Steinschleuder und Bronzebeil

Länger als ein Jahr war Peter die Arbeit am Schmelzofen und auch am Töpferofen verleidet. Wenn er auch annahm, die Gußrinne und die Form seien nicht trocken genug gewesen und deshalb in der Hitze geplatzt, er war zu abgespannt, zu enttäuscht, jetzt schon eine tönerne Gußform hartzubrennen und den Fehler gutzumachen. Zu lange war er von der schweren Arbeit gefangengehalten worden. Wegen der Schmelzversuche hatte er die Jagd aufgegeben; nun erwachte in ihm ein unbändiges Verlangen, frei zu schweifen und zu jagen. Er nahm sich kaum Zeit, einige Bronzeklümpchen zu Nadeln und Messerklingen zu verarbeiten. Waghalsig suchte er sich in den Salzwänden an die Steinböcke heranzupirschen. Ohne Erfolg. Bei Sammelgängen leistete er Eva selten Hilfe. Nur für das Brennholz sorgte er.

Aber die ungelöste Aufgabe ließ ihn nicht los. Auf seinen Jagdgängen las er alles auf, was dem Gewicht nach Erz sein konnte, beklopfte, behorchte es, und was ihm keinen guten Klang gab, verwarf er als »taub«. Er schleppte sich mit den Funden herum, bis er sie irgendwo an einer leicht merkbaren Sammelstelle ablegte. Er stapelte die Steine auf, die er irrtümlich für Erze hielt; und doch dienten auch sie der Metallgewinnung, indem sie zum Verglasen jener Stoffe beitrugen, an welche die Metalle gebunden waren: sie dienten als Schlackenbildner. Es waren zumeist Steine, die etwas Urkalk und Quarz enthielten. Eine arge Enttäuschung erlebte er mit einem gelben Kristall, den er für Gold hielt und gleich an der Fundstelle mit einem Hornsteinbrocken zu hämmern begann: Doch statt sich wie Gold unter dem Schlagstein zu strecken, begann er spröde abzubröckeln. Plötzlich sprangen unter einem Kantenschlag zwei Funken aus dem Stein, von denen einer erst verglühte, als er den Boden berührte. Was Peter für Gold gehalten hatte, war Schwefelkies.

Jubelnd suchte er Eva auf. Er legte ein Läppchen aus dem Zundervorrat unter den »Funkenstein«, mußte aber mit einem Hornstein lange vergeblich schlagen, bis ein Funke heraussprang, und der fiel daneben. Erst als er mit einem länglichen, scharfkantigen Jaspis-Splitter, von der Seite her streichend, quer zur harten Kante des Funksteines schlug, sprangen Funken ab, von denen gleich zwei sich im Zunder festsetzten und ihn zum Glimmen brachten. Sachte blies Peter die winzige Glut an, bis er daran trockenes Torfmoos und Grashalme zu heller Flamme entzünden konnte. Jetzt hatte er ein Feuerzeug, das er auf seinen Jagd- und Sammelgängen mit sich tragen konnte: Funkenstein, Schlagstein und Zunder! Allerdings, eine Untugend hatten beide Feuersteine: Sobald ihre Kanten rundlich abgeschlagen waren, gaben sie keine Funken mehr.

Unmittelbar an der Felswand ließ er ein mächtiges Feuer lodern, um nicht etwa von Bären gestört zu werden. Ein Platzregen löschte das Feuer und trieb Peter in seinen nahen Unterschlupf, eine Grube mit einem schrägen Windschirm aus Holzstäben und Fichtenreisern. Der Regen hörte bald auf. Peter räumte die Holzreste von der Feuerstelle; da entdeckte er, daß von dem erhitzten und dann naßgewordenen Felsen Stücke abgesprungen waren und tiefblaue Adern jenes Erzes freigegeben hatten, das beim Ausschmelzen Rotmetall und mit einem andern Erz gemischt Braunzeug ergeben hatte. Kräftig trieb er seinen Metallkeil in die entstandenen Felsrisse und brach die abgesprengten Trümmer erzführenden Gesteins heraus. Dabei kam allerlei Unerwartetes zum Vorschein: gelb, rot und blau gescheckte Steine (Buntkupferkies) und schwere, weißlichgrau glänzende Erze, die er noch nie gesehen hatte (Bleiglanz). Seltener fand er weiße und grünliche, bläulich schimmernde Würfel (Flußspat) und schwärzliche Säulen (Zinnstein). Ob sie Metall enthielten oder nur Schlackenbildner waren – er nahm sie mit.

Nun war Peter nicht mehr darauf angewiesen, aus dem vom Frost abgesprengten Haldengestein die Erzstücke auszuklauben, er konnte überall Feuer setzen, wo ein Erzlager zutage trat. Da aber die Funkensteine als Mittel zum Feuermachen nicht zuverlässig waren, fertigte Peter einen tragbaren Feuerbohrer an. Es war nur ein trockener Hartriegelstab mit einem Wulst, auf den er einen Wirtel aus gebranntem Ton steckte. Dazu gehörte ein Speckstein, mit dem er den Bohrstab von oben her leicht drückte, so daß dessen unteres Ende sich in der Vertiefung des unterlegten Holzblockes drehen mußte, wenn er den Bohrstab mit der darumgewickelten Bogensaite rasch hin und her drillte. Zunder vom Buchenschwamm trug er immer bei sich.

Die Jagd auf Rehe zwang Peter zu einer neuen List. Das Wild war scheuer geworden und zog sich, sobald es den Jäger witterte, zurück. Es nützte nichts mehr, wenn er Gesicht und Hände mit Lehm und Rötel färbte. Er mußte etwas anderes versuchen und verfiel darauf, sich das frische Fell eines Rehbocks anzulegen. Unter der Tiermaske gelang es ihm, an die Beute heranzukommen.

Nicht selten rannte ein angeschossenes Stück davon, den Pfeil mit der Stein- oder gar mit einer kostbaren Bronzespitze im Leibe. Der aus freier Hand geschleuderte Stein und auch die Wurfkeule waren zwar wuchtige Waffen, die weiter reichten als seine Faust. Als sich aber einmal der Steinkopf aus der geschwungenen Keule löste und allein durch die Luft sauste, sah Peter sofort den Vorteil, aus dem gespaltenen Klemmstab das Wurfgeschoß in die Ferne zu schleudern. Es dauerte nicht lange, bis die Lederschlinge als Schleuder den Klemmstab ablöste. Peter lernte auch diese tödliche Waffe so geschickt zu handhaben, daß er damit aus großer Entfernung ein Reh zu Boden streckte, das, vom Stein am Kopf getroffen, zusammenbrach. Aus reiner Lust an der neuen Fertigkeit warf Peter auch nach leblosen Zielen, und das kam seiner Treffsicherheit zugute. Einmal drang der Schleuderstein durch die Rinde eines hohlen Ahorns, in dem ein Bienenvolk hauste. Peter räucherte die Bienen aus und beraubte sie ihrer honigschweren Waben.

Eva, die von früher her wußte, wie gut sich Honig zum Süßen eignet, nahm den ganzen Vorrat für die Küche; auch einen Teil des Wachses behielt sie zum »Wachseln« von Fäden. Sie hatte bei allen ihren Arbeiten das Gefühl, sich den Anteil an Peters Beute-Erträgen zu verdienen. Außer auf ihren Erntegängen, bei denen sie ab und zu erfolglos nach Gold suchte, entfernte sie sich nie weit von Haus und Hof, an dessen Umzäunung Fischnetze hingen und die Siedlung von der Außenwelt abschlössen. Diese Abgeschlossenheit gefiel ihr. Die Vorsorge für den kommenden Winter machte viel Arbeit. Das Fleisch der Beutetiere war vorzubereiten, ehe sie es in die Räucherkammer hängen konnte. Erfahrung hatte sie gelehrt, daß das Fleisch durch wochenlanges Einlagern in Salzlake, die mit Wacholderbeeren, Gundelkraut, Wildkümmel und Lauch durchsetzt war, schmackhafter und haltbarer wurde. Eva säumte auch nicht, das reine Speisefett in eigenen Töpfen zu zerlassen und durch irdene Deckel vor Staub zu schützen. Für das Abfallfett, das sie beim Schaben der Felle und beim Reinigen des Gedärms gewann und zur Kerzen- und Seifenbereitung sowie zum Einfetten des gegerbten Leders brauchte, hatte sie besondere Körbe, die unter dem Fußboden ihrer Hütte im Freien standen. Zum Zwirbeln der gereinigten Därme, die als starke Bindfäden und Bogensaiten dienten, benutzte sie ein einfaches, selbsterfundenes Gerät: einen zickzackförmigen Asthaken mit zwei Kniebiegungen. Sein kürzeres Ende war als Achse in einen tragbaren Strunkständer eingelassen, das längere ergab den Griff für eine Kurbel. An einem Asthaken an der Außenwand ihrer Hütte band Eva das eine Darmende fest, das andere an der Kurbelachse; dann trug sie den Kurbelständer so weit weg, bis der Darm gespannt war, und drehte die Kurbel so lange, bis er die gewünschte Fadendrehung hatte. Zum Schluß spannte sie die Saite zwischen Zaun und Hütte und ließ sie trocknen.

Ihr Selbstgefühl stieg mit der neuen Erfindung, nur Peters Anerkennung blieb aus.

Er war mit Tonarbeiten für neue Gießversuche beschäftigt. Mit besonderer Sorgfalt widmete er sich der Herstellung tönerner Gußhüllen für Äxte. Durch den ersten Fehlschlag gewitzt, brachte er außer dem Einfließloch am einen Ende jeder Gußform ein Auspuffloch für die Heißluft am anderen an und begnügte sich nicht damit, die Gußformen durch Beschmauchen zu härten, sondern brannte sie hart. Eva beeilte sich, neues Geschirr zu kneten, um die Gelegenheit auszunützen, wenn er den Töpferofen wieder heizte.

Die Fuchshündin

Eva kam nicht gleich dazu, mit Peter über die seltsamen Flämmchen zu sprechen. Eines Morgens hatte Peter schon vor Tau und Tag sein Floß mit Gußformen für Beile und Messer sowie mit einem für mehrere Tage berechneten Vorrat von Rauchfleisch und Fruchtfladen beladen und war weggefahren, ehe Eva ihm ihre Töpfe und Schüsseln zum Brennen mitgeben konnte. Sie fuhr ihm ungesäumt nach. Mit sichtlichem Wohlgefallen betrachtete er jedes Stück, das von Evas zunehmender Geschicklichkeit zeugte: Da war eine Salzschale auf drei Beinen, ein Kessel mit durchlochten, außen angebrachten Wülsten zum Einziehen von Hängeschnüren; ein schöner großer Vorratstopf war da, ein Henkeltopf, ein Schöpflöffel mit hohlem Stiel, in den sich ein Holzgriff schäften ließ, einige Ampeln mit Dochtrohr, Eingußöffnung und drei seitlichen Henkelchen zum Aufhängen und manches andere. Und keines der Gefäße war ohne Schmuck: Klümpchen-Reihen mit Nagelabdrücken und Strichbänder, die mit einem spitzen Knochensplitter ausgestichelt waren.

Kaum hatte Peter das im Feuerungsraum aufgehäufte Holz angezündet, überließ er den Töpferofen sich selbst und ging zu seinem Gußofen, der knapp einen Pfeilschuß weit oberhalb des Brennofens stand. Hier gab es noch viel Maurerarbeit.

Das Ausräumen des erst nach fünf Tagen abgekühlten Töpferofens war ein freudiges Ereignis: Keines der Gefäße war zersprungen. Wohl waren die Schüsseln ein wenig verbogen – aber brauchbar waren sie alle.

Es kamen Arbeitstage am Schmelzofen und neue, erfolgreiche Gießversuche. Durch Hintereinanderschalten der eng aneinandergeschlossenen, mit Steinen beschwerten und umbauten Gußformen gelang Peter außer einer Lappenaxt auch eine Keilaxt, die ein Öhr zum Festbinden am Schafthaken hatte. Keines der Gußstücke war glatt und fehlerfrei; jedes hatte dort, wo die Hälften der Gußhüllen aneinandergestoßen waren, unregelmäßig geformte Leisten, und ihre Oberfläche war von den Sandkörnern narbig. Aber das Abraspeln und Glattschleifen war eine vergnügliche Arbeit, denn was Peter dann in Händen hielt, war brauchbar und schön. Der Metallkuchen aus dem Sammelnapf des Schmelzofens reichte für mancherlei Waffen und Geräte: eine Klemme, einen Hammer sowie Meißel und Spaten. Peters Augen glänzten vor Erfinderstolz, während er Eva die neuen Geräte zeigte.

Und doch war seine Klemme nichts anderes als die Nachahmung eines Fingers mit dem dagegendrückenden Daumen, sein Hammer eine metallene Faust, der Stiel ein Holzarm, der Meißel mit seiner Schneide ein metallener Finger mit dem schabenden Nagel daran, der erste Spaten nicht etwa eine Nachbildung des oft gebrauchten Schulterblattes, sondern eine Nachahmung der grabenden Hand. Mit seinen Keilen und Beilen konnte Peter jetzt nicht nur Baumstämme zerklieben, sondern auch Bretter abspalten, die sich mit einem glühend gemachten, rübenförmigen Eisenstäbchen leicht durchlochen und mit Holznägeln zu Geräten fest verbinden ließen. Das erste, was er auf Evas Wunsch daraus fertigte, war eine dicke, durch Querhölzer verbundene, glattgeschabte Holzscheibe, die beim Sitzen auf dem Erdboden zum Auflegen von Speisen dienen sollte. Bald versah er diese erste fußlose Tischplatte mit drei kniehohen schräg eingesetzten Beinen und verwandelte sie in ein tragbares, dreibeiniges Tischchen, das sich immer dort aufstellen ließ, wo das beste Licht war. Gelegentlich diente es auch zum Sitzen. Der nächste Schritt war nicht schwer; bald darauf baute Peter einen fast hüfthohen Werk- und Eßtisch und einen richtigen Hocker. Die neuen Geräte aus Metall, die Möglichkeiten, die sie versprachen, öffneten ihm die Augen für die Mängel des Pfahlbaues. Dieses Flechtwerk aus Zweigen, Ästen und Stämmen, die vielen Bindungen, auf die doch kein Verlaß war – alles das erschien ihm nun so jämmerlich, daß er nur noch vom Niederreißen und Neubauen sprach. Mehr denn je wünschte Eva, sich ganz mit ihm auszusöhnen.

Als die ersten Schneefälle die Jagd erleichterten, brach Peter täglich schon im Morgennebel auf. Den schützenden Feuerkorb brauchte er längst nicht mehr, er war stark, er hatte Waffen aus Metall und war bereit, es sogar mit einem Bären aufzunehmen. Mit seiner blattartig flachgeschmiedeten, zweischneidigen Speerspitze, deren rauher Ansatzdorn fest im Holzschaft eingelassen und verpicht war, hielt er sich für unüberwindlich.

Er beneidete den Fuchs, dessen feiner Spürnase nichts entging. Wenn er sich den schlauen Vierfüßer zum Jagdgenossen machen könnte …?

Und an die Wildziegen, an die Abkömmlinge der Geiß, die der Ähnl damals mitgebracht hatte, und die mit den Steinböcken durchs Gewand gezogen war, wollte er endlich auch heran. Er hatte sich ein neues Jagdgerät ausgedacht, mit dem er eine Wildgeiß zu fangen hoffte: einen langen Riemen mit einem nußgroßen Metallstück am Ende, den er kurzgerollt am Gürtel trug. Es mußte doch möglich sein, diesen Riemen so zu schleudern, daß er sich um die Beine des Beutetieres schlang und Peter es lebend fangen und als Milchtier heimbringen konnte. Zur Übung wandte er das neue Gerät bei der Jagd auf Rehwild an, und zweimal gelang es ihm, ein Kitz zu erbeuten. Als er sich aber wiederholt beim Wechsel der Wildziegen unweit der Salzlecke auf die Lauer legte, bekam er keines der Tiere zu sehen, sie hatten ihn schon längst gewittert und sich verzogen. Da dachte er an eine Fallgrube, aber es war schwierig, im Gelände der Salzwände eine geeignete Stelle zu finden.

Den beiden Pfahlbauern fehlte es weder an Nahrung noch an Brennstoff, und so verbrachten sie die Wintertage in den besser gebauten Hütten recht behaglich, aber nicht müßig. Dickes, glattes Eis bedeckte die beiden Seen, so daß der mit der Nessel- und Schilfernte beladene Schlitten leicht darüber hinglitt, viel leichter als Peter, den die Fellschuhe an seinen Füßen behinderten. Im Allerlei suchte er zwei Mittelfußknochen des Hirsches, den er im Alten Steinschlag gefunden hatte, durchlochte sie an zwei Stellen, zog Lederstreifen durch und befestigte sie an seinen Füßen. Je abgeschliffener diese einfachen Schlittschuhe wurden, um so sicherer glitt Peter auf dem Eise dahin. Die neue Fortbewegungsart bereitete ihm zudem großes Vergnügen, da es ihm von Mal zu Mal weniger schwerfiel, auf den fast drei Finger breiten Gleitflächen der Knochenschlittschuhe das Gleichgewicht zu bewahren.

Als der Frühling kam, hielten Suchgänge nach den Steinschlägen und Arbeiten am Töpfer- und Schmelzofen Peter in Atem. Eva, die beim Sammeln von Wildgemüse oft in die Nähe des Fuchsenbühels kam, geriet eines Morgens in die gefährliche Nähe einer niedergehenden Steinlawine. Knatternd, prasselnd sprangen und stürzten die Blöcke. Schreckgelähmt starrte Eva zur Steinschlagleiten hinüber, deren Geröll mit hellem, frisch niedergebrochenem Gestein und Grus übersät war. Erst als die in Bewegung geratenen Massen wieder ruhig im Sonnenschein lagen, wagte sie sich klopfenden Herzens näher. Mitten im knospenden Randgehölz des Laubwaldes unter den Südwänden stieg sie in die Krone einer Fichte, um einen besseren Überblick zu haben. Noch nie hatte sie gewagt, einen frischen Steinschlag nach Beute abzusuchen, wie Peter es zu tun pflegte. Da fiel ihr die abgebrochene Krone einer jungen Eberesche auf. Darunter lag etwas Zottiges, Braunes und rührte sich nicht. Langsam glitt Eva zum Boden nieder. Was sie sah, war ein toter junger Bär, der sich mit verwundetem Kopfe bis hierher geschleppt hatte. Von Peter unbemerkt, schleifte sie das Jungtier heim, dessen zartes Fleisch wohl viele Mahlzeiten ergeben mochte. Nun besaß auch Eva ein Bärenfell, eine warme Schlafdecke für den Winter!

Peter war tagsüber bei den Öfen beschäftigt, und an mondhellen Abenden saß er lange irgendwo im Geäst einer Baumkrone, um das nächtliche Treiben des Wildes zu beobachten, das er Eva zuliebe in der Setzzeit schonte. Auf Füchse hatte er es besonders abgesehen; wenigstens einen jungen Fuchs wollte er lebend einfangen und ihn zum Jagdgehilfen abrichten. Drüben im Gehänge der Salzleiten entdeckte er einen neuen Fuchsbau; im regenfeuchten, ausgeworfenen Lehm davor hatte er neben den Spuren der Fähe die kleinen Pfotenabdrücke junger Füchse gesehen. Sofort faßte er den Entschluß, die Welpen auszugraben. Der Bau lag im Geröll, das mit zähem Lehm durchsetzt war. Bevor Peter zu graben begann, verkeilte er die Ausgänge mit Steinen. Als der Boden unter dem Spaten hohl klang und schon das hohe Kläffen der geängstigten Fuchswelpen zu vernehmen war, zwang ihn ein schwerer Platzregen, die Arbeit zu unterbrechen und nach Hause zu gehen.

Am nächsten Morgen stand er schon vor Tagesanbruch wieder am Fuchsbau und begann weiterzugraben; da stürzte die vom Regen aufgeweichte Decke des Baues mit ihm ein. Schon glaubte Peter, die Fähe samt den Jungen erdrückt zu haben, als er ein leises, klägliches Gekläff hörte. Mit den Händen wühlte er breiigen Lehm und Steine aus der Grube, räumte Laub, Fraßreste und Unrat aus den Gängen des Baues, fand aber nur ein einziges rauchgraues, lehmbeschmiertes Junges, dem ein Steinsplitter ins Auge gedrungen war. Die Fähe und ihre anderen Jungen waren fort. Und Peter stieß auf einen frisch gegrabenen Gang, durch den die Alte ein Junges nach dem anderen weggeschleppt hatte. Wäre er nur ein Weilchen später gekommen, so hätte sie auch das letzte gerettet. Behutsam zog er den Splitter aus dem Auge des Tieres, nahm es auf und eilte zu Eva.

Ihr überließ er es, das Füchslein zu säubern und warm zu betten, während er fortging, ihm frische Nahrung zu holen. Als er mit einem Eichhörnchen zurückkam, fand er das scheue Tier im Moosbett eines Korbes eingewühlt. Winselnd und frierend lag es da und war nicht zu bewegen, einen Bissen Fleisch zu nehmen. Mit Gewalt öffnete Peter das noch stumpfe Schnäuzchen und steckte einen kleinen Happen hinein. Regungslos, mit gesenktem Kopfe, kauerte das Tierchen da; nach einer Weile ließ es das Fleisch zu Boden fallen. Peter hatte das Junge zu früh von der Mutter genommen, es hatte noch nicht gelernt, feste Nahrung zu sich zu nehmen. Mißmutig überließ Peter es seinem Schicksal und ging zu seinen Öfen.

Eva, die nicht glauben wollte, daß dem Tierchen nicht zu helfen sei, versuchte immer wieder, ihm das Fleisch aufzudrängen. Sie lobte, sie schmeichelte, sie flüsterte Kosenamen, alles vergeblich. Darüber verging der Vormittag. Aus Mattigkeit schlief das Füchslein ein. Aber Eva ließ es nicht lange in Ruhe, sie hatte Angst, es werde nicht mehr erwachen. Zart streichelte sie über das flaumige, rauchgraue Fell, reinigte das verletzte Auge, kaute Kastanien und Honig vor und strich den süßen, warmen Brei ins widerspenstige Mäulchen. Nach kurzem Zögern tat ihr das ausgehungerte Tier den Gefallen: Es schluckte die süße, milchige Kost. Als es sich dann mit der kleinen roten Zunge Lefzen und Nase leckte, da freute sich Eva: »Einäugel, das schmeckt dir!« Sie hob das Tierchen aus dem Nest, liebkoste es und fuhr fort, es zu füttern. Als Peter abends heimkehrte, rief sie ihm entgegen: »Du, Einäugel hat gefressen!« Bald gewöhnte das Tierchen sich an seine große Pflegemutter, tappte ihr auf Schritt und Tritt nach und verlangte winselnd und kläffend sein Futter. Übermütig versuchte es seine spitzen Milchzähne an Evas Binsenschuhen, sprang knurrend an ihr empor und wollte nach ihrer Hand haschen. Sein drolliges Purzeln und Treiben brachte Eva zum Lachen. Als aber Einäugels Pelz sich ins Gelbliche umfärbte, brauchte es eine andere Kost. Sein Bäuchlein wurde rund und fühlte sich hart an, sein heiseres Kläffen verstummte, seine vorher feuchte, kühle Nase wurde trocken und heiß. Es hörte auf, seiner Pflegemutter nachzulaufen, lag fiebernd mal hier, mal dort und verunreinigte den Boden. Einäugel war sterbenskrank. Eva ging mit verweinten Augen ihrer Arbeit nach und wußte nicht, wie sie dem Tierchen helfen sollte.

Peter, der sich einen Jagdgehilfen erhofft hatte, war verdrossen. Um doch etwas zu unternehmen, beschloß Eva, es mit einem Absud von Walnußblättern und Honig zu versuchen. Sie öffnete Einäugel die Schnauze, goß ihm mit einem Löffel den Trank hinein und hielt ihm jedesmal die Schnauze zu. Und das Füchslein mußte schlucken, ob es wollte oder nicht. War es der Heiltrank, war es das Fasten vorher? Eva wußte es nicht, jedenfalls begab sich der Kranke in die Vorratshütte, zog eine frischgefangene, noch warme Maus, deren Hinterbeine unter einem Fallstein hervorragten, heraus und trabte damit zu seinem Korb. Einäugel mühte sich, mit seinen noch schwachen Milchzähnen das Fell zu durchbeißen. Und als Eva sich freudig überrascht anschickte, ihm die Beute zu nehmen, um sie mundgerecht zu zerlegen, – da knurrte Einäugel! Zum ersten Mal! Aber Eva lachte nur und freute sich.

Von nun an ging es sichtlich aufwärts. Das Füchslein, es war ein Weibchen, begann Fleisch zu fressen und wurde immer kräftiger. Peter brachte ihm von jeder Fahrt und jedem Ausgang einen Leckerbissen mit, bald einen Vogel, bald die Eingeweide eines größeren Beutetieres, und ließ es darauf ankommen, daß Einäugel ihn um das Futter anbettelte, ja, er verbot Eva, die Füchsin zu füttern; das Tier sollte sich von ihm und nur von ihm abhängig fühlen. Um Einäugels zunehmende Selbständigkeit einzudämmen, legte er ihr ein Lederhalsband um und führte sie an einer langen Leine aus Nesselschnur mit sich. Einäugel wehrte sich gegen diese Zumutung, ließ sich zerren und schleifen. Eva weinte und beschwor Peter, das Tierchen doch in Ruhe zu lassen. Ihre Bitten verhallten ungehört. Und Einäugel fand es bald bequemer, sich dem Willen des Stärkeren, des Herrn, zu fügen.

Als im Spätsommer die stumpfe Schnauze spitz wurde und die junge Füchsin ihr graues Kinderkleid abgelegt hatte und einen rötlich schimmernden Pelz trug, gewöhnte sie sich, die Nase am Boden, vor dem Herrn zu schleichen, wenn er jagen ging. Sie führte ihn dem Winde entgegen an das Wild heran, das sich in Deckung niedergetan hatte und den Jäger oft erst wahrnahm, wenn er nahe genug war, den tödlichen Wurf zu wagen. Bald machte Einäugel die Erfahrung, daß sie von jedem erlegten Tier Blut, Leber und Lunge bekam. Sie schien zu begreifen, daß sie das Wild aufzuspüren hatte, damit ihr Herr es erlegen konnte. Die Herbstjagden machten den Fuchshund dem Jäger lieb und wert. Und ehe der Winter kam, teilte Einäugel mit dem Jäger sogar das warme Lager. Einäugel war Peters Genosse geworden und kümmerte sich um die ehemalige Pflegemutter wenig. Der Herr war ihr alles. Aus seiner Hand bekam sie ihr Futter, eng an seine Füße geschmiegt, schlief sie, auf seinen Ruf hört sie, ihr kluges Auge folgte jedem Wink seiner Hand. Wenn sie, freigelassen, sich zu weit entfernt hatte, schickte ihr Peter auf einem quer angeschnittenen Röhrenknochen einen gellenden Pfiff nach. Erst kam sie aus Neugierde, dann aber, weil sie dafür mit Leckerbissen belohnt wurde.

Eines Tages war Einäugel erwachsen, selbständig, nicht mehr auf menschliche Hilfe angewiesen. Mächtig regte sich ihr angeborener Trieb zum Herumstreichen, wurde unwiderstehlicher. In einer mondhellen Nacht verließ sie das Lager ihres Herrn und suchte über das Eis des Moorsees ins Weite zu gelangen. Peter aber, der die Angeln der Stubentür in ihren Weidenschleifen hatte knarren hören, eilte auf seinen knöchernen Schlittschuhen dem Flüchtling nach, holte ihn heim und legte ihn an die Leine. Morgens fand er die Füchsin eifrig damit beschäftigt, den Nesselstrick durchzubeißen. Da bekam sie plötzlich einen schweren Klaps von Peters Hand, zog die Lunte ein und verkroch sich zähnefletschend unter der Decke. Da sie in der nächsten Nacht wieder ausreißen wollte, flocht er aus Nesselschnüren und scharfkantigen Steinsplittern, die er darin verknotete, einen Strick. So, mochte sie sich daran die Zähne ausbeißen!

In der wärmeren Jahreszeit hielt Einäugel getreulich zu Peter, sie jagte, soweit es ihre lange Leine erlaubte, in der Nähe seiner Öfen nach Mäusen und Heuschrecken, suchte sich Beerenobst und nahm bettelnd an Herrchens Mahlzeiten teil. Im Winter kam wieder die Unruhe über sie; Einäugel verstellte sich aber so gut, daß Peter ihr in der Stube die Leine abnahm. In einer frostigen Nacht gelang es ihr, über das Eis zu entfliehen, ohne daß ihr Herr es merkte. Dessen Verdruß war groß. Pfeifend und rufend durchstrich er auf seinen geflochtenen Schneeschuhen die winterliche Landschaft, traf wohl im Neuschnee auf Fuchsspuren und entdeckte zwei neue Fuchsbaue. Aber er konnte weder im hartgefrorenen Boden graben, noch mochte er durch eine beköderte Steinfalle das Leben Einäugels gefährden.

Um so größer war aber Peters Freude, als nach ungefähr zwei Wochen Einäugel ungerufen erschien. Wie aus dem Boden gewachsen stand sie neben ihm, als er gerade ein junges Wildschwein ausweidete. So, als sei nichts geschehen, setzte sie sich neben ihren Herrn und schnappte nach dem ersten Brocken, den er ihr hinhielt. Überglücklich streichelte er die Verlorengeglaubte, als er sie wieder an der Leine hatte und sie ihm auf dem Fuße folgte. Nach acht Wochen benahm sich Einäugel wiederum recht seltsam. In Peters Wohnstube, mitten im Gerümpel des Allerlei, unter Fellen, Knochen, Moos und Asthaken scharrte sie sich ein eigenes Lager und baute es ohne besondere Sorgfalt mit Nesselwerg und Moos zu einer Nestmulde aus. Dort brachte Einäugel fünf Junge zur Welt, flaumweiche, blinde, schwarzgraue Füchschen mit dünnen Schwänzchen.

Eva, die das Wunder bestaunte, füllte der Mutter einen Futternapf mit gefettetem Kastanienbrei und einen anderen mit gekochten Fleischbrocken. Ja, sie versuchte es sogar mit ihrem eigenen Lieblingsgericht, einer aus Fleisch und Wildgemüse gekochten Suppe, und war entzückt darüber, daß Einäugel alles in sich hineinschlang, war ihr vorgesetzt wurde, alles, sogar Gemüse! Eva konnte sich nicht sattsehen am Mutterglück der Fähe, die es sich gern gefallen ließ, daß die Jungen an ihr herumzerrten, während sie sich die Bäuchlein mit Muttermilch füllten.

Bläff, der Haushund

Einäugel tat sich schwer mit ihren fünf Kindern. Sie war wohl gesund, aber zu zart, die Hungrigen satt zu machen. Jetzt merkte man, daß sie die eigene Mutter viel zu früh verloren, deren Pflege und Fürsorge entbehrt hatte. Eva gab sich alle Mühe, ihr bei der Aufzucht der Kleinen zu helfen. Vergeblich. Drei starben, noch ehe sie sehend wurden, und von den zwei anderen, die sehr lebhaft und verspielt waren, starb eines während des Zahnwechsels, so daß nur noch eine Hündin zurückblieb, die wohl ein wenig klein war, aber recht gut gedieh. Sie war im Spiele mit ihrer Mutter, mit Eva und Peter von einer entzückenden Munterkeit und zeigte sich auffallend »gesprächig«. Ihr drolliges Bläffen, das sie hören ließ, sooft irgendein Geräusch ihre Aufmerksamkeit erregte, trug ihr den Namen Bläff ein. Leider blieb Bläff ihrer Gewohnheit, bei jeder Gelegenheit etwas zu »sagen«, auch treu, als sie zur Jagd herangezogen wurde, und verdarb dem Jäger mehr als einmal die Pirsch.

Da alle Erziehungsversuche nichts halfen, ließ Peter den unverbesserlichen Kläffer daheim und arbeitete fortan nur mit der zuverlässigen Einäugel.

Bläff sollte Evas Haushund werden. Durch Erfahrung klug geworden, hütete sie sich diesmal, den ihr überlassenen Fuchs zu überfüttern, sorgte aber schon während des Kochens durch kleine Leckerbissen, um die das Füchslein betteln mußte, für die Zuneigung des neues Haustieres. Krebse und Fische, Bläffs Lieblingsspeise, reichte sie ihm niemals roh. Sie hoffte nämlich, durch unblutige Nahrung die angeborene Wildheit des Tieres einzudämmen. Bläff gewöhnte sich leicht an allerlei Gebratenes und Gekochtes, das neben Gemüsen und Früchten Evas Hauptnahrung ausmachte. Das hinderte sie aber nicht, den von der Jagd heimkehrenden Peter schon von weitem mit einem heiseren Freudengebell zu begrüßen, gab er ihr doch jedesmal einen blutigen Fleischhappen, gegen Evas Willen. Bläffs scharfes Ohr vernahm das Plätschern seines breiten Ruders viel früher als Eva. Stieß Peter drüben am Sonnstein vom Lande ab, so konnte er sicher sein, gleich darauf Bläffs kurzes, hochtönendes, stoßweises Anschlagen zu hören, das sein Kommen ankündigte.

Der Haushund, den Eva ohne Leine überall herumstöbern ließ, war, wie sich bald zeigte, ein vortrefflicher Mäusejäger, der Fallen überflüssig machte. Aber sie hatte auch Mühe, die Füchsin von Eigenmächtigkeiten abzuhalten; Bläff kannte nämlich noch keinen Unterschied zwischen mein und dein. Wurde sie von Eva bei Diebereien ertappt und ausgeschimpft, war sie jedesmal sehr geknickt und klemmte die Lunte, ihren schönen Schwanz, ein; die menschliche Sprache verstand sie nicht, doch aus dem Ton der Rede hörte sie genau heraus, ob es Lob oder Tadel war.

Mit dem neuen Hausgenossen kam für Eva eine fröhlichere Zeit. Sie hatte nun etwas Lebendiges um sich, für das sie sorgen mußte. Um Peter kümmerte sie sich wenig, oder besser gesagt, sie versuchte, sich nicht um ihn zu kümmern. Eva hatte nicht unrecht, wenn sie sich sagte, weniger Metall, weniger Waffen, ja, auch weniger Geschirr wäre auch genug gewesen. War es nötig, daß er sich zu Hause so selten sehen ließ?

Eva wußte nicht, daß er sich an eine Arbeit gewagt hatte, die an Schwierigkeiten alles Bisherige übertraf. Sie sah wohl, wie er im Torfboden grub, fragte aber nicht nach dem Zweck seines Tuns. Peter wußte, was er tat. Die Schmelzwasser des letzten Frühlings hatten nämlich das Bett des Moorbachs mit Steinblöcken so vermurt, daß ihm die Floßfahrt stromaufwärts fast unmöglich wurde. Darum hatte er beschlossen, durch den Torfboden des oberen Moorgrundes einen kurzen Wasserweg zu den Öfen am Goldbach zu bahnen. Da er schon vorher einmal entdeckt hatte, daß getrockneter Torf sich zum Brennen eignet, brachte er alle ausgehobenen Torfbrocken auf seinem neuen Schlitten auf die Moorleiten in die Nähe seiner Öfen, um sie zu trocknen.

Ehe der Frühling kam, hatte Peter den schwingenden Boden, der aus einer kniehohen Torfschicht bestand, in der Breite von zwei Armlängen durchgegraben und stieß vor der Mündung des Goldbachs auf eine dunkelbraune, erdig brüchige Masse, die an den Bruchstellen deutliche Abdrücke von Binsen, Rohr, Kalmuswurzeln, Schnecken und Flügeldecken von Käfern zeigte. Es war Raseneisenerz, wie es sich durch Auslaugen eisenführender Gesteine als Schlamm im stehenden Wasser absetzt. Die Feuchtigkeit in den ausgehobenen Brocken verdunstete an der Luft sehr rasch, und was zurückblieb, erschien Peter zum Bau eines neuen Ofens um so mehr geeignet, als der Töpferofen aus Kalk und Glimmerschiefer brüchig und rissig geworden war.

Der neue Töpferofen, der einen fast mannshohen gewölbten Heizraum hatte, wurde fertig, ehe der Föhn die Schneemassen der Moorwände abschmelzte. Peter schleppte knetbaren Ton und Klumpen von Graphit vor Evas Hütte. Daraus sollte sie neues Geschirr formen, denn vom alten war nicht mehr viel da, und das wenige war brüchig oder hatte vom eingezogenen Fett einen ranzigen Geruch angenommen. Insbesondere verlangte er bauchige Vorratstöpfe. Einen großen, dickwandigen, noch ungebrannten Topf, in dem sie unüberlegterweise Salz aufbewahrte, mußte sie leeren, damit er vor dem Brennen austrocknen konnte. Als der neue Ofen mit dem vorher gut vorgetrockneten Geschirr beschickt war, zündete Peter das Gemenge von Holz, Torf und Holzkohle an, mit dem er den Feuerungsraum gefüllt hatte. Dicker, brauner, übelriechender Qualm entstieg dem Schlot des hohen, plumpen Ofens, strich, vom Winde gedrängt, über das Moor, legte sich als gelber Schleier auf den klaren Spiegel des Klammbachsees und kroch als dünner Nebel an den Klammwänden empor.

Als der überheizte Ofen ausgebrannt war, dauerte es noch eine volle Woche, bis die glühende Wandung so weit abgekühlt war, daß Peter ans Ausräumen gehen konnte. Es gelang ihm, eine schöne Schüssel und einen kniehohen Vorratstopf freizubekommen, beide klingend hart gebrannt. Er begann den Feuerungsraum auszufegen und die Schlacken zu zerschlagen, die in geschlossener Schicht unten zusammengeschmolzen waren. Darunter war der Boden mit einer grauen, matt metallisch glänzenden Masse bedeckt, von der er noch nicht wußte, wozu sie taugte. Er war zu sehr in die Bewunderung des neuen Geschirrs vertieft, als daß er dem spröden Grauzeug besondere Aufmerksamkeit geschenkt hätte.

Neugierig, was aus ihrem Geschirr geworden sei, fuhr Eva mit Bläff auf ihrem plumpen Fahrzeug zum Brennofen. Sie hörte wohl das Fauchen der Blasebälge am Schmelzofen, aber sie suchte Peter nicht auf. Am Töpferofen angelangt, sah sie durch die Mauerbresche der Vorderwand rotgebranntes und grauglänzendes Geschirr noch im Schlot aufeinanderstellen, nur vorne war ein wenig davon abgetragen worden. So machte sie sich unverzüglich ans Ausräumen. Heller als sonst war der Klang der Gefäße, die sie mit dem Fingerknöchel abklopfte; nur hier und da verriet ein Scheppern, daß eines beim Brennen gesprungen war. Je weiter sie zur Hinterwand des Ofens vordrang, um so häufiger traf sie auf gesprungene Töpfe, die verbogen und nach hinten geneigt im Ofen standen, als sei einer der unteren in sich zusammengebrochen. Plötzlich stieß sie auf einen Haufen Scherben, die über und über mit einer harten, glänzenden Schicht überzogen waren. An einem Daumenabdruck auf einem Henkelstück erkannte sie, daß es der Salztopf war. Das in die Wandung eingedrungene und in der Hitze verdampfte Salz hatte sich in den glänzenden Überzug verwandelt. Eva erkannte, daß sich da etwas Neues ereignet hatte. Mit einem dieser Scherben in der Hand lief sie zu Peter, der ohne mit dem Treten der Blasebälge auszusetzen, das sonderbar glänzende Stück beschaute. Nur das Aufblitzen in seinen Augen verriet, wie willkommen ihm die neue Entdeckung war. Aber im Augenblick konnte er sich damit nicht befassen. Seine Aufmerksamkeit gehörte ungeteilt dem widerspenstigen Grauzeug, aus dem er durch starkes Erhitzen etwas Verwendbares zu gewinnen hoffte. Nur ein Teil davon hatte sich als hämmerbar, der andere als spröd erwiesen; Peter wußte nicht, warum. Er hatte schon versucht, es im Wasser abzukühlen, wie das braune Metall; das graue Metall jedoch verhielt sich anders als das braune: Nach dem Kühlen im Wasser war es härter als zuvor!

Der Herbst kam. Tage und Wochen vergingen, ehe sich Peter entschloß, von seinen Schmelzversuchen abzulassen und sich der Jagd zu widmen.

Daß Peter sich um das Eintragen der Herbsternte gar nicht mehr kümmerte, war für Eva eine große Belastung. Sie mußte die kürzer werdenden Tage vom Morgen bis zur Abenddämmerung ausnützen, wenn sie die kostbare Kastanien-, Nuß- und Wildobsternte nicht den Bären, Wildschweinen und Eichhörnchen überlassen wollte. Peter schleppte reichlich Wildbret an, das zu Rauchfleisch verarbeitet werden mußte; Gedärme und Blasen mußten gereinigt und gespannt werden; Häute waren einzulagern kurz, die Tage reichten nicht aus, alles zu bewältigen. Eva pflegte beim flackernden Licht der Talgkerzen oder der Ampel zu arbeiten, bis ihr die Augen zufielen. Daß Peter sie mit bronzenen Nadeln, mit Messern, Löffeln, Sägen und Beilen viel reicher ausgestattet hatte als ihrem Bedürfnis entsprach, schätzte sie nicht als hohen Lohn ihrer Arbeit, sondern als das, was es war: Peter hatte diese Dinge aus Freude an der Metallarbeit gemacht!

Die Wildgeiß in der Fallgrube

Herbstregen setzte ein. Wochenlang rieselte es vom Himmel herab. Peters Wohnstube verwandelte sich in eine Kleinschmiede. Mit einem handlichen Hammer und einer einfachen Zange, die nichts anderes war als ein gebogener Bronze-Streifen, der unter dem Druck der Hand federte, fertigte er bronzene Bohrstäbe von verschiedener Stärke, die er anfangs in Holz schäftete. Erst als er merkte, daß die vom Metall geleitete Hitze auch das Holz der Schäftung angriff, nahm er Röhrenknochen von Wildschweinen, Rehen und Hasen.

Peter arbeitete wie besessen. Neues Hausgerät entstand. Gutgefügte vierbeinige Schemel, Bänke und Tische, die von Holznägeln zusammengehalten wurden, machten seine und Evas Stube wohnlicher. Mit einem Hammer aus Hartholz stellte er dünnwandige Metallgefäße her. Unter den raschen, geschickten Schlägen streckte sich das rasch abgekühlte weiche Braunzeug und nahm die Gestalt der Unterlage an, eines flach- und rundköpfigen Holzstocks.

Eine besondere Freude machte er Eva mit einer flachen Pfanne, in der sich dickes Fruchtmus über dem Feuer in Fladen verwandelte. Auf Evas Wunsch nach Kochgefäßen, die nicht nur unzerbrechlich waren, sondern sich auch leicht reinigen ließen, hämmerte Peter einen bauchigen und einen flachen Topf, versah beide mit je zwei Randlöchern, durch die er einen gekrümmten metallenen Henkelstab zog. Eva konnte jedes der beiden Kochgefäße an einem starken Traghaken über das Feuer hängen. Sie konnte aber auch beide Töpfe zugleich zum Wasserholen benützen, wenn sie diese an die Enden eines Stabes hängte, den sie sich auf die Schulter legte, so daß sie die Hände frei behielt. Das dickwandige, plumpe Tongeschirr wurde zum Vorratsbehälter. Die größten irdenen Gefäße dienten zum Einlegen von Fleisch in eine mit Kräutern gewürzte Salzlake, aus der es nach und nach entweder zum Braten oder Räuchern entnommen wurde.

In das arbeitsreiche Leben der jungen Menschen war Behagen gekommen, das freilich ab und zu getrübt wurde. Auch Evas Fuchsfähe machte einmal im Jahr ihrer Herrin Kummer. In solchen Zeiten war Bläff nicht zu halten, sie riß aus und streifte auf eigene Faust durch die Wälder. Und bei Peters Einäugel war es nicht anders. Aber die beiden kehrten stets wieder zurück, und ungefähr sechzig Tage nach ihrer Rückkehr hatte jede fünf oder sechs Junge, deren Vorhandensein Eva neuen Kummer bereitete. Sie liebte jedes einzelne Füchslein, deren drolliges Tun und Treiben sie entzückte. Peter jedoch ließ die Kleinen nur so lange am Leben, bis ihr graues Kinderkleid dem roten Fuchspelz gewichen war, dann tötete er sie, um auf bequeme Art zu weichen Pelzen zu kommen. Und das war es, was Eva so zu schaffen machte. Vorläufig ließ er keinen der Nachkommen Bläffs am Leben. Nur von Einäugels Jungen behielt er einmal einen Rüden, der ihm aufgefallen war, weil der Kleine zugeworfene Fleischbrocken so geschickt auffing. Darum gab er ihm auch den passenden Namen »Schnapp«.

Erst im dritten Frühling nach dem denkwürdigen Tag, an dem der Salztopf im Brennofen zersprang, war der große Vorrat an irdenen Schüsseln und Töpfen zerbrochen oder sonstwie unbrauchbar geworden. Peter mußte den Brennofen wieder in Ordnung bringen, um neue Vorratsgefäße schaffen zu können.

Eines Morgens, als schon das vorbereitete Geschirr im Ofen aufgestapelt und das Holz im Feuerungsraum angezündet war, ereignete sich etwas, das ihn von seiner Arbeit ablenkte: Während einer kurzen Pause schaute er dem Nebel zu, der aus dem Talgrund aufstieg und in halber Höhe der Salzwände zerging. Sein scharfes Auge entdeckte an der Salzlecke ein Rudel Steinböcke und darunter drei hellgefleckte Mischlinge. Einzelne Tiere waren, nach dem schwachen Gehörn zu schließen, Geißen; sie bewegten sich so schwerfällig, daß Peter sie für trächtig hielt. Eigentlich müßte sich so eine Wildgeiß in einer Fallgrube fangen lassen! fuhr es ihm durch den Sinn. Er dachte an Eva, der Milch gut täte. Das schien ihm im Augenblick wichtiger als die Topfbrennerei. Er eilte heim, packte Mundvorräte für mehrere Tage in seine Jagdtasche, holte einen kurzen Spaten, ein Hammerbeil, einen Nesselstrick sowie seine Jagdwaffen und machte sich, von Schnapp begleitet, auf den Weg. Eva, die seinen Vorbereitungen mit gerunzelter Stirn zugesehen hatte, sagte er nichts von seinem Vorhaben. Er wollte sie überraschen. Erst vom Floß aus rief er ihr zu, er gehe für ein paar Tage auf die Jagd, sie solle sich um den Brennofen kümmern.

Noch stand die Sonne hoch über dem Tal, als er bei der Stelle anlangte, wo die senkrecht aufsteigende Wand das Wild zwang, einen treppenartigen Streifen niedergeschwemmten Lehms zu betreten, ehe es in weitem Sprunge zur nächsten Felsstufe gelangen konnte. Hier begann er zu graben. Befriedigt sah er, daß der Lehm einen nach unten auseinanderstrebenden Felsspalt füllte, dessen Wände vom niederrieselnden Wasser oder von rutschenden Felsmassen geglättet worden waren. Sorgfältig schaufelte er das Erdreich auf den Weg, den er gekommen war; er grub unermüdlich bis zum Abend.

Während einer Atempause sah er tief unter sich die Talsohle des Heimlichen Grunds; der Schein der Abendröte lag auf dem Klammsee und ließ ihn erglühen wie flüssiges Metall. Es wurde Nacht. Peter mußte aufhören. Die zunehmende Kühle hielt ihn wach, und so saß er denn am Fuße der Wand und verzehrte eine Flade aus Schwadenschrot. Gedankenverloren kraulte er das Fell seines Fuchshundes, der mit ihm Mahlzeit hielt, lehnte sich dann gegen die Felswand und starrte in die verglimmende Pracht der Abendwolken. Evas Herdflamme schimmerte durch die offene Tür ihrer Hütte aus dem blauen Dunkel des Grunds herauf. Peter fühlte sich plötzlich so einsam wie nie zuvor. Da saß er nun hoch oben im Geklüft, festgebannt von der Finsternis, und dort unten war Eva in der Geborgenheit der Hütte, inmitten ihrer wohlgeordneten Geräte.

Sein Leben stand vor ihm, wie er es in den letzten Jahren geführt hatte. Und er malte sich aus, wie er es fortan schöner und behaglicher haben könnte. Sollte es ihm gelingen, eine tragende Geiß zu fangen und brächte sie ein oder zwei Junge zur Welt, dann wollte er noch mehr Geißen fangen und eine Herde heranziehen. Und dann gäbe es Milch und Felle und Fleisch zum Reichtum an Früchten, und dann, dann könnte ein wirklich sorgenfreies, ruhiges, friedsames Leben beginnen, ein Leben ohne Plage. Und wenn er sich mehr daheim aufhielte, wieder Evas guter Kamerad wäre, dann würde sie wohl ihr herbes Wesen ablegen … Was immer es sein mochte, weshalb sie ihm grollte, er wollte es durch Herzlichkeit und Fürsorge gutmachen. Wie war das damals gewesen? Damals hatte sie sich doch über den Halsschmuck aus Goldplättchen so gefreut! Und nun fiel ihm der Goldschatz wieder ein, den er aus der Brandstätte ihrer Erdwohnung gestohlen hatte. Der lag seit Jahren unter dem vermoderten Lager seiner verlassenen Baumhütte. Wenn er ihn herausholte und zu einem glitzernden Halsgeschmeide verarbeitete – ob da Eva sich freuen und ihn bewundern würde? Zu Werkzeugen ließ sich das schöne Metall ohnehin nicht verarbeiten, es war viel zu weich.

Peter fürchtete die kalte Nacht auf nackter Bergeshöhe und entschloß sich, weiterzugraben, das würde ihm warm machen. Mit steifen Fingern band er das eine Ende seines Seils um einen vorspringenden Fels und knüpfte das andere an das Halsband seines Hundes, dem er befahl, ruhig liegenzubleiben. Dann glitt er vorsichtig in die ungefähr hüfthohe Grube zurück, ertastete den Spaten und begann hastig zu graben. Lange, lange arbeitete er so; ab und zu stieß er auf einen Felsbrocken, wühlte ihn mit beiden Händen bloß und warf ihn über den Rand. Dann lauschte er dem Aufprallen, Springen und Kollern in die Tiefe nach. Inzwischen war der Mond hochgestiegen und stand über seinem Kopf, und Peter bemerkte mit Entsetzen, daß er tiefer in der Grube war, als er vermutet hatte. Sein Versuch, mit ausgestreckten Armen den Rand zu erreichen, mißlang. Beim Anklammern und Hochziehen brach ein Erdbrocken ab, der ihn zu Boden warf. Immer ängstlicher, immer unüberlegter wurden seine Bemühungen; da schien es ihm, als gäbe der Grund unter seinen Füßen nach, als sinke er langsam, unaufhaltsam tiefer und tiefer. Gelähmt vor Schreck verharrte er regungslos. Unaufhörlich rieselten kleine Lehmklümpchen, die sich im Nachtwind vom Rande der Grube lösten, herab und ließen ihn erbeben. Wenn die lehmgefüllte Felskluft in die Quellhöhle des Klammbachs mündete und die ins Gleiten geratenen Erdmassen in die Tiefe glitten, wenn sie ihn mit sich hinabführten, wenn nachstürzendes Erdreich und Gestein ihn erschlüge und erstickte – dann, dann wäre er verloren, begraben in kalter Tiefe! Sollte er Eva nie mehr wiedersehen? Jetzt erst, wo es zu spät war, wußte er, daß er sie lieb hatte. Und aus seiner Brust rang sich ein Schrei, der weithin durch die nächtliche Öde klang: »Eva! Eva!« Und von hoch überhängender Felswand kam es zurück: »Eva! Eva!« Gleich darauf hörte Peter, wie sich etwas über die Schollen tastete, die den Pfad deckten; dann fielen vom Rand der Grube Brocken nieder, das Etwas glitt zu ihm herab und streifte weich seine Füße. Peters suchende Hand griff ins Fell seines Fuchshundes und spürte das Nesselseil an dessen Halsriemen. Mit einem Aufschrei hob er Schnapp empor und schmiegte seine Wange an den warmen Tierleib. Seine Hoffnungslosigkeit war dahin. Ruhiger geworden, fand er, daß der Boden unter ihm zwar weich war, sich aber nicht abwärts bewegte. Hatte ihm seine Angst etwas vorgetäuscht, oder waren die Erdmassen zum Stillstand gekommen? Behutsam begann er, für Hände und Füße Vertiefungen in die Lehmwand zu graben, und ehe der Morgen graute, stieg er, die Linke am Seil und in der Rechten den Spaten als Stütze, aus der Grube und zog auch Schnapp heraus.

Als es hell wurde, mußte Peter über seine Angst lächeln, sie war grundlos gewesen. Hart an der Felswand wühlte er eine Furche in das ausgeworfene Erdreich und legte sich zum Schlafen nieder. Der Fuchshund zerbiß die Leine und entfernte sich, um zu stöbern. Bald kehrte er mit einem Murmeltier im Fang zurück, fraß sich satt und schmiegte sich an die Hände seines Herrn zu behaglichem Schlummer. Als Peter im Laufe des Vormittags ausgeruht und von der Sonne wohlig durchwärmt erwachte, blickte er hinab in die schwindelnde Tiefe des lichtüberfluteten Grundes, wo er Eva wußte. Er suchte ihre Hütte; kein Rauchwölkchen stieg dort auf. Aber drüben an der Moorleiten mischte sich gelber Qualm mit dem aufsteigenden Nebel, der Rauch des Torffeuers; Eva hatte wohl nachgelegt.

Da stand Peter auf und beeilte sich, mit der Fallgrube fertig zu werden, um Eva ablösen zu können. Vorsichtig stieg er aus dem Gewand zur Salzleiten nieder. Bald klangen die Schläge seiner Axt durch die Stille. Er hieb von zwei alten Buchen dünne Äste und Zweige ab, mit denen er die Fallgrube decken wollte. Zum Wildwechsel zurückgekehrt, legte er erst der Quere und dann der Länge nach schwache Äste und Reiser über die Grube und streute Lehmbrocken darüber, bis kein Blatt mehr zu sehen war. Er gedachte, in Evas Nähe ein paar ruhige Tage zu verbringen, ehe er die Fallgrube nachsehen mußte.

Als er aber spät am Nachmittag vor dem Töpferofen anlangte, sah Eva ihn so abweisend an, daß er statt eines freundlichen Grußes die Worte hervorstieß: »Ärgerst du dich wieder, daß ich weg war, und fragst gar nicht erst, was ich gemacht hab‘!«

Eva richtete ihre schlanke Gestalt hoch auf, und ihre Augen, die im Widerschein des Feuers glänzten, maßen verächtlich seine gedrungene, lehmverschmierte Gestalt. Leise erwidert sie: »Hast recht, ich frag‘ nicht danach, nur so viel weiß ich, daß du von der angefangenen Arbeit weggelaufen bist.« Damit wandte sie sich um und ging heimzu.

Es war das erstemal, daß sie es wagte, Peter zu schelten. Sein alter Zorn stieg in ihm auf. Was er dort oben in der Einsamkeit der Nacht empfunden, erhofft und gewünscht hatte, es schwand in der Umgebung seiner Alltagswelt. Verdruß legte sich wie dicker Nebel auf die Seele des Enttäuschten und erstickte alle guten Vorsätze. Der Töpferofen war bis zum Platzen überheizt. Peter überließ ihn sich selbst und pfiff seinem Hund, der sich ins Dickicht geschlichen hatte. Mit erdiger Schnauze kam Schnapp zögernd heran. Er hatte eben ein Mäusenest ausgraben wollen, um seinen Hunger zu stillen. In weitem Bogen pirschte sich Peter an das Wassergeflügel heran, das sich vor der Mündung des Moorbachs im offenen Wasser herumtrieb, schoß ein Bläßhuhn und ließ es Schnapp holen. Als Peter nach einer Weile gemeinsam mit dem Jagdgehilfen die nur spärlich gesalzene, am Feuer des Töpferofens gebratene Beute verzehrte, dachte er mit Groll daran, daß er sich vergebens auf ein Abendessen in der Hütte, auf ein Gespräch mit Eva gefreut hatte.

Am nächsten Tag regnete es leicht, aber andauernd. Peter empfand eine unbezähmbare Ungeduld, den Wildwechsel in der Salzwand aus der Nähe zu beobachten. Mit Rauchfleisch und Kastanien für einige Tage ausgestattet, richtete sich Peter auf der Höhe des Sonnensteinfelsens ein Lager, das er zeltartig mit Fellen deckte. Von dieser regensicheren Warte aus beobachtete er tagelang den Wechsel. Und wieder war all sein Sinnen darauf gerichtet, Eva zu versöhnen. Einen Webstuhl wollte er ihr bauen, in dem nicht nur die Einserfäden an einen Kamm geknüpft, hochgezogen und gesenkt, sondern auch die Zweierfäden mit einem zweiten Kamm so bewegt werden konnten, daß die Webnadel ohne Reibung durch die Querfäden glitt. Vorher aber sollte Eva eine Milchziege haben und munter spielende Kitzlein damit sie wieder lachen lernte. Ein goldenes Halsgeschmeide wollte er ihr schenken …

Ach, er ahnte ja nicht, daß Eva in den letzten Tagen ihres Alleinseins seine Liegestätten daheim und draußen peinlich durchsucht und das gestohlene Gold gefunden hatte. Er wußte nicht, daß sie, um die immer wiederkehrende Kränklichkeit endlich loszuwerden, das Gold samt einigen Schwefelkieskristallen, die sie für Gold hielt, ins alte Heiligtum der oberen Höhle getragen und vor dem Sonnenbild unter der Opferplatte verborgen hatte …

Die Wildziegen stellten Peters Geduld auf eine harte Probe. Außerstande, lange beschäftigungslos auf dem wenige Schritte breiten Felsen zu liegen, entfernte er sich wiederholt vom Sandstein, ohne den Wechsel der Wildziegen aus den Augen zu lassen. Einmal schoß er sogar ein junges Auerhuhn, das er im Schutz der Urwaldbäume briet. Wieder auf die Beobachtungsstelle zurückgekehrt, vertrieb er sich die Wartezeit damit, die breiten Stoßfedern des Huhnes als Steuerfedern in die unteren Enden seiner Schilfpfeile zu Schäften, um deren Zielgenauigkeit zu verbessern. Aber schließlich war es mit seiner Geduld endgültig vorbei. Er mußte bei der Fallgrube nachsehen, ob die Tiere nicht zur Nachtzeit die Salzlecke aufgesucht hatten. Es war so. Die Decke war eingebrochen. Eine weißgrau gescheckte Geiß lag in dem Loch und rührte sich nicht. Als Peter den Kopf des Tieres hob, machte es einen matten Versuch, auf die Füße zu kommen. Das linke Vorderbein war über der Fessel gebrochen. Mit dem Aufgebot aller Güte, deren er fähig war, redete er der am ganzen Leibe zitternden Geiß leise und beruhigend zu. Er entnahm seiner Jagdtasche einige Salzkörner, strich sie dem erschöpften Tier ins Maul und ließ nicht ab, es zu streicheln. Von vorhergegangenen Fluchtversuchen entkräftet, vielleicht auch beruhigt oder eingelullt von den eintönigen, fremdartigen Lauten, hörte die Geiß allmählich auf zu zittern, legte sich und ließ den Kopf nach vorn fallen. Da holte Peter saftige Stauden von Wohlverleih, häufte sie dicht am Maul der Scheckin auf und verließ die Grube. Vom Rande aus redete er dem anscheinend bewußtlosen Tiere zu: »Jetzt bleibst du schön liegen, bis ich mit der Eva komm.«

Aus seiner Hirtenbubenzeit stieg die Erinnerung an eine seiner Geißen auf, die, von einem Raubvogel angefallen, in den Geierwänden abgestürzt war. Der hatte die Ahnl einen gebrochenen Fuß mit Holz geschient, der gut ausheilte. Vielleicht gelang es auch ihm, seine Scheckin zu retten – für Eva.

Tauschhandel

Im allgemeinen schlief Peter, wenn er müde sein Lager aufsuchte, sofort ein und träumte nicht einmal. Nach der Begegnung mit Eva aber wälzte er sich schlaflos auf seinem Moosbett. Was hatte sie nur gegen ihn? Die Geschichte mit dem Gold hatte er nie so wichtig genommen. Ja, Eva war sauber und liebte das Saubere und Schöne, er war rußig und nicht immer gewaschen – sicher erregte das ihren Zorn und Widerwillen, aber doch nicht Feindschaft! Und Feindschaft hatte er in ihrem Blick gelesen… Warum nur?

Beim ersten Morgengrauen stand er auf, fest entschlossen, nach dem Pfahlbau im Moorsee überzusiedeln. Nach langer Zeit wusch er sich wieder einmal im Bach und sparte nicht mit Fett, Asche, Lehm und Sand. Zum Schluß kämmte er mit den Fingern seine dunklen, langen Locken, legte seine schönsten Rehfelle an, steckte eine Geierfeder hinter das Stirnband und seine besten Waffen hinter den Gürtel. Dann betrachtete er sein Spiegelbild, das von der ruhigen Wasserfläche der Bachmündung zurückgeworfen wurde, und war recht zufrieden mit seinem Aussehen.

Und nun kamen ihm die Geschenke in den Sinn, die er Eva mitbringen wollte und die sie hoffentlich gut aufnehmen würde. Sorgfältig verstaute er das gebrannte, teils mit Harz, teils mit Graphit gedichtete Geschirr auf dem Fahrsteg, lud Hasenfelle und einige geräucherte Fische dazu und stieß ab. Was er wünschte, was er brauchte, was er entbehrt hatte, darauf begann er zu hoffen: auf Evas Bewunderung.

Tatsächlich empfing sie ihn weniger unfreundlich, als es ihrem Zorn wegen seines Golddiebstahls entsprochen hätte. Daß er fertiggebracht hatte, was ihr nicht gelungen war, nämlich Töpfe und Schüsseln hartzubrennen, schätzte sie hoch ein. Sie hatte sich, als ihr erster Brennversuch mißlang, entmutigen lassen, er hatte sich weiter gemüht. Ob bei ihm alles von Anfang an gut gegangen war? Schon war sie entschlossen, sich mit ihm auf Tauschgeschäfte einzulassen. Vor allem lag ihr an einigen guten Töpfen und Näpfen für ihren Haushalt, und Peter konnte gewiß etwas von ihrem gewebten Zeug brauchen.

So erwartete sie ihn mit einer Bastmatte und empfing ihn, kaum daß er mit seinem Fahrsteg anlegte, mit dem Angebot: »Wenn du mir von deinem Geschirr gibst, kannst du das haben.« Ganz sachlich, ohne Herzlichkeit sagte sie das. Peter, den dieser Empfang enttäuschte, ging wortlos auf den Handel ein. Gutmütig wie er war, gab er ihr alles, was er mitgebracht hatte, sogar seine erste metallene Nadel, die er aus einem Kupferdorn mühsam gebosselt und zurechtgeschliffen hatte, dann einen kleinen Deckelnapf mit Honig und eine schöne Druse wasserheller Bergkristalle. Nur die guten Worte, die er sich unterwegs für sie zurechtgelegt hatte, die behielt er für sich.

Als er ihren Webstuhl, ihr Netz und ihre Reusen zu Gesicht bekam, begnügte er sich damit, die neuen Geräte von allen Seiten zu betrachten. Kein Wort kam über seine Lippen, und doch hätte ein gesprochenes Lob auch ihr wohlgetan. So versagten sie einander die Anerkennung, die jeder vom andern erwartete.

*

Der Schlangen wegen kehrte Peter wieder in seine Pfahlhütte oberhalb des Moores zurück. Aber die beiden Nachbarn lebten wie zwei aufeinander angewiesene Fremde und gewöhnten sich daran, die Früchte ihres Fleißes auszutauschen. Eva, die sich noch vor kurzer Zeit gegen Arbeit um Lohn gewehrt hatte, ging jetzt so weit, daß sie Peter die häuslichen Dinge vorhielt, die sie für ihn tat; sie war immer auf ihren Vorteil bedacht und voll Mißtrauen dem Menschen gegenüber, der sie so hintergangen hatte. Peter geizte nicht mit Töpfen, Werkzeugen und Fellen, weil er in seiner Schaffenslust mehr herstellte, als er brauchte. Da er aber kein Gold in Tausch geben wollte, wartete Eva auf eine Gelegenheit, sich heimlich zu holen, was er ihr vorenthielt. Die wenigen Goldkörner, die sie gefunden hatte, brachte sie ins Heiligtum und flehte um Kraft und Gesundheit. Bald fühlte sie sich genesen und hatte wieder Freude an ihrer Arbeit. Peter gegenüber behielt sie das hochmütige Wesen bei, das ihm ihre Gesellschaft verleidete.

Durch die Schlacken mit den seltsamen roten Metallkörnchen, die er beim Abräumen der geborstenen Mauern seines ersten Brennofens gefunden hatte, war er einer neuen Sache auf die Spur gekommen. Das rote Metall ließ sich in kaltem Zustande hämmern wie Gold! Er kannte nun die blauen und grünen Steine, aus denen er es durch Erhitzen gewinnen konnte.

Seit Eva Kochgeschirr hatte, erfand sie leckere Kräutersuppen, würzige Tunken und vorzügliche Breie, von denen man angenehm satt wurde. Die Fruchtfladen, die sie aus Beeren, Nüssen, Schwaden- oder Kastanienschrot bereiten lernte und meist auf Tonscherben in heißer Asche buk, fanden Peters unausgesprochenen Beifall. Er entlohnte sie dafür mit dem, was sie brauchte. Die Erntegänge zur Zeit der Nuß- und Kastanienreife, der Bau einer größeren Vorratshütte brachten sie einander wieder näher.

Die Vorratshütte wurde größer als Evas Behausung und bekam einen steilen, nach zwei Seiten abfallenden Dachstuhl, dessen durchbohrte Sparren mit Holznägeln befestigte Längshölzer trugen. Diese deckten sie mit festgebundenem Schilfstroh. Eingetriebene, niedere Pfähle ermöglichten es, zwischen allen drei Pfahlbauten einen großen Werkplatz im Freien zu schaffen. Ein Holzgeländer sollte die ganze Siedlung einfrieden und zum Aufhängen von Fellen, Netzen und gewaschenen Geweben dienen. Kaum war das Gröbste am neuen Bau geschafft, da ging Peter auf die Herbstjagd und überließ Eva das Flechten und Verstreichen der Wände. Und weil sie schon bei der Lehmarbeit war, verstärkte sie auch gleich die Wände der alten Wohnhütten. Sie gab ihnen einen Außenbelag aus Lehm und Schilf, dessen Halme sie mit angeschnürten Querstäben niederzwang. Die Rispen waren nach unten gerichtet, so daß das Regenwasser daran ablaufen konnte. An der Wetterseite verbreiterte sie die Schilfdächer, um die dort aufgestapelten Holzvorräte vor Nässe zu schützen.

Während Eva Kiefernzapfen und Holz sammelte, kehrte Peter nach einigen beutereichen Jagdtagen zu seinem lange vernachlässigten Brennofen zurück. Als er die Schlacken ausräumte, die sich aus Feldspat und Metallverbindungen gebildet hatten, begann es sachte zu regnen. Die metallisch oder glasig glänzenden Oberflächen der Schlackenbrocken fesselten ihn. Er hämmerte an den Schlacken herum und legte die muschelig gebrochenen, scharfkantigen Splitter als künftige Werkzeuge auf einen Haufen. Auf ein zweites Häufchen kamen die metallischen Tropfgebilde, deren Gewicht ihm auffiel. Aus zerkleinerten Schlacken, den verschiedensten Stellen des Ofens entnommen, löste er rötliche, ungleich geformte Metallkörner. Einige, deren roter Glanz an der Luft lange unverändert blieb, ließen sich in kaltem Zustand leicht hämmern. Andere, die bräunlich anliefen, fielen unter dem Schlagstein auseinander. Ohne es zu wissen, hatte Peter Kupfer und Bronze gewonnen. Er wußte nur, daß diese Tropfgebilde aus blauen, grünen und jenen gelbbraunen und schwärzlichen Steinen entstanden waren, die er beim Erzsammeln aufgelesen hatte, weil ihm damals ihr Gewicht aufgefallen war. Er beschloß, solche Steine mit Bedacht zu sammeln und zu erhitzen. Wenn es ihm gelänge, sie feuerflüssig zu machen, dann mußte sich das Rot- und Braunzeug lösen und an der tiefsten Stelle des Ofenbodens zusammenfließen! Grübelnd kniete er vor seinem rätselhaften, in dunklen Metallfarben schimmernden Schatz, ohne sich um den stärker werdenden Regen zu kümmern.

Ein ätzendes Brennen an den Schienbeinen ließ ihn zusammenfahren. Eine milchige, rauchende Flüssigkeit rann die Böschung herab, sie kam vom gebrannten Kalk des Ofengemäuers, den der Regen gelöscht und zu Kalkmilch aufgelöst hatte. Peter sprang auf, wusch sich in einer Lehmpfütze die Ätzwunden und wandte sich verwundert den dampfenden Kalksteinen zu, die im Regen qualmend auseinanderbrachen und im Innern blendend weiß leuchteten. Dann holte er aus dem Ofeninneren einen trockenen Brocken Brandkalk, hüllte ihn sorgfältig in Blätter und brachte ihn heim. Aufgeregt hielt er Eva den rußigen, an der Bruchfläche weißen Stein vor die Nase und fragte, ob sie wisse, was das sei. »Was wird’s denn sein, ein Kalkstein aus der Ofenmauer«, war die Antwort. Vor ihren Augen tat er den Stein in einen Topf und begoß ihn mit kaltem Wasser. Dann forderte er sie auf, die Hände an den Topf zu legen, sie werde etwas Wunderliches erleben. Widerstrebend tat sie wie geheißen, und als eine geraume Weile verging, ohne daß etwas Verwunderliches geschah, zogen sich ihre Augenbrauen zusammen. Wie kam Peter dazu, sie zu necken? Schon wollte sie den Topf loslassen, da spürte sie, daß dieser lauwarm wurde! Sie riß staunend die Augen auf und lächelte, als die ersten Dampfwölkchen dem Topf entstiegen. Dann entfuhr ihr die Bemerkung: »Da wird ja Milch draus!« Ihr fielen die Ziegen der Ahnl ein. Peter schmunzelte vor sich hin. »Aber kosten möcht‘ ich die Milch nicht; sie beißt die Haut auf.« Und er zeigte ihr die Ätzwunden an seinen Schienbeinen. Verblüfft hielt Eva den Mund offen: Der Topf wurde heiß! Sie legte die Handflächen an die Wangen und verlangte eine Erklärung. Das ging nicht mit rechten Dingen zu.

»Und wozu ist sie gut, die Milch aus Kalk?« »Das muß ich erst herausfinden«, war die Antwort. Schon nach wenigen Tagen hatte Eva Verwendung für die Kalkmilch, deren reines Weiß zum Malen reizte. Sie fegte die verrußten Wände ihrer Stube und band aus groben Eberborsten einen Pinsel, den sie wie einen Besen an einem Stiel befestigte, tauchte ihn in die blendendweiße Kalkbrühe und tünchte die Wände, die nun eine freundliche Helle ausstrahlten. Eine Woche danach machte Peter, der mit dem Bau eines starkwandigen Ofens beschäftigt war, eine Entdeckung. Die in der Böschung versickerte Kalkmilch hatte sich mit dem Sand des Bodens zu einem Brei verbunden, der an einzelnen Stellen schon zu einer festen Masse erhärtete: Mörtel. Das war eine Entdeckung, die ihm beim Bau des neuen Schmelzofens sehr zustatten kam; damit ließen sich ja die Bausteine lückenlos verbinden! In den Boden der Feuerstelle mauerte er eine gebrannte, aus Graphit und sandigem Ton hergestellte Schüssel so ein, daß sie nach außen geneigt war. Dann beschickte er den Schacht mit Erzen und mit allen durch ihr großes Gewicht auffallenden Schlacken, die er zuvor zerschlagen und mit Hartholz gemengt hatte, um sie durch und durch zu erhitzen. Im Herdinneren fachte er ein tüchtiges Feuer an und nährte es unverdrossen drei Tage lang mit Holz und Torf.

Aber sooft Peter die Asche wegfegte, er fand keinen Tropfen von geschmolzenem Metall in der Schüssel. Da ließ er das Feuer ausgehen und den Ofen abkühlen. Eine Woche später sah er im Schacht nach und fand Schlacken und Erzstücke ein wenig zusammengebacken, sonst aber kaum verändert. Offenbar war das Herdfeuer zu schwach gewesen, und er mußte darauf sinnen, eine größere Hitze zu erzielen.

In den nächsten Wochen ging er meist in Gedanken versunken der Jagd nach oder begleitete Eva bei den Erntegängen. Eva war fröhlich wie schon lange nicht mehr, denn sie trugen reiche Ernte an Waldfrüchten und eßbaren Pilzen ein. Die üppig wachsenden Holunderstauden am Waldrand hingen voll reifer Beeren, die sie dörrte oder mit Kastanien, Haselnußschrot und Honig zu einem dicken Fruchtbrei verkochte.

Es war unvermeidlich, daß sie beim Abstreifen der Beeren rote Finger bekam. In der Aschenlauge, mit der sie die Hände wusch, wurde das Rot blau und widerstand lange allen Säuberungsversuchen. Diese Erfahrung machte sie sich zunutze. Sie färbte ihr ärmelloses Bastkleid mit dem ausgedrückten Saft frischer Holunderbeeren und eine ihrer Matten mit der blauen Farblauge. Das Ergebnis war ein blasses Rot und ein verwaschenes Blau. Die Bastfasern nahmen nur wenig Farbstoff auf. Besser gelang es mit Leinfasern, die sie längere Zeit in der Farbbrühe gelassen hatte. An Peters Händen, die vom Schälen grüner Walnüsse braun geworden waren, entdeckte Eva, daß der Saft der weichen Nußschale tiefbraun färbte. Nun kannte sie Mittel genug, aus ungefärbten und gefärbten Fäden bunte Gewebe herzustellen.

Holzkohle und Blasebalg

Obgleich Peter sich über die Änderungen, die er am Schmelzofen vornehmen wollte, nicht klar war, kehrte er bald zu ihm zurück und besserte an ihm herum. Prüfend betrachtete er immer wieder eine mattbräunlich angelaufene Schlacke, aus der sich ein narbiges Stück Braunmetall gelöst hatte. Sie enthielt noch Überbleibsel eines ungeschmolzenen blauen Steins (Kupferlasur) und des schwärzlichen Steins (Zinnsteins), von dem er schon lange vermutete, daß er etwas mit der Entstehung des Braunmetalls zu tun habe. Wie schade, daß diese Steine nur in ganz geringen Mengen als Einsprengsel im Granit an den Südwänden zu finden waren! An glasigen Schlacken war deutlich zu sehen, daß sie sich dort gebildet hatten, wo der Kalk mit Quarz und Glimmerschiefer in Berührung gekommen war. Diese vielsagenden Steine verrieten Peter, womit er den Schacht des Schmelzofens beschicken mußte, wenn sich aus dem schmelzbaren Gemengsel Braunmetall oder gar das hämmerbare Rotzeug ausscheiden sollte – Bronze und Kupfer. Damit er während des Brennens von oben Erz und Brennstoff nachschütten konnte, baute er aus zwei noch grünen, armstarken Lärchenstämmen, in deren Astwinkel er Querhölzer festband, eine schräge, tragfähige Leiter zur Schachtöffnung.

Noch während er mit dem Bau der Schachtleiter beschäftigt war, setzte kühles Wetter ein. Die Sonne, die an der Henne vorübergekommen war, verriet, daß die herbstliche Tagundnachtgleiche vorbei war und der Winter nicht mehr weit sein konnte. Um den Schmelzofen bangte Peter nicht, der Mörtel war bereits auffallend hart geworden, die Mauerung konnte dem Winter trotzen. Aber den gebrannten Kalk aus dem halboffenen Töpferofen mußte er vor Nässe retten. Er kroch in die Ofenhöhlung und begann, allen Kalk abzuklopfen und auszuräumen. Da es ein regnerischer Tag war, benützte Peter ein Rehfell zum Schutz des gebrannten Kalkes, den er vorläufig in seiner runden Pfahlhütte unterbringen wollte. Dabei machte er eine sonderbare Entdeckung. Der in die Haarseite des Felles geratene Kalkstaub ätzte, als er vom Regen getroffen wurde, die Haare weg. Kalk war also auch ein verläßliches Mittel zum Enthaaren der Bälge!

Der Überfluß an gebranntem Kalk reizte Peter. Er ersetzte den vom Regen verwaschenen äußeren Lehmbelag der drei Hütten durch einen dicken Mörtelverputz, der den Wänden mehr Festigkeit gab. Als Kelle diente ihm das Schulterblatt eines Rehes. Um beim Tünchen bis unter den Dachrand gelangen zu können, befestigte er Evas Borstenpinsel an einem langen Asthaken. Das neue geräumige, wohlverputzte Vorratshaus gefiel ihm so sehr, daß er eine Feuerstelle pflasterte, kleine Lichtlöcher in die Wände brach und die Hütte zu einem Wohnhaus machte. Seit der Überschwemmung zog er nun zum fünften – und wie er glaubte, zum letzten Male um.

Da er bemerkt hatte, daß der Fellbelag des Hüttenbodens schimmelte, baute er aus Quer- und Längshölzern in der linken, von der Tür entfernten Ecke seiner Behausung eine erhöhte Bettstatt. Sie bekam eine Lage Reisig, Laub und Moos, dann einen moosgefüllten Sack als Kopfpolster, das Bärenfell diente als Unterlage und eine mit Rehfellen benähte Binsenmatte als Decke. Die schräg gegenüberliegende Ecke rechts von der Türöffnung, wo die Feuerstelle war, wurde durch eine kniehohe Mauer als Herdraum ausgebaut, und unmittelbar darüber brach er in das Dach ein Loch, durch das der Rauch abziehen konnte. Doch der erste Schneesturm wirbelte die Flocken durch die Rauchluken in die Stuben, fuhr in Asche und Feuer, so daß die Pfahlbauer die Glut in gedeckten Töpfen bergen und die Rauchluken schließen mußten, weil es so kalt wurde. Mochte der Qualm sich den Ausweg durch die Türfugen suchen!

Peters neue Wohnstube verwandelte sich in wenigen Tagen in eine Werkstatt. Wohin man trat, bedeckten Knochen, Hartsteine, Tonvorräte, Schlacken, Holz und Felle den Fußboden. Die unzähligen Arbeitsgeräte, Waffen und Jagdandenken an den Wänden verrieten, daß sich alles Sinnen und Trachten des Bewohners nur um Arbeit und Jagd drehte.

Nach sonnigen Spätherbstwochen kamen die ersten starken Fröste. Auf dem Moorbachsee lag eine blinkende, dicke Eisschicht, auf der die Pfahlbauer sicher gehen und in Gebiete des Moores vordringen konnten, die sie früher nie betreten hatten. Die Fellkleider eng um den Leib geschnürt, Arme und Beine mit breiten Fellstreifen umwickelt, so schritten und glitten sie über die Eisfläche. Peter schob einen schmalen Schlitten vor sich her, dessen Kufen er im Feuer gebogen hatte. Als Eva ihm nicht folgen konnte, riet er ihr, sich auf die Schlittenkufen zu stellen und sich an den hochgebogenen Vorderenden festzuhalten.

Zum oberen Ufergelände des Moorgrundes vordringend, stieß sie auf einige alte Pappeln, deren Kronen von unzähligen Krähen und Wasservögeln besiedelt waren. Auf dem vom Vogelmist reich gedüngten Boden gedieh ein üppiger Nesselbestand. Schlaff hing das vom Frost versehrte Laub an den zähen Stengeln. Eva begann, Nesseln auszurupfen, und zwar nur die frisch abgestorbenen. Die sonst so wehrhaften Brennhaare der Blätter hatten ihr Gift verloren. Die Fasern unter der Rinde waren auffallend zäh, und Eva freute sich, daß ihre Vermutung, von den Nesseln brauchbare Fasern gewinnen zu können, richtig war. Nun war sie nicht mehr nur auf den niederen Bergflachs angewiesen.

Daheim legte sie die Nesselbündel unter ihre Pfahlhütte ins Wasser. Später sollten sie gedörrt werden, dann ließ sich nämlich die spröde Rinde leichter entfernen. Kurz darauf machte sie eine unangenehme Entdeckung. Als sie sich aus Peters Fellvorräten etwas aussuchen wollte, fiel ihr auf, daß in dem halbdunklen Raum irgendwelche kleinen Tiere ihr Unwesen trieben. Sie hörte ihr Trippeln, sah an den Fellen da und dort die Spuren winziger Zähne, bekam aber keines der Geschöpfe zu Gesicht. Auch die in einer Ecke der Vorratskammer aufgehäuften Kastanien waren angenagt. Eva war nicht gewillt, ihre Vorräte Dieben zu überlassen, die wohl über das Eis vom Lande herübergewandert sein mochten, und beschloß, Fallen aufzurichten.

Fünf Steinfallen stellte sie auf und legte als Köder benagte Kastanien und Fleischbrocken hinein. Am nächsten Morgen sah sie mit Genugtuung, daß drei Fallsteine niedergegangen waren. Unter zweien lagen flachgedrückt fingerlange Spitzmäuse, deren oben schwarzes, unten gelbliches Fell entzückend weich war. In der dritten hatte sich eine fast dreimal so große, stumpfschnäuzige Wasserratte gefangen. Auch sie war fast schwarz und glich in der Gestalt den Schneemäusen, die Eva aus Ahnls Zeiten her kannte. Gekocht erwies sich das Fleisch der Wasserratte als zart und schmackhaft.

Peter war tagsüber nie zu Hause. Er hatte es eilig, vom Grund des Klammbachsees, dem die Kälte in den hochgelegenen Gebieten die Wasserzufuhr unterbunden hatte, das angeschwemmte Holz zu sammeln und in Stößen auf der Triftleiten zu stapeln, bevor Tauwetter einsetzte und das Wasser wieder einfließen ließ. Länger als eine Woche arbeitete er ungestört. Beim Anblick der Holzstöße fühlte er sich reich. Holz bedeutete Wärme und Nahrung für das Werkfeuer.

Am Abend eines Tages, an dem Peter zwei Wildgänse und einen Keiler erlegt hatte, saß er nach dem Essen, müßig vor sich hinträumend, vor seinem Feuer. Mit einer Astgabel schob er angekohlte Holzstücke in die Flammen; da tauchte wie aus grauer Vorzeit das Bild des Ähnls in seiner Erinnerung auf. Er sah den rüstigen Alten an seinem Kohlenmeiler bauen. Peter zuckte wie aufgeschreckt zusammen. Aus dem Träumen geriet er in scharfes Nachdenken. Holzkohle müßte mehr Hitze geben als Holz! Wozu hätten sich denn die Leute in der großen Welt draußen vom Ähnl die Holzkohle brennen lassen? Peter fühlte sich stark genug, einen Meiler zu bauen. Hätte ihn nicht am nächsten Morgen dichtes Schneegestöber gehindert, er wäre sogleich an die Arbeit gegangen. Ungern blieb er daheim und nutzte den Tag, um das Fleisch des Wildschweins zum Räuchern vorzubereiten und die Gedärme zu spannen. Dann nahm er sich die Harnblase des Tieres vor. Er brauchte einen neuen Verschluß für seine Lichtluke. Vorsichtig führte er in die Harnröhre einen Schilfhalm ein und blies mit vollen Backen. Die Blase füllte sich mit Luft, wurde rund und prall, so prall, daß es ihn reizte, sie mit beiden Händen zu drücken. Fauchend strömte die Luft durch das herabhängende Schilfrohr in die glimmenden Kohlen des niedergebrannten Feuers und ließ es funkensprühend auflodern.

Spielerisch richtete er das Rohr bald da, bald dort in die Glut, und immer zeigte sich die gleiche Wirkung. So hatte er absichtslos ein Gebläse erfunden, das, in seiner Kleinheit ein Spielzeug, in großer Ausführung aber einen mächtigen Luftstrom ins Werkfeuer senden mochte. Zwei Gebläse, abwechselnd tätig, konnten das Feuer ununterbrochen anfachen.

Peter nähte an zwei enthaarten, gut eingefetteten Rehfellen alle Löcher bis auf einen von einem Fußfell gebildeten Schlauch zu und dichtete die Nähte mit Pech ab. Jeden der beiden Blasebälge hatte er vor dem Vernähen auf einen schweren Holzrost geheftet und auf der Oberseite mit einem kleinen Rost versehen. Dieser Rost war fest verbunden mit einer Lederkappe, in die er einen Fuß schieben konnte. Auf der Unterseite des Felles, das hohl auf dem Holzrost lag, schnitt er ein daumengroßes Loch aus, dem er innen einen viel größeren Lederlappen als Klappe vornähte. Am Luftausführungsschlauch brachte er als Verlängerung einen Holunderstab an, aus dem er zuvor das Mark gestoßen und den er außen mit einem dicken Lehmbelag versehen hatte. Das Ende des Rohres lag nahe am Feuer. Sobald Peter den im Schuh steckenden Fuß und damit den oberen Teil des Balges hob, vergrößerte sich dessen Innenraum, und die von außen eindringende Luft strich von unten her an der Lederklappe, die sich emporhob, vorbei nach innen. Trat er mit dem Fuß tüchtig auf den geblähten Balg, so versperrte sich die Luft den Weg nach unten, indem sie die Lederklappe auf die Ränder des Loches drückte. Und so mußte sie durch das Rohr ins Feuer blasen. Sooft der Luftstrom in die Glut fauchte, flammte sie auf. Peter empfand eine unsagbare Freude an seiner Erfindung. Mehr als einmal mußte Eva kommen und sich die neue Errungenschaft zeigen lassen.

Ampel und Wirtel

Eva hatte, wenn sie den Talg der erlegten Rehe ausließ, bisher ein starkes Schilfrohr zum Umrühren verwendet und gemerkt, daß sich der abgekühlte und hartgewordene Fettpfropf wie ein Markstäbchen aus der Höhlung stoßen ließ, während das fettgetränkte Rohr selbst mit leuchtender Flamme brannte. Zwei Erfahrungen, die sie zur Erfindung einer neuen Beleuchtung führten, weit bequemer und besser als die Harzfackeln und mit einem ruhigeren Licht als der schon in der Höhlenzeit verwendete Kienspan! Die ersten Kerzen, nichts anderes als in Wachs getauchte Nesselstengel, brannten aber zu rasch ab. Länger hielten Nesselschnüre, die durch wiederholtes Eintauchen in flüssiges Wachs zu Dochten in dicken Kerzen geworden waren. Eva ging aber bald zum Gießen von Kerzen über, indem sie starke Holunderstengel spaltete, aushöhlte und durch Umschnüren wieder vereinigte. Die Dochtschnur zog sie durch einen Bodenpfropf nach oben, goß die Form mit Wachs oder Talg aus und nahm sie, sobald der Guß erstarrt war, auseinander. Jede dieser fingerdicken Kerzen leuchtete länger als einen Abend.

Mit dem Fett vom Wassergeflügel, das auch in der Kälte nicht fest wurde, füllte Eva eine höchst einfache Ampel; sie war nichts anderes als ein Töpfchen, durch dessen Deckel ein Docht aus Leinfasern ragte. In diesem Docht stieg das Fett empor, angesogen von der Flamme. Auf einem umgestülpten Napf stehend, beleuchteten Ampel oder Kerzen den mit einer Bastmatte gedeckten Tisch und den Webstuhl daneben. Und als die Topfampel eines Tages hinunterfiel und zerbrach, knetete Eva eine andere, bei der sie die Bodenschale mit dem durchlochten Deckel vereinigte. Dieser bekam am Rand einen Dochthals. Das Loch in der Mitte des Deckels zum Nachfüllen formte sie wie einen Trichter: oben weit, unten schmal. Und diese zweite Ampel bekam ein Muster von Tupfen und Zierstrichen, das die strahlende Sonne darstellen sollte. Während die neue Lampe auf dem Herdrand vortrocknete, entstand unter Evas geschickten Fingern eine dritte, die seitlich Ösen bekam; sie sollte, an Schnüren von der Decke herabhängend, die Stube erhellen. Die Erfahrung, daß in Wasser geschüttete Holzaschenlauge fette Hände gut reinigte, besonders wenn man mit Sand nachhalf, führte zur Erfindung der Sandseife. Sie kochte Aschenlauge mit Fett und feinem Sand so lange, bis ein dicker Brei entstanden war. So wurden Seifentopf und Waschschüssel in Evas und Peters Haushalt unentbehrlich.

Die Entdeckung der zähen Brennesselfaser reizte Eva zu Versuchen, ein dichteres, schmiegsameres Gewebe herzustellen, als es die Bast- und Binsenmatten waren.

An ihrem Webstuhl konnte sie die Zinken der Fadenführungs-Kämme nicht näher zusammenrücken; ihr Bohrzeug war zu unhandlich, um sehr kleine Löcher so dicht nebeneinander zu bohren, daß dünne Fäden sich beinahe berührt hätten. Doch sollte ihr der große Webstuhl, dessen Zinken längst verbogen waren und an dem sich nicht mehr gut arbeiten ließ, wenigstens zum Erfinden einer Vorrichtung verhelfen, die das Vor- und Zurückschieben der Längsfäden ohne Kammzinken ermöglichte. Damit Einser- und Zweierfäden sich leicht unterscheiden ließen, bespannte sie den Webrahmen zunächst mit ungefärbten, gut gezwirbelten Nesselfäden. Das waren die Einserfäden. Zwischen je zweien von ihnen spannte sie einen durch Nußschalenabsud braungefärbten Zweierfaden, so daß graue und braune Fäden miteinander abwechselten. Die unteren Enden aller Fäden band sie an einen frei schwebenden Querstab, beschwerte ihn links und rechts durch angehängte faustgroße Steine, so daß alle Fäden die gleiche Spannung bekamen. Nun galt es, abwechselnd die braunen und die grauen Fäden zu heben und zu senken, damit von ihnen die durchgezogenen Querfäden überkreuzt würden. Nachdenklich betrachtete sie einen der abgelegten Zinkenstäbe, die anfangs so gute Dienste getan hatten. Da kam ihr blitzartig der Gedanke: Wie, wenn ein dicker Rundstab an zwei gegenüberliegenden Seiten kammartig eingekerbt würde, eine Kerbe flach, die nächste tief und so fort, soweit es für die Breite des Gewebes nötig war? Auf der anderen Seite des Stabes müßte jeder tiefen Kerbe hüben eine flache Kerbe drüben gegenüberstehen und umgekehrt. Lag dann der Stab so unter beiden Fadenreihen, daß alle grauen Fäden in den flachen Kerben waren und alle braunen in den tiefen, so mußte oberhalb des Kerbstabes die Webnadel den Querfaden so durchführen, daß alle grauen Längsfäden über ihm, alle braunen unter ihm lagen. Wenn dann der Kerbstab gedreht wurde, gerieten die grauen Fäden in die tiefen und die braunen in die flachen Kerben, und der Querfaden konnte unter ihren Kreuzungen in umgekehrter Richtung durchgeführt werden. Freilich war es nötig, von jeder tiefen Kerbe zu jeder flachen rund um den Stab eine Führungsrinne zu machen, damit jeder Faden seine Richtung behielt. Mit einer Hartsteinsäge begann sie, einen dreifingerdicken Prügel einzukerben. Nach zweitägiger Arbeit hatte sie fünf Paar Kerben fertig und mit Rillen verbunden. Als sie den Kerbstab unter die gespannten Längsfäden auf die Ständer des Webstuhls legte, stellte sie befriedigt fest, daß die von den Gewichten gespannten Fäden den Stab fest an die Ständer drückten, so daß er nicht rutschte. An der rauhen Seite der Kerben aber rieben sich die Fäden so stark, daß sich der Stab kaum drehen ließ. Da wärmte sie Wachs über der Herdflamme an und ließ es in die Kerben tropfen. Wieder versuchte sie, den Stab unter den Fäden zu drehen, und siehe da – die grauen glitten richtig aus den tiefen in die flachen, die braunen aus den flachen in die tiefen Kerben. Da jubelte sie auf: »Es geht! Es geht!«

»Was geht?« fragte eine rauhe Stimme von draußen. Im nächsten Augenblick stand Peter in der Stube.

Aufgeregt erklärte Eva ihre Erfindung.

»Das hast du gut ausgetüftelt«, gab er zu, aber schon kam er mit einem Einwand: »Wenn die Kerben so weit voneinander entfernt sind, geht’s ja, aber eine dichtere Weberei bringst du nicht fertig!«

»Ich hab’s ja nur probiert. Jetzt wart‘ nur, jetzt mach‘ ich erst die richtige Walze, da werden die Fäden nicht viel weiter voneinander entfernt sein, als jeder Faden dick ist.«

Peter tat einen langen Pfiff. »Meinst? Wie denn? Mit Steinbohrern und Steinsägen geht’s nicht. Der Kerbstab würde zerbrechen, bevor er fertig war‘! Was bleibt noch vom festen Holz übrig, wenn du ihn von allen Seiten so grob zerkerbst?«

Eva machte ein langes Gesicht.

Da tröstete Peter sie: »Laß mich nur machen. Ich nehme Sägen und Bohrnadeln aus Rotzeug oder Braunzeug. Wirst seh’n, genau so wie du dir’s ausdenkt hast, mach‘ ich dir die Kerbwalze.«

»Bald?« fragte Eva.

»Wenn’s so weiterregnet, wirst du nicht lange warten müssen.« Damit ging er.

Jetzt machte sich Eva daran, einen Vorrat von Webfäden anzufertigen. Die Büschel glänzender Nesselfasern wären zum Weben brauchbar gewesen, leider waren sie zu kurz. Eva versuchte, durch Zwirbeln der Fasern zwischen den Fingern längere Fäden zu bekommen, aber der Faden war ungleichmäßig, und es ging auch zu langsam. Wohl hatte sie der Ahnl oft zugesehen, wie diese mit der linken Hand den Flachs vom Rocken zog und mit der rechten die Spindel tanzen ließ, hatte aber damals zu wenig auf diese Dinge geachtet. So blieb ihr denn nichts anderes übrig, als erst ein Spielzeug nachzumachen, das ihr einst der Ähnl angefertigt hatte, und es damit zu versuchen. Er hatte durch die Mitte eines alten Hirschhornknopfes ein Stäbchen gesteckt und es durch Drehen zwischen Daumen und Zeigefinger zum Kreiseln gebracht.

Sie wählte ein spannenlanges, unterhalb der Mitte verdicktes Holzstäbchen, härtete dessen Spitzen im Feuer und steckte es durch eine plumpe Scheibe aus Speckstein, so groß wie ein Handteller. Und bald gelang es ihr, die Spindel mit dem schweren Wirtel zum Kreiseln zu bringen; aber es wollte ihr nicht gelingen, den Faden so rasch fertig zu zwirbeln, daß die tanzende Spindel ihn aufwickeln konnte. Immer mußte sie die Spitze der Spindel zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand drehen, während die linke das Werg vom Rocken zupfte und zwirbelte. Zunehmende Kälte zwang Eva, in der Nähe des Herdes zu arbeiten. Sie befestigte ihren Rockenstab in einem durchbohrten Strunk, so daß er feststand, und nun ging die Arbeit besser von der Hand.

Es kamen stille Wochen behaglicher Arbeit. Evas Fadenvorrat, den sie auf gegabelte Stäbe wickelte, wuchs zusehends, und sie hätte zu gern mit dem Weben angefangen, wenn Peter sein Versprechen gehalten hätte; mahnen wollte sie ihn nicht. Und sooft er sich bei ihr sein Essen holte, tat er sehr eilig, um Evas Fragen zu entgehen. Wieder stieg Zorn in ihr hoch. Sie ahnte ja nicht, daß Peter seit Wochen an der Verbesserung ihrer Erfindung arbeitete. Sie wußte nicht, daß ein mühsam fertiggekerbter Faden-Hebestab zerbrochen war, weil an einer Stelle die Kerben zu tief geraten und im Innern des Stabes zu nahe aneinander gekommen waren. Inzwischen hatte er einen viel dickeren Stab aus hartem Eisbeerholz geglättet und gekerbt. Nun war aber die Spannung der Fäden nicht stark genug, ihn am senkrechten Hinabgleiten zu hindern. Er mußte dem Webgestell durch schräge Stützen eine Neigung nach hinten geben. Daß er die vielen Löcher im oberen Querstab, an dem alle Fäden hängen sollten, nicht bohrte, sondern mit Hilfe glühend gemachter Metallstäbchen ausbrannte, erleichterte zwar die Arbeit, brauchte aber viel Zeit und große Sorgfalt. Noch nie hatte Peter etwas so genau Ausgetüfteltes gemacht wie diese Löcherreihe, die mit den Kerben des Fadenhebestabes und mit der Löcherreihe des unteren Spannstabes haargenau zusammenstimmen mußte. Sein erster Webversuch hatte ihm gezeigt, daß es nicht gut war, die grauen und die braunen Fäden unten alle an ein und demselben Spannstabe zu befestigen. Die Spannung der Fäden in den flachen Kerben war ja größer als die der Fäden in den tiefen. Er mußte jeder Fadenreihe ihren eigenen Spannstab mit je zwei Gewichten geben. Und die Gewichte sollten nicht wieder Steinbrocken sein, die ungleich zogen, sondern vier gleich große, aus Lehm geknetete, durchlochte Kegel. Bis die am Herd vorgetrocknet und durch Beschmauchen im Feuer gehärtet waren, vergingen wieder etliche Tage. Endlich konnte Peter sie an die Spannstäbe hängen. Die gleichmäßige Belastung gab dem Webstuhl Standfestigkeit. Ein heller Wintermorgen – und noch ein Webversuch: »Es geht, es geht!«

Peter rieb sich die Hände und freute sich auf Evas Gesicht, wenn sie sehen würde, daß der Webstuhl schöner und besser ausgeführt war, als sie sich ihn gedacht hatte. Er packte das Gerät an den Ständern, trug es in Evas Hütte und stellte es vor sie hin. Seine Augen hingen gespannt an ihrem Mund. Evas Hand war die Spindel entglitten. Ihre Wangen röteten sich. Tief beschämt stand sie da. Wortlos bestaunte sie Peters Werk. Da ging ihm die Geduld aus. Enttäuscht verließ er die Hütte und warf die Tür hinter sich zu. Trockener Lehmbelag bröckelte vom Wandgeflecht. Eva eilte ihm nach und berührte seinen Arm.

»Peter, ich dank‘ dir schön!«

»Ach was, du hast’s ja ausgetüftelt!«

In seiner Hütte setzte sich Peter auf sein Lager, starrte vor sich hin und knirschte mit den Zähnen.

Plötzlich lachte er, ingrimmig und rauh. Dann stand er mit einem Ruck auf, fuhr mit der Rechten durch die Luft, als wollte er etwas von sich scheuchen. Pfeifend musterte er sein Allerlei. Nur um eine Arbeit zu haben, die ihm über den Ärger hinweghalf, entschloß er sich, Evas Quirlbohrer mit der wackeligen Führung durch einen besseren zu überbieten.

Gebläse-Ofen

Die gefährlichen Wochen der Schneeschmelze und des Föhns, der Lawinenstürze und Steinschläge waren endlich vorbei; der Boden lag schneefrei, das Wasser verlief sich im blumigen Grund, im Moor balzten die Birkhühner. Die Sonne schien länger und lockte zur Arbeit im Freien. Peters Öfen waren vom Schneewasser ziemlich mitgenommen. Der Töpferofen lag in sich zusammengesunken und sein Herdraum mit Kalkbrei gefüllt, das Schmelzwasser hatte den gebrannten Kalk seines Mauerwerks gelöscht. Nur der Schmelzofen stand fast unversehrt da, der Mörtel in seinen Fugen war zu kalkartigem Sandstein erhärtet; dafür waren die Schlacken und Erze stark verwittert; Luft, Wasser, Frost und Sonne hatten sie zermürbt. Der Boden unter ihnen war auffallend dunkel gefärbt. Mit großer Sorgfalt reinigte Peter den Herdraum des Schmelzofens, legte über den im Boden eingelassenen Napf einen Rost aus schmalen, länglichen Steinen, schichtete Schilf, Holz und Holzkohle darauf und schüttete von oben her abwechselnd Schlacken, Erz und Holzkohle durch den Schacht. Leider versäumte er, den Luftdurchlaß für sein Gebläse vor dem Füllen des Schachtes herzustellen; er merkte es zu spät und mußte von außen die Mauer an einer Stelle durchbrechen und den Luftweg einbauen.

Tags darauf war er schon vor Sonnenaufgang mit seinen Blasebälgen unterwegs. Da er erwartete, der Schmelzofen werde sich in ein glutatmendes Ungetüm verwandeln, führte er vom Luftdurchlaß der Ofenmauerung erst einen drei Schritt langen, röhrenartigen Luftweg aus Steinen und Lehm auf, den er möglichst dicht mit feinsandigem Mörtel und mit flachen Steinen deckte. Erst in der Nähe des hohlen Baumes schloß er die beiden zusammenlaufenden Luftausführungsröhren seiner Blasebälge an, indem er ihre Enden fugendicht einmauerte und mit nasser Tonerde deckte. Die Zugriemen band er einstweilen mit ihren oberen Enden an einen überhängenden Ast der Buche.

So ungeduldig er die Wiederaufnahme der Schmelzversuche herbeigesehnt hatte, jetzt, wo alles bereit war, vertrödelte er mehrere Tage, als scheue er sich vor dem Unternehmen, das ihm vorher gefahrlos erschienen war. Er schleppte Mundvorräte und einen Topf Trinkwasser herbei, verstaute alles im Hohlraum der Buche und machte sich in ihrer Krone umständlich eine Art Nest aus Stäben und Fellen, um dort zeitweise ruhen zu können, da er sich während des Schmelzversuches nicht vom Ofen entfernen wollte. Nach einer Nacht im Pfahlbau, während der das weitschallende »Koak!-Krüak!« der Rohrdommeln ihn lange wachgehalten hatte, weckte ihn greller Sonnenschein. Kaum hatte er seinen Brei ausgelöffelt, eilte er zu seinem Werk. Bald kräuselte fahlgelber Rauch aus dem Ofenschacht, und Peter setzte die angefeuchteten Blasebälge in Bewegung. Klopfenden Herzens sah er, wie nach jedem Fauchen der einströmenden Luft eine fast rauchlose, bläuliche Flamme aus dem Schacht hervorstach. Den Balg links und rechts abwechselnd aufziehend und niedertretend, wiegte er sich nach rechts, nach links, und dieses Gleichmaß der Bewegung stimmte ihn so behaglich, daß er zu summen und zu singen begann. Sein Singsang schallte über das Moor und lockte Eva aus ihrem Pfahlbau. Sie ruderte eilig herbei und lief den Hang hinauf, so schnell sie konnte. Als sie vor dem Schmelzofen stand, wurde ihr klar, warum Peter sang: weil ihn seine Arbeit freute!

Aber seine Bewegungen wurden zusehends langsamer, sein eintöniger Gesang leiser, er wurde müde. Als er verstummte und nur noch mühsam trat und zog, nahm Eva ihm die Zugriemen aus den Händen und drängte ihn beiseite. Taumelnd machte er Platz, schleppte aber schon nach kurzer Rast eine Rehhaut voll Holzkohlen über die Leiter zum Schacht und leerte sie hinein, daß die Funken stoben. Dann brachte er noch eine Ladung Schlacken und Erze, streckte sich danach auf dem harten Boden aus und ruhte schweratmend. Eva hielt die Anstrengung nicht lange durch, sie rief nach Ablösung, und so bedienten sie abwechselnd den Ofen, bis der Abend dämmerte. Eva zog sich mit ein paar geräucherten Fischen zu kurzer Rast ins Baumnest zurück. Peter wollte das Gebläse die Nacht hindurch in Gang halten, obwohl er zum Umfallen müde war.

Der Ofen aber machte plötzlich aller weiteren Arbeit ein Ende. Mit einem Knall barst die Mauerung des Luftwegs, die Mauerränder glühten, und der Lehmverputz des Luftrohrs dampfte.

Enttäuscht nahm Peter die verstört herbeigestürzte Eva bei der Hand und ging mit ihr heimwärts. Der Ofen mußte erst ausbrennen und abkühlen, ehe er ausgeräumt werden konnte. Müde bis zur Gedankenlosigkeit, schritten sie wieder einmal einträchtig wie schon lange nicht mehr dahin.

Mißlungener Bronzeguß

Als Peter eine Woche später die Asche aus dem geborstenen Ofen geräumt hatte, entdeckte er auf dem Grund des Herdraumes eine blasige Schlackenschicht, die den Boden des Sammelnapfes überzog und mit der Wandmauerung zusammengebacken war. Beim Zerschlagen stellte sich heraus, daß sie nach unten zu in eine dichte, schwarze, kieselharte Masse mit schaligem Bruch überging, die unter dem Schlagstein zersprang und stellenweise mit kleinen, runden Körnchen eines rötlichen Metalles durchsetzt war. Auf dem Boden des Gefäßes lag eine dünne, ebenso gefärbte Metallplatte; ihre glänzende Oberfläche war narbig, während die Unterseite jeden Fingerabdruck des Tongefäßes genau wiedergab. Mit zitternden Händen hob Peter das endlich gewonnene »Rotzeug« – wie er es nannte – und lief zu Eva, die vor Verwunderung sprachlos war. Die erste Enttäuschung mit dem Ergebnis seiner Mühen erlebte er aber, als der Metallkuchen bald nach der Berührung mit seinen Händen den schönen Glanz verlor und braun wurde – es war doch nur »Braunzeug«. Die zweite Enttäuschung kam, als er sich anschickte, Eva aus einem bohnengroßen Stück eine Nadel zu hämmern. Das Metall erwies sich als brüchig und unverwendbar.

Daheim steckte er das Stück noch einmal ins Feuer und hämmerte es, ehe es wieder hart wurde. Aber nun fehlte ihm ein widerstandsfähiges Gerät, mit dem er das glühend gewordene Klümpchen vom Feuer auf einen Stein hätte heben können. Er nahm zwei Stäbchen und hob damit das heiße Stück vorsichtig aus der Glut. Auf halbem Wege brannte sich eine Metallperle durch das Holz und fiel zischend in ein Gefäß mit Wasser. Peter schleuderte sie heraus. Sie war dunkelblau angelaufen. Aus Sorge, sie werde sich vor seinen Augen wieder in ein sprödes Zeug zurückverwandeln, beeilte er sich, sie mit einem Schlagstein zu schmieden.

Und siehe da – sie streckte sich unter der Wucht des Schlages und ließ sich, in ein gespaltenes Holzstäbchen geklemmt, zu einer fingerlangen Nadel formen!

Als Peter diese wieder erhitzt hatte, um sie gefügig zu machen, gelang es ihm kaum, das Öhr zu bohren; schon als er die Spitze feiner hämmern wollte, war sie härter als zuvor, so daß er durch Schleifen erreichen mußte, was ihm zu schmieden nicht gelang. Wiederholte Versuche zeigten, daß das Braunzeug durch Glühen und plötzliches Abkühlen im Wasser hämmerbar, durch Glühen und langsames Abkühlen hart wurde. Mit dieser Entdeckung begann für Peter eine neue Schaffenszeit. Ihn erfaßte eine fahrige Unruhe, die Eva rätselhaft war. Ungläubig lauschte sie den zuversichtlichen Reden, die er hielt. Nichts schien ihm mehr unmöglich: Keile, Messer, Sägen, Löffel, Pfeilspitzen, Gefäße, alles wollte er aus diesem Braunzeug machen! Evas Wunsch, ihr Gewandnadeln zu schmieden, mit denen sie Fellränder zusammenhalten wollte, erfüllte er gern. Er dachte sich eine federnde Bogennadel aus, deren Spitze sich im umgebogenen stumpfen Ende festlegen ließ.

Dann aber erklärte er vorbeugend, das übrige Metall brauche er selber. Es reichte nicht weit. Wie oft waren ihm Steinkeile zersplittert, wenn er sie ins Holz getrieben hatte, um es auseinanderzudrücken. Jetzt hämmerte er einen breiten Keil zurecht, mit dem er Baumstämme spalten wollte. Der erste Versuch, einen Fichtenstamm der Länge nach zu spalten, fiel kläglich aus: Der tief eingetriebene Keil steckte so fest im Holz, daß Peter ihn nicht mehr herausziehen konnte. Erst als er kleine Vorsetzkeile verschiedener Stärke angefertigt hatte, konnte er den einen mit Hilfe des anderen wieder lockermachen. Aus dem längsten und schmälsten aber schliff er einen Meißel. Er dachte auch an die Herstellung eines geöhrten Beiles. Aber dazu reichte es nicht; auch fehlte es noch an einem Gerät, mit dem er ein gröberes Stück mit einem Öhr hätte schmieden können. Der Holzstab, der zum Niederhalten des Metallklumpens auf dem Amboßstein diente, vermochte kaum, das Hüpfen und Ausweichen zu verhindern, wenn die Rechte mit dem Hammerstein arbeitete.

Darum wurde Peters erste Metallaxt nur ein einfacher Keil, an einem Ende breitschneidig geschliffen, am anderen spitz. Diesen Keil brannte er so in den harten Knorrenkopf eines Wurzelastes ein, daß der Wurzelast als Schaft diente, und verpichte ihn außerdem. Die Axt lag gut in der Hand, griff mit Schwung ins Holz und bot sich förmlich als Wurfgeschoß an.

Nun sollte die Keilaxt eine Sicherung bekommen: an jeder Längsseite einen Lappen, der das Schaftholz zu umklammern hatte. Zunächst schnitzte Peter aus Holz ein Vorbild der Lappenaxt. Dabei kam ihm der Gedanke: Wenn er das Vorbild zur Hälfte in einen flachen, noch weichen Lehmbrocken versenkte, diesen mit einem Randwulst versah und dann einen flachen Lehmdeckel fest darauf drückte, dann mußte sich von oben wie von unten her der Lehm genau an das Vorbild schmiegen. Hob er dann den Deckel ab und nahm das hölzerne Vorbild aus dem Lehmlager, so hatte er die zwei Hälften einer Hülle, die er nur trocken werden lassen mußte, um eine Gußform zu erhalten, die genau die Gestalt des Vorbildes hatte. Und das hineingegossene Braunzeug mußte dann diese Gestalt annehmen. Doch als er den nur oberflächlich hartgewordenen Deckel abnehmen wollte, hing dieser mit dem Lager zusammen und mußte erst mit einem Messer losgelöst werden. Mit ihm wurde das daranklebende Vorbild gehoben und Lehmklümpchen dazu, die vom Lager abgegangen waren. Der Hohlraum, der das fließende Braunzeug aufnehmen sollte, war entstellt, die Ränder der seitlichen Lappen waren abgerissen. Dieser Fehlschlag veranlaßte Peter, beim neuen Vorbild die Lappen zunächst flach abstehen zu lassen. Nach dem Guß konnte er sie ja umschmieden. Wie war es doch? Richtig: durch Erhitzen und rasches Abkühlen wird das Braunzeug biegsam, durch Erhitzen und langsames Abkühlen wird es hart.

Damit der Lehm des Deckels weder am Lager noch am Vorbild klebte, genügte es, kleinkörnigen Sand dazwischen zu streuen. Tage vergingen, bis Peter den hart gewordenen Deckel vom Lager abheben und dann beide Stücke durch Beschmauchen im Feuer härten konnte. Nun machte er sich an die Verbesserung des Schmelzofens. Damit die Heißluft aus dem Ofen nicht mehr abgesaugt, das Luftrohr nicht mehr bersten konnte, blieb nichts anderes übrig, als in eine Ausbuchtung des Windzuführungsganges ein bewegliches Hindernis einzubauen. Erst dachte er an eine lederne Windklappe, die sich beim Einblasen des Windes dem Ofen zu öffnen, beim Aussaugen aber der Heißluft den Weg verlegen sollte. Leder … nein, Leder schrumpft, sagte er sich und schliff aus Speckstein eine kastaniengroße Kugel, die er in eine Ausbuchtung des Luftgangs einlegte. Beim Ansaugen mußte sie das runde Luftrohr des Gebläses schließen, beim Einblasen in der Richtung zum Ofen hinrollen und den Weg für die Frischluft freigeben. Da aber der weitere Luftweg schlitzförmig hoch und schmaler als die Kugel breit war, konnte sie ihn nicht verlegen, und der eingetriebene Wind mußte an ihr vorbei zur Feuerung strömen. Weil sie zum Hin- und Herrollen nicht einmal fingerlang Spielraum hatte, mußte der Luftweg sich rasch schließen und öffnen.

Nach zwei Wochen sorgfältigster Arbeit setzte Peter das Gebläse versuchsweise in Gang, und siehe da – die Erfindung bewährte sich! Nichts, was er je vorher erdacht und geschaffen hatte, schien ihm so bedeutend wie dieser Erfolg scharfen Nachdenkens. Noch hatte er nicht genug Erze beisammen, um sie ausschmelzen zu können. Er verließ einstweilen den Schmelzofen und streifte die Geröllhalden am Fuß der Felswände nach schweren, klingenden Steinen ab, die Erze sein mochten. Die ersten hartklingenden, von blauem Geäder durchzogenen Steine fand er jedoch erst oberhalb der Goldbachquelle im niedergegangenen Urgestein. Langsam rückte der Erzsammler gegen die Südwände vor, legte das Gefundene an bestimmten Stellen ab, damit er nicht alles mitzuschleppen brauchte.

Endlich ging er daran, seinen Schmelzofen mit den verwitterten alten und gefundenen neuen Erzen zu beschicken. Den Sammelnapf, dem er eine Neigung nach vorn gab, mauerte er in den Boden des Ofens ein und versah ihn mit einer tönernen Abflußrinne, an die er das Loch der Gußform anschloß. Die Ansatzstelle der Abflußrinne verschloß er gegen das Sammelgefäß zu mit einem nach außen kegelförmig zugespitzten Lehmpfropf, den er erst dann einwärts stoßen wollte, wenn sich genug Gießmetall angestaut hatte. Als er den über dem Sammelnapf eingebauten Steinrost mit Föhrenreisig und Prügelholz belegt und mit harzgetränktem Nesselwerg angezündet hatte, schüttete er von oben her abwechselnd Holzkohle und Erze ein, immer darauf bedacht, der Windrichtung auszuweichen und nicht allzuviel Rauch und Heißluft ins Gesicht zu bekommen. Dann holte er Eva, die ihm bei der Bedienung der Blasebälge helfen mußte.

Drei Tage und Nächte lang hielten sie das Gebläse fast ununterbrochen in Gang. Der Ofen barst nicht, trotz der gesteigerten Anforderungen. Nach drei mühsamen Tagen floß aus einem Seitenloch der Feuerung Schlacke und verriet, daß das Sammelbecken gefüllt war. Mit klopfendem Herzen stand Peter vor dem Schmelzofen, zögernd näherte er einen langen Stab, in den er einen Stein geklemmt hatte, dem Verschlußpfropfen. Ein mutiger Stoß – und in leuchtendem Strahl schoß das flüssige Metall durch die Rinne. Schon bei der Berührung mit dem unvollkommen getrockneten Ton der Gußrinne zischte es funkenstiebend auf und spritzte empor wie ein Springbrunnen. Gefahr! durchzuckte es den kühnen Metallgießer, ein rascher Sprung zur Seite brachte ihn aus dem Sprühregen der feuerflüssigen Tropfen. Atemlos folgte er mit den Augen dem nachfließenden Metall, das nun wie eine eilige Schlange durch die Rinne glitt und in der Höhlung der Gußform verschwand. Schon wollte Peter jubeln, da sah er es dampfen. Ein Knall folgte, der ihm für einen Augenblick die Besinnung nahm. Unwillkürlich schloß er die Augen und deckte sie mit beiden Händen. Ein brennender Schmerz am rechten Oberarm ließ ihn fliehen. Erst als er weit genug war, drehte er sich um. Die Trümmer der geplatzten Form lagen verstreut umher, und was an flüssigem Metall den feuchten Boden berührte, versprühte. Peter drückte die geballten Fäuste vor den Mund und schluchzte. Neben ihm kauerte Eva auf dem Boden. Sie wollte ihn trösten, doch er stieß sie weg. Da stand sie stumm auf und ging heimwärts.

Als Peter seine Enttäuschung ausgeweint hatte, das verspritzte abgekühlt war, begann er Körner und Körnchen, Klumpen und Klümpchen von der Erde aufzulesen und zu sammeln.

Gebrannte Tonscherben

Mit der Gesundheit kehrte auch Evas Schaffenslust wieder. Unaufgefordert stellte sie in Peters Pfahlhütte den Bodenbelag und die Wandverdichtungen her. Jetzt wartete sie auf eine Gelegenheit, ihr Gelübde zu erfüllen. Auf ihrem plumpen, tiefgehenden Fahrzeug gelangte sie um die Mittagszeit an die Moorbachmündung. Sie eilte, sorgfältig nach allen Seiten spähend, um einer Begegnung mit Peter auszuweichen, zur Brandstätte, wo sie unter der Asche ihren Goldvorrat zu finden hoffte.

Die Asche war auseinandergefegt, der hart und rissig gewordene Bodenbelag aufgewühlt, und in der Grube unter ihrem früheren Lager glänzten nur drei mit Sand zusammengebackene Goldkörnchen. Der Schatz war fort!

Weinend kauerte sie an der Unglücksstätte, während sie den zerwühlten Boden fieberhaft absuchte und mit zitternden Fingern die Lehmstücke des geborstenen Bodenbelags hin und her wendete. Da stutzte sie: Diese Lehmbrocken klangen so eigentümlich! Sie nahm einen, der sich beim Brennen schalenförmig geworfen hatte, und betrachtete ihn aufmerksam. Er war rötlich und hart. Seine nach oben gekehrte Fläche wies die Fingerabdrücke auf, die Eva beim Glattstreichen des Lehmbelags gemacht hatte.

Sie tat die Goldklümpchen in die Schale und eilte heimwärts. Die Lehmscherben in der Höhle ließen ihr keine Ruhe. Immer wieder betrachtete sie das Ding, das sie mitgebracht hatte, dann knetete sie aus einem flachgewalzten Lehmstück ein dünnwandiges, beutelförmiges Gefäß und stellte es zum Trocknen in die Nähe des Herdes. Damit es noch härter werde, ließ sie es zwei Tage später vom Feuer beschmauchen. Beim ersten Kochversuch mußte sie das ungefüge Gefäß durch unterlegte Steine stützen, damit es im Feuer aufrecht stand. Knacks! machte es – das Gefäß war zersprungen.

Ach, sie hätte Peter vorher um Rat fragen sollen! Peter fragen? Nein, der hatte ihr das Gold gestohlen. Vielleicht fand sie es in seiner Hütte. Ihre Suche nach dem Schatz blieb vergeblich; nur Tonscherben fand sie, die er von ihrer Brandstätte eingetragen hatte. Ein tiefes, gewölbtes Stück enthielt eine Masse aus Wachs und Harz, ein anderes stand als Salzschüssel neben seiner Feuerstelle; es war mit rußgeschwärztem Harz eingelassen. Scherben, Wachs, Harz, Salz, nur kein Gold. Er mußte es gut versteckt haben. Und es gehörte doch ihr! Enttäuscht verließ sie seine Hütte.

Eva hatte alles Vertrauen zu Peter verloren. Unabhängig wollte sie werden, nichts von ihm verlangen, was sie sich selbst beschaffen konnte. Was sie von ihm empfing, das wollte sie durch Gleichwertiges vergelten und nie mehr in seiner Schuld stehen. Ihre eigenen Tag- und Wochenzeichen wollte sie haben: für jede Woche einen Stab, darauf für jeden Tag einen Strich. Sie begann sofort damit, auf dem ersten Stab die Striche nachzutragen, für die Tage seit der Überschwemmung der Wohnhöhlen. Für die Ereignisse selbst erfand sie Zeichen, die nur ihr verständlich waren. So stellten ein paar waagrechte Ritze das große Wasser vor, ein paar zungenförmige den Brand; auch den Pfahlbau deutete sie mit wenigen Strichen an, und einige Ringlein standen für die geraubten Goldkörner.

*

Im Moorgrund reiften die Heidelbeeren, und auf der Wiese zwischen dem Fuchsenbühel und den Salzwänden wuchsen noch dichte Bestände von Schwadengras. Um die Körner nicht mehr mit den Händen enthülsen zu müssen, machte sie aus einem Buchenstrunk einen Holzmörser. Mit glühenden Holzkohlen, die sie mit einem Entenflügel fächelte, brannte sie eine tiefe Höhlung aus, die sie zum Schluß mit Granitsplittern glättete. Mit einem Fichtenstößel bearbeitete sie die Körner, die noch in den Fruchthüllen steckten, schüttete sie dann auf einen Tonscherben und blies mit vollen Backen die abgeriebenen Spelzen heraus.

Für den Fischfang ersann Eva eine Art Falle, von der sie sich sicheren Erfolg versprach: drei birnförmig geflochtene Körbe, die so ineinander geschachtelt wurden, daß sie ihre breiten Öffnungen der Strömung zukehrten. Die offene Spitze des vordersten führte in den Bauch des zweiten, die offene Spitze des zweiten in den Bauch des dritten, dessen Endruten sie fest verschnürte. Da Eva nicht wußte, was den Fischen schmeckte, tat sie in die Körbe Brunnenkresse und Nesseln, Wurzeln der wilden Möhre, Beeren, aber auch Regenwürmer und Nachtschnecken. Die so beköderten Fischreusen beschwerte sie mit eingelegten Steinen, schnürte sie fest an eine Stange, hängte das Ganze an einen Strick aus Waldreben und ließ es unter ihrer Hütte ins strömende Wasser sinken.

Schon am nächsten Frühmorgen, Peter schlief noch, sah sie nach den Reusen und fand darin zu ihrem Erstaunen statt Fischen viele zappelnde Steinkrebse, nicht größer als ihr Mittelfinger, aber mit mächtigen Scheren. Einen um den anderen hob sie vorsichtig aus seinem Gefängnis und tat ihn zunächst in einen Korb; später warf sie die Krebse allesamt ins Feuer und bereitete ihnen so einen raschen Tod. Das Braungrün der Tiere verwandelte sich dabei in ein gelbliches Rot. Eva hob sie mit einer Zweiggabel einzeln aus der Glut, zerbrach die Krusten und tat das weiße Fleisch auf einen gebrannten Tonscherben.

Mit ein wenig Salz und Kerbelkraut gewürzt, ergaben die Krebse ein vorzügliches Essen. Evas Selbstvertrauen stieg. Entschlossen ging sie daran, ihren Feuerkorb auszubessern. Als sie ihn umstülpte, fielen die hartgebrannten Bruchstücke des alten Lehmbelags heraus, an der Außenseite geschmückt mit den Abdrücken des Korbgeflechts! Der Bodenscherben war eine harte Schale, etwa eine Handlänge tief. Der könnte ein gutes, dünnwandiges Kochgefäß abgeben! Und so hatte die mühsame Kocherei mit erhitzten Steinen plötzlich ein Ende. Was vorher Plage war, wurde ein Vergnügen. Die Erfahrung, daß geformter, vorgetrockneter Lehm sich im Feuer klingend hart brennen ließ, reizte Eva zu weiteren Versuchen.

Sie knetete neue Gefäße und hielt sich zunächst an bewährte Vorbilder: die hohle Hand, die Schädeldecke des Rehes, den Muldenstein, alles Gefäße mit rundgebauchten Böden. Aus dem Feuerkorb war eine flache Schale gefallen. Was Eva nun aus feuchtem Lehm gestaltete, übertraf alle Vorbilder; denn von Stück zu Stück wurde die Töpferin geschickter.

Peter, von Evas Beispiel angespornt, steckte jetzt bis über die Ohren in Versuchen. Den Brei vermißte er nicht, da er unweit der Goldbachmündung massenhaft halbreife Wassernüsse erntete und im nahen Jungholz genug gelbe Röhrlinge fand. Aus diesen Pilzen und den zerdrückten, kastanienähnlich schmeckenden Nußkernen bereitete er sich in einem Tonscherben sein tägliches Mus; ab und zu briet er Fische und Wasservögel.

Von ihren Flechtarbeiten her lag es für Eva nahe, größere Gefäße aus aufeinandergelegten Wülsten herzustellen, die sie erst mit dem nassen Finger, dann mit einem rundlichen Kieselstein glatt verstrich. Während dieser Arbeit erinnerte sie sich, welch zierliches Muster das Rutengeflecht auf der Oberfläche der Bodenschale aus dem Feuerkorb ergeben hatte. Und so machte sie sich ans Werk und ritzte kreuzweise Striche und Punkte in den feuchten Lehm. Was sie tat, machte den Topf weder besser noch schlechter; aber ihr gefiel das Muster, sie hatte Freude am Schönen.

Eva zweifelte nicht am Gelingen ihrer Töpferarbeiten und entschloß sich, auch das tönerne Bildstöckl der Ahnl, das an einzelnen Stellen abgesplittert war, durch Brennen zu härten und so vor weiteren Schäden zu schützen. Um den Fußboden ihrer Stube nicht zu gefährden, pflasterte sie die Herdstelle mit einer doppelten Lage flacher Steine und erhöhte den Herdwall zu einer kniehohen Mauer, die das Feuer an drei Seiten umgab; die vierte Seite blieb als Heizloch offen.

Nach einigen Tagen, die Herdmauer war nur oberflächlich trocken geworden, fachte sie ein mächtiges Feuer an, dem sie ihre Töpfereien anvertrauen wollte.

Ängstlich lauschte sie auf das Knistern und Knattern des Lehms der Herdmauer, der in der Hitze trocknete und splitterte. Sie legte Steine in die Flammen und stellte das Bildstöckl der Ahnl und daneben die zwei ersten Schalen darauf. Gespannt sah sie zu, wie die Flammenzungen an den Brennstücken leckten. Wieder knatterte es: Abgesprengte heiße Tonsplitter trafen ihre Schienbeine. Ein scharfer Knall – Asche, Funken und winzige Scherben flogen bis an die Wände. Eine der beiden Schalen, gerade die zuletzt geformte, die schönste, war zerplatzt. Eva griff mit beiden Händen an ihre Schläfen und starrte ins Feuer.

Unversehrt stand das Bildstöckl der Ahnl über den züngelnden Flammen. Eva hielt den Atem an. Ein zweiter Knall – von der ersten, größeren Schale war die obere Hälfte rundherum abgesprungen. Gleich darauf barst auch der Boden des Gefäßes. Das Bild der Ahnl aber war ganz. Eva nahm diesen natürlichen Vorgang als neuen Beweis für die Heiligkeit des Ahnenbildes. In Wirklichkeit war das Figürchen von der Herdhitze längst ausgetrocknet, aber das bedachte Eva nicht.

Am Morgen nach der schlaflosen Nacht, während der sie rund um das Bildstöckl ein starkes Feuer gemacht hatte, sahen ihre schmerzenden Augen das Bild der Ahnl rotgebrannt über der Asche stehen. Aber ihr Eifer für die Topfbrennerei war vorläufig dahin. Sie wollte die übrigen Töpfe und Näpfe nicht auch noch gefährden und beschloß, die Gefäße auf der Herdmauer in der Wärme des Feuers hart werden zu lassen. Eva vergaß nicht, sie von Zeit zu Zeit zu wenden, damit die Wärme alle Seiten erreichte. Wenige Tage später gelang es ihr, einige vorgetrocknete Töpfe vom Rauch eines mäßigen Feuers bestreichen zu lassen und so zu härten, daß Wasser sie nicht wieder aufweichen konnte.