demütige Friedensvorschläge der römischen Regierung blieben ohne Wirkung; es blieb nichts übrig als der Gebrauch der Waffen. Die aus dem ganzen Reiche zusammengezogenen römischen Heeresmassen wurden geteilt: der linke Flügel nahm die Richtung auf Armenien und Medien, der rechte auf Mesene an der Euphrat- und Tigrismündung, vielleicht in der Berechnung, dort wie hier auf den Anhang der Arsakiden sich stützen zu können; die Hauptarmee ging gegen Mesopotamien vor. Die Truppen waren zahlreich genug, aber ohne Zucht und Haltung; ein hochgestellter römischer Offizier dieser Zeit bezeugt es selbst, daß sie verwöhnt und unbotmäßig waren, sich weigerten zu kämpfen, ihre Offiziere erschlugen und haufenweise desertierten. Die Hauptmacht kam gar nicht über den Euphrat, da die Mutter dem Kaiser vorstellte, daß es nicht seine Sache sei, sich für seine Untertanen, sondern dieser sich für ihn zu schlagen. Der rechte Flügel, im Flachland von der persischen Hauptmacht angegriffen und von dem Kaiser in Stich gelassen, wurde aufgerieben. Als darauf der Kaiser dem nach Medien vorgedrungenen Flügel Befehl erteilte sich zurückzuziehen, litt auch dieser stark bei dem winterlichen Rückmarsch durch Armenien. Wenn es bei diesem üblen Rückzug der großen orientalischen Armee nach Antiocheia blieb und zu keiner vollständigen Katastrophe kam, sogar Mesopotamien in römischer Gewalt blieb, so scheint das nicht das Verdienst der römischen Truppen oder ihrer Führer zu sein, sondern darauf zu beruhen, daß das persische Aufgebot des Kampfes müde ward und nach Hause ging. Aber sie gingen nicht auf lange, um so mehr als bald darauf nach der Ermordung des letzten Sprossen der severischen Dynastie die einzelnen Heerführer und die Regierung in Rom um die Besetzung des römischen Thrones zu schlagen begannen und somit darin einig waren, die Geschäfte der auswärtigen Feinde zu besorgen. Unter Maximinus (235-238) geriet das römische Mesopotamien in Ardaschirs Gewalt, und schickten die Perser abermals sich an, den Euphrat zu überschreiten. Nachdem die inneren Wirren einigermaßen sich beruhigt hatten und Gordian III., fast noch ein Knabe, unter dem Schutz des Kommandanten von Rom und bald seines Schwiegervaters Furius Timesitheus unbestritten im ganzen Reiche gebot, wurde in feierlicher Weise den Persern der Krieg erklärt, und im J. 242 rückte eine große römische Armee unter persönlicher Führung des Kaisers oder vielmehr seines Schwiegervaters in Mesopotamien ein. Sie hatte vollständigen Erfolg; Karrhä wurde wieder gewonnen, bei Resaina zwischen Karrhä und Nisibis das Heer des Perserkönigs Schahpuhr oder Sapor (reg. 241-272), welcher kurz vorher seinem Vater Ardaschir gefolgt war, auf das Haupt geschlagen, infolge dieses Sieges auch Nisibis besetzt. Ganz Mesopotamien war zurückerobert; es wurde beschlossen, zum Euphrat zurück und von da stromabwärts gegen die feindliche Hauptstadt Ktesiphon zu marschieren. Unglücklicherweise starb Timesitheus, und sein Nachfolger, Marcus Julius Philippus, ein geborener Araber aus der Trachonitis, benutzte die Gelegenheit, den jungen Herrscher zu beseitigen. Als das Heer den schwierigen Marsch durch das Tal des Chaboras nach dem Euphrat zurückgelegt hatte, fanden, angeblich infolge der von Philippus getroffenen Anordnungen, die Soldaten in Kirkesion am Einfluß des Chaboras in den Euphrat die erwarteten Lebensmittel und Vorräte nicht vor und legten dies dem Kaiser zur Last. Nichtsdestoweniger wurde der Marsch in der Richtung auf Ktesiphon angetreten; aber schon auf der ersten Station bei Zaitha (etwas unterhalb Mejadin) erschlugen eine Anzahl aufständischer Gardisten den Kaiser (Frühling oder Sommer 244) und riefen ihren Kommandanten Philippus an seiner Stelle zum Augustus aus. Der neue Herrscher tat, was der Soldat oder wenigstens der Gardist begehrte, und gab nicht bloß die beabsichtigte Expedition gegen Ktesiphon auf, sondern führte auch die Truppen sogleich nach Italien zurück. Die Erlaubnis dazu erkaufte er sich von dem überwundenen Feind durch die Abtretung von Mesopotamien und Armenien, also der Euphratgrenze. Indes erregte dieser Friedensschluß eine solche Erbitterung, daß der Kaiser es nicht wagte, denselben zur Ausführung zu bringen und in den abgetretenen Provinzen die Besatzungen stehenließ. Daß die Perser sich dies wenigstens vorläufig gefallen ließen, gibt das Maß dessen, was sie damals vermochten. Nicht die Orientalen, sondern die Goten, die fünfzehn Jahre hindurch wütende Pest und die Zwietracht der miteinander um die Krone hadernden Korpsführer brachen die letzte Kraft des Reiches.

Es wird hier, wo der römische Orient im Ringen mit dem persischen auf sich selber angewiesen ist, am Platz sein, eines merkwürdigen Staates zu gedenken, der durch und für den Wüstenhandel geschaffen, jetzt für kurze Zeit in der politischen Geschichte eine führende Rolle übernimmt. Die Oase Palmyra, in der einheimischen Sprache Thadmor, liegt auf halbem Wege zwischen Damaskos und dem Euphrat. Von Bedeutung ist sie lediglich als Zwischenstation zwischen dem Euphratgebiet und dem Mittelmeer, und hat auch diese Bedeutung erst spät gewonnen und früh wieder verloren, so daß Palmyras Blütezeit ungefähr mit derjenigen Periode zusammenfällt, die wir hier schildern. Über das Emporkommen der Stadt fehlt es an jeder Überlieferung. Erwähnt wird sie zuerst bei Gelegenheit des Aufenthaltes des Antonius in Syrien im J. 713 (41 v.Chr.), wo dieser einen vergeblichen Versuch machte, sich ihrer Reichtümer zu bemächtigen; auch die dort gefundenen Denkmäler – die älteste datierte palmyrenische Inschrift ist vom J. 745 (9 v. Chr.) – reichen schwerlich viel weiter zurück. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß ihr Aufblühen mit der Festsetzung der Römer im syrischen Küstenland zusammenhängt. Solange die Nabatäer und die Städte der Osrhoene nicht unmittelbar römisch waren, hatten die Römer ein Interesse daran, eine andere direkte Verbindung mit dem Euphrat herzustellen, und diese führte dann notwendig über Palmyra. Eine römische Gründung ist Palmyra nicht; als Veranlassung für jenen Raubzug nahm Antonius die Neutralität der zwischen den beiden Großstaaten den Verkehr vermittelnden Kaufleute, und die römischen Reiter kehrten unverrichteter Sache um vor der Schützenkette, die die Palmyrener dem Angriff entgegenstellten. Aber schon in der ersten Kaiserzeit muß die Stadt zum Reiche gerechnet worden sein, da die für Syrien ergangenen Steuerverordnungen des Germanicus und des Corbulo auch für Palmyra zur Anwendung kamen; in einer Inschrift vom J. 80 begegnet eine klaudische Phyle daselbst; seit Hadrian nennt sich die Stadt Hadriana Palmyra, und im 3. Jahrhundert bezeichnet sie sich sogar als Kolonie.

Indes war die Reichsuntertänigkeit der Palmyrener anderer Art als die gewöhnliche und einigermaßen dem Klientelverhältnis der abhängigen Königreiche ähnlich. Noch in Vespasians Zeit heißt Palmyra ein Zwischengebiet zwischen den beiden Großmächten und wurde bei jedem Zusammenstoß der Römer und der Parther gefragt, welche Politik die Palmyrener einhalten würden. Den Schlüssel für die Sonderstellung müssen wir in den Grenzverhältnissen und den für den Grenzschutz getroffenen Ordnungen suchen. Die syrischen Truppen, soweit sie am Euphrat selbst standen, haben ihre Hauptstellung bei Zeugma, Biredjik gegenüber an der großen Euphratpassage gehabt. Weiter stromabwärts schiebt sich zwischen das unmittelbar römische und das parthische Gebiet das von Palmyra, das bis zum Euphrat reicht und die nächste bedeutende Übergangsstelle bei Sura gegenüber der mesopotamischen Stadt Nikephorion (später Kallinikon, heute er-Rakka) einschließt. Es ist mehr als wahrscheinlich, daß die Hut dieser wichtigen Grenzfestung sowie die Sicherung der Wüstenstraße zwischen dem Euphrat und Palmyra, auch wohl eines Teils der Straße von Palmyra nach Damaskos der Gemeinde Palmyra überlassen ward, und daß sie also berechtigt und verpflichtet war, die für diese nicht geringe Aufgabe erforderlichen militärischen Einrichtungen zu treffen. Späterhin sind wohl die Reichstruppen näher an Palmyra herangezogen und ist eine der syrischen Legionen nach Danava zwischen Palmyra und Damaskos, die arabische nach Bostra gelegt worden; seit Severus Mesopotamien mit dem Reich vereinigt hatte, waren sogar hier beide Ufer des Euphrat in römischer Gewalt und endigte das römische Gebiet am Euphrat nicht mehr bei Sura, sondern bei Kirkesion an der Mündung des Chaboras in den Euphrat oberhalb Mejadin. Auch wurde damals Mesopotamien stark mit Reichstruppen belegt. Aber die mesopotamischen Legionen standen an der großen Straße im Norden bei Resaina und Nisibis, und auch die syrischen und die arabischen Truppen machten die Mitwirkung der palmyrenischen nicht entbehrlich. Es mag sogar die Hut von Kirkesion und dieses Teils des Euphratufers eben den Palmyrenern anvertraut worden sein. Erst nach dem Untergang Palmyras und vielleicht in Ersatz desselben ist Kirkesion von Diocletian zu der starken Festung gemacht worden, die seitdem hier der Stützpunkt der Grenzverteidigung gewesen ist.

Die Spuren dieser Sonderstellung Palmyras sind auch in den Institutionen nachweisbar. Das Fehlen des Kaisernamens auf den palmyrenischen Münzen ist wohl nicht aus ihr zu erklären, sondern daraus, daß die Gemeinde fast nur kleine Scheidemünze ausgegeben hat. Deutlich aber spricht die Behandlung der Sprache. Von der sonst bei den Römern fast ausnahmslos befolgten Regel, in dem unmittelbaren Gebiet nur den Gebrauch der beiden Reichssprachen zu gestatten, ist Palmyra ausgenommen. Hier hat diejenige Sprache, welche im übrigen Syrien und nicht minder seit dem Exil in Judäa die gewöhnliche im privaten Verkehr, aber auf diesen beschränkt war, sich im öffentlichen Gebrauch behauptet, solange die Stadt überhaupt bestanden hat. Wesentliche Verschiedenheiten des palmyrenischen Syrisch von dem der übrigen obengenannten Gegenden lassen sich nicht nachweisen; die nicht selten arabisch oder jüdisch, auch persisch geformten Eigennamen zeigen die starke Völkermischung, und zahlreiche griechisch-römische Lehnwörter die Einwirkung der Okzidentalen. Es wird späterhin Regel, dem syrischen Text einen griechischen beizufügen, welcher in einem Beschluß des palmyrenischen Gemeinderates vom J. 137 dem palmyrenischen nach, später gewöhnlich voransteht; aber bloß griechische Inschriften eingeborener Palmyrener sind seltene Ausnahmen. Sogar in Weihinschriften, welche Palmyrener ihren heimischen Gottheiten in Rom gesetzt haben, und in Grabschriften der in Afrika oder Britannien verstorbenen palmyrenischen Soldaten ist die palmyrenische Fassung zugefügt. Ebenso wurde in Palmyra zwar das römische Jahr wie im übrigen Reiche der Datierung zugrunde gelegt, aber die Monatnamen sind nicht die im römischen Syrien offiziell rezipierten makedonischen, sondern diejenigen, welche in demselben wenigstens bei den Juden im gemeinen Verkehr galten und außerdem bei den unter assyrischer und später persischer Herrschaft lebenden aramäischen Stämmen in Gebrauch waren.

Die munizipale Ordnung ist im wesentlichen nach dem Muster der griechischen des Römerreiches gestaltet; die Bezeichnungen für Beamte und Rat und selbst diejenige der Kolonie werden in den palmyrenischen Texten meistenteils aus den Reichssprachen beibehalten. Aber auch in der Verwaltung behielt der Distrikt eine größere Selbständigkeit, als sie sonst den Stadtgemeinden zukommt. Neben den städtischen Beamten finden wir wenigstens im 3. Jahrhundert die Stadt Palmyra mit ihrem Gebiet unter einem besonderen »Hauptmann« senatorischen Ranges und römischer Bestellung, aber gewählt aus dem angesehensten Geschlecht des Ortes; Septimios Hairanes des Odänathos Sohn ist der Sache nach ein Fürst der Pylmyrener, der von dem Legaten von Syrien wohl nicht anders abhängig war als die Klientelfürsten von den benachbarten Reichsstatthaltern überhaupt. Wenige Jahre später begegnen wir seinem Sohn Septimios Odänathos in der gleichen, ja im Rang noch gesteigerten erbfürstlichen Stellung. – Nicht minder bildete Palmyra einen abgeschlossenen Zollbezirk, in welchem die Zölle nicht von Staats-, sondern von Gemeinde wegen verpachtet wurden.

Die Bedeutung Palmyras ruht auf dem Karawanenverkehr. Die Häupter der Karawanen (συνοδιαρχαι), welche von Palmyra nach den großen Entrepots am Euphrat gingen, nach Vologasias, der schon erwähnten parthischen Gründung unweit der Stätte des alten Babylon, und nach Forath oder Charax Spasinu, Zwillingsstädten an der Mündung nahe am Persischen Meerbusen, erscheinen in den Inschriften als die angesehensten Stadtbürger und bekleiden nicht bloß die Ämter ihrer Heimat, sondern zum Teil Reichsämter; auch die Großhändler (αρχεμποροι) und die Zunft der Gold- und Silberarbeiter zeugen von der Bedeutung der Stadt für den Handel und die Fabrikation, nicht minder für ihren Wohlstand die noch heute stehenden Tempel der Stadt und die langen Säulenreihen der städtischen Hallen sowie die massenhaften reichverzierten Grabmäler. Dem Feldbau ist das Klima wenig günstig – der Ort liegt nahe an der Nordgrenze der Dattelpalme und führt nicht von dieser seinen griechischen Namen; aber es finden sich in der Umgegend die Reste großer unterirdischer Wasserleitungen und ungeheurer künstlich aus Quadern angelegter Wasserreservoirs, mit deren Hilfe der jetzt aller Vegetation bare Boden einst eine reiche Kultur künstlich entwickelt haben muß. Dieser Reichtum und diese auch in der Römerherrschaft nicht ganz beseitigte nationale Eigenart und administrative Selbständigkeit erklären einigermaßen Palmyras Rolle um die Mitte des 3. Jahrhunderts in der großen Krise, zu deren Darlegung wir jetzt uns zurückwenden.

Nachdem Kaiser Decius im J. 251 gegen die Goten in Europa gefallen war, überließ die Regierung des Reiches, wenn es überhaupt damals ein Reich und eine Regierung noch gab, den Osten völlig seinem Schicksal. Während die Piraten vom Schwarzen Meer her weit und breit die Küsten und selbst das Binnenland verheerten, ging auch der Perserkönig Sapor wieder angriffsweise vor. Wenn sein Vater sich damit begnügt hatte, sich den Herrn von Iran zu nennen, so hat er zuerst wie nach ihm die folgenden Herrscher sich bezeichnet als den Großkönig von Iran und Nicht-Iran und damit gleichsam das Programm seiner Eroberungspolitik hingestellt. Im J. 252 oder 253 besetzte er Armenien, oder es unterwarf sich ihm freiwillig, ohne Zweifel mit ergriffen von einem Aufflammen des alten Perserglaubens und Perserwesens; der rechtmäßige König Tiridates suchte Zuflucht bei den Römern, die übrigen Glieder des königlichen Hauses stellten sich unter die Fahnen des Persers. Nachdem also Armenien persisch geworden war, überschwemmten die Scharen der Orientalen Mesopotamien, Syrien und Kappadokien; sie verwüsteten weit und breit das platte Land, aber die Bewohner der größeren Städte wiesen den Angriff der auf Belagerung wenig eingerichteten Feinde ab, voran die tapferen Edessener. Im Okzident war inzwischen wenigstens eine anerkannte Regierung hergestellt worden. Der Kaiser Publius Licinius Valerianus, ein rechtschaffener und wohlgesinnter Herrscher, aber kein entschlossener und schwierigen Verhältnissen gewachsener Charakter, erschien endlich im Osten und begab sich nach Antiocheia. Von da aus ging er nach Kappadokien, das die persischen Streifscharen räumten. Aber die Pest dezimierte sein Heer, und er zögerte lange, den entscheidenden Kampf in Mesopotamien aufzunehmen. Endlich entschloß er sich, dem schwer bedrängten Edessa Hilfe zu bringen und überschritt mit seinen Scharen den Euphrat. Hier unweit Edessa trat die Katastrophe ein, welche für den römischen Orient ungefähr das zu bedeuten hat, was für den Okzident der Sieg der Goten an der Donaumündung und der Fall des Decius: die Gefangennahme des Kaisers Valerianus durch die Perser (Ende 259 oder Anfang 260). Über die näheren Umstände gehen die Berichte auseinander. Nach der einen Version wurde er, als er mit einer schwachen Schar versuchte, nach Edessa zu gelangen, von den weit überlegenen Persern umzingelt und gefangen. Nach einer andern gelangte er, wenn auch geschlagen, in die belagerte Stadt, fürchtete aber, da er keine ausreichende Hilfe brachte und die Lebensmittel nur um so rascher zu Ende gingen, den Ausbruch einer Militärinsurrektion und lieferte sich darum freiwillig dem Feind in die Hände. Nach einer dritten knüpfte er, aufs äußerste bedrängt, Verhandlungen wegen der Übergabe Edessas mit Sapor an; da der Perserkönig es ablehnte, mit Gesandten zu verhandeln, erschien er persönlich im feindlichen Lager und ward wortbrüchigerweise zum Gefangenen gemacht.

Welche immer von diesen Erzählungen der Wahrheit am nächsten kommen mag, der Kaiser ist in feindlicher Gefangenschaft gestorben, und die Folge dieser Katastrophe war der Verlust des Orients an die Perser. Vor allem Antiocheia, die größte und reichste Stadt des Ostens, geriet zum erstenmal, seit sie römisch war, in die Gewalt des Landesfeindes und zum guten Teil durch die Schuld der eigenen Bürger. Ein vornehmer Antiochener Mareades, den wegen unterschlagener öffentlicher Gelder der Rat ausgestoßen hatte, führte die persische Armee nach seiner Vaterstadt; mag es auch Fabel sein, daß die Bürgerschaft im Theater selbst von den anrückenden Feinden überrascht ward, daran ist kein Zweifel, daß sie nicht bloß keinen Widerstand leistete, sondern ein großer Teil der niederen Bevölkerung, teils mit Rücksicht auf Mareades, teils in der Hoffnung auf Anarchie und Raub das Eindringen der Perser gern sah. So wurde die Stadt mit allen ihren Schätzen die Beute des Feindes und entsetzlich in derselben gehaust, freilich auch Mareades, wir wissen nicht warum, von König Sapor zum Feuertode verurteilt. Das gleiche Schicksal erlitten außer zahllosen kleineren Ortschaften die Hauptstädte von Kilikien und Kappadokien, Tarsos und Cäsarea, letzte angeblich eine Stadt von 400 000 Einwohnern. Die endlosen Züge der Gefangenen, die wie das Vieh einmal am Tage zur Tränke geführt wurden, bedeckten die Wüstenstraßen des Ostens. Auf der Heimkehr sollen die Perser, um eine Schlucht rascher zu überschreiten, sie mit den Leibern der mitgeführten Gefangenen ausgefüllt haben. Glaublicher ist es, daß der große »Kaiserdamm« (Bend-i-Kaiser) bei Sostra (Schuschter) in Susiana, durch welchen noch heute das Wasser des Pasitigris den höher gelegenen Gegenden zugeführt wird, von diesen Gefangenen gebaut ward; wie ja auch Kaiser Neros Architekten die Hauptstadt von Armenien bauen geholfen und überhaupt auf diesem Gebiet die Okzidentalen stets ihre Überlegenheit behauptet haben. Auf eine Gegenwehr des Reiches stießen die Perser nirgends; aber Edessa hielt sich noch immer, und auch Cäsarea hatte sich tapfer verteidigt und war nur durch Verrat gefallen. Die örtliche Gegenwehr ging allmählich hinaus über die Abwehr hinter den städtischen Wällen, und die durch die weite Ausdehnung des eroberten Gebietes herbeigeführte Auflösung der persischen Haufen war dem kühnen Parteigänger günstig. Einem selbstbestellten römischen Führer Kallistos gelang ein glücklicher Handstreich: mit den Schiffen, die er in den kilikischen Häfen zusammengebracht hatte, fuhr er nach Pompeiupolis, das die Perser eben belagerten, während sie gleichzeitig Lykaonien brandschatzten, erschlug mehrere tausend Mann und bemächtigte sich des königlichen Harems. Dies bestimmte den König, unter dem Vorwand einer nicht aufzuschiebenden Festfeier sofort nach Hause zu gehen, in solcher Eile, daß er, um nicht aufgehalten zu werden, von den Edessenern freien Durchzug durch ihr Gebiet gegen alles von ihm erbeutete römische Goldgeld erkaufte. Den von Antiocheia heimkehrenden Scharen brachte der Fürst von Palmyra Odänathos, bevor sie den Euphrat überschritten, empfindliche Verluste bei. Aber kaum war die dringendste Persergefahr beseitigt, als unter den sich selbst überlassenen Heerführern des Ostens zwei der namhaftesten, der die Kasse und das Depot der Armee in Samosata verwaltende Offizier Fulvius Macrianus und der obengenannte Kallistos dem Sohne und Mitregenten, und jetzt alleinigen Herrscher Gallienus, für den freilich der Osten und die Perser nicht da waren, den Gehorsam aufkündigten und, selbst die Annahme des Purpurs verweigernd, die beiden Söhne des ersteren, Fulvius Macrianus und Fulvius Quietus, zu Kaisern ausriefen (261). Dies Auftreten der beiden angesehenen Feldherren bewirkte, daß in Ägypten und im ganzen Osten, mit Ausnahme von Palmyra, dessen Fürst für Gallienus eintrat, die beiden jungen Kaiser zur Anerkennung gelangten. Der eine von ihnen, Macrianus, ging mit seinem Vater nach dem Westen ab, um auch hier dies neue Regiment einzusetzen. Aber bald wandte sich das Glück: in Illyricum verlor Macrianus, nicht gegen Gallienus, sondern gegen einen anderen Prätendenten Schlacht und Leben. Gegen den in Syrien zurückgebliebenen Bruder wandte sich Odänathos; bei Hemesa, wo die Heere aufeinandertrafen, antworteten die Soldaten des Quietus auf die Aufforderung sich zu ergeben, daß sie alles eher über sich ergehen lassen würden, als einem Barbaren sich in die Hände zu liefern. Nichtsdestoweniger verriet der Feldherr des Quietus Kallistos seinen Herrn an den Palmyrener, und also endete auch dessen kurzes Regiment.

Damit tritt Palmyra im Orient an den ersten Platz. Gallienus, durch die Barbaren des Westens und die überall dort ausbrechenden Militärinsurrektionen mehr als ausreichend beschäftigt, gab dem Fürsten von Palmyra, der in der eben erzählten Krise allein ihm die Treue bewahrt hatte, eine beispiellose, indes unter den obwaltenden Umständen wohl erklärliche Ausnahmestellung: er wurde als Erbfürst oder, wie er jetzt heißt, König von Palmyra zugleich zwar nicht Mitherrscher, aber selbständiger Statthalter des Kaisers für den Osten. Die örtliche Verwaltung von Palmyra führte unter ihm ein anderer Palmyrener, zugleich als kaiserlicher Prokurator und als sein Stellvertreter. Somit lag die gesamte Reichsgewalt, soweit sie überhaupt im Osten noch bestand, in der Hand des »Barbaren«, und so rasch wie glänzend stellte dieser mit seinen Palmyrenern, welche durch die Trümmer der römischen Heerkörper und das Aufgebot des Landes verstärkt wurden, die Herrschaft Roms wieder her. Asien und Syrien waren schon vom Feinde geräumt. Odänathos ging über den Euphrat, machte endlich den tapferen Edessenern Luft und nahm den Persern die eroberten Städte Nisibis und Karrhä wieder ab (264). Wahrscheinlich ist auch Armenien damals wieder unter römische Botmäßigkeit zurückgebracht worden. Sodann ergriff er, zuerst wieder seit Gordianus, die Offensive gegen die Perser und marschierte auf Ktesiphon. In zwei verschiedenen Feldzügen wurde die Hauptstadt des persischen Reiches von ihm umstellt und die Umgegend verheert, mit den Persern unter den Mauern derselben glücklich gefochten. Selbst die Goten, deren Raubzüge bis in das Binnenland sich erstreckten, wichen zurück, als er nach Kappadokien aufbrach. Eine Machtentwicklung dieser Art war ein Segen für das bedrängte Reich und zugleich eine ernste Gefahr. Odänathos beobachtete freilich gegen den römischen Oberherrn alle schuldigen Formen und sandte die gefangenen feindlichen Offiziere und die Beutestücke nach Rom an den Kaiser, der es nicht verschmähte, daraufhin zu triumphieren; aber in der Tat war der Orient unter Odänathos nicht viel weniger selbständig als der Westen unter Postumus, und es begreift sich, daß die römisch gesinnten Offiziere dem palmyrenischen Vizekaiser Opposition machten, und einerseits die Rede ist von Versuchen des Odänathos, sich den Persern anzuschließen, die nur an Sapors Übermut gescheitert sein sollen, andererseits Odänathos‘ Ermordung in Hemesa im J. 266/67 auf Anstiften der römischen Regierung zurückgeführt ward. Indes der eigentliche Mörder war ein Brudersohn des Odänathos, und Beweise für die Beteiligung der Regierung liegen nicht vor. Auf jeden Fall änderte das Verbrechen in der Lage der Dinge nichts. Die Gattin des Verstorbenen, die Königin Bat Zabbai oder griechisch Zenobia, eine schöne und kluge Frau von männlicher Tatkraft, nahm kraft des erblichen Fürstenrechts für ihren und Odänathos noch im Knabenalter stehenden Sohn Vaballathos oder Athenodoros – der ältere, Herodes war mit dem Vater umgekommen – die Stellung des Verstorbenen in Anspruch und drang in der Tat damit sowohl in Rom wie im Orient durch; die Regierungsjahre des Sohnes werden gezählt vom Tode des Vaters. Für den nicht regierungsfähigen Sohn trat die Mutter in Rat und Tat ein, und sie beschränkte sich auch nicht darauf, den Besitzstand zu wahren, sondern ihr Mut oder ihr Übermut strebte nach der Herrschaft über das gesamte Reichsgebiet griechischer Zunge. In dem Kommando über den Orient, welches dem Odänathos übertragen und von ihm auf seinen Sohn vererbt war, mag wohl dem Rechte nach die Obergewalt über Kleinasien und Ägypten mit begriffen gewesen sein; aber tatsächlich hatte Odänathos nur Syrien und Arabien und etwa noch Armenien, Kilikien, Kappadokien in der Gewalt gehabt. Jetzt forderte ein einflußreicher Ägypter Timagenes die Königin auf, Ägypten zu besetzen; dementsprechend entsandte sie ihren Oberfeldherrn Zabdas mit einem Heer, angeblich 70 000 Mann, an den Nil. Das Land widersetzte sich energisch; aber die Palmyrener schlugen das ägyptische Aufgebot und bemächtigten sich Ägyptens. Ein römischer Admiral Probus versuchte sie wieder zu vertreiben und überwand sie auch, so daß sie nach Syrien aufbrachen; aber als er ihnen bei dem ägyptischen Babylon unweit Memphis den Weg zu verlegen suchte, wurde er durch die bessere Ortskunde des palmyrenischen Feldherrn Timagenes geschlagen und gab sich selber den Tod. Als um die Mitte des J. 270 nach Kaiser Claudius Tode Aurelianus an seine Stelle trat, geboten die Palmyrener über Alexandreia. Auch in Kleinasien machten sie Anstalt sich festzusetzen; ihre Besatzungen waren bis nach Ankyra in Galatien vorgeschoben, und selbst in Kalchedon, Byzanz gegenüber, hatten sie versucht, die Herrschaft ihrer Königin zur Geltung zu bringen. Alles dies geschah, ohne daß die Palmyrener der römischen Regierung absagten, ja wahrscheinlich in der Weise, daß das von der römischen Regierung dem Fürsten von Palmyra übertragene Regiment des Ostens auf diese Weise verwirklicht ward und man die römischen Offiziere, die sich der Ausdehnung der palmyrenischen Herrschaft widersetzten, der Auflehnung gegen die kaiserlichen Anordnungen zieh; die in Alexandreia geschlagenen Münzen nennen Aurelianus und Vaballathos nebeneinander und geben nur dem ersteren den Augustustitel. Der Sache nach löste freilich hier der Osten sich vom Reiche ab, und in Ausführung einer dem elenden Gallienus durch die Not abgezwungenen Anordnung wurde dasselbe gehälftet.

Der kräftige und umsichtige Kaiser, dem jetzt die Herrschaft zugefallen war, brach sofort mit der palmyrenischen Nebenregierung, was dann zur Folge haben mußte und hatte, daß Vaballathos von den Seinen selber zum Kaiser ausgerufen ward. Ägypten wurde schon im Ausgang des J. 270 durch den tapferen Feldherrn Probus, den späteren Nachfolger Aurelians, nach harten Kämpfen wieder zum Reiche gebracht. Freilich zahlte diesen Sieg die zweite Stadt des Reiches Alexandria fast mit ihrer Existenz, wie dies in einem folgenden Abschnitt dargelegt werden soll. Schwieriger war die Bezwingung der entlegenen syrischen Oase. Alle anderen orientalischen Kriege der Kaiserzeit sind hauptsächlich von dort heimischen Reichstruppen geführt worden; hier, wo der Okzident den abgefallenen Osten abermals zu unterwerfen hatte, schlugen wieder einmal, wie in der Zeit der freien Republik, Okzidentalen gegen Orientalen, die Soldaten vom Rhein und der Donau mit denen der syrischen Wüste. Gegen den Ausgang des J. 271, wie es scheint, begann die gewaltige Expedition. Ohne auf Gegenwehr zu treffen, gelangte das römische Heer bis an die Grenze von Kappadokien; hier leistete die Stadt Tyana, die die kilikischen Pässe sperrte, ernstlichen Widerstand. Nachdem sie gefallen war und Aurelian durch milde Behandlung der Bewohner sich den Weg zu weiteren Erfolgen geebnet hatte, überschritt er den Taurus und gelangte durch Kilikien nach Syrien. Wenn Zenobia, wie nicht zu bezweifeln ist, auf tätige Unterstützung von seiten des Perserkönigs gerechnet hatte, so fand sie sich getäuscht. Der hochbetagte König Schapur griff nicht in diesen Krieg ein, und die Herrscherin des römischen Ostens blieb auf ihre eigenen Streitkräfte angewiesen, von denen vielleicht auch noch ein Teil auf die Seite des legitimen Augustus trat. In Antiocheia vertrat die palmyrenische Hauptmacht unter dem Feldherrn Zabdas dem Kaiser den Weg; auch Zenobia selbst war anwesend. Ein glückliches Gefecht gegen die überlegene palmyrenische Reiterei am Orontes lieferte Aurelian die Stadt in die Hände, welche nicht minder wie Tyana volle Verzeihung empfing – gerechterweise erkannte er an, daß die Reichsuntertanen kaum eine Schuld traf, wenn sie dem von der römischen Regierung selbst zum Oberkommandanten bestellten palmyrenischen Fürsten sich gefügt hatten. Die Palmyrener zogen ab, nachdem sie bei der Vorstadt von Antiocheia Daphne ein Rückzugsgefecht geliefert hatten und schlugen die große Straße ein, die von der Hauptstadt Syriens nach Hemesa und von da durch die Wüste nach Palmyra führt. Aurelianus forderte die Königin auf, sich zu unterwerfen, hinweisend auf die namhaften in den Kämpfen am Orontes erlittenen Verluste. Es seien das ja nur Römer, antwortete die Königin; noch gaben die Orientalen sich nicht überwunden. Bei Hemesa stellte sie sich zu der entscheidenden Schlacht. Sie war lang und blutig; die römische Reiterei unterlag und löste flüchtend sich auf; aber die Legionen entschieden, und der Sieg blieb den Römern. Schwieriger als der Kampf war der Marsch. Die Entfernung von Hemesa nach Palmyra beträgt in gerader Richtung 18 deutsche Meilen, und wenn auch in jener Epoche der hochgesteigerten syrischen Zivilisation die Gegend nicht in dem Grade wüst war wie heutzutage, so bleibt der Zug Aurelians dennoch eine bedeutende Leistung, zumal da die leichten Reiter des Feindes das römische Heer auf allen Seiten umschwärmten. Indes Aurelian gelangte zum Ziel und begann die Belagerung der festen und wohlverproviantierten Stadt; schwieriger als diese selbst war die Herbeiführung der Lebensmittel für das belagernde Heer. Endlich sank der Fürstin der Mut, und sie entwich aus der Stadt, um Hilfe bei den Persern zu suchen. Doch das Glück stand dem Kaiser weiter bei. Die nachsetzenden römischen Reiter nahmen sie mit ihrem Sohne gefangen, als sie eben am Euphrat angelangt das rettende Boot besteigen wollte, und die durch ihre Flucht entmutigte Stadt kapitulierte (272). Aurelianus gewährte auch hier, wie in diesem ganzen Feldzug, den unterworfenen Bürgerschaften volle Verzeihung. Aber über die Königin und ihre Beamten und Offiziere erging ein strenges Strafgericht. Zenobia verschmähte es nicht, nachdem sie mit männlicher Tatkraft jahrelang die Herrschaft geführt hatte, jetzt die Frauenprivilegien anzurufen und die Verantwortung auf ihre Berater zu werfen, von denen nicht wenige, unter ihnen der gefeierte Gelehrte Cassius Longinus, unter dem Henkerbeil endigten. Sie selbst durfte in dem Triumphzug des Kaisers nicht fehlen, und sie ging nicht den Weg Kleopatras, sondern zog in goldenen Ketten zur Schau der römischen Menge vor dem Wagen des Siegers auf das römische Kapitol. Aber bevor Aurelianus seinen Sieg feiern konnte, hatte er ihn zu wiederholen. Wenige Monate nach der Übergabe erhoben sich die Palmyrener abermals, erschlugen die kleine dort garnisonierende römische Besatzung und riefen einen gewissen Antiochos zum Herrscher aus, indem sie zugleich versuchten, den Statthalter von Mesopotamien Marcellinus zur Auflehnung zu bestimmen. Die Kunde erreichte den Kaiser, als er eben den Hellespont überschritten hatte. Er kehrte sofort um und stand, früher als es Freund oder Feind geahnt hatte, abermals vor den Mauern der insurgierten Stadt. Die Empörer waren darauf nicht gefaßt gewesen; es gab diesmal keine Gegenwehr, aber auch keine Gnade. Palmyra wurde zerstört, das Gemeinwesen aufgelöst, die Mauern geschleift, die Prunkstücke des herrlichen Sonnentempels in den Tempel übertragen, den in Erinnerung an diesen Sieg der Kaiser dem Sonnengott des Ostens in Rom erbaute. Nur die verlassenen Hallen und Mauern blieben, wie sie zum Teil noch heute stehen. Das geschah im J. 273. Die Blüte Palmyras war eine künstliche, erzeugt durch die dem Handel gewiesenen Straßen und die großen dadurch bedingten öffentlichen Bauten. Jetzt zog die Regierung von der unglücklichen Stadt ihre Hand ab. Der Handel suchte und fand andere Bahnen; da Mesopotamien damals als römische Provinz betrachtet ward und bald auch wieder zum Reich kam, ebenfalls das Nabatäergebiet bis zu dem Hafen von Älana in römischer Hand war, so konnte diese Zwischenstation entbehrt werden und mag der Verkehr sich dafür nach Bostra oder Beroea (Aleppo) gezogen haben. Dem kurzen meteorartigen Aufleuchten Palmyras und seiner Fürsten folgte unmittelbar die Öde und Stille, die seither bis auf den heutigen Tag über dem kümmerlichen Wüstendorf und seinen Kolonnadenruinen lagert.

Das ephemere Reich von Palmyra ist in seinem Entstehen wie in seinem Fall eng mit den Beziehungen der Römer zu dem nichtrömischen Osten verwachsen, aber nicht minder ein Stück der allgemeinen Reichsgeschichte. Denn wie das Westreich des Postumus, so ist das Ostreich der Zenobia eine jener Massen, in die damals das gewaltige Ganze sich schien auflösen zu sollen. Wenn während seines Bestehens seine Leiter dem Ansturm der Perser ernstlich Schranken zu setzen versuchten, ja ihre Machtentwicklung eben darauf beruhte, so hat es bei seinem Zusammenbrechen nicht bloß bei denselben Persern Rettung gesucht, sondern wahrscheinlich sind infolge des Abfalls der Zenobia Armenien und Mesopotamien den Römern verlorengegangen und hat auch nach der Unterwerfung Palmyras der Euphrat wieder eine Zeitlang die Grenze gemacht. An ihm angelangt, hoffte die Königin Aufnahme bei den Persern zu finden; und über ihn hinüber die Legionen zu führen unterließ Aurelianus, da Gallien nebst Britannien und Spanien damals noch der Regierung die Anerkennung verweigerten. Er und sein Nachfolger Probus kamen nicht dazu, diesen Kampf aufzunehmen. Aber als im J. 282 nach dem vorzeitigen Ende des letzteren die Truppen den nächsthöchsten Befehlshaber Marcus Aurelius Carus zum Kaiser ausriefen, war es das erste Wort des neuen Herrschers, daß die Perser dieser Wahl gedenken sollten, und er hat es gehalten. Sogleich rückte er mit dem Heere in Armenien ein und stellte dort die frühere Ordnung wieder her. An der Landesgrenze kamen ihm persische Gesandte entgegen, die sich bereit erklärten, alles Billige zu gewähren; aber sie wurden kaum angehört, und der Marsch ging unaufhaltsam weiter. Auch Mesopotamien wurde abermals römisch und die parthischen Residenzstädte Seleukeia und Ktesiphon einmal mehr von den Römern besetzt, ohne daß diese auf nachhaltigen Widerstand getroffen wären, wozu der damals im persischen Reiche wütende Bruderkrieg das seinige beitrug. Der Kaiser war eben über den Tigris gegangen und im Begriff, in das Herz des feindlichen Landes einzudringen, als er auf gewaltsame Weise, vermutlich durch Mörderhand, den Tod und damit auch der Feldzug sein Ende fand. Sein Nachfolger aber erlangte im Frieden die Abtretung von Armenien und Mesopotamien; obwohl Carus wenig über ein Jahr den Purpur trug, wurde die Reichsgrenze des Severus durch ihn wieder hergestellt.

Einige Jahre darauf (J. 293) bestieg ein neuer Herrscher Narseh, des Königs Schapur Sohn, den Thron von Ktesiphon und erklärte im J. 296 wegen des Besitzes von Mesopotamien und Armenien den Römern den Krieg. Diocletianus, der damals die oberste Leitung wie des Reiches überhaupt, so namentlich des Orients hatte, beauftragte mit der Führung desselben seinen Reichsgehilfen Galerius Maximianus, einen rohen, aber tapferen Feldherrn. Der Anfang war ungünstig. Die Perser fielen in Mesopotamien ein und gelangten bis nach Karrhä; gegen sie führte der Cäsar die syrischen Legionen bei Nikephorion über den Euphrat; zwischen diesen beiden Positionen stießen die Armeen aufeinander und die weit schwächere römische unterlag. Es war ein harter Schlag, und der junge Feldherr mußte schwere Vorwürfe über sich ergehen lassen; aber er verzagte nicht. Für den nächsten Feldzug wurden aus dem ganzen Reich Verstärkungen herangezogen, und beide Regenten rückten persönlich in das Feld; Diocletian nahm Stellung in Mesopotamien mit der Hauptmacht, während Galerius, verstärkt durch die inzwischen herangezogenen illyrischen Kerntruppen, mit einem Heer von 25 000 Mann in Armenien dem Feind entgegentrat und ihm eine entscheidende Niederlage beibrachte. Das Lager und der Schatz, ja selbst der Harem des Großkönigs fielen den Kriegern in die Hände, und mit Not entging Narseh selbst der Gefangenschaft. Um nur die Frauen und die Kinder wiederzuerlangen, erklärte der König sich bereit, auf jede Bedingung Frieden zu schließen; sein Abgesandter Apharban beschwor den Römer des Persers zu schonen: die beiden Reiche, das römische und das persische, seien gleichsam die beiden Augen der Welt und keines könne des anderen entbehren. Es hätte in der Macht der Römer gestanden, ihren orientalischen Provinzen eine mehr hinzuzufügen; der vorsichtige Herrscher begnügte sich mit der Regulierung der Besitzverhältnisse im Nordosten. Mesopotamien blieb selbstverständlich im römischen Besitz; der wichtige Handelsverkehr mit dem benachbarten Ausland wurde unter strenge staatliche Kontrolle gestellt und wesentlich nach der festen Stadt Nisibis gewiesen, dem Stützpunkt der römischen Grenzwacht im östlichen Mesopotamien. Als Grenze der unmittelbaren römischen Herrschaft wurde der Tigris anerkannt, jedoch in der Ausdehnung, daß das ganze südliche Armenien bis zum See Thospitis (Wansee) und zum Euphrat, also das gesamte obere Tigristal, zum römischen Reich gehören solle. Eigentliche Provinz ward dies Vorland von Mesopotamien nicht, sondern nach der bisherigen Weise als römische Satrapie Sophene verwaltet. Einige Dezennien später ward hier die starke Festung Amida (Diarbekr) angelegt, seitdem die Hauptburg der Römer im Gebiet des oberen Tigris. Zugleich ward die Grenze zwischen Armenien und Medien neu reguliert und die Lehnsherrlichkeit Roms über jenes Land wie über Iberien abermals bestätigt. Bedeutende Gebietsabtretungen legte der Friede den Besiegten nicht auf, aber er stellte eine den Römern günstige Grenze her, welche auf längere Zeit hinaus in diesen vielumstrittenen Gebieten die beiden Reiche schied. Die Politik Traians erhielt damit ihre vollständige Durchführung; allerdings verschob sich auch eben damals der Schwerpunkt der römischen Herrschaft aus dem Westen nach dem Osten.

Kapitel X


Syrien und das Nabatäerland

Kapitel X

Sehr allmählich haben die Römer sich dazu entschlossen, nach der westlichen auch der östlichen Hälfte der Küsten des Mittelmeeres sich zu bemächtigen; nicht an dem Widerstand, auf den sie hier verhältnismäßig in geringem Maße trafen, sondern an der wohlbegründeten Scheu vor den denationalisierenden Konsequenzen dieser Eroberungen hat es gelegen, daß sie solange wie möglich sich nur bemühten, in jenen Gegenden den entscheidenden politischen Einfluß zu bewahren, und daß die eigentliche Einverleibung wenigstens Syriens und Ägyptens erst stattfand, als der Staat schon fast eine Monarchie war. Wohl wurde dadurch das Römerreich geographisch geschlossen, das Mittelmeer, Roms eigentliche Basis, seit es eine Großmacht war, nach allen Seiten hin ein römischer Binnensee, Schiffahrt und Handel auf und an demselben zum Segen aller Anwohner staatlich geeinigt. Aber der geographischen Geschlossenheit zur Seite ging die nationale Zweiteilung. Durch Griechenland und Makedonien wäre der Römerstaat nie binational geworden, so wenig wie die Griechenstädte Neapolis und Massalia Campanien und die Provence hellenisiert haben. Aber wenn in Europa und Afrika das griechische Gebiet gegenüber der geschlossenen Masse des lateinischen verschwindet, so gehört was von dem dritten Erdteil mit dem von Rechts wegen dazugehörigen Niltal in diesen Kulturkreis hineingezogen ward, ausschließlich den Griechen und namentlich Antiocheia und Alexandria sind die rechten Träger der in Alexander ihren Höhepunkt erreichenden hellenischen Entwicklung, Mittelpunkte hellenischen Lebens und hellenischer Bildung und Großstädte wie Rom auch. Nachdem in dem vorhergehenden Kapitel der die ganze Kaiserzeit ausfüllende Kampf des Ostens und des Westens in und um Armenien und Mesopotamien dargestellt worden ist, wenden wir uns dazu, die Verhältnisse der syrischen Landschaften zu schildern, wie sie gleichzeitig sich gestalteten. Gemeint ist das Gebiet, das der Bergstock Pisidiens, Isauriens und Westkilikiens von Kleinasien, die östliche Fortsetzung desselben Gebirges und der Euphrat von Armenien und Mesopotamien, die arabische Wüste von dem parthischen Reiche und von Ägypten scheiden; nur schien es angemessen, die eigenartigen Schicksale Judäas in einem besonderen Abschnitt zu behandeln. Der Verschiedenheit der politischen Entwicklung unter dem Kaiserregiment entsprechend, soll zunächst von dem eigentlichen Syrien, dem nördlichen Teil dieses Gebiets und von der unter dem Libanos sich hinziehenden phönikischen Küste, weiter von dem Hinterlande Palästinas, dem Gebiet der Nabatäer, gesprochen werden. Was über Palmyra zu sagen war, hat schon im vorigen Kapitel seinen Platz gefunden. Seit der Teilung der Provinzen zwischen dem Kaiser und dem Senat hat Syrien unter kaiserlicher Verwaltung gestanden und ist im Orient, wie Gallien im Westen, der Schwerpunkt der kaiserlichen zivilen und militärischen Verwaltung gewesen. Diese Statthalterschaft war von Anfang an von allen die angesehenste und wurde dies im Laufe der Zeit nur noch in höherem Grade. Ihr Inhaber führte, gleich den Statthaltern der beiden Germanien, das Kommando über vier Legionen, und während den Kommandanten der Rheinarmee die Verwaltung der inneren gallischen Landschaften abgenommen ward und schon in ihrem Nebeneinanderstehen eine gewisse Beschränkung lag, behielt der Statthalter von Syrien auch die Zivilverwaltung der ganzen großen Provinz ungeschmälert und führte lange Zeit in ganz Asien allein ein Kommando ersten Ranges. Unter Vespasian erhielt er zwar an den Statthaltern von Palästina und von Kappadokien zwei ebenfalls Legionen befehligende Kollegen; andererseits aber wuchsen durch die Einziehung des Königreichs Kommagene und bald darauf auch der Fürstentümer im Libanos deren Gebiete seiner Verwaltung zu. Erst im Laufe des 2. Jahrhunderts trat eine Schmälerung seiner Befugnisse ein, indem Hadrian eine der vier Legionen dem Statthalter von Syrien nahm und sie dem von Palästina überwies. Den ersten Platz in der römischen Militärhierarchie hat erst Severus dem syrischen Statthalter entzogen. Nachdem dieser die Provinz, die, wie einst ihren Statthalter Vespasian, so damals den Niger zum Kaiser hatte machen wollen, unter Widerstreben namentlich der Hauptstadt Antiocheia unterworfen hatte, verfügte er die Teilung derselben in eine nördliche und eine südliche Hälfte und gab dem Statthalter jener, der sogenannten Syria Coele, zwei dem Statthalter dieser, der Provinz Syrophoenicia, eine Legion. – Auch insofern darf Syrien mit Gallien zusammengestellt werden, als dieser kaiserliche Verwaltungsbezirk schärfer als die meisten sich in befriedete Landschaften und schutzbedürftige Grenzdistrikte schied. Wenn die ausgedehnte Küste Syriens und die westlichen Landschaften überhaupt feindlichen Angriffen nicht ausgesetzt waren und die Deckung an der Wüstengrenze gegen die schweifenden Beduinen den arabischen und den jüdischen Fürsten und späterhin den Truppen der Provinz Arabien, auch den Palmyrenern mehr oblag als den syrischen Legionen, so erforderte, namentlich bevor Mesopotamien römisch ward, die Euphratgrenze eine ähnliche Bewachung gegen die Parther wie der Rhein gegen die Germanen. Aber wenn die syrischen Legionen an der Grenze zur Verwendung kamen, so konnte man doch auch in dem westlichen Syrien ihrer nicht entraten. Die Rheintruppen waren allerdings auch der Gallier wegen da; dennoch durften die Römer mit berechtigtem Stolz sagen, daß für die große Hauptstadt Galliens und die drei gallischen Provinzen eine unmittelbare Besatzung von 1200 Mann ausreiche. Aber für die syrische Bevölkerung und insbesondere für die Hauptstadt des römischen Asiens genügte es nicht, die Legionen am Euphrat aufzustellen. Nicht bloß am Saum der Wüste, sondern auch in den Schlupfwinkeln der Gebirge hausten in der Nachbarschaft der reichen Äcker und der großen Städte, nicht in dem Grade wie heutzutage, aber doch auch damals stetig, verwegene Räuberbanden und plünderten, oft als Kaufleute oder Soldaten verkleidet, die Landhäuser und die Dörfer. Aber auch die Städte selbst, vor allem Antiocheia, verlangten, wie Alexandreia, eigene Besatzung. Ohne Zweifel ist dies der Grund gewesen, weshalb eine Teilung in Zivil- und Militärbezirke, wie sie für Gallien schon Augustus verfügte, in Syrien niemals auch nur versucht worden ist, und weshalb die großen auf sich selbst stehenden Lageransiedlungen, aus denen zum Beispiel Mainz am Rhein, Leon in Spanien, Chester in England hervorgegangen sind, im römischen Orient gänzlich fehlen. Ohne Zweifel aber ist dies auch der Grund, weshalb die syrische Armee in Zucht und Geist so sehr zurückstand gegen die der Westprovinzen; weshalb die stramme Disziplin, wie sie in den militärischen Standlagern des Okzidents gehandhabt ward, in den städtischen Kantonnements des Ostens nie Fuß fassen konnte. Wo der stehenden Truppe neben ihrer nächsten Bestimmung noch die Aufgabe der Polizei zufällt, wirkt dies an sich demoralisierend, und nur zu oft wird, wo sie unruhige städtische Massen in Zucht halten soll, vielmehr ihre eigene Disziplin dadurch untergraben. Die früher geschilderten syrischen Kriege liefern dazu den unerfreulichen Kommentar; keiner derselben fand eine kriegsfähige Armee vor, und regelmäßig bedurfte es erst herangezogener okzidentalischer Truppen, um dem Kampfe die Wendung zu geben.

Syrien im engeren Sinne und seine Nebenländer, das ebene Kilikien und Phönike haben unter den römischen Kaisern eine Geschichte im eigentlichen Sinne nicht gehabt. Die Bewohner dieser Landschaften gehören dem gleichen Stamme an wie die Bewohner Judäas und Arabiens, und die Stammväter der Syrer und der Phöniker haben in ferner Zeit an einem Orte gesessen mit denen der Juden und der Araber und eine Sprache geredet. Aber wenn die letzteren an ihrer Eigenart und an ihrer Sprache festgehalten haben, so haben die Syrer und die Phöniker sich hellenisiert, schon bevor sie unter römische Herrschaft gelangten. Es vollzog sich diese Hellenisierung durchgängig in der Bildung von hellenischen Politien. Den Grund dazu hatte freilich die einheimische Entwicklung gelegt, namentlich an der phönikischen Küste die alten und großen Kaufstädte. Aber vor allem hat die Staatenbildung Alexanders und der Alexandriden, eben wie die der römischen Republik, zu ihrem Fundament nicht den Stamm, sondern die Stadtgemeinde; nicht das altmakedonische Erbfürstentum, sondern die griechische Politie hat Alexander in den Osten getragen, und nicht aus Stämmen, sondern aus Städten gedachte er und gedachten die Römer ihr Reich zusammenzusetzen. Der Begriff der autonomen Bürgerschaft ist ein dehnbarer und die Autonomie Athens und Thebens eine andere als die der makedonischen und der syrischen Stadt, eben wie im römischen Kreis die Autonomie des freien Capua einen anderen Inhalt hatte als die der latinischen Pflanzstädte der Republik oder gar der Stadtgemeinden des Kaiserreichs; aber der Grundgedanke ist überall das sich selbst verwaltende, in seinem Mauerring souveräne Bürgertum. Nach dem Sturz des Perserreichs ist Syrien nebst dem benachbarten Mesopotamien als die militärische Verbindungsbrücke zwischen dem Westen und dem Osten wie kein anderes Land mit makedonischen Ansiedlungen bedeckt worden; die dort in weitester Ausdehnung übernommenen, sonst im ganzen Alexanderreich nirgends also sich wiederfindenden makedonischen Ortsnamen beweisen es, daß hier der Kern der hellenischen Eroberer des Ostens angesiedelt wurde, und daß Syrien für diesen Staat das Neumakedonien werden sollte; wie denn auch, solange das Reich Alexanders eine Zentralregierung behielt, diese dort ihren Sitz gehabt hat. Den syrischen Reichsstädten hatten dann die Wirren der letzten Seleukidenzeit zu größerer Selbständigkeit verholfen. Diese Einrichtungen fanden die Römer vor. Unmittelbar vom Reich verwaltete nicht städtische Distrikte gab es schon nach der Pompeius vorgenommenen Organisation in Syrien wahrscheinlich gar nicht, und wenn die abhängigen Fürstentümer in der ersten Epoche der römischen Herrschaft einen großen Teil des südlichen Binnenlandes der Provinz umfaßten, so waren diese meist gebirgigen und schwach bewohnten Distrikte doch von untergeordneter Bedeutung. Im ganzen genommen blieb den Römern in Syrien für die Hebung der städtischen Entwicklung nicht viel zu tun übrig, weniger als in Kleinasien. Eigentliche Städtegründung ist daher aus der Kaiserzeit für Syrien kaum zu berichten. Die wenigen Kolonien, welche hier angelegt worden sind, wie unter Augustus Berytus und wahrscheinlich auch Heliupolis, haben keinen anderen Zweck gehabt als die nach Makedonien geführten, nämlich die Unterbringung der Veteranen.

Wie sich die Griechen und die ältere Bevölkerung in Syrien zueinander stellten, läßt sich schon an den örtlichen Benennungen deutlich verfolgen. Landschaften und Städte tragen hier der Mehrzahl nach griechische Namen, großenteils, wie bemerkt, der makedonischen Heimat entlehnte, wie Pieria, Anthemus, Arethusa, Beroea, Chalkis, Edessa, Europos, Kyrrhos, Larisa, Pella, andere benannt nach Alexander oder den Gliedern des seleukidischen Hauses, wie Alexandreia, Antiocheia, Seleukis und Seleukeia, Apameia, Laodikeia, Epiphaneia. Die alten einheimischen Namen behaupten sich wohl daneben, wie Beroea, zuvor aramäisch Chaleb, auch Chalybon, Edessa oder Hierapolis, zuvor Mabog, auch Bambyke, Epiphaneia, zuvor Hamat, auch Amathe genannt wird. Aber meistens traten die älteren Benennungen vor den fremden zurück, und nur wenige Landschaften und größere Orte, wie Kommagene, Samosata, Hemesa, Damaskos, entbehren neu geschöpfter griechischer Namen. Das östliche Kilikien hat wenig makedonische Gründungen aufzuweisen; aber die Hauptstadt Tarsos hat sich früh und vollständig hellenisiert und ist lange vor der römischen Zeit eines der Zentren der hellenischen Bildung geworden. Etwas anders ist es in Phönike: die altberühmten Kaufstädte Arados, Byblos, Berytos, Sidon, Tyros haben die einheimischen Namen nicht eigentlich abgelegt; aber wie auch hier das Griechische die Oberhand gewann, zeigt die hellenisierende Umbildung eben dieser Namen, und noch deutlicher, daß Neu-Arados uns nur unter dem griechischen Namen Antarados bekannt ist, ebenso die von den Tyriern, den Sidoniern und den Aradiern gemeinschaftlich an dieser Küste gegründete neue Stadt nur unter dem Namen Tripolis, und beide ihre heutigen Benennungen Tartus und Tarabulus aus den griechischen entwickelt haben. Schon in der Seleukidenzeit tragen die Münzen im eigentlichen Syrien ausschließlich, die der phönikischen Städte weit überwiegend griechische Aufschrift; und von Anfang der Kaiserzeit an steht die Alleinherrschaft des Griechischen hier fest. – Nur die nicht bloß durch weite Wüstenstrecken geschiedene, sondern auch eine gewisse politische Selbständigkeit bewahrende Oase Palmyra macht, wie wir sahen, hierin eine Ausnahme. Aber in dem Verkehr blieben die einheimischen Idiome. In den Bergen des Libanons und des Antilibanons, wo auch in Hemesa (Homs), Chalkis, Abila (beide zwischen Berytus und Damaskos) kleine Fürstentümer einheimischen Ursprungs bis gegen das Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. schalteten, hat die einheimische Sprache in der Kaiserzeit wahrscheinlich die Alleinherrschaft gehabt, wie denn in den schwer zugänglichen Gebirgen der Drusen die Sprache Arams erst in neuerer Zeit dem Arabischen gewichen ist. Aber vor zwei Jahrtausenden war dieselbe in der Tat in ganz Syrien die Sprache des Volkes. Daß bei den doppelnamigen Städten im gewöhnlichen Leben die syrische Benennung ebenso überwog wie in der Literatur die griechische, zeigt sich darin, daß heute Beroea-Chalybon Haleb (Aleppo), Epiphaneia-Amathe Hama, Hierapolis-Bambyke-Mabog Membidj, Tyros mit seinem phönikischen Namen Sur genannt wird; daß die uns aus den Urkunden und den Schriftstellern nur als Heliupolis bekannte syrische Stadt ihren uralten einheimischen Namen Baalbek noch heute führt, überhaupt allgemein die heutigen Ortsnamen nicht aus den griechischen, sondern aus den aramäischen hervorgegangen sind. – Ebenso zeigt der Kultus das Fortleben des syrischen Volkstumes. Die Syrer von Beroea bringen ihre Weihgeschenke mit griechischer Aufschrift dem Zeus Malbachos, die von Apameia dem Zeus Belos, die von Berytus als römische Bürger dem Jupiter Balmarcodes, alles Gottheiten, an denen weder Zeus noch Jupiter wirklichen Teil hatten. Jener Zeus Belos ist kein anderer als der in Palmyra in syrischer Sprache verehrte Malach Belos. Wie lebendig die heimische Götterverehrung in Syrien gewesen und geblieben ist, dafür legt das deutlichste Zeugnis ab, daß die Dame von Hemesa, die durch ihre Verschwägerung mit dem severischen Hause für ihren Tochtersohn im Anfang des 3. Jahrhunderts die Kaiserwürde erlangte, nicht damit zufrieden, daß der Knabe Oberpontifex des römischen Volkes hieß, ihn auch anhielt, sich den Oberpriester des heimischen Sonnengottes Elagabalus vor allen Römern zu titulieren. Die Römer mochten die Syrer besiegen; aber die römischen Götter haben in ihrer eigenen Heimat vor den syrischen das Feld geräumt. – Nicht minder sind die zahlreichen auf uns gekommenen syrischen Eigennamen überwiegend ungriechisch und Doppelnamen nicht selten; der Messias heißt auch Christos, der Apostel Thomas auch Didymos, die von Petrus wiedererweckte Frau aus Ioppe das »Reh«, Tabitha oder Dorkas. Aber für die Literatur und vermutlich auch für den Geschäftsverkehr und den Verkehr der Gebildeten war das syrische Idiom so wenig vorhanden wie im Westen das keltische; in diesen Kreisen herrschte ausschließlich das Griechische, abgesehen von dem auch im Osten für das Militär geforderten Latein. Ein Literat aus der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts, den der früher erwähnte König von Armenien Sohämos an seinen Hof zog, hat in einen Roman, der in Babylon spielt, einiges über seine eigene Lebensgeschichte eingelegt, das diese Verhältnisse erläutert. Er sei, sagt er, ein Syrer, aber nicht von den eingewanderten Griechen, sondern von Vater- und Mutterseite einheimischer Abkunft, Syrer nach Sprache und Sitte, auch babylonischer Sprache und persischer Magie kundig. Aber eben dieser, das hellenische Wesen in gewissem Sinne ablehnende Mann fügt hinzu, daß er hellenische Bildung sich angeeignet habe und ist ein angesehener Jugendlehrer in Syrien und ein namhafter Romanschriftsteller der späteren griechischen Literatur geworden. – Wenn späterhin das syrische Idiom wieder zur Schriftsprache geworden ist und eine eigene Literatur entwickelt hat, so ist dies nicht auf eine Ermannung des Nationalgefühls zurückzuführen, sondern auf das unmittelbare Bedürfnis der christlichen Propaganda; jene syrische Literatur, ausgegangen von der Übersetzung der christlichen Bekenntnisschriften in das Syrische, blieb gebannt in den Kreis der spezifischen Bildung des christlichen Klerus und nahm daher von der allgemeinen hellenischen Bildung nur den kleinen Bruchteil auf, den die Theologen jener Zeit ihren Zwecken zuträglich oder doch damit verträglich fanden; ein höheres Ziel als die Übertragung der griechischen Klosterbibliothek auf die Maronitenklöster hat diese Schriftstellerei nicht erreicht und wohl auch nicht erstrebt. Sie reicht auch schwerlich weiter zurück als in das 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung und hat ihren Mittelpunkt nicht in Syrien, sondern in Mesopotamien, namentlich in Edessa, wo wahrscheinlich, anders als in dem älteren römischen Gebiet, sich die Anfänge einer vorchristlichen Literatur in der Landessprache entwickelt hatten.

Unter den mannigfaltigen Bastardformen, welche der Hellenismus in seiner zugleich zivilisierenden und degenerierenden Propaganda angenommen hat, ist die syrohellenische wohl diejenige, in welcher die beiden Elemente am meisten im Gleichgewicht standen, vielleicht aber zugleich diejenige, die die Gesamtentwicklung des Reiches am entschiedensten beeinflußt hat. Die Syrer empfingen wohl die griechische Städteordnung und eigneten sich hellenische Sprache und Sitte an; dennoch hörten sie nie auf, sich als Orientalen zu fühlen, oder vielmehr als Träger einer doppelten Zivilisation. Nirgends vielleicht ist dies schärfer ausgesprochen als in dem kolossalen Grabtempel, welchen im ersten Anfang der Kaiserzeit König Antiochos von Kommagene sich auf einem einsamen Berggipfel unweit des Euphrat errichtet hat. Er nennt in der ausführlichen Grabschrift sich einen Perser; im persischen Gewande, wie das Herkommen seines Geschlechts es erheischt, soll der Priester des Heiligtums ihm die Gedächtnisopfer darbringen; aber wie die Perser nennt er auch die Hellenen die gesegneten Wurzeln seines Geschlechts und fleht den Segen aller Götter der Persis wie der Maketis, das heißt des persischen wie des makedonischen Landes, auf seine Nachkommen herab. Denn er ist der Sohn eines einheimischen Königs vom Geschlecht der Achämeniden und einer griechischen Fürstentochter aus dem Hause des Seleukos, und dementsprechend schmückten das Grabmal in langer Doppelreihe die Abbilder einerseits seiner väterlichen Ahnen bis auf den ersten Dareios, andererseits seiner mütterlichen bis zu dem Marschall Alexanders. Die Götter aber, die er verehrt, sind zugleich persisch und griechisch, Zeus Oromasdes, Apollon Mithras Helios Hermes, Artagnes Herakles Ares, und dieses letzteren Bild zum Beispiel trägt die Keule des griechischen Heros und zugleich die persische Tiara. Dieser persische Fürst, der zugleich sich einen Freund der Hellenen und als loyaler Untertan des Kaisers einen Freund der Römer nennt, wie nicht minder jener von Marcus und Lucius auf den Thron von Armenien berufene Achämenide Sohämos sind rechte Vertreter der einheimischen die persischen Erinnerungen und die römisch-hellenische Gegenwart gleichmäßig im Sinne tragenden Aristokratie des kaiserlichen Syriens. Aus solchen Kreisen ist des persische Mithraskult in den Okzident gelangt. Aber die Bevölkerung, welche zugleich unter diesem persischen oder sich persisch nennenden Großadel und unter dem Regiment der makedonischen und später der italischen Herren stand, war in Syrien wie in Mesopotamien und in Babylonien aramäisch; sie erinnert vielfach an die heutigen Rumänen gegenüber den vornehmen Sachsen und Magyaren. Sicher waren sie das verderbteste und das verderbendste Element in dem römisch-hellenischen Völkerkonglomerat. Von dem sogenannten Caracalla, der als Sohn eines afrikanischen Vaters und einer syrischen Mutter in Lyon geboren war, wird gesagt, daß er die Laster dreier Stämme in sich vereinigt habe, die gallische Leichtfertigkeit, die afrikanische Wildheit und die syrische Spitzbüberei.

Diese Durchdringung des Orients und des Hellenismus, die nirgends so vollständig wie in Syrien sich vollzogen hat, tritt uns überwiegend in der Gestalt entgegen, daß in der Mischung das Gute und Edle zugrunde geht. Indes ist dies nicht überall der Fall; die spätere Entwicklung der Religion wie der Spekulation, das Christentum und der Neuplatonismus sind aus der gleichen Paarung hervorgegangen; wenn mit jenem der Osten in den Westen dringt, so ist dieser die Umgestaltung der okzidentalischen Philosophie im Sinn und Geist des Ostens, eine Schöpfung zunächst des Ägyptiers Plotinos (204 bis 270) und seines bedeutendsten Schülers, des Tyriers Malchos oder Porphyrios (233 bis nach 300), und dann vorzugsweise in den Städten Sariens gepflegt. Beide welthistorischen Bildungen zu erörtern ist hier nicht der Platz; vergessen aber dürfen sie auch bei der Würdigung der syrischen Verhältnisse nicht werden.

Die syrische Art findet ihren eminenten Ausdruck in der Hauptstadt des Landes und vor Konstantinopels Gründung des römischen Ostens überhaupt, der Volkszahl nach in dieser Epoche nur hinter Rom und Alexandreia und etwa noch dem babylonischen Seleukeia zurückstehend, Antiocheia, bei welchem es erforderlich scheint, einen Augenblick zu verweilen. Die Stadt, eine der jüngsten Syriens und heutzutage von geringer Bedeutung, ist nicht durch die natürlichen Verkehrsverhältnisse Großstadt geworden, sondern eine Schöpfung monarchischer Politik. Die makedonischen Eroberer haben sie ins Leben gerufen zunächst aus militärischen Rücksichten, als geeignete Zentralstelle für eine Herrschaft, die zugleich Kleinasien, das Euphratgebiet und Ägypten umspannte und auch dem Mittelmeer nahe sein wollte. Das gleiche Ziel und die verschiedenen Wege der Seleukiden und der Lagiden finden ihren treuen Ausdruck in der Gleichartigkeit und dem Gegensatz von Antiocheia und Alexandreia; wie dieses für die Seemacht und die maritime Politik der ägyptischen Herrscher, so ist Antiocheia der Mittelpunkt für die kontinentale Orientmonarchie der Herrscher Asiens. Zu verschiedenen Malen haben die späteren Seleukiden hier große Neugründungen vorgenommen, so daß die Stadt, als sie römisch wurde, aus vier selbständigen und ummauerten Bezirken bestand, die wieder alle eine gemeinsame Mauer einschloß. Auch an Einwanderern aus der Ferne fehlte es nicht. Als das eigentliche Griechenland unter die Herrschaft der Römer geriet und Antiochos der Große vergeblich versucht hatte, diese dort zu verdrängen, gewährte er wenigstens den auswandernden Euböern und Ätolern in seiner Residenz eine Freistatt. Wie in der Hauptstadt Ägyptens ist auch in derjenigen Syriens den Juden ein gewissermaßen selbständiges Gemeinwesen und eine privilegierte Stellung eingeräumt worden, und ihre Stellung als Zentren der jüdischen Diaspora ist nicht das schwächste Element in der Entwicklung beider Städte geworden. Einmal zur Residenz und zum Sitz der obersten Verwaltung eines großen Reiches gemacht, blieb Antiocheia auch in römischer Zeit die Hauptstadt der asiatischen Provinzen Roms. Hier residierten die Kaiser, wenn sie im Orient verweilten, und regelmäßig der Statthalter von Syrien; hier wurde die Reichsmünze für den Osten geschlagen und hier vornehmlich, daneben in Damaskus und in Edessa, befanden sich die Reichswaffenfabriken. Freilich hatte die Stadt für das Römerreich ihre militärische Bedeutung verloren, und unter den veränderten Verhältnissen wurde die schlechte Verbindung mit dem Meer als ein großer Übelstand empfunden, nicht so sehr wegen der Entfernung als weil der Hafen, die zugleich mit Antiocheia angelegte Stadt Seleukeia, für den großen Verkehr wenig geeignet war. Ungeheure Summen haben die römischen Kaiser von den Flaviern an bis auf Constantius aufgewandt, um in die diese Örtlichkeit umgebenden Felsenmassen die erforderlichen Docks mit den Zuzugskanälen zu brechen und genügende Molen herzustellen; aber die Kunst der Ingenieure, welcher an der Mündung des Nil die höchsten Würfe glücklich gelangen, rang in Syrien vergeblich mit den unüberwindlichen Schwierigkeiten des Terrains. Selbstverständlich hat die größte Stadt Syriens an der Fabrikation und dem Handel dieser Provinz, wovon noch weiter die Rede sein wird, sich lebhaft beteiligt; dennoch war sie mehr ein Sitz der Verzehrenden als der Erwerbenden. Im ganzen Altertum gab es keine Stadt, in welcher das Genießen des Lebens so sehr die Hauptsache und dessen Pflichten so beiläufig waren wie in »Antiocheia bei Daphne«, wie die Stadt bezeichnend genannt wird, etwa wie wenn wir sagen würden »Wien beim Prater«. Denn Daphne ist der Lustgarten, eine deutsche Meile von der Stadt, von zwei Meilen im Umkreis, berühmt durch seine Lorbeerbäume, wonach er heißt, durch seine alten Zypressen, die noch die christlichen Kaiser zu schonen befahlen, seine fließenden und springenden Wasser, seinen glänzenden Apollotempel und die prachtvolle vielbesuchte Festfeier des 10. August. Die ganze Umgegend der Stadt, die zwischen zwei bewaldeten Bergzügen in dem Tale des wasserreichen Orontes, drei deutsche Meilen aufwärts von der Mündung desselben liegt, ist noch heute trotz aller Vernachlässigung ein blühender Garten und einer der anmutigsten Flecke der Erde. Der Stadt selbst tat es an Pracht und Glanz der öffentlichen Anlagen im ganzen Reiche keine zuvor. Die Hauptstraße, welche in der Ausdehnung von 36 Stadien, nahezu einer deutschen Meile, mit einer bedeckten Säulenhalle zu beiden Seiten und in der Mitte einem breiten Fahrweg, die Stadt in gerader Richtung längs des Flusses durchschnitt, ist in vielen antiken Städten nachgeahmt worden, aber hat ihresgleichen nicht einmal in dem kaiserlichen Rom. Wie in jedem guten Hause in Antiocheia das Wasser lief, so wandelte man in jenen Hallen durch die ganze Stadt zu allen Jahrzeiten geschützt vor Regen wie vor Sonnenglut, auch des Abends in erleuchteten Straßen, was sonst von keiner Stadt des Altertums berichtet wird. Aber in diesem üppigen Treiben fanden die Musen sich nicht zurecht; der Ernst der Wissenschaft und die nicht minder ernste Kunst haben in Syrien und namentlich in Antiocheia niemals rechte Pflege gefunden. Wie vollkommen analog Ägypten und Syrien sonst sich entwickelt hatten, so scharf war ihr Gegensatz in literarischer Hinsicht: diesen Teil der Erbschaft des großen Alexanders traten die Lagiden allein an. Pflegten sie die hellenische Literatur und förderten wissenschaftliche Forschung in aristotelischem Sinne und Geist, so haben die besseren Seleukiden wohl durch ihre politische Stellung den Griechen den Orient erschlossen – Seleukos I. Sendung des Megasthenes nach Indien an König Tschandragupta und die Erkundung des Kaspischen Meeres durch seinen Zeitgenossen, den Admiral Patrokles, haben in dieser Hinsicht Epoche gemacht; aber von unmittelbarem Eingreifen in die literarischen Interessen von Seiten der Seleukiden weiß die Geschichte der griechischen Literatur nichts weiter zu melden, als daß Antiochos der sogenannte Große den Dichter Euphorion zu seinem Bibliothekar gemacht hat. Vielleicht darf die Geschichte der lateinischen Literatur für Berytus, die lateinische Insel im Meer des orientalischen Hellenismus, den Ernst wissenschaftlicher Arbeit in Anspruch nehmen. Es ist vielleicht kein Zufall, daß die Reaktion gegen die literarisch modernisierende Tendenz der julisch-claudischen Epoche und die Zurückführung der Sprache und der Schriften der republikanischen Zeit in die Schule wie in die Literatur ausgegangen ist von einem dem Mittelstand angehörigen Berytier, dem Marcus Valerius Probus, welcher in den zurückgebliebenen Schulen seiner entlegenen Heimat noch an den alten Klassikern sich gebildet hatte und dann in energischer, mehr kritisch schriftstellerischer als eigentlich lehrender Tätigkeit für den Klassizismus der späteren Kaiserzeit den Grund legte. Dasselbe Berytos ist später der Sitz des Studiums der für die Beamtenlaufbahn erforderlichen Rechtswissenschaft für den ganzen Osten geworden und die ganze Kaiserzeit hindurch geblieben. In der hellenischen Literatur sind freilich die Poesie des Epigramms und der Witz des Feuilletons in Syrien zu Hause; mehrere der namhaftesten griechischen Kleindichter, wie Meleagros und Philodemos von Gadara und Antipatros von Sidon, sind Syrer und in sinnlichem Reiz wie in raffinierter Verskunst unübertroffen; und der Vater der Feuilletonliteratur ist Menippos von Gadara. Aber diese Leistungen liegen meistens vor und zum Teil beträchtlich vor der Kaiserzeit. In der griechischen Literatur dieser Epoche ist keine Landschaft so geringfügig vertreten wie die syrische, und Zufall ist dies schwerlich, wenngleich bei der universalen Stellung des Hellenismus in der Kaiserzeit auf die Heimat der einzelnen Schriftsteller nicht allzuviel Gewicht gelegt werden darf. Dagegen hatte die in dieser Epoche um sich greifende untergeordnete Schriftstellerei, die gedanken- und formlosen Liebes-, Räuber-, Piraten-, Kuppler-, Wahrsager- und Traumgeschichten und die Fabelreisen wahrscheinlich eben hier ihren Hauptsitz. Unter den Kollegen des schon genannten Iamblichos, Verfassers der babylonischen Geschichte, werden die Landsleute desselben zahlreich gewesen sein; die Berührung dieser griechischen Literatur mit der gleichartigen orientalischen ist wohl ohne Zweifel durch die Syrer vermittelt worden. Das Lügen brauchten die Griechen freilich nicht von den Orientalen zu lernen; aber die nicht mehr plastische, sondern phantastische Fabulierung ihrer späteren Zeit ist aus Scheherazades Füllhorn, nicht aus dem Scherz der Chariten erwachsen. Vielleicht nicht zufällig macht die Satire dieser Zeit, indem sie den Homer als den Vater der Lügenreisen betrachtet, denselben zu einem Babylonier mit eigentlichem Namen Tigranes. Abgesehen von dieser Unterhaltungslektüre, deren auch die sich einigermaßen schämten, die damit schreibend oder lesend die Zeit verdarben, ist aus diesen Gegenden kaum ein anderer hervorragender Name zu nennen als der Zeitgenosse jenes Iamblichos, der Kommagener Lukianos. Auch er hat nichts geschrieben als in Nachahmung des Menippos Essays und Feuilletons, recht nach syrischer Art, witzig und lustig in der persönlichen Persiflage, aber wo diese zu Ende ist, unfähig die ernste Wahrheit lachend zu sagen oder gar die Plastik der Komik zu handhaben. Diesem Volke galt nur der Tag. Keine griechische Landschaft hat so wenig Denksteine aufzuweisen wie Syrien; das große Antiocheia, die dritte Stadt des Reiches hat, um von dem Lande der Hieroglyphen und der Obelisken nicht zu reden, weniger Inschriften hinterlassen als manches kleine afrikanische oder arabische Dorf. Mit Ausnahme des Rhetors Libanios aus der Zeit Julians, welcher auch mehr bekannt ist als bedeutend, hat diese Stadt der Literatur keinen einzigen Schriftstellernamen geliefert. Nicht mit Unrecht nannte der tyanitische Messias des Heidentums oder sein für ihn redender Apostel die Antiochener ein ungebildetes und halb barbarisches Volk und meinte, daß Apollon wohltun werde, sie auch wie ihre Daphne zu verwandeln; denn in Antiocheia verständen wohl die Zypressen zu flüstern, aber nicht die Menschen zu reden. In dem künstlerischen Kreis hat Antiocheia eine führende Stellung nur gehabt in betreff des Theaters und der Spiele überhaupt. Die Vorstellungen, welche das antiochenische Publikum fesselten, waren, nach der Sitte dieser Zeit, weniger eigentlich dramatische als rauschende Musikaufführungen, Ballette, Tierhetzen und Fechterspiele. Das Klatschen oder Zischen dieses Publikums entschied den Ruf des Tänzers im ganzen Reich. Die Jockeys und die sonstigen Zirkus- und Theaterhelden kamen vorzugsweise aus Syrien. Die Ballettänzer und die Musiker sowie die Gaukler und Possenreißer, welche Lucius Verus von der – seinerseits in Antiocheia abgemachten – orientalischen Kampagne nach Rom zurückbrachte, haben in der Geschichte des italischen Schauspielwesens Epoche gemacht. Mit welcher Leidenschaft das Publikum in Antiocheia diesem Vergnügen sich hingab, dafür ist charakteristisch, daß der Überlieferung nach die schwerste Katastrophe, welche in dieser Periode über Antiocheia gekommen ist, die Einnahme durch die Perser im J. 260, die Bürger der Stadt im Theater überraschte und von der Höhe des Berges, an welchen dasselbe angelehnt war, die Pfeile in die Reihen der Zuschauer flogen. In Gaza, der südlichsten Stadt Syriens, wo das Heidentum an dem berühmten Marnas-Tempel eine feste Burg besaß, liefen am Ende des 4. Jahrhunderts bei den Rennspielen die Pferde eines eifrigen Heiden und eines eifrigen Christen, und als dabei »Christus den Marnas schlug«, da, erzählt der heilige Hieronymus, ließen zahlreiche Heiden sich taufen.

In Zügellosigkeit der Sitte wetteiferten zwar die Großstädte des römischen Reiches alle; aber der Preis gebührt hierin wahrscheinlich Antiocheia. Der ehrbare Römer, den der derbe Sittenmaler der traianischen Zeit schildert, wie er seiner Heimat den Rücken wendet, weil sie eine Griechenstadt geworden, setzt hinzu, daß von dem Unrat die Achäer der geringste Teil seien; längst habe der syrische Orontes sich in den Tiberfluß ergossen und seine Sprache und seine Art, seine Musikanten, Harfenistinnen, Triangelschlägerinnen und die Scharen seiner Freudenmädchen über Rom ergossen. Von der syrischen Flötistin, der Ambubaia, sprachen die Römer Augusts wie wir von der Pariser Kokotte. In den syrischen Städten, sagt schon in der letzten Zeit der römischen Republik Poseidonios, ein bedeutender selbst in dem syrischen Apameia heimischer Schriftsteller, haben die Bürger der harten Arbeit sich entwöhnt; man denkt dort nur an Schmausen und Zechen und alle Reunionen und Kränzchen dienen diesem Zweck; an der königlichen Tafel wird jedem Gast ein Kranz aufgesetzt und dieser dann mit babylonischen Parfüms besprengt; Flötenspiel und Harfenschlagen schallt durch die Gassen; die Turnanstalten sind in Warmbäder verwandelt – mit letzterem ist die wahrscheinlich, in Syrien zuerst aufgekommene und späterhin allgemein gewordene Einrichtung der sogenannten Thermen gemeint, die im wesentlichen eine Verbindung von Turn- und Warmbadanstalten waren. Vierhundert Jahre später ging es in Antiocheia nicht anders zu. Nicht so sehr um des Kaisers Bart entspann sich der Zank zwischen Julian und diesen Städtern, sondern weil er in dieser Stadt der Kneipen, die, wie er sich ausdrückt, nichts im Sinne habe als Tanzen und Trinken, den Wirten die Preise regulierte. Von dieser wüsten und sinnlichen Wirtschaft ist auch und vor allem das religiöse Wesen der syrischen Landschaft durchdrungen. Der Kultus der syrischen Götter war oft eine Sukkursale des syrischen Bordells.

Es würde ungerecht sein, die römische Regierung für diese syrischen Zustände verantwortlich zu machen; sie sind dieselben unter dem Diadochenregiment gewesen und auf die Römer nur vererbt. Aber in der Geschichte dieser Zeit ist das syro-hellenische Element ein wesentlicher Faktor, und obwohl sein indirekter Einfluß bei weitem mehr ins Gewicht fällt, hat dasselbe doch auch mehrfach unmittelbar in der Politik sich bemerklich gemacht. Von eigentlicher politischer Parteiung kann bei den Antiochenern dieser und jeder Zeit noch weniger die Rede sein als bei den Bürgerschaften de rührigen Großstädte des Reiches; aber im Mokieren und Räsonieren haben sie es allem Anschein nach allen übrigen, selbst den auch hierin mit ihnen wetteifernden Alexandrinern zuvorgetan. Revolution gemacht haben sie nie, aber jeden Prätendenten, den die syrische Armee aufstellte, bereitwillig und ernstlich unterstützt, den Vespasianus gegen Vitellius, den Cassius gegen Marcus, den Niger gegen Severus, immer bereit, wo sie Rückhalt zu haben meinten, der bestehenden Regierung den Gehorsam aufzukündigen. Das einzige Talent, das ihnen unwidersprochen zukommt, die Meisterschaft des Spottens, übten sie nicht bloß gegen die Schauspieler ihrer Bühne, sondern nicht minder gegen die in der Residenz des Orients verweilenden Herrscher, und der Spott war ganz der gleiche gegen den Akteur wie gegen den Kaiser: er galt der persönlichen Erscheinung und den individuellen Eigentümlichkeiten, gleich als ob ihr Landesherr auch nur da sei, um sie mit seiner Rolle zu amüsieren. So bestand zwischen dem Publikum von Antiocheia und den Herrschern, namentlich denjenigen, die längere Zeit daselbst verweilten, Hadrian, Verus, Marcus, Severus, Julian, sozusagen ein dauernder Hohnkrieg, aus welchem ein Aktenstück, die Replik des letztgenannten Kaisers gegen die antiochenischen »Bartspötter« noch heute erhalten ist. Wenn dieser kaiserliche Literat den Spottreden mit Spottschriften begegnete, so haben zu anderen Zeiten die Antiochener ihre schlimmen Reden und ihre übrigen Sünden schwerer zu büßen gehabt. So entzog ihnen Hadrian das Recht der Silberprägung, Marcus das Versammlungsrecht und schloß auf einige Zeit das Theater. Severus nahm sogar der Stadt den Primat von Syrien und übertrug diesen auf das in stetem Nachbarkrieg mit der Hauptstadt stehende Laodikeia; und wenn diese beiden Anordnungen bald wieder zurückgenommen wurden, so ist die Teilung der Provinz, welche bereits Hadrian angedroht hatte, unter Severus, wie schon gesagt ward, zur Ausführung gekommen, und nicht zum wenigsten deswegen, weil die Regierung die unbotmäßige Großstadt demütigen wollte. Selbst den schließlichen Untergang hat diese Stadt sich herangespottet. Als im J. 540 der Perserkönig Chosroes Nuschirwan vor den Mauern Antiocheias erschien, wurde er von den Zinnen derselben nicht bloß mit Pfeilschüssen empfangen, sondern mit den üblichen unflätigen Spottrufen; und dadurch gereizt erstürmte der König nicht bloß die Stadt, sondern führte auch ihre Einwohner hinweg in das von ihm unweit Ktesiphon angelegte Neu-Antiocheia.

Die glänzende Seite der syrischen Zustände ist die ökonomische; in Fabrikation und Handel nimmt Syrien neben Ägypten unter den Provinzen des römischen Kaiserreichs den ersten Platz ein und behauptet in gewisser Beziehung auch vor Ägypten den Vorrang. Die Bodenkultur gedieh unter dem dauernden Friedensstand und unter der einsichtigen, namentlich auf Hebung der Bewässerung gerichteten Verwaltung in einem Umfang, der die heutige Zivilisation beschämt. Freilich sind manche Teile Syriens noch heute von üppigster Fülle; das Tal des unteren Orontes, den reichen Garten um Tripolis mit seinen Palmengruppen, Orangenhainen, Granat- und Jasmingebüschen, die fruchtbare Küstenebene nord- und südwärts von Gaza haben weder die Beduinen noch die Paschas bis jetzt vermocht zu veröden. Aber ihr Werk ist dennoch nicht gering anzuschlagen. Apameia im mittleren Tal des Orontes, jetzt eine Felsenwildnis ohne Fluren und Bäume, wo die dürftigen Herden auf den spärlichen Weideplätzen von den Räubern des Gebirges dezimiert werden, ist weit und breit mit Ruinen besät, und es ist urkundlich bezeugt, daß unter dem Statthalter Syriens Quirinius, demselben, den die Evangelien nennen, diese Stadt mit Einschluß des Gebiets 117 000 freie Einwohner gezählt hat. Ohne Frage ist einst das ganze Tal des wasserreichen Orontes – schon bei Hemesa ist er 30 bis 40 m breit und 1 ½ bis 3 m tief – eine große Kulturstätte gewesen. Aber auch von den Strichen, die jetzt völlige Wüste sind und wo dem heutigen Reisenden das Leben und Gedeihen des Menschen unmöglich scheint, war ein beträchtlicher Teil ehemals das Arbeitsfeld rühriger Arme. Östlich von Hemesa, wo jetzt kein grünes Blatt und kein Tropfen Wasser ist, haben sich massenweise die schweren Basaltplatten ehemaliger Ölpressen gefunden. Während heute nur in den quelligen Tälern des Libanons spärliche Oliven wachsen, müssen einst die Ölwälder weit über das Orontestal hinausgegangen sein. Wer jetzt von Hemesa nach Palmyra reist, führt das Wasser auf dem Rücken der Kamele mit sich, und diese ganze Wegstrecke ist bedeckt mit den Resten einstmaliger Villen und Dörfer. Den Marsch Aurelians auf dieser Strecke vermöchte jetzt keine Armee zu unternehmen. Von dem, was heutzutage Wüste heißt, ist ein guter Teil vielmehr Verwüstung der gesegneten Arbeit besserer Zeiten. »Ganz Syrien«, sagt eine Erdbeschreibung aus der Mitte des 4. Jahrhunderts, »hat Überfluß an Getreide, Wein und Öl«. Aber ein eigentliches Exportland für die Bodenfrüchte, wie Ägypten und Afrika, ist Syrien auch im Altertum nicht gewesen, wenn auch die edlen Weine, zum Beispiel der von Damaskos, nach Persien, die von Laodikeia, Askalon, Gaza nach Ägypten und von da aus bis nach Äthiopien und Indien versandt wurden und auch die Römer den Wein von Byblos, von Tyros, von Gaza zu schätzen wußten.

Weit mehr ins Gewicht fielen für die allgemeine Stellung der Provinz die syrischen Fabriken. Eine Reihe von Industrien, die eben für den Export in Betracht kommen, sind hier heimisch, insbesondere von Leinen, von Purpur, von Seide, von Glas. Die Flachsweberei, von alters her in Babylonien zu Hause, ist von da früh nach Syrien verpflanzt worden; »ihr Leinen«, sagt jene Erdbeschreibung, »versenden Skytopolis (in Palästina), Laodikeia, Byblos, Tyros, Berytos in die ganze Welt«, und in dem Tarifgesetz Diocletians werden dementsprechend als feine Leinenwaren die der drei erstgenannten Städte neben denen des benachbarten Tarsos und ägyptischen aufgeführt, und die syrischen haben vor allen den Vorrang. Daß der Purpur von Tyros, so viele Konkurrenten ihm auch entstanden, stets den ersten Platz behauptet hat, ist bekannt; und neben der tyrischen gab es in Syrien zahlreiche ebenfalls berühmte Purpurfärbereien an der Küste ober- und unterhalb Tyros, in Sarepta, Dora, Käsareia, selbst im Binnenland, in dem palästinensischen Neapolis und in Lydda. Die Rohseide kam in dieser Epoche aus China und vorzugsweise über das Kaspische Meer, also nach Syrien; verarbeitet ward sie hauptsächlich in den Fabriken von Berytos und von Tyros, in welchem letzteren Orte besonders auch die vielgebrauchte und hoch bezahlte Purpurseide hergestellt ward. Die Glasfabriken von Sidon behaupteten in der Kaiserzeit ihren uralten Ruf, und zahlreiche Glasgefäße unserer Museen tragen den Stempel eines sidonischen Fabrikanten. Zu dem Vertrieb dieser Waren, die ihrer Natur nach dem Weltmarkt angehörten, kam weiter die ganze Warenmasse, welche aus dem Orient auf den Euphratstraßen in das Abendland gelangte. Freilich wendete der arabische und der indische Import in dieser Zeit sich von dieser Straße ab und nahm hauptsächlich den Weg über Ägypten; aber nicht bloß der mesopotamische Verkehr blieb notwendig den Syrern, sondern es standen auch die Emporien der Euphratmündung in regelmäßigem Karawanenverkehr mit Palmyra und bedienten sich also der syrischen Häfen. Wie bedeutend dieser Verkehr mit den östlichen Nachbarn war, zeigt nichts so deutlich wie die gleichartige Silberprägung im römischen Orient und im parthischen Babylonien; in den Provinzen Syrien und Kappadokien prägte die römische Regierung Silber abweichend von der Reichswährung auf die Sorten und auf den Fuß des Nachbarreiches. Die syrische Fabrikation selbst, zum Beispiel von Leinen und Seide, ist eben durch den Import der gleichartigen babylonischen Handelsartikel angeregt worden, und wie diese, so sind auch die Leder- und die Pelzwaren, die Salben, die Spezereien, die Sklaven des Orients während der Kaiserzeit zu einem sehr beträchtlichen Teil über Syrien nach Italien und überhaupt dem Westen gekommen. Das aber ist diesen Ursitzen des Handelsverkehrs immer geblieben, daß die sidonischen Männer und ihre Landesgenossen, hierin sehr verschieden von den Ägyptiern, ihre Waren nicht bloß den Ausländern verkauften, sondern sie ihnen selber brachten, und wie die Schiffskapitäne in Syrien einen hervorragenden und geachteten Stand bildeten, so waren syrische Kaufleute und syrische Faktoreien in der Kaiserzeit ungefähr ebenso überall zu finden, wie in den fernen Zeiten, von denen Homer erzählt. Die Tyrier hatten derzeit Faktoreien in den beiden großen Importhäfen Italiens, Ostia und Puteoli, und wie diese selbst in ihren Urkunden ihre Anstalten als die größten und stattlichsten dieser Art bezeichnen, so wird in der öfter angeführten Erdbeschreibung Tyros für Handel und Verkehr der erste Platz des Orients genannt; ebenso hebt Strabon bei Tyros und bei Arados die ungewöhnlich hohen aus vielen Stockwerken bestehenden Häuser als eine Besonderheit hervor. Ähnliche Faktoreien haben auch Berytos und Damaskos und gewiß noch viele andere syrische und phönikische Handelsstädte in den italischen Häfen gehabt. Dementsprechend finden wir namentlich in der späteren Kaiserzeit syrische, vornehmlich apamenische Kaufleute nicht bloß in ganz Italien ansässig, sondern ebenso in allen größeren Emporien des Okzidents, in Salonä in Dalmatien, Apulum in Dazien, Malaka in Spanien, vor allem aber in Gallien und Germanien, zum Beispiel in Bordeaux, Lyon, Paris, Orleans, Trier, so daß wie die Juden so auch diese syrischen Christen nach ihren Gebräuchen leben und in ihren Konventen sich ihres Griechischen bedienen. Nur auf dieser Grundlage werden die früher geschilderten Zustände der Antiochener und der syrischen Städte überhaupt verständlich. Die vornehme Welt daselbst besteht aus den reichen Fabrikanten und Kaufleuten, die Masse der Bevölkerung sind die Arbeiter und die Schiffer, und wie später der im Orient erworbene Reichtum nach Genua und Venedig, so strömte damals der Handelsgewinn des Okzidents zurück nach Tyros und Apameia. Bei dem ausgedehnten Handelsgebiet, welches diesen Großhändlern offen stand, und bei den im ganzen mäßigen Grenz- und Binnenzöllen brachte schon der syrische, einen großen Teil der gewinnbringendsten und transportabelsten Artikel umfassende Export ungeheure Kapitalien in ihre Hände; und ihr Geschäft beschränkte sich nicht auf die heimatlichen Waren. Welches Wohlleben einstmals hier geherrscht hat, das lehren nicht die dürftigen Überbleibsel der untergegangenen großen Städte, aber die mehr verlassene als verwüstete Landschaft am rechten Ufer des Orontes von Apameia an bis zu der Wendung des Flusses gegen das Meer. In diesem Strich von etwa 20 bis 25 deutschen Meilen Länge stehen heute noch die Ruinen von gegen hundert Ortschaften, ganze noch erkennbare Straßen, die Gebäude mit Ausnahme der Dächer ausgeführt in massivem Steinbau, die Wohnhäuser von Säulenhallen umgeben, mit Gallerien und Balkonen geschmückt, Fenster und Portale reich und oft geschmackvoll dekoriert mit Steinarabesken, dazu Garten- und Badeanlagen, Wirtschaftsräume im Erdgeschoß, Ställe, in den Felsen gehauene Wein- und Ölpressen, auch große ebenfalls in den Felsen gehauene Grabkammern mit Sarkophagen gefüllt und mit säulengeschmückten Eingängen. Spuren öffentlichen Lebens begegnen nirgends; es sind die Landwohnungen der Kaufleute und der Industriellen von Apameia und Antiocheia, deren gesicherter Wohlstand und solider Lebensgenuß aus diesen Trümmern spricht. Es gehören diese Ansiedlungen völlig gleichförmigen Charakters durchaus der späten Kaiserzeit an, die ältesten dem Anfang des 4. Jahrhunderts, die spätesten der Mitte des 6., unmittelbar vor dem Ansturm des Islam, dem auch dieses blühende und gedeihliche Leben erlegen ist. Christliche Symbole und biblische Sprüche begegnen überall und ebenso stattliche Kirchen und kirchliche Anlagen. Indes hat diese Kulturentwicklung nicht erst unter Konstantin begonnen, sondern in jenen Jahrhunderten nur sich gesteigert und konsolidiert. Sicher sind jenen Steinbauten ähnliche weniger dauerhafte Villen- und Gartenanlagen voraufgegangen. Die Regeneration des Reichsregiments nach den wüsten Wirren des 3. Jahrhunderts drückt in dem Aufschwung sich aus, den die syrische Kaufmannswelt damals nahm; aber bis zu einem gewissen Grade wird dies uns gebliebene Abbild derselben auch auf die frühere Kaiserzeit bezogen werden dürfen.

   

Die Verhältnisse der Juden in der römischen Kaiserzeit sind so eigenartig und man möchte sagen so wenig abhängig von der Provinz, die in der früheren Kaiserzeit mit ihrem, in der späteren vielmehr mit dem wiedererweckten Namen der Philistäer oder Palästinenser benannt ward, daß es, wie schon gesagt ward, angemessen erschien, diese in einem besonderen Abschnitt zu behandeln. Das wenige, was über das Land Palästina zu bemerken ist, insbesondere die nicht unbedeutende Beteiligung der Küsten- und zum Teil auch der binnenländischen Städte an der syrischen Industrie und dem syrischen Handel, ist in der darüber gegebenen Auseinandersetzung mit erwähnt worden. Die jüdische Diaspora hatte schon vor der Zerstörung des Tempels sich in einer Weise erweitert, daß Jerusalem, auch als es noch stand, mehr ein Symbol als eine Heimat war, ungefähr wie die Stadt Rom für die sogenannten römischen Bürger der späteren Zeit. Die Juden von Antiocheia und Alexandreia und die zahlreichen ähnlichen Gemeinschaften minderen Rechts und geringeren Ansehens haben sich selbstverständlich an dem Handel und Verkehr ihrer Wohnsitze beteiligt. Ihr Judentum kommt dabei nur etwa insofern in Betracht, als die Gefühle gegenseitigen Hasses und gegenseitiger Verachtung, wie sie seit Zerstörung des Tempels und den mehrfach sich wiederholenden national-religiösen Kriegen zwischen Juden und Nichtjuden sich entwickelt oder vielmehr gesteigert hatten, auch in diesen Kreisen ihre Wirkung geübt haben werden. Da die im Ausland sich aufhaltenden syrischen Kaufleute sich zunächst für den Kultus ihrer heimatlichen Gottheiten zusammenfanden, so kann der syrische Jude in Puteoli den dortigen syrischen Kaufmannsgilden nicht wohl angehört haben; und wenn der Kult der syrischen Götter im Ausland mehr und mehr Anklang fand, so zog, was den übrigen Syrern zugute kam, zwischen den mosaischgläubigen Syrern und den Italikern eine Schranke mehr. Schlossen sich diejenigen Juden, die eine Heimat außer Palästina gefunden hatten, außerhalb derselben nicht ihren Wohnsitz-, sondern ihren Religionsgenossen an, wie das nicht hat anders sein können, so verzichteten sie damit auf die Geltung und die Duldung, welche den Alexandrinern und den Antiochenern und so weiter im Ausland entgegenkam, und wurden genommen wie sie sich gaben, als Juden. Die palästinensischen Juden des Okzidents aber waren zum größten Teil nicht hervorgegangen aus der kaufmännischen Emigration, sondern kriegsgefangene Leute oder Nachkommen solcher und in jeder Hinsicht heimatlos; die Pariastellung, welche die Kinder Abrahams vor allem in der römischen Hauptstadt einnahmen, der Betteljude, dessen Hausrat in dem Heubündel und dem Schacherkorb besteht und dem kein Verdienst zu gering und zu gemein ist, knüpft an den Sklavenmarkt an. Unter diesen Umständen begreift es sich, weshalb im Okzident die Juden während der Kaiserzeit neben den Syrern eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Die religiöse Gemeinschaft der kaufmännischen und der Proletariereinwanderung drückte auf die Gesamtheit der Juden noch neben der allgemeinen mit ihrer Stellung verbundenen Zurücksetzung. Mit Palästina aber hat jene wie diese Diaspora wenig zu schaffen.

   

Es bleibt noch ein Grenzgebiet zu betrachten, von dem nicht häufig die Rede ist und das dennoch wohl Berücksichtigung verdient: es ist die römische Provinz Arabia. Sie führt ihren Namen mit Unrecht; der Kaiser, der sie eingerichtet hat, Traianus, war ein Mann großer Taten, aber noch größerer Worte. Die arabische Halbinsel, welche das Euphratgebiet wie das Niltal voneinander scheidet, regenarm, ohne Flüsse, allerseits mit felsiger und hafenarmer Küste, ist für den Ackerbau wie für den Handel wenig geeignet und in alter Zeit zum weitaus größten Teil den nicht seßhaften Wüstenbewohnern zum unbestrittenen Erbteil verblieben. Insonderheit die Römer, welche überhaupt in Asien wie in Ägypten besser als irgendeine andere der wechselnden Vormächte es verstanden haben ihren Besitz zu beschränken, haben niemals auch nur versucht, die arabische Halbinsel zu unterwerfen. Ihre wenigen Unternehmungen gegen den südöstlichen Teil derselben, den produktenreichsten und wegen der Beziehung zu Indien auch für den Handel wichtigsten, werden bei der Erörterung der ägyptischen Verkehrsverhältnisse ihre Darstellung finden. Das römische Arabien umfaßt schon als römischer Klientelstaat und vor allem als römische Provinz nur einen mäßigen Teil vom Norden der Halbinsel, außerdem aber das Land südlich und östlich von Palästina zwischen diesem und der großen Wüste bis über Bostra hinaus. Mit diesem zugleich betrachten wir die zu Syrien gehörige Landschaft zwischen Bostra und Damaskos, die jetzt nach dem Haurangebirge benannt zu werden pflegt, nach der alten Bezeichnung Trachonitis und Batanäa.

Diese ausgedehnten Gebiete sind für die Zivilisation nur unter besonderen Verhältnissen zu gewinnen. Das eigentliche Steppenland (Hamad) östlich von der Gegend, mit der wir uns hier beschäftigen, bis zum Euphrat ist nie von den Römern in Besitz genommen worden und aller Kultur unfähig; nur die schweifenden Wüstenstämme, wie heute zum Beispiel die Aneze, durchziehen dasselbe, um ihre Rosse und ihre Kamele im Winter am Euphrat, im Sommer in den Gebirgen südlich von Bostra zu weiden und oft mehrmals im Jahre die Trift zu wechseln. Schon auf einem höheren Grade der Kultur stehen westwärts der Steppe die seßhaften Hirtenstämme, die namentlich Schafzucht in großer Ausdehnung betreiben. Aber auch für den Ackerbau ist in diesen Strecken vielfach Raum. Die rote Erde des Hauran, zersetzte Lava, erzeugt im Urzustand viel wilden Roggen, wilde Gerste und wilden Hafer und bestellt den schönsten Weizen. Einzelne Tieftäler mitten zwischen den Steinwüsten, wie das »Saatfeld«, die Ruhbe in der Trachonitis, sind die fruchtbarsten Strecken in ganz Syrien; ohne daß gepflügt, geschweige denn gedüngt wird, trägt der Weizen durchschnittlich achtzig-, die Gerste hundertfältig, und 26 Halme von einem Weizenkorn sind keine Seltenheit. Dennoch bildet sich hier kein fester Wohnsitz, da in den Sommermonaten die große Hitze und der Mangel an Wasser und Weide die Bewohner zwingt nach den Gebirgsweiden des Hauran zu wandern. Aber auch an Gelegenheit zu fester Ansiedlung fehlt es nicht. Das von dem Baradafluß in vielfachen Armen durchströmte Gartenrevier um die Stadt Damaskos und die fruchtbaren noch heute volkreichen Bezirke, die dasselbe nach Osten, Norden und Süden einschließen, waren in alter wie in neuer Zeit die Perle Syriens. Die Ebene um Bostra, namentlich westlich davon die sogenannte Nukra, ist heute für Syrien die Kornkammer, obgleich durch Regenmangel durchschnittlich jede vierte Ernte verlorengeht und die aus der nahen Wüste oftmals einbrechenden Heuschrecken eine unvertilgbare Landplage bleiben. Wo immer die Wasserläufe der Gebirge in die Ebene geführt werden, blüht unter ihnen das frische Leben auf.

»Die Fruchtbarkeit dieser Landschaft«, sagt ein genauer Kenner, »ist unerschöpflich; und noch heutigentags, wo die Nomaden dort weder Baum noch Strauch übriggelassen haben, gleicht das Land, so weit das Auge reicht, einem Garten.« Auch auf den Lavaplateaus der gebirgigen Strecken haben die Lavaströme nicht wenige Stellen (Kâ‘ im Hauran genannt) für den Anbau freigelassen. – Diese Naturbeschaffenheit hat regelmäßig die Landschaft den Hirten und den Räubern überliefert. Die notwendige Unstetigkeit eines großen Teils der Bevölkerung führt zu ewigen Fehden namentlich um die Weideplätze und zu stetigen Überfällen derjenigen Gegenden, die sich für feste Ansiedlung eignen; mehr noch als anderswo bedarf es hier der Bildung solcher staatlicher Gewalten, die imstande sind, in weiterem Umfange Ruhe und Frieden zu schaffen, und für diese fehlt in der Bevölkerung die rechte Unterlage. Es gibt in der weiten Welt kaum eine Landschaft, wo gleich wie in dieser die Zivilisation nicht aus sich selbst erwachsen, sondern allein durch übermächtige Eroberung von außen her ins Leben gerufen werden kann. Wenn Militärstationen die schweifenden Stämme der Wüste eindämmen und diejenigen innerhalb der Kulturgrenze zum friedlichen Hirtenleben zwingen, wenn in die kulturfähigen Gegenden Kolonisten geführt und die Wasser der Berge von Menschenhand in die Ebene geleitet werden, so, aber auch nur so, gedeiht hier fröhliches und reichliches Leben.

Die vorrömische Zeit hatte diesen Landschaften solchen Segen nicht gebracht. Die Bewohner des gesamten Gebiets gehören bis gegen Damaskos hin zu dem arabischen Zweig des großen semitischen Stammes; die Personennamen wenigstens sind durchgängig arabisch. Es begegneten sich in demselben, wie in dem nördlichen Syrien, orientalische und okzidentalische Zivilisation; doch hatten bis zu der Kaiserzeit beide nur geringe Fortschritte gemacht. Die Sprache und die Schrift, deren die Nabatäer sich bedienen, sind die Syriens und der Euphratländer und können nur von dort her den Eingeborenen zugekommen sein. Andererseits erstreckte die griechische Festsetzung in Syrien sich zum Teil wenigstens auch auf diese Landschaften. Die große Handelsstadt Damaskos war mit dem übrigen Syrien griechisch geworden. Auch in das transjordanische Gebiet, insbesondere in die nördliche Dekapolis, hatten die Seleukiden die griechische Städtegründung getragen; weiter südlich war hier wenigstens das alte Rabbath Amnion durch die Lagiden die Stadt Philadelphia geworden. Aber weiter abwärts und in den östlichen an die Wüste grenzenden Strichen hatten die nabatäischen Könige nicht viel mehr als dem Namen nach den syrischen oder den ägyptischen Alexandriden gehorcht, und Münzen oder Inschriften und Bauwerke, welche dem vorrömischen Hellenismus beigelegt werden könnten, sind hier nirgends zum Vorschein gekommen. Als Syrien römisch ward, war Pompeius bemüht, das hellenische Städtewesen, das er vorfand, zu festigen; wie denn die Städte der Dekapolis späterhin von dem Jahre 690/91 (64/63 v. Chr.), in dem Palästina zum Reich gekommen war, ihre Jahre zählten. Hauptsächlich aber blieb in diesem Gebiet das Regiment wie die Zivilisierung den beiden Vasallenstaaten, dem jüdischen und dem arabischen, überlassen.

Von dem König der Juden, Herodes und seinem Hause, wird anderweitig noch die Rede sein; hier haben wir seiner Tätigkeit zu gedenken für die Ausdehnung der Zivilisation gegen Osten. Sein Herrschaftsgebiet erstreckte sich über beide Ufer des Jordan in seiner ganzen Ausdehnung, nordwärts bis wenigstens nach Chelbon nordwestlich von Damaskos, südlich bis an das Tote Meer, während die Landschaft weiter östlich zwischen seinem Reich und der Wüste dem Araberkönig überwiesen war. Er und seine Nachkommen, die hier noch nach der Einziehung der Herrschaft von Jerusalem bis auf Traian das Regiment führten und späterhin in Cäsarea Paneas im südlichen Libanos residierten, waren energisch bemüht, die Eingeborenen zu zähmen. Die ältesten Zeugnisse einer gewissen Kultur in diesen Gegenden sind wohl die Höhlenstädte, von denen im Buch der Richter die Rede ist, große unterirdische durch Luftlöcher bewohnbar gemachte Samtverstecke mit Gassen und Brunnen, geeignet Menschen und Herden zu bergen, schwer zu finden und auch gefunden schwer zu bezwingen. Ihr bloßes Dasein zeigt die Vergewaltigung der friedlichen Bewohner durch die unsteten Söhne der Steppe. »Diese Striche«, sagt Josephus, wo er die Zustände im Hauran unter Augustus schildert, »wurden bewohnt von wilden Stämmen ohne Städte und ohne feste Äcker, welche mit ihren Herden unter der Erde in Höhlen mit schmalem Eingang und weiten verschlungenen Gassen hausten, aber mit Wasser und Vorräten reichlich versehen, schwer zu bezwingen waren.« Einzelne dieser Höhlenstädte fassen bis 400 Köpfe. Ein merkwürdiges Edikt des ersten oder zweiten Agrippa, wovon sich Bruchstücke in Kanatha (Kanawat) gefunden haben, fordert die Einwohner auf, von ihren »Tierzuständen« zu lassen und das Höhlenleben mit zivilisierter Existenz zu vertauschen. Die nicht ansässigen Araber lebten hauptsächlich vom Ausplündern teils der benachbarten Bauern, teils der durchziehenden Karawanen; die Unsicherheit wurde dadurch gesteigert, daß der kleine Fürst Zenodoros von Abila nordwärts Damaskos im Antilibanos, dem Augustus die Aufsicht über den Trachon übertragen hatte, es vorzog mit den Räubern gemeinschaftliche Sache zu machen und sich an ihrem Gewinn im stillen beteiligte. Eben infolgedessen wies der Kaiser dies Gebiet dem Herodes zu, und dessen rücksichtsloser Energie gelang einigermaßen die Bändigung dieser Räuberwirtschaft. Der König scheint an der Ostgrenze eine Linie befestigter und königlichen Kommandanten (επαρχοι) unterstellter Militärposten eingerichtet zu haben. Er hätte noch mehr erreicht, wenn das nabatäische Gebiet den Räubern nicht eine Freistatt geboten hätte; es war dies eine der Ursachen der Entzweiung zwischen ihm und seinem arabischen Kollegen. Die hellenisierende Tendenz tritt auf diesem Gebiete ebenso stark und. minder unerfreulich hervor wie in seinem Regiment in der Heimat. Wie alle Münzen des Herodes und der Herodeer griechisch sind, so trägt im transjordanischen Land zwar das älteste Denkmal mit Inschrift, das wir kennen, der Tempel des Baalsamin bei Kanatha, eine aramäische Dedikation; aber die dort aufgestellten Ehrenbasen, darunter eine für Herodes den Großen, sind zweisprachig oder bloß griechisch; unter seinen Nachfolgern herrscht das Griechische allein.

Neben dem jüdischen stand der schon früher erwähnte »König von Nabat«, wie er selber sich nennt. Die Residenz dieser Araberfürsten war die »Felsenstadt«, aramäisch Sela, griechisch Petra, eine mittwegs zwischen dem Toten Meere und der nordöstlichen Spitze des Arabischen Meerbusens gelegene Felsenburg, von jeher ein Stapelplatz für den Verkehr Indiens und Arabiens mit dem Mittelmeergebiet. Von der arabischen Halbinsel besaßen diese Herrscher die nördliche Hälfte; ihre Gewalt erstreckte sich am Arabischen Meerbusen bis nach Leuke Kome gegenüber der ägyptischen Stadt Berenike, im Binnenland wenigstens bis in die Gegend des alten Thäma. Nördlich von der Halbinsel reichte ihr Gebiet bis nach Damaskos, das unter ihrem Schutze stand, und selbst über Damaskos hinaus und umschloß wie mit einem Gürtel das gesamte palästinensische Syrien. Nach der Besitznahme Judäas stießen die Römer feindlich mit ihnen zusammen, und Marcus Scaurus führte eine Expedition gegen Petra. Damals ist es nicht zu ihrer Unterwerfung gekommen; aber bald nachher muß dieselbe erfolgt sein. Unter Augustus ist ihr König Obodas ebenso reichsuntertänig wie der Judenkönig Herodes und leistet gleich diesem Heerfolge bei der römischen Expedition gegen das südliche Arabien. Seit jener Zeit muß der Schutz der Reichsgrenze im Süden wie im Osten von Syrien bis hinauf nach Damaskos zunächst in der Hand dieses Araberkönigs gelegen haben. Mit dem jüdischen Nachbar lag er in beständiger Fehde. Augustus, erzürnt darüber, daß der Araber statt bei dem Lehnsherrn gegen Herodes Recht zu suchen, diesem mit den Waffen entgegengetreten war und daß des Obodas Sohn Harethath oder griechisch Aretas nach dem Tode des Vaters, statt die Belehnung abzuwarten, ohne weiteres die Herrschaft angetreten hatte, war im Begriff diesen abzusetzen und sein Gebiet mit dem jüdischen zu vereinigen; aber das Mißregiment des Herodes in seinen späteren Jahren hielt ihn davon zurück und so wurde (um 747 d. St. [7 v. Chr.]) Aretas bestätigt. Einige Dezennien später begann derselbe wieder auf eigene Hand Krieg gegen seinen Schwiegersohn, den Fürsten von Galiläa, Herodes Antipas, wegen der Verstoßung seiner Tochter zugunsten der schönen Herodias. Er behielt die Oberhand, aber der erzürnte Lehnsherr Tiberius befahl dem Statthalter von Syrien die Exekution gegen ihn. Schon waren die Truppen auf dem Marsche, als Tiberius starb (37); und sein Nachfolger Gaius, der dem Antipas nicht wohlwollte, verzieh dem Araber. Des Aretas Nachfolger, König Maliku oder Malchos, focht unter Nero und Vespasian in dem jüdischen Krieg als römischer Vasall und vererbte die Herrschaft auf seinen Sohn Rabel, den Zeitgenossen Traians, den letzten dieser Regenten. Namentlich nach der Einziehung des Staates von Jerusalem und der Reduzierung der ansehnlichen Herrschaft des Herodes auf das wenig schlagfertige Königreich von Cäsarea Paneas war unter den syrischen Klientelstaaten der arabische der ansehnlichste, wie er denn auch zu dem Jerusalem belagernden Römerheere unter den königlichen das stärkste Kontingent stellte. Des Gebrauchs der griechischen Sprache hat dieser Staat sich auch unter römischer Oberhoheit enthalten; die unter der Herrschaft seiner Könige geschlagenen Münzen tragen, von Damaskos abgesehen, nur aramäische Aufschrift. Aber es zeigen sich die Anfänge geordneter Zustände und zivilisierten Regiments. Die Prägung selbst hat wahrscheinlich erst begonnen, nachdem der Staat unter römische Klientel gekommen war. Der arabisch-indische Verkehr mit dem Mittelmeergebiet bewegt sich zum großen Teil auf der von Leuke Kome über Petra nach Gaza laufenden von den Römern überwachten Karawanenstraße. Die Fürsten des Nabatäerreiches bedienen sich, ähnlich wie die Gemeinde Palmyra, für ihre Beamten griechischer Ämterbezeichnungen, wie zum Beispiel des Eparchen- und des Strategentitels. Wenn unter Tiberius die durch die Römer bewirkte gute Ordnung Syriens und die durch die militärische Besetzung herbeigeführte Sicherheit der Ernten rühmend hervorgehoben wird, so ist dies zunächst zu beziehen auf die in den Klientelstaaten von Jerusalem oder nachher von Cäsarea Paneas und von Petra getroffenen Einrichtungen.

Unter Traianus trat an die Stelle dieser beiden Klientelstaaten die unmittelbare römische Herrschaft. Im Anfang seiner Regierung starb König Agrippa II., und es wurde sein Gebiet mit der Provinz Syrien vereinigt. Nicht lange darauf, im J. 106, löste der Statthalter Aulus Cornelius Palma das bisherige Reich der Könige von Nabat auf und machte aus dem größeren Teil desselben die römische Provinz Arabia, während Damaskos zu Syrien kam, und was der Nabatäerkönig im Binnenland Arabiens besessen hatte, von den Römern aufgegeben ward. Die Einrichtung Arabiens wird als Unterwerfung bezeichnet, und auch die Münzen, welche die Besitzergreifung von Arabien feiern, sprechen dafür, daß die Nabatäer sich zur Wehre setzten, wie denn überhaupt die Beschaffenheit ihres Gebiets sowie ihr bisheriges Verhalten eine relative Selbständigkeit dieser Fürsten annehmen lassen. Aber nicht in dem Kriegserfolg darf die geschichtliche Bedeutung dieser Vorgänge gesucht werden; die beiden ohne Zweifel zusammengehörigen Einziehungen waren nicht mehr als vielleicht mit militärischer Gewalt durchgeführte Verwaltungsakte, und die Tendenz, diese Gebiete der Zivilisation und speziell dem Hellenismus zu gewinnen, wird dadurch nur gesteigert, daß die römische Regierung die Arbeit selbst auf sich nimmt. Der Hellenismus des Orients, wie ihn Alexander zusammengefaßt hat, war eine streitende Kirche, eine politisch, religiös, wirtschaftlich, literarisch vordringende durchaus erobernde Macht. Hier an dem Saum der Wüste, unter dem Druck des antihellenischen Judentums und gehandhabt von dem geistlosen und unsteten Seleukidenregiment, hatte er bisher wenig aus gerichtet. Aber jetzt das Römertum durchdringend, entwickelt er eine treibende Kraft, welche sich zu der früheren verhält wie die Macht der jüdischen und der arabischen Lehnsfürsten zu derjenigen des römischen Reiches. In diesem Lande, wo alles darauf ankam und ankommt, durch Aufstellung einer überlegenen und ständigen Militärmacht den Friedensstand zu schirmen, war die Einrichtung eines Legionslagers in Bostra unter einem Kommandanten senatorischen Ranges ein epochemachendes Ereignis. Von diesem Mittelpunkt aus wurden an den zweckmäßigen Stellen die erforderlichen Posten eingerichtet und mit Besatzung versehen. Beispielsweise verdient Erwähnung das Kastell von Namara (Nemara), einen starken Tagemarsch jenseit der Grenzen des eigentlich bewohnbaren Berglandes, inmitten der Steinwüste, aber gebietend über den einzigen innerhalb derselben befindlichen Brunnen und die daran sich anschließenden bei der schon erwähnten Oase von Ruhbe und weiterhin am Djebel Ses; diese Besatzungen zusammen beherrschen das gesamte Vorland des Hauran. Eine andere Reihe von Kastellen, dem syrischen Kommando und zunächst dem der bei Danava postierten Legion unterstellt und in gleichmäßigen Distanzen von drei zu drei Stunden angelegt, sicherte die Straße von Damaskos nach Palmyra; das am besten bekannte davon, das zweite in der Reihe, ist das von Dmer, ein längliches Viereck von je 300 und 350 Schritt, auf jeder Seite mit sechs Türmen und einem 15 Schritte breiten Portal versehen und umfaßt von einer einstmals außen mit schönen Quadern bekleideten Ringmauer von 16 Fuß Dicke.

Niemals war eine solche Ägide über dieses Land gebreitet worden. Es wurde nicht eigentlich denationalisiert. Die arabischen Namen bleiben bis in die späteste Zeit hinab, wenngleich nicht selten, eben wie in Syrien, dem örtlichen ein römisch-hellenischer beigefügt wird: so nennt sich ein Scheich »Adrianos oder Soaidos, Sohn des Malechos«. Auch der einheimische Kultus bleibt unangetastet: die Hauptgottheit der Nabatäer, der Dusaris, wird wohl mit dem Dionysos geglichen, aber regelmäßig unter seinem örtlichen Namen auch ferner verehrt und bis in späte Zeit feiern die Bostrener zu seinen Ehren die Dusarien. In gleicher Weise werden in der Provinz Arabia dem Aumu oder dem Helios, dem Vasäathu, dem Theandritos, dem Ethaos auch ferner Tempel geweiht und Opfer dargebracht. Die Stämme und die Stammordnung bleiben nicht minder: die Inschriften nennen Reihen von »Phylen« einheimischen Namen und öfter Phylarchen oder Ethnarchen. Aber neben der hergebrachten Weise schreitet die Zivilisierung und die Hellenisierung vorwärts. Wenn aus vortraianischer Zeit im Bereich des Nabatäerstaates kein griechisches Denkmal nachgewiesen werden kann, so ist umgekehrt daselbst kein nachtraianisches in der Landessprache gefunden worden; allem Anschein nach hat die Reichsregierung den Schriftgebrauch des Aramäischen gleich bei der Einziehung unterdrückt, obwohl dasselbe sicher die eigentliche Landessprache blieb, wie dies außer den Eigennamen auch der »Dolmetsch der Steuereinnehmer« bezeugt.

Über die Hebung des Ackerbaues fehlen uns redende Zeugen; aber wenn auf der ganzen östlichen und südlichen Abdachung des Hauran von den Spitzen des Gebirges bis zur Wüste hin die Steine, mit denen diese vulkanische Ebene einst besät war, zu Haufen geworfen oder in langen Zeilen geschichtet und so die herrlichsten Äcker gewonnen sind, so darf man darin die Hand der einzigen Regierung erkennen, die dieses Land so regiert hat, wie es regiert werden kann und regiert werden sollte. In der Ledja, einem 13 Stunden langen und 8–9 breiten Lavaplateau, das jetzt fast menschenleer ist, wuchsen einst Reben und Feigen zwischen den Lavaströmen; quer durch dasselbe führt die Bostra mit Damaskos verbindende Römerstraße; in der Ledja und um sie zählt man die Ruinen von 12 größeren und 39 kleineren Ortschaften. Erweislich ist auf Geheiß desselben Statthalters, der die Provinz Arabia eingerichtet hat, der mächtige Aquädukt angelegt worden, welcher das Wasser vom Gebirge des Hauran nach Kanatha (Kerak) in der Ebene führte, und nicht weit davon ein ähnlicher in Arrha (Raha); Bauten Traians, die neben dem Hafen von Ostia und dem Forum von Rom genannt werden dürfen. Für das Aufblühen des Handelsverkehrs spricht die Wahl selbst der Hauptstadt der neuen Provinz. Bostra bestand unter der nabatäischen Regierung, und es hat sich dort eine Inschrift des Königs Malichu gefunden; aber seine militärische und kommerzielle Bedeutung beginnt mit dem Eintritt des unmittelbaren römischen Regiments. »Bostra«, sagt Wetzstein, »hat unter allen ostsyrischen Städten die günstigste Lage; selbst Damaskos, welches seine Größe der Menge seines Wassers und seiner durch den östlichen Trachon geschützten Lage verdankt, wird Bostra nur unter einer schwachen Regierung überstrahlen, während letzteres unter einem starken und weisen Regiment sich in wenigen Jahrzehnten zu einer märchenhaften Blüte emporschwingen muß. Es ist der große Markt für die syrische Wüste, das arabische Hochgebirge und die Peräa, und seine langen Reihen steinerner Buden legen noch jetzt in der Verödung Zeugnis ab von der Realität einer früheren und der Möglichkeit einer künftigen Größe.« Die Reste der von dort über Salchat und Ezrak zum Persischen Meerbusen führenden römischen Straße beweisen, daß Bostra neben Petra und Palmyra den Verkehr vom Osten zum Mittelmeer vermittelte. Diese Stadt hat wahrscheinlich schon Traian hellenisch konstituiert; wenigstens heißt sie seitdem »das neue traianische Bostra«, und die griechischen Münzen beginnen mit Pius, während später infolge der Erteilung des Kolonialrechts durch Alexander die Aufschrift lateinisch wird. – Auch Petra hat schon unter Hadrian griechische Stadtverfassung gehabt und noch einzelne andere Ortschaften späterhin Stadtrecht empfangen; überwogen aber hat in diesem Arabergebiet bis in die späteste Zeit der Stamm und das Stammdorf.

Aus der Mischung nationaler und griechischer Elemente entwickelte sich in diesen Landschaften in dem halben Jahrtausend zwischen Traian und Mohammed eine eigenartige Zivilisation. Es ist uns davon ein volleres Abbild erhalten als von anderen Gestalten der antiken Welt, indem die zum großen Teil aus dem Felsen herausgearbeiteten Anlagen von Petra und die bei dem Mangel des Holzes ganz aus Stein aufgeführten Bauwerke im Hauran, verhältnismäßig wenig beschädigt durch die mit dem Islam hier wieder in ihr altes Unrecht eingesetzte Beduinenherrschaft, zu einem beträchtlichen Teil noch heute vorhanden sind und auf die Kunstfertigkeit und Lebensweise jener Jahrhunderte helles Licht werfen. Der obenerwähnte Tempel des Baalsamin von Kanatha, sicher unter Herodes gebaut, zeigt in seinen ursprünglichen Teilen eine völlige Verschiedenheit von der griechischen Architektur und in der architektonischen Anlage merkwürdige Analogien mit dem Tempelbau desselben Königs in Jerusalem, während die bei diesem vermiedenen bildlichen Darstellungen hier keineswegs fehlen. Ähnliches ist auch bei den in Petra gefundenen Denkmälern beobachtet worden. Später ging man weiter. Wenn unter den jüdischen und den nabatäischen Herrschern die Kultur nur langsam sich von den Einflüssen des Orients löste, so scheint mit der Verlegung der Legion nach Bostra hier eine neue Zeit begonnen zu haben. »Das Bauen«, sagt ein vortrefflicher französischer Beobachter, Melchior de Vogüé, »erhielt damit einen Anstoß, der nicht wieder zum Stillstand kam. Überall erhoben sich Häuser, Paläste, Bäder, Tempel, Theater, Aquädukte, Triumphbogen; Städte stiegen aus dem Boden binnen weniger Jahre mit der regelmäßigen Anlage, den symmetrisch geführten Säulenreihen, die die Städte ohne Vergangenheit bezeichnen und für diesen Teil Syriens während der Kaiserzeit gleichsam die unvermeidliche Uniform sind.« Die östliche und südliche Abdachung des Hauran weist ungefähr dreihundert derartige verödete Städte und Dörfer auf, während dort jetzt nur fünf neue Ortschaften vorhanden sind; einzelne von jenen, zum Beispiel Busan, zählen bis 800 ein- bis zweistöckige Häuser, durchaus aus Basalt gebaut, mit wohlgefügten ohne Zement verbundenen Quadermauern, meist ornamentierten, oft auch mit Inschriften versehenen Türen, die flache Decke gebildet durch Steinbalken, welche von Steinbogen getragen und oben durch eine Zementlage regenfrei gestellt werden. Die Stadtmauer wird gewöhnlich nur durch die zusammengeschlossenen Rückseiten der Häuser gebildet und ist durch zahlreiche Türme geschützt. Die dürftigen Rekolonisierungsversuche der neuesten Zeiten finden die Häuser bewohnbar vor; es fehlt nur die fleißige Menschenhand oder vielmehr der starke Arm, der sie beschützt. Vor den Toren liegen die oft unterirdischen oder mit künstlichem Steindach versehenen Zisternen, von denen manche noch heute, wo diese Städtewüste zum Weideland geworden ist, von den Beduinen imstande gehalten werden, um daraus im Sommer ihre Herden zu tränken. Die Bauweise und die Kunstübung haben wohl einzelne Überreste der älteren orientalischen Weise bewahrt, zum Beispiel die häufige Grabform des mit einer Pyramide gekrönten Würfels, vielleicht auch die oft dem Grabmal beigefügten noch heute in ganz Syrien häufigen Taubentürme, ist aber im ganzen genommen die gewöhnliche griechische der Kaiserzeit. Nur hat das Fehlen des Holzes hier eine Entwicklung des Steinbogens und der Kuppel hervorgerufen, die technisch wie künstlerisch diesen Bauten einen originellen Charakter verleiht. Im Gegensatz zu der anderswo üblichen gewohnheitsmäßigen Wiederholung der überlieferten Formen herrscht hier eine den Bedürfnissen und den Bedingungen selbständig genügende, in der Ornamentik maßhaltende, durchaus gesunde und rationelle und auch der Eleganz nicht entbehrende Architektur. Die Grabstätten, welche in die östlich und westlich von Petra aufsteigenden Felswände und in deren Seitentäler eingebrochen sind, mit ihren oft in mehreren Reihen übereinandergestellten dorischen oder korinthischen Säulenfassaden und ihren an das ägyptische Theben erinnernden Pyramiden und Propyläen sind nicht künstlerisch erfreulich, aber imponierend durch Masse und Reichtum. Nur ein reges Leben und ein hoher Wohlstand hat also für seine Toten zu sorgen vermocht. Diesen architektonischen Denkmälern gegenüber befremdet es nicht, wenn die Inschriften eines Theaters in dem »Dorf« (κωμη) Sakkäa, eines »theaterförmigen Odeons« in Kanatha Erwähnung tun und ein Lokalpoet von Namara in der Batanäa sich selber feiert als den »Meister der herrlichen Kunst stolzen ausonischen Liedes«. Also ward an dieser Ostgrenze des Reiches der hellenischen Zivilisation ein Grenzgebiet gewonnen, das mit dem romanisierten Rheinland zusammengestellt werden darf; die Bogen- und Kuppelbauten Ostsyriens halten wohl den Vergleich aus mit den Schlössern und Grabmälern der Edlen und der Kaufherren der Belgica. Aber es kam das Ende. Von den aus dem Süden hierher einwandernden Araberstämmen schweigt die geschichtliche Überlieferung der Römer, und was die späten Aufzeichnungen der Araber über die der Ghassaniden und deren Vorläufer berichten, ist wenigstens chronologisch kaum zu fixieren. Aber die Sabäer, nach denen der Ort Borechath (Breka nördlich von Kanawat) genannt wird, scheinen in der Tat südarabische Auswanderer zu sein; und diese saßen hier bereits im 3. Jahrhundert. Sie und ihre Genossen mögen in Frieden gekommen und unter römischer Ägide seßhaft geworden sein, vielleicht sogar die hochentwickelte und üppige Kultur des südwestlichen Arabien nach Syrien getragen haben. Solange das Reich fest zusammenhielt und jeder dieser Stämme unter seinem Scheich stand, gehorchten alle dem römischen Oberherrn. Aber um den unter einem König geeinigten Arabern oder, wie sie jetzt heißen, Sarazenen des Perserreiches besser zu begegnen, unterwarf Justinian während des persischen Krieges im Jahre 531 sämtliche Phylarchen der den Römern untertänigen Sarazenen dem Arethas des Gabala Sohn und verlieh diesem den Königstitel, was bis dahin, wie hinzugesetzt wird, niemals geschehen war. Dieser König der sämtlichen in Syrien ansässigen Araberstämme war noch des Reiches Lehnsträger; aber indem er seine Landsleute abwehrte, bereitete er zugleich ihnen die Stätte. Ein Jahrhundert später, im J. 637 unterlagen Arabien und Syrien dem Islam.

Kapitel XI


Judäa und die Juden

Kapitel XI

Die Geschichte des jüdischen Landes ist so wenig die Geschichte des jüdischen Volkes wie die Geschichte des Kirchenstaates die der Katholiken; es ist ebenso erforderlich, beides zu sondern wie beides zusammen zu erwägen.

Die Juden im Jordanland, mit welchen die Römer zu schaffen hatten, waren nicht dasjenige Volk, das unter seinen Richtern und Königen mit Moab und Edom schlug und den Reden des Amos und Hosea lauschte. Die durch die Fremdherrschaft ausgetriebene und durch den Wechsel der Fremdherrschaft wieder zurückgeführte kleine Gemeinde frommer Exulanten, welche ihre neue Einrichtung damit begann, die Rede der in den alten Sitzen zurückgebliebenen Stammgenossen schroff zurückzuweisen und zu der unversöhnlichen Fehde zwischen Juden und Samaritern den Grund zu legen, das Ideal nationaler Exklusivität und priesterlicher Geistesfesselung, hatte lange vor der römischen Zeit unter dem Regiment der Seleukiden die sogenannte mosaische Theokratie entwickelt, ein geistliches Kollegium mit dem Erzpriester an der Spitze, welches bei der Fremdherrschaft sich beruhigend und auf staatliche Gestaltung verzichtend die Besonderheit der Seinigen wahrte und unter der Ägide der Schutzmacht dieselben beherrschte. Dies den Staat ignorierende Festhalten der nationalen Eigenart in religiösen Formen ist die Signatur des späteren Judentums. Wohl ist jeder Gottesbegriff in seiner Bildung volkstümlich; aber kein anderer Gott ist so von Haus aus der Gott nur der Seinen gewesen wie Jahve, und keiner es so ohne Unterschied von Zeit und Ort geblieben. Jene in das heilige Land Zurückwandernden, welche nach den Satzungen Mosis zu leben meinten und in der Tat lebten nach den Satzungen Ezras und Nehemias, waren von den Großkönigen des Orients und später von den Seleukiden gerade ebenso abhängig geblieben, wie sie es an den Wassern Babylons gewesen waren. Ein politisches Element haftet dieser Organisation nicht mehr an als der armenischen oder der griechischen Kirche unter ihren Patriarchen im türkischen Reich; kein freier Luftzug staatlicher Entwicklung geht durch diese klerikale Restauration; keine der schweren und ernsten Verpflichtungen des auf sich selbst gestellten Gemeinwesens behinderte die Priester des Tempels von Jerusalem in der Herstellung des Reiches Jahves auf Erden.

Der Gegenschlag blieb nicht aus. Jener Kirchenunstaat konnte nur dauern, solange eine weltliche Großmacht ihm als Schirmherr oder auch als Büttel diente. Als das Reich der Seleukiden verfiel, ward durch die Auflehnung gegen die Fremdherrschaft, die eben aus dem begeisterten Volksglauben ihre besten Kräfte zog, wieder ein jüdisches Gemeinwesen geschaffen. Der Erzprister von Salem wurde vom Tempel auf das Schlachtfeld gerufen. Das Geschlecht der Hasmonäer stellte nicht bloß das Reich Sauls und Davids ungefähr in seinen alten Grenzen wieder her, sondern diese kriegerischen Hohenpriester erneuerten auch einigermaßen das ehemalige wahrhaft staatliche, den Priestern gebietende Königtum. Aber dasselbe, von jener Priesterherrschaft zugleich das Erzeugnis und der Gegensatz, war nicht nach dem Herzen der Frommen. Die Pharisäer und die Sadduzäer schieden sich und begannen sich zu befehden. Weniger Glaubenssätze und rituelle Differenzen standen hier sich einander entgegen als einerseits das Verharren bei einem lediglich die religiösen Ordnungen und Interessen festhaltenden, im übrigen für die Unabhängigkeit und die Selbstbestimmung der Gemeinde gleichgültigen Priesterregiment, andererseits das Königtum, hinstrebend zu staatlicher Entwicklung und bemüht, in dem politischen Ringen, dessen Schauplatz damals das syrische Reich war, dem jüdischen Volke durch Schlagen und Vertragen wieder seinen Platz zu verschaffen. Jene Richtung beherrschte die Menge, diese überwog in der Intelligenz und in den vornehmen Klassen; ihr bedeutendster Vertreter ist König Iannäos Alexandros, der während seiner ganzen Regierung nicht minder mit den syrischen Herrschern in Fehde lag wie mit seinen Pharisäern. Obwohl sie eigentlich nur der andere und in der Tat der natürlichere und mächtigere Ausdruck des nationalen Aufschwungs ist, berührte sie sich doch in ihrem freieren Denken und Handeln mit dem hellenischen Wesen und galt insbesondere den frommen Gegnern als fremdländisch und ungläubig.

Aber die Bewohner Palästinas waren nur ein Teil und nicht der bedeutendste Teil der Juden; die babylonischen, syrischen, kleinasiatischen, ägyptischen Judengemeinden waren den palästinensischen auch nach der Regeneration durch die Makkabäer weit überlegen. Mehr als die letztere hat die jüdische Diaspora in der Kaiserzeit zu bedeuten gehabt; und sie ist eine durchaus eigenartige Erscheinung.

Die Judenansiedlungen außerhalb Palästina sind nur in untergeordnetem Grade aus demselben Triebe entwickelt wie die der Phöniker und der Hellenen. Von Haus aus ein ackerbauendes und fern von der Küste wohnendes Volk sind ihre Ansiedlungen im Ausland eine unfreie und verhältnismäßig späte Bildung, eine Schöpfung Alexanders oder seiner Marschälle. An jenen immensen durch Generationen fortgesetzten griechischen Städtegründungen, wie sie in gleichem Umfang nie vorher und nie nachher vorgekommen sind, haben die Juden einen hervorragenden Anteil gehabt, so seltsam es auch war, eben sie bei der Hellenisierung des Orients zur Beihilfe zu berufen. Vor allem gilt dies von Ägypten. Die bedeutendste unter allen von Alexander geschaffenen Städten, Alexandreia am Nil, ist seit den Zeiten des ersten Ptolemäers, der nach der Einnahme Palästinas eine Masse seiner Bewohner dorthin übersiedelte, fast ebensosehr eine Stadt der Juden wie der Griechen, die dortige Judenschaft an Zahl, Reichtum, Intelligenz, Organisation der jerusalemitischen mindestens gleich zu achten. In der ersten Kaiserzeit rechnete man auf 8 Millionen Ägypter 1 Million Juden, und ihr Einfluß reichte vermutlich über dieses Zahlenverhältnis hinaus. Daß wetteifernd damit in der syrischen Reichshauptstadt die Judenschaft in ähnlicher Weise organisiert und entwickelt worden war, wurde schon bemerkt. Von der Ausdehnung und der Bedeutung der Juden Kleinasiens zeugt unter anderem der Versuch, den unter Augustus die ionischen Griechenstädte, es scheint nach gemeinschaftlicher Verabredung, machten, ihre jüdischen Gemeindegenossen entweder zum Rücktritt von ihrem Glauben oder zur vollen Übernahme der bürgerlichen Lasten zu nötigen. Ohne Zweifel gab es selbständig organisierte Judenschaften in sämtlichen neuhellenischen Gründungen und daneben in zahlreichen althellenischen Städten, selbst im eigentlichen Hellas, zum Beispiel in Korinth. Die Organisierung vollzog sich durchaus in der Weise, daß den Juden ihre Nationalität mit den von ihnen selbst daraus gezogenen weitreichenden Konsequenzen gewahrt, nur der Gebrauch der griechischen Sprache von ihnen gefordert ward. So wurden bei dieser damals von oben herab dem Orient aufgeschmeichelten oder aufgezwungenen Gräzisierung die Juden der Griechenstädte griechisch redende Orientalen.

Daß bei den Judengemeinden der makedonischen Städte die griechische Sprache nicht bloß im natürlichen Wege des Verkehrs zur Herrschaft gelangt, sondern eine ihnen auferlegte Zwangsbestimmung ist, scheint aus der Sachlage sich mit Notwendigkeit zu ergeben. In ähnlicher Weise hat späterhin Traian mit kleinasiatischen Kolonisten Dazien romanisiert. Ohne diesen Zwang hätte die äußerliche Gleichförmigkeit der Städtegründung nicht durchgeführt, dies Material für die Hellenisierung überhaupt nicht verwendet werden können. Daß die heiligen Schriften der Juden schon unter den ersten Ptolemäern in das Griechische übertragen wurden, mag wohl so wenig Veranstaltung der Regierung gewesen sein wie die Bibelübersetzung Luthers; aber im Sinne derselben lag allerdings die sprachliche Hellenisierung der ägyptischen Juden, und sie vollzog sich merkwürdig rasch. Wenigstens im Anfang der Kaiserzeit, wahrscheinlich lange vorher, war die Kenntnis des Hebräischen unter den alexandrinischen Juden ziemlich so selten wie heutzutage in der christlichen Welt die der Ursprachen der heiligen Originale; es wurde mit den Übersetzungsfehlern der sogenannten siebzig Alexandriner ungefähr ebenso argumentiert wie von unseren Frommen mit den Übersetzungsfehlern Luthers. Die nationale Sprache der Juden war in dieser Epoche überall aus dem lebendigen Verkehr verschwunden und behauptete sich nur, etwa wie im katholischen Religionsgebiet die lateinische, im kirchlichen Gebrauch. In Judäa selbst war sie ersetzt worden durch die der hebräischen freilich verwandte aramäische Volkssprache Syriens; die Judenschaften außerhalb Judäas, mit denen wir uns beschäftigen, hatten das semitische Idiom vollständig abgelegt, und erst lange nach dieser Epoche ist jene Reaktion eingetreten, welche schulmäßig die Kenntnis und den Gebrauch derselben allgemeiner bei den Juden zurückgeführt hat. Die literarischen Arbeiten, die sie während dieser Epoche in großer Zahl geliefert haben, sind in der besseren Kaiserzeit alle griechisch. Wenn die Sprache allein die Nationalität bedingte, so wäre für diese Zeit von den Juden wenig zu berichten.

Aber mit diesem anfänglich vielleicht schwer empfundenen Sprachzwang verbindet sich die Anerkennung der besonderen Nationalität mit allen ihren Konsequenzen. Überall in den Städten der Alexandermonarchie bildet sich die Stadtbewohnerschaft aus den Makedoniern, das heißt den wirklich makedonischen oder den ihnen gleichgeachteten Hellenen. Neben diesen stehen, außer den Fremden, die Eingeborenen, in Alexandreia die Ägypter, in Kyrene die Libyer und überhaupt die Ansiedler aus dem Orient, welche zwar auch keine andere Heimat haben als die neue Stadt, aber nicht als Hellenen anerkannt werden. Zu dieser zweiten Kategorie gehören die Juden; aber ihnen, und nur ihnen, wird es gestattet sozusagen eine Gemeinde in der Gemeinde zu bilden und, während die übrigen Nichtbürger von den Behörden der Bürgerschaft regiert werden, bis zu einem gewissen Grad sich selbst zu regieren. »Die Juden«, sagt Strabon, »haben in Alexandreia ein eigenes Volkshaupt (εθναρχησ), welches dem Volke (εθνοσ) vorsteht und die Prozesse entscheidet und über Verträge und Ordnungen verfügt, als beherrsche es eine selbständige Gemeinde.« Es geschah dies, weil die Juden eine derartige spezifische Jurisdiktion als durch ihre Nationalität oder, was auf dasselbe hinauskommt, ihre Religion gefordert bezeichneten. Weiter nahmen die allgemeinen staatlichen Ordnungen auf die national-religiösen Bedenken der Juden in ausgedehntem Umfang Rücksicht und halfen nach Möglichkeit durch Exemptionen aus. Das Zusammenwohnen trat wenigstens häufig hinzu; in Alexandreia zum Beispiel waren von den fünf Stadtquartieren zwei vorwiegend von Juden bewohnt. Es scheint dies nicht das Ghettosystem gewesen zu sein, sondern eher ein durch die anfängliche Ansiedlung begründetes und dann von beiden Seiten festgehaltenes Herkommen, wodurch nachbarlichen Konflikten einigermaßen vorgebeugt ward.

So kamen die Juden dazu, bei der makedonischen Hellenisierung des Orients eine hervorragende Rolle zu spielen; ihre Gefügigkeit und Brauchbarkeit einerseits, ihre unnachgiebige Zähigkeit andererseits müssen die sehr realistischen Staatsmänner, die diese Wege wiesen, bestimmt haben, sich zu solchen Einrichtungen zu entschließen. Nichtsdestoweniger bleibt die außerordentliche Ausdehnung und Bedeutung der jüdischen Diaspora gegenüber der engen und geringen Heimat wie einerseits eine Tatsache, so andererseits ein Problem. Man wird dabei nicht übersehen dürfen, daß die palästinensischen Juden für die des Auslandes nicht mehr als den Kern geliefert haben. Das Judentum der älteren Zeit ist nichts weniger als exklusiv, vielmehr von missionarem Eifer nicht minder durchdrungen wie späterhin das Christentum und der Islam. Das Evangelium weiß von den Rabbis, welche Meer und Land durchziehen, um einen Proselyten zu machen; die Zulassung der halben Proselyten, denen die Beschneidung nicht zugemutet, aber dennoch eine religiöse Gemeinschaft gewährt wird, ist ein Zeugnis dieses Bekehrungseifers wie zu gleicher Zeit eines seiner wirksamsten Mittel. Motive sehr verschiedener Art kamen dieser Propaganda zustatten. Die bürgerlichen Privilegien, welche die Lagiden und die Seleukiden den Juden erteilten, müssen eine große Zahl nichtjüdischer Orientalen und Halbhellenen veranlaßt haben, sich in den Neustädten der privilegierten Kategorie der Nichtbürger anzuschließen. In späterer Zeit kam der Verfall des traditionellen Landesglaubens der jüdischen Propaganda entgegen. Zahlreiche Personen besonders der gebildeten Stände, deren gläubige und sittliche Empfindung von dem, was die Griechen und noch mehr von dem, was die Ägypter Religion nannten, sich schaudernd oder spottend abwandte, suchten Zuflucht in der einfacheren und reineren, der Vielgötterei und dem Bilderdienst absagenden jüdischen Lehre, welche den aus dem Niederschlag der philosophischen Entwicklung den gebildeten und halbgebildeten Kreisen zugeführten religiösen Anschauungen weit entgegenkam. Es gibt ein merkwürdiges griechisches Moralgedicht, wahrscheinlich aus der späteren Epoche der römischen Republik, welches aus den mosaischen Büchern in der Weise geschöpft ist, daß es die monotheistische Lehre und das allgemeine Sittengesetz aufnimmt, aber alles dem Nichtjuden Anstößige und alle unmittelbare Opposition gegen die herrschende Religion vermeidet, offenbar bestimmt für dies denationalisierte Judentum weitere Kreise zu gewinnen. Insbesondere die Frauen wandten sich mit Vorliebe dem jüdischen Glauben zu. Als die Behörden von Damaskos im J. 66 die gefangenen Juden umzubringen beschlossen, wurde verabredet, diesen Beschluß geheimzuhalten, damit die den Juden ergebene weibliche Bevölkerung nicht die Ausführung verhindere. Sogar im Okzident, wo die gebildeten Kreise sonst dem jüdischen Wesen abgeneigt waren, machten vornehme Damen schon früh eine Ausnahme; die aus edlem Geschlecht entsprossene Gemahlin Neros Poppäa Sabina war, wie durch andere minder ehrbare Dinge, so auch stadtkundig durch ihren frommen Judenglauben und ihr eifriges Judenprotektorat. Förmliche Übertritte zum Judentum kamen nicht selten vor; das Königshaus von Adiabene zum Beispiel, König Izates und seine Mutter Helena sowie sein Bruder und Nachfolger wurden in der Zeit des Tiberius und des Claudius in aller Form Juden. Sicher gilt von allen jenen Judenschaften, was von der antiochenischen ausdrücklich bemerkt wird, daß sie zum großen Teil aus Übergetretenen bestanden.

Diese Verpflanzung des Judentums auf den hellenischen Boden, unter Aneignung einer fremden Sprache, vollzog sich, wie sehr sie auch unter Festhaltung der nationalen Individualität stattfand, nicht ohne in dem Judentum selbst eine seinem Wesen zuwiderlaufende Tendenz zu entwickeln und bis zu einem gewissen Grad dasselbe zu denationalisieren. Wie mächtig die inmitten der Griechen lebenden Judenschaften von den Wellen des griechischen Geisteslebens erfaßt wurden, davon trägt die Literatur des letzten Jahrhunderts vor und des ersten nach Christi Geburt die Spuren. Sie ist getränkt von jüdischen Elementen, und es sind mit die hellsten Köpfe und die geistreichsten Denker, welche entweder als Hellenen in das jüdische oder als Juden in das hellenische Wesen den Eingang suchen. Nikolaos von Damaskos, selber ein Heide und ein namhafter Vertreter der aristotelischen Philosophie, führte nicht bloß als Literat und Diplomat des Königs Herodes bei Agrippa wie bei Augustus die Sache seines jüdischen Patrons und der Juden, sondern es zeigt auch seine historische Schriftstellerei einen sehr ernstlichen und für jene Epoche bedeutenden Versuch, den Orient in den Kreis der okzidentalischen Forschung hineinzuziehen, während die noch erhaltene Schilderung der Jugendjahre des ihm auch persönlich nahe getretenen Kaisers Augustus ein denkwürdiges Zeugnis der Liebe und der Verehrung ist, welche der römische Herrscher in der griechischen Welt fand. Die Abhandlung vom Erhabenen, geschrieben in der ersten Kaiserzeit von einem unbekannten Verfasser, eine der feinsten uns aus dem Altertum erhaltenen ästhetischen Arbeiten, rührt sicher, wenn nicht von einem Juden, so doch von einem Manne her, der Homeros und Moses gleichmäßig verehrte. Eine andere ebenfalls anonyme Schrift über das Weltganze, gleichfalls ein in seiner Art achtbarer Versuch die Lehre des Aristoteles mit der der Stoa zu verschmelzen, ist vielleicht auch von einem Juden geschrieben, sicher dem angesehensten und höchstgestellten Juden der neronischen Zeit, dem Generalstabschef des Corbulo und des Titus, Tiberius Alexandros gewidmet. Am deutlichsten tritt uns die Vermählung der beiden Geisteswelten entgegen in der jüdisch-alexandrinischen Philosophie, dem schärfsten und greifbarsten Ausdruck einer das Wesen des Judentums nicht bloß ergreifenden, sondern angreifenden religiösen Bewegung. Die hellenische Geistesentwicklung lag im Kampf mit den nationalen Religionen aller Art, indem sie deren Anschauungen entweder negierte oder auch mit anderem Inhalt erfüllte, die bisherigen Götter aus den Gemütern der Menschen austrieb und auf die leeren Plätze entweder nichts setzte oder die Gestirne und abstrakte Begriffe. Diese Angriffe trafen auch die Religion der Juden. Es bildete sich ein Neujudentum hellenischer Bildung, das mit Jehovah nicht ganz so arg, aber doch nicht viel anders verfuhr als die gebildeten Griechen und Römer mit Zeus und Jupiter. Das Universalmittel der sogenannten allegorischen Deutung, wodurch insbesondere die Philosophen der Stoa die heidnischen Landesreligionen überall in höflicher Weise vor die Türe gesetzt hatten, paßte für die Genesis ebensogut und ebenso schlecht wie für die Götter der Ilias; wenn Moses mit Abraham eigentlich den Verstand, mit Sarah die Tugend, mit Noah die Gerechtigkeit gemeint hatte, wenn die vier Ströme des Paradieses die vier Kardinaltugenden waren, so konnte der aufgeklärteste Hellene an die Thora glauben. Aber eine Macht war dies Pseudojudentum auch, und der geistige Primat der Judenschaft Ägyptens tritt vor allem darin hervor, daß diese Richtung vorzugsweise ihre Vertreter in Alexandreia gefunden hat.

Trotz der innerlichen Scheidung, welche bei den palästinensischen Juden sich vollzogen und nur zu oft geradezu zum Bürgerkrieg gesteigert hatte, trotz der Versprengung eines großen Teils der Judenschaft in das Ausland, trotz des Eindringens fremder Massen in dieselbe und sogar des destruktiven hellenistischen Elements in ihren innersten Kern blieb die Gesamtheit der Juden in einer Weise vereinigt, für welche in der Gegenwart nur etwa der Vatikan und die Kaaba eine gewisse Analogie bieten. Das heilige Salem blieb die Fahne, Zions Tempel das Palladium der gesamten Judenschaft, mochten sie den Römern oder den Parthern gehorchen, aramäisch oder griechisch reden, ja an den alten Jahve glauben oder an den neuen, der keiner war. Daß der Schirmherr dem geistlichen Oberhaupt der Juden eine gewisse weltliche Macht zugestanden hatte, bedeutete für die Judenschaft ebensoviel, der geringe Umfang dieser Macht ebensowenig wie seinerzeit für die Katholiken der sogenannte Kirchenstaat. Jedes Mitglied einer jüdischen Gemeinde hatte jährlich nach Jerusalem ein Didrachmon als Tempelschoß zu entrichten, welcher regelmäßiger einging als die Staatssteuern; jedes war verpflichtet, wenigstens einmal in seinem Leben dem Jehovah persönlich an dem Orte zu opfern, der ihm allein in der Welt wohlgefällig war. Die theologische Wissenschaft blieb gemeinschaftlich; die babylonischen und die alexandrinischen Rabbiner haben daran sich nicht minder beteiligt wie die von Jerusalem. Das unvergleichlich zähe Gefühl der nationalen Zusammengehörigkeit, wie es in der rückkehrenden Exulantengemeinde sich festgesetzt und dann jene Sonderstellung der Juden in der Griechenwelt mit durchgesetzt hatte, behauptete sich trotz Zerstreuung und Spaltung. Am bemerkenswertesten ist das Fortleben des Judentums selbst in den davon in der inneren Religion losgelösten Kreisen. Der namhafteste, für uns der einzige deutlich greifbare Vertreter dieser Richtung in der Literatur, Philon, einer der vornehmsten und reichsten Juden aus der Zeit des Tiberius, steht in der Tat zu seiner Landesreligion nicht viel anders als Cicero zu der römischen; aber er selbst glaubte nicht sie aufzulösen, sondern sie zu erfüllen. Auch ihm ist wie jedem anderen Juden Moses die Quelle aller Wahrheit, seine geschriebene Weisung bindendes Gesetz, seine Empfindung Ehrfurcht und Gläubigkeit. Es ist dies sublimierte Judentum dem sogenannten Götterglauben der Stoa doch nicht völlig identisch. Die Körperlichkeit des Gottes verschwindet für Philon, aber die Persönlichkeit nicht, und es mißlingt ihm vollständig, was das Wesen der hellenischen Philosophie ist, die Göttlichkeit in die Menschenbrust zu verlegen; es bleibt die Anschauung, daß der sündhafte Mensch abhänge von einem vollkommenen außer und über ihm stehenden Wesen. Ebenso fügt das neue Judentum sich dem nationalen Ritualgesetz weit unbedingter als das neue Heidentum. Der Kampf des alten und des neuen Glaubens ist in dem jüdischen Kreise deswegen von anderer Art als in dem heidnischen, weil der Einsatz ein größerer war; das reformierte Heidentum streitet nur gegen den alten Glauben, das reformierte Judentum würde in seiner letzten Konsequenz das Volkstum aufheben, welches in dem Überfluten des Hellenismus mit der Verflüchtigung des Landesglaubens notwendig verschwand, und scheut deshalb davor zurück, diese Konsequenz zu ziehen. Daher ist auf griechischem Boden und in griechischer Sprache, wenn nicht das Wesen, doch die Form des alten Glaubens mit beispielloser Hartnäckigkeit festgehalten und verteidigt worden, verteidigt auch von denen, die im Wesen vor dem Hellenismus kapitulieren. Philon selbst hat, wie weiterhin erzählt werden soll, für die Sache der Juden gestritten und gelitten. Darum hat aber auch die hellenistische Richtung im Judentum auf dieses selbst nie übermächtig eingewirkt, niemals vermocht dem nationalen Judentum entgegenzutreten, kaum dessen Fanatismus zu mildern und die Verkehrtheiten und Frevel desselben zu hemmen. In allen wesentlichen Dingen, insbesondere dem Druck und der Verfolgung gegenüber verschwinden die Differenzen des Judentums, und wie unbedeutend der Rabbinerstaat war, die religiöse Gemeinschaft, der er vorstand, war eine ansehnliche, unter Umständen eine furchtbare Macht.

Diesen Verhältnissen fanden die Römer sich gegenüber, als sie im Orient die Herrschaft antraten. Die Eroberung zwingt dem Eroberer nicht minder die Hand als dem Eroberten. Das Werk der Jahrhunderte, die makedonischen Stadteinrichtungen, konnten weder die Arsakiden noch die Cäsaren ungeschehen machen; weder Seleukeia am Euphrat noch Antiocheia und Alexandreia konnten von den nachfolgenden Regierungen angetreten werden unter der Wohltat des Inventars. Wahrscheinlich hat der dortigen jüdischen Diaspora gegenüber der Begründer des Kaiserregiments sich, wie in so vielen anderen Dingen, die Politik der ersten Lagiden zur Richtschnur genommen und das Judentum des Orients in seiner Sonderstellung eher gefördert als gehindert; und dies Verfahren ist dann für seine Nachfolger durchgängig maßgebend gewesen. Es ist schon erzählt worden, daß die vorderasiatischen Gemeinden unter Augustus den Versuch machten, ihre jüdischen Mitbürger bei der Aushebung gleichmäßig heranzuziehen und ihnen die Einhaltung des Sabbats nicht ferner zu gestatten; Agrippa aber entschied gegen sie und hielt den Status quo zugunsten der Juden aufrecht oder stellte vielmehr die bisher wohl nur von einzelnen Statthaltern oder Gemeinden der griechischen Provinzen nach Umständen zugelassene Befreiung der Juden vom Kriegsdienst und das Sabbatprivilegium vielleicht jetzt erst rechtlich fest. Augustus wies ferner die Statthalter von Asia an, die strengen Reichsgesetze über Vereine und Versammlungen gegen die Juden nicht zur Anwendung zu bringen. Aber die römische Regierung hat es nicht verkannt, daß die den Juden im Orient eingeräumte exempte Stellung mit der unbedingten Verpflichtung der Reichsangehörigen zur Erfüllung der vom Staat geforderten Leistungen sich nicht vereinigen ließ, daß die garantierte Sonderstellung der Judenschaft den Rassenhaß und unter Umständen den Bürgerkrieg in die einzelnen Städte trug, daß das fromme Regiment der Behörden von Jerusalem über alle Juden des Reiches eine bedenkliche Tragweite hatte, und daß in allem diesen für den Staat eine praktische Schädigung und eine prinzipielle Gefahr lag. Der innerliche Dualismus des Reiches drückt in nichts sich schärfer aus als in der verschiedenen Behandlung der Juden in dem lateinischen und dem griechischen Sprachgebiet. Im Okzident sind die autonomen Judenschaften niemals zugelassen worden. Man tolerierte wohl daselbst die jüdischen Religionsgebräuche wie die syrischen und die ägyptischen oder vielmehr etwas weniger als diese; der Judenkolonie in der Vorstadt Roms jenseits der Tiber zeigte Augustus sich günstig und ließ bei seinen Spenden den, der des Sabbats wegen sich versäumt hatte, nachträglich zu. Aber er persönlich vermied jede Berührung wie mit dem ägyptischen so auch mit dem jüdischen Kultus, und wie er selbst in Ägypten dem heiligen Ochsen aus dem Wege gegangen war, so billigte er es durchaus, daß sein Sohn Gaius, als er nach dem Orient ging, bei Jerusalem vorbeiging. Unter Tiberius wurde sogar im J. 19 in Rom und ganz Italien der jüdische Kultus zugleich mit dem ägyptischen untersagt und diejenigen, die sich nicht dazu verstanden ihn öffentlich zu verleugnen und die heiligen Geräte ins Feuer zu werfen, aus Italien ausgewiesen, soweit sie nicht als tauglich für den Kriegsdienst in Strafkompanien verwendet werden konnten, wo dann nicht wenige ihrer religiösen Skrupel wegen dem Kriegsgericht verfielen. Wenn, wie wir nachher sehen werden, eben dieser Kaiser im Orient jedem Konflikt mit dem Rabbi fast ängstlich aus dem Wege ging, so zeigt sich hier deutlich, daß er, der tüchtigste Herrscher, den das Reich gehabt hat, die Gefahren der jüdischen Immigration ebenso deutlich erkannte wie die Unbilligkeit und die Unmöglichkeit da, wo das Judentum bestand, es zu beseitigen. Unter den späteren Regenten ändert, wie wir im weiteren Verlauf finden werden, in der Hauptsache die ablehnende Haltung gegen die Juden des Okzidents sich nicht, obwohl sie im übrigen mehr dem Beispiel des Augustus folgen als dem des Tiberius. Man hinderte die Juden nicht, die Tempelsteuer in der Form freiwilliger Beiträge einzuziehen und nach Jerusalem zu senden. Es wurde ihnen nicht gewehrt, wenn sie einen Rechtshandel lieber vor einen jüdischen Schiedsrichter brachten als vor ein römisches Gericht. Von zwangsweiser Aushebung zum Dienst, wie Tiberius sie anordnete, ist auch im Okzident späterhin nicht weiter die Rede. Aber eine öffentlich anerkannte Sonderstellung und öffentlich anerkannte Sondergerichte haben die Juden im heidnischen Rom und überhaupt im lateinischen Westen niemals erhalten. Vor allem aber haben im Okzident, abgesehen von der Hauptstadt, die der Natur der Sache nach auch den Orient mit repräsentierte und schon in der ciceronischen Zeit eine zahlreiche Judenschaft in sich schloß, die Judengemeinden in der früheren Kaiserzeit nirgends besondere Ausdehnung oder Bedeutung gehabt. Nur im Orient gab die Regierung von vornherein nach oder vielmehr sie versuchte nicht die bestehenden Verhältnisse zu ändern und den daraus resultierenden Gefahren vorzubeugen; und so haben denn auch, wie die heiligen Bücher der Juden der lateinischen Welt erst in lateinischer Sprache durch die Christen bekannt geworden sind, die großen Judenbewegungen der Kaiserzeit sich durchaus auf den griechischen Osten beschränkt. Hier wurde kein Versuch gemacht mit der rechtlichen Sonderstellung des Juden die Quelle des Judenhasses allmählich zu verstopfen, aber ebensowenig, von Laune und Verkehrtheiten einzelner Regenten abgesehen, dem Judenhaß und den Judenhetzen von seiten der Regierung Vorschub getan. In der Tat ist die Katastrophe des Judentums nicht aus der Behandlung der jüdischen Diaspora im Orient hervorgegangen. Lediglich die in verhängnisvoller Weise sich entwickelnden Beziehungen des Reichsregiments zu dem jüdischen Rabbistaat haben nicht bloß die Zerstörung des Gemeinwesens von Jerusalem herbeigeführt, sondern weiter die Stellung der Juden im Reiche überhaupt erschüttert und verschoben. Wir wenden uns dazu, die Vorgänge in Palästina unter der römischen Herrschaft zu schildern.

Die Zustände im südlichen Syrien waren von den Feldherrn der Republik, Pompeius und seinen nächsten Nachfolgern, in der Weise geordnet worden, daß die größeren Gewalten, die dort anfingen, sich zu bilden, wieder herabgedrückt und das ganze Land in einzelne Stadtgebiete und Kleinherrschaften aufgelöst wurde. Am schwersten waren davon die Juden betroffen worden; nicht bloß hatten sie allen hinzugewonnenen Besitz, namentlich die ganze Küste herausgeben müssen, sondern Gabinius hatte sogar den alten Bestand des Reiches in fünf selbständig sich verwaltende Kreise aufgelöst und dem Hohenpriester Hyrkanos seine weltlichen Befugnisse entzogen. Damit war also wie einerseits die Schutzmacht, so andererseits die reine Theokratie wieder hergestellt. Indes änderte dies sich bald. Hyrkanos oder vielmehr der für ihn regierende Minister, der Idumäer Antipatros, gelangte wohl schon durch Gabinius selbst, dem er bei seinen parthischen und ägyptischen Unternehmungen sich unentbehrlich zu machen verstand, wiederum zu der führenden Stellung im südlichen Syrien. Nach der Plünderung des Tempels von Jerusalem durch Crassus ward der dadurch veranlaßte Aufstand der Juden hauptsächlich durch ihn gedämpft. Es war für ihn eine günstige Fügung, daß die jüdische Regierung nicht genötigt ward in die Krisis zwischen Cäsar und Pompeius, für welchen sie wie der ganze Osten sich erklärt hatte, handelnd einzugreifen. Dennoch wäre wohl, nachdem der Bruder und Rivale des Hyrkanos Aristobulos sowie dessen Sohn Alexander, wegen ihres Eintretens für Cäsar, durch die Pompeianer ihr Leben verloren hatten, nach Cäsars Sieg der zweite Sohn Antigonos von diesem in Judäa als Herrscher eingesetzt worden. Aber als Cäsar, nach dem entscheidenden Sieg nach Ägypten gekommen, sich in Alexandreia in einer gefährlichen Lage befand, war es vornehmlich Antipatros, der ihn aus dieser befreite, und dies schlug durch; Antigonos mußte zurückstehen hinter der neueren, aber wirksameren Treue. Nicht am wenigsten hat Cäsars persönliche Dankbarkeit die förmliche Restauration des Judenstaates gefördert. Das jüdische Reich erhielt die beste Stellung, die dem Klientelstaat gewährt werden konnte, völlige Freiheit von Abgaben an die Römer und von militärischer Besatzung und Aushebung, wogegen allerdings auch die Pflichten und die Kosten der Grenzverteidigung von der einheimischen Regierung zu übernehmen waren. Die Stadt Ioppe und damit die Verbindung mit dem Meer wurde zurückgegeben, die Unabhängigkeit der inneren Verwaltung sowie die freie Religionsübung garantiert, die bisher verweigerte Wiederherstellung der von Pompejus geschleiften Festungswerke Jerusalems gestattet (707 [47 v. Chr.]). Also regierte unter dem Namen des Hasmonäerfürsten ein Halbfremder – denn die Idumäer standen zu den eigentlichen von Babylon zurückgewanderten Juden ungefähr wie die Samariter – den Judenstaat unter dem Schutz und nach dem Willen Roms. Die nationalgesinnten Juden waren dem neuen Regiment nichts weniger als geneigt. Die alten Geschlechter, die im Rat von Jerusalem führten, hielten im Herzen zu Aristobulos und nach dessen Tode zu seinem Sohn Antigonos. In den Bergen Galiläas fochten die Fanatiker ebenso gegen die Römer wie gegen die eigene Regierung; als Antipatros Sohn Herodes den Führer dieser wilden Schar Ezekias gefangengenommen und hatte hinrichten lassen, zwang der Priesterrat von Jerusalem unter dem Vorwand verletzter Religionsvorschriften den schwachen Hyrkanos den Herodes zu verbannen. Dieser trat darauf in das römische Heer ein und leistete dem cäsarischen Statthalter von Syrien gegen die Insurrektion der letzten Pompeianer gute Dienste. Aber als nach der Ermordung Cäsars die Republikaner im Osten die Oberhand gewannen, war Antipatros wieder der erste, der dem Stärkeren nicht bloß sich fügte, sondern sich die neuen Machthaber verpflichtete durch rasche Beitreibung der von ihnen auferlegten Kontribution. So kam es, daß der Führer der Republikaner, als er aus Syrien abzog, den Antipatros in seiner Stellung beließ und dem Sohne desselben, Herodes, sogar ein Kommando in Syrien anvertraute. Als dann Antipatros starb, wie man sagt, von einem seiner Offiziere vergiftet, glaubte Antigonos, der bei seinem Schwager, dem Fürsten Ptolemäos von Chalkis, Aufnahme gefunden hatte, den Augenblick gekommen, um den schwachen Oheim zu beseitigen. Aber die Söhne des Antipatros Phasael und Herodes schlugen seine Schar aufs Haupt, und Hyrkanos verstand sich dazu, ihnen die Stellung des Vaters zu gewähren, ja sogar den Herodes, indem er ihm seine Enkelin Mariamme verlobte, gewissermaßen in das regierende Haus aufzunehmen. Inzwischen unterlagen die Führer der republikanischen Partei bei Philippi. Die Opposition in Jerusalem hoffte nun den Sturz der verhaßten Antipatriden bei den Siegern zu erwirken; aber Antonius, dem das Schiedsgericht zufiel, wies deren Deputationen erst in Ephesos, dann in Antiocheia, zuletzt in Tyros entschieden ab, ja ließ die letzten Gesandten hinrichten, und bestätigte Phasael und Herodes förmlich als »Vierfürsten« der Juden (713 [41 v. Chr.]).

Bald rissen die Wendungen der großen Politik den jüdischen Staat noch einmal in ihre Wogen. Der Herrschaft der Antipatriden machte im folgenden Jahre (714 [40 v. Chr.]) die Invasion der Parther zunächst ein Ende. Der Prätendent Antigonos schlug sich zu ihnen und bemächtigte sich Jerusalems und fast des ganzen Gebietes. Hyrkanos ging als Gefangener zu den Parthern, Phasael, Antipatros ältester Sohn, gleichfalls gefangen, gab sich im Kerker den Tod. Mit genauer Not barg Herodes die Seinigen in einem Felsenschloß am Saume Judäas und ging selbst flüchtig und Hilfe bittend zuerst nach Ägypten und, da er hier Antonius nicht mehr fand, zu den beiden eben damals in neuer Eintracht schaltenden Machthabern (714 [40 v. Chr.]) nach Rom. Bereitwillig gestattete man ihm, was ja nur im römischen Interesse lag, das jüdische Reich für sich zurückzugewinnen; er kam nach Syrien zurück, soweit es auf die Römer ankam, als anerkannter Herrscher und sogar ausgestattet mit dem königlichen Titel. Aber gleich wie ein Prätendent hatte er das Land nicht so sehr den Parthern als den Patrioten zu entreißen. Vorzugsweise mit Samaritern und Idumäern und gedungenen Soldaten schlug er seine Schlachten und gelangte endlich durch die Unterstützung der römischen Legionen auch in den Besitz der lange verteidigten Hauptstadt. Die römischen Henker befreiten ihn gleichfalls von seinem langjährigen Nebenbuhler Antigonos, seine eigenen räumten auf unter den vornehmen Geschlechtern des Rates von Jerusalem.

Aber die Tage der Bedrängnis waren mit seiner Installation noch keineswegs vorüber. Antonius‘ unglückliche Expedition gegen die Parther blieb für Herodes ohne Folgen, da die Sieger es nicht wagten, in Syrien einzurücken; aber schwer litt er unter den immer sich steigernden Ansprüchen der ägyptischen Königin, die damals mehr als Antonius den Osten beherrschte; ihre frauenhafte Politik, zunächst gerichtet auf die Erweiterung ihrer Hausmacht und vor allem ihrer Einkünfte, erreichte zwar bei Antonius bei weitem nicht alles, was sie begehrte, aber sie entriß dem König der Juden doch einen Teil seiner wertvollsten Besitzungen an der syrischen Küste und in dem ägyptisch-syrischen Zwischengebiet, ja selbst die reichen Balsampflanzungen und Palmenhaine von Jericho und legte ihm schwere finanzielle Lasten auf. Um den Rest seiner Herrschaft zu behaupten, mußte er die neuen syrischen Besitzungen der Königin entweder selber abpachten oder für andere minder zahlungsfähige Pächter garantieren. Nach all diesen Bedrängnissen und in Erwartung noch ärgerer und ebensowenig abweisbarer Anforderungen war der Ausbruch des Krieges zwischen Antonius und Cäsar für ihn eine Hoffnung, und daß Kleopatra in ihrer egoistischen Verkehrtheit ihm die tätige Teilnahme an dem Kriege erließ, weil er seine Truppen brauche, um ihre syrischen Einkünfte beizutreiben, ein weiterer Glücksfall, da dies ihm die Unterwerfung unter den Sieger erleichterte. Das Glück kam ihm noch weiter bei dem Parteiwechsel entgegen: er konnte eine Schar getreuer Gladiatoren des Antonius abfangen, die aus Kleinasien durch Syrien nach Ägypten marschierten, um ihrem Herrn Beistand zu leisten. Indem er, bevor er sich zu Cäsar nach Rhodos begab, um seine Begnadigung zu erwirken, den letzten männlichen Sproß des Makkabäerhauses, den achtzigjährigen Hyrkanos, dem das Haus des Antipatros seine Stellung verdankte, für alle Fälle hinrichten ließ, übertrieb er in der Tat die notwendige Vorsicht. Cäsar tat, was die Politik ihn tun hieß, zumal da für die beabsichtigte ägyptische Expedition die Unterstützung des Herodes von Wichtigkeit war; er bestätigte den gern Besiegten in seiner Herrschaft und erweiterte sie teils durch die Rückgabe der von Kleopatra ihm entrissenen Besitzungen, teils durch weitere Gaben: die ganze Küste von Gaza bis zum Stratonsturm, dem späteren Cäsarea, die zwischen Judäa und Galiläa sich einschiebende samaritanische Landschaft und eine Anzahl von Städten östlich vom Jordan gehorchten seitdem dem Herodes. Mit der Konsolidierung der römischen Monarchie war auch das jüdische Fürstentum weiteren äußeren Krisen entzogen.

Vom römischen Standpunkt aus erscheint das Verhalten der neuen Dynastie in einer Weise korrekt, daß dem Betrachtenden dabei die Augen übergehen. Sie tritt ein zuerst für Pompeius, dann für Cäsar den Vater, dann für Cassius und Brutus, dann für die Triumvirn, dann für Antonius, endlich für Cäsar den Sohn; die Treue wechselt wie die Parole. Dennoch ist diesem Verhalten die Folgerichtigkeit und Festigkeit nicht abzusprechen. Die Parteiungen, die die herrschende Bürgerschaft zerrissen, ob Republik oder Monarchie, ob Cäsar oder Antonius, gingen die abhängigen Landschaften, vor allem die des griechischen Ostens, in der Tat nichts an. Die Entsittlichung, die mit allem revolutionären Regimentswechsel verbunden ist, die entweihende Vermengung der inneren Treue und des äußeren Gehorsams, kam in diesem Fall in grellster Weise zum Vorschein; aber der Pflichterfüllung, wie sie das römische Gemeinwesen von seinen Untertanen beanspruchte, hatte König Herodes in einer Ausdehnung genügt, welcher edlere und großartigere Naturen allerdings nicht fähig gewesen sein würden. Den Parthern gegenüber hat er stets, auch in bedenklichen Lagen fest zu den einmal erkorenen Schutzherren gehalten. – Vom Standpunkt der inneren jüdischen Politik aus ist das Regiment des Herodes die Beseitigung der Theokratie und insofern eine Fortsetzung, ja eine Steigerung des Regiments der Makkabäer, als die Trennung des staatlichen und des Kirchenregiments in schneidendster Schärfe durchgeführt wird in dem Gegensatz zwischen dem allmächtigen, aber fremdgeborenen König und dem machtlosen oft und willkürlich gewechselten Erzpriester. Freilich wurde dem jüdischen Hochpriester die königliche Stellung eher verziehen als dem fremden und priesterlicher Weihe unfähigen Mann; und wenn die Hasmonäer die Unabhängigkeit des Judentums nach außen hin vertraten, trug der Idumäer seine königliche Macht über die Juden von dem Schirmherrn zu Lehen. Die Rückwirkung dieses unlösbaren Konflikts auf eine tief leidenschaftliche Natur tritt in dem ganzen Lebenslauf des Mannes uns entgegen, der viel Leid bereitet, aber vielleicht nicht weniger empfunden hat. Immer sichern die Energie, die Stetigkeit, die Fügsamkeit in das Unvermeidliche, die militärische und politische Geschicklichkeit, wo dafür Raum war, dem Judenkönig einen gewissen Platz in dem Gesamtbild einer merkwürdigen Epoche.

Das fast vierzigjährige Regiment des Herodes – er starb im J. 750 (4 v. Chr.) – im einzelnen zu schildern, wie es die dafür in großer Ausführlichkeit erhaltenen Berichte gestatten, ist nicht die Aufgabe des Geschichtschreibers von Rom. Es gibt wohl kein Königshaus irgendeiner Zeit, in welchem die Blutfehde zwischen Eltern und Kindern, zwischen Gatten und Geschwistern in gleicher Weise gewütet hat; Kaiser Augustus und seine Statthalter in Syrien wandten schaudernd sich ab von dem Anteil an dem Mordwerk, der ihnen angesonnen ward; nicht der mindest entsetzliche Zug in diesem Greuelbild ist die völlige Zwecklosigkeit der meisten in der Regel auf grundlosen Verdacht verfügten Exekutionen und die stetig nachfolgende verzweifelnde Reue des Urhebers. Wie kräftig und verständig der König das Interesse seines Landes, soweit er konnte und durfte, wahrnahm, wie energisch er nicht bloß in Palästina, sondern im ganzen Reich mit seinen Schätzen und mit seinem nicht geringen Einfluß für die Juden eintrat – die den Juden günstige Entscheidung Agrippas in dem großen kleinasiatischen Reichshandel hatten sie wesentlich ihm zu verdanken –, Liebe und Treue fand er wohl in Idumäa und Samaria, aber nicht bei dem Volke Israel; hier war und blieb er nicht so sehr der mit vielfacher Blutschuld beladene, als vor allem der fremde Mann. Wie es eine der Haupttriebfedern jenes Hauskrieges ist, daß er in seiner Gattin aus hasmonäischem Geschlecht, der schönen Mariamme, und in deren Kindern mehr die Juden als die Seinen sah und fürchtete, so hat er es selbst ausgesprochen, daß er sich zu den Griechen ebenso hingezogen fühle wie von den Juden abgestoßen. Es ist bezeichnend, daß er die Söhne, denen er zunächst die Nachfolge zudachte, in Rom erziehen ließ. Während er aus seinen unerschöpflichen Reichtümern die Griechenstädte des Auslandes mit Gaben überhäufte und mit Tempeln schmückte, baute er für die Juden wohl auch, aber nicht im jüdischen Sinne. Die Zirkus- und Theaterbauten in Jerusalem selbst wie die Tempel für den Kaiserkultus in den jüdischen Städten galten dem frommen Israeliten als Aufforderung zur Gotteslästerung. Daß er den Tempel in Jerusalem in einen Prachtbau verwandelte, geschah halb gegen den Willen der Frommen; wie sehr sie den Bau bewunderten, daß er an demselben einen goldenen Adler anbrachte, wurde ihm mehr verübelt als alle von ihm verfügten Todesurteile und führte zu einem Volksaufstand, dem der Adler zum Opfer fiel und dann freilich auch die Frommen, die ihn abrissen. Herodes kannte das Land genug, um es nicht auf das äußerste kommen zu lassen; wenn es möglich gewesen wäre dasselbe zu hellenisieren, der Wille dazu hätte ihm nicht gefehlt. An Tatkraft stand der Idumäer hinter den besten Hasmonäern nicht zurück. Der große Hafenbau bei Stratonsturm oder, wie die von Herodes völlig umgebaute Stadt seitdem heißt, bei Cäsarea gab der hafenarmen Küste zuerst das, was sie brauchte, und die ganze Kaiserzeit hindurch ist die Stadt ein Hauptemporium des südlichen Syriens geblieben. Was sonst die Regierung zu leisten vermag, Entwicklung der natürlichen Hilfsquellen, Eintreten bei Hungersnot und anderen Kalamitäten, vor allen Dingen Sicherheit des Landes nach innen und außen, das hat Herodes geleistet. Der Räuberunfug wurde abgestellt und die in diesen Gegenden so ungemein schwierige Verteidigung der Grenze gegen die streifenden Stämme der Wüste mit Strenge und Folgerichtigkeit durchgeführt. Dadurch wurde die römische Regierung bewogen, ihm noch weitere Gebiete zu unterstellen, Ituräa, Trachonitis, Auranitis, Batanäa. Seitdem erstreckte sich seine Herrschaft, wie dies schon erwähnt ward, geschlossen über das transjordanische Land bis gegen Damaskos und zum Hermongebirge; soviel wir erkennen können, hat es nach jenen weiteren Zuweisungen in dem ganzen bezeichneten Gebiet keine Freistadt und keine von Herodes unabhängige Herrschaft mehr gegeben. Die Grenzverteidigung selbst traf mehr den arabischen König als den der Juden; aber soweit sie ihm oblag, bewirkte die Reihe wohl versehener Grenzkastelle auch hier einen Landfrieden, wie man ihn bisher in diesen Gegenden nicht gekannt hatte. Man begreift es, daß Agrippa, nachdem er die Hafen- und die Kriegsbauten des Herodes besichtigt hatte, in ihm einen gleichstrebenden Gehilfen bei dem großen Organisationswerk des Reiches erkannte und ihn in diesem Sinne behandelte.

Dauernden Bestand hatte sein Reich nicht. Herodes selbst teilte es in seinem Testament unter drei seiner Söhne und Augustus bestätigte die Verfügung im wesentlichen, indem er nur den wichtigen Hafen Gaza und die transjordanischen Griechenstädte unmittelbar unter den syrischen Statthalter stellte. Die nördlichen Reichsteile wurden von dem Hauptland abgetrennt; das zuletzt von Herodes erworbene Gebiet südlich von Damaskos, die Batanäa mit den dazugehörigen Distrikten erhielt Philippos, Galiläa und die Peräa, das heißt das transjordanische Gebiet, soweit es nicht griechisch war, Herodes Antipas, beide als Tetrarchen; diese beiden Kleinfürstentümer haben anfangs getrennt, dann unter Herodes »des Großen« Urenkel Agrippa II. vereinigt, mit geringen Unterbrechungen bis unter Traianus fortbestanden. Wir haben ihres Regiments bei der Schilderung des östlichen Syriens und Arabiens bereits gedacht. Hier mag nur hinzugefügt werden, daß diese Herodeer, wenn nicht mit der Energie, doch im Sinn und Geist des Stifters der Dynastie weiter regierten. Die von ihnen eingerichteten Städte Cäsarea, das alte Paneas, im nördlichen Gebiet und Tiberias in Galiläa sind ganz in der Art des Herodes hellenisch geordnet; charakteristisch ist die Ächtung, welche die jüdischen Rabbis wegen eines bei der Anlage von Tiberias gefundenen Grabes über die unreine Stadt verhängten.

Das Hauptland, Judäa nebst Samaria nördlich und Idumäa südlich, bekam nach dem Willen des Vaters Archelaos. Aber den Wünschen der Nation entsprach diese Erbfolge nicht. Die Orthodoxen, das heißt die Pharisäer, beherrschten so gut wie ausschließlich die Masse, und wenn bisher die Furcht des Herrn einigermaßen niedergehalten war durch die Furcht vor dem rücksichtslos energischen König, so stand doch der Sinn der großen Majorität der Juden darauf, unter der Schirmherrschaft Roms das reine gottselige Priesterregiment wieder herzustellen, wie es einst die persischen Beamten eingerichtet hatten. Unmittelbar nach dem Tode des alten Königs hatten die Massen in Jerusalem sich zusammengerottet, um die Beseitigung des von Herodes ernannten Hohenpriesters und die Ausweisung der Ungläubigen aus der heiligen Stadt zu verlangen, wo eben das Passah gefeiert werden sollte; Archelaos hatte sein Regiment damit beginnen müssen auf diese Massen einhauen zu lassen; man zählte eine Menge Tote, und die Festfeier unterblieb. Der römische Statthalter von Syrien – derselbe Varus, dessen Unverstand bald darauf den Römern Germanien kostete –, dem es zunächst oblag, während des Interregnums die Ordnung im Lande aufrecht zu halten, hatte diesen in Jerusalem meuternden Haufen gestattet nach Rom, wo eben über die Besetzung des jüdischen Thrones verhandelt ward, eine Deputation von fünfzig Personen zu entsenden, um die Abschaffung des Königtums zu erbitten, und als Augustus diese vorließ, gaben achttausend hauptstädtische Juden ihr das Geleit zum Tempel des Apollo. Die fanatisierten Juden daheim fuhren inzwischen fort, sich selber zu helfen; die römische Besatzung, die in den Tempel gelegt war, wurde mit stürmender Hand angegriffen, und fromme Räuberscharen erfüllten das Land; Varus mußte die Legionen ausrücken lassen und mit dem Schwert die Ruhe wieder herstellen. Es war eine Warnung für den Oberherrn, eine nachträgliche Rechtfertigung für König Herodes gewalttätiges, aber wirksames Regiment. Aber mit der ganzen Schwächlichkeit, welche er namentlich in späteren Jahren sooft bewies, wies Augustus allerdings die Vertreter jener fanatischen Massen mit ihrem Begehren ab, übergab aber, im wesentlichen das Testament des Herodes ausführend, die Herrschaft in Jerusalem dem Archelaos, gemindert um den königlichen Titel, den Augustus dem unerprobten jungen Mann zur Zeit nicht zugestehen mochte, ferner gemindert um die nördlichen Gebiete und mit der Abnahme der Grenzverteidigung auch in der militärischen Stellung herabgedrückt. Daß auf Augustus Veranlassung die unter Herodes hochgespannten Steuern herabgesetzt wurden, konnte die Stellung des Vierfürsten wenig bessern. Archelaos persönliche Unfähigkeit und Unwürdigkeit brauchten kaum noch hinzuzutreten, um ihn unmöglich zu machen; wenige Jahre darauf (6 n. Chr.) sah Augustus selbst sich genötigt, ihn abzusetzen. Nun tat er nachträglich jenen Meuterern ihren Willen: das Königtum wurde abgeschafft und das Land einerseits in unmittelbare römische Verwaltung genommen, andererseits, soweit neben dieser ein inneres Regiment zugelassen ward, dasselbe dem Senat von Jerusalem übergeben. Bei diesem Verfahren mögen allerdings teils früher in betreff der Erbfolge von Augustus dem Herodes gegebene Zusicherungen mitbestimmend gewesen sein, teils die mehr und mehr hervortretende und im allgemeinen wohl gerechtfertigte Abneigung der Reichsregierung gegen größere einigermaßen selbständig sich bewegende Klientelstaaten. Was in Galatien, in Kappadokien, in Mauretanien kurz vorher oder bald nachher geschah, erklärt, warum auch in Palästina das Reich des Herodes ihn selbst kaum überdauerte. Aber wie in Palästina das unmittelbare Regiment geordnet ward, war es auch administrativ ein arger Rückschritt gegen das herodische; vor allem aber lagen hier die Verhältnisse so eigenartig und so schwierig, daß die allerdings von der Priesterpartei selbst hartnäckig erstrebte und schließlich erlangte unmittelbare Berührung der regierenden Römer und der regierten Juden weder diesen noch jenen zum Segen gereichte. Judäa wurde somit im J. 6 n. Chr. eine römische Provinz zweiten Ranges und ist, abgesehen von der ephemeren Restauration des jerusalemischen Königreichs unter Claudius in den J. 41 bis 44, seitdem römische Provinz geblieben. An die Stelle des bisherigen lebenslänglichen und, unter Vorbehalt der Bestätigung durch die römische Regierung, erblichen Landesfürsten trat ein vom Kaiser auf Widerruf ernannter Beamter aus dem Ritterstand. Der Sitz der römischen Verwaltung wurde, wahrscheinlich sofort, die von Herodes nach hellenischem Muster umgebaute Hafenstadt Cäsarea. Die Befreiung des Landes von römischer Besatzung fiel selbstverständlich weg, aber, wie durchgängig in den Provinzen zweiten Ranges, bestand die römische Truppenmacht nur aus einer mäßigen Zahl von Reiter- und Fußabteilungen der geringeren Kategorie; späterhin lagen dort eine Ala und fünf Kohorten, etwa 3000 Mann. Diese Truppen wurden vielleicht von dem früheren Regiment übernommen, wenigstens zum großen Teil im Lande selbst, jedoch meist aus Samaritanern und syrischen Griechen gebildet. Legionarbesatzung erhielt die Provinz nicht, und auch in den Judäa benachbarten Gebieten stand höchstens eine von den vier syrischen Legionen. Nach Jerusalem kam ein ständiger römischer Kommandant, der in der Königsburg seinen Sitz nahm, mit einer schwachen ständigen Besatzung; nur während der Passahzeit, wo das ganze Land und unzählige Fremde nach dem Tempel strömten, lag eine stärkere Abteilung römischer Soldaten in einer zum Tempel gehörigen Halle. Daß mit der Einrichtung der Provinz die Steuerpflichtigkeit Rom gegenüber eintrat, folgt schon daraus, daß die Kosten der Landesverteidigung damit auf die Reichsregierung übergingen. Nachdem diese bei der Einsetzung des Archelaos eine Herabsetzung der Abgaben veranlaßt hatte, ist es wenig wahrscheinlich, daß sie bei der Einziehung des Landes eine sofortige Erhöhung derselben in Aussicht nahm; wohl aber wurde, wie in jedem neu erworbenen Gebiet, zu einer Revision der bisherigen Katastrierung geschritten.

Für die einheimischen Behörden wurden in Judäa, wie überall, soweit möglich, die Stadtgemeinden zum Fundament genommen. Samaria oder, wie die Stadt jetzt heißt, Sebaste, das neu angelegte Cäsarea und die sonstigen in dem ehemaligen Reich des Archelaos enthaltenen städtischen Gemeinden verwalteten unter Aufsicht der römischen Behörde sich selbst. Auch das Regiment der Hauptstadt mit dem großen dazugehörigen Gebiet wurde in ähnlicher Weise geordnet. Schon in vorrömischer Zeit unter den Seleukiden hatte sich, wie wir sahen, in Jerusalem ein Rat der Ältesten gebildet, das Synhedrion oder judaisiert der Sanhedrin. Den Vorsitz darin führte der Hochpriester, welchen der jedesmalige Herr des Landes, wenn er nicht etwa selber Hochpriester war, auf Zeit bestellte. Dem Kollegium gehörten die gewesenen Hochpriester und angesehene Gesetzkundige an. Diese Versammlung, in der das aristokratische Element überwog, funktionierte als höchste geistliche Vertretung der gesamten Judenschaft und, soweit diese davon nicht zu trennen war, auch als die weltliche Vertretung insbesondere der Gemeinde von Jerusalem. Zu einer geistlichen Institution mosaischer Satzung hat das Synhedrion von Jerusalem erst der spätere Rabbinismus durch fromme Fiktion umgestempelt. Er entsprach wesentlich dem Rat der griechischen Stadtverfassung, trug aber allerdings seiner Zusammensetzung wie seinem Wirkungskreise nach einen mehr geistlichen Charakter, als er den griechischen Gemeindevertretungen zukommt. Diesem Synhedrion und seinem Hochpriester, den jetzt als Vertreter des kaiserlichen Landesherrn der Prokurator ernannte, ließ oder übertrug die römische Regierung diejenige Kompetenz, welche in den hellenischen Untertanengemeinden den städtischen Behörden und den Gemeinderäten zukam. Sie ließ mit gleichgültiger Kurzsichtigkeit dem transzendentalen Messianismus der Pharisäer freien Lauf und dem bis zum Eintreffen des Messias fungirenden keineswegs transzendentalen Landeskonsistorium ziemlich freies Schalten in Angelegenheiten des Glaubens, der Sitte und des Rechts, wo die römischen Interessen dadurch nicht geradezu berührt wurden. Insbesondere betraf dies die Rechtspflege. Zwar soweit es sich dabei um römische Bürger handelte, wird die Justiz in Zivil- wie in Kriminalsachen den römischen Gerichten sogar schon vor der Einziehung des Landes vorbehalten gewesen sein. Aber die Ziviljustiz über die Juden blieb auch nach derselben hauptsächlich der örtlichen Behörde. Die Kriminaljustiz über dieselben übte diese wahrscheinlich im allgemeinen konkurrierend mit dem römischen Prokurator; nur Todesurteile konnte sie nicht anders vollstrecken lassen als nach Bestätigung durch den kaiserlichen Beamten.

Im wesentlichen waren diese Anordnungen die unabweisbaren Konsequenzen der Abschaffung des Fürstentums, und indem die Juden diese erbaten, erbaten sie in der Tat jene mit. Gewiß war es auch die Absicht der Regierung Härte und Schroffheit bei der Durchführung soweit möglich zu vermeiden. Publius Sulpicius Quirinius, dem als Statthalter von Syrien die Einrichtung der neuen Provinz übertragen ward, war ein angesehener und mit den Verhältnissen des Orients genau vertrauter Beamter, und alle Einzelberichte bestätigen redend oder schweigend, daß man die Schwierigkeiten der Verhältnisse kannte und darauf Rücksicht nahm. Die örtliche Prägung der Kleinmünze, wie sie früher die Könige geübt hatten, ging jetzt auf den Namen des römischen Herrschers; aber der jüdischen Bilderscheu wegen wurde nicht einmal der Kopf des Kaisers auf die Münzen gesetzt. Das Betreten des inneren Tempelraumes blieb jedem Nichtjuden untersagt bei Todesstrafe. Wie ablehnend Augustus sich persönlich gegen die orientalischen Kulte verhielt, er verschmähte es hier so wenig wie in Ägypten sie in ihrer Heimat mit dem Kaiserregiment zu verknüpfen; prachtvolle Geschenke des Augustus, der Livia und anderer Glieder des kaiserlichen Hauses schmückten das Heiligtum der Juden, und nach kaiserlicher Stiftung rauchte täglich dort dem »höchsten Gott« das Opfer eines Stiers und zweier Lämmer. Die römischen Soldaten wurden angewiesen, wenn sie in Jerusalem Dienst hatten, die Feldzeichen mit den Kaiserbildern in Cäsarea zu lassen, und als ein Statthalter unter Tiberius davon abging, entsprach die Regierung schließlich den flehenden Bitten der Frommen und ließ es bei dem Alten. Ja als auf einer Expedition gegen die Araber die römischen Truppen durch Jerusalem marschieren sollten, erhielten sie infolge der Bedenken der Priester gegen die Bilder an den Feldzeichen eine andere Marschroute. Als eben jener Statthalter dem Kaiser an der Königsburg in Jerusalem Schilde ohne Bildwerke weihte und die Frommen auch daran Ärgernis nahmen, befahl Tiberius dieselben abzunehmen und an dem Augustustempel in Cäsarea aufzuhängen. Das Festgewand des Hohenpriesters, das sich auf der Burg in römischem Gewahrsam befand und daher vor der Anlegung erst sieben Tage lang von solcher Entweihung gereinigt werden mußte, wurde den Gläubigen auf ihre Beschwerde ausgeliefert und der Kommandant der Burg angewiesen, sich nicht weiter um dasselbe zu bekümmern. Allerdings konnte von der Menge nicht verlangt werden, daß sie darum die Folgen der Einverleibung weniger schwer empfand, weil sie selbst dieselbe herbeigeführt hatte. Auch soll nicht behauptet werden, daß die Einziehung des Landes für die Bewohner ohne Bedrückung abging und daß sie keinen Grund hatten, sich zu beschweren; diese Einrichtungen sind nirgends ohne Schwierigkeiten und Ruhestörungen durchgeführt worden. Ebenso wird die Anzahl der Unrechtfertigkeiten und Gewalttätigkeiten, welche einzelne Statthalter begingen, in Judäa nicht geringer gewesen sein als anderswo. Schon im Anfang der Regierung des Tiberius klagten die Juden wie die Syrer über Steuerdruck; insbesondere der langjährigen Verwaltung des Pontius Pilatus werden von einem nicht unbilligen Beurteiler alle üblichen Beamtenfrevel zur Last gelegt. Aber Tiberius hat, wie derselbe Jude sagt, in den dreiundzwanzig Jahren seiner Regierung die althergebrachten heiligen Gebräuche aufrecht gehalten und in keinem Teile sie beseitigt oder verletzt. Es ist dies um so mehr anzuerkennen, als derselbe Kaiser im Okzident so nachdrücklich wie kein anderer gegen die Juden einschritt und also die in Judäa von ihm bewiesene Langmut und Zurückhaltung nicht auf persönliche Begünstigung des Judentums zurückgeführt werden kann.

Trotz alledem entwickelten sich gegen die römische Regierung die prinzipielle Opposition wie die gewaltsame Selbsthilfe der Gläubigen, beide schon in dieser Zeit des Friedens. Die Steuerzahlung ward nicht etwa bloß, weil sie drückte, sondern als gottlos angefochten. »Ist es erlaubt«, fragt der Rabbi im Evangelium, »dem Cäsar den Zensus zu zahlen?« Die ironische Antwort, die er empfing, genügte doch nicht allen; es gab Heilige, wenn auch wohl nicht in großer Zahl, welche sich verunreinigt meinten, wenn sie eine Münze mit dem Kaiserbild anrührten. Dies war etwas Neues, ein Fortschritt der Oppositionstheologie; die Könige Seleukos und Antiochos waren doch auch nicht beschnitten gewesen und hatten ebenfalls Tribut empfangen in Silberstücken ihres Bildnisses. Also war die Theorie; die praktische Anwendung davon machte allerdings nicht der hohe Rat von Jerusalem, in welchem unter dem Einfluß der Reichsregierung die gefügigeren Vornehmen des Landes stimmführend waren, aber Judas der Galiläer aus Gamala am See von Genezareth, welcher, wie Gamaliel diesem hohen Rat später in Erinnerung brachte, »in den Tagen der Schätzung aufstand, und hinter ihm erhob sich das Volk zum Abfall«. Er sprach es aus, was alle dachten, daß die sogenannte Schätzung die Knechtschaft und es eine Schande sei für den Juden, einen anderen Herrn über sich zu erkennen als den Herrn Zebaoth; dieser aber helfe nur denen, die sich selber hülfen. Wenn nicht viele seinem Ruf zu den Waffen folgten und er nach wenigen Monaten auf dem Blutgerüst endigte, so war der heilige Tote den unheiligen Siegern gefährlicher als der Lebende. Er und die Seinigen gelten den späteren Juden neben den Sadduzäern, Pharisäern und Essäern als die vierte »Schule«; damals hießen sie die Eiferer, später nennen sie sich die Sikarier, die Messermänner. Ihre Lehre ist einfach: Gott allein ist Herr, der Tod gleichgültig, die Freiheit eines und alles. Diese Lehre blieb, und des Judas Kinder und Enkel wurden die Führer der späteren Insurrektionen.

Wenn die römische Regierung der Aufgabe, diese explosiven Elemente nach Möglichkeit niederzuhalten, unter den ersten beiden Regenten im ganzen genommen geschickt und geduldig genügt hatte, so führte der zweite Thronwechsel hart an die Katastrophe. Derselbe ward wie im ganzen Reich, so auch von den Juden in Jerusalem wie in Alexandreia mit Jubel begrüßt und nach dem menschenscheuen und unbeliebten Greise der neue jugendliche Herrscher Gaius dort wie hier in überschwänglicher Weise gefeiert. Aber rasch entwickelte sich aus nichtswürdigen Anlässen ein furchtbares Zerwürfnis. Ein Enkel des ersten Herodes und der schönen Mariamme, nach dem Beschützer und Freunde seines Großvaters Herodes Agrippa genannt, unter den zahlreichen in Rom lebenden orientalischen Fürstensöhnen ungefähr der geringfügigste und heruntergekommenste, aber dennoch oder eben darum der Günstling und der Jugendfreund des neuen Kaisers, bis dahin lediglich bekannt durch seine Liederlichkeit und seine Schulden, hatte von seinem Beschützer, dem er zuerst die Nachricht von dem Tode des Tiberius hatte überbringen können, eines der vakanten jüdischen Kleinfürstentümer zum Geschenk und dazu den Königstitel erhalten. Dieser kam im J. 38 auf der Reise in sein neues Reich nach der Stadt Alexandreia, wo er wenige Monate vorher als ausgerissener Wechselschuldner versucht hatte, bei den jüdischen Bankiers zu borgen. Als er im Königsgewand mit seinen prächtig staffierten Trabanten sich dort öffentlich zeigte, regte dies begreiflicherweise die nichtjüdische und den Juden nichts weniger als wohlwollende Bewohnerschaft der großen spott- und skandallustigen Stadt zu einer entsprechenden Parodie an, und bei dieser blieb es nicht. Es kam zu einer grimmigen Judenhetze. Die zerstreut liegenden Judenhäuser wurden ausgeraubt und verbrannt, die im Hafen liegenden jüdischen Schiffe geplündert, die in den nicht jüdischen Quartieren betroffenen Juden mißhandelt und erschlagen. Aber gegen die rein jüdischen Quartiere vermochte man mit Gewalt nichts auszurichten. Da gerieten die Führer auf den Einfall, die Synagogen, auf die es vor allem abgesehen war, soweit sie noch standen, sämtlich zu Tempeln des neuen Herrschers zu weihen und Bildsäulen desselben in allen, in der Hauptsynagoge eine solche auf einem Viergespann, aufzustellen. Daß Kaiser Gaius so ernsthaft, wie sein verwirrter Geist es vermochte, sich für einen wirklichen und leibhaften Gott hielt, wußte alle Welt und die Juden und der Statthalter auch. Dieser, Avillius Flaccus, ein tüchtiger Mann und unter Tiberius ein vortrefflicher Verwalter, aber jetzt gelähmt durch die Ungnade, in welcher er bei dem neuen Kaiser stand und jeden Augenblick der Abberufung und der Anklage gewärtig, verschmähte es nicht, die Gelegenheit zu seiner Rehabilitierung zu benutzen. Er befahl nicht bloß durch Edikt der Aufstellung der Statuen in den Synagogen kein Hindernis in den Weg zu legen, sondern er ging geradezu auf die Judenhetze ein. Er verordnete die Abschaffung des Sabbats. Er erklärte weiter in seinen Erlassen, daß diese geduldeten Fremden sich unerlaubterweise des besten Teils der Stadt bemächtigt hätten; sie wurden auf ein einziges der fünf Quartiere beschränkt und alle übrigen Judenhäuser dem Pöbel preisgegeben, während die ausgetriebenen Bewohner massenweise obdachlos am Strande lagen. Kein Widerspruch wurde auch nur angehört; achtunddreißig Mitglieder des Rats der Ältesten, welcher damals anstatt des Ethnarchen der Judenschaft vorstand, wurden im offenen Zirkus vor allem Volke gestäupt. Vierhundert Häuser lagen in Trümmern; Handel und Wandel stockte; die Fabriken standen still. Es blieb keine Hilfe als bei dem Kaiser. Vor ihm erschienen die beiden alexandrinischen Deputationen, die der Juden geführt von dem früher erwähnten Philon, einem Gelehrten der neujüdischen Richtung und mehr sanftmütigen als tapferen Herzens, der aber doch für die Seinen in dieser Bedrängnis getreulich eintrat; die der Judenfeinde geführt von Apion, auch einem alexandrinischen Gelehrten und Schriftsteller, der »Weltschelle«, wie Kaiser Tiberius ihn nannte, voll großer Worte und noch größerer Lügen, von dreistester Allwissenheit und unbedingtem Glauben an sich selbst, wenn nicht der Menschen, doch ihrer Nichtswürdigkeit kundig, ein gefeierter Meister der Rede wie der Volksverführung, schlagfertig, witzig, unverschämt und unbedingt loyal. Das Ergebnis der Verhandlung stand von vornherein fest; der Kaiser ließ die Parteien vor, während er die Anlagen in seinen Gärten besichtigte, aber statt den Flehenden Gehör zu geben, legte er ihnen spöttische Fragen vor, die die Judenfeinde, aller Etikette zum Trotz, mit lautem Gelächter begleiteten, und da er bei guter Laune war, beschränkte er sich darauf, sein Bedauern auszusprechen, daß diese im übrigen guten Leute so unglücklich organisiert seien, seine angeborene Gottesnatur nicht begreifen zu können, womit es ihm ohne Zweifel ernst war. Apion also bekam Recht, und überall, wo es den Judenfeinden beliebte, wandelten die Synagogen sich um in Tempel des Gaius.

Aber es blieb nicht bei diesen durch die alexandrinische Straßen-Jugend eingeleiteten Dedikationen. Im J. 39 bekam der Statthalter von Syrien Publius Petronius vom Kaiser den Befehl, mit seinen Legionen in Jerusalem einzurücken und in dem Tempel die Bildsäule des Kaisers aufzurichten. Der Statthalter, ein ehrbarer Beamter aus der Schule des Tiberius, erschrak; die Juden aus dem ganzen Lande, Männer und Frauen, Greise und Kinder, strömten zu ihm, erst nach Ptolemais in Syrien, dann nach Tiberias in Galiläa, ihn um seine Vermittlung anzuflehen, daß das Entsetzliche unterbleiben möge; die Äcker im ganzen Lande wurden nicht bestellt, und die verzweifelten Massen erklärten, lieber den Tod durch das Schwert oder den Hunger dulden als diesen Greuel mit Augen sehen zu wollen. In der Tat wagte der Statthalter die Ausführung zu verzögern und Gegenvorstellungen zu machen, obwohl er wußte, daß es dabei um seinen Kopf ging. Zugleich ging jener König Agrippa persönlich nach Rom, um von seinem Freunde die Rücknahme des Befehls zu erwirken. In der Tat stand der Kaiser von seinem Begehren ab, man sagt infolge einer von dem jüdischen Fürsten geschickt benutzten Weinlaune. Aber er beschränkte zugleich die Konzession auf den einzigen Tempel von Jerusalem und sandte nichtsdestoweniger dem Statthalter wegen seines Ungehorsams das Todesurteil zu, das allerdings zufällig verspätet nicht mehr zur Ausführung kam. Gaius war entschlossen, die Renitenz der Juden zu brechen; das angeordnete Einrücken der Legionen zeigt, daß er diesmal die Folgen seines Befehls im voraus erwogen hatte. Seit jenen Vorgängen hatten die bereitwillig gottgläubigen Ägypter seine volle Liebe sowie die störrigen und einfältigen Juden den entsprechenden Haß; hinterhältig wie er war und gewohnt zu begnadigen, um später zu widerrufen, mußte das Ärgste nur verschoben erscheinen. Er war im Begriff nach Alexandreia abzugehen, um dort persönlich den Weihrauch seiner Altäre entgegenzunehmen und an der Statue, die er in Jerusalem sich aufzustellen gedachte, wurde, so sagt man, in aller Stille gearbeitet, als im Januar 41 der Dolch des Chärea unter anderem auch den Tempel des Jehova von dem Unhold befreite.

Äußere Folgen hinterließ die kurze Leidenszeit nicht; mit dem Gott sanken seine Altäre. Aber dennoch sind die Spuren davon nach beiden Seiten hin geblieben. Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist die des steigenden Hasses zwischen Juden und Nichtjuden, und darin bezeichnet die dreijährige Judenverfolgung unter Gaius einen Abschnitt und einen Fortschritt. Der Judenhaß und die Judenhetzen sind so alt wie die Diaspora selbst; diese privilegierten und autonomen orientalischen Gemeinden innerhalb der hellenischen mußten sie so notwendig entwickeln wie der Sumpf die böse Luft. Aber eine Judenhetze wie die alexandrinische des Jahres 38, motiviert durch das mangelhafte Hellenentum und dirigiert zugleich von der höchsten Behörde und dem niedrigen Pöbel, hat die ältere griechische wie römische Geschichte nicht aufzuweisen. Der weite Weg vom bösen Wollen des einzelnen zur bösen Tat der Gesamtheit war hiermit durchschritten, und es war gezeigt, was die also Gesinnten zu wollen und zu tun hatten und unter Umständen auch zu tun vermochten. Daß diese Offenbarung auch auf jüdischer Seite empfunden ward, ist nicht zu bezweifeln, obwohl wir dies mit Dokumenten nicht zu belegen vermögen. Aber weit tiefer als die alexandrinische Judenhetze haftete in den Gemütern der Juden die Bildsäule des Gottes Gaius im Allerheiligsten. Es war das schon einmal dagewesen: auf das gleiche Unterfangen des Königs von Syrien Antiochos Epiphanes war die Makkabäererhebung gefolgt und die siegreiche Wiederherstellung des freien nationalen Staates. Jener Epiphanes, der Antimessias, welcher den Messias herbeiführt, wie der Prophet Daniel ihn, allerdings nachträglich, gezeichnet hatte, war seitdem jedem Juden das Urbild der Greuel; es war nicht gleichgültig, daß die gleiche Vorstellung mit gleichem Recht sich an einen römischen Kaiser knüpfte oder vielmehr an das Bild des römischen Herrschers überhaupt. Seit jenem verhängnisvollen Erlaß kam die Sorge nicht zur Ruhe, daß ein anderer Kaiser das gleiche befehlen könne, und insofern allerdings mit Recht, als nach der Ordnung des römischen Staatswesens diese Verfügung lediglich von dem augenblicklichen Gutfinden des augenblicklich Regierenden abhing. Mit glühenden Farben zeichnet sich dieser jüdische Haß des Kaiserkultus und des Kaisertums selbst in der Apokalypse Johannis, für die hauptsächlich deswegen Rom das feile Weib von Babylon und der gemeine Feind der Menschheit ist. Noch minder gleichgültig war die naheliegende Parallele der Konsequenzen. Mattathias von Modein war auch nicht mehr gewesen als Judas der Galiläer, die Erhebung der Patrioten gegen den Syrerkönig ungefähr ebenso hoffnungslos wie die Insurrektion gegen das Untier jenseit des Meeres. Historische Parallelen in praktischer Anwendung sind gefährliche Elemente der Opposition; nur zu rasch geriet der Bau langjähriger Regierungsweisheit ins Schwanken.

Die Regierung des Claudius lenkte nach beiden Seiten hin in die Bahnen des Tiberius ein. In Italien wiederholte sich zwar nicht gerade die Ausweisung der Juden, da man von der Undurchführbarkeit dieser Maßregel sich überzeugen mußte, aber doch das Verbot der gemeinschaftlichen Ausübung ihres Kultus, was freilich ungefähr auf dasselbe hinaus und wohl ebensowenig zur Durchführung kam. Neben diesem Intoleranzedikt wurden im entgegengesetzten Sinn durch eine das ganze Reich umfassende Verfügung die Juden von denjenigen öffentlichen Verpflichtungen befreit, welche mit ihren religiösen Überzeugungen sich nicht vertrugen, womit namentlich hinsichtlich des Kriegsdienstes wohl nur nachgegeben ward, was auch bisher schon nicht hatte erzwungen werden können. Die in diesen Erlaß am Schluß ausgesprochene Mahnung an die Juden nun auch ihrerseits größere Mäßigung zu beobachten und sich der Beschimpfung Andersgläubiger zu enthalten zeigt, daß es auch von jüdischer Seite an Ausschreitungen nicht gefehlt hatte. In Ägypten wie in Palästina wurden die religiösen Ordnungen wenigstens im ganzen so, wie sie vor Gaius bestanden hatten, wiederum hergestellt, wenn auch in Alexandreia die Juden schwerlich alles, was sie besessen hatten, zurückerhielten; die aufständischen Bewegungen, die dort wie hier ausgebrochen oder doch im Ausbrechen waren, verschwanden damit von selbst. In Palästina ging Claudius sogar über das System des Tiberius hinaus und überwies wieder das ganze ehemalige Gebiet des Herodes einem einheimischen Fürsten, eben jenem Agrippa, der zufällig auch mit Claudius befreundet und bei den Krisen seines Antritts ihm nützlich geworden war. Es war sicher Claudius Absicht das zur Zeit des Herodes befolgte System wieder aufzunehmen und die Gefahren der unmittelbaren Berührung zwischen Römern und Juden zu beseitigen. Aber Agrippa, leichtlebig und auch als Fürst in steter Finanzbedrängnis, übrigens gutmütig und mehr darauf bedacht es seinen Untertanen als dem fernen Schutzherrn recht zu machen, gab mehrfach bei der Regierung Anstoß, zum Beispiel durch die Verstärkung der Mauern von Jerusalem, deren Weiterführung ihm untersagt ward; und die mit den Römern haltenden Städte Cäsarea und Sebaste sowie die römisch organisierten Truppen waren ihm abgeneigt. Als er früh und plötzlich im J. 44 starb, erschien es bedenklich, die politisch wie militärisch wichtige Stellung seinem einzigen siebzehnjährigen Sohn zu übertragen und die einträglichen Prokurationen aus der Hand zu geben entschlossen die Mächtigen des Kabinetts sich auch nicht gern. Die claudische Regierung hatte hier, wie anderswo, das Richtige gefunden, aber nicht die Energie, dasselbe von Nebenrücksichten absehend durchzuführen. Ein jüdischer Fürst mit jüdischen Soldaten konnte das Regiment in Judäa für die Römer handhaben; der römische Beamte und die römischen Soldaten verletzten wahrscheinlich noch öfter durch Unkunde der jüdischen Anschauungen als durch absichtliches Zuwiderhandeln, und was sie immer beginnen mochten, von ihnen war es den Gläubigen ein Ärgernis und der gleichgültigste Vorgang ein Religionsfrevel. Die Forderung, sich gegenseitig zu verstehen und zu vertragen, war nach beiden Seiten hin ebenso gerechtfertigt an sich wie die Ausführung unmöglich. Vor allen Dingen aber war ein Konflikt zwischen dem jüdischen Landesherrn und seinen Untertanen für das Reich ziemlich indifferent; jeder Konflikt zwischen den Römern und den Juden in Jerusalem erweiterte den Abgrund, der sich zwischen den Völkern des Okzidents und den mit ihnen zusammen lebenden Hebräern auftat; und nicht in den Händeln Palästinas, sondern in der Unverträglichkeit der vom Schicksal! nun doch einmal zusammengekoppelten Reichsgenossen verschiedener Nationalität lag die Gefahr.

So trieb das Schiff unaufhaltsam in den Strudel hinein. Bei dieser unseligen Fahrt halfen alle Beteiligten, die römische Regierung und ihre Verwalter, die jüdischen Behörden und das jüdische Volk. Die erstere bewies freilich fortwährend den Willen allen billigen und unbilligen Ansprüchen der Juden soweit wie möglich entgegenzukommen. Als im J. 44 der Prokurator wieder in Jerusalem eintrat, wurde die Ernennung des Hohenpriesters und die Verwaltung des Tempelschatzes, die mit dem Königtum und insofern auch mit der Prokuratur verbunden waren, ihm abgenommen und einem Bruder des verstorbenen Königs Agrippa, dem König Herodes von Chalkis sowie nach dessen Tode im J. 48 seinem Nachfolger, dem schon genannten jüngeren Agrippa, übertragen. Einen römischen Soldaten, der bei der befohlenen Plünderung eines jüdischen Dorfes eine Thorarolle zerrissen hatte, ließ der römische Oberbeamte auf die Klage der Juden hin hinrichten. Selbst die höheren Beamten traf nach Umständen die ganze Schwere der römischen Kaiserjustiz; als zwei nebeneinander fungierende Prokuratoren bei dem Hader der Samariter und der Galiläer sich für und wider beteiligt und ihre Soldaten gegeneinander gefochten hatten, wurde der kaiserliche Statthalter von Syrien Ummidius Quadratus mit außerordentlicher Vollmacht nach Palästina geschickt, um zu strafen und zu richten und in der Tat der eine der Schuldigen in die Verbannung gesandt, ein römischer Kriegstribun namens Celer in Jerusalem selbst öffentlich enthauptet. Aber neben diesen Exempeln der Strenge stehen andere der mitschuldigen Schwäche; in eben diesem Prozeß entging der zweite mindestens ebenso schuldige Prokurator Autonius Felix der Bestrafung, weil er der Bruder des mächtigen Bedienten Pallas war und der Gemahl der Schwester des Königs Agrippa. Mehr noch als die Amtsmißbräuche einzelner Verwalter muß es der Regierung zur Last gelegt werden, daß sie die Beamtenmacht und die Truppenzahl in einer so beschaffenen Provinz nicht verstärkte und fortfuhr, die Besatzung fast ausschließlich aus der Provinz zu rekrutieren. Unbedeutend wie die Provinz war, war es eine arge Kopflosigkeit und eine übel angebrachte Sparsamkeit sie nach der hergebrachten Schablone zu behandeln; rechtzeitige Entfaltung einer erdrückenden Übermacht und unnachsichtliche Strenge, ein Statthalter höheren Ranges und ein Legionslager hätten der Provinz wie dem Reiche große Opfer an Geld und Blut und Ehre erspart.

Aber mindestens nicht geringer ist die Schuld der Juden. Das Hohenpriesterregiment, soweit es reichte – und die Regierung war nur zu geneigt in allen inneren Angelegenheiten ihm freie Hand zu lassen – ist, auch nach den jüdischen Berichten, zu keiner Zeit so gewalttätig und nichtswürdig geführt worden wie in der von Agrippas Tod bis zum Ausbruch des Krieges. Der bekannteste und einflußreichste dieser Priesterherrscher ist Ananias des Nebedäus Sohn, die »übertünchte Wand«, wie Paulus ihn nannte, als dieser geistliche Richter seine Schergen ihn auf den Mund schlagen hieß, weil er sich vor dem Gericht zu verteidigen wagte. Es wird ihm zur Last gelegt, daß er den Statthalter bestach und daß er durch entsprechende Interpretation der Schrift den niedrigen Geistlichen die Zehntgarben entfremdete. Als einer der Hauptanstifter des Krieges zwischen den Samaritern und den Galiläern hat er vor dem römischen Richter gestanden. Nicht weil die rücksichtslosen Fanatiker in den herrschenden Kreisen überwogen, sondern weil diesen Anzettlern der Volksaufläufe und Anordnern der Ketzergerichte die moralische und religiöse Autorität abging, wodurch die Gemäßigten in besseren Zeiten die Menge gelenkt hatten, und weil sie die Nachgiebigkeit der römischen Behörden in den inneren Angelegenheiten mißverstanden und mißbrauchten, vermochten sie es nicht zwischen der Fremdherrschaft und der Nation in friedlichem Sinn zu vermitteln. Eben unter ihrem Schalten wurden die römischen Behörden mit den wildesten und unvernünftigsten Forderungen bestürmt und kam es zu Volksbewegungen von grausiger Lächerlichkeit. Der Art ist jene Sturmpetition, welche das Blut eines römischen Soldaten wegen einer zerrissenen Gesetzrolle verlangte und erhielt. Ein anderes Mal entstand ein Volksauflauf, der vielen Menschen das Leben kostete, weil ein römischer Soldat dem Tempel einen Körperteil in unschicklicher Entblößung gezeigt hatte. Auch der beste der Könige hätte dergleichen Wahnwitz nicht unbedingt abwenden können; aber selbst der geringste Fürst würde der fanatischen Menge nicht so völlig steuerlos gegenübergestanden haben wie diese Priester. – Das eigentliche Ergebnis war das stetige Anschwellen der neuen Makkabäer. Man hat sich gewöhnt, den Ausbruch des Krieges in das Jahr 66 zu setzen; mit gleichem und vielleicht besserem Recht könnte man dafür das Jahr 44 nennen. Seit dem Tode Agrippas haben die Waffen in Judäa nicht geruht, und neben den örtlichen Fehden, die Juden und Juden miteinander ausfechten, geht beständig der Krieg her der römischen Truppen gegen die ausgetretenen Leute in den Gebirgen, die Eifrigen, wie die Juden sie nannten, nach römischer Bezeichnung die Räuber. Die Benennungen trafen beide zu; auch hier spielten neben den Fanatikern die verkommenen oder verkommenden Elemente der Gesellschaft ihre Rolle – war es doch nach dem Sieg einer der ersten Schritte der Zeloten die im Tempel bewahrten Schuldbriefe zu verbrennen. Jeder der tüchtigeren Prokuratoren, von dem ersten Cuspius Fadus an, säubert von ihnen das Land, und immer ist die Hydra gewaltiger wieder da. Fadus‘ Nachfolger, Tiberius Julius Alexander, selbst einer jüdischen Familie entsprossen, ein Neffe des obengenannten alexandrinischen Gelehrten Philon, ließ zwei Söhne Judas des Galiläers Jakob und Simon an das Kreuz schlagen; das war der Same des neuen Mattathias. Auf den Gassen der Städte predigten die Patrioten laut den Krieg, und nicht wenige folgten in die Wüste; den Friedfertigen aber und Verständigen, die sich weigerten mitzutun, zündeten diese Banden die Häuser an. Griffen die Soldaten dergleichen Banditen auf, so führten sie wieder angesehene Leute als Geißeln in die Berge; und sehr oft verstand die Behörde sich dazu, jene zu entlassen, um diese zu befreien. Gleichzeitig begannen in der Hauptstadt die »Messermänner« ihr unheimliches Handwerk; sie mordeten wohl auch um Geld – als ihr erstes Opfer wird der Priester Jonathan genannt, als ihr Auftraggeber dabei der römische Prokurator Felix –, aber womöglich zugleich als Patrioten römische Soldaten oder römisch gesinnte Landsleute. Wie hätten bei diesen Stimmungen die Wunder und Zeichen ausbleiben sollen und diejenigen, die betrogen oder betrügend die Massen damit fanatisierten? Unter Cuspius Fadus führte der Wundermann Theudas seine Getreuen dem Jordan zu, versichernd, daß die Wasser vor ihnen sich spalten würden und die nachsetzenden römischen Reiter verschlingen, wie zu den Zeiten des Königs Pharao. Unter Felix verhieß ein anderer Wundertäter, nach seiner Heimat der Ägypter genannt, daß die Mauern Jerusalems einstürzen würden, wie auf Josuas Posaunenstoß die von Jericho; und daraufhin folgten ihm 4000 Messermänner bis auf den Ölberg. Eben in der Unvernunft lag die Gefahr. Die große Masse der jüdischen Bevölkerung waren kleine Bauern, die im Schweiße ihres Angesichts ihre Felder pflügten und ihr Öl preßten, mehr Dorfleute als Städter, von geringer Bildung und gewaltigem Glauben, eng verwachsen mit den Freischaren in den Gebirgen und voll Ehrfurcht vor Jehova und seinen Priestern in Jerusalem wie voll Abscheu gegen die unreinen Fremden. Der Krieg war da, nicht ein Krieg zwischen Macht und Macht um die Übergewalt, nicht einmal eigentlich ein Krieg der Unterdrückten gegen die Unterdrücker um Wiedergewinnung der Freiheit; nicht verwegene Staatsmänner, fanatische Bauern haben ihn begonnen und geführt und mit ihrem Blute bezahlt. Es ist eine weitere Etappe in der Geschichte des nationalen Hasses; auf beiden Seiten schien das fernere Zusammenleben unmöglich und begegnete man sich in dem Gedanken der gegenseitigen Ausrottung.

Die Bewegung, durch welche die Aufläufe zum Krieg wurden, ging von Cäsarea aus. In dieser ursprünglich griechischen, dann von Herodes nach dem Muster der Alexanderkolonien umgeschaffenen und zur ersten Hafenstadt Palästinas entwickelten Stadtgemeinde wohnten Griechen und Juden, ohne Unterschied der Nation und der Konfession bürgerlich gleichberechtigt, die letzteren an Zahl und Besitz überlegen. Aber die Hellenen daselbst, nach dem Muster der Alexandriner und ohne Zweifel unter dem unmittelbaren Eindruck der Vorgänge des J. 38, bestritten im Wege der Beschwerde bei der obersten Stelle den jüdischen Gemeindegenossen das Bürgerrecht. Der Minister Neros, Burrus († 62 n. Chr.), gab ihnen Recht. Es war arg in einer auf jüdischem Boden und von einer jüdischen Regierung geschaffenen Stadt das Bürgerrecht zum Privilegium der Hellenen zu machen; aber es darf nicht vergessen werden, wie sich die Juden gegen die Römer eben damals verhielten, und wie nahe sie es den Römern legten, die römische Hauptstadt und das römische Hauptquartier der Provinz in eine rein hellenische Stadtgemeinde umzuwandeln. Die Entscheidung führte, wie begreiflich, zu heftigen Straßentumulten, wobei hellenischer Hohn und jüdischer Übermut namentlich in dem Kampf um den Zugang zur Synagoge sich ungefähr die Waage gehalten zu haben scheinen; die römischen Behörden griffen ein, selbstverständlich zu Ungunsten der Juden. Diese verließen die Stadt, wurden aber von dem Statthalter genötigt zurückzukehren und dann in einem Straßenauflauf sämtlich erschlagen (6. August 66). Dies hatte die Regierung allerdings nicht befohlen und sicher auch nicht gewollt; es waren Mächte entfesselt, denen sie selbst nicht mehr zu gebieten vermochte.

Wenn hier die Judenfeinde die Angreifenden waren, so waren dies in Jerusalem die Juden. Allerdings versichern deren Vertreter in der Erzählung dieser Vorgänge, daß der derzeitige Prokurator von Palästina, Gessius Florus, um der Anklage wegen seiner Mißverwaltung zu entgehen, durch das Übermaß der Peinigung eine Insurrektion habe hervorrufen wollen; und es ist kein Zweifel, daß die damaligen Statthalter in Nichtswürdigkeit und Bedrückung das übliche Maß beträchtlich überschritten. Aber wenn Florus einen solchen Plan in der Tat verfolgt hat, so mißlang er. Denn nach eben diesen Berichten beschwichtigten die Besonnenen und Besitzenden unter den Juden und mit ihnen der mit dem Tempelregiment betraute und eben damals in Jerusalem anwesende König Agrippa II. – er hatte inzwischen die Herrschaft von Chalkis mit derjenigen von Batanäa vertauscht – die Massen insoweit, daß die Zusammenrottungen und das Einschreiten dagegen sich innerhalb des seit Jahren landesüblichen Maßes hielten. Aber gefährlicher als der Straßenunfug und die Räuberpatrioten der Gebirge waren die Fortschritte der jüdischen Theologie. Das frühere Judentum hatte in liberaler Weise den Fremden die Pforten seines Glaubens geöffnet; es wurden zwar in den inneren Tempel nur die eigentlichen Religionsgenossen, aber als Proselyten des Tores in die äußeren Hallen jeder ohne weiteres zugelassen und auch dem Nichtjuden gestattet, hier zum Herrn Jehova seinerseits zu beten und Opfer darzubringen. So wurde, wie schon erwähnt ward, auf Grund einer Stiftung des Augustus täglich daselbst für den römischen Kaiser geopfert. Diese Opfer von Nichtjuden untersagte der derzeitige Tempelmeister, des obengenannten Erzpriesters Ananias Sohn Eleazar, ein junger vornehmer leidenschaftlicher Mann, persönlich unbescholten und brav und insofern der volle Gegensatz seines Vaters, aber durch seine Tugenden gefährlicher als dieser durch seine Laster. Vergeblich wies man ihm nach, daß dies ebenso beleidigend für die Römer wie gefährlich für das Land und dem Herkommen schlechterdings zuwider sei; es blieb bei der verbesserten Frömmigkeit und der Ausschließung des Landesherrn vom Gottesdienst. Seit langem hatte das gläubige Judentum sich gespalten in diejenigen, die ihr Vertrauen auf den Herrn Zebaoth allein setzten und die Römerherrschaft ertrugen, bis es ihm gefallen werde, das Himmelreich auf Erden zu verwirklichen, und in die praktischeren Männer, welche dieses Himmelreich mit eigener Hand zu begründen entschlossen waren und des Beistandes des Herrn der Heerscharen bei dem frommen Werke sich versichert hielten, oder mit den Schlagwörtern in die Pharisäer und die Zeloten. Die Zahl und das Ansehen der letzteren war in beständigem Steigen. Es wurde ein alter Spruch entdeckt, daß um diese Zeit ein Mann von Judäa ausgehen werde und die Weltherrschaft gewinnen; man glaubte das um so eher, weil es so sehr absurd war, und das Orakel trug nicht wenig dazu bei, die Massen weiter zu fanatisieren.

Die gemäßigte Partei erkannte die Gefahr und entschloß sich, die Fanatiker mit Gewalt niederzuschlagen; sie bat um Truppen bei den Römern in Cäsarea und bei König Agrippa. Von dort kam keine Unterstützung; Agrippa sandte eine Anzahl Reiter. Dagegen strömten die Patrioten und die Messermänner in die Stadt, unter ihnen der wildeste Manahem, auch einer der Söhne des oft genannten Judas von Galiläa. Sie waren die Stärkeren und bald Herren in der ganzen Stadt. Auch die Handvoll römischer Soldaten, welche die an den Tempel anstoßende Burg besetzt hielten, wurde rasch überwältigt und niedergemacht. Der benachbarte Königspalast, mit den dazugehörigen gewaltigen Türmen, wo der Anhang der Gemäßigten, eine Anzahl Römer unter dem Tribunen Metilius und die Soldaten des Agrippa lagen, hielt ebensowenig Stand. Den letzteren wurde auf ihr Verlangen zu kapitulieren der freie Abzug bewilligt, den Römern aber verweigert; als sie sich endlich gegen Zusicherung des Lebens ergaben, wurden sie erst entwaffnet und dann niedergemacht mit einziger Ausnahme des Offiziers, der sich beschneiden zu lassen versprach und so als Jude begnadigt ward. Auch die Führer der Gemäßigten, unter ihnen der Vater und der Bruder Eleazars, wurden die Opfer der Volkswut, die den Römergenossen noch grimmiger grollte als den Römern. Eleazar selbst erschrak vor seinem Siege; zwischen den beiden Führern der Fanatiker, ihm und Manahem kam es nach dem Sieg, vielleicht wegen der gebrochenen Kapitulation, zum blutigen Handgemenge; Manahem wurde gefangen und hingerichtet. Aber die heilige Stadt war frei und das in Jerusalem lagernde römische Detachement vernichtet; die neuen Makkabäer hatten gesiegt wie die alten.

So hatten, angeblich am selben Tag, dem 6. August 66, die Nichtjuden in Cäsarea die Juden, die Juden in Jerusalem die Nichtjuden niedergemetzelt; und damit war nach beiden Seiten hin das Signal gegeben, in diesem patriotischen und gottgefälligen Werke fortzufahren. In den benachbarten griechischen Städten entledigten sich die Hellenen der Judenschaften nach dem Muster von Cäsarea. Beispielsweise wurden in Damaskos sämtliche Juden zunächst ins Gymnasium gesperrt und auf die Kunde von einem Mißerfolg der römischen Waffen vorsichtigerweise sämtlich umgebracht. Gleiches oder Ähnliches geschah in Askalon, in Skytopolis, Hippos, Gadara, überall wo die Hellenen die Stärkeren waren. In dem überwiegend von Syrern bewohnten Gebiet des Königs Agrippa rettete dessen energisches Dazwischentreten den Juden von Cäsarea Paneas und sonst das Leben. In Syrien folgten Ptolemais, Tyros und mehr oder minder die übrigen griechischen Gemeinden; nur die beiden größten und zivilisiertesten Städte Antiocheia und Apameia sowie Sidon schlossen sich aus. Dem ist es wohl zu verdanken, daß diese Bewegung sich nicht nach Vorderasien fortpflanzte. In Ägypten kam es nicht bloß zu einem Volksauflauf, der zahlreiche Opfer forderte, sondern die alexandrinischen Legionen selbst mußten auf die Juden einhauen. – Im notwendigen Rückschlag dieser Judenvesper ergriff die in Jerusalem siegreiche Insurrektion sofort ganz Judäa und organisierte sich überall unter ähnlicher Mißhandlung der Minoritäten, übrigens aber mit Raschheit und Energie.

Es war notwendig schleunigst einzuschreiten und die weitere Ausbreitung des Brandes zu verhindern; auf die erste Kunde marschierte der römische Statthalter von Syrien Gaius Cestius Gallus mit seinen Truppen gegen die Insurgenten. Er führte etwa 20 000 Mann römischer Soldaten und 13 000 der Klientelstaaten heran, ungerechnet die zahlreichen syrischen Milizen, nahm Ioppe ein, dessen ganze Bürgerschaft niedergemacht ward, und stand schon im September vor, ja in Jerusalem selbst. Aber die gewaltigen Mauern des Königspalastes und des Tempels vermochte er nicht zu brechen und nutzte ebensowenig die mehrfach gebotene Gelegenheit, durch die gemäßigte Partei in den Besitz der Stadt zu gelangen. Ob nun die Aufgabe unlösbar oder er ihr nicht gewachsen war, er gab bald die Belagerung auf und erkaufte sogar den beschleunigten Rückzug mit der Aufopferung seines Gepäcks und seiner Nachhut. Zunächst blieb also oder kam Judäa mit Einschluß von Idumäa und Galiläa in die Hand der erbitterten Juden; auch die samaritanische Landschaft ward zum Anschluß genötigt. Die überwiegend hellenischen Küstenstädte Anthedon und Gaza wurden zerstört, Cäsarea und die anderen Griechenstädte mit Mühe behauptet. Wenn der Aufstand nicht über die Grenzen Palästinas hinausging, so war daran nicht die Regierung Schuld, sondern die nationale Abneigung der Syrohellenen gegen die Juden.

Die Regierung in Rom nahm die Dinge ernst, wie sie es waren. Anstatt des Prokurators wurde ein kaiserlicher Legat nach Palästina gesandt, Titus Flavius Vespasianus, ein besonnener Mann und ein erprobter Soldat. Er erhielt für die Kriegführung zwei Legionen des Westens, welche infolge des parthischen Krieges sich zufällig noch in Asien befanden, und diejenige syrische, die bei der unglücklichen Expedition des Cestius am wenigsten gelitten hatte, während die syrische Armee unter dem neuen Statthalter Gaius Licinius Mucianus – Gallus war rechtzeitig gestorben – durch Zuteilung einer anderen Legion auf dem Stande blieb, den sie vorher hatte. Zu diesen Bürgertruppen und deren Auxilien kam die bisherige Besatzung von Palästina, endlich die Mannschaften der vier Klientelkönige der Kommagener, der Hemesener, der Juden und der Nabatäer, zusammen etwa 50 000 Mann, darunter 15 000 Königssoldaten. Im Frühling des J. 67 wurde dieses Heer bei Ptolemais zusammengezogen und rückte in Palästina ein. Nachdem die Insurgenten von der schwachen römischen Besatzung der Stadt Askalon nachdrücklich abgewiesen waren, hatten sie nicht weiter die Städte angegriffen, die es mit den Römern hielten; die Hoffnungslosigkeit, welche die ganze Bewegung durchdringt, drückt sich aus in dem sofortigen Verzicht auf jede Offensive. Als dann die Römer zum Angriff übergingen, traten sie ihnen gleichfalls nirgends im offenen Felde entgegen, ja sie machten nicht einmal Versuche den einzelnen angegriffenen Plätzen Entsatz zu bringen. Allerdings teilte auch der vorsichtige Feldherr der Römer seine Truppen nicht, sondern hielt wenigstens die drei Legionen durchaus zusammen. Dennoch war, da in den meisten einzelnen Ortschaften die oft wohl nur kleine Zahl der Fanatiker die Bürgerschaften terrorisierte, der Widerstand hartnäckig und die römische Kriegführung weder glänzend noch rasch. Vespasian verwendete den ganzen ersten Feldzug (67) darauf, die Festungen der kleinen Landschaft Galiläa und die Küste bis nach Askalon in seine Gewalt zu bringen; allein vor dem Städtchen Jotapata lagerten die drei Legionen fünfundvierzig Tage. Den Winter 67/68 lag eine Legion in Skytopolis an der Südgrenze von Galiläa, die beiden anderen in Cäsarea. Inzwischen waren in Jerusalem die verschiedenen Faktionen aneinandergeraten und lagen im heftigsten Kampf; die guten Patrioten, die zugleich für bürgerliche Ordnung waren, und die noch besseren, welche das Schreckensregiment teils in fanatischer Spannung, teils in Gesindellust herbeiführen und ausnutzen wollten, schlugen sich in den Gassen der Stadt und waren nur darin einig, daß jeder Versuch der Versöhnung mit den Römern ein todeswürdiges Verbrechen sei. Der römische Feldherr, vielfach aufgefordert, diese Zerrüttung zu benutzen, blieb dabei, nur schrittweise vorzugehen. Im zweiten Kriegsjahr ließ er zunächst das transjordanische Gebiet, namentlich die wichtigen Städte Gadara und Gerasa besetzen und setzte sich dann bei Emmaus und Jericho, von wo aus er im Süden Idumäa, im Norden Samaria okkupieren ließ, so daß Jerusalem im Sommer des Jahres 68 von allen Seiten umstellt war. Die Belagerung sollte eben beginnen, als die Nachricht von dem Tode Neros eintraf. Damit war von Rechts wegen das dem Legaten erteilte Mandat erloschen, und Vespasian stellte in der Tat, politisch nicht minder vorsichtig wie militärisch, bis auf neue Verhaltungsbefehle die Operationen ein. Bevor diese von Galba eintrafen, war die gute Jahreszeit zu Ende. Als das Frühjahr 69 herankam, war Galba gestürzt und schwebte die Entscheidung zwischen dem Kaiser der römischen Leibgarde und dem der Rheinarmee. Erst nach Vitellius Sieg, im Juni 69, nahm Vespasian die Operationen wieder auf und besetzte Hebron; aber sehr bald kündigten die sämtlichen Heere des Ostens jenem die Treue auf und riefen den bisherigen Legaten von Judäa zum Kaiser aus. Den Juden gegenüber wurden zwar die Stellungen bei Emmaus und Jericho behauptet, allein wie die germanischen Legionen den Rhein entblößt hatten, um ihren Feldherrn zum Kaiser zu machen, so ging auch der Kern der Armee von Palästina teils mit dem Legaten von Syrien Mucianus nach Italien ab, teils mit dem neuen Kaiser und dessen Sohn Titus nach Syrien und weiter nach Ägypten, und erst nachdem Ende 69 der Sukzessionskrieg beendigt und Vespasians Herrschaft im ganzen Reiche anerkannt war, beauftragte dieser seinen Sohn mit der Beendigung des jüdischen Krieges.

So hatten die Insurgenten in Jerusalem vom Sommer 66 bis zum Frühling 70 völlig freies Schalten. Was die Vereinigung von religiösem und nationalem Fanatismus, das edle Verlangen, den Sturz des Vaterlandes nicht zu überleben und das Bewußtsein begangener Verbrechen und unausbleiblicher Strafe, das wilde Durcheinanderwogen aller edelsten und aller gemeinsten Leidenschaften in diesen vier Jahren des Schreckens über die Nation gebracht hat, wird dadurch vor allem entsetzlich, daß die Fremden dabei nur die Zuschauer gewesen sind, unmittelbar alles Unheil durch Juden über Juden gekommen ist. Die gemäßigten Patrioten wurden von den Eiferern mit Hilfe des Aufgebotes der rohen und fanatischen Bewohner der idumäischen Dörfer bald (Ende 68) überwältigt und ihre Führer erschlagen. Die Eiferer herrschten seitdem, und es lösten sich alle Bande bürgerlicher, religiöser und sittlicher Ordnung. Den Sklaven wurde die Freiheit gewährt, die Hohenpriester durch das Los bestellt, die Ritualgesetze eben von diesen Fanatikern, deren Kastell der Tempel war, mit Füßen getreten und verhöhnt, die Gefangenen in den Kerkern niedergemacht und bei Todesstrafe untersagt, die Umgebrachten zu bestatten. Die verschiedenen Führer fochten mit ihren Sonderhaufen gegeneinander: Johannes von Giskala mit seiner aus Galiläa herangeführten Schar; Simon des Gioras Sohn aus Gerasa, der Führer einer in dem Süden gebildeten Patriotenschar und zugleich der gegen Johannes sich auflehnenden Idumäer; Eleazar Simons Sohn, einer der Vorkämpfer gegen Cestius Gallus. Der erste behauptete sich in der Tempelhalle, der zweite in der Stadt, der dritte im Allerheiligsten des Tempels, und täglich ward in den Straßen der Stadt zwischen Juden und Juden gefochten. Die Eintracht kam einzig durch den gemeinsamen Feind; als der Angriff begann, stellte sich Eleazars kleine Schar unter die Befehle des Johannes, und obwohl Johannes im Tempel, Simon in der Stadt fortfuhren, die Herren zu spielen, stritten sie, unter sich hadernd, Schulter an Schulter gegen die Römer. Die Aufgabe auch für die Angreifer war nicht leicht. Zwar genügte das Heer, das anstatt der nach Italien entsendeten Detachements bedeutenden Zuzug aus den ägyptischen und den syrischen Truppen erhalten hatte, für die Einschließung vollauf; und trotz der langen Frist, welche den Juden gewährt worden war, um sich auf die Belagerung vorzubereiten, waren die Vorräte unzureichend, um so mehr als ein Teil derselben in den Straßenkämpfen zugrunde gegangen war und, da die Belagerung um das Passahfest begann, zahlreiche deswegen nach Jerusalem gekommene Auswärtige mit eingeschlossen waren. Indes wenn auch die Masse der Bevölkerung bald Not litt, was die Wehrmannschaften brauchten, nahmen sie, wo sie es fanden, und wohl versehen wie sie waren, führten sie den Kampf ohne Rücksicht auf die hungernden und bald verhungernden Massen. Zu bloßer Blockade konnte der junge Feldherr sich nicht entschließen; eine mit vier Legionen in dieser Weise zu Ende geführte Belagerung brachte ihm persönlich keinen Ruhm, und auch das neue Regiment brauchte eine glänzende Waffentat. Die Stadt, sonst überall durch unzugängliche Felsenhänge verteidigt, war allein an der Nordseite angreifbar; auch hier war es keine leichte Arbeit, die dreifache aus den reichen Tempelschätzen ohne Rücksicht auf die Kosten hergestellte Wallmauer zu bezwingen und weiter innerhalb der Stadt die Burg, den Tempel und die gewaltigen drei Herodestürme einer starken, fanatisierten und verzweifelten Besatzung abzuringen. Johannes und Simon schlugen nicht bloß die Stürme entschlossen ab, sondern griffen oft die schanzenden Mannschaften mit gutem Erfolg an und zerstörten oder verbrannten die Belagerungsmaschinen. Aber die Überzahl und die Kriegskunst entschieden für die Römer. Die Mauern wurden erstürmt, darauf die Burg Antonia; sodann gingen nach langem Widerstand erst die Tempelhallen in Flammen auf und weiter am 10. Ab (August) der Tempel selbst mit allen darin seit sechs Jahrhunderten aufgehäuften Schätzen. Endlich wurde nach monatelangem Straßenkampf am 8. Elul (September) auch in der Stadt der letzte Widerstand gebrochen und das heilige Salem geschleift. Fünf Monate hatte die Blutarbeit gewährt. Das Schwert und der Pfeil und mehr noch der Hunger hatten zahllose Opfer gefordert; die Juden erschlugen jeden des Überlaufens auch nur Verdächtigen und zwangen Weiber und Kinder in der Stadt zu verhungern; ebenso erbarmungslos ließen auch die Römer die Gefangenen über die Klinge springen oder kreuzigten sie. Die übriggebliebenen Kämpfer und namentlich die beiden Führer wurden einzeln aus den Kloaken, in die sie sich gerettet hatten, hervorgezogen. Am Toten Meer, eben da wo einstmals König David und die Makkabäer in höchster Bedrängnis eine Zuflucht gefunden hatten, hielten sich die Reste der Insurgenten noch auf Jahre hinaus in den Felsenschlössern Machärus und Massada, bis endlich als die letzten der freien Juden Judas des Galiläers Enkel Eleazar und die Seinigen erst ihren Frauen und Kindern und dann sich selbst den Tod gaben. Das Werk war getan. Daß Kaiser Vespasianus, ein tüchtiger Soldat, es nicht verschmäht hat wegen eines solchen unvermeidlichen Erfolges über ein kleines längst untertäniges Volk als Sieger auf das Kapitol zu ziehen und daß der aus dem Allerheiligsten des Tempels heimgebrachte siebenarmige Kandelaber auf dem Ehrenbogen, den der Reichssenat dem Titus auf dem Markte der Kampfstadt errichtete, noch heute zu schauen ist, gibt keine hohe Vorstellung von dem kriegerischen Sinn dieser Zeit. Freilich ersetzte der tiefe Widerwille, den die Okzidentalen gegen das Judenvolk hegten, einigermaßen was der kriegerischen Glorie mangelte, und wenn den Kaisern der Judenname zu schlecht war, um ihn so sich beizulegen wie die der Germanen und der Partner, so hielten sie es nicht unter ihrer Würde, dem Pöbel der Hauptstadt die Siegesschadenfreude dieses Triumphes zu bereiten.

Dem Werk des Schwertes folgte die politische Wendung. Die von den früheren hellenistischen Staaten eingehaltene und von den Römern übernommene, in der Tat über die bloße Toleranz gegen fremde Art und fremden Glauben weit hinausgehende Politik, die Judenschaft insgemein als nationale und religiöse Samtgemeinschaft anzuerkennen, war unmöglich geworden. Zu deutlich waren in der jüdischen Insurrektion die Gefahren zutage getreten, welche diese national-religiöse, einerseits streng konzentrierte, andererseits über den ganzen Osten sich verbreitende und selbst in den Westen verzweigte Vergesellschaftung in sich trug. Der zentrale Kultus wurde demzufolge ein für allemal beseitigt. Dieser Entschluß der Regierung steht zweifellos fest und hat nichts gemein mit der nicht mit Sicherheit zu beantwortenden Frage, ob die Zerstörung des Tempels absichtlich oder zufällig erfolgt ist; wenn auf der einen Seite die Unterdrückung des Kultus nur die Schließung des Tempels erforderte und das prächtige Bauwerk verschont werden konnte, so hätte andererseits, wäre der Tempel zufällig zugrunde gegangen, der Kultus auch in einem wieder erbauten fortgeführt werden können. Freilich wird es immer wahrscheinlich bleiben, daß hier nicht der Zufall des Krieges gewaltet hat, sondern für die veränderte Politik der römischen Regierung gegenüber dem Judentum die Flammen des Tempels das Programm waren. Deutlicher noch als in den Vorgängen in Jerusalem zeichnet sich dieselbe in der gleichzeitig auf Anordnung Vespasians erfolgten Schließung des Zentralheiligtums der ägyptischen Judenschaft, des Oniastempels unweit Memphis im heliupolitanischen Distrikt, welcher seit Jahrhunderten neben dem von Jerusalem stand etwa wie neben dem Alten Testament die Übersetzung durch die alexandrinischen Siebzig; auch er wurde seiner Weihgeschenke entkleidet und die Gottesverehrung in demselben untersagt.

In weiterer Ausführung der neuen Ordnung der Dinge verschwanden das Hohepriestertum und das Synhedrion von Jerusalem und verlor damit die Judenschaft des Reiches ihr äußerliches Oberhaupt und ihre bis dahin in religiösen Fragen allgemein kompetente Oberbehörde. Die bisher wenigstens tolerierte Jahressteuer eines jeden Juden ohne Unterschied des Wohnortes an den Tempel fiel allerdings nicht weg, wurde aber mit bitterer Parodie auf den kapitolinischen Jupiter und dessen Vertreter auf Erden, den römischen Kaiser, übertragen. Bei der Beschaffenheit der jüdischen Einrichtungen schloß die Unterdrückung des zentralen Kultus die Auflösung der Gemeinde Jerusalem in sich. Die Stadt ward nicht bloß zerstört und niedergebrannt, sondern blieb auch in Trümmern liegen, wie einst Karthago und Korinth; ihre Feldmark, Gemeinde- wie Privatland, wurde kaiserliche Domäne. Was von der Bürgerschaft der volkreichen Stadt dem Hunger oder dem Schwert entgangen war, kam unter den Hammer des Sklavenmarktes. In den Trümmern der zerstörten Stadt schlug die Legion ihr Lager auf, welche mit ihren spanischen und thrakischen Auxilien fortan im jüdischen Lande garnisonieren sollte. Die bisherigen in Palästina selbst rekrutierten Provinzialtruppen wurden anderswohin verlegt. In Emmaus, in der nächsten Nähe von Jerusalem, wurde eine Anzahl römischer Veteranen angesiedelt, Stadtrecht aber auch dieser Ortschaft nicht verliehen. Dagegen wurde das alte Sichem, der religiöse Mittelpunkt der samaritanischen Gemeinde, vielleicht schon seit Alexander dem Großen eine griechische Stadt, jetzt in den Formen der hellenischen Politie unter dem Namen Flavia Neapolis reorganisiert. Die Landeshauptstadt Cäsarea, bis dahin griechische Stadtgemeinde, erhielt als »erste flavische Kolonie« römische Ordnung und lateinische Geschäftssprache. Es waren dies Ansätze zur okzidentalischen Munizipalisierung des jüdischen Landes. Nichtsdestoweniger blieb das eigentliche Judäa, wenn auch entvölkert und verarmt, nach wie vor jüdisch; wessen die Regierung sich zu dem Lande versah, zeigt schon die durchaus anormale dauernde militärische Belegung, die, da Judäa nicht an der Reichsgrenze lag, nur zur Niederhaltung der Einwohner bestimmt gewesen sein kann.

Auch die Herodeer überdauerten nicht lange den Untergang Jerusalems. König Agrippa II., der Herr von Cäsarea Paneas und von Tiberias, hatte den Römern in dem Krieg gegen seine Landsleute getreue Heerfolge geleistet und selbst aus demselben wenigstens militärisch ehrenvolle Narben aufzuweisen; überdies hielt seine Schwester Berenike, eine Kleopatra im kleinen, mit dem Rest ihrer viel in Anspruch genommenen Reize das Herz des Bezwingers von Jerusalem gefangen. So blieb er persönlich im Besitz der Herrschaft; aber nach seinem Tode, etwa dreißig Jahre später, ging auch diese letzte Erinnerung an den jüdischen Staat in die römische Provinz Syrien auf.

In der Ausübung ihrer Religionsgebräuche wurden den Juden weder in Palästina noch anderswo Hindernisse in den Weg gelegt. Selbst ihren religiösen Unterricht und die daran sich anknüpfenden Versammlungen ihrer Gesetzlehrer und Gesetzkundigen ließ man in Palästina wenigstens gewähren und hinderte nicht, daß diese Rabbinervereinigungen versuchten, sich einigermaßen an die Stelle des ehemaligen Synhedrion von Jerusalem zu setzen und in den Anfängen des Talmud ihre Lehre und ihre Gesetze zu fixieren. Obwohl einzelne nach Ägypten und Kyrene geflüchtete Teilnehmer an dem jüdischen Aufstand dort Unruhen hervorriefen, wurden die Judenschaften außerhalb Palästina, so viel wir sehen, in ihrer bisherigen Stellung belassen. Gegen die Judenhetze, welche eben um die Zeit der Zerstörung Jerusalems in Antiocheia dadurch hervorgerufen ward, daß die dortigen Juden von einem ihrer abgefallenen Glaubensgenossen öffentlich der Absicht geziehen worden waren, die Stadt anzuzünden, schritt der Vertreter des Statthalters von Syrien energisch ein und gestattete nicht, wie es im Werke war, daß man die Juden nötigte, den Landesgöttern zu opfern und den Sabbat nicht zu halten. Titus selbst, als er nach Antiocheia kam, wies die dortigen Führer der Bewegung mit ihrer Bitte die Juden auszuweisen oder mindestens ihre Privilegien zu kassieren, auf das bestimmteste ab. Man scheute davor zurück, dem jüdischen Glauben als solchem den Krieg zu erklären und die weitverzweigte Diaspora auf das äußerste zu treiben; es war genug, daß das Judentum in seiner politischen Repräsentation aus dem Staatswesen getilgt war.

Die Wendung in der seit Alexander gegen das Judentum eingehaltenen Politik lief im wesentlichen darauf hinaus, dieser religiösen Gemeinschaft die einheitliche Leitung und die äußerliche Geschlossenheit zu entziehen und ihren Leitern eine Macht aus der Hand zu winden, welche sich nicht bloß über das Heimatland der Juden, sondern über die Judenschaften insgemein innerhalb und außerhalb des römischen Reiches erstreckte und allerdings im Orient dem einheitlichen Reichsregiment Eintrag tat. Die Lagiden wie die Seleukiden und nicht minder die römischen Kaiser der julisch-claudischen Dynastie hatten sich dies gefallen lassen; aber die unmittelbare Herrschaft der Okzidentalen über Judäa hatte den Gegensatz der Reichs- und dieser Priestergewalt in dem Grade verschärft, daß die Katastrophe mit unausbleiblicher Notwendigkeit eintrat und ihre Konsequenzen zog. Vom politischen Standpunkt aus kann wohl die Schonungslosigkeit der Kriegführung getadelt werden, welche übrigens diesem Krieg ziemlich mit allen ähnlichen der römischen Geschichte gemein ist, aber schwerlich die infolge desselben verfügte religiös-politische Auflösung der Nation. Wenn den Institutionen, welche zur Bildung einer Partei, wie die der Zeloten war, geführt hatten und mit einer gewissen Notwendigkeit führen mußten, die Axt an die Wurzel gelegt ward, so geschah nur was richtig und notwendig war, wie schwer und individuell ungerecht auch der einzelne davon getroffen werden mochte. Vespasianus, der die Entscheidung gab, war ein verständiger und maßhaltender Regent. Es handelte sich nicht um eine Glaubens-, sondern um eine Machtfrage; der jüdische Kirchenstaat als Haupt der Diaspora vertrug sich nicht mit der Unbedingtheit des weltlichen Großstaates. Von der allgemeinen Norm der Toleranz hat die Regierung sich auch in diesem Fall nicht entfernt, nicht gegen das Judentum, sondern gegen den Hohenpriester und das Synhedrion den Krieg geführt.

Ganz hat auch die Tempelzerstörung diesen ihren Zweck nicht verfehlt. Es gab nicht wenige Juden und noch mehr Judengenossen, namentlich in der Diaspora, welche mehr an dem jüdischen Sittengesetz und an dem jüdischen Monotheismus hielten als an der streng nationalen Glaubensform; die ganze ansehnliche Sekte der Christen hatte sich innerlich vom Judentum gelöst und stand zum Teil in offener Opposition zu dem jüdischen Ritus. Für diese war der Fall Jerusalems keineswegs das Ende der Dinge, und innerhalb dieser ausgedehnten und einflußreichen Kreise erreichte die Regierung einigermaßen, was sie mit der Auflösung der Zentralstelle der jüdischen Gottesverehrung beabsichtigte. Die Scheidung des den Nationen gemeinen Christenglaubens von dem national-jüdischen, der Sieg der Anhänger des Paulus über diejenigen des Petrus wurde durch den Wegfall des jüdischen Zentralkults wesentlich gefördert.

Aber bei den Juden von Palästina, da, wo man zwar nicht hebräisch, aber doch aramäisch sprach, und bei dem Teil der Diaspora, der fest an Jerusalem hing, wurde durch die Zerstörung des Tempels der Riß zwischen dem Judentum und der übrigen Welt vertieft. Die national-religiöse Geschlossenheit, die die Regierung beseitigen wollte, wurde in diesem verengten Kreis durch den gewaltsamen Versuch sie zu zerschlagen vielmehr neu gefestigt und zunächst zu weiteren verzweifelten Kämpfen getrieben.

Nicht volle fünfzig Jahre nach der Zerstörung Jerusalems, im J. 116, erhob sich die Judenschaft am östlichen Mittelmeer gegen die Reichsregierung. Der Aufstand, obwohl von der Diaspora unternommen, war rein nationaler Art, in seinen Hauptsitzen Kyrene, Kypros, Ägypten, gerichtet auf die Austreibung der Römer wie der Hellenen und, wie es scheint, die Begründung eines jüdischen Sonderstaates. Er verzweigte sich bis in das asiatische Gebiet und ergriff Mesopotamien und Palästina selbst. Wo die Aufständischen siegreich waren, führten sie den Krieg mit derselben Erbitterung wie die Sicarier in Jerusalem; sie erschlugen, wen sie ergriffen – der Geschichtsschreiber Appian, ein geborener Alexandriner, erzählt, wie er vor ihnen um sein Leben laufend mit genauer Not nach Pelusion entkam – und oftmals töteten sie die Gefangenen unter qualvollen Martern oder zwangen sie, gleich wie einst Titus die in Jerusalem gefangenen Juden, als Fechter im Kampfspiel zur Augenweide der Sieger zu fallen. In Kyrene sollen also 220 000, auf Kypros gar 240 000 Menschen von ihnen umgebracht worden sein. Andererseits erschlugen in Alexandreia, das selbst nicht in die Hände der Juden gefallen zu sein scheint, die belagerten Hellenen was von Juden damals in der Stadt war. Die nächste Ursache der Erhebung ist nicht klar. Das Blut der Zeloten, die nach Alexandreia und Kyrene sich geflüchtet und dort ihre Glaubenstreue mit dem Tode unter dem römischen Henkerbeil besiegelt hatten, mag nicht umsonst geflossen sein; der parthische Krieg, währenddessen der Aufstand begann, hat ihn insofern gefördert, als die in Ägypten stehenden Truppen wahrscheinlich auf den Kriegsschauplatz berufen wurden. Allem Anschein nach war es ein Ausbruch der seit der Tempelzerstörung gleich dem Vulkan im Verborgenen glühenden und in unberechenbarer Weise in Flammen aufschlagenden religiösen Erbitterung der Judenschaft, von der Art, wie der Orient sie zu allen Zeiten erzeugt hat und erzeugt; wenn wirklich die Insurgenten einen Juden zum König ausriefen, so hat diese Erhebung sicher, wie die in der Heimat, in der großen Masse der geringen Leute ihren Herd gehabt. Daß diese Judenerhebung zum Teil zusammenfiel mit dem früher erzählten Befreiungsversuch der kurz vorher von Kaiser Traianus unterworfenen Völkerschaften, während dieser im fernen Osten an der Euphratmündung stand, gab ihr sogar eine politische Bedeutung; wenn die Erfolge dieses Herrschers ihm am Schluß seiner Laufbahn unter den Händen zerrannen, so hat die jüdische Insurrektion namentlich in Palästina und Mesopotamien dazu das ihrige beigetragen. Um den Aufstand niederzuschlagen, mußten überall die Truppen marschieren; gegen den »König« der kyrenäischen Juden Andreas oder Lukuas und die Insurgenten in Ägypten sandte Traianus den Quintus Marcius Turbo mit Heer und Flotte, gegen die Aufständischen in Mesopotamien, wie schon gesagt ward, den Lusius Quietus, zwei seiner erprobtesten Feldherren. Den geschlossenen Truppen Widerstand zu leisten, vermochten die Aufständischen nirgends, wenngleich der Kampf in Afrika wie in Palästina sich bis in die erste Zeit Hadrians fortspann, und es ergingen über diese Diaspora ähnliche Strafgerichte wie früher über die Juden Palästinas. Daß Traianus die Juden in Alexandreia vernichtet hat, wie Appian sagt, ist schwerlich ein unrichtiger, wenn auch vielleicht ein allzu schroffer Ausdruck dessen, was dort geschah; für Kypros ist es bezeugt, daß seitdem kein Jude die Insel auch nur betreten durfte und selbst den schiffbrüchigen Israeliten dort der Tod erwartete. Wäre über diese Katastrophe unsere Überlieferung so ausgiebig wie über die jerusalemische, so würde sie wohl als deren Fortsetzung und Vollendung erscheinen, und gewissermaßen auch als ihre Erklärung; dieser Aufstand zeigt das Verhältnis der Diaspora zu dem Heimatland und den Staat im Staate, zu dem das Judentum sich entwickelt hatte.

Zu Ende war auch mit dieser zweiten Niederwerfung die Auflehnung des Judentums gegen die Reichsgewalt nicht. Man kann nicht sagen, daß diese dasselbe weiter provoziert hat; gewöhnliche Verwaltungsakte, wie sie im ganzen Reiche unweigerlich hingenommen wurden, trafen die Hebräer da, wo die volle Widerstandskraft des nationalen Glaubens ihren Sitz hatte, und riefen dadurch, wahrscheinlich zur Überraschung der Regierenden selbst, eine Insurrektion hervor, die in der Tat ein Krieg war. Wenn Kaiser Hadrianus, als seine Rundreise durch das Reich ihn auch nach Palästina führte, im J. 130 die zerstörte heilige Stadt der Juden als römische Kolonie wieder aufzurichten beschloß, tat er sicher diesen nicht die Ehre an, sie zu fürchten, und dachte nicht an religiös-politische Propaganda, sondern er verfügte für dies Legionslager, was kurz vorher oder bald nachher auch am Rhein, an der Donau, in Afrika geschah, die Verknüpfung desselben mit einer zunächst aus den Veteranen sich rekrutierenden Stadtgemeinde, welche ihren Namen Aelia Capitolina teils von ihrem Stifter, teils von dem Gott empfing, welchem damals statt des Jehova die Juden zinsten. Ähnlich verhält es sich mit dem Verbot der Beschneidung: es erging, wie später bemerkt werden wird, wahrscheinlich gar nicht in der Absicht, damit dem Judentum als solchem den Krieg zu machen. Begreiflicherweise fragten die Juden nicht nach den Motiven jener Stadtgründung und dieses Verbots, sondern empfanden beides als einen Angriff auf ihren Glauben und ihr Volkstum und antworteten darauf mit einem Aufstand, der, anfangs von den Römern vernachlässigt, dann durch Intensität und Dauer in der Geschichte der römischen Kaiserzeit seinesgleichen nicht hat. Die gesamte Judenschaft des In- und des Auslandes geriet in Bewegung und unterstützte mehr oder minder offen die Insurgenten am Jordan; sogar Jerusalem fiel ihnen in die Hände, und der Statthalter Syriens, ja Kaiser Hadrianus selbst erschienen auf dem Kampfplatz. Den Krieg leiteten, bezeichnend genug, der Priester Eleazar und der Räuberhauptmann Simon, zugenannt Bar-Kokheba, das ist der Sternensohn, als der Bringer himmlischer Hilfe, vielleicht als Messias. Von der finanziellen Macht und der Organisation der Insurgenten zeugen die durch mehrere Jahre auf den Namen dieser beiden geschlagenen Silber- und Kupfermünzen. Nachdem eine genügende Truppenzahl zusammengezogen war, gewann der erprobte Feldherr Sextus Julius Severus die Oberhand, aber nur in allmählichem und langsamem Vorschreiten; ganz wie in dem vespasianischen Krieg kam es zu keiner Feldschlacht, aber ein Platz nach dem andern kostete Zeit und Blut, bis endlich nach dreijähriger Kriegführung die letzte Burg der Insurgenten, das feste Bether unweit Jerusalem, von den Römern erstürmt ward. Die in guten Berichten überlieferten Zahlen von 50 genommenen Festungen, 985 besetzten Dörfern, 580 000 Gefallenen sind nicht unglaublich, da der Krieg mit unerbittlicher Grausamkeit geführt und die männliche Bevölkerung wohl überall niedergemacht ward.

Infolge dieses Aufstandes ward selbst der Name des besiegten Volkes beseitigt: die Provinz hieß fortan nicht mehr, wie früher, Judäa, sondern mit dem alten herodotischen Namen das Syrien der Philistäer oder Syria Palästina. Das Land blieb verödet; die neue Hadriansstadt bestand, aber gedieh nicht. Den Juden wurde bei Todesstrafe untersagt, Jerusalem auch nur zu betreten, die Besatzung verdoppelt; das beschränkte Gebiet zwischen Ägypten und Syrien, zu dem von dem transjordanischen nur ein kleiner Streifen am Toten Meer gehörte und das nirgends die Reichsgrenze berührte, war seitdem mit zwei Legionen belegt. Trotz aller dieser Gewaltmaßregeln blieb die Landschaft unruhig, zunächst wohl infolge des mit der Nationalsache längst verflochtenen Räuberwesens; Pius ließ gegen die Juden marschieren und auch unter Severus ist die Rede von einem Krieg gegen Juden und Samariter. Aber zu größeren Bewegungen unter den Juden ist es nach dem hadrianischen Krieg nicht wieder gekommen.

Es muß anerkannt werden, daß diese wiederholten Ausbrüche des in den Gemütern der Juden gärenden Grolles gegen die gesamte nichtjüdische Mitbürgerschaft die allgemeine Politik der Regierung nicht änderten. Wie Vespasian so hielten auch die folgenden Kaiser den Juden gegenüber nicht bloß im wesentlichen den allgemeinen Standpunkt der politischen und religiösen Toleranz fest, sondern die für die Juden erlassenen Ausnahmegesetze waren und blieben hauptsächlich darauf gerichtet, sie von denjenigen allgemeinen Bürgerpflichten, welche mit ihrer Sitte und ihrem Glauben sich nicht vertrugen, zu entbinden und werden darum auch geradezu als Privilegien bezeichnet.

Rechtlich scheint seit Claudius Zeit, dessen Unterdrückung des jüdischen Kultus in Italien wenigstens die letzte derartige Maßregel ist, von der wir wissen, den Juden der Aufenthalt und die freie Religionsübung in dem gesamten Reich zugestanden zu haben. Es wäre kein Wunder gewesen, wenn jene Aufstände in den afrikanischen und syrischen Landschaften zur Austreibung der dort ansässigen Juden überhaupt geführt hätten; aber dergleichen Beschränkungen sind, wie wir sahen, nur lokal, zum Beispiel für Kypros, verfügt worden. Der Hauptsitz der Juden blieben immer die griechischen Provinzen; auch in der einigermaßen zweisprachigen Hauptstadt, deren zahlreiche Judenschaft eine Reihe von Synagogen umfaßte, bildete diese einen Teil der griechischen Bevölkerung Roms. Ihre Grabschriften in Rom sind ausschließlich griechisch; in der aus dieser Judenschaft entwickelten römischen Christengemeinde ist das Taufbekenntnis bis in späte Zeit hinab griechisch gesprochen worden und die ersten drei Jahrhunderte hindurch die Schriftstellerei ausschließlich griechisch gewesen. Aber restriktive Maßregeln gegen die Juden scheinen auch in den lateinischen Provinzen nicht getroffen worden zu sein; durch und mit dem Hellenismus ist das jüdische Wesen in den Okzident eingedrungen, und es fanden auch in diesem sich Judengemeinden, obwohl sie an Zahl und Bedeutung selbst jetzt noch, wo die gegen die Diaspora gerichteten Schläge die Judengemeinden des Ostens schwer beschädigt hatten, weit hinter diesen zurückstanden.

Politische Privilegien folgten aus der Tolerierung des Kultus an sich nicht. An der Anlegung ihrer Synagogen und Proseuchen wurden die Juden nicht gehindert, ebensowenig an der Bestellung eines Vorstehers für dieselbe (αρχουναγωγοσ) sowie eines Kollegiums der Ältesten (αρχοντεσ) mit einem Oberältesten (γερουσιαρχησ), an der Spitze. Obrigkeitliche Befugnisse sollten mit diesen Stellungen nicht verknüpft sein; aber bei der Untrennbarkeit der jüdischen Kirchenordnung und der jüdischen Rechtspflege übten die Vorsteher, wie im Mittelalter die Bischöfe, wohl überall eine wenn auch nur faktische Jurisdiktion. Auch waren die Judenschaften der einzelnen Städte nicht allgemein als Körperschaften anerkannt, sicher zum Beispiel die römische nicht; doch bestanden an vielen Orten auf Grund lokaler Privilegien dergleichen korporative Verbände mit Ethnarchen oder, wie sie jetzt meistens heißen, Patriarchen an der Spitze. Ja in Palästina finden wir im Anfang des 3. Jahrhunderts wiederum einen Vorsteher der gesamten Judenschaft, der kraft erblichen Priesterrechts über seine Glaubensgenossen fast wie ein Herrscher schaltet und selbst über Leib und Leben Gewalt hat, und welchen die Regierung wenigstens toleriert. Ohne Frage war dieser Patriarch für die Juden der alte Hohepriester, und es hatte also unter den Augen und unter dem Druck der Fremdherrschaft das hartnäckige Volk Gottes sich abermals rekonstituiert und insoweit Vespasians Werk zuschanden gemacht.

In betreff der Heranziehung der Juden zu den öffentlichen Leistungen war die Befreiung vom Kriegsdienst als unvereinbar mit ihren religiösen Grundsätzen längst anerkannt und blieb es. Die besondere Kopfsteuer, welcher sie unterlagen, die alte Tempelabgabe, konnte als Kompensation für diese Befreiung angesehen werden, wenn sie auch nicht in diesem Sinn auferlegt worden war. Für andere Leistungen, wie zum Beispiel für Übernahme von Vormundschaften und Gemeindeämtern, werden sie wenigstens seit Severus Zeit im allgemeinen als fähig und pflichtig betrachtet, diejenigen aber, welche ihrem »Aberglauben« zuwiderlaufen, ihnen erlassen; wobei in Betracht kommt, daß der Ausschluß von den Gemeindeämtern mehr und mehr aus einer Zurücksetzung zu einem Privilegium ward. Selbst bei Staatsämtern mag in späterer Zeit ähnlich verfahren worden sein.

Der einzige ernstliche Eingriff der Staatsgewalt in die jüdischen Gebräuche betrifft die Zeremonie der Beschneidung; indes ist gegen diese wahrscheinlich nicht vom religiös-politischen Standpunkt aus eingeschritten worden, sondern es sind diese Maßnahmen mit dem Verbot der Kastrierung verknüpft gewesen und zum Teil wohl aus Mißverständnis der jüdischen Weise hervorgegangen. Die immer mehr um sich greifende Unsitte der Verstümmelung zog zuerst Domitian in den Kreis der strafbaren Verbrechen; als Hadrian, die Vorschrift schärfend, die Kastrierung unter das Mordgesetz stellte, scheint auch die Beschneidung als Kastrierung aufgefaßt worden zu sein, was allerdings von den Juden als ein Angriff auf ihre Existenz empfunden werden mußte und empfunden ward, obwohl dies vielleicht nicht damit beabsichtigt war. Bald nachher, wahrscheinlich infolge des dadurch mit veranlaßten Aufstandes, gestattete Pius die Beschneidung für Kinder jüdischer Herkunft, während übrigens selbst die des unfreien Nichtjuden und des Proselyten nach wie vor für alle dabei Beteiligten die Strafe der Kastration nach sich ziehen sollte. Dies war insofern auch von politischer Wichtigkeit, als dadurch der förmliche Übertritt zum Judentum ein strafbares Verbrechen wurde; und wahrscheinlich ist das Verbot eben in diesem Sinne nicht erlassen, aber aufrechterhalten worden. Zu dem schroffen Abschließen der Judenschaft gegen die Nichtjuden wird dasselbe das seinige beigetragen haben.

Blicken wir zurück auf die Geschicke des Judentums in der Epoche von Augustus bis auf Diocletian, so erkennen wir eine durchgreifende Umgestaltung seines Wesens wie seiner Stellung. Dasselbe tritt in diese Epoche ein als eine um das beschränkte Heimatland festgeschlossene nationale und religiöse Macht, welche selbst dem Reichsregiment in und außerhalb Judäa mit der Waffe in der Hand sich entgegenstellt und auf dem Gebiet des Glaubens eine gewaltige propagandistische Macht entwickelt. Man kann es verstehen, daß die römische Regierung die Verehrung des Jahve und den Glauben des Moses nicht anders dulden wollte, als wie auch der Kultus des Mithra und der Glaube des Zoroaster Duldung fand. Die Reaktion gegen dies geschlossene und auf sich selbst stehende Judentum waren die von Vespasian und Hadrian gegen das jüdische Land, von Traianus gegen die Juden der Diaspora geführten zerschmetternden Schläge, deren Wirkung weit hinausreicht über die unmittelbare Zerstörung der bestehenden Gemeinschaft und die Herabdrückung des Ansehens und der Macht der Judenschaft. In der Tat sind das spätere Christentum wie das spätere Judentum die Konsequenzen dieser Reaktion des Westens gegen den Osten. Die große propagandistische Bewegung, welche die tiefere religiöse Anschauung vom Osten in den Westen trug, ward auf diese Weise, wie schon gesagt ward, aus den engen Schranken der jüdischen Nationalität befreit; wenn sie die Anlehnung an Moses und die Propheten keineswegs aufgab, löste sie sich doch notwendig von dem in Scherben gegangenen Regiment der Pharisäer. Die christlichen Zukunftsideale wurden universell, seit es ein Jerusalem auf Erden nicht mehr gab. Aber wie der erweiterte und vertiefte neue Glaube, der mit seinem Wesen auch den Namen wechselte, aus diesen Katastrophen hervorging, so nicht minder die verengte und verstockte Altgläubigkeit, die sich, wenn nicht mehr in Jerusalem, so in dem Haß gegen diejenigen zusammenfand, die dasselbe zerstört hatten und mehr noch in dem gegen die freiere und höhere aus dem Judentum das Christentum entwickelnde geistige Bewegung. Die äußere Macht der Judenschaft war gebrochen und Erhebungen, wie sie in der mittleren Kaiserzeit stattgefunden haben, begegnen späterhin nicht wieder; mit dem Staat im Staate waren die römischen Kaiser fertig geworden, und indem das eigentlich gefährliche Moment, die propagandistische Ausbreitung auf das Christentum überging, waren die Bekenner des alten Glaubens, die dem neuen Bunde sich verschlossen, für die weitere allgemeine Entwicklung beseitigt. Aber wenn die Legionen Jerusalem zerstören konnten, das Judentum selbst konnten sie nicht schleifen; und was nach der einen Seite Heilmittel war, übte nach der andern die Wirkung des Giftes. Das Judentum blieb nicht bloß, sondern es ward auch ein anderes. Es liegt eine tiefe Kluft zwischen dem Judentum der älteren Zeit, das für seinen Glauben Propaganda macht, dessen Tempelvorhof die Heiden erfüllen, dessen Priester täglich für Kaiser Augustus opfern, und dem starren Rabbinismus, der außer Abrahams Schoß und dem mosaischen Gesetz von der Welt nichts weiß noch wissen will. Fremde waren die Juden immer gewesen und hatten es sein wollen; aber das Gefühl der Entfremdung steigerte sich jetzt in ihnen selbst wie gegen sie in entsetzlicher Weise, und schroff zog man nach beiden Seiten hin dessen gehässige und schädliche Konsequenzen. Von dem geringschätzigen Spott des Horatius gegen den aufdringlichen Juden aus dem römischen Ghetto ist ein weiter Schritt zu dem feierlichen Groll, welchen Tacitus hegt gegen diesen Abschaum des Menschengeschlechts, dem alles Reine unrein und alles Unreine rein ist; dazwischen liegen jene Aufstände des verachteten Volkes und die Notwendigkeit dasselbe zu besiegen und für seine Niederhaltung fortwährend Geld und Menschen aufzuwenden. Die in den kaiserlichen Verordnungen stets wiederkehrenden Verbote der Mißhandlung des Juden zeigen, daß jene Worte der Gebildeten, wie billig, von den Niederen in Taten übersetzt worden. Die Juden ihrerseits machten es nicht besser. Sie wendeten sich ab von der hellenischen Literatur, die jetzt als befleckend galt, und lehnten sogar sich auf gegen den Gebrauch der griechischen Bibelübersetzung; die immer steigende Glaubensreinigung wandte sich nicht bloß gegen die Griechen und die Römer, sondern ebensosehr gegen die »halben Juden« von Samaria und gegen die christlichen Ketzer; die Buchstabengläubigkeit gegenüber den heiligen Schriften stieg bis in die schwindelnde Höhe der Absurdität, und vor allem stellte ein womöglich noch heiligeres Herkommen sich fest, in dessen Fesseln alles Leben und Denken erstarrte. Die Kluft zwischen jener Schrift vom Erhabenen, die den Land und Meer erschütternden Poseidon Homers und den die leuchtende Sonne erschaffenden Jehovah nebeneinander zu stellen wagt, und den Anfängen des Talmud, welche dieser Epoche angehören, bezeichnet den Gegensatz zwischen dem Judentum des 1. und dem des 3. Jahrhunderts. Das Zusammenleben der Juden und Nichtjuden erwies sich mehr und mehr als ebenso unvermeidlich wie unter den gegebenen Verhältnissen unerträglich; der Gegensatz in Glaube, Recht und Sitte verschärfte sich, und die gegenseitige Hoffart wie der gegenseitige Haß wirkten nach beiden Seiten hin sittlich zerrüttend. Die Ausgleichung wurde in diesen Jahrhunderten nicht bloß nicht gefördert, sondern ihre Verwirklichung immer weiter in die Ferne gerückt, je mehr ihre Notwendigkeit sich herausstellte. Diese Erbitterung, diese Hoffart, diese Verachtung, wie sie damals sich festsetzten, sind freilich nur das unvermeidliche Aufgehen einer vielleicht nicht minder unvermeidlichen Saat; aber die Erbschaft dieser Zeiten lastet auf der Menschheit noch heute.

Kapitel XII


Ägypten

Kapitel XII

Die beiden Reiche von Ägypten und Syrien, die so lange in jeder Hinsicht miteinander gerungen und rivalisiert hatten, fielen ungefähr um die gleiche Zeit widerstandslos in die Gewalt der Römer. Wenn dieselben auch von dem angeblichen oder wirklichen Testament Alexanders II. † 673 [81 v. Chr.]) keinen Gebrauch machten und das Land damals nicht einzogen, so standen doch die letzten Herrscher des Lagidenhauses anerkanntermaßen in römischer Klientel; bei Thronstreitigkeiten entschied der Senat, und seit der römische Statthalter von Syrien, Aulus Gabinius, den König Ptolemäos Auletes mit seinen Truppen nach Ägypten zurückgeführt hatte (699 [55 v. Chr.]), haben die römischen Legionen das Land nicht wieder verlassen. Wie die übrigen Klientelkönige nahmen auch die Herrscher Ägyptens an den Bürgerkriegen auf Mahnung der von ihnen anerkannten oder ihnen mehr imponierenden Regierung Teil; und wenn es unentschieden bleiben muß, welche Rolle Antonius in dem phantastischen Ostreich seiner Träume dem Heimatland des allzusehr von ihm geliebten Weibes zugedacht hat, so gehört doch Antonius Regiment in Alexandreia sowohl wie der letzte Kampf in dem letzten Bürgerkrieg vor den Toren dieser Stadt ebensowenig zu der Spezialgeschichte Ägyptens wie die Schlacht von Aktion zu der von Epirus. Wohl aber gab diese Katastrophe und der damit verknüpfte Tod der letzten Fürstin der Lagidendynastie den Anlaß dazu, daß Augustus den erledigten Thron nicht wieder besetzte, sondern das Königreich Ägypten in eigene Verwaltung nahm. Diese Einziehung des letzten Stückes der Küste des Mittelmeeres in die unmittelbare römische Administration und der zeitlich und pragmatisch damit zusammenfallende Abschluß der neuen Monarchie bezeichnen dieser für die Verfassung, jene für die Verwaltung des ungeheuren Reiches den Wendepunkt, das Ende der alten und den Anfang einer neuen Epoche.

Die Einverleibung Ägyptens in das römische Reich vollzog sich insofern in abweichender Weise, als das sonst den Staat beherrschende Prinzip der Dyarchie, das heißt des gemeinschaftlichen Regiments der beiden höchsten Reichsgewalten, des Prinzeps und des Senats, von einigen untergeordneten Bezirken abgesehen, allein auf Ägypten keine Anwendung fand, sondern in diesem Lande dem Senat als solchem sowie jedem einzelnen seiner Mitglieder jede Beteiligung bei dem Regiment abgeschnitten, ja sogar den Senatoren und den Personen senatorischen Ranges das Betreten dieser Provinz untersagt ward. Man darf dies nicht etwa in der Art auffassen, als wäre Ägypten mit dem übrigen Reich nur durch eine Personalunion verknüpft; der Prinzeps ist nach dem Sinn und Geist der augustischen Ordnung ein integrierendes und dauernd funktionierendes Element des römischen Staatswesens ebenso wie der Senat, und seine Herrschaft über Ägypten geradeso ein Teil der Reichsherrschaft wie die Herrschaft des Prokonsuls von Afrika. Eher mag man sich das staatsrechtliche Verhältnis in der Weise verdeutlichen, daß das britische Reich in derselben Verfassung sich befinden würde, wenn Ministerium und Parlament nur für das Mutterland in Betracht kämen, die Kolonien dagegen dem absoluten Regiment der Kaiserin von Indien zu gehorchen hätten. Welche Motive den neuen Monarchen dazu bestimmten, gleich im Beginn seiner Alleinherrschaft diese tief einschneidende und zu keiner Zeit angefochtene Einrichtung zu treffen und wie dieselbe in die allgemeinen politischen Verhältnisse eingegriffen hat, gehört der allgemeinen Geschichte des Reiches an; hier haben wir darzulegen, wie unter der Kaiserherrschaft die inneren Verhältnisse Ägyptens sich gestalteten.

Was im allgemeinen von allen hellenischen oder hellenisierten Gebieten gilt, daß die Römer, indem sie sie zum Reiche zogen, die einmal bestehenden Einrichtungen konservierten und nur, wo es schlechterdings notwendig erschien, Modifikationen eintreten ließen, das findet in vollem Umfang Anwendung auf Ägypten.

Wie Syrien so war Ägypten, als es römisch ward, ein Land zwiefacher Nationalität; auch hier stand neben und über dem Einheimischen der Grieche, jener der Knecht, dieser der Herr. Aber rechtlich und tatsächlich waren die Verhältnisse der beiden Nationen in Ägypten von denen Syriens völlig verschieden.

Syrien stand wesentlich schon in der vorrömischen und durchaus in der römischen Epoche nur mittelbar unter der Landesregierung; es zerfiel teils in Fürstentümer, teils in autonome Stadtbezirke und wurde zunächst von den Landesherren oder Gemeindebehörden verwaltet. In Ägypten dagegen gibt es weder Landesfürsten noch Reichsstädte nach griechischer Art. Die beiden Verwaltungskreise, in welche Ägypten zerfällt, das »Land« (ηχωρα), der Ägypter mit seinen ursprünglich sechsunddreißig Bezirken (νομοι) und die beiden griechischen Städte Alexandreia in Unterund Ptolemais in Oberägypten sind streng gesondert und scharf sich entgegengesetzt und doch eigentlich kaum verschieden. Der Land- wie der Stadtbezirk ist nicht bloß territorial abgegrenzt, sondern jener wie dieser auch Heimatbezirk; die Zugehörigkeit zu einem jeden ist unabhängig vom Wohnort und erblich. Der Ägypter aus dem chemmitischen Nomos gehört demselben mit den Seinigen ebenso an, wenn er seinen Wohnsitz in Alexandreia hat, wie der in Chemmis wohnende Alexandriner der Bürgerschaft von Alexandreia. Der Landbezirk hat zu seinem Mittelpunkt immer eine städtische Ansiedlung, der chemmitische zum Beispiel die um den Tempel des Chemmis oder des Pan erwachsene Stadt Panopolis, oder, wie dies in griechischer Auffassung ausgedrückt wird, es hat jeder Nomos seine Metropolis; insofern kann jeder Landbezirk auch als Stadtbezirk gelten. Wie die Städte sind auch die Nomen in der christlichen Epoche die Grundlage der episkopalen Sprengel geworden. Die Landbezirke ruhen auf den in Ägypten alles beherrschenden Kultusordnungen; Mittelpunkt für einen jeden ist das Heiligtum einer bestimmten Gottheit, und gewöhnlich führt er von dieser oder von dem heiligen Tier derselben den Namen; so heißt der chemmitische Bezirk nach dem Gott Chemmis oder nach griechischer Gleichung dem Pan, andere Bezirke nach dem Hund, dem Löwen, dem Krokodil. Aber auch umgekehrt fehlt den Stadtbezirken der religiöse Mittelpunkt nicht; Alexandreias Schutzgott ist Alexander, der Schutzgott von Ptolemais der erste Ptolemäos, und die Priester, die dort wie hier für diesen Kult und den ihrer Nachfolger eingesetzt sind, sind für beide Städte die Eponymen. Dem Landbezirk fehlt völlig die Autonomie: die Verwaltung, die Besteuerung, die Rechtspflege liegt in der Hand der königlichen Beamten, und die Kollegialität, das Palladium des griechischen wie des römischen Gemeinwesens, ist hier in allen Stufen schlechthin ausgeschlossen. Aber in den beiden griechischen Städten ist es auch nicht viel anders. Es gibt wohl eine in Phylen und Demen eingeteilte Bürgerschaft, aber keinen Gemeinderat; die Beamten sind wohl andere und anders benannte als die der Nomen, aber auch durchaus Beamte königlicher Ernennung und ebenfalls ohne kollegialische Einrichtung. Erst Hadrian hat einer ägyptischen Ortschaft, dem von ihm zum Andenken an seinen im Nil ertrunkenen Liebling angelegten Antinoupolis, Stadtrecht nach griechischer Art gegeben und späterhin Severus, vielleicht ebensosehr den Antiochenern zum Trutz als zu Nutz der Ägypter, der Hauptstadt Ägyptens und der Stadt Ptolemais und noch mehreren anderen ägyptischen Gemeinden zwar keine städtischen Magistrate, aber doch einen städtischen Rat bewilligt. Bis dahin nennt sich zwar im offiziellen Sprachgebrauch die ägyptische Stadt Nomos, die griechische Polis, aber eine Polis ohne Archonten und Buleuten ist ein inhaltloser Name. So ist es auch in der Prägung. Die ägyptischen Nomen haben das Prägerecht nicht gehabt; aber noch weniger hat Alexandreia jemals Münzen geschlagen. Ägypten ist unter allen Provinzen der griechischen Reichshälfte die einzige, welche keine andere Münze als Königsmünze kennt. Auch in römischer Zeit war dies nicht anders. Die Kaiser stellten die unter den letzten Lagiden eingerissenen Mißbräuche ab: Augustus beseitigte die unreelle Kupferprägung derselben, und als Tiberius die Silberprägung wieder aufnahm, gab er dem ägyptischen Silbergeld ebenso reellen Wert wie dem übrigen Provinzialkurant des Reiches. Aber der Charakter der Prägung blieb im wesentlichen der gleiche. Es ist ein Unterschied zwischen Nomos und Polis wie zwischen dem Gott Chemmis und dem Gott Alexander; in administrativer Hinsicht ist eine Verschiedenheit nicht da. Ägypten bestand aus einer Mehrzahl ägyptischer und einer Minderzahl griechischer Ortschaften, welche sämtlich der Autonomie entbehrten und sämtlich unter unmittelbarer und absoluter Verwaltung des Königs und der von diesem ernannten Beamten standen.

Es war hiervon eine Folge, daß Ägypten allein unter allen römischen Provinzen keine allgemeine Vertretung gehabt hat. Der Landtag ist die Gesamtrepräsentation der sich selber verwaltenden Gemeinden der Provinz. In Ägypten aber gab es solche nicht; die Nomen waren lediglich kaiserliche oder vielmehr königliche Verwaltungsbezirke, und Alexandreia stand nicht bloß so gut wie allein, sondern war ebenfalls ohne eigentliche munizipale Organisation. Der an der Spitze der Landeshauptstadt stehende Priester konnte wohl sich »Oberpriester von Alexandreia und ganz Ägypten« nennen und hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Asiarchen und dem Bithyniarchen Kleinasiens; aber die tiefe Verschiedenheit der Organisationen wird dadurch doch nur verdeckt.

Die Herrschaft trägt dementsprechend in Ägypten einen ganz anderen Charakter als in dem übrigen schließlich unter dem Kaiserregiment zusammengefaßten Gebiet der griechischen und der römischen Zivilisation. In diesem verwaltet durchgängig die Gemeinde; der Herrscher des Reiches ist genau genommen nur der gemeinsame Vorsteher der zahlreichen mehr oder minder autonomen Bürgerschaften, und neben den Vorzügen der Selbstverwaltung treten ihre Nachteile und Gefahren überall hervor. In Ägypten ist der Herrscher König, der Landesbewohner sein Untertan, die Verwaltung die der Domäne. Diese prinzipiell ebenso von oben herab absolut geführte wie auf das gleiche Wohlergehen aller Untertanen ohne Unterschied des Ranges und des Vermögens gerichtete Verwaltung ist die Eigenart des Lagidenregiments, entwickelt wahrscheinlich mehr aus der Hellenisierung der alten Pharaonenherrschaft als aus der städtisch geordneten Weltherrschaft, wie der große Makedonier sie gedacht hatte und wie sie am vollkommensten in dem syrischen Neumakedonien zur Durchführung gelangte. Das System forderte einen in eigener Person nicht bloß heerführenden, sondern in täglicher Arbeit verwaltenden König, eine entwickelte und streng disziplinierte Beamtenhierarchie, rücksichtslose Gerechtigkeit gegen Hohe und Niedere; und wie diese Herrscher, nicht durchaus ohne Grund, sich wohl den Namen des Wohltäters (εΰεργέσπς) beilegten, so darf die Monarchie der Lagiden zusammengestellt werden mit der friderizianischen, von der sie in den Grundzügen sich nicht entfernte. Allerdings hatte die Kehrseite, das unvermeidliche Zusammenbrechen des Systems in unfähiger Hand, auch Ägypten erfahren. Aber die Norm blieb; und der augustische Prinzipat neben der Senatsherrschaft ist nichts als die Vermählung des Lagidenregiments mit der alten städtischen und bündischen Entwicklung.

Eine weitere Folge dieser Regierungsform ist die namentlich vom finanziellen Standpunkt aus unzweifelhafte Überlegenheit der ägyptischen Verwaltung über diejenige der übrigen Provinzen. Man kann die vorrömische Epoche bezeichnen als das Ringen der finanziell dominierenden Macht Ägyptens mit dem räumlich den übrigen Osten erfüllenden asiatischen Reich; in der römischen setzt sich dies in gewissem Sinn darin fort, daß die kaiserlichen Finanzen insbesondere durch den ausschließlichen Besitz Ägyptens denen des Senats überlegen gegenüberstehen. Wenn es der Zweck des Staates ist, den möglichst großen Betrag aus dem Gebiet herauszuwirtschaften, so sind in der alten Welt die Lagiden die Meister der Staatskunst schlechthin gewesen. Insonderheit waren sie auf diesem Gebiet die Lehrmeister und die Vorbilder der Cäsaren. Wieviel die Römer aus Ägypten zogen, vermögen wir nicht mit Bestimmtheit zu sagen. In der persischen Zeit hatte Ägypten einen Jahrestribut von 700 babylonischen Talenten Silbers, etwa 4 Millionen Mark, entrichtet; die Jahreseinnahme der Ptolemäer aus Ägypten oder vielmehr aus ihren Besitzungen überhaupt betrug in ihrer glänzendsten Periode 14 800 ägyptische Silbertalente oder 57 Millionen Mark und außerdem 1 ½ Millionen Artaben = 591 000 Hektoliter Weizen; am Ende ihrer Herrschaft reichlich 6000 Talente oder 23 Millionen Mark. Die Römer bezogen aus Ägypten jährlich den dritten Teil des für den Konsum von Rom erforderlichen Korns, 20 Millionen römische Scheffel = 1 740 000 Hektoliter; indes ist ein Teil davon sicher aus den eigentlichen Domänen geflossen, ein anderer vielleicht gegen Entschädigung geliefert worden, während andererseits die ägyptischen Steuern wenigstens zu einem großen Teil in Geld angesetzt waren, so daß wir nicht imstande sind, die ägyptische Einnahme der römischen Reichskasse auch nur annähernd zu bestimmen. Aber nicht bloß durch ihre Höhe ist sie für die römische Staatswirtschaft von entscheidender Bedeutung gewesen, sondern weil sie als Vorbild diente zunächst für den kaiserlichen Domanialbesitz in den übrigen Provinzen, überhaupt aber für die gesamte Reichsverwaltung, wie dies bei deren Darlegung auseinanderzusetzen ist.

Aber wenn die kommunale Selbstverwaltung in Ägypten keine Stätte hat und in dieser Hinsicht zwischen den beiden Nationen, aus welchen dieser Staat ebenso wie der syrische sich zusammensetzt, eine reale Verschiedenheit nicht besteht, so ist zwischen ihnen in anderer Beziehung eine Schranke aufgerichtet, wozu Syrien keine Parallele bietet. Nach der Ordnung der makedonischen Eroberer disqualifizierte die ägyptische Ortsangehörigkeit für sämtliche öffentliche Ämter und für den besseren Kriegsdienst. Wo der Staat seinen Bürgern Zuwendungen machte, beschränkten sich diese auf die der griechischen Gemeinden; die Kopfsteuer dagegen zahlten lediglich die Ägypter, und auch von den Gemeindelasten, die die Eingesessenen des einzelnen ägyptischen Bezirkes treffen, sind die daselbst ansässigen Alexandriner befreit. Obwohl im Falle des Vergehens der Rücken des Ägypters wie des Alexandriners büßte, so durfte doch dieser sich rühmen, und tat es auch, daß ihn der Stock treffe und nicht wie jenen die Peitsche. Sogar die Gewinnung des besseren Bürgerrechts war den Ägyptern untersagt. Die Bürgerverzeichnisse der zwei großen von den beiden Reichsgründern geordneten und benannten Griechenstädte in Unter- und Oberägypten faßten die herrschende Bevölkerung in sich, und der Besitz des Bürgerrechts einer dieser Städte war in dem Ägypten der Ptolemäer dasselbe was der Besitz des römischen Bürgerrechts im römischen Reich. Was Aristoteles dem Alexander empfahl, den Hellenen ein Herrscher (ηγεμων), den Barbaren ein Herr zu sein, jene als Freunde und Genossen zu versorgen, diese wie die Tiere und die Pflanzen zu nutzen, das haben die Ptolemäer in vollem Umfang praktisch durchgeführt. Der König, größer und freier als sein Lehrmeister, trug den höheren Gedanken im Sinne der Umwandlung der Barbaren in Hellenen oder wenigstens der Ersetzung der barbarischen Ansiedlungen durch hellenische, und diesem gewährten die Nachfolger fast überall und namentlich in Syrien breiten Spielraum. In Ägypten geschah das gleiche nicht. Wohl suchten dessen Herrscher mit den Eingeborenen namentlich auf dem religiösen Gebiet Fühlung zu halten und wollten nicht als Griechen über die Ägypter, viel eher als irdische Götter über die Untertanen insgemein herrschen; aber damit vertrug sich die ungleiche Berechtigung der Untertanen durchaus, eben wie die rechtliche und faktische Bevorzugung des Adels ein ebenso wesentlicher Teil des friderizianischen Regiments war wie die gleiche Gerechtigkeit gegen Vornehme und Geringe.

Wie die Römer im Orient überhaupt das Werk der Griechen fortsetzten, so blieb auch die Ausschließung der einheimischen Ägypter von der Gewinnung des griechischen Bürgerrechts nicht bloß bestehen, sondern wurde auf das römische Bürgerrecht ausgedehnt. Der ägyptische Grieche dagegen konnte das letztere ebenso wie jeder andere Nichtbürger gewinnen. Der Eintritt freilich in den Senat wurde ihm so wenig gestattet wie dem römischen Bürger aus Gallien, und diese Beschränkung ist viel länger für Ägypten als für Gallien in Kraft geblieben; erst im Anfang des 3. Jahrhunderts wurde in einzelnen Fällen davon abgesehen und als Regel hat sie noch im fünften gegolten. In Ägypten selbst wurden die Stellungen der Oberbeamten, das heißt der für die ganze Provinz fungierenden, und ebenso die Offizierstellen den römischen Bürgern in der Form vorbehalten, daß als Qualifikation dafür das Ritterpferd verlangt ward; es war dies durch die allgemeine Reichsordnung gegeben, und ähnliche Privilegien hatten ja in Ägypten unter den früheren Lagiden die Makedonier gegenüber den sonstigen Griechen besessen. Die Ämter zweiten Ranges blieben unter römischer Herrschaft wie bisher den ägyptischen Ägyptern verschlossen und wurden mit Griechen besetzt, zunächst den Bürgern von Alexandreia und Ptolemais. Wenn im Reichskriegsdienst für die erste Klasse das römische Bürgerrecht gefordert wurde, so ließ man doch bei den in Ägypten selbst stationierten Legionen auch den ägyptischen Griechen nicht selten in der Weise zu, daß ihm bei der Aushebung das römische Bürgerrecht verliehen ward. Für die Kategorie der Auxiliartruppen unterlag die Zulassung der Griechen keiner Beschränkung; die Ägypter aber sind auch hierfür wenig oder gar nicht, dagegen für die unterste Klasse, die in der ersten Kaiserzeit noch aus Sklaven gebildete Flottenmannschaft späterhin in beträchtlicher Zahl verwendet worden. Im Laufe der Zeit hat die Zurücksetzung der eingeborenen Ägypter wohl in ihrer Strenge nachgelassen und sind dieselben öfter zum griechischen und mittels dessen auch zum römischen Bürgerrecht gelangt; im ganzen aber ist das römische Regiment einfach die Fortsetzung wie der griechischen Herrschaft so auch der griechischen Exklusivität gewesen. Wie das makedonische Regiment sich mit Alexandreia und Ptolemais begnügt hatte, so hat auch das römische einzig in dieser Provinz nicht eine einzige Kolonie gegründet.

Auch die Sprachordnung ist in Ägypten wesentlich unter den Römern geblieben, wie die Ptolemäer sie festgestellt hatten. Abgesehen von dem Militär, bei dem das Lateinische allein herrschte, ist für den Verkehr der oberen Stellen die Geschäftssprache die griechische. Der einheimischen Sprache, die, von den semitischen wie von den arischen Sprachen radikal verschieden, am nächsten vielleicht derjenigen der Berbern in Nordafrika verwandt ist, und der einheimischen Schrift haben die römischen Herrscher und ihre Statthalter sich nie bedient, und wenn schon unter den Ptolemäern den ägyptisch geschriebenen Aktenstücken griechische Übersetzung beigefügt werden mußte, so gilt für diese ihre Nachfolger mindestens dasselbe. Allerdings blieb es den Ägyptern unversehrt, soweit es ihnen nach dem Ritual erforderlich oder sonst zweckmäßig erschien, sich der Landessprache und ihrer altgeheiligten Schriftzeichen zu bedienen; es mußte auch in diesem alten Heim des Schriftgebrauchs im gewöhnlichen Verkehr nicht bloß bei Privatkontrakten, sondern selbst bei Steuerquittungen und ähnlichen Schriftstücken die dem großen Publikum allein geläufige Landessprache und die übliche Schrift zugelassen werden. Aber es war dies eine Konzession und der herrschende Hellenismus bemüht, sein Reich zu erweitern. Das Bestreben den im Lande herrschenden Anschauungen und Überlieferungen auch im Griechischen einen allgemeingültigen Ausdruck zu schaffen hat der Doppelnamigkeit in Ägypten eine Ausdehnung gegeben wie nirgend sonst. Alle ägyptische Götter, deren Namen nicht selbst den Griechen geläufig wurden, wie der der Isis, wurden mit entsprechenden oder auch nicht entsprechenden griechischen geglichen; vielleicht die Hälfte der Ortschaften, eine Menge von Personen führen sowohl eine einheimische wie eine griechische Benennung. Allmählich drang hierin die Hellenisierung durch. Die alte heilige Schrift begegnet auf den erhaltenen Denkmälern zuletzt unter Kaiser Decius um die Mitte des 3., ihre geläufigere Abart zuletzt um die Mitte des 5. Jahrhunderts; aus dem gemeinen Gebrauch sind beide beträchtlich früher verschwunden. Die Vernachlässigung und der Verfall der einheimischen Elemente der Zivilisation drückt sich darin aus. Die Landessprache selbst behauptete sich noch lange nachher in den abgelegenen Orten und den niederen Schichten und ist erst im 17. Jahrhundert völlig erloschen, nachdem sie, die Sprache der Kopten, gleich wie die syrische, infolge der Einführung des Christentums und der auf die Hervorrufung einer volkstümlichchristlichen Literatur gerichteten Bemühungen, in der späteren Kaiserzeit eine beschränkte Regeneration erfahren hatte.

In dem Regiment kommt vor allem in Betracht die Unterdrückung des Hofes und der Residenz, die notwendige Folge der Einziehung des Landes durch Augustus. Es blieb wohl, was bleiben konnte. Auf den in der Landessprache, also bloß für Ägypter geschriebenen Inschriften heißen die Kaiser wie die Ptolemäer Könige von Ober- und Unterägypten und die Auserwählten der ägyptischen Landesgötter, daneben freilich auch, was bei den Ptolemäern nicht geschehen war, Großkönige. Die Zeiten zählte man in Ägypten wie bisher nach dem landüblichen Kalender und seinem auf die römischen Herrscher übergehenden Königsjahr; den goldenen Becher, den in jedem Juni der König in den schwellenden Nil warf, warf jetzt der römische Vizekönig. Aber damit reichte man nicht weit. Der römische Herrscher konnte die mit seiner Reichsstellung unvereinbare Rolle des ägyptischen Königs nicht durchführen. Mit der Vertretung durch einen Untergebenen machte der neue Landesherr gleich bei dem ersten nach Ägypten gesandten Statthalter unbequeme Erfahrungen; der tüchtige Offizier und talentvolle Poet, der es nicht hatte lassen können, auch seinen Namen den Pyramiden einzuschreiben, wurde deswegen abgesetzt und ging daran zugrunde. Es war unvermeidlich, hier Schranken zu setzen. Die Geschäfte, deren Erledigung nach dem Alexandersystem nicht minder dem Fürsten persönlich oblag wie nach der Ordnung des römischen Prinzipats, mochte der römische Statthalter führen wie der einheimische König; König durfte er weder sein noch scheinen. Es ward das in der zweiten Stadt der Welt sicher tief und schwer empfunden. Der bloße Wechsel der Dynastie wäre nicht allzusehr ins Gewicht gefallen. Aber ein Hof wie der der Ptolemäer, geordnet nach dem Zeremoniell der Pharaonen, König und Königin in ihrer Göttertracht, der Pomp der Festzüge, der Empfang der Priesterschaften und der Gesandten, die Hofbankette, die großen Zeremonien der Krönung, der Eidesleistung, der Vermählung, der Bestattung, die Hofämter der Leibwächter und des Oberleibwächter (αρχισωματοφυλαξ), des einführenden Kammerherrn (εισαγγελευσ), des Obertafelmeisters (αρχεδεατροσ), des Oberjägermeisters (αρχικκυνηλοσ), die Vettern und Freunde des Königs, die Dekorierten – das alles ging für die Alexandriner ein für allemal unter mit der Verlegung des Herrschersitzes vom Nil an die Tiber. Nur die beiden berühmten alexandrinischen Bibliotheken blieben dort mit allem ihrem Zubehör und Personal als Rest der alten königlichen Herrlichkeit. Ohne Frage büßte Ägypten bei der Depossedierung seiner Regenten sehr viel mehr ein als Syrien; freilich waren beide Völkerschaften in der machtlosen Lage, daß sie hinnehmen mußten, was ihnen angesonnen ward, und an eine Auflehnung für die verlorene Weltmachtstellung ist hier so wenig wie dort auch nur gedacht worden.

Die Verwaltung des Landes liegt, wie schon gesagt ward, in den Händen des »Stellvertreters«, das heißt des Vizekönigs; denn obwohl der neue Landesherr, mit Rücksicht auf seine Stellung im Reiche, sowohl für sich wie für seine höhergestellten Vertreter der königlichen Benennungen auch in Ägypten sich enthielt, so hat er doch der Sache nach durchaus als Nachfolger der Ptolemäer die Herrschaft geführt, und die gesamte zivile wie militärische Obergewalt ist in seiner und seines Vertreters Hand vereinigt. Daß weder Nichtbürger noch Senatoren diese Stellung bekleiden durften, ist schon bemerkt worden; Alexandrinern, wenn sie zum Bürgerrecht und ausnahmsweise zum Ritterpferd gelangt waren, ist sie zuweilen übertragen worden. Im übrigen stand dieses Amt unter den nicht senatorischen an Rang und Einfluß anfänglich allen übrigen voran und späterhin einzig der Kommandantur der kaiserlichen Garde nach. Außer den eigentlichen Offizieren, wobei nur der Ausschluß des Senators und die dadurch bedingte niedrigere Titulatur des Legionskommandanten ( praefectus statt legatus) von der allgemeinen Ordnung sich entfernt, fungieren neben und unter dem Statthalter, und gleichfalls für ganz Ägypten, ein oberster Beamter für die Justiz und ein oberster Finanzverwalter, beide ebenfalls römische Bürger vom Ritterrang, und wie es scheint, nicht dem Verwaltungsschema der Ptolemäer entlehnt, sondern nach einem auch in anderen kaiserlichen Provinzen angewandten Verfahren dem Statthalter zu- und untergeordnet. – Alle übrigen Beamten fungieren nur für einzelne Bezirke und sind in der Hauptsache aus der ptolemäischen Ordnung übernommen. Daß die Vorsteher der drei Provinzen Unter-, Mittel- und Oberägypten, abgesehen vom Kommando mit dem gleichen Geschäftskreis wie der Statthalter ausgestattet, in augustischer Zeit aus den ägyptischen Griechen, späterhin wie die eigentlichen Oberbeamten aus der römischen Ritterschaft genommen wurden, ist bemerkenswert als ein Symptom der im Verlauf der Kaiserzeit sich steigernden Zurückdrängung des einheimischen Elements in der Magistratur. – Unter diesen oberen und mittleren Behörden stehen die Lokalbeamten, die Vorsteher der ägyptischen wie der griechischen Städte nebst den sehr zahlreichen bei dem Hebungswesen und den mannigfaltigen auf den Geschäftsverkehr gelegten Abgaben beschäftigten Subalternen und wieder in dem einzelnen Bezirk die Vorsteher der Unterbezirke und der Dörfer, welche Stellungen mehr als Lasten denn als Ehren angesehen und den Ortsangehörigen oder Ortsansässigen, jedoch mit Ausschluß der Alexandriner, durch den Oberbeamten auferlegt werden; die wichtigste darunter, die Vorstandschaft des Nomos, wird auf je drei Jahre von dem Statthalter besetzt. Die örtlichen Behörden der griechischen Städte waren der Anzahl wie der Titulatur nach andere; in Alexandreia namentlich fungierten vier Oberbeamte, der Priester Alexanders, der Stadtschreiber (υπομνατογραφοσ), der Oberrichter (αρχιδικαστησ) und der Nachtwächtermeister (νυκτερινοσ στρατηγοσ). Daß sie angesehener waren als die Strategen der Nomen, versteht sich von selbst und zeigt deutlich das dem ersten alexandrinischen Beamten zustehende Purpurgewand. Übrigens rühren sie ebenfalls aus der Ptolemäerzeit her und werden wie die Nomenvorsteher aus den Eingesessenen von der römischen Regierung auf Zeit ernannt. Römische Beamte kaiserlicher Ernennung finden sich unter diesen städtischen Vorstehern nicht. Aber der Priester des Museion, der zugleich der Präsident der alexandrinischen Akademie der Wissenschaften ist und auch über die bedeutenden Geldmittel dieser Anstalt verfügt, wird vom Kaiser ernannt; ebenso werden die Aufsicht über das Alexandergrab und die damit verbundenen Baulichkeiten und einige andere wichtige Stellungen in der Hauptstadt Ägyptens von der Regierung in Rom mit Beamten von Ritterrang besetzt.

Selbstverständlich sind Alexandriner und Ägypter in diejenigen Prätendentenbewegungen hineingezogen worden, die vom Orient ausgingen, und haben dabei regelmäßig mitgemacht; auf diese Weise sind hier Vespasian, Cassius, Niger, Macrianus, Vaballathus, der Sohn der Zenobia, Probus zu Herrschern ausgerufen worden. Die Initiative aber haben in allen diesen Fällen weder die Bürger von Alexandreia ergriffen noch die wenig angesehenen ägyptischen Truppen, und die meisten dieser Revolutionen, auch die mißlungenen, haben für Ägypten keine besonders empfindlichen Folgen gehabt. Aber die an den Namen der Zenobia sich knüpfende Bewegung ist für Alexandreia und für ganz Ägypten fast ebenso verhängnisvoll geworden wie für Palmyra. In Stadt und Land standen die palmyrenisch und die römisch Gesinnten mit den Waffen und der Brandfackel in der Hand sich gegenüber. An der Südgrenze rückten die barbarischen Blemyer ein, wie es scheint, im Einverständnis mit dem palmyrenisch gesinnten Teil der Bewohner Ägyptens, und bemächtigten sich eines großen Teils von Oberägypten. In Alexandreia war der Verkehr zwischen den beiden feindlichen Quartieren aufgehoben, selbst Briefe zu befördern war schwierig und gefährlich. Die Gassen starrten von Blut und von unbegrabenen Leichen. Die dadurch erzeugten Seuchen wüteten noch ärger als das Schwert; und damit keines der vier Rosse des Verderbens mangele, versagte auch der Nil und gesellte sich die Hungersnot zu den übrigen Geißeln. Die Bevölkerung schmolz in der Weise zusammen, daß, wie ein Zeitgenosse sagt, es früher in Alexandreia mehr Greise gab als nachher Bürger. Als der von Claudius gesandte Feldherr Probus endlich die Oberhand gewann, warfen sich die palmyrenisch Gesinnten, darunter die Mehrzahl der Ratsmitglieder, in das feste Kastell Prucheion in der unmittelbaren Nähe der Stadt; und obwohl, als Probus den Austretenden Schonung des Lebens verhieß, die große Mehrzahl sich unterwarf, harrte doch ein beträchtlicher Teil der Bürgerschaft bis zum äußersten aus in dem Kampf der Verzweiflung. Die Festung, endlich durch Hunger bezwungen, wurde geschleift und lag seitdem öde; die Stadt aber verlor ihre Mauern. In dem Lande haben die Blemyer sich noch Jahre lang behauptet; erst Kaiser Probus hat Ptolemais und Koptos ihnen wieder entrissen und sie aus dem Lande hinausgeschlagen. Der Notstand, den diese durch eine Reihe von Jahren sich hinziehenden Unruhen hervorgerufen haben müssen, mag dann wohl die einzige nachweislich in Ägypten entstandene Revolution zum Ausbruch gebracht haben. Unter der Regierung Diocletians lehnten sich, wir wissen nicht warum und wozu, sowohl die eingeborenen Ägypter wie die Bürgerschaft von Alexandreia gegen die bestehende Regierung auf. Es wurden Gegenkaiser aufgestellt, Lucius Domitius Domitianus und Achilleus, falls nicht etwa beide Namen dieselbe Persönlichkeit bezeichnen; die Empörung währte drei bis vier Jahre; die Städte Busiris im Delta und Koptos unweit Theben wurden von den Truppen der Regierung zerstört und schließlich unter der eigenen Führung Diocletians im Frühjahr 297 die Hauptstadt nach achtmonatlicher Belagerung bezwungen. Von dem Herunterkommen des reichen, aber durchaus auf den inneren und äußeren Frieden angewiesenen Landes zeugt nichts so deutlich wie die im J. 302 erlassene Verfügung desselben Diocletian, daß ein Teil des bisher nach Rom gesandten ägyptischen Getreides in Zukunft der alexandrinischen Bürgerschaft zugute kommen solle. Allerdings gehört dies zu den Maßregeln, welche die Dekapitalisierung Roms bezweckten; aber den Alexandrinern, die zu begünstigen dieser Kaiser wahrlich keine Ursache hatte, wäre die Lieferung nicht zugewandt worden, wenn sie sie nicht dringend gebraucht hätten.

Wirtschaftlich ist Ägypten bekanntlich vor allem das Land des Ackerbaues. Zwar ist die »schwarze Erde« – das bezeichnet der einheimische Landesname Chemi – nur ein schmaler Doppelstreifen zu beiden Seiten des mächtigen von der letzen Stromschnelle bei Syene, der Südgrenze des eigentlichen Ägyptens, auf 120 Meilen in breiter Fülle durch die rechts und links sich ausdehnende gelbe Wüste zum Mittelländischen Meer strömenden Nil; nur an seinem letzten Ende breitet die »Gabe des Flusses«, das Nildelta zwischen den mannigfaltigen Armen seiner Mündung sich zu beiden Seiten weiter aus. Auch der Ertrag dieser Strecken hängt Jahr für Jahr ab von dem Nil und den sechzehn Ellen seiner Schwelle, den den Vater umspielenden sechzehn Kindern, wie die Kunst der Griechen den Flußgott darstellt; mit gutem Grund nennen die Araber die niedrigen Ellen mit den Namen der Engel des Todes, denn erreicht der Fluß die volle Höhe nicht, so trifft das ganze ägyptische Land Hunger und Verderben. Im allgemeinen aber vermag Ägypten, wo die Bestellungskosten verschwindend niedrig sind, der Weizen hundertfältig trägt und auch die Gemüsezucht, der Weinbau, die Baumkultur, namentlich die Dattelpalme, und die Viehzucht guten Ertrag bringen, nicht bloß eine dichte Bevölkerung zu ernähren, sondern auch reichlich Getreide in das Ausland zu senden. Dies führte dazu, daß nach der Einsetzung der Fremdherrschaft dem Lande selbst von seinem Reichtum nicht viel verblieb. Ungefähr wie in persischer Zeit und wie heutzutage schwoll damals der Nil und frohnten die Ägypter hauptsächlich für das Ausland, und zunächst dadurch spielt Ägypten in der Geschichte des kaiserlichen Rom eine wichtige Rolle. Nachdem Italiens eigener Getreidebau gesunken und Rom die größte Stadt der Welt geworden war, bedurfte dasselbe der stetigen Zufuhr billigen überseeischen Getreides; und vor allem durch die Lösung der nicht leichten wirtschaftlichen Aufgabe, die hauptstädtische Zufuhr finanziell möglich zu machen und sicherzustellen, hat der Prinzipat sich befestigt. Diese Lösung ruhte auf dem Besitz Ägyptens, und insofern hier der Kaiser ausschließlich gebot, hielt er durch Ägypten das Land Italien mit seinen Dependenzen in Schach. Als Vespasianus die Herrschaft ergriff, sandte er seine Truppen nach Italien, er selbst aber ging nach Ägypten und bemächtigte sich Roms durch die Kornflotte. Wo immer ein römischer Regent daran gedacht hat oder haben soll, den Sitz der Regierung nach dem Osten zu verlegen, wie uns von Cäsar, Antonius, Nero, Geta erzählt wird, da richten sich die Gedanken wie von selber nicht nach Antiocheia, obwohl dies damals die regelmäßige Residenz des Ostens war, sondern nach der Geburtsstätte und der festen Burg des Prinzipats, nach Alexandreia. – Deshalb war denn auch die römische Regierung auf die Hebung des Feldbaues in Ägypten eifriger bedacht als irgendwo sonst. Da derselbe von der Nilüberschwemmung abhängig ist, ward es möglich, durch systematisch durchgeführte Wasserbauten, künstliche Kanäle, Dämme, Reservoirs die für den Feldbau geeignete Fläche bedeutend zu erweitern. In den guten Zeiten Ägyptens, des Heimatlandes der Meßschnur und des Kunstbaues, war dafür viel geschehen, aber diese segensreichen Anlagen unter den letzten elenden und finanziell bedrängten Regierungen in argen Verfall geraten. So führte die römische Besitznahme sich würdig damit ein, daß Augustus durch die in Ägypten stehenden Truppen die Nilkanäle einer durchgreifenden Reinigung und Erneuerung unterwarf. Wenn zur Zeit der römischen Besitzergreifung die volle Ernte einen Stand des Flusses von vierzehn Ellen erfordert hatte und bei acht Ellen Mißernte eintrat, so genügten später, nachdem die Kanäle instand gesetzt waren, schon zwölf Ellen für eine volle Ernte und gaben acht Ellen noch einen genügenden Ertrag. Jahrhunderte nachher hat Kaiser Probus Ägypten nicht bloß von den Äthiopen befreit, sondern auch die Wasserbauten am Nil wieder instand gesetzt. Es darf überhaupt angenommen werden, daß die besseren Nachfolger Augusts in ähnlichem Sinne administrierten und daß, zumal bei der durch Jahrhunderte kaum unterbrochenen inneren Ruhe und Sicherheit, der ägyptische Ackerbau unter dem römischen Prinzipat in dauerndem Flor gestanden hat. Welche Rückwirkung diese Verhältnisse auf die Ägypter selbst hatten, vermögen wir genauer nicht zu verfolgen. Zu einem großen Teil beruhten die Einkünfte aus Ägypten auf dem kaiserlichen Domanialbesitz, welcher in römischer wie in früherer Zeit einen beträchtlichen Teil des ganzen Areals ausmachte; hier wird, zumal bei der wenig kostspieligen Bestellung, den Kleinpächtern, die dieselbe beschafften, nur eine mäßige Quote des Ertrags geblieben oder eine hohe Geldpacht auferlegt worden sein. Aber auch die zahlreichen und durchgängig kleineren Eigentümer werden eine hohe Grundsteuer in Getreide oder in Geld entrichtet haben. Die ackerbauende Bevölkerung, genügsam wie sie war, blieb in der Kaiserzeit wohl zahlreich; aber sicher lastete der Steuerdruck, sowohl an sich wie wegen der Verwendung des Ertrages im Ausland, schwerer auf Ägypten unter der römischen Fremdherrschaft als unter dem keineswegs schonenden Regiment der Ptolemäer. Von der Wirtschaft Ägyptens bildete der Ackerbau nur einen Teil; wie dasselbe in dieser Hinsicht Syrien weit voranstand, so hatte es vor dem wesentlich agrikolen Afrika die hohe Blüte der Fabriken und des Handels voraus. Die Linnenfabrikation in Ägypten steht an Alter und Umfang und Ruhm der syrischen mindestens gleich und hat, wenn auch die feineren Sorten in dieser Epoche vorzugsweise in Syrien und Phönikien fabriziert wurden, sich durch die ganze Kaiserzeit gehalten; als Aurelian die Lieferungen aus Ägypten an die Reichshauptstadt auf andere Gegenstände als Getreide erstreckte, fehlte unter diesen die Leinewand und der Werg nicht. In feinen Glaswaren behaupteten, sowohl in der Färbung wie in der Formung, die Alexandriner entschieden den ersten Platz, ja, wie sie meinten, insofern das Monopol, als gewisse beste Sorten nur mit ägyptischem Material herzustellen seien. Unbestritten hatten sie ein solches in dem Papyrus. Diese Pflanze, die im Altertum massenweise auf den Flüssen und Seen Unterägyptens kultiviert ward und sonst nirgends gedieh, lieferte den Eingeborenen sowohl Nahrung wie das Material für Stricke, Körbe und Kähne, das Schreibmaterial aber damals für die ganze schreibende Welt. Welchen Ertrag sie gebracht haben muß, ermißt man aus den Maßregeln, die der römische Senat ergriff, als einmal auf dem römischen Platz der Papyrus knapp ward und zu fehlen drohte; und da die mühsame Zubereitung nur an Ort und Stelle erfolgen kann, müssen zahllose Menschen davon in Ägypten gelebt haben. Auf Glas und Papyrus erstreckten sich neben dem Leinen die von Aurelian zugunsten der Reichshauptstadt eingeführten alexandrinischen Warenlieferungen. Vielfach muß der Verkehr mit dem Osten auf die ägyptische Fabrikation bietend und verlangend eingewirkt haben. Gewebe wurden daselbst für den Export nach dem Orient fabriziert, und zwar in der durch den Landesgebrauch geforderten Weise: die gewöhnlichen Kleider der Bewohner von Habesch waren ägyptisches Fabrikat; nach Arabien und Indien gingen die Prachtstoffe besonders der in Alexandreia kunstvoll betriebenen Bunt- und Goldwirkerei. Ebenso spielten die in Ägypten angefertigten Glaskorallen in dem Handel der afrikanischen Küste dieselbe Rolle wie heutzutage. Indien bezog teils Glasbecher, teils unverarbeitetes Glas zur eigenen Fabrikation; selbst am chinesischen Hof sollen die Glasgefäße, mit welchen die römischen Fremden dem Kaiser huldigten, hohe Bewunderung erregt haben. Ägyptische Kaufleute brachten dem König der Axomiten (Habesch) als stehende Geschenke nach dortiger Landesart angefertigte Gold- und Silbergefäße, den zivilisierteren Herrschern der südarabischen und der indischen Küste unter anderen Gaben auch Statuen, wohl von Bronze, und musikalische Instrumente. Dagegen sind die Materialien der Luxusfabrikation, die aus dem Orient kamen, insbesondere Elfenbein und Schildpatt, schwerlich vorzugsweise in Ägypten, hauptsächlich wohl in Rom verarbeitet worden. Endlich kam in einer Epoche, welche in öffentlichen Prachtbauten ihresgleichen niemals in der Welt gehabt hat, das kostbare Baumaterial, welches die ägyptischen Steinbrüche lieferten, in ungeheuren Massen auch außerhalb Ägyptens zur Verwendung: der schöne rote Granit von Syene, die Breccia verde aus der Gegend von Kosêr, der Basalt, der Alabaster, seit Claudius der graue Granit und besonders der Porphyr der Berge oberhalb Myos Hormos. Die Gewinnung derselben ward allerdings größtenteils für kaiserliche Rechnung durch Strafkolonisten bewirkt; aber wenigstens der Transport muß dem ganzen Lande und namentlich der Stadt Alexandreia zugute gekommen sein. Welchen Umfang der ägyptische Verkehr und die ägyptische Fabrikation gehabt hat, zeigt eine zufällig erhaltene Notiz über die Ladung eines durch seine Größe ausgezeichneten Lastschiffes (άκατος), das unter Augustus den jetzt an der Porta del Popolo stehenden Obelisken mit seiner Basis nach Rom brachte; es führte außerdem 200 Matrosen, 1200 Passagiere, 400 000 römische Scheffel (34 000 Hektoliter) Weizen und eine Ladung von Leinwand, Glas, Papier und Pfeffer. »Alexandreia«, sagt ein römischer Schriftsteller des 3. Jahrhundert, »ist eine Stadt der Fülle, des Reichtums und der Üppigkeit, in der niemand müßig geht; dieser ist Glasarbeiter, jener Papierfabrikant, der dritte Leinweber; der einzige Gott ist das Geld.« Es gilt dies verhältnismäßig von dem ganzen Lande.

Von dem Handelsverkehr Ägyptens mit den südlich angrenzenden Landschaften sowie mit Arabien und Indien wird weiterhin eingehend die Rede sein. Derjenige mit den Ländern des Mittelmeeres tritt in der Überlieferung weniger hervor, zum Teil wohl, weil er zu dem gewöhnlichen Gang der Dinge gehörte und nicht oft sich Veranlassung fand seiner besonders zu gedenken. Das ägyptische Getreide wurde von alexandrinischen Schiffern nach Italien geführt, und infolgedessen entstand in Portus bei Ostia ein dem alexandrinischen Sarapistempel nachgebildetes Heiligtum mit einer Schiffergemeinde; aber an dem Vertrieb der aus Ägypten nach dem Westen gehenden Waren werden diese Lastschiffe schwerlich in bedeutendem Umfang beteiligt gewesen sein. Dieser lag wahrscheinlich ebensosehr und vielleicht mehr in der Hand der italischen Reeder und Kapitäne als der ägyptischen; wenigstens gab es schon unter den Lagiden eine ansehnliche italische Niederlassung in Alexandreia und haben im Okzident die ägyptischen Kaufleute nicht die gleiche Verbreitung gehabt wie die syrischen. Die später zu erwähnenden Anordnungen Augusts, welche auf dem Arabischen und dem Indischen Meer den Handelsverkehr umgestalteten, fanden auf die Schiffahrt des Mittelländischen keine Anwendung; die Regierung hatte kein Interesse daran, hier die ägyptischen Kaufleute vor den übrigen zu begünstigen. Es blieb dort der Verkehr vermutlich wie er war.

Ägypten war also nicht bloß in seinen anbaufähigen Teilen mit einer dichten ackerbauenden Bevölkerung besetzt, sondern auch, wie schon die zahlreichen und zum Teil sehr ansehnlichen Flecken und Städte dies erkennen lassen, ein Fabrikland, und daher denn auch weitaus die am stärksten bevölkerte Provinz des römischen Reiches. Das alte Ägypten soll eine Bevölkerung von 7 Millionen gehabt haben; unter Vespasian zählte man in den offiziellen Listen 7-1/2 Millionen kopfsteuerpflichtiger Einwohner, wozu die von der Kopfsteuer befreiten Alexandriner und sonstigen Griechen, sowie die wahrscheinlich nicht sehr zahlreichen Sklaven hinzutreten, so daß die Bevölkerung mindestens auf 8 Millionen Köpfe anzusetzen ist. Da das anbaufähige Areal heutzutage auf 500 deutsche Quadratmeilen, für die römische Zeit höchstens auf 700 veranschlagt werden kann, so wohnten damals in Ägypten auf der Quadratmeile durchschnittlich etwa 11 000 Menschen.

Wenn wir den Blick auf die Bewohner Ägyptens richten, so sind die beiden das Land bewohnenden Nationen, die große Masse der Ägypter und die kleine Minderzahl der Alexandriner, durchaus verschiedene Kreise, wenngleich zwischen beiden die Ansteckungskraft des Lasters und die allem Laster eigene Gleichartigkeit eine schlimme Gemeinschaft des Bösen gestiftet hat.

Die eingeborenen Ägypter werden von ihren heutigen Nachkommen weder in der Lage noch in der Art sich weit entfernt haben. Sie waren genügsam, nüchtern, arbeitsfähig und tätig, geschickte Handwerker und Schiffer und gewandte Kaufleute, festhaltend am alten Herkommen und am alten Glauben. Wenn die Römer versichern, daß die Ägypter stolz seien auf die Geißelmale wegen begangener Steuerdefrauden, so sind dies Anschauungen vom Standpunkt aus des Steuerbeamten. Es fehlte in der nationalen Kultur nicht an guten Keimen; bei aller Überlegenheit der Griechen auch in dem geistigen Kampfe der beiden so völlig verschiedenen Rassen hatten die Ägypter wieder manche und wesentliche Dinge vor den Hellenen voraus, und sie empfanden dies auch. Es ist schließlich doch der Rückschlag ihrer eigenen Empfindung, wenn die ägyptischen Priester der griechischen Unterhaltungsliteratur die von den Hellenen sogenannte Geschichtsforschung und ihre Behandlung poetischer Märchen als wirklicher Überlieferung aus vergangenen Urzeiten verspotten; in Ägypten mache man keine Verse, aber ihre ganze alte Geschichte sei eingeschrieben auf den Tempeln und Gedächtnissteinen; freilich seien jetzt nur noch wenige derselben kundig, da viele Denkmale zerstört seien und die Überlieferung zugrunde gehe durch die Unwissenheit und die Gleichgültigkeit der Späteren. Aber diese berechtigte Klage trägt in sich selbst die Hoffnungslosigkeit; der ehrwürdige Baum der ägyptischen Zivilisation war längst zum Niederschlagen gezeichnet. Der Hellenismus drang zersetzend bis an die Priesterschaft selbst. Ein ägyptischer Tempelschreiber, Chäremon, der als Lehrer der griechischen Philosophie an den Hof des Claudius für den Kronprinzen berufen ward, legte in seiner »ägyptischen Geschichte« den alten Landesgöttern die Elemente der stoischen Physik unter und die in der Landesschrift geschriebenen Urkunden in diesem Sinne aus. In dem praktischen Leben der Kaiserzeit kam das alte ägyptische Wesen fast nur noch in Betracht auf dem religiösen Gebiet. Religion war diesem Volke eins und alles. Die Fremdherrschaft an sich wurde willig ertragen, man möchte sagen kaum empfunden, solange sie die heiligen Gebräuche des Landes und was damit zusammenhing, nicht antastete. Freilich hing damit in dem inneren Landesregiment so ziemlich alles zusammen, Schrift und Sprache, Priesterprivilegien und Priesterhoffart, Hofsitte und Landesart; die Fürsorge der Regierung für den derzeit lebenden heiligen Ochsen, die Leistungen für dessen Bestattung bei seinem Ableben und für die Auffindung des geeigneten Nachfolgers galten diesen Priestern und diesem Volke als das Kriterium der Tüchtigkeit des jedesmaligen Landesherrn und als der Maßstab für die ihm schuldige Achtung und Treue. Der erste Perserkönig führte sich damit in Ägypten ein, daß er das Heiligtum der Neith in Sais seiner Bestimmung, das heißt den Priestern, zurückgab; der erste Ptolemäos brachte, noch als makedonischer Statthalter, die nach Asien entführten ägyptischen Götterbilder an ihre alte Stätte zurück und restituierte den Göttern von Pe und Tep die ihnen entfremdeten Landschenkungen; für die bei dem großen Siegeszuge des Euergetes aus Persien heimgebrachten heiligen Tempelbilder statten die Landespriester in dem berühmten kanopischen Dekret vom J. 238 v. Chr. dem König ihren Dank ab; die landübliche Einreihung der lebenden Herrscher und Herrscherinnen in den Kreis der Landesgötter haben diese Ausländer ebenso mit sich vornehmen lassen wie die ägyptischen Pharaonen. Die römischen Herrscher sind diesem Beispiel nur in beschränktem Maße gefolgt. In der Titulatur gingen sie wohl, wie wir sahen, einigermaßen auf den Landeskultus ein, vermieden aber doch, selbst in ägyptischer Fassung, die mit den okzidentalischen Anschauungen in allzu grellem Kontrast stehenden landüblichen Prädikate. Da diese Lieblinge des Ptah und der Isis in Italien gegen die ägyptische Götterverehrung ähnlich wie gegen die jüdische einschritten, ließen sie von solcher Liebe sich erklärlicherweise außerhalb der Hieroglyphen nichts merken und beteiligten sich auch in Ägypten in keiner Weise an dem Dienst der Landesgötter. Wie hartnäckig immer die Landesreligion noch unter der Fremdherrschaft bei den eigentlichen Ägyptern festgehalten ward, die Pariastellung, in welcher diese selbst neben den herrschenden Griechen und Römern sich befanden, drückte notwendig auf den Kultus und die Priester, und von der führenden Stellung, dem Einflusse, der Bildung des alten ägyptischen Priesterstandes sind unter dem römischen Regiment nur dürftige Reste wahrzunehmen. Dagegen diente die von Hause aus schöner Gestaltung und geistiger Verklärung abgewandte Landesreligion in und außer Ägypten als Ausgangs- und Mittelpunkt für allen erdenklichen frommen Zauber und heiligen Schwindel – es genügt dafür zu erinnern an den in Ägypten heimischen dreimal größten Hermes mit der an seinen Namen sich knüpfenden Literatur von Traktätchen und Wunderbüchern sowie der entsprechenden weitverbreiteten Praxis. In den Kreisen aber der Eingeborenen knüpften sich in dieser Epoche an den Kultus die ärgsten Mißbräuche – nicht bloß viele Tage hindurch fortgesetzte Zechgelage zu Ehren der einzelnen Ortsgottheiten mit der dazugehörigen Unzucht, sondern auch dauernde Religionsfehden zwischen den einzelnen Sprengeln um den Vorrang des Ibis vor der Katze, des Krokodils vor dem Pavian. Im J. 127 n. Chr. wurden wegen eines solchen Anlasses die Ombiten im südlichen Ägypten von einer benachbarten Gemeinde bei einem Festgelage überfallen, und es sollen die Sieger einen der Erschlagenen gefressen haben. Bald nachher verzehrte die Hundegemeinde der Hechtgemeinde zum Trotz einen Hecht und diese jener zum Trotze einen Hund, und es brach darüber zwischen diesen beiden Nomen ein Krieg aus, bis die Römer einschritten und beide Parteien abstraften. Dergleichen Vorgänge waren in Ägypten an der Tagesordnung. Auch sonst fehlte es an Unruhen im Lande nicht. Gleich der erste von Augustus bestellte Vizekönig von Ägypten mußte wegen vermehrter Steuern Truppen nach Oberägypten senden, nicht minder, vielleicht ebenfalls infolge des Steuerdruckes, nach Heroonpolis am oberen Ende des Arabischen Meerbusens. Einmal, unter Kaiser Marcus, nahm ein Aufstand der eingeborenen Ägypter sogar einen bedrohlichen Charakter an. Als in den schwer zugänglichen Küstensümpfen ostwärts von Alexandreia, der sogenannten »Rinderweide« (bucolia), welche den Verbrechern und den Räubern als Zufluchtsort diente und eine Art Kolonie derselben bildete, einige Leute von einer römischen Truppenabteilung aufgegriffen wurden, erhob sich zu deren Befreiung die ganze Räuberschaft, und die Landbevölkerung schloß sich an. Die römische Legion aus Alexandreia ging ihnen entgegen, aber sie wurde geschlagen, und fast wäre Alexandreia selbst den Aufständischen in die Hände gefallen. Der Statthalter des Ostens, Avidius Cassius, rückte wohl mit seinen Truppen ein, wagte aber auch nicht gegen die Überzahl den Kampf, sondern zog es vor, in dem Bunde der Aufständischen Zwietracht hervorzurufen; nachdem die eine Bande gegen die andere stand, wurde die Regierung leicht ihrer aller Herr. Auch dieser sogenannte Rinderhirtenaufstand hat wahrscheinlich, wie dergleichen Bauernkriege meistens, einen religiösen Charakter getragen; der Führer Isidoros, der tapferste Mann Ägyptens, war seinem Stande nach ein Priester, und daß zur Bundesweihe nach Ableistung des Eides ein gefangener römischer Offizier geopfert und von den Schwörenden gegessen ward, paßt sowohl dazu wie zu dem Kannibalismus des Ombitenkrieges. Einen Nachklang dieser Vorgänge bewahren die ägyptischen Räubergeschichten der spätgriechischen untergeordneten Literatur. Wie sehr übrigens dieselben der römischen Verwaltung zu schaffen gemacht haben mögen, einen politischen Zweck haben sie nicht gehabt, und auch die allgemeine Ruhe des Landes nur partiell und temporär unterbrochen.

Neben den Ägyptern stehen die Alexandriner, einigermaßen wie in Ostindien die Engländer neben den Landeseingeborenen. Allgemein gilt Alexandreia in der vorkonstantinischen Kaiserzeit als die zweite Stadt des römischen Reiches und die erste Handelsstadt der Welt. Sie zählte am Ende der Lagidenherrschaft über 300 000 freie Einwohner, in der Kaiserzeit ohne Zweifel noch mehr. Die Vergleichung der beiden großen im Wetteifer miteinander erwachsenen Kapitalen am Nil und am Orontes ergibt ebenso viele Gleichartigkeiten wie Gegensätze. Beides sind verhältnismäßig neue Städte, monarchische Schöpfungen aus dem Nichts, von planmäßiger Anlage und regelmäßiger städtischer Einrichtung; das Wasser läuft in jedem Hause wie in Antiocheia so auch in Alexandreia. An Schönheit der Lage und Pracht der Gebäude war die Stadt im Orontestal der Rivalin ebenso überlegen wie diese ihr in der Gunst der Örtlichkeit für den Großhandel und an Volkszahl. Die großen öffentlichen Bauten der ägyptischen Hauptstadt, der königliche Palast, das der Akademie gewidmete Museion, vor allem der Tempel des Sarapis waren Wunderwerke einer früheren architektonisch hochentwickelten Epoche; aber der großen Zahl kaiserlichen Anlagen in der syrischen Residenz hat die von wenigen der Cäsaren betretene ägyptische Hauptstadt nichts Entsprechendes entgegenzustellen.

In der Unbotmäßigkeit und der Oppositionslust gegen das Regiment stehen Antiochener und Alexandriner einander gleich; man kann hinzusetzen auch darin, daß beide Städte, und namentlich Alexandreia, eben unter der römischen Regierung und durch dieselbe blühten und vielmehr Ursache hatten zu danken als zu frondieren. Wie die Alexandriner sich zu ihren hellenischen Regenten verhielten, davon zeugt die lange Reihe zum Teil noch heute gebräuchlicher Spottnamen, welche die königlichen Ptolemäer ohne Ausnahme dem Publikum ihrer Hauptstadt verdankten. Auch Kaiser Vespasianus empfing von den Alexandrinern für die Einführung einer Steuer auf Salzfisch den Titel des Sardellensäcklers :(Κυβιοσακτησ, Kubiodactis), der Syrer Severus Alexander den des Oberrabbiners; aber die Kaiser kamen selten nach Ägypten, und die fernen und fremden Herrscher boten diesem Spott keine rechte Zielscheibe. In ihrer Abwesenheit widmete das Publikum wenigstens den Vizekönigen die gleiche Aufmerksamkeit mit beharrlichem Eifer; selbst die Aussicht auf unausbleibliche Züchtigung vermochte die oft witzige und immer freche Zunge dieser Städter nicht zum Schweigen zu bringen. Vespasian begnügte sich in Vergeltung jener ihm bewiesenen Aufmerksamkeit die Kopfsteuer um sechs Pfennige zu erhöhen und bekam dafür den weiteren Namen des Sechspfennigmannes; aber ihre Reden über Severus Antonius, den kleinen Affen des großen Alexander und den Geliebten der Mutter Iokaste, sollten ihnen teuer zu stehen kommen. Der tückische Herrscher erschien in aller Freundschaft und ließ sich vom Volke feiern, dann aber seine Soldaten auf die festliche Menge einhauen, so daß tagelang die Plätze und Straßen der großen Stadt im Blute schwammen; ja er ordnete die Auflösung der Akademie an und die Verlegung der Legion in die Stadt selbst, was freilich beides nicht zur Ausführung kam. Aber wenn es in Antiocheia in der Regel bei den Spottreden blieb, so griff der alexandrinische Pöbel bei dem geringsten Anlaß zum Stein und zum Knittel. Im Krawallieren, sagt ein selbst alexandrinischer Gewährsmann, sind die Ägypter allen anderen voraus; der kleinste Funken genügt hier, um einen Tumult zu entfachen. Wegen versäumter Visiten, wegen Konfiskation verdorbener Lebensmittel, wegen Ausschließung aus einer Badeanstalt, wegen eines Streites zwischen dem Sklaven eines vornehmen Alexandriners und einem römischen Infanteristen über den Wert oder Unwert der beiderseitigen Pantoffel haben die Legionen auf die Bürgerschaft von Alexandreia einhauen müssen. Es kam hier zum Vorschein, daß die niedere Schicht der alexandrinischen Bevölkerung zum größeren Teil aus Eingeborenen bestand; bei diesen Aufläufen spielten die Griechen freilich die Anstifter, wie denn die Rhetoren, das heißt hier die Hetzredner, dabei ausdrücklich erwähnt werden, aber im weiteren Verlauf tritt dann die Tücke und die Wildheit des eigentlichen Ägypters ins Gefecht. Die Syrer sind feige, und als Soldaten sind es die Ägypter auch; aber im Straßentumult sind sie imstande einen Mut zu entwickeln, der eines besseren Zieles würdig wäre. An den Rennpferden ergötzten sich die Antiochener wie die Alexandriner; aber hier endigte kein Wagenrennen ohne Steinwürfe und Messerstiche. Von der Judenhetze unter Kaiser Gaius wurden beide Städte ergriffen; aber in Antiocheia genügte ein ernstes Wort der Behörde, um ihr ein Ende zu machen, während der alexandrinischen von einigen Bengeln durch eine Puppencharade angezettelten Tausende von Menschenleben zum Opfer fielen. Die Alexandriner, heißt es, gaben, wenn ein Auflauf entstand, nicht Frieden, bevor sie Blut gesehen hatten. Die römischen Beamten und Offiziere hatten daselbst einen schweren Stand. »Alexandreia«, sagt ein Berichterstatter aus dem 4. Jahrhundert, »betreten die Statthalter mit Zittern und Zagen, denn sie fürchten die Volksjustiz; wo ein Statthalter ein Unrecht begeht, da folgt sofort das Anstecken des Palastes und die Steinigung.« Das naive Vertrauen auf die Gerechtigkeit dieser Prozedur bezeichnet den Standpunkt des Schreibers, der zu diesem »Volke« gehört hat. Die Fortsetzung dieses die Regierung wie die Nation gleich entehrenden Lynchsystems liefert die sogenannte Kirchengeschichte, die Ermordung des den Heiden und den Orthodoxen gleich mißliebigen Bischofs Georgios und seiner Genossen unter Julian und die der schönen Freidenkerin Hypatia durch die fromme Gemeinde des Bischofs Kyrillos unter Theodosius II. Tückischer, unberechenbarer, gewalttätiger waren diese alexandrinischen Aufläufe als die antiochenischen, aber ebenso wie diese weder für den Bestand des Reiches gefährlich noch auch nur für die einzelne Regierung. Leichtfertige und bösartige Buben sind recht unbequem, aber auch nur unbequem, im Hause wie im Gemeinwesen.

Auch in dem religiösen Wesen haben beide Städte eine analoge Stellung. Den Landeskultus, wie die einheimische Bevölkerung ihn in Syrien wie in Ägypten festhielt, haben in seiner ursprünglichen Gestalt wie die Antiochener so auch die Alexandriner abgelehnt. Aber wie die Seleukiden, so haben auch die Lagiden sich wohl gehütet an den Grundlagen der alten Landesreligion zu rütteln und nur die älteren nationalen Anschauungen und Heiligtümer mit den schmiegsamen Gestalten des griechischen Olymp verquickend sie äußerlich einigermaßen hellenisiert, zum Beispiel den griechischen Gott der Unterwelt, den Pluton unter dem bis dahin wenig genannten ägyptischen Götternamen Sarapis in den Landeskultus eingeführt und auf diesen dann den alten Osiriskult allmählich übertragen. So spielten die echt ägyptische Isis und der pseudo-ägyptische Sarapis in Alexandreia eine ähnliche Rolle wie in Syrien der Belos und der Elagabalos, und drangen auch in ähnlicher Weise wie diese, wenngleich weniger mächtig und heftiger angefochten, in der Kaiserzeit allmählich in den okzidentalischen Kultus ein. In der bei Gelegenheit dieser religiösen Gebräuche und Feste entwickelten Unsittlichkeit und der durch priesterlichen Segen approbierten und stimulierten Unzucht hatten beide Städte sich einander nichts vorzuwerfen. – Bis in späte Zeit hinab hat der alte Kultus in dem frommen Lande Ägypten seine festeste Burg behauptet. Die Restauration des alten Glaubens sowohl wissenschaftlich in der an denselben sich anlehnenden Philosophie wie auch praktisch in der Abwehr der von den Christen gegen den Polytheismus gerichteten Angriffe und in der Wiederbelebung des heidnischen Tempeldienstes und der heidnischen Mantik hat ihren rechten Mittelpunkt in Alexandreia. Als dann der neue Glaube auch diese Burg eroberte, blieb die Landesart sich dennoch treu; die Wiege des Christentums ist Syrien, die des Mönchtums Ägypten. Von der Bedeutung und der Stellung der Judenschaft, in welcher ebenfalls beide Städte sich gleichen, ist schon in anderer Verbindung die Rede gewesen. Von der Regierung ins Land gerufene Einwanderer wie die Hellenen, standen sie wohl diesen nach und waren kopfsteuerpflichtig wie die Ägypter, aber hielten sich und galten mehr als diese. Ihre Zahl betrug unter Vespasian eine Million, etwa den achten Teil der Gesamtbevölkerung Ägyptens, und wie die Hellenen wohnten sie vorzugsweise in der Hauptstadt, von deren fünf Vierteln zwei jüdisch waren. An anerkannter Selbständigkeit, an Ansehen, Bildung und Reichtum war die alexandrinische Judenschaft schon vor dem Untergang Jerusalems die erste der Welt; und infolgedessen hat ein guter Teil der letzten Akte der jüdischen Tragödie, wie dies früher dargelegt worden ist, auf ägyptischem Boden sich abgespielt.

Alexandreia wie Antiocheia sind vorzugsweise Sitze der wohlhabenden Handel- und Gewerbetreibenden; aber in Antiocheia fehlt der Seehafen und was daran hängt, und wie rege es dort auf den Gassen herging, sie hielten doch keinen Vergleich aus gegen das Leben und Treiben der alexandrinischen Fabrikarbeiter und Matrosen. Dagegen hatte für den Lebensgenuß, das Schauspiel, das Diner, die Liebesfreuden Antiocheia mehr zu bieten als die Stadt, in der »niemand müßig ging«. Auch das eigentliche vorzugsweise an die rhetorischen Exhibitionen anknüpfende Literatentreiben, welches wir in der Schilderung Kleinasiens skizzierten, trat in Ägypten zurück, wohl mehr im Drang der Geschäfte des Tages als durch den Einfluß der zahlreichen und gut bezahlten in Alexandreia lebenden und großenteils auch dort heimischen Gelehrten. Für den Gesamtcharakter der Stadt kamen diese Männer des Museums, von denen noch weiter die Rede sein wird, vor allem wenn sie in fleißiger Arbeit ihre Schuldigkeit taten;, nicht in hervorragender Weise in Betracht. Die alexandrinischen Ärzte aber galten als die besten im ganzen Reich; freilich war Ägypten nicht minder die rechte Heimstätte der Quacksalber und der Geheimmittel und jener wunderlichen zivilisierten Form der Schäfermedizin, in welcher fromme Einfalt und spekulierender Betrug sich im Mantel der Wissenschaft drapieren. Des dreimal größten Hermes haben wir schon gedacht; auch der alexandrinische Sarapis hat im Altertum mehr Wunderkuren verrichtet als irgendeiner seiner Kollegen und selbst den praktischen Kaiser Vespasian angesteckt, daß auch er die Blinden und Lahmen heilte, jedoch nur in Alexandreia.

Obgleich der Platz, welchen Alexandreia in der geistigen und literarischen Entwicklung des späteren Griechenlands und der okzidentalischen Kultur überhaupt einnimmt oder einzunehmen scheint, nicht in einer Schilderung der örtlichen Zustände Ägyptens, sondern nur in derjenigen dieser Entwicklung selbst entsprechend gewürdigt werden kann, ist das alexandrinische Gelehrtenwesen und dessen Fortdauer unter dem römischen Regiment eine allzu merkwürdige Erscheinung, um nicht auch in dieser Verbindung in seiner allgemeinen Stellung berührt zu werden. Daß die Verschmelzung der orientalischen und der hellenischen Geisteswelt neben Syrien vorzugsweise in Ägypten sich vollzog, wurde schon bemerkt; und wenn der neue Glaube, der den Okzident erobern sollte, von Syrien ausging, so kam die ihm homogene Wissenschaft, diejenige Philosophie, welche neben dem Menschengeist und außerhalb desselben den überweltlichen Gott und die göttliche Offenbarung anerkennt und verkündet, vorzugsweise aus Ägypten, wahrscheinlich schon der neue Pythagoreismus, sicher das philosophische Neujudentum, von dem früher die Rede war, sowie der neue Platonismus, dessen Begründer, der Ägypter Plotinos, ebenfalls schon erwähnt ward. Auf dieser vorzugsweise in Alexandreia sich vollziehenden Durchdringung der hellenischen und der orientalischen Elemente beruht es hauptsächlich, daß, wie dies in der Darstellung der italischen Verhältnisse näher darzulegen ist, der dortige Hellenismus in der früheren Kaiserzeit vorzugsweise ägyptische Form trägt. Wie die an Pythagoras, Moses, Platon anknüpfenden altneuen Weisheiten von Alexandreia aus in Italien eindrangen, so spielte die Isis und was dazu gehört die erste Rolle in der bequemen Modefrömmigkeit, welche die römischen Poeten der augustischen Zeit und die pompeianischen Tempel aus der des Claudius uns zeigen. Die ägyptische Kunstübung herrscht vor in den kampanischen Fresken derselben Epoche wie in der tiburtinischen Villa Hadrians. Dem entspricht die Stellung, welche das alexandrinische Gelehrtenwesen in dem geistigen Leben der Kaiserzeit einnimmt. Nach außen hin beruht dasselbe auf der staatlichen Pflege der geistigen Interessen und würde mit mehr Recht an den Namen Alexanders anknüpfen als an den Alexandreias; es ist die Realisierung des Gedankens, daß in einem gewissen Stadium der Zivilisation Kunst und Wissenschaft durch das Ansehen und die Machtmittel des Staates gestützt und gefördert werden müssen, die Konsequenz des genialen Moments der Weltgeschichte, welcher Alexander und Aristoteles nebeneinander stellte. Es soll hier nicht gefragt werden, wie in dieser mächtigen Konzeption Wahrheit und Irrtum, Beschädigung und Hebung des geistigen Lebens sich miteinander mischen, nicht die dürftige Nachblüte des göttlichen Singens und des hohen Denkens der freien Hellenen einmal mehr gestellt werden neben den üppigen und doch auch großartigen Ertrag des späteren Sammelns, Forschens und Ordnens. Konnten die Institutionen, welche diesem Gedanken entsprangen, der griechischen Nation unwiederbringlich Verlorenes nicht oder, was schlimmer ist, nur scheinhaft erneuern, so haben sie ihr auf dem noch freien Bauplatz der geistigen Welt den einzig möglichen und auch einen herrlichen Ersatz gewährt. Für unsere Erwägung kommen vor allem die örtlichen Verhältnisse in Betracht. Kunstgärten sind einigermaßen unabhängig vom Boden, und nicht anders ist es mit diesen wissenschaftlichen Institutionen, nur daß sie ihrem Wesen nach an die Höfe gewiesen sind. Die materielle Unterstützung kann ihnen auch anderswo zuteil werden; aber wichtiger als diese ist die Gunst der höchsten Kreise, die ihnen die Segel schwellt, und die Verbindungen, welche, in den großen Zentren zusammenlaufend, diese Kreise der Wissenschaft füllen und erweitern. In der besseren Zeit der Alexandermonarchen hatte es solcher Zentren so viele gegeben als es Staaten gab, und dasjenige des Lagidenhofs war nur das angesehenste unter ihnen gewesen. Die römische Republik hatte die übrigen eines nach dem andern in ihre Gewalt gebracht und mit den Höfen auch die dazugehörigen wissenschaftlichen Anstalten und Kreise beseitigt. Daß der künftige Augustus, als er den letzten dieser Höfe aufhob, die damit verknüpften gelehrten Institute bestehen ließ, ist die rechte und nicht die schlechteste Signatur der veränderten Zeit. Der energischere und höhere Philhellenismus des Cäsarenregiments unterschied sich zu seinem Vorteil von dem republikanischen dadurch, daß er nicht bloß griechischen Literaten in Rom zu verdienen gab, sondern die große Tutel der griechischen Wissenschaft als einen Teil der Alexanderherrschaft betrachtete und behandelte. Freilich war, wie in dieser gesamten Regeneration des Reiches, der Bauplan großartiger als der Bau. Die königlich patentierten und pensionierten Musen, welche die Lagiden nach Alexandreia gerufen hatten, verschmähten es nicht, die gleichen Bezüge auch von den Römern anzunehmen; und die kaiserliche Munifizenz stand hinter der früheren königlichen nicht zurück. Der Bibliothekfonds von Alexandreia und der Fonds der Freistellen für Philosophen, Poeten, Ärzte und Gelehrte aller Art, sowie die diesen gewährten Immunitäten wurden von Augustus nicht vermindert, von Kaiser Claudius vermehrt, freilich mit der Auflage, daß die neuen claudischen Akademiker die griechischen Geschichtswerke des wunderlichen Stifters Jahr für Jahr in ihren Sitzungen zum Vortrag zu bringen hatten. Mit der ersten Bibliothek der Welt behielt Alexandreia zugleich durch die ganze Kaiserzeit einen gewissen Primat der wissenschaftlichen Arbeit, bis das Museion zugrunde ging und der Islam die antike Zivilisation erschlug. Es war auch nicht bloß die damit gebotene Gelegenheit, sondern zugleich die alte Tradition und die Geistesrichtung dieser Hellenen, welche der Stadt jenen Vorrang bewahrte, wie denn unter den Gelehrten die geborenen Alexandriner an Zahl und Bedeutung hervorragen. Auch in dieser Epoche sind zahlreiche und achtbare gelehrte Arbeiten, namentlich philologische und physikalische, aus dem Kreise der Gelehrten »vom Museum«, wie sie gleich den Parisern »vom Institut« sich titulierten, hervorgegangen; aber die literarische Bedeutung, welche die alexandrinische und die pergamenische Hofwissenschaft und Hofkunst in der besseren Epoche des Hellenismus für die gesamte hellenische und hellenisierende Welt gehabt hat, knüpfte nie auch nur entfernt sich an die römisch-alexandrinische. Die Ursache liegt nicht in dem Mangel an Talenten oder anderen Zufälligkeiten, am wenigsten daran, daß der Platz im Museum vom Kaiser zuweilen nach Gaben und immer nach Gunst vergeben ward und die Regierung damit völlig schaltete wie mit dem Ritterpferd und den Hausbeamtenstellungen; das war auch an den älteren Höfen nicht anders gewesen. Hofphilosophen und Hofpoeten blieben in Alexandreia, aber nicht der Hof; es zeigte sich hier recht deutlich, daß es nicht auf die Pensionen und Gratifikationen ankam, sondern auf die für beide Teile belebende Berührung der großen politischen und der großen wissenschaftlichen Arbeit. Diese stellte wohl für die neue Monarchie sich ein und damit auch ihre Konsequenzen; aber die Stätte dafür war nicht Alexandreia: diese Blüte der politischen Entwicklung gehörte billig den Lateinern und der lateinischen Hauptstadt. Die augustische Poesie und die augustische Wissenschaft sind unter ähnlichen Verhältnissen zu ähnlicher bedeutender und erfreulicher Entwicklung gelangt wie die hellenistische an dem Hof der Pergamener und der früheren Ptolemäer. Sogar in dem griechischen Kreise knüpfte, soweit die römische Regierung auf denselben im Sinne der Lagiden einwirkte, mehr als an Alexandreia sich dies an Rom an. Die griechischen Bibliotheken der Hauptstadt standen freilich der alexandrinischen nicht gleich, und ein dem alexandrinischen Museum vergleichbares Institut gab es in Rom nicht. Aber die Stellung an den römischen Bibliotheken öffnete die Beziehungen zu dem Hofe. Auch die von Vespasian eingerichtete, von der Regierung besetzte und besoldete hauptstädtische Professur der griechischen Rhetorik gab ihrem Inhaber, wenn er gleich nicht in dem Sinne Hausbeamter war wie der kaiserliche Bibliothekar, eine ähnliche Stellung und galt, ohne Zweifel deswegen, als der vornehmste Lehrstuhl des Reiches. Vor allem aber war das kaiserliche Kabinettsekretariat in seiner griechischen Abteilung die angesehenste und einflußreichste Stellung, zu der ein griechischer Literat überhaupt gelangen konnte. Versetzung von der alexandrinischen Akademie in ein derartiges hauptstädtisches Amt war nachweislich Beförderung. Auch abgesehen von allem, was die griechischen Literaten sonst allein in Rom fanden, genügten die Hofstellungen und die Hofämter, um den angesehensten von ihnen den Zug vielmehr dahin zu geben als an den ägyptischen »Freitisch«. Das gelehrte Alexandreia dieser Zeit ward eine Art Witwensitz der griechischen Wissenschaft, achtungswert und nützlich, aber auf den großen Zug der Bildung wie der Verbildung der Kaiserzeit von keinem durchschlagenden Einfluß; die Plätze im Museum wurden, wie billig, nicht selten an namhafte Gelehrte von auswärts vergeben, und für das Institut selbst kamen die Bücher der Bibliothek mehr in Betracht als die Bürger der großen Handels- und Fabrikstadt.

Die militärischen Verhältnisse Ägyptens stellten, eben wie in Syrien, den Truppen daselbst eine zwiefache Aufgabe: den Schutz der Südgrenze und der Ostküste, der freilich mit dem für die Euphratlinie erforderlichen nicht entfernt verglichen werden kann, und die Aufrechthaltung der inneren Ordnung im Lande wie in der Hauptstadt. Die römische Besatzung bestand, abgesehen von den bei Alexandreia und auf dem Nil stationierten Schiffen, die hauptsächlich für die Zollkontrolle gedient zu haben scheinen, unter Augustus aus drei Legionen nebst den dazugehörigen nicht zahlreichen Hilfstruppen, zusammen etwa 20 000 Mann. Es war dies etwa halb soviel, als er für die sämtlichen asiatischen Provinzen bestimmte, was der Wichtigkeit dieser Provinz für die neue Monarchie entsprach. Die Besatzung wurde aber wahrscheinlich noch unter Augustus selbst um ein Drittel und dann unter Domitian um ein weiteres Drittel vermindert. Anfänglich waren zwei Legionen außerhalb der Hauptstadt stationiert; das Hauptlager aber und bald das einzige lag vor den Toren derselben, da wo Cäsar der Sohn den letzten Kampf mit Antonius ausgefochten hatte, in der danach benannten Vorstadt Nikopolis. Diese hatte ihr eigenes Amphitheater und ihr eigenes kaiserliches Volksfest und war völlig selbständig eingerichtet, so daß eine Zeitlang die öffentlichen Lustbarkeiten von Alexandreia durch die ihrigen in Schatten gestellt wurden. Die unmittelbare Bewachung der Grenze fiel den Auxilien zu. Dieselben Ursachen also, welche in Syrien die Disziplin lockerten, die zunächst polizeiliche Aufgabe und die unmittelbare Berührung mit der großen Hauptstadt, kamen auch für die ägyptischen Truppen ins Spiel; hier trat noch hinzu, daß die üble Gewohnheit den Soldaten bei der Fahne das eheliche Leben oder doch ein Surrogat desselben zu gestatten und die Truppe aus diesen Lagerkindern zu ergänzen bei den makedonischen Regimentern der Ptolemäer seit langem einheimisch war und rasch auch bei den Römern sich wenigstens bis zu einem gewissen Grade einbürgerte. Dementsprechend scheint das ägyptische Korps, in welchem die Okzidentalen noch seltener dienten als in den übrigen Armeen des Ostens und das zum großen Teil aus der Bürgerschaft und dem Lager von Alexandreia sich rekrutierte, unter allen Armeekorps das am wenigstens angesehene gewesen zu sein, wie denn auch die Offiziere dieser Legion, wie schon bemerkt ward, im Rang denen der übrigen nachstanden.

Die eigentlich militärische Aufgabe der ägyptischen Truppen hängt eng zusammen mit den Maßregeln für die Hebung des ägyptischen Handels. Es wird angemessen sein, beides zusammenzufassen und zunächst die Beziehungen zu den kontinentalen Nachbarn im Süden, sodann diejenigen zu Arabien und Indien im Zusammenhang darzulegen.

Ägypten reicht nach Süden, wie schon bemerkt, bis zu der Schranke, welche der letzte Katarrakt unweit Syene (Assuân) der Schiffahrt entgegenstellt. Jenseit Syene beginnt der Stamm der Kesch, wie die Ägypter sie nennen, oder, wie die Griechen übersetzen, der Dunkelfarbigen, der Äthiopen, wahrscheinlich den später zu erwähnenden Urbewohnern Abessiniens stammverwandt und wenn auch vielleicht aus der gleichen Wurzel wie die Ägypter entsprungen, doch in der geschichtlichen Entwicklung als fremdes Volk ihnen gegenüberstehend. Weiter südwärts folgen die Nahsiu der Ägypter, das heißt die Schwarzen, die Nubier der Griechen, die heutigen Neger. Die Könige Ägyptens hatten in besseren Zeiten ihre Herrschaft weit in das Binnenland hinein ausgedehnt, oder es hatten wenigstens auswandernde Ägypter hier sich eigene Herrschaften gegründet; die schriftlichen Denkmäler des pharaonischen Regiments gehen bis oberhalb des dritten Katarakts nach Dongola hinein, wo Nabata (bei Nrûi) der Mittelpunkt ihrer Niederlassungen gewesen zu sein scheint; und noch beträchtlich weiter stromaufwärts, etwa sechs Tagereisen nördlich von Chartum, bei Schendi im Sennaar, in der Nähe der früh verschollenen Äthiopenstadt Merö finden sich Gruppen freilich schriftloser Tempel und Pyramiden. Als Ägypten römisch ward, war es mit dieser Machtentwicklung längst vorbei und herrschte jenseit Syene ein äthiopischer Stamm unter Königinnen, die stehend den Namen oder den Titel Kandake führten und in jenem einst ägyptischen Nabata in Dongola residierten; ein Volk auf niedriger Stufe der Zivilisation, überwiegende Hirten, imstande ein Heer von 30 000 Mann aufzubringen, aber gerüstet mit Schilden von Rindshäuten, bewehrt meist nicht mit Schwertern, sondern mit Beilen oder Lanzen und eisenbeschlagenen Keulen; räuberische Nachbarn, im Gefecht den Römern nicht gewachsen. Diese fielen im J. 730 oder 731 (24 oder 23 v. Chr.) in das römische Gebiet ein, wie sie behaupteten, weil die Vorsteher der nächsten Nomen sie geschädigt hätten, wie die Römer meinten, weil die ägyptischen Truppen damals großenteils in Arabien beschäftigt waren und sie hofften, ungestraft plündern zu können. In der Tat überwanden sie die drei Kohorten, die die Grenze deckten, und schleppten aus den nächsten ägyptischen Distrikten Philä, Elephantine, Syene die Bewohner als Sklaven fort und als Siegeszeichen die Statuen des Kaisers, die sie dort vorfanden.

Aber der Statthalter, der eben damals die Verwaltung des Landes übernahm, Gaius Petronius, vergalt den Angriff rasch; mit 10 000 Mann zu Fuß und 800 Reitern trieb er sie nicht bloß zum Lande hinaus, sondern folgte ihnen den Nil entlang in ihr eigenes Land, schlug sie nachdrücklich bei Pselchis (Dakke) und erstürmte ihre feste Burg Premis (Ibrim) sowie die Hauptstadt selbst, die er zerstörte. Zwar erneuerte die Königin, ein tapferes Weib, im nächsten Jahre den Angriff und versuchte Premis, wo römische Besatzung geblieben war, zu erstürmen; aber Petronius brachte rechtzeitig Entsatz, und so entschloß sich die Äthiopin, Gesandte zu senden und um Frieden zu bitten. Der Kaiser gewährte ihn nicht bloß, sondern befahl, das unterworfene Gebiet zu räumen und wies den Vorschlag seines Statthalters ab, die Besiegten tributpflichtig zu machen. Insofern ist dieser sonst nicht bedeutende Vorgang bemerkenswert, als gleich damals der bestimmende Entschluß der römischen Regierung sich zeigte, zwar das Niltal, soweit der Fluß schiffbar ist, unbedingt zu behaupten, aber von der Besitznahme der weiten Landschaften am oberen Nil ein für allemal abzusehen. Nur die Strecke von Syene, wo unter Augustus die Grenztruppen standen, bis nach Hiera Sykaminos (Maharraka), das sogenannte Zwölfmeilenland (Δωδεκάδχοινος) ist zwar niemals als Nomos eingerichtet und nie als ein Teil Ägyptens, aber doch als zum Reiche gehörig betrachtet worden; und spätestens unter Domitian wurden selbst die Posten bis nach Hiera Sykaminos vorgerückt. Dabei ist es im wesentlichen geblieben. Die von Nero geplante orientalische Expedition sollte allerdings auch Äthiopien umfassen; aber es blieb bei der vorläufigen Erkundung des Landes durch römische Offiziere bis über Merö hinauf. Das nachbarliche Verhältnis muß an der ägyptischen Südgrenze bis in die Mitte des 3. Jahrhunderts im ganzen friedlicher Art gewesen sein, wenn es auch an kleineren Händeln mit jener Kandake und mit ihren Nachfolgerinnen, die längere Zeit sich behauptet zu haben scheinen, später vielleicht mit anderen jenseit der Reichsgrenze zur Vormacht gelangenden Stämmen, nicht gefehlt haben wird. Erst als das Reich in der valerianisch-gallienischen Zeit aus den Fugen ging, brachen die Nachbarn auch über diese Grenze. Es ist schon erwähnt worden, daß die in den Gebirgen an der Südostgrenze ansässigen, früher den Äthiopen gehorchenden Blemyer, ein Barbarenvolk von entsetzlicher Roheit, welches noch Jahrhunderte später sich der Menschenopfer nicht entwöhnt hatte, in dieser Epoche selbständig gegen Ägypten vorging und im Einverständnis mit den Palmyrenern einen guten Teil Oberägyptens besetzte und eine Reihe von Jahren behauptete. Der tüchtige Kaiser Probus vertrieb sie; aber die einmal begonnenen Einfälle hörten nicht auf, und Kaiser Diocletianus entschloß sich, die Grenze zurückzunehmen. Das schmale Zwölfmeilenland forderte starke Besatzung und trug dem Staate wenig ein. Die Nubier, welche in der libyschen Wüste hausten und besonders die große Oase stetig heimsuchten, gingen darauf ein, ihre alten Sitze aufzugeben und sich in dieser Landschaft anzusiedeln, die ihnen förmlich abgetreten ward; zugleich wurden ihnen sowohl wie ihren östlichen Nachbarn, den Blemyern, feste Jahrgelder ausgesetzt, dem Namen nach um sie für die Grenzbewachung zu entschädigen, in der Tat ohne Zweifel als Abkaufsgelder für ihre Plünderzüge, die natürlich dennoch nicht aufhörten. Es war ein Schritt zurück, der erste, seit Ägypten römisch war.

Von dem kaufmännischen Verkehr an dieser Grenze ist aus dem Altertum wenig überliefert. Da die Katarakten des oberen Nils den unmittelbaren Wasserweg sperrten, hat sich der Verkehr zwischen dem inneren Afrika und den Ägyptern, namentlich der Elfenbeinhandel in römischer Zeit mehr über die abessinischen Häfen als am Nil hin bewegt; aber gefehlt hat er auch in dieser Richtung nicht. Die auf der Insel Philä zahlreich neben den Ägyptern wohnenden Äthiopen sind offenbar meistens Kaufleute gewesen, und der hier vorwaltende Grenzfrieden wird das seinige beigetragen haben zum Aufblühen der oberägyptischen Grenzstädte und des ägyptischen Handels überhaupt.

Die Ostküste Ägyptens stellt der Entwicklung des Weltverkehrs eine schwer zu lösende Aufgabe. Der durchgängig öde und felsige Strand ist eigentlicher Kultur unfähig und in alter wie in neuer Zeit eine Wüste. Dagegen nähern die beiden für die Kulturentwicklung der Alten Welt vorzugsweise wichtigen Meere, das Mittelländische und das Rote oder Indische sich einander am meisten an den beiden nördlichsten Spitzen des letzteren, dem persischen und dem Arabischen Golf; jener nimmt den Euphrat in sich auf, der in seinem mittleren Lauf dem Mittelländischen Meere nahekommt; dieser ist nur wenige Tagemärsche entfernt von dem in dasselbe Meer fließenden Nil. Daher nimmt in alter Zeit der Handelsverkehr zwischen dem Osten und dem Westen überwiegend entweder die Richtung auf dem Euphrat zu der syrischen und der arabischen Küste, oder er wendet sich von der Ostküste Ägyptens nach dem Nil. Die Verkehrswege vom Euphrat her sind älter als die über den Nil; aber die letzteren haben den Vorzug der besseren Schiffbarkeit des Stromes und des kürzeren Landtransports; die Beseitigung des letzteren durch Herstellung einer künstlichen Wasserstraße ist bei dem Euphratweg ausgeschlossen, bei dem ägyptischen in alter wie in neuer Zeit wohl schwierig, aber nicht unmöglich befunden. Sonach ist dem Land Ägypten von der Natur selbst vorgeschrieben, die Ostküste mit dem Nillauf und der nördlichen Küste durch Land- oder Wasserstraßen zu verbinden; und es gehen auch die Anfänge derartiger Anlagen bis zurück in die Zeit derjenigen einheimischen Herrscher, welche zuerst Ägypten dem Ausland und dem großen Handelsverkehr erschlossen. Auf den Spuren, wie es scheint, älterer Anlagen der großen Regenten Ägyptens Sethi I. und Rhamses II. begann, der Sohn Psammetichs, König Necho (610 bis 594 v. Chr.), den Bau eines Kanals, der in der Nähe von Kairo vom Nil abzweigend eine Wasserverbindung mit den Bitterseen bei Ismailie und durch diese mit dem Roten Meer herstellen sollte, ohne indes das Werk vollenden zu können. Daß er dabei nicht bloß die Beherrschung des Arabischen Golfs und den Handelsverkehr mit den Arabern in das Auge faßte, sondern das Persische und das Indische Meer und der entlegenere Osten bereits in den Horizont dieses Ägypterkönigs getreten waren, ist deswegen wahrscheinlich, weil derselbe Herrscher die einzige im Altertum ausgeführte Umschiffung Afrikas veranlaßt hat. Außer Zweifel ist dies für König Dareios I., den Herrn sowohl Persiens wie Ägyptens; er vollendete den Kanal, aber, wie seine an Ort und Stelle aufgefundenen Denksteine melden, ließ er ihn selbst wieder verschütten, wahrscheinlich weil seine Ingenieure befürchteten, daß das Meerwasser, eingelassen in den Kanal, die Gefilde Ägyptens überschwemmen werde.

Der Wettkampf der Lagiden und der Seleukiden, welcher die Politik der nachalexandrischen Zeit überhaupt beherrscht, war zugleich ein Kampf zwischen dem Euphrat und dem Nil. Jener war im Besitz, dieser der Prätendent; und in der besseren Zeit der Lagiden ist die friedliche Offensive mit großer Energie geführt worden. Nicht bloß wurde jener von Necho und Dareios unternommene Kanal, jetzt der »Fluß Ptolemäos« genannt, durch den zweiten Ptolemäer Philadelphos († 247 v. Chr.) zum erstenmal der Schiffahrt eröffnet, sondern es wurden auch an den für die Sicherheit der Schiffe und für die Verbindung mit dem Nil am besten geeigneten Punkten der schwierigen Ostküste umfassende Hafenbauten ausgeführt. Vor allem geschah dies an der Mündung des zum Nil führenden Kanals, bei den Ortschaften Arsinö, Kleopatris, Klysma, alle drei in der Gegend des heutigen Suez. Weiter abwärts entstanden außer manchen kleineren Anlagen die beiden bedeutenden Emporien Myos Hormos, etwas oberhalb des heutigen Kosêr, und Berenike im Trogodytenland, ungefähr in gleicher Breite mit Syene am Nil sowie mit dem arabischen Hafen Leuke Kome, von der Stadt Koptos, bei der der Nil am weitesten östlich vorspringt, jenes 6 – 7, dieses 11 Tagemärsche entfernt und durch quer durch die Wüste angelegte, mit großen Zisternen versehene Straßen mit diesem Hauptemporium am Nil verbunden. Der Warenverkehr der Ptolemäerzeit ist wahrscheinlich weniger durch den Kanal gegangen als über diese Landwege nach Koptos.

Über jenes Berenike im Trogodytenland hinaus hat sich das eigentliche Ägypten der Lagiden nicht erstreckt. Die weiter gegen Süden liegenden Ansiedlungen Ptolemais »für die Jagd« unterhalb Suâkin und die südlichste Ortschaft des Lagidenreichs, das spätere Adulis, damals vielleicht »Berenike die goldene« oder »bei Saba« genannt, Zula unweit des heutigen Massaua, bei weitem der beste Hafen an dieser ganzen Küste, sind nicht mehr gewesen als Küstenforts und haben mit Ägypten nicht in Landverbindung gestanden. Auch sind diese entlegenen Ansiedlungen ohne Zweifel unter den späteren Lagiden entweder verlorengegangen oder freiwillig aufgegeben worden, und war in der Epoche, wo die römische Herrschaft eintritt, wie im Binnenland Syene, so an der Küste das trogodytische Berenike die Reichsgrenze.

In diesem von den Ägyptern nie besetzten oder früh geräumten Gebiet bildete sich, sei es am Ausgang der Lagidenepoche, sei es in der ersten Kaiserzeit ein unabhängiger Staat von Ausdehnung und Bedeutung, derjenige der Axomiten, entsprechend dem heutigen Habesch. Er führt seinen Namen von der im Herzen dieses Alpenlandes acht Tagereisen vom Meer in der heutigen Landschaft Tigre gelegenen Stadt Axômis, dem heutigen Axum; als Hafen dient ihm das schon erwähnte beste Emporium an dieser Küste, Adulis in der Bucht von Massaua. Die ursprüngliche Bevölkerung dieser Landschaft mag wohl das Agau gesprochen haben, von welcher Sprache sich noch heute in einzelnen Strichen des Südens reine Überreste behaupten und die dem gleichen hamitischen Kreise mit den heutigen Bedscha, Dankali, Somali, Galla angehört; der ägyptischen Bevölkerung scheint dieser Sprachkreis in ähnlicher Weise verwandt wie die Griechen mit den Kelten und den Slaven, so daß hier wohl für die Forschung eine Verwandtschaft, für das geschichtliche Dasein aber vielmehr allein der Gegensatz besteht. Aber bevor unsere Kunde von diesem Lande auch nur beginnt, müssen überlegene semitische zu den himjaritischen Stämmen des südlichen Arabiens gehörige Einwanderer den schmalen Meerbusen überschritten und ihre Sprache wie ihre Schrift dort einheimisch gemacht haben. Die alte, erst lange nach römischer Zeit im Volksgebrauch erloschene Schriftsprache von Habesch, das Ge’ez oder, wie sie fälschlich meist genannt wird, die äthiopische ist rein semitisch, und die jetzt noch lebenden Dialekte, namentlich das Tigriña, sind es im wesentlichen auch, nur durch die Einwirkung des älteren Agau getrübt. – Über die Anfänge dieses Gemeinwesens hat sich keine Überlieferung erhalten. Am Ausgang der neronischen Zeit und vielleicht schon lange vorher herrschte der König der Axomiten an der afrikanischen Küste etwa von Suâkin bis zur Straße Bab el Mandeb. Einige Zeit darauf – näher läßt sich die Epoche nicht bestimmen – finden wir ihn als Grenznachbar der Römer an der Südgrenze Ägyptens, auch an der anderen Küste des Arabischen Meerbusens in dem Zwischengebiet zwischen dem römischen Besitz und dem der Sabäer in kriegerischer Tätigkeit, also nach Norden mit dem römischen Gebiet auch in Arabien sich unmittelbar berührend überdies die afrikanische Küste außerhalb des Busens vielleicht bis zum Kap Guardafui beherrschend. Wie weit sich sein Gebiet von Axomis landeinwärts erstreckt hat, erhellt nicht; Äthiopien, das heißt Sennaar und Dongola, haben wenigstens in der früheren Kaiserzeit schwerlich dazu gehört; vielmehr mag zu der Zeit das Reich von Nabata neben dem axomitischen bestanden haben.

Wo uns die Axomiten entgegentreten, finden wir sie auf einer verhältnismäßig vorgeschrittenen Stufe der Entwicklung. Unter Augustus hob sich der ägyptische Handelsverkehr nicht minder wie mit Indien so mit diesen afrikanischen Häfen. Der König gebot nicht bloß über ein Heer, sondern, wie dies schon seine Beziehungen zu Arabien voraussetzen, auch über eine Flotte. Den König Zoskales, der in Vespasians Zeit in Axomis regierte, nennt ein griechischer Kaufmann, der in Adulis gewesen war, einen rechtschaffenen und der griechischen Schrift kundigen Mann; einer seiner Nachfolger hat an Ort und Stelle eine in geläufigem Griechisch verfaßte Denkschrift aufgestellt, die seine Taten den Fremden erzählte; er selbst nennt sich in derselben einen Sohn des Ares, welchen Titel die Könige der Axomiten bis in das 4. Jahrhundert hinab beibehielten und widmet den Thron, der jene Denkschrift trägt, dem Zeus, dem Ares und dem Poseidon. Schon zu Zoskales Zeit nennt jener Fremde Adulis einen wohlgeordneten Handelsplatz; seine Nachfolger nötigten die schweifenden Stämme der arabischen Küste zu Lande wie zur See Frieden zu halten und stellten eine Landverbindung her von ihrer Hauptstadt bis an die römische Grenze, was bei der Beschaffenheit dieser zunächst auf Seeverbindung angewiesenen Landschaft nicht gering anzuschlagen ist. Unter Vespasian dienten Messingstücke, die nach Bedürfnis geteilt wurden, den Eingeborenen statt des Geldes und zirkulierte die römische Münze nur bei den in Adulis ansässigen Fremden; in der späteren Kaiserzeit haben die Könige selber geprägt. Daneben nennt der axomitische Herrscher sich König der Könige, und keine Spur deutet auf römische Klientel; er übt die Prägung in Gold, was die Römer nicht bloß in ihrem Gebiet, sondern auch in ihrem Machtbereich nicht zuließen. Es gibt in der Kaiserzeit außerhalb der römisch-hellenischen Grenzen kaum ein anderes Land, welches in gleicher Selbständigkeit dem hellenischen Wesen bei sich eine Stätte bereitet hätte wie der Staat von Habesch. Daß im Laufe der Zeit die einheimische oder vielmehr aus Arabien eingebürgerte Volkssprache die Alleinherrschaft zurückgewann und das Griechische verdrängte, ist wahrscheinlich teils auf arabischen Einfluß zurückzuführen, teils auf den des Christentums und die damit zusammenhängende Wiederbelebung der Volksdialekte, wie wir sie auch in Syrien und in Ägypten fanden, und schließt nicht aus, daß die griechische Sprache in Axomis und Adulis im 1. und 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung eine ähnliche Stellung gehabt hat wie in Syrien und in Ägypten, soweit es eben gestattet ist, Kleines mit Großem zu vergleichen.

Von politischen Beziehungen der Römer zu dem Staat von Axomis wird aus den ersten drei Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, auf welche unsere Erzählung sich beschränkt, kaum etwas gemeldet. Mit dem übrigen Ägypten nahmen sie auch die Häfen der Ostküste in Besitz bis hinab zu dem abgelegenen und darum in römischer Zeit unter einen eigenen Kommandanten gestellten trogodytischen Berenike. An Gebietserweiterung in die unwirtlichen und wertlosen Küstengebirge hinein ist hier nie gedacht worden; auch kann die dünne und auf der niedrigsten Stufe der Entwicklung stehende Bevölkerung des nächst angrenzenden Gebietes den Römern niemals ernsthaft zu schaffen gemacht haben. Ebensowenig haben die Cäsaren so, wie es die früheren Lagiden getan hatten, sich der Emporien der axomitanischen Küste zu bemächtigen versucht. Ausdrücklich gemeldet wird nur, daß Gesandte des Axomitenkönigs mit Kaiser Aurelian verhandelten. Aber eben dieses Stillschweigen sowie die früher bezeichnete unabhängige Stellung des Herrschers führen darauf, daß hier die geltenden Grenzen beiderseits dauernd respektiert wurden und ein gutes nachbarliches Verhältnis bestand, welches den Interessen des Friedens und vornehmlich dem ägyptischen Handelsverkehr zugute kam. Daß dieser, insbesondere der wichtige Elfenbeinhandel, in welchem Adulis für das innere Afrika das hauptsächliche Entrepot war, überwiegend von Ägypten aus und auf ägyptischen Schiffen geführt worden ist, kann bei der überlegenen Zivilisation Ägyptens schon für die Lagidenzeit keinem Zweifel unterliegen, und auch in römischer Zeit hat dieser Verkehr sich wohl nur gesteigert, nicht weiter geändert.

Bei weitem wichtiger als der Verkehr mit dem afrikanischen Süden war für Ägypten und das römische Reich überhaupt der Verkehr mit Arabien und den weiter östlich gelegenen Küsten. Die arabische Halbinsel ist dem hellenischen Kulturkreise fern geblieben. Es wäre wohl anders gekommen, wenn König Alexander ein Jahr länger gelebt hätte; der Tod raffte ihn weg mitten in den Vorbereitungen, die bereits erkundete arabische Südküste vom Persischen Meerbusen aus zu umfahren und zu besetzen, Aber die Fahrt, die der große König nicht hatte antreten können, hat nach ihm nie ein Grieche unternommen. Seit fernster Zeit hat dagegen zwischen den beiden Küsten des Arabischen Meerbusens ein lebhafter Verkehr über das mäßig breite Wasser hinüber stattgefunden. In den ägyptischen Berichten aus der Pharaonenzeit spielen die Seefahrten nach dem Land Punt, die von dort heimgebrachte Beute an Weihrauch, Ebenholz, Smaragden, Leopardenfellen eine bedeutende Rolle. Daß späterhin der nördliche Teil der arabischen Westküste zu dem Gebiet der Nabatäer gehörte und mit diesem in die Gewalt der Römer kam, ist schon angegeben worden. Es war dies ein ödes Gestade; nur das Emporium Leuke Kome, die letzte Stadt der Nabatäer und insofern auch des römischen Reiches, stand nicht bloß mit dem gegenüberliegenden Berenik in Seeverkehr, sondern war auch der Ausgangspunkt der nach Petra und von da zu den Häfen des südlichen Syriens führenden Karawanenstraße und insofern einer der Knotenpunkte des orientalisch-okzidentalischen Handels. Die südlich angrenzenden Gebiete, nord- und südwärts von dem heutigen Mekka, entsprachen in ihrer Naturbeschaffenheit dem gegenüberlegenden Trogodytenland und sind gleich diesem im Altertum weder politisch noch kommerziell von Bedeutung, auch dem Anschein nach nicht unter einem Szepter geeinigt, sondern von schweifenden Stämmen besetzt gewesen. Aber am Südende des Busens ist der einzige arabische Stamm zu Hause, welcher in der vorislamischen Zeit zu größerer Bedeutung gelangt ist. Die Griechen und die Römer nennen diese Araber in älterer Zeit nach der damals am meisten hervortretenden Völkerschaft Sabäer, in späterer nach einer anderen gewöhnlich Homeriten, wir nach der neuarabischen Form des letzteren Namens jetzt meistens Himjariten. Die Entwicklung dieses merkwürdigen Volkes hatte lange vor dem Beginn der römischen Herrschaft über Ägypten eine bedeutende Stufe erreicht. Seine Heimstatt, das »glückliche Arabien« der Alten, die Gegend von Mocha und Aden, ist von einer schmalen, glühend heißen und öden Strandebene umsäumt, aber das gesunde und temperierte Innere von Jemen und Hadramaut erzeugt an den Gebirgshängen und in den Tälern eine üppige Vegetation, und die zahlreichen Bergwässer gestatten bei sorgfältiger Wirtschaft vielfach eine gartenartige Kultur. Von der reichen und eigenartigen Zivilisation dieser Landschaft geben noch heute ein redendes Zeugnis die Reste von Stadtmauern und Türmen, von Nutz-, namentlich Wasserbauten und mit Inschriften bedeckten Tempeln, welche die Schilderung der alten Schriftsteller von der Pracht und dem Luxus dieser Landschaft vollkommen bestätigen; über die Burgen und Schlösser der zahlreichen Kleinfürsten Jemens haben die arabischen Geographen Bücher geschrieben. Berühmt sind die Trümmer des mächtigen Dammes, welcher einst in dem Tal bei Mariaba den Danafluß staute und es möglich machte, die Fluren aufwärts zu bewässern, und von dessen Durchbruch und der dadurch angeblich veranlaßten Auswanderung der Bewohner von Jemen nach Norden die Araber lange Zeit ihre Jahre gezählt haben. Vor allem aber ist dieser Bezirk einer der Ursitze des Großhandels zu Lande wie zur See, nicht bloß weil seine Produkte, der Weihrauch, die Edelsteine, das Gummi, die Cassia, Aloe, Senna, Myrrhe und zahlreiche andere Drogen den Export hervorrufen, sondern auch weil dieser semitische Stamm, ähnlich wie der der Phöniker, seiner ganzen Art nach für den Handel geschaffen ist; eben wie die neueren Reisenden sagt auch Strabon, daß die Araber alle Händler und Kaufleute sind. Die Silberprägung ist hier alt und eigenartig; die Münzen sind anfänglich athenischen Stempeln, später römischen des Augustus nachgeprägt, aber auf einen selbständigen wahrscheinlich babylonischen Fuß. Aus dem Land dieser Araber führten die uralten Weihrauchstraßen quer durch die Wüste nach den Stapelplätzen am Arabischen Meerbusen Älana und dem schon genannten Leuke Kome und den Emporien Syriens Petra und Gaza; diese Wege des Landhandels, welche neben denen des Euphrat und des Nil den Verkehr zwischen Orient und Okzident seit ältester Zeit vermitteln, sind vermutlich die eigentliche Grundlage des Aufblühens von Jemen. Aber der Seeverkehr gesellte ebenfalls bald sich dazu; der große Stapelplatz dafür ward Adane, das heutige Aden. Von hier aus gingen die Waren zu Wasser, sicher überwiegend auf Arabischen Schiffen, entweder nach eben jenen Stapelplätzen am Arabischen Meerbusen und also nach den syrischen Häfen oder nach Berenike und Myos Hormos und von da nach Koptos und Alexandreia. Daß dieselben Araber ebenfalls in sehr früher Zeit sich der gegenüberliegenden Küste bemächtigten und ihre Sprache und Schrift und ihre Zivilisation nach Habesch verpflanzten, wurde schon gesagt. Wenn Koptos, das Nil-Emporium für den östlichen Handel, ebensoviel Araber wie Ägypter zu Bewohnern hatte, wenn sogar die Smaragdgruben oberhalb Berenike (bei Djebel Zebâra) von den Arabern ausgebeutet wurden, so zeigt dies, daß sie im Lagidenstaat selbst den Handel bis zu einem gewissen Grad in der Hand hatten; und dessen passives Verhalten in betreff des Verkehrs auf dem Arabischen Meer, wohin höchstens einmal ein Zug gegen die Piraten unternommen wurde, wird eher begreiflich, wenn ein seemächtiger und geordneter Staat diese Gewässer beherrschte. Auch außerhalb ihres eigenen Meeres begegnen wir den Arabern des Jemen. Adane blieb bis in die römische Kaiserzeit hinein Stapelplatz des Verkehrs einerseits mit Indien, andererseits mit Ägypten und gedieh trotz seiner eigenen ungünstigen Lage an dem baumlosen Strand zu solcher Blüte, daß die Benennung des »glücklichen Arabien« zunächst auf diese Stadt sich bezieht. Die Herrschaft, die in unseren Tagen der Imam von Maskat im Südosten der Halbinsel über die Inseln Sokotra und Zanzibar und die afrikanische Ostküste vom Kap Guardafui südlich ausgeübt hat, stand in vespasianischer Zeit »von alters her« den Fürsten Arabiens zu: die Dioskorides-Insel, eben jenes Sokotra, gehorchte damals dem König von Hadramaut, Azania, das heißt die Küste Somal, und weiter südlich, einem der Unterkönige seines westlichen Nachbarn, des Königs der Homeriten. Die südlichste Station an der ostafrikanischen Küste, von welcher die ägyptischen Kaufleute wußten, Rhapta in der Gegend von Zanzibar, pachteten von diesem Scheich die Kaufleute von Muza, das ist ungefähr das heutige Mocha, »und senden dorthin ihre Handelsschiffe, meistens bemannt mit arabischen Kapitänen und Matrosen, welche mit den Eingeborenen zu verkehren gewohnt und oft durch Heirat verknüpft und der Örtlichkeiten und der Landessprachen kundig sind«. Die Bodenkultur und die Industrie reichten dem Handel die Hand: in den vornehmen Häusern Indiens trank man neben dem italischen Falerner und dem syrischen Laodikener auch arabischen Wein; und die Lanzen und die Schusterpfriemen, welche die Eingeborenen der Küste von Zanzibar von den fremden Händlern kauften, waren Fabrikat von Muza. So ward diese Landschaft, die zudem viel verkaufte und wenig kaufte, eine der reichsten der Welt. – Wieweit die politische Entwicklung derselben mit der wirtschaftlichen Schritt gehalten hatte, läßt sich für die vorrömische und die frühere Kaiserzeit nicht bestimmen; nur so viel scheint sowohl aus den Berichten der Okzidentalen wie aus den einheimischen Inschriften sich zu ergeben, daß diese Südwestspitze Arabiens unter mehrere selbständige Herrscher mit Gebieten von mäßiger Größe geteilt war. Es standen dort neben den am meisten hervortretenden Sabäern und Homeriten die schon genannten Chatramotiten in Hadramaut und nördlich im Binnenland die Minäer, alle unter eigenen Fürsten.

Den Arabern Jemens gegenüber haben die Römer die gerade entgegengesetzte Politik befolgt wie gegenüber den Axomiten. Augustus, für den die Nichterweiterung der Grenzen der Ausgangspunkt des Reichsregiments war, und der die Eroberungspläne seines Vaters und Meisters beinahe alle fallen ließ, hat eine Ausnahme mit der arabischen Südwestküste gemacht und ist hier nach freiem Entschluß angreifend vorgegangen. Es geschah dies wegen der Stellung, welche diese Völkergruppe in dem indisch-ägyptischen Handelsverkehr damals einnahm. Um die politisch und finanziell wichtigste Landschaft seines Herrschaftsgebietes wirtschaftlich auf die Höhe zu bringen, welche seine Vorherrscher herzustellen versäumt hatten oder hatten verfallen lassen, bedurfte er vor allem der Gewinnung des Zwischenverkehrs zwischen Arabien und Indien einer- und Europa andererseits. Der Nilweg konkurrierte seit langem erfolgreich mit den arabischen und den Euphratstraßen; aber Ägypten spielte dabei, wie wir sahen, wenigstens unter den späteren Lagiden, eine untergeordnete Rolle. Nicht mit den Axomiten, aber wohl mit den Arabern bestand Handelskonkurrenz; sollte der ägyptische Verkehr aus einem passiven ein aktiver, aus einem indirekten ein direkter werden, so mußten die Araber niedergeworfen werden; und dies ist es, was Augustus gewollt und das römische Regiment einigermaßen auch erreicht hat.

Im sechsten Jahr seiner Regierung in Ägypten (Ende 729 [25 v. Chr.]) entsandte Augustus eine eigens für diese Expedition hergestellte Flotte von 80 Kriegs- und 130 Transportschiffen und die Hälfte der ägyptischen Armee, ein Korps von 10 000 Mann, ungerechnet die Zuzüge der beiden nächsten Klientelkönige, des Nabatäers Obodas und des Juden Herodes, gegen die Staaten der Jemen, um dieselben entweder zu unterwerfen oder wenigstens zugrunde zu richten, woneben die dort aufgehäuften Schätze sicher auch in Rechnung kamen. Aber das Unternehmen schlug vollständig fehl, und zwar durch die Unfähigkeit des Führers, des damaligen Statthalters von Ägypten, Gaius Älius Gallus. Da auf die Besetzung und den Besitz der öden Küste von Leuke Kome abwärts bis an die Grenze des feindlichen Gebiets gar nichts ankam, so mußte die Expedition unmittelbar gegen dieses gerichtet und aus dem südlichsten ägyptischen Hafen die Armee sofort in das glückliche Arabien geführt werden. Statt dessen wurde die Flotte in dem nördlichsten, dem von Arsinö (Suez) fertiggestellt und das Heer in Leuke Kome ans Land gesetzt, gleich als wäre es darauf angekommen, die Fahrt der Flotte und den Marsch der Truppen möglichst zu verlängern. Überdies waren die Kriegsschiffe überflüssig, da die Araber keine Kriegsflotte besaßen, die römischen Seeleute mit der Fahrt an der arabischen Küste unbekannt und die Fahrzeuge, obwohl besonders für die Expedition gebaut, für ihre Bestimmung ungeeignet. Die Piloten fanden sich nicht zurecht zwischen den Untiefen und Klippen, und schon die Fahrt auf den römischen Gewässern von Arsinö nach Leuke Kome kostete viele Schiffe und Leute. Hier wurde überwintert; im Frühjahr 730 begann der Zug in Feindesland. Die Araber hinderten ihn nicht, aber wohl Arabien. Wo einmal die Doppeläxte und die Schleudern und Bogen mit dem Pilum und dem Schwert zusammenstießen, stoben die Eingeborenen auseinander wie die Spreu vor dem Winde; aber die Krankheiten, die im Lande endemisch sind, der Skorbut, der Aussatz, die Gliederlähmung dezimierten die Soldaten ärger als die blutigste Schlacht, und um so mehr, als der Feldherr es nicht verstand, die schwerfällige Heermasse rasch vorwärts zu bringen. Dennoch gelangte die römische Armee bis vor die Mauern der Hauptstadt der zunächst von dem Angriff betroffenen Sabäer Mariaba. Aber da die Einwohner die Tore ihrer mächtigen heute noch stehenden Mauern schlossen und energische Gegenwehr leisteten, verzweifelte der römische Feldherr an der Lösung der ihm gestellten Aufgabe und trat, nachdem er sechs Tage vor der Stadt gelegen hatte, den Rückzug an, den die Araber kaum ernstlich störten und der im Drang der Not, freilich unter schlimmer Einbuße an Mannschaften, verhältnismäßig schnell gelang. Es war ein übler Mißerfolg; aber Augustus gab die Eroberung Arabiens nicht auf. Es ist schon erzählt worden, daß die Orientfahrt, die der Kronprinz Gaius im Jahre 753 antrat, in Arabien endigen sollte; es war diesmal im Plan nach der Unterwerfung Armeniens im Einverständnis mit der parthischen Regierung oder nötigenfalls nach Niederwerfung ihrer Armeen, an die Euphratmündung zu gelangen und von da aus den Seeweg, den einst der Admiral Nearchos für Alexander erkundet hatte, nach dem glücklichen Arabien zu nehmen. In anderer, aber nicht minder unglücklicher Weise endigten diese Hoffnungen durch den parthischen Pfeil, der den Kronprinzen vor den Mauern von Artageira traf. Mit ihm ward der arabische Eroberungsplan für alle Zukunft begraben. Die große Halbinsel ist in der ganzen Kaiserzeit, abgesehen von dem nördlichen und nordwestlichen Küstenstriche, in derjenigen Freiheit verblieben, aus welcher seiner Zeit der Henker des Hellenentums, der Islam, hervorgehen sollte.

Aber gebrochen ward der arabische Handel allerdings, teils durch die weiterhin zu erörternden Maßregeln der römischen Regierung zum Schutz der ägyptischen Schiffahrt, teils durch einen gegen den Hauptstapelplatz des indisch-arabischen Verkehrs von den Römern geführten Schlag. Sei es unter Augustus selbst, möglicherweise bei den Vorbereitungen zu der von Gaius auszuführenden Invasion, sei es unter einem seiner nächsten Nachfolger, es erschien eine römische Flotte vor Adane und zerstörte den Platz; in Vespasians Zeit war er ein Dorf und seine Blüte vorüber. Wir kennen nur die nackte Tatsache, aber sie spricht für sich selber. Ein Seitenstück zu der Zerstörung Korinths und Karthagos durch die Republik, hat sie wie diese ihren Zweck erreicht und dem römisch-ägyptischen Handel die Suprematie im Arabischen Meerbusen und im Indischen Meere gesichert.

Indes die Blüte des gesegneten Landes von Jemen war zu fest begründet, um diesem Schlag zu erliegen; politisch hat es sogar vielleicht erst in dieser Epoche sich straffer zusammengefaßt. Mariaba war, als die Waffen des Gallus an seinen Mauern scheiterten, vielleicht nicht mehr als die Hauptstadt der Sabäer; aber schon damals war die Völkerschaft der Homeriten, deren Hauptstadt Sapphar etwas südlich von Mariaba auch im Binnenland liegt, die stärkste des glücklichen Arabiens. Ein Jahrhundert später finden wir beide vereinigt unter einem in Sapphar regierenden König der Homeriten und der Sabäer, dessen Herrschaft bis Mocha und Aden und, wie schon gesagt ward, über die Insel Sokotra und die Küste von Somal und Zanzibar sich erstreckt; und wenigstens von dieser Zeit an kann von einem Reich der Homeriten die Rede sein. Die Wüstenei nördlich von Mariaba bis zur römischen Grenze gehörte damals nicht dazu und stand überhaupt unter keiner geordneten Gewalt; die Fürstentümer der Minäer und der Chatramotiten blieben auch ferner unter eigenen Landesherren. Die östliche Hälfte Arabiens hat beständig einen Teil des persischen Reiches gebildet und niemals unter dem Szepter der Beherrscher des glücklichen Arabien gestanden. Auch jetzt also waren die Grenzen enge und sind es wohl geblieben; es ist wenig über die weitere Entwicklung der Verhältnisse bekannt. In der Mitte des 4. Jahrhunderts war das Reich der Homeriten mit dem der Axomiten vereinigt und wurde von Axomis aus beherrscht, welche Untertänigkeit indes späterhin sich wieder gelöst hat. Sowohl das Reich der Homeriten wie das vereinigte axomitisch-homeritische stand als unabhängiger Staat in der späteren Kaiserzeit mit Rom in Verkehr und Vertrag. In dem Handel und der Schiffahrt haben die Araber des Südwestens der Halbinsel auch später noch, wenn nicht mehr den Platz der Vormacht, doch die ganze Kaiserzeit hindurch eine hervorragende Stelle eingenommen. Nach der Zerstörung von Adane ist Muza die Handelsmetropole dieser Landschaft geworden. Noch für die vespasianische Zeit trifft die früher gegebene Darstellung im wesentlichen zu. Der Ort wird uns in dieser Zeit geschildert als ausschließlich arabisch, bewohnt von Reedern und Seeleuten und voll rührigen kaufmännischen Treibens, mit ihren eigenen Schiffen befahren die Muzaiten die ganze afrikanische Ost- und die indische Westküste und verfrachten nicht bloß die Waren des eigenen Landes, sondern bringen auch die nach orientalischem Geschmack in den Fabriken des Okzidents gefertigten Purpurstoffe und Goldstickereien und die feinen Weine Syriens und Italiens den Orientalen, hinwiederum den Westländern die edlen Waren des Ostens. In dem Weihrauch und den sonstigen Aromen müssen Muza und das Emporium des benachbarten Reiches von Hadramaut Kane östlich von Aden eine Art tatsächlichen Monopols immer behalten haben; erzeugt wurde diese im Altertum sehr viel mehr als heute gebrauchte Ware wie auf der südlichen arabischen so auch auf der afrikanischen Küste von Adulis bis zum »Vorgebirge der Arome«, dem Kap Guardafui, aber von hier holten sie die Kaufleute von Muza, und sie brachten sie in den Welthandel. Auf der schon erwähnten Dioskorides-Insel war eine gemeinschaftliche Handelsniederlassung der drei großen seefahrenden Nationen dieser Meere, der Hellenen, das heißt der Ägypter, der Araber und der Inder. Von Beziehungen aber zum Hellenismus, wie wir sie auf der gegenüberliegenden Küste bei den Axomiten fanden, begegnet im Lande Jemen keine Spur; wenn die Münzprägung durch okzidentalische Stempel bestimmt ist, so waren diese eben im ganzen Orient gangbar. Sonst haben sich Schrift und Sprache und Kunstübung, soweit wir zu urteilen vermögen, hier ebenso selbständig entwickelt wie Handel und Schiffahrt, und sicher ist es dadurch mit bewirkt worden, daß die Axomiten, während sie politisch die Homeriten sich unterwarfen, später aus der hellenischen Bahn in die arabische zurücklenkten.

In dem gleichen Sinn, wie für die Beziehungen zu dem südlichen Afrika und zu den arabischen Staaten, und in erfreulicherer Weise ist in Ägypten selbst für die Wege des Handelsverkehrs zunächst von Augustus und ohne Zweifel von allen verständigen Regenten gesorgt worden. Das von den früheren Ptolemäern auf den Spuren der Pharaonen eingerichtete Straßen- und Hafensystem war, wie die gesamte Verwaltung, in den Wirren der letzten Lagidenzeit arg heruntergekommen. Es wird nicht ausdrücklich gemeldet, daß Augustus die Land- und die Wasserwege und die Häfen Ägyptens wieder instand gesetzt hat; aber daß es geschehen, ist darum nicht minder gewiß.

Koptos ist die ganze Kaiserzeit hindurch der Knotenpunkt dieses Verkehrs geblieben. Aus einer kürzlich aufgefundenen Urkunde hat sich ergeben, daß in der ersten Kaiserzeit die beiden von da nach den Häfen von Myos Hormos und von Berenike führenden Straßen durch die römischen Soldaten repariert und an den geeigneten Stellen mit den erforderlichen Zisternen versehen worden sind. Der Kanal, der das Rote Meer mit dem Nil und also mit dem Mittelländischen Meer verband, ist auch in römischer Zeit nur in zweiter Reihe, hauptsächlich vielleicht für den Transport der Marmor- und Porphyrblöcke von der ägyptischen Ostküste an das Mittelmeer benutzt worden; aber fahrbar blieb er durch die ganze Kaiserzeit. Kaiser Traianus hat ihn erneuert und wohl auch erweitert – vielleicht ist er es gewesen, der ihn mit dem noch ungeteilten Nil bei Babylon (unweit Kairo) in Verbindung gesetzt und dadurch seine Wassermenge verstärkt hat – und ihm den Namen des Traianus- oder des Kaiserflusses ( Augustus amnis) beigelegt, von welchem in späterer Zeit dieser Teil Ägyptens benannt wurde ( Augustamnica). – Auch für die Unterdrückung der Piraterie auf dem Roten und Indischen Meer ist Augustus ernstlich tätig gewesen; die Ägypter dankten es ihm noch lange nach seinem Tode, daß durch ihn die Piratensegel vom Meer verschwanden und den Handelsschiffen wichen. Freilich geschah dafür bei weitem nicht genug. Daß die Regierung in diesen Gewässern wohl von Zeit zu Zeit Schiffsgeschwader in Tätigkeit setzte, aber eine ständige Kriegsflotte nicht daselbst stationierte; daß die römischen Kauffahrer regelmäßig im Indischen Meer Schützen an Bord nahmen, um die Angriffe der Piraten abzuweisen, würde befremden, wenn nicht die relative Gleichgültigkeit gegen die Unsicherheit der Meere überall, hier so gut wie an der belgischen Küste und an denen des Schwarzen Meeres, wie eine Erbsünde dem römischen Kaiserregiment oder vielmehr dem römischen Regiment überhaupt anhaftete. Freilich waren die Regierungen von Axomis und von Sapphar durch ihre geographische Lage noch mehr als die Römer in Berenike und Leuke Korne dazu berufen der Piraterie zu steuern, und es mag diesem Umstand mit zuzuschreiben sein, daß die Römer mit diesen teils schwächeren, teils unentbehrlichen Nachbarn im ganzen in gutem Einvernehmen geblieben sind.

Daß der Seeverkehr Ägyptens, wenn nicht mit Adulis, so doch mit Arabien und Indien in derjenigen Epoche, welche der Römerherrschaft unmittelbar vorher ging, in der Hauptsache nicht durch die Ägypter vermittelt ward, ist früher gezeigt worden. Den großen Seeverkehr nach Osten erhielt Ägypten erst durch die Römer. »Nicht zwanzig ägyptische Schiffe im Jahr«, sagt ein Zeitgenosse des Augustus, »wagten unter den Ptolemäern sich aus dem Arabischen Golf hinaus; jetzt fahren jährlich 120 Kauffahrer allein aus dem Hafen von Myos Hormos nach Indien.« Der Handelsgewinn, den der römische Kaufmann bis dahin mit dem persischen oder arabischen Zwischenhändler hatte teilen müssen, floß seit der Eröffnung der direkten Verbindung mit dem ferneren Osten ihm in seinem ganzen Umfang zu. Dies ist wahrscheinlich zunächst dadurch erreicht worden, daß den arabischen und indischen Fahrzeugen die ägyptischen Häfen, wenn nicht geradezu gesperrt, so doch durch Differenzialzölle tatsächlich geschlossen wurden; nur durch die Voraussetzung einer solchen Navigationsakte zugunsten der eigenen Schiffahrt konnte diese plötzliche Umgestaltung der Handelsverhältnisse herbeigeführt werden. Aber der Verkehr wurde nicht bloß gewaltsam aus einem passiven in einen aktiven umgewandelt; er wurde auch absolut gesteigert, teils infolge der vermehrten Nachfrage im Okzident nach den Waren des Ostens, teils auf Kosten der übrigen Verkehrsstraßen durch Arabien und Syrien. Für den arabischen und den indischen Handel mit dem Okzident erwies sich der Weg über Ägypten mehr und mehr als der kürzeste und der billigste. Der Weihrauch, der in älterer Zeit großenteils auf dem Landweg durch das innere Arabien nach Gaza ging, kam späterhin meistens zu Wasser über Ägypten. Einen neuen Aufschwung nahm um die Zeit Neros der indische Verkehr, indem ein kundiger und mutiger ägyptischer Kapitän Hippalos es wagte, statt an der langgestreckten Küste hin vielmehr vom Ausgang des Arabischen Golfes durch das offene Meer geradewegs nach Indien zu steuern; er kannte den Monsun, den seitdem die Schiffer, die nach ihm diese Straße befuhren, den Hippalos nannten. Seitdem war die Fahrt nicht bloß wesentlich kürzer, sondern auch den Land- und den Seepiraten weniger ausgesetzt. In welchem Umfang der sichere Friedensstand und der zunehmende Luxus den Verbrauch orientalischer Waren im Okzident steigerte, lassen einigermaßen die Klagen erkennen, welche in der Zeit Vespasians laut wurden über die ungeheuren Summen, welche dafür aus dem Reiche hinausgingen. Den Gesamtbetrag der jährlich den Arabern und den Indern gezahlten Kaufgelder schlägt Plinius auf 100 (= 22 Mill. M.), für Arabien allein auf 55 Mill. Sesterzen (= 12 Mill. M.) an, wovon freilich ein Teil durch Warenexport gedeckt ward. Die Araber und die Inder kauften wohl die Metalle des Okzidents, Eisen, Kupfer, Blei, Zinn, Arsenik, die früher erwähnten ägyptischen Artikel, den Wein, den Purpur, das Gold- und Silbergerät, auch Edelsteine, Korallen, Krokusbalsam; aber sie hatten dem fremden Luxus immer weit mehr zu bieten als für ihren eigenen zu empfangen. Daher ging nach den großen arabischen und indischen Emporien das römische Gold- und Silbergeld in ansehnlichen Quantitäten. In Indien hatte dasselbe schon unter Vespasian sich so eingebürgert, daß man es mit Vorteil dort ausgab. Von diesem orientalischen Verkehr kam der größte Teil auf Ägypten; und wenn die Steigerung des Verkehrs durch die vermehrten Zolleinnahmen der Regierungskasse zugute kam, so hob die Nötigung zu eigenem Schiffbau und eigener Kauffahrt den Wohlstand der Privaten.

Während also die römische Regierung ihre Herrschaft in Ägypten auf den engen Raum beschränkte, den die Schiffbarkeit des Nils abgrenzt, und sei es nun in Kleinmut oder in Weisheit, auf jeden Fall mit folgerichtiger Energie weder Nubien noch Arabien jemals zu erobern versuchte, erstrebte sie mit gleicher Energie den Besitz des arabischen und des indischen Großverkehrs und erreichte wenigstens eine bedeutende Beschränkung der Konkurrenten. Die rücksichtslose Verfolgung der Handelsinteressen bezeichnet wie die Politik der Republik, so nicht minder, und vor allem in Ägypten, die des Prinzipats.

Wie weit überhaupt gegen Osten der direkte römische Seeverkehr gegangen ist, läßt sich nur annähernd bestimmen. Zunächst nahm er die Richtung auf Barygaza (Barotsch am Meerbusen von Cambay oberhalb Bombay), welcher große Handelsplatz durch die ganze Kaiserzeit der Mittelpunkt des ägyptisch-indischen Verkehrs geblieben sein wird; mehrere Orte auf der Halbinsel Gudjerat führen bei den Griechen griechische Benennungen, wie Naustathmos und Theophila. In der flavischen Zeit, in welcher die Monsunfahrten schon stehend geworden waren, ist die ganze Westküste Vorderindiens den römischen Kaufleuten erschlossen bis hinab zu der Küste von Malabar, der Heimat des hochgeschätzten und teuer bezahlten Pfeffers, dessentwegen sie die Häfen von Muziris (wahrscheinlich Mangaluru) und Nelkynda (indisch wohl Nilakantha, von einem der Beinamen des Gottes Shiwa; wahrscheinlich das heutige Nileswara) besuchten; etwas weiter südlich bei Kananor haben sich zahlreiche römische Goldmünzen der julisch-claudischen Epoche gefunden, einst eingetauscht gegen die für die römischen Küchen bestimmten Gewürze. Auf der Insel Salike, der Taprobane der älteren griechischen Schiffer, dem heutigen Ceylon, hatte in Claudius Zeit ein römischer Angestellter, der von der arabischen Küste durch Stürme dorthin verschlagen worden war, freundliche Aufnahme bei dem Landesherrn gefunden, und es hatte dieser, verwundert, wie der Bericht sagt, über das gleichmäßige Gewicht der römischen Münzstücke trotz der Verschiedenheit der Kaiserköpfe, mit dem Schiffbrüchigen zugleich Gesandte an seinen römischen Kollegen geschickt. Dadurch erweiterte sich zunächst nur der Kreis der geographischen Kunde; erst später, wie es scheint, wurde die Schiffahrt bis nach jener großen und produktenreichen Insel ausgedehnt, auf der auch mehrfach römische Münzen zum Vorschein gekommen sind. Aber über das Kap Komorin und Ceylon gehen die Münzfunde nur ausnahmsweise hinaus, und schwerlich hat auch nur die Küste von Koromandel und die Gangesmündung, geschweige denn die hinterindische Halbinsel und China ständigen Handelsverkehr mit den Okzidentalen unterhalten. Die chinesische Seide ist allerdings schon früh regelmäßig nach dem Westen vertrieben worden, aber wie es scheint, ausschließlich auf dem Landweg und durch Vermittlung teils der Inder von Barygaza, teils und vornehmlich der Parther: die Seidenleute oder die Serer (von dem chinesischen Namen der Seide Ser) der Okzidentalen sind die Bewohner des Tarim-Beckens nordwestlich von Tibet, wohin die Chinesen ihre Seide brachten, und auch den Verkehr dorthin hüteten eifersüchtig die parthischen Zwischenhändler. Zur See sind allerdings einzelne Schiffer zufällig oder erkundend wenigstens an die hinterindische Ostküste und vielleicht noch weiter gelangt; der im Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr. den Römern bekannte Hafenplatz Kattigara ist eine der chinesischen Küstenstädte, vielleicht Hang-tschau-fu an der Mündung des Yang-tse-kiang. Der Bericht der chinesischen Annalen, daß im J. 166 n. Chr. eine Gesandtschaft des Kaisers An-tun von Ta- (das ist Groß) Tsin (Rom) in Ji-Nan (Tongking) gelandet und von da auf dem Landweg in die Hauptstadt Lo-yang (oder Ho-nan-fu am mittleren Hoang-ho) zum Kaiser Hwan-ti gelangt sei, mag mit Recht auf Rom und den Kaiser Marcus Antoninus bezogen werden. Indes dieser Vorfall und was die chinesischen Quellen von ähnlichem Auftreten der Römer in ihrem Lande im Laufe des 3. Jahrhunderts melden, wird kaum von öffentlichen Sendungen verstanden werden können, da hierüber römische Angaben schwerlich fehlen würden; wohl aber mögen einzelne Kapitäne dem chinesischen Hof als Boten ihrer Regierung gegolten haben. Bemerkbare Folgen haben diese Verbindungen nur insofern gehabt, als über die Gewinnung der Seide die früheren Märchen allmählich besserer Kunde wichen.