Das Kleeblatt

Das Kleeblatt

Wer auf dem gewöhnlichen Wege von El Paso del Norte über den Rio Colorado nach Kalifornien hinüber wollte, der kam, bevor er Tucson, die Hauptstadt von Arizona erreichte, vorher nach der alten Mission San Xavier del Bac, welche ungefähr neun Meilen von Tucson entfernt liegt. Diese Mission wurde im Jahre 1668 gegründet und ist ein so prächtiges Bauwerk, daß es den Wanderer mit Staunen erfüllt, ein so glänzendes Monument der Zivilisation mitten in den Wildnissen von Arizona anzutreffen.

An jeder Ecke des Gebäudes erhebt sich ein hoher Glockenturm; die Front ist mit phantastischen Ornamenten reich verziert; die Hauptkapelle trägt eine große Kuppel und über den Mauern sind massive Simskränze und geschmackvolle Verzierungen angebracht. Dieses Bauwerk würde jeder großen Stadt, jeder Residenz zur Zierde gereichen.

Diese Mission ist zum Teil von einem Dorfe umgeben, in dem zur Zeit, in welcher unsre Erzählung spielt, Papago-Indianer in der Stärke von vielleicht dreihundert Seelen wohnten. Diese Papagos waren und sind noch heute ein friedfertiger, arbeitsamer und den Weißen wohlgesinnter Stamm, dessen Angehörige ihr Gebiet durch ein künstliches Bewässerungssystem wunderbar ergiebig gemacht haben und mit Weizen, Korn, Granaten, Kürbissen und andern Früchten und Lebensmitteln fleißig bebauen.

Leider hatten diese braven, arbeitsamen Menschen sehr viel von und unter dem weißen Gesindel zu leiden, welches sich Arizona zum Tummelplatze auserkoren hatte. Dieses ringsum von Gebirgen und Wüsten eingeschlossene Territorium besaß so gut wie gar keine Verwaltung; der Arm der Gerechtigkeit konnte nur schwer oder gar nicht über die Grenzen hereinreichen, und so zogen sich Hunderte und aber Hunderte, welche mit dem Gesetze zerfallen waren, aus Mexiko und den Staaten herein, um ein Leben zu führen, dessen Grundlage in der rohesten Gewaltthätigkeit bestand.

Zwar lag in der Hauptstadt Militär, welches die Aufgabe hatte, für die öffentliche Sicherheit zu sorgen; aber es waren nur zwei Kompagnien, also viel zu wenig für einen so weiten Bereich von gegen 300 000 Quadratkilometer, und dazu standen die Verhältnisse so, daß diese Helden froh waren, wenn sie selbst von dem Gesindel in Ruhe gelassen wurden. Hilfe konnte von ihnen wohl kaum erwartet werden. Das wußten die außerhalb des Gesetzes Stehenden nur zu wohl und zeigten darum eine Frechheit, welche geradezu ihresgleichen suchte. Sie wagten sich, in Banden versammelt, bis in die unmittelbare Nähe von Tucson heran, und niemand getraute sich nur eine Viertelstunde weit zu entfernen, ohne ein Arsenal von Waffen mit sich zu führen. Ein amerikanischer Reisender schildert die damaligen Zustände in folgender Weise:

„Die verzweifeltsten Schurken von Mexiko, Texas, Kalifornien und den andern Staaten fanden in Arizona sichere Zuflucht vor dem Strafrichter. Mörder und Diebe, Gurgelabschneider und Spieler bildeten die Masse der Bevölkerung. Alle Welt mußte bewaffnet sein, und blutige Scenen bildeten das tägliche Vorkommnis. Von einer Regierung war nicht die Rede, noch weniger von Gesetzes- oder Militärschutz. Die Beschäftigung der Besatzung von Tucson bestand darin, daß sie sich betrank und alles gewähren ließ. So war Arizona vielleicht der einzige unter der schützenden Aegide einer zivilisierten Regierung stehende Punkt des Landes, wo jedermann die Justiz in seinem Interesse handhabte.“

Da traten drüben in San Franzisko rechtlich denkende, mutige Männer zusammen, um einen „Sicherheitsausschuß“ zu bilden, welcher zwar zunächst seine Thätigkeit über Kalifornien erstrecken sollte, bald aber sein kräftiges Walten auch im benachbarten Arizona bemerken ließ. Kühne Gestalten tauchten bald hier und bald dort, bald einzeln und bald zu Trupps vereinigt, im Lande auf, um dasselbe von den Verbrechern zu säubern, und nie verschwanden sie wieder, ohne die deutlichsten Spuren davon zurückzulassen, daß sie Gericht gehalten hatten. – –

Bei den Papagos von San Xavier del Bac hatte sich ein Irländer niedergelassen, welcher wohl auch aus keinem ehrbaren Grunde nach Arizona gekommen war. Er hatte da einen Laden eröffnet und behauptete, alle möglichen Gegenstände zu verkaufen; in Wirklichkeit aber konnte man bei ihm fast weiter nichts bekommen als einen Schnaps, für dessen Selbstfabrikation und Verkauf er die Bezeichnung eines Giftmischers verdiente. Sein Ruf war ein solcher, daß ehrliche Leute nicht bei oder mit ihm verkehrten.

Es war ein wunderbar schöner Apriltag, als er an einem der rohen Tische saß, welche vor seiner aus Luftziegeln errichteten Hütte standen. Er schien bei schlechter Laune zu sein, denn er klopfte mit dem leeren Schnapsglase auf die Platte des Tisches, und als nicht sofort jemand erschien, ihm dasselbe zu füllen, rief er, sich nach der offenen Thür wendend, in zornigem Tone:

„Holla, alte Hexe! Hast du keine Ohren? Brandy will ich haben, Brandy! Mach schnell, sonst helfe ich nach!“

Da trat eine alte Negerin mit der Flasche aus der Hütte und füllte ihm das Glas. Er leerte es in einem Zuge, ließ sich wieder eingießen, und während sie dies that, sagte er:

„Den ganzen Tag kein einziger Gast zu sehen! Die roten Halunken wollen das Trinken nicht lernen. Wenn dann auch kein Fremder kommt, kann ich mich hersetzen und mir Löcher in den eigenen Magen brennen!“

„Nicht allein sitzen,“ begütigte die Alte. „Gäste kommen.“

„Woher weißt du das?“ fragte er.

„Hab’sehen.“

„Wo?“

„Auf Weg von Tubac her.“

„O wirklich? Wer ist’s?“

„Nicht wissen. Alte Augen nicht erkennen. Es Reiter sein, viele Reiter.“

Auf diese Worte hin stand er auf und eilte um die Ecke der Hütte. Von dort aus konnte er den Weg nach Tubac überblicken. Dann kam er schnell zurück und rief der Alten zu:

„Es sind die Finders, verstanden, die Finders, und zwar alle zwölf! Die verstehen es, zu trinken; da blüht der Weizen. Schnell hinein; wir müssen Flaschen füllen!“

Beide verschwanden in der Hütte. Nach einigen Minuten kamen zwölf Reiter in das Dorf, hielten vor der Hütte an und sprangen von den Pferden, die sie dann frei laufen ließen. Es waren wilde Gestalten von verwegenem Aussehen und so gut bewaffnet, wie es in dieser Gegend und bei den jetzigen Verhältnissen für jedermann nötig war. Einige trugen mexikanische Kleidung; die andern stammten aus den Staaten; das sah man ihnen deutlich an. Eins aber hatten sie alle gemein: es gab keinen einzigen unter ihnen, der ein vertrauenerweckendes Aussehen besaß.

Sie lärmten und schrieen roh durcheinander, warfen sich Scheltworte zu, einer von ihnen trat an die geöffnete Thür, zog seinen Revolver, gab einen Schuß in das Innere der Hütte ab und rief dann hinein:

„Hallo, Paddy! Bist du daheim oder nicht, alter Giftmischer? Komm heraus mit deiner Schwefelsäure; wir haben Durst!“

Paddy ist bekanntlich die scherzhafte Bezeichnung des Irländers. Der Wirt erschien mit einer vollen Flasche unter jedem Arme und zwölf Gläsern in den Händen. Die Gläser auf zwei Tische setzend und sie dann füllend, antwortete er:

„Bin schon da, Mesch’schurs. Waret schon angemeldet; meine Schwarze hat euch kommen sehen. Hier, trinkt, und seid gebenedeiet in meinem Hause!“

„Behalte die Benediktion für dich, alter Spitzbube, außer sie soll als Vorbereitung zum Tode gelten! Wer dein Zeug trinkt, begeht einen Selbsttotschlag.“

„Schlagt euch nur immer tot, Mr. Buttler; werde euch mit einer weiteren Flasche wieder auferwecken. Haben einander seit Wochen nicht gesehen. Wie ist’s inzwischen ergangen? Gute Geschäfte gemacht?“

„Gute?“ antwortete Buttler mit einer wegwerfenden Handbewegung und indem er den Inhalt seines Glases hinunterstürzte, worin ihm seine Kameraden folgten. „Miserabel ist’s gegangen, armselig wie noch nie. Haben nicht ein einziges Geschäft gemacht, welches der Rede wert gewesen wäre.“

„Aber warum? Ihr werdet doch die Finders genannt und nennt euch selbst auch so. Habt ihr die Augen nicht offen gehalten? Ich glaubte, heut ein gutes Geschäft mit euch machen zu können.“

„Das heißt, du wolltest uns den erwarteten Raub abkaufen und uns dabei wieder betrügen, wie du ja immer thust. Diesmal aber gibt es nichts, wirklich nichts. Den Roten ist nichts mehr abzunehmen, und wenn man einem Weißen begegnet, so ist er selbst einer, der in andrer Leute Taschen greifen muß. Dazu kommt der Sicherheitsausschuß, den der und jener holen möge! Was haben diese Halunken sich in unser Geschäft zu mischen? Was kümmert es sie, wenn wir da ernten, wo wir nicht, aber auch sie nicht, gesäet haben. Wahrlich, man muß jetzt darauf vorbereitet sein, aus jedem Strauche, an welchem man vorüberkommt, die Läufe einiger Doppelgewehre hervorblicken zu sehen! Aber Aug‘ um Aug‘, Zahn um Zahn! Wir haben uns vorgenommen, jeden ohne Gnade und Barmherzigkeit aufzuhängen, der den Verdacht in uns erweckt, zu diesem Vigilanzausschusse zu gehören. Hast du vielleicht dergleichen Burschen bei dir bemerkt, Paddy?“

„Hm!“ brummte der Wirt. „Traut ihr mir zu, allwissend zu sein? Kann man es einem Menschen an der Nase absehen, ob er vigiliert oder, wie ihr, massakriert?“

„Blamiere dich nicht, Paddy! Ein Vorstehhund ist von einem Bluthund leicht zu unterscheiden, auch wenn beide Menschen sind. Ich gebe dir mein Wort, daß ich jedem Menschen, der zu diesem Ausschusse gehört, dies auf fünfzig Schritt Entfernung ansehe. Doch jetzt einstweilen von etwas anderm. Wir haben Hunger. Hast du Fleisch?“

„Nicht so viel, wie man auf die Zungenspitze bringen kann.“

„Eier?“

„Kein einziges. Lauft stundenweit herum, und ihr werdet kein Schlachttier noch eine Henne finden. Daran sind euresgleichen schuld, welche überall aufgeräumt haben.“

„Aber Brot?“

„Nur Maisfladen, und auch die müssen erst gebacken werden.“

„So mag deine Negerin backen; für frisches Fleisch werden wir selbst Sorge tragen.“

„Ihr? Ich habe euch doch schon gesagt, daß nichts zu finden ist.“

Pshaw! Wir haben doch gefunden.“

„Was?“

„Einen Ochsen.“

„Wohl gar! Unmöglich! Wo denn?“

„Unterwegs, da hinten im Thale von Santa Cruz. Notabene, dieser Ochse gehört zu einem Wagenzuge, dem wir begegnet, oder vielmehr, an dem wir vorübergeritten sind.“

„Ein Wagenzug? Vielleicht Emigranten?“

„Wahrscheinlich; vier Wagen, jeder mit vier Ochsen bespannt.“

„Wieviel Menschen?“

„Weiß ich nicht genau. Es waren nebst den Ochsenlenkern noch einige Reiter bei den Wagen. Wieviel Personen im Innern saßen, konnte ich nicht sehen.“

„Aber gesprochen habt ihr doch mit ihnen?“

„Ja. Sie wollen über den Colorado hinüber und werden heut nacht hier Rast halten.“

„Hier? Hm! Hoffentlich geschieht nichts, was unsern guten Ort in Verruf bringen könnte, Sir!“

Er machte bei diesen Worten eine nicht mißzuverstehende Gebärde.

„Keine Sorge!“ antwortete Buttler. „Wir wissen unsre Freunde zu schonen. Freilich, der Wagenzug muß unser werden, aber erst, wenn er sich jenseits Tucson befindet. Hier werden wir uns bloß einen Ochsen holen, weil wir Fleisch brauchen.“

„Mit der Absicht etwa, ihn zu bezahlen? Es wird diesen Leuten nicht einfallen, ein Zugtier zu verkaufen.“

„Unsinn! Was fällt dir ein, Paddy! Wir nehmen wohl, aber wir bezahlen nie; das weißt du ja. Wenn wir bei dir einkehren, ist es freilich anders. Du bist unser Hehler, und dich bezahlen wir nicht bloß, sondern wir lassen uns sogar von dir betrügen. Übrigens werden uns diese Leute nicht viel Widerstand leisten. Es gab da vier Ochsentreiber, die wir kaum rechnen, zwei Knaben zu Pferde und den Scout(Pfadfinder“>, den sich die Emigranten gemietet haben. Dieser letztere allein ist zu fürchten, doch werden wir zwölf schnell mit ihm fertig werden. Er bekommt die erste Kugel. Wer in den Wagen saß, weiß ich nicht, wie bereits gesagt; aber wer so weichlich ist, sich unter die Plane zu stecken, von dem haben wir keine ernste Gegenwehr zu erwarten. Dann ritt noch so eine Figur hinterdrein, von der ich wahrlich nicht zu sagen vermag, ob sie eine männliche oder eine weibliche gewesen ist, obgleich sie ein Gewehr überhängen hatte und unter dem Mantel sogar einen Säbel zu tragen schien. Ich redete auch diese Gestalt an, bekam aber eine höchst kurze Antwort, die ich nicht verstand. Wenn ich mich nicht irre, ist es Deutsch gewesen.“

„Welch ein Blödsinn! Wer hier einen Säbel trägt, der ist verrückt und jedenfalls nicht zu fürchten. Ihr werdet also diesen Zug überfallen?“

„Gewiß.“

„Dann hoffe ich, daß ihr mich bei dem Geschäft beteiligen werdet!“

„Natürlich. Die Bedingungen sollst du sofort hören.“

Da jetzt die alte Negerin aus der Hütte trat, um die Gäste zu bedienen, steckten die beiden die Köpfe zusammen, um ihr Gespräch leise fortzusetzen. Die andern elf hatten auf dasselbe wenig geachtet und sich miteinander in überlauter Weise unterhalten, wobei sie dem Brandy so fleißig zusprachen, daß die leer gewordenen Flaschen bald mit vollen vertauscht werden mußten. Die Indianer des Ortes, welche währenddem ihren Beschäftigungen nachzugehen hatten, machten ziemliche Umwege, um nicht an der Schnapsbude vorüber zu kommen. Sie fürchteten sich vor den lärmenden Weißen, von denen ihnen die Erfahrung sagte, daß sie besser fern von denselben blieben.

Und dazu hatten sie allen Grund. Der Irländer hatte die zwölf Reiter mit dem Namen „the Finders“ bezeichnet. So wurde eine überall gefürchtete Gesellschaft von Freibeutern genannt, die sich seit längerer Zeit im südlichen Arizona berüchtigt gemacht hatte. Sie tauchte bald hier, bald dort, oft geteilt und an verschiedenen Orten zu gleicher Zeit auf und entwickelte, da ihre Mitglieder sehr gut beritten waren, in Beziehung auf die Ortsveränderung eine solche Schnelligkeit, daß es noch niemand, selbst den Vigilanzmännern nicht, gelungen war, einem von ihnen beizukommen. Finder ist gleichbedeutend mit dem gleichlautenden deutschen Worte Finder, war hier aber wohl mit „die Findigen“ zu übersetzen, weil ihnen nicht leicht eine Beute zu entgehen vermochte.

Plötzlich verstummte der Lärm vor der Schenkhütte, und aller Augen richteten sich verwundert auf drei neue Ankömmlinge, welche auf dem Platze erschienen. Das Aussehen dieser drei Männer berechtigte allerdings einen jeden, der sie zum erstenmal sah, verwundert zu sein. Sie waren von ihren Tieren gesprungen und gingen nach einem leerstehenden Tische, ohne, wie es den Anschein hatte, die anwesende Gesellschaft zu beachten.

Der vorderste von ihnen war ein kleines, sehr dickes Kerlchen. Unter der wehmütig herabhängenden Krempe eines Filzhutes, dessen Farbe, Alter und Gestalt selbst dem schärfsten Denker ein nicht geringes Kopfzerbrechen verursacht haben würde, blickte zwischen einem Walde von verworrenen, schwarzgrauen Barthaaren eine Nase hervor, welche von fast erschreckenden Dimensionen war und jeder beliebigen Sonnenuhr als Schattenwerfer hätte dienen können. Infolge des gewaltsamen Bartwuchses waren außer diesem so verschwenderisch ausgestatteten Riechorgane von den andern Gesichtsteilen nur zwei kleine, kluge Augen zu bemerken, welche mit einer außerordentlichen Beweglichkeit begabt zu sein schienen und mit dem Ausdrucke schalkhafter List die „Gifthütte“ des Irländers überflogen, während ihr versteckter Blick eigentlich den zwölf Finders galt.

Die beschriebene Oberpartie ruhte auf einem Körper, der bis auf die Kniee herab völlig unsichtbar blieb und in einem alten, bockledernen Jagdrocke stak, welcher augenscheinlich für eine bedeutend längere Person angefertigt worden war, aus Fleck auf Fleck und Flick auf Flick bestand und dem kleinen Männchen das Aussehen eines Kindes gab, welches sich zum Vergnügen einmal in den Schlafrock des Großvaters gesteckt hat. Aus dieser mehr als zulänglichen Umhüllung guckten zwei dürre, sichelkrumme Beinchen hervor, die in ausgefransten Leggins steckten, welche so hochbetagt waren, daß sie das Männchen schon vor Jahrzehnten ausgewachsen haben mußte, und die dabei einen umfassenden Blick auf ein Paar Indianerstiefel gestatteten, in welchen zur Not der Besitzer in voller Person hätte Platz finden können. Die Füße hatten jene außerordentliche Dimension, von welcher man in Deutschland zu sagen pflegt: „Mit fünf Schritten über die Rheinbrücke hinüber.“ In der Hand trug dieser Mann eine Flinte, die das Aussehen eines alten Prügels hatte, der im Walde abgeschnitten worden war. Die Waffen, welche wahrscheinlich in seinem Gürtel steckten, konnte man nicht sehen, weil der Jagdrock sie verdeckte.

Und sein Pferd? Es war kein Pferd, sondern ein Maultier, aber augenscheinlich ein so altes, daß die Eltern desselben kurz nach der Sündflut gelebt haben mußten. Die langen Ohren, mit denen es wie mit Windmühlenflügeln spielte, waren kahl; eine Mähne gab es wohl schon längst nicht mehr; der Schwanz bestand aus einem nackten Stummel, an welchem sich zehn oder zwölf Härchen langweilten, und dazu war das Tier wirklich zum Erschrecken dürr. Aber seine Augen waren hell wie bei einem jungen Füllen und von einer Lebhaftigkeit, einem Ausdrucke, welche wenigstens dem Kenner Respekt einzuflößen vermochten.

Derjenige, der ihm nach dem Tische folgte, war nicht weniger ein Original. Unendlich lang und entsetzlich fleischlos und ausgetrocknet, hing seine knochige Gestalt weit vornüber, so daß es schien, als gebe es für seine Augen keine andre Perspektive als diejenige auf seine beiden Füße, welche an zwei Beine gewachsen waren, deren Längsausdehnung einem angst und bange machen konnte. Über seine festen, kernigen Jagdschuhe hatte er ein Paar lederne Gamaschen geschnallt, welche noch ein gutes Stück des Oberschenkels bedeckten; der Leib steckte in einem eng anliegenden Kamisole, das mittelst eines breiten Gürtels, in und an welchem neben Messer und Revolver die verschiedensten kleinen Notwendigkeiten staken und hingen, zusammengehalten wurde; um die breiten, eckigen Schultern zog sich eine wollene Decke, deren Fäden die ausgedehnteste Erlaubnis hatten, nach allen Himmelsgegenden auseinander zu laufen, und auf dem kurzgeschorenen Kopfe saß ein Ding, nicht Tuch, nicht Mütze und auch nicht Hut, dessen Definition geradezu eine Sache der reinsten Unmöglichkeit war. Auf seiner Schulter hing eine alte, lange Rifle, die von weitem aus einem an einen Stock befestigten Wasserschlauch zu bestehen schien.

Der dritte und letzte war ebensolang und dürr, wie dieser zweite, hatte ein großes, dunkles Tuch turbanartig um den Kopf gewunden und trug eine rote Husarenjacke, welche sich auf irgend eine unbegreifliche Weise nach dem fernen Westen verirrt hatte, lange Leinenhose und darüber Wasserstiefel, an welche zwei riesige Sporen geschnallt waren. In seinem Gürtel steckten zwei Revolver und ein Messer vom besten Kingfieldstahl; sein Gewehr war eine jener doppelläufigen Kentuckybüchsen, welche in der Hand ihres Besitzers nie einen Schuß versagen und nie das Ziel verfehlen. Wollte man in der Physiognomie dieses Mannes nach irgend einer Eigentümlichkeit suchen, so fiel der sehr breite Mund auf, den er hatte. Die beiden Mundwinkel schienen eine ganz bedeutende Zuneigung für die Ohrläppchen zu besitzen und näherten sich denselben auf die zutraulichste Weise. Dabei besaß das Gesicht den Ausdruck der ehrlichsten Treuherzigkeit; der Besitzer desselben war jedenfalls ein Mann, in dem kein Falsch gefunden werden konnte.

Diese beiden letzteren waren mit Pferden beritten, die wohl schon viele Strapazen hinter sich hatten, aber noch weit mehr aushalten konnten.

Als die drei sich niedergesetzt hatten und der Wirt zu ihnen trat und nach ihren Wünschen fragte, erkundigte sich der Kleine:

„Was gibt’s bei Euch zu trinken?“

„Brandy, Sir,“ antwortete der Irländer.

„Gebt drei Gläser, wenn Ihr sonst weiter nichts habt!“

„Was soll es sonst hier geben? Oder wollt ihr vielleicht Champagner trinken? Ihr seht nicht so aus, als ob ihr ihn bezahlen könntet.“

„Leider, leider, ja,“ nickte das Männchen mit bescheidenem Lächeln, „Ihr im Gegenteile seht mir ganz danach aus, als ob Ihr so einige hunderttausend Flaschen hier liegen hättet, wie mir scheint.“

Der Wirt entfernte sich, brachte das Verlangte und setzte sich dann wieder zu den zwölfen hin. Der Kleine setzte das Glas an die Lippen, kostete den Brandy, spuckte ihn aus und schüttete den Inhalt seines Glases auf die Erde. Seine beiden Gefährten thaten dasselbe, und der mit der Husarenjacke zog seinen Mund noch breiter, als er so schon war, und meinte:

„Pfui, Kuckuck! Ich glaube gar, dieser irische Spitzbube will uns mit seinem Brandy ermorden! Meinst du nicht auch, Sam Hawkens?“

Yes,“ antwortete der Kleine. „Wird ihm aber nicht gelingen. Wir drei vertragen schon noch so ein Gift, zumal wir es nicht trinken. Aber wie kommst du dazu, ihn einen irischen Spitzbuben zu nennen?“

„Wie ich dazu komme? Well! Wer den nicht sofort beim ersten Blicke für einen Irländer hält, der ist ein Dummkopf, wie er im Buche steht.“

„Sehr richtig! Aber daß du es ihm sofort angesehen hast, das wundert mich grad darum außerordentlich, hihihihi!“

Dieses „Hihihihi“ war ein ganz eigenartiges, man möchte sagen, nach innen gerichtetes Lachen, bei welchem seine Äuglein lustig funkelten. Man hörte, daß es ein Gewohnheitslachen war.

„Willst du damit etwa sagen,“ fragte der andre, „daß ich sonst ein Dummkopf bin?“

„Sonst? Warum bloß sonst? Nein, immer, immer bist du einer, Will Parker! Ich habe dir nun schon fünfzehn Jahre lang gesagt, daß du ein Greenhorn bist, ein Greenhorn, wie mir noch keines vorgekommen ist. Wirst du mir es nun endlich einmal glauben?“

„Nein,“ erklärte der andre, ohne sich durch dieses beleidigende Wort nur im geringsten aus der Fassung bringen zu lassen. „Nach fünfzehn Jahren ist man kein Greenhorn mehr.“

„Durchschnittlich, ja; aber wer selbst in diesen fünfzehn Jahren nichts gelernt hat, der ist noch immer eins und wird’s auch immer bleiben, wenn ich mich nicht irre. Und eben daß du dies nicht einsiehst, das ist der sicherste Beweis, daß du noch jetzt ein Greenhorn bist. Was hältst du von den zwölf Gentlemen dort, die uns so neugierig beliebäugeln?“

„Viel Gutes nicht. Siehst du, wie sie lachen? Das gilt dir, alter Sam.“

„Mir? Wieso?“

„Weil es keinen Menschen gibt, der dich ansehen kann, ohne über dich zu lachen.“

„Freut mich, Will Parker, freut mich ungemein. Das gehört nämlich auch zu den vielen Vorzügen, welche ich vor dir besitze. Wer ein Auge auf dich wirft, möchte weinen, bitterlich weinen; bist eben ein trauriger Kerl, ein ganz trauriger, hihihihi!“

Sam Hawkens und Will Parker schienen in dem Verhältnisse einer immerwährenden lustigen Fehde zu einander zu stehen. Keiner nahm dem andern etwas übel. Der dritte hatte bis jetzt geschwiegen; nun zog er behaglich seine herabgerutschten Gamaschen in die Höhe, streckte die langen Beine weit von sich und sagte, indem ein derb ironisches Lächeln sich über sein hageres Gesicht ausbreitete:

„Wissen nicht, was sie aus uns machen sollen, diese Gentlemen. Stecken die Köpfe zusammen und werden doch nicht klug über uns. Feine Gesellschaft das; nicht, Sam Hawkens?“

„Ja,“ nickte der Gefragte. „Laß sie sich die Köpfe zerbrechen, Dick Stone! Desto besser wissen wir, was wir von ihnen zu halten haben; Spitzbuben, was, alter Dick?“

Yes. Ahnt mir sehr, daß wir ein Wörtchen mit ihnen werden sprechen müssen.“

„Mir auch. Und nicht nur ahnen! Halte es sogar für sicher, daß wir ihnen unsre Fäuste auf die Nasen setzen werden. Es sind grad genau die zwölf, auf deren Spur wir trafen.“

„Und die dann dem Wagenzuge folgten, um denselben erst heimlich zu beobachten.“

„Dann ritt der eine hin und fragte die Leute aus. Kommt mir verdächtig vor, sehr verdächtig! Sag ‚mal, Will, hast du vielleicht einmal von den Finders gehört?“

„Gehört?“ antwortete Parker. „Dir ist wohl dein Gedächtnis abhanden gekommen, altes Coon? Hast ja selbst wiederholt von ihnen gesprochen!“

Well, weiß das ganz genau. Fragte nur, um zu erfahren, ob du als Greenhorn endlich einmal gelernt hast, aufzupassen, wenn erfahrene Leute mit dir reden. Du weißt also noch, wie viel Finders es geben soll?“

„Zwölf.“

„Und wieviel Personen siehst du hier sitzen, geliebter Will?“

„Dreizehn,“ lachte Parker vergnügt.

„Zieh den Wirt ab, Dummkopf!“

„Wie hätte ich das zu machen? Wird er es ruhig hinnehmen, daß ich ihn abziehe?“

„Bist und bleibst ein Greenhorn durch und durch! Hätte gar nichts dagegen, wenn du selbst abzögest! Hast noch nicht mal gelernt, einen Irländer abzuziehen; darum will ich deinem schwachen Verstande zu Hilfe kommen und dir sagen, daß ohne ihn zwölf Personen dort sitzen. Begreifst du das, süßer Parker?“

Yes, lieber Sam. Kenne dich genau und wußte also, daß du ihn selbst gern abziehen möchtest. Darum habe ich mich verstellt und so gethan, als ob ich im Subtrahieren grad so wenig leistete wie du. Also zwölf sind’s; du hast diesesmal gar nicht übel gerechnet, mein Sohn. Hoffentlich gibst du dir fernerhin die gleiche Mühe wie jetzt. Zwölf, hm! Das ist freilich auffällig!“

„Auffällig? Findest du das wirklich? Da hat das Greenhorn doch endlich ‚mal eine Spur von Nachdenken verraten! Nun sag aber auch, wieso denn auffällig?“

„Sie sind zwölf, und die Finders sollen auch zwölf sein,“ antwortete Parker mit unerschütterlicher Ruhe.

„Folglich –? Fahre weiter!“

„Folglich ist anzunehmen, daß sie vielleicht die Finders sind.“

„So ist es, geehrter Will. Hab sie sehr im Verdachte, sie seien es. Der Anführer soll Buttler heißen. Werden erfahren, ob ein Esquire dieses Namens bei ihnen ist.“

„Werden es dir gleich sagen!“

„Keine Sorge! Sind neugierig auf uns, diese Gentlemen. Sehe ihnen an den Nasenspitzen an, daß bald einer von ihnen kommen wird, um uns zu interviewen. Gebt ihnen nur keine Auskunft. Bin neugierig, wie sie es anstellen werden.“

„Höflich jedenfalls nicht,“ meinte Dick Stone. „Werden sie nicht allzu fein ablaufen lassen.“

„Warum?“ fragte Sam Hawkens. „Meinst wohl, daß wir grob werden sollen?“

„Sogar sehr!“

„Fällt mir nicht ein! Wir drei werden zusammen the leaf of trefoil genannt; ist ein Ehrenname; dürfen ihm keine Schande machen; sind bekannt als drei zusammengehörige Gentlemen, welche dadurch berühmt sind, daß sie durch List und Höflichkeit mehr zu erreichen pflegen als durch Grobheit und Gewalt. So soll es auch hier sein, so und nicht anders.“

Well; aber dann werden diese Burschen glauben, daß wir uns vor ihnen fürchten!“

„Mögen sie, mögen sie immerhin, alter Dick. Wenn sie es thäten, würden sie sehr bald einsehen, daß sie sich geirrt haben, und zwar sehr, hihihihi! Das Kleeblatt, und sich fürchten! Kann darauf schwören, daß wir mit ihnen zusammengeraten. Wollen den Wagenzug überfallen, was wir nicht dulden werden. Mögen also erst immer denken, daß wir Angst haben; werden dann schon bald erkennen, daß sie sich geirrt haben.“

„Willst du mit ihnen kämpfen?“

„Nein.“

„Aber doch sie unschädlich machen, wenn sie die Finders sind?“

„Ja.“

„Wird kaum ohne Kampf abgehen!“

„Meinst du? Pshaw! Dieses alte Coon“ – dabei deutete er mit Behagen auf sich selbst- „hat zuweilen Gedanken, welche besser sind als Messerstiche und Flintenschüsse. Mache gern einen Spaß, und ist dabei ein Vorteil über die Gegner zu erringen, so ist es um so besser. Mag nicht gern Blut vergießen; man kann seiner Feinde Herr werden, auch ohne sie umzubringen und auszulöschen. Habe da meine Vorbilder.“

„Weiß genau, wer diese Vorbilder sind.“

„Du weißt es wirklich? Nun, wer?“

„Old Shatterhand, Old Firehand und Winnetou, der berühmte Häuptling der Apachen. Diese drei vergießen nie einen Tropfen Blutes, außer wenn es unumgänglich notwendig ist.“

Well, ist richtig, und doch sind sie bekannt und berühmt als die drei größten Helden des Westens. Will es auch so machen, will ihrem Beispiele folgen.“

„Und wohl auch ein Held werden, alter Sam?“ fragte Will Parker in scherzhaft ironischem Tone.

„Schweig, Greenhorn! Sam Hawkens weiß genau, wer er ist und was er leisten kann. Hast du nicht gesehen, daß ich es mit zwei Dutzend Roten aufgenommen habe?“

Yes.“

„Daß ich viel, vielmal durch List Ziele erreichte, an denen fünfzig und noch mehr verwegene Westmänner gescheitert wären und ihr Leben gelassen hätten?“

Yes. Was wahr ist, darf man nicht leugnen. Bist ein ganzer Kerl, Sam, ein verteufelt feiner Pfiffikus, und viele, viele haben es teuer bezahlen müssen, daß sie den Fehler begingen, dich für dumm zu halten.“

Well, werde also wohl auch mit diesen zwölf zu Ende kommen, ohne ihnen geradezu die Köpfe entzweischlagen oder Löcher durch die Leiber schießen zu müssen.“

„Also List?“

Yes.“

„Welche?“

„Weiß jetzt noch nicht; wird sich aber im betreffenden Augenblick ergeben. Müssen uns zunächst verstellen, uns auslachen lassen, müssen recht unerfahren thun.“

„Wie Greenhörner?“

„Ja, wie Greenhörner, was freilich bei dir, Will Parker, keiner Verstellung bedarf, da du wirklich eins bist. Seht, wie sie über meine Mary, über mein Maultier lachen!“

„Ist aber auch keine Schönheit, Sam!“

„Schönheit? Unsinn! Ein häßliches Vieh ist sie, ein großartig häßliches Vieh; aber ich vertausche sie dennoch nicht gegen tausend edle Rosse. Ist klug, erfahren und verständig wie – wie – wie, na, wie Sam Hawkens, ihr Herr, selber, und hat mir hundertmal das Leben gerettet. Hab sie aber auch nie, nie im Stiche gelassen und würde mein Leben wagen, wenn sie sich in Gefahr befände. Meine Mary ist eben meine Mary, einzig, unübertrefflich und mit keinem andern Viehzeug zu vergleichen, sonst aber eine störrische, heillose, niederträchtige Bestie, welche man am liebsten gleich totschießen sollte.“

„Grad wie deine Liddy,“ warf Dick Stone ein.

„Ja, die Liddy erst,“ nickte Sam Hawkens, wobei seine kleinen Äuglein funkelten und er mit der Hand liebkosend über sein altes, sonderbares Gewehr strich. „Die Liddy ist mir ebenso lieb wie die Mary; sie hat mir nicht ein einzigesmal versagt, mich nie im Stich gelassen. Wie oft hat Freiheit und Leben von ihr abgehangen, und stets hat sie ihre Schuldigkeit gethan. Freilich hat sie auch ihre Mucken, ihre großen Mucken, und wer sie nicht kennt, dessen Kürbis schwimmt gegen das Wasser. Ich aber kenne sie, ich habe sie studiert wie der Arzt die Karfunkelbeule; ich weiß genau, welche Vorzüge und welche Schwächen sie besitzt und an welcher Stelle ich sie streicheln und liebkosen muß, um sie bei guter Laune zu erhalten. Ich gebe sie nicht aus der Hand, bis ich sterbe, und wenn ich einmal tot bin, und ihr seid dabei, so thut mir den Gefallen und gebt mir meine Liddy mit unter den Rasen, mit dem ihr mich bedeckt. Kein andrer, der sie nicht kennt und lieb hat, soll sie jemals in die Hände bekommen. Die Mary, die Liddy, Dick Stone und Will Parker, das sind die vier, die mir ans Herz gewachsen sind und außer denen ich nichts mag und nichts besitze auf der ganzen weiten Welt.“

Ein feuchter Schimmer verdrängte das vorher so helle Funkeln seiner Augen, doch strich er mit den beiden Händen schnell über dieselben und sagte in wieder munterem Tone:

„Seht, da steht einer von den zwölfen auf, der, welcher mit dem Wirte so heimlich gemunkelt hat. Höchst wahrscheinlich kommt er her, um uns zu äffen. Well, die Komödie kann losgehen; aber verderbt sie mir nicht etwa!“

Man darf sich nicht darüber wundern oder es gar belächeln, daß Sam Hawkens seinem Maultiere und seinem Gewehre solche Kosenamen gegeben hatte und in so zärtlicher Weise von ihnen sprach. Die Westmänner vom alten Schrote und Korne – leider ist diese Sorte bis auf wenige, die man zählen kann, jetzt ausgestorben – waren ganz andre Menschen als das Gesindel, welches nach ihnen kam. Unter dem Ausdrucke Gesindel sind hier nicht etwa nur moralisch verkommene Menschen gemeint; dieses Wort hat hier eine andre als die gewöhnliche Bedeutung. Wenn ein Millionär, ein Bankier, ein Offizier, ein Advokat, meinetwegen auch der Präsident der Vereinigten Staaten selbst, nach dem Westen geht, ausgerüstet mit den jetzigen massenmörderischen Waffen, ängstlich behütet und bewacht von einer zahlreichen Begleitung, damit ihm ja keine Mücke in die Hühneraugen beißt, und von einem sicheren Standorte aus das Wild zu hundert Exemplaren niederknallt, ohne dessen Fleisch gegen den Hunger zu gebrauchen, so wird dieser hohe und vornehme Herr von dem wirklichen Westmann eben zum „Rabble“, zum Gesindel gerechnet. Der Indianer, der Westmann vom Fache, „machte“ nur dann Fleisch, wenn er es brauchte. Er fing das ihm nötige Pferd aus einer Herde wilder Mustangs heraus; er kannte die Zeiten, wenn die Büffel von Süden nach Norden zogen und wenn sie zurückkehrten; er wußte die Gegenden, durch welche sie auf ihren Wanderungen kamen, und machte dort und dann Jagd auf sie, nur um sein Leben zu fristen. Da traf man auf Mustangherden zu fünftausend Stück; da kamen die Bisons gewallt wie ein Meer, zwanzig- und dreißigtausend und noch mehr zählend. Wo sind diese ungeheuren Massen hin? Verschwunden! So weit die Savannen reichen, ist kein einziger Mustang mehr zu sehen. Ausgerottet, vernichtet! Im Nationalparke droben „hegt“ oder „schont“ man jetzt einige Büffel; hier oder da kann man in irgend einem zoologischen Garten noch einen einzelnen sehen; aber in der Prairie, welche sie früher zu Millionen bevölkerten, sind sie ausgestorben; der Indianer verhungert körperlich und moralisch, und einen wirklichen, echten Westmann sieht man nur noch in Bilderbüchern. Daran ist das schuld, was der Trapper, der Squatter „Gesindel“ nennt. Man sage ja nicht, daß der Grund in dem Vorrücken der Zivilisation liege. Die Zivilisation hat nicht die Aufgabe der Ausrottung, der Vernichtung. Wie oft thaten sich, als die Pacificbahnen erstanden, Gesellschaften von hundert und noch mehr „Gentlemen“ zusammen, um, mit Gewehren „neuester“ Konstruktion bewaffnet, einen Jagdausflug zu unternehmen. Sie dampften nach dem Westen, ließen in der Prairie halten und schossen aus den sicheren Coupés heraus auf die vorüberziehenden Büffelherden; dann fuhren sie weiter, ließen die Tierleichen zum Verfaulen liegen und rühmten sich, Prairiejäger gewesen zu sein und ein „excellent and eximious“ Vergnügen gehabt zu haben. Dabei waren auf ein wirklich getötetes Tier zehn und noch mehr angeschossene, verwundete zu rechnen, welche sich mühsam und schmerzvoll weiterschleppten, um dann elend zu verenden. Der Indianer stand von fern, sah mit ohnmächtigem Grimme zu, in welcher Weise man ihm seine Nahrung raubte, ihn zum Hunger trieb und konnte nichts dagegen thun. Beschwerte er sich, so wurde er ausgelacht; wehrte er sich, so wurde er niedergemacht wie die Büffel, welche er für sein Eigentum hielt und deshalb geschont hatte.

Ganz anders der wirkliche Westmann, der frühere Jäger. Dieser schoß nicht mehr, als er brauchte. Er holte sich das Fleisch mit Gefahr seines Lebens. Er wagte sich auf seinem Pferde mitten in die Büffelherde hinein. Er kämpfte mit dem Mustang, den er sich fangen und zähmen wollte; er trat selbst dem grauen Bären kühn entgegen; sein Leben war ein unaufhörlicher, aber ritterlicher Kampf mit feindlichen Verhältnissen, feindlichen Tieren und feindlichen – Menschen. Dabei mußte er sich auf sich selbst, auf sein Pferd und auf sein Gewehr verlassen können, wenn er nicht „ausgelöscht“ werden wollte. Das Pferd war daher sein Freund, die Büchse seine Freundin. Wie mancher Jäger hat oft und zwar sehr oft sein Leben für sein Pferd gewagt! Und mit welcher Liebe hing er an seinem Gewehre, jenem toten, seelenlosen Gegenstande, dem seine dankbare Phantasie dennoch eine Seele beilegte. Er hungerte und dürstete, um vor allen Dingen sein Pferd fressen und saufen zu lassen, und sah erst auf sein Gewehr, ehe er an sich selber dachte. Er gab beiden Namen wie menschlichen Personen und sprach mit ihnen wie mit Menschen, wenn er einsam, nur mit ihnen allein sich in das Gras der Prairie oder in das Moos des Urwaldes gelagert hatte. Zu dieser Art von Westmännern gehörte Sam Hawkens. Die Rauheit seines wilden Lebens hatte sein Herz nicht verdorben, er war trotz derselben ein gemütvolles aber dabei außerordentlich schlaues Kind geblieben.

Was er erwartet hatte, das geschah: Buttler war aufgestanden, kam herbei, pflanzte sich gebieterisch vor dem Tische, an welchem die drei saßen, auf und sagte, ohne sie zu grüßen, in höhnischem Tone:

„Wie prächtig ihr euch ausnehmt, Leute! Ihr scheint höchst sonderbare, höchst lächerliche Drillinge zu sein!“

Yes,“ nickte Sam sehr ernsthaft und sehr bescheiden.

Dieses Eingeständnis klang so komisch, daß Buttler laut auflachte und, während seine Gefährten in das Gelächter einstimmten, fortfuhr:

„Wer seid ihr denn eigentlich?“

„Ich bin der erste,“ antwortete Sam.

„Ich der zweite,“ fügte Dick Stone hinzu.

„Und ich der dritte,“ stimmte Will Parker ein.

„Der erste, der zweite, der dritte? Was denn?“ fragte Buttler, nicht gleich wissend, was sie meinten.

„Na, Drilling natürlich!“ antwortete Sam mit außerordentlicher Treuherzigkeit.

Ein zweites, allgemeines Gelächter folgte diesen seinen Worten. Buttler war geschlagen; darum fuhr er den Kleinen unwillig an:

„Macht keine dummen Witze! Ich bin gewohnt, ernsthaft mit mir verkehren zu lassen. Daß ihr nicht Drillinge sein könnt, sieht man ja. Ich wollte eure Namen wissen. Heraus damit also!“

„Ich heiße Grinell,“ antwortete Sam kleinlaut.

„Und ich Berry,“ gestand Dick furchtsam.

„Und ich White,“ stieß Will sehr ängstlich hervor.

„Grinell, Berry und White,“ meinte Buttler, „eure Namen kenne ich jetzt. Nun sagt mir auch, was ihr seid!“

„Fallensteller,“ erklärte Sam Hawkens.

„Fallensteller?“ lachte der Examinator. „Ihr seht mir ganz und gar nicht so aus, als ob ihr jemals einen Biber oder ein Racoon gefangen hättet!“

„Haben auch noch nicht,“ gab der kleine Sam bescheiden zu.

„Ah, habt noch nicht! Wollt also wohl erst?“

Yes.“

„Gut, sehr gut! Wo kommt ihr denn her?“

„Von Castroville unten herauf.“

„Was habt ihr dort getrieben?“

„Einen Kleiderladen, Compagniegeschäft zu dreien.“

„So so! Ist wohl schlecht gegangen?“

Yes. Haben ein wenig Bankerott gemacht; hatten zu viel ausgeborgt, Kredit gegeben, aber keinen bekommen.“

„Richtig, richtig! Haben es euch gleich angesehen, daß ihr pleite gehen müßt. Also Kleiderhändler, vielleicht gar Schneider. Drei Schneider, die aus Ungeschick in die Pleite gefallen sind und nun den außerordentlich klugen Gedanken gefaßt haben, sich als Trapper wieder aufzuhelfen! Hört ihr es?“

Diese Frage war an seine Genossen gerichtet, welche dem Gespräche mit ironischem Behagen zuhörten. Sie ließen ein drittes, schallendes Gelächter hören. Sam Hawkens aber rief scheinbar zornig.-

„Ungeschick? Da irrt Ihr Euch gewaltig, Sir. Wir wußten wohl, woran wir waren. Aus der Pleite mußte natürlich für uns etwas abfallen, sonst hätten wir sie nicht gemacht.“

Er zog seinen bockledernen Jagdrock vorn auf, klopfte auf seinen breiten Gürtel, daß es metallisch klang, und fügte stolz hinzu:

„Hier sitzen die Moneten, Sir!“

Das Gesicht Buttlers nahm den Ausdruck eines Raubvogels an, der nach Beute ausspäht, und in möglichst unbefangenem Tone fragte er:

„Ihr habt Moneten? Dann seid ihr freilich klüger gewesen, als ihr ausseht. Wieviel hat euch denn der Bankerott eingebracht?“

„Über zweitausend Dollar.“

„Die tragt ihr bei euch?“

Yes.“

„Die ganze Summe?“

Yes,“

„Auf der Reise, in dieser unsichern Gegend!“

Pshaw! Wir haben Waffen.“

„Die würden euch verteufelt wenig nützen. Wenn zum Beispiel die Finders kämen, die würden euch drei Schneider ausbeuteln, ehe ihr nur Zeit fändet, die Augen aufzumachen. Warum habt ihr das viele Geld nicht lieber einer Bank anvertraut?“

„Werden es noch thun.“

„Wo?“

„Droben in Prescott.“

„Da hinauf wollt ihr?“

Yes.“

„Als Fallensteller?“

Yes.“

„Habt ihr denn Fallen?“

„Nein.“

„Woher wollt ihr sie nehmen?“

„In Prescott kaufen.“

„Himmel! Seid ihr Menschen! Was gedenkt ihr denn da oben zu fangen?“

„Biber und – und – und –“

Er stockte verlegen.

„Und – und – was denn weiter?“ drang Buttler in den Kleinen.

„Grizzlybären.“

Da ertönte von den andern Tischen ein wahrhaft homerisches Gelächter herüber. Buttler lachte auch, daß ihm die Thränen in die Augen traten und der Atem versagte, und rief, als er sich einigermaßen beruhigt hatte:

„Grizzlybären wollt ihr in Fallen fangen, Grizzlybären, von denen einer neun Fuß hoch wird und auch neun Zentner wiegen wird! In Fallen fangen?“

„Warum nicht?“ knurrte Sam verdrießlich. „Wenn nur die Fallen groß und stark genug sind!“

„Es gibt aber keine Grizzlyfallen und wird auch keine geben!“

„So lassen wir uns in Prescott von einem Schmiede welche machen.“

„Wie denn? In welcher Konstruktion?“

„Das werden wir ihm schon sagen.“

„Ihr drei Schneider? Halt auf, Kleiner, Dicker, halt auf, sonst ersticke ich!“

Er lachte wieder aus vollem Halse und konnte erst nach einer Weile fortfahren –

„Und selbst wenn das mit den Grizzlybären möglich wäre, so müßte man sich doch schon darüber halb totlachen, daß ihr, um Biber zu fangen, hinauf nach Prescott wollt.“

„Nach Prescott eigentlich nicht; dort wollen wir die Fallen kaufen; dann reiten wir nach dem Gila und dem San Franziskoflusse.“

An welchem es zwei Zoll hoch Wasser gibt; wo sollen da die Biber herkommen!“

„Das laßt nur unsre Sorge sein, Sir! Hab ein Buch gelesen, in welchem alles steht, auch das von den Bibern.“

„Schön, schön, vortrefflich! Wenn ihr so klug seid, euch nach einem Buche zu richten, so läßt sich nichts weiter sagen. Ich wünsche euch so viel Biber und Bären, wie ihr wollt. Aber ihr werdet auch noch andres finden.“

„Was?“

„Wilde Indianer, welche euch Tag und Nacht umschleichen, um euch zu überfallen.“

„Da wehren wir uns.“

„Mit euern Waffen etwa?“

Yes.“

„Zum Beispiel hier mit Eurer Flinte?“

Yes.“

„Alle Wetter, werdet ihr da ungeheure Heldenthaten verrichten. Zeigt doch einmal das Schießholz her! Das müssen wir uns unbedingt besehen.“

Er nahm Sam Hawkens das Gewehr aus der Hand und ging mit demselben zu seinen Genossen hinüber, welche es unter den kräftigsten Bemerkungen betrachteten. Auch Dick Stone mußte seine lange Rifle zeigen, welche denselben ironischen Beifall fand; dann sagte Buttler, indem er die Gewehre zurückgab:

„Ich habe euch ein großes Unrecht gethan, Mesch’schurs, und muß euch deshalb um Verzeihung bitten.“

„Welches Unrecht?“ fragte Sam.

„Ich hätte euch fast mit andern Leuten verwechselt.“

„Mit wem?“

„Mit dem Kleeblatte.“

„Kleeblatt? Wer ist das?“

„Das sind drei berühmte Jäger, welche stets beisammen sind und darum das Kleeblatt genannt werden, Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker.“

„Kennt Ihr die?“

„Nein, eben nicht, sonst wäre ich doch nicht in die Gefahr geraten, euch beinahe mit ihnen zu verwechseln.“

„Aber Ihr müßt doch wenigstens wissen, wie sie aussehen!“

„Das weiß ich auch. Sam Hawkens ist so klein und dick wie Ihr, und die beiden andern sollen so lang und dürr wie Eure Gefährten sein; das stimmt. Dazu kommt, daß Sam einen ledernen Jagdrock zu tragen pflegt, an welchem Fleck an Fleck so aufgenäht ist, daß kein Indianerpfeil mehr hindurchzudringen vermag. Ihr habt auch einen solchen Rock. Das ist nur Zufall, führte mich aber doch für einige Minuten irre. Jetzt freilich weiß ich, woran ich bin. Das Kleeblatt hat nicht mit alten Kleidern Pleite gemacht, ist jedenfalls ganz anders und weit besser beritten als ihr und würde nie solche Schießprügel auch nur berühren, wie die eurigen sind. Da man aber nie vorsichtig genug sein kann und besonders Sam Hawkens ein großer Pfiffikus sein soll, so will ich doch noch sicherer gehen, als ich bis jetzt gegangen bin. Ich habe gehört, daß Will Parker einmal skalpiert worden sein soll und infolgedessen eine Perücke trägt. Mr. Berry und Mr. White mögen mir also einmal ihre Köpfe zeigen!“

Buttler fühlte sich also noch nicht ganz beruhigt. Glücklicherweise war er falsch berichtet worden; nicht Will Parker, sondern Sam Hawkens hatte das entsetzliche Unglück gehabt, skalpiert zu werden. Stone und Parker entblößten bereitwillig ihre Häupter; Buttler griff in ihre Haare, überzeugte sich, daß es keine falschen waren, und sagte:

All right, ihr seid drei Schneider, und ich will nun nur um euertwillen hoffen, daß ihr mit euern Gewehren jetzt ebenso umzugehen versteht wie früher mit euern Nähnadeln.“

„Keine Sorge!“ meinte Sam sehr zuversichtlich. „Was wir treffen wollen, das treffen wir.“

„Wirklich?“

„Wirklich!“

„Wettschießen, wettschießen!“ flüsterten diejenigen, welche Buttler am nächsten saßen, diesem zu.

Im Westen, wo fast jeder Mann ein guter Schütze ist, läßt nie jemand die Gelegenheit zu einem Wettschießen vorübergehen. Die Schützen messen sich gern miteinander; der Ruhm des Siegers spricht sich weit herum, und es werden oft dabei bedeutende Summen auf das Spiel gesetzt. Hier nun gab es nicht nur Gelegenheit zu einem Wett-, sondern sogar zu einem spaßhaften Schießen; die drei Schneider hatten wohl nicht gelernt, mit Gewehren umzugehen, und da die ihrigen nichts taugten, so gab es jedenfalls etwas zu lachen, wenn man sie dazu brachte, ihre vermeintliche Kunst zu zeigen. Darum sagte Buttler, um Sam anzustacheln, in zweifelndem Tone:

„Ja, mit der Nähnadel den Ärmel eines Rockes treffen, das kann sogar ein Blinder; aber schießen, Schießen, das ist doch etwas ganz andres. Habt Ihr denn schon einmal geschossen, Mr. Grinell?“

Yes,“ antwortete der Kleine.

„Wonach?“

„Nach Sperlingen.“

„Mit diesem Gewehre?“

„Nein, mit dem Blasrohre.“

„Mit dem Blasrohre!“ lachte Buttler laut auf. „Und da denkt Ihr, daß Ihr auch mit dem Gewehre ein guter Schütze seid?“

„Warum nicht? Zielen ist doch zielen!“

„So? Wie weit könnt Ihr denn treffen?“

„Doch jedenfalls so weit, wie die Kugel läuft.“

„Sagen wir zweihundert Schritte?“

Well.“

„Ungefähr so weit entfernt steht die zweite Hütte da drüben. Glaubt Ihr, sie zu treffen?“

„Die Hütte?“ meinte Sam in beleidigtem Tone. „Die trifft ein Blinder, grad wie mit der Nadel den Rockärmel.“

„So wollt Ihr wohl sagen, daß das Ziel kleiner sein soll?“

Yes.“

„Wie groß ungefähr?“

„Wie meine Hand.“

„Und das glaubt Ihr zu treffen, mit diesem Euerm Schießzeuge hier?“

Yes.“

„Unsinn! Dieser Lauf muß ja gleich beim ersten Schuß zerplatzen, und wenn er das nicht thut, so ist er so krumm gezogen, daß Eure Kugeln um jede Hausecke biegen, nie aber gerade fliegen werden.“

„Versucht es doch einmal!“

„Wollen wir wetten? Ihr habt ja Geld dazu.“

„Nicht nur Geld, sondern auch Lust.“

„Wieviel setzt Ihr?“

„Soviel wie Ihr.“

„Also einen Dollar?“

„Einverstanden.“

„So gilt also die Wette. Aber wir wollen nicht nach jener Hütte schießen, weil der Besitzer es wohl nicht dulden würde, sondern ich –“

„Schießt nach der meinigen!“ unterbrach ihn der Wirt. „Ich klebe an die hintere Front ein Papier, so groß wie meine Hand; dies ist das Ziel.“

Dieser Vorschlag wurde angenommen. Man begab sich nach der hintern Seite; das Papier wurde angeklebt, und dann zählte Buttler zweihundert Schritte ab. Er setzte einen Dollar, und Sam gab den seinigen. Darauf loste man, wer zuerst schießen solle. Das Los fiel auf Buttler. Er stellte sich in der abgemessenen Entfernung auf, zielte nur ganz kurz, drückte ab und traf das Papier.

Nun war die Reihe an Sam. Er machte die krummen Beinchen möglichst weit auseinander, legte seine Liddy an, bog sich weit, weit nach vorn und zielte eine lange, lange Zeit. In dieser Stellung sah er aus wie ein Photograph, welcher sich unter die Hülle seines Apparates beugt, um nach seinem Objekte zu visieren. Alle lachten. Da endlich krachte der Schuß, und Sam flog zur Seite, das Gewehr fallen lassend und mit der Hand die rechte Backe haltend. Das Gelächter wurde zum förmlichen Gejohle.

„Hat Euch die Flinte gestoßen, wohl gar einen Hieb gegeben?“ fragte Buttler.

Yes, sogar eine Ohrfeige ist’s gewesen!“ antwortete der Kleine wehmütig.

„Das Ding haut also; es scheint Euch selbst gefährlicher zu sein als andern Leuten. Wollen sehen, ob Ihr getroffen habt.“

Auf dem Papier war keine Spur von der Kugel zu bemerken. Man suchte lange, lange Zeit, bis endlich einer, welcher zur Seite gegangen war, unter dröhnendem Lachen den andern zurief:

„Kommt her zu mir! Es konnte mir nicht einfallen, hier zu suchen; aber da steckt sie, da, wer sie sehen will. Kommt her! Der Schnaps läuft aus dem Loche!“

Jedenfalls zum Transporte bestimmt, stand an der Seite des Hauses, vielleicht zehn Schritte von demselben entfernt, ein volles Branntweinfaß. In dieses war die Kugel geflogen, und man sah den Inhalt in einem fingerdicken Strahle aus dem frischen Schußloche strömen. Das jetzt entstehende Gelächter wollte kein Ende nehmen. Der Wirt aber fluchte und verlangte Entschädigung. Als Sam ihm dieselbe zusagte, beruhigte er sich und trieb mit dem Hammer einen hölzernen Pflock in das Loch, um dasselbe zu schließen.

„Also nicht einmal das Haus habt Ihr getroffen!“ rief Buttler dem ganz verdutzt dreinschauenden Kleinen zu, „Ich habe Euch ja gesagt, daß Eure Kugeln um alle Ecken biegen werden. Der Dollar ist mein. Wollt Ihr noch einen wagen, Mr. Grinell?“

Yes,“ antwortete Sam.

Mit dem zweiten Schusse traf er wenigstens das Haus, aber ganz unten an der Ecke, während das Ziel oben in der Mitte der Mauer sich befand. So gab er noch vier oder fünf Schüsse ab, ohne dem Papier näher zu kommen, und verlor noch ebensoviele Dollars. Darüber wurde er zornig und rief aus:

„Es ist nur, weil es bloß um einen Dollar geht. Ich glaube, wenn es mehr gälte, könnte ich besser zielen.“

„Mir recht,“ lachte Buttler. „Wieviel wollt Ihr parieren?“

„Soviel wie Ihr.“

„Sagen wir zwanzig?“

Yes!“

Sam verlor auch diese zwanzig, verlor sie aber, weil er wieder ganz genau in dieselbe Ecke traf. Buttler strich das Geld ein und fragte:

„Noch einmal gefällig, Mr. Grinell?“

Dabei zwinkte er seinen Leuten heimlich und vergnügt mit den Augen zu.

Yes,“ antwortete Sam. „Es muß doch einmal werden.“

„Denke es auch. Wie hoch?“

„Wie Ihr wollt.“

„Fünfzig Dollar.“

Yes.“

„Oder wir sagen lieber hundert?“

„Das ist zu viel. Ich bin zwar überzeugt, daß ich jetzt endlich treffen werde, aber es thut mir leid, Euch eine solche Summe abzunehmen, Mr. – wie heißt Ihr denn eigentlich, Sir?“

„Buttler,“ antwortete der Gefragte zu schnell und also unvorsichtig. Wahrscheinlich hätte er einen andern Namen genannt, wenn er nicht durch Sams Frage so plötzlich überrumpelt worden wäre.

„Schön, Mr. Buttler,“ fuhr er fort. „Also nicht hundert; es ist zu viel.“

Nonsense! Was ich gesagt habe, das halte ich; es fragt sich nur, ob Ihr Mut habt.“

„Mut? Den hat ein Schneider immer.“

„Also hundert?“

Yes.“

Buttler war so sicher, das Ziel zu treffen, während Sam natürlich wieder danebenschießen würde, daß er diesmal noch kürzer zielte als vorher. Oder regte ihn die Höhe der Summe auf, kurz und gut, seine Kugel kam neben, zwar hart aber doch neben dein Papiere in die Mauer zu sitzen. Das raubte ihm aber nicht die gute Laune, denn sein Gegner traf jedenfalls nicht so nahe an das Ziel. Im schlimmsten Falle konnte es zum Stechen kommen, und da war ihm der Sieg dann sicher.

Jetzt zielte Sam, aber wohin? Nach der Mauerecke, wohin er bisher stets getroffen hatte und wo von ihm, außer dem ersten Schusse, Kugel auf Kugel saß.

„Was fällt Euch ein, Mr. Grinell,“ rief Buttler erstaunt, „Ihr zielt ja nach der Ecke!“

„Versteht sich ganz von selbst,“ antwortete der Kleine getrost.

„Warum denn aber?“

„Habe erst jetzt mein Gewehr begriffen.“

„Wieso?“

„Scheint seinen eigenen Willen, seine Launen zu haben. Ziele ich nach dem Papiere da oben in der Mitte, so geht die Kugel da hinunter in die Ecke. Ziele ich aber nach der Ecke, so wird sie wohl hinauf nach dem Papiere fliegen.“

„Das ist Verrücktheit!“

„Nicht von mir, sondern von der Flinte. Paßt’mal auf!“

Er drückte ab, und die Kugel saß – – ganz genau in der Mitte des Zieles.

„Seht Ihr nun, daß ich recht hatte!“ lachte der Kleine. „Gewonnen! Gebt die hundert Dollar heraus, Mr. Buttler!“

Die Summen waren noch nicht gesetzt worden. Buttler zögerte, der Aufforderung Folge zu leisten; es kam ihm der Gedanke, die Zahlung zu verweigern; dann aber hatte er einen Einfall, den er für besser hielt; er zog also die Goldstücke aus seiner Tasche, gab sie Sam und sagte:

„Halten wir auf?“

„Wie Ihr wollt.“

„Oder setzen wir noch einmal?“

„Meinetwegen!“

„Aber nicht hundert, sondern zweihundert!“

„Sir, das ist zu viel!“

„Für mich nicht. Oder habt Ihr Angst bekommen?“

„Angst? Fällt mir nicht ein!“

„Also zweihundert; aber gleich gesetzt!“

„Gut! Da mein Kamerad Mr. Berry mag den Unparteiischen machen und das Geld verwahren, und wir nehmen ein neues Papier mit einem Punkte genau in der Mitte. Wessen Kugel diesem am nächsten sitzt, der hat gewonnen.“

„Einverstanden,“ erklärte Buttler; „aber wir schießen nicht auf zwei- sondern auf dreihundert Schritte!“

„Da treffe ich nichts!“

„Ist auch nicht nötig. Vorwärts, Mr. Grinell, zweihundert Dollar heraus!“

Sam gab Dick Stone das Geld. Buttler schien nicht mehr so viel zu besitzen, denn er ging zu mehreren seiner Gefährten, um sich von ihnen aushelfen zu lassen. Als er die Summe beisammen hatte, gab er sie auch an Dick, welcher sehr wohl wußte, weshalb ihn Sam als Unparteiischen vorgeschlagen hatte. Nachdem ein neues Papier angeklebt worden war, zählte man dreihundert Schritte ab, und Buttler machte sich zum Schusse bereit.

„Ziele besser als vorhin!“ rief ihm einer seiner Männer zu.

„Schweig!“ antwortete er zornig. „Ein Schneider sticht mich nicht aus!“

„Vorhin aber doch!“

„War nur Zufall, weiter nichts.“ Er zielte diesesmal doch viel länger und sorgfältiger als vorher. Sein Schuß traf das Papier, wenn auch nicht den Mittelpunkt desselben.

„Prachtschuß, Hauptschuß, famoser Schuß!“ belobten ihn seine Gefährten.

Er nickte siegesgewiß dazu und hielt es für unter seiner Würde, auf Sam nun acht zu geben. Dieser stand bereit zum Schusse und rief seinem Gegner zu:

„Mr. Buttler, macht einmal die Augen auf!“

„Warum?“

„Ich werde diesmal grad den Punkt in der Mitte treffen.“

„Bildet Euch das nicht ein! Ihr könnt ihn in dieser Entfernung gar nicht sehen und kaum das Papier erkennen.“

„Ist auch nicht nötig, denn ich habe ihn doch nicht zu sehen, sondern zu treffen. Paßt auf, eins – zwei – drei!“

Bei eins stellte er sich in Positur, bei zwei legte er an, und bei drei krachte sein Schuß. Ein zwölf- oder dreizehnstimmiger Ruf des Schreckens oder des Ärgers folgte; er hatte wirklich den Mittelpunkt getroffen. Dick Stone eilte zu ihm, hielt ihm das Geld hin und sagte:

„Nimm rasch, alter Sam, sonst bekommst du es dann nicht!“

Well, würden mir es später aber doch noch geben müssen.“

Er steckte es ein und schritt dann der Hütte zu.

„Ein unbegreifliches, ein verdammtes Glück ist das!“ rief ihm Buttler zornig entgegen. „So ein Zufall ist noch gar nicht dagewesen!“

„Bei mir allerdings noch nicht,“ gestand Sam ein, und zwar ganz der Wahrheit gemäß, denn er war ein so vortrefflicher Schütze, daß er keines Zufalles bedurfte. Buttler aber nahm diese Worte in andrem Sinne und sagte:

„So gebt das Geld wieder heraus!“

„Herausgeben? Warum? Aus welchem Grunde?“

„Weil Ihr soeben zugegeben habt, daß das Ziel nicht von Euch, sondern durch den Zufall getroffen worden ist.“

„Schön! Aber der Zufall hat sich meiner Hand und meiner Flinte bedient; er hat das Ziel getroffen, also die Wette gewonnen; ihm gehört das Geld, und ich werde es ihm geben, sobald ich ihm zum nächstenmal begegne.“

„Das soll wohl ein Witz sein, Sir?“ fragte Buttler drohend, und zugleich bildeten seine Leute einen engen Kreis um ihn und Sam.

Dieser letztere zeigte nicht die mindeste Besorgnis, sondern antwortete ruhig:

„Sir, Schneider pflegen keine Witze zu machen, wenn es sich um Geld handelt. Es ist mein Ernst. Wollen wir weiter schießen?“

„Nein; ich habe mit Euch, aber nicht mit Eurem Zufalle wetten wollen. Ist Euch derselbe immer so günstig?“

Er gab seinen Gefährten einen verstohlenen Wink, auf Feindseligkeiten zu verzichten; Sam bemerkte denselben aber doch und antwortete:

„Stets, nämlich wenn es sich der Mühe lohnt, eines lumpigen Dollars wegen aber nicht; da geht meine Kugel lieber in die Ecke.“

Eben wollten sie sich um diese Ecke wenden, um nach der‘ vorderen Seite des Hauses zurückzukehren, als ihnen jemand entgegenkam. Dieser jemand war – Sam Hawkens Maultier, dessen Kopf neugierig nach seinem Herrn auszublicken schien. Buttler, welcher vorangegangen war, stieß mit dem Tiere fast zusammen.

„Häßliches Vieh!“ rief er aus, der Mary einen Fausthieb gegen den Kopf gebend. „Ist ein wahres, richtiges Schneiderpferd! Einem andern könnte es im ganzen Leben nicht einfallen, sich auf eine solche Bestie zu setzen!“

„Sehr richtig!“ stimmte Sam bei. „Nur fragt es sich, warum?“

„Warum? Aus Abscheu natürlich! Was denn sonst?“

„Es läßt sich gut sagen, aus Abscheu, wenn der Grund wo ganz anders liegt.“

„Wo soll er denn liegen?“

„Im Unvermögen.“

„Wieso? Wie meint Ihr das? Wollt Ihr etwa sagen, daß man Euern Ziegenbock nicht reiten könne?“

„Das behaupte ich nicht, Sir; ich wollte nur soviel sagen, daß ihn nur ein sehr guter Reiter besteigen kann.“

Er sagte diese Worte in einem so eigenartigen Tone, daß Buttler rasch frug:

„Meint Ihr etwa, daß ich kein guter Reiter bin, daß ich mit Eurer Bestie nicht fortkäme?“

„Das ist nicht meine Meinung gewesen, Sir, obgleich sehr zu erwarten steht, daß es Euch binnen einer Minute abwerfen würde.“

„Mich? Den besten Reiter zwischen Frisco und New Orleans? Ihr seid verrückt!“

Sam maß ihn mit einem neugierigen Blicke vom Kopfe an bis zu den Füßen herab und fragte dann in ungläubigem Tone:

„Ihr der beste Reiter? Das glaube ich nicht. Ihr seid nicht zum Reiter gebaut; dazu sind Eure Beine zu lang.“

„Nicht zum Reiter gebaut!“ lachte Buttler auf. „Was will ein Schneider vom Reiten verstehen! Als Ihr vorhin hier ankamt, hingt Ihr auf Euerm Viehzeuge wie ein Affe auf dem Kamele, und da wollt Ihr vom Reiten sprechen? Laßt Euch nicht auslachen! Euer Maultier nehme ich so zwischen die Schenkel, daß es binnen fünf Minuten zusammenbricht!“

„Oder Euch binnen einer Minute herunterwirft!“

„Sagt Ihr das wirklich im Ernste?“

Yes.“

„Wollen wir wetten?“

„Ich setze zehn Dollar!“

„Ich auch!“

„Daß es mich nicht herunterwirft!“

„Und ich behaupte dies aber!“

„Gut, fertig, zehn Dollar heraus!“

Sam zog das Geld hervor und gab es Dick Stone wieder. Buttler borgte es sich von seinen Gefährten und gab es dann auch an Dick. Lieber hätte er es einem seiner Leute anvertraut, wollte aber keinen Verdacht erwecken.

„Eine miserable Wette!“ sagte der Wirt zu ihm. „Um zehn Dollar zu gewinnen, auf ein solches Scheusal steigen! Diesmal aber werdet Ihr sicher gewinnen.“

Buttler nahm die alte Mary beim Zügel und führte sie von der Ecke fort nach dem vor dem Hause liegenden freien Platz.

„Also binnen einer Minute herunter!“ rief er Hawkens zu. „Sitze ich dann noch darauf, habe ich gewonnen.“

„Darf ich mit dem Tiere reden?“ fragte Sam.

„Warum nicht? Redet mit ihm, pfeift mit ihm oder singt mit ihm, ganz wie Ihr wollt!“

Es hatten sich zwei Gruppen gebildet. Auf der einen Seite stand Sam mit Dick und Will, auf der andern der Wirt mit den Leuten Buttlers. Dieser letztere stieg auf. Das Maultier ließ es sich ruhig gefallen und stand still und unbeweglich, als ob es aus Holz geschnitzt sei, Da sagte Sam:

„Bocke ihn ab, meine gute Bucking-Mary!“

Augenblicklich machte das Maultier einen runden, hohen Katzenbuckel, ging mit allen Vieren in die Luft, streckte sich da aus und kam mit dem Reiter zu gleicher Zeit wieder auf dem Erdboden an; es stand auf derselben Stelle, Buttler aber saß nicht mehr im Sattel, sondern neben der Mary unten auf dem Boden. Seine Leute schrieen überrascht auf; er sprang empor und rief ergrimmt:

„Dieses Vieh ist des Teufels! Erst steht es fromm wie ein Lamm, und dann geht es ganz plötzlich wie ein Ballon in die Luft!“

„Da wäre es besser, Ihr wäret Luftschiffer anstatt Reiter; das Geld ist mein,“ antwortete Sam, indem er es einstrich.

„Zum Henker! Ich weiß nicht, ob ich richtig verstanden habe. Sagtet Ihr dem Tiere nicht, daß es mich abbocken solle?“

Yes.“

„Sir, das verbitte ich mir!“

Pshaw! Ihr habt gesagt, daß ich mit ihm reden kann, ganz wie ich will.“

„Aber zu meinem Schaden!“

„Nein, sondern zu Eurem Nutzen. Ihr braucht ja nur zu hören, was ich sage, so wißt Ihr, was das Tier thun wird und wie Ihr Euch dagegen zu verhalten habt, wenn Ihr ein so guter Reiter seid, wie Ihr vorhin sagtet.“

Well, so werde ich das nächstemal sicher gewinnen; ich lasse mich nicht wieder herabbocken. Setzt Ihr noch einmal zehn Dollar?“

„Gern.“

Buttler borgte sich das Geld zum zweitenmal, gab es Dick und sagte zu Sam, indem er wieder aufstieg:

„Nun, sagt dem Racker doch wieder, was er thun soll!“

Sam lachte kurz und lustig auf und rief dem Maultier zu:

„Streif ihn ab, meine liebe Striping-Mary!“

Die Mary setzte sich augenblicklich in galoppierende Bewegung, gegen welche keine Bemühung Buttlers etwas half, schlug einen Bogen nach der unteren Hausecke zu und rannte, bei derselben angekommen, nach der oberen Ecke hin, und zwar so eng an der Mauer, daß das rechte Bein Buttlers an der Ecke hängen blieb und er, wenn er sich dasselbe nicht arg zerschinden oder gar brechen lassen wollte, aus dem Sattel mußte; er wurde „abgestreift“ und kam wieder auf die liebe Erde zu sitzen.

„Alle neunundneunzigtausend Teufel!“ schrie er wütend, indem er sich erhob und sein Knie befühlte. „Diese Bestie ist ein wahres Höllenvieh. Ich war natürlich auf das Abbocken gefaßt. Wie könnt Ihr ihm da befehlen, daß es mich abstreifen soll?“

Diese Frage galt Sam, welcher antwortete:

„Es ist ausgemacht worden, daß ich mit dem Maultiere sprechen, pfeifen oder auch singen kann, ganz wie es mir beliebt. Daran halte ich fest. Das Geld ist mein.“

Er strich es ein. Buttler hinkte zum Wirte hin und sagte halblaut zu ihm:

„Gib mir zwanzig Dollar! Meine Leute haben nichts mehr.“

„Wollt Ihr wieder wetten?“ fragte der Irländer.

„Natürlich!“

„Ihr werdet abermals verlieren!“

„Jetzt ganz gewiß nicht wieder!“

„Und wenn aber doch? Von wem bekomme ich dann mein Geld?“

„Von mir, Halunke, von mir!“

„Aber wann?“

„Bis morgen früh.“

„Morgen früh? Wenn er Euch alles abgenommen hat?“

„Dummkopf! Das ist nur geborgt. Meine Leute würden wohl nicht so ruhig zusehen, wenn sie nicht wüßten, daß ich morgen früh wieder nicht nur zu meinen Verlusten bin, sondern noch viel mehr habe.“

„Ah, die zweitausend Dollar dieses Schneiders?“

Yes.“

„Nehmt Euch in acht, Sir! Dieser Kerl ist doch nicht ganz so dumm, wie wir gedacht haben.“

Pshaw! Alles Zufall!“

„Mit dem Schießen, ja; aber das mit dem Maultiere wohl nicht.“

„Auch das! Das Tier ist ein altes, ausrangiertes Zirkusvieh, welches er für einige Dollar erhalten hat. Es kann diese beiden Kunststücke; das ist alles, Zufall, nur Zufall. Also her mit dem Gelde! Ich muß einstweilen wenigstens die letzten zweimal zehn Dollar wieder haben.“

Als ihm der Wirt das Geld aus dem Hause geholt hatte, rief er Sam Hawkens zu:

„Wettet Ihr noch mal mit?“

„Ja, doch nun zum letztenmal.“

„Einverstanden; aber um zwanzig Dollar!“

Yes.“

„Da ist das Geld. Dazu gebe ich die heiligste Versicherung, daß mich Euer Scheusal jetzt nicht herunterbringt, es kann machen, was es immer will.“

Er stieg auf, nahm die Mary kurz in die Zügel und fest zwischen die Schenkel und horchte zu Sam hin, was dieser befehlen würde, ob abbocken oder abstreifen. Der Kleine aber gebot keins von beiden, sondern rief:

„Wälze ihn ab, meine liebe Rolling-Mary!“

Das Maultier warf sich augenblicklich nieder und rollte sich wie eine Walze auf dem Boden hin. Wenn Buttler sich nicht alle Glieder zerquetschen oder gar zerbrechen lassen wollte, mußte er die Zügel fahren lassen und die Füße aus den Steigbügeln nehmen. Kaum fühlte die Mary, daß sie ihn los war, so sprang sie auf, trabte zu ihrem Herrn hin, stieß ein triumphierendes Geschrei aus und rieb ihr Maul an seiner Schulter.

Buttler erhob sich langsam vom Boden, befühlte und betastete sich oben und unten, hinten und vom und machte ein ganz unbeschreibliches Gesicht. Er war wütend über die mehrfache Blamage, welche er erlitten hatte, und wollte sich dies doch nicht merken lassen. Dazu schmerzten ihn alle seine Knochen und Muskeln, denn er hatte unter der Mary wie unter einer Drehrolle gelegen.

„Beliebt es Euch vielleicht, noch einmal zu wetten?“ rief ihm Sam Hawkens zu.

„Geht zum Satan, sowohl mit Eurem Zufalle wie mit Eurer schändlichen Bestie!“ antwortete der Gefragte, indem er sich niedersetzte.

„Habe mit dem Satan keine Geschäfte, Mr. Buttler, werde also dahin gehen, wohin es mir gefällt.“

„Nach Prescott doch?“

Yes.“

„Schon heut?“

„Nein. Werden heut hier in San Xavier del Bac bleiben.“

„Habt ihr euch schon nach einem Obdache umgesehen?“

„Nein. Ist nicht nötig; werden im Freien schlafen,“

„Habt ihr zu essen?“

„Noch nicht. Dachten hier was zu bekommen.“

„Damit steht es schlimm. Es ist nichts mehr zu haben. Ihr könnt euch also nur dann satt essen, wenn ihr unsre Gäste sein wollt. Seid also klug, und nehmt meine Einladung an!“

„Thue es hiermit, Sin Wann werdet ihr speisen?“

„Wenn das Fleisch angekommen ist. Ich werde euch benachrichtigen.“

Damit waren die Wetten beendet und war auch das Gespräch vorüber. Die beiden Gruppen hielten sich nun jede wieder für sich selbst.

„Hast ein famoses Geschäft gemacht!“ sagte Dick Stone zu Sam. „Wollte, ich wäre an deiner Stelle!“

„Ist gar nicht nötig, denn wir teilen natürlich, wenn ich mich nicht irre. Halten uns wahrhaftig für Schneider, hihihihi! Und Buttler heißt der Kerl!“

„Sind also die zwölf Finders. Schlechte Gesellschaft das, zum Abendessen!“

„Hätte nicht notwendig gehabt, ihre Einladung anzunehmen; haben ja in unsren Satteltaschen noch Proviant für einen ganzen Tag, was ganz gut bis Tucson reicht; hege aber meine gute Absicht dabei. Will sie nämlich festnehmen.“

„Ohne Kampf?“

„Ohne.“

„Aber wie?“

„Das wird sich finden.“

„Hätten wohl lieber fortreiten sollen von hier; ist ein sehr gefährliches Plaster für uns, das hiesige.“

„Wieso?“

„Werden dir den Gewinn natürlich wieder abnehmen wollen, und wenn nicht mit List, dann mit Gewalt. Wohl nur deshalb sind wir zum Essen geladen worden.“

„Versteht sich am Rande des Teiches. Soll ihnen aber schwer werden. Fürchte mich nicht vor ihnen, besonders da ich gesehen habe, wie leicht sie sich nasführen lassen. Uns für Schneider zu halten, uns, das Kleeblatt!“

„Haben sogar von diesem Kleeblatte gehört und uns einen Augenblick lang wirklich für dasselbe gehalten!“

„So daß Buttler euch die Köpfe untersuchte. Hätte der Kerl auf dem meinigen eine Entdeckungsreise unternommen, so wäre es ihm nicht länger in den Sinn gekommen, ein Kleeblatt für drei Schneider zu halten, hihihihi! Besaß einst auch mein eigenes Haar mit samt der Haut, an welche es gewachsen war, habe es von Kindesbeinen an ehrlich und mit vollem Rechte getragen, und kein Advokat hat es gewagt, es mir streitig zu machen, bis so ein oder zwei Dutzend Pawnees um mich waren, und mir das Fell bei lebendigem Leibe vom Kopfe schnitten und rissen. Bin dann nach Tekama gegangen und habe mir eine neue Haut gekauft; nannten es Perrücke und kostete mich drei dicke Bündel Biberfelle, wenn ich mich nicht irre. Schadet aber nichts, denn das neue Fell ist zuweilen praktischer als das alte, besonders im Sommer; kann es abnehmen, wenn mich schwitzt und es waschen und kämmen, ohne mich auf den Kopf zu kratzen. Und wenn abermals ein Roter meinen Skalp verlangen sollte, so kann ich ihm denselben verehren, ohne daß es ihm vorher Mühe und mir Schmerzen macht.“

„Und wie albern,“ fiel Will Parker ein, „daß sie wirklich glaubten, wir wollten droben am Gila Biber, sogar graue Bären fangen!“

„War gar nicht so albern, wie du denkst,“ erklärte Sam. „Haben ja sehr deutlich gesehen, daß du ein Greenhorn bist, und einem solchen ist eben alles zuzutrauen, auch daß er auf einem Heuboden Seehunde und Walfische fangen will. Sprachen davon, daß sie Fleisch erwarten. Wo sie es herbekommen? Ob etwa von Tucson? Ist kaum zu glauben. Wahrscheinlich auch ein Gaunerstreich. Werden es sich stehlen wollen – – behold, da kommen sie gezogen; werden sie also nun wohl kennen lernen.“

Er deutete nach vorn, wo auf dem freien Platze ein großer, langer, mit vier Ochsen bespannter Blahewagen erschien, dem noch drei andre folgten. Ein sehr gut bewaffneter Reiter ritt voran, das war der Scout. Neben den Wagen ritten zwei Knaben oder Jünglinge, welche auch Messer, Revolver und Doppelbüchsen trugen. Die Ochsentreiber waren nicht beritten. In zweien der Wagen gab es Insassen; man sah sie neugierig unter der Blahe hervorblicken.

Der Scout hatte wohl die Absicht gehabt, hier halten zu lassen; aber als er die Gesellschaft vor der Schnapsschänke erblickte, verfinsterte sich sein Gesicht, und er ritt weiter; die Wagen folgten ihm natürlich.

„Verdammt!“ sagte einer der Finders mit unterdrückter Stimme zu dem Wirte. „Da scheint aus dem Braten heut abend nichts zu werden.“

„Warum nicht?“

„Weil sie weiterfahren. Wer weiß, wie weit von hier sie dann halten.“

„Werden nicht weit kommen. Man sah, daß die Ochsen müde waren. Hast du das Gesicht des Scout bemerkt?“

„Nein.“

„Es verfinsterte sich, als er euch erblickte. Es ist in ihm Verdacht gegen euch entstanden, weil ihr ihn zu weit ausgefragt habt. Er hätte wohl hier Lager gemacht und ist nur euretwegen wieder fort, weit aber keineswegs, wohl nur bis ans Ende des Ortes, wo es Gras für die Rinder gibt.“

„Ich werde einmal nachsehen.“

„Thu das nicht. Wenn er dich sieht, wächst sein Mißtrauen.“

„Das ist richtig,“ bestätigte Buttler. „Wir müssen warten, bis es dunkel geworden ist; dann gehe ich selbst mit einigen von euch ihnen nach. Sie werden ihre Ochsen frei grasen lassen; wir führen einen von denselben fort und schlachten ihn.“

„Und werdet entdeckt!“ warf der Wirt ein.

„Was nennst du entdeckt? Wenn jemand kommt, so sitzen wir bei dir und essen gebratenes Rind; das ist alles. Der fehlende Ochse aber liegt weit draußen vor dem Dorfe, zwar erstochen und angeschlachtet, aber wer will beweisen, daß wir die Thäter sind?“

„Wir essen grad das Stück Fleisch, welches an dem toten Ochsen fehlt!“

„Das ist kein Beweis, denn wir haben es soeben von einem unbekannten Roten gekauft. Und will man uns trotzdem noch weiter belästigen, so haben wir Gewehre und Messer, uns jeden Lästigen vom Halse zu schaffen.“

„Die drei Schneider da drüben essen mit?“

„Ja. Weißt du, Paddy, was für einen Gedanken ich habe?“

„Nun?“

„Wir machen sie betrunken.“

„Um sie dann – – –?“

„Ja, um sie dann – – – ganz so, wie du meinst.“

„Bei mir im Hause?“

„Ja, drin in der Stube. Hier im Freien wäre es unmöglich. Man könnte versteckte Zeugen haben.“

„Aber es ist für mich höchst gefährlich, eine solche That in meinem Hause, in meiner Stube geschehen zu – – –“

„Schweig! Du bekommst von dem, was wir bei den Kerls finden, dreihundert Dollar; das ist genug für die kleine Belästigung -bist du einverstanden?“

„Ja, denn ich sehe, es geht nicht wohl anders. Aber ich befürchte, daß sich die Kerls schwer berauschen lassen werden.“

„Leicht, sehr leicht im Gegenteile. Hast du nicht gesehen, daß sie deinen Schnaps wegschütteten?“

„So etwas sieht jeder Wirt!“

„Daraus folgt doch, daß sie keine Schnapstrinker sind und also nichts vertragen können. Nach einigen Gläsern werden sie toll und voll betrunken sein.“

„Ich bin der Ansicht: Daraus folgt, daß sie keine Schnapstrinker sind und also keinen trinken werden. Wie wollt ihr sie da betrunken machen?“

„Hm, auch das wäre möglich. Hast du denn gar nichts andres als nur Schnaps?“

Der Wirt machte ein Gesicht, welches pfiffig sein sollte, und antwortete:

„Für gute Freunde und wenn es ehrlich bezahlt wird, habe ich irgendwo ein Fäßchen sehr hitzigen Kalientewein aus Kalifornien liegen – – –“

„Kalientewein? Alle Wetter, den mußt du schaffen!“ fiel Buttler ein. „Ein einziger Liter davon wirft die drei Schneider um, und für uns wird dieser Kaliente eine wahre Wonne sein. Wieviel soll er kosten?“

„Vierzig Liter sechzig Dollar.“

„Etwas teuer, aber einverstanden. Du bekommst also dreihundertsechzig Dollar von dem, was uns die nächste Nacht einbringt.“

„Warum wollt ihr solche Umwege mit diesen Schneidern machen, Sir? Sie einladen, mit ihnen essen, sie unterhalten, dann berauschen und so weiter? Gibt es denn keinen kürzern und bessern Weg?“

„Das sehr wohl; aber Paddy, ich will dir sagen: Es liegt in dem Habitus dieser drei Männer so ein Etwas, was mich nicht so ganz an die Schneider glauben läßt. Ich habe es mir überlegt. Die Schüsse, welche der Kleine gethan hat, sind Meisterschüsse gewesen, sogar die ersten Fehlschüsse. Wir sahen ihn nach dem Papiere zielen, und doch hat er mit einer blitzschnellen Bewegung des Gewehres, welche wir gar nicht bemerkt haben, genau Kugel auf Kugel in die Ecke geschickt. Schau hin, wie sie da sitzen! Sie sehen nicht ein einziges Mal her, 0 bewahre; aber ich sage dir, daß sie trotzdem alles so genau wissen, als ob sie ihre Augen immerwährend hierher richteten. Ich kenne diese maskierten Späherblicke. Und ihre Haltung! Als ob sie jeden Augenblick bereit wären, ihre Revolver abzudrücken. Hätte einer von ihnen eine Perücke aufgehabt, so würde ich jetzt darauf schwören, daß sie das gefürchtete Kleeblatt sind. Und auch trotzdem, daß sie es nicht sein können, müssen wir uns vorsehen. Überfallen, überrumpeln lassen die sich nicht so leicht, wenigstens nicht ohne daß sie blitzschnell mit ihren Messern und Kugeln zur Hand sind.“

„Aber zwölf oder gar dreizehn gegen drei; da muß der Ausgang doch wohl sicher sein!“

„Allerdings; aber von den zwölf, also von uns, werden dabei sicher einige getötet oder gar verwundet. Eine Betäubung durch einen tüchtigen Rausch ist da das sicherste und ungefährlichste – – –“

Buttler hielt mitten in der Rede inne, deutete nach dem freien Platze hinüber und fuhr fort:

„Da kommt die sonderbare Gestalt, welche hinter dem Wagen herritt; sie ist zurückgeblieben, sieht den Zug nicht mehr und weiß nun augenscheinlich nicht, wohin sie sich wenden soll.“

Der Ausdruck „sonderbare Gestalt“, dessen er sich bediente, war sehr zutreffend und sagte eher zu wenig als zu viel. Indem sie langsam nähergeritten kam, machte sie in kurzen, fast genau abgemessenen Zeiträumen die regelmäßigsten Pendelbewegungen auf dem Pferde, jetzt mit den Beinen weit nach hinten und den Kopf vornüber gesunken, dann rasch mit demselben nach hinten und mit den beiden Beinen nach vorn. Der Körper war in einen langen, weiten Regenmantel und der Kopf in ein großes Wiener Saloppentuch gehüllt, dessen Zipfel bis auf den Rücken des Pferdes herunter fiel. An den Füßen trug die Figur Zeugstiefeletten; über die eine Schulter hing eine Flinte, und unter dem grauen Mantel schien ein Säbel zu stecken. Das Gesicht, welches aus dem Tuche hervorblickte, war bartlos, voll und rot, so daß man, besonders bei dieser Art sich zu kleiden, jetzt wirklich nicht zu sagen vermochte, ob ein Maskulinum oder Femininum da auf dem langsamen, hagern Klepper saß. Und das Alter des rätselhaften Wesens? War diese Frau ein männlicher Mensch, so mochte er fünfunddreißig Jahre zählen; war dieser Mann aber eine Dame, so stand sie sicher im Anfange der Vierzig. Jetzt war sie bei den Tischen angekommen, hielt das Pferd an und grüßte in hohem Kopf- oder Fisteltone:

„Guten Tag, meine Herren! Haben Sie vielleicht vier Ochsenwagen gesehen?“

Alles bisher Gehörte war natürlich englisch gesprochen worden; dieser Damenherr oder diese Herrendame aber bediente sich der deutschen Sprache, deren die Gefragten nicht mächtig waren, weshalb auch keine Antwort erfolgte. Als die Frage in der Tonlage des eingestrichenen d wiederholt wurde, stand Sam Hawkens auf, trat zu dem Pferde hin und antwortete deutsch:

„Sprechen Sie nicht englisch?“

„Nein, nur deutsch.“

„Darf ich erfahren, wer Sie sind?“

Da bekam er eine kleine Terz höher, also im eingestrichenen f, zu hören:

„Ich bin der Herr Kantor emeritus Matthäus Aurelius Hampel aus Klotzsche bei Dresden.“

„Klotzsche bei Dresden? Was der Teufel, da sind Sie wohl ein Sachse?“

„Ja, ein geborener, jetzt aber emeritiert.“

„Und ich auch, obgleich ich mich schon so lange in Amerika befinde, daß ich beinahe vergessen habe, woher ich bin. Sie gehören wohl zu den vier Wagen, Herr Kantor?“

„Ja. Ich bitte aber sehr, recht vollständig zu sein; sagen Sie also lieber, Herr Kantor emeritus! Dann weiß gleich jedermann, daß ich den Orgel- und Kirchendienst quittiert habe, um meine sämtlichen Befähigungen nun ganz allein der harmonischen Göttin der Musik zu widmen,“

Die Äuglein Sams leuchteten lustig auf, doch meinte er in ernstem Tone:

„Gut, Herr Kantor emeritus, Ihre Wagen sind längst vorüberpassiert, und werden, wie ich vermute, draußen vor dem Dorfe angehalten haben.“

„Wieviel Takte habe ich da noch weiterzureiten?“

„Takte?“

„Hm – – hm – – Schritte wollte ich wohl sagen.“

„Das weiß ich ebensowenig, weil ich mich gleichfalls zum erstenmale hier befinde. Erlauben Sie, daß ich Sie führe?“

„Sehr gern, mein werter Herr. Ich bin die Melodie, und Sie machen die Begleitung. Wenn wir unterwegs keine langen Viertelpausen und Fermaten machen, werden wir wohl mit dem Fine bei den Wagen angekommen sein.“

Sam warf seine Liddy über die Schulter, pfiff seiner Mary, welche ihm wie ein folgsamer Hund folgte, nahm das Pferd des seltsamen Emeritus bei dem Zügel und schritt der Richtung nach, welche die Wagen eingehalten hatten. Da erklang die hohe Fistelstimme vom Klepper herab:

„Sie wissen nun, wie ich heiße und wer und was ich bin; darf ich auch Ihren Namen erfahren?“

„Später.“

„Warum nicht jetzt?“

„Weil sich Leute hier befinden, die ihn nicht wissen dürfen; ich werde Ihnen das später erklären.“

„Warum erst später? So eine Ungewißheit ist mir so ziemlich wie eine unaufgelöste Septime oder None. Haben Sie also die Gewogenheit, diesen Dominantseptakkord von A gefälligst nach D- dur oder doch wenigstens nach B- moll herüberzuleiten!“

„Das wäre eine Unvorsichtigkeit, welche nicht nur mich, sondern auch Sie in Schaden bringen kann. Sie befinden sich in Gefahr, Herr Kantor!“

„Bitte, bitte, Kantor emeritus! In Gefahr? Das geht mich nichts an. Für Musensöhne gibt es nur die eine Gefahr, daß ihre Schöpfungen nicht anerkannt werden; ich kann aber hier weder applaudiert noch deploriert werden, weil niemand meine Kompositionen kennt, welche übrigens nur erst in meinem Kopfe, aber noch nicht in Partitur vorhanden sind.“

„Also Sie komponieren?“

„Ja, bei Tag und Nacht.“

„Was?“

„Eine große Oper für drei Theaterabende in zwölf Akten, für jeden Abend vier Akte; wissen Sie, so eine Trilogie wie der Ring der Nibelungen von Richard Wagner, diesesmal aber nicht von ihm sondern von mir, dem Herrn Kantor emeritus Matthäus Aurelius Hampel aus Klotzsche bei Dresden.“

„Können Sie das denn nicht daheim komponieren? Was treibt Sie denn da nach Amerika, noch dazu nach Arizona, dem gefährlichsten Teil des wilden Westens?“

„Wer mich treibt? Der Geist, die Muse, wer denn anders? Der begnadete Musensohn muß den Eingebungen der Göttin folgen.“

„Das verstehe ich nicht. Ich folge keiner Göttin, sondern meinem Verstande.“

„Weil Sie kein Begnadeter sind. Mit Verstand komponiert man keine Oper, sondern mit Generalbaß und Kontrapunkt, wenn nämlich ein passendes Libretto, ein Text vorhanden ist. Und dieser Text, der ist eben die Spannfeder, die mich herübergeschwippst hat nach Amerika.“

„Wieso, Herr Kantor?“

„Bitte wiederholt recht sehr: Kantor emeritus! Es ist wirklich nur der Vollständigkeit halber. Man könnte denken, daß ich noch immer zu Klotzsche bei Dresden die Orgel spielen muß, während ich doch schon seit zwei Jahren einen Nachfolger habe. Meine Oper ist nämlich im Kopfe vollständig fertig; aber es fehlt mir der passende Text dazu. Ich habe mich mit berühmten Dichtern in Verbindung gesetzt, zum Beispiel mit Herrn Zuckerkrach in Wien, der einen sehr schönen Gespensterroman, und mit Herrn von Kuchenbruch in Halle, welcher eine sehr lebhafte Ode an den Meerbusen von Biscaya geschrieben hat. Sie haben mir unter die Arme gegriffen, aber nicht poetisch genug. Ich will Hexameter komponieren aber keine Jamben. Auch waren sie mir viel zu zart, zu lyrisch, zu butterig weich, denn ich brauche einen kräftigen, einen gigantischen, einen cyklopischen Text, denn meine Oper soll eine Heldenoper werden. Da habe ich mich also selbst nach Helden umsehen müssen, aber leider keine recht geeigneten gefunden. Die Helden von Rottecks Weltgeschichte sind nämlich schon viel zu sehr abgedroschen worden; ich aber will neue, originale Helden, die noch nicht zwischen den Coulissen und Soffitten gestanden haben. Da lebt nun in der Nähe von Dresden zuweilen mein Freund und Gönner Hobblefrank, und der – – –“

„Der Hobblefrank lebt dort? Den kennen Sie?“ fiel Sam schnell und überrascht ein.

„Ja. Sie auch?“

„Sehr gut sogar, sehr gut! Weiter, weiter!“

„Und der hat mich auf solche Helden, wie ich sie brauche, aufmerksam gemacht.“

„Wohl auf sich selbst?“

„Auch mit.“

„Auf wen noch, Herr Kantor?“

„Ich ersuche Sie nun schon zum vierten- oder gar zum fünftenmale: Herr Kantor emeritus! Es ist gewiß und wahrhaftig nur der Vollständigkeit wegen. Man könnte sonst denken, ich messe mir ein Amt an, in welchem ich mich nun schon seit zwei Jahren nicht mehr befinde. Also der Hobblefrank, über den wir übrigens noch weiter sprechen werden, hat mich auf solche für mich passende Helden aufmerksam gemacht, zunächst natürlich auf sich selbst und sodann in zweiter Linie auf drei andre Männer, mit denen er früher hier im wilden Westen ganz außerordentliche Thaten verrichtet hat und wahrscheinlich jetzt wieder zusammengetroffen ist.“

„Wer sind diese Leute?“

„Ein Apachenhäuptling, welcher Winnetou heißt und zwei berühmte weiße Prairiejäger, Namens Old Shatterhand und Old Firehand.“

Good lack! Das sind allerdings die allerberühmtesten Gentlemen, die ich kenne!“

„Wie? Auch Sie kennen dieselben?“

„Und ob! Wer sollte die nicht kennen! Und wer noch nicht das Glück gehabt hat, sie zu sehen, dem ist, mag er sein, wer er will, doch so viel von ihnen erzählt worden, daß er sie beinahe so gut kennt, als ob er mit ihnen beisammengewesen wäre.“

„So könnten auch Sie mir von ihnen erzählen?“

„Will es meinen! Ich, und nichts von ihnen wissen, hihihihi! Ich sage Ihnen, daß Sie von mir so viel über diese Gents hören können, daß Sie zwanzig Opern davon zu komponieren imstande sind. Die Musik dazu müssen Sie sich freilich selber machen.“

„Natürlich, natürlich! Der Hobblefrank hat mir alle Abenteuer erzählt, die er mit den Herren erlebte; kann ich von Ihnen noch Ferneres vernehmen, so ist mir das lieb, weil dadurch mein zu bearbeitender Stoff reicher wird.“

„Sie sollen mehr erfahren, als Sie brauchen. Aber sagten Sie nicht soeben, daß der Hobble jetzt wieder mit ihnen zusammengetroffen sei?“

„Ja, so sagte ich; ich vermute es, wenn ich es auch nicht ganz bestimmt behaupten kann. Ich war nämlich einige Tage lang nicht daheim gewesen; als ich nach Hause kam, fand ich einige Zeilen von ihm vor, in denen er mich aufforderte, schleunigst zu ihm zu kommen, falls es noch meine Absicht sei, mit ihm nach Amerika zu gehen, um die betreffenden Helden für meine Oper persönlich kennen zu lernen. Ich suchte ihn natürlich sofort auf, kam jedoch zu spät, denn die Villa Bärenfett, welche er bewohnt, war verschlossen – alles zu, kein Mensch da, und vom Nachbar konnte ich nur erfahren, daß der Hobblefrank für längere Zeit verreist sein müsse. Ich habe als ganz selbstverständlich angenommen, daß er nach Amerika ist, und bin ihm nachgereist.“

„Warum aber grad in dieses wilde Arizona hinein? Haben Sie denn Grund, zu glauben, daß er sich in dieser Gegend befindet?“

„Ja. Er sprach nämlich einmal mit mir über die ungeheuern Gold- und Silberreichtümer von Arizona und Nevada und erwähnte dabei, daß er sofort dorthin aufbrechen werde, sobald er erfahre, daß einer seiner früheren Gefährten sich dorthin wenden wolle. Er steht nämlich mit ihnen im Briefwechsel. Da er nun so plötzlich und ohne auf mich zu warten abgereist ist, vermute ich, daß er von einem Freunde, wahrscheinlich von Old Shatterhand, eine solche Nachricht empfangen hat.“

„Und daraufhin, also nur daraufhin, haben Sie diese weite Reise gemacht?“

„Ja, ich bin sicher, ihn hier zu treffen.“

Heigh-ho! Für diese Sicherheit gebe ich Ihnen nicht einen Pfennig. Meinen Sie denn, man treffe sich hier hüben so leicht, wie man sich drüben in der Heimat so zwischen Klotzsche und Zitzschewig findet?“

„Warum nicht? Land ist Land, gleichviel, ob es Sachsen oder Arizona heißt. Warum soll man sich in dem einen schwerer begegnen als in dem andern?“

„Welche Frage! Erstens handelt es sich darum, daß Arizona und Nevada je zwanzigmal größer sind als Sachsen und dann kommen auch die Verhältnisse in Betracht. Haben Sie eine Ahnung davon, wie viele und welche Indianerstämme hier wohnen?“

„Die gehen mich doch nichts an!“

„Kennen Sie die Unwegsamkeit des Landes, die wilden Schluchten und Canons, die Öde der Bergregion, die Trostlosigkeit der Wüsten, besonders derjenigen, welche zwischen Kalifornien, Nevada und Arizona liegt?“

„Geht mich auch nichts an!“

„Verstehen Sie die Sprachen der Indianer, der hiesigen Weißen?“

„Brauche ich nicht! Meine Sprache ist die Musik.“

„Aber der wilde Indianer wird ganz und gar nicht musikalisch mit Ihnen sprechen und verfahren! Wie es scheint, wissen Sie gar nicht, welchen Gefahren Sie sich aussetzen, wenn Sie den Hobblefrank aufsuchen wollen.“

„Gefahren? Ich habe Ihnen bereits gesagt, wie ich darüber denke. Ein Jünger der Kunst, ein Sohn der Musen hat keine Gefahren zu fürchten. Er steht so hoch über dem gewöhnlichen Leben wie die Violine über dem Rumpelbasse; er lebt und atmet den Äther himmlischer Akkorde und hat mit irdischen Dissonanzen nichts zu schaffen.“

Well! So lassen Sie sich einmal von einem Indsman den Skalp über die Ohren ziehen, und sagen Sie mir dann, welche himmlischen Akkorde Sie dabei vernommen haben! Hier zu Lande gibt es nur eine Musik, und das ist diese hier.“

Er schlug bei diesen Worten mit der Hand an sein Gewehr und fuhr dann fort:

„Dieses musikalische Instrument gibt die Töne an, nach denen in Arizona und Nevada getanzt wird, und – –“

„Getanzt – – – Pfui!“ unterbrach ihn der Kantor. „Wer hat vom Tanzen gesprochen, oder wer wird überhaupt davon sprechen! Ein Künstler niemals! Das Tanzen ist eine hastige und immerwährende Veränderung des festen Standpunktes, durch welche man in unästhetischen Schweiß gerät.“

„Dann will ich wünschen, daß Sie hier nicht in die Lage kommen, ganz gegen Ihren künstlerischen Willen den Schwerpunkt und mit ihm noch einiges andre, vielleicht gar das Leben zu verlieren. Leider steht schon jetzt zu befürchten, daß Sie sehr bald gezwungen sein werden, einen Hopser zu tanzen, bei welchem es wohl kaum ohne Schweiß abgehen wird.“

„Ich? Fällt mir nicht ein!“

„Oho! Sie müssen!“

„Wer wollte oder könnte mich zwingen?“

„Die Herren, welche da hinter uns vor der Schnapsschenke saßen.“

„Wieso?“

„Das werde ich Ihnen später erklären.“

„Warum nicht jetzt?“

„Weil ich es andern auch noch sagen muß und ein Ding nicht gern zweimal thue, wenn es nicht nötig ist, und weil wir jetzt da angekommen sind, wohin wir wollten, wenn ich mich nicht irre.“

Sie hatten das Dorf verlassen und befanden sich nun hinter demselben an der Straße, welche nach der Hauptstadt führt. Während dieses ganzen Weges und Gespräches hatte der Kantor seine eigentümlichen Pendelbewegungen auf dem Pferde fortgesetzt. Bald den Oberkörper nach vorn, bald nach hinten biegend, hatte er die Beine und Füße mit den Bügeln in die entgegengesetzte Richtung geschoben, was dem kleinen Sam Hawkens, wie sein lustiges Augenblinzeln zeigte, nicht wenig Spaß zu machen schien. Jetzt sahen sie die vier großen, schweren Auswandererwagen vor sich stehen. Die Insassen derselben waren ausgestiegen und hatten die Ochsen ausgespannt, welche das nicht allzu reich sprossende Gras abweideten.

Die Wagen waren in der Weise aufgefahren, daß sie eng neben einander standen, mit den Deichseln alle nach einer Seite, nach Süden gerichtet, ein großer Fehler in jener Gegend, wo es der Indianer und des herumvagierenden weißen Gesindels wegen stets geraten ist, eine sogenannte Wagenburg zu bilden. Die Insassen waren ausgestiegen und bewegten sich in geschäftiger Weise auf dem Platze umher. Zwei Frauen suchten nach dornigem Akaziengestrüpp, dem einzigen Holze, das es hier zu einem Feuer gab; zwei andre hantierten mit Töpfen, in denen das Essen gekocht werden sollte; einige Kinder halfen dabei. Zwei Männer schafften in Eimern Wasser herbei; ein dritter untersuchte die Wagenräder; diese drei waren noch ziemlich jung. Ein vierter, welcher gewiß die Fünfzig überschritten hatte, aber noch bei vollen Manneskräften und sehr robust und stark gebaut war, stand inmitten dieses Treibens, um dasselbe zu bewachen und von Zeit zu Zeit mit heller Stimme und in kurzen Worten einen Befehl auszusprechen. Er schien also der Anführer dieser Auswanderer zu sein. Als er die beiden Ankömmlinge bemerkte, rief er dem einen derselben entgegen.

„Wo bleiben Sie denn nun wieder einmal, Herr Kantor? Man ist in steter Sorge um Sie und – –“

„Bitte, bitte, Herr Schmidt,“ unterbrach ihn der Angeredete; „Herr Kantor emeritus, wie ich Ihnen schon hundertmal gesagt habe. Es ist wahrhaftig nur der Vollständigkeit wegen und weil ich mir kein Amt anmaßen darf, welches ich nicht mehr bekleide.“

Dabei hielt er sein Pferd an und stieg von demselben herunter, aber wie! Er nahm erst das rechte Bein empor, um links herunter zu kommen; das schien ihm aber zu gefährlich zu sein; darum zog er nun den linken Fuß aus dem Bügel, um zu versuchen, rechts auf die Erde zu kommen, was für ihn aber wahrscheinlich ebenso bedenklich war. Darum stemmte er beide Hände auf den Sattelknopf, lüpfte sich empor und schob sich nach hinten, so daß er auf die Kruppe des Pferdes zu sitzen kam. Von da aus retirierte er langsam immer weiter rückwärts und rutschte endlich beim Schwanze herunter. Das Tier war lammfromm und ermüdet und ließ diese sehr seltsame und lächerliche Prozedur ruhig vor sich gehen. Die Emigranten hatten diesem „Abrutsche“ schon sehr oft beigewohnt, weshalb er auf sie keinen Eindruck machte; dem guten Sam Hawkens aber war so etwas noch nicht vorgekommen, und so mußte er sich große Mühe geben, nicht laut aufzulachen.

„Ach was, Emeritus!“ antwortete Schmidt in kräftiger Weise, die ihm eigen zu sein schien. „Für uns sind Sie noch immer der Herr Kantor. Haben Sie sich emeritieren lassen, so ist das Ihre Sache, aber kein Grund für uns, dieses ewige Fremdwort immer wiederzukauen. Warum bleiben Sie immer zurück? Man hat nur stets auf Sie aufzupassen!“

„Piano, piano, lieber Schmidt! Ich höre Sie sehr gut, auch wenn Sie nicht so schreien. Es kam mir ein musikalischer Gedanke. Ich glaube nämlich, daß man bei einer Ouverture, wenn das Cello im Orchester fehlt, die Stimme desselben auch der dritten Trompete übergeben kann. Nicht?“

„Übergeben Sie sie meinetwegen der großen Paukentrommel! Ich weiß wohl, daß ein Wagen geschmiert werden muß, wenn er gut laufen soll, aber nicht, was in einer Ouverture getrompetet werden muß. Was haben Sie uns denn da für einen Hanswurst mitgebracht?“

Bei diesen Worten deutete er auf Sam Hawkens. Der Kantor antwortete, ohne ihm das kräftige und wohl auch beleidigende Wort zu verweisen:

„Dieser Herr ist – – ist – – heißt – – hm, das weiß ich selbst noch nicht. Ich traf ihn im Dorfe und fragte ihn nach Ihnen; da ist er so freundlich gewesen, mich heraus zu Ihnen zu modulieren. Die Hauptsache ist, daß er auch ein Sachse ist.“

„Ein – – Sachse?“ fragte Schmidt im Tone des Erstaunens, indem er Sam vom Kopfe an bis zu den Füßen herunter betrachtete. „Das ist doch gar nicht möglich! Wenn bei uns in Sachsen jemand in solcher Kleidung herumliefe, würde er auf der Stelle arretiert!“

„Aber wir sind glücklicherweise jetzt nicht in Sachsen,“ antwortete Hawkens ganz freundlich; „darum werde ich meine Freiheit wahrscheinlich behalten, wenn ich mich nicht irre. Ihr werdet hier noch ganz andre Anzüge zu sehen bekommen, als der meinige ist. Es gibt im wilden Westen nicht auf je zwanzig Schritte zehn Kleidermagazine. Darf ich vielleicht erfahren, wohin ihr wollt, meine Herren?“

„Ihr?“ meinte Schmidt in abweisendem Tone. „Wir sind gewohnt, Sie genannt zu werden, und möchten, ehe wir Ihnen Auskunft geben, zunächst wissen, wer Sie sind, was Sie treiben und auf welchem Weg Sie sich befinden.“

Well, das können Sie wissen. Ich heiße Falke, bin aus Sachsen herübergekommen, lebe als Westmann und gebe jedem die Ehre, die ihm gebührt. Da habt Ihr meine volle Legitimation. Ob Ihr mir meine Frage nun auch beantworten wollt, das steht in Eurem Belieben.“

„Ihr und Euer? Herr Falke, ich habe Ihnen schon gesagt, daß wir gewohnt sind – – –“

„Schon gut, schon gut!“ unterbrach ihn der Kleine. „Und ich habe auch bereits gesagt, daß ich einem jeden die Ehre gebe, die ihm gebührt. Wer mich als einen Hanswurst betrachtet, der wird von mir Ihr oder gar Er genannt, und sagt der Esel dieses Wort noch einmal, so gehe ich fort und laß ihn so dumm bleiben, wie er ist.“

„Alle Donner! Meinen Sie damit etwa mich?“ brauste der Alte auf, indem er drohend einen Schritt zurücktrat.

„Ja,“ antwortete der Kleine, indem er ihm furchtlos und höchst freundlich in die Augen sah.

„Da machen Sie ja gleich, daß Sie wieder fortkommen, falls Sie wünschen, daß Ihre Knochen bei einander bleiben sollen!“

„Ich habe ja schon gesagt, daß ich gehen und Sie bleiben lassen werde, was und wie Sie sind. Aber als Ihr Landsmann denke ich, die Pflicht zu haben, Sie vorher zu warnen.“

„Vor wem?“

„Vor den zwölf Reitern, welche heute an Ihnen vorübergekommen sind.“

„Ist nicht nötig. Wir sind selbst so klug, zu wissen, woran wir sind. Die Kerls haben uns gleich nicht gefallen und, als sie uns ausfragen wollten, keine Auskunft erhalten. Sie sehen also, daß Ihre guten Lehren bei uns überflüssig sind.“

Er drehte sich um, zum Zeichen, daß er mit Sam Hawkens nichts mehr zu thun haben wolle. Dieser machte eine Bewegung, sich zu entfernen, blieb aber doch, angetrieben von seinem guten Herzen, wieder halten und sagte:

„Master Schmidt, noch ein Wort!“

„Was?“ fragte der Alte barsch.

„Wenn Ihr wirklich keine guten Lehren braucht, so will ich sie gerne für mich behalten. Gestattet mir nur noch das eine zu fragen. Stehen eure Wagen nur einstweilen so bei einander wie jetzt?“

„Warum diese Frage?“

„Weil dies die allerbequemste Weise ist, bestohlen oder gar überfallen zu werden; hätte ich hier etwas zu gebieten, so würde mit den vier Wagen ein Viereck gebildet, innerhalb dessen alle Menschen und Ochsen – – hihihihi – Menschen und Ochsen während der ganzen Nacht zu bleiben hätten. Dabei müßte von der Dunkelheit an bis zum frühen Morgen ein Posten sorgsam Wache halten.“

„Warum?“

„Weil ihr euch in Avijour befindet und nicht daheim in der Dresdener oder Leipziger Kreisdirektion.“

„Wo wir sind, das wissen wir genau. Um das zu erfahren, brauchen wir keinen Hanswurst zu fragen. Macht Euch also fort von hier, sonst schaffe ich Euch Spannfedern in die Beine!“

Well, gehe schon, wenn ich mich nicht irre, habe es gut gemeint mit euch; aber wenn dem Esel zu wohl ist, so habe ich nichts dagegen, wenn er auf das Eis geht, um eine Polka zu probieren!“

Er drehte sich scharf um und entfernte sich nach dem Dorfe zu. Schmidt fuhr den Kantor unmutig an:

„Da hatten Sie uns einen saubern Kerl gebracht. Sah aus wie ein Harlekin und war dabei doch grob wie Bohnenstroh. Für solche Landsmänner muß ich danken.“

„Aber mit mir ist er vorher sehr zuvorkommend und freundlich gewesen,“ wagte der Emeritus einzuwerfen. „Das war wohl die Folge davon, daß ich ihn hübsch dolce angesprochen habe, wie wir Musikkünstler uns auszudrücken pflegen, während Sie ihm sehr sforzando über den Mund gefahren sind.“

„Weil er wie ein Landstreicher dahergelaufen kam und ––“

Schmidt war von einem lauten Ausrufe unterbrochen worden. Die beiden jungen Männer, welche die Wagen zu Pferde begleitet und von denen die Finders gesprochen hatten, waren am Flusse gewesen, um ihre verstaubten Pferde zu waschen; jetzt kamen sie zurückgeritten. Der eine von ihnen hatte ein sehr intelligentes Gesicht vom Schnitte und der hellen Farbe des Europäers, obgleich die letztere infolge der Sonnenglut beträchtlich gedunkelt war. Er mochte wohl achtzehn Jahre zählen und war von mehr breiter als hoher Figur. Noch interessanter war der Kopf des andern. Seine kühn modellierten Züge waren echt indianisch, doch nicht von der bei den Indsmen gewöhnlichen Schärfe, auch standen seine Backenknochen nicht so weit hervor. Die Farbe seines Gesichtes war ein mattes Bronce, zu welchem das helle Grau seiner scharfen Augen ebenso wie das Mittelblond seines Haares lebhaft kontrastierte. Seine Gestalt war schlanker, doch nicht weniger kräftig als diejenige seines Begleiters, mit welchem er jedenfalls im gleichen Alter stand. Beide waren nach europäischer Art gekleidet und, wie es schien, vortrefflich bewaffnet. Ebenso saßen beide sehr gut zu Pferde, zumal der Grauäugige, welcher mit seinem Tiere wie zusammengegossen schien. Dieser letztere hatte, als er, sich dem Lager nähernd, Sam Hawkens schnell von dannen gehen sah, den Ruf ausgestoßen, durch welchen Schmidt unterbrochen worden war.

„Was gibt’s? Was wollen Sie?“ fragte dieser entgegen.

Der junge Mann trieb sein Pferd schnell näher und antwortete, vor Schmidt anhaltend, in deutscher Sprache doch mit fremdem Accent:

„Wer war der kleine Mann, welcher soeben von hier fortgegangen ist?“

„Warum?“

„Weil er mir bekannt vorkam. Seine Kleidung ist eine andre, und ich habe sein Gesicht nicht gesehen; aber sein Gang fällt mir auf. Hatte er einen Bart?“

„Ja.“

„Das stimmt! Die Augen?“

„Sehr klein.“

„Die Nase?“

„Fürchterlich.“

„Stimmt auch! Hatte er vielleicht falsches Haar?“

„Wie kann ich das wissen? Man fragt doch keinen Menschen bei der ersten Begegnung mit ihm, ob sein Haar echt ist!“

„Das thut man nicht; aber eine Perücke ist vom echten Haare mit dem ersten Blicke zu unterscheiden. Wissen Sie vielleicht, was er ist?“

„Einen Westmann nannte er sich.“

„Auch dieses stimmt. Hat er vielleicht seinen Namen genannt?“

„Ja.“

„Sam Hawkens etwa?“

„Nein. Er heißt Falke und ist ein Deutscher.“

„Sonderbar, aber doch erklärlich! Falke heißt englisch auch hawk. Viele Deutsche nehmen, wenn sie herüberkommen, englische Namen an; warum sollte jemand, der Falke heißt, sich nicht Hawkens nennen? Aber daß Sam Hawkens ein Deutscher ist, das glaube ich nicht; er hat nie davon gesprochen und sich auch stets so als Yankee gegeben, daß er jedenfalls westlich vom Atlantik geboren ist. Aber diese Gestalt und dieser eigentümliche, schleichende Gang! Jeder gute Westmann hat das Anschleichen gelernt; aber so pflegt nur Sam Hawkens zu schleichen. Doch halt, noch eine Frage. hat dieser Mann während des Gespräches vielleicht einmal gelacht?“

„Ja.“

„Wie?“

„Ausgesucht höhnisch, als er von Menschen und von Ochsen sprach.“

„Ich meine, mit welchem Vokale, mit welchem Laute er lachte. Man lacht mit a und mit i, sogar mit e oder mit o.“

„Es war mit i, und mehr ein Kichern als ein Lachen.“

„Wirklich, wirklich?“ fragte der Jüngling in höher interessiertem Tone. „Dann ist er es vielleicht doch gewesen. Sam Hawkens hat ein ganz eigentümliches Hihihihi, wie man es von keinem andern hört; man vernimmt es sehr oft von ihm; es klingt so listig und dabei stillvergnügt; er schluckt es halb in sich hinein. Und noch ein Erkennungszeichen für ihn gibt es: hat er vielleicht eine Redensart wiederholt?“

„Nicht daß ich wüßte.“

„Hat er nicht einigemal gesagt: Wenn ich mich irre?“

„Möglich, daß er etwas dem ähnliches gesagt hat; ich habe nicht darauf geachtet.“

„So war er es doch nicht. Sam Hawkens sagt so oft: Wenn ich mich nicht irre, daß es einem jeden auffallen muß; dies wäre auch hier der Fall gewesen, und ich habe mich also geirrt.“

Er schwang sich, wie sein Gefährte schon gethan hatte, vom Pferde und ließ es laufen. Seine Ahnung hatte ihn nicht betrogen, doch hatte Sam sich seiner Redensart zufälligerweise nicht so oft bedient, daß sie besonders in die Ohren gefallen wäre.

Der Kleine war nach der Schenke zurückgekehrt und hatte sich wieder zu Dick und Will gesetzt. Um doch etwas zu verzehren, ließen sie sich je noch einen Whisky geben, den sie mit Wasser verdünnt tranken. Die Finders lachten über diese Nüchternheit, ließen die Drei aber sonst in Ruhe.

Als es dunkel geworden war, brannte der Irländer eine Laterne an, welche aufgehängt wurde und den Platz vor dem Hause zur Not erleuchtete; in das Innere desselben sollte erst später, beim Essen, gegangen werden. Nach einiger Zeit stand Buttler vom Tische auf, gab dreien seiner Gefährten einen Wink und entfernte sich mit ihnen.

„Das hat irgend einen Zweck,“ sagte Will Parker leise. „Wohin mögen sie wollen?“

„Kannst du dir das nicht denken?“ fragte ihn Sam.

„Nein. Ich bin nicht allwissend.“

„Ich auch nicht; aber wer kein solches Greenhorn wie Will Parker ist, der muß wissen, was sie wollen.“

„Nun, was, altes gescheites Coon?“

„Fleisch.“

„Woher?“

„Von den Auswanderern.“

„Ah, ja! Die haben gewiß Rauchfleisch mit, und das soll ihnen gestohlen werden.“

„Fällt keinem Menschen ein! Die Finders haben Appetit nach frischem Fleische, und da draußen bei den Wagen gibt es sechzehn Ochsen. Weißt du nun, woran du bist, mein süßer Will?“

„Ah, die Ochsen, richtig, richtig!“ nickte der Gefragte.

„Es ist diesen Gentlemen wirklich zuzutrauen, daß sie einen Ochsen stehlen, was viel leichter ist, als in einen bewachten Wagen zu steigen, um einen harten Schinken herauszuholen. Man legt sich auf die Erde, schleicht sich an das Tier und treibt es langsam und vorsichtig vom Lager fort, bis man es sicher hat.“

„So ist es; ja, so wird’s gemacht, hihihihi! Scheinst in früherer Zeit ein feiner Ochsendieb gewesen zu sein, wenn ich mich nicht irre.“

„Schweig, altes Coon! Mir sollten diese Leute leid thun, wenn sie ein Zugtier einbüßen. Ist dir deine Vermutung erst jetzt gekommen?“

„Nein, sondern gleich als Buttler vom Fleische sprach.“

„Und bist bei den Emigranten gewesen und hast sie nicht gewarnt?“

„Wer sagt dir denn, daß ich dies nicht gethan habe? Aber man nannte mich einen Hanswurst, dessen guten Rat niemand braucht. Sam Hawkens ein Hanswurst, hihihihi! Hat mir ungeheuern Spaß gemacht. Bin zwar nicht ganz salonmäßig gekleidet; aber dieser Kantor emeritus sieht doch noch weit eher wie ein Bajazzo aus als ich, wenn ich mich nicht irre.“

„Du lachst. Denkst du denn auch daran, daß wir zum Essen eingeladen sind?“

„Natürlich denke ich daran! Fühle ja einen Hunger wie ein Prairiewolf, dem die Sonne zwei Wochen lang in den leeren Magen geschienen hat.“

„Willst also der Einladung folgen und gestohlenes Fleisch mitessen?“

Yes, sogar sehr!“

„Sam, das wird mir schwer, zu glauben, da du eine so grundehrliche alte Haut bist. Doch thu, was du willst; ich aber mache nicht mit. Gestohlene Ware ißt Will Parker nicht!“

„Sam Hawkens auch nicht, außer er weiß, daß sie hinterher bezahlt wird.“

„Ach, du meinst – – –?“

„Ja,“ nickte der Kleine. „Bin ein Hanswurst genannt worden und mußte mich mit meinem Rate abweisen lassen, werde also nichts verhindern. Strafe muß sein, besonders wenn sie zur Lehre und zur Besserung dient, wie mir scheint. Werde auch mit dem größten Appetit mitessen, dann aber dafür sorgen, daß die Bestohlenen voll entschädigt werden.“

„Wenn das ist, esse ich auch mit. Müssen uns aber dabei sehr in acht nehmen. Sollte mich wundern, wenn uns die Finders ungerupft von dannen lassen wollten.“

„Werden ihre eigenen Federn lassen müssen; paß nur auf!“

Buttler mochte mit seinen Gefährten vielleicht drei Viertelstunden fortgewesen sein, als sie zurückkehrten. Sie brachten eine Rindslende mit, welche in das Haus geschafft wurde, um dort gebraten zu werden. Bis sie gar war, wurden noch mehrere Flaschen Whisky geleert. Als die Negerin endlich meldete, daß der Braten fertig sei, kam Buttler zu dem „Kleeblatt“ herüber, um dasselbe aufzufordern, sich mit in das Innere des Hauses zu begeben.

„Können wir das, was ihr uns spenden wollt, nicht lieber herausbekommen?“ fragte Sam.

„Nein,“ lautete die Antwort. „Wer unser Gast sein will, muß bei uns sitzen. Übrigens wißt ihr vielleicht, daß der Wein nur in Gesellschaft mundet.“

„Wein? Woher soll der hier kommen?“ that Sam erstaunt.

„Ja, woher! Nicht wahr, das wundert euch? Ich sage euch, ihr seid bei echten Gentlemen zu Gaste geladen. Wir haben gesehen, daß ihr keinen Whisky mögt, und darum euch zu Liebe und euch zu Ehren den Wirt überredet, uns das einzige Fäßchen abzulassen, was er noch im Hause hat. Es ist ein Wein, wie ihr wohl noch keinen gekostet habt. Also kommt, Mesch’schurs!“

Er wendete sich nach der Thür, in welcher seine Leute schon verschwunden waren. Dadurch gewann Sam Gelegenheit, seinen Gefährten zuzuraunen:

„Wollen uns betrunken machen und dann ausrauben. Denken, wir haben Kindermagen, weil wir den Giftschnaps des Iren verschmähen. Hihihihi, sollen sich täuschen, wenn ich mich nicht irre! Sam Hawkens trinkt wie ein Kellerloch, und hat man je ein Kellerloch berauscht gesehen? Hört also, Boys: Richtet euch genau nach mir. Wir thun, als könnten wir nichts vertragen, trinken sie aber dennoch alle unter den Tisch.“

„Wenn sie uns nicht vorher schon massakrieren!“ bemerkte Will.

„Fällt ihnen nicht ein! Müßten doch auf Widerstand gefaßt sein. Würden zwar denken, uns überwältigen zu können, zwölf gegen drei, doch nicht ohne daß auch wir ihnen einige Kugeln oder Stiche in das Fleisch geben. Werden es also jedenfalls vorziehen, uns schwer betrunken zu machen, daß wir uns dann nicht zu wehren vermögen. Also keine Sorge, altes Greenhorn! Hast immer Angst. Sam Hawkens aber ist kein solcher Neuling wie Will Parker und weiß ganz genau, wieviel er wagen darf.“

Während dieses kurzen Gespräches thaten sie, als ob sie nach ihren Tieren sähen, die sich in der Nähe befanden, und traten dann in das Haus.

Rechts lag die Küche mit einem höchst primitiven Herd, auf welchem ein Feuer brannte; über diesem hatte die Negerin das Fleisch gebraten. Links standen zwei lange Tafeln, welche aus ungehobelten Pfählen und Brettern bestanden, daran je zwei Bänke aus demselben Materiale. Es war also für alle Anwesenden Platz zum Sitzen vorhanden. Das Weinfaß lag in der Ecke auf einem Klotze; der Ire füllte daraus zwei Krüge, aus denen getrunken wurde. Gläser gab es nicht.

Die Finders hatten sich vorgenommen, wenig zu trinken, bis ihre drei Gäste vollständig berauscht seien. Sie ließen also die Krüge fast ununterbrochen kreisen und thaten so, als ob sie tüchtig tränken, nahmen aber nur kleine Schlucke. Der Wein war aber wirklich gut; er schmeckte ihnen, und so kam es, daß ihre Schlucke immer größer wurden.

Auch der Braten war vorzüglich; man sprach ihm tüchtig zu und war mit ihm schon fast auf die Neige gelangt, als eine Unterbrechung des Mahles eintrat. Es erschien nämlich der schon erwähnte Führer der Auswanderer unter der Thür, hinter ihm der alte Schmidt und dann auch die drei andern Männer. Sie hatten ihre Gewehre bei sich, während diejenigen der Schmausenden weggelegt worden waren. Als sie die Scene kurz überblickt hatten, trat der Führer einige Schritte näher und sagte:

Good evening, Mylords! Erlaubt ihr uns vielleicht, euch gesegnete Mahlzeit zu wünschen?“

„Warum nicht?“ antwortete Buttler. „Würden euch gern einladen, mitzuthun; haben aber schon beinahe aufgegessen; Knochen, die wir euch geben könnten, gibt es nicht.“

„Thut uns leid. Also nicht mal Knochen? Da ist’s wohl gar Lende, was ihr euch geleistet habt?“

Yes, eine feine Büffellende.“

„Laufen hier noch Büffel herum? Es wird wohl ein zahmes Rind gewesen sein?“

„Wohl möglich. Haben es aber als Büffellende gekauft.“

„Wo denn, wenn ich fragen darf?“

„In Rhodes Rancho im Thale von Santa Cruz, an dem wir vorübergekommen sind.“

„Das muß doch einen tüchtigen Pack gegeben haben, und wir haben keinen bei euch bemerkt, als ihr an uns vorüberrittet.“

„Weil jeder sein Stück bei sich trug, wenn Ihr nichts dagegen habt, Sir,“ hohnlächelte Buttler.

Well, Master. Wie aber kommt es denn, daß uns ein Ochse fehlt?“

„Fehlt euch ein Ochse? Ah, wie viele seid ihr denn gewesen?“

Die Finders belohnten diesen groben Witz mit einem schallenden Gelächter. Der Führer ließ sich dadurch nicht irre machen und fuhr fort:

„Ja, ein Zugochse ist uns abhanden gekommen. Habt ihr vielleicht eine Ahnung, Gentlemen, wohin er ist?“

„Habt ihr ihn uns vielleicht zur Bewachung anvertraut? Sucht ihn doch!“

„Das thaten wir natürlich und haben ihn gefunden.“

„So seid froh, Sir, und laßt uns mit diesem euerm Ochsen in Ruhe! Wir haben mit dem Beeste nichts zu schaffen.“

„Wahrscheinlich doch! Die Sache ist nämlich die, daß er fortgelockt und erstochen worden ist, mit einem schönen, regelrechten Stiche zwischen die beiden betreffenden Wirbel, einem Stiche, der den sofortigen und lautlosen Tod des Tieres zur Folge hatte. Das ist ganz die Art und Weise der Rinderdiebe, ihre Beute gleich in der Nähe abzuschlachten.“

Well. So denkt ihr also, der Ochse sei euch gestohlen worden?“

„Das denken wir nicht nur, sondern wir sind überzeugt davon.“

„So jagt den Dieben nach! Vielleicht erwischt ihr sie. Das ist der einzige und beste Rat, den ich euch geben kann.“

„Wir haben ihn bereits befolgt. Sonderbarerweise nämlich fehlt an dem erstochenen Ochsen gerade nur die Lende!“

„Das finde ich nicht sonderbar, sondern ganz erklärlich. Die Diebe haben wohl gewußt, daß die Lende das beste und schmackhafteste Stück eines Rindes ist.“

Well, sie sind also gleicher Ansicht mit euch gewesen, da ich ja sehe, daß euer Braten grad auch Lende war, wahrscheinlich die Lende eines Zugochsen, nicht aber diejenige eines Büffels.“

Da stand Buttler von der Bank, auf welcher er sitzen geblieben war, auf und fragte in drohendem Tone:

„Was soll das heißen, Sir? Bringt Ihr etwa unsern Braten mit der Lende des gestohlenen Rindes zusammen?“

„Ja, das thue ich allerdings, und ich hoffe, daß ihr nichts dagegen habt.“

Im Nu hatte Buttler sein Gewehr in der Hand, und auch seine Gefährten sprangen auf, die ihrigen zu ergreifen.

„Mann,“ rief er dem Führer zu, „wißt Ihr, was Ihr thut, was Ihr wagt? Wollt Ihr etwa behaupten, wir seien die Diebe, welche Ihr sucht? Seht diese zwölf Gewehre auf Euch gerichtet, und wiederholt die Anschuldigung, welche Ihr ausgesprochen habt!“

„Fällt mir nicht ein! Ich habe meine Pflicht gethan und bin nun fertig. Ich bin der Führer der Männer, welche da hinter mir stehen; sie sind Deutsche und können nicht englisch sprechen. Was ich sagte, habe ich in ihrem Namen gesagt und kann nun gehen. Ich bin ihr Scout, aber nicht ihr Ochsenhirt; was nun zu thun ist, mögen sie selber thun.“

Er drehte sich um und ging fort. Dieser Mann hatte von seinem Standpunkte aus ganz recht; er war ein Mietling und that nur das, wofür er bezahlt wurde. Er hatte eigentlich schon zuviel gethan, indem er sich eines abhanden gekommenen Rindes wegen vor die drohenden Läufe dieser gefährlichen Leute wagte. Die Deutschen hatten wahrscheinlich gemeint, er werde diese Angelegenheit zu Ende führen, denn sie standen, als er sich entfernt hatte, zunächst wie ratlos da, bis dem alten Schmidt ein Auskunftsmittel in den Sinn kam. Er wendete sich nämlich an Sam Hawkens, welcher mit seinen beiden Freunden ruhig weitergegessen und scheinbar auf sonst nichts geachtet hatte.

„Herr Falke, haben Sie gehört, was unser Führer gesagt hat?“

„So ziemlich,“ antwortete der Kleine, indem er ein Stück Fleisch in den Mund schob.

„Wir haben es nicht verstanden. Hielt er diese Leute für die Diebe?“

„Ja.“

„Und das sagte er ihnen?“

„Ja.“

„Was war die Folge?“

„Die Folge? Hm, die Folge war, daß er dann fortging.“

„Alle Teufel! Soll ich mir etwa meinen Ochsen stehlen lassen!“

„Sollen? Sie haben sich ihn stehlen lassen, wenn ich mich nicht irre.“

Bei diesen letzteren Worten, auf welche er besonders aufmerksam gemacht worden war, horchte Schmidt auf. Dann fuhr er fort:

„Das muß aber doch bestraft werden!“

„Von wem?“

„Vom Gerichte. Und ich muß Schadenersatz bekommen!“

„Von wem?“

„Von den Spitzbuben.“

„So redet mit dem Gerichte und auch mit den Spitzbuben.“

„Ich verstehe ja nicht englisch!“

„Ihr könntet auch nichts machen, wenn Ihr es verständet.“

„So helfen Sie mir doch! Sie sind ein Deutscher, also ein Landsmann von uns und müssen sich unsrer annehmen.“

„Ich muß? Was könnt Ihr von der Hilfe eines Hanswurstes erwarten? Hättet Ihr meinen Rat befolgt, eine Wagenburg gebildet und Euer Vieh bewacht, so wäre Euch der Ochse nicht gestohlen worden. Ich kann nichts für Euch thun, gar nichts.“

„Aber hier sitzen, mit den Spitzbuben gemeinschaftliche Sache machen und von dem gestohlenen Braten essen, das können Sie wohl, nicht?“

„Ja, das kann ich, denn ich bin von ihnen zum Mitessen eingeladen worden, wenn ich mich nicht irre.“

Wieder horchte Schmidt auf, als er diese Worte hörte. Das war ja genau die Redensart, deren sich Sam Hawkens zu bedienen pflegte! Dann stieß der Deutsche den Kolben seines Gewehres wütend auf den Fußboden und rief:

„Dann danke ich für die Landsmannschaft und werde mir selber helfen!“

„Wie wollt Ihr das anfangen?“

„Ich zwinge diese Schufte, mich zu bezahlen!“

„In welcher Weise?“

„Durch Gewalt. Wir sind vier Personen und haben unsre Gewehre!“

„Und hier stehen zwölf verwegene Männer euch gegenüber, welche ebenso gute Gewehre besitzen. Begeht keine Dummheit! Der Ochse ist dadurch, daß ihr euch in eine offenbare Lebensgefahr begebt, nicht wieder lebendig zu machen.“

„Das weiß ich auch; aber wo bleibt das Geld, welches er mich kostet?“

„Diese Leute haben kein Geld, und selbst wenn sie welches besäßen, würdet Ihr es ihnen durch Gewalt nicht abzuzwingen vermögen.“

„Soll ich etwa List anwenden?“

„Dazu seid Ihr nicht der Mann. Ein Bär ist kein Fuchs und ein Tolpatsch kein Pfiffikus, wenn ich mich nicht irre.“

Schon wollte Schmidt wegen des Tolpatsches eine grobe Antwort geben, als die letzteren Worte ihn von diesem Vorhaben abbrachten. Er fragte rasch:

„Wenn ich mich nicht irre! So haben Sie jetzt schon dreimal gesagt. Heißen Sie wirklich Falke?“

„Ja, wenn ich mich nicht irre.“

„Und bringen doch immer diese Worte, welche die Redensart eines andern Westmannes sein sollen.“

„Welches Mannes?“

„Schi-So hat mir seinen Namen gesagt; ich habe ihn aber wieder vergessen.“

„Schi-So?“ fragte Sam, sichtlich überrascht. „Wer ist das?“

„Ein junger Begleiter von uns, der Sohn eines Navajohäuptlings, welcher Nitsas-Ini heißt.“

Da machte Sam eine Bewegung der Freude und rief aus:

„Nitsas-Ini? Sein Sohn ist bei euch? Kommt er aus Deutschland zurück?“

„Ja; er ist mit uns herübergefahren.“

„Ausgezeichnet, ausgezeichnet! Da es so steht, sollen Sie mich nicht umsonst um meinen Beistand gebeten haben. Kehren Sie nun ruhig in Ihr Lager zurück; Sie werden Ihren Ochsen ersetzt bekommen.“

Hatte er vorher Ihr zu ihm gesagt, so begann er nun, ihn Sie zu nennen. Die Nachricht, welche er soeben empfangen hatte, mußte ihn also umgestimmt haben.

„Das sagen Sie wohl nur, um mich loszuwerden?“ fragte Schmidt mißtrauisch.

„Nein. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie volle Entschädigung erhalten werden, und vielleicht noch mehr als das. Wieviel hat der Ochse gekostet?“

„Hundertdreißig Dollar.“

„Die erhalten Sie. Ich sage es Ihnen, und also ist es wahr, wenn ich mich nicht irre.“

„Schon wieder: Wenn ich mich nicht irre! So sind Sie wohl der Westmann, welchen Schi-So meint?“

„Jedenfalls bin ich es, denn ich weiß, daß mir diese Worte sehr oft über die Zunge schlüpfen, ohne daß ich es beabsichtige. Es ist eine Angewohnheit von mir, welche abzulegen ich mir vergeblich Mühe gegeben habe. Ich habe Schi-So früher sehr oft gesehen, wenn ich mich als Gast bei dem Stamme seines Vaters befand. Sagen Sie ihm, daß ich mit dem Frühesten hinaus in das Lager kommen werde, um ihn zu begrüßen. Wo befand er sich denn, als ich gegen Abend draußen war?“

„Er war nach dem Flusse geritten.“

„Und Ihr Scout, den ich auch nicht sah?“

„Der war fort, um vielleicht einen wilden Truthahn zu schießen. Ich werde ihm eine Predigt darüber halten, daß er uns hier so schmachvoll verlassen hat.“

„Das wird Ihnen keinen Nutzen bringen. Wenn Sie ihn nicht dafür bezahlen, daß er Sie und alle Ihre Habe vor jeder Gefahr zu schützen hat, können Sie nicht verlangen, daß er sich selbst in Gefahr begibt. Also gehen Sie jetzt! Ihr längeres Bleiben hat keinen Zweck, sondern nur den Erfolg, diese Leute hier noch mehr gegen Sie aufzuregen.“

„Sie werden aber Wort halten?“

„Gewiß; Sie können sich darauf verlassen.“

„So will ich gehen, und niemals wieder soll es mir vorkommen, daß ich mir etwas stehlen lasse.“

„Wenn Sie nicht verständiger handeln, als Sie heut gehandelt haben, werden Sie noch oft Schaden erleiden, bis Sie endlich klüger geworden sind.“

„Haben Sie keine Sorge. Ich werde von jetzt an sehr darauf achten, wenn mir jemand einen guten Rat erteilt.“

„So will ich das benutzen und Ihnen gleich jetzt den Rat geben, niemals wieder, wenigstens im wilden Westen nicht, einen Menschen nach dem Anzuge zu taxieren, den er auf dem Leibe trägt. Kleider machen hier nicht Leute; das merken Sie sich!“

Als Schmidt mit seinen drei Männern das Haus verlassen hatte, fragte Buttler den Kleinen:

„Wir haben kein Wort verstanden. Was meinte denn der Kerl?“

„Er verlangte Schadenersatz.“

„Und was habt Ihr geantwortet?“

„Ihn fortgeschickt.“

Sam sagte damit keine Lüge, aber auch nicht, daß er Ersatz versprochen hatte. Der Finder fühlte sich befriedigt und meinte:

„Es war sein Glück, daß er Euch gehorcht hat. Wir sind nicht gewohnt, mit Deutschmen viel Federlesens zu machen. jetzt aber setzt Euch wieder nieder. Wir wollen zeigen, daß diese Dummköpfe uns den Appetit nicht verdorben haben.“

Das Essen und Trinken begann von neuem; das erstere währte nicht lange mehr, da nur der Rest noch zu verzehren war; desto mehr wurde sich dann auf das letztere verlegt. Als das Faß halb geleert war, gab sich Sam den Anschein, als ob der Wein eine berauschende Wirkung auf ihn zu äußern beginne, und Dick und Will folgten seinem Beispiele. Das freute die Finders außerordentlich; sie sahen ihre Absicht gelingen, glaubten, daß es nur noch kurzer Zeit bedürfen werde, ihre Opfer einzuschläfern, und sprachen nun den Krügen noch mehr als vorher zu. So verging Viertelstunde auf Viertelstunde. Sam that, als ob er nur noch mit Mühe die Augen offen zu halten vermöge; den Finders begannen die ihrigen auch zuzufallen, doch nicht zum Scheine, sondern aus wirklicher Betrunkenheit; sie hatten vorher zuviel Schnaps zu sich genommen.

Der erste, welchen das Trinken vollständig übermannte, war der Irländer. Er setzte sich am Herde nieder, schlief ein, nickte tiefer und immer tiefer und fiel dann endlich, ohne aufzuwachen, auf den Boden nieder, so lang er war.

Sam hatte dem Anführer sehr fleißig zugetrunken, und dieser bekam einen solchen Rausch, daß er den Kopf in die Hände und die Ellenbogen auf die Tafel stemmen mußte, um ihn zu halten. Er merkte sehr wohl, daß der Wein ihn übermannen wolle, und gedachte, sich keine Blöße vor seinen Leuten geben zu dürfen. Darum blinzelte er ihnen verstohlen, wie er meinte, zu; sie sollten denken, daß er sich bloß verstelle. Die ganz natürliche Folge davon war, daß sie glaubten, sich denselben Anschein geben zu sollen, dies war ihnen außerordentlich lieb, und so trat in der erst so lauten und beweglichen Gesellschaft bald die größte Ruhe und Stille ein.

Da stand Hawkens auf, um die Krüge zu füllen. So lange noch ein Tropfen in dem Fasse war, weckte er bald den einen, bald den andern auf, um ihn zum Trinken zu nötigen.

Endlich war das Faß leer und die Finders schliefen alle einen tiefen, tiefen Schlaf, aber nicht den der Gerechten. Sam machte die Probe, indem er einige von ihnen weckte. Sie lallten, ohne zur richtigen Besinnung zu gelangen, unverständliches Zeug und fielen wieder zusammen. Einer von ihnen stierte mit leblosen Augen vor sich hin und fragte:

„Sind sie nun endlich betrunken, Buttler?“

„Ja, ganz und gar,“ antwortete Sam.

„Dann hinaus mit ihnen und das Messer zwischen die Rippen; dann teilen wir das Geld und scharren sie ein.“

Und als Sam nichts dazu sagte, fuhr er mit Iallender Zunge fort:

„Was redest du nicht? Willst du sie etwa laufen lassen? Das geht nicht; ihr Tod ist beschlossen. Soll ich –- mit –- meinem –-Messer–anfangen?“

„Ja,“ sagte Hawkens.

„Dann – – nehme ich – – den kleinen – – Di – – Di – – Dicken und – – –“

Er griff mit der Hand nach dem Gürtel, um sein Messer zu ziehen, stand auf, konnte sich aber nicht halten und glitt auf den Boden nieder, wo er ohne Besinnung liegen blieb.

„Da haben wir es gehört,“ flüsterte Dick Stone. „Ermordet sollen wir werden, und nachdem man uns ausgeraubt hat, will man uns verscharren. Du hattest mit deiner Vermutung also das Richtige getroffen, alter Sam. Was thun wir nun?“

„Das Einfachste: wir fesseln sie. Riemen und Schnüre wird es wohl im Hause geben.“

Ja, es gab deren genug, und bald hatten die Drei die Finders nicht nur, sondern auch den Wirt und die alte Negerin, welche auch schwer betrunken war, an Händen und Füßen gefesselt. Nun ließ Sam seine beiden Genossen als Wächter zurück und ging nach dem Lagerplatze der deutschen Emigranten. Als er sich demselben näherte, hörte er eine jugendliche Stimme rufen:

Who is there? I shoot – wer ist da? Ich schieße!“

„Sam Hawkens ist’s,“ antwortete er.

„Schon? Das ist prächtig! Tretet näher, Sir! Daß Ihr so bald kommt, ist ein gutes Zeichen, wie ich vermute?“

„Kann auch ein schlimmes sein. Wie nun, wenn ich hätte fliehen müssen?“

„Dann wären Eure beiden Gefährten bei Euch. Ohne die flieht Ihr gewiß nicht; also meine ich, weil sie im Dorfe geblieben sind, daß es dort gut stehe. Kommt herein, Sir; steigt über diese Wagendeichsel!“

„Bin zu klein dazu; will lieber drunterweg kriechen.“

Sam bemerkte, daß man mit den Wagen ein Viereck gebildet und die Tiere in dasselbe getrieben hatte. Sein Rat war also befolgt worden, doch leider erst dann, als man durch Schaden klug geworden war. Der, welcher die Wache gehabt und ihn angerufen hatte, streckte ihm die Hand zum Gruße entgegen. Es war Schi-So, der Indianerhäuptlingssohn. Er hatte im reinsten Englisch gesprochen. Jetzt fragte ihn Sam:

„Hoffentlich sprechen Sie deutsch, junger Freund, da Sie sechs Jahre in Deutschland gewesen sind?“

„Ziemlich gut.“

„So lassen Sie uns die Schläfer wecken und deutsch sprechen, da sie Deutsche sind. Doch horch! Wer kommt da?“

Sie horchten in die Nacht hinaus. Man hörte Pferdegetrappel vom Dorfe her.

„Ein Reiter ist’s, ein einzelner,“ flüsterte Schi-So. „Wer mag das sein?“

„Es ist kein Reiter; diesen Hufschlag kenne ich sehr genau. Es ist meine alte, gute Mary, welche mir nachgelaufen kommt. Sie kennen sie von früher her?“

„Ja, ich kenne sie. Aber bitte, sagen Sie nicht Sie, sondern Du zu mir! Ich bin Indsman und will ein solcher bleiben und den Gewohnheiten meines Stammes nicht untreu werden.“

„Recht so, mein junge! Bist also da drüben nicht stolz geworden? Da wird der alte Sam dich lieb behalten. Hast mir viel zu erzählen, doch ist jetzt nicht die Zeit dazu; müssen es für später aufheben.“

Das Maultier kam bis an die Wagendeichsel heran, an welcher Sam noch immer stand, und rieb den Kopf an seiner Schulter. Durch das laute Sprechen waren die Schläfer wach geworden; sie kamen herbei, um zu fragen, wer gekommen sei; sie konnten Sam nicht sehen, weil das Feuer verloschen war. Er wurde von Schmidt ganz anders empfangen als beim ersten Male und erteilte die Weisung, daß es wieder angebrannt werden solle. Als das Feuer den Platz beleuchtete, verlangte er zunächst, die Namen der Anwesenden kennen zu lernen. Schi-So stellte ihm die Personen vor. Die drei jüngeren, aber auch verheirateten Auswanderer hießen Strauch, Ebersbach und Uhlmann; Schi-So’s junger Freund wurde Adolf Wolf genannt. Mehr wollte Sam nicht wissen; er meinte, das Nähere könne er später erfahren, und jetzt müsse man sich zunächst mit der Gegenwart beschäftigen. Die Frauen und Kinder, unter denen keine kleinen waren, kamen auch herbei; der Scout konnte selbstverständlich nicht fern bleiben, und so waren alle beisammen, als Sam in seiner eigenartigen Weise von seinem heutigen Zusammentreffen mit den Finders zu erzählen begann. Außer dem jungen, blonden Indianer hatte ihn bisher keiner der Anwesenden gekannt. Als sie hörten, in welcher Weise er die Wetten gewonnen und dann die Finders in den Schlaf getrunken und dann sich ihrer Personen versichert hatte, erkannten sie trotz der Einfachheit und Bescheidenheit seiner Darstellungsweise, daß dieses kleine, sonderbare Männchen keineswegs ein gewöhnlicher Westläufer oder gar Herumstreicher sei. Das fühlte auch der alte Schmidt; darum streckte er ihm, als die Erzählung zu Ende war, die Hand entgegen und sagte in entschuldigendem Tone:

„Ich sehe ein, daß ich Sie um Verzeihung bitten muß; ich habe Sie verkannt. Hoffentlich tragen Sie es mir nicht nach?“

„Werde mich hüten!“ lachte der Kleine. „Habe an mir selbst genug zu tragen und werde mich also nicht auch noch mit andrer Leute Fehler schleppen. Der Hanswurst ist vergeben und soll auch vergessen sein, wenn ich mich nicht irre.“

„Sie behaupten also, daß diese zwölf Personen die Finders sind?“

„Ja.“

„Daß Sie mit Stone und Parker ermordet werden sollten?“

„Ja.“

„Und daß diese Spitzbuben auch uns überfallen und ausrauben wollten?“

„Auch das.“

„So liegen Gründe genug vor, sie alle um den Hals oder wenigstens in das Zuchthaus zu bringen. Wir werden sie also während dieser Nacht bewachen und morgen dann der Behörde übergeben.“

„Nein, das werden wir nicht.“

„Was denn?“

„Sie laufen lassen.“

„Laufen lassen? Solche Verbrecher, denen Sie soeben mit heiler Haut entgangen sind? Haben Sie ein Gehirn im Kopfe?“

„Vielleicht steckt’s drin; in den Stiefeln wenigstens habe ich es nicht, Master Schmidt. Man merkt es wohl, daß Sie eben jetzt von drüben herüberkommen und noch fremd im Lande sind. Wenn Euch drüben jemand einen Schafskopf nennt, so schleppt Ihr ihn schnell vor den Richter; hier aber macht man das anders. Selbst ist der Mann! Welche Behörde meinen Sie? Wo gibt es eine? Und wenn, hat sie auch die nötige Gewalt? Kann ich beweisen, was ich behaupte?“

„Ich denke doch!“

„Nein. Ich halte diese Männer für die Finders, weil sie ihrer zwölf sind und einer von ihnen Buttler heißt. Ist das vor dem Richter ein Beweis? Ich behaupte, daß man uns ermorden wollte, denn ein total Betrunkener hat es geschwatzt. Ich sage Ihnen, daß Sie überfallen werden sollen, denn ich vermute es. Was wird der Richter dazu meinen? Und wenn er die Anzeige annimmt und die Finders einsperrt, so haben wir Aufenthalt und eine Menge Scherereien, daß wir himmelblau vor Ärger werden.“

„Nun wohl! Sie sagten: Selbst ist der Mann. Bilden wir also selbst ein Gericht. Wir verurteilen die Spitzbuben zum Tode und geben jedem von ihnen eine Kugel.“

„Soll mich Gott behüten! Ich bin kein Mörder. Nur in direkter Verteidigung meines Lebens bin ich im stande, Menschenblut zu vergießen.“

„Also wollen Sie sie wirklich entlaufen lassen?“

„Ja.“

„Und sie sollen keine Strafe bekommen?“

„Doch! Grad deshalb, weil sie bestraft werden sollen, will ich sie laufen lassen.“

„Herr, das ist ja gar nicht möglich; das ist widersinnig! Wollen Sie mich etwa foppen?“

„Habe keine Lust dazu. Würde keine Ehre einbringen, einen Neuling zu foppen. Widersinnig, sagen Sie? Master Schmidt, die Sache hat den besten Sinn, den es geben kann, wenn ich mich nicht irre. Es gehört dazu nichts weiter als ein wenig Grütze im Kopfe. Haben Sie welche drin, hihihihi?“

„Herr, Ihr werdet beleidigend!“ brauste Schmidt auf, der trotz seines vorhin gegebenen Versprechens sein Temperament nicht bezähmen konnte.

„Beleidigend? Nein. Spreche nur stets so, wie mit mir geredet wird. Haben mich vorhin auch gefragt, ob ich ein Gehirn im Kopfe habe. Werde Ihnen erklären, daß kein Widersinn vorhanden ist. Wir haben jetzt keine Beweise, sondern nur Vermutungen; müssen also nach Beweisen fischen. Lassen wir die Kerls jetzt laufen, so überfallen sie Ihren Wagenzug, und wir nehmen sie beim Schopfe; dann besitzen wir den Beweis, der ihnen an den Kragen gehen wird, wenn ich mich nicht irre.“

„Wie? Überfallen sollen wir uns lassen?“

„Ja, freilich.“

„Da begeben wir uns aber doch in eine Gefahr, in welcher wir umkommen können!“

„Denke nicht daran! Kommt ganz darauf an, wo man das Pferd aufzäumt, ob beim Kopfe oder beim Schwanze. Verlassen Sie sich nur auf mich! Sam Hawkens, dieses alte Coon, wird schon eine List ausfindig machen, in welcher diese Finders stecken bleiben müssen. Werden noch weiter darüber sprechen. Muß mich auch mit Dick Stone und Will Parker bereden. Die Hauptsache ist jetzt zunächst die Erfüllung meines Versprechens: Schadenersatz für den gestohlenen und getöteten Ochsen. Wollen Sie ihn sich jetzt holen?“

„Wenn ich ihn bekommen kann, sofort. Nur fragt es sich, ob die Finders die ganze Summe bezahlen werden.“

„Warum sollten sie nicht?“

„Weil sie nur die Lende genommen und wir uns das andere zurückgeholt haben, um es selbst zu verzehren.“

„Bleibt sich gleich; der Ochse ist tot und muß bezahlt werden. Also kommen Sie jetzt, sich den Ersatz zu holen! Aber hüten Sie sich dabei, mich bei meinem hiesigen Namen Sam Hawkens zu nennen! Ich habe meine guten Gründe, diesen Menschen denselben noch nicht wissen zu lassen.“

„Wer von uns soll alles mit nach dem Dorfe gehen?“

„Nur Sie allein, Master Schmidt; mehr brauchen wir nicht. Die andern mögen hier bleiben, sich zum Aufbruche rüsten und die Ochsen an die Wagen spannen, damit Ihr Zug nach unsrer Rückkehr sofort nach Tucson aufbrechen kann.“

„Jetzt schon, noch während der Nacht? Wir müssen doch ausruhen und wollten erst am Morgen fort.“

„Das wird nun nicht möglich sein. Wie die Verhältnisse jetzt liegen, müssen Sie unbedingt auf die fernere Nachtruhe verzichten.“

Da ertönte von dort, wo die Frauen sich befanden, eine tiefe kräftige Baßstimme im ausgesprochensten sächsischen Dialekte.

„Hörn Se, daraus wird nischt! Der Mensch will seine ordentliche Ruhe haben und das Vieh ooch. Es wird also hier geblieben!“

Sam blickte die Sprecherin verwundert an. Einen Einspruch von weiblicher Seite, und noch dazu in diesem Tone, hatte er nicht erwartet. Sie war eine starkknochige Gestalt von sehr männlichem, resolutem Aussehen. Hätte das Feuer heller gebrannt, oder wäre es Tag gewesen, so würde der Kleine bemerkt haben, daß unter ihrer scharf gebauten Nase sich eine dunkle Linie hinzog, welche man beim besten Willen doch nicht anders als einen Schnurrbart nennen konnte.

„Ja, gucken Sie nur immer her!“ fuhr sie fort, als sie den befremdeten Blick des Westmannes auf sich gerichtet sah. „Es wird nich andersch. Bei Tage wird gefahren und bei Nacht geschlafen. Da könnte jeder kommen und unsre Ordnung über den Haufen werfen!“

„Aber mein Vorschlag zielt nur auf Ihre Sicherheit, auf Ihren Vorteil hin, liebe Frau,“ antwortete Sam.

„Das machen Sie mir nich weiß!“ entgegnete sie wegwerfend. „Een ordentlicher Mensch treibt sich nich so mitten in der Nacht und bei solcher Finsterheet in Amerika herum. ja, wenn’s derheeme wär, da ließ ich mersch gefallen; aber in fremden Erdteelen wartet man hübsch ruhig, bis es Tag geworden is. Verschtehen Se mich?“

„Freilich verstehe ich Sie, liebe Frau; aber ich denke, –“

„Liebe Frau?“ unterbrach sie ihn. „Ich bin gar nich Ihre liebe Frau! Wissen Se, wer ich eegentlich bin und wie ich heeße?“

„Natürlich sind Sie die Gattin eines dieser vier Gentlemen.“

„Gentlemen! Reden Se doch deutsch, wenn Se eene deutsche Frau vor sich haben! Ich bin die Frau Eberschbach, geborene Morgenschtern und verwitwete Leiermüllern. Der da“ – – – dabei deutete sie auf einen der drei jüngeren Auswanderer – – „is mein gegenwärtiger Gemahl und Ehemann, Herr Schmiedemeester Ebersbach; so wird’s nämlich geschrieben, gesprochen aber Eberschbach. Und daß Sie’s gleich von vorn’rein wissen, er tanzt nich etwa so, wie Sie pfeifen, sondern er hat sich nach mir zu richten, weil ich elf Jahre älter bin und also mehr Verschtand und Erfahrung haben muß als er. Ich bleibe hier und er folglich ooch. Bei nachtschlafender Zeit wird nich in der Welt herumgefahren.“

Da keiner der Emigranten eine Entgegnung aussprach, so ließ Sam Hawkens seine lebhaften Äuglein lustig im Kreise herumgehen und meinte dann:

„Wenn die Herren gewohnt sind, dieser sehr energischen Lady zu gehorchen, so kann ich allerdings nur bitten, wenigstens für dieses Mal eine Ausnahme zu machen.“

Er wollte weiter sprechen; sie aber fiel ihm schnell in die Rede:

„I was Se nich sagen! Eene Ausnahme! Als ob ich mer das gefallen ließe! Da kennen Se mich schlecht! Was gucken Se mich denn so an? Se brauchen keen solches Gesicht zu machen. Wissen Se, ich bin’s, nach der man sich hier zu richten hat, ich; verschtehn Se mich? Wer hat denn die ganzen Kosten bezahlt? Für die Überfahrt und nachher ooch für den Landweg bis hierher? Und wer wird noch weiter herborgen müssen? Ich! Ich bin’s Kapital! jetzt wissen Se alles, und nun woll’n mer wieder schlafen gehn!“

Wieder sagte keiner der Männer ein Wort dagegen, selbst Schmidt nicht, der doch der Anführer zu sein schien und vor Abend gegen Sam so kräftig aufgetreten war. Darum stand dieser letztere vom Feuer, an welchem er gesessen hatte, auf und sprach in gleichgültigem Tone:

„Ganz wie Sie wollen. Sagen wir also gute Nacht, wenn ich mich nicht irre. Es ist das letzte Mal, daß Sie es thun, denn ich bin überzeugt, daß der heutige Schlaf Ihr letzter ist, hihihi!“

Er wendete sich zum Gehen; da stand die Frau auch schnell auf, hielt ihn am Arme fest und fragte:

„Unser letzter Schlaf? Wie meenen Se das, Sie kleenes Männchen Sie?“

Sie war allerdings, als sie so neben ihm stand, um einen Kopf länger als er. Er that, als hätte er diese Bezeichnung nicht gehört, und antwortete:

„Ich meine, daß Sie früh nicht wieder aufwachen werden.“

„Warum denn nich?“

„Weil Sie tot sein werden.“

„Tot? Das fällt mir gar nich ein! Frau Rosalie Eberschbach schtirbt noch lange nich!“

„Glauben Sie, daß die zwölf Vagabunden, mit denen Sie es zu thun haben, gesonnen sein werden, sich nach Frau Rosalie Ebersbach zu richten?“

„Die können uns nischt thun; die sind gefangen und gebunden, wie Sie uns erzählt haben.“

„Sie werden sich aber frei machen und über Sie herfallen, sobald ich mich mit meinen beiden Kameraden aus der Schenke entfernt habe.“

„Sie wollen sich entfernen, wollen fort?“

„Natürlich!“

„Wohin?“

„Nach Tucson.“

„Warum aber denn? Es is doch eegentlich Ihre Pflicht, diese Gefangenen zu bewachen, bis wir uns in Sicherheet befinden! Was soll ich denn von Ihnen denken, wenn Sie uns im Schtiche lassen und von hier verschwinden wie Butter an der Sonne!“

„Denken Sie, was Sie wollen!“

„Schöne Rede das, sehr schöne Rede! Haben Se denn noch nich gehört, daß Männer gegen Damen uffmerksam zu sein und sie zu beschützen haben? Und Frau Rosalie Eberschbach is eene Dame, verschtanden!“

„Ganz richtig; aber wer sich unter meinen Schutz begibt, der hat sich nach mir zu richten. Auch verstanden? Sie sollen überfallen werden. Geschieht das hier, nachdem Sie sich wieder schlafen gelegt haben, so sind Sie verloren. Geschieht es nicht, so können wir nichts beweisen. Um den Beweis zu führen, müssen wir nach Tucson, wo ich den Kommandanten ersuchen will, uns ein Detachement Soldaten zur Hilfe zu geben. Dann sind wir den Finders auch an Zahl so überlegen, daß wir sie ergreifen können, ohne daß es zum Schusse kommt und einer von uns verwundet wird. Darum müssen wir sofort aufbrechen, um schon am Morgen in Tucson zu sein und die Falle, welche wir den Finders stellen wollen, fertig zu haben, ehe sie dieselbe bemerken. Können Sie das begreifen, Frau Ebersbach, geborene Leiermüller?“

„Warum haben Se das nich gleich gesagt?“ fragte sie in ganz anderm Tone. „Übrigens bin ich als Leiermüllern verwitwet, nich aber geboren. Wenn Sie so vernünftig mit mir reden wie eben itzt, bin ich ooch vernünftig. Ich bin nämlich ooch nich uff den Kopp gefallen; das können Sie sich merken. Also wollen wir die Ochsen anschpannen und uns zum Weiterfahren fertig machen. Aber daß nur Schmidt mit Ihnen gehen soll, daraus wird nischt. Ich will mer diese Kerls ooch ansehen. Warten Se een bißchen; ich will mer eene Flinte holen.“

Sie ging zu ihrem Wagen, in welchem sich das Gewehr befand. Als sie mit demselben zurückkehrte, wurde sie von ihrem Manne gebeten:

„Bleib da, Rosalie! Das ist nichts für Frauen. Ich werde an deiner Stelle mitgehen.“

„Du?“ antwortete sie. „Du wärscht der Kerl dazu! Schpiel dich nur nich etwa als Mann und Helden uff ; du weeßt, daß ich das een für allemal nich leiden kann. Du bleibst also und wartest, bis ich wiederkomme!“

Sie wendete sich zu Sam, welcher, leise vor sich hinkichernd, mit ihr und Schmidt nach dem Dorfe ging. Als sie die Schenke erreichten und in dieselbe traten, waren die Finders infolge der drückenden Fesseln aus ihrem betäubenden Rausche erwacht, und Buttler sprach eben zornig auf Stone und Parker ein.

„Was will der Mann?“ fragte Sam Hawkens die beiden.

„Was soll er wollen,“ antwortete Stone. „Wundert sich natürlich darüber, daß wir sie haben und nicht sie uns. Fragt, ob dies der Dank dafür sei, daß wir mit ihnen essen und trinken durften.“

„Ja,“ rief Buttler in grimmigem Tone, indem er an seinen Banden zerrte und sich bemühte, wenigstens den Oberkörper aufzurichten, „was ficht euch an, uns im Schlafe in dieser Weise zu behandeln? Wir haben euch gastlich aufgenommen, euch nicht beleidigt, nicht das mindeste gethan und dafür seid – – –“

„Nicht das mindeste gethan?“ unterbrach ihn Sam. „Glaube wohl, daß euch das ungeheuer ärgert – übrigens wozu die vielen Worte: wir wissen und kennen eure Absichten, denen wir zum Opfer fallen sollten, und zum Danke dafür gedenken wir euch dem Richter auszuliefern.“

Da lachte Buttler höhnisch auf und fragte:

„Und der wird euch ohne Beweise glauben?“

„Ihr habt euch in eurem Rausche verschnappt.“

„Und selbst wenn es so wäre, wird kein Richter auf das Wort eines Schwertrunkenen hören. Eure Beweise stehen auf schwachen Füßen, Sir. Mag der Richter erscheinen; wir werden ihm ruhig entgegensehen. Was haben wir euch gethan? Euch nicht ein einziges Haar gekrümmt!“

„Weil wir so klug waren, euch zuvorzukommen. Sehen aber freilich ein, daß eine Anzeige nichts taugt. Könnten zwar beschwören, was wir von euch gehört haben, würden aber so viel Zeit mit euch und dem Richter verlieren, daß wir lieber davon absehen.“

„Das ist der beste Gedanke, den ihr zum Vorteile für euch haben könnt. Nun hoffe ich aber auch, daß ihr die Fesseln von uns nehmt!“

„Nicht so stürmisch, Sir! Haben vorher noch ein Wort mit euch zu reden.“

„So macht schnell! Was wollt ihr noch?“

„Bezahlung für den Ochsen, den ihr erstochen habt.“

„Was geht euch der Ochse an!“

„Sehr viel. Haben uns nämlich diesen deutschen Emigranten angeschlossen. Wollen nämlich auch hinauf in die Berge, um Bären und Biber in Fallen zu fangen, grad so wie wir. Sind also ihre Gefährten geworden, und haben also die Pflicht, dafür zu sorgen, daß sie ihren Verlust ersetzt erhalten.“

„Das geht euch dennoch nichts an!“ zürnte Buttler. „Wir geben nichts!“

„Schadet nichts; denn was ihr nicht gebt, das nehmen wir uns.“

„So, wollt ihr uns bestehlen?“

„Nein, sondern nur dafür sorgen, daß wir euch für ehrliche Bezahler halten dürfen. Wie hoch wird wohl der Wert des Ochsen sein, Master Buttler?“

„Das ist uns gleich. Wir haben kein Geld mehr. Ihr wißt ja, daß ihr uns infolge der Wetten alles abgenommen habt.“

„Habt euch aber wenig darüber geärgert, weil ihr es uns wieder rauben wolltet. Rechnen wir hundertfünfzig Dollar. Nicht?“

„Meinetwegen hunderttausend. Wir können nicht bezahlen.“

„Mit Geld freilich nicht; ist auch nicht nötig; werdet ja nicht ganz und gar leere Taschen haben.“

Zounds! Wollt ihr uns etwa die Taschen ausräumen!“

„Warum nicht?“

„Sir, das wäre Raub!“

„Schadet nichts. Freut uns, euch einmal in das Handwerk pfuschen zu können.“

„Wir sind keine Räuber, und wenn ihr euch an den Dingen vergreift, welche wir bei uns haben, werden wir euch anzeigen!“

„Würde uns sehr lieb sein. Möchten gern wissen, was der Richter sagt, wenn er euch zu sehen bekommt. Also vorwärts, Dick und Will! Wollen einmal ihre Taschen untersuchen.“

Die beiden Genannten machten sich mit dem größten Vergnügen an das Werk; die Finders sträubten sich dagegen, soviel sie konnten, doch ohne Erfolg; ihre Taschen wurden alle geleert. Es fanden sich viele Gegenstände, besonders einige wertvolle Uhren vor, von denen man getrost behaupten konnte, daß sie gestohlen oder geraubt worden waren. Sam nahm die Uhren, zeigte sie Schmidt und fragte diesen:

„Die Burschen besitzen kein bares Geld. Würden Sie diese Uhren an Zahlungsstatt nehmen?“

„Wenn sie keine Münze haben, ja,“ antwortete der Gefragte; „nur fragt es sich, ob ich nicht dadurch einbüße. Ich müßte die Uhren verkaufen, und kein Händler zahlt dafür den wirklichen Wert.“

„Haben Sie keine Sorge. Sie büßen keinen Pfennig ein. Diese Uhren haben gewiß den vierfachen Wert Ihres Ochsen; darauf können Sie sich verlassen.“

„Aber mein Gewissen, Herr!“

„Wieso?“

„Wird es mir erlauben, diese Gegenstände anzunehmen?“

„Warum nicht?“

„Wenn sie nun gestohlen sind!“

„Das sind sie wahrscheinlich.“

„So gehören sie dem Bestohlenen, aber nicht mir.“

„Das ist richtig; aber diese Leute würden die Uhren niemals wieder bekommen. Wahrscheinlich sind sie ermordet worden und selbst wenn dies nicht wäre, dürfen Sie ohne Skrupel zugreifen. Es herrschen hier ganz andre Verhältnisse als drüben in der deutschen Heimat.“

„Aber man hat doch, wenn die rechtmäßigen Eigentümer nicht mehr leben oder nicht ausfindig gemacht werden können, die Pflicht, solche Gegenstände der Behörde zu übergeben!“

„Wen meinen Sie hier unter der Bezeichnung Behörde? Kein hiesiger Beamter würde sich die Mühe geben, nach dem Eigentümer zu forschen, sondern die Uhren einfach für sich behalten und Sie heimlich auslachen. Stecken Sie dieselben also getrost ein und falls Sie damit ein Unrecht zu begehen glauben, werde ich die Verantwortung auf mein Gewissen nehmen.“

„Wenn das so ist, so würde es geradezu Dummheit von mir sein, wenn ich mich ferner weigern wollte.“

Er schob die Uhren also in die Tasche. Als Buttler dies sah, rief er aus:

„Was soll das heißen? Ich glaube, dieser Mensch will sich an unserm Eigentum vergreifen. Das soll –“

„Schweig, Schurke!“ schnitt ihm Sam in donnerndem Tone die Rede ab. „Er hat sie als Bezahlung für den getöteten Ochsen betrachtet und ihr könnt froh sein, wenn dies die ganze Strafe ist, welche ihr für das, was ihr gethan habt und noch thun wolltet, erleidet. Heute seid ihr einmal an die richtigen Leute gekommen, an drei Schneider, welche es verstehen, solchen Halunken, wie ihr seid, die Röcke anzumessen. Wenn euch wieder einmal solche Kleiderhändler begegnen sollten, so seht euch ja vor, ehe ihr wieder daran denkt, mit ihnen wetten zu wollen! Übrigens sind wir ganz und gar nicht gewillt, uns in Beziehung auf diese Uhren der Rechenschaft zu entziehen. Wir fahren von hier nach Tucson und werden morgen abend an dem dahinter liegenden Knotenpunkte unser Lager aufschlagen. Ihr könnt uns folgen und uns mit Polizei aufsuchen, welcher wir sehr gern Rede stehen wollen.“

„Ja, ja, das werden wir thun, ganz gewiß werden wir das thun! Wir kommen in euer Lager und holen uns wieder, was ihr uns gestohlen habt. Und nun nehmt uns die Fesseln ab! Das können wir verlangen, da ihr jetzt wohl endlich mit uns fertig seid.“

„Daß wir Narren wären. Geben wir euch frei, so würdet ihr uns schon heut im Lager aufsuchen anstatt morgen. Ihr bleibt also so liegen, wie ihr seid. Wenn es Tag geworden ist, wird wohl jemand kommen, der euch frei macht.“

„So nehmt den Lohn dafür später in der Hölle!“

„Danke, Sir! Und damit ihr nicht etwa einen von uns unberechneten Schaden anrichten könnt, werden wir euch jetzt eure Munition nehmen. Ihr könnt sie euch morgen mit den Uhren wieder holen. Es wird euch bis dahin alles ehrlich aufgehoben werden.“

Hawkens, Stone und Parker entluden die Gewehre und nahmen alle vorhandenen Patronen oder Kugeln und das Pulver an sich, worüber die Finders in außerordentlichen Zorn gerieten.

Frau Ebersbach war während der ganzen Scene stille Zuschauerin gewesen. Sie verstand nicht, was gesprochen wurde, konnte sich aber dennoch alles leicht erklären. Und noch einen andern stummen Zuschauer gab es – Mary, das Maultier Sams, welches seinem Herrn auch jetzt wieder gefolgt war, mit dem Vorderleibe im Hause stand und alle Bewegungen seines Herrn mit großer Aufmerksamkeit verfolgte.

Als man mit den Finders zu Ende war, wurde die Schänke verlassen und die Thür von außen zugemacht und mit einem schweren Steine angedrückt; dann marschierten die fünf Personen nach dem Lager. Mary trabte gemütlich hinterdrein. Sie war gewohnt, ihrem Herrn wie ein treuer Hund auf Schritt und Tritt zu folgen, wenn er ihr nicht durch ein bestimmtes Zeichen zu verstehen gegeben hatte, daß sie an Ort und Stelle zu bleiben habe.

Während ihrer Abwesenheit waren alle Vorbereitungen getroffen worden, so daß jetzt sofort aufgebrochen werden konnte. Der Führer ritt voran, mit ihm die beiden Jünglinge, denen es von Interesse war, nächtlich an der Spitze dieses einsamen Zuges zu reiten. Dann folgten die Wagen, von Dick Stone und Will Parker geleitet, während Sam Hawkens mit dem Kantor hinten folgte. Er hatte sich mit Absicht diesen Begleiter auserwählt, da er glaubte, von diesem am besten über die Verhältnisse der Personen, welche diese kleine Karawane bildeten, unterrichtet werden zu können. Eigenartig, sehr eigenartig mußten diese Verhältnisse sein; das sagte er sich nach dem, was er bis jetzt davon gesehen und erfahren hatte. Der originelle musikalische Kantor; diese Frau Rosalie Ebersbach, vor welcher alle so bedeutenden Respekt zu haben schienen und die ihm, dem erfahrenen Westmanne, so absprechend entgegengetreten war; der Sohn des Indianerhäuptlings, welcher aus Deutschland kam; der junge Deutsche, welcher dessen Freund zu sein und nicht zu den andern zu gehören schien; das waren Persönlichkeiten und Verhältnisse, welche die Neugierde erwecken mußten. Der Kantor kam der Wißbegierde des Kleinen entgegen, denn kurze Zeit, nachdem die Wagen sich in Bewegung gesetzt hatten, begann er das beabsichtigte Gespräch mit der Frage:

„Unsre Frau Rosalie war mit bei diesen Finders. Denen wird sie aber ihre Meinung gesagt haben, denn sie weiß ihre Zunge zu gebrauchen, wenn sie will. Sie hat doch jedenfalls mit ihnen gesprochen?“

„Kein Wort.“

„Das sollte mich wundern. Ich habe im Gegenteile geglaubt, daß sie ganz fortissimo mit ihnen verfahren würde.“

„Spricht sie denn englisch?“

„Nur einige Worte, welche sie sich unterwegs gemerkt hat.“

„Wie können Sie da denken, daß sie mit diesen Leuten reden könne, die nur englisch oder spanisch verstehen!“

„Sie konnte sich doch eben dieser Worte, welche sie gelernt hat, bedienen.“

„Zehn oder zwölf zufällig aufgeschnappte Ausdrücke reichen zu einer langen Strafpredigt nicht aus. Übrigens hatte es den Anschein, als ob ihr, als sie die Finders sah, der Mut zu einer solchen Rede entschwunden sei.“

„Der Mut? Wieso? Diese Burschen haben doch gefesselt am Boden gelegen; da brauchte sie sich nicht vor ihnen zu fürchten.“

„Zu fürchten gerade nicht; aber trotzdem haben diese wilden Gestalten einen Eindruck auf sie gemacht, durch welchen sie zum Schweigen veranlaßt worden wäre, selbst wenn sie englisch hätte sprechen können.“

„Das glauben Sie ja nicht! Frau Rosalie fürchtet sich vor keinem Menschen, mag er noch so vornehm oder noch so verwegen aussehen. Sie hat Haare auf den Zähnen und ist gewohnt, daß man ihr den Willen thut.“

„Das habe ich freilich bemerkt. Sie alle hielten ja den Mund, als sie mir widersprach.“

„Ja, das muß man thun, wenn man nicht ein tüchtiges Graupelwetter auf sich laden will. Dabei aber ist sie seelensgut und, wenn man sie nur reden läßt, gleich wieder um den kleinen Finger zu wickeln. Widerspruch verträgt sie freilich nicht.“

„Das ist ein großer Fehler, wenn ich mich nicht irre. Wenn man eine Sache nicht versteht, muß man Lehre annehmen.“

„O, diese Frau Rosalie versteht vieles und alles!“

„Unsinn! Von den hiesigen Verhältnissen und wie man sich dabei zu verhalten hat, kann sie gar nichts wissen. Und wenn sich solche Scenen wiederholen, wie die heutige war, muß sie sehr gewärtig sein, nicht nur tüchtig zurechtgewiesen zu werden, sondern auch, wenn sie bei ihrem Willen beharrt, die ganze Gesellschaft in Schaden oder gar Gefahr zu bringen.“

„Auch das dürfen Sie nicht glauben. Selbst wenn sie etwas nicht kennt und versteht, findet sie sich außerordentlich schnell hinein. Sie haben ja auch gesehen, daß sie dann einer Ansicht mit Ihnen war. Es ist immer besser, sie laufen zu lassen, wie sie laufen will, sie kommt doch stets am richtigen Fine an.“

„Wenn Sie so sprechen, scheinen auch Sie einen großen Respekt vor ihr zu haben, Herr Kantor.“

„Herr Kantor emeritus, wenn ich bitten darf! Es ist ja nur der Vollständigkeit wegen, weil ich meinen Abschied genommen habe und also nicht mehr im Amte bin. Ja, ich habe Respekt vor ihr, und sie verdient ihn auch. Sie ist eine tüchtige und musikalisch gebildete Frau.“

„Aha, musikalisch gebildet, hihihihi! Komponiert sie etwa auch?“

„Nein; aber sie spielt.“

„Was?“

„Ziehharmonika.“

„Alle Wetter, das ist freilich etwas andres! Ziehharmonika! Ein vorzügliches Instrument, wenn ich mich nicht irre! ja, wenn sie diese spielt, so muß man Respekt vor ihr haben. Ich habe noch nie von einer Dame gehört, welche Ziehharmonika spielt.“

„Ich auch nicht; Frau Rosalie ist die erste. Sie hat sich manchen schönen Thaler damit verdient.“

„Ah, etwa bei einer herumziehenden Damenkapelle gewesen?“

„Nein, zum Tanze aufgespielt.“

„Öffentlich?“

„Ja.“

„Bravo! Ich denke, Sie halten den Tanz für etwas Ordinäres?“

„Das thue ich auch; hier aber lagen die Verhältnisse anders. Frau Rosalie ist nämlich eine geborene Morgenstern –“

„Das weiß ich; sie hat es mir gesagt.“

„Und heiratete in die Leiermühle bei Heimberg –“

„Verwitwete Leiermüllerin,“ nickte Sam Hawkens lächelnd.

„Zur Mühle gehörte eine Schankgerechtigkeit mit kleinem Tanzsaale. Das Geschäft war vorher schlecht gegangen, bis sie sich desselben annahm. Das war wieder einmal ein in die Augen fallender Beweis, welchen Wert die edle Musika hat; sie verläßt keinen Musensohn und auch keine Musentochter. Frau Rosalie kaufte sich eine Ziehharmonika, lernte sie spielen und zog mit derselben die tanzlustige Jugend der ganzen Umgegend an sich. Da sie selbst zum Tanze aufspielte, brauchte sie keine Musikanten zu bezahlen und nahm ein schönes Geld für sich ein, da die Tour pro Person zwei Pfennige kostete; billiger machte sie es nicht, denn wen die Musen geadelt haben, der hat die Pflicht, seinen Wert aufrecht zu erhalten. Also es wurde nicht nur getanzt, sondern auch gegessen und getrunken; das Geschäft hob sich außerordentlich, und als der alte Leiermüller starb, hinterließ er sie als eine Witwe, welche auf einem vollen Geldsacke saß und sagen konnte: Kommt her und habt Respekt vor mir!“

„Und den hatte man auch?“

„Natürlich! Sie war die reichste Frau im Dorfe, verkaufte dann später die Mühle zu einem hohen Preise und wurde hierauf die Frau unsres Schmiedemeisters –“

„Welcher auch Respekt vor ihr hat!“

„Warum sollte er nicht?“

„Wie aber und aus welchem Grunde kommt sie jetzt nach Amerika?“

„Diesen vortrefflichen Gedanken habe ich ihr eingegeben.“

„Sie? Hm! Die Frau konnte in der Heimat bleiben; sie hatte ja doch keine Not daheim.“

„So meinen Sie, daß man nur aus Not auswandern soll?“

„Das nicht; aber ein Zwang, ein innerer oder äußerer Zwang, ist doch meist die Ursache.“

„War es auch hier, nämlich ein Drang, ein Stringendo nach der neuen Welt. Ich hatte ihr Bücher geborgt, und die Schmiederei ging schlecht; es gefiel ihr nicht mehr daheim. Als sie nun hörte, was der Hobble-Frank mir alles gesagt und erzählt hatte, und daß ich meine Helden hier in Amerika suchen wollte, da war sie ganz Feuer und Flamme und wollte mit.“

„Wie kamen Sie denn zu ihr, die in Heimberg wohnt, während Sie aus Klotzsche sind? Liegen diese beiden Orte nahe beisammen?“

„Nein, Heimberg liegt oben im Gebirge, Klotzsche aber nahe bei Dresden. Aber ich war doch in Heimberg Kantor, meine letzte Anstellung, und zog des besseren Klimas wegen, sobald ich emeritiert worden war, nach Klotzsche, blieb aber mit Heimberg in stetem Briefwechsel und war auch öfters dort. Trotz alledem wäre ihr der Gedanke, nach Amerika zu gehen, nicht mit solcher Gewalt gekommen, wenn die Wolfsche Angelegenheit nicht gewesen wäre.“

„Welche Angelegenheit?“

„Das wissen Sie noch nicht?“

„Nein.“

„Wolf, der Heimberger Förster, hat einen kinderlosen Bruder in Amerika, welcher vielen, vielen Wald, große Herden und ich glaube gar auch Silbergruben besitzt. Dieser Bruder hat ihn gebeten, ihm seinen Sohn hinüberzuschicken, den er zu seinem Nachfolger und Universalerben machen will, wenn er ihm gefällt. Der Förster fragte seinen Sohn, welcher sich auf der Tharandter Forstakademie befand, und dieser hatte sogleich Lust, dem Rufe zu folgen, nachdem er sein Examen bestanden haben würde.“

„War das nicht Leichtsinn oder Lieblosigkeit gegen seine Eltern?“

„Gott bewahre! Nicht im geringsten, sondern gerade das Gegenteil. Der Förster hat eine zahlreiche Familie und ein geringes Gehalt. Da ist Schmalhans Küchenmeister, und die Opfer, welche das Studium des Ältesten gekostet hat, sind ihm außerordentlich schwer geworden; es war unmöglich, die andern Söhne auch eine bessere Carriere betreten zu lassen, obwohl sie sehr begabt dazu waren. Da hat denn Adolf den Ruf des Oheims mit Freuden vernommen. Er mußte zwar die Heimat und die Eltern verlassen, sagte sich aber, daß er als Nachfolger des reichen Pflanzers seinen Geschwistern schnell emporhelfen könne.“

„Diese Gesinnung ist freilich ehrenwert. Und hat er dem Rufe gefolgt?“

„Ja.“

„Wann?“

„Eben jetzt. Sie haben ihn ja gesehen.“

„Ich? Wo denn?“

„Hier bei uns. Da vorn reitet er ja!“

„Der ist’s, der? Dieser junge Mann? Der kann doch unmöglich die Forstakademie schon vollständig absolviert haben?“

„Doch, und zwar hat er sie mit sehr guten Zeugnissen verlassen. Sie mögen daraus ersehen, was für ein tüchtiger junger Mann er ist. Er wird, da sein Onkel große Waldungen besitzt, diesem mit seinen Kenntnissen Nutzen bringen. Allerdings gab es für ihn auch noch einen andern Grund, sich so schnell und willig für Amerika zu entscheiden, und dieser Grund kann mit dem indianischen Worte Schi-So bezeichnet werden.“

„Das ist doch der Name des Häuptlingssohnes?“

„Allerdings. Sie sind, wie ich gehört habe, ein Bekannter dieses Häuptlings. Wissen Sie vielleicht, weshalb dieser seinen Sohn nach Deutschland geschickt hat?“

„Ja.“

„Das ist mir lieb. Können Sie es mir einmal prima vista vorgeigen, oder ist vielleicht ein Geheimnis dabei?“

„Es gibt keinen Grund, die Sache geheim zu halten; es ehrt vielmehr den Häuptling und kennzeichnet ihn als einen Mann, der den Bildungsgrad von seinesgleichen weit, weit überragt. Nämlich als er noch jung war, überfiel ein feindlicher Stamm einen Auswandererzug; es wurde alles niedergemetzelt und nur ein Mädchen verschont und mitgenommen, welches eine Deutsche war. Der Häuptling rettete sie und brachte sie zu seinem Stamme. Sie sollte sich dort zunächst von ihrem Unglücke und Leide erholen, und dann wollte er sie nach der nächsten weißen Ansiedelung bringen. Sie wurde gut gepflegt und noch besser behandelt; ihre Verwandten waren ermordet worden; sie hatte nirgends Bekannte; die Ansiedelung, wohin sie gebracht werden sollte, war ihr fremd; es gefiel ihr bei den Navachos, und sie gewann den Häuptling Nitsas-Ini (großer Donner) lieb, der sie gerettet hatte – sie blieb und wurde seine Frau. Sie hat es nie zu bereuen gehabt und lebte außerordentlich glücklich mit ihm.“

„Ist das die Möglichkeit!“ rief der Kantor aus. „Ein roter Mensch mit einer weißen Frau!“

„Ein roter Mensch, sagen Sie? Das klingt wie verächtlich! Ich sage Ihnen, daß Gott der Vater und Schöpfer aller Menschen ist; die Farbe der Haut macht keinen Unterschied. Ich habe Indianer kennen gelernt, vor denen sich tausend und hunderttausend Weiße schämen müßten. Nitsas-Ini war ein solcher. Seine weiße Frau war kein hochgebildetes Fräulein, sondern ein gewöhnliches Mädchen gewesen, aber als Deutsche überragte sie doch in jeder Beziehung alle roten Frauen und Mädchen. Das gereichte dem ganzen Stamme zum Segen. Sie wurde das Vorbild aller Squaws und Töchter. Es trat ein andrer Ton ein; es bildeten sich andre Formen; ihr Mann, der Häuptling, war ihr erster und ihr eifrigster Schüler und hatte später nichts dagegen, daß sie mit den Kindern, die sie ihm schenkte, deutsch sprach, sie unterrichtete und ihnen Bücher kaufte. Da lernten sie Winnetou, den großen Apachen kennen; mit ihm kam Old Shatterhand, der berühmte Freund und Beschützer aller gutgesinnten roten Männer. Sie sahen mit Freuden, was die weiße Squaw geleistet, welchen Segen sie gestiftet hatte; sie blieben längere Zeit bei dem Stamme und kehrten oft zu demselben zurück, um dem Werke Festigkeit und Ausbau zu geben. Nie hat dieser Stamm wieder Krieg geführt, sondern nur, wenn er sich verteidigen mußte, zu den Waffen gegriffen. Seine Angehörigen sind Freunde der Weißen, wurden infolgedessen von diesen nie vertrieben, sondern durften ihr Gebiet behalten, wenn sie sich auch in Beziehung auf die Abgrenzung und Einteilung desselben nach den vorgeschriebenen Gesetzen richten mußten. Diese Navachos befinden sich im Besitze fruchtbarer Weideländereien und ungeheurer Wälder; ihr Reichtum ist von Jahr zu Jahr gewachsen, und so sehnsüchtig die weißen Squatter und Landfresser nach demselben blicken, es ist für keinen dieser Männer etwas zu holen. Denn infolge von Old Shatterhands Bemühungen betrachtet die Regierung der Vereinigten Staaten das Gebiet nicht als Indianerreservation, sondern als in berechtigten Händen befindliches Privateigentum, dessen Besitzer das Gesetz gegen jeden Eingriff zu schützen hat. Man könnte sich bewogen fühlen, dieses Gebiet ein zivilisiertes zu nennen. Der große Donner war einsichtig genug, zu erkennen, daß er für die Zukunft nicht die nötigen Kenntnisse besitze, und daß sein Nachfolger mehr, viel mehr lernen müsse, als er selbst gelernt hatte. Er faßte, beeinflußt durch seine kluge weiße Frau, den Entschluß, seinen Erstgeborenen in eine Schule der Weißen zu schicken. Old Shatterhand kam und stimmte lebhaft bei. Er war ein Deutscher und die Squaw eine Landsmännin von ihm, und beide brachten den Häuptling dahin, den Sohn nach Deutschland zu senden, um ihn dort einer berühmten Erziehungsanstalt anzuvertrauen. Old Shatterhand schlug eine solche vor, und sein Vorschlag wurde angenommen.“

„Ich weiß, ich weiß,“ fiel da der Kantor ein. „Ich kenne diese Anstalt.“

„Wirklich? Nun, welche?“

„Es ist die höhere Lehr- und Erziehungsanstalt, kurz und gut, das berühmte Institut Direktor Arno Kriegers in Kötzschenbroda bei Dresden.“

„Woher wissen Sie das?“

„Schi-So sagte es mir, und auch Adolf Wolf ist dort für die Tharandter Akademie vorgebildet worden.“

„So brauche ich nicht viel mehr hinzuzufügen, denn das weitere scheinen Sie besser zu wissen, als ich es weiß. Old Shatterhand ebnete den Weg zur Aufnahme in das Institut, und die Häuptlingssquaw brachte dann ihren Sohn hinüber, bei welcher Gelegenheit sie die große Freude hatte, ihre Heimat wiederzusehen. Später lernte ich den großen Donner kennen und erfuhr zu meinem Erstaunen von ihm, daß er einen Sohn in Kötzschenbroda bei Direktor Krieger habe. Der Knabe rechtfertigte die Empfehlungen Old Shatterhands; seine Zensuren lauteten ohne Ausnahme auf Eins, und als er von dort nach Tharandt ging, gestanden sich seine Lehrer, daß dieser rote Schüler von keinem der bisherigen weißen übertroffen worden sei. Übrigens darf man ihn nicht in dem Sinne rot nennen, in welchem dieses Wort gewöhnlich gebraucht zu werden pflegt. Sie kennen ihn und haben also gesehen, daß seine deutsche Abstammung mütterlicherseits von Einfluß auf die Farbe seines Haares und seiner Augen gewesen ist. So, das ist das, was Sie über ihn zu wissen wünschten. Und nun ahne ich auch, auf welche Weise der Försterssohn zu ihm gekommen ist. Sie sagten ja, daß dieser auch bei Direktor Krieger vorgebildet worden sei?“

„Ja, sie waren dort Klassenbrüder und sind auch zu gleicher Zeit nach Tharandt gegangen. Eigentümlich war es, daß der Ruf von Wolfs Oheim gerade zu der Zeit eintraf, zu welcher der Abgang Schi-Sos beschlossen wurde. Warum hat der letztere denn eigentlich gerade Tharandt besuchen müssen?“

„Der großen Wälder wegen, welche sein Stamm besitzt. Er soll als späterer Häuptling die nötigen Kenntnisse besitzen, die Reichtümer, welche in diesen Forsten stecken, nicht nur zu erhalten, sondern womöglich noch zu vermehren. Man weiß, daß die Vereinigten Staaten sich durch die schlechteste Forstwirtschaft auszeichnen; vor den daraus folgenden großen Schäden soll Schi-So einst seinen Stamm bewahren. Doch weiter! Sie wollten mir doch wohl sagen, welchen Einfluß diese beiden Zöglinge von Kriegers Institut auf die frühere Leiermüllerin ausgeübt haben, Herr Kantor?“

„Ja; aber zunächst haben Sie doch endlich die Güte, darauf zu achten, daß ich nicht mehr im Amte bin und daß Sie also der Vollständigkeit wegen Herr Kantor emeritus zu sagen haben. Ich darf mich nicht mit Federn schmücken, welche ich längst abgelegt habe, und das immerwährende Weglassen dieses höchst notwendigen Wortes erregt in mir den sehr begründeten Verdacht, daß Sie mich noch immer im Amte stehend glauben und an meiner musikalischen Begabung zweifeln, welche allein mich veranlaßt hat, mich emeritieren zu lassen! Oder lassen Sie diese lateinische Bezeichnung vielleicht deshalb stets fallen, weil ich Sie nicht bei Ihrem Namen und vollständigen Titel nenne? Sie müssen bedenken, daß mir eigentlich noch keins von beiden bekannt ist!“

„Nicht deshalb, sondern nur aus reiner Vergeßlichkeit. Was meinen Namen betrifft, so hieß ich drüben Samuel Falke, werde aber hier hüben Sam Hawkens genannt. Es genügt vollständig, wenn Sie einfach Sam zu mir sagen.“

„Das ist nicht höflich genug. Ich will Ihnen also einen Vorschlag machen. Da Sie früher Samuel Falke waren, es jetzt aber nicht mehr sind, gerade so, wie ich nicht mehr Kantor bin, so wäre es gewiß ganz richtig und den Umständen gemäß, wenn ich entweder Samuel emeritus oder auch Falke emeritus zu Ihnen sagte. Welches von beiden ist Ihnen lieber?“

„Keins. Ein Name ist kein Amt. Nennen Sie mich also Sam oder Hawkens.“

„Schön, ganz wie Sie wollen! Aber warum durften die Finders nicht erfahren, daß Sie Sam Hawkens sind?“

„Weil ich unter diesem Namen weit bekannt bin. Man hat mir, Dick Stone und Will Parker den Namen das Kleeblatt gegeben, weil wir drei stets beisammen sind. Man rechnet uns nicht zu den gewöhnlichen Westläufern, sondern zu den erfahrenen Männern, welche wissen, was sie wollen, und sich weder besiegen noch betrügen lassen. Ich will die Finders überlisten; dies würde mir aber nicht gelingen, wenn sie wüßten, wen sie vor sich haben; sie würden entweder ganz von uns lassen oder doch wenigstens sich so in acht nehmen, daß ich meine Absicht nicht erreichte. Und es liegt mir doch viel daran, diese Menschen für ehrliche Leute unschädlich zu machen.“

„Sehr wohl; jetzt weiß ich, woran ich bin, und kann nun wieder nach Tharandt übergehen. Schi-So und Wolf kamen nämlich von Tharandt oft nach Heimberg herauf, welches ein vielbesuchter Luftkurort ist, und kehrten in der Leiermühle, später auch in der Schmiede ein, als die Müllerin den Schmied geheiratet hatte. Sie waren also mit beiden gut bekannt. Gerade als mich der Hobble-Frank bestimmt hatte, nach Amerika zu gehen und seine Helden aufzusuchen, kam der Brief des Onkels und auch die Nachricht, daß Schi-So zu seinem Stamme zurückkehren werde. Dieser Onkel war ungeheuer reich und wohnte, wie man bald heraus hatte, in der Nähe der Navachos; das ging rasch im Dorfe herum, welches meist blutarme Einwohner hat; da fiel es mir denn nicht schwer, einige von ihnen zu vermögen auszuwandern und mit mir hinüber zu ziehen.“

„Also haben Sie, sozusagen, diese armen Leute verführt!“ meinte Sam in vorwurfsvollem Tone.

„Verführt? Was für ein Ausdruck! Ein Kantor emeritus, welcher tausendmal beim Gottesdienste die Orgel gespielt hat, gehört halbwegs zur Geistlichkeit, also zu demjenigen Stande, in welchem man nicht nach Verführern suchen darf. Führer bin ich ja, aber doch nicht Verführer, denn ich will diese Leute zum Glücke führen. Ich bin überzeugt, daß der Onkel Wolfs sie sehr gut aufnehmen wird. Und Geld, sich Land zu kaufen oder ein Geschäft anzufangen, ist auch vorbanden.“

„Ich denke, diese drei sind arm!“

„Ja, Schmidts, Strauchs und Uhlmanns hatten nichts; aber Ebersbachs sind, wie Sie gehört haben, wohlhabend und Frau Rosalie hat ihnen das nötige Geld vorgeschossen. Sie ersehen daraus, was für eine brave Frau sie ist. Sie konnte recht wohl im Vaterlande bleiben und hat sich nur aus Teilnahme für diese drei, aus Freundschaft für mich und infolge ihres Dranges nach der Fremde entschlossen, mitzugehen. Besonders entzückt war sie darüber, daß in Amerika die Damen so außerordentlich geachtet und berücksichtigt werden.“

„Ach so,“ lächelte Sam vergnügt; „und Frau Rosalie Ebersbach, geborene Morgenstern, verwitwete Leiermüllerin ist eben auch eine Dame! Das erklärt mir freilich das vorher Unerklärliche. Sie haben also alle die Absicht, sich bei dem Oheime Wolfs anzusiedeln?“

„Sie wollen ihn fragen. Gibt er es nicht zu, so ziehen sie weiter.“

„Und Sie? Was beginnen denn Sie?“

„Ich? Ich suche natürlich Old Shatterhand, Old Firehand und Winnetou auf. Natürlich werde ich auch den Hobble finden.“

„Sie scheinen, wie bereits gesagt, sich das als außerordentlich leicht vorzustellen, und doch können Sie jahrelang im Westen herumreiten, ohne auch nur auf einen von diesen Männern zu treffen.“

„So muß man fragen, sich erkundigen!“

„Denken Sie, es sei hier geradeso wie in einem deutschen Dorfe oder Städtchen, in welchem man sofort berichtet wird, wenn man nach dem Herrn Müller, Meier oder Schulze fragt? Die Gesuchten können leicht zehnmal ganz nahe an Ihnen vorüberreiten oder in sehr geringer Entfernung von Ihnen lagern, ohne daß Sie es ahnen.“

„Oho! Ich ahne es; darauf können Sie sich verlassen. Einem Tonkünstler ist nichts zu schwer. Wer von den Musen ausgezeichnet und bevorzugt wird, bei dem sammeln alle Töne sich zu Accorden. So werden auch die gesuchten Männer sich um mich zusammenfinden, wie wohlgeschulte Musici um ihren Dirigenten.“

„Will es Ihnen wünschen. Was ich dabei thun kann, da wir dieselbe Route haben, das wird natürlich geschehen. Jetzt aber sollten Sie sich in einen der Wagen legen, um zu schlafen.“ .

„Schlafen? Warum?“

„Weil wir morgen abend wahrscheinlich nicht schlafen können; wir müssen wachen, da die Finders uns überfallen wollen.“

„Sie sind davon also wirklich überzeugt, Herr Hawkens?“

„Ja. Irgend jemand, der am frühen Morgen nach der Schenke kommt oder an derselben vorübergeht, wird ihr Rufen hören und sie befreien. Dann setzen sie sich auf die Pferde, um uns nachzureiten.“

„Nach Tucson?“

„Fällt ihnen nicht ein. In dieser Stadt lassen sie sich ganz gewiß nicht sehen. Sie werden Tucson umreiten und dann unsern Wagengeleisen folgen, bis sie bemerken, daß wir Lager gemacht haben. Um von uns nicht bemerkt zu werden, halten sie an und warten, bis es Nacht geworden ist. Um ja nichts zu verabsäumen, habe ich ihnen die Munition genommen; doch sind sie gewiß so klug, sich in San Xavier del Bac mit neuer zu versorgen, was ihnen freilich nicht leicht werden wird, da ich nicht glaube, daß dort viel zu haben ist. Also, folgen Sie meinem Rate und steigen Sie in einen Wagen!“

„Danke! Ich schlafe nicht.“

„Warum aber nicht?“

„Weil während eines solchen nächtlichen Rittes die schönsten musikalischen Gedanken kommen. Ich mache da Studien für meine Oper. Vielleicht lasse ich gleich im ersten Akte einen solchen Ochsenwagenzug über die Bühne gehen, was beim Scheine einer kleinen Mondessichel einen ganz besonderen Eindruck machen muß, zumal die Instrumente dabei das Knallen der Peitschen, das Brüllen der Ochsen und das Knarren der Räder nachzuahmen haben.“

„Möche dabei sein!“ sagte Sam im ernsthaftesten Tone. „Muß ein außerordentlicher Kunstgenuß sein! Also machen Sie Ihre Studien und bleiben Sie meinetwegen wach. Aber werfen Sie sich denn immerwährend so bald nach vorn und bald nach hinten? Das muß Sie doch ungeheuer ermüden!“

„Allerdings; aber es ist leider nicht zu umgehen.“

„Nicht zu umgehen? Unbegreiflich! Wieso denn? Es strengt natürlich auch das Pferd an und macht es kaput.“

„Kann nicht anders, bester Herr Sam. Ich komponiere immerwährend und immerfort, selbst jetzt, während ich mit Ihnen spreche. Indem mir nun die Melodien durch das Gehirn erklingen, muß ich sie nach ihrer Taktart prüfen. Dazu gehört eigentlich ein sehr empfindliches Instrument, welches Mälzels Metronom oder Taktmesser genannt wird. Da ich dasselbe aber unmöglich durch den wilden Westen mit mir führen kann, so habe ich ein weit bequemeres und praktischeres Metronom erfunden, indem ich mich in ganz regelmäßigen Intervallen im Sattel hin und her schwinge. Freilich wird das Pferd dadurch zuweilen irre, denkt, ich will herunter, und hält im Laufen an; aber das thut mir nichts, denn sobald ich die Komposition dann fertig habe, treibe ich es wieder an.“

„Aber dadurch bleiben Sie doch jedenfalls oft zurück!“

„Das kommt freilich vor.“

„Das kann aber höchst gefährlich für Sie werden, Sie unvorsichtiger Mann!“

„Glaube es nicht, Herr Sam!“

„Wenn Sie zurückbleiben und von rotem oder weißem Gesindel überfallen werden, können wir Sie nicht retten.“

„Mich überfällt kein Gesindel, ich bin gefeit dagegen.“

„Unsinn!“

„Sprechen Sie nicht von Unsinn, lieber Herr Sam! Ich weiß schon, was ich sage. Haben Sie vielleicht schon einmal gehört, daß ein berühmter Opernkomponist von irgend welchem Gesindel überfallen worden sei?“

„Nein; ist mir nichts erinnerlich.“

„Da haben Sie es, was ich meine. Als Komponist einer großen Heldenoper und Selbstdichter des dazu gehörigen Librettos stehe ich unter dem ganz besonderen Schutze der Musen. Dieselben werden sich hüten, mich zu hohen musikalischen Gedanken zu begeistern und dann überfallen und töten zu lassen, wobei diese Gedanken für immer wieder verloren gehen würden. Das wäre ja ganz dieselbe Dummheit, als wenn der Schuster mir zwei neue Stiefel machte und sie, wenn er sie fertig hat, in den Ofen steckte, um sie zu vernichten. Oder meinen Sie, die Musen seien weniger klug, als ein gescheiter Schuster?“

„Kann das nicht sagen; habe noch mit keinem von diesen Frauenzimmern gesprochen und auch noch keins gesehen. Aber ich kann nicht während der ganzen Nacht hier bei Ihnen sein und darf auch keinem andern zumuten, stets nur auf Sie aufzupassen; da Sie nun auf keinen Fall zurückbleiben dürfen, weil wir Feinde hinter uns haben, so werde ich Sie anbinden, um Ihrer Person ganz sicher zu sein.“

„Anbinden, Herr Hawkens? Woran denn? Etwa an das Pferd?“

„Das würde nichts nützen, da der Gaul auch in diesem Falle stehen bleiben könnte. Nein, ich meine, daß ich ihn hier an den hintersten Wagen binden werde.“

„Sie halten dieses für praktisch?“

„Sehr! Das Pferd kann nicht stehen bleiben, sondern muß trotz Ihrer Schwingungen ununterbrochen weiterlaufen. Dabei befinden Sie sich stets allein und ungestört und können Ihren musikalischen Schöpfungen nachhängen, ohne in denselben unterbrochen zu werden.“

„Richtig, sehr richtig! Dieser Gedanke ist sehr gut; ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für denselben und werde Ihnen bei der ersten Aufführung meiner Oper gern ein Freibillet zur Verfügung stellen. Oder wünschen Sie deren zwei?“

„Ich werde darüber nachdenken, Herr Kantor, falls ich zufällig –“

„Bitte, bitte, Herr Kantor emeritus! Ich kann es Ihnen zuschwören, daß es nur der Vollständigkeit wegen ist.“

„Weiß, weiß! Und ich versichere Ihnen, daß es bei mir nur aus Vergeßlichkeit geschah.“

Sam zog einen Riemen aus der Satteltasche und band mit demselben den Gaul des Kantors hinten an den Wagen an. So war für den guten, ununterbrochenen Fortgang sowohl des Pferdes als auch der Oper gesorgt, und der geniale Komponist brauchte nicht immerwährend beaufsichtigt und im Auge behalten zu werden.

In langsamem Ochsenschritte ging die Fahrt die ganze Nacht hindurch vor sich, und so kam es, daß die Reisenden erst zwei Stunden nach Tagesanbruch die Stadt vor sich liegen sahen, obgleich die Entfernung zwischen San Xavier del Bac und Tucson eine so kurze ist.

Der Anblick dieser Hauptstadt war ein wenig erfreulicher. Obgleich es noch so früh am Tage war, strahlte die Sonne doch schon mit einer fast unerträglichen Glut auf die kahlen Schlammhütten und Mauertrümmer herab. Äußerst häßliche Koyotehunde bellten und heulten dem Zuge entgegen, und ausgedörrte, in bunte Fetzen gehüllte Menschengestalten lungerten vor den Thüren und an den Ecken herum und verzerrten grinsend ihre sonnverbrannten Gesichter, als der letzte Wagen an ihnen vorüberknarrte und sie den Herrn Emeritus auf dem hinten angebundenen Pferde erblickten. Er nickte ihnen, ohne ihr Lachen übelzunehmen, freundlich zu; mochten sie seine Situation für lächerlich halten, ihm war es ganz recht, daß er das Tier nicht mehr zu lenken brauchte.

Auf Sams Anweisung wurde auf einem freien oder vielmehr vollständig kahlen Platze angehalten, wo sich bald eine Menge von kläffenden Hunden, schreienden Kindern und neugierigen Tagedieben einfanden, welche die Wagen umlungerten und ihre Aufmerksamkeit besonders auf Sam Hawkens und den Kantor richteten, wohl wegen der sonderbaren Persönlichkeit des ersteren und auch infolge der ungewöhnlichen Weise, in welcher beide gekleidet waren.

Da die deutschen Auswanderer während ihrer Reise nur wenig Englisch gelernt und vom Spanischen sich gar nur einige Brocken angeeignet hatten und sich also der hiesigen Bevölkerung gegenüber nicht verständlich machen konnten, übernahm es Sam Hawkens, sich zu erkundigen, ob man hier Futter für das Vieh und Wasser bekommen könne. Ja, Heu und Wasser war zu haben, aber beides in sehr schlechtem Zustande und zu hohen Preisen, und zehn, zwanzig und noch mehr Faulenzer zeigten sich bereit, es herbeizuholen, um sich durch diese Arbeit, welche eigentlich keine Arbeit war, einige Centavos zu verdienen.

Als dies besorgt war, begab sich der Kleine zum Kommandanten, um demselben sein Anliegen vorzutragen. Er vernahm, daß dieser Offizier mit zahlreicher Begleitung nach Prescott gereist und fast die ganze Besatzung nach der Gegend des Guadalupepasses aufgebrochen sei, um die dort hausenden aufrührerischen Mimbrenjos zu züchtigen. Er wurde zu einem Kapitän geführt, welcher die Stellvertretung des Kommandanten übernommen hatte. Er saß bei seiner Morgenschokolade und las in einer alten Zeitungsnummer, welche hier in Tucson aber neu genannt werden mußte. Als er den Eintretenden erblickte, zeigte sein Gesicht zunächst den Ausdruck der Überraschung; dann erheiterte es sich mehr und mehr; endlich lachte er laut auf, erhob sich von seinem Stuhle und sagte in einem Tone, dessen Impertinenz nicht zu verkennen war:

„Mensch, wer seid Ihr? Was wollt Ihr? So ein Jack-pudding ist mir noch niemals vorgekommen!“

„Mir auch nicht,“ antwortete Sam in einer Weise und mit einer Handbewegung, welche ahnen ließen, daß er den Offizier meinte.

„Euch auch nicht? Was wollt Ihr damit sagen?“ fuhr ihn dieser in ganz anderm Tone an. „Wollt Ihr mich etwa beleidigen!“

„Ist es eine Beleidigung, wenn ich Euch beistimme?“ fragte Sam sehr ernst und sehr ruhig,

„Ach so! Dann lobe ich Eure edle Selbsterkenntnis. Ich wiederhole Euch, daß ich noch keinem solchen Harlekin begegnet bin, wie Ihr zu sein scheint. Ihr kommt wohl, um die Erlaubnis zu bitten, hier eine lustige Vorstellung geben zu dürfen?“

„Ja, das ist’s,“ lachte Sam. „Ihr habt’s erraten, Sir, und sollt mir dabei helfen, wenn ich mich nicht irre.“

„Helfen? Ich? Haltet Ihr den Stellvertreter des Kommandanten, einen Vereinigtenstaatenoffizier für einen ebensolchen Lustigmacher, wie Ihr seid?“

„In diesem Fall, ja,“ antwortete Sam, indem er sich kaltblütig einen Stuhl herbeizog und sich auf denselben setzte.

„Mensch, noch ein solches Wort und ich lasse Euch einsperren und durchpeitschen!“ drohte der Offizier, indem er einige Schritte auf den Kleinen zutrat. „Wie könnt Ihr Euch ohne meine Erlaubnis setzen! Ihr befindet Euch bei dem Höchstgebietenden der Stadt und habt vor ihm zu stehen. Also auf mit Euch, und zwar augenblicklich!“

Er griff bei diesen Worten mit der Hand nach einem Nagel, an welchem eine Reitpeitsche hing. Auf Sam aber machte diese Bewegung nicht den geringsten Eindruck. Er sagte in einem sehr gelassenen Tone:

„Ich befinde mich bei dem Höchstgebietenden? Meinetwegen, ja; habe nichts dagegen; bin ja ein Kamerad von ihm.“

„Ein Kamerad? Von mir?“ dehnte der andre. „Ihr wäret ein Offizier, Ihr, Ihr?“

Bei dieser Frage ließ er einen Blick unendlicher Geringschätzung über die Gestalt des Kleinen gleiten.

Well, Offizier!“ nickte dieser freundlich. „Habt Ihr vielleicht einmal etwas von dem bekannten Leaf of trefoil gehört?“

„Kleeblatt? Welches Kleeblatt meint Ihr da?“

„Die drei Prairiejäger, wenn ich mich nicht irre.“

„Ja, dieses Kleeblatt kenne ich. Es besteht aus Dick Stone, Will Parker und Sam Hawkens, von dem man sich erzählt, daß –“

„Schön, Sir, schön!“ unterbrach ihn der Westmann. „Habt also von diesen dreien gehört. Freut mich, freut mich sehr! Werden da bald mit unsrer lustigen Vorstellung im reinen sein und dabei erfahren, wer den Bajazzo macht. Wißt Ihr vielleicht auch, daß Sam Hawkens im letzten Kriege Scout gewesen ist?“

„Ja, unter General Grant. Er hat es infolge seiner großen dabei geleisteten Dienste, durch seine List und Kühnheit bis zum Kapitän gebracht. Aber was hat das mit Euch zu thun?“

„Viel, sehr viel, Sir; jedenfalls mehr als mit Euch, denn ich schätze, daß Ihr damals noch gar nicht in der Uniform gesteckt habt. Das Kleeblatt befindet sich nämlich gegenwärtig hier.“

„Hier? In Tucson?“

Yes, Sir. Und Sam Hawkens, der verdiente Vereinigtenstaatenkapitän, befindet sich Euch sogar noch näher; er sitzt in diesem Augenblicke hier in Eurer Stube.“

„Hier? In meinem Zimmer?“ rief der Stellvertreter betroffen und indem seine Augen sich erweiterten. „Es ist ja außer mir kein andrer Mensch da als Ihr?“

Well, stimmt genau, Sir!“

„Dann – dann – wäret Ihr – Ihr, Ihr dieser Hawkens!“

Yes, bin ich auch, wenn ich mich nicht irre.“

Thunder-storm! Ihr wäret Sam Hawkens? Ihr?“

„Denke es. Warum sollte ich es nicht sein?“

„Weil – weil – weil,“ stotterte der Kapitän verlegen, „weil Ihr keineswegs darnach ausseht. Ein Offizier kann sich doch unmöglich in solche Kleider stecken!“

„Wüßte nicht, warum er es nicht thun sollte! Warum sollte sich gerade ein Offizier nicht nach seinem Geschmacke kleiden, Sir? Und dies ist nun einmal mein Geschmack, der Geschmack von Sam Hawkens, und wer denselben für geschmacklos halten sollte, der mag dies thun; ich habe nichts dagegen, so lange er schweigt. Wenn er es aber wagt, es mir zu sagen, so befindet sich die richtige Antwort auf eine solche Beleidigung hier in meiner Hand!“

Sam Hawkens zeigte bei diesen Worten auf sein Gewehr und fügte hinzu.

„Übrigens, daß ich damals Offizier wurde, darauf gebe ich keinen leeren Kürbiskern. Zu einem tüchtigen Westmanne gehört weit mehr als zu einem Subalternoffizier, und ein Westmann bin ich, Sir; ja, der bin ich ganz gewiß, und wenn Ihr es nicht glaubt, so bin ich bereit, es Euch zu beweisen. Wollen wir uns einander gegenüberstellen, um zu erfahren, wessen Kugel ganz genau das Herz des andern trifft? Bin sofort bereit dazu, Sir, sofort, wenn Sie es wünschen!“

Das wurde in einem Tone gesprochen, welcher trotz der allerdings lächerlichen Gestalt Sams dem Offizier sichtlich imponierte. Der letztere machte eine abwehrende Handbewegung und antwortete, diesesmal nun in höflichem Tone:

Ast gar nicht nötig, Sir, ist nicht nötig! Warum sollen sich Gentlemen, welche Kameraden sind, ohne alle Veranlassung niederschießen?“

„Hm! Veranlassung wäre wohl vorhanden dazu. Aber da Ihr erkannt habt, daß der vermeintliche Hanswurst ein Gentleman und Euer Kamerad ist, so habt hier meine Hand. Wollen nun in Frieden über die lustige Aufführung sprechen, an welcher Ihr Euch beteiligen sollt.“

Sie schüttelten sich die Hände, und dann erzählte Sam von seinem gestrigen Zusammentreffen mit den zwölf Reitern, welche er für die Finders hielt. Der Kapitän hörte sehr aufmerksam zu; sein Gesicht nahm je länger desto mehr den Ausdruck großer Spannung an, und als der Kleine geendet hatte, sprang er erregt auf und rief:

„Wenn Ihr Euch nicht irrtet, Sam! Wenn es wirklich die Finders wären! Welch ein Fang!“

Sam blinzelte ihn mit seinen kleinen Äuglein an und fragte:

„Meint Ihr, daß Sam Hawkens so dumm ist, nicht zu wissen, was er behauptet? Sie sind es, sage ich Euch, sie sind es!“

„Aber warum seid Ihr da von San Xavier del Bac fortgeritten, ohne sie mitzunehmen? Sie waren doch gefesselt und befanden sich in Eurer Gewalt!“

„Kann ich beweisen, daß sie Diebe, Räuber, Mörder, daß sie wirklich die Finders sind? Dieser Beweis muß erst erbracht werden, indem ich ihnen die Gelegenheit gebe, uns zu überfallen. Wenn wir sie dabei ergreifen, sind sie ohne weiteres überführt.“

„Ergreifen! Ihr wollt euch also überfallen lassen?“

Yes.“

„In Wirklichkeit überfallen lassen?“

„Natürlich! Oder meint Ihr, daß ich nur davon träumen soll?“

„Das ist Scherz; mir aber ist es Ernst. Ich könnte mich meinen Vorgesetzten nicht besser empfehlen, als wenn wir gerade jetzt, da ich der Kommandierende bin, diese berüchtigte Bande in die Hand bekämen. Aber wenn ihr warten wollt, bis sie über euch herfallen, begeht ihr euch in die größte Gefahr!“

„Fällt keinem Menschen ein!“

„Und doch! Der Überfall wird doch in der Weise stattfinden, daß sie euch niederschießen?“

„Wenn wir uns hinstellen, ja; aber der kleine Sam Hawkens wird mit seinen Leuten verschwunden sein.“

„Dann ist aber von einem Überfalle keine Rede!“

„Warum nicht? Die Wagen werden überfallen, und wenn wir nicht bei denselben sind, so bleibt die That doch ein Verbrechen, und wir können getrost behaupten, daß sie uns ermordet hätten, wenn sie uns angetroffen hätten. Wir werden zwar nicht beweisen können, daß sie Mörder sind; aber sie überfallen nächtlicher Weile einen Wagenzug; das ist Raub, und darauf steht hier zu Lande die Todesstrafe.“

Well! Aber wie wollt ihr sie dabei ergreifen, ohne daß es zum Kampfe kommt und ihr euch also in die Gefahr begebt, euer Leben zu verlieren?“

„Das wird sich finden, wird sich ganz gewiß finden, Sir, wenn Ihr uns dabei unterstützen wollt.“

„Das soll mehr als gern geschehen; nur möchtet Ihr mir sagen, wie Ihr Euch diese Unterstützung denkt.“

„Setzt Euch aufs Pferd und begleitet uns mit einem Trupp Eurer Kavallerie!“

„Ich wäre ganz glücklich, wenn ich das thun dürfte; aber es ist mir nicht gestattet, meinen Posten hier zu verlassen. Und da ich so wenig Leute hier habe, könnte ich höchstens nur zwanzig Mann detachieren.“

„Das genügt vollständig, Sir.“

„Wenn Ihr dies meint, so soll’s geschehen, doch muß ich unbedingt vorher wissen, wie Ihr Euch die Sache denkt. Hat Eure Ansicht meinen Beifall, so sollt Ihr zwanzig Mann bekommen. Seid Ihr denn wirklich so sicher, daß die Finders Euch folgen werden?“

„Daß sie kommen werden, das ist so sicher, wie mein alter Filzhut hier, hihihihi! Sie werden freilich nicht wagen, sich in Tucson sehen zu lassen, sondern die Stadt umreiten; dennoch aber ist es möglich, daß sie einen einzelnen von ihnen als Kundschafter in die Stadt senden. Darum darf jetzt niemand als nur wir beide, höchstens noch der Lieutenant, erfahren, was wir vorhaben. Also sie werden einen Bogen um die Stadt schlagen, bis sie wieder auf unsre Wagenspur treffen, und derselben folgen, bis sie bemerken, daß und wo wir für die nächste Nacht Lager machen. Sie bleiben natürlich zurück und ruhen aus, bis es dunkel geworden ist; dann kann und wird der Überfall stattfinden, wenn ich mich nicht irre.“

„Nun, und Ihr? Ihr wolltet doch nicht bei den Wagen bleiben, wie Ihr vorhin sagtet.“

„Ja, wir werden uns freilich hüten, uns erschießen zu lassen. Wir gehen fort.“

„Wohin?“

„Das kommt darauf an, wo wir lagern werden. Kennt Ihr die Stelle, an welcher die Guadeloupestraße mit dem Wege von Babasaqui zusammenstößt? Und wird diese Stelle auch dem Lieutenant, den Ihr uns mitgeben wollt, bekannt sein?“

„Wir sind beide mehrere Male dort gewesen, er sowohl wie ich.“

Well, ist mir lieb. Dort werden wir lagern, denn dort gibt es Wasser, was für unsre Zugtiere die Hauptsache ist. Ihr schickt den Lieutenant mit seinen Leuten voraus dorthin; aber er muß sich seitwärts unsres Weges halten, damit die Finders nicht etwa seine Spur treffen und mißtrauisch werden. Wir folgen später und treffen mit ihm dort zusammen. Sobald es zu dunkeln beginnt, zünden wir ein großes, helles Feuer an, damit die Finders uns leicht bemerken können. Dann lassen wir die Wagen stehen und machen uns zur Seite, um die Kerls, sobald sie sich heimlich nähern, gleich mit den Fäusten zu packen, niederzureißen und gefangen zunehmen.“

Der Kapitän ging eine Weile schweigend, aber mit raschen Schritten im Zimmer hin und her; dann blieb er vor Sam stehen und sagte:

„Wie Ihr das sagt, klingt es so glatt, so leicht, als ob es nur so und gar nicht anders kommen könne. Die Finders werden den Überfall aber jedenfalls nicht unternehmen, ohne vorher einen Kundschafter nach eurem Lager gesandt zu haben.“

„Das sollen sie auch, und das werden sie allerdings.“

„Aber dann sieht der Späher doch, daß ihr euch nicht im Lager befindet!“

„Nein, das sieht er nicht, denn wir werden es nicht eher verlassen, als bis er dagewesen ist.“

„Dann müßtet ihr aber doch über sein Kommen und Gehen unterrichtet sein!“

„Das werden wir auch, Sir.“

„Wieso? Auf welche Weise?“

„Hm, Ihr scheint Sam Hawkens für dümmer zu halten, als er ist, hihihihi! Den Finders traut Ihr zu, daß sie einen Kundschafter voraussenden. Können denn dasselbe auch nicht wir thun? Ich sage Euch, Sir, daß ich diese Kerls viel eher belauschen werde, als sie uns.“

Der Offizier schüttelte zweifelnd den Kopf und entgegnete:

„Das dürfte wohl unmöglich sein. Ihr müßtet sie schon am Tage beschleichen. Ich habe viel, sehr viel von Euch und Euern beiden Kameraden erzählen hören; ich weiß also, wie listig und wie verwegen Ihr seid, aber diese Leute am hellen, lichten Tage belauschen, hier, wo es keine Wälder gibt, wo man sich verstecken kann, das dürfte Euch wohl kaum gelingen. Dazu müßt Ihr folgendes bedenken: Ihr brennt ein großes Feuer an: sie hingegen werden sich hüten, dies zu thun; sie können also euern Lagerplatz schon von weitem sehen, während Ihr nicht wißt, wo sie zu finden sind.“

„Meint Ihr? Meint Ihr wirklich? Sam Hawkens soll nicht wissen, wohin sich diese Gentlemen stecken werden, hihihihi! Das ist gerade so, als wenn mein Kopf nicht wissen sollte, daß er unter seinem Hute steckt! Ich sage Euch, die Finders werden weder nach rechts noch nach links von unsrer Fährte weichen und auch auf derselben halten bleiben, wenn sie unser Feuer sehen. Sam Hawkens aber weiß ganz genau, auf welche Entfernung hin ein Feuer, wie er es anbrennen wird, zu bemerken ist. Habt keine Sorge um mich, und sagt mir rund heraus, ob Ihr Euch mit dieser Sache befassen wollt oder nicht! Wir werden auch allein ganz gut mit ihnen fertig; nur müßten wir ihnen in diesem Falle unsre Kugeln schmecken lassen. Da ich aber lieber kein Blut vergießen will, habe ich mich an Euch gewendet. Wenn Ihr mir zwanzig Mann, also vierzig Hände, zur Verfügung stellt, können wir mit den Fäusten fertig bringen, was sonst nur mit Hilfe von Pulver und Blei zu erreichen wäre.“

„Gut, ich bin einverstanden, möchte aber vorher auch die Meinung des Lieutenants hören.“

„So laßt den Mann kommen, Sir! Denke aber, daß er dem Stocke, den ich schwimmen lassen will, keine andre Richtung geben wird.“

Der Kapitän holte den Lieutenant selbst herbei, und es erfolgte eine Unterredung, an deren Schlusse sich diese Ansicht Sams bewahrheitete: es blieb bei dem, was er beschlossen hatte. Die beiden Offiziere waren neugierig, auch Dick Stone und Will Parker zu sehen, doch Hawkens redete ihnen das aus, da ihr Besuch bei den Wagen oder der Besuch der beiden Genannten bei ihnen gewiß Aufsehen erregt hätte. Ein etwaiger Späher der Finders mußte dann davon erfahren, und Buttler konnte dann gar wohl erraten, daß die Garnison zu Hilfe gerufen worden sei. Als noch einige nebensächliche Dinge besprochen und bestimmt worden waren, entfernte sich Sam, sehr zufrieden über das Ergebnis der Verhandlung mit seinem Herrn „Kameraden“.

Als er bei den Wagen ankam, stand die ganze nichtsthuende Bevölkerung von Tucson um dieselben, gerade so, wie hier in Deutschland die Müßiggänger nach einem Zigeunerlager laufen, um sich das Treiben desselben anzusehen. Die Gesellschaft saß, ohne diese große Zuschauerschaft zu beachten, beim Frühstücke, und Sam setzte sich mit nieder, um an dem frugalen Essen teilzunehmen und zu berichten, welches Ergebnis seine Unterredung mit dem Kapitän gehabt habe.

Später kamen einige der Neugierigen näher, um sich mit den Reisenden zu unterhalten, was seitens der Auswanderer nur bei dem Kantor Erfolg hatte, wenn auch nur einen sehr geringen, da dieser sich eine größere Anzahl englischer Brocken angeeignet hatte, als die andern. Unter diesen Leuten befand sich ein junger Mann, welcher sich, von den übrigen unbefriedigt, an den Führer machte und diesen, mit ihm allein stehend, in ein Gespräch verwickelte. Sam beobachtete ihn; er bemerkte, daß derselbe eine militärische Haltung besaß und während des Gespräches besonders forschend auf die drei „Kleeblätter“ blickte. Darum stand der Kleine auf und näherte sich ihnen. Als er hinkam, hörte er noch deutlich, daß der Führer auf eine an ihn gerichtete Frage antwortete:

„Ja, es ist das Kleeblatt; ich kann es versichern, obgleich ich es erst auch nicht glauben wollte.“

Da nahm Sam den Fremden beim Arme und sagte in einem sehr bestimmten Tone:

„Master, Ihr seid Soldat, nicht? Ihr gehört zur hiesigen Garnison?“

Man sah dem Manne an, daß ihn diese Frage in Verlegenheit brachte. Er stotterte etwas, was als Antwort dienen sollte, aber nicht verstanden werden konnte; darum fuhr der Kleine fort:

„Geniert Euch nicht; ich zürne Euch nicht. ich habe dem Kapitän gesagt, daß ich Sam Hawkens bin; er kennt mich nicht persönlich und muß doch infolge einer Zusicherung, welche er mir gegeben hat, wissen, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Darum habt Ihr die Uniform ausziehen und in dieser Kleidung zu uns gehen müssen, um genaue Erkundigung einzuziehen. Gesteht, daß es so ist!“

„Ja, Sir, Ihr täuscht Euch nicht,“ lautete jetzt die Antwort. „Da ich nun weiß, daß Ihr zu dem Kleeblatte gehört, darf ich es gestehen.“

„So meldet dem Kapitän, was Ihr gehört habt; sprecht aber ja mit keinem andern davon!“

„Kein Wort sage ich, Sir. Ich weiß, um was es sich handelt; ich bin Unteroffizier und gehöre zu den Zwanzig, welche mit dem Lieutenant reiten werden.“

„Wann brecht ihr auf?“

„Schon in einer halben Stunde.“

„So sagt dem Lieutenant, er soll euch einzeln und nach verschiedenen Richtungen aus der Stadt reiten lassen! Dadurch wird vermieden, daß irgend jemand auf den richtigen Gedanken kommt.“

Der Unteroffizier entfernte sich, und nun wendete sich Sam an den Führer:

„Sagt mir doch einmal, wie Ihr dazu kommt, diesem Manne Auskunft über uns zu erteilen!“

„Er fragte mich!“ antwortete der Führer kurz.

„So! Also wenn Euch jemand fragt, so antwortet Ihr, es mag sein, wer es will.“

„Ihr wollt mir doch nicht etwa den Mund verbieten?“

„Ja, das will ich allerdings! Ihr wißt, daß niemand erfahren soll, daß wir das Kleeblatt sind, und doch habt Ihr es diesem Frager sofort auf die Nase gehängt. Ihr wollt ein Scout, ein Westmann sein und habt noch nicht einmal das Abc der Vorsicht inne. Ich möchte mich Eurer Führung nicht anvertrauen.“

„Das habt Ihr auch nicht nötig. Ehe Ihr zu uns kamt, ging alles nach meiner Weisung und nach meinem Willen; nun aber thut Ihr, als ob Ihr unser Gebieter wäret. Ich bin von diesen Leuten engagiert worden und führe sie –“

„Ins Verderben!“ fiel Sam ihm in die Rede. „Ihr habt sie zu beschützen. Thut Ihr das? Ohne unser Kommen würden sie heut abend beraubt und ermordet werden!“

Pshaw! Ich habe meine Augen auch offen. Laßt Euch sagen, Master Hawkens, daß ich die mir Anvertrauten bis Fort Yuma zu führen habe. Bis dorthin bin ich Herr des Zuges. Wollt Ihr mit, so habt Ihr Euch mir zu fügen. Später dann könnt Ihr befehlen, so viel Ihr wollt! Basta!“

Da klopfte ihm Sam auf die Achsel und sagte mit seinem freundlichsten Lächeln, hinter welchem sich aber stets das Gegenteil verbarg:

„Nicht basta, noch lange nicht! Ich weiß, wohin diese Leute wollen; es ist nicht nötig, daß sie über Fort Yuma ziehen; es gibt einen kürzeren Weg, den Ihr freilich nicht zu kennen scheint. Ihr bleibt bis morgen früh noch bei uns; dann könnt Ihr gehen, wohin es Euch beliebt.“

„Mir recht, wenn ich meinen Lohn bis Fort Yuma bekomme!“

„Den werdet Ihr erhalten, und dann führe ich diese Leute, ohne Lohn von ihnen zu verlangen; sie werden dann nicht wieder durch die Schwatzhaftigkeit ihres Scout in Gefahr geraten.“

Der Führer setzte sich mürrisch auf eine Wagendeichsel; Sam wendete sich von ihm ab und seinen Gefährten zu.

„Hast einen Fehler gemacht, Sam,“ meinte Will Parker. „Kann dich nicht begreifen.“

„Fehler gemacht? Welchen?“ fragte der Kleine.

„Warum soll er noch bis morgen bei uns bleiben? Hättest ihn gleich fortschicken sollen.“

„Das also, das soll ein Fehler sein! Will Parker, das Greenhorn, untersteht sich Sam Hawkens gute Lehren zu erteilen! Siehst du denn nicht ein, altes Coon, daß ich ihn heut noch nicht fortschicken darf?“

„Nein, das sehe ich nicht ein.“

„O, süßer Will, wie traurig steht’s mit dir! Wirst niemals, nie, ein Westmann werden. Wie blamiert es mich, einen solchen Lehrjungen zu haben, der nichts begreifen kann! Du aber kannst dich glücklich schätzen, daß ich dein Meister bin, denn ohne mich und Dick Stone wärest du längst schon ausgelöscht worden. Weißt du, was dieser sogenannte Scout machen würde, wenn ich ihn schon heut davon jagte?“

„Nun, was?“

„Er würde aus Rache zu den Finders gehen und ihnen unser Vorhaben verraten. Aber dein kleines Gehirn reicht gar nicht zu, diesen großen Gedanken in sich aufzunehmen.“

Yes,“ stimmte Parker sehr ernsthaft zu. „Du hast wirklich recht, alter Sam. Es ist eine wahre Sünde und Schande mit mir, daß keine deiner guten Lehren und Ermahnungen wie ein Tintenklex an mir haften bleibt. Ich begreife gar nicht, wie du es nur so mit mir aushalten kannst.“

„Das ist kein Wunder, da du überhaupt gar nichts begreifen kannst. Der Grund liegt darin, daß ich für dich fühle und empfinde wie eine nachsichtige Mutter, die gerade dasjenige Kind, welches ihr die meisten Sorgen macht, am meisten liebt.“

Jetzt sah man einen Kavalleristen vorüberreiten; der Aufbruch des Militärs hatte also begonnen. Der Wagenzug aber blieb noch lange halten und setzte sich erst um die Mittagszeit wieder in Bewegung.

Man hatte bis zu dem Punkte, an welchem für die Nacht gehalten werden sollte, ungefähr neun englische Meilen zurückzulegen und mußte also selbst bei dem langsamen Ochsenschritte noch vor abend dort ankommen. Die Gegend, durch welche der Zug sich bewegte, war eine mit Kies bedeckte Einöde, auf welcher nur hier und da ein hagerer Kaktus oder ein elender Mesquitestrauch zu sehen war. Was man davon dürr fand, wurde mitgenommen, um heut abend ein großes Feuer unterhalten zu können. Überhaupt besteht die ganze zwischen Tucson und dem Gila liegende Strecke aus solchem kiesigen Wüstenlande, wo es Wasser für das Vieh nur in einigen Tümpeln gibt und für die Menschen an zwei oder drei Punkten, wo die frühere Überlandpostgesellschaft Brunnen graben ließ, welche noch heut bestehen. Man nennt diese Gegend die Neunzigmeilenwüste. jedenfalls gibt es außer an den angeführten Stellen auch noch an andern Orten Wasser, doch halten die wilden Indianer derartige Punkte verborgen, indem sie die Löcher mit Häuten bedecken, auf welche sie Kies und Sand streuen, gerade so, wie die Nomaden der Sahara es mit ihren verborgenen Brunnen thun.

Sam Hawkens leitete den Wagenzug; der bisherige Führer ritt nicht mehr voran, sondern hinterdrein. Die Blicke, welche er von Zeit zu Zeit auf den Kleinen warf, waren keine guten. Wenn sie bemerkt worden wären, hätte man aus ihnen ersehen können, daß er auf Rache sann.

Als am Nachmittag nur noch zwei englische Meilen zurückzulegen waren, achtete Sam noch weit mehr als vorher auf den Weg und dessen Umgebung. Von einem gebahnten „Wege“ war allerdings keine Rede; aber wer diese Gegend passierte, der hielt, ob zu Pferde oder zu Wagen, dieselbe Richtung ein, und so kommt es, daß man hyperbolisch sogar von Straßen spricht, welche die einzelnen Orte dort verbinden.

Diese letzten zwei Meilen führten über wellenförmiges Land, welches so aussah, als ob eine Schar von Giganten riesenhafte Körbe voll Sand, Kies und Steingetrümmer hier nebeneinander ausgeschüttet hätte. Darum kamen die Wagen nur sehr langsam vorwärts. Einer dieser Giganten hatte seinen Korb mit großen, mannshohen und noch höheren Felsenstücken gefüllt gehabt und dieselben so hingeworfen, daß sie wie eine Brustwehr neben-, zwischen- und übereinander lagen. Wer sich dahinter versteckte, konnte sehr weit sehen, ohne selbst gesehen zu werden.

Sam deutete auf diese Felsen und rief seinen beiden andern „Blättern“ zu:

„Das ist der Ort, an welchem die Finders halten werden. Oder willst du vielleicht wetten, Will Parker, daß ich unrecht habe?“

„Fällt mir nicht ein, altes Coon,“ antwortete der Genannte. „So klein mein Gehirn nach deiner Meinung ist, es hat doch diese Felsen sofort als mutmaßliche Haltestelle in sich aufgenommen. Schau, da drüben, links, gibt es noch ähnliche hohe Steine. Vielleicht reiten die Kerls dort hinüber.“

„Nein, denn hier siehst du einige hundert Grashalme, welche sie ihren Pferden gönnen werden. Dort drüben wird sich aber auch jemand befinden.“

„Wer?“

„Kannst du das dir nicht denken?“

„Doch, alter Sam.“

„Nun, wer?“

„Du selbst. Du wirst dich dort verstecken, um ihre Ankunft zu beobachten und sie dann zu belauschen.“

Da schlug Sam seine fetten Hände über dem Kopfe zusammen und rief in gut gespielter Verwunderung:

„Ist so etwas denn möglich! Dieses Greenhorn hat auf einmal einen Gedanken, einen wirklichen Gedanken, und zwar einen ganz richtigen und guten! Entweder geht die Welt bald unter, oder bei diesem alten Will Parker ist der Knoten endlich doch gerissen. Ja, edler Will, ich werde, wenn ich unsern Lagerplatz gesehen habe, nach dort drüben zurückkehren und auf die Finders warten.“

„Nimmst du mich mit?“

„Kann es nicht riskieren, Will. Gehören geschickte und erfahrene Leute zu so etwas. Mußt erst noch länger in die Schule gehen.“

„Hm, ist’s nicht etwa so, daß du dich täuschest, alter Sam? Habe einen Jungen gekannt, welcher absolut nichts lernte, obwohl er einen sehr anstelligen Kopf besaß. Die Leute sagten, nicht der junge, sondern der Lehrer, der nichts verstand, sei schuld daran. Ist wahrscheinlich hier bei uns auch der Fall.“

Nachdem man noch einige niedrige Bodenerhebungen überwunden hatte, wurde das Land wieder eben, und eine gute Viertelstunde später verwandelte sich der sterile Kies in eine Erde, welche eine Gruppe von Mesquite- und Ocochillabüschen trug. Da gab es sogar Wasser. Es war hier nämlich einer jener Brunnen, welche von der Überlandpostgesellschaft gegraben worden sind. Der Lagerplatz war erreicht, und man hielt an.

Zunächst erquickten sich die Menschen an dem Wasser; dann wurden die Pferde und Ochsen getränkt, welche alsdann den Versuch machten, sich aus dem stacheligen Gebüsch die wenigen grünen Blätter zu holen. Die Wagen waren, wie Sam gestern geraten hatte, so aufgefahren worden, daß sie die Seiten eines zwischen ihnen liegenden Viereckes bildeten.

Natürlich blickte man nach den Soldaten aus. Sie waren nicht zu sehen. Sam nickte befriedigt vor sich hin und sagte:

„Ist kein übler Kopf, dieser Lieutenant. Hat nicht eher hier erscheinen wollen, als bis wir angekommen sind. Wird sich aber nun bald sehen lassen.“

Als ob seine Worte von dem Betreffenden gehört worden seien, tauchte jetzt im Norden ein einzelner Reiter auf, welcher rasch näher kam. Es war der Lieutenant. Als er das Lager erreichte, gab er Sam Hawkens die Hand und sagte:

„Wir befinden uns schon seit Stunden in der Nähe, mieden aber diese Stelle, weil, da man hier Wasser findet, leicht jemand kommen und uns dann den Finders verraten könnte. Nun aber müssen unsre Pferde saufen. Dürfen wir her?“

„Ja, Sir,“ antwortete der Kleine. „Aber wenn es dunkel werden will, müßt ihr wieder fort. Es werden Späher kommen, welche euch nicht sehen dürfen. Ihr zieht euch dann so weit zurück, daß ihr dann, wenn wir euch brauchen, schnell geholt werden könnt.“

„Einverstanden. Wo aber meint Ihr denn, daß die Finders halten werden, um auf die rechte Zeit zu warten?“

Sam deutete nach Südost zurück, wo man die vorhin erwähnten Felsen von hier aus gerade noch sehen konnte.

„Dort hinter jenen Steinen, Sir. Da sie wahrscheinlich schon am Tage dort ankommen werden, dürfen sie nicht weiter, weil wir sie sonst bemerken würden.“

„Aber werden sie nicht mich und meine Reiter sehen?“

„Nein. Ich habe gestern bei ihnen gesessen und weiß, daß keiner von ihnen ein Fernrohr besitzt; ein Auge aber, und wenn es noch so scharf ist, kann in dieser Weite nur die großen Wagen und später, wenn es dunkel geworden ist, das Feuer erkennen. Ihr könnt also eure Leute getrost holen, Sir.“

Der Offizier ritt fort und kehrte bald darauf mit seinen zwanzig Kavalleristen zurück, welche sich nur so weit entfernt vom Lager befunden hatten, daß sie von demselben aus eben gerade nicht mehr gesehen werden konnten. Es wurde der Ort bestimmt, bis zu welchem sich die Truppen bei der Dämmerung zurückzuziehen hatten; dann schickte sich Sam an, seinen Spähergang anzutreten. Er mußte gehen, da er sich als Reiter nicht so gut und leicht verbergen konnte. Er trat also zu seinem Maultiere, gab demselben einen leichten Klaps und sagte:

„Leg dich nieder, alte Mary, und warte, bis ich wiederkomme!“

Es verstand ihn ganz genau, legte sich nieder, und nun konnte man die höchste Summe darauf wetten, daß es sich nicht eher von der Stelle rührte, als bis es von seinem zurückgekehrten Herrn dazu aufgefordert wurde. Dann wendete er sich an Parker:

„Wie steht es, süßer Will? Wünschtest du nicht, mitgenommen zu werden?“

„Lauf nur allein,“ war die Antwort. „Kannst ein Greenhorn, wie ich bin, doch nicht brauchen.“

„Muß dich aber doch mitnehmen, wenn du etwas lernen sollst.“

Well, ich gehe mit, doch nicht des Lernens halber, sondern damit du nicht ohne Hilfe bist, wenn die Finders dich erwischen und skalpieren wollen.“

„Mögen es immer thun. Können meine Haut bekommen. Werde mir eine andre und schönere kaufen.“

Sam und Parker verließen das Lager. Sie nahmen ihre Waffen mit, da es möglich war, sich derselben bedienen zu müssen. Südöstlich lagen die Steine, hinter welchen, wie Sam annahm, sich die Finders verbergen würden. Mehr nach Süd, also nach rechts, sah man die Felsen, bei denen Sam sich verstecken wollte. Dorthin nahmen sie ihren Weg, doch nicht in gerader Richtung, sondern in einem westwärts geschlagenen Bogen, um, falls die Finders schon angekommen sein sollten, nicht von ihnen gesehen zu werden. Natürlich hatte Sam, ehe er sich aus dem Lager entfernte, für alle möglichen Fälle die nötigen Anweisungen zurückgelassen.

Als die beiden ihr Ziel erreichten, stand die Sonne schon dem Horizonte nahe; in einer halben Stunde mußte die in jenen Gegenden sehr kurze Dämmerung eintreten. Drüben bei den andern Felsen befand sich noch kein Mensch; sie richteten ihre Blicke also dahin, wo die Erwarteten herkommen mußten. Niemand war zu sehen.

„Ob sie überhaupt kommen werden?“ fragte Parker. „Wir sind nur von einer Vermutung, nicht aber von einer Gewißheit ausgegangen.“

„Was du Vermutung nennst, ist für mich Gewißheit,“ antwortete Sam. „Soll mich wundern, wenn ich mich irrte.“

„Die Lugt kann ihnen vergangen sein; haben ihnen nicht gut mitgespielt.“

„Desto kräftiger wird ihr Durst nach Rache sein. Schau! Bewegt sich nicht etwas dort zwischen den beiden vorletzten Bodenwellen?“

Parker strengte seine Augen an und antwortete dann hastig:

„Reiter! Sie sind’s!“

„Ja, sie sind’s; sie kommen aus der Einsenkung hervor. Man kann sie noch nicht zählen, aber mehr als zwölf sind es nicht.“

„Und wohl auch nicht weniger. Sie sind’s gewiß. Alter Sam, du hast recht gehabt!“

„Habe immer recht, süßer Will, immer, und das ist gar nicht schwer. Weißt du, wie man es machen muß, um niemals unrecht zu haben?“

Yes; ist sehr leicht.“

„Nun, wie?“

„Man muß gar nichts behaupten.“

„Auch richtig; aber das meine ich nicht. Man darf nicht eher etwas sagen, als bis man gewiß weiß, daß es richtig ist.“

„Ist keine Kunst!“

„Nicht? Nun, dann muß man immer das Gegenteil von dem behaupten, was ein Greenhorn sagt.“

„Schön, lieber Sam! Werde also von jetzt an dir niemals beistimmen, dann habe ich immer recht. Schau, sie bleiben halten! Sie besprechen sich. Sie werden doch nicht herüber zu uns wollen!“

„Fällt ihnen nicht ein! Jetzt setzen sie sich wieder in Bewegung. Sie weichen rechts von unsrer Fährte ab. Sie kennen diese Gegend und wissen, daß sie dort hinauf zu den Felsen müssen, wenn sie unser Lager sehen wollen.“

„Du meinst, sie nehmen als sicher an, daß wir dort am Wasserlagern?“

„Natürlich! Kein Mensch wird, wenn er Wasser haben kann, in die Wüste gehen. Welch eine Frage wieder! Will Parker, Will Parker, was werde ich noch an dir erleben müssen! Ich kann mit dir keine Ehre einlegen und darf mich also in deiner Gesellschaft vor niemand sehen lassen. Du betrübst und grämst mich noch in den blassen Tod hinein, wenn ich mich nicht irre. Schau, sie reiten hinauf, und ich hatte wieder recht: sie kommen nicht hierher.“

Man sah, daß sie sich nach den jenseitigen Felsen bewegten. je näher sie denselben kamen, desto vorsichtiger bewegten sie sich, indem sie jeden Stein zur Deckung nahmen, um vom Wasser aus nicht gesehen zu werden. Sie stiegen schließlich von den Pferden und führten dieselben hinter sich her, weil sie im hohen Sattel mehr in die Augen fallen mußten. Endlich hatten sie die Felsen erreicht und lauschten hinter denselben hervor. Man sah ihren Bewegungen an, daß sie sich freuten, den Wagenzug zu erblicken. Die Pferde wurden etwas rückwärts angepflockt, und dann nahmen die Reiter die verschiedensten Stellungen ein, in denen sie das Lager bequem beobachten konnten.

„Sie sind’s,“ nickte Sam. „Zwölf; man kann sie jetzt zählen.“

„Gehen wir hinüber?“ fragte Will.

„Ja, sobald es dunkel geworden ist.“

Da brauchten sie nicht lange zu warten. Die Sonne hatte schon den Horizont berührt; sie verschwand; der immer tiefer werdende Schatten der Dämmerung flog von Osten herbei, und draußen am Wasser leuchtete nun ein hohes, helles Feuer auf. Man konnte die Finders schon nicht mehr erkennen.

„Komm,“ forderte Sam seinen Kameraden auf. „Wir wollen keine Zeit verlieren.“

Sie verließen ihr Versteck und schritten demjenigen ihrer Gegner zu. Je näher sie demselben kamen, desto leiser, zuletzt vollständig unhörbar, wurden ihre Schritte. Daß Sam Hawkens mit seinen Riesenstiefeln so geräuschlos auftrat wie ein Sperling im Grase, das war geradezu unbegreiflich. Und Will Parker benahm sich mit einem Geschick, welches bewies, daß er kein Greenhorn war, wenn er von Sam auch oft so genannt wurde.

Als sie an den Fuß der kleinen Anhöhe gelangten, gab Sam seinem Begleiter das Gewehr und flüsterte ihm zu:

„Bleib hier zurück und halte meine Liddy! Ich will allein hinauf.“

Well; aber wenn du in Gefahr gerätst, komme ich nach.“

Pshaw, wüßte nicht, welche Gefahr dies sein könnte! Spitz die Ohren, Will, damit du nicht etwa ertappt wirst!“

„Von wem?“

„Von dem Kundschafter, den sie gewiß nun bald fortschicken werden. Es ist zwar nicht wahrscheinlich, aber doch möglich, daß er hier vorüberkommt.“

Er legte sich auf den Boden nieder und kroch weiter. Es war jetzt die beste Zeit zum Anschleichen, weil so kurz nach der Dämmerung die wenigen Sterne, welche zu sehen waren, noch matt schimmerten. Bekanntlich wächst der Glanz der Sterne von der Dämmerung an.

Wie bereits bemerkt, bestand die Bodenwelle, auf welcher die Felsenstücke lagen, aus lauter Geröll, welches demjenigen, welcher im Anschleichen keine sehr große Gewandtheit besaß, unter den Füßen und Händen fortrollen mußte. Sam aber schob sich Zoll um Zoll vorwärts, ohne daß ein Steinchen aus seiner Lage geriet. Es ergab sich dabei wirklich die absoluteste Unhörbarkeit. So erreichte er die Höhe und hielt an. Seine scharfen an die Dunkelheit gewöhnten, weil in derselben geübten Augen sahen die Gegner vor sich; er hätte sie ebensogut bemerkt, wenn er sie nicht gesehen hätte, denn sie sprachen miteinander. Er wagte es, sich ihnen noch mehr zu nähern, und hielt endlich bei einem großen Steinbrocken an, hinter welchem er sich niederkauerte. Zwei oder drei der Finders standen aufgerichtet an den Felsen, um über dieselben hinweg das ferne Lagerfeuer zu beobachten; die übrigen hatten es sich bequem gemacht; sie saßen auf der Erde. Zwei waren es, welche miteinander sprachen, Buttler und ein andrer. Eben als Sam es sich hinter seinem Steine bequem gemacht hatte, hörte er den letzteren sagen:

„Hätten Wir nur mehr Munition bekommen können! Wir müssen außerordentlich sparsam sein.“

„Nur einstweilen,“ antwortete Buttler. „Wir werden uns alles wiedernehmen und noch weit mehr dazu. Poston, jetzt ist’s Zeit, dunkel genug. Mache dich fort! Aber laß dich ja nicht erwischen oder auch nur hören oder sehen, sonst hast du es mit mir zu thun!“

„Werde mich hüten, mich sehen zu lassen,“ antwortete der Angeredete. „Es ist nicht zum erstenmal, daß ich lauschen gehe.“

„Darum eben schicke ich dich und keinen andern. Du brauchst dich nicht in Gefahr zu begeben, brauchst nichts zu wagen und dich ihnen nicht allzuweit zu nähern, das wäre unnötig.“

„Aber ich möchte doch gern wissen, was sie reden!“

„Ist von keinem Nutzen für uns. Ich will nur wissen, ob sie allein am Wasser sind oder noch andre sich mit dort befinden.“

„Aber wenn ich sie reden hören könnte, würde ich erfahren, ob sie vielleicht Verdacht haben!“

„Verdacht? Woher soll ihnen dieser kommen?“

„Sie können doch denken, daß wir ihnen folgen werden?“

„Dazu sind sie zu dumm. Die Deutschen sind gar nicht zu rechnen, und der Scout schien nicht der Mann zu sein, der sein Leben wagt, um andre zu retten. Also bleiben nur die drei Schufte, welche gestern trotz ihrer Dummheit ein solches Glück gegen uns gehabt haben. Ihr Verstand reicht sicher nicht so weit, zu denken, daß wir ihnen nachgeritten sind. Am Gila in Fallen Bären und Biber fangen! Hat man jemals eine solche Verrücktheit gehört? Also geh, Poston, und spute dich! In einer halben Stunde kannst du wieder hier sein.“

Der Späher entfernte sich, und der allererste Sprecher nahm nun wieder das Wort-.

„Wann denkst du, daß wir uns auf sie werfen, Buttler? Heut abend noch oder morgen früh?“

„Morgen erst? So lange mag ich nicht warten. Ich brenne vor Begierde, ihnen, und vor allen Dingen dem kleinen, dicken Kerl, die Rechnung heimzuzahlen. Nein, heut abend noch.“

„Wenn sie schlafen und das Feuer ausgegangen ist?“

„Nein. Wir werden sie mit einer einzigen Salve niederschießen; dazu gehört Licht.“

„Aber das Feuer ist groß und leuchtet so weithin, daß sie uns sehen müssen, wenn wir kommen.“

„Dadurch, daß sie einen solchen Höllenbrand angefacht haben, beweisen sie, daß sie nicht den geringsten Verdacht hegen. Es ist freilich unangenehm, daß die Riesenflamme gar so weit leuchtet; wir müssen also warten, bis sie niedrig brennt. Dann aber wird keinen Augenblick länger gezögert. Ich sage euch, auf den Kleinen, Dicken darf mir niemand schießen, denn der soll von meiner Kugel sterben.“

Er erging sich weiter in zornigen Ausdrücken und in überkräftigen Redensarten über das gestrige Erlebnis, die dabei gegen ihn aufgetretenen Personen und die Übertölpelung, welcher er mit seinen Gefährten verfallen war. Sam erwartete, noch weiteres Wichtiges zu hören; darum blieb er wohl noch eine gute Viertelstunde liegen, sah sich aber getäuscht und verließ darum nun seinen Ort ebenso leise und vorsichtig, wie er gekommen war. Als er unten bei Will Parker anlangte, gab dieser ihm sein Gewehr zurück und sagte:

„Hier hast du die Liddy. Gab es etwas zu hören?“

„Wenig.“

„Aber wichtig?“

„Nur daß der Überfall dann geschehen soll, wenn unser Feuer nicht mehr so hell brennt wie vorher. Wir müssen uns darauf einrichten. Hast du den Kundschafter gesehen?“

„Ja. Er ging ziemlich nahe an mir vorüber, hat mich aber nicht bemerkt.“

„So komm! Wir müssen zu den Unsrigen.“

Sie entfernten sich, erst mit gedämpften Schritten, dann aber mit weniger Vorsicht, denn sie schritten nicht direkt auf das Lager zu, sondern machten einen Umweg, um nicht auf den zurückkehrenden Späher zu treffen. Sie hatten noch nicht ganz die Hälfte des Weges zurückgelegt, so hörten sie einen lauten englischen Ausruf, dem ein zweiter deutscher folgte.

Tempest!“ rief die erste Stimme.

„Herr Jemineh!“ schrie die zweite. „Wer fällt denn da über mich weg?“

„Das ist der Kantor,“ raunte Sam seinem Kameraden zu. „Der Mann macht mir da wohl eine Dummheit. Komm schnell näher, aber leise, damit man uns nicht eher bemerkt, als bis wir uns bemerken lassen wollen!“

Sie huschten der Gegend zu, aus welcher die Stimmen jetzt weiter erklangen. Als sie nahe genug gekommen waren, blieben sie halten und lauschten.

„Wer Ihr seid, habe ich gefragt!“ sagte der englisch Sprechende.

„Ich ersticke!“ wurde ihm deutsch geantwortet.

Ja, es war die Stimme des Emeritus. Sie klang so, als ob ihn jemand an der Kehle habe.

„Den Namen will ich wissen!“ erklang es wieder englisch.

„Dort vom Lager.“

„Ich verstehe Euch nicht. Redet doch englisch!“

„Ich komponiere!“

„Gehört Ihr zu den Leuten, welche dort am Feuer sitzen?“

„Eine Heldenoper, welche drei ganze Abende füllen soll!“

„Mensch, wenn Ihr nicht verständlich redet, kommt Ihr nicht los! Also Antwort! Wer seid Ihr?“

„Zwölf Akte, auf jeden Abend vier.“

„Den Namen, den Namen!“

„Ich suche den Hobble-Frank!“

„Ah endlich! Frank heißt Ihr? Was treibt Ihr denn hier, so allein und nächtlicher Weile?“

„Aus Klotzsche bei Dresden bin ich. Laßt mich doch los -o, o, endlich! Gott sei Dank!“

Die Stimme klang freier; der Kantor hatte sich losgerissen und eilte fort. Man hörte seine Schritte.

„Nun ist er doch fort!“ stieß der andre zornig hervor. „Soll ich – nein; ich muß weiter.“

Er verfolgte den Fliehenden nicht, sondern nahm seinen Weg mit schnellen Schritten zu den Finders.

„Es ist der Kundschafter,“ flüsterte Sam. „Das ist eine fatale Geschichte. Kann uns alles verderben. Ich muß wieder nach den Felsen zurück, um zu hören, was der Mann dort meldet. Bleib hier stehen! Ich muß noch eher dort sein als er.“

Er rannte fort. Will Parker wartete. Es verging wohl eine halbe Stunde, ehe Sam zurückkehrte. Als er kam, meldete er:

„Es ist besser abgelaufen, als ich dachte. Diese Begegnung konnte dem Kantor das Leben kosten oder, wenn wir ihm beisprangen, wenigstens unsern Plan zu Schanden machen.“

„Für wen halten die Finders diesen Unglücksemeritus?“ erkundigte sich Parker.

„Es ist gar nicht von ihm gesprochen worden.“

„Nicht? Das ist unmöglich.“

„Es ist wirklich so. Der Kundschafter hat nämlich die Begegnung gar nicht erwähnt.“

„Wirklich nicht? Unbegreiflich! Sie ist doch so wichtig, daß er sie unbedingt melden muß!“

„Das begreift dieser Mann vielleicht nicht. Er hat sie höchst wahrscheinlich aus Angst verschwiegen.“

„Aus Angst? Wieso?“

„Aus Angst vor den Vorwürfen. Ehe er ging, drohte ihm Buttler, sich ja nicht sehen zu lassen; nun ist er gar über jemand weggefallen. Wenn er dies sagt, hat er nichts Gutes zu erwarten; darum zog er vor, lieber zu schweigen. Das kann uns nur lieb sein. Komm nun jetzt zum Lager!“

Sie gingen weiter, hatten aber noch nicht viele Schritte gethan, als sie schon wieder stehen blieben, da sie ein Geräusch vor sich hörten. Als es näher kam, erkannten sie, daß es Hufschläge waren.

„Ein galoppierendes Pferd, welches gerade auf uns zukommt!“ sagte Parker.

„Ja, so ist es,“ stimmte Sam bei. „Was ist das nun wieder, wenn ich mich nicht irre! Schnell zur Seite!“

Das Pferd war schnell näher gekommen; sie wichen gerade noch zu rechter Zeit aus; als es vorüberschoß, sahen sie trotz der Dunkelheit, daß zwei Gestalten auf demselben saßen. Die eine von ihnen stöhnte laut.

„Wir das einer von uns, Sam?“ fragte Parker.

„Weiß nicht. Waren überhaupt zwei, altes Greenhorn.“

„Aber Feinde. Der eine saß richtig im Sattel; der andre kniete hinter ihm und hatte ihn beim Halse.“

„So genau habe ich es nicht unterscheiden können. Hast du dich nicht etwa geirrt?“

„Nein. Ich stand näher als du und konnte es also deutlicher sehen. Einer von ihnen gehörte wohl zu uns; wer aber mag der zweite sein?“

Dieser zweite gehörte ebenso wie der erste zur Gesellschaft. Daß sie miteinander an Sam und Will vorüberritten, und zwar auf einem Pferde, beruhte auf folgender Ursache:

Schi-So, der Häuptlingssohn, hatte sich stets nur zu Adolf Wolf, seinem gleichalterigen einstigen Studiengenossen und jetzigen Gefährten gehalten, war nach Indianerweise gegen Sam, Will und Dick nicht aufdringlich gewesen, hatte aber alle Vorkommnisse, Reden und Gespräche mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Er hatte in Tucson gehört, wie Sam den Führer zurechtwies und ihm sagte, daß er morgen entlassen werde. Später war ihm das stille, brütende Wesen dieses Mannes aufgefallen; er hatte Verdacht gefaßt und ihn von nun an sehr aufmerksam beobachtet. Jetzt, am Lager, hatte der Scout mit den deutschen Auswanderern nach Sams und Will Parkers Entfernung einen Streit vom Zaune gebrochen, und Frau Rosalie ihrem lebhaften Temperament zufolge an demselben teilgenommen. Was der eigentliche Grund oder Gegenstand des Zankes war, wußte Schi-So nicht; er hörte nur, daß die Frau schließlich zornig ausrief.-

„Denken Se nich etwa, daß wir Ihre Unterthanen und Schklaven sind! Ich, Frau Rosalie Eberschbach, geborene Morgenschtern und verwitwete Leiermüllerin habe hier gerade so viel zu befehlen wie Sie. Verschtehn Se mich! Sie zeigen uns den Weg und kriegen Ihr Geld dervor. So is die Sache. Und morgen gehn Se ab. Der Herr Sam Hawkens wird uns weiter führen; der verschteht seine Sache besser als Sie und macht’s noch derzu ganz umsonst.“

„Besser wie ich?“ fragte zornig der Scout. „Darüber haben Sie als Fremde und als Frau gar kein Urteil. Weiber haben überhaupt zu schweigen!“

„Zu schweigen? I, was Se nich sagen! Schweigen sollen wir Damen? Wozu haben wir denn den Mund bekommen? Etwa bloß zum Nüsseknacken und Oppedeldoc trinken? Hörn Se, da sind Se uff dem Holzwege! Schweigen lieber Sie, denn alles, was Se sagen, is schlechte Leinewand und imitiertes Meublemang! Wir werden froh sein, wenn Se morgen fort sein werden. Uff Ihre lockere Amtsführung als Wegweiser und Schkuut dürfen Se sich wahrhaftig nich viel einbilden!“

„Ich kann dieses Amt ja schon heut niederlegen!“

„So? Das is uns lieb; das is uns recht; das wird oogenblicklich angenommen. Also treten Se ab! Sie sind hiermit aus Amt und Schtand und Brot entlassen!“

„Nicht eher, als bis ich meine Bezahlung bekommen habe!“

„Die sollen Se haben, oogenblicklich haben. Wegen den paar Pfennigen lassen wir uns nich beim Land- und Kreisgericht verklagen. Julius, haste Geld bei der Hand?“

Julius hieß ihr Mann, welcher neben ihr stand. Er bejahte ihre Frage.

„So bezahl den Mann; mir kommt er nich wieder ins Haus. Dem will ich’s zeigen, ob wir Damen schweigen müssen oder nich! Ich bin nur deshalb mit nach Amerika, weil da die Damen feiner als drüben behandelt werden, und gleich dieser erste Yängki, der mir in den Weg gekommen is, will mir die Schprachwerkzeuge verbieten! Das muß eenen ja aus allen seinen sieben Himmeln reißen! Also zahl ihn aus, und dann hau du ju du!“

Der Scout erhielt wirklich seinen Lohn so ausgezahlt, als ob er mit bis nach Fort Yuma geritten wäre. Er schob es mit pfiffigem Lächeln in die Tasche. Jedenfalls hatte er den Streit nur deshalb vom Zaune gebrochen, um das Geld zu bekommen und sich noch während der Abwesenheit Sams entfernen zu können. Er sattelte sein Pferd, nahm sein Gewehr und stieg auf. Da trat Dick Stone zu ihm und fragte:

„Wollt Ihr mir wohl sagen, Sir, was es zu bedeuten hat, daß Ihr da Euern Gaul so plötzlich zwischen die Beine nehmt? Wie es scheint, wollt Ihr fort?“

Yes. Habt Ihr etwas dagegen?“ antwortete der Führer impertinent.

„Sehr viel sogar.“

„Darnach werde ich nicht fragen.“

„Oho! Dick Stone ist ganz genau der Mann, nach dessen Wort man fragt. Wir sollen überfallen werden; es heißt entweder hie Freund oder hie Feind; wer uns in diesem Augenblick verläßt, ist unser Feind.“

„Ich bin entlassen worden.“

„Als Führer, ja, aber nicht fortgejagt. Niemand hindert Euch, bis morgen zu bleiben. Wenn Ihr trotzdem fort wollt, so kennen wir den Grund!“

„Kennt Ihr ihn? Ah, wirklich?“ höhnte der Scout. „Wollt Ihr vielleicht die Güte haben, ihn mir zu sagen?“

„Ja. Ihr wollt zu den Finders, um sie zu warnen.“

„Ich glaube, Ihr seid verrückt geworden, Master!“

„Schwerlich. Dieser Gedanke liegt so nahe, daß ihn jedes Kind haben muß.“

„Da will ich Euch doch sagen, wohin ich will. Ich bin von diesen Deutschen entlassen worden und kann also nicht hier bei ihnen bleiben; meine Ehre verbietet mir das. Darum will ich hinaus zu den Soldaten, um bei ihnen bis zum Tagesanbruch zu bleiben. So, das ist meine Absicht, und nun laßt mich fort!“

Dick Stone ließ sich, durch diese Lüge für einen Augenblick getäuscht, die Zügel, welche er ergriffen hatte, aus der Hand zerren; der Scout gab seinem Pferde einen Hieb und ritt davon, der Richtung zu, in welcher sich der Lieutenant nach Sams und Parkers Entfernung mit seinen zwanzig Mann zurückgezogen hatte. Aber schon eine Sekunde später war Dick Stone wieder klar. Er sprang nach der Stelle, an welcher sein Gewehr lag, und rief:

„Der Schuft hat mich belogen; er will uns doch verraten; ich schicke ihm eine Kugel nach!“

Da schnellte Schi-So zu ihm hin und sagte:

„Schießt nicht, Sir! Es ist dunkel; die Kugel würde fehlgehen. Ich bringe Euch den Mann zurück.“

Nach diesen Worten schoß der Jüngling fort, in die dunkle Nacht hinaus.

„Ihn zurückbringen? Dieser Knabe?“ fragte Dick. „Sollte ihm schwer fallen. Ich muß ihm selbst nachreiten.“

Er wollte zu seinem Pferde; da ergriff ihn Adolf Wolf am Arme und bat:

„Bleibt hier! Er holt ihn wirklich.“

„Ist unmöglich!“

„Er holt ihn! Ihr könnt es glauben. Schi-So bringt, obgleich er noch so jung ist, noch ganz andre Dinge fertig.“

Der bestimmte Ton und die überzeugungsvolle Miene Wolfs blieben nicht ohne Wirkung.

„Hm,“ brummte Dick, „würde wohl zu nichts führen, wenn ich ihm nachritte. Kann doch nicht sehen, wohin er ist. Will er wirklich zu den Finders, so wird er wahrscheinlich auf Sam und Will stoßen, die ihn nicht weiterlassen werden. Bleib also hier. Aber eine verteufelte Geschichte ist es doch, wenn er entkommt. Was wird Sam dazu sagen!“

Dieser sagte gar nichts, sondern er stand gerade in diesem Augenblicke noch neben Parker und horchte mit diesem nach der Richtung, in welcher das Pferd an ihnen vorüber verschwunden war. Man hörte es noch deutlich schnauben, aber keine Huftritte mehr. Doch nach einiger Zeit waren sie wieder zu vernehmen; sie kamen wieder zurück, näher und näher und viel langsamer als vorher.

„Sonderbar!“ brummte Sam. „Die beiden Reiter kommen retour, und zwar im Schritt. Wir legen uns nieder, weil wir dann besser sehen können, wer es ist.“

Sie duckten sich auf den Boden. Jetzt kam das Pferd; es saß nur ein Reiter darauf, aber es zog einen dunklen Gegenstand hinter sich her. Jetzt erkannten die beiden den Reiter.

„Schi-So!“ rief Sam. „Ihr seid es, Ihr? Wie kommt Ihr hierher?“

Der Gefragte hielt das Pferd an und antwortete in bittendem Tone:

„Sagt du zu mir, Sir! Ich habe Euch schon einmal darum ersucht. Der Scout ließ sich sein Geld geben und ritt gegen unsern Willen fort. Er wollte uns den Finders verraten; da sprang ich ihm nach, ereilte ihn und schwang mich hinter ihm auf das Pferd. Als ich ihn mit dem Revolverkolben betäubt hatte, hielt ich das Tier an und warf ihn herunter; nun zieht es ihn an meinem Lasso hinter sich her.“

„Tausend Donner! Nacheilen, aufs Pferd springen, betäuben, herunterwerfen! Du bist ja der reine, richtige Old Shatterhand geworden! Braver Bursche! Werde es deinem Vater erzählen. Du hast den Verräter vielleicht gar erschlagen?“

„Nein; er ist nur betäubt.“

„Wahrhaftig, der wirkliche Old Shatterhand! Und das alles so ruhig, ohne einen Schuß oder sonstigen Lärm, wenn ich mich nicht irre!“

Der Jüngling antwortete einfach und bescheiden –

„Lärm durfte doch nicht sein, weil die Feinde sich in der Nähe befinden.“

All right; hast deine Sache so brav gemacht, daß jedes Lob überflüssig ist, Komm jetzt mit nach dem Lager! Wir wollen uns beeilen, mit den Finders fertig zu werden. Es ist besser, sie nicht lange warten zu lassen.“

Es ging wieder dem Feuer entgegen. Dem Scout kehrte infolge der Schmerzen, welche das auf der Erde schleifen verursachte, die Besinnung zurück. Er begann zu wimmern, doch wurde nicht darauf geachtet, bis das Lager erreicht worden war. Dort raffte er sich langsam auf. Der Lasso war ihm um die Hände gebunden, unter den Armen hindurchgeschlungen und dann an den Sattel befestigt worden. Es läßt sich leicht denken, wie er empfangen wurde. Er starrte finster vor sich nieder und beantwortete kein an ihn gerichtetes Wort. Ebenso schweigsam verhielt sich Schi-So zu dem Lobe, welches ihm von allen Seiten gebracht wurde. Er ging ganz still davon, konnte es aber doch nicht verhindern, daß Frau Rosalie ihn sehr fest beim Arme ergriff und fragte:

„Herr Schi-So, haben Se vielleicht eenmal die Geschichte von der verzauberten Prinzessin gelesen?“

„Welche?“ antwortete er. „Es gibt sehr viele Geschichten, welche diesen Titel haben.“

„Ich meene nämlich diejenigte Prinzessin, die in eenen Kirchturmknopf hineingezaubert war.“

„Die kenne ich nicht.“

„Der Kirchturm war hundertundelf Ellen hoch; darum mußte derjenige, der die Prinzessin erlösen wollte, hundertundelf Heldenthaten verrichten, uff jede Elle eene. Viele tausend Jahre hat das arme Wurm im Knopfe geschteckt, ohne daß es jemand nur bis zur dritten oder vierten Heldenthat gebracht hat, bis endlich een junger Rittersmann aus Schleswig-Holschteen kam und alle hundertundelf Heldenthaten, eene nach der andern, mit dem Schwerte um das Leben brachte. Da schprang der Kirchturmknopf uff und entzwee und die erlöste Prinzessin trat holdselig heraus, reichte dem Erretter die rechte Hand und führte ihn hinunter in die Sankristei.“

„So!“ lächelte Schi-So. „Und die Nutzanwendung dieser ebenso schönen wie rührenden Geschichte?“

„Nutzanwendung? Was meenen Sie damit? Was soll das heeßen? Wenden Se den Nutzenwenigstens nich zu Ihrem Schaden an! Ich habe Ihnen von diesem Turmknopf erzählt, weil ich sehe, daß Sie ooch so een tapferer Schleswig-Holschteener sind. Gibt es bei den Indianern ooch verzauberte Prinzessinnen?“

„Nein.“

„Jammerschade! Ich gloob, Sie brächten’s ooch bis hundertundelf. Rechnen Sie uff meine Hochachtung und uff meine Dankbarkeet!“

Sie wollte noch weiter sprechen, wurde aber von jemand fortgeschoben, der sich zwischen sie und ihn drängte. Es war der Kantor, welcher, seine Hand ergreifend, sagte:

„Teurer Freund und junger Mann, Sie wissen, daß ich im Begriffe stehe, eine große Heldenoper zu komponieren?“

„Ja; Sie haben uns das oft und wiederholt gesagt.“

„Und daß diese Oper zwölf Akte haben wird?“

„Ich glaube allerdings, daß es zwölf waren, von denen Sie sprachen.“

„Schön! In welchem Akte wollen Sie erscheinen?“

„Warum ich?“

„Weil Sie ein Held sind, wie ich ihn für meine Komposition brauche. Sie werden auftreten, indem Sie den Verräter zu Pferde am Lasso über die Bühne schleppen. Also bitte, in welchem Akte?“

Über das sonst so ernste Gesicht des Mestizen glitt ein fröhliches Lächeln, als er antwortete:

„Sagen wir im neunten.“

„Schön! Und wollen Sie ihn in Dur oder in Moll über die Bühne schleppen?“

„In Moll.“

„Gut; da werde ich C- moll wählen, denn dies hat den Dominantsextaccord von G und ist im ersten Grade mit dem herrlichen Es- dur verwandt. Und als Taktart wählen wir nicht Dreiviertel- oder Sechsachtel-, sondern den Viervierteltakt, weil das Pferd, auf welchem Sie auf der Bühne erscheinen werden, gerade vier Beine hat. Sie sehen, daß alles stimmen wird. Ich werde mir das alles gleich notieren.“

Er zog sein Merkbuch aus der Tasche. Da erklang hinter ihm eine Stimme:

„Ich habe Ihnen auch etwas zu notieren, Herr Kantor.“

Er drehte sich um und sah Sam vor sich stehen. In höflichem Tone antwortete er:

„Bitte, bitte, Kantor emeritus! Es ist nur der Vollständigkeit halber. Da ich nicht mehr im Amte bin –“

„So treiben Sie sich da draußen vordem Lager herum!“ unterbrach ihn Sam. „Wer hat Ihnen denn geheißen, das Lager zu verlassen?“

„Geheißen? Die Kunstbegeisterung trieb mich hinaus, erst lento, dann vivace und endlich gar allegrissimo. Sie wissen, wenn die Muse befiehlt, dann muß ihr jünger gehorchen.“

„Da bitte ich Sie, Ihrer Muse den Abschied zu geben, denn sie meint es nichts weniger als gut mit Ihnen.“

„Wieso?“

„Weil sie Sie auf Wege treibt, wo Sie leicht verunglücken können.“

„Daß ich nicht wüßte, werter Herr. Ich brauchte für meine Oper einen Doppeltriller; da ich denselben nicht hier im Lager finden konnte, so verließ ich dasselbe, um mir draußen in der Einsamkeit, wo mich niemand stört, einen auszusinnen.“

„Da setzten Sie sich auf die Erde nieder?“

„Ja.“

„Und warteten, ob der Triller kommen würde? Aber statt seiner kam ein fremder Mann, der Sie nicht sah, und stolperte über Sie weg!“

„O, er stolperte nicht nur, sondern er stürzte wirklich hin, lang über mich hinweg. Im nächsten Augenblicke hatte er mich beim Halse, gerade so, wie man eine Violine bei dem Halse faßt.“

„Dann gab es ein Duett!“

„Eigentlich kein Duett; wir sprachen nur ein wenig mit einander.“

„Sie deutsch, er englisch, und keiner verstand den andern!“

„Das ist kein Wunder. Wer mich verstehen will, darf mir doch nicht den Hals zusammenpressen. Das konnte er sich denken! Übrigens benutzte ich die Gelegenheit, als er mich einmal locker ließ, ihn und den Ort zu verlassen.“

„Wohl auch allegro oder allegrissimo?“

„Es war schon mehr con fretta, denn ich hatte ihn in dem Verdachte, mich abermals fesseln zu wollen.“

„Das wollte er allerdings, und noch viel mehr als das! Wissen Sie, wer er war?“

„Nein; es gab im Laufe der kurzen Unterredung keine Gelegenheit, uns einander vorzustellen.“

„Das glaube ich wohl. Es war überhaupt nicht auf solche Höflichkeiten, sondern auf Ihr Leben abgesehen.“

„Auf mein Leben?“ fragte der Kantor sehr erstaunt.

„Allerdings. Der Mann, welcher über Sie hinwegtrillerte, gehörte zu den Finders, welche uns überfallen und ermorden wollen.“

„Sollte man dies glauben!“

„Viel leichter zu glauben, als zu bezweifeln. Sie wußten, daß die Feinde sich da drüben befinden und liefen trotzdem hinaus und nach dieser Richtung hin. Sie scheinen nicht recht bei Sinnen gewesen zu sein, wenn ich mich nicht irre. Welcher vernünftige Mensch begibt sich in eine so offen drohende Gefahr!“

„Gefahr? Sie irren. Ich hatte schon wiederholt das Vergnügen, Ihnen zu erklären, daß es für einen Sohn der Musen keine Gefahr gibt außer der einzigen, daß seine Werke nicht anerkannt werden. Andre Fährlichkeiten existieren nicht.“

„Also, wenn ein offenbarer Mörder geradezu über Sie wegstolpert und Sie bei der Gurgel faßt, um Sie zu erdrosseln, so ist das keine Gefahr für Sie?“

„Nein. Sie haben ja den Beweis, lieber Herr; er hat mich gehen lassen und ist auch selbst gegangen. Über mir schwebt eben ein Genius, welcher über mich wacht und mich vor jedem Unglücke bewahrt.“

„Wenn dieser Glaube Sie glücklich macht, so mögen Sie ihn meinetwegen behalten, bis Sie einmal erschossen, erschlagen, erstochen und skalpiert werden. Aber aus Rücksicht auf uns sollten Sie vorsichtig sein. Ihre sehnsüchtige Erwartung eines Trillers hat auch uns in Gefahr gebracht. Wir werden in Zukunft nicht nur Ihr Pferd anbinden dürfen.“

„Etwa mich auch?“

„Allerdings.“

„Herr, dagegen muß ich protestieren! Das Genie kennt keine Banden, und wenn man es dennoch schnürt, zerreißt es alle Fesseln. Wie wollen Sie die Töne einer Trompete unterdrücken, wenn sie einmal am Munde sitzt?“

„Indem ich sie einfach vom Munde wegnehme, wenn ich mich nicht irre. Für jetzt nun verlange ich, daß Sie sich unbedingt ruhig verhalten und da bleiben, wohin ich Sie stelle. Es hängt unser aller Leben davon ab, daß niemand einen Fehler macht.“

„Wenn dies der Fall ist, werde ich Ihren Anordnungen folgen; Sie können sich darauf verlassen. Sollte es aber doch zum Kampfe kommen und jemand dabei sterben, so bin ich gern erbötig, für ihn schnell eine Missa pro defunctis auf beliebigem Text zu komponieren. Ich werde augenblicklich über ein schönes und ergreifendes Thema dazu nachdenken.“

Das Feuer war bis jetzt noch immer hoch geschürt worden. Nun sollte das Lager verlassen werden. Sam bestimmte, daß nur er, Stone, Parker und die Soldaten sich bei der Überrumpelung der Finders zu beteiligen hätten; die andern sollten der dabei doch drohenden Gefahr nicht ausgesetzt werden. Schmidt, Strauch, Ebersbach und Uhlmann waren damit einverstanden. Frau Rosalie aber erklärte beherzt:

„Was, ich soll die Hände in den Schoß legen, wenn andre für mich ihr Leben wagen? Das kann ich nich zugeben, ganz gewiß nich. Wenn keene Flinte für mich übrig is, da nehme ich eene Hacke oder Schaufel, und wehe dem Urian, der mir zu nahe kommt! In dem Herrn Emeritus seiner Heldenoper müssen doch ooch Damen ufftreten, und ich will die erschte sein, die erscheint. Also sagt mir nur den Ort, wo ich mich hinzuschtellen hab‘. Ich werde meine Sache machen; ausreißen thu ich sicher nich!“

Es kostete nicht wenig Mühe, ihr begreiflich zu machen, daß ihre Beteiligung nicht nur nichts nützen, sondern sogar nur schaden könne, und sie ergab sich nur ungern darein, sich den Unthätigen zugesellen zu müssen. Die vier deutschen Auswanderer zogen mit ihren Frauen, Kindern und Zugtieren nach der Stelle, an welcher die Soldaten warteten. Der Kantor war natürlich auch bei ihnen, und Sam schärfte ihnen ein, ja streng acht auf ihn zu geben, damit es ihm nicht möglich sei, sich zu entfernen und Unheil anzustiften. Die Pferde wurden auch dorthin in Sicherheit gebracht. Eigentlich sollten Schi-So und Adolf Wolf, da sie noch so jung waren, auch von der Beteiligung ausgeschlossen sein; aber der erstere erklärte so bestimmt, daß dies eine große Beleidigung für ihn sei, daß Sam ihm seinen Wunsch erfüllte und infolgedessen auch Adolf nicht mehr zurückweisen konnte. Der gefangene Scout wurde selbstverständlich auch mit in Sicherheit gebracht. Nun konnten alle Soldaten sich beteiligen; es brauchte keiner von ihnen als Pferdewache zurückzubleiben, da ihre Tiere von den Deutschen unter Aufsicht genommen wurden; sie kamen jetzt herbei, und eben wollte Sam Hawkens ihren Offizier über die Art und Weise der Abwehr gegen die Finders unterrichten, als der junge Häuptlingssohn in bescheidenem Tone zu ihm sagte:

„Werden Sie es mir verzeihen, wenn ich es wage, Sie auf etwas sehr Notwendiges aufmerksam zu machen?“

Er hatte deutsch gesprochen, um von dem Lieutenant nicht verstanden zu werden. Sam erkannte diese Rücksichtsnahme an und antwortete.

„Wie könnte ich dem Sohne meines Freundes, des großen Donners, zürnen. Sprich, wie du es auf der Zunge hast!“

Der Jüngling folgte dieser Aufforderung, indem er fortfuhr:

„Wer den Feind in der Nähe weiß, der sucht ihn zu beschleichen; das weiß der berühmte Sam Hawkens viel besser, als ich es ihm zu sagen vermag. Wir haben die Finders beschlichen und belauscht. Werden sie dasselbe nicht auch mit uns thun?“

Über Sams Bartwald ging eine Bewegung, wie wenn der Wind über die Wipfel der Bäume streicht. Seine kleinen, listigen Äuglein schlossen sich für einen Augenblick; dann, als sie sich wieder geöffnet hatten, zwinkerte er wie in halber Verlegenheit mit den Lidern und antwortete:

Behold, das ist wirklich kein übler Gedanke! Du hast recht, vollständig recht, und ich bin ein Esel sonder gleichen gewesen, daß ich nicht daran gedacht habe. Wenn es den Kerls eingefallen ist, uns zu belauschen, so wissen sie, daß wir auf ihren Überfall vorbereitet sind und sogar Soldaten bei uns haben, wenn ich mich nicht irre. Ich werde also sofort einmal um das Lager schleichen, um zu erfahren, ob die Luft rein ist.“

„Und soll ich nicht vielleicht nach der Richtung gehen, aus welcher die Finders kommen werden? Ich könnte Euch schnell von ihrer Annäherung benachrichtigen.“

„Ja, thue das, mein Sohn, thue das sogleich! Ich habe eine Unterlassungssünde begangen, welche uns aber hoffentlich keinen Schaden bringen wird. Sie wissen, wo wir uns befinden, denn sie können unser Feuer sehen, und so denke ich, daß sie es nicht für notwendig gehalten haben, noch extra einen Späher auszusenden.“

Schi-So huschte in die finstere Nacht hinaus, und der kleine Jäger fuhr fort:

„Ein ganz tüchtiger junger Mann! Wird es zu ‚was bringen! Hat mir eine Lehre gegeben, eine Lehre, daß ich altes Coon mich schämen möchte wie ein Sonntagsschütze, der von Hasen erschossen worden ist, wenn ich mich nicht irre. Ist mir auch noch nicht passiert, zu vergessen, daß man unter solchen Umständen einen Kundschafter aussendet, sogar einen zweiten und auch dritten, wenn der erste nichts erfahren hat oder mit der Rückkehr zögert! Bleibt hier stehen, Mesch’schurs, ich werde euch nicht lange auf mich warten lassen.“

Er ging. Sein Unternehmen war nicht ganz ungefährlich. Befand sich einer der Finders in der Nähe und er wurde von demselben bemerkt, ehe er selbst ihn sah, so konnte er leicht eine scharfe, spitze Messerklinge in den Leib bekommen. Darum durfte er nicht unvorsichtig sein, sondern mußte alle Finessen eines erfahrenen Westmannes in Anwendung bringen. Er ging nicht etwa schnell und aufrecht um das Lager, sondern er kroch langsam auf Händen und Füßen um dasselbe und strengte dabei Augen und Ohren auf das äußerste an, um einen etwa anwesenden Feind rechtzeitig zu gewahren. Daher kam es, daß über eine halbe Stunde verging, bis er zu dem Punkte zurückkehrte, von welchem er ausgegangen war.

Unterdessen hatte Schi-So ganz genau die gerade Linie eingehalten, welche nach dem Aufenthaltsorte der Finders führte. Als er ungefähr zehn Minuten gegangen war, natürlich ganz ebenso vorsichtig, wie Sam seine Runde gemacht hatte, hielt er an und setzte sich nieder. Um ihn her herrschte die tiefste Stille; er kannte die Schärfe seines Gehöres und wußte, daß er die Annäherung der Feinde gewiß gewahren würde. Hinter ihm brannte das Lagerfeuer tiefer und immer tiefer, bis es nur noch glimmte und dann ganz erlosch. Das war der Zeitpunkt, an welchem die Finders aufbrechen wollten. Er durfte nun jeden Augenblick ihres Nahens gewärtig sein. Und wirklich, er hörte jetzt etwas wie ein leises Wehen von der betreffenden Seite her. Ein andrer hätte gemeint, daß ein Lufthauch über die Gräser gehe; Schi-So aber wußte, daß es das kaum wahrnehmbare Geräusch schleichender Schritte sei. Er richtete sich halb auf und lauschte noch angestrengter als bisher; er erkannte, daß er sich nicht getäuscht habe. Seine guten Ohren sagten ihm, daß die Nahenden in einer Entfernung von zwanzig bis dreißig Schritten von ihm vorüberkommen würden; darum huschte er schnell fünfzehn Schritte vor und legte sich dann platt auf die Erde nieder.

Und da kamen sie, leise und langsam, einen dichten Trupp bildend und nicht einer hinter dem andern, wie Indianer oder erfahrene Westmänner gegangen wären. Sie passierten vorüber, und Schi-So erhob sich, um ihnen auf dem Fuße zu folgen. Er wußte, daß sie an irgend einer Stelle stehen bleiben würden. Dann sprach der Anführer jedenfalls einige Worte, und vielleicht gelang es ihm, dieselben zu vernehmen.

So ging es weiter und weiter, sie voran und er wie ein unhörbarer Schatten hinter ihnen her. Ja, sie hielten an, aber nicht eher, als bis sie fast in der unmittelbaren Nähe des Lagers angekommen waren. Wenn der Häuptlingssohn jetzt etwas hören wollte, so mußte er verwegen sein. Er legte sich also wieder auf die Erde nieder und kroch so nahe zu ihnen hin, daß er die Füße des Nächsten hätte mit der Hand erreichen können. Dieses kühne Experiment wurde belohnt, denn er hörte Buttler sprechen, zwar leise, aber doch so, daß er die Worte noch so leidlich verstehen konnte:

„Da sind wir angekommen. Seht Ihr nun das Lager?“

„Ja,“ entgegnete einer, und die andern stimmten ihm bei.

Die hohen, massig gebauten Wagen waren nämlich trotz der Dunkelheit gegen den helleren Himmel zu sehen. Der Anführer fuhr fort:

„Das Feuer ist vollständig ausgegangen, und ich denke, daß sie schlafen werden. Dennoch werden wir noch einige Zeit warten, bevor wir über sie herfallen. Sicher ist sicher. Aber umzingeln müssen wir sie schon jetzt. Wenn jeder von uns sich dreißig Schritte von dem andern entfernt, reicht unsre Zahl aus, einen Kreis um die Wagen zu bilden. Ist das geschehen, so wartet ihr, bis ich euch das Zeichen gebe.“

„Welches Zeichen?“ wurde gefragt.

„Ich ahme mit einem Grashalme das Zirpen eines Heimchens nach. Auf dieses Zeichen kriecht jeder von euch auf die Wagen zu, hinter denen sie schlafen werden. Wenn ich vor den Wagen angekommen bin, zirpe ich zum zweitenmal und warte ein wenig, um euch Zeit zu geben, auch dort anzulangen. Wenn ich dann zum drittenmal zirpe, ist das für euch der Befehl, unter den Wagen und Deichseln und zwischen den Rädern hindurchzukriechen und den Kerls eure Messer zu geben. Zu schießen vermeiden wir wo möglich.“

„Was geschieht mit den Weibern und Kindern?“

„Sie werden auch ausgelöscht. Es darf keine Seele leben bleiben, welche uns später verraten könnte. Die Beute teilen wir, und die Wagen werden dann verbrannt, die Leichen auch. Also vorwärts jetzt! Die eine Hälfte von euch geht nach rechts und die andre nach links; ich bleibe hier. Nehmt euch aber in acht und vermeidet jedes Geräusch, damit wir nicht verraten werden!“

Da fragte einer noch:

„Wenn wir nun auf einen Wächter treffen? Vielleicht haben sie einen ausgestellt.“

„Das glaube ich nicht. Diese unerfahrenen Menschen sind viel zu dumm, als daß sie auf einen solchen Gedanken kämen.“

„Aber wenn es dennoch wäre?“

„So wird er erstochen. Geschossen darf nicht werden. Der Messerstoß muß gut sitzen und ihn auf der Stelle töten. Also ans Werk jetzt, und paßt auf mein Zirpen auf!“

Die Finders entfernten sich nach zwei Seiten, um die Wagen zu umzingeln; Buttler aber blieb stehen. Schi-So überlegte einen Augenblick. Sollte er jetzt schnell fort, um Sam Hawkens Meldung zu machen? Nein. – Er hatte den Anführer so schön vor sich; wenn er ihn unschädlich machte, waren die übrigen dann viel leichter zu bewältigen. Er wartete also eine Minute, richtete sich dann hinter Buttler auf und versetzte ihm einen so kräftigen Kolbenhieb, daß der Getroffene laut los zusammenbrach. Er hätte ihn erstechen können, wollte aber kein Menschenleben vernichten. Der Aufenthalt in Europa und unter Christen war nicht ohne Wirkung auf ihn gewesen.

Er hing das Gewehr über und schlich davon, den Betäubten am Kragen hinter sich herschleifend. Er wußte genau die Stelle, an welcher sich Sam Hawkens mit den Soldaten befand. Es war ein Glück, daß dieser sich mit ihnen eine Strecke von dem Lager entfernt gehabt hatte; so konnten die Finders dieses einschließen, ohne auf die Verteidiger zu treffen.

Sam hatte Stone, Parker und dem Offizier einen Plan klar gemacht, bei dessen Ausführung alles Blutvergießen vermieden wurde und jede eigene Fährlichkeit ausgeschlossen war. In Beziehung auf die Ausführung desselben wurde nur noch auf die Rückkehr des Häuptlingssohnes gewartet. Da endlich kam dieser. Er zog einen dunklen Gegenstand hinter sich her und ließ ihn auf die Erde fallen. Als Sam dies sah, bückte er sich nieder, um den Gegenstand zu betrachten, und meinte erstaunt:

„Ein Mensch! Wie kommst du dazu? Ist er tot?“

„Nein, sondern nur betäubt,“ antwortete Schi-So.

„Wer ist es?“

„Buttler.“

„Alle Teufel! Auf welche Weise ist er denn um die Besinnung gekommen?“

„Durch einen Kolbenhieb von mir.“

„Von dir? Da hast du einen großen Fehler begangen und meinen ganzen schönen Plan zu schanden gemacht! Wo befinden sich seine Leute?“

„Sie liegen rund um die Wagen.“

Zounds! Hast du sie kommen sehen?“

„Ja.“

„Und es mir nicht gemeldet!“

„Es gab keine Zeit dazu. Ich konnte nicht hierher, sondern mußte ihnen folgen, um zu hören, was sie vorhatten.“

„Und hast du es gehört?“

„Ich habe es erfahren und dann Buttler niedergeschlagen.“

„Das hättest du nicht thun sollen! Mein Plan war so gut, ganz vortrefflich, und kann nun wahrscheinlich nicht ausgeführt werden. Erzähle schnell, wie das gekommen ist!“

Schi-So kam dieser Aufforderung in kurzen Worten nach. Als er geendet hatte, sagte Sam, und zwar in einem ganz andern Tone als bisher:

„Alle Wetter, hast du das gut gemacht! ja, wenn es so steht, dann kann ich dich unmöglich tadeln; ich muß dich vielmehr loben. Nun werde ich, nämlich ich und nicht ihr Buttler, diesen Finders etwas vorzirpen, was sie in unsre Hände bringen wird. Bindet den Kerl an den Armen und Beinen und gebt ihm einen Knebel in den Mund, damit er nicht etwa laut werden kann, wenn er erwacht!“

Die Soldaten waren sofort bereit, dem Befehle Folge zu leisten. Während dies geschah, fragte der Lieutenant:

„Also Ihr wollt an Buttlers Stelle das Zeichen geben, Sir? Könnt Ihr denn so zirpen wie ein Heimchen, wie eine Grille?“

„Haltet Ihr das für so schwer?“ gegenfragte Sam.

„Nein; aber ich könnte es nicht. Wie wird es gemacht?“

„Sehr einfach, mit Hilfe eines Grashalmes. Man legt die beiden Hände so zusammen, daß sie eine hohle Faust bilden, auf welche die Daumen nebeneinander zu liegen kommen. Klemmt man nun zwischen den Daumen einen Halm straff und bläst auf den letztem, so entsteht ein Ton, der ganz dem Zirpen eines Heimchens gleicht.“

„Das muß ich doch versuchen!“

„Habe nichts dagegen, Sir; nur bitte ich, diesen Versuch morgen oder nach zehn Jahren, nicht aber schon heut und hier zu machen, denn Ihr würdet uns die Burschen vertreiben, die wir fangen wollen.“

„Wieso?“

„Weil das richtige Zirpen nicht gleich beim erstenmal gelingt. Ihr würdet sehr wahrscheinlich einen Ton hervorbringen, ähnlich demjenigen, wenn man Buttermilch oder Syrup durch eine Klarinette bläst. Es will eben alles, selbst das Kleinste und Einfachste, gelernt sein.“

„Hm, es ist möglich! Aber was meint Ihr, was wir nun thun werden, da wir ganz anders zu handeln haben, als vorhin bestimmt worden ist?“

„Ich trete an Buttlers Stelle.“

„Das habt Ihr bereits gesagt. Aber wir?“

„Ihr macht euch hinter die Finders, je zwei von uns hinter einen von ihnen. Unsre Leute reichen dazu aus. Das muß aber äußerst vorsichtig geschehen, damit sie ja nichts davon merken. Wenn ich zirpe, avancieren sie, und ihr hinter ihnen her. Wenn ich dann das dritte Zeichen gebe, werden sie unter den Wagen hindurchkriechen wollen, aber dann von euch gepackt. Zwei gegen einen, das ist eigentlich gar nicht ehrenvoll; dennoch rate ich, sich nicht der Hände, sondern lieber der Gewehrkolben zu bedienen. Sie rasch niederschlagen, das ist das Einfachste und Sicherste; dabei wird keinem von uns ein Haar gekrümmt.“

„Es gibt etwas noch viel Einfacheres.“

„Was?“

„Nicht jeder Kolbenhieb ist tödlich. Darum denke ich, daß wir uns lieber unsrer Messer bedienen. Ein Stich, gut getroffen, ist allem andern vorzuziehen.“

„Fällt mir nicht ein, ist zu gefährlich! Wer hat Euch denn gesagt, daß den Kerls das Leben genommen werden soll? Eben deshalb und um sie nur zu betäuben, will ich nichts vom Schießen und vom Stechen wissen. Ich habe mich hundertmal meiner Haut zu wehren gehabt, wobei es mir sehr ernstlich an das Leben gegangen ist, wenn ich mich nicht irre, aber dabei doch nie vergessen, daß Menschenblut der kostbarste Saft ist, den es auf Erden gibt. Ich töte einen Menschen nur dann, wenn es keinen andern Ausweg gibt, also wenn es unbedingt notwendig ist.“

„Aber diese Halunken haben ihr Leben schon längst verwirkt!“

„Mag sein.“

„Sie müssen zertreten werden wie giftige Reptilien, gegen welche man sich nicht anders wehren kann!“

„Das ist Eure Ansicht, vielleicht die ganz richtige; ich aber bin weder ihr Richter noch ihr Henker.“

„Aber, Sir, wie könnt Ihr als Westmann so zartfühlend sein! Ihr habt doch gesagt, daß Ihr die Finders uns übergeben wollt?“

„Allerdings.“

„Wir werden sie also nach der Hauptstadt transportieren?“

„Natürlich.“

„Und was meint Ihr wohl, was dort mit ihnen geschehen wird?“

„Man wird ihnen Stricke um die Hälse binden und sie an denselben in die Höhe ziehen.“

„Das ist richtig; man wird sie hängen. Sie werden also sterben. Da ist es doch höchst gleichgültig, ob wir sie hier erstechen oder ob sie dort hingerichtet werden!“

„Mag sein. Aber Ihr rechnet das eine nicht, daß dort das Gesetz waltet, während sie hier noch nicht verurteilt sind. Nein, nein, wir fangen sie lebendig. Was dann in der Hauptstadt mit ihnen geschieht, das ist Eure Sache.“

„Hm, so will ich mich Euch fügen; also ganz wie Ihr wollt. Doch behaupte ich, daß diese Schurken eine solche Rücksicht nicht verdienen.“

Es wurde nun zur That geschritten. Die Soldaten teilten sich zu zweien; Stone, Parker und der Lieutenant übernahmen ihre Führung. Sie entfernten sich, um paarweise die Finders einzuschließen. Adolf Wolf blieb bei Buttler zurück, um ihn zu bewachen; Schi-So mußte Sam Hawkens nach der Stelle führen, an welcher er Buttler überwältigt hatte. Diese beiden letzteren bildeten also ein Glied im Ringe der Finders, während die Soldaten um denselben einen Kreis geschlossen hatten.

Als Sam sich sagte, daß diese Umschließung vollendet sei, klemmte er einen Grashalm zwischen die Daumen und ließ auf demselben das verabredete Zirpen hören. Hierauf avancierte er mit dem Häuptlingssohne nach der Mitte des Kreises und gab, an dem Wagen angekommen, das zweite Zeichen, worauf er eine Weile wartete. Da kam es zu beiden Seiten leise, leise herangekrochen. Lang ausgestreckt im Graseliegend, sahen die beiden die Finders sich wie Schlangen näher windend. Der Kreis hatte sich so verengt, daß man von einem Gliede desselben aus das andre leidlich erkennen konnte.

„Buttler, ich bin da,“ flüsterte es von rechts herüber.

„Es geht alles gut,“ raunte der andre links. „Verlier doch nicht die Zeit, sondern gib das Zeichen, denn wir sind alle da.“

Sam wendete sich rückwärts. Seine scharfen Augen sahen Dick Stone mit einem Soldaten hinter dem ersten Sprecher liegen; hinter dem zweiten warteten auch bereits zwei Militärs. Da zirpte er zum drittenmal und warf sich dann nach links auf den Finder, um diese beiden letzteren zu unterstützen, während der Häuptlingssohn nach rechts hin sprang; aber Schi-So brauchte gar nicht zu helfen, denn Dick Stone hatte den betreffenden Finder schon fest beim Kragen.

Man hörte Kolbenschläge und einige unterdrückte Schreie; dann war es rundum still.

„Hallo,“ rief Sam mit lauter Stimme, „ist alles gut gegangen?“

„Alles,“ antwortete Will Parker auf der andern Seite. „Wir haben sie.“

„So bringt sie hierher und brennt das Feuer wieder an, damit wir, wie es die Höflichkeit erfordert, ihnen unsre Gesichter zeigen können!“

Einige Minuten später lagen die gefangenen und gefesselten Finders innerhalb der Wagenburg; um sie herum saßen Sam, Dick, Will, der Lieutenant, Schi-So und Adolf Wolf, während die Soldaten fortgegangen waren, um ihre Pferde zu holen und mit diesen alle Personen, welche sich mit bei denselben befanden. Das Feuer loderte hell und hoch auf, so daß das Lager fast tageshell erleuchtet war.

Die Finders lagen nebeneinander und zwar jetzt mit offenen Augen. Es war keiner von ihnen erschlagen worden; sie hatten ihre Besinnung wieder; sie sahen und hörten also alles, was um sie her vorging, aber keiner von ihnen schien Lust zu haben, ein Wort zu sprechen, doch konnte man ihre Gefühle leicht aus den wütenden Blicken erraten, welche sie um sich warfen. Es hatte bisher noch niemand eine Frage an sie gerichtet. Sam Hawkens wollte damit bis zur Rückkehr der Auswanderer warten, da diese es ja waren, gegen welche der beabsichtigte Überfall hatte unternommen werden sollen. Da hörte man von weitem eine jubillerende, weibliche Stimme rufen:

We have them, we have them!“

Es war eine weibliche Stimme, die Ruferin kam näher, erreichte das Lager, kroch unter einer Deichsel hindurch, schoß auf Sam los und schrie ihn an:

We have them, we have them!Heeßt das nicht: Wir haben sie, wir haben sie, Herr Hawkens?“

Es war die liebe Frau Rosalie Ebersbach, geborene Morgenstern, verwitwete Leiermüller. Sie war allen andern vorausgeeilt.

„Ja,“ antwortete Sam. „So heißen diese englischen Worte, wenn man sie ins Deutsche übersetzt.“

„Also we have them, we have them, wir haben sie! Gott sei Dank. Was für eine Angst habe ich ausgestanden und was für eine Sorge habe ich gehabt! Ich wäre beinahe ausgerissen und wieder herzugekommen, um mit kämpfen, fechten und schtreiten zu helfen. Da aber kamen die Soldaten und sagten:

We have them!“ Was das in unsrer Mutterschprache zu bedeuten hat, das weeß ich ungefähr und bin offs schleunigste fortgerannt, um sie ooch mit zu haben. Das sind sie wohl, die dahier liegen?“

Sie deutete auf die Gefesselten.

„Ja, das sind sie,“ antwortete der Gefragte.

„Aber, was is denn das? Die leben ja noch! Ich dachte, es würden nur ihre toten Leichen zu erblicken sein. Das will mir nich in den Kopp. Is das vielleicht mit Fleiß geschehen?“

„Allerdings.“

„Na, da is Ostern heuer off eenen Donnerschtag gefallen, anschtatt off eenen Sonntag, wie sich’s von Rechtswegen ganz von selbst verschteht! Wissen Sie denn nich, Herr Hawkens, daß uns diese Raubmörder und Wildschützen haben um unser Leben bringen wollen?“

„Das weiß ich allerdings.“

„Und Sie haben dieselben dennoch nich erschossen? Das is eene Edelmütigkeet, der ich unmöglich meine Billigung zu erteilen vermag. Wer umbringt, der muß wieder umgebracht werden; Ooge um Ooge, Backzahn um Backzahn; so schteht es in der Bibel und in allen Gesetzbüchern geschrieben!“

„Sind Sie denn wirklich ermordet worden, Frau Ebersbach?“

„Nee. Wie können Sie nur so fragen! Wenn ich umgebracht wäre, so schtände ich jetzt doch als Geist oder als Geschpenst vor ihnen, und ich hoffe, daß Sie mich nich für so etwas halten.“

„O nein, als Geist kommen Sie mir gar nicht vor. Also Auge um Auge, Zahn um Zahn. Sie sind nicht umgebracht worden; darum haben wir die Finders auch nicht umgebracht.“

„Aber sie wollten uns doch ermorden! Das is doch ganz dasselbe, als ob sie uns wirklich ermordet hätten!“

„Und ich wollte sie dafür erschießen lassen; das ist also ganz genau so, als ob sie wirklich erschossen worden wären.“

Sie sah ihn in komisch wirkender Betroffenheit an, schlug sich gegen die Stirn und bekannte offenherzig:

„Was für eene dumme Rosalie ich da gewesen bin! Laß mich da mit meinen eegenen Worten schlagen! Das is mir jetzt zum erschtenmale in meinem Leben vorgekommen, denn Sie können es mir off mein Ehrenwort glooben, daß ich gar nich so leicht zu schlagen bin, wie Sie zu denken scheinen. Wer es in Redensarten und Spitzfindigkeiten mit mir offnehmen will, der muß sehr schpät zu Bette gehen und morgens früh halb dreie wieder munter sein. Aber sagen Sie mir doch wenigstens, was nun mit dieser Rasselbande geschehen soll. Da Sie so schonungsvoll mit den Halunken verfahren sind, so möchte ich mir mit gutem Grunde die Frage erlooben, ob sie vielleicht gar eene Belohnung, eene Prämie oder so eene goldene Medallche bekommen sollen!“

„Was wir zu thun beabsichtigen, das werden Sie sehr bald erfahren.“

„Das hoffe ich. Bedenken Sie, daß ich zu den Persönlichkeeten gehöre, off die es abgesehen war! Wenn der Überfall gelungen wäre, so läge ich jetzt als ermordete und abgeschiedene Leiche off dem Schlachtfelde, und das Morgenrot thäte mir zum frühen Tode leuchten. Das erfordert Schtrafe; verschtehen Sie mich?“

„Die Strafe wird nicht ausbleiben, Frau Ebersbach; darauf können Sie sich verlassen. Damit aber soll nicht gesagt sein, daß wir die Schuldigen umbringen müssen. Wir sind Christen, und Sie gar sind eine Dame, eine Frau. Sie gehören zum zarten, schönen Geschlechte, welches auf Haß und Zorn verzichtet und in Liebe und Güte die Welt beherrscht. Ich bin überzeugt, daß auch in Ihrem Herzen die Milde wohnt, ohne welche selbst die schönste Frau ein häßliches Wesen ist.“

Der spaßhafte kleine Jäger hatte sich, indem er in dieser Weise sprach, nicht verrechnet. Frau Rosalie warf sich in die Brust und antwortete:

„Die Milde wohnt? Natürlich wohnt sie da! Ich habe noch een Herz, und was für eens. Es schmilzt wie Butter an der Sonne. Ich gehöre ooch zu dem schönen, zarten Geschlechte, von dem Sie reden, und will mit meiner Güte die Welt beherrschen. Es kommt zwar vor, daß der Mensch verkannt wird, und es hat schon oft Oogenblicke gegeben, wo meine Milde und Güte nich tief genug erforscht worden is, aber hier bei dieser Gelegenheit will ich öffentlich beweisen, daß mein schwaches Geschlecht schtark in der Verzeihung is. Sie sollen sich nich in mir geirrt haben, Herr Hawkens. Ich mag nischt von eener Beschtrafung dieser Mörderbande wissen; lassen Sie sie loofen?“

Sie hätte vielleicht noch länger gesprochen; da aber kamen die Soldaten mit ihren Pferden, um sich draußen vor den Wagen zu lagern, und mit ihnen die Auswanderer, welche den gefangenen Scout mitbrachten.

Nun ging es zunächst an ein sehr reges Fragen und Antworten, welches nicht eher aufhörte, als bis die Deutschen alles, was während ihrer Abwesenheit geschehen war, auf das genaueste erfahren hatten. Auch der Kantor hörte sehr aufmerksam zu, doch nicht, indem er still am Feuer saß wie die andern, sondern er befand sich dabei in fortwährender Bewegung. Er machte sich mit den Gefesselten zu schaffen, deren Lage ihm nicht zu passen schien. Er schob und zerrte bald an dem einen, bald an dem andern herum, zerrte und schob wieder und immer wieder, so daß Sam ihn endlich fragte:

„Was thun Sie denn da? Liegen diese Leute nicht richtig, Herr Kantor?“

Der Gefragte drehte sich zu ihm und antwortete in wichtigem Tone:

„Kantor emeritus, wenn ich bitten darf, Herr Hawkens! Es ist das nur der Vollständigkeit halber und damit keine Verwechselung vorkomme. Ja, Sie haben es erraten: die Gefangenen müssen ganz anders liegen.“

„Warum?“

„Ihre Gruppierung macht nicht den richtigen Effekt.“

„Effekt? Was haben wir hier mit Effekt zu schaffen?“

„Mehr als Sie denken. Es scheint Ihnen entweder noch nicht bekannt oder schon wieder entfallen zu sein, womit ich umgehe?“

Ohne augenblicklich an die sonderbare Manie des Kantors zu denken, fragte Sam unvorsichtig:

„Was könnte das sein?“

„Nichts andres als meine Oper. Ich gehe damit um, eine große Heldenoper von zwölf Akten zu komponieren und reise nur deshalb in dieser Gegend, um mir den Stoff zu derselben zu suchen. Eine Scene dazu, eine ganz vortreffliche Scene, habe ich hier gefunden, nämlich den Chor der Mörder. Sie liegen am Boden und singen ein doppeltes Sextett. Dazu ist aber eine ganz andre Gruppierung notwendig, als diejenige, welche Sie ihnen gegeben haben. Ich studiere dieselbe jetzt und werde sie mir notieren, sobald ich sie gefunden habe. Sie dürfen versichert sein, daß ich mich in acht nehme, den Leuten dabei nicht wehe zu thun!“

„Was das betrifft, so stoßen Sie nur immer herzhaft zu. Kerls, wie diese sind, braucht man nicht mit seidenen Handschuhen anzugreifen.“

Daraufhin fuhr der Heldenkomponist in seiner Beschäftigung fort und zwar so energisch und nachhaltig, daß Buttler endlich das bisher beobachtete Schweigen brach und zornig zu Sam hinüberrief:

„Sir, was hat nur dieser Mann immer und fortwährend mit uns zu schaffen? Sorgt doch endlich dafür, daß er uns in Ruhe läßt! Wir sind keine Spielpuppen, an denen man nach Belieben zerren und ziehen kann!“

Sam hielt es nicht der Mühe wert, zu antworten, darum fuhr Buttler nach einer Weile fort:

„Ich muß überhaupt fragen, mit welchem Rechte ihr uns überfallen und niedergeschlagen habt!“

„Fragen?“ lachte der Kleine. „Ich denke, ihr braucht da keine Auskunft und könnt euch die Antwort selbst erteilen.“

„Wieso? Wir haben keine Ahnung eines Grundes, in dieser Weise behandelt zu werden. Wir sind als friedliche Reisende gekommen und haben euer Feuer gesehen. Da wir nicht wußten, wer an demselben lagerte, schlichen wir uns, wie sich das ganz von selbst versteht, heimlich heran, um uns zu unterrichten. Dabei sind wir heimtückisch niedergeschlagen worden. Wir verlangen, sofort freigelassen zu werden!“

„Verlangt das immerhin; ich habe nichts dagegen. Wünsche haben kann jeder Mensch; aber ob dieselben in Erfüllung gehen, das ist eine ganz andre Sache. Frei werdet ihr sein oder vielmehr hängen, nämlich morgen in Tucson, an einem schönen starken Pfahle.“

„Wenn ihr Witze machen wollt, so macht bessere als dieser ist! Es ist kein Spaß, sich an ehrlichen Leuten zu vergreifen, und da ihr von Tucson redet, so könnte es sehr leicht geschehen, daß ihr selber es seid, die dort aufgehängt werden. Oder ist es euch vielleicht unbekannt, wie hierzulande Menschen behandelt werden, welche nachts über andre, ehrliche Leute herfallen?“

„Ehrlich? Hihihihi! Eure Ehrlichkeit haben wir in San Xavier del Bac kennen gelernt!“

„Was dort geschah, gehört nicht hierher. Ich meine, die Sache liegt heute klar: wir wollten sehen, wer hier lagert, und sind dabei überfallen worden.“

„Hm! Ihr wußtet also nicht, wen ihr hier treffen würdet?“

„Nein.“

„Und seid uns doch seit San Xavier auf Schritt und Tritt gefolgt!“

„Das ist Lüge!“

„Und habt bis vorhin da hinten in den Felsen gesteckt, um nur zu warten, bis unser Feuer verlöschen würde!“

„Wozu?“

„Um uns zu überfallen.“

„Wieder Lüge, ganz gemeine, erbärmliche Lüge!“

Da erhob sich Sam vom Feuer, trat zu ihm hin, fuhr ihn an:

„Sprecht ja nicht von erbärmlich und gemein, sonst laß ich Euch den Rücken bläuen, daß es Euch schwarz vor allen Augen wird! Ich heiße Sam Hawkens; versteht Ihr mich: da sitzen Dick Stone und Will Parker. Man pflegt uns das Kleeblatt zu nennen. Abermals verstanden? Meint ihr, daß ihr die Kerls dazu seid, solchen Westmännern etwas weiß zu machen? Und wer uns gar mit gemein und erbärmlich kommt, den werfen wir in die Luft, daß er droben in den Wolken hängen bleibt!“

Buttler schien auf einmal die Sprache verloren zu haben. Sam Hawkens fügte hinzu:

„Ich selbst war heute bei euch, habe euch dort bei den Steinen belauscht und jedes Wort gehört. Ihr seid die Finders, doch brauchte ich das nicht erst heute zu erfahren, denn ich habe es schon in San Xavier gewußt.“

Da stieß Buttler erschrocken hervor:

Heavens! Die Finders! Welch ein Gedanke, uns mit diesen zu verwechseln! Wer hat Euch das weiß gemacht, Sir?“

„Ihr selbst. Ich habe gute Ohren.“

„O, selbst die schärfsten Ohren können sich irren und falsch verstehen!“

„Meint Ihr? War es vielleicht auch falsch verstanden, als Ihr vorhin gefragt wurdet, was aus den Frauen und Kindern werden solle, die sich bei uns befinden?“

„Ich weiß nichts davon.“

„Daß sie auch ausgelöscht werden sollten, um euch nicht etwa später verraten zu können?“

„Habe keine Ahnung davon!“

„Auch nicht davon, daß ihr die Beute teilen und die Wagen dann verbrennen wolltet?“

„Nein.“

„So besitzt Ihr ein außerordentlich schwaches Gedächtnis, dem man aber in Tucson nachhelfen wird.“

Da ergriff auch der Offizier, und zwar zum erstenmal, das Wort, indem er Sam aufforderte:

„Verschwendet Eure Worte nicht an diesen Menschen, Sir! Er mag leugnen, wie er will, es wird ihm doch nichts nützen. Es ist erwiesen, daß sie die Finders sind, und so werden sie morgen baumeln.“

„Wird dazu nicht unser Zeugnis nötig sein?“ erkundigte sich Dick Stone.

„Nein. Ihr gedenkt mit den Wagen weiter zu fahren, und ich will Euch nicht aufhalten, oder gar wieder nach Tucson zurückschleppen. Ihr habt mir gesagt, was zu sagen war; das ist grad so gut, als ob es vor Gericht geschehen sei. Beweise haben wir mehr als genug, und so ist gar kein Zweifel darüber möglich, daß diese Gegend endlich einmal von dieser Bande, der wir so lange vergeblich nachgestellt haben, gesäubert wird. Ich gebe Euch mein Wort, daß sie alle hängen werden.“

Auf weiteres Reden wurde verzichtet. Man stellte die für nötig gehaltenen Wachen aus und legte sich dann schlafen. Einer der Soldaten hatte bei den Gefangenen zu sitzen, um dieselben nicht aus den Augen zu lassen.

Der gefesselte Scout war zu den Finders gesellt worden und ganz zufälligerweise neben Buttler zu liegen gekommen. Diese beiden hatten bisher kein Wort mit einander gewechselt, obgleich es gar nicht schwer war heimlich zu sprechen, da diese Leute sehr eng zusammenlagen. Später, als alles schlief und der Scout bemerkte, daß der Wächter wahrscheinlich nur darauf zu sehen hatte, daß keiner der Gefangenen sich von den Banden befreie, stieß er Buttler mit dem Ellbogen an und flüsterte ihm zu:

„Schlaft Ihr, Sir?“

„Nein,“ lautete die Antwort. „Wer soll unter solchen Umständen schlafen können?“

„So dreht Euch zu mir herum! Ich habe mit Euch zu sprechen.“

Buttler folgte dieser Aufforderung und erkundigte sich sodann:

„Ihr waret doch der Führer dieser Halunken. Wie kommt es, daß man Euch Euren Lohn in dieser Weise gegeben hat?“

„Weil man mich in dem Verdacht hatte, gemeinschaftliche Sache mit euch machen zu wollen.“

„Das war aber doch nicht wahr?“

„Erst allerdings nicht; die Absicht kam mir dann später. Ich heiße Poller, Sir, und möchte, daß Ihr Vertrauen zu mir habt. Es steht hundert gegen eins zu wetten, daß Ihr verloren seid; ich aber möchte Euch gern retten.“

„Ist das Euer Ernst?“

„Ja; ich schwöre es Euch zu. Diese Kerls haben mich schwer beleidigt und ich bin nicht der Mann, dies ungerächt hingehen zu lassen. Allein kann ich nichts machen. Wenn Ihr mir aber helfen wollt, so sollen sie sicher und gewiß ihren Lohn haben.“

„Helfen? Hier kann niemand helfen, weder Ihr mir, noch ich Euch.“

„Denkt das nicht! Ich bin überzeugt, daß sie mich morgen freigeben. Man wird euch auf die Pferde binden und nach Tucson transportieren. Ich werde euch folgen; darauf gebe ich Euch mein Wort!“

„Bin Euch dankbar, Sir! Kann mir aber nichts nützen. Es wird mir unmöglich sein, fortzukommen.“

Pshaw! Habe da einen guten Gedanken. Steht Ihr etwa so fest zu Euren Leuten, daß ihr nicht frei sein wollt, ohne daß auch sie loskommen?“

„Unsinn! jeder ist sich selbst der Nächste. Wenn ich nur mich rette, so mögen sie immerhin baumeln.“

Well, dann sind wir eins. Sagt ihnen, daß sie sich während des Rittes so stellen sollen, als ob der Kolbenhieb, den jeder bekommen hat, schlimme Nachwehen habe. Taumelt auf dem Pferde hin und her; stellt Euch so schwach wie möglich. Es sollte mich wundern, wenn dieser Lieutenant nicht einmal halten ließe, damit Ihr Euch erholen könnt. Da muß man Euch die Fesseln von den Füßen nehmen. Dann könnt Ihr Euch, selbst wenn die Hände dann zusammengebunden bleiben, rasch des schnellsten Pferdes bemächtigen und davon reiten, natürlich zurück, wo ich Euch erwarte. Man wird überrascht sein und Euch nicht gleich folgen; dadurch bekommt Ihr Vorsprung. Kommt uns dann später einer nahe, so habe ich meine gute Büchse und schieß ihn vom Pferde herunter.“

Buttler antwortete nicht gleich; er überlegte und sagte erst nach einer längeren Weile:

„Euer Vorschlag ist der einzige, welcher helfen kann; ich werde ihn befolgen. Komme ich wirklich frei, dann dreimal wehe diesem Kleeblatte und allen diesen Deutschen! Wir wollen zusammenhalten, Master Poller.“

Hiermit war das heimlich geführte Gespräch, von welchem der Wächter nichts bemerkt hatte, beendet. Buttler fühlte sich einigermaßen beruhigt und schlief dann sogar ein.

Zu erwähnen wäre noch, daß Sam einige Soldaten unter der Führung des Häuptlingssohnes nach dem Lagerplatze der Finders gesandt hatte, um sich der dort zurückgebliebenen Pferde und ihres Wächters zu bemächtigen, was auch gelungen war.

Kaum graute der Morgen, so stand man vom Lager auf. Erst wurde von den Vorräten, welche die Kavalleristen mitgebracht hatten, ein kurzes Frühstück gehalten, und dann erklärte der Lieutenant, mit seinen Gefangenen aufbrechen zu wollen. Er ließ sie auf ihre Pferde binden; die gefesselten Hände blieben ihnen vorn, damit sie die Zügel zu führen vermochten. Während dies geschah, rief der Scout Sam Hawkens an:

„Und was soll mit mir geschehen? Soll ich etwa als Gefangener hier gefesselt liegen bleiben?“

„Nein,“ antwortete Sam. „Ich wollte Euch bloß für diese Nacht sicher halten; nun es Tag geworden ist, könnt Ihr reiten, wohin Ihr wollt.“

Well; so gebt mich frei!“

„Nur keine Überstürzung, mein sehr verehrtester Master Poller! Ich kalkuliere, daß Ihr Euch an uns rächen wollt und uns vielleicht zu diesem Zwecke folgen werdet; ich werde Euch also dadurch unschädlich machen, daß ich Eure Waffen zurückbehalte.“

„Ich protestiere! Das wäre Diebstahl, Raub!“

Pshaw! Nennt es, wir Ihr wollt; es wird durchaus nicht anders.“

Poller wurde von seinen Banden befreit, setzte sich wetternd und schimpfend auf sein Pferd und ritt westwärts davon, um später unbemerkt in die Richtung nach Tucson umzulenken. Dann, nachdem der Lieutenant Abschied genommen hatte, machte er sich mit seinen Soldaten und Gefangenen ostwärts auf den Weg. Nun, da die vielen Menschen fort waren und man wieder an den Einzelnen denken konnte, bemerkte Sam Hawkens, daß der Kantor fehlte. Schon sollten Boten nach ihm ausgesandt werden, da sah man ihn kommen, langsam und wie zornig gestikulierend, von Westen her. Als er das Lager erreichte, fuhr Sam ihn heftig an:

„Wo laufen Sie schon wieder herum? Was haben Sie da draußen zu suchen?“

„Einen Triumphmarsch,“ antwortete der Musikenthusiast, welcher ziemlich echauffiert aussah.

„Triumphmarsch? Sind Sie toll?“

„Toll? Wie kommen Sie zu einer so beleidigenden Frage, werter Herr? Wir haben ja gesiegt; wir haben die Feinde gefangen genommen, und darum bin ich fortgegangen, um in der Einsamkeit das Motiv zu einem Sieges- und Einzugsmarsch zu finden.“

„Dummheit! Sie sollen sich nicht so da draußen herumtreiben; es ist das ein Fehler, den ich nicht dulden darf!“

„Fehler? Erlauben Sie gütigst! Ein jünger der Kunst begeht keinen Fehler; den hat vielmehr der Scout begangen.“

„Der Scout? Wieso?“

„Ich war eben im schönsten Komponieren, da kam er auf mich zugeritten und nahm mir alle meine Waffen ab; nur den Säbel hier hat er mir gelassen; er könne ihn nicht brauchen.“

„Donnerwetter!“ fuhr da Sam Hawkens auf. „Dachte es mir doch! Ich schicke den Burschen ohne Waffen fort und Sie laufen extra hinaus ins Weite, um ihm dafür die Ihrigen zu überlassen!“

„Überlassen! Ist mir nicht eingefallen. Genommen hat er sie mir und und mir als Bezahlung zwei – zwei – ich darf es gar nicht sagen, gegeben.“

„Sagen Sie es nur! Ich muß es wissen.“

„Deutsch bring ich es nicht heraus. Lateinisch wird es Colaphus genannt.“

Colaphus ist Ohrfeige. Also zwei Ohrfeigen haben Sie von ihm bekommen?“

„Ja, und was für welche! Fortissimo!“

„Das war die beste That, die dieser Mensch in seinem Leben begangen hat!“

„Bitte, bitte, wertester Herr Hawkens! Ein Komponist und Musenjünger, dem man zwei so gewaltige Maulschellen gibt, der – –“

„Der hat sie verdient, und auch noch einige dazu!“ fiel Sam ihm in die Rede. „Ich werde Sie viel, viel schärfer im Auge behalten als bisher. Machen Sie sich jetzt zum Aufbruche fertig; wir fahren weiter!“

Eine Stunde später setzte sich der Wagenzug in Bewegung. Voran ritt Sam Hawkens, welcher an die Stelle des bisherigen Führers getreten war. –

Buttler war fest entschlossen, den Rat des Scouts zu befolgen; er kannte sonst keinen andern Weg, der zur Rettung führen konnte.

Also Unwohlsein heucheln! Er hatte dies heute gleich nach seinem Erwachen seinen Leuten mitgeteilt, sie aber gewarnt, damit nicht etwa zu früh zu beginnen, da dies Verdacht erregt hätte. Darum stellte er sich erst dann, als ungefähr die Hälfte des Weges zurückgelegt worden war, angegriffen, fuhr sich mit den gefesselten Händen nach dem Kopfe und stöhnte dabei. Dem Lieutenant mußte dies auffallen; er erkundigte sich nach der Ursache und erhielt zur Antwort, daß der gestrige Kolbenhieb das Gehirn erschüttert haben müsse. Buttler wurde schwächer und schwächer; er begann im Sattel zu wanken, so daß er rechts und links je einen Kavalleristen bekam, die ihn stützen mußten. Als dieselbe Schwäche sich dann auch noch bei einigen andern Gefangenen zeigte, wurde der Offizier besorgt und gab den Befehl zu halten und abzusitzen. Natürlich stiegen die Soldaten zuerst ab, um dann den Finders die Riemen, mit denen sie an die Pferde befestigt waren, von den Beinen zu nehmen. Buttler war der erste, mit dem dies geschah; er wurde vom Pferde gehoben und sank sofort auf die Erde nieder. Infolge dieser sehr großen Schwäche glaubte man, für ihn keine besondere Aufmerksamkeit nötig zu haben, und wendete diese vielmehr seinen Leuten zu. Das beabsichtigte er. Er hatte gesehen, daß das Pferd des Lieutenants das beste von allen war; es stand abseits ledig, denn der Offizier war natürlich auch abgestiegen. Während die Kavalleristen also für Buttler keinen Blick der Beobachtung hatten, sprang er plötzlich auf, schnellte zu dem Pferde hin, warf sich trotz seiner zusammengebundenen Hände in den Sattel, ergriff die Zügel und jagte davon – westwärts, weil er dort von dem Scout erwartet wurde.

Das war so schnell geschehen, und der Schreck lähmte die Glieder der Kavalleristen in der Weise, daß der Flüchtling einen ganz bedeutenden Vorsprung erreicht hatte, ehe hinter ihm der erste Schrei des Zornes und der Überraschung erscholl.

„Schießen, schießen! Schießt ihn aus dem Sattel; aber trefft das Pferd nicht etwa!“ rief der Offizier.

Alle eilten nach den Pferden, an deren Sätteln die Gewehre hingen. Darüber verging viele Zeit, und da das Pferd nicht getroffen werden sollte, war das Zielen schwer. Endlich krachten einige Schüsse, aber weil zu hoch gezielt, gingen die Kugeln über den Flüchtling weg; dann befand er sich außerhalb des Schußbereiches.

Indessen hatten die andern Gefangenen diese Verwirrung benützt, teils davonzulaufen, teils auf ihren Pferden, von denen sie noch nicht gestiegen waren, davonzureiten. Das gab ein wütendes Geschrei und heilloses Durcheinander. Die Kavalleristen mußten sich zerstreuen, um jedem einzelnen Entrinnenden nachzujagen, und so gab es nur vier oder fünf, welche sich hinter Buttler hermachten – ganz vergeblich; sein Vorsprung war zu groß und sein Pferd das schnellere; sie verloren ihn aus den Augen und kehrten schimpfend wieder um. Er aber jagte unaufhaltsam weiter, bis er vor sich einen Reiter erblickte; es war der Scout, sein neuer Verbündeter, der ihn froh bewillkommte. Beide suchten zunächst ein sicheres Versteck gegen die Verfolger auf und folgten dann am nächsten Morgen, um sich zu rächen, den Spuren des Wagenzuges, welcher ihnen nur eine Tagereise voraus war. – – –

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Gerechte Strafe

Gerechte Strafe

Es war zwei Tage später. Da, wo der Chelly-Arm sich in den Rio San Juan ergießt, welcher auch den Namen Rio del Navajos führt, gab es auf der Landzunge zwischen diesen beiden Flüssen ein ganz bedeutendes Indianerlager. Es mochten da wohl an die sechshundert Navajos versammelt sein, und zwar nicht zur Jagd, weil man da Zelte mitgebracht haben würde, die jetzt aber fehlten, sondern es handelte sich um einen Kriegszug, denn alle Gesichter waren mit den Kriegsfarben bemalt.

Die Stelle war außerordentlich gut zum Lager geeignet. Sie bildete ein Dreieck, welches an zwei Seiten von den beiden Flüssen eingefaßt und beschützt wurde und also nur von der dritten Seite angegriffen werden konnte. Gras gab es mehr als genug, Bäume und Sträucher auch, und an Wasser war nun vollends gar kein Mangel.

An langen Riemen, welche von Baum zu Baum gezogen worden waren, hingen lange, dünn geschnittene Fleischstücke zum Trocknen, der notwendige Proviant für den beabsichtigten Kriegszug. Die Roten lagen entweder unbeschäftigt im Grase oder sie badeten in einem der Flüsse. Andre dressierten ihre Pferde und noch andre übten sich im Gebrauche ihrer Waffen.

In der Mitte des Lagers stand eine Hütte, welche aus Strauchwerk errichtet worden war. Eine lange Lanze, welche neben der Thür in der Erde steckte, war mit drei Adlerfedern geschmückt; die Hütte war also die Wohnung von Nitsas-Ini, dem obersten Häuptlinge des Navajovolkes. Er befand sich nicht im Innern, sondern saß vor derselben. Er war wohl noch nicht ganz fünfzig Jahre alt, von kräftiger, ebenmäßiger Gestalt und hatte, was wohl auffallen mußte, sein Gesicht nicht mit Farbe bestrichen. Daher waren die Züge desselben deutlich zu sehen. Man konnte das Resultat einer Betrachtung dieser Züge in das eine Wort zusammenfassen: edel. In seinem Blicke lag eine ungewöhnliche Intelligenz, eine Ruhe und Klarheit, welche man an Indianern sonst nicht zu beobachten pflegt, Er machte keineswegs den Eindruck eines wilden oder auch nur halbwilden Menschen. Wenn man nach der Ursache davon suchte, so brauchte man nur auf die Person zu blicken, welche an seiner Seite saß und sich mit ihm unterhielt – – eine Squaw.

Das war unerhört! Eine Squaw im Kriegslager, und noch dazu an der Seite des Häuptlings! Man weiß ja, daß selbst die geliebteste Indianerfrau es nicht wagen darf, öffentlich an der Seite ihres Mannes zu sitzen, falls derselbe eine nur einigermaßen hervorragende Stellung einnimmt. Und hier handelte es sich um den obersten Häuptling eines Stammes, welcher noch heutigen Tages im stande ist, fünftausend Krieger zusammenzubringen. Aber diese Frau war keine indianische Squaw, sondern eine Weiße, ja sogar eine Weiße von deutscher Abstammung; sie war – kurz sei es gesagt, Schi-Sos Mutter, welche den Häuptling der Navajos zum Manne genommen und einen so glücklichen, bildenden Einfluß über ihn gewonnen hatte, wie schon früher einmal erwähnt worden ist.

Vor diesen beiden stand, an den Sattel seines Pferdes gelehnt, ein langer, hagerer, aber sehr kräftig aussehender Mann, dessen Vollbart eine glänzend eisgraue Farbe angenommen hatte. Man mußte es ihm auf den ersten Blick ansehen, daß er nie gewohnt gewesen war, die Hände in den Schoß zu legen, und wohl mehr erfahren und erlebt hatte als tausend andre. Diese drei Personen sprachen miteinander, und zwar in deutscher Sprache. Auch der Häuptling bediente sich derselben, was sich freilich nur dadurch erklären ließ, daß seine Frau eine Deutsche war.

„Ich beginne nun auch, Sorge zu haben,“ sagte soeben der Eisgraue. „Unsre Kundschafter sind so lange fort, daß wir nun endlich eine Nachricht von ihnen haben müßten.“

„Es muß ihnen ein Unglück begegnet sein,“ nickte die Frau.

„Das befürchte ich nicht,“ meinte der Häuptling. „Khasti-tine ist der beste Kundschafter des ganzen Stammes und hat neun erfahrene Späher mitbekommen; da kann mir nicht bange um sie sein. Wahrscheinlich sind sie nicht auf Nijoras gestoßen und müssen nun lange suchen, um Spuren von ihnen zu finden. Dabei haben sie sich zu teilen, um verschiedene Richtungen abzustreifen und dann ist es nicht leicht, sich wieder zusammenzufinden; wenigstens vergeht eine längere Zeit dabei.“

„Wollen hoffen, daß es so ist! Also ich reite jetzt und darf mir einige Krieger mitnehmen?“

„Soviel wie du willst. Wer die Antilope jagen will, darf nicht allein reiten, sondern muß genug Leute haben, um sie müde zu treiben.“

„So lebe wohl, Nitsas-Ini!“

„Lebe wohl, Maitso!“

Der Eisgraue bestieg sein Pferd und forderte im langsamen Fortreiten einige Indianer auf, mit ihm zu kommen. Sie waren gern bereit dazu, denn die Antilopenjagd ist ein Vergnügen, welches die Indianer jener Gegenden mit Leidenschaft betreiben. Er war von dem Häuptlinge Maitso genannt worden. Dieses Wort bedeutet in der Navajosprache so viel wie Wolf, woraus sich auch schließen ließ, daß dies der ursprüngliche deutsche Name dieses Mannes war. Denkt man daran, daß der junge Freund und Kamerad Schi-Sos Adolf Wolf hieß, so wird man leicht zu der Ahnung kommen, daß dieser Maitso der Onkel war, den Adolf aufsuchen wollte.

Der Graue ritt mit seinen indianischen Begleitern weit in die Ebene hinein, und es gelang ihnen, einige Antilopen zu erlegen. Auf dem Heimwege bemerkten sie, noch lange bevor sie das Lager erreicht hatten, drei Reiter, welche langsam aus östlicher Richtung geritten kamen; die Pferde derselben mußten einen langen und anstrengenden Weg zurückgelegt haben, denn man sah ihnen schon von weitem an, daß sie außerordentlich ermüdet waren.

Diese drei Reiter hielten, als sie den Trupp erblickten, ihre Pferde an, um zu beraten, ob es geraten sei, demselben zu trauen; dann kamen sie vollends herbei. Diese Leute waren Poller, Buttler und der Ölprinz.

„Guten Abend, Sir!“ grüßte der letztere, da die Sonne schon tief im Versinken war. „Ihr seid ein Weißer, und darum kalkuliere ich, daß Ihr uns eine wahrheitstreue Auskunft geben werdet. Zu welchem Stamme gehören die Roten, welche da bei euch sind?“

„Zu den Navajos,“ antwortete Wolf, indem er die ihm Unbekannten mit nicht eben günstiger Miene musterte.

„Wer führt sie an?“

„Nitsas-Ini, der oberste Häuptling.“

„Und Ihr? Wer seid Ihr? Ihr könnt doch unmöglich zu den Navajos gehören!“

„Warum nicht?“

„Weil Ihr ein Weißer seid.“

Pshaw! Es kann auch weiße Navajos geben. Ich wohne schon lange Jahre in ihrer Nähe und rechne mich auch zu ihnen.“

„Wo sind sie jetzt?“

„Hm? Warum fragt Ihr so?“

„Weil wir es wissen müssen.“

„Müssen? Das heißt, ich muß es Euch sagen? Kein Mensch muß, und ich muß erst recht nicht.“

„Und dennoch werdet Ihr mir Auskunft geben. Wir wollen Nitsas-Ini aufsuchen, um ihm eine sehr wichtige Nachricht zu bringen.“

„Von wem?“

„Von seinen Kundschaftern.“

Wenn er geglaubt hatte, den Alten damit sofort zu ködern, so hatte er sich geirrt. Dieser sah ihn vielmehr noch mißtrauischer als vorher an und sagte:

„Kundschafter? Wüßte nicht, wo wir Kundschafter hätten!“

„Verstellt Euch nicht! Ihr dürft Vertrauen zu uns haben. Wir bringen wirklich eine sehr wichtige Botschaft von ihnen.“

„Das von der Botschaft höre ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Ich setze den Fall, wir hätten wirklich einige Späher zu irgend einem Zwecke ausgesandt und diese hätten uns etwas zu berichten, meint Ihr, daß sie da auf den außerordentlichen Gedanken kommen würden, uns dies durch drei Bleichgesichter sagen zu lassen? Die würden uns wohl einen von sich schicken.“

„Ja, wenn sie könnten!“

„Warum sollten sie nicht können?“

„Weil sie gefangen sind.“

„Gefangen? Alle Teufel! Bei wem?“

„Bei den Nijoras.“

„Hole Euch der Kuckuck! Leute, wie unsre Späher sind, nimmt man nicht so leicht gefangen.“

„Sie sind es aber doch!“

„Wo?“

„Zwei Tagesritte von hier, aufwärts im Chellythale.“

„Wie viele sind’s?“

„Acht Mann.“

„Stimmt leider nicht, stimmt wirklich nicht!“

„Donner und Doria, seid doch nicht so ungläubig! Ich weiß wohl, daß es zehn gewesen sind; aber es fehlen zwei, die von den Nijoras ausgelöscht worden sind.“

„Ausgelöscht? Hört, Master, seht Euch vor! Keiner von euch dreien hat ein Gesicht, welches mir gefallen könnte. Wenn Ihr uns etwas sagt, so sorgt ja dafür, daß es wahr ist, sonst kann es Euch schlimm ergehen!“

„Ganz wie Ihr wollt! Wir sind gar nicht so sehr darauf erpicht, Euch einen solchen Dienst zu erweisen und dafür Grobheiten und Beleidigungen einzuernten!“

„Begehrt nicht so auf! Ihr habt keine Waffen und seid also ohne jede Hilfe. Es gehört gar keine übergroße Phantasie dazu, euch für Vagabunden zu halten.“

„Weil wir Flüchtlinge sind!“

„Ach so! Woher kommt ihr denn?“

„Von den Nijoras, bei denen wir gefangen waren.“

„Hm! Mitgefangene unsrer Kundschafter also?“

„Ja. Zuckt immerhin mit der Achsel! Ihr werdet es uns doch noch Dank wissen, daß wir zu Euch gestoßen sind. Ist Euch vielleicht das Gloomy-water jenseits des Chelly bekannt?“

„Ja.“

„Nun, gar nicht weit davon ist Euer Khasti-tine von Mokaschi mit noch einem Kundschafter erschossen worden, und die acht übrigen wurden am Gloomy-water gefangen genommen und nach dem Chelly geschleppt. Dort gelang es uns dreien, die wir auch in die Hände der Nijoras geraten waren, zu entkommen. Nun glaubt mir oder glaubt mir nicht; es ist mir sehr egal!“

Jetzt, da Wolf den Namen Khasti-tine hörte, konnte er nicht länger zweifeln; er rief erschrocken aus:

„Khasti-tine erschossen? Ist das wahr? Und die andern Gefangenen? Alle Wetter, da steht es schlimm um sie!“

„O, es gibt noch andre, um die es ebenso schlimm steht!“

„Noch andre? Wen denn?“

„Winnetou, Old Shatterhand, Sam Hawkens und noch andre Westmänner; dazu eine ganze Gesellschaft deutscher Auswanderer.“

„Seid Ihr toll!“ stieß Wolf hervor. „Old Shatterhand und Winnetou auch gefangen?“

Da nahm sich auch Poller des Gespräches an, indem er antwortete:

„Noch mehr, viel mehr! Schi-So ist auch dabei; er kommt aus Deutschland mit einem andern jungen Manne, welcher Adolf Wolf heißt.“

Da brüllte der Alte förmlich heraus:

„Adolf Wolf? Ein Deutscher? Wißt Ihr das genau?“

„Natürlich weiß ich es. Ich bin ja der Führer der ganzen Gesellschaft gewesen; ich kann deutsch sprechen und habe mir ihr Vertrauen erworben.“

„Mein Himmel! Da muß ich Euch sagen, daß ich der Oheim dieses Adolf Wolf bin. Er will zu mir. Also er gefangen, und Schi-So auch? Schnell, schnell, kommt zum Häuptling! Ihr müßt uns alles erzählen, und dann brechen wir sofort auf, um Hilfe zu bringen.“

Er gab seinem Pferde die Sporen und galoppierte davon, dem Lager zu. Die drei Weißen folgten ihm, indem sie verstohlen befriedigte Blicke unter sich wechselten. Den Schluß bildeten die Indianer. Es lag Poller, Buttler und dem Ölprinzen nur daran, sich hier bei den Navajos Waffen und Munition zu holen und dann schleunigst weiter zu reiten. Sie sagten sich natürlich, daß sie verfolgt würden, und hegten keineswegs die Absicht, sich ergreifen zu lassen. Da hatten sie nur mit zwei Möglichkeiten zu rechnen. Entweder gelang es ihnen, den Navajos bald, nachdem sie von diesen ausgerüstet worden waren, wieder zu entwischen, das war das Wünschenswerteste, oder man ließ sie nicht fort, sondern zwang sie, wieder umzukehren und mit gegen die Nijoras zu ziehen. In diesem Falle galt es vor allen Dingen, Zeit zu gewinnen, um eine passende Gelegenheit zur Flucht abzuwarten. Dies konnte aber nur dadurch geschehen, daß das Zusammentreffen der Navajos mit Old Shatterhand und seinen Leuten verhindert wurde. Wie dies anzufangen war, darüber dachte der Ölprinz jetzt während des Rittes nach dem Lager nach. Erst wollte ihm nichts einfallen, schließlich aber kam ihm doch ein passender Gedanke: Old Shatterhand und Winnetou befanden sich mit ihren Begleitern auf der linken Seite des Chellyflusses; wenn man die Navajos veranlaßte, auf dem rechten Ufer zu bleiben, so wurde das Zusammentreffen jedenfalls um mehrere Tage hinausgeschoben, und es stand zu erwarten, daß sich während dieser Zeit eine Gelegenheit zum Entrinnen finden werde. Darum instruierte der Ölprinz seine beiden Freunde mit gedämpfter Stimme, so daß der voranreitende „Wolf“ es nicht hören konnte:

„Laßt mich reden, wenn wir gefragt werden, und merkt euch vor allen Dingen das eine: Wir haben uns nicht am linken, sondern am rechten Ufer des Flusses befunden, und auf derselben Seite befindet sich auch Old Shatterhand mit seinen Leuten.“

„Warum das?“ erkundigte sich Buttler.

„Werde es dir später erklären; jetzt ist keine Zeit dazu.“

Er hatte recht, denn die Reiter näherten sich eben jetzt dem Lager. Die in demselben befindlichen Indianer blickten verwundert auf die drei fremden Weißen, denn sie hatten in dieser abgelegenen Gegend und jetzt, wo das Kriegsbeil ausgegraben worden war, keine Bleichgesichter vermuten können. Wolf ritt mit diesen bis an das Zelt des Häuptlings, welcher wie vorher vor dem Eingange saß, stieg da von seinem Pferde und meldete:

„Ich habe diese weißen Männer getroffen und zu dir gebracht, weil sie eine sehr wichtige Botschaft für dich haben.“

Nitsas-Ini, der „Große Donner“, betrachtete die drei Ankömmlinge, welche auch aus ihren Sätteln sprangen, und fragte dann den Wolf:

„Hast du sie als Freunde begrüßt?“

„Ja.“

Da zog der Häuptling seine Stirn in Falten und meinte:

„Ein geübtes Auge sieht es schon dem Baume an seiner Rinde an, wenn er innerlich faul ist. Du hast deine Augen nicht offen gehabt.“

Die drei Weißen hatten also keinen guten Eindruck auf ihn gemacht; sie hätten taub sein müssen, um dies seinen Worten nicht anzuhören. Der Ölprinz trat nahe zu ihm heran und sagte in halb höflichem und halb vorwurfsvollem Tone:

„Es gibt Bäume, welche innerlich gesund sind, obgleich ihre Rinde krank zu sein scheint. Der Große Donner mag erst dann über uns urteilen, wenn er uns kennen gelernt hat!“

Die Falten in der Stirn des Häuptlings vertieften sich, und seine Stimme klang streng abweisend, als er antwortete:

„Es sind mehrere hundert Sommer vergangen, seit die Bleichgesichter in unser Land gekommen sind; wir haben also Zeit genug gehabt, sie kennen zu lernen. Es gab nur wenige unter ihnen, welche Freunde der roten Männer genannt werden konnten.“

„Zu diesen gehören wir; das werden wir Euch beweisen.“

„Wenn ihr dies könnt, so wird es zu eurem Glücke sein!“

„Zu unserm Glücke? Ich denke, wir haben hier bei Euch nichts zu befürchten, weil Mr. Wolf uns freundlich aufgenommen hat!“

„Was er gethan und gesprochen hat, bindet die roten Männer nicht. Ich bin der oberste Häuptling der Navajos, bei denen ihr euch befindet, und euer Schicksal hängt nicht von seinem Willen ab, sondern von dem, was ich über euch bestimme.“

Bei diesen Worten wurde es den drei Männern bange; der Ölprinz ließ sich dies aber nicht merken, sondern fuhr in zuversichtlichem Tone fort:

„Ich habe gehört, daß der Große Donner ein gerechter und weiser Anführer ist; er wird Krieger, welche zu ihm gekommen sind, um ihn und seine Leute zu retten, nicht feindlich behandeln.“

„Ihr uns retten?“ fragte der Häuptling, indem er sein Auge abermals geringschätzig über ihre Gestalten gleiten ließ. „Wer gerettet werden soll, muß sich in einer Gefahr befinden.“

„Dies ist freilich der Fall.“

„So sagt, was für eine Gefahr es ist, aus welcher ihr uns erlösen wollt!“

„Die Gefahr vor den Nijoras.“

Pshaw!“ rief er unter einer wegwerfenden Handbewegung aus. „Die Nijoras sind Männer, welche wir zertreten werden!“

„Das denkest du, aber sie sind euch an Zahl weit überlegen.“

„Und wenn sie zehnmal hundert zählten, wir würden sie doch vernichten, denn ein Navajo ist so viel wie zehn Nijoras zusammen. Und ihr wollt uns helfen, ihr, die ihr keine Waffen habt? Nur ein Feigling kann sich sein Gewehr nehmen lassen.“

Das war eine Beleidigung. Hätte der Ölprinz sich dieselbe gefallen lassen, so wäre er allerdings feig gewesen, das sah er gar wohl ein, und darum antwortete er in zornigem Tone:

„Wir sind gekommen, euch Gutes zu erweisen, und du vergiltst uns diese Absicht mit beleidigenden Worten? Wir werden euch augenblicklich verlassen.“

Er trat zu seinem Pferde und gab sich den Anschein, als ob er wieder in den Sattel steigen wolle. Da aber sprang der Häuptling auf, streckte seine Hand gebieterisch aus und rief:

„Herbei, ihr Navajo-Krieger; laßt diese Bleichgesichter nicht von der Stelle!“

Diesem Rufe wurde augenblicklich Folge geleistet; als die drei Weißen von den Roten ringsum eingeschlossen waren, fuhr er fort:

„Meint ihr, daß man zu uns kommen und von uns gehen darf wie ein Prairiehase von und zu seinem Baue? Ihr befindet euch in unsrer Gewalt und verlaßt diesen Ort nicht eher, als bis ich es euch erlaube. Beim ersten Schritte, den ihr gegen meinen Willen thut, treffen euch die Kugeln meiner Leute!“

Das klang drohend und sah nicht weniger bedrohlich aus, denn eine Menge Gewehre waren auf die drei gerichtet. Doch auch jetzt ließ der Ölprinz seine Besorgnis nicht erkennen; er nahm den Fuß wieder aus dem Bügel und die Hand vom Sattel weg und sagte in möglichst ruhigem Tone:

„Ganz, wie du willst! Wir sehen ein, daß wir in eure Hände gegeben sind, und müssen uns fügen; aber alle eure Gewehre sollen uns nicht zwingen, euch die Botschaft mitzuteilen, welche wir euch bringen wollten.“

„Die Botschaft? Ich kenne sie.“

„Nein!“

Pshaw! Ihr wolltet mir sagen, daß die Hunde von Nijoras das Kriegsbeil gegen uns ausgegraben haben.“

„Nein. Das brauchen wir dir nicht zu sagen, denn das weißt du schon.“

„So wolltet ihr mir melden, daß sie schon aus ihren Hütten aufgebrochen sind. Aber dazu brauche ich euch nicht, denn ich habe Kundschafter ausgesandt, welche mich zur rechten Zeit benachrichtigen werden.“

„Da irrst du dich. Deine Kundschafter können dir keine Nachricht bringen.“

„Warum?“

„Weil sie gefangen sind.“

„Gefangen? Bei wem?“

„Eben bei den Nijoras.“

„Das ist eine Lüge! Ich habe die erfahrensten, die klügsten Männer ausgewählt, denen es nicht einfallen wird, sich ergreifen zu lassen. Ich durchschaue dich; ich errate alle deine Gedanken!“

„So? Wärst du wirklich so klug, dahin blicken zu können, wo meine Gedanken wohnen?“

„Ja. Du weißt, daß man Kundschafter aussendet, und kannst dir denken, daß wir dies auch gethan haben. Darum redest du von unsern Spähern, ohne aber etwas von ihnen zu wissen.“

„Meinst du? Es wäre allerdings besser für euch, wenn das, was ich weiß, nicht geschehen wäre. Ich will dir zeigen, in welchem Irrtum du dich befindest. Du hast zehn Späher ausgeschickt, deren Anführer Khasti-tine war. Ist es so oder nicht?“

„Uff! Es ist so,“ gestand der Häuptling erstaunt.

„So höre weiter! Khasti-tine wurde mit noch einem Krieger erschossen – – –“

„Uff, uff! Von wem?“

„Von Mokaschi, dem Häuptling der Nijoras, eigenhändig; die andern acht wurden gefangen genommen, gerade so wie wir.“

„Gerade so wie ihr? Auch ihr seid in die Hände der Nijoras gefallen gewesen?“

„Ja, Es gelang uns, zu entfliehen, doch ohne Waffen, die man uns abgenommen hatte. Darum sind wir unbewaffnet hier angekommen. Du hältst uns aus diesem Grunde für Feiglinge. Wie nennst du da deine Kundschafter, die ihre Waffen auch hergeben mußten und nicht die Klugheit und Thatkraft besaßen, sich einen Weg zur Flucht zu öffnen?“

„uff, uff, uff!“ rief der Häuptling. „Meine Späher gefangen und Khasti-tine erschossen! Das erfordert Rache! Wir müssen sofort aufbrechen, um diese Hunde von Nijoras zu überfallen. Wir – –“

Er war außerordentlich aufgeregt, ganz gegen die sonstige Indianerruhe, und wollte in sein Zelt, um seine Waffen zu holen. Da ergriff Wolf, welcher bisher geschwiegen hatte, ihn beim Arm und sagte:

„Halt, warte noch! Du mußt doch erfahren, wo die Nijoras sich befinden, wenn du sie überfallen willst. Das werden dir diese Männer sagen. Sie wissen auch noch andre Dinge, welche sogar noch viel, viel wichtiger sind.“

„Noch wichtiger?“ fragte der Häuptling, indem er sich wieder umwendete. „Was kann wichtiger sein, als daß Khasti-tine tot ist und unsre Kundschafter gefangen genommen worden sind?“

„Schi-So ist auch gefangen!“

„Schi – – – Schi-Schi- – –“

Er wollte den Namen seines Sohnes vollständig aussprechen, brachte aber nur die erste Hälfte desselben über die Lippen. Dann stand er steif, als ob er zu Stein geworden sei, und nur seine rollenden Augen zeigten, daß Leben in ihm war. Seine Krieger drängten sich näher herbei, doch ließ keiner einen Laut hören. Der Ölprinz sah ein, daß er den jetzigen Augenblick für sich ausnützen müsse, und sagte also mit weithin hörbarer Stimme:

„Ja, so ist es; Schi-So ist auch gefangen. Er soll am Marterpfahle sterben.“

„Und mein Neffe Adolf, welcher mit ihm aus Deutschland gekommen ist, befindet sich auch in der Gewalt der Nijoras.“ fügte Wolf hinzu.

Da kehrte dem Häuptling die Fassung zurück. Er besann sich, daß es doch unter seiner Würde sei, merken zu lassen, wie sehr die Nachricht ihn getroffen hatte; darum zwang er sich zu äußerlicher Ruhe und fragte:

„Schi-So gefangen? Wißt Ihr das genau?“

„Sehr genau,“ antwortete der Ölprinz. „Wir haben nicht nur in seiner Nähe gefesselt gelegen, sondern sogar mit ihm und allen seinen Begleitern gesprochen.“

„Wer befand sich bei ihm?“

„Ein junger Freund von ihm, welcher Wolf heißt, mehrere deutsche Familien, welche von drüben ausgewandert sind, und sodann eine ganze Schar berühmter Westmänner, von denen Ihr gewiß nicht denken werdet, daß sie sich so leicht gefangen nehmen lassen.“

„Wer sind diese Männer?“

„Old Shatterhand – – –“

„Old Shat – – – uff, uff!“

„Ferner Winnetou.“

„Der größte Häuptling der Apachen? Uff, uff, uff!“

„Sam Hawkens, Dick Stone, Will Parker, Droll, der Hobble-Frank, gewiß lauter Leute, welche du nicht zu den Feiglingen zählen wirst.“

Es erklangen rundum laute Rufe des Erstaunens, ja des Schreckens; dadurch fand der Häuptling Zeit, sich zu fassen, denn die Selbstbeherrschung hatte ihm abermals vergehen wollen. Er schob die ihm im Wege Stehenden auseinander und eilte in sein Zelt. Man hörte seine Stimme und diejenige seiner weißen Frau; dann kamen beide heraus, und die letztere rief, sich an die drei Bleichgesichter wendend:

„Ist es möglich, ist es wahr? Mein Sohn befindet sich in den Händen der feindlichen Nijoras?“

„Ja,“ antwortete der Ölprinz.

„So muß er Schnell, schnell gerettet werden! Erzählt, was Ihr davon wißt, und sagt, wo sich die Feinde befinden! Wir müssen eilen. Also macht, redet, sprecht!“

Sie als Frau konnte ihre Aufregung natürlich viel weniger beherrschen, als der Häuptling. Sie hatte Grinleys Arm ergriffen und schüttelte denselben, als ob sie die gewünschte Auskunft dadurch beschleunigen könne; der Ölprinz aber antwortete in einem ruhigen Tone:

„Ja, wir sind allerdings gekommen, um Euch von dem, was geschehen ist, zu benachrichtigen; aber der Häuptling hat uns wie Feinde empfangen, und so wollen wir das, was wir wissen, doch lieber für uns behalten.“

„Hund!“ fuhr ihn da der „Große Donner“ an. „Du willst nicht sprechen? Es gibt Mittel, dir den Mund zu öffnen!“

„Nein,“ behauptete der Ölprinz mit einem siegesgewissen Lächeln.

„Wir braten euch am Feuer!“

Pshaw!“

„Wir binden euch an den Marterpfahl!“

Pshaw! Wir sind tapfere Männer und wissen zu sterben.“

Da legte die Frau die Hände auf Schulter und Arme ihres roten Mannes und bat ihn in dringendem Tone:

„Sei freundlich mit ihnen! Sie haben uns benachrichtigen wollen und also nicht verdient, daß du sie als Feinde behandelst.“

„Ihre Gesichter sind nicht die Gesichter guter Männer; ich traue ihnen nicht,“ antwortete er finster.

Die Frau des roten Mannes aber fuhr fort zu bitten, und Wolf vereinigte seine Vorstellungen mit den ihrigen, weil ihm um seinen Neffen bange war. Auch ihm gefielen diese drei Weißen desto weniger, je öfter er sie anschaute; aber sie hatten ihm nichts Böses gethan, und er konnte auf Grund ihrer Aussage seinen Verwandten retten; das war für ihn Grund genug, auch Fürbitte einzulegen. Der Häuptling, welcher allerdings viel lieber Strenge angewendet hätte, konnte diesem doppelten Drängen nicht widerstehen und erklärte schließlich.

„Es soll so sein, wie Ihr wünscht; die Bleichgesichter mögen in Frieden sagen, was sie uns mitzuteilen haben. Also redet!“

Diese Aufforderung war an den Ölprinzen gerichtet. Wenn der Häuptling glaubte, daß dieser ihr sofort nachkommen werde, so irrte er sich, denn Grinley antwortete:

„Ehe ich deinen Wunsch erfülle, muß ich erst wissen, ob ihr unsre Wünsche erfüllen werdet.“

„Welche Wünsche habt ihr?“

„Wir brauchen Waffen. Werdet ihr uns welche geben, wenn wir euch den Dienst leisten, den ihr von uns verlangt?“

„Ja,“

„Jedem ein Gewehr und ein Messer?“

„Ja.“

„Auch Munition?“

„Ja.“

„Auch einen Vorrat von Fleisch, da wir nicht wissen, ob wir bald auf ein Wild treffen werden?“

„Auch das, obgleich es nicht notwendig ist, denn so lange ihr bei uns seid, werdet ihr nicht Not leiden.“

„Davon sind wir ja fest überzeugt; aber wir können leider doch nicht lange bleiben.“

„Wann wollt ihr fort?“

„Nachher, sobald wir euch erzählt haben, was geschehen ist.“

„Das ist unmöglich.“

„Warum?“

„Ihr müßt bei uns bleiben, bis wir uns überzeugt haben, daß alles, was ihr uns erzählt habt, die Wahrheit ist.“

„Das ist ein Mißtrauen, welches uns beleidigen muß. Was für einen Grund hätten wir, euch zu täuschen?“

„Das weiß ich nicht. Es kann da viele Gründe geben.“

„Keinen einzigen. Es gibt zwei Möglichkeiten, Entweder sind wir eure Freunde oder eure Feinde. Im ersteren Falle kann es uns nicht einfallen, euch zu belügen, und im letzteren würden wir es niemals gewagt haben, euer Lager aufzusuchen.“

„Das klingt freilich so, als ob ich euch trauen dürfte; aber die Bleichgesichter haben doppelte Zungen; mit der einen reden sie so und mit der andern anders.“

„Das ist bei uns nicht der Fall. Wir waren Gefangene der Nijoras; sie wollten uns töten, und wir sind ihnen mit vieler Mühe und unter großen Gefahren entkommen. Du mußt uns glauben, wenn ich dir sage, daß wir uns an ihnen rächen wollen. Wir können dies aber nicht, weil wir zu schwach dazu sind. Darum sind wir zu euch gekommen.“

Der Häuptling wollte noch immer Widerspruch erheben; seine weiße Squaw aber bat ihn im dringenden Tone:

„Glaube ihnen, glaube ihnen doch, sonst vergeht die kostbare Zeit und wir kommen zur Rettung unsres Sohnes zu spät.“

Da Wolf sich dieser Bitte anschloß, so antwortete der „Große Donner“.-

„Der Wind will nach seiner Richtung gehen, aber wenn er durch hohe Berge aufgehalten wird, muß er sich in eine andre Richtung wenden. Der Wind ist mein Wille und ihr seid die Berge; es soll so sein, wie ihr wollt.“

„Also wir dürfen fort, wann es uns beliebt?“ fragte der Ölprinz.

„Ja.“

„Ihr legt uns kein Hindernis in den Weg?“

„Keins.“

„So ist unser Übereinkommen getroffen und wir wollen die Pfeife des Friedens darüber rauchen.“

Da verfinsterte sich das Gesicht des Häuptlings plötzlich wieder und er rief aus:

„Glaubt ihr mir nicht? Haltet ihr mich für einen Lügner?“

„Nein. Aber in der Zeit des Krieges braucht man kein Versprechen zu halten, welches ohne den Rauch des Kalummets gegeben wurde. Ihr könnt die Friedenspfeife getrost anbrennen, denn wir meinen es ehrlich. Wir reden die Wahrheit und können es euch beweisen, wenn ihr es verlangt.“

„Beweisen? Womit?“

„Schon durch unsern Bericht an sich selbst. Sobald ihr ihn vernommen habt, werdet ihr überzeugt sein müssen, daß jedes Wort die Wahrheit enthält. Dann aber kann ich euch auch sogar ein Papier zeigen, dessen Inhalt alles bestätigen wird.“

„Ein Papier? Ich mag nichts vom Papiere wissen, denn es kann mehr Lügen enthalten, als ein Mund auszusprechen vermag. Auch habe ich nicht gelernt, mit den Zeichen zu sprechen, welche auf euren Papieren stehen.“

„So kann Mr. Wolf jedenfalls lesen; er wird dir sagen, daß wir ehrlich und offen sind. Willst du nun die Pfeife des Friedens mit uns rauchen?“

„Ja,“ antwortete der Häuptling, als er den bittenden Blick seiner Frau bemerkte.

„Für dich und alle die Deinen?“

„Ja, für mich und für sie.“

„Dann nimm dein Kalummet, wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Er hatte die Friedenspfeife an seinem Halse hängen, nahm sie herab, füllte den schön geschnittenen Kopf mit Tabak und brannte denselben an. Nachdem er die vorgeschriebenen sechs Züge gethan hatte, reichte er sie dem Ölprinzen, von dem sie an Buttler und dann an Poller überging. Als dies geschehen war, glaubte der Ölprinz sicher zu sein. Er dachte nicht daran, daß Wolf das Kalummet nicht erhalten hatte und also nicht an den Vertrag gebunden war.

Jetzt setzten sich alle auf den Boden nieder und Grinley begann zu erzählen. Er berichtete von dem Petroleumfunde, aber ohne den Ort zu nennen, von dem Verkaufen an den Bankier und von seiner Reise in die Berge. Natürlich verschwieg er die Wahrheit. Er sagte, er sei schon auf Forners Rancho mit Buttler und Poller und den Auswanderern zusammengetroffen, auch mit Winnetou, Old Shatterhand und den andern Jägern; dann seien sie alle den Nijoras in die Hände gefallen, und bei diesen hätten sie die gefangenen Navajokundschafter vorgefunden und von diesen gehört, daß Khasti-tine von Mokaschi erschossen worden sei.

Die Navajos hatten bis jetzt schweigend zugehört, doch läßt sich denken, daß sowohl der Häuptling als auch seine Squaw innerlich nicht so ruhig waren, wie sie sich äußerlich zeigten; sie wußten ja ihren Sohn in großer Gefahr. Auch Wolf hing mit gespannter Aufmerksamkeit an den Lippen des Erzählers. Sie ahnten nicht, daß die Gefangenen sich befreit hatten und daß der Ölprinz um seines Vorteiles willen so arg log. Jetzt machte er eine Pause und der Häuptling benutzte dieselbe, zu fragen:

„Wie ist es euch denn gelungen, zu entfliehen?“

„Mit Hilfe eines kleinen Federmessers, welches die Nijoras nicht bemerkt hatten. Unsre Hände waren zwar gebunden, trotzdem aber konnte einer meiner beiden Gefährten mir in die Tasche greifen und das Messerchen herausnehmen und öffnen, und als er mir meine Fesseln zerschnitten hatte, konnte ich dies dann auch mit den ihrigen thun.“

Der „Große Donner“ blickte eine Weile vor sich nieder; dann hob er rasch den Kopf und fragte:

„Und dann?“

„Dann sind wir schnell aufgesprungen und zu den Pferden gerannt; wir bestiegen die drei ersten besten und jagten davon.“

„Wurdet ihr verfolgt?“

„Ja, aber nicht eingeholt.“

„Warum machtet ihr nur euch frei und nicht auch die andern?“

Das war eine verfängliche Frage, bei welcher er sein Auge scharf auf den Ölprinzen richtete. Dieser sah ein, daß er sich jetzt zusammennehmen müsse und antwortete:

„Weil wir keine Zeit dazu fanden. Einer der Wächter sah, daß wir uns bewegten; er kam herbei; da konnten wir natürlich nichts anders thun als davoneilen.“

Er glaubte eine genügende Erklärung gegeben zu haben und betrachtete es darum gar nicht als Hinterlist, als sich der Häuptling weiter erkundigte:

„Du hast das kleine Messer noch?“

„Ja.“

„Ihr habt neben den andern Gefangenen gelegen?“

„Ja.“

Er hätte jetzt viel lieber „nein“ gesagt, das war aber nun nicht mehr möglich, da er vorhin das Gegenteil behauptet hatte. Er begann, die Absicht zu ahnen, welche der „Große Donner“ verfolgte, und wirklich meinte dieser nun in einem sehr strengen Ton:

„Hätte ich nicht die Pfeife des Friedens mit euch geraucht, so würde ich euch jetzt in Fesseln legen lassen!“

„Warum?“ fragte Grinley erschrocken.

„Weil ihr entweder Lügner oder feige Schurken seid.“

„Wir sind keins von beiden!“

„Schweig! Entweder belügt ihr jetzt uns, oder ihr habt euch gegen eure Mitgefangenen wie Schufte benommen!“

„Wir konnten sie nicht retten!“

„O doch! Und wenn nichts andres möglich war, so konntest du dem Nächsten, der bei euch lag, das kleine Messer geben.“

„Dazu war die Zeit zu kurz.“

„Lüge nicht! Und wenn du recht hättest, so mußtet ihr die Nijoras überlisten. Während sie euch verfolgten, mußtet ihr heimlich zurückkehren und die Gefangenen befreien.“

„Das war uns unmöglich. Wenn uns nun auch zwanzig oder dreißig folgten, die übrigen zweihundertsiebzig waren doch zurückgeblieben.“

Kaum hatte er dieses Wort gesagt, so bereute er es. Es zeigte sich auch gleich, daß er einen großen, einen unverzeihlichen Fehler begangen hatte, denn der Häuptling fragte:

„Also waren es dreihundert?“

„Ja.“

„Du siehst, daß wir viel mehr sind, und doch sagtest du vorhin, daß sie uns weit überlegen seien. Du hast zwei Zungen, hüte dich!“

„Ich hatte euch nicht genau gezählt,“ entschuldigte sich Grinley.

„So öffne deine Augen besser! Wenn du bei Nacht siehst, wie groß die Zahl der Nijoras ist, mußt du jetzt am Tage doch viel besser wissen, wie viele Krieger hier beisammen sind. An welchem Ufer lagerten die Nijoras?“

„Am rechten.“

„Wann wollten sie aufbrechen?“

„Erst nach einigen Tagen,“ log der Ölprinz, „weil sie noch weitere Krieger erwarteten.“

„Beschreib uns die Stelle genau!“

Er that es, so gut er konnte und fügte dann hinzu:

„Jetzt habe ich alles gesagt, was ich sagen konnte, und ich hoffe, daß du dein Wort halten wirst. Gebt uns Waffen und laßt uns weiter ziehen!“

Der „Große Donner“ wiegte seinen Kopf bedenklich hin und her und antwortete nach einer Weile:

„Ich bin Nitsas-Ini, der oberste Häuptling der Navajos, und habe noch nie mein Wort gebrochen. Aber habt ihr denn auch bewiesen, daß eure Worte die Wahrheit enthalten?“

„Du mußt doch zugeben, daß alles stimmt, was ich gesagt habe!“

„Es stimmt, aber du kannst trotzdem ein Schurke sein.“

„So will ich euch den unumstößlichen Beweis liefern, welcher euer Mißtrauen vollständig zerstreuen wird.“

Er bemerkte oder beachtete nicht die warnenden Blicke, welche Buttler und Poller auf ihn richteten. Er griff in die Tasche und zog die Anweisung auf San Franzisko hervor, welche er von dem Bankier erhalten hatte. Indem er sie dem „Wolf“ hingab, sagte er:

„Hier, werft einmal einen Blick auf dieses Wertpapier! Eine solche Summe wird, zumal unter solchen Umständen, doch nur einem ehrlichen Menschen angewiesen. Meint Ihr nicht?“

Wolf überflog das Dokument mit prüfendem Blicke und las es dann dem Häuptlinge vor. Dieser blickte, wie vorher schon einige Male, sinnend zu Boden und sagte dann:

„So ist also dein Name Grinley?“

„Ja.“

„Wie heißen diese deine beiden Gefährten?“

„Dieser hier Buttler und dieser andre Poller.“

Wolf wollte jetzt dem Ölprinzen die Anweisung zurückgeben, da aber nahm der Häuptling sie ihm schnell aus der Hand, legte sie in ihre Falten zusammen, schob sie sich in den Gürtel und fuhr in einem Tone, als ob er da gar nichts Besonderes gethan hätte, fort:

„Ich habe von einem Bleichgesichte gehört, welches Grinley heißt und der Ölprinz genannt wird. Kennst du den?“

„Der bin ich,“ antwortete Grinley.

„Und ich hörte ferner von einem Bleichgesichte, welches Buttler heißt und der Anführer der Finders war. Kennst du den Mann?“

„Nein.“

„Dieser hier ist es nicht?“

„Nein.“

„Wo liegt die Ölquelle, welche du verkauft hast?“

„Am Chelly.“

„Das ist nicht wahr, dort gibt es keinen Tropfen Öl.“

„Das ist richtig; ich wollte sagen in der Nähe des Chelly.“

„Aber wo?“

„Am Gloomy-water

„Ist auch nicht wahr.“

„O doch!“

„Sprich nicht dagegen. Es gibt keine Stelle, so groß wie meine Hand, die ich nicht betreten hätte. Es gibt kein Öl in dieser Gegend. Du bist ein Betrüger!“

„Donner und Wetter!“ fuhr da der Ölprinz auf. „Soll ich mir – – –“

„Schweig!“ fiel der Häuptling ihm in die Rede. „Ich habe es euch gleich angesehen, daß ihr keine ehrlichen Männer seid, und habe nur darum das Kalummet geraucht, weil ich dazu gedrängt wurde.“

„So willst du wohl eine Ausrede machen, um dein Wort brechen zu können?“

Der „Große Donner“ machte eine unnachahmlich stolze Handbewegung und antwortete, indem ein höchst geringschätzendes Lächeln über sein Gesicht glitt:

„Solcher Menschen wegen, wir ihr seid, soll mir kein Mann nachsagen, daß ich mein Wort nicht gehalten habe.“

„So gebt uns Waffen, Munition und Fleisch, und laßt uns ziehen! Und gib mir mein Papier zurück! Warum hast du es eingesteckt?“

„Ich habe es nicht dir zurückzugeben, sondern dem, von welchem ich es genommen habe. Du hast das Bleichgesicht, welches die Ölquelle kaufte, in der kein Öl vorhanden ist, um dieses Geld betrogen. Der Wolf wird wissen, was er zu thun hat.“

Er zog das Papier aus dem Gürtel und gab es Wolf mit einem bezeichnenden Winke zurück. Dieser schob es schnell in seine Tasche.

„Halt!“ rief Grinley, indem seine Augen zornig blitzten. „Das Papier gehört mir!“

„Ja,“ nickte Wolf, indem er ein sehr behagliches Lächeln zeigte.

„Also her damit!“

„Nein,“ antwortete Wolf mit demselben behaglichen Lächeln.

„Warum nicht? Wollt Ihr an mir zum Diebe werden?“

„Nein.“

„Dann heraus damit!“

„Nein.“

„So seid Ihr ja ein Dieb, und ich – – –“

Da fiel Wolf ihm in einem ganz andern Tone in die Rede:

„Mäßigt Euch, Mr. Grinley! Wenn Ihr mich beleidigt, ist’s um Euch geschehen. Ich bin kein Dieb.“

„Warum behaltet Ihr denn diese Anweisung, welche mir gehört?“

„Weil uns manches in eurer Erzählung nicht einleuchten will und weil ihr gar so rasch von hier fort wollt. Leute, welche mit genauer Not der Gefangenschaft und dem Tode entronnen sind, bedürfen der Ruhe und der Pflege. Dies könntet ihr hier haben; ihr wollt aber fort. Sodann würde jeder andre an eurer Stelle sich uns auf unserm Zuge gegen die Nijoras anschließen, um sich zu rächen; auch das wollt ihr nicht. Ihr wollt nur fort, nur fort, und zwar sehr schnell. Das sieht natürlich ganz so aus, als ob ihr vor jemand, der hinter euch her kommt, eine gewaltige Angst hättet.“

„Was wir denken und wollen, das geht Euch nichts an,“ antwortete der Ölprinz protzig. „Ich habe mit dem Häuptling und durch ihn mit allen den Seinen die Pfeife des Friedens geraucht; er muß seine Versprechungen erfüllen, und es darf mir nichts genommen werden.“

„Ganz richtig, Sir! Der Große Donner wird sein Wort ganz gewiß halten.“

„So gebt das Papier heraus!“

„Ich? Fällt mir nicht ein! Ich will es keineswegs stehlen, sondern nur aufheben.“

„Hölle und Teufel! Für wen?“

„Für diejenigen, welche nach euch kommen.“ Und als der Ölprinz zornig aufbrausen wollte, schnitt er ihm das Wort mit dem sehr energischen Zurufe ab. „Haltet den Mund! Glaubt ja nicht, daß Ihr der Mann seid, von dem ich mich einschüchtern lasse! Wenn ihr ehrliche Leute seid, so könnt ihr ruhig bei uns bleiben. Ob ihr euch das Geld drei oder vier Tage früher oder später auszahlen laßt, das kann euch nicht an den Bettelstab bringen. Ich will euch sagen, was ich denke. Im ersten Augenblicke habe ich euch für Gentlemen gehalten; damit ist es aber vorüber, seit ich eure famose Erzählung gehört habe.“

„Sie ist wahr!“

„Unsinn! Ihr sagt, Old Shatterhand, Winnetou, Sam Hawkens und andre seien mit euch gefangen gewesen? Und ihr seid allein entkommen! Mr. Grinley, das ist außerordentlich auffällig. Ihr habt da Männer genannt, welche weit eher entkommen würden, als ihr. Vielleicht habt ihr sie in die Hände der Nijoras gespielt. Das mag nun freilich sein, wie es will; Winnetou und Old Shatterhand sind Leute, die für sich selber sorgen werden. Für mich ist die Hauptsache jetzt diese Anweisung. Wir werden die Gefangenen befreien und also mit ihnen zusammen kommen; oder sie befreien sich selbst und kommen hinter euch her; auch in diesem Falle treffen wir auf sie. Da werden wir natürlich diesen Bankier Mr. Rollins sehen und ihm die Anweisung zeigen. Ist Eure Sache eine ehrliche, so könnt Ihr getrost bei uns bleiben; seid Ihr aber ein Betrüger, so habt Ihr Euch dieses Mal umsonst bemüht.“

Da sprang der Ölprinz vom Boden auf und schrie:

„Das wollt Ihr thun? Das sagt Ihr mir? So wollt Ihr an mir handeln? Was geht es Euch an, daß ich schnell weiter muß! Habe ich nötig, Euch meine Gründe zu sagen? Ich bleibe dabei: die Friedenspfeife ist geraucht worden und niemand darf mich hier festhalten!“

„Das wird auch kein Mensch thun!“ antwortete Wolf ruhig.

„Und ich muß bekommen, was man mir versprochen hat!“

„Waffen, Pulver, Blei und Fleisch? Ja, das werdet Ihr erhalten.“

„Und mein Papier zurück! Es ist mein Eigentum!“

„Wenn dies erwiesen ist, erhaltet Ihr es allerdings zurück.“

„Nein, jetzt, sofort! Es darf uns nichts genommen werden, denn der Häuptling hat mit uns für sich und all die Seinen das Kalummet geraucht.“

„Das stimmt. Aber, Mr. Grinley, haltet Ihr mich etwa auch für einen Indianer, für einen Navajo?“

„Fragt nicht solchen Unsinn!“

„Schön! Ich gehöre also nicht zu dem Großen Donner und den Seinen. Oder habe ich mit Euch das Kalummet geraucht?“

Grinley starrte ihm ins Gesicht und fand keine Antwort.

„Ja, so ist es,“ nickte Wolf mit einem überlegenen Lächeln. „Ihr mögt sonst ein schlauer Fuchs sein; heute aber seid Ihr das Gegenteil gewesen. Man läuft hier im wilden Westen nicht mit Hunderttausenden in der Tasche herum und wenn man es dennoch thut, so behält man sie drin stecken und zeigt -sie nicht vor. Nun habt Ihr gehört, was ich Euch zu sagen hatte: wir sind fertig.“

Er stand auf und wollte sich entfernen. Da packte ihn der Ölprinz am Arme und schrie ihn an:

„Das Papier heraus, oder ich erwürge Euch!“

Wolf schleuderte ihn mit einem kräftigen Rucke von sich ab, zog seinen Revolver, hielt ihm denselben entgegen und antwortete drohend:

„Wagt Euch noch einen einzigen Schritt an mich heran und meine Kugel fährt Euch in den Schädel! Bleibt bei uns, oder macht Euch fort, mir ist es ganz gleich; aber dieses Papier gebe ich nicht eher wieder her, als bis ich meinen Neffen befreit und mit dem Bankier gesprochen habe. Jetzt ist’s genug!“

Er ging nun wirklich fort. Der Ölprinz mußte dies zähneknirschend sehen, ohne ihn halten zu können. Er wendete sich wutschnaubend an den Häuptling; dieser hörte ihn lächelnd an und antwortete dann in größter Seelenruhe:

„Der Wolf ist ein freier Mann, er kann thun, was ihm beliebt. Wenn du bei uns bleibst, so bekommst du dein Papier wieder.“

„Ich muß aber fort!“

„So mag es dir der Bankier nachsenden. Du hast uns eine Botschaft gebracht, und ich gebe dir Waffen, Munition und Fleisch dafür, obgleich sie wohl nicht wahr ist. Verlange nicht mehr von mir. Willst du bei uns bleiben?“

„Nein.“

„So sollst du jetzt gleich erhalten, was ausbedungen ist; dann könnt ihr weiter reiten.“

Er ging, um die nötigen Befehle zu erteilen, und auch seine Navajos zogen sich von den drei Weißen zurück wie Tauben, die auf dem Felde vor den Krähen weichen. Die Betrüger standen allein. Niemand hörte auf sie; darum konnten sie gegenseitig ihren Gefühlen ganz ungeniert Luft machen.

„Verfluchter Kerl, dieser Wolf!“ knirschte Grinley. „Er gibt die Anweisung wirklich nicht heraus!“

„So etwas habe ich mir gleich gedacht, als ich sah, daß du sie vorzeigen wolltest,“ antwortete Buttler. „Bist ein Dummkopf gewesen, wie es keinen zweiten gibt!“

„Schweig, Esel! Ich konnte nicht anders. Sie wollten mir nicht glauben, und da mußte ich mich legitimieren.“

„Legitimieren! Mit einer erschwindelten Anweisung! Hat man jemals so etwas gehört! Nun siehst du, wie schön dir diese Legitimation gelungen ist!“

„Das konnte ich nicht vorher wissen!“

„Aber ich hab’s gewußt! Wo ist nun der Lohn für alle Mühe, die wir uns gegeben, für alle Gefahren, die wir durchgemacht haben? Ein einziger Augenblick hat uns um alles gebracht!“

So ging es eine ganze Weile fort, aber als Poller auch anfing, Vorwürfe zu machen, brachte Grinley ihn durch einige Grobheiten zum Schweigen und fuhr dann fort:

„Ich mag unvorsichtig gewesen sein, doch ist noch lange nicht alles verloren. Wir werden die Anweisung wiederbekommen.“

„Von diesem Wolf?“ fragte Buttler mit einem Lachen des Zweifels.

„Ja.“

„Willst du etwa hierbleiben und warten, bis die Nijoras kommen oder gar Old Shatterhand und Winnetou?“

„Fällt mir nicht ein! Wir reiten fort.“

„Aber da geben wir doch das Papier auf!“

„Nein. Ich sage, wir reiten fort, aber nicht eher, als bis wir Wolf gezwungen haben, es herauszugeben.“

„Wie willst du ihn zwingen?“

„Denke daran, daß wir Waffen erhalten.“

„Also mit ihm kämpfen?“

„Ja, wenn er uns dazu zwingt.“

„Und die Roten? Wie werden die sich dazu verhalten?“

„Sie werden sich nicht einmischen. Wir haben die Friedenspfeife mit ihnen geraucht, und solange wir ihr Lager nicht verlassen, dürfen sie nicht Partei gegen uns und für ihn nehmen. Er hat ja erklärt, daß er nicht zu ihnen gehört. Etwas andres wäre es, wenn wir das Lager verließen und dann vielleicht zurückkehrten; dann hätte das Kalummet seine Kraft verloren. Seht, da bringt man uns das Fleisch! Die Gewehre und Messer werden bald folgen, und dann suche ich diesen Wolf auf. Ihr haltet doch zu mir?“

„Natürlich! Für eine solche Summe kann man schon etwas wagen. Wir können ja probieren, wie es geht. Wenn es gefährlich für uns werden will, ist es doch noch Zeit, von dem Kampfe abzusehen. Dort steigen mehrere Rote zu Pferde. Wohin mögen sie wollen?“

„Kann uns gleichgültig sein. Uns geht es wohl nichts an.“

Buttler irrte sich, als er dies dachte, Der Häuptling näherte sich mit einem Roten, welcher lange, dünne Stücke getrockneten Fleisches trug.

„Wann wollen die Bleichgesichter uns verlassen?“ fragte er.

„Sobald wir bekommen haben, was uns versprochen worden ist.“

„Und wohin werdet ihr die Schritte eurer Pferde lenken?“

„Hier zum Bette des Rio Navajos hinab. Wir wollen den Colorado hinunter.“

„So könnt ihr sofort aufbrechen. Hier ist Fleisch.“

„Und das andre?“

„Werdet ihr auch erhalten. Seht ihr die Reiter dort?“

„Ja.“

„Sie haben drei Gewehre, drei Messer und Pulver und Blei für euch. Sie werden eine Stunde lang mit euch reiten und dann, wenn sie euch diese Sachen gegeben haben, wieder zu uns zurückkehren.“

Die drei sahen sich enttäuscht an. Der Häuptling bemerkte dies sehr wohl, that aber so, als ob es ihm entgangen sei.

„Warum bekommen wir das denn nicht jetzt?“ fragte Buttler.

Da ging ein ganz eigentümliches Lächeln über das Gesicht des „Großen Donners“, und er antwortete:

„Ich habe vernommen, daß die Bleichgesichter die Gewohnheit haben, lieben Gästen das Ehrengeleite zu geben. Dies soll hier mit euch geschehen.“

„Wir nehmen es dankbar an; aber die Waffen können wir ja doch selber tragen.“

„Warum sollt ihr euch diese Mühe geben? Ihr braucht sie doch jetzt nicht. Seht, meine Leute brechen auf! Sie pflegen schnell zu reiten. Macht, daß ihr ihnen nachkommt, sonst erreichen sie vor euch die Stelle, an welcher sie euch die Waffen übergeben sollen, und wenn ihr dann nicht da seid, bekommt ihr sie nicht.“

Er machte mit der Hand die Bewegung des Abschiedes und wendete sich davon, indem sein Gesicht vor Schadenfreude förmlich glänzte. Er hatte sein Versprechen erfüllt und zugleich das Vorhaben der Weißen verhindert.

„Schlauer Fuchs, diese Rothaut!“ stieß Grinley hervor. „Er scheint geahnt zu haben, was wir uns vorgenommen hatten.“

„Ja,“ stimmte Buttler bei. „Dieser rote Spitzbube ist eben auch ein Freund von Old Shatterhand und Winnetou, und wenn man es mit einem solchen Kerl zu thun hat, kann man gewiß sein und darauf schwören, daß man übertölpelt und betrogen wird. Nun ist für uns nichts mehr zu hoffen.“

Pshaw! Ich gebe die Hoffnung noch lange nicht auf.“

„Wirklich? Denkst du, daß es möglich ist, noch etwas zu erreichen?“

„Ja.“

„Auf welche Weise?“

„Wir warten, bis die sechs Kerls fort sind und kehren dann um.“

„Um mit Wolf anzubinden?“

„Ja.“

„Das wäre wieder dumm, denn die Roten würden ihm alle helfen. Du hast ja selbst gesagt, daß wenn wir das Lager verlassen haben, das Kalummet keine Kraft mehr besitzt.“

„Ja, das wäre freilich eine Dummheit, wenn wir ihn offen anpacken wollten.“

„Also heimlich?“

„Ja. Ihr könnt euch denken, daß sie baldigst aufbrechen werden, um die vermeintlichen Gefangenen zu befreien, und wir wissen, daß sie am rechten Ufer aufwärts ziehen werden. Wir reiten ihnen nach, bis wir den Platz erreichen, wo sie für die Nacht lagern. Da belauschen wir sie, und es sollte mich wundern, wenn wir keine Gelegenheit fänden, uns an diesen Wolf zu machen.“

„Das mag richtig sein. Das ist ein Gedanke, welcher mir wieder Leben gibt. Hoffentlich hat der Kerl die Anweisung bei sich!“

„Wo sollte er sie sonst haben? Hier im Westen gibt es keine feuerfesten Tresors, in denen man das Geld, welches man nicht besitzt, aufbewahren kann.“

Sie stiegen auf ihre Pferde und ritten ohne Abschied davon. Wem hätten sie ade sagen können? Es schien sich kein Mensch um sie zu bekümmern; aber es schien auch nur so, denn in Wirklichkeit waren alle Augen heimlich auf sie gerichtet.

Als der Ölprinz und seine beiden Genossen hinter der Böschung des Ufers verschwunden waren, kam Wolf wieder zum Vorschein. Er hatte sich hinter eine Baumgruppe zurückgezogen gehabt und schritt jetzt auf das Häuptlingszelt zu, vor welchem der „Große Donner“ die hervorragendsten seiner Krieger zur Beratung zusammenkommen ließ. Die weiße Squaw befand sich in großer Sorge um ihren Sohn und trieb ihren Mann zum schleunigen Aufbruche, um die Nijoras zu überfallen. Er tröstete sie damit, daß Schi-So sich in Gesellschaft so berühmter, tapferer und erfahrener Krieger befände.

„Und,“ fügte Wolf zur Beruhigung hinzu, „die Gefangenen werden erst nach beendetem Kriege, nach der Heimkehr in die Dörfer getötet; der Krieg hat aber noch gar nicht begonnen, und so braucht es Euch um Euren Sohn nicht angst zu sein, wie auch ich für meinen Neffen noch lange nicht die größeste Besorgnis hege. Vor allen Dingen müssen wir an das Nächste denken. Es muß ein Lauscher hinunter an den Fluß gelegt werden.“

„Wozu?“ fragte der Häuptling.

„Wenn mich meine Vermutung nicht trügt, so kehren die drei Weißen, nachdem sie die Waffen bekommen haben, wieder um und folgen uns nach. Eine so hohe Summe gibt man nicht auf, ohne geradezu alles zu versuchen, sie wieder zu erhalten.“

„Du meinst, daß sie dich zwingen wollen, das Papier herauszugeben?“ fragte der Häuptling.

„Ja.“

„Sie mögen kommen! Sie haben unser Lagerverlassen, und der Rauch des Kalummets kann sie also nicht mehr schützen. Sie würden unsre Kugeln schmecken.“

„Wenn wir sie sähen, ja. Sie werden sich aber hüten, sich sehen zu lassen, sondern uns im Verborgenen nachschleichen, um mich zu überfallen, wenn sich eine passende Gelegenheit dazu ergibt. Ich muß aus diesem Grunde zu meiner Sicherheit wissen, ob sie überhaupt umkehren. Darum bitte ich dich, einen berittenen Späher hinunter an den Fluß zu postieren.“

„Warum beritten?“

„Weil wir doch bald von hier aufbrechen und er uns ohne Pferd nicht leicht einholen könnte.“

Der Häuptling folgte diesem Rate, und dann konnte die Besprechung über den durch die Not so beschleunigten Zug gegen die Nijoras beginnen.

Eigentlich gab es gar nicht viel zu verhandeln. Es war zwar anzunehmen, daß Grinley, Buttler und Poller nicht die Wahrheit gesagt hatten in Beziehung dessen, was ihre Personen, ihre Absichten und Thaten betraf, aber daß sie gefangen gewesen waren, mußte geglaubt werden, weil sie keine Waffen gehabt hatten. Auch daß die Kundschafter der Navajos, Old Shatterhand und Winnetou nebst ihren Begleitern in die Hände der Nijoras geraten waren, durfte als wahr angenommen werden. Jedenfalls hatten die Nijoras auch Kundschafter ausgeschickt, und diese hatten das Lager der Navajos sicher erspäht, da sie von den Gegenkundschaftern nicht daran verhindert worden waren. Auf alle Fälle hatten die Nijoras beschlossen, zum Angriffe überzugehen, und diese Absicht war bestärkt worden durch die Flucht der drei Bleichgesichter, von denen die Nijoras sich sagen konnten, daß sie jedenfalls die Navajos aufgesucht hatten, um bei diesen Schutz zu suchen und sie zu benachrichtigen. Dies konnte nur durch einen schnellen Angriff wett gemacht werden, und so waren die Nijoras jedenfalls sofort gegen die Navajos aufgebrochen. Diese letzteren glaubten hinwiederum, den Angriff nicht abwarten zu sollen, sondern ihm zuvor- oder wenigstens entgegenzukommen. Darum rüsteten sie sich zum Aufbruche, welcher gerade in dem Augenblicke geschah, als die sechs Reiter zurückkehrten, welche Grinley, Buttler und Poller fortgeschafft hatten. Als sie befragt wurden, wie dieselben sich verhalten hätten, erklärten sie, daß die drei Weißen nach Empfang der Waffen und der Munition ruhig weiter geritten wären, ohne durch irgend etwas zu verraten, daß sie die Absicht hegten, umzukehren. Dennoch blieb der Späher unten am Flusse stehen und erhielt die Weisung, falls die Bleichgesichter zurückkehrten, sie erst vorüber zu lassen, eine Weile zu beobachten und sie dann in einem weiten Bogen zu umreiten, um seinen Kameraden nachzufolgen.

Der Zug ging natürlich am rechten Flußufer aufwärts, denn man hatte der Aussage des Ölprinzen, daß die Nijoras sich an diesem befänden, Glauben geschenkt; in Wirklichkeit kamen sie aber am linken herunter. Als der Tag sich zu Ende neigte, kam der Späher nach und meldete, daß die drei Weißen in der That umgekehrt seien und den Navajos auf deren Fährte folgten. Da man dies nun wußte, waren sie nicht zu fürchten.

Es wurde den ganzen Abend weiter geritten und erst gegen Mitternacht angehalten, da man nun, wie man fälschlicherweise annahm, jeden Augenblick auf die Nijoras treffen konnte. Man lagerte sich, brannte aber keine Feuer an, da diese zur Entdeckung führen konnten.

Eigentlich beabsichtigte man, nach rückwärts einige Posten auszustellen, um die drei Weißen abzuhalten; aber Wolf, auf den allein es diese doch abgesehen hatten, riet davon ab, da es nicht notwendig sei. Es stand mit Gewißheit zu erwarten, daß Buttler, Poller und Grinley nicht kommen würden, da es ihnen unmöglich gewesen war, in der Dunkelheit der Spur der Navajos zu folgen; der Mond war erst später aufgegangen.

Nach vorwärts aber wurden Wachen ausgestellt, denn das erforderte die allgemeine Sicherheit. Das Zelt des Häuptlings war aufgeschlagen worden, damit seine weiße Squaw in demselben schlafen könne. Sie hatte sich wohl auf die Decke hingestreckt, konnte aber aus Sorge für ihren Sohn keine Ruhe finden. Die Luft wurde ihr so schwül im Innern, daß sie nach einiger Zeit wieder aufstand und hinaus in das Freie ging.

Der Mond stand über den Uferbäumen und belächelte sein Bild, welches ihm aus dem hier schmalen, aber ziemlich tiefen Wasser des Flusses entgegenglänzte. Tiefe Stille herrschte ringsumher; nur zuweilen schnaubte eines der Pferde oder schlug mit dem Schwanze nach den Stechmücken, die es hier am Flusse gab; weiter war nichts zu hören. Wirklich weiter nichts? O doch, denn plötzlich klang es im Sechsachteltakte vom andern Ufer herüber:

„Fitifitifiti, fititi, fititi, fititi, fititi, fitifitifiti, fititi, fititi, ti!“

Die Indianer fuhren aus dem Schlafe empor und lauschten erstaunt. War das eine menschliche Stimme oder ein Instrument gewesen? Der Häuptling trat leise zu seiner Frau und fragte:

„Hast du es gehört? So etwas habe ich noch nie vernommen. Was mag es gewesen sein?“

„Es hat jemand die Violine nachgeahmt und einen Walzer geträllert,“ antwortete sie.

„Violine? Walzer? Was ist das? Ich weiß es nicht.“

Sie wollte Auskunft geben, kam aber nicht dazu, denn es tönte von drüben herüber:

„Clililililili, lilili, lilili, Clililililili, lilili, lilili, lilili, li!“

„Das ist ja wieder anders!“ flüsterte der Häuptling.

„Das war die Klarinette, welche nachgeahmt wurde.“

„Klarinette? Kenne ich nicht. Ich denke, daß da drüben – –“

„Trärärä tä – t–tä– trärärä tä – tä – tä –!“ wurde er drüben unterbrochen.

„Das war die Trompete,“ erklärte die Squaw, welche auch nicht wußte, was sie denken sollte. Und ehe noch der Häuptling antworten konnte, erklang es weiter:

„Tschingtschingtschingtschingbumbum, tschingbumbum, tschingbumbum, tschingtschingtsching tschingbumbum, tschingbumbum bum –!“

„Das war die große Trommel mit dem Messingbecken,“ sagte die Squaw, deren Erstaunen von Minute zu Minute gewachsen war.

„Trompete, Trommel, Becken?“ fragte der „Große Donner“. „Das sind lauter Worte, welche ich nicht verstehe. Ist vielleicht ein böser Geist da drüben?“

„Nein, es ist kein Geist, sondern ein Mensch.“

„Weißt du das gewiß?“

„Ja. Er ahmt den Klang verschiedener Musikinstrumente mit der Stimme nach.“

„Aber das ist doch nicht Musik der roten Männer!“

„Nein, sondern der Bleichgesichter.“

„Sollte es ein Bleichgesicht sein?“

„Möglich.“

„Aber die sind doch gefangen! Ich werde einige Späher hinübersenden, welche dieses sonderbare Wesen beschleichen sollen.“

Eine Minute später schwammen weiter unten, wo sie von dem sonderbaren Instrumentisten nicht bemerkt werden konnten, vier Navajos über den Strom, stiegen drüben an das Ufer und schlichen sich dann flußaufwärts. Nach kurzer Zeit ertönte ein unterdrückter Schrei und hierauf kamen die Vier, einen menschlichen Körper halb über Wasser haltend, wieder herübergeschwommen. Als sie den Körper auf die Beine gestellt hatten, meldete einer von ihnen dem Häuptlinge:

„Dieses Bleichgesicht ist es gewesen; es lehnte an einem Baume und trommelte sich mit den Fingern auf den Bauch.“

Der „Große Donner“ trat an die fremde Gestalt heran, betrachtete sie und fragte:

„Was treibst du hier mitten in der Nacht? Was bist du, und wer sind die, zu denen du gehörst?“

Er hatte halb englisch und halb indianisch gesprochen; der Gefragte verstand ihn nicht, ahnte aber, was man wissen wollte, und antwortete in deutscher Sprache:

„Guten Abend, meine Herren! Ich bin der Herr Kantor emeritus Matthäus Aurelius Hampel aus Klotzsche bei Dresden, was ein berühmter Sommerluftkurort ist. Es liegt an der Dresden-Zittauer und Dresden-Königsbrücker Eisenbahn und hat eine Restauration, in welcher es während der großen Sommersaison jede Woche einen Vortragsabend gibt. Warum haben Sie mich denn in meinem Studium gestört? Ich bin wahrhaftig ganz pudelnaß geworden!“

Die Roten verstanden kein Wort; aber man kann sich das freudige Erstaunen der weißen Squaw denken, als sie die bekannten Laute ihrer Muttersprache hörte. Sie trat eiligst auf den Emeritus zu und rief aus:

„Sie sprechen deutsch? Sie sind ein Deutscher, ein Kantor aus der Dresdener Gegend? Wie in aller Welt kommen Sie denn hierher an den Chellyfluß?“

Nun war das Erstaunen auf der Seite des Herrn Kantors. Er trat einige Schritte zurück und rief aus, indem er die Hände zusammenschlug:

„Die Laute meiner Muttersprache aus diesem Munde! Eine Indianerin, eine echte Indianerin, welche deutsch redet!“

„Sie irren sich; ich bin zwar jetzt die Frau eines Indianers, nämlich des Häuptlings der Navajos, aber von Geburt eine Deutsche.“

„Und Sie haben einen Indianer zum Manne genommen? Wie heißt denn Ihr Herr Gemahl?“

„Nitsas-Ini, der Große Donner.“

Großer Donner? Zu dem wollen wir ja!“

„Wirklich? Sie sagen wir; also sind Sie nicht allein?“

„Bewahre! Wir sind eine ganze Gesellschaft tüchtiger Westmänner und Helden beisammen, Winnetou, Old Shatterhand, Sam …“

„Kann ich erfahren, wo ihre Gefährten sich jetzt befinden?“

„Sie sind den Nijoras nach.“

„Die wollen uns doch überfallen.“

„Ja, wenn ich mich nicht täusche, glaube ich, dies gehört zu haben.“

„Sie sagen mir da etwas für uns ganz außerordentlich Wichtiges. Wir sind nämlich den Nijoras entgegengezogen, um ihrem Überfalle zuvorzukommen.“

„Wie? Ihnen entgegen? Ich glaube, daß Sie sich da auf dem falschen Wege befinden, verehrteste Frau Häuptling.“

„Wieso?“

„Wieso? Weil die sich drüben am linken Ufer befinden.“

„Nicht hier am rechten?“

„Nein.“

„Wirklich nicht? Wissen Sie das auch gewiß? Es kommt uns nämlich sehr viel darauf an, daß Sie sich nicht etwa in einem Irrtum befinden.“

„Ein Irrtum ist gar nicht möglich. Wenn wir jünger der Kunst einmal etwas wissen, so wissen wir es auch ordentlich und richtig. Wir sind ja eben von den Nijoras überfallen worden.“

„Das weiß ich. Drei von Ihnen haben sich gerettet.“

„Drei? Da denken Sie höchst wahrscheinlich an Buttler, Poller und den Ölprinzen. Die sind uns leider durchgebrannt.“

„Durchgebrannt? Also entflohen? Etwa Ihnen?“

„Ja.“

„Aber sie wollen doch Ihre Gefährten gewesen sein. Wie ist es da möglich, daß sie Ihnen entflohen sein können?“

„Es ist so. Glauben Sie es mir.“

„Das werden Sie mir noch deutlicher erklären müssen. Diese drei Männer erzählten, daß Old Shatterhand mit seiner Gesellschaft noch gefangen gewesen sei, als es ihnen gelang, sich zu retten.“

„Das ist entweder eine Lüge oder ein Irrtum in der Zeitrechnung. Als sie sich davonmachten, waren wir schon längst wieder frei. Haben Sie denn diese drei Personen gesehen?“

„Sogar gesprochen haben wir mit ihnen.“

„Da will ich hoffen, daß Sie sich in acht genommen haben!“

„Warum?“

„Weil das Menschen zu sein scheinen, denen man nicht weiter trauen darf, als man sie sieht. Die haben den Schalk im Nacken, ja ja, den Schalk im Nacken. Es ist ihnen sogar gelungen, mich zu täuschen, mich, der ich ein Sohn der Musen bin. Das will doch gewiß viel heißen, sehr viel! Ich werde Ihnen das schon noch erzählen, Frau Häuptling.“

„Ja, später. Für jetzt möchte ich zunächst wissen, wo Old Shatterhand und Winnetou sich befinden.“

„Das weiß ich nicht.“

„Nicht? Aus Ihren früheren Worten schien aber doch hervorzugehen, daß Sie es wissen müssen!“

„Das mag sein. Aber einesteils bekümmere ich mich nicht eingehend um solche Sachen, weil meine Heldenoper alle meine Gedanken in Anspruch nimmt, und andernteils verhalten sich meine Gefährten nicht so mitteilsam gegen mich, wie Sie anzunehmen scheinen. Es ist dies eine sehr zarte Rücksichtnahme von ihnen, für welche ich ihnen wirklich dankbar sein muß. Sie wollen mich nicht mit diesen profanen Sachen belästigen, da ich weit Höheres zu schaffen habe. Ich weiß also nicht, wo Old Shatterhand und Winnetou sich in diesem Augenblicke befinden; ich kann nur sagen, daß sie hinter den Nijoras her sind. Wenn sie mich mitgenommen hätten, könnte ich Ihnen den Ort, wo man sie jetzt zu suchen hat, genau sagen.“

„Wann sind sie denn von Ihnen fort?“

„Noch vor Mittag heut. Sie haben niemand als nur Schi-So mitgenommen.“

„Schi-So? Was? Meinen Sohn?“

„Ihren Sohn? Wie? Er ist Ihr Sohn?“

„Ja. Wußten Sie das nicht?“

„Nein. Ich wußte nur, daß er der Sohn von Nitsas-Ini sei, ob aber auch der Ihrige, das war mir bis zum gegenwärtigen Augenblicke unbekannt.“

„Aber ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich die Frau des Häuptlings bin!“

„Das stimmt; aber wissen Sie, es ist für einen jünger der Kunst nicht so leicht, sich in die Verhältnisse einer Familie hineinzudenken, bei der die Mutter weiß, der Vater aber von kupferner Farbe ist. Ich werde es mir aber sehr genau überlegen, und dann ist es sehr wahrscheinlich, daß Sie in meiner Oper einen Platz bekommen, etwa als rote Heldenmutter, denn eine weiße habe ich schon in der Person von Frau Rosalie Ebersbach.“

Der Kantor kam ihr etwas sonderbar vor. Sie schüttelte leise den Kopf und erkundigte sich dann:

„Was thaten Sie denn eigentlich vorhin da drüben, wo Sie sich befanden?“

„Ich komponierte.“

„Das heißt, Sie arbeiteten an Ihrer Oper?“

„Ja. Ich komponierte den Heldeneinzugsmarsch.“

„Aber so laut!“

„Das muß so sein; das geht nicht anders. Ich muß doch hören, wie die einzelnen Instrumente klingen.“

„Aber das kann Ihnen doch sehr leicht das Leben kosten l“

„Fällt ihm nicht ein!“

„O doch! Wie nun, wenn Feinde in der Nähe gewesen wären?“

„Es waren keine da.“

„Wußten Sie das?“

„Ja.“

„Woher?“

„Sam Hawkens hat es gesagt. Darum paßte er auch nicht sehr auf mich auf, und so gelang es mir, mich zu entfernen, ohne daß man acht darauf hatte. Ich ging so weit fort, daß sie mich nicht hören konnten, und probierte da die einzelnen Stimmen des Orchesters durch. Da wurde ich leider plötzlich unterbrochen. Man packte mich von hinten, schnürte mir die Kehle zu, so daß es mit dem Komponieren rein alle war, und transportierte mich hierher. Ich hoffe, daß man mich wieder hinüberschafft!“

„Das wird geschehen. Ist es weit bis zu Ihrem Lager?“

„Nun, eine tüchtige Viertelstunde wird man zu gehen haben, da ich mich so weit entfernen mußte, um nicht gehört zu werden.“

„Und wer befehligt dort?“

„Sam Hawkens hat den Oberbefehl. Old Shatterhand hat nur die Weisung gegeben, daß wir ihnen möglichst schnell auf ihrer Fährte nachfolgen sollten. Bei Anbruch des Abends mußten wir natürlich Lager machen, weil in der Dunkelheit die Fährte nicht zu sehen war.“

„So ist es gut für einstweilen; ich werde jetzt mit meinem Manne sprechen.“

Sie wollte sich nach diesen Worten von ihm abwenden; da hielt er sie am Arme zurück und bat:

„Vergessen Sie nicht, ihm zu sagen, daß ich ein jünger der Kunst und ein Sohn der Musen bin! Man soll mich ja nicht wieder so durch das Wasser schleppen, wie es vorhin geschehen ist!“

Da trat Wolf, der von fern gestanden und zugehört hatte, zu ihm heran und sagte in barschem Tone:

„Da hätten Sie hübsch daheim bleiben sollen. Musensöhne gehören nicht hierher nach dem wilden Westen!“

„Warum?“ fragte der Kantor.

„Weil sie, wenn sie Ihnen nur einigermaßen ähneln, ganz konfuse und verrückte Menschen sind.“

„Oho! Da muß ich denn doch bitten, in einem andern Tone mit mir – –“

„Schweigen Sie! Was Sie gethan haben, ist eine ganz unverzeihliche Unvorsichtigkeit. Wenn Sam Hawkens geglaubt hat, daß keine Feinde hier sein können, so ist das ein Irrtum gewesen. Daß Sie sich aber aus dem Lager entfernt haben, ohne um Erlaubnis zu fragen, das konnte Ihnen allen leicht das Leben kosten. Wie nun, wenn an unsrer Stelle sich die Nijoras hier befunden hätten?“

„Die sind drüben am linken Ufer!“

„Sie könnten auch herübergegangen sein. Dann wären Sie verloren gewesen. Übrigens können wir Ihre Aussagen gar nicht als maßgebend betrachten. Wir sind gezwungen, einige Kundschafter fortzuschicken, um zu erfahren, was von Ihren Darlegungen falsch und was richtig ist.“

„Es ist alles richtig! Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.“

„Ihr Wort gilt gar nichts. Sie kommen mir so verworren vor, daß ich diejenigen nicht beneide, welche sich mit Ihnen zu befassen haben. Wer weiß, was für Unheil schon von Ihnen angerichtet worden ist!“

„Nicht das geringste! Von der Kunst kann überhaupt nur Heil und Segen kommen.“

„Aber von ihren Jüngern nicht, wenn sie Ihnen gleichen.“

„Das ist eine Beleidigung, Herr! Wer sind Sie denn eigentlich? Sie reden deutsch. Sind Sie etwa ein Landsmann von mir?“

„Ja.“

„So sollten Sie höflicher sein. Wenn sich Landsleute so fern von der Heimat treffen, so sollten sie sich freuen, aber nicht einander ärgern!“

„Da haben Sie recht. Aber wer sich über so einen Konfusionsrat, wie Sie sind, nicht ärgert, der muß ein Engel sein. Sie bringen nicht nur die Sicherheit, sondern das Leben Ihrer Gefährten in Gefahr, und das geht mich auch etwas an, denn, wenn ich mich nicht irre, befindet sich bei Ihnen eine Person, welche meinem Herzen sehr nahe steht.“

„Wer könnte das sein? Etwa Frau Rosalie Ebersbach?“

„Unsinn! Ist nicht ein junger Deutscher bei Ihnen, welcher Wolf heißt?“

„Jawohl, Adolf Wolf.“

„Nun, ich heiße auch Wolf.“

„Ah, da sind Sie vielleicht gar der Onkel?“

„Woher vermuten Sie das?“

„Weil ich weiß, daß er zu seinem Onkel will. Sie heißen auch Wolf und sagen, daß er Ihrem Herzen nahe steht; da denke ich natürlich, daß er der Neffe ist.“

„So ist es auch. Da haben Sie gezeigt, daß Sie doch auch einmal logisch denken können, und das soll mich mit Ihnen aussöhnen. Setzen Sie sich nieder! Sie werden hier warten müssen, bis die Kundschafter zurück sind. Ich gehe selbst mit ihnen.“

Nun verdolmetschte er den Indianern, was er von dem Kantor erfahren hatte, und es wurde dann beschlossen, daß er mit noch zwei Roten über den Fluß schwimmen sollte, um das Lager der Weißen aufzusuchen.

Die drei waren gute Schwimmer; sie kamen leicht und schnell hinüber und wendeten sich dann links, um leise am Wasser hinschleichend, sich dem Lager zu nähern. Sie waren noch gar nicht weit gekommen, so hörten sie Schritte, welche sich ihnen näherten. Schnell versteckten sie sich hinter einige Büsche. Die Personen, welche kamen, sprachen miteinander, doch nicht laut. Wolf sah, als sie herangekommen waren, daß es zwei waren; sie blieben halten und lauschten.

„Das is doch wirklich een schrecklicher Mensch,“ sagte der eine. „Der hat wahrhaftig gar keen bißchen Sitzefleesch; sobald wir Lager machen, schleicht er sich off und davon. Nu müssen wir uns in alle Richtungen komprimieren, um ihn zu finden, und dürfen doch nich laut nach ihm rufen, weil een Ohr da herum schtecken könnte, was keene angenehmen Gesinnungen für uns im Busen trägt. Wenn wir ihn gefunden haben, so hängen wir ihn an. Meenste nich ooch, alter Droll?“

„Ja,“ stimmte der andre bei. „Die Oper, die er mache will, is verrückt, und er selber is noch viel verrückter. Der kann uns noch in großen Schaden bringe. Es wird wirklich nich anders; wir müssen ihn anhänge!“

Wolf hörte, daß er es mit Deutschen zu thun hatte, und grüßte hinter seinem Busche hervor:

„Guten Abend, meine Herren, es freut mich sehr, Landsleute hier zu treffen.“

Aber er sah die beiden schon nicht mehr, er hörte nur das Knacken ihrer Gewehrhähne. Sie waren gleich beim ersten Worte, welches er gesprochen hatte, wie in den Erdboden hinein verschwunden.

„Wo sind Sie hin?“ fuhr Wolf fort. „Aus Ihrem Verhalten und Ihrer Schnelligkeit ersehe ich, daß Sie gute Westmänner sind; aber Ihre Vorsicht ist hier unnötig. Sie hören ja, daß ich auch deutsch spreche.“

„Das zieht bei uns nich,“ lautete die Antwort hinter einem Gesträuch heraus. „Es gibt mehrschtenteels Schurken, die ooch zuweilen deutsch reden können.“

„Ich bin aber ein wirklicher Deutscher!“

Als er sich dann in kurzen Worten als Adolf Wolfs Onkel legitimiert und über das Zusammentreffen mit dem Kantor berichtet hatte, rief Hobble-Frank:

„Alle Wetter, is das so! Da is es gut, daß wir eenander nich erschossen haben! Also sind Sie der Onkel von Adolf Wolf? Da krauchen Sie doch mal nich länger dort im Busch herum, sondern kommen Sie raus, Sie alter deutscher Napoleum!“

„Gern; vorher aber noch ein Wort. Es sind zwei Navajokrieger bei mir. Wie werden Sie sich zu ihnen verhalten?“

„So freundlich, als ob sie meine zwee eenzigen Patenkinder wären. Die Navajos sind doch unsre Freunde!“

„Gut, so kommen wir!“

Er trat mit den beiden Roten aus seinem Verstecke hervor und die beiden andern tauchten auch wieder wie aus der Erde auf. Der eine reichte ihm die Hand entgegen und sagte:

„Jetzt können wir off Ihren Gruß antworten. Guten Abend also und willkommen unter Freunden. Und damit Sie wissen, wer wir sind- Ich bin Herr Hehogabalus Morpheus Edeward Franke, genannt der Bärenjäger Hobble-Frank. Und hier mein Freund und Kamerad is die sogenannte Tante Droll, alias Herr Sebastian Melchior Pampel.“

„Es freut mich, zwei so tüchtige Westmänner persönlich kennen zu lernen. Wollen Sie mich nach Ihrem Lagerführen?“

„Sehr gerne. Erlauben Sie mir, Ihr Cicero zu sein, aber sagen Sie mir dabei, wo eegentlich nun unser Kantor schteckt!“

„Er befindet sich in unserm Lager,“ antwortete Wolf, „wir mußten ihn so lange festhalten, bis wir erfahren hatten, zu wem er gehörte.“

„Das kann ich Ihnen sagen: Unter die Narren gehört er. Der Mann hat uns schon sehr viel Unannehmlichkeeten und Emballagen bereitet.“

Als sie den Lagerplatz erreichten, befanden sich nur die Auswanderer mit ihren Frauen und Kindern dort; die andern waren fortgegangen, um nach dem Kantor zu suchen.

„Wie benachrichtigen wir sie nur?“ fragte Frank. „Wir können sie doch nich holen, weil wir nich wissen, wo sie schtecken.“

„Schießen Sie ein Gewehr ab,“ riet Wolf. „Da werden sie gleich kommen.“

„Aber es könnten doch feindliche Menschen sich in der Nähe befinden; die würden wir durch den Schuß anlocken.“

„Nein. Nun, da ich unser Lager und das Ihrige kenne, weiß ich sehr genau, daß wir nichts zu befürchten haben.“

Auf dieses Wort hin schoß Frank sein Gewehr ab. Dann horchten sie, ob sich das Geräusch der Nahenden bald hören lassen werde.

Die Auswanderer betrachteten die drei Ankömmlinge mit neugierigen Blicken; sie hatten vor den beiden Indianern erschrecken wollen, wurden aber durch den Umstand, daß Frank sie gebracht hatte, schnell beruhigt. Der Schuß brachte die beabsichtigte Wirkung hervor. Die Abwesenden kehrten in kurzer Zeit einer nach dem andern zurück. Es läßt sich denken, wie entzückt Adolf Wolf war, als sein Oheim sich ihm zu erkennen gab. Es gab eine Scene der Freude und der Rührung, an welcher auch die andern alle herzlichen Anteil nahmen. Gern hätten dann Onkel und Neffe sich von ihnen abgesondert, um über die Heimat, die Verwandten und über alles zu sprechen, was ihnen auf dem Herzen lag, doch gab es keine Zeit dazu; die Gefühle der einzelnen Personen mußten zurücktreten vor der Gefahr, in welcher sich alle befanden. Und da Wolf in diesem Augenblicke der Vertreter der Navajos war, so wurde er jetzt als solcher vor allen Dingen in Anspruch genommen.

Es waren ihm die Namen sämtlicher Anwesenden genannt worden, und er wendete sich zunächst an den Bankier:

„Wenn ich mich nicht irre, wurdet Ihr mir als Mr. Rollins aus Arkansas bezeichnet. Ist es so?“

„Ja, Sir,“ antwortete der Gefragte.

„Seid Ihr etwa der Bankier dieses Namens?“

„Ja.“

„Habt eine Ölquelle gekauft?“

„Leider ja, die aber keine Ölquelle war.“

„Dachte es mir. Seid beschwindelt worden.“

„Und wie! Leider sind uns die drei Kerle entkommen. Ich hoffe aber, daß wir sie noch einholen werden.“

„Wollt sie also nicht laufen lassen?“

„Nein. Sie haben ja meine Anweisung bei sich und wollen nach Frisco hinunter, um sie dort in Gold umzusetzen.“

„Wenn’s nur das ist, so laßt sie immer laufen!“

„So? Das ratet Ihr mir? Wie kommt Ihr auf diesen Gedanken?“

„Aus diesem Grunde hier. Wollt Ihr einmal sehen, was dies ist?“

Er zog einen Gegenstand aus der Tasche und reichte ihn Rollins hin. Als dieser einen Blick darauf geworfen hatte, rief er in froher Überraschung aus:

„Sir, was sehe ich da! Das ist ja meine Unterschrift, die Anweisung, welche ich in Grinleys Händen glaubte!“

„Wie Ihr seht, habt Ihr Euch da geirrt; er besitzt sie nicht mehr.“

„Sie ist’s; sie ist es wirklich. Nun ist alles gut; nun habe ich diesen Verlust nicht mehr zu befürchten; das, was es mich bisher gekostet hat, will ich gar nicht rechnen.“

Dann mußte Wolf erzählen, wie er in den Besitz dieser Schrift gekommen sei.

Er that dies in kurzer Weise; als er dann sagte, daß Grinley, Buttler und Poller wieder umgekehrt seien, fragte Sam Hawkens:

„Wollen die Kerle etwa hinter Euch her, Mr. Wolf?“

„Natürlich, sie wollen die Gelegenheit, wenn ich mich einmal allein von den andern entferne, abwarten und mich überfallen, um mir das Papier wieder abzunehmen.“

„So ist es; so denke ich es mir auch. Soll ihnen aber nicht nur nicht gelingen, sondern sie werden sich dadurch in unsre Hände liefern.“

„Das hoffe ich auch.“

„Und dann werden wir kurzen Prozeß mit ihnen machen. Wenigstens entlaufen sollen sie uns gewiß nicht wieder. Wo habt ihr euch heut gelagert?“

„Eine Viertelstunde abwärts von hier am jenseitigen Ufer.“

„Denkt ihr, daß sie euch nahe sind?“

„Nein. Sie haben unsrer Fährte nur so lange, als es Tag war, folgen können; dann mußten sie warten. Wir haben also einen ziemlichen Vorsprung vor ihnen.“

„Schön, so fangen wir sie morgen.“

„Oder auch nicht!“

„Warum nicht?“

„Weil wir da mit den Nijoras zu thun bekommen werden.“

„Hm, das ist wahr. Möchte wissen, was diese Halunken vornehmen werden, wenn sie euer voriges Lager erreichen und da sehen, daß die Vögel, die sie fangen wollten, ausgeflogen sind.“

„Das ist doch leicht zu denken.“

„Meint Ihr? Ich glaube es nicht.“

„Sie werden natürlich über den Fluß gehen und uns folgen.“

„Für so dumm halte ich Mokaschi nicht.“

„Dumm? Wieso würde dies eine Dummheit sein?“

„Weil ihr ihm weit überlegen seid. Er hat dreihundert Krieger bei sich und wird Kundschafter voransenden, welche euer Lager beobachten sollen. Wenn sie sehen, daß es verlassen ist, werden sie hinreiten, um das Terrain genau in Augenschein zu nehmen. Sie müßten blind sein, wenn sie da nicht sähen, daß ihr die doppelte Anzahl von Männern seid. Das melden sie dem Häuptling, und da wird er sich wohl hüten, seine Absicht, euch anzugreifen, auszuführen.“

„Und was meint Ihr, was er dann thun wird? Verzichten?“

„Nein. Er wird sich zurückziehen und eilende Boten heimsenden, welche Nachschub holen müssen. Ist dieser angekommen, dann geht er wieder angriffsweise vor.“

„Und uns soll er da die Dummheit zutrauen, so lange zu warten, bis er seine Krieger verdoppelt hat? Nein, nein, Mr. Hawkens; ich bin da ganz andrer Ansicht als Ihr.“

„So laßt sie hören! Nur wenn jeder seine Meinung sagt, kann man zur richtigen Klarheit kommen.“

„Die Sache liegt ganz anders, als Ihr annehmt. Euer Ölprinz hat uns belogen, indem er sagte, daß die Nijoras am rechten Flußufer abwärts kämen; die Absicht, die ihn dabei geleitet hat, ist leicht zu durchschauen.“

Well. Er hat den Kampf zwischen den Navajos und Nijoras hinausschieben wollen, um Zeit zur Ausführung seines Vorhabens zu bekommen.“

„So ist es. Die Nijoras reiten am linken Flußufer hinab, um die Navajos zu überrumpeln, und diese reiten am rechten Ufer aufwärts, um jenen zuvorzukommen. Das ergibt ein Such- und Versteckensspiel, bei welchem gewiß so viel Zeit vergeht, als er braucht, um wieder zu seiner Anweisung zu kommen. Davon wissen aber die Nijoras nichts. Sie ahnen nicht, daß der Ölprinz bei uns gewesen ist und uns diese Lüge gesagt hat. Sie finden unser Lager verlassen; sie sehen unsre Fährte und werden derselben ungesäumt folgen, um plötzlich, wenn wir dies gar nicht ahnen, von hinten über uns herzufallen. Ein so ungeahnter Angriff, ein solcher Überfall vom Rücken her gleicht den Zahlenunterschied vollständig aus. Das werdet Ihr mir zugeben.“

„Kann nichts dagegen sagen; denke aber doch, daß sie sich hüten werden, das zu thun, was Ihr von ihnen annehmt.

Übrigens gibt es hier einen Umstand, den wir mehr als alles andre in Berechnung ziehen müssen.“

„Und der ist?“

„Old Shatterhand und Winnetou, welche uns mit Schi-So vorangeritten sind.“

„Daß dies geschehen ist, das habe ich erfahren; aber warum sie es gethan haben, das weiß ich noch nicht. Sie wollten wohl die Nijoras beobachten?“

„Eigentlich nicht. Einer solchen Beobachtung bedurfte es nicht, weil es als sicher anzunehmen war, daß sie direkt zu den Navajos reiten würden. Diese mußten von dem bevorstehenden Überfalle benachrichtigt werden.“

„Ah, so wollten die drei zu uns?“

„Ja.“

„Da mußten sie aber doch von den Nijoras gesehen werden, die sich zwischen uns und den dreien befanden!“

„Nein, denn Old Shatterhand beabsichtigte, einen Bogen zu reiten. Er und Winnetou haben die besten Pferde des ganzen Westens, und für Schi-So wurde von den andern Tieren das schnellste ausgewählt. Es stand also zu erwarten, daß sie die Nijoras rechtzeitig überholen würden.“

Da machte Wolf ein bedenkliches Gesicht und sagte:

„Es ist mir nicht lieb, daß sie auf den Gedanken gekommen sind, dies zu thun. Es war gar nicht notwendig, uns zu benachrichtigen.“

„Aber doch gewiß! Eure Kundschafter waren ergriffen worden; sie konnten euch also keine Nachricht bringen.“

„Aber unsre Posten waren aufmerksame Leute; sie hätten den anrückenden Feind gewiß bemerkt. Nun müssen wir grad auf die beiden Männer, auf welche wir uns sonst am meisten hätten verlassen können, verzichten, auf Winnetou und auf Old Shatterhand.“

„Verzichten? Das sehe ich denn doch nicht ein.“

„Aber gewiß. Wenn es ihnen auch gelingt, die Nijoras zu umreiten und ihnen zuvorzukommen, so treffen sie uns nicht an; sie finden das Lager verlassen und wissen nicht, was sie nun thun sollen. Hinter sich haben sie die Feinde, und wir sind fort. Sie werden dastehen und sich ansehen und ganz verwundert mit den Köpfen schütteln.“

Da lachte Sam Hawkens laut auf und rief:

„Dastehen, sich angucken, die Köpfe schütteln? Hihihihi! Was fällt Euch denn ein, Mr. Wolf! Ihr behauptet, diese beiden berühmten Männer zu kennen, und kennt sie doch ganz und gar nicht. Ich sage Euch, sie werden nicht dastehen, sich auch nicht ansehen und noch viel weniger verwundert die Köpfe schütteln. Ich möchte wissen, wann oder von wem sich einer von ihnen jemals hätte verblüffen lassen! Wenn Ihr das von ihnen denkt, so könnt Ihr mir leid thun, herzlich leid!“

„Ihr nehmt das, was ich gesagt habe, viel zu scharf, Mr. Hawkens. Ja, ich kenne diese beiden Männer, das darf ich gar wohl behaupten; und ich weiß, was sie geleistet haben und noch leisten können; es kommt eben kein andrer Westmann über sie. Aber sie sind doch auch nur Menschen, und es gibt Lagen, in denen selbst ein Ausbund von Klugheit Fehler machen würde.“

„Die zwei aber nicht; das sage ich Euch. Man hätte wirklich oft denken mögen, daß sie allwissend seien. So eine Divinationsgabe, wie sie besitzen, habe ich noch nie bei einem andern Menschen bemerkt. Sie besitzen ein Ahnungsvermögen, welches fast an das Hellsehen streift. Das ist ihnen natürlich angeboren und durch viele, viele Übung vergrößert und verfeinert. Ich bin überzeugt, daß sie trotz der vielen Eindrücke, welche eure Pferde beim Verlassen des Lagers gemacht haben, doch noch die Spuren von Grinley, Poller und Buttler entdecken, Sie werden sehen, daß diese hinter euch her sind, und wer weiß, was sie dann thun. Vielleicht etwas, woran kein andrer Mensch denken würde. Doch, da fällt mir ein: wir haben noch nicht von Khasti-tine und dem andern fehlenden Kundschafter gesprochen. Wißt ihr nicht, wo sie eigentlich stecken?“

„Ja.“

„Nun?“

„Es wurden zehn Kundschafter ausgesandt; acht sind bei den Nijoras gefangen; die beiden übrigen aber wurden ermordet.“

„Von wem?“

„Von den Nijoras natürlich.“

„Das vermutet ihr?“

„Wir vermuten es nicht bloß, sondern wir wissen es.“

„Von wem?“

„Von eurem Ölprinzen.“

„Ah! Der hat es euch gesagt?“

„Ja,“

„Und ihr habt es geglaubt?“

„Gewiß. Warum sollten wir es nicht glauben? Sie sind als Späher gegen die Feinde ausgezogen und von ihnen ertappt und erschossen worden. Das ist doch sehr einfach.“

„Nicht so einfach, wie ihr denkt. Ich habe doch gehört, daß besonders Khasti-tine ein ausgezeichneter Späher gewesen sein soll?“

„Nicht nur das. Er war trotz seiner Jugend ein Meister im Kundschaften.“

„So! Und da ist es euch nicht aufgefallen, daß er jetzt, wo er sich nicht allein befand, sondern neun Gefährten bei sich hatte, so unvorsichtig gewesen sein soll, sich erwischen zu lassen?“

Wolf sah Sam forschend in das Gesicht und fragte dann:

„Was beabsichtigt Ihr denn eigentlich mit Euren Worten?“

„Euch auf die Wahrheit zu bringen. Die Nijoras haben Eure Späher nicht getötet.“

„Wer denn?“

„Der Ölprinz.“

„Der – Ölprinz?“ wiederholte Wolf im Tone des absolutesten Unglaubens.

„Ja, der Ölprinz,“ bestätigte Sam.

„Das ist ein Irrtum. Wer hat Euch das weisgemacht?“

„Hört, Mr. Wolf, Sam Hawkens läßt sich nicht so leicht etwas weismachen!“

„Mag sein; so seid Ihr erbittert gegen den Ölprinzen, und diese Erbitterung hat Euch auf eine ungerechtfertigte Vermutung, auf eine falsche Berechnung gebracht.“

„Ich habe weder etwas vermutet noch etwas berechnet, sondern meine Behauptung gründet sich auf Thatsachen.“

„Alle Donner! So redet doch! Was sind das für Thatsachen?“

„Khasti-tine hat seine Sache ganz ausgezeichnet gemacht. Er beschlich den Häuptling der Nijoras so vortrefflich, daß dieser unbedingt in seine Hände fallen mußte; da aber kam ein andrer, ein ganz Unbeteiligter dazu und schoß ihn und seinen Gefährten hinterrücks nieder.“

„Und dieser Mörder soll – soll – euer Ölprinz gewesen sein?“

„Soll es nicht gewesen sein, sondern ist es gewesen.“

„Beweist es mir; beweist es!“

„Nichts ist leichter als das. Es waren Zeugen dabei, zwei Männer, die es verhindern wollten, aber nicht verhindern konnten, weil es zu schnell geschah. Und diese Zeugen sitzen hier bei uns.“

„Hier?“ fragte Wolf, indem sein Blick suchend im Kreise herumging.

„Ja. Mr. Rollins und Mr. Baumgarten sind’s. Fragt sie nur; laßt es Euch von ihnen erzählen.“

Er wollte es doch noch nicht glauben; aber als der Bankier ihm den Vorgang genau und bis in das Einzelnste berichtet hatte, konnte er nicht länger zweifeln und rief nun um so grimmiger aus:

„Also dieser Kerl, dieser Schurke ist es wirklich gewesen! Und den haben wir bei uns gehabt! Er hat sich in meiner unmittelbaren Nähe befunden, so daß ich ihm das Messer in das Herz hätte stoßen können. Und wir haben nichts geahnt, nichts, gar nichts!“

„Ja, sogar bewaffnet habt ihr die Leute, hihihihi!“ lachte Sam in seiner sonderbaren Weise. „Habt das sehr gut gemacht, wirklich außerordentlich gut!“

„Schweigt, Mr. Hawkens! Konnte man an so etwas denken? Ist so eine Frechheit für möglich zu halten? Kann ein Mensch, der unsre Kundschafter ermordet, sich dann zu uns wagen und Unterstützung von uns verlangen?“

„Daß es möglich ist, habt Ihr soeben erfahren. Gut nur, daß Ihr die Anweisung zurückbehalten habt. Den Kerl selbst freilich habt Ihr laufen lassen, ihn mit samt seinen beiden Helfershelfern.“

„Ja, das habe ich leider; aber ich bin überzeugt, daß dies nur für einstweilen gilt. Sie werden uns, und zwar vielleicht schon morgen, wieder in die Hände laufen.“

„Hm!“ brummte Sam.

„Was brummt Ihr dazu?“

„O, ich wollte damit nur sagen, daß oft nicht alles so geschieht, wie man es wünscht.“

Pshaw! Die Kerle sind ja hinter uns her und wir brauchen also nichts, gar nichts zu thun, als auf sie zu warten.“

„Ganz richtig! Aber wenn ihr nun nicht warten könnt? Es kann leicht etwas geschehen, was euch anderweit vollständig in Anspruch nimmt. Oder der Ölprinz kann sich besinnen und umkehren.“

„So jagen wir ihm nach und ruhen nicht eher, als bis wir ihn erwischen! Ich werde ihm morgen einige Kundschafter entgegenschicken, um darüber Gewißheit zu bekommen, ob er uns wirklich folgt oder nicht.“

„Und er sieht diese Kundschafter und macht sich aus dem Staube.“

„Das gewiß nicht, denn ich suche die besten meiner Leute aus. Also der, der ist der Mörder von Khasti-tine! Das muß der Häuptling erfahren, und zwar sofort! Er wartet überhaupt auf Nachricht. Ich muß ihn mit Euch zusammenbringen, damit wir uns wegen morgen beraten können. Wollt Ihr mitgehen?“

„Nein,“ antwortete Hawkens. „Er mag kommen.“

„Aber bedenkt, daß er ein bedeutender Häuptling ist! Er darf wohl erwarten, daß Ihr so höflich seid, ihn aufzusuchen!“

„Wie? Was? Seid Ihr so weit verindianert, daß Ihr einen Roten für höher und besser erachtet, als einen Weißen?“

„Das nicht, aber er ist Häuptling.“

„Schön! Er ist der Anführer seiner roten Männer, und ich bin heut Anführer dieser weißen Ladies und Gentlemen. Ich darf überhaupt nicht fort, selbst wenn ich wollte.“

„Warum nicht?“

„Als Old Shatterhand heut mit Winnetou und Schi-So fortritt, sagte er mir, er würde mir den Ort, wo wir des Nachts lagern sollten, durch das Umknicken von drei jungen Baumstämmchen bezeichnen. Wir sind seiner Spur gefolgt und gegen Abend auf dieses Zeichen getroffen. Da haben wir zu bleiben.“

„Aber warum?“

„Er hat gewünscht, daß wir uns in dieser Nacht hier befinden. Nach seinen Gründen habe ich ihn nicht gefragt; jedenfalls aber hat er welche, und wenn so ein Mann Gründe hat, so sind sie gewiß gut und man hat sie zu achten. Es ist vielleicht gar möglich, daß er kommt.“

„Heute nacht?“

„Ja.“

„Das kann er nicht.“

„O, der kann, was er will!“

„Aber wenn er nach unserm letzten Lager geritten ist und dabei gezwungen war, einen Bogen um die Nijoras zu schlagen, so kann er in dieser Nacht nicht hier sein.“

„Geht mich gar nichts an. Er hat seinen Grund gehabt, mir diesen Ort hier anzuweisen, sonst wäre es ja gar nicht nötig gewesen, mir eine Stelle zu bezeichnen. Wir dürfen nicht von hier fort. Schickt also nach dem Großen Donner; er mag kommen!“

„Wie Ihr wollt; ich will nicht in Euch dringen.“

Er erteilte den beiden Indianern, welche mit ihm gekommen waren, den Auftrag, ihrem Häuptlinge die betreffende Meldung zu machen, und sie huschten vom Lagerfeuer fort, um diesen Befehl auszuführen.

Die Unterhaltung war bis jetzt in englischer Sprache geführt worden und da die deutschen Auswanderer derselben nicht mächtig waren, wußten sie nicht, wovon die Rede gewesen war. Darum bat Frau Rosalie den Hobble-Frank, ihr das Nötige mitzuteilen. Er that dies in deutscher Sprache. Als Wolf dies hörte, ging er auch vom Englischen auf das Deutsche über und machte hier und da einige Bemerkungen zu Franks Erklärungen.

Der Hobble schien ihm überhaupt zu gefallen. Es flogen Fragen und Antworten zwischen ihnen hin und her; das ernste Gesicht Wolfs erheiterte sich bei den sonderbaren Ausdrücken Franks immer mehr und endlich rief er lachend aus:

„Sie sind also wirklich das Original, wie es mir beschrieben worden ist. Ich wollte es nicht glauben.“

„Beschrieben worden? Von wem denn?“ fragte der kleine Mann.

„Von Old Shatterhand.“

„Hat er sich dabei eenes mündlichen oder eenes schriftlichen Tones bedient?“

„Mündlich natürlich, mündlich.“

„Und wie hat er mich da genannt? Een Original?“

„Ja, oder wenigstens so ähnlich.“

„Ähnlich? Danke sehr vor Wurschtfett ohne Majoran! Ich bin nich ähnlich; ich bin überhaupt keenem Menschen ähnlich. Was ich bin, das bin ich ooch richtig, das bin ich ganz. Und wenn mein verehrter Old Shatterhand mich een Original genannt hat, so will ich es ooch sein, denn das is eene Ehre für mich. Es gibt unter zehn Menschen kaum drei oder viere, die man Originalersch nennen könnte, denn nich jedermann hat den Origines schtudiert.“

Da blickte Wolf verwundert auf und fragte:

„Sie bringen den mit dem Worte Original zusammen?“

„Selbstverschtändlich!“

„Das ist ein Irrtum, Herr Franke!“

„Bitte, bewegen Sie sich ja nich in tiefern Luftschichten, während ich mit meiner Wissenschaft am höchsten Firmamente hinsegle! Ich kenne den Origines ganz genau – – –“

„Origenes wollen Sie sagen,“ unterbrach ihn Wolf.

„Fällt mir nich im Troome ein!“

„Aber es heißt doch so, Origenes!“

„Das is eene ganz grundlose Vermutung Ihres irrtümlichen Gedankensystems. Origines war zur Zeit der babylonischen Gefangenschaft der berühmteste Brillenfabrikant und zugleich noch das berühmteste Original. Seit jener Zeit werden alle originale Menschen nach ihm benannt, ohne daß sie gerade ooch Brillenmacher oder Optikusse zu sein brauchen.“

„Ich glaube aber behaupten zu müssen, daß Origenes ein berühmter Kirchenlehrer gewesen ist. Es gab auch noch einen andern Origenes, welcher Philosoph war.“

„So? Gab es denn nich ooch noch eenen dritten Origines, der Velocipedist gewesen ist? Es is doch höchst eegentümlich, daß, sobald zwee Deutsche sich zum erschten Male treffen, allemal die gelehrten Reibereien losgehen! Das is wirklich nur bei den Deutschen der Fall, denn es is mir noch niemals vorgekommen, daß mir een Araber oder Chinese widersprochen hat. Die haben mich schtets reden lassen!“

„Gut, so werde ich dasselbe thun,“ lachte Wolf.

„Das is sehr weise von Ihnen gehandelt, denn dadurch erschparen Sie sich wissenschaftliche Demütigungen, denen Ihr kindlicher Geist noch nich gewachsen is. Schpäter, wenn wir uns erscht ‚mal über die Schöpfung im allgemeenen und im besondern geeenigt haben werden, werde ich Ihnen een paar Bücher borgen, aus denen Sie die Anfangsgründe der diätetischen Weltanschauung kennen lernen können, wenn Sie Anlage dazu besitzen und sich die gehörige Mühe geben. Bis dahin aber wollen wir lieber von Dingen schprechen, welche nich so angreifend für Ihr sanftes Gehirn sind. Wenn Sie sich mit mir unterhalten wollen, so bin ich gar nich abgeneigt dazu, denn die wahre Bildung und Improvidenz beschteht darin, daß man sich mit Vergnügen zu dem geistig Schwächeren herunterläßt; aber da müssen wir een Thema suchen, wozu Ihr Nervensystem mehr heitere Minorität besitzt, als zu solchen hohen metallischen Konflikten.“

„Gut, Herr Franke,“ lächelte Wolf. „Ist es Ihnen recht, wenn wir von dem reden, was uns am nächsten liegt, also von den Indianern?“

„Da schtimme ich bei, obwohl ich ooch da überzeugt bin, daß Sie mit Ihren Ansichten in die Käse fliegen.“

„In die Käse? Wieso oder warum?“

„Weil es Ihnen jedenfalls ooch da an der ausgedehnten Erfahrung und Expansation mangelt,“

„Expansion, meinen Sie?“

„Nee, ich meene Expansation. Sie müssen sich das een für alle Male merken, daß ich es schtets so meene, wie ich es sage. Wer es anders meent, der is keen Ehrenmann, ooch in Beziehung off die Fremdwörter nich!“

„Gut! Also Sie behaupten, daß es mir in Beziehung auf die Indianer an der Erfahrung mangelt?“

„Ja.“

„Ich weiß aber, daß ich mich schon weit länger im Westen befinde, als Sie.“

„Das thut nischt. Schtecken sie heut eenen fein dressierten arabischen Hengst in eenen Eselsschtall, so wird der Esel ooch denken oder gar sagen, er is länger da. Die Zeit thut’s nich, sondern der Geist, das is die Hauptsache. Sie sind nur körperlich hier gewesen; ich aber habe meinen ganzen Geist in die indianischen Verhältnisse versenkt, und zwar so tief, daß ich ihn beinahe nich wieder herausgebracht hätte.“

„Er wollte also darin stecken bleiben?“

„Unsinn! Mein Geist bleibt niemals schtecken! Nee, er wollte durch, ganz durch, mitten durch und off der andern Seite wieder ’naus. Das wollte ich aber nich, weil ich doch nich wußte, wo ich da hingeraten würde. Ja, so is es; ich habe die Indianer förmlich schtudiert. Was für welche kennen denn Sie?“

„Alle Stämme, die hier in dieser Gegend wohnen.“

„Nur? Da reichen Sie mir mit Ihrer ganzen, langen Geschtalt nich ‚mal ‚rauf bis an meine Hosentasche. Ich bin bis hinauf zum Nationalpark gewesen, nämlich mit Old Shatterhand und Winnetou. Da haben wir ganz andre Schtudien machen können und ganz andre Indsmen kennen gelernt.“

„Ja, ich weiß es; ich habe es gehört. Sie haben es damals mit den Sioux zu thun gehabt.“

„Sogar mit den Ogallellah!“

„Die sind wohl schlimmer als die hiesigen Roten?“

„Schlimmer? Hm! Dieses Ausdruckes mag ich mich überhaupt nich bedienen. Für eenen tüchtigen Weißen is überhaupt keen Indianer schlimm; er haut sie alle in die Pfanne, wenn er nämlich wilde wird. Unsereenem gegenüber is es ganz gleich, ob’s een Apache oder een Comanche oder een Dakota is, sie sind doch alle weiter nischt als bloße Senfindianer.“

„Senfindianer? Wieso?“

„Das wissen Sie nich?“

„Nein.“

„Na, da sagen Sie nun nich mehr, daß Sie die Indianer kennen!“

„Aber, Herr Franke, von einem Senfindianer habe ich wirklich noch nichts gehört.“

„Nich? Da hört doch alles off! Es gibt nich nur eenen, sondern sogar zwee Senfindianer. Und da kennen Sie wirklich keenen davon?“

„Nein.“

„Weder den alten noch den jungen?“

„Nein. Vielleicht sind Sie so gut, mich aufzuklären.“

„Ja, ich will die Güte haben.“

„Wo leben denn diese beiden Senfindianer?“

„Das thut gar nischt zur Sache; es genügt für Sie, zu wissen, daß sie in Washington gewesen sind.“

„In Washington? So?“

„Ja, beim großen, weißen Vater. Sie wissen vielleicht, wer mit diesen Worten gemeent sein soll?“

„Ja. Die Indianer pflegen den Präsidenten der Vereinigten Staaten den großen, weißen Vater zu nennen.“

„Richtig! Wie ich höre, sind Sie doch nich ohne alle Anlage zur Wissenschaft. Also diese beeden Indianer waren von ihrem Schtamme nach Washington gesandt worden, um dem großen, weißen Vater eenige Wünsche des Schtammes vorzutragen. Als Gesandtschaft mußten sie nobel und rücksichtsvoll behandelt werden, und darum wurden sie des Abends zum Supper, zum Abendessen beim Präsidenten eingeladen. Sie saßen da nebeneenander ganz unten an der Tafel, die fast zusammenbrach vor Flaschen, Schüsseln und Tellern, die darauf schtanden. Da gab’s Schpeisen, die sie im Leben noch nich gesehen, noch viel weniger aber gegessen hatten; dabei lagen die Messer, Gabeln und Löffel, und sie mußten achtgeben, wie sie sich dabei zu benehmen hatten. Da raunte der Alte dem jungen listig zu: Mein junger Bruder mag mit mir offpassen, wovon die weißen Gäste am wenigsten nehmen; das ist die teuerste und köstlichste Schpeise; da langen wir tüchtig zu.

„Sie gaben also acht und bemerkten, daß am allerwenigsten genommen wurde von einer braunen Schpeise, die auf silbernen Untersetzern in kleenen, feinen Gläsern schteckte. In jedem Gläschen gab es eenen kleenen Löffel, der aus Schildkrötenschale gemacht war. Da meente der Alte wieder zu dem Jungen: In diesen Gläsern befindet sich das teuerste und köstlichste Gericht. Mein junger Bruder kann een solches Glas mit seiner Hand erreichen; er mag sich zuerst von der Schpeise nehmen.

„Der junge Indianer zog sich das Glas herbei, nahm eenen gehäuften Löffel voll und rasch darauf noch eenen zweeten. Dabei blickte er sich um, ob man wohl bemerkt habe, daß er gleich zwee Löffel voll genommen hatte. Keen Mensch guckte her. Erscht nun begann er, die köstliche Schpeise mit der Zunge zu zerdrücken, und der Alte sah ihm dabei voller Schpannung in das Gesicht. Dieses Gesicht wurde nach und nach gelb, rot und blau, sogar grün, aber es blieb schtarr und unbewegt, denn een Indianer darf selbst bei den ärgsten Schmerzen nich mit der Wimper zucken. Die Oogen wurden schtarr und immer schtarrer und fingen an zu thränen, bis das Wasser schtromweise über die Backen runterlief. Da machte der junge Indsman eenen fürchterlichen, todesmutigen Schluck, und – hinunter war der Senf und es wurde ihm wieder besser, nur daß das Wasser noch immer in Schtrömen aus den Oogen lief. Darum fragte der alte Indsman neugierig: Warum weint denn mein junger, roter Bruder?

„Dieser hätte um alles in der Welt nich eingestanden, daß ihm die köstliche Schpeise so off die Nerven und an das Leben gegangen sei, und darum antwortete er: Ich dachte eben daran, daß mein Vater vor fünf Jahren im Mississippi ertrunken is; darum weine ich.

„Bei diesen Worten schob er dem Alten das Glas hin. Dieser hatte gesehen, wie schlau sein junger Bruder gewesen war, und machte es ebenso: er schob schnell hinter eenander zwee volle Löffel in den Mund und klappte ihn dann rasch zu. Aber dann gingen mit eenem Male die Lippen wieder auseenander und klappten auf und zu wie bei eenem Karpfen, der keene Luft bekommen kann oder wie wenn man eenen brennend heeßen Bissen in den Mund gesteckt hat und doch nich wieder herausnehmen kann. Dann zog es dem Alten die Schtirnhaut in die Höhe, und in der Gurgel quirlte es höchst verdächtig. Die Farbe seines Gesichtes veränderte sich wie bei eenem Chamäleon; der Schweeß sickerte aus allen Poren; die Oogen wurden rot und füllten sich mit eenem See von Thränen, welcher bald überlief und seine Fluten über die Backen herniedergoß. Das sah der junge und fragte ihn: Warum weint mein alter, roter Bruder?

„Da schluckte dieser mit Aufbietung seiner ganzen Willenskraft den Senf hinunter, holte tief und schtöhnend Atem und antwortete: Ich weine darüber, daß du damals vor fünf Jahren nich ooch gleich mit ersoffen bist!

„So, Herr Wolf, das is die berühmte Geschichte von den zwee Senfindianern, die Sie noch nich kennen. Ich hoffe, daß Sie nun überzeugt sind, daß ich Ihnen ooch in diesem Fache weit überlegen bin!“

Ein allgemeines Gelächter war die Folge, ein Gelächter, in welches er selbst sehr kräftig einstimmte und welches bei der nächtlichen Stille, die rundum herrschte, wohl eine Viertelstunde weit zu hören war. Darum durfte es kein Wunder genannt werden, als vom Wasser her eine laute Stimme erschallte, welche im indianischen Englisch rief:

„Haben die Bleichgesichter den Verstand verloren, oder sind sie Weiber geworden, daß sie sich nicht beherrschen können? jeder Baum kann einen Feind verbergen, wenn man nicht daheim in seinem Zelte ist.“

Es war Nitsas-Ini, welcher kam, gefolgt von einigen seiner besten Krieger. Auch seine weiße Squaw brachte er mit, wohl deshalb, weil die Boten gesagt hatten, daß hier auch Frauen seien. Die Lagernden erhoben sich, ihn zu begrüßen. Er blieb vor ihrem geöffneten Kreise stehen und ließ, jedem einen scharfen, musternden Blick zuwerfend, sein Auge in die Runde geben. Als er Sam Hawkens sah, nahm sein ernstes Gesicht einen milderen Ausdruck an und er sagte, ihm die Hand reichend:

„Mein weißer Bruder Sam ist dabei? Dann weiß ich, daß diese laute Lustigkeit uns keinen Schaden bringen wird, denn Sam Hawkens läßt seine Stimme nicht hören, wenn ein Feind in der Nähe ist.“

Auch Dick Stone und Will Parker bekamen eine Hand, und dann wurden ihm die Namen der übrigen genannt. Von den Frauen nahm er nicht die geringste Notiz. Als ihm Adolf Wolf genannt wurde, legte er ihm die Hand auf den Kopf und sagte:

„Du bist der Freund meines Sohnes und der Neffe meines weißen Bruders. Sei willkommen unter den Zelten der Navajos! Du wirst wie ein Kind unsres Stammes sein.“

Beim Anblicke des Hobble-Frank, dessen Name ihm auch genannt wurde, lächelte er ein wenig und sagte.

„Mein Bruder Frank kennt alle Geheimnisse des Himmels und der Erde. Wir werden sehr viel von ihm lernen können.“

„Das ist wahr,“ antwortete Frank sehr ernst. „Es freut mich, daß der große Häuptling der Navajos dies weiß und anerkennt; darum werde ich ihm meine ganze Wissenschaft zur Verfügung stellen.“

Darauf machte der Hobble der weißen Squaw eine Verbeugung und sprach, indem er sich seiner Muttersprache bediente:

„Verehrte Dame, ich preise mich sehr glücklich, Ihre ergebenste Bekanntschaft zu machen. Wenn ich wüßte, daß Sie noch nischt von mir gehört hätten, so würde ich so freundlich sein, mich Ihnen mit meinem ganzen Namen zu – – –“

„Ist nicht nötig, Herr Franke,“ unterbrach sie ihn mit einem heiteren Lächeln. „Ich kenne Sie schon sehr genau.“

„Wohl aus den Erzählungen meines Freundes Old Shatterhand?“

„Ja. Auch Winnetou hat zuweilen von Ihnen gesprochen.“

„Freut mich ungemeen; trotzdem aber gebe ich Ihnen parlamentarisch zu bedenken, daß die richtige Wirklichkeet oder die wirkliche Richtigkeet niemals von eener bloßen Erzählung oder Beschreibung erreicht werden kann. Was Sie jetzt von mir wissen, das is, sozusagen, een kleenes Laternenlicht. Lassen Sie mich aber erscht acht Tage bei Ihnen sein, so wird Ihnen in mir eene Sonne leuchten, bei deren Schtrahlen alle Fixschterne erbleichen müssen. Erlooben Sie mir gehorsamst, Sie mit den hiesigen Herrschaften bekannt zu machen! Hier is vor allen Dingen unsre wackere Frau Rosalie Eberschbach. Nachher –“

Er wollte zu einer andern Person übergehen; aber Frau Rosalie schob ihn mit den Worten fort:

„Was man eenmal macht, das muß man ooch richtig machen. Verschtehn Se mich! Ich werde die Vorschtellung selber besorgen. Dazu brauchen wir keenen Herrn, der zwar gelehrt sein will, sich aber nich ‚mal eenen vollschtändigen Namen merken kann.“

„Na“, meinte er, „wollen Sie mir etwa gar zumuten, alle Ihre Namen herunterzuleiern, die Sie von der Wiege bis zum Grabe gehabt haben? Ich habe den richtigen genannt und der wird wohl genügen!“

„Genügen? I, was Sie nich sagen! Gewöhnlich genügt er, ja; aber bei eener Vorschtellung, wo off den Eindruck des erschten Oogenblicks so viel und alles ankommt, kann man nich ausführlich genug sein.“

Und sich zu der weißen Squaw wendend, fuhr sie fort:

„Also ich bin Frau Rosalie Eberschbach, geborene Morgenschtern, verwittwete Leiermüllern, aus Heimberg in Sachsen, und hier is Julius, mein zweeter Gatte und Schmiedemeester—“

In dieser Weise nannte sie die Namen aller Personen der vier Auswandrerfamilien und lud dann die Frau des Häuptlings ein, sich bei ihr niederzusetzen. Die Squaw folgte bereitwillig dieser Aufforderung und bald befanden sich die Damen in einer sehr angeregten Unterhaltung, welche aber auf die Bitte der Squaw leise geführt wurde, denn bei den Indianern haben die Frauen in Gegenwart der Männer zu schweigen, selbst wenn diese nicht sprechen.

Dieses letztere war hier zunächst auch der Fall. Der Häuptling hatte sich zu Sam Hawkens gesetzt und blickte lange Zeit, ohne ein Wort zu sagen, finster vor sich hin. Die indianische Höflichkeit verbot den andern, sein Schweigen mit einem Worte zu brechen. Dann, nach ungefähr einer Viertelstunde, sagte er endlich:

„Mein Bruder Sam mag mir sagen, wohin Old Shatterhand mit Winnetou ist!“

„Sie sind hinter den Nijoras her, um, wenn es sich als notwendig erweisen würde, euch zu warnen.“

„So mag mir Sam erzählen, was geschehen ist!“

Hawkens kam dieser Aufforderung nach. Er unterrichtete den Häuptling von allem, ohne aber viel Worte zu machen. Als er geendet hatte, blickte Nitsas-Ini wieder eine Weile still vor sich hin und sagte dann:

„Morgen wird die Strafe kommen. Sind meine weißen Brüder bereit, uns zu helfen?“

„Ja,“ antwortete Sam. „Eure Feinde sind unsre Feinde, und unsre Freunde mögen auch die eurigen sein!“

„Sie sind es. Wir wollen das Kalummet darauf rauchen.“

Er nahm die Friedenspfeife von der Schnur, mittelst welcher sie an seinem Halse hing, öffnete den Tabaksbeutel und stopfte sie. Als er sie in Brand gesetzt hatte, erhob er sich, blies den Rauch nach dem Himmel und nach der Erde, dann nach den vier Himmelsrichtungen und sagte:

„Alle Bleichgesichter, welche hier versammelt sind, sollen unsre Brüder und Schwestern sein. Ich spreche im Namen des ganzen Stammes der Navajos. Howgh!“

Er hätte eigentlich dem Gebrauche gemäß eine lange Rede halten sollen, aber die Umstände waren heut so, daß er es für besser hielt, so kurz wie möglich zu sein. Bei dem letzten indianischen Worte Howgh, welches eine Bekräftigung wie unser Amen bedeutet, gab er die Pfeife an Sam und setzte sich wieder nieder. Dieser stand auf, that dieselben sechs Züge und sagte:

„Ich rauche und spreche im Namen meiner weißen Brüder und Schwestern, die sich hier befinden. Wir wollen wie Söhne und Töchter der Navajos sein und im Kampf und Frieden bei Euch bleiben. Ich habe gesprochen. Howgh!“

Er setzte sich auch wieder nieder und reichte dem Häuptlinge die Pfeife, der sie nun nicht weiter gab, sondern bis zu Ende rauchte. Als sie ausgegangen war, hing er sie wieder an die Schnur und sagte:

„Morgen, noch ehe die Sonne hoch gestiegen ist, wird das Blut des Mörders und seiner beiden Begleiter fließen.“

„Denkst du, daß sie bis zu dieser Zeit hier angekommen sein werden?“ fragte Sam.

„Sie werden hier sein.“

„Sie werden aber nicht offen geritten, sondern heimlich geschlichen kommen. Man wird gut aufpassen müssen, um sie zu sehen.“

„Ich werde ihnen zwei Männer entgegensenden, welche die Augen des Adlers haben; die werden es mir melden, wenn sie kommen und an welcher Stelle sie eintreffen.“

„Was das betrifft, so ist diese Stellung sehr leicht zu erraten.“

„Was meint mein Bruder Sam?“

„Sie werden natürlich eurer Fährte folgen und also an den Ort kommen, an welchem ihr jetzt lagert. Ihr braucht ihn nur zu verlassen und euch in der Nähe zu verstecken, so müssen sie in eure Hände fallen.“

„Mein Bruder hat sehr richtig gesprochen; aber dennoch werde ich ihnen die beiden Späher entgegensenden, damit sie mir ganz sicher sind und ich sie auf alle Fälle ergreife.“

„Aber wenn du nicht Zeit dazu hast?“

„Wer könnte mich hindern?“

„Die Nijoras.“

„Die werden mich nicht hindern, sondern mir im Gegenteile förderlich sein, die Mörder zu ergreifen. Sie sind nach unserm Lager; sie finden dieses verlassen und werden uns folgen. Sie haben also die Mörder vor sich, die wir hinter uns haben. Sie bringen sie uns zugetrieben.“

„Wenn du dich nicht irrst, soll es mich freuen.“

„Ich irre mich nicht, Was könnten die Nijoras anders thun, als uns folgen?“

„Old Shatterhand schien diese Ansicht nicht zu haben.“

„Und doch ist er fort, um uns zu warnen?“

„Das hat er vielleicht nur vorgeschützt, um nicht das Richtige sagen zu müssen.“

Der Häuptling schien einige Augenblicke über das Gehörte nachdenken zu müssen und fragte sodann, aber mit unterdrückter Stimme, da ihm sein Scharfsinn das Richtige beinahe ahnen ließ:

„Glaubt er vielleicht, daß die Nijoras nicht direkt nach unserm Lager sind?“

„Es schien fast so,“ antwortete Sam ebenso leise.

„Dann könnten sie es nur auf andre abgesehen haben?“

„Ja.“

„Auf euch?“

„Ich vermute es. Gesagt hat Old Shatterhand nichts.“

„Er hat geschwiegen, weil unter meinen weißen Brüdern Leute sind, welche Angst bekommen hätten.“

„Das vermute ich.“

Wolf war auch wieder mitgekommen. Er hatte, da er auch neben dem Häuptling saß, die letzten leisen Sätze gehört und gab jetzt seine entgegengesetzte Meinung zu hören:

„Was Ihr da gesagt habt, halte ich für grundfalsch. Es wird den Nijoras nicht einfallen, ihre Zeit damit zu verschwenden, daß sie euch abfassen, nachdem ihr ihnen schon vorher entkommen seid und sie sich sagen müssen, daß ihr euch in acht nehmen werdet. Das einzig Richtige, was sie thun können und auch thun werden, ist, daß sie erst uns angreifen, die wir stärker sind, als ihr seid, und erst dann, wenn sie uns besiegt haben, euch vornehmen.“

„Diese Ansicht hat ihre volle Berechtigung, wenn ich mich nicht irre,“ sagte Hawkens; „aber wir befinden uns in ihrem Rücken, und es ist eine alte, bewährte Regel, daß man sich stets und vor allen Dingen den Rücken freihalten soll.“

„Ich habe aber schon bereits gesagt, daß Old Shatterhand und Winnetou gar nicht wissen werden, woran sie sind. Sie befinden sich jenseits der Nijoras, die sie überholt haben, um uns zu warnen. Nun sind wir fort und da ist guter Rat für sie schwer.“

Er hatte, um seiner Ansicht mehr Nachdruck zu geben, lauter als vorher gesprochen, so daß alle seine Worte hören konnten. Daher kam es, daß Sams darauf folgende Entgegnung unwillkürlicher auch vernehmbarer wurde:

„Und ich wiederhole, was ich euch bereits gesagt habe: Für Winnetou und Old Shatterhand ist niemals guter Rat schwer. Sie wissen stets, was sie zu thun haben. Ich habe noch keinen von ihnen jemals im Zweifel darüber gesehen, was im nächsten Augenblicke geschehen soll.“

„Aber es gibt dennoch Augenblicke, in denen der Verstand des Klügsten nicht ausreichen will!“

„Für diese beiden nicht. Sie werden auch heute ganz genau gewußt haben, warum sie uns voranritten und warum wir hier lagern sollen.“

Da ertönte eine tiefe, männliche Stimme unter den nächsten Bäumen hervor:

„Recht so, Sam Hawkens! Man soll die Ehre und den guten Namen seiner Kameraden stets verfechten. Wir haben allerdings sehr wohl gewußt, was wir thaten und warum wir es thaten.“

Old Shatterhand war es, der diese Worte gesprochen hatte. Er kam jetzt herbei, schüttelte den Navajos allen, auch Wolf und der weißen Frau die Hände und sagte dann zu dem Häuptlinge:

„Warum haben meine Brüder keine Posten ausgestellt? Es war zwar nichts zu befürchten, weil ich mit Winnetou vorangewesen bin, aber man soll diese Vorsicht nie versäumen.“

Er that nicht im geringsten verwundert darüber, daß die Navajos sich hier anstatt in ihrem früheren Lager befanden. Und ebenso gleichgültig that Nitsas-Ini. Er wußte, daß Old Shatterhand seinen Sohn Schi-So mitgenommen hatte. Er brachte ihn aber nicht wieder. Warum? Er hätte gern gefragt. Sein Vaterherz sehnte sich nach dem Kinde; aber er durfte als Krieger und gar Häuptling sich dies nicht merken lassen.

Die weiße Squaw war, als sie Old Shatterhand sah, aufgesprungen. Sie wagte es nicht, eine Frage an ihn zu richten. Aber – wo war ihr Sohn? Mit dem Instinkte der Liebe wendete sie sich nach der Richtung, aus welcher der große Jäger gekommen war. Ihr Auge versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen; dann eilte sie mit dem lauten, jubelnden Ausrufe: „Schi-So, mein Stern!“ zwischen den nächsten Bäumen hinein.

Die Anwesenden harrten still, ohne ein Wort zu sprechen. Der Häuptling saß mit unbeweglichem Angesichte da, als ob er eine steinerne Statue sei. Da, vielleicht nach zehn Minuten, hörte man leichte Schritte aus dem Dunkel kommen. Die Squaw brachte ihren Sohn an der Hand geführt. Als sie mit ihm in den Kreis des Lichtes getreten war, ließ sie diese Hand los und setzte sich ruhig wieder an ihren Platz. Dem Herzen war Genüge geschehen, still, ohne laute Worte und Ausrufe, doch mit nicht weniger Zärtlichkeit; nun aber mußte dem indianischen Stolze auch Rechnung getragen werden.

Schi-So ging zu seinem Vater und reichte ihm die Hand entgegen. Der Häuptling sah seinen Sohn kommen; er erblickte die jugendkräftige Gestalt, das frische Gesicht, die intelligenten Züge, die gewandten Bewegungen. Einen Augenblick lang, aber auch nur einen einzigen Augenblick, leuchteten seine Augen in stolzer Freude auf; dann war sein Gesicht wieder so unbeweglich wie vorher; er ergriff nicht die dargereichte Hand des Sohnes, sondern that, als ob er ihn gar nicht sähe. Schi-So wendete sich um und setzte sich dann neben Adolf Wolf nieder. Es fiel ihm gar nicht ein, sich gekränkt zu fühlen. Er wußte, wie sehr sein Vater ihn liebte; er kannte die indianischen Anstandsregeln und bereute es, seinem Vater die Hand angeboten zu haben. Er hatte dies gethan, weil er aus Europa kam; nach der Sitte seiner Heimat war es nicht erlaubt. Er war ein Knabe und durfte in Gegenwart von Männern nichts thun, was in der gegenwärtigen Lage nicht unbedingt nötig war.

Old Shatterhand hatte diese Scene mit einem Lächeln der Befriedigung betrachtet. Er wußte, daß in dieser Familie mehr Liebe und Glück wohnte, als in mancher vornehmen, weißen, deren Glieder in Gegenwart andrer sich Aufmerksamkeiten und Zärtlichkeiten erweisen, aber dann, wenn sie sich unbeobachtet wissen, einander wie Hund und Katze behandeln. Jetzt wurde er von dem Häuptlinge gefragt:

„Mein Bruder Old Shatterhand war in unserm früheren Lager?“

„Nein. Wäre ich dort gewesen, so könnte ich jetzt noch nicht wieder hier sein. Aber der Ölprinz war mit Buttler und Poller dort?“

„Ja.“

„Ihr habt ihnen Waffen und Munition gegeben?“

„Ja.“

„Sie haben gesagt, sie seien mit uns geritten, mit uns von den Nijoras ergriffen worden, aber so glücklich gewesen, zu entkommen?“

„So ist es. Woher weiß mein Bruder dies alles? Hat er vielleicht mit diesen drei Mördern gesprochen?“

„Nein,“ lächelte Old Shatterhand. „Was ich soeben sagte, vermutete ich. Diese Mörder brauchten Waffen; sie mußten also zu euch, denn weiter war niemand da, von dem sie welche erhalten konnten. Um euch gutwillig zu machen, mußten sie euch belügen und euch sagen, daß sie Begleiter und Beschützer von Schi-So gewesen seien. Das ist ja alles so selbstverständlich, daß ein jedes Kind es sich denken kann. Und selbst wenn ich Zeit gehabt hätte, so wäre es mir nicht eingefallen, nach eurem früheren Lagerplatze zu reiten, denn ich erfuhr gegen Abend, daß ihr ihn verlassen hattet.“

„Von wem?“

„Von meinen Augen.“

„Uff! So hast du uns gesehen?“

„Ja. Ich saß diesseits des Flusses auf einem hohen Baum, um nach den Nijoras auszuschauen, und sah euch am jenseitigen Ufer aufwärts gezogen kommen.“

„So haben die Nijoras uns vielleicht auch gesehen?“

„Nein.“

„Weißt du das genau?“

„Ja.“

„Von wem?“

„Von ihnen selbst. Sie haben es gesagt, und ich hörte es, denn ich habe sie belauscht. Schi-So war mit uns; er hielt die Pferde, während Winnetou und ich uns an die Feinde schlichen. Ich bin mit Schi-So zurückgekehrt, um meinen weißen Brüdern Nachricht zu geben und meine roten Brüder aufzusuchen; Winnetou aber blieb zurück, um die Feinde auch weiter zu beobachten. Ich bin sehr erfreut darüber, daß ich meinen Bruder Nitsas-Ini hier finde und die Krieger der Navajos nicht aufzusuchen brauche.“

„Auch ich freue mich sehr, meinen Bruder Shatterhand nach so langer Trennung wiederzusehen. Die Feinde werden morgen in unsre Hände fallen.“

„Das ist auch meine Ansicht, obgleich ich weiß, daß diejenige meines Bruders auf einer falschen Voraussetzung beruht.“

„Old Shatterhand irrt sich! Ich denke ganz dasselbe wie er.“

„Unmöglich.“

„Nein. Die Nijoras werden unsern Lagerplatz verlassen finden und unsern Spuren folgen.“

„Die Nijoras werden zunächst nicht nach euerm Lagerplatze reiten, sondern uns überfallen. Sie ahnen nicht, daß die Krieger der Navajos ihr Lager verlassen haben.“

„Uff! Meine weißen Brüder sollen überfallen werden?“

„Ja.“

„Wo?“

„Sie denken, daß wir ihnen folgen, um die Navajos aufzusuchen, und haben sich am Winterwasser festgesetzt, um uns dort ganz unerwartet einzuschließen.“

„Am Winterwasser? Dieser Plan ist sehr klug von ihnen ausgesonnen, denn es gibt keinen Platz, der sich so gut zu einem Überfalle eignet, wie dieser. Meine Brüder werden ihn vermeiden?“

„Wir werden im Gegenteile hingehen.“

„Und kämpfen?“

„Ja. Vielleicht aber ist ein Kampf gar nicht notwendig. Es ist möglich, daß sich die Nijoras ohne allen Kampf ergeben müssen.“

„Uff! Wie sollte das möglich sein?“

„Die Krieger der Navajos werden uns dabei helfen. Das denke ich doch!“

„Wenn du es wünschest, werden wir es thun. Aber wir wollten die Feinde jenseits des Flusses an unserm heutigen Lagerplatze erwarten.“

„Ich weiß nicht, wo ihr lagert; aber das Winterwasser eignet sich für unsern Zweck jedenfalls viel besser.“

„Mein Bruder hat recht. Wir werden mit ihm nach dem Winterwasser gehen. Aber wie sollen wir nun den Ölprinzen und seine beiden Mordgesellen erwischen?“

„Ihr wollt sie fangen?“ fragte Old Shatterhand, auf dessen Gesicht jetzt ein leichter Ausdruck des Erstaunens zu sehen war, eine außerordentliche Seltenheit bei diesem Manne, dessen Divinationsgabe Sam Hawkens noch vor kurzem so gerühmt hatte.

„Ja,“ antwortete der Häuptling.

„Aber ihr habt sie doch mit Gewehren und Munition ausgerüstet!“

„Weil sie uns belogen.“

„Und sie ungehindert ziehen lassen!“

„Weil ich ihnen mein Wort darauf gegeben hatte.“

„Ah, jetzt errate ich! Du wußtest ja noch nicht, daß der Ölprinz deine beiden Kundschafter ermordet hat!“

„Nein, das wußte ich nicht.“

„Hast es aber nun von meinen Gefährten erfahren?“

„Du hast es erraten.“

„Und nun willst du ihnen nach, um den Tod der Kundschafter zu rächen?“

„Rächen will und muß ich ihn, aber ich brauche sie nicht zu verfolgen, denn sie kommen uns nach.“

„Wirklich? Sonderbar! Sie sollten doch froh sein, euch und uns entkommen zu sein!“

Da fiel Wolf schnell ein, indem er ein höchst befriedigtes und selbstbewußtes Gesicht zeigte:

„Ja, wenn sie die Unterschrift, die Anweisung noch hätten!“

„Besitzen sie die nicht mehr?“

„Nein. Ich habe sie ihnen abgenommen und behalten.“

„Ah! Wie ist das zugegangen?“

Wolf erzählte es und fügte dann hinzu:

„Wir haben sie dann beobachten lassen und erfahren, daß sie uns folgen, Wir wollten sie, um ganz sicher zu gehen, morgen erwarten und ihnen zwei Späher entgegenschicken.“

„Hm! Das ist nicht ungefährlich. Sie werden ganz von selbst kommen. Durch Späher aber könnt ihr sie leicht vertreiben.“

„Das ist richtig, und ich hätte auch von den Kundschaftern abgesehen,“ sagte der Häuptling. „Aber wann denkst du, daß wir morgen nach dem Winterwasser aufbrechen müssen?“

„Wenn der Tag beginnt.“

„Da sind sie noch nicht da. Du siehst also ein, daß wir einige Leute zurücklassen müssen.“

„Leider ja. Ich würde das am liebsten selbst übernehmen, aber ich bin nicht zu entbehren. Wolf und du ganz ebenso. Es geht also nicht anders; wir müssen Späher zurücklassen. Aber suche ja die besten, listigsten und zuverlässigsten Leute dazu aus!“

„Das werde ich thun. Du brauchst keine Sorge zu haben.“

„Sag ihnen, daß sie sie lieber niederschießen als entkommen lassen sollen; ich hasse das Blutvergießen, aber diese Mörder sind wie wilde Tiere; sie werden sich an unsre Fersen heften, um, wenn sie das Papier nicht wieder bekommen, sich blutig an uns zu rächen. Aber noch eins.- Ich vermisse den Kantor. Wo ist er?“

„Bei mir im Lager. Er war von hier entflohen und eine große Strecke flußabwärts gegangen. Dort sang er und machte großen Lärm. Ich sandte einige Krieger über den Fluß, welche ihn fangen und herüberschaffen mußten.“

„Dieser unvorsichtige und unverbesserliche Mensch! Er muß wirklich angebunden werden!“

„Vergib es ihm! Durch sein Lärmen und Schreien habe ich euch gefunden.“

„Das ist keine Entschuldigung für seine Thorheit. Er hat uns schon viel Schaden gemacht.“

„Er hat den Verstand nicht am richtigen Platze.“

„Aber auch nicht am unrichtigen, denn er scheint leider gar keinen zu haben!“

„Soll ich ihn holen lassen?“

„Ja. Da er nicht mit deinen Kriegern reden kann, stellt er dort vielleicht noch größere Dummheiten an, als er bei uns hier ausführen könnte.“

Es wurde ein Roter fortgeschickt, der ihn bringen sollte. Dann erst begann Old Shatterhand, von seinem heutigen Ritte zu erzählen.

Seinen und auch Winnetous scharfen Augen war es nicht entgangen, daß die Nijoras, deren Fährte sie gefolgt waren, nach und nach ein viel langsameres Tempo eingeschlagen hatten. Welchen Grund hatten sie dazu?

Es war nicht Gepflogenheit der beiden berühmten Männer, zu etwas, was sie selbst erforschen konnten, den Rat oder die Meinung andrer einzuholen; darum hatten sie keinem ihrer Gefährten, auch Sam Hawkens nicht, etwas von dieser ihrer Beobachtung gesagt. Sie paßten nun nur schärfer auf, und erkannten, daß sie sich nicht getäuscht hatten.

„Was sagt mein Bruder Shatterhand dazu?“ fragte Winnetou.

„Daß sie keine Eile mehr zu haben scheinen, an die Navajos zu kommen,“ antwortete dieser.

„Mein Bruder denkt genau so wie ich. Sie scheinen ihren Angriff auf diese verschieben zu wollen. Da ist nur ein Gedanke möglich, auf wen sie es abgesehen haben können.“

„Auf uns natürlich.“

„Ja, doch warum? Sie können doch nichts Klügeres thun, als schleunigst über die Navajos herzufallen, die nicht genau unterrichtet sind, weil ihre Kundschafter teils gefangen genommen und teils ermordet wurden.“

„Aber mein Bruder Winnetou mag bedenken, daß wir ihnen hart im Rücken sind und einige sehr gute Pferde haben. Wir können, wenigstens einige von uns, durch einen Parforceritt um sie herum- und ihnen vorauskommen und die Navajos benachrichtigen.“

„Uff!“ nickte der Apache. „Das wird es sein.“

„Ja, das ist es wahrscheinlich. Sie wollen dies verhüten und sich überhaupt den Rücken frei machen. Ein solcher Gedanke ist Mokaschi, ihrem Häuptlinge, sehr wohl zuzutrauen. Darum reiten sie jetzt langsamer, um uns näher bei sich zu haben, und, wenn sich eine geeignete Gegend dazu findet, nicht lange auf uns warten zu müssen. Wenn diese unsre Vermutung richtig ist, brauchen wir nur darüber nachzudenken, welcher Ort von hier aus ihnen am bequemsten zu einem Überfalle gelegen ist. Mein roter Bruder kennt die Gegend ja sehr genau.“

„Mein weißer Bruder auch.“

„So laß uns nachdenken!“

„Uff!“ meinte Winnetou nach einer kleinen Weile, „es gibt einen, den sie noch heut vor Abend erreichen werden.“

„Ich denke ganz dasselbe. Du meinst das Winterwasser?“

„Ja. Du auch?“

„Ja.“

Es war wirklich überaus eigentümlich, wie sehr diese beiden Männer in all ihrem Denken und Fühlen harmonierten. Kaum hatte der eine einen Gedanken gefaßt, so stand ganz dieselbe Idee auch schon im Kopfe des andern klar da. So auch jetzt. Beide hatten zu gleicher Zeit an das Winterwasser gedacht.

„Es ist sehr möglich, daß sie uns dort erwarten,“ meinte Old Shatterhand.

„Ich behaupte es beinahe,“ stimmte der Apache ein.

„Wollen wir ihnen in die Gewehre und in die Messer laufen?“

„Nein.“

„So müssen wir Gewißheit haben.“

„Es muß jemand hin, um sie zu beobachten.“

„Aber wer?“

„Mein Bruder Shatterhand; er ist der umsichtigere und bedächtigere von uns beiden.“

„Nein, sondern mein Bruder Winnetou, dessen Blicke und Sinne viel schärfer sind als die meinigen.“

„Old Shatterhand ist stärker als ich. Er kann einer Gefahr viel besser widerstehen.“

„Und du bist gewandter. Aber warum uns gegenseitig so messen! Das Winterwasser ist ein höchst verfänglicher Ort, der einem einzelnen Kundschafter zu viel Zeit raubt und zu viel Mühe macht. Es sollten wenigstens zwei sein.“

„So reiten wir beide!“

„Ja. Wir können abkommen, denn es droht den Unsrigen während unsrer Abwesenheit keine Gefahr. Hinter sich haben sie keine Feinde, und vor ihnen, da reiten ja wir, um sie zu decken. Es wird gehen. Eigentlich aber müßten wir noch jemand mitnehmen.“

„Warum?“

„Falls sie uns überfallen wollen, genügen wir beide vollständig; aber wenn sie dies nicht beabsichtigen und doch zu den Navajos wollen, müssen wir diese benachrichtigen; dazu aber kann keiner von uns beiden abkommen.“

„Nein.“

„Wir müssen also einen Dritten mit uns nehmen.“

„Wen wird mein Bruder Shatterhand dazu auswählen?“

„Ich schlage Schi-So vor.“

„Ja. Er ist ein guter Reiter und kennt die Gegend so genau wie wir. Von den andern kennt sie keiner. Also nehmen wir ihn mit. Doch, sollen die übrigen erfahren, weshalb wir diesen Ritt unternehmen?“

„Denkt mein Bruder Winnetou, daß es besser ist, es ihnen zu verschweigen?“

„Ja. Wir haben Männer dabei, welche keine Helden sind, und Squaws und Kinder, zu denen man nicht vorher von Gefahren reden soll. Wenn sie es kurz vorher erfahren, ist’s früh genug.“

So schnell dieser Beschluß gefaßt worden war, so schnell wurde er auch ausgeführt. Schon nach kurzer Zeit ritten die Drei im Galopp voran, während die andern im bisherigen langsamen Schritte folgten.

Die Gegend war eben. Links lag die flache, vegetationslose Steppe und rechter Hand der Fluß, dessen Ufer, weil es da Feuchtigkeit gab, erst von einem Wald- und Busch- und dann von einem Grasstreifen besäumt waren. Bei der außerordentlich reinen Luft, welche es dort immer gibt, konnte man, außer wenn der Fluß eine nach links gerichtete Krümmung beschrieb, sehr weit sehen. Es war also nicht zu befürchten, daß man plötzlich und unerwartet auf die absichtlich oder unabsichtlich halten gebliebenen Nijoras stoßen werde.

So ging es weiter bis zum späten Nachmittage, wobei die Fährte von Zeit zu Zeit genau abgelesen wurde. Es ergab sich, daß man den Indianern immer näher kam. Sie waren nun nicht mehr eine ganze Stunde voraus.

Da war links, von Süden her, ein ganz dunkler Streifen schnurgerade und genau rechtwinkelig auf den Fluß gezogen. In der Ferne, ganz im Süden, bestand er aus einzelnen dürren Mezquitopflanzen, die sich nachher zu Sträuchern vereinigten. Später traten die Büsche näher zusammen; sie wurden saftiger und grüner, während sie im Süden eine graue, hungrige Färbung besaßen. Je näher dem Flusse, desto dichter und üppiger zeigte sich das Gehölz, aus welchem dann sogar Bäume hervorragten, die sich mit dem Waldesstreifen des Flusses vereinigten.

Dieser Streifen von Vegetation bezeichnete den Lauf des Winterwassers, wenn da überhaupt von einem Laufe, einem Rinnen des Wassers die Rede sein konnte.

In der feuchten Jahreszeit, das heißt zur Zeit der wenigen Regentage, sammelte sich das Wasser in dieser flußbettartigen Vertiefung und gab den Pflanzen für einige Wochen ein frisches Aussehen, während sie sonst dürr, arm und traurig dastanden. je näher dem Flusse aber, desto länger währte die Lebensfreudigkeit, bis es schließlich sogar Bäumen gelang, sich für das ganze Jahr am Leben zu erhalten. Der Kopf, welcher sich den Namen Winterwasser ausgesonnen hatte, hatte jedenfalls noch weniger Feuchtigkeit besessen, als das Flüßchen selbst.

Die drei Reiter befanden sich jetzt in einer solchen Entfernung von diesem Winterwasser, daß man von dort aus nun fast bemerkt werden mußte. Um nicht gesehen zu werden, waren sie also gezwungen, sich im Schutze des Wald- und Buschsaumes weiter zu bewegen. Sie stiegen ab und suchten ein gutes Versteck für ihre Pferde, bei welchen Schi-So zurückbleiben sollte. Er bekam auch die Gewehre in Verwahrung, weil diese einen durch das Gebüsch schleichenden, oder gar am Boden kriechenden Späher nur belästigen können. Dann gingen Winnetou und Old Shatterhand unter den Bäumen am Flußrande langsam weiter, die Augen scharf vorwärts gerichtet, um jeden etwa noch hier befindlichen Nijora rechtzeitig zu erspähen.

Als sie die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, blieben sie halten, und Old Shatterhand sagte:

„Wollen wir uns nicht zunächst überzeugen, ob die Nijoras am Winterwasser geblieben oder weitergeritten sind?“

„Ja. Diese Bäume sind hoch genug.“

„Und auch dicht genug belaubt, so daß wir, wenn wir sie ersteigen, von Weitem nicht gesehen werden können.“

Sie suchten sich zwei Bäume aus, welche die nötige Höhe besaßen und zugleich so nahe bei einander standen, daß zwei Menschen, die sich oben befanden, einander ohne allzu lautes Reden verstehen konnten. Beide kletterten ausgezeichnet und waren wie die Eichkätzchen im Nu oben. Sie bemerkten, daß sie eine gute Wahl getroffen hatten, denn der Rundblick, welcher sich ihnen hier oben bot, war mehr als genügend. Sie konnten, was sie auch gewollt hatten und sehr notwendig war, über die am Winterwasser stehenden Bäume hinweg auf die jenseits sich ausbreitende Ebene sehen. Diese war vollständig leer.

„Sie stecken am Winterwasser,“ sagte Old Shatterhand zu Winnetou hinüber.

„Ja, sie sind nicht weitergeritten, sonst müßten wir sie da draußen auf der Steppe sehen,“ antwortete dieser. „Mein Bruder mag sein Rohr zur Hand nehmen.“

Old Shatterhand führte auf allen seinen Streifzügen ein gutes Fernrohr bei sich; es steckte in der Satteltasche, und er hatte es vorhin, als er sein Pferd bei Schi-So zurückließ, mitgenommen. Jetzt richtete er es auf das Strauchwerk des Winterwassers und blieb eine Zeit lang in unbeweglicher Haltung auf dem Aste sitzen. Dann nahm er das Rohr vom Auge und meldete dem Apachen:

„Sie sind dort. Das Rohr zieht mir das Gebüsch bis ganz nahe vor die Augen heran. Sie lagern jenseits des Gebüsches hart am Ufer des Winterwassers. Eben bringen viele ihre Pferde aus der Tränke unten am Chellyflusse.“

„Würde man sie belauschen können?“

„Jetzt nicht, aber gewiß später, wenn es dunkel geworden ist.“

„Hat mein weißer Bruder Lust, es zu thun?“

„Natürlich! Es ist immer von Vorteil, wenn man hören kann, was die Feinde sprechen.“

„So warten wir bis zur Dunkelheit und schleichen uns dann hin.“

„Ja, aber nicht hier oben, sondern unten warten wir; da ist’s bequemer.“

Schon wollte er vom Baume steigen, als er ein verwundettes „Uff l“ des Apachen hörte.

„Hat mein Bruder etwas gesehen?“ erkundigte er sich.

„Ja.“

„Was?“

„Reiter.“

„Wo?“

„Drüben am andern Ufer. Es war wie eine lange Schlange von Reitern, welche sich nahe an den Bäumen hinzog. Mein Bruder mag warten, bis sie wieder erscheinen. Sie werden bald über die schmale Lichtung müssen, welche uns gegenüberliegt.“

Die beiden Lauscher hielten ihre Augen mit Spannung über den Fluß hinübergerichtet. Da kamen zunächst zwei einzelne Reiter; es waren Indianer. Sie ritten im Galopp über die Lichtung und begannen die Büsche jenseits derselben zu durchsuchen. Dann kam einer zurück und winkte; sie hatten nichts Verdächtiges gefunden.

„Mein Bruder mag sein Rohr nehmen; da wird er vielleicht die Gesichter erkennen,“ meinte Winnetou.

Old Shatterhand folgte dieser Aufforderung und richtete das Fernrohr nach der Blöße. Auf den Wink des Spähers kamen seine Leute hinter dem Gebüsch hervor, eine lange, lange Reihe von Reitern, welche mit den Kriegsfarben bemalt waren; darum konnte Old Shatterhand ihre Gesichter nicht erkennen; aber dennoch wollten ihm viele der Gestalten bekannt vorkommen. Am Schlusse des Zuges kamen zwei, von denen er sofort wußte, wer sie waren, nämlich Nitsas-Ini und seine weiße Squaw, deren Gesicht natürlich unbemalt war. Als sie alle hinter dem Gesträuch auf der andern Seite der Lichtung verschwunden waren, sagte der Apache:

„Das müssen die Krieger der Navajos gewesen sein; etwas andres ist kaum möglich. Da es zu weit bis dort hinüber ist, konnte ich sie nicht erkennen, aber es war mir, als ob sich am Ende des Zuges eine Squaw befunden habe. Mein Bruder konnte durch sein Rohr besser sehen. Hast du jemand erkannt?“

„Ja. Nitsas-Ini und seine Squaw ritten hinterdrein.“

„So sind es also die Navajos gewesen, wie ich vermutete. Sie haben jedenfalls unten an der Mündung des Flusses gelagert. Warum haben sie diesen Ort verlassen?“

„Und warum halten sie sich da drüben am rechten Ufer?“

„Ja, das ist sonderbar. Sie wissen doch, daß sie die Nijoras auf dieser Seite des Flusses zu suchen haben, da deren Gebiet auf derselben liegt.“

„Sollten sie durch irgend eine falsche Nachricht dazu veranlaßt worden sein?“

„Das ist nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich.“

„Dann müssen wir uns fragen, wer ihnen diese Nachricht gebracht hat.“

„Ein Kundschafter nicht, denn ihre Späher können ja nicht zu ihnen, weil sie gefangen sind.“

„Es gibt nur einen einzigen möglichen Fall.“

„Welchen?“

„Daß sie von dem Ölprinzen irre geleitet worden sind.“

„Richtig! Der ist jedenfalls zu ihnen, um sich und seine beiden Begleiter ausrüsten zu lassen, weil sie jetzt unbewaffnet waren.“

„Aber was können diese drei für Gründe haben, die Navajos da drüben heraufzuschicken?“,

„Wir wollen uns darüber nicht die Köpfe zerbrechen. jedenfalls werden wir diese Gründe erfahren. Steigen wir jetzt herab! Es will dunkel werden, und wir können nun bald an die Nijoras kommen.“

Sie stiegen von den Bäumen, da sie unten sicherer waren. Es konnte aus irgend einem Grunde ein Nijora an diese Stelle kommen und da mußte er sie, wenn sie oben saßen, weit eher entdecken, als wenn sie sich unten befanden und sich vor ihm verbergen konnten. Als sie nun wieder nebeneinander standen, sagte Old Shatterhand:

„Unsre Freunde mögen da drüben den Weg eingeschlagen haben, aus welcher Ursache es immer sei, so können sie den Zweck, welchen sie dabei verfolgen, sehr leicht verfehlen.“

„Warum?“ fragte der Apache.

„Weil es möglich ist, daß sie von den Nijoras gesehen worden sind.“

„Uff! Das ist wahr. Diese liegen hüben am Ufer und die Navajos kamen drüben am Ufer!“

„Diese Ufer sind zwar mit Büschen und Bäumen besetzt, aber unsre Freunde haben über die Lichtung gemußt, wo sie von jedem, der hüben am Wasser stand, gesehen werden mußten.“

„Die Nijoras tränkten vorhin ihre Pferde. Hoffentlich sind sie jetzt damit fertig gewesen und es hat keiner von ihnen mehr unten am Flusse gestanden. Ich will noch einmal auf den Baum klettern und die Stelle dort betrachten.“

Er kletterte wieder hinauf, hielt eine kurze Weile scharfen Ausguck, kam dann wieder herab und sagte:

„Es ist niemand am Wasser, und so denke ich, daß die Navajos nicht gesehen worden sind.“

„Das beruhigt mich. Übrigens werden wir es erfahren, wenn wir die Nijoras nachher belauschen. Wenn sie unsre Freunde gesehen haben, werden sie ganz gewiß davon sprechen.“

Die Dämmerung trat jetzt ein, und so machten sich die beiden Männer auf den Weg, welcher gar nicht ungefährlich für sie war. Man konnte noch ungefähr sechs bis acht Schritte weit sehen, doch wurde es so schnell dunkel, daß es, als sie in der Nähe des Winterwassers ankamen, so finster war, daß sie sich nicht mehr allein auf ihre Augen verlassen konnten, sondern auch den Tastsinn zu Hilfe nehmen mußten. Hierbei kam es ihnen sehr zu statten, daß sie schon öfters hier gewesen waren und also die Örtlichkeit genau kannten.

Der Chelly floß hier fast genau von Ost nach West und es ist bereits gesagt worden, daß das Winterwasser von Süd nach Nord, also rechtwinklig, auf ihn stieß. Die Ufer beider waren hier mit Wald und Busch bestanden und sehr hoch. Von der Höhe bis hinab zum Wasser des Chelly konnte man recht gut sechzig Fuß rechnen. Im Winterwasser befanden sich in der gegenwärtigen Jahreszeit nur einige Pfützen, welche dem Übergange nicht im mindesten hinderlich waren. Das Terrain war an der Mündung des Winterwassers sehr felsig und die Ufer fielen so steil ab, daß man da zu Pferde nicht hinunter konnte. Wer hinüber wollte, mußte vielmehr eine Strecke am Winterwasser hinauf bis zu einer Stelle, wo beide Ufer sich einander flacher zuneigten. Diese Stelle war aber auch die einzige, welche sich zum Übergange eignete. Ebenso geeignet war sie natürlich auch zu einem Überfalle.

Da man sonst nirgends hinüber konnte und also unbedingt gezwungen war, diesen Ort aufzusuchen, so brauchte der Feind nur hier zu warten. Man mußte ihm, wenn er es nicht ganz und gar ungeschickt anfing, unbedingt in die Hände fallen, vorausgesetzt natürlich, daß er zahlreich genug auftreten konnte.

Die Nijoras lagerten nicht an dieser Furt. Sie waren da hinüber und hatten das jenseitige linke Ufer abwärts bis zur Mündung verfolgt und dort oben ihr Lager aufgeschlagen. Dort gab es kein Wasser. Wer sein Pferd tränken oder für sich selbst Wasser holen wollte, der mußte nach der soeben beschriebenen Furt zurück und hinunter auf den Grund des jetzt trockenen Winterwasserbettes steigen und, diesem abwärts folgend, bis zur Mündung desselben gehen, wo der Chelly vorüberfloß.

Das war beschwerlich genug. Die Nijoras hätten es viel bequemer gehabt, wenn sie sich unten an der Mündung gelagert hätten; aber das war unmöglich, ohne daß Spuren entstanden, welche nicht vollständig auszulöschen waren, und dies sollte vermieden werden.

Soviel über das Terrain, welches für beide Teile so überaus wichtig war.

Da die Nijoras drüben lagerten, mußten Winnetou und Old Shatterhand natürlich auch hinüber. Als sie das hohe Ufer des Winterwassers erreicht hatten, sahen sie von drüben die Lagerfeuer zwischen den großen Felsstücken, die es dort gab, herüberleuchten.

„Wie unvorsichtig!“ sagte Winnetou.

„Ja,“ stimmte Old Shatterhand bei. „Diese Kerls müssen es für ganz sicher halten, daß wir noch zu weit zurück sind, um diese Stelle noch heut erreichen zu können.“

„Das ist noch nicht alles. Ihre Feuer leuchten doch auch drüben weit in die Ebene hinaus. Wie leicht könnten sie da von den Navajos bemerkt werden.“

„Das läßt mich eben vermuten, daß die Nijoras die Navajos vorhin gesehen haben. Sie wissen, daß diese jenseits des Flusses sind und also nicht hierherkommen können.“

„Wir werden bald Gewißheit darüber erlangen und wollen jetzt nur weitergehen.“

Sie gingen diesseits am Winterwasser hinauf, bis sie die Stelle der Furt erreichten, und stiegen da hinab und drüben wieder hinauf. Dann schlichen sie sich am linken Ufer des Winterwassers wieder abwärts, wobei sie um so vorsichtiger verfuhren, je näher sie dem Lager kamen. Von Baum zu Baum, von Strauch zu Strauch huschend, vermieden sie jede Stelle, auf welche ein Strahl der Lagerfeuer fiel.

Als sie soweit herangekommen waren, daß sie die einzelnen Gestalten unterscheiden konnten, sagte Winnetou, natürlich leise:

„Mein Bruder mag hier stehen bleiben. Ich will aus diesem Holze hinaus und das Lager auf der freien Seite umschleichen, um zu sehen, wo die Pferde sind und ob man Posten ausgestellt hat.“

Er huschte fort, und es dauerte wohl eine halbe Stunde, bis er wiederkam und meldete:

„Die Pferde befinden sich jenseits des Lagers und werden uns also nicht durch ihr Schnauben verraten können. Nach der freien Ebene hinaus sind Posten ausgestellt. Das kann nur gegen die Navajos sein, und darum ist es gewiß, daß die Nijoras nicht wissen, wo diese sich befinden.“

„Mein roter Bruder hat das Lager von draußen her überblicken können. Hat er vielleicht gesehen, wo der Häuptling Mokaschi sitzt?“

„Ja. Er sitzt mit noch drei alten Kriegern an einem breiten Felsenstücke.“

„Wenn wir das erreichen könnten!“

„Wir können es, wenn wir recht vorsichtig sind. Es liegt dort am Uferrande und es können sich also keine Nijoras dahinter befinden. Ich will voran und mein Bruder mag mir folgen!“

Das konnte nicht, wie bisher, in aufrechter Stellung geschehen, denn dies wäre nun sehr gefährlich gewesen. Sie legten sich also nieder und krochen auf dem Bauche weiter, wobei sie jeden Baum und Strauch und jede andre Pflanze, jeden Stein, der ihnen Deckung bot, mit ebenso großer Klugheit wie Geschicklichkeit benutzten.

Ihr Ziel war das Felsstück, von welchem Winnetou gesprochen hatte. Es war lang und nicht sehr breit und hatte beinahe doppelte Manneshöhe. Da es oben mit Moos bewachsen war, hatte das lange Jahre hindurch darauf gefallene Laub festen Halt gehabt und sich, ohne vom Winde fortgeweht zu werden, in Humuserde verwandeln können. Diese lag nun in einer ziemlich dicken Schicht auf dem Steine und noch höher in den Rissen und Ritzen desselben. Darum hatten sich auf diesem Felsenstücke einige Sträucher entwickeln können, welche ihre Zweige über den Rand desselben herunter neigten.

Zwischen diesem Steine und dem steil abwärts fallenden Ufer gab es einen nur schmalen Raum, doch genügte er vollständig dem Zwecke, welchen die beiden Lauscher verfolgten. Es gelang ihnen, den Stein unbemerkt zu erreichen und hinter denselben zu kommen. Der erwähnte Raum, auf welchem sie nun lagen, hatte nur Mannesbreite, so daß sie sich nun ganz hart an der Kante des Ufers befanden. Wenn diese Stelle aus lockerer Erde bestand und sich unter dem Gewichte der beiden Männer loslöste, so mußten sie in die Tiefe stürzen. Sie untersuchten daher vor allen Dingen den Boden und fanden zu ihrer Beruhigung, daß er aus hartem, festem Fels bestand. Nun richteten sie sich auf, um den Stein zu besteigen. Wenn sie dann oben lagen, hatten sie den Häuptling auf der andern Seite gerade unter sich sitzen.

Es gab eine Stelle, wo man mit den Händen festfassen konnte. Old Shatterhand griff da fest zu, stieg auf den Rücken des Apachen und schwang sich dann hinauf. Das war ein höchst gefährliches Wagestück, da er bei dem geringsten falschen Griffe oder Fehltritte in die Tiefe gestürzt wäre. Auch durfte der Aufschwung nur sehr vorsichtig und nicht zu hoch geschehen, weil Old Shatterhand sonst von den Nijoras jenseits des Steines gesehen worden wäre. Oben angelangt, legte er sich platt nieder und hielt dem Apachen den in Schlingen gelegten Lasso herunter, um ihn mit demselben hinaufzuziehen. Auch das gelang sehr gut.

Nun lagen sie oben. Aber wehe ihnen, wenn sie bemerkt wurden! In diesem Falle waren sie trotz aller ihrer Stärke, List und Geschicklichkeit verloren. Hinter sich den Abgrund und vor sich das von dreihundert Kriegern besetzte Lager, wäre ihnen in diesem Falle nichts andres übrig geblieben, als auf alle Gegenwehr zu verzichten und sich zu ergeben.

Dicht auf dem Felsblocke liegend, schoben sie sich vorsichtig bis zu dem erwähnten Gesträuch vor und konnten nun, durch dasselbe blickend, das ganze Lager übersehen.

Es brannten nicht weniger als acht Feuer, an welchen sich die Nijoras soeben ihr Abendessen bereiteten. Unter ihnen, an den Felsen gelehnt, saß Mokaschi mit den drei ältern Indianern abgesondert von den gewöhnlichen Kriegern. Sie sprachen miteinander, doch nicht eifrig, sondern in abgebrochenen Sätzen, zwischen denen es längere oder kürzere Pausen gab. Wie die beiden Späher bald hörten, waren diese vier Roten nicht ganz einig untereinander. Einer von ihnen, ein alter, aber noch sehr rüstiger Mann mit grauem Haar sagte:

„Mokaschi wird es bereuen, nach seiner heutigen Ansicht gehandelt zu haben. Wir hätten uns beeilen und die Hunde der Navajos schnell aufsuchen sollen, um sie zu töten.“

„Das werden wir ja auch,“ antwortete der Häuptling.

„Aber nicht schnell genug! Die Navajos werden nicht so lange warten.“

„Mein alter Bruder läßt außer Betracht, daß der Unterschied nur einen Tag beträgt. Wenn wir morgen die Bleichgesichter ergriffen haben, werden wir sofort gegen die Navajos aufbrechen.“

„Der Unterschied beträgt über einen Tag, denn wir sind, um diese Bleichgesichter näher an uns heranzulassen, langsamer geritten.“

„Das schadet nichts. Die Schakale der Navajos werden nicht eher aus ihren Höhlen gehen, als bis wir kommen. Sie können ihr Lager nicht eher verlassen, als bis die Kundschafter, welche sie ausgesandt haben, zurückgekehrt sind, sonst würden sie doch von diesen nicht gefunden werden. Das muß mein alter Bruder gar wohl bedenken!“

„Ich bedenke es; aber das Jahr besitzt einen Sommer und einen Winter, und alle Dinge auf Erden haben zwei Seiten. So ist’s auch hier. Mokaschi meint, daß die Navajos warten werden, weil sie Kundschafter ausgesandt haben, und ich denke, daß sie nicht warten werden.“

„Warum?“

„Gerade dieser Kundschafter wegen. Da diese schon so lange fort sind und nicht zurückkehren, muß ihnen ein Unfall zugestoßen sein. Das werden sich die Navajos sagen und also wohl nicht länger warten.“

„Der Gedanke meines Bruders ist nur halb richtig. Wenn die Feinde wirklich Verdacht schöpfen, werden sie sich doch hüten, mit allen ihren Kriegern auszuziehen, ohne zu wissen, wo wir zu finden sind. Sie werden vielmehr neue Späher aussenden.“

„Das ist nicht besser als das andre, denn diese neuen Kundschafter werden uns entdecken und dies dem Häuptlinge melden. Dann wird man uns überfallen, ohne daß wir darauf vorbereitet sind.“

„Wir würden vorbereitet sein, da wir stets Posten ausstellen.“

„Aber das ist doch nicht so gut, als wenn Mokaschi auf seinen neuen Plan verzichtet hätte. Anstatt daß wir die Navajos überraschen, werden sie uns angreifen!“

Er sprach in einem etwas scharfen Tone, wie es einem Häuptling gegenüber nicht gebräuchlich ist. Darum antwortete Mokaschi nun:

„Mein Bruder trägt den Schnee des Alters auf seinem Haupte. Er hat mehr Winter gesehen als ich und viel erlebt. Darum darf er es ohne Scheu sagen, wenn er einmal anders denkt als ich. Aber nicht er ist der Anführer, sondern ich bin es. Wenn ich auch die Meinungen der erfahrenen Männer anhöre, so habe ich doch darüber zu entscheiden und alle müssen sich fügen!“

Der Alte senkte seinen Kopf und sagte:

„Du hast recht. Dein Wille mag geschehen!“

„Ja, er geschieht, und du wirst einsehen, daß er der beste war. Oder hast du etwa geglaubt, daß es uns glücken werde, die Navajos zu überraschen?“

„Ja.“

„Nein, das wäre nicht geschehen. Sie stellen jedenfalls ebenso Vorposten aus wie wir. Wir müssen den Ort, an welchem sie sich befinden, durch unsre Späher erst entdecken. Wie leicht können diese gesehen, ergriffen oder gar getötet werden, gerade so wie wir die Kundschafter der Navajos gefangen genommen haben. Und das ist noch nicht das Wichtigste. Es gibt etwas, woran mein alter Bruder gar nicht gedacht zu haben scheint. Nämlich die Navajos wissen bereits, daß wir kommen.“

„Uff!“ rief der Alte. „Wer soll es ihnen gesagt haben?“

„Die drei Bleichgesichter, welche uns entflohen sind.“

„Uff, uff! Das ist wahr! Wenn sie wirklich zu den Navajos geritten sind!“

„Sie sind ganz gewiß zu ihnen. Vielleicht haben sie sie schon heut gefunden und sie über uns benachrichtigt. Da werden die Navajos sofort aufbrechen, um uns entgegenzuziehen und plötzlich anzugreifen. Das aber ist es, worauf ich warte.“

„Wie? Mokaschi wartet darauf, von den Feinden eher überfallen zu werden, als wir sie angreifen können?“

„Ja.“

„Aber mein Bruder Mokaschi kennt doch die alte Kriegerregel, daß derjenige leichter siegt, der eher kommt!“

„Ich kenne sie; sie ist sehr gut, aber sie paßt nicht auf alle Fälle.“

„Auf den jetzigen auch nicht?“

„Nein. Die Navajos haben ihr Lager ganz gewiß an einem Orte, der sich leicht verteidigen läßt. Der Sieg würde also schwer für uns werden und uns wohl viel Blut kosten. Warum wollen wir es nicht ebenso machen wie sie? Sie sollen kommen und uns angreifen, aber an einem Orte, der ihnen verderblich werden muß.“

„Wo liegt dieser Ort?“

„Hier.“

„Am Winterwasser?“

„Ja.“

„So will Mokaschi den Feind also hier erwarten?“

„Ja.“

„Das lag aber doch nicht in dem ursprünglichen Plane!“

„Nein. Ich wollte die Navajos überraschen; das ist -nun aber nicht mehr möglich, weil sie von den drei entflohenen Bleichgesichtern benachrichtigt worden sind. Es war also nötig, meinen Plan zu ändern. Wir werden uns hier am Winterwasser verstecken. Wenn die Navajos kommen, lassen wir sie von dem hohen Ufer hinunter in das tiefe Flußbett kommen und fallen dann über sie her. Sie stecken dann da unten und können sich nicht verteidigen, weil sie, von uns zwischen den Felsen zusammengedrängt, keinen Raum dazu haben.“

„Uff, uff!“ rief der Alte, indem sein Gesicht sich erheiterte.

„Stimmt mein alter Bruder mir nun bei?“ fragte der Häuptling.

„Ja. Mokaschis neuer Plan ist gut, und ich denke, daß er gelingen wird, wenn kein Hindernis dazwischen kommt.“

„Es gibt nur ein einziges Hindernis, welches möglich ist, und dieses wollen wir eben morgen beseitigen.“

„Jetzt verstehe ich es. Du meinst die Bleichgesichter hinter uns?“

„Ja. Sie folgen uns; sie wollen die Navajos aufsuchen. Wenn wir sie vorüberziehen ließen, würden sie es den Feinden verraten, daß wir hier auf sie warten. Das darf nicht geschehen. Wir werden also Winnetou und Old Shatterhand mit allen ihren Leuten festnehmen.“

„Sollen sie getötet werden?“

„Ja, wenn sie sich wehren.“

„Und wenn sie sich aber nicht wehren?“

„So nehmen wir sie nur gefangen und führen sie, wenn wir siegreich heimkehren, unsern Frauen, Greisen und Kindern zu, welche über solche Gefangene in lauten Jubel ausbrechen werden. Wer Old Shatterhand und Winnetou und die andern berühmten Leute, welche bei ihnen sind, zur Siegesbeute macht, dessen Ruhm wird an jedem Lagerfeuer verkündet.“

„Und was soll dann mit diesen vornehmen Gefangenen geschehen?“

„Das kann ich heut nicht sagen. Die Beratung wird darüber entscheiden. Jedenfalls würden wir, wenn wir sie nicht am Marterpfahle sterben ließen, ihnen das Leben nicht umsonst schenken, sondern sie müßten um dasselbe kämpfen.“

„Uff, uff! Winnetou und Old Shatterhand mit unsern Kriegern auf Tod und Leben kämpfend! Das würde ein Schauspiel sein, wie es die Krieger der Nijoras noch nie erlebt haben!“

Die Augen des Alten leuchteten förmlich vor Wonne; die beiden andern brachen auch in begeisterte „Uffs!“ aus, und Mokaschi, darüber froh, eine solche Zustimmung erhalten zu haben, fuhr in seiner Darlegung fort:

„Das Winterwasser ist wie kein zweiter Ort dazu geeignet, den Feinden aufzulauern und sie ohne große Mühe oder gar Gefahr zu ergreifen oder zu vernichten. Meine Brüder werden morgen sehen, wie leicht wir die Bleichgesichter in unsre Hände bekommen, obgleich sie von den berühmtesten Männern des Westens angeführt werden.“

Da machte der Alte doch wieder ein bedenkliches Gesicht und sagte:

„Hofft Mokaschi wirklich so zuversichtlich auf das Gelingen?“

„Ja.“

„Aber gerade weil diese berühmten Männer dabei sind, kann es leicht fehlschlagen.“

„Nein.“

„Old Shatterhand und Winnetou haben Gedanken, welche ihnen vorauszugehen pflegen. Sie pflegen alles zu erraten, das muß Mokaschi wissen.“

„Ich weiß, daß sie sehr kluge Leute sind und in die Gedanken andrer Menschen zu schauen vermögen. Unsern Plan aber werden sie nicht erraten. Sie denken, daß wir gegen die Navajos ziehen und uns also um sie gar nicht bekümmern. Sie werden nicht ahnen, daß wir hier auf sie warten, sondern überzeugt sein, daß wir uns schon weit von hier befinden.“

„Ich wünsche sehr, daß dies richtig sein möge; aber ich denke daran, was wir in der letzten Zeit erfahren haben. Kein Adler hat so scharfe Augen, kein Mustang so leise Ohren und kein Fuchs so große List wie Old Shatterhand und Winnetou. Hatten wir sie nicht bereits in unsrer Gewalt? Waren sie nicht sogar gefesselt? Und doch haben wir sie freigeben müssen! Und wer hat uns dazu gezwungen? Nur diese beiden Männer allein, welche gefesselt und unbewaffnet waren, während wir freie Hände und unsre Waffen hatten und dreimal zehn mal zehn Krieger zählten. Wenn wir sie morgen wirklich ergreifen und dann auch festhalten wollen, so dürfen wir es nicht so machen wie das letztemal.“

„Wir werden klüger sein. Wir haben doch schon heut alles gethan, was uns die Klugheit gebietet. Wir haben unser Lager sogar hier oben aufgeschlagen, anstatt unten am Wasser, wo wir Spuren hätten zurücklassen müssen. Wenn die Bleichgesichter morgen kommen, werden sie keine einzige Spur da unten sehen und also ahnungslos von da drüben hinunter in die Tiefe reiten, während wir hier versteckt liegen und auf sie warten. Sie werden an das Wasser des Chelly gehen, um ihre Pferde zu tränken, und da fallen wir über sie her.“

„Du meinst, daß sie nicht stracks über die Furt reiten, sondern eine Weile dableiben?“

„Ja. Es gibt auf eine lange, lange Strecke hier die einzige Stelle, wo man von dem hohen Ufer so leicht hinab zum Wasser kommt. Das wissen sie, und darum werden sie sich diese Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen lassen.“

„Mein Bruder wird recht haben, denn es sind ja Squaws und Kinder bei ihnen, auf die sie Rücksicht nehmen müssen. Und denkt Mokaschi wirklich, daß sie ohne Kampf in unsre Hände geraten werden?“

„Ja.“

„Aber wenn sie sich doch verteidigen?“

„Da schießen wir sie nieder. Aber es wird ihnen nicht einfallen, Gebrauch von ihren Waffen zu machen, wenn wir nur keinen Fehler begehen. Sobald sie unten am Wasser sind, eilen wir hinab ––“

„Zu Fuße?“

„Ja. Es würde die größte Thorheit sein, hinunter zu reiten.“

„So müssen wir einige Krieger hier oben bei den Pferden lassen.“

„Nein. Wir binden die Tiere an. Es darf von uns kein Mann fehlen; darauf beruht mein Plan. Wenn die Weißen unsre große Zahl sehen, werden sie auf alle Gegenwehr verzichten; darum müssen wir alle beisammen sein, und es soll kein einziger von uns zurückbleiben. Mein alter Bruder mag sich doch einmal überlegen, in welcher Lage sie sich dann befinden! Sie haben rechts und links die senkrechten Felsen des Flußbettes, welche nicht zu ersteigen sind, vor sich das Wasser des Chelly und hinter sich plötzlich dreihundert feindliche Krieger. Sie würden wahnsinnig sein, wenn sie da auf den Gedanken kämen, sich zu verteidigen.“

„Ich traue ihnen aber diesen Gedanken dennoch zu!“

„Möglich, denn sie sind nicht nur listig, sondern auch kühn und sogar verwegen; aber sie haben Rücksicht auf ihre Squaws und Kinder zu nehmen, deren Leben sie schonen müssen. Hierin wird mir mein alter Bruder zustimmen.“

„Das thue ich. Aber wie dann, wenn sie die Flucht wagen?“

„Die ist unmöglich!“

„O nein.“

„Doch! Wohin sollten sie sich wenden?“

„Nach dem Chelly.“

„Ins Wasser? Das fällt ihnen nicht ein. Sie wissen gerade so gut wie wir, wie leicht ein Schwimmer zu erschießen ist. Und selbst, wenn dies nicht der Fall wäre, so würden gerade wieder ihre Squaws und Kinder es sein, die sie davon abhalten, die Flucht zu ergreifen. Solche Helden wie Winnetou und Old Shatterhand verlassen selbst in der größten Gefahr keinen Menschen, der sich in ihren Schutz begeben hat. Und welche Schande wäre es für sie, wenn von ihnen erzählt werden könnte, daß sie Weiber und Kinder verlassen hätten, deren Sicherheit ihnen anvertraut gewesen war!“

„Mokaschi hat recht. Seine Rede hat alle meine Bedenken zerstreut. Wir können die Bleichgesichter mit Zuversicht erwarten, denn sie werden gezwungen sein, sich uns ohne Kampf zu ergeben. Und dann machen wir es mit den Hunden der Navajos ebenso!“

„Ja, wir locken sie hinunter in das tiefe Felsenbett des Winterwassers und lassen sie nicht wieder herauf.“

„Uff! Das wird eine Wonne sein, denn wir werden hinter den Felsen, Bäumen und Sträuchern stecken und sie von hier oben aus erschießen können, einen nach dem andern, ohne daß uns eine ihrer Kugeln treffen wird.“

„Ja, wir werden sie alle töten, denn wir werden Waffen besitzen, mit denen man selbst den stärksten Feind besiegen kann.“

„Waffen?“ fragte der Alte, welcher nicht erriet, was Mokaschi meinte.

„Ja. Denkt mein Bruder denn nicht an die Silberbüchse des Apachen?“

„Uff! Und an das Zaubergewehr Old Shatterhands! Du hast recht. Diese Bleichgesichter werden uns ihre Waffen geben müssen.“

„Dann können wir mit dem Zaubergewehre alle Navajos niederschießen. Wir -werden gar keine andre Flinte dazu brauchen. Uff, Uff, uff!“

Die vier Indianer waren bei diesen Worten ganz entzückt. Wenn sie geahnt hätten, wer, fast mit den Händen zu ergreifen, da über ihnen lag und alle ihre Worte hörte! Winnetou schob sich ein wenig zurück und zog dann Old Shatterhand am Arme.

„Wollen wir fort?“ fragte dieser ihn leise.

„Ja. Wir haben genug gehört, und mehr brauchen wir nicht zu wissen. Mein Bruder mag kommen.“

Sie krochen nach der hintern Seite des Felsens, wo Old Shatterhand den Apachen wieder am Lasso hinunterließ. Das Nachfolgen war für ihn wieder lebensgefährlich, gelang aber mit Winnetous Hilfe gut.

Nun galt es, den Ort ebenso unbemerkt zu verlassen, wie sie ihn erreicht hatten. Tief am Boden hinkriechend, schlugen sie genau denselben Weg ein, auf welchem sie herbeigekommen waren, und gelangten auch glücklich in eine solche Entfernung vom Lager, daß sie nicht mehr zu kriechen brauchten. Sie erhoben sich also und setzten ihren Rückzug in bequemerer Stellung fort, gingen dann nach der Furt und befanden sich, als sie dieselbe hinter sich hatten, wieder drüben am jenseitigen Ufer in vollständiger Sicherheit. Dort blieben sie stehen und Winnetou meinte:

„Sie haben vor, uns eine Falle zu stellen und glauben wirklich, uns zu fangen.“

„Ja, die Falle ist gut, so gut, daß wir in dieselbe gehen werden.“

„Mein Bruder denkt so wie ich. Wir gehen hinein.“

„Dann mögen sie sehen, ob sie uns fangen werden! Wir holen natürlich die Navajos her, welche wir heute gesehen haben. Die werden die offene Falle hinter uns so verschließen, daß die Nijoras selbst darinnen stecken bleiben. Aber nun laß uns zu Schi-So zurückkehren! Es ist nun nicht nötig, daß wir diesen jungen, wackeren Krieger zu seinen Navajos senden, denn wir werden sie selbst aufsuchen.“

Er wollte fort. Da legte Old Shatterhand ihm die Hand auf den Arm und sagte:

„Mein Bruder mag noch einen Augenblick warten! Wenn wir morgen in die uns gestellte Falle gehen wollen, ohne daß es uns schadet, so müssen wir vorher wissen, daß es auch wirklich und ganz genau dieselbe Falle ist, von der wir jetzt gehört haben.“

„Mein Bruder meint, daß die Nijoras sich doch vielleicht noch eines andern besinnen könnten?“

„Ja. Dann würden wir in die Schlinge gehen, ohne sie öffnen zu können.“

„So muß einer von uns beiden hierbleiben.“

„Gewiß. Einer bleibt da, um die Nijoras scharf zu beobachten. Soll ich das sein?“

„Nein, ich bleibe hier. Mein Bruder Old Shatterhand versteht es besser als ich, mit seinen weißen Männern und Frauen umzugehen. Darum mag er fortreiten und sie benachrichtigen.“

„Gut! Aber es ist nicht nötig, daß du während der ganzen Nacht hier am Winterwasser bleibst, sondern es genügt, wenn du morgen früh wieder hergehst.“

„Ja, ich muß doch auch zu meinem Pferde, bei dem ich während der Nacht lagern werde.“

„So komm!“

Sie wendeten sich nun der Richtung zu, aus welcher sie gekommen waren. Jetzt brauchten sie sich nicht zu verbergen, denn sie konnten ja, weil es dunkel war, nicht gesehen werden. Sie hielten sich vielmehr auf der offenen Steppe und kamen auf diese Weise sehr schnell vorwärts. Dabei berieten sie sich über die Art und Weise, in der ihr Plan morgen ausgeführt werden sollte.

„Ich nehme natürlich an, daß ich die Navajos in der Nacht auffinde,“ sagte Old Shatterhand. „Sie werden augenblicklich bereit sein, auf meine Vorschläge einzugehen.“

„Sie werden nicht nur bereit sein, sondern sich außerordentlich darüber freuen. Wann wird mein Bruder Old Shatterhand hier eintreffen?“

„Das kann ich nicht genau sagen, da ich nicht weiß, wann ich die Navajos treffen werde. Kann ich es aber ermöglichen, so breche ich mit dem Tagesgrauen von der Stelle auf, an welcher unsre Gesellschaft jetzt lagert.“

Es ist bereits erwähnt worden, daß er während des Herweges eine dazu passende Stelle gefunden und den nachfolgenden Gefährten genau bezeichnet hatte.

„So mag mein Bruder,“ sagte der Apache, „wenn er kommt, da halten bleiben, wo wir Schi-So vorhin zurückgelassen haben. Ich werde mich in der Nähe befinden und dir dann sagen, wie die Nijoras sich verhalten haben.“

„Ja. Und dann werden wir ja wissen, ob wir unsern jetzigen Gedanken ausführen können. Ich wünsche sehr, daß es geschehen kann, denn dann ist es möglich, den Konflikt, welcher zwischen den beiden Stämmen entstanden ist, ohne Blutvergießen auszugleichen.“

„Wie denkt sich denn Old Shatterhand die Ausführung unsers Planes? Wir werden mit den weißen Leuten also nach dem Winterwasser reiten?“

„Ja.“

„Und so in die Furt hinabsteigen, als ob wir nichts ahnten?“

„Ja.“

„Und auch die Squaws und die Kinder mitnehmen?“

„Natürlich!“

„Aber sie werden sich fürchten und uns also sehr hinderlich sein!“

„Wir dürfen sie trotzdem nicht zurücklassen, weil ihr Fehlen den Nijoras auffallen müßte und sie vielleicht mißtrauisch machen würde.“

„Das ist richtig. Sie dürfen also nicht zurückbleiben, doch mag mein Bruder sie sehr ermahnen, ja nichts zu thun, was uns schaden kann. Aber, wenn wir uns dann unten zwischen dem Wasser und den Felsen befinden und die Nijoras kommen, dann dürfen die Navajos keinen Augenblick zögern!“

„Nicht eine Sekunde! Sie werden da sein.“

„Ohne von den Nijoras bemerkt zu werden?“

„Ja.“

„Aber diese roten Männer werden uns beobachten, wenn wir kommen. Wie will Old Shatterhand es anfangen, daß sie die Navajos nicht sehen?“

„Sehr einfach. Die Navajos dürfen natürlich nicht hinter uns herkommen, denn da würden sie bemerkt. Sie müssen vielmehr schon an Ort und Stelle, also in der Nähe der Furt des Winterwassers sein, wenn wir dort ankommen. Zunächst werden wir zusammenreiten, unsre Weißen und die Navajos. Wenn wir aber so weit gekommen sind, daß wir von den Nijoras fast gesehen werden können, halten wir an. Das wird also da sein, wo ich dich treffen will. Dort erfahre ich von dir, wie die Angelegenheit steht. Steht sie gut, so warten die Weißen, bis ich wiederkomme, und ich führe die Navajos in einem weiten Bogen nach Süden, dahin, wo das Gesträuch des Winterwassers beginnt. Während wir diesen Bogen reiten, halten wir uns so weit von den Nijoras entfernt, daß sie uns nicht sehen können. Wenn wir dann im Süden am Winterwasser angekommen sind, führe ich die Roten auf dem trockenen Grunde desselben abwärts bis in die Nähe der Furt, wo sie auf uns warten müssen. Dann kehre ich zu euch zurück und wir brechen mit der weißen Gesellschaft auf.“

-Das ist richtig. So habe ich es auch gedacht. Wir führen die Weißen nach der Furt, reiten hinab, aber nicht drüben wieder hinauf, sondern wenden uns nach rechts dem Wasser des Chelly zu.“

„Ganz recht! Dort steigen wir von den Pferden und thun so, als ob wir hier ausruhen wollten. Zugleich aber müssen wir dafür sorgen, daß uns die Nijoras nicht etwa beim ersten Anpralle fassen können. Es gibt da unten Felsen genug, hinter welche wir sofort springen können, wenn die Roten kommen. Deine Silberbüchse und mein Henrystutzen werden die ersten Worte mit ihnen reden, und dann sind ihnen die Navajos schon im Rücken.“

„Werden wir schießen müssen?“

„Wenn es nicht anders geht, ja; wir wollen aber möglichst ihr Leben schonen. Doch, ich glaube, daß wir nun beinahe an Ort und Stelle sind.“

Sein scharfes Auge hatte sich trotz der Dunkelheit zurechtgefunden. Die beiden näherten sich dem Saume des Ufers und riefen Schi-So’s Namen; er antwortete und kam mit den Pferden aus den Büschen, zwischen denen er gesteckt hatte, heraus.

„Gute Nacht!“ sagte Winnetou, indem er sein Pferd beim Zügel nahm und es in das Buschwerk zurückführte.

„Gute Nacht!“ antwortete Old Shatterhand, indem er das seinige bestieg, um fortzureiten.

Beide hatten natürlich mit den Pferden auch ihre Gewehre von Schi-So zurückgenommen. Dieser mochte über die kurze Art und Weise dieser Verabschiedung erstaunt sein; er wagte es aber nicht, ein Wort darüber zu bemerken oder eine Frage auszusprechen; dies gab der Respekt nicht zu, den er für diese beiden berühmten Männer hegte. Er stieg auch auf sein Pferd und folgte Old Shatterhand.

Dieser hatte zunächst einen kurzen Trab eingeschlagen und verhielt sich einige Zeit lang still. Dann fragte er den Jüngling in seiner leutseligen Art und Weise:

„Schi-So wird gar nicht wissen, woran er mit uns ist?“

„Ich werde es erfahren,“ antwortete der Angeredete höflich.

„Ja, du wirst es erfahren. Wenn ich es dir jetzt sagen wollte, müßte ich es zweimal erzählen, und das möchte ich vermeiden. Aber eins will ich doch bemerken, worüber du dich freuen wirst: Ich habe deine Eltern gesehen.“

„Wirklich, wirklich? Wo?“ fragte Schi-So, freudig überrascht.

„Am jenseitigen Ufer. Sie ritten mit einer großen Kriegerschar aufwärts.“

„Jedenfalls um nach den Nijoras zu suchen?“

„Ja.“

„Da werden sie des Nachts lagern! Wenn ich sie aufsuchen dürfte!“

„Du darfst. Ich muß sie nämlich suchen, und da sollst du mich begleiten. Ich denke, daß du noch in dieser Nacht deinen Vater und deine Mutter begrüßen kannst. Wir haben Eile. Laß uns Galopp reiten!“

Ein kurzes Wort von ihm genügte, sein Pferd zum schnelleren Laufe anzutreiben, und Schi-So folgte ihm, in stiller Wonne an das Wiedersehen mit seinen Eltern, besonders mit seiner Mutter denkend.

Diesmal gehörte kein großer Scharfsinn dazu, den Ort, nach welchem sie wollten, zu entdecken. Als sie sich demselben näherten, sahen sie den Schein des Feuers zwischen den Bäumen hervorschimmern. Old Shatterhand hielt sein Pferd an und sagte:

„Wie unvorsichtig, so ein Feuer zu brennen! Ich bin zwar überzeugt, daß diese Stelle hier jetzt ganz gefahrlos ist, aber man zündet doch nicht ein Feuer an, an welchem man einen Büffel braten könnte! Sam Hawkens muß sehr genau wissen, daß er sich hier in vollster Sicherheit befindet. Steigen wir ab und schleichen wir uns heimlich hin! Wollen sehen, was sie thun und reden. Man kann ja schon hier ihre lauten Stimmen hören.“

Sie stiegen ab und führten ihre Pferde leise nach dem Rande des Buschwerkes, wo, wie sie bemerkten, die Gesellschaft die ihrigen stehen hatte. Dann schlichen sie sich näher. Da sahen sie zu ihrem Erstaunen den Häuptling der Navajos mit seiner weißen Squaw.

„Deine Eltern sind da,“ flüsterte Old Shatterhand seinem jungen Begleiter zu. „Siehst du sie?“

„Ja,“ antwortete der Gefragte.

Er sagte nur dieses eine Wort, doch das scharfe Ohr des Jägers hörte es, daß seine Stimme dabei vor freudiger Erregung zitterte.

„Wie mögen sie sich hierher gefunden haben? Und welche Freude, als sie hörten, daß du bei uns bist! Natürlich haben sie erfahren, daß ich dich mitgenommen habe. Ich denke, daß du sie sehr freudig begrüßen möchtest; aber das geht nicht; sie sind nicht allein gekommen, und du mußt auf die andern Navajos Rücksicht nehmen; bleib hier stehen! Ich will zunächst allein zu ihnen.“

Old Shatterhand schlich sich noch weiter hinan und hörte, was gesprochen wurde. Dann folgte die Scene, welche bereits beschrieben worden ist.

Dann, als dieselbe vorüber war, setzte er sich zu Nitsas-Ini, um mit ihm über das, was morgen vorgenommen werden sollte, zu beraten. Er erklärte ihm den Plan, den er mit Winnetou entworfen hatte, und der Häuptling war mit demselben vollständig einverstanden.

Nachher wurde der emeritierte Kantor gebracht, und der Empfang, den er fand, war kein allzu freundlicher, denn Old Shatterhand sagte ihm tüchtig die Meinung, ohne ihn allerdings von seiner Thorheit zu überzeugen.

Dann riet Old Shatterhand den Anwesenden, sich zur Ruhe zu legen, weil morgen ein anstrengender Tag zu erwarten sei.

Der Häuptling der Navajos kehrte mit seiner weißen Squaw nicht nach seinem Lager zurück, sondern erklärte, daß er hierbleiben wolle. Dafür schickte er seine Roten zurück, welche seine Befehle nach dem Lager bringen sollten.

Es wurde eine Wache ausgestellt; man ließ das Feuer erlöschen, und dann wurde es ruhig. Schi-So lag neben seiner Mutter; sie hatten ihre Hände ineinander vereinigt.

Es war spät geworden und die kurze Zeit, welche bis zum Morgen übrig geblieben war, verging sehr schnell. Eben graute der Tag, als Old Shatterhand die Schläfer weckte. Als diese an den Fluß traten, um sich zu waschen, sahen sie die Krieger der Navajos, welche in einer langen Reihe am jenseitigen Ufer aufwärts geritten kamen und, als sie gerade gegenüber anlangten, ihre Pferde in das Wasser trieben, um das diesseitige Ufer zu erreichen.

Die Weißen machten sich nun auch schnell zum Aufbruche fertig; dann setzte sich der Zug flußabwärts in Bewegung, Old Shatterhand und Nitsas-Ini ritten an der Spitze. Dieser letztere hatte den Boten, welche von ihm in sein Lager geschickt worden waren, die Namen zweier Indianer genannt, welche nicht mitkommen, sondern als Späher dem Ölprinzen entgegenreiten und ihn und seine Begleiter beobachten sollten. Er glaubte, diese Aufgabe in die besten Hände gelegt zu haben, da sie zu den gewandtesten und verschlagensten Leuten seines Stammes gehörten.

Diese beiden Indianer blieben also zurück. Sie hatten den Ölprinzen, Buttler und Poller zu beobachten und ihnen heimlich zu folgen. Sie sollten sie nicht aus den Augen lassen. Falls sie bemerken sollten, daß die Drei entwischen wollten, hatten sie den Befehl, sie lieber zu töten, als sie entkommen zu lassen.

Als es hell genug geworden war, ritten sie denen, die sie erwarteten, entgegen, denn das hatte der Häuptling befohlen. Es war anzunehmen, daß die drei Weißen auf der Fährte der Navajos kommen würden. Da, wo die letzteren gelagert hatten, konnte man ihre Annäherung nicht vorher bemerken, und so ritten die zwei Indianer lieber zurück, um sich an einer Stelle zu verstecken, an welcher sie die drei Weißen schon von weitern kommen sehen konnten.

Nach vielleicht schon einer halben Stunde sahen sie, daß das Buschwerk des Ufers in einer langen, schmalen Spitze hinaus in die offene Steppe trat. Nach dieser Spitze ritten sie nun, führten ihre Pferde in das Gebüsch, banden sie dort an und versteckten sich auch selbst in der Nähe. Nämlich jenseits dieser Spitze lag die Ebene auch weit offen da, und so konnten sie von hier aus den Ölprinzen und seine Begleiter schon sehen, wenn diese noch über eine englische Meile entfernt waren. Darum glaubten sie, eine sehr gute Wahl getroffen zu haben und ihrer Sache ganz sicher sein zu dürfen.

Dem war aber leider gar nicht so!

Grinley, Poller und Buttler hatten, wie schon früher bemerkt, den Navajos nicht bis zu deren Lager folgen können, weil die Nacht inzwischen angebrochen war und sie in der Dunkelheit die Fährte nicht sehen konnten. Sie waren da, wo sie sich gerade befanden, von den Pferden gestiegen, um den Morgen zu erwarten. Ehe sie einschliefen, unterhielten sie sich über die Ereignisse der letzten Tage, die ihnen so wenig Gutes gebracht hatten, und natürlich auch über die ihrer Ansicht nach schändliche Art und Weise, in welcher sie um die Anweisung gekommen waren. Sie waren wütend darüber und beschlossen, alles daran zu setzen, das Papier wieder in ihre Hände zu bekommen, und dabei keinen Menschen zu schonen, er sei, wer er wolle.

Dabei galt es, alle Vorsicht zu entwickeln. Sie überlegten alles, was zu thun war, ganz genau und gingen auch das Geschehene noch einmal mit großer Sorgfalt durch. Dabei kamen sie auch auf den Umstand, daß sie heute die Spur eines einzelnen Reiters gesehen hatten, welche von links her auf die Gesamtfährte der Navajos gestoßen war. Sie hatten ihr keine Bedeutung beigemessen; aber jetzt, wo sie nach reiflicher Überlegung zu dem Resultate gekommen waren, daß alle List, Sorgfalt und Vorsicht anzuwenden sei, wollte ihnen diese Fährte doch wichtiger erscheinen.

Sie beschlossen, vorsichtig zu sein und wenn die Navajos ihnen einen Hinterhalt legten, sie entweder zu täuschen oder gar kalt zu machen.

Kaum dämmerte der nächste Morgen heran, so saßen sie schon wieder auf ihren Pferden und ritten weiter. Bei offenem Terrain hielten sie sich auf der Spur der Navajos; gab es aber Büsche, so machten sie einen Umweg über dieselben herum. Bald kamen sie so weit, daß sie die erwähnte Buschspitze vor sich liegen sahen.

Buttler hielt sein Pferd an und musterte die Spitze mit nachdenklich zusammengekniffenen Augen. Dann sagte er.

„Auf dieser Seite liegt eine weite Fläche und wenn ich recht vermute, auf der andern auch. Keine Örtlichkeit eignet sich also so vortrefflich dazu, uns schon von weitem kommen zu sehen, und wenn es wahr ist, daß man uns einen Hinterhalt gelegt hat, so stecken die Kerls dort und nirgends anders. Wir werden uns also sehr hüten, uns diesem Gebüsch von außen zu nähern oder um dasselbe herumzureiten. Nein, wir schleichen uns heimlich hin, und wehe den Hunden, die sich dort von uns finden lassen! Kommt!“

Er stieg ab und führte sein Pferd dem Flusse zu; die andern folgten ihm in derselben Weise. Unter den Bäumen des Flusses angekommen, gingen sie aufwärts, dem Wasser entgegen, immer durch die Sträucher gedeckt, so daß man sie von der Spitze aus nicht sehen konnte. Das ging natürlich sehr langsam, und es dauerte lange Zeit, ehe sie diejenige Stelle des Flußufers erreichten, von welcher aus sich die Buschwerksspitze in die freie Ebene hinauszog. Da banden sie die Pferde an und bogen vom Wasser in einem rechten Winkel ab, um, der Spitze folgend, dieselbe nach vorhandenen Indianern zu durchsuchen. Das war wenige Minuten, bevor die beiden Navajo-Indianer von der andern Seite herkamen.

Sie verfuhren mit aller nötigen und möglichen Vorsicht, ohne ein menschliches Wesen oder die Spur eines solchen zu entdecken. Fast hatten sie schon die äußerste Spitze erreicht, und eben wollte der Ölprinz den Vorschlag machen, zu den Pferden zurückzukehren und weiter zu reiten, da zeigte Buttler zwischen die Büsche hinaus und sagte:

„Hallo, dort kommen zwei Rote! Wahrscheinlich sind es die, welche wir suchen. Wollen wir sie unbelästigt vorüberlassen?“

„Vorüber?“ antwortete Poller. „Sie wollen wohl nicht vorüber. Wie mir scheint, halten sie gerade auf uns zu.“

„Allerdings. Kommt zurück! Wir müssen sie beobachten.“

Sie retirierten eine kleine Strecke und versteckten sich dann so gut, wie die Örtlichkeit es erlaubte. Die beiden Navajos kamen heran, zogen ihre Pferde, nachdem sie abgestiegen waren, in das Gesträuch herein und versteckten sich dann auch in dasselbe. Die beiden Parteien waren nicht mehr als etwa zehn Schritte von einander entfernt, Die Indianer waren überzeugt, allein zu sein, und hielten es infolge dessen nicht für nötig, leise miteinander zu sprechen, ihre Worte wurden von den Weißen daher deutlich gehört.

„Ob die Bleichgesichter kommen werden?“ meinte der eine.

„Sie kommen,“ sagte der andre. „Sie wollen das Papier holen und werden also nicht zurückbleiben.“

„So gehen sie in den Tod. Folgen sie unsern Kriegern, so werden sie gefangen und gemartert, und folgen sie ihnen nicht, weil sie Verdacht fassen, so erschießen wir sie.“

„Hört ihr es?“ flüsterte der Ölprinz Buttler und Poller zu. „Wir brauchen gar nichts weiter zu hören.“

„Nein; wir wissen genug,“ stimmte Buttler bei. „Wie steht’s?“

An die Hölle mit ihnen!“

Well, bin dabei. Nehmt die Gewehre und zielt auf die Köpfe!“

Er legte sein Gewehr auch an und zählte:

„Eins – zwei – drei!“

Die drei Schüsse krachten. Die Büsche, in denen die Roten steckten, raschelten; es gab ein kurzes Röcheln und Stöhnen; dann war es still. Die Weißen verließen ihr Versteck und gingen hinüber; die Roten lagen, beide durch die Köpfe geschossen, tot in dem Gesträuch.

„So!“ lachte der Ölprinz. „Die folgen uns nun nicht nach und schießen uns auch nicht nieder. Sie mögen hier für die Geier und Wölfe liegen bleiben.“

Poller nickte zustimmend und auch Buttler hatte nichts einzuwenden. Sie wandten sich, um zu ihren Pferden zurückzukehren, da blieb Buttler aber plötzlich stehen und meinte:

„Wartet noch, was wir von ihren Sachen brauchen können, wollen wir doch mitnehmen.“

Die drei Banditen plünderten die Toten aus, deren Gewehre und Munition ihnen besonders willkommen war. Natürlich nahmen sie die Indianerpferde auch mit, die ihnen große Erleichterung bieten konnten. Wenn man als Flüchtling die Pferde wechseln kann, kommt man schneller vorwärts als mit nur einem Gaule. Zu ihrer Freude fanden sie in den Satteltaschen einen beträchtlichen Vorrat von Dörrfleisch. Die Roten hatten sich damit versehen, weil sie auf eine längere Abwesenheit von den Ihrigen mußten gefaßt sein.

Nun setzten die drei Mörder, jetzt mit fünf Pferden, ihren Weg fort. Sie brauchten nicht mehr so vorsichtig zu sein, denn jetzt war kein Hinterhalt mehr zu erwarten, und so ließen sie ihre Tiere tüchtig ausgreifen, bis sie den Ort am Ufer erreichten, wo die Navajos während der Nacht gelagert hatten. Sie stiegen ab, um denselben zu untersuchen, fanden aber nichts, was sie besonders interessieren konnte, als nur die Spuren davon, daß die Roten heute früh am diesseitigen Ufer weiter aufwärts geritten seien.

Sie folgten dieser Fährte und erreichten nach einer Viertelstunde die Stelle, an welcher die Navajos über den Fluß gesetzt waren. Sie thaten dasselbe und fanden drüben die deutlichen Eindrücke des Lagers der Weißen. Da stiegen sie wieder von den Pferden, um diesem Platze ihre Aufmerksamkeit zu widmen. Sie waren alle drei im Leben und in den Vorkommnissen des Westens erfahren, und so kam es, daß sie sich in Beziehung auf das, was hier stattgefunden hatte, nicht täuschten, wenn sie auch die näheren Umstände unmöglich wissen konnten.

„Hier hat es auch ein Lager gegeben,“ sagte der Ölprinz. „Wißt ihr, wer dagewesen ist?“

„Natürlich Old Shatterhand mit seinen Leuten,“ antwortete Buttler. „Es kann gar niemand anders gewesen sein. Schaut da zu den Büschen hinaus! Ihre Fährte geht am hohen Ufer hin nach Westen,“

„Ja; die Navajos sind über den Fluß herübergekommen und zu ihnen gestoßen. Sie haben sich mit ihnen vereinigt und sind nun alle hinter den Nijoras her. Das gibt –“

Er hielt in seiner Rede inne. Man sah es ihm an, daß er erschrocken war.

„Was ist’s?“ fragte Buttler.

„Alle tausend Teufel!“

„Was denn?“

„Da kommt mir ein Gedanke, ein armseliger, miserabler Gedanke!“

„Welcher?“

„Wenn es so ist, wie ich denke, so können wir uns nur gleich aufmachen und fortreiten wie alte Hunde, welche Prügel und nichts zu fressen bekommen haben!“

„Warum denn? So rede doch!“

„Reden? Was ist da zu reden! Das mußt du dir doch selber sagen, wenn du nur eine kleine Spur von Verstand besitzest!“

„So habe ich freilich meinen Verstand verloren, denn ich weiß wirklich nicht, was du meinst.“

„Das ist unbegreiflich! Du bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Mit dem Gelde ist es nämlich aus, vollständig aus. Wir werden nicht einen Dollar, nicht einen Cent bekommen!“

„Alle Donner! Warum nicht?“

„Weil die Anweisung zum Teufel ist!“

„Inwiefern soll sie denn zum Teufel sein? Ich verstehe noch immer nicht, was du redest!“

„So ist dir wirklich dein ganzes bißchen Denkkraft abhanden gekommen. Du weißt doch, daß Old Shatterhand und Winnetou ganz dicke Freunde der Navajos sind?“

„Das weiß ich allerdings.“

„Die Roten werden ihm also, sobald sie mit ihm hier zusammentrafen, nichts verschwiegen haben.“

„Ja. Wahrscheinlich haben sie ihm gesagt, daß wir bei ihnen gewesen sind und sie so schön genasführt haben.“

„Darauf bilde dir ja nichts ein, denn jetzt sind wir die Genasführten. Wer hatte die Anweisung?“

„Wolf, der Deutsche.“

„Schön! Er ist mit hier gewesen und hat natürlich den Bankier gesehen und mit ihm gesprochen. Was versteht sich nun da von selbst?“

„Daß er – – Satan! Jetzt weiß ich, was du meinst! Es ist alles erzählt worden, und da – – da hat dieser Wolf dem Bankier die Anweisung ausgehändigt. Ist dies das, was du meintest?“

„Ja.“

„So ist es bei uns freilich mit jeder Hoffnung aus. Es ist alles, alles vergeblich gewesen, und du mußt nun endlich einsehen und zugeben, was für ein Knaben- oder Jungenstreich es von dir war, diesem Wolf die Anweisung zu zeigen!“

Der Ölprinz wollte diesen Fehler beschönigen, und so entstand ein Wortwechsel, welcher so hitzig wurde, daß die beiden nahe daran waren, sich aneinander zu vergreifen. Da schob Poller sie auseinander und sagte:

„Ihr werdet euch doch nicht die Hälse brechen wollen! Damit macht ihr die Sache nicht anders. Ich sehe nicht ein, warum wir gleich das Allerschlimmste annehmen und jede Hoffnung aufgeben sollen. Es ist ja noch gar nichts verloren.“

„Nicht?“ rief der Ölprinz ärgerlich aus.

„Nein, noch gar nichts.“

„So bin nun ich es, der nichts versteht und nichts begreift. Die Anweisung ist doch weg. Oder nicht?“

„Nein, sie ist nicht weg. Erst hatte sie Wolf, und nun hat sie Rollins. Was ist das für ein Unterschied? Es ist ganz gleich, wer sie hat, wenn sie nur noch da ist.“

„Das weiß ich auch; das braucht mir niemand zu sagen. Aber sie ist eben nicht mehr da.“

„Wer sagt das?“

„Ich sage es, denn es versteht sich doch ganz von Selbst, daß Rollins sie sofort vernichtet hat!“

„Vernichtet? Das nehme ich erst dann an, wenn es bewiesen ist. Vernichtet, das heißt doch wohl zerrissen. Was man zerreißt, steckt man nicht ein, um es sorgfältig aufzuheben, sondern man wirft es weg. Wo aber ist hier auch nur das kleinste Stückchen Papier zu sehen? Es ist seit gestern abend bis jetzt vollständig windstill gewesen; es hat keinen Lufthauch gegeben, welcher die Papierfetzen hätte mit fortnehmen können; sie müßten also noch daliegen. Wollen einmal suchen, ganz sorgfältig suchen, nicht bloß hier, sondern auch in der Umgebung des Lagers.“

Sie thaten dies auf das eifrigste, fanden aber nichts. Da sagte der Ölprinz, indem er tief Atem holte und sein Gesicht sich wieder aufklärte:

„Da bekomme ich wirklich neuen Mut. Was Poller vorbringt, ist ganz richtig. Ein zerrissenes Papier steckt man nicht ein, sondern wirft es weg; der Bankier hat die Anweisung also nicht zerrissen, sondern aufgehoben.“

„So ist es,“ nickte Poller. „Vielleicht gar hat er sie nur deshalb nicht vernichtet, um in ihr ein Andenken an seine Erlebnisse im wilden Westen zu haben.“

„Ja, das ist auch möglich. Ich habe wieder Hoffnung. Es ist mir sogar lieber, daß er sie jetzt hat, als wenn Wolf sie noch hätte. Aus Wolfs Tasche wäre sie nur mit Lebensgefahr und durch einen Mord zu bekommen gewesen, während der Bankier ein unerfahrener Kerl ist, der nicht einmal den Mut besitzen würde, sich ernstlich zu verteidigen. Ja, wenn das Papier wirklich nicht vernichtet sein sollte, sondern noch vorhanden ist, so glaube ich fest, daß wir es leichter als vorher bekommen können. Nicht?“

„Allerdings,“ stimmte Buttler ein. „Mit diesem Rollins wird kein Federlesen gemacht. Mit ihm werden wir viel eher fertig, als mit jedem andern. Also, einen Entschluß gefaßt! Was thun wir jetzt?“

„Warten wir hier? Oder reiten wir weiter, den vereinigten Weißen und Roten nach?“

„Wir folgen ihnen.“

„Aber mit doppelter Vorsicht!“

„Das wird gar nicht sehr nötig sein. Sie haben uns Späher entgegengeschickt und ahnen nicht, daß wir diese Kerls erschossen haben. Sie wissen uns also unter Aufsicht und werden denken, daß sie von den Kundschaftern Nachricht erhalten, ehe wir kommen. Wir können also frisch weiterreiten, ohne uns viel umzusehen.“

Sie stiegen wieder auf, nahmen die beiden erbeuteten Pferde am Leitzügel und ritten weiter, den Spuren der Navajos und der Weißen nach.

Es kam so, wie sie es sich gedacht hatten: ihr Ritt ging glatt von statten und niemand stellte sich ihnen in den Weg. Es ging immer auf dem hohen Ufer des Flusses in der Nähe des Baum- und Strauchsaumes hin, und die Fährte, welcher sie folgten, blieb sich immer gleich, bis sie an eine Stelle kamen, an welcher sie bedeutend breiter und viel ausgetretener war. Das mußte einen Grund haben. Sie hielten also an und stiegen ab, um die Spuren hier zu untersuchen. Sie befanden sich an dem Orte, an welchem Schi-So im Gebüsch gestern abend mit den Pferden auf Old Shatterhand und Winnetou gewartet hatte und wo der Apache heut früh die vereinigten Weißen und Roten hatte empfangen wollen.

„Hier haben die Kerle längere Zeit gehalten,“ sagte Buttler. „Das sieht man ganz genau. Die Pferde sind nicht über den Boden fortgelaufen, sondern sie haben dagestanden und ihn zerstampft und sogar mit den Hufen aufgescharrt.“

„Welche Ursache mag da vorgelegen haben?“ meinte der Ölprinz.

„Wer weiß das! Wahrscheinlich erfahren wir es später.“

„Ich möchte es aber schon jetzt wissen. Seht, da führen Spuren von hier grad ins Gebüsch! Wollen einmal sehen, was es da drin gegeben hat!“

Sie ließen ihre Pferde stehen und gingen auf das Gesträuch zu. Da hörten sie eine Stimme in deutscher Sprache rufen:

„Zu Hilfe, zu Hilfe! Kommt her, kommt hier herein!“

Sie blieben stehen und horchten.

„Das war nicht englisch,“ sagte der Ölprinz.

„Es schien deutsch zu sein; ich verstehe es aber nicht,“ meinte Buttler.

„Aber ich verstehe es,“ erklärte Poller, der einstige Führer der Auswanderer. „Es ruft jemand um Hilfe und bittet uns, zu ihm hineinzukommen.“

„Das können wir thun, denn wenn jemand unsre Hilfe braucht, da haben wir nichts zu befürchten.“

„Aber wenn es eine Finte ist, wenn wir in eine Falle gelockt werden sollen!“

„Das glaube ich nicht. Kommt nur immer mit!“

Sie folgten den Fuß- und Hufstapfen, die in das Gebüsch führten, und sahen bald zwei gesattelte Pferde, welche im Gesträuche angebunden waren. Sie schienen dem um Hilfe Bittenden so nahe gekommen zu sein, daß er sie sehen konnte, denn er rief jetzt:

„Hierher, hierher, Herr Poller! Haben Sie die Güte und schneiden Sie mich los!“

„Er ruft mich; er kennt mich!“ sagte Poller.

„Kommen Sie doch, Herr Poller, kommen Sie schnell!“ rief es wieder.

„Alle Teufel! Wenn ich mich da nicht irre, so ist das die Stimme des verrückten Kantors, der eine Oper von zwölf Akten komponieren will und dabei allerlei Dummheiten macht! Kommt! Da brauchen wir uns freilich nicht zu fürchten.“

„Aber,“ meinte der Ölprinz vorsichtig, „er gehört jetzt zu Old Shatterhand und Winnetou, und wer weiß, ob das nicht eine Schlinge ist, in welche wir die Köpfe stecken sollen.“

„Schwerlich, schwerlich! Ich bin vielmehr überzeugt, daß er abermals infolge eines dummen Streiches hier stecken- und zurückgeblieben ist. Kommt nur getrost mit mir weiter!“

Er drang tiefer in das Gebüsch ein, und sie folgten ihm. Da bewahrheitete sich die Vermutung Pollers allerdings, denn sie sahen den Kantor, dem die Hände auf den Rücken und dann an den Stamm eines Baumes festgebunden waren. Man hatte das allerdings in einer Weise gethan, daß er sich dabei in einer völlig schmerzlosen und ganz bequemen Lage befand, denn er saß in dem weichen Grase des ebenso weichen Bodens und lehnte mit dem Rücken an dem Baum.

„Sie, Herr Kantor?“ fragte Poller. „Das ist doch sonderbar!“

„Kantor emeritus, wenn ich Sie bitten darf! Es ist sowohl der Vollständigkeit, als auch der Unterscheidung wegen, denn ein Emeritus ist nicht mehr aktiv, Herr Poller.“

„Ihre Lage scheint allerdings eine mehr passive als aktive zu sein. Wie sind Sie denn in diese Passivität geraten?“

„Man hat mich hier angebunden.“

„Das sehe ich. Aber wer?“

„Stone und Parker.“

„Aber die können das doch nicht aus eigenem Antriebe gethan haben!“

„Nein. Old Shatterhand war es, der es ihnen befohlen hat.“

„Warum?“

„Das – – das weiß – – das weiß ich eigentlich gar nicht,“ sagte er, weil er sich doch genierte, den Grund mitzuteilen.

„Aber Old Shatterhand thut doch nie etwas ohne Ursache!“

„Nein; er wird wohl auch hier eine gehabt haben; aber ich kenne sie wirklich nicht. Fragen Sie mich also nicht darnach, sondern schneiden Sie mich lieber los!“

„Das kann nicht so leicht und schnell geschehen, wie Sie denken.“

„Warum?“

„Ich möchte wohl, aber – – – aber ich muß auch wissen, daß es angebracht ist und keinen Schaden macht.“

„Was sollte es denn für Schaden bringen!“

„Das weiß ich nicht; aber Old Shatterhand wird es wissen. Er hat Sie jedenfalls hier anbinden lassen, um Sie an der Ausführung irgend einer Dummheit zu verhindern. Dennoch aber finde ich es sehr unrecht von ihm, Sie hier festknüpfen und in der Wildnis so allein und ohne Schutz zu lassen.“

„Allein? Ich bin nicht allein.“

„Nicht?“

„Nein. Es ist noch jemand da.“

„Wer?“

„Herr Rollins, der Bankier.“

„Der?“ fragte Poller, indem es wie Befriedigung über sein Gesicht ging. „Nur dieser oder noch jemand?“

„Er allein.“

„Auch angebunden?“

„Nein, sondern um mich zu bewachen. Er hat sich selbst dazu angeboten. Ich habe ihn ohne Unterlaß himmelhoch gebeten, mich loszumachen; aber er hat mir meinen Wunsch nicht erfüllt. Er ist ein gefühlloser, grausamer Mensch.“

Diese Ansicht des Kantors war Poller höchst willkommen; darum sagte er, ihn in derselben bestärkend.

„Ja, das war allerdings grausam von ihm und verdient eine sehr nachdrückliche Strafe. Man sollte eigentlich Sie losmachen und ihn dafür anbinden!“

„Ja, das wäre ihm sehr recht! Ich würde mich sehr darüber freuen und ihn auch nicht losbinden, und wenn er mich noch so sehr darum bäte. Ich ließe ihn hängen und ginge fort, um seine Klagen oder Vorwürfe gar nicht zu hören.“

„Wohin würden Sie da gehen?“

„Den andern nach, hinunter nach dem Winterwasser.“

„Ah, die andern sind am Winterwasser?“

„Ja.“

„Was wollen sie dort?“

„Die Nijoras angreifen und gefangen nehmen, die dort auf uns gelauert haben.“

„Ob ihnen das gelingen wird!“

„Gewiß! Old Shatterhand war ganz überzeugt davon und Winnetou auch. Dieser ist während der ganzen Nacht hier gewesen, um die Nijoras zu belauschen. Ich durfte nicht mit, weil sie glaubten, daß ich – daß ich – – hm; darum banden sie mich fest, und der Bankier erbot sich, bei mir zu bleiben, da sonst niemand sich dazu meldete. Er wollte lieber hier sein, als sich in die Gefahr begeben, während des Kampfes von den Wilden entweder blessiert oder gar ermordet zu werden.“

„Das war sehr, sehr klug von ihm. Können Sie vielleicht sagen, ob er mit dem Wolf gesprochen hat?“

„Mit dem Deutschen, der zu den Navajos gehört?“

„Ja,“

„Gewiß hat er mit ihm gesprochen.“

„Was?“

„Verschiedenes. Ich habe nicht aufgemerkt, weil ich meine Gedanken bei meiner Heldenoper haben muß.“

„Wenn Sie das nicht wissen, so haben Sie doch vielleicht erfahren, ob er ihm etwas gegeben hat?“

„Gegeben? Allerdings.“

„Was?“

„Die Anweisung, welche er Ihnen abgenommen hat.“

„So! Wissen Sie das genau?“

„Nein; ich war nicht dabei; aber ich habe es gehört, als sie davon sprachen.“

„Das ist mir lieb. Da befindet sich das Papier nun endlich einmal in den richtigen Händen.“

„Ja. Er wird es sich nicht wieder nehmen lassen.“

„So hat er es wohl vernichtet?“

„O nein. Er will es als Andenken aufbewahren.“

„Das glaube ich, Es wird ein gutes Erinnerungszeichen an die Abenteuer sein, welche er erlebt hat. Er hat es natürlich zu den andern Papieren in die Brieftasche gesteckt?“

„Nein, das hat er nicht gethan, denn er meinte, so eine Anweisung sei ein gefährliches Ding für ihn. Wenn es in falsche Hände gerät und in San Francisco präsentiert wird, so erhält der Betreffende das Geld und Rollins muß es dann einbüßen. Darum hat er das Papier sehr gut versteckt.“

„Versteckt? Hm, was heißt versteckt! Man glaubt zuweilen etwas sehr gut, ganz vorzüglich aufgehoben zu haben, und verliert es doch.“

„Dieser nicht. Er hat es zwischen das Futter seines Rockkragens geschoben. Dort sucht es niemand.“

„Das hat er allerdings schlau angefangen. Aber ich sehe ihn doch nicht. Wo ist er denn?“

„Fort. Er saß drüben am Rande des Gebüsches und sah Sie kommen. Da bekam er Angst und versteckte sich.“

„Erkannte er uns denn?“

„Nein. Sie waren zu weit entfernt. Aber da Sie von dieser Seite kamen und also nicht zu unsern Freunden gehören konnten, hielt er Sie für Feinde, denen man nicht trauen darf. Er wollte sich lieber gar nicht sehen lassen.“

„So ist er also fort und Ihnen ist sein Versteck unbekannt?“

„O, ich kenne es!“

„So sagen Sie es uns, damit wir ihn holen und ihm beweisen können, daß -wir es gut mit ihm und Ihnen meinen!“

„Gut meinen?“ antwortete der Kantor mit dem Bestreben, seinem Gesicht einen pfiffigen, besserwissenden Ausdruck zu geben. „Da denken Sie wohl gar, daß ich Ihren Worten glaube, verehrter Herr Poller?“

„Natürlich.“

„Fällt mir gar nicht ein. Uns Jüngern der Wissenschaft macht man nicht so leicht etwas weiß.“

„Das ist gar nicht meine Absicht. Was ich sage, das ist wahr, ich meine es gut mit ihm und mit Ihnen.“

„Vielleicht mit mir, aber nicht mit ihm!“

„Warum?“

„Weil Sie schlecht an ihm gehandelt haben.“

„Das bildet er sich nur ein.“

„Nein. Das mit der Petroleumquelle ist nicht wahr gewesen. Sie haben ihn um das viele Geld bringen wollen.“

„Unsinn! Wenn er den See genau untersucht, so wird er finden, daß die Quelle wirklich vorhanden ist. Er versteht aber nichts davon und hat sich von andern Leuten gegen uns einnehmen lassen. Wie ehrlich wir sind, können Sie daraus ersehen, daß wir dem Wolf die Quittung gegeben haben, als wir bei den Navajos waren.“

„Hat er sie Ihnen denn nicht abgenommen?“

„Nein. Ein so wertvolles Papier läßt man sich nicht abnehmen. Er hat doch gar nicht gewußt, daß wir es hatten, also müssen wir es ihm doch gesagt haben.“

„Das stimmt allerdings.“

„Darum möchten wir jetzt gern einmal mit ihm sprechen und ihm sagen, was er zu thun hat, wenn er sich je noch in den Besitz der Quelle setzen und ein reicher Mann werden will. Also, wo steckt er?“

„Hm, ich weiß noch nicht recht, ob ich es sagen soll.“

„So behalten Sie es für sich! Uns kann es ja gleich sein. Aber ich dachte, es würde Ihnen Spaß machen, wenn wir ihn an Ihrer Stelle anbänden.“

„Ja, das würde mir Spaß machen, ungeheuren Spaß! Er hätte es verdient, weil er für meine Bitten nur taube Ohren hatte.“

„Und Sie würden dann aus Ihrer Lage befreit!“

„Sonst nicht?“

„Nein.“

„Aber ich habe Sie doch auch befreit, als ich Ihnen mein Federmesser gab! Es würde höchst undankbar von Ihnen sein, wenn Sie mich hier hängen ließen.“

„Das sind zwei sehr verschiedene Fälle. Bei uns handelte es sich um das Loben. Wir waren von den Feinden gefesselt worden. Bei Ihnen aber handelt es sich nur um eine jedenfalls sehr begründete Vorsichtsmaßregel, und Sie sind von Ihren Freunden hier angebunden worden. Wenn ich Sie dadurch von Feinden befreien und vom Tode erretten könnte, würde ich Sie sofort abbinden, so aber werde ich mich hüten, etwas gegen den Willen Old Shatterhands zu thun. Höchstens thäte ich es, um den Bankier an Ihre Stelle zu setzen und ihn also für die Grausamkeit zu bestrafen, welche er Ihnen gegenüber gezeigt hat.“

„Ja, grausam war es, außerordentlich grausam!“

„Und bedenken Sie, welche Scene das für Ihre Oper ergeben würde! Der, welchen Sie vergeblich angefleht haben, muß dann Sie bitten, ihn loszumachen! Das ist die alles bestrafende Gerechtigkeit, auf welche es bei jedem Theaterstücke doch am meisten ankommt.“

„Ja, ja, da haben Sie recht!“ rief der Kantor wie elektrisiert. „Eine Scene für meine Oper, eine prächtige, eine herrliche Scene! Erst flehe ich ihn an; das gibt eine Gnadenarie für Bariton. Er verweigert mir die Erfüllung meiner Bitte im zweiten Baß. Dann wird der Bariton frei und der zweite Baß wird angebunden. Das gibt wieder eine Gnadenarie, auf welche dann ein großes Duett für zweiten Baß und Bariton folgt. Das macht Effekt; das macht Effekt, ungeheuren Effekt! Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar, daß Sie mich hierauf aufmerksam gemacht haben.“

„Soll ich also den Bankier holen und an Ihrer Stelle anbinden?“

„Ja, holen Sie ihn!“

„Wo ist er aber?“

„Er sagte, es gebe hier hinter uns einen schmalen Riß im Felsen des Ufers, der mit Gesträuch überwachsen sei. Dort hinein wollte er sich verstecken.“

„Gut, wir werden den Riß leicht finden; nur muß ich vorher hier meinen Gefährten sagen, um was es sich handelt, und sie fragen, ob sie damit einverstanden sind.“

Er übersetzte ihnen den Inhalt des Gespräches. Sie hätten gar zu gern den Kantor auslachen mögen, hatten aber keine Zeit dazu vor Freude darüber, daß es ihnen so unerwartet gelingen solle, wieder zu der Anweisung zu kommen. Sie hatten auch ganz und gar nichts dagegen, daß der Bankier an des Kantors Stelle angebunden werden solle, denn dem letzteren mußten sie dankbar sein, während sie dem ersteren gern alles Böse gönnten.

Die drei entfernten sich also für kurze Zeit, um nach dem Risse zu suchen; sie fanden ihn unschwer in nicht zu großer Entfernung von dem Baume, an welchem der Kantor hing. Als sie das Gezweig, welches ihn bedeckte, zur Seite schoben, sahen sie Rollins, der mit eng zusammengeschmiegtem Körper in der Spalte steckte. Sie hatten ihre Messer in den Händen, und der Ölprinz sagte in höhnischem Tone:

„Hallo, Mr. Rollins, was thut Ihr in dieser Felsenöffnung? Sucht Ihr vielleicht eine Petroleumquelle da?“

Der Bankier erschrak, als er die drei erkannte. Daß sie die drei Reiter seien, die er gesehen hatte, das hatte er nicht gedacht. Er mußte sich natürlich sagen, daß von diesen Leuten für ihn nichts Gutes zu erwarten sei. Er war kein Held, hätte sich aber gegen einen doch verteidigt; hier standen drei vor ihm, mit Messern in den Händen; er sah ein, daß eine Gegenwehr da seine Lage nur verschlimmern könne.

„Seid doch so gut und kommt heraus!“ forderte ihn der Ölprinz auf. Ihr versäumt ja ganz und gar die Pflicht, zu der Ihr berufen worden seid!“

„Pflicht?“ antwortete er, indem er sich ängstlich und verlegen aus der Spalte hervormachte.

„Ja, Sir. Ihr sollt doch Euern guten Freund, den Kantor, bewachen. Warum seid Ihr davongelaufen?“

„Ich sah drei Reiter kommen, wußte aber nicht, daß ihr es waret.“

„So! Ihr wäret also, wenn Ihr uns erkannt hättet, nicht geflohen?“

„Nein.“

„Freut mich, daß Ihr so große Freundschaft für uns und so großes Vertrauen zu uns hegt! Da Ihr nun wißt, daß wir es sind, so werdet Ihr wohl mit uns zu dem Kantor zurückkehren. Also kommt!“

Sie nahmen ihn in die Mitte und brachten ihn zu dem Baume. Dort nahm ihm der Ölprinz die beiden Revolver und die Munition ab und sagte:

„Ihr steht unter einem mächtigen Schutze und braucht keine Waffen, während wir verteufelt schlecht bewaffnet sind. Ihr werdet uns also gewiß gern aushelfen. Und nun muß ich Euch etwas recht Lustiges sagen. Ihr habt dem Kantor auf all sein Bitten nicht den Gefallen gethan, ihn loszubinden – – –“

„Das ist mir verboten worden!“ fiel er rasch ein.

„Geht uns nichts an! Er ist natürlich sehr aufgebracht darüber und wünscht, Euch einmal fühlen zu lassen, wie es ist, wenn man an einem Baume hängt. Wir sind gutmütiger als Ihr und werden ihm diesen sehr bescheidenen Wunsch erfüllen.“

„Was meint ihr?“ stotterte er ängstlich hervor. „Was soll das heißen? Wollt ihr etwa – – –?!“

„Euch anbinden? Ja.“

„Hört, das dulde ich nicht, Mesch’schurs!“

Er richtete sich möglichst stramm auf und gab sich Mühe, martialisch auszusehen. Da klopfte der Ölprinz ihm auf die Achsel und sagte lachend:

„Blast Euch nicht unnötig auf, Sir! Wir kennen Euch doch genau! Wir werden Euch anbinden. Wehrt Ihr Euch dagegen, so brauchen wir Gewalt, und Ihr kennt uns gut genug, um zu wissen, daß Ihr dann nicht wohl mit heiler Haut davonkommen werdet. Laßt Ihr es Euch aber gefallen, so reiten wir dann weiter, ohne uns ferner um Euch zu kümmern. Wir wollen dem Kantor den Willen thun, weiter nichts. Wenn wir dann fort sind, kann er Euch wieder losmachen. Also, was sagt Ihr zu der Sache?“

Er nahm eine drohende Haltung an und spielte mit seinem Messer. Buttler und Poller folgten diesem seinem Beispiele. Dem Bankier wurde es himmelangst. Daß er von diesen Leuten keine Schonung zu erwarten habe, das wußte er. Sein Stolz fühlte sich beleidigt; er, der Bankier, der Gentleman, sollte sich vor diesen Mördern und Betrügern demütigen; das ging ihm gegen den Strich, doch dachte er mit keinem Gedanken daran, sich zu weigern und ihnen Widerstand zu leisten. Am besten war es, klug zu sein und ihnen den Willen zu thun. Sie wollten ihn ja nur anbinden und dann fortgehen. Waren sie fort, so konnte der Kantor ihn sofort wieder freimachen. Darum zwang er seinen Grimm hinunter und sagte in einem Tone, als ob es ihm gar nicht schwer falle, auf den Scherz einzugehen:

„Was ich dazu sage? Nichts. Ob ich da an diesem Baume sitze oder anderswo, das ist mir gleich. Wenn es euch Spaß macht, diesem verrückten Menschen seinen noch verrückteren Wunsch zu erfüllen, so thut es. Mir fällt es nicht ein, mich deshalb mit euch herumzubalgen.“

„Das ist sehr verständig, höchst verständig von Euch,“ grinste ihn der Ölprinz an. „Es ist allerdings eine ganz und gar verrückte Idee von ihm. Er hat sich über Euch geärgert und will Euch zur Strafe dafür am Baume sehen; das ist die Sache. Wir haben versprochen, ihm den Willen zu thun, und wenn wir es thun, so geschieht es nur der Form wegen und für ganz kurze Zeit. Mag also jetzt der Spaß beginnen!“

Er band den Kantor los. Rollins trat an den Baum, hielt seine Hände hin und sagte:

„Da, macht euch das billige Vergnügen, Mesch’schurs!“

Er hatte natürlich geglaubt, daß man ihn ebenso leicht binden werde, wie der Kantor gebunden gewesen war; aber er sollte sofort einsehen, wie groß sein Irrtum gewesen war. Poller ergriff ihn beim rechten und Buttler beim linken Arme. Sie rissen ihn mit einem so rücksichtslosen Ruck mit dem Rücken an den Baum, daß er laut aufschrie, und legten seine Arme rückwärts an den Stamm. Während sie sie da festhielten, band ihm der Ölprinz die Hände zusammen und antwortete:

„Ja, Mr. Rollins, das billige Vergnügen beginnt; aber Euch kann es leicht sehr teuer zu stehen kommen.“

Thunderstorm!“ fluchte der Bankier. „Was fällt euch denn ein? So haben wir nicht gewettet!“

„Ihr nicht, aber wir!“

„Ihr renkt mir ja alle Glieder aus!“

„Kann Euch gar nichts schaden; aber es wird gar nicht lange dauern. Wartet nur einen Augenblick und haltet den Kopf still, sonst schneide ich Euch die Ohren mit herunter!“

Er trennte ihm, der sich nun nicht zu wehren vermochte, auch wenn er es gewollt hätte, mit zwei, drei raschen Messerschnitten den Kragen vom Rocke.

„Sir, was thut Ihr da hinter mir?“ fuhr Rollins auf. „Ich glaube gar, Ihr schneidet da an mir herum!“

„Ja, das thue ich allerdings,“ lachte der Ölprinz; „aber es geht Euch nicht an das Leben, sondern nur einstweilen an den Kragen.“

Er trat vor ihn hin und hielt ihm den abgeschnittenen Teil des Rockes vor das Gesicht.

„Mein – – mein – – mein Kragen!“ schrie der Bankier auf, indem ihm alles Blut aus dem Gesichte wich.

„Kragen? O nein! Ihr haltet das für einen Rockkragen? Das ist ein großer Irrtum von Euch. Ich sage Euch, daß ich hier eine ganz neumodische Tasche für Wertpapiere in meinen Händen halte.“

„Tasche – –Wertpapiere – – –“ stammelte der Getäuschte. „Was – was – – was meint Ihr damit?“

„Werde es Euch augenblicklich zeigen.“

Er griff zwischen das Futter des Kragens, zog ein Papier hervor, faltete es auseinander, warf einen Blick darauf, hielt es dann dem Bankier vor das Gesicht und fuhr in triumphierendem Tone fort:

„Hier ist der Inhalt dieser prächtigen Tasche. Hoffentlich kennt Ihr das Papier. Es sollte für Euch ein Andenken sein, aber ich denke, daß ich es weit besser in Ehren zu halten verstehe als Ihr. So eine Schrift steckt man doch nicht in den Rockkragen, sondern man schafft sie hinunter nach Frisco, um sie dort mit gutem, klingendem Golde zu vertauschen.“

„Ihr seid ein Schurke, ein Räuber, ein – ein – ein – –“

Die Wut erstickte seine Stimme, so daß er kein Wort weiter hervorbrachte. Seine Lippen färbten sich blau und seine Augen wollten aus ihren Höhlen treten. Er wollte sich von dem Baume losreißen; dabei schnitt ihm aber der Riemen so in das Fleisch, daß er einen gellenden Schmerzensschrei ausstieß.

„Seid still; beruhigt Euch l“ hohnlachte der Ölprinz. „Ich nehme mir nur zurück, was man mir unrechtmäßigerweise vorenthalten hat. Ihr seid überlistet, Sir. Gebt Euch keine Mühe, ohne Hilfe vom Baume loszukommen; Ihr verursacht Euch dadurch nur Schmerzen.“

Rollins konnte nur mit einem ohnmächtigen Zähneknirschen antworten. Der Kantor war bis jetzt ein stiller Zeuge des Vorganges gewesen; jetzt hielt er es für geraten, sich ins Mittel zu legen. Er sagte in seinem höflichsten Tone:

„Meine verehrtesten Herren, ich muß Sie unbedingt bitten, mir zu sagen, warum Sie diesem Herrn den Kragen vom Rocke geschnitten haben!“

„Weil er nicht an den Rock gehört,“ antwortete Poller lachend.

„Oho! Dieser Kragen ist Herrn Rollins Eigentum; er kann ihn also da tragen, wo es ihm beliebt, sogar am Rocke!“

„Es ist ja gar kein Kragen, sondern ein Portefeuille für Wertsachen!“

„So? Und wo pflegt man denn so ein Ding hinzustecken?“

An die Tasche.“

„Gut, so stecken Sie es ihm in die Rocktasche.“

„Diesen Gefallen will ich Ihnen sehr gern erweisen.“

Er nahm dem Ölprinzen den ausgeplünderten Kragen aus der Hand und schob ihn dem Bankier in die erwähnte Tasche.

„Auch das Papier mit!“ befahl der Kantor.

„Nein, das werde ich freilich nicht thun. Dieses Papier gehört Mr. Grinley; er wird es also behalten.“

„Es gehört ihm nicht. Sie haben mir ja vorhin gesagt, daß Sie es bei den Navajos freiwillig herausgegeben haben!“

„Ja. Und nun nehmen wir es ebenso freiwillig wieder.“

„Da sind Sie doch Spitzbuben!“

„Ja, das sind wir allerdings, Herr Kantor.“

„Bitte, Herr Kantor emeritus. Es ist das eine ganz notwendige Bezeichnung, auf welcher ich bestehen muß, Sie wollen das Papier also wirklich entwenden?“

„Ja.“

„Dann sind Sie gar nicht wert, daß ein jünger der Kunst, wie ich bin, noch ein Wort mit Ihnen spricht. Machen Sie also, daß Sie fortkommen!“

„Diesen Wunsch werden wir Ihnen sogleich erfüllen, mein lieber Herr Kantor emeritus.“

„So ist’s recht! Man muß die Leute nur immer auf die richtige Ausdrucksweise aufmerksam machen, dann merken sie sich’s endlich doch einmal.“

„Das ist wahr, und ich will nur wünschen, daß Sie für die beiden Gnadenarien und das Duett, welches Sie komponieren wollen, die richtige Ausdrucksweise ebenso finden mögen.“

„O, was das betrifft, so ist das über allem Zweifel erhaben.“

„So sind wir alle außer dem Bankier zufriedengestellt. Leben Sie wohl!“

„Leben Sie wohl, meine Herren!“

Er machte eine Verbeugung. Die drei Räuber gingen hinaus zu ihren Pferden, stiegen auf und ritten davon, sehr zufrieden mit dem Erfolge dieser letzten halben Stunde.

Der Kantor setzte sich nun dem Bankier gegenüber und musterte ihn mit sehr zufriedenen Blicken. Es war ja sein Wunsch erfüllt: er war frei und der andre hing an dem Baume.

Rollins konnte ein solches Verhalten nicht begreifen; es erfüllte ihn mit Wut, und darum schrie er zornig auf ihn ein, indem er ihn in den drohendsten Ausdrücken aufforderte, ihn augenblicklich loszumachen. Dies that er in englischer Sprache, welche der Kantor leider nicht verstand. Vorher hatte dieser letztere, als er noch am Baume hing, dieselbe Bitte mit ganz demselben Mißerfolge wohl hundertmal ausgesprochen, aber in deutscher Sprache, welche dem Bankier unverständlich war. Dieser hatte geglaubt, der Kantor räsonniere auf Old Shatterhand und die beiden Personen, die ihn angebunden hatten. Es war verboten worden, ihn loszubinden, und darum hatte Rollins nicht angenommen, daß er los wolle; der Emeritus aber hatte geglaubt, der andre wolle ihn nicht aus seiner Lage befreien; daher vorhin sein Ärger über ihn und daher jetzt die Ruhe, mit welcher er das Geschrei anhörte und die Anstrengungen ansah, welche Rollins machte, um vom Baume loszukommen.

Während dieser alle möglichen englischen Schimpfwörter herwetterte, saß der Komponist ihm gegenüber, um ihn zu studieren, und pfiff dabei eine Melodie durch die Zähne, aus welcher sich eine Gnadenarie entwickeln sollte. Der Bankier schäumte fast vor Wut über sein Gegenüber und verwünschte es tausendmal, daß er sich angeboten hatte, bei ihm zu bleiben. Dann, als sein Grimm den höchsten Grad erreicht hatte, trat auf diese Aufregung eine plötzliche große Abspannung ein. Die Folge derselben war, daß er ruhiger zu überlegen vermochte. Er hatte von seinem Buchhalter Baumgarten einige deutsche Brocken profitiert, und der Kantor hatte sich, wie er wußte, auch einige englische Ausdrücke gemerkt. Sollte es denn nicht möglich sein, auf Grund dieser freilich geringen Kenntnisse zu einer Verständigung zu kommen? Er versuchte es und begann:

„Mr. Kantor, to unbind, unbind!“

„Kantor emeritus, bitte!“ war die Antwort.

Unbind, unbind!“

„Umbinden?“ fragte der Kantor. „Sie wollen etwas umgebunden haben? Was denn?“

Er wußte nicht, daß unbind so viel wie losbinden bedeutet. So ging es wohl eine Viertelstunde lang zwischen ihnen herüber und hinüber. Erstens verstand der Kantor den Bankier nicht und zweitens sah er nicht ein, warum derjenige, der ihn am Baum hatte hängen lassen, nicht auch ein wenig an demselben hängen solle. Dann siegte aber seine Gutmütigkeit. Er ging, als Rollins seine schmerzhaften Bestrebungen, sich loszureißen, erneuerte, zu ihm hin und löste mit größter Mühe die absichtlich sehr fest geschlungenen Knoten auf. Er glaubte, nun ein freundliches Wort des Dankes zu hören, hatte sich da aber sehr geirrt. Rollins streckte seine Glieder und versetzte dann dem Emeritus einen Faustschlag gegen den Kopf, daß der Getroffene taumelte und dann in ein Gebüsch stürzte; dann band er sein Pferd los, setzte sich auf und ritt davon, nach Westen zu, wo er die Gefährten wußte.

Der Kantor raffte sich langsam auf, befühlte die getroffene Stelle seines Kopfes und sagte:

„Dankbarkeit ist eine seltene Tugend; das weiß ich freilich wohl; aber daß man für seinen guten Willen und für einen solchen Dienst eine solche Kopfnuß erhält, das geht doch eigentlich über die Schnur. Der Mann ist Bankier, will also jedenfalls als gebildeter Mann gelten; aber ich sehe hier wieder einmal ein, daß die wahre und echte Bildung doch nur bei den Jüngern der Kunst zu finden ist. Mein Kopf brummt mir, als wenn zehn Gnadenarien, von lauter zweiten Bässen gesungen, auf einmal drin ertönten! Nun ist er fort. Was soll ich hier allein? Soll ich etwa warten, bis noch andre Spitzbuben kommen, die nachher auch noch mich bestehlen? Nein; da reite ich ihm lieber nach.“

Er holte sein Pferd auch aus dem Gebüsch, kletterte hinauf und ritt davon, gen Westen, wohin die Fährte der Weißen und der Navajos führte.

Wie war es aber denn eigentlich gekommen, daß der gute Kantor zurückgelassen und sogar angebunden worden war?

Zunächst war es wohl kein Wunder, wenn er von allen seinen Gefährten als sogenanntes Schreckenskind betrachtet wurde. Er machte alles verkehrt, brachte Wirrnis in die größte Ordnung und hatte nicht nur der Gesellschaft schon oft die größten Verlegenheiten bereitet, sondern für sie sogar Gefahren heraufbeschworen, denen man nur mit Mühe und Not entkommen war. Sein gestriger Streich, als er des Nachts am Flusse die Stimmen des Orchesters erklingen ließ, hatte glücklicherweise keine üblen Folgen gehabt; aber Old Shatterhand war willens, so etwas nicht wieder vorkommen zu lassen, und hatte ihm darum mit Anbinden gedroht. Diese Strafe war schon früher einmal, und zwar durch Sam Hawkens, über den Emeritus verhängt worden. Man hatte ihn samt seinem Pferde hinten an einen Wagen angebunden.

Heut früh nun hatte er sich kurz nach dem Aufbruche an den Hobble-Frank gemacht und ihn gefragt:

„Herr Franke, Sie wissen wohl genau, wohin wir reiten?“

„Ja,“ antwortete dieser.

„Ich nicht. Wissen Sie, ich mußte so lange bei den Indianern bleiben, und als ich nachher in unser Lager kam, war die Beratung eigentlich schon vorüber, und auf das, was gesprochen wurde, habe ich in meinem Zorne nicht geachtet. Wenn Sie bedenken, wie man mir mitgespielt hat, werden Sie einsehen, daß ich sehr viel Veranlassung zum Zorne hatte.“

„Nee, das sehe ich nich ein.“

„Nicht? Ich habe Sie doch immer für einen verständigen und ernstlich denkenden Menschen gehalten!“

„Das bin ich ooch, und ich wollte es niemand raten, etwa das Gegenteel zu denken!“

„Aber da müssen Sie doch einsehen, daß ich gar nichts Unrechtes gethan habe!“

„Nischt Unrechtes? Na, der Ausdruck is eegentlich noch viel zu zahm für das, was Sie gethan haben.“

„Wie, zu zahm? So geben also auch Sie mir unrecht?“

„Natürlich! Man schtellt sich doch nich des Nachts, wo alle Schtimmen schweigen, mitten in den wilden Westen hinein, um mit allen möglichen musikalischen und fraktionellen Inschtrumenten zu trillern und zu piepen, daß man es schtundenweit hören kann. Das hätte uns alle möglichen Feinde auf den Hals bringen können.“

„Es waren aber doch keine da!“

„Das wußten Sie nich. Und die Nijoras, zu denen wir jetzt wollen, konnten ebensogut in unsrer Nähe liegen, wie die Navajos, von denen wir glücklicherweise nichts zu fürchten hatten.“

„Also gegen die Nijoras geht es jetzt? Das war es, was ich jetzt von Ihnen wissen wollte. Wie es den Anschein hat, sollen sie von uns überfallen werden?“

„Ja.“

„Das freut mich sehr; das freut mich ungemein!“

„Warum?“

„Darnach brauchen Sie doch gar nicht erst zu fragen. Sie wissen doch wohl, daß ich eine zwölfaktige Heldenoper komponieren will!“

„Ja; es is mir ganz so, als ob Sie schon eenmal von so etwas geschprochen hätten.“

„Jedenfalls habe ich es Ihnen schon gesagt. Ich habe hier nun die Helden gefunden, die ich dazu brauche; aber in ihrer Thätigkeit habe ich sie eigentlich noch nicht gesehen.“

„Nich? Na, ich dächte doch, daß bisher schon genug geleistet worden is, was andre Leute nich gleich fertig bringen würden. Wir sind ja gradezu immer aus dem eenen Abenteuer in das andre geflogen!“

„Das gebe ich ja ganz gern zu; aber das, wobei das Heldenturn sich in seiner vollsten Glorie zeigen kann, hat es noch nicht gegeben.“

„Was wäre das?“

„Eine Schlacht, ein allgemeiner Kampf, wo Mann gegen Mann zu stehen hat und der Held einen Feind nach dem andern niederschlägt, wissen Sie, so ungefähr wie Roland bei Roncesvalles.“

„Roland? Da irren Sie sich sehr wahrscheinlich.“

„Inwiefern?“

„Das is doch nich Roland, sondern Iffland gewesen.“

„Iffland? Nein, liebster Herr Frank, das ist unmöglich, vollständig unmöglich.“

„Vollschtändig unmöglich? Warum denn, he?“

„Erstens weil Iffland damals noch nicht gelebt hat.“

„So, so! Sehn Sie doch mal an, was Sie da nich alles wissen! Also das war erschtens. Und zweetens?“

„Zweitens ist, so viel ich mich erinnere, Iffland gar kein Held, sondern ein Schauspieler und Theaterdichter gewesen. Wie kann er da zur Zeit Karls des Großen im Thale von Roncesvalles gekämpft haben!“

Da machte Frank sein grimmigstes Gesicht und fragte:

„Wollen Sie etwa das, was ich gesagt habe, dekonfektionieren? Da kommen Sie bei mir an den Falschen. Ihren großen Karl kenne ich viel besser als Sie. Er is der erschte Kaiser von Deutschland gewesen und hat eene runde Tafel voll lauter Ritter gehabt. Iffland war der berühmteste davon und is dort im Thale von Roncesvalles mitten im Kampfe an den Masern geschtorben. Allerdings hatte Karl der Große ooch eenen Theaterdichter; der hat aber nich Iffland, sondern Uhland geheeßen und außer andern schönen Sachen ooch den berühmten Löwenritt von Freiligrath gedichtet. Haben Sie das begriffen?“

Der Kantor sah den Kleinen erstaunt an; er öffnete den Mund, um zu antworten, brachte ihn aber nicht wieder zu.

„Ja, sehn Sie, da schperren Sie den Mund auf über meine Gelehrsamkeet! Machen Sie ihn nur wieder zu und schweigen Sie! Es scheint gar, nach Ihrem Gesichte zu urteelen, als ob Sie mir widerschprechen wollten. Das lassen Sie aber ja bleiben, denn Widerschpruch vertrage ich partuhmang nich. Reden wir also von was andrem! Sie wollten, wie es scheint, gern eener Schlacht beiwohnen?“

Der Kantor hätte sich gern noch weiter über Roland, Iffland und Uhland mit ihm gestritten; aber er wollte Frank bei guter Laune erhalten; darum ließ er dieses Thema fallen und antwortete:

„Ja, ich möchte einen wirklichen, blutigen Kampf erleben.“

„Warum denn das? So etwas is gefährlich und man soll es sich also gar nich wünschen.“

„Aber ich brauche es für meine Oper. Es versteht sich doch ganz von selbst, daß es in einer Heldenoper nicht ohne Kampf abgehen kann!“

„Das is doch nur off der Bühne, und Sie brauchen sich doch nich derohalben eenen wirklichen Kampf, een wirkliches Blutvergießen zu wünschen.“

„O doch! Wenn man so etwas wirklich gesehen und miterlebt hat, kann man es viel besser komponieren. Das Getöse des Kampfes, das Schreien und Heulen, das Knattern der Gewehre, das Krachen der Schüsse, das alles läßt sich nur dann richtig durch Töne wiedergeben, wenn man es selbst gehört hat.“

„Aber es kann Ihnen Ihr Leben kosten und dann is ooch Ihre ganze schöne Oper futsch!“

„Glauben Sie das ja nicht! Wir Komponisten stehen unter dem ganz besondern Schutze der Musen; uns kann nichts passieren. Oder haben Sie einmal gehört, daß ein berühmter Komponist von den Indianern erstochen oder erschossen worden sei?“

„Nee, das nich.“

„Also! Ich befinde mich nicht in der geringsten Gefahr, wenn sich mein Wunsch erfüllt; darauf können Sie sich verlassen. Denken Sie, daß es heute zu einem Kampfe kommen wird?“

„Hm! Wenn alles so klappt, wie Old Shatterhand und Winnetou beschprochen haben, so loofen uns die Feinde in die Hände, ohne daß een Schuß dabei zu fallen braucht. Wenn es aber andersch wird, da freilich kann es sehr schlimm ausfallen.“

„Wie denn anders?“

„Ja. da können verschiedene Fälle eintreten. Man weeß ja im voraus nie, was alles geschehen kann. So zum Beischpiel brauchen die Nijoras nur zu merken, daß die Navajos in dem Hinterhalte liegen, so geht der Krawall los.“

„Wie sollten sie das merken?“

„Off irgend eene Weise. Een Dummer fragt doch immer mehr, als was een Gescheiter beantworten kann! Ich sage ja, daß man vorher nicht wissen kann, was geschieht. So darf zum Beischpiel Ihr Pferd, wenn wir an die Furt kommen, es sich nur in den Kopf setzen, nach links anstatt nach rechts zu loofen, so is schon alles verraten.“

Der Hobble-Frank hatte es halb ironisch und halb scherzhaft gemeint; aber über das Gesicht des Kantors ging ein Zug hoher Befriedigung und er fragte:

„Also nach links anstatt nach rechts? Habe ich das richtig verstanden? ja?“

Er nickte vergnügt vor sich hin, und der Hobble ahnte nicht, auf was für einen gefährlichen Gedanken er den kampfbegierigen Kantor gebracht hatte. Dieser war nämlich entschlossen, dem ihm so unabsichtlich erteilten Winke zu folgen und in der Furt nach links abzubiegen. Er dachte zwar ein wenig an die Verantwortlichkeit, die er dadurch auf sich lud, doch mehr noch an die Vorteile, die er in künstlerischer Beziehung aus einem Kampfe ziehen zu können glaubte. Dabei sagte er sich bei aller Unvorsichtigkeit, daß ihm die denkbar größten Vorwürfe gemacht werden würden, und da kam er auf den Gedanken, es so einzurichten, daß sie ihn nicht allein treffen könnten. Er mußte einen Mitschuldigen oder eine Mitschuldige haben und ersah sich dazu Frau Rosalie aus, weil er hoffte, daß diese energische Frau sich und ihn schon herausbeißen werde. Darum lenkte er während des Rittes sein Pferd neben das ihrige und sagte:

„Haben Sie keine Angst vor dem, was nun bald geschehen wird, Frau Ebersbach?“

„Angst?“ antwortete sie. „Vor wem sollte ich denn Angst haben?“

„Vor den Nijoras.“

„I was Sie nich denken! Ich habe mein Lebtage vor keener Mannsperson Angst gehabt, und vor diesen roten Affen, da fällt es mir erscht recht nich ein.“

„Aber es wird höchst wahrscheinlich zum Kampfe kommen!“

„Das gloobe ich nich; Old Shatterhand hat gesagt, daß es heute ohne Blutvergießen abloofen wird, und wenn der was sagt, da beißt keene Maus keenen Faden davon ab!“

„Aber die Nijoras werden sich hüten, so gutwillig in die Falle zu gehen, welche ihnen gestellt werden soll. Sie wehren sich ganz gewiß, und dann ist es sicher, daß die Kugeln pfeifen werden.“

„So pfeife ich ooch mit. Es is manchmal gar nich übel, wenn so een bißchen gepfiffen wird.“

„Ich warne Sie, Frau Ebersbach, die Gefahr, der wir entgegengehen, nicht leicht zu nehmen. Seien Sie klug und machen Sie es so, wie ich es machen werde!“

„So? Und wie werden Sie es denn machen?“

„Ich werde abseits gehen.“

„Ah! Sie wollen sich off die grüne Seite schwenken?“

„Ja.“

„Wann denn und wo denn?“

„Wenn wir an das Winterwasser kommen werden. Da reite ich links ab.“

„Aber Sie haben doch gehört, daß wir rechts hinunter nach dem Flusse reiten wollen!“

„Das ist richtig; ich lenke aber nach links, wo die Navajos halten werden. Da bin ich in Sicherheit.“

„In Sicherheet! Sie wollen also Ihren unschterblichen Leichnam in Sicherheet bringen?“

„Ja! Wollen Sie nun mitmachen?“

„Nee, das thue ich nich. Und Sie werden es ooch bleiben lassen!“

„Nein, ich thue es.“

„Das is aber doch ganz gegen den Willen Old Shatterhands!“

„Mag es! Ich bin ein freier Mann und kann machen, was ich will.“

„Nee, das können Sie nich! Sie sind keen freier Mann. Solange Sie sich bei uns befinden, haben Sie sich nach uns zu richten.“

„Ich werde es dennoch thun!“ sagte er in sehr bestimmtem Tone, weil er sich über die resolute Weise der Frau Rosalie ärgerte. „Nun grad erst recht!“

„Nee, nun grad erscht recht werden Sie es nich thun.“

„Glauben Sie wirklich, daß Sie mir irgend etwas verbieten können, Frau Ebersbach?“

„Ja, das gloobe ich, das gloobe ich sogar sehr!“

„Fällt keinem Menschen ein!“

„Es fällt mir ein und das ist vollschtändig genug. Ich will nich, daß Sie Ihren Vorsatz ausführen, und nach diesem meinen Willen haben Sie sich zu richten.“

„Oho!“ rief er zornig.

„Oho? Hier wird gar nischt oho! Wenn Sie nich wollen, wie ich will, so werde ich meinen Worten Nachdruck geben! Was Sie vorhaben, kann uns sehr leicht in Schaden bringen.“

„Möchte wissen, auf welche Weise! Ich habe mir vorgenommen, links zu reiten, und werde meinen Willen durchsetzen.“

„I, was Se nich sagen! Erschtens dürfen Sie überhaupt keenen Willen haben, und zweetens dürfen Sie ihn nachher, wenn Sie ihn nich haben, ooch nich durchsetzen. Wissen Sie, ich bin Frau Rosalie Eberschbach, geborene Morgenschtern und verwitwete Leiermüllern und weeß, was ich zu thun .habe. Ich lasse mir Ihretwegen nich von den feindlichen Indianern off den Kopp herumtrommeln. Sie werden gleich erfahren, daß und wie ich mich zu benehmen weeß!“

Der Zug hielt in diesem Augenblicke an, denn Winnetou war aus dem Gesträuch getreten. Er kam auf Old Shatterhand und den Häuptling der Navajos zu und meldete:

„Die Nijoras sind bei ihrem Plane geblieben und haben ihre Stellung nicht verändert. Meine Brüder können also das ausführen, was ich gestern mit Old Shatterhand besprochen habe. Es ist nur eine kleine Änderung, welche ich für nötig halte.“

„Welche?“ fragte Old Shatterhand.

„Wir haben uns entschlossen, hinab in die ausgetrocknete Furt zu reiten; die Krieger der Navajos haben sich dann uns zur linken Hand versteckt, und wir wenden uns in dem trockenen Winterwasserbette nach rechts, bis wir den Fluß erreichen. Dann kommen die Nijoras herab, um uns zu überfallen, und da sollen sie von den Navajos im Rücken angegriffen werden. Meine weißen Brüder und Schwestern werden sich nicht fürchten, und ich zweifle auch ganz und gar nicht daran, daß alles so gehen wird, wie wir gedacht haben; aber es ist dennoch nötig, an alles zu denken und keine Vorsicht zu versäumen. Es soll kein Blut fließen; aber wenn die Nijoras nur uns vor sich sehen, ist es möglich, daß sie glauben, uns überwältigen zu können. Wir sind nur wenige Männer und werden trotzdem den ersten Stoß aushalten; aber wenn die Nijoras schießen, werden sie doch einige von uns verwunden oder gar töten. Darum ist es nötig, zu verhüten, daß sie überhaupt von ihren Gewehren Gebrauch machen. Mein Bruder Old Shatterhand wird wissen, wie wir das am besten und sichersten erreichen können.“

„Dadurch, daß wir ihnen gleich im ersten Augenblicke zeigen, daß sie verloren wären, wenn sie es zum Kampfe kommen lassen,“ antwortete der Genannte.

„Und wie zeigen wir ihnen das? Sie sehen nicht die vielen Navajos hinter sich, sondern nur die weißen Männer und Frauen vor sich.“

„Wir müßten vom bei uns auch Navajos haben.“

„Das ist es, was ich meine,“ nickte der Häuptling der Apachen.

„Aber wir dürfen sie nicht mitbringen; sie dürfen nicht mit uns kommen!“

„Nein.“

„Sondern sie müssen schon vorher am Platze sein, ohne aber von den Nijoras gesehen zu werden.“

„Mein weißer Bruder hat ganz meine Gedanken.“

„Es ist sehr leicht zu erraten, was mein roter Bruder meint. Die Nijoras zählen dreihundert Krieger, während wir sechshundert haben. Es genügt, wenn wir ihnen fünfhundert in den Rücken schicken; die übrigen hundert müssen hier vom hohen Ufer hinab zum Flusse steigen und sich da unten abwärts schleichen, bis sie in die Nähe der Mündung des Winterwassers gekommen sind. Dort verbergen sie sich im Gesträuch und warten, bis wir kommen. Sobald wir anlangen und die Nijoras sich auf uns werfen wollen, treten diese hundert Krieger aus ihrem Verstecke hervor und gesellen sich uns zu. Das wird die beabsichtigte Wirkung haben, denn die Feinde werden stutzen, und dadurch bekommt unser Hinterhalt von fünfhundert Mann Zeit, ihnen in den Rücken zu kommen.“

„So ist es. Ich stimme ganz den Worten Old Shatterhands bei. Nitsas-Ini, der tapfere Häuptling der Navajos, mag die Hundert von seinen Kriegern auswählen, damit sie sich jetzt entfernen, um die Mündung des Winterwassers heimlich zu erreichen. Dann reiten die Fünfhundert auch fort, und sobald wir annehmen können, daß sie sich in ihrem Hinterhalte befinden, brechen wir auch von hier auf.“

So geschah es. Es wurden hundert Navajos abgezählt, welche in das Ufergebüsch eindrangen, um zum Flusse hinabzusteigen. Dabei konnten sie natürlich ihre Pferde nicht mitnehmen; diese mußten vielmehr von den andern mitgeführt werden. Als sie fort waren, machten sich auch die Fünfhundert auf den Weg.

Als auf diese Weise die Navajos alle fort waren, erklärte Old Shatterhand den deutschen Auswanderern den Plan noch einmal in ihrer Muttersprache, weil vorhin englisch gesprochen worden war. Er bat sie, keine Sorge zu haben, da alles gutgehen werde, und ermahnte sie dringend, ja recht vorsichtig zu sein und nichts zu thun, was das Gelingen des Planes in Frage stellen könne. Da sagte Frau Rosalie zu ihm:

„Wir andern werden ganz gewiß keenen Fehler machen; aber ich weeß eenen, der sich fest vorgenommen hat, eene große Dummheet zu begehen.“

„Wer ist das?“

„Wer das is? Da fragen Sie ooch noch darnach? Wenn von Dummheeten die Rede is, so können Sie es sich doch gleich denken, wen ich meene, den Kantor natürlich. Er hat mich zu derselben Dummheit überreden wollen; er will nämlich, wenn wir nach dem Winterwasser kommen, links abschwenken.“

„Alle Donner! Das könnte uns einen Strich durch die Rechnung machen! Das ist wirklich sein Plan?“

„Eben hat er es mir gesagt. Ich habe ihn gewarnt; aber er schnauzte mich grob an und meinte, es hätte ihm keen Mensch was zu befehlen. Er is ganz des Teufels droff, seinen Willen durchzusetzen.“

„Das müssen wir uns doch sehr streng verbitten! Ist das wahr, was Frau Ebersbach jetzt von Ihnen gesagt hat?“

Diese Frage war an den Kantor gerichtet.

„Ja,“ antwortete er, da er es doch nicht leugnen konnte.

„Sie wollen also, ohne mich zu fragen, eine andre Richtung einschlagen?“

„Ja.“

„Weshalb?“

Der Kantor schwieg.

„Reden Sie!“

Diese Aufforderung war im allerstrengsten Tone gesprochen. Der Kantor ärgerte sich darüber und antwortete wieder nicht. Da fuhr ihn Old Shatterhand zornig an:

„Wenn Sie nicht reden wollen, werde ich ihnen den Mund öffnen. Es handelt sich hier um unser Leben. Also, was ist der Grund Ihrer Absicht?“

„Meine Oper,“ stieß der Gefragte hervor.

„Ihre Oper! Wir sollen also abermals nur Ihres verrückten Hirngespinstes wegen in Gefahr gebracht werden! Inwiefern ist denn diese berühmte Oper der Grund zu dem, was Sie thun wollen?“

Wieder wollte der Kantor nicht mit der Sprache heraus. Da legte sich der Hobble-Frank ins Mittel, indem er sagte:

„Ich weeß es, was für eene vorhandene Absicht im Grund- und Hypothekenbuche seines Vorhabens verzeichnet is.“

„Nun, welche?“

„Ich habe vorhin mit ihm geschprochen und ziehe aus dem, was er gesagt hat, die Divisionsklausel, daß er für seine Oper eene Kampfesscene braucht.“

„Ah so! Und da will er gerade das herbeiführen, was wir vermeiden wollen?“

„So is es. Er will nach links, damit die Nijoras unsern Hinterhalt sehen sollen.“

„Sollte man so etwas für möglich halten! Das ist nicht eine Verrücktheit, sondern gradezu ein Verbrechen! Was thut man nur mit einem solchen Manne? Wollen Sie mir sofort versprechen, von Ihrem Vorhaben abzuweichen, Sie unbegreifliches Menschenkind!“

Der Kantor brauchte nur mit ja zu antworten, so war alles gut. Aber er hatte zu Frau Rosalie behauptet, daß er seinen Willen durchsetzen werde, und wollte sich nun ihr gegenüber nicht blamieren. Darum beantwortete er die Aufforderung Old Shatterhands wieder mit einem Schweigen. Dieser fuhr also in erhobenem Tone fort:

„Ich frage Sie, ob Sie mir jetzt versprechen wollen, Ihre Absicht aufzugeben!“

Abermals keine Antwort.

„Gut!“ meinte Old Shatterhand. „So werde ich dafür sorgen, daß Sie uns nicht schaden können. Sie dürfen nicht mit; Sie bleiben hier an dieser Stelle.“

Das empörte den Zukunftskomponisten außerordentlich. Er bekam die Sprache wieder und antwortete:

„Das lass’ich mir nicht gefallen, Herr Shatterhand. Ich bin kein Soldat oder Rekrut, der sich andonnern lassen und gehorchen muß!“

„Sie werden gehorchen. Sie bleiben hier und ich lass‘ jemand bei Ihnen, der Sie beaufsichtigen muß.“

„Dem gehe ich durch!“

„Schön! So werde ich also die Drohung wahr machen, welche ich Ihnen schon ausgesprochen habe. Ich binde Sie an. Steigen Sie vom Pferde!“

Old Shatterhand stieg selbst aus dem Sattel und faßte, als der Kantor sich weigerte, dies auch zu thun, ihn beim Leibe und zog ihn herab. Er wurde nach dem Gebüsch geschafft und dort an den Baum gebunden. Sein Widerstand fruchtete nichts. Nun handelte es sich darum, wer bei ihm bleiben sollte. Der Bankier bot sich an, denn der Gedanke, von den Nijoras überfallen zu -werden, hatte für ihn nichts Behagliches. Old Shatterhand war damit einverstanden, schärfte ihm aber ein, den Kantor nicht etwa, falls er gute Worte geben sollte, loszubinden; es solle später ein Bote geschickt werden, um die beiden nachzuholen.

Bis jetzt hatte man die fünfhundert Navajos, welche nach Süden geritten waren, noch reiten sehen; nun aber verschwanden sie am Horizonte und es war anzunehmen, daß sie nach kurzer Zeit ihr Ziel erreichen würden. Darum gab Old Shatterhand den Befehl, nun den unterbrochenen Ritt fortzusetzen.

Es war wirklich ein großes Vertrauen, weiches ihm und Winnetou von den Deutschen geschenkt wurde. Diese letzteren gingen einer Schar wilder, feindlicher Indianer entgegen, ohne um sich, um ihre Frauen und Kinder besorgt zu sein. Das war natürlich nur die Folge des Eindruckes oder Einflusses, welchen diese beiden Männer auf sie ausübten. In der Nähe des Apachen und seines weißen Bruders konnte eben keine Furcht aufkommen.

Old Shatterhand ermahnte alle, sich ein möglichst unbefangenes Aussehen zu geben und ja nicht etwa forschende oder gar ängstliche Blicke nach der Gegend zu werfen, von welcher man wußte, daß die Feinde dort versteckt seien, und sie gaben sich Mühe, sich streng nach dieser Instruktion zu richten.

Indem man parallel mit dem Flusse ritt, näherte man sich dem Winterwasser auf einer rechtwinkelig auf dasselbe stoßenden Linie. Sam Hawkens machte allerlei Späße; er lachte laut und hielt die andern an, in sein Lachen einzustimmen. Er verfolgte dabei die Absicht, die Nijoras sicher zu machen. Sie sollten denken, daß die Ankömmlinge nicht im mindesten an das Vorhandensein einer Gefahr glaubten.

An der Stelle angekommen, wo sich unten die Furt befand, ritt man langsam vom Ufer in das ausgetrocknete Bett hinab. Winnetou und Old Shatterhand waren voran. Ihren scharfen Augen konnte nichts entgehen, obgleich sie sich den Anschein gaben, als ob sie auf gar nichts aufmerksam seien.

Links von ihnen lagen einige Felsblöcke, welche zur Zeit des Hochwassers von diesem überflutet wurden. Hinter einem derselben lugte ein Kopf hervor, nämlich derjenige von Nitsas-Ini. Er hatte sich so weit nach vom gewagt, um die weißen Freunde zu benachrichtigen, daß er mit seinen Leuten an Ort und Stelle sei.

„Altso-ti – wir sind hier,“ raunte er ihnen in seiner Sprache zu, und dann war sein Kopf wieder verschwunden.

Die Gesellschaft bog rechts ab und ritt im Bette des Winterwassers nach der Mündung desselben, wo es auf den Chellyfluß stieß. Rechts und links gab es hohe, steile Felsen und vorn an der Mündung floß das Wasser des Chelly vorüber. An seinem Ufer befand sich ein schmaler, aber sehr dicht mit Bäumen und Büschen besetzter Streifen; dort wurde angehalten.

Old Shatterhand untersuchte das Buschwerk mit scharfem Blicke. Da raschelte es in demselben und der Arm eines Roten streckte sich für einen kurzen Augenblick hervor. Das war das Zeichen, daß die hundert Navajos sich auch schon da befanden. Es war also gelungen, dem Feinde zwei Hinterhalte zu legen.

Der Uferfelsen trat auf der linken Seite etwas hervor und bildete eine Ecke. Nach derselben deutend, sagte Old Shatterhand:

„Die Frauen und Kinder mögen sich hinter diese Ecke zurückziehen; dann sind sie vollständig sicher vor jeder Gefahr.“

Die Betreffenden gehorchten dieser Aufforderung. Nur eine machte eine Ausnahme, nämlich Frau Rosalie.

„Was? Ich soll mich verschtecken?“ rief sie aus. „Was sollen da diese Indianersch von mir denken!“ Dabei nahm sie ihrem Manne das Gewehr aus der Hand, faßte es beim Laufe und schwang den Kolben drohend über ihrem Kopfe.

„Pst! Nicht so; fort mit dem Gewehre!“ warnte Old Shatterhand. „Die Nijoras beobachten uns und könnten aus dieser Bewegung schließen, was geschehen soll. Sie werden heulend und schreiend gerannt kommen. Dann legt jeder sein Gewehr auf sie an, doch ohne zu schießen. Nur wenn sie sich dadurch nicht zurückhalten lassen, müssen wir uns wehren. Dann werde ich Feuer kommandieren, bitte aber, ihr Leben zu schonen und sie nur in die Beine zu schießen. jetzt setzt euch nieder und thut ganz so, als ob ihr von ihrer Nähe keine Ahnung hättet!“

Dieser Aufforderung wurde Folge geleistet. Die Leute setzten sich alle so, daß sie dem Wasser des Chelly den Rücken, dem trockenen Bette des Winterwassers aber das Gesicht zukehrten. So mußten sie die Nijoras kommen sehen.

Old Shatterhand und Winnetou standen beieinander und unterhielten sich in höchst unbefangener Weise. Sie hatten scheinbar nicht die geringste Aufmerksamkeit für die Richtung, aus welcher die Feinde erwartet wurden, sahen aber trotzdem alles sehr genau. Das Winterwasser hatte, wenn es stark angeschwollen war, viele Felsstücke mit sich fortgeführt und an der Mündung oder in der Nähe derselben abgesetzt. Hinter diesen Steinen konnte man Deckung finden, und es stand zu erwarten, daß der Vortrab der Nijoras im Schutze derselben heimlich herangekrochen kommen werde.

Dem war auch wirklich so, denn Winnetou bemerkte hinter einem dieser Steine eine Bewegung, blickte für einen kurzen Moment schärfer hin und sagte dann zu Old Shatterhand:

„Hinter dem großen dreieckigen Blocke steckt ein Feind. Hat mein Bruder ihn gesehen?“

„Ja. Ich sah ihn von dem dahinter liegenden Felsen gekrochen kommen. Ich weiß auch, wer es ist.“

„Mokaschi, der Häuptling wohl?“

„Ja.“

„So ist der Augenblick da. Hält mein Bruder es nicht für besser, daß wir gar nicht warten, bis sie auf uns eindringen?“

„Ja, sie werden um so bestürzter sein. Willst du mit ihm reden?“

„Nein. Mein Bruder mag es thun. Du hast den Stutzen, den sie für ein Zaubergewehr halten. Deine Stimme wird also besser wirken als die meinige.“

„Gut, so mag es beginnen l“

Er rief einige halblaute Worte nach dem Gebüsche hin, in welchem die hundert Navajos steckten, und sagte zu den Weißen:

„Die Nijoras sind da. Steht auf, und legt die Gewehre an!“

Frau Rosalie hatte ihrem Manne sein Gewehr wiedergeben müssen, aber an Stelle desselben eine Reserveflinte ergriffen. Als die Männer jetzt aufsprangen und ihre Gewehre erhoben, legte sie ihre Flinte auch an. Old Shatterhand trat einige Schritte vor, den Stutzen schußbereit in der Hand und rief dann nach dem erwähnten Felsenstücke hin:

„Warum versteckt sich Mokaschi, der Häuptling der Nijoras, wenn er uns besuchen will? Er mag offen zu uns kommen. Wir wissen, daß er sich mit seinen dreihundert Kriegern hier befindet.“

„Uff, uff!“ erscholl es da hinter dem Steine hervor und Mokaschi richtete sich auf. „Die weißen Hunde wissen es, daß wir hier sind? Und dennoch sind sie gekommen? Hat der große Geist ihr Gehirn verbrannt, daß sie, die wenigen, es wagen wollen, hier mit uns zu kämpfen?“

„Wir wagen nichts, denn der Häuptling der Nijoras ist in einem großen Irrtume befangen. Sieht er nicht meine Leute dastehen, um den Feind mit ihren Büchsen zu empfangen? Und sieht er nicht das Zaubergewehr in meiner Hand? Wer kann ihm widerstehen!“

„Wir werden so schnell über Old Shatterhand kommen, daß er nur zwei- oder dreimal schießen kann; dann wird er von der Menge meiner Krieger niedergerissen. Soll ich ihm zeigen, wie viele ihrer sind?“

„Ich weiß es schon; dreihundert.“

„Und die sind nicht fern von hier, sondern nahebei. Die Bleichgesichter haben nur die Wahl, sich zu ergeben oder in das Wasser getrieben und getötet zu werden. Sie mögen sehen, daß sie eingeschlossen sind.“

Er hob die Hand hoch empor und auf dieses Zeichen tauchten hinter allen Steinen Nijoras auf. Andre, die da nicht Platz gefunden hatten und deshalb zurückgeblieben waren, kamen herbeigesprungen und erhoben ein markerschütterndes Kriegsgeheul. Sie griffen aber nicht an, sondern blieben hinter ihrem Häuptlinge stehen, weil dieser auch nicht vorwärts ging. Er erhob den Arm wieder; das Geheul verstummte augenblicklich und er rief Old Shatterhand zu:

„Die Bleichgesichter sehen, daß sie verloren sind, wenn sie kämpfen. Wenn sie klug sein wollen, so ergeben sie sich uns.“

„Ja, man kann von Mokaschi Klugheit lernen, denn er ist ein großer Pfiffikus. Er weiß und sieht recht gut, wie es steht. Es sind über zwanzig Gewehre auf ihn und seine Krieger gerichtet; das gibt aus diesen Doppelläufen vierzig Schüsse. Dazu kommen die vielen Kugeln meines Zaubergewehres. Ehe die Nijoras an uns kommen, sind sechzig und noch mehr von ihnen gefallen, und dann beginnt noch der Kampf mit den Messern und den Kolben. Das weiß er recht gut. Er weiß, daß, wenn wir je besiegt werden könnten, er weit über hundert Krieger verlieren würde und daß er der allererste wäre, den meine Kugel niederstreckte. Darum fordert er uns auf, uns zu ergeben. So klug wie er aber, sind wir auch.“

„Old Shatterhand verrechnet sich. Ehe nur zehn von uns gefallen oder verwundet sind, befinden sich die Bleichgesichter in unsrer Gewalt. Ja, Old Shatterhand ist ein berühmter Jäger und ein sehr kluger Krieger; aber wenn er sich uns nicht ergibt, so handelt er nicht wie ein kluger Mann.“

„Ich danke dem Häuptlinge der Nijoras für die schönen Worte, welche er mir gesagt hat; aber er hat noch lange nicht genug gesagt, denn ich bin noch viel, viel klüger, als er denkt. Wir wenigen Bleichgesichter fürchten uns nicht vor dreihundert Nijoras; aber dennoch sind wir nicht allein gekommen. Als Mokaschi die Hand erhob, ließen sich seine Krieger sehen. Auch ich will einmal meine Hand erheben, um zu zeigen, daß ich ganz dasselbe kann.“

Er reckte den Arm empor; sofort sprangen die hundert Navajos aus den Büschen, bildeten blitzschnell eine Doppelreihe und richteten ihre Gewehre auf die Nijoras. Diese stießen ein Geheul der Überraschung aus. Keiner von ihnen hatte gewagt, sein Gewehr auf einen der Weißen zu richten, denn diese hatten ihre Gewehre zuerst erhoben und befanden sich also im Vorteile. Wer dem Feinde darin zuvorkommt, schießt ihn nieder, sobald er eine drohende Bewegung macht. Old Shatterhand gab ein Zeichen, daß er weitersprechen wolle und das Geheul verstummte.

„Mokaschi wird jetzt einsehen, daß ich vorhin noch zu wenig gesagt habe. Wir würden nicht hundert, sondern zweihundert Nijoras töten, noch ehe sie an uns kommen könnten. Der Häuptling der Nijoras hat vorhin gemeint, daß mein Gehirn krank sei. Wie steht es denn mit dem seinigen? Kann er nicht mehr denken, nicht sehen und nicht hören? Warum starrt er nur vorwärts, zu uns herüber? Er mag doch einmal hinter sich sehen!“

Mokaschi drehte sich um, und seine Krieger thaten dasselbe. Sie hatten ihre ganze Aufmerksamkeit nach vorn gerichtet und nicht auf das geachtet, was hinter ihnen vorgegangen war. Sie hatten es ja überhaupt für unmöglich gehalten, daß dort etwas geschehen könne. Da sahen sie, kaum zwanzig Schritte von sich entfernt, die fünfhundert Navajos halten, welche die ganze Breite des trockenen Winterwasserbettes ausfüllten und dabei in acht bis zehn Gliedern hintereinanderstanden. Vor ihrer Front hielt ihr Häuptling und rief Mokaschi zu:

„Hier stehen fünfhundert Krieger der Navajos und vor euch auch hundert neben den Bleichgesichtern, welche unüberwindlich sind. Wünscht der Häuptling der Nijoras, daß wir den Kampf beginnen?“

Die Nijoras heulten vor Schreck wie wilde Tiere. Die ihnen doppelt überlegenen Navajos überschrien sie noch, aber bei ihnen war es ein Freudengeheul. Da gab Old Shatterhand das Zeichen der Ruhe, und es wurde augenblicklich still. Er sprach mit erhobener Stimme:

„Ich frage Mokaschi ganz so, wie Nitsas-Ini ihn gefragt hat, nämlich ob wir den Kampf beginnen sollen. Über sechshundert Kugeln werden in den zusammengedrängten Haufen der Nijoras fahren. Wie viele von ihnen werden da übrig bleiben? Kein einziger.“

Mokaschi antwortete nicht sofort; er blickte finster vor sich nieder, und dann sagte er knirschend:

„Wir werden sterben; aber jeder von uns wird wenigstens einen Navajo vorher töten.“

„Das sagst du, aber du glaubst es selber nicht, denn sobald nur einer von euch sein Gewehr erhebt, schießen wir alle. Ich wiederhole jetzt die Worte, welche du vorhin zu mir gesprochen hast: hat der große Geist euer Gehirn verbrannt, daß ihr hierher gekommen seid, mit uns zu kämpfen, die wir euch doch überlegen sind? Ist euer Hirn ausgetrocknet und alle geworden, daß ihr euch in ganz dieselbe Falle locken laßt, in welche wir gehen sollten? Seid ihr blind und taub geworden, daß ihr weder gehört noch gesehen habt, daß Winnetou mit mir gestern in eurem Lager war, um euch zu belauschen? Du saßest mit den alten Kriegern an einem Felsen, der nahe am hohen Rande des Ufers liegt, und wir lagen oben auf diesem Felsen. Da haben wir alles gehört, was ihr gesprochen habt. Wißt ihr nicht, wie vorsichtig man sein muß, wenn man das Kriegsbeil ausgegraben hat.“

„Uff! uff!“ rief Mokaschi betroffen aus. „Old Shatterhand und Winnetou haben auf dem Steine gelegen, an welchem wir saßen?“

„Ja. Wir hörten zu, als ihr berietet, wie ihr uns hier überfallen wolltet. Warum macht ihr euch Männer zu Feinden, von denen ihr wißt, daß sie sich vor allen Kriegern eures ganzen Stammes nicht fürchten?“

Da legte Mokaschi sein Gewehr auf die Erde nieder und sagte:

„Der große Manitou ist gegen uns gewesen; er hat nicht gewollt, daß wir siegen sollen. Old Shatterhand oder Winnetou mag her zu mir kommen, um mit mir zu kämpfen. Welcher von uns beiden den andern tötet, dessen Stamm soll als Sieger gelten.“

„Was für Worte höre ich da aus deinem Munde! Willst du ein Spottgelächter zur Antwort haben? Soll es heißen, daß Mokaschis Worte wie die Rede eines Kindes oder wie das Geplapper eines alten Weibes klingen? Glaubst du, Winnetou oder mich besiegen zu können? Hast du jemals vernommen, daß einer von uns beiden einmal einem Feinde unterlegen sei? Dein Vorschlag kann an eurem Schicksale, an eurem Untergange nichts ändern. Du würdest unbedingt besiegt und mit dir wären alle deine Krieger verloren.“

„So sterben sie mit mir!“

„Das kann ebenso gut ohne einen Zweikampf zwischen dir und mir geschehen,“ antwortete Old Shatterhand auf Mokaschis Äußerung. „Ihr seid von allen Seiten eingeschlossen. Ihr seid verloren, sobald der Kampf beginnt. Wie kannst du es da einem von uns zumuten, mit dir zu kämpfen und das Schicksal zweier Stämme von dem Ausgange dieses Kampfes abhängig zu machen! Was einmal mir gehört, brauche ich mir doch nicht erst noch zu erwerben. Der Sieg gehört uns; wozu soll ich mir ihn erst noch extra erkämpfen?“

„So willst du nicht mit mir ringen?“

„Nein, denn ich müßte dich töten, und das will ich nicht.“

„Ich werde doch ohnedies und trotzdem sterben, denn du hast selbst gesagt, daß deine erste Kugel mir gelten werde.“

„Ja, falls es zum Kampfe kommt; ich meine aber, daß es weit besser sei, ihn zu vermeiden.“

„Wie soll er vermieden werden? Etwa dadurch, daß wir uns euch auf Gnade ‚oder Ungnade ergeben?“

„Nein, denn so ergeben sich tapfere Männer nicht, und die Nijoras sind ja tapfere Krieger. Kennst du Old Shatterhand und Winnetou so wenig, daß du uns ein solches Verlangen zutraust, dessen Erfüllung euch und allen euren Nachkommen immerwährende Schande bereiten müßte?“

Da holte Mokaschi tief und erleichtert Atem und fragte.

„Wie soll es denn sonst möglich sein, den Kampf zu vermeiden, ohne daß unsre Weiber und Kinder mit Fingern auf uns zeigen und uns verhöhnen?“

„Das wollen wir beraten. Mokaschi und Nitsas-Ini mögen hierher zu mir und Winnetou kommen. Mokaschi mag seine Waffen mitbringen, denn er hat sich noch nicht ergeben und muß als freier Mann gelten. Aber eure und unsre Krieger behalten genau ihre jetzigen Stellungen bei, bis unsre Beratung zu Ende ist.“

„Kann diese Beratung nicht hier bei mir abgehalten werden?“

„Das könnte sie wohl; aber du wirst zugeben, daß wir uns im Vorteile befinden und es also für richtiger halten, daß du zu uns kommst.“

„Als freier Mann und Krieger?“

„Ja.“

„So werde ich kommen.“

Er nahm sein Gewehr wieder von der Erde auf und kam auf Old Shatterhand zugeschritten; bei ihm angekommen, setzte er sich mit der würdevollen Haltung eines Häuptlings nieder. Der weiße Jäger nahm neben ihm Platz, Winnetou ebenso. Nitsas-Inikam auch. Er mußte durch die Nijoras hindurch. Sie machten ihm Platz. Er bekam da manchen finstern Blick, aber keiner wagte es, ihn feindlich zu berühren oder auch nur ein unfreundliches Wort zu sagen. Als er sich zu den andern gesetzt hatte, wurde auch noch Wolf herbeigewinkt, der bei den Navajos im Ansehen eines Häuptlings stand.

Nun hätte die Beratung beginnen können, denn diejenigen, auf welche es ankam, waren beisammen. Aber sie saßen nach Indianerart wohl eine Viertelstunde da, ohne daß ein Wort gesprochen wurde. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt. Old Shatterhand und Winnetou richteten ihre Augen forschend auf die drei andern, als ob sie ihre geheimsten Gedanken erraten wollten; dann tauschten sie einen kurzen Blick miteinander aus. Sie verstanden sich auch ohne Worte. Dann war Winnetou der erste, welcher sprach, doch nur indem er die kurze Frage aufwarf:

„Hier sitzen fünf Krieger zur Beratung. Welcher von ihnen soll reden?“

Wieder eine Zeitlang tiefes Schweigen; dann antwortete Nitsas-Ini:

„Unser Bruder Old Shatterhand hat kein Blut gewollt; er mag sprechen!“

„Howgh!“ sagten die andern, um ihre Zustimmung auszudrücken.

Old Shatterhand wartete, damit seine Worte dann größeres Gewicht haben möchten, auch eine kleine Weile; dann begann er:

„Meine Brüder wissen, daß ich ein Freund der roten Männer bin. Dem Indsman gehörte das ganze Land von einem Meere bis zum andern; da kam der Weiße und nahm ihm alles und gab ihm dafür seine Krankheiten. Der Indianer ist ein armer, kranker Mann geworden, welcher sehr bald sterben wird. Der Weiße ist sein Feind und hat ihn am meisten dadurch besiegt, daß er Unfrieden unter die roten Völker warf und einen Stamm gegen den andern aufhetzte. Die roten Männer waren so unklug, dies geschehen zu lassen, und sind selbst bis auf den heutigen Tag nicht klüger geworden. Sie reiben sich untereinander auf und könnten doch heut noch Großes erreichen, wenn sie den gegenseitigen Haß fallen ließen und unter sich das wären, was sie sein sollen und wozu sie geboren sind, nämlich Brüder. Habe ich recht?“

„Howgh!“ ertönte es rundum.

„Ja, ich habe recht, denn daß es so ist, wie ich sage, beweisen auch die zwei Stämme, welche sich feindlich hier gegenüberstehen. Mein Bruder Nitsas-Ini mag mir sagen, zu welchem großen Volke der Stamm der Navajos gehört!“

„Zum Volke der Apachen,“ antwortete der Genannte.

„Und auch Mokaschi mag mir sagen, zu welchem Volke die Nijoras gehören!“

„Auch zu den Apachen,“ antwortete der dazu Aufgeforderte.

„Da sehen meine Brüder, wie wahr ich gesprochen habe. Die Nijoras und die Navajos gehören nicht nur zur Rasse der roten Männer, sondern sind sogar Kinder eines einzelnen Volkes derselben. Sie sollten sich lieb haben, sich unterstützen und Seite an Seite miteinander gegen ihre gemeinschaftlichen weißen Feinde kämpfen. Statt dessen aber befehden sie sich gegenseitig und arbeiten ihrem Feinde in die Hände. Mein Bruder Nitsas-Ini mag mir sagen, weshalb er gegen die Nijoras ausgezogen ist!“

„Weil sie das Kriegsbeil gegen uns ausgegraben haben.“

„Gut. So mag mir nun auch Mokaschi sagen, weshalb er seine Krieger gegen die Navajos geführt hat!“

„Weil sie das Kriegsbeil gegen uns ausgegraben haben.“

„Merkt ihr da nicht, was ich sagen will? Ich wollte die Gründe eures Streites hören, und ihr habt keinen nennen können, sondern nur die Thatsache angegeben, daß die Kriegsbeile gegenseitig ausgegraben worden sind. Ist das nicht genau wie bei kleinen Kindern, welche einander bei den Haaren raufen, ohne daß sie eine triftige Veranlassung dazu haben? Wollt ihr als Kinder gelten? Soll man über euch wie über Kinder lächeln, über euch, die ihr geachtet und gefürchtet wäret, wenn ihr fest und treu zusammenhieltet? Ihr seid gegeneinander gezogen, um euch zu bekämpfen, euch zu vernichten, und es ist gut, daß eure besten Freunde, nämlich Winnetou und ich, dazugekommen sind, um euch zu sagen, was ihr eigentlich von selbst wissen solltet.“

Er ließ eine Pause eintreten, um seine Worte wirken zu lassen, und fuhr dann fort:

„Mein roter Bruder Nitsas-Ini ist nicht nur ein berühmter, tapferer Krieger, sondern auch ein umsichtiger und kluger Beherrscher seines Stammes. Er hat eingesehen, daß der rote Mann sterben muß, wenn er so bleibt, wie er jetzt ist. Darum hat er weise Entschlüsse gefaßt und sie auch ausgeführt. Er hat eine weiße Squaw genommen, die er liebt und der er vieles, sehr vieles verdankt, was er sonst nicht kennen und nicht haben würde. Er hat seinen Sohn über das Meer gesandt, damit dieser dort lernen möge, wie man aus einer Wüste ein fruchtbares Land macht. Er weiß, daß der Krieg nur Unheil bringt und das Glück nur im Frieden zu erlangen ist. Sollte er sich plötzlich geändert haben? Sollte er heut das Blut seiner roten Mitbrüder wünschen?“

„Uff, uff! Ich will es nicht!“ rief der Navajo aus.

„Das habe ich gewußt und gedacht. Wenn es anders wäre, so möchte ich nicht länger dein Freund und Bruder sein. Wie aber steht es mit Mokaschi, dem Häuptlinge der Nijoras? Er ist ausgezogen zum Kampfe, ohne einen rechten Grund dazu zu haben, und hat keinen einzigen Vorteil über seine Feinde errungen. Er muß sogar, wenn er seinen Mund die Wahrheit sprechen läßt, zugeben, daß er sich in diesem Augenblicke in einer sehr gefährlichen Lage befindet. Wird er mir das eingestehen?“

„Howgh!“ nickte Mokaschi, welcher einzusehen begann, welche außerordentlich friedlichen Absichten Old Shatterhand verfolgte.

„Und wird ein kluger Mann, wenn er mitten in solchen Gefahren steckt, noch immer den Tod seiner Gegner wünschen, die doch sein Leben in ihren Händen haben?“

„Nein.“

„Wohlan, so sind wir ja ganz gleicher Meinung. Weder Nitsas-Ini noch Mokaschi wünschen die Fortsetzung der Feindseligkeit. Es handelt sich also nur noch darum, welches Blut bisher geflossen ist und welche Rache dafür genommen werden soll. Hat Mokaschi einen Mann von seinen Kriegern verloren?“

„Nein.“

„Hat er also Rache an den Navajos zu nehmen?“

„Nein.“

„So frage ich nun dasselbe auch meinen Bruder Nitsas-Ini.“

„Khasti-tine und sein Begleiter, einer der beiden Kundschafter, sind getötet worden,“ meinte dieser ernst.

„Von den Nijoras?“

„Nein, sondern von dem Bleichgesichte, welches sich Ölprinz nennt.“

„Hast du den Tod dieser beiden Krieger also an den Nijoras zu rächen?“

„Nein.“

„Also auch hierin steht ihr euch gegenseitig gleich. Die Ungleichheit besteht nur darin, daß die Nijoras jetzt so eingeschlossen sind, daß ihr Blut fließen würde, falls es zum Kampfe käme; Nitsas-Ini hat aber erklärt, daß er kein Blut vergießen will. Eine weitere Ungleichheit besteht darin, daß Mokaschi acht Krieger der Navajos gefangen hat. Soll das nicht gegenseitig ausgeglichen werden? Die Nijoras geben die Gefangenen heraus und die Navajos lösen die Umschlingung, in welcher sich die Nijoras befinden. Dann werden die Schlachtbeile eingegraben. Ich hoffe, daß meine Brüder auf diesen Vorschlag eingehen; darum thue ich das, was ihr jetzt sehen werdet.“

Er nahm den Tabaksbeutel vom Gürtel und die Friedenspfeife von der Schnur, an welcher sie an seinem Halse hing, stopfte sie und legte sie vor sich hin. Dann fragte er Mokaschi:

„Ist der Häuptling der Nijoras mit meinem Vorschlage einverstanden?“

„Ja,“ antwortete dieser, innerlich sehr froh, auf so billige Weise aus der Gefahr, ja vom beinahe sicheren Untergange errettet zu werden.

„Und was sagt der Häuptling der Navajos dazu?“

Dieser stimmte nicht sofort ein, sondern meinte:

„Mein Bruder Old Shatterhand hat mehr für die Nijoras, als für die Navajos gesprochen.“

„Wieso?“

„Sie befinden sich in unsrer Gewalt, und es ist kein Vorteil für sie, daß sie acht Gefangene gemacht haben, denn diese Gefangenen sind schon jetzt so gut wie wieder in unsern Händen. Ich brauche nur einige meiner Krieger hinauf in das Lager der Nijoras zu senden, um diese Gefangenen loszubinden. Sag also, ob du gerecht gegen uns gesprochen hast!“

„Ja, denn ich frage dich, wem du die gute Lage, in welcher ihr euch befindet, zu verdanken hast?“

„Dir und Winnetou,“ antwortete Nitsas-Ini aufrichtig und der Wahrheit gemäß. Er war ein ehrlicher Mann.

„Ja, uns verdankst du sie. Ich sage das nicht, um mich zu rühmen, sondern um dich zu bewegen, billig gegen die Nijoras zu sein. Was sagt mein Bruder Winnetou zu meinem Friedensvorschlage?“

„Es ist so, als ob ich selbst deine Worte gesprochen hätte,“ antwortete der Apache.

„Und Mai-tso, der Wolf?“

„Ich bin ganz der Meinung Winnetous,“ stimmte dieser bei.

„So hat nur Nitsas-Ini noch sein Wort zu sagen.“

Der Genannte überflog die Aufstellung seiner Leute und diejenige der Feinde mit einem langen Blicke. Es that ihm wohl leid, auf den großen Vorteil, in welchem er sich befand, so ohne weiteres verzichten zu müssen; aber der Einfluß, welchen seine weiße Squaw nach und nach über ihn gewonnen hatte, machte sich auch jetzt geltend; er war aus einem wilden Indianer ein friedliebender und einsichtsvoller Häuptling seines Stammes geworden. Er zögerte zwar noch einige Augenblicke, erklärte dann aber doch:

„Mein Bruder Old Shatterhand mag recht behalten. Die Nijoras sollen nicht länger umzingelt sein.“

„Und du bist bereit, das Calumet mit Mokaschi zu rauchen?“

„Ja.“

Da stand Old Shatterhand auf, wendete sich gegen die Indianer und rief mit lauter Stimme:

„Die Krieger der Navajos und Nijoras mögen ihre Augen hierher richten, um zu sehen, was ihre Häuptlinge beschlossen haben.“

Er versetzte den Tabak in Brand und gab Nitsas-Ini die Pfeife. Dieser erhob sich, that sechs Züge aus der Pfeife, blies den Rauch gegen den Himmel, die Erde und die vier Windrichtungen und rief mit lauter Stimme, so daß alle Anwesenden es hören mußten:

„Die Kriegsbeile werden eingegraben; wir rauchen die Pfeife des Friedens. Die Nijoras geben die Gefangenen heraus und sind dann unsre Brüder. Dieses rauche und sage ich für alle meine Krieger. Es ist so gut, als ob sie selbst es gesagt und das Calumet dazu geraucht hätten. Ich habe gesprochen, howgh!“

Die Navajos waren höchst wahrscheinlich nicht sehr erbaut über diesen Ausgang der Verhandlung. Sie befanden sich so im Vorteile, daß es ihnen wohl schwer wurde, dasselbe so leichthin aufzugeben; aber die Disziplin verhinderte sie, widerspenstig zu sein, zumal ihnen der Gebrauch des Calumetrauchens so heilig war, daß sie es nicht gewagt hätten, an dem Beschlusse ihres Häuptlings zu rütteln.

Dieser gab die Friedenspfeife an Mokaschi, welcher sich auch erhob, die gleichen sechs Züge that und dann ebenso laut wie Nitsas-Ini verkündete:

„Hört, ihr Krieger der Navajos und Nijoras, der Tomahawk des Krieges ist wieder in die Erde versenkt. Die Männer der Navajos öffnen den Kreis, mit dem sie uns umschlossen haben, und sind dann unsre Brüder. Ich habe das mit dem Calumet bestätigt und es ist ganz so, als ob meine Krieger es gesagt und die Pfeife dazu geraucht hätten. Ich habe gesprochen, howgh!“

Niemand war froher als die Nijoras, die einen so glücklichen Ausgang der für sie so gefährlichen Angelegenheit kaum für möglich gehalten hatten. Old Shatterhand, Winnetou und Wolf mußten als Zeugen des Vertrages auch die sechs Züge aus der Pfeife thun, brauchten aber keine Rede dazu zu halten.

Jetzt war die Sitzung beendet und die vorher so feindliche Situation verwandelte sich in eine friedliche. Die Navajos ließen die Nijoras aus ihrer Umschlingung frei, und da es hier am Flusse an Raum mangelte, so begaben sich Freund und Feind hinauf zum Lager der Nijoras, um dort das Friedensfest zu feiern und vor allen Dingen die Gefangenen zu befreien. Winnetou, Old Shatterhand und Wolf gingen auch nach oben, wo ihre Anwesenheit zunächst notwendig war; die andern Weißen aber blieben noch unten. Sie waren alle froh, daß die Feindseligkeit ein solches Ende genommen hatte.

Bald waren sie alle in lebhafter Unterhaltung über das eben Erlebte, besonders Frank und Frau Rosalie kamen in ein eifriges Zwiegespräch, an dem auch Adolf Wolf kurze Zeit teilnahm, doch bald trennte er sich wieder von den beiden, um seinen Onkel aufzusuchen, der sich oben auf dem hohen Ufer im Lager befand. Als er an die Furt kam, begegnete er den Navajos, welche ihre Pferde aus den Verstecken geholt hatten und sie auch hinaufschaffen wollten. Ihr Häuptling leitete diese Arbeit und Winnetou und Old Shatterhand standen bei ihm. Da erschien ein Reiter oben am Rande der Furt; er sah die Genannten stehen und rief herab:

„Mr. Shatterhand, gut, daß ich Euch sehe! Darf ich da hinab?“

„Mr. Rollins!“ antwortete der Gefragte. „Ihr hier? Ihr solltet doch bei dem Kantor bleiben, bis ich einen Boten sende. Warum habt Ihr Euch davongemacht?“

„Werde es Euch gleich sagen. Also, darf ich hinunter zu Euch?“

„Ja.“

Er kam langsam herabgeritten, sprang dann von seinem Pferde und rief in erregtem Tone:

„Wäre ich doch nicht dort geblieben, sondern mit Euch geritten! Wenn Ihr wüßtet, was ich erlebt habe!“

„Was habt Ihr denn erlebt? Was ist geschehen? Ihr seht ja außerordentlich echauffiert aus.“

„Ist auch kein Wunder. Bin an den Baum gebunden gewesen.“

„Ihr? Das war doch der Kantor!“

„Ja, erst; dann aber kam er los und ich wurde angebunden.“

„Von wem denn?“ fragte Old Shatterhand verwundert.

„Von dem Ölprinzen. Dieser Halunke hat mir meine Anweisung wieder abgenommen.“

„Der Ölprinz? Alle Wetter! Wie ist das geschehen? Erzählt es doch, schnell!“

Der Bankier berichtete, was geschehen war.

„Mann,“ rief dann Old Shatterhand aus, „das habt Ihr schlau, sehr schlau angefangen! Warum habt Ihr denn den Wisch nicht vernichtet!“

„Jawohl, Ihr habt recht; jetzt bereue ich es bitter. Verschafft mir den Zettel wieder, Sir; ich bitte Euch inständigst darum!“

„Ja, erst macht Ihr die Fehler, und dann soll ich sie ausbessern! Die Kerls mögen meinetwegen reiten, wohin sie wollen. Hättet Ihr die Dummheit nicht gemacht!“

Da fiel Nitsas-Ini ein:

„Sie werden nicht reiten, wohin sie wollen. Der Ölprinz hat meine beiden Kundschafter ermordet; ich muß ihn haben. Werden Old Shatterhand und Winnetou mir nicht dabei helfen?“

Winnetou nickte und Old Shatterhand sagte:

„Ich habe im Unmute gesprochen. Es versteht sich ganz von selbst, daß wir die Kerls haben müssen. Habt Ihr denn gesehen, wohin sie ritten?“

„Ja.“

„Nun, nach welcher Richtung?“

„Stromaufwärts, dahin, woher sie gekommen waren und woher auch wir gekommen sind.“

„Also ist es doch so! Sie sind den Spuren der Navajos gefolgt, um Wolf zu überfallen und ihm die Schrift abzunehmen. Durch Zufall sind sie aber viel leichter dazu gekommen. Wie lange ist das her?“

„Sehr lange. Dieser Kantor sollte mich losmachen, that es aber nicht.“

„So müssen wir uns schleunigst auf den Weg machen.“

„Stromaufwärts?“ fragte der Häuptling,

„Ja, denn wir dürfen ihre Fährte keinesfalls vernachlässigen; sie sind aber jedenfalls stromabwärts geritten.“

„Aber dieser Mann behauptet doch das Gegenteil!“

„Rollins hat auch recht; die Banditen sind aufwärts, aber nur eine Strecke.“

„Und dann wieder abwärts?“

„So hätten sie ja hier vorüber gemußt!“

„Nein. Sie sind hinüber nach dem andern Ufer.“

„Uff! Hat mein Bruder Grund, dies zu denken?“

„Ja. Sie haben das Papier und wollen nach San Francisco. Da müssen sie nach dem Colorado hinunter, ganz denselben Weg, den sie ritten, als sie in euerm Lager waren. Hier konnten sie nicht vorbei, weil sie von dem Kantor erfahren haben, daß wir hier sind. Sie sind also aufwärts zurück bis dahin, wo wir gestern lagerten, und dann über den Fluß hinüber. Mein roter Bruder mag mit einer Schar seiner Leute schnell abwärts reiten, bis er eine Stelle findet, an welcher er über den Fluß hinüber kann. Ist er drüben, so wird er nach ihrer Fährte suchen und dabei sehen, ob sie aus dieser Gegend schon fort sind.“

„Sie werden unbedingt fort sein!“

„Nein. Es steht zu vermuten, daß sie irgendwo da drüben stecken, um zu sehen, wie der Überfall hier abläuft. Mein Bruder muß ihnen so breit wie möglich den Weg verlegen, daß sie ja nicht vorüber können.“

„Und was wird Old Shatterhand thun?“

„Ich werde mit Winnetou aufwärts reiten, um ihrer Spur zu folgen. Da diese mit der unsrigen zusammenfällt, so ist sie außerordentlich schwer zu lesen; daher müssen wir diesen Weg selber machen; wir können uns auf keinen andern verlassen. Natürlich aber reiten wir nicht allein, sondern wir nehmen auch Begleiter mit.“

„Ich habe diesen Hunden doch Späher entgegengesandt! Sie müssen von ihnen nicht bemerkt worden sein.“

„Es ist auch noch andres möglich. Entweder haben sie sie getäuscht oder sie gar getötet.“

„Wenn dies der Fall ist, dann müssen sie am Marterpfahle sterben!“

„Erst wollen wir sie fangen, und erst dann können wir über ihren Tod sprechen. Mein roter Bruder mag sofort aufbrechen und ja nichts versäumen!“

Da erschien wieder ein Reiter oben an der Furt. Er sah die Personen auch und fragte ebenso wie vorhin der Bankier, ob er herunterkommen dürfe.

„Ja, kommen Sie!“ antwortete Old Shatterhand, indem es in seinen Augen wenig verheißungsvoll flimmerte.

Der Kantor kam herab.

„Da bin ich wieder,“ sagte er ahnungslos. „Wo sind die andern Deutschen?“

„Da, wohin Sie nicht kommen werden, damit Sie nicht wieder Unheil anrichten können, Sie Verräter!“

„Verräter? Wieso?“

„Sie haben dem Ölprinz gesagt, wo Mr. Rollins das Papier hat.“

„Ja, das habe ich. Sie fragten mich und da konnte ich sie doch nicht belügen.“

„Man kann klug sein, ohne zu lügen, Sie Dummkopf und Faselhans! Ich diktiere Ihnen Ihre Strafe: Sie werden wieder angebunden!“

„Das werde ich nicht; ich dulde das nicht. Sie haben keine Gewalt über mich!“

„Sogar sehr. Ich werde es Ihnen gleich beweisen.“

Er sagte zu einigen Navajos ein paar Worte, welche der Kantor nicht verstand; da nahmen sie ihn und sein Pferd zwischen sich und schafften ihn hinauf ins Lager, wo er trotz alles Sträubens wirklich angebunden wurde. Nach kurzer Zeit jagte Nitsas-Ini mit zwanzig seiner Krieger stromabwärts; Mokaschi, sein nunmehriger Freund, hatte sich ihm mit auch zwanzig Nijoras angeschlossen. Winnetou und Old Shatterhand dagegen ritten stromaufwärts. Bei ihnen befanden sich Sam Hawkens, Dick Stone, Will Parker und zehn Navajokrieger. Frank und Droll hatten auch mitgewollt, waren aber von Old Shatterhand vermocht worden, zurückzubleiben, um mit Wolf darauf zu achten, daß im Lager nichts vorkomme, was später gerügt werden müsse.

Die Frauen saßen noch unten am Wasser beisammen; die weiße Squaw war bei ihnen, ihre Männer natürlich auch. Sie sprachen von ihrer Zukunft, von ihren früheren Plänen und was durch die Ereignisse der letzten Zeit an diesen geändert worden war. Da kam Wolf von oben herab, um nach ihnen zu sehen. Die Squaw, welche, wenn sie deutsch mit ihm sprach, ihn Sie nannte, aber du zu ihm sagte, wenn sie indianisch mit ihm redete, winkte ihn näher zu sich hin und sagte:

„Wir sprechen von dem Vorhaben dieser unsrer Landsleute. Sie sind herübergekommen, um sich eine Heimat hier zu gründen. Mittel besitzen sie nicht; nur Ebersbachs haben Geld und wollen die andern damit unterstützen. Was sagen Sie dazu? Ich werde mit meinem Manne darüber sprechen, sobald er Zeit dazu hat.“

„Das ist nicht nötig,“ lächelte er.

„Warum?“

„Weil ich es schon gethan habe.“

„Sie haben mit ihm davon gesprochen?“

„Ja.“

„Und was hat er gesagt?“

„Er will Ihnen eine Freude bereiten dadurch, daß er diese Deutschen in seinem Gebiete behält.“

„Das ist schön! Das freut mich herzlich! Ich weiß, daß er mir meinen Wunsch jedenfalls erfüllt hätte; aber daß er meine Bitte nicht erst abgewartet hat, das ist mir doppelt lieb. Wie haben Sie sich denn nun die Sache gedacht?“

„Sehr einfach. Diese Leute bekommen Land geschenkt, so viel sie brauchen; es ist ja mehr als genug davon da, Waldland, Ackerland, Weideland, ganz wie sie es wünschen; sie können es sich aussuchen. Dann veranstalten wir einen Ritt nach Guayolote oder La Tinajo hinüber, wo wir Ackergeräte und alle nötigen Werkzeuge bekommen werden. Für Pferde, Kühe und andre Weidetiere werden wir auch sorgen, und beim Bau ihrer Wohnungen werden ihnen alle unsre Männer und Squaws gern helfen, so daß sie sehr bald eingerichtet sein können. Nur hat die Sache freilich einen Haken.“

„Einen Haken? Wirklich?“ fragte sie, ein wenig beunruhigt.

„Ja, einen bösen, schlimmen Haken,“ lächelte er wieder.

„Was wäre das wohl?“

„Eine Frage, auf deren Beantwortung alles ankommt.“

„Welche Frage ist es denn? So reden Sie doch nur!“

„Es ist die Frage, ob sie auch wollen.“

„Ah!“ seufzte sie erleichtert auf. „Ich wollte schon ängstlich werden.“

„Was nützt es, wenn Sie von uns alles bekommen sollen, aber nichts haben wollen! Wie steht es denn in dieser Beziehung?“

Diese Frage war an die Deutschen gerichtet; diese antworteten natürlich mit einem freudigen Ja. Besser konnten sie es ja gar nicht wünschen. Daß sie Land und alles, was sie brauchten, geschenkt bekommen würden, das hätten sie, wenn es ihnen früher gesagt worden wäre, nicht für möglich gehalten und also nicht geglaubt. Frau Rosalie, welche gern für die andern sprach, drückte die weiße Squaw an sich, reichte Wolf die Hand und rief aus:

„Jetzt soll mir jemand sagen, daß die Wilden nich viel besser sind, als die gebildeten Leute bei uns derheeme! Keen Mensch bei uns drüben is so human, eenem armen Teufel een solches Geschenk zu machen und noch dazu een so großes. Drüben würde uns niemand ooch nur das kleenste Feld- oder Gartenbeet anbieten und hier bekommen wir gleich so viel, daß wir een Rittergut droffsetzen können, und das Vieh und Haus und Hof mit den Gerätschaften dazu! Ich halte es von jetzt an mit den Indianern und nich mehr mit den Weißen. Hoffentlich wird der Kantor nich ooch mit dableiben wollen! Da könnte uns das ganze Glück in den Brunnen fallen.“

„Nein, den bringen wir fort,“ versicherte Wolf. „Dieser Pechvogel würde uns nur Unglück bringen. Es wird Ihnen bei uns gefallen. Wir haben große Kulturpläne und da kommen Sie uns eben recht; nun wird Ihnen unsre Freigebigkeit erklärlich sein. Schi-So und mein Neffe sollen das Werk, welches wir begonnen haben, später zu Ende führen. Wir werden beweisen, daß der rote Mann dem Weißen gleichgestellt werden darf. Doch halt! Was war das da drüben jenseits des Flusses? War das nicht ein Schrei? Das klang genau wie der Todesschrei eines Menschen. Sollte der Ölprinz mit seinen beiden Kerls da drüben stecken und schon mit unsern Leuten in Kampf geraten sein? Das ist doch aber nicht möglich!“

Da kam der Hobble-Frank gelaufen. Er hatte den Schrei auch gehört und wollte fragen, ob Wolf ihn vernommen habe. Nach kurzer Zeit kam Adolf Wolf in ganz derselben Absicht.

„Onkel, da drüben schrie jemand. Hast du es gehört?“

„Wir alle haben es gehört,“ antwortete ihm der Hobble. „Es war een anthropologisch menschlicher Schrei, keen animalisch zoologisch tierischer. Wallen und wandeln Sie mit mir hinauf ins Lager. Die Roten haben Feuer angebrannt und braten daran ihr Fleesch, daß das ganze Flußthal davon duftet. Wahrscheinlich sind sie so reserviert, daß sie uns ooch een Schtück davon karambolieren.“

Er nahm Adolfs Arm in den seinen und zog ihn mit sich fort.

Was den Schrei betrifft, welcher für den Todesschrei eines Menschen gehalten worden war, so hatte es mit demselben seine Richtigkeit. Der Ölprinz war mit seinen beiden Begleitern ganz so, wie Old Shatterhand es vermutet hatte, am Flusse aufwärts bis zum letzten Lagerplatze der Navajos geritten und dort an das andre Ufer gegangen. Ihre Absicht war, da drüben abwärts zu reiten, um nach dem Colorado zu kommen; aber dann fiel es ihnen ein, daß es doch vielleicht geraten sei, zu wissen, welcher von den beiden Stämmen über den andern den Sieg erringen werde. Sie blieben also in der Nähe des Ufers und suchten sich, als sie der Mündung des Winterwassers gegenüber angekommen waren, einen Platz, von welchem aus sie die Vorgänge da drüben beobachten konnten, ohne selbst gesehen zu werden.

Aber sie hatten einen weiten Umweg machen müssen, bei welchem so viel Zeit vergangen war, daß sie schon zu spät kamen. Die Entscheidung, das heißt die Versöhnung der beiden Stämme war schon vorüber; die Roten hatten sich nach dem Lager oben zurückgezogen, wo sie von drüben aus nicht gesehen werden konnten, und so bemerkten die drei Banditen nur die weißen Frauen und Männer, welche plaudernd am Wasser saßen und die ebenfalls weißen Personen, welche da ab- und zugingen. Sie wurden dadurch der Meinung, daß die Entscheidung noch nicht gefallen sei, und blieben länger liegen, als mit ihrer Sicherheit zu vereinbaren war. Sie ahnten nicht, daß Old Shatterhand schon hinter ihnen war und Nitsas-Ini ihnen mit seinen vierzig Roten den Weg verlegt hatte.

Wie schon längst erwähnt, hatten der Ölprinz und Buttler sich Pollers nur zu ihren Zwecken bedient und wollten sich dann später seiner entledigen. Daß dies nur durch einen Mord geschehen könne, wenn sie sich nicht für später gefährden wollten, das stand bei ihnen fest. jetzt glaubten sie die Zeit gekommen und zogen sich von ihm zurück, um sich darüber zu besprechen. Aber Poller war kein schlechter Beobachter und hatte aus ihren Blicken und Mienen geschlossen, daß sie ihm nicht wohlgesinnt seien; er empfand das Gefühl, daß für ihn eine Gefahr in der Luft liege, und beobachtete sie nun schärfer. Da fiel es ihm auf, daß sie sich jetzt beide zugleich von ihm entfernten. Er kroch unter den Büschen ihnen nach und sah sie nahe beisammenstehen und leise miteinander sprechen. Es gelang ihm, so weit an sie heranzukommen, daß er nur zwei Schritte von ihnen entfernt war, konnte aber ihre Worte nicht verstehen, bis der Ölprinz etwas lauter sagte.

„Jetzt ist die beste Gelegenheit. Er bekommt ganz unerwartet das Messer und bleibt hier liegen. Finden ihn dann die Weißen, so denken sie, daß er von den feindlichen Roten erstochen worden ist.“

Er merkte wohl, daß nur er gemeint sein könne, und war so entrüstet darüber, daß er vergaß, vorsichtig zu sein, und sich plötzlich vor ihnen aufrichtete.

„Was, ihr wollt mich erstechen, ihr elenden Halunken!“ herrschte er sie an. „Ist das der Dank für das, was –“

Er konnte nicht weiter sprechen. Sie hörten, daß ihre Absicht verraten war; nun nur nicht weiter zögern. Sie verständigten sich durch einen einzigen kurzen Blick, dann hatte ihn Buttler mit einem schnellen Griffe gepackt und Grinley stieß ihm das Messer in die Brust. Die Klinge traf so gut, daß er nur den erwähnten Todesschrei ausstoßen konnte und dann leblos zusammenbrach. Sie raubten ihn aus und ließen ihn liegen, um dann wohl noch eine Stunde lang die Mündung des Winterwassers zu beobachten.

Als da drüben noch immer nichts geschah, fiel ihnen ein, daß ihre Zeit doch zu kostbar sei, als daß sie hier noch länger liegen könnten. Sie stiegen auf, nahmen Pollers Pferd am Zügel, wendeten sich hinaus auf die freie Ebene und ritten davon.

Nur fünf Minuten später kam Old Shatterhand mit Winnetou und den andern. Diese scharfsinnigen Leute hatten alle Schwierigkeit überwunden und die Fährte, obgleich dieselbe mit der alten Spur zusammenfiel, bis hierher verfolgt. Sie sahen die Eindrücke und auch die Leiche.

„Mein Gott, das ist Poller!“ rief Old Shatterhand entsetzt aus, indem er ihn sogleich untersuchte. „Sie haben ihn ermordet, um ihn loszuwerden. Er ist tot und hat nun seinen Lohn dahin! Hier haben sie gelegen, um uns drüben zu beobachten und – – –“

„Mein Bruder mag sich nicht verweilen,“ unterbrach ihn Winnetou. „Sie sind vor kaum fünf Minuten fort. Hier geht ihre Spur hinaus ins Freie. Schnell ihnen nach!“

Sie zogen die Pferde hinter sich her und stiegen dann, als sie das Gebüsch hinter sich hatten, auf, um den beiden Mördern im Galopp zu folgen. Nach zehn Minuten sahen sie sie vor sich auf der freien Ebene. Zufälligerweise blickte Buttler sich um und bemerkte die Verfolger.

„Um Gotteswillen, Old Shatterhand und Winnetou mit Weißen und Roten!“ rief er aus. „Fort, fort, im Galopp!“

Sie spornten ihre Pferde an, aber die Verfolger kamen schnell näher.

„So ist es nichts; sie holen uns ein,“ schrie der Ölprinz. „Hier im Freien entkommen wir nicht. Wir müssen ins Gebüsch!“

Sie lenkten nach links einer Buschspitze zu, welche sich als grüne Zunge in die Ebene zog. Es war dasselbe Gesträuch, in welchem sie die Navajospäher ermordet hatten.

Inzwischen war von Nitsas-Ini die ganze Ebene mit seinen Roten besetzt worden. Da die Verfolgten auch in der Nähe des Flusses unter den Bäumen herabkommen konnten, drang er mit einigen Kriegern dort ein und ging mit ihnen langsam aufwärts; die Pferde hatten sie als hinderlich zurückgelassen. Sie kamen auch nach der Buschspitze und fanden die noch bemerkbaren Spuren. Denselben nachgehend, trafen sie die Leichen ihrer beiden Späher.

Ein fürchterlicher Grimm bemächtigte sich des Häuptlings. Er öffnete bereits den Mund, um demselben Worte zu geben, da hörten sie Hufschlag. Sie eilten nach dem Rande des Gebüsches und sahen die Flüchtlinge, hinter sich die Verfolger, herangesprengt kommen. Der Häuptling hatte ihnen den Marterpfahl angedroht; aber die Wut, welche ihn ergriffen hatte, ließ ihn nicht daran denken – zum Glücke für sie, denn ein plötzlicher Tod war für sie besser.

„Sie kommen, die Hunde!“ rief er aus. „Gebt ihnen eure Kugeln!“

Er sprang aus dem Gebüsch heraus; seine Leute folgten ihm. Sie legten ihre Gewehre an. Der Ölprinz und Buttler sahen die roten Gestalten vor sich auftauchen.

„Alle Teufel!“ knirschte der erstere. „Vor uns Feinde und hinter uns Feinde! Ist das nicht der Busch, in welchem wir die zwei Navajos kalt machten?“

„Ja,“ antwortete Buttler. „Was thun? Rechts seitwärts ausbrechen?“

Sie hielten ihre Pferde für einen kurzen Augenblick an; das war genug; es gab ein festes Zielen. Die Schüsse der Navajos krachten; die Pferde der beiden Mörder bäumten sich und schossen dann mit ihren zu Tode getroffenen Reitern vorwärts, den Büschen zu und zwischen dieselben hinein, bis sie mit den losen Zügeln hängen blieben; da fielen die Erschossenen herab, gerade neben ihre Opfer hin.

Nur einige Augenblicke später kam Old Shatterhands Trupp. Sie stiegen vor dem Gebüsch ab und drangen in dasselbe ein. Da sahen sie den Häuptling mit seinen Leuten bei den vier Leichen stehen. Sie begriffen sofort, was jetzt und vorher hier geschehen war.

„Welch ein Gericht!“ sagte Old Shatterhand, den es schauderte. „Gerade hier, an derselben Stelle, wo sie mordeten, hat sie die Strafe ereilt. Gott ist gerecht.“

„Und ich war zu schnell,“ fügte der Häuptling hinzu. „Sie sollten zu Tode gemartert werden. Diese schnelltötenden Kugeln sind keine Strafe für sie. Nehmt die Leichen unsrer ermordeten Brüder und bindet sie auf die Pferde. Sie sollen oben, wo wir lagern, als tapfere Söhne der Navajos begraben werden. Diese weißen Hunde aber mögen hier liegen bleiben, um von den Aasgeiern zerrissen zu werden!“

Da flüsterte Sam Hawkens Old Shatterhand zu:

„Wir gehen heimlich her und begraben sie, wenn ich mich nicht irre. Sie waren Verbrecher, aber doch auch Menschen.“

Ein stilles, zustimmendes Nicken zeigte, daß der Jäger damit einverstanden war.

Die andern Roten wurden alle herbeigeholt; dann setzte sich der Trupp mit den beiden Leichen in Bewegung, an einer passenden Stelle über den Fluß hinüber und dann dem Lager zu. Dort verwandelte der Anblick der Toten das Freuden- und Versöhnungsfest in eine Trauerfeier. Dumpfe Klagetöne erschollen, bis am Abende zwei hohe Steinhügel sich über den von ihnen eingeschlossenen Ermordeten erhoben.

Die Stämme der Navajos und Nijoras blieben noch zwei Tage beisammen; dann trennten sie sich. Die Weißen zogen natürlich mit den ersteren fort, hinauf nach dem Rio de Chaco, wo der Stamm seine Hütten und Zelte hatte. Dort wurden die berühmten Westmänner mit Freuden und die deutschen Auswanderer mit großer Gastfreundlichkeit aufgenommen.

Und was dann geschah? Darüber könnte man noch Bücher schreiben. Nitsas-Ini hielt Wort. Die vier Familien erhielten alles, was Wolf ihnen an der Mündung des Winterwassers versprochen hatte, und es kam so, wie Frau Rosalie Ebersbach gesagt hatte: Sie hätten auf die ihnen geschenkten Ländereien Rittergüter setzen können. Nie wurde ihr gutes Einvernehmen mit den Navajos getrübt, denn der alte Nitsas-Ini hatte eine weiße, deutsche Frau und der junge Häuptling Schi-So war fast eher ein Deutscher als ein Indianer zu nennen.

Die Westmänner blieben längere Zeit da, um den vier Haushaltungen so eingehend wie möglich mit Rat und That beizustehen, und nahmen dann, allerdings nicht für immer, Abschied von den weißen und roten Freunden. Sie gingen hinüber nach Kalifornien und erlebten während dieses Rittes gar mancherlei seltsame Abenteuer. In San Francisco trennten sich die andern von der Tante Droll und dem Hobble-Frank, denn diese beiden glaubten, den unerfahrenen und faseligen Kantor nach Hause begleiten zu müssen. Beim Abschied fragte Sam Hawkens:

„Wann wird man euch denn einmal wiedersehen, ihr beiden größten Helden des wilden Westens, hihihihi?“

„Wenn du dich gebessert hast, alter pränumerander Schäker du,“ antwortete der Hobble. „Schreib mir ‚mal eenen Brief nach meiner Villa Bärenfett. Es würde mich sehr protegieren, zu hören, daß du dich hier im Westen gut soufflierst!“

Und die zwölfaktige Heldenoper? Wenn die ersten drei Takte davon fertig sind, werde ich es sofort melden.

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Im Mogollongebirge

Im Mogollongebirge

Am kleinen Rio San Carlos, einem Nebenflusse des Rio Gila, stand ein Rancho, welcher nach seinem damaligen Besitzer Forners Rancho genannt wurde. Es gehörte diesem Amerikaner eine große Strecke Weidelandes; zur Feldwirtschaft war nur der am Flusse gelegene Teil desselben geeignet. Das Haus war nicht groß, aber sehr stark aus Steinen gebaut und von einer ebenso starken, doppelt mannshohen Mauer umgeben, welche in regelmäßigen Zwischenräumen von schmalen Schießscharten unterbrochen wurde, hier in dieser abgelegenen und gefährlichen Gegend eine sehr notwendige Einrichtung. Der Hof, welchen diese Mauer umschloß, war so groß, daß Forner im Falle einer Feindseligkeit von seiten der Indianer seinen ganzen Viehbestand in denselben zu retten vermochte.

Es war jetzt die beste Jahreszeit; die Steppe trug dichtes, grünes Gras, in welchem sich zahlreiche Rinder und Schafe gütlich thaten; auch einige Dutzend Pferde weideten im Freien, von mehreren Knechten bewacht, welche, ihres friedlichen Amtes waltend, miteinander Karten spielten. Das breite, gegen den Fluß gerichtete Mauerthor stand weit offen. Eben jetzt erschien der Ranchero unter demselben, eine echte, sehnige und kräftige Hinterwäldlergestalt. Er überflog mit scharfem aber zufriedenem Blicke die weidenden Herden und beschattete dann seine Augen mit der Hand, um hinaus in die Ferne zu sehen. Da nahm sein Gesicht den Ausdruck der Spannung an; dann wendete er sich um und rief über den Hof hinüber:

„Hallo, Boy, stell‘ die Brandyflasche bereit! Es kommt einer, der ihr auf den Boden sehen wird.“

„Wer?“ fragte derjenige, dem dieser Ruf gegolten hatte, nämlich sein Sohn, dessen Gesicht an einem Fenster des Hauses erschien.

„Der Ölprinz.“

„Kommt er allein?“

„Nein. Es sind zwei Reiter mit einem Packpferde bei ihm.“

Well; wenn sie ebenso trinken wie er, kann ich lieber gleich mehrere Flaschen herausstellen.“

Vor dem Hause lagen zehn oder zwölf Steinquader, welche so geordnet waren, daß der größte, mittelste, den Tisch vorstellte, während die andern, kleineren, als Sessel dienten. Der Sohn kam bald aus dem Hause und stellte drei volle Schnapsflaschen nebst einigen Gläsern auf diesen Tisch; dann schritt er über den Hof herüber, um den Ankömmlingen an der Seite des Vaters entgegenzusehen.

Diese hatten das jenseitige Ufer des Flüßchens erreicht und trieben ihre Pferde in das nicht tiefe Wasser desselben.

„Ist’s möglich!“ meinte da Forner erstaunt. „Aber wahrscheinlich irre ich mich. Wüßte wirklich nicht, was diesen Mann aus dem sichern Arkansas in diese haltlose Gegend führen könnte.“

„Wen?“ fragte der Sohn.

„Master Rollins in Brownsville.“

„Etwa der Bankier, mit welchem du damals zu thun hattest?“

„Ja. Und wahrhaftig, er ist’s; ich irre mich nicht! Bin großartig neugierig, zu erfahren, was er hier im wilden Arizona zu suchen hat.“

Die Reiter hatten das diesseitige Ufer erreicht und hielten nun im Trabe auf den Rancho zu. Der vorderste von ihnen rief schon von weitem:

Good morning, Master Forner! Habt Ihr einen kräftigen Schluck übrig für drei Gentlemen, welche vor Durst fast von den Pferden fallen?“

Der Sprecher war ein langer, hagerer und sehr gut bewaffneter Mann, dessen außerordentlich scharf geschnittenes Gesicht von der Sonne verbrannt und von Wind und Wetter gegerbt worden war. Er trug einen für diese Gegend geradezu eleganten Anzug, welcher aber gar nicht zu ihm zu passen schien.

Der zweite Reiter war ein ältlicher Herr von behäbigem Aussehen. Der schnelle Morgenritt schien ihn angestrengt zu haben; er schwitzte. An seinem Sattel hing ein schönes Jagdgewehr. Ob er noch andre Waffen – wohl in den Taschen – bei sich hatte, sah man nicht, da er keinen Gürtel trug. Desto deutlicher aber sah man seinem ganzen Habitus an, daß ihm der wilde Westen fremd oder doch wenigstens nicht anheimelnd war. Er schien sich ungefähr in derselben Lage wie eine Landratte auf hoher See zu befinden.

Der dritte Ankömmling war ein junger, blonder und kräftiger Mann, welcher zwar nicht wie ein erfahrener Westmann auf dem Pferde saß, aber doch wenigstens ein guter Promenadenreiter war. Er hatte ein offenes, sympathisches Gesicht, welches leicht gebräunt war. Seine Waffen bestanden aus einem Gewehre, einem Bowiemesser und zwei Revolvern.

„Mehr als einen Schluck!“ antwortete Forner. „Welcome, Mesch’schurs! Steigt ab und laßt es euch bei mir gefallen!“

Der behäbig aussehende Herr hielt sein Pferd an, musterte den Ranchero einige Sekunden lang und sagte dann:

„Mir ist’s, also ob wir uns schon gesehen hätten, Sir. Forners Rancho! Also heißt Ihr Forner. Seid Ihr vielleicht bei mir in Brownsville gewesen? Ich heiße Rollins, und dieser junge Sir hier an meiner Seite ist Mr. Baumgarten, mein Buchhalter.“

Forner verbeugte sich gegen die beiden und antwortete:

„Natürlich haben wir uns gesehen, Sir. Ich hatte meine Ersparnisse bei Euch stehen und holte sie mir, ehe ich nach Arizona ging. Nur war es keine so hohe Summe, daß Euch meine Person hätte auffallen und im Gedächtnis bleiben müssen. Also kommt herein! Mein Brandy ist so gut, wie sonst irgend einer, und einen Imbiß könnt Ihr auch haben, wenn Ihr keine großen Ansprüche macht. Wie lange gedenkt Ihr hier zu bleiben, Master Grinley?“

„Bis die heißeste Mittagszeit vorüber ist,“ antwortete der, welcher Ölprinz genannt worden war, denn an diesen hatte Forner seine Frage gerichtet.

Die Pferde wurden abgesattelt und durften auf die Weide gehen. Die Reiter nahmen auf und an den erwähnten Steinen Platz. Grinley goß sich sofort ein Glas voll Brandy und leerte es in einem Zuge; schon nach kurzer Zeit hatte er der Flasche auf den Boden gesehen. Der Bankier mischte den Branntwein mit Wasser, während Baumgarten nur Wasser trank. Forner, Vater und Sohn, hatten sich in das Haus zurückgezogen, um von ihren einfachen Vorräten den Gästen ein Essen zu bereiten.

Von ihnen allen konnte keiner sehen, daß jetzt abermals zwei Reiter über den Fluß kamen und sich dem Rancho näherten. Sie hatten jedenfalls einen weiten Ritt hinter sich, und ihre Pferde waren sehr ermüdet. Diese beiden Männer waren Buttler, der Anführer der zwölf Finders, und Polier, der entlassene Führer der deutschen Auswanderer. Indem sie sich dem offenen Thore näherte, fragte Polier:

„Bist du wirklich überzeugt, daß der Ranchero dich nicht kennt? Du hast ihn mir als einen ehrlichen Kerl beschrieben, und ich nehme also an, daß der Name Buttler bei ihm Anstoß erregen würde.“

Man sieht, die beiden waren so vertraut miteinander geworden, daß sie sich jetzt du nannten. Buttler antwortete:

„Er hat mich nie gesehen. Nur mein Bruder ist oft bei ihm gewesen.“

„Der aber natürlich auch Buttler heißt!“

„Allerdings, aber er hat sich hier stets Grinley genannt.“

„Das war klug. Aber Brüder pflegen sich ähnlich zu sehen. Wahrscheinlich ist dies bei euch auch der Fall?“

„Nein. Wir sind Stiefbrüder und stammen von verschiedenen Müttern.“

„Weißt du, wo er sich jetzt befindet?“

„Nein. Als wir uns trennten, ging ich südwärts, um die Gesellschaft der Finders zu gründen; er aber war unentschlossen, wohin er sich wenden würde. Wer weiß, wo wir uns einmal wiedertreffen, wenn wir überhaupt in diesem Leben–alle Wetter, dort sitzt er ja!“

Die beiden waren in diesem Augenblicke unter dem Thore angekommen und sahen die drei Fremden im Hofe sitzen.

Buttler erkannte sofort Grinley, seinen Bruder, und hielt erstaunt sein Pferd an. Grinleys Blick fiel zu gleicher Zeit nach dem Thore. Er erkannte Buttler und hatte trotz seiner Überraschung die Geistesgegenwart, die Hand schnell auf den Mund zu legen, was eine Aufforderung zum Schweigen ist.

„Ja, er ist es,“ fuhr Buttler fort, indem er sein Pferd wieder in Bewegung setzte und in den Hof ritt. „Sahst du das Zeichen, welches er mir gab? Wir dürfen ihn nicht kennen.“

Sie stiegen von ihren Pferden, ließen dieselben laufen und näherten sich den Steinen, gerade als die beiden Forners aus dem Hause kamen, um ihren Gästen Fleisch und Brot zu bringen. Sie grüßten und fragten, ob es erlaubt sei, sich mit niederzusetzen. Es wurde ihnen natürlich nicht versagt, und sie aßen und tranken mit, ohne daß man sie nach ihren Namen und sonstigen Verhältnissen oder Absichten fragte.

Die beiden Brüder, welche sich nicht kennen durften, beabsichtigten ganz selbstverständlich, sich gegen einander auszusprechen; dies mußte aber heimlich geschehen. Darum stand Grinley nach dem Essen auf und sagte, er wolle hinter das Haus gehen und sich dort im Schatten niederlegen, um ein wenig auszuruhen. Buttler folgte ihm nach einiger Zeit so unauffällig und unbefangen wie möglich. Die andern blieben sitzen.

Und wieder kamen zwei Reiter, aber nicht jenseits des Flusses, sondern am diesseitigen Ufer entlang. Sie waren sehr gut beritten. Wären ihre Figuren andre gewesen, so hätte man sie von weitem für Old Shatterhand, den berühmten Prairiejäger, und für Winnetou, den ebenso berühmten Häuptling der Apachen, halten können. Aber sie waren beide von zu kleiner Gestalt, der eine dick und der andre schmächtig.

Der Schmächtige trug lederne ausgefranste Leggins und ein ebenso ausgefranstes ledernes Jagdhemde, dazu lange Stiefel, deren Schäfte er über die Kniee emporgezogen hatte. Auf seinem Kopfe saß ein sehr breitkrämpiger Filzhut. In dem breiten, aus einzelnen Riemen geflochtenen Gürtel steckten zwei Revolver und ein Bowiemesser. Von der linken Schulter nach der rechten Hüfte hing ein Lasso und am Halse an einer seidenen Schnur eine indianische Friedenspfeife. Quer über dem Rücken hatte er zwei Gewehre, ein langes und ein kurzes. Genau so pflegte sich Old Shatterhand zu kleiden. Auch er besaß zwei Gewehre, den gefürchteten Henrystutzen und den weltbekannten langen, schweren Bärentöter.

Während dieser kleine hagere Mann bemüht zu sein schien, ein Eben- oder Abbild von Old Shatterhand zu liefern, war der andre bemüht gewesen, Winnetou nachzuahmen. Er trug ein weißgegerbtes und mit roter, indianischer Stickerei verziertes Jagdhemde. Die Leggins waren aus demselben Stoffe gefertigt und an den Nähten mit Haaren besetzt; ob dies aber Skalphaare waren, das ließ sich sehr bezweifeln. Die Füße steckten in mit Perlen gestickten Mokassins, welche mit Stachelschweinsborsten geschmückt waren. Am Halse trug er auch eine Friedenspfeife und dazu ein Ledersäckchen, welches einen indianischen Medizinbeutel vorstellen sollte. Um die dicke Taille schlang sich ein breiter Gürtel, welcher aus einer Santillodecke bestand. Aus demselben schauten die Griffe eines Messers und zweier Revolver hervor. Sein Kopf war unbedeckt; er hatte sich die Haare lang wachsen lassen und sie in einen hohen Schopf geordnet. Quer über dem Rücken hing ihm ein doppelläufiges Gewehr, dessen Holzteile mit silbernen Nägeln beschlagen waren -eine Imitation der berühmten Silberbüchse des Apachenhäuptlings Winnetou.

Wer Old Shatterhand und Winnetou kannte und hier diese beiden Männlein sah, der hätte sich sicher eines Lächelns nicht erwehren können – das glattrasierte, gutmütige und etwas naseweise Gesicht des Hageren im Vergleiche zu den durchgeistigten, gebieterischen Zügen Old Shatterhands -und die blühend roten, runden Backen, die treuherzigen Augen und freundlich lächelnden Lippen des Dicken als Konterfei des ernsten, bronzenen Gesichtes des Apachen!

Und doch waren diese beiden ganz und gar nicht Personen, über welche zu lachen man Ursache gehabt hätte. Ja, sie besaßen gewisse auffällige Eigentümlichkeiten, aber sie waren Ehrenmänner, Gentlemen durch und durch, und hatten mancher großen und seltenen Gefahr tapfer und unerschrocken in das Auge geschaut. Mit einem Worte: der Dicke war der als „Tante Droll“ bekannte Westmann und der Hagere sein Freund und Vetter Hobble-Frank.

Ihre Verehrung für Old Shatterhand und Winnetou war so groß, daß sie sich wie diese beiden gekleidet hatten, was ihnen freilich ein ganz ungewohntes Aussehen gab. Ihre Anzüge waren neu und hatten jedenfalls ein nicht geringes Geld gekostet; und in Beziehung auf ihre Pferde waren sie auch nicht sparsamer gewesen.

Auch sie hatten den Rancho zum Ziele und ritten durch das Thor desselben ein. Als sie auf dem Hofe erschienen, erregten sie einiges Aufsehen, welches seinen Grund in dem Kontraste hatte, welcher zwischen ihrer kriegerischen Ausrüstung und ihrem gutmütigen Aussehen bestand. Sie machten nicht viel Federlesens, stiegen von ihren Pferden, grüßten kurz und setzten sich auf zwei noch leere Steine, ohne zu fragen, ob dies den andern angenehm sei oder nicht.

Forner musterte die beiden Ankömmlinge mit neugierigen Augen. Er war ein erfahrener Mann und wußte dennoch nicht, was er aus ihnen machen sollte. Er konnte nur durch Fragen zum Ziele kommen; darum erkundigte er sich:

„Wollen die Gentlemen vielleicht auch etwas genießen?“

„Jetzt nicht,“ antwortete Droll.

„Also später. Wie lange gedenkt ihr hier zu bleiben?“

„Das kommt auf die Verhältnisse an, wenn es nötig ist.“

„Ihr meint jedenfalls hiesige Verhältnisse?“

„Ja.“

„Da kann ich euch sagen, daß ihr bei mir sicher seid.“

„Wo anders auch!“

„Meint ihr? So wißt ihr wohl noch gar nicht, daß die Navajos ihre Kriegsbeile ausgegraben haben?“

„Wir wissen’s.“

„Und daß auch die Moquis und Nijoras sich im hellen Aufstande befinden?“

„Auch das.“

„Und dennoch fühlt ihr euch sicher?“

„Warum sollen wir uns unsicher fühlen, wenn es nötig ist?“

Es ist ganz eigentümlich und eine alte Erfahrung, daß es selten einen richtigen Westmann gibt, der sich nicht irgend eine bestimmte, stehende Redensart angewöhnt hat. Sam Hawkens z.B. bediente sich häufig der Worte „wenn ich mich nicht irre“; Droll hatte sich den Ausdruck „wenn es nötig ist“ angewöhnt. Oft werden diese Redensarten bei Gelegenheiten angewandt, wo sie höchst lächerlich erscheinen und wohl gar das Gegenteil von dem sagen, was ausgedrückt werden soll. So auch jetzt und hier. Darum sah Forner den kleinen Dicken erstaunt an, fuhr aber doch ernsthaft fort:

„Kennt Ihr denn diese Völkerschaften, Sir?“

„Ein wenig.“

„Das reicht nicht aus. Man muß Freund mit ihnen sein, und selbst dann noch ist es möglich, daß man den Skalp verliert, wenn sie den Kampf gegen die Weißen beschlossen haben. Wenn euch euer Weg etwa nach Norden führt, So rate ich euch ab; es ist dort keineswegs geheuer. Ihr scheint zwar gut ausgerüstet zu sein, aber wie ich an euern neuen Anzügen sehe, kommt ihr direkt aus dem Osten, und eure Gesichter sind auch nicht solche, aus denen man den unerschrockenen Westmann sofort herauszulesen vermag.“

„So! Das ist sehr aufrichtig. Ihr beurteilt die Leute also nach ihren Gesichtern, wenn es nötig ist?“

„Ja.“

„Das gewöhnt Euch sobald wie möglich ab. Man schießt und sticht mit der Büchse und dem Messer, nicht aber mit dem Gesichte, verstanden! Es kann einer sehr martialische und grimmige Gesichtszüge besitzen und dabei doch ein Hasenfuß sein.“

„Das will ich nicht bestreiten; aber ihr – hm. Darf ich nicht vielleicht erfahren, was ihr seid, Mesch’schurs?“

„Warum denn nicht?“

„Nun, bitte!“

„Wir sind – na ja, wir sind eigentlich das, was man Rentiers oder wohl auch Particuliers nennt.“

„O weh! Da seid ihr wohl zu euerm Vergnügen nach dem Westen gekommen?“

„Zu unserm Herzeleid natürlich nicht!“

„Wenn das ist, Sir, da kehrt sofort wieder um, sonst werdet Ihr hier ausgelöscht, wie man ein Licht ausbläst. Aus der Art und Weise, wie Ihr redet, höre ich, daß Ihr keine Ahnung von den Gefahren habt, die in dieser Gegend auf Euch warten, Master – Master – wie ist doch Euer Name?“

Droll griff gemächlich in die Tasche, brachte eine Karte hervor und überreichte sie ihm. Der Ranchero machte ein Gesicht, als ob er sich die größte Mühe geben müsse, das Lachen zu verbeißen, und las laut.

„Sebastian Melchior Pampel.“

Der Hobble-Frank hatte auch in die Tasche gelangt und ihm eine Karte gegeben. Forner las:

„Heliogabalus Morpheus Edeward Franke.“

Er hielt einen Augenblick inne und brach dann lachend los:

„Aber, Gents, was sind das für sonderbare Namen, und was seid ihr doch für sonderbare Menschen! Meint ihr etwa, daß die aufrührerischen Indianer vor diesen euern Namen ausreißen werden? Ich sage euch, daß –“

Er mußte innehalten, denn Rollins, der Bankier, fiel ihm in die Rede:

„Bitte, Master Forner, redet nichts, was diese Gentlemen beleidigen könnte. Ich habe zwar nicht die Ehre, sie persönlich zu kennen, aber ich weiß, daß sie Leute sind, vor denen Ihr Respekt haben müßt.“

Und sich dann direkt an den Hobble-Frank wendend, fuhr er fort:

„Sir, Euer Name ist ein so ungewöhnlicher, daß ich ihn mir gemerkt habe. Ich bin der Bankier Rollins aus Brownsville in Arkansas. Wurden nicht vor einigen Jahren Gelder für Euch bei mir deponiert?“

„Ja, Sir, das ist richtig,“ nickte Frank. „Ich vertraute es einem guten Freunde an, welcher es für mich bei Euch niederlegen mußte, weil Ihr mir von Old Shatterhand als sicher geschildert worden waret. Später konnte ich es nicht selbst erheben, sondern ließ es mir nach New York schicken.“

„Das stimmt, das stimmt!“ fiel Rollins eifrig ein. „Old Shatterhand, ja, ja! Ihr hattet damals droben in der Nähe von Fillmore City, am Silbersee glaube ich, eine große Masse Gold gefunden. Ist’s nicht so, Sir?“

„Ja,“ lachte Frank vergnügt. „Es waren so einige Fingerhüte voll.“

Da sprang Forner von seinem Sitze auf und rief:

„Donnersturm! Ist das wahr, ist das möglich? Ihr seid mit da oben am Silbersee gewesen?“

„Gewiß. Und hier mein Vetter war auch dabei.“

„Wirklich, wirklich? Damals waren ja alle Zeitungen voll von der außerordentlichen Geschichte. Old Firehand, Old Shatterhand, Winnetou sind dabei gewesen, diese berühmten Kerls. Dann der dicke Jemmy, der lange Davy, der Hobble-Frank, die Tante Droll! So kennt Ihr also diese Leute, Sir?“

„Natürlich kenne ich sie. Hier sitzt die Tante Droll, da neben mir, wenn Ihr es gütigst erlaubt.“

Er deutete bei diesen Worten auf seinen Gefährten, dieser zeigte auf ihn und erklärte:

„Und hier habt Ihr unsern Hobble-Frank, wenn es nötig ist. Meint Ihr nun immer noch, daß wir Leute sind, welche den Westen noch nicht kennen?“

„Unglaublich, geradezu unglaublich! Aber es kann nicht sein! Die Tante Droll ist nie anders zu sehen, als in einem ganz sonderbaren Anzuge, in welchem man sie für eine Lady hält. Und der Hobble-Frank trägt einen blauen Frack mit blanken Knöpfen und auf dem Kopfe einen großen Federhut!“

„Muß das immer sein? Darf man sich nicht anders kleiden? Meint Ihr, daß ein Anzug so unverwüstlich ist, daß er im wilden Westen jahrhundertelang getragen werden kann? Als Freunde und Gefährten von Old Shatterhand und Winnetou beliebt es uns jetzt, uns genau wie diese beiden Männer zu kleiden. Wenn Ihr uns nicht glaubt, so ist das Eure Sache; wir haben nichts dagegen.“

„Ich glaube es, Sir, ich glaube es! Ich habe ja gehört, daß man es der Tante Droll und dem Hobble-Frank gar nicht ansehen soll, was für prächtige Kerls sie sind, und das stimmt vollständig. Wie freu‘ ich mich, euch zu sehen, Mesch’schurs. Jetzt müßt ihr erzählen; ich bin ganz begierig, aus euerm eigenen Munde zu erfahren, was sich alles damals ereignet hat, und wie jenes außerordentliche Placer entdeckt worden ist.“

Da wehrte der Bankier ab.

„Langsam, langsam, Sir! Das könnt Ihr noch jederzeit hören. Es gibt vorher noch viel Wichtigeres, wenigstens für mich.“

Er hatte das zu Forner gesagt; dann fügte er hinzu, sich an Droll und Frank wendend:

„Ich stehe nämlich vor einem ähnlichen Ereignisse; ich befinde mich auf dem Wege, viele, viele Millionen zu verdienen.“

„Wißt Ihr auch ein Placer, Sir?“ fragte Droll.

„Ja; aber nicht Gold, sondern Petroleum soll dort zu finden sein.“

„Auch nicht übel, Sir. Petroleum ist flüssiges Gold. Wo soll denn dieses Placer zu suchen sein?“

„Das ist noch Geheimnis. Master Grinley hat es entdeckt. Er besitzt aber nicht die Mittel, es auszubeuten; dazu gehört viel, sehr viel Geld, und das habe ich. Er hat mir das Placer angeboten, und ich bin bereit, es ihm abzukaufen. Zu solchen Geschäften muß man die eignen Augen nehmen. Darum habe ich mich mit meinem Buchhalter, Mr. Baumgarten hier, aufgemacht, um mich von Grinley nach der Stelle führen zu lassen. Wenn seine Beschreibung sich als richtig erweist, kaufe ich ihm den Platz auf der Stelle ab.“

„Also wo er Euch hinführen wird, das wißt Ihr nicht?“

„Genau allerdings nicht. Es ist ja ganz begreiflich, daß er den Ort bis zum letzten Augenblicke geheim halten will. Wenn es sich um Millionen handelt, kann man nicht bedächtig genug sein.“

„Ganz richtig. Hoffentlich ist er es nicht allein, welcher vorsichtig handelt, denn Ihr habt noch viel mehr Grund, wenigstens ebenso vorsichtig zu sein. Aber so ungefähr müßt Ihr doch wissen, in welcher Gegend das Öl zu finden ist?“

„Das weiß ich allerdings.“

„Nun, wo? Wenn Ihr es mir nämlich sagen wollt.“

„Euch sage ich es gern, denn ich möchte wissen, was Ihr davon haltet. Es ist am Chellyarm des Rio San Juan.“

Das volle, rote Gesicht Drolls zog sich in die Länge. Er sah nachdenklich vor sich nieder und sagte:

„Am Chellyarm des Rio San Juan? Da – soll – Pe–tro-le-um zu finden – sein? Im ganzen Leben nicht!“

„Was? Wie? Warum?“ rief der Bankier. „Ihr glaubt es nicht?“

„Nein.“

„Kennt Ihr denn die Gegend?“

„Nein.“

„So könnt Ihr doch auch nicht in dieser Weise absprechend urteilen!“

„Warum nicht? Man braucht nicht dort gewesen zu sein, um dennoch zu wissen, daß es dort kein Öl geben kann.“

„Da widerspreche ich. Mr. Grinley war dort und hat Öl gefunden. Ihr aber seid nicht dort gewesen, Sir.“

„Hm! Ich war auch noch nicht in Ägypten und am Nordpole; aber wenn mir jemand sagte, er habe im Nil Buttermilch fließen und am Pole Palmen wachsen sehen, so glaube ich es nicht.“

„Ihr zieht die Sache in das Lächerliche; um ein so schnelles und bestimmtes Urteil fällen zu können, müßtet Ihr Geolog oder Geognost sein. Seid Ihr das?“

„Nein; aber ich besitze meinen gesunden Menschenverstand und habe ihn geübt.“

Da nahm Forner sich der Sache an, indem er der Tante Droll erklärte:

„Ihr thut Mr. Grinley unrecht, Sir, jedermann hier weiß, daß er Petroleum gefunden hat. Es ist ihm gar mancher heimlich nachgegangen, um ihm sein Geheimnis abzulauschen und den Ort zu entdecken, doch stets vergeblich.“

„Natürlich ganz vergeblich, weil es diesen Ort überhaupt nicht gibt!“

„Es gibt ihn, sage ich Euch! Mr. Grinley wird hier von jedermann der Ölprinz genannt.“

„Das beweist gar nichts.“

„Aber er hat mir verschiedene Male Proben des Öles gezeigt!“

„Auch das ist kein Beweis. Petroleum kann jeder zeigen. Es ist mir wirklich ganz unglaublich, daß es da oben Erdöl gibt. Nehmt Euch in acht, Mr. Rollins! Denkt daran, daß es vor nicht gar langer Zeit Schwindler gab, welche Geldleute in sogenannte Gold- und sogar auch Diamantdistrikte lockten; dann stellte es sich heraus, daß es dort weder Metalle noch Edelsteine gab!“

„Sir, wollt Ihr Mr. Grinley verdächtigen?“

„Fällt mir nicht ein. Die Sache geht mich gar nichts an; aber Ihr habt mich nach meiner Meinung gefragt, und ich habe sie Euch mitgeteilt.“

„Gut! Darf ich vielleicht auch erfahren, was Mr. Frank davon denkt?“

„Ganz dasselbe, was Droll denkt,“ antwortete der Hobble-Frank. „Wenn Ihr uns nicht beistimmen wollt, so wartet hier einige Tage; dann werden zwei Personen kommen, auf deren Urteil Ihr Euch verlassen könnt.“

„Wer wird das sein?“

„Old Shatterhand und Winnetou.“

„Was?“ fragte Forner freudig überrascht. „Diese beiden Männer wollen in einigen Tagen nach hier kommen?“

„Ja.“

„Woher wißt Ihr das?“

„Von Old Shatterhand.“

„Hat er Euch hierher bestellt?“

„Nein; aber er hat die Güte, mich zuweilen mit einem Briefe zu erfreuen, und vor acht Wochen schrieb er mir, daß er sich mit Winnetou verabredet habe, um die jetzige Zeit mit ihm auf Forners Rancho am Rio San Carlos zusammenzutreffen.“

„Und Ihr meint, daß dies geschehen wird?“

„Ganz bestimmt.“

„Es können Störungen eintreten!“

„Ja; aber dann wartet hier einer auf den andern.“

„Und wenn sie doch nicht kommen?“

„Sie kommen so gewiß, wie der Tag auf die Nacht erscheint. Es ist dagewesen, daß sie sich verabredet haben, an einem gewissen Tage bei einem bestimmten Baume mitten im Urwalde zusammenzutreffen, und niemals haben sie sich verfehlt. Sobald ich den Brief gelesen hatte, war ich überzeugt, daß sie jedes Hindernis überwinden und zur angegebenen Zeit hier sein würden. Ich entschloß mich sofort, mit dabei zu sein und sie zu überraschen. Mein Vetter Droll war gleich dabei, und daß wir aus Deutschland und Sachsen herübergekommen sind, das muß Euch beweisen, daß sie unbedingt hier eintreffen werden.“

„Aus Deutschland? Aus Sachsen?“ fiel da Baumgarten, der Buchhalter, rasch ein. „So seid Ihr wohl ein Deutscher, Sir?“

„Ja. Wißt Ihr das noch nicht?“

„Nein. Und hätte ich es einmal gewußt, so habe ich es wieder vergessen. Um so mehr bin ich erfreut, in Euch einen Landsmann begrüßen zu können. Hier meine Hand, Sir; erlaubt mir gefälligst, die Eurige zu drücken!“

Da reichte ihm der Hobble-Frank die seinige hin und rief erfreut in seinem heimatlichen Dialekte:

„Da nehmen Sie sie hin; hier ist sie gegenwärtig mit allen Fingern, die daran gehören! Sie ooch een Deutscher? Wenn mersch nich erleben thät, so thät mersch gar nich glooben! In welcher heimatlichen Gegend sind denn eegentlich Sie aus der jenseitigen Ewigkeet in die diesseitige Zeitlichkeet hineingeschprungen?“

„In Hamburg.“

„In Hamburg? I der Tausend! Also eenige Stunden oberhalb der geographischen Schtelle, an welcher meine liebe Elbe ihre Verlobung mit der Nordsee feiert. Das is mir unendlich intriguant. Wir sind also beede mit Elbwasser getooft, und wenn ich wieder off meinem Bärenfette sitze, kann ich Ihnen mit den Wellen meine Grüße franko zuschpedieren.“

„Bärenfett?“ fragte Baumgarten verwundert.

„Jawohl, jawohl! Sind Sie denn nich Abonnement vom Guten Kameraden, der in Schtuttgart herausgegeben und an allen Orten der Erde begeischdert gelesen wird?“

„Sie meinen die Knabenzeitung, die diesen Titel führt?“

„Natürlich meene ich nur die!“

„Gesehen habe sich sie, aber abonniert bin ich nicht darauf.“

„Nich? Hören Sie, das is eene Unterlassungssünde, für welche es keenpaterpizzicato gibt. Die müssen Sie halten; die müssen Sie lesen! Ohne die kann keen gebildeter Mensch mehr existieren, denn ich bin eener ihrer oberschten Mitarbeiter. Hätten Sie sie gelesen, so wüßten Sie ganz genau, was ich mit meinem Bärenfett meene, nämlich meine Villa Bärenfett, die ich im dritten Jahrgange paganini 397 so physikalisch-dramatisch geschildert habe. Wenn Sie mal nach Sachsen kommen, müssen Sie mich da besuchen, denn dort finden Sie alle Andenken, Erinnerungen und Souverains von meinen ein- und auswärtigen Erlebnissen.“

Baumgarten hatte vom Hobble-Frank gehört: er besann sich jetzt, daß derselbe als ein recht sonderbares Menschenkind geschildert worden war. Jetzt hatte er ihn in Lebensgröße vor sich und gab sich der nun in einem ununterbrochenen Strome fließenden Unterhaltung mit großem Vergnügen hin. Dieselbe gewann dadurch an Interesse und Lebhaftigkeit, daß sich Droll in seinem Altenburger Dialekte auch daran beteiligte.

Unterdessen stand Poller, der entlassene Führer, von seinem Platze auf und that, als ob er nach seinem Pferde sehen wolle. Er machte sich eine kleine Weile mit demselben zu schaffen und verschwand dann hinter dem Hause, wo die beiden Brüder Buttler neben einander im Grase lagen und sich höchst wichtige Dinge mitzuteilen hatten. Da der eine von ihnen sich hier auf dem Rancho unter dem Namen Grinley eingeführt hatte, mag ihm derselbe auch behalten bleiben. Die Gebrüder Buttler hatten früher im Verein mit andern gleichgesinnten Menschen an den Grenzen zwischen Kalifornien, Nevada und Arizona eine lange Reihe von Thaten begangen, welche so unerhört waren, daß sich schließlich notgedrungener Weise eine Gesellschaft von Regulatoren gebildet hatte, um diesem Unwesen, gegen welches sich das Gesetz als machtlos erwies, auf eigene Faust ein Ende zu machen. Dies war gelungen. Man hatte die meisten Mitglieder der Bande gelyncht: nur wenige waren entkommen, unter ihnen gerade die beiden hervorragendsten und schlimmsten, die Buttlers. Sie hatten sich, wie bereits erwähnt, getrennt. Der eine war nach dem Süden gegangen, um die Gesellschaft der Finders zu gründen, und der andre hatte sich lange Zeit planlos in Utah, Colorado und Neumexiko herumgetrieben, bis er auf einen raffinierten Gedanken verfallen war, dessen Ausführung in das Werk zu setzen er jetzt nun im Begriffe stand. Als er seinem Bruder das Hauptsächlichste darüber mitgeteilt hatte, warf dieser einen bewundernden Blick auf ihn und sagte:

„Du warst stets der Pfiffigere von uns beiden, und ich gestehe dir aufrichtig, daß mir auch dein jetziger Plan ungeheuer imponiert. Meinst du, daß dieser Bankier Rollins wirklich darauf hereinfallen wird?“

„Unbedingt. Er ist geradezu begeistert für das Unternehmen, welches mir mit einem Schlage wenigstens hunderttausend Dollars einbringen wird.“

„Soviel – – soviel setzt er daran?!“ rief der andre aus.

„Still! Nicht so laut! Hier haben zuweilen die Grashalme Ohren. Bedenke, daß er überzeugt ist, mit leichter Mühe und in kürzester Zeit Millionen verdienen zu können! Was sind da lumpige hunderttausend Dollars, für welche ich mich ein für allemal abfinden lasse!“

„Aber wann zahlt er sie? Er muß ja in kürzester Zeit hinter den Betrug kommen.“

„Sofort hat er zu zahlen, sofort. Ich weiß, daß er die Anweisungen schon jetzt in der Tasche trägt. Sie sind nur noch zu unterschreiben, und das wird er sicher thun, sobald das Öl ihn in den voraussichtlichen Taumel versetzt.“

„So wundert mich nur eins, nämlich, daß er keinen wirklich Sachverständigen mitgenommen hat; der Buchhalter, welcher ihn begleitet, ist in dieser Beziehung doch wohl nur ein Null.“

„Ja, das habe ich geschickt anfangen müssen. Je mehr Begleiter, desto mehr Bieter. Ich soll auf ihn allein angewiesen sein und keine andre Gelegenheit zum Verkaufe finden. Nähme er einen Ingenieur mit, so könnte dieser leicht auf eigene Faust und heimlich mit mir verhandeln. Diesen Gedanken glaubt er, selbst gefaßt zu haben, und doch bin ich es, der ihm denselben eingegeben hat. Den Buchhalter hat er mitgenommen, weil er seiner bedarf, um sofort und nach allen Seiten hin disponieren zu können. Ich habe mir ihn gefallen lassen, weil er ein dummer Deutscher ist, den ich nicht zu fürchten brauche. Er wäre der Allerletzte, auf den Gedanken zu kommen, daß die Petroleumquelle Schwindel ist.“

„Bist du überzeugt, daß dein Ölvorrat hinreichend ist?“ fragte Buttler seinen Bruder.

„Er reicht. Du kannst dir aber denken, welche Mühe es mich gekostet hat, die Fässer von so weit her- und einzeln hinaufzuschaffen. Kein Mensch durfte etwas ahnen, und jede Begegnung hatte ich unterwegs zu vermeiden. Ich habe mich damit ein ganzes, volles Jahr geschunden und alles allein, ganz allein machen müssen, denn einen Vertrauten außer dir konnte ich nicht gebrauchen, und du warst nicht da.“

„Hättest du denn auch das, was nun noch zu thun ist, ohne fremde Hilfe fertig gebracht?“

„Es hätte gehen müssen, wäre aber nur sehr schwer gegangen. Du mußt bedenken, daß ich der Führer des Bankiers bin und mich also nicht von ihm entfernen darf, ganz besonders auch deshalb nicht, weil er sonst Verdacht schöpfen könnte. Und doch hätte ich dies thun müssen, um das Öl in das Wasser zu bringen. Es sind vierzig Fässer, eine wahre Heidenarbeit für einen einzelnen Menschen, der überdies keine Zeit dazu hat! Um so mehr freue ich mich, dich getroffen zu haben, denn ich denke doch, daß du mir helfen wirst?“

„Mit dem größten Vergnügen. Aber natürlich setze ich da voraus, daß es nicht umsonst geschehen soll.“

„Selbstverständlich. Zwar von den hunderttausend Dollars möchte ich nichts abgeben, denn ich habe sie redlich verdient, und du hast nun weiter nichts zu thun, als die Fässer zu öffnen. Ich werde also mehr verlangen und was dies beträgt, das ist dein, verstehst du?“

„Und wenn er aber nicht mehr gibt?“

„Er gibt mehr; ich versichere es dir. Und sollte ich mich darin täuschen, so kennst du mich und weißt, daß wir leicht einig werden. Du wirst aber heut noch aufbrechen müssen, denn wenn du länger bleibst, kann leicht etwas geschehen, was Rollins und seinen Deutschen auf den Gedanken bringt, daß wir uns kennen.“

„Ich müßte auch ohnedies fort, da noch am Nachmittage die Auswanderer mit ihrem Kleeblatte ankommen und die dürfen mich natürlich nicht sehen.“

„Ahnen sie, daß du sie verfolgst?“

„Nein, wenigstens glaube ich es nicht, denn sie können nicht erfahren haben, daß ich entkommen bin. Es hat uns große Anstrengung gekostet, sie ein- und dann heut gar zu überholen. Dieser schlaue Sam Hawkens hat sie beredet, von ihrer ursprünglich geplanten Richtung abzuweichen. Er ist über den Gila gegangen, anstatt diesem zu folgen und hat dann, um rascher reisen zu können, auf Bells Farm die langsamen Ochsen mit den schnelleren Maultieren vertauscht und ebenda die Wagen und alles überflüssige Gerät verkauft. Nun reiten sie alle.“

„Du weißt bestimmt, daß sie heute hier ankommen?“

„Ja; ich habe sie gestern abend in ihrem Lager belauscht. Poller hat es auch gehört.“

„Ah, dieser Poller! Ist er dir nicht im Wege?“

„Jetzt noch nicht.“

„Aber desto mehr mir. Kannst du ihn nicht loswerden?“

„Schwerlich.“

„Durch irgend eine List?“

„Geht nicht. Er würde mich aus Rache an das Kleeblatt verraten und gewiß auch Aufklärung über dich erteilen.“

„Er kennt mich doch nicht!“

„O doch, denn als ich dich sitzen sah, habe ich ihm gesagt, daß du mein Bruder bist. Während wir uns jetzt hier befinden, wird sicher von eurer Petroleumquelle gesprochen; er denkt sich natürlich das Richtige und würde, wenn ich ihn verließe, an dir zum Verräter werden.“

„Das ist dumm. Du hättest ihm nichts sagen sollen.“

„Es ist nun einmal geschehen und kann nicht geändert werden. Überdies kann er mir behilflich sein und mir da droben am Gloomy-water meine Arbeit sehr erleichtern.“

„Willst du ihn einweihen?“

„Nur zum Teil, vollständig nicht.“

„Dennoch wird er mit uns teilen wollen!“

„Mag sein; er bekommt jedoch nichts. Sobald ich ihn nicht mehr gebrauchen kann, schaffe ich ihn aus dem Wege.“

Well, das lass‘ ich gelten. Er mag uns jetzt helfen, und dann bekommt er, ist’s nötig, eine Kugel oder mag im Petroleum ersaufen. Wann brecht ihr hier auf?“

„Das kann sofort geschehen.“

„Schön! So könnt ihr heut abend schon weit von hier sein.“

„Da täuschest du dich. Es fällt mir gar nicht ein, die deutschen Auswanderer aus den Augen zu lassen.“

„Auf sie wirst du nun, da du mir zu helfen hast, verzichten müssen.“

„Keinesweges. Es ist einer dabei, Ebersbach heißt er, welcher viel bares Geld bei sich hat, und außerdem besitzen sie viel und allerlei, was unsereiner gut gebrauchen und verwerten kann. Dazu kommt die Rache, die ich an ihnen nehmen will und die ich ganz unmöglich aufgeben kann.“

„Ist mir außerordentlich unlieb und paßt ganz und gar nicht in meinen Plan!“

„Warum nicht? Ihr Weg führt sie in der Nähe des Gloomy-water vorüber; du brauchst dich ihnen also nur anzuschließen; das übrige ist dann meine Sache.“

So weit waren sie in ihrem Gespräch gelangt, als sie Poller kommen sahen. Er trat ganz zu ihnen heran und sagte in wichtigem Tone:

„Ich muß euch stören, denn da vorn gehen wichtige Dinge vor.“

„Sind sie wirklich so wichtig, daß du uns deshalb unterbrechen mußt?“ fragte Buttler unwillig.

„Ja. Nämlich Old Shatterhand und Winnetou kommen hierher.“

„Alle Wetter!“ fuhr Grinley auf. „Was haben die hier zu suchen!“

„Was geht es dich an, daß sie kommen?“ meinte Buttler, jetzt wieder ruhig. „Dir kann es ja ganz gleichgültig sein, wo sie stecken.“

„Ganz und gar nicht, denn da, wo diese beiden Menschen sich befinden, bleibt in der ganzen Gegend kein herabgefallenes Blatt unumgewendet; sie müssen alles wissen und erfahren alles.“

„Hm, das ist wahr. Woher weißt du denn, Poller, daß sie kommen?“

„Eben als du dich entfernt hattest, kamen zwei Fremde, von denen wir es erfahren haben. Sie wollen hier auf Winnetou und Old Shatterhand warten und sind genau so gekleidet, wie diese beiden sich zu tragen pflegen. Jetzt sitzen sie da und kauderwelschen mit dem Buchhalter des Bankiers in deutscher Sprache.“

„Woher wißt Ihr denn,“ fragte Grinley, „daß es ein Buchhalter mit seinem Bankier ist?“

„Rollins hat es selbst gesagt.“

„Daß doch – hat er vielleicht gar noch mehr von uns erzählt?“

„Ihr meint von Petroleum? ja, das hat er gesagt.“

„Das ist fatal, außerordentlich fatal!“ rief er aus, indem er eifrig aufsprang. „Ich muß vor zu ihnen, um weiteres zu verhüten. Ihr sagt, daß sie deutsch sprechen. Sind sie denn Deutsche?“

„Ja. Der eine wird Tante Droll und der andre Hobble-Frank genannt.“

„Was Ihr sagt! Da gehören sie ja zu der Gesellschaft, die da oben am Silbersee in kurzer Zeit so reich geworden ist!“

„Ja; sie sprachen davon. Diese beiden Kerls scheinen sehr viel Geld bei sich zu haben.“

„Und was sagten sie zu meiner Petroleumquelle?“

„Sie glaubten es nicht und haben den Bankier gewarnt. Sie halten es für Schwindel.“

„Donner und Doria! Habe ich es nicht sofort gesagt, als ich hörte, daß Old Shatterhand und Winnetou kommen wollen! Sie sind noch nicht einmal da und schon beginnt der Teufel sein Spiel! Da können wir uns nur fest in den Sattel setzen. Was sagte der Bankier zu der Warnung?“

„Er schien das Vertrauen nicht zu verlieren; aber sie rieten ihm, hier auf Winnetou und Old Shatterhand zu warten und sich bei ihnen zu erkundigen.“

„Das fehlte noch! Ging er vielleicht darauf ein?“

„Das sagte er nicht. Jetzt sitzt er still dort und scheint zu überlegen.“

„Da muß ich zu ihm, um ihm die Grillen auszureden. Vorher aber muß ich mit Euch schnell klar werden, denn Ihr müßt fort. Also hört, was ich Euch sage!“

Sie sprachen noch eine kleine Weile leise und hastig miteinander. Es schienen Versprechungen und Beteuerungen zu sein, denn sie gaben einander die Hände mehreremal; dann gingen Buttler und Poller miteinander nach vom, wo sie dem Ranchero erklärten, daß sie aufbrechen wollten. Sie wollten das, was sie verzehrt hatten, bezahlen, aber er nahm nichts, da sein Rancho kein Wirtshaus sei; dann ritten sie fort, ohne daß jemand – natürlich Grinley ausgenommen – etwas über ihre Namen und Absichten erfahren hatte. Sie waren nicht einmal darnach gefragt worden.

Kurze Zeit darauf kam Grinley herbeigeschlendert. Er that, als ob er sich nun ausgeruht habe, und setzte sich wieder an seinen Platz, indem er Frank und Droll höflich grüßte und ihnen ein möglichst offenes und ehrliches Gesicht zeigte, um ihr Vertrauen zu erwecken. Der Bankier konnte sich jedoch nicht halten; er sagte:

„Master Grinley, hier sitzen zwei gute Bekannte von Winnetou und Old Shatterhand, nämlich Mr. Droll und Mr. Hobble-Frank, welche nicht an Eure Petroleumquelle glauben wollen. Was sagt Ihr dazu?“

„Was ich dazu sage?“ antwortete der Gefragte gleichmütig, „ich sage, daß ich ihnen das gar nicht übelnehmen will. In Sachen, wo es sich um so große Summen handelt, muß man vorsichtig sein. Ich habe ja selbst auch nicht eher daran geglaubt, als bis meine Ölproben von mehreren Sachverständigen untersucht worden waren. Wenn es den Herren Spaß macht, mögen sie mit uns reiten, um sich zu überzeugen, was für eine mächtige Menge von Öl der Platz enthält.“

„Sie wollen hier auf Winnetou und Old Shatterhand warten.“

„Dagegen kann ich gar nichts haben; aber da ich mein Placer weder an Old Shatterhand noch an Winnetou verkaufen will, so bin nicht ich es, der auf diese beiden zu warten hat.“

„Aber wenn nun ich warten möchte?“

„So fällt es mir nicht ein, Euch zu hindern. Ich zwinge keinen Menschen mit mir zu gehen. Wenn ich hinüber nach Frisko reite, finde ich Kapitalisten genug, welche sofort dabei sind und mich nicht unterwegs im Stiche lassen. Wer mir nicht glaubt, der mag daheim bleiben.“

Er goß ein volles Glas Brandy hinunter und ging dann hinaus zu seinem Pferde.

„Da habt ihr es,“ meinte der Bankier. „Sein Verhalten muß euch vollständig überzeugen, daß er seiner Sache sicher ist.“

„Das ist er allerdings,“ antwortete der Hobble-Frank. „Aber ob diese Sache eine gerechte oder ungerechte ist, wird sich erst später herausstellen.“

„Ich habe ihn beleidigt, und er wird nicht hier warten. Es versteht sich ganz von selbst, daß ich ihn nicht allein fortlassen kann, sondern mit ihm gehen muß, denn ich mag auf das außerordentliche Geschäft, auf welches ich mit ihm eingegangen bin, nicht verzichten. Ihr werdet doch wohl zugeben, daß euer Mißtrauen noch gar nichts beweist.“

„Für Euch wahrscheinlich nicht; aber wir hielten es für unsre Pflicht, Euch zur Vorsicht zu mahnen. Wir haben gesagt, daß da oben, wohin Ihr wollt, kein Petroleum gefunden werden kann; damit soll freilich nicht direkt behauptet werden, daß Euer Grinley partout ein Betrüger sei, denn er kann sich ja selbst geirrt haben. Doch will ich Euch freimütig gestehen, daß mir sein Gesicht nicht gefällt. Was mich betrifft, so würde ich es mir zehnmal überlegen, ehe ich ihm mein Vertrauen schenkte.“

„Ich danke Euch für Eure Aufrichtigkeit, bin aber nicht der Meinung, daß man einen Menschen für sein Gesicht verantwortlich machen kann, denn er hat es sich nicht selbst gegeben.“

„Da irrt Ihr Euch, Sir. Allerdings, das Gesicht wird dem Kinde von der Natur gegeben, dann aber durch die Erziehung und andre Eindrücke verändert, wobei auch die Seele von innen heraus an dieser Veränderung teilnimmt. Ich werde keinem Menschen trauen, der mich nicht aufrichtig und grad ansehen kann, und das ist mit diesem Master Grinley der Fall. Ich fordere keineswegs von Euch, ihn für einen Spitzbuben zu halten, sondern will Euch nur zur Vorsicht mahnen.“

„Was das betrifft, so würde ich auch ohne diese Eure Ermahnung nicht leichtsinnig handeln. Ich bin Geschäftsmann und pflege scharf zu kalkulieren. Da versteht es sich ganz von selbst, daß ich hier, wo es sich um so hohe Summen dreht, mich hundertmal bedenke, ehe ich nur zehn Worte sage.“

Well, ich begreife das; aber Ihr seid unerfahren hier im wilden Westen. Ich will gern glauben, daß Ihr in Eurem Comptoir der Mann und Meister seid, dem nichts entgehen kann; die hiesigen Verhältnisse aber sind Euch fremd. Auch von dem Petroleum ganz abgesehen, wollt Ihr, der Ihr ein reicher Mann seid, mit einem Menschen, den Ihr nicht kennt, nach einer Gegend, in welcher Euch im Falle der Gefahr keine Spur von Hilfe werden kann – – –“

„O, wir sind ja zwei gegen einen!“ fiel der Bankier ein, indem er auf seinen Begleiter deutete.

„Jetzt; ob aber auch später, das könnt Ihr nicht behaupten. Grinley kann da oben Helfershelfer haben, die auf Euch warten; auch müßt Ihr bedenken, daß die Roten, durch deren Gebiet Ihr kommt, grad jetzt im Aufstande begriffen zu sein scheinen. Und selbst, wenn dies nicht wäre, so gewährt Euch der Umstand, daß Ihr zwei gegen einen seid, nicht die mindeste Sicherheit. Er schießt Euch plötzlich nieder, oder er nimmt Euch im Schlafe fest, um Euch Geld oder sonst etwas abzupressen. Darum habe ich Euch vorgeschlagen, hier zu warten, bis Old Shatterhand und Winnetou kommen. Das sind berühmte und erfahrene Männer, auf deren Urteil Ihr Euch ganz sicher verlassen könntet.“

Rollins blickte eine ganze Weile nachdenklich und still vor sich nieder. Franks Vorstellungen hatten sichtlich Eindruck auf ihn gemacht. Dann fragte er:

„Meint Ihr denn, daß beide Gentlemen sich für mein Vorhaben interessieren würden?“

„Ich bin überzeugt davon. Petroleum da oben am Chelly-flusse! Ich versichere Euch, daß sie sich den Mann, der das behauptet, sehr genau ansehen würden. Höchst wahrscheinlich würden sie es Euch ganz aus freien Stücken anbieten, mit hinaufzureiten. Und in solcher Begleitung wäret Ihr sicherer, als wenn hundert Soldaten über Euch wachten.“

„Das glaube ich gern; aber wie Ihr gesehen habt, kann ich leider nicht warten, bis sie kommen. Wenn ich darauf bestehe, hier zu bleiben, reitet der Ölprinz ganz sicher ohne mich fort.“

„Davon bin ich auch überzeugt, und ich kenne auch den Grund: er hat die Begleitung solcher Leute höchst wahrscheinlich sehr zu fürchten.“

„Mögt Ihr da recht haben, oder nicht, es bleibt mir nur die eine Wahl: Entweder begleiten wir Grinley weiter und setzen uns den Gefahren aus, auf welche Ihr hingedeutet habt, oder ich verzichte auf ein Geschäft, welches Millionen einbringen muß, wenn es glückt.“

„Das ist richtig. Ich habe meine Schuldigkeit gethan und Ihr müßt nun selbst wissen, wofür Ihr Euch zu entscheiden habt.“

„Das ist schwer, sehr schwer, zumal diese Entscheidung so rasch getroffen werden muß. Ich habe bis zu dieser Stunde das vollste Vertrauen zu Grinley gehabt; jetzt ist es beinahe erschüttert worden, Was soll ich thun? Verzichten? Die größte Dummheit, die es gäbe, wenn die Sache ehrlich wäre! Mr. Baumgarten, Ihr steht mir hier am nächsten, was werdet Ihr mir raten?“

Der junge Deutsche war dem Gespräche mit Aufmerksamkeit gefolgt, ohne sich an demselben zu beteiligen. Jetzt, da er direkt aufgefordert worden war, zu sprechen, antwortete er:

„Die Sache ist so wichtig, daß ich darauf verzichten muß, Euch einen Rat zu geben, es würde dadurch eine Verantwortlichkeit auf mich fallen, die ich nicht auf mich nehmen kann. Also mit Eurer Erlaubnis, Sir, einen direkten Rat nicht; aber was ich an Eurer Stelle thun würde, das kann ich Euch sagen.“

„Nun? Verzichten, oder die Gefahr auf mich nehmen?“

„Keines von beiden.“

„Es gibt ja nichts Drittes!“

„O doch!“

„Was wäre das?“

„Wir reiten mit dem Ölprinzen weiter, ohne uns dadurch in Gefahr zu bringen.“

„Wie wollt Ihr das anfangen?“

„Wir bitten diese beiden Gentlemen hier, Mr. Frank und Mr. Droll, uns zu begleiten.“

„Hm!“ brummte der Bankier. „Meint ihr, daß uns dies nützen könnte?“

Er schien die beiden kleinen Männer nicht für voll anzusehen.

„Unbedingt!“ antwortete der Buchhalter im Tone vollster Überzeugung. „Wer mit Winnetou und Old Shatterhand so lange zusammengewesen ist, wie diese meine beiden lieben Landsleute, auf den kann man sich gar wohl verlassen, ganz abgesehen davon, daß Mr. Frank und Mr. Droll auch ohnedies Männer sind, welche Haare auf den Zähnen haben.“

„Zugegeben! Aber ob sie einverstanden sein werden, mit uns zu gehen?“

„Ich hoffe, daß sie es thun, wenn wir darum bitten.“

„Nein, das werden wir nicht,“ antwortete der Hobble-Frank.

„Nicht?“ fragte Baumgarten. „Warum?“

„Erstens weil wir hier bleiben müssen, um mit Shatterhand und dem Apachen zusammenzutreffen, und zweitens weil wir uns nur solchen Leuten anzuschließen pflegen, welche Vertrauen zu uns haben.“

„Das haben wir ja!“

„Nein.“

„Wieso?“

„Hat Mr. Rollins es nicht sehr deutlich in Frage gestellt, ob wir Euch nützen würden?“

„Das war nicht so gemeint, wie Ihr es aufzunehmen beliebt. Ihr habt ihn besorgt gemacht und tragt also selbst die Schuld, wenn er sich nun bedenklich zeigt. Was aber mich betrifft, so halte ich grad euch beide für die Leute, welche wir brauchen, und denke, daß ihr einen Landsmann nicht im Stiche lassen werdet.“

„Hm, das mit dem Landsmann hat seine Richtigkeit; ein Deutscher kann stets und überall auf uns rechnen. Ich würde also wohl mitgehen; aber Ihr wißt es ja, warum wir hier bleiben müssen.“

„Müssen? Das wohl nicht. Winnetou und Old Shatterhand können uns ja nachkommen, oder, wenn sie das nicht wollen, hier warten, bis Ihr zurückkehrt. Bedenkt, daß wir bis zum Chellyflusse nur drei Tage zu reiten haben; das wären sechs Tage für hin und zurück, gewiß keine lange Zeit für Leute, welche nicht nach Stunden zu rechnen brauchen, sondern vielmehr freie Herren ihrer Tage und Wochen sind. Euch und ihnen kann es sogar auf Monate und Jahre nicht ankommen.“

„Das geben wir zu; in dieser Beziehung sind wir nicht nur Freiherren, sondern Grafen und Fürsten. Übrigens sind wir überzeugt, daß unsre berühmten Freunde sehr gern auf uns warten, oder gar uns nachfolgen werden, wenn wir sie durch den Ranchero darum bitten lassen. Sie haben keine Ahnung davon, daß wir hier sind, und schon die Freude, uns so unerwartet wiederzusehen, wird sie veranlassen, unsern Wunsch zu erfüllen. Was meinst du dazu, Vetter Droll?“

„Wir reiten mit,“ antwortete der Gefragte kurz entschlossen. „Old Shatterhand kommt sicher nach und der Apache auch. Ich brenne darauf, diesem Ölprinzen ein wenig auf die Finger zu sehen, und da er nicht warten will, so bleibt uns nichts übrig, als mitzugehen. Es gibt hier zwei Gründe, welche so wichtig sind, daß wir ihnen folgen müssen. es handelt sich um ein Millionengeschäft, und Mr. Baumgarten ist ein Deutscher, der ein Recht hat, Teilnahme und Hilfe von uns zu erwarten.“

„Ich danke euch!“ sagte der letztere, indem er ihnen die Hände drückte. „Ich will nun auch offen sein und gestehen, daß ich dem Ölprinzen kein volles Vertrauen entgegengebracht habe; grad darum bat ich Mr. Rollins, mich mitzunehmen. Ich habe Grinley unterwegs stets beobachtet und sehr scharf im Auge behalten, aber freilich nichts entdeckt, was mein Mißtrauen hätte vergrößern können. Jedoch nun, wo ich solche Leute, wie ihr seid, bei uns weiß, ist mir für die Folge nicht mehr bange. Schlagt ein, wollen gute Kameraden sein!“

Er reichte den beiden abermals die Hände, und der Bankier folgte diesem Beispiele. Er schien jetzt erfreut darüber zu sein, solche Begleiter gefunden zu haben. Der Ranchero war herbeigekommen, hatte den letzten Teil des Gespräches mit angehört und sagte nun:

„So ist’s recht, Mesch’schurs; haltet gut zusammen! Ich denke nicht, daß ihr das wegen des Ölprinzen nötig haben werdet, denn ich kann nichts Böses über ihn sagen; aber der Indianer wegen gebe ich euch diesen Rat. Die Nijoras und Navajos haben ihre Kriegsbeile ausgegraben und selbst den Moquis, die sonst außerordentlich friedlich sind, soll heute nicht mehr zu trauen sein. Ihr werdet also nicht hierblieben. Was soll ich Winnetou und Old Shatterhand sagen, wenn sie kommen?“

„Daß sie hier auf uns warten oder, noch weit besser, uns nach dem Chellyflusse sofort folgen sollen,“ antwortete Droll. „Ich muß Euch aber sehr bitten, dem Ölprinzen hiervon nichts mitzuteilen!“

„Das verspreche ich Euch gern; er soll kein Wort erfahren. Wo er nur stecken mag? Will doch einmal nach ihm sehen.“

Er ging hinaus vor das Thor, wohin Grinley vorhin vorausgegangen war, und sah sich nach demselben um. Da erblickte er eine Gruppe von Reitern, welche sich von Süden her dem Rancho näherte. Diese Leute waren noch so fern, daß man jetzt nur bemerken konnte, daß sie auch Lasttiere bei sich hatten. Bald darauf aber erkannte Forner, daß die Gesellschaft nicht nur aus Männern bestand; es waren auch Frauen und Kinder dabei. Einige Reiter hatten Pferde; die übrigen saßen auf Maultieren.

Voran ritt ein kleiner Kerl, welcher in einem großen und viel zu weiten bockledernen Jagdrocke stak. Von dem Gesichte waren wegen eines außerordentlich starken Bartwuchses nur zwei kleine, listig blickende Äuglein und eine Nase zu sehen, welche fast erschreckende Dimensionen besaß. Dieses Männchen war Sam Hawkens, welcher mit seinen beiden Gefährten Dick Stone und Will Parker die Leitung der Auswandererkarawane übernommen hatte und mit derselben von dem erst projektierten Wege abgewichen war, weil das Verbleiben auf demselben zu viel Zeit erfordert hätte. Er ließ sein altes Maultier, die „Mary“, aus dem langsamen Marschschritte in Galopp fallen, hielt sie vor Forner an und grüßte:

Good day, Sir! Nicht wahr, diese Niederlassung wird Forners Rancho genannt?“

„Ay, Master, das ist so,“ antwortete der Farmer, indem er erst den Kleinen und dann die nachfolgenden Reiter musterte. „Ihr scheint wohl Emigranten zu sein, Master?“

Yes, wenn Ihr nämlich nichts dagegen habt.“

„Ist mir recht, wenn ihr nur ehrliche Kerls seid. Wo kommt ihr her?“

„Ein wenig von Tucson herauf.“

„Da habt ihr einen bösen Weg gehabt, zumal Kinder bei euch sind. Und wo wollt ihr hin?“

„Gegen den Colorado zu. Ist der Ranchero daheim?“

Yes, wie ihr seht. Ich bin es selbst.“

„So sagt, ob wir bis morgen früh bei Euch rasten dürfen?“

„Soll mir recht sein; denn ich hoffe, daß ich es nicht zu bereuen brauche, wenn ich euch diese Erlaubnis gebe.“

„Werden Euch nicht fressen; darauf könnt Ihr Euch verlassen. Und was wir vielleicht von Euch entnehmen, das werden wir gern bezahlen.“

Er stieg ab. Der Ölprinz hatte erst fern gestanden, war aber näher gekommen und hatte alles gehört. Er wußte nun, daß er die Auswanderer vor sich hatte, von denen er von seinem Bruder und dem ungetreuen Führer gehört hatte. Die im Hofe befindlichen Personen kamen auch an das Thor, und zwar grad in dem Augenblicke, in welchem die Gesellschaft dort anlangte, um abzusteigen. Das ging aber nicht so glatt, wie man erwartet hatte. Der Maulesel, auf welchem Frau Rosalie saß, schien seinen Kopf für sich zu haben; er wollte sie nicht herablassen, sondern weiterlaufen. Der Hobble-Frank trat als stets galantes Kerlchen herbei, um ihr behilflich zu sein, und das empörte den Maulesel in der Weise, daß er mit allen vier Beinen zugleich in die Luft ging und sie abwarf. Die Frau hätte sicher einen schweren Fall gethan, wenn Frank nicht so gewandt gewesen wäre, sie aufzufangen. Aber anstatt ihm dafür dankbar zu sein, riß sie sich von ihm los, gab ihm einen sehr kräftigen Rippenstoß und fuhr ihn zornig an:

Sheep’s-head!“ – was so viel wie Schafskopf bedeutet.

Sheep’s-nose – Schafsnase!“ antwortete er in seiner wohlbekannten Zungenfertigkeit.

„Clown – Grobian!“ fuhr sie wütend fort, indem sie ihm die geballte Rechte entgegenstreckte.

Stupid girl – dumme Liese!“ lachte er und wendete sich von ihr ab.

Sie hielt ihn für einen Amerikaner und hatte sich also derjenigen englischen Kampfeswörter bedient, welche ihr bekannt waren, die stupid girl aber brachte sie in solche Aufregung, daß sie seinen Arm faßte und ihn deutsch andonnerte, weil ihr englischer Sprachschatz nun nicht weiterreichte:

„Sie Esel, großartiger, Sie! Wie können Sie eine Dame schimpfen! Wissen Sie, wer ich bin? Ich bin Frau Rosalie Eberschbach, geborene Morgenschtern und verwitwete Leiermüllern. Ich werde Sie beim Gerichtsamte anzeigen! Erscht machen Sie mir meinen Esel irre; nachher quetschen Sie Ihre Arme um meine Tallje, und endlich werfen Sie mir Schimpfwörter ins Gesicht, die een anschtändiger Mensch gar nich kennen darf. Das muß gerochen werden! Ich werde Sie ganz exemplarisch beschtrafen lassen. Verschtehn Se mich?“

Sie blickte ihn höchst herausfordernd an und stemmte kampfeslustig beide Hände in die Hüften. Der Hobble-Frank trat vor Überraschung einen Schritt zurück und fragte:

„Wie war das? Ihr Name is Rosalie Eberschbach?“

„Ja,“ antwortete sie, indem sie ihm diesen Schritt folgte.

„Geborene Morgenschtern?“ fuhr er fort, indem er zwei Schritte retirierte.

„Natürlich! Oder hab’n Sie vielleicht etwas dagegen?“ erwiderte sie, indem sie ihm um zwei Schritte folgte.

„Verwitwete Leiermüllern?“

„Na, freilich!“ nickte sie.

„Aber da sind Sie doch wohl eene Deutsche?“

„Und was für eene! Sagen Se nur noch een falsches Wort, so werden Se mich kennen lernen! Ich bin gewöhnt, daß man per Galanterie mit mir verkehrt. Verschtehn Se mich!“

„Und ich bin doch galant gegen Sie gewesen!“

„Galant? Was Se nich sagen! Is es etwa galant von Ihnen, sich an meinem Esel zu vergreifen?“

„Ich wollte ihn nur halten, weil er Ihnen nich gehorchte.“

„Nich gehorchte? Da hört aber gradezu alles und verschiedenes off! Mir gehorcht jeder Esel; das können Se sich merken! Und nachher haben Se mich in Ihren Armen halb zerdrückt. Der Atem ging mir aus, und das Feuer is mir förmlich aus den Oogen herausgefahren. Das muß ich mir schtreng verbitten. Mit eener Dame muß man hübsch sachte und behutsam verfahren. Wir sind das schönere und ooch das sanftere Geschlecht und wollen zart behandelt sein. Wer aber wie een Packträger zugreift und – – –“

Sie hielt inne, denn sie wurde unterbrochen; es erscholl hinter ihr ein Ausruf, der sie verstummen ließ, ein Ausruf der Verwunderung und des Entzückens:

„Herr Jemmineh, das ist ja doch wohl der berühmte Hobble-Frank!“

Frank wendete sich schnell um und rief, als er den Sprecher sah, mit ebenso großem Erstaunen:

„Unser Kantor Hampel! Is das denn die Möglichkeet! Schteigen Sie ab, und schweben Sie in meine Arme!“

Der langsame Opernbeflissene war, wie gewöhnlich, zurückgeblieben und erst jetzt beim Thore angekommen. Er hielt warnend den Finger empor und antwortete:

„Kantor emeritus, wenn ich bitten darf, Herr Frank! Sie wissen ja, es ist nur der Vollständigkeit halber und um etwaige Verwechselungen zu vermeiden. Es könnte leicht einen zweiten Kantor Matthäus Aurelius Hampel geben, der noch nicht emeritiert worden ist. Und sodann möchte ich Sie, ehe ich absteige, auf einen noch andern Punkt aufmerksam machen.“

„Off welchen denn?“

„Das werde ich Ihnen gleich sagen.“

„Sie sehen, wie begierig ich darauf bin, mein sehr verehrter und lieber Kantor.“

„Sehen Sie, da ist es schon wieder! Sie sagen bloß Kantor, während ich Sie höflicher Weise Herr Frank tituliere. Ein jünger der Kunst darf sich nichts vergeben, und darum muß ich Sie bitten, bei mir zukünftig den Herrn nicht wegzulassen. Das ist nicht etwa Stolz von mir, sondern nur der Vollständigkeit wegen, wie Sie wohl wissen werden.“

Der Kantor kletterte sehr vorsichtig vom Pferde und umarmte Frank mit majestätischen Bewegungen. Dieser meinte lachend:

„Wir befinden uns hier merschtenteels im wilden Westen, wo so eene Vollschtändigkeet eegentlich gar nich nötig is; aber wenn es Ihnen Schpaß und Vergnügen macht, da werde ich Herr Kantor sagen.“

„Herr Kantor emeritus, bitte ich!“

„Gut, schön! Aber sagen Sie mir jetzt zu allererscht, wo und wie Sie da so hergeschneit kommen. Sie können sich mit aller Offiziellität daroff verlassen, daß ich een Reservoir mit Ihnen hier nicht für möglich gehalten hätte.“

„Revoir, auf deutsch Wiedersehen, wollen Sie wohl sagen! Das wundert mich sehr. Sie mußten auf ein Zusammentreffen mit mir gefaßt sein, Sie kennen doch meine Absicht, eine Oper zu komponieren?“

„Ja, Sie haben davon gesprochen, eene Oper von drei oder vier Aktricen.“

„Zwölf! Und nicht Aktricen, sondern Akte! Es soll eine Heldenoper werden, und da Sie mir von den Helden des Westens erzählt haben, so wollte ich mit Ihnen nach dem Westen reisen, um mir Stoff für diese Oper zu sammeln. Sie sind aber leider fortgegangen, ohne mich zu benachrichtigen, und da ich ungefähr wußte, wohin Sie sind, so bin ich nachgekommen.“

„Welche Unvorsichtigkeet! Meenen Sie etwa, daß man sich hier so leicht und so schnell treffen kann wie derbeeme off dem Haus- oder Oberboden? Sie haben da mit eener gradezu lebensgefährlichen Unvorsichtigkeet gehandelt, und ich muß Ihnen eene kräftige Reprisande erteelen, denn es gibt –“

„Reprimande wollen Sie wohl sagen,“ fiel ihm der Kantorin die Rede, „was einen Verweis, einen Tadel zu bedeuten hat.“

Da zog Frank die Stirn in Falten und sagte in sehr ernstem Tone:

„Hören Sie, Herr Kantor, Sie haben mir nun schon bereits zum drittenmale widersprochen; das kann und darf ich aber unmöglich dulden. Die erschten beeden Male habe ich’s unbeschtraft hingehen lassen; jetzt aber darf ich meine Nachsicht nich länger kompendieren. Sie wissen nich bloß, wer und was ich bin; Sie wissen ooch, was ich leiste. In allen Wissenschaften gut sistiert, habe ich mir besondersch in Fremdwörtern eene Untrüglichkeet angeeignet, die sich niemals gymnastieren läßt. Ihre Widerschprüche sind also Beleidigungen für mich, wegen denen ich mich eegentlich mit Ihnen duellisieren müßte, wenn ich nich so een guter Freund von Ihnen wäre. Also reden Sie mir nich mehr drein, wenn ich in Zukunft wieder etwas sage; es könnte das unsre gegenseitige Sympathie auseenanderpartizipieren, was mir um Ihretwillen leid thun würde. Jetzt aber geschtatte ich mir, Ihnen hier meinen Freund und Vetter vorzuschtellen, wofür ich hoffe, daß Sie mich mit Ihren Begleitern subkutan bekannt machen werden. Bei mir heeßt es immer wie bei Cäsar: fenni, fitti, fitschi, zu deutsch: er kam, sie packte ihn, und ich kriegte ihn!“

Der Kantor schien große Lust zu haben, ihn abermals zu verbessern, sah aber glücklicherweise davon ab und nannte ihm die Namen aller derer, welche mit ihm gekommen waren. Da gab es ein freudiges Hallo, als die Männer, welche so viel voneinander gehört hatten, sich nun persönlich kennen lernten, besonders als Sam, Dick und Will erfuhren, daß sie mit Old Shatterhand und Winnetou zusammentreffen würden. Da gab es zu erzählen und tausend Fragen zu beantworten. Aber zunächst war es notwendig, das Lager zu errichten und für die Tiere zu sorgen; alles andre mußte aufgeschoben werden.

Als man damit beschäftigt war, sah der Ölprinz eine Weile zu. Er hatte versprechen müssen, sich der Auswandererkarawane zu bemächtigen und sie seinem Bruder und dessen Begleiter nachzubringen; darum nahm er einen Augenblick wahr, an welchem sich Sam Hawkens abgesondert von den andern befand, grüßte ihn höflich und sagte:

„Ich habe gehört, Sir, daß Ihr Sam Hawkens, der berühmte Westmann seid. Hat man Euch vielleicht meinen Namen genannt?“

„Nein,“ antwortete der Kleine, auch in höflichem Tone. Der Ölprinz war ein Stiefbruder Buttlers und diesem in Beziehung auf seine Gesichtszüge gar nicht ähnlich. Darum konnte Sam nicht ahnen, daß er einen so nahen Verwandten des Räubers vor sich hatte.

„Ich heiße Grinley; man nennt mich in dieser Gegend den Ölprinzen, weil ich eine Stelle weiß, an welcher eine außerordentlich ergiebige Ölquelle zu Tage tritt.“

„Eine Ölquelle?“ fragte Sam sofort interessiert. „Dann seid Ihr sehr glücklich gewesen und könnt ein steinreicher Mann werden. Wollt Ihr die Ausbeutung der Quelle in die eigene Hand nehmen?“

„Nein; dazu bin ich zu arm.“

„Also verkaufen?“

„Ja.“

„Habt Ihr schon einen Käufer?“

„Ich habe einen gefunden. Er sitzt drin im Hofe, Mr. Rollins, ein Bankier aus Brownsville in Arkansas.“

„So laßt Euch nicht über die Ohren barbieren, und verlangt so viel wie möglich! Ihr wollt mit ihm nach der Quelle reiten?“

„Ja.“

„Ist es weit von hier?“

„Nicht sehr.“

Well, der Ort ist natürlich Euer Geheimnis, und ich will Euch nicht nach demselben fragen. Aber Ihr habt mich angeredet, und ich schließe daraus, daß Ihr irgend einen Grund habt, Euch mir zu nähern?“

„Das ist richtig, Sir. Man sagte vorhin, daß Ihr nach dem Colorado wollt?“

„Allerdings.“

„Meine Petroleumquelle liegt am Chellyflusse und ich habe von hier aus also die Richtung, welche auch Ihr reitet.“

„Freilich wohl; aber warum sagt Ihr das grad mir?“

„Weil ich Euch bitten wollte, mir zu erlauben, mich Euch anzuschließen.“

„Mit Eurem Bankier?“

„Ja, und mit dem Buchhalter desselben, welcher bei ihm ist.“

Sam betrachtete den Ölprinzen vom Kopfe bis zu den Füßen herab und antwortete dann:

„Hm, man kann hier in der Wahl seiner Begleiter nicht vorsichtig genug sein, wie Ihr wohl wissen werdet.“

„Ich weiß das gar wohl; aber sagt mir doch, Sir, ob ich wie ein Mensch aussehe, dem man kein Vertrauen schenken darf?“

„Das will ich nicht behaupten. Aber warum wollt Ihr mit uns reiten? Einen Fundort von Petroleum hält man doch geheim, und darum ist es auffällig, daß Ihr Euch uns anschließen wollt, wenn ich mich nicht irre.“

„Was das betrifft, so bin ich überzeugt, daß ein Sam Hawkens mich nicht betrügen wird.“

Well; damit habt Ihr den Nagel auf den Kopf getroffen. Durch mich und meine Kameraden werdet Ihr sicher keinen einzigen Tropfen Öl verlieren.“

„Ich habe noch einen andern Grund, sogar zwei. Die Roten sind unruhig geworden, und da fühle ich mich bei Euch sichrer, als wenn ich mit meinen beiden unerfahrenen Leuten allein reiten müßte. Das werdet Ihr wohl begreifen?“

„Sehr gut.“

„Und sodann hat Mr. Frank mich in große Verlegenheit gebracht. Wir haben ihm aufrichtig mitgeteilt, was wir droben am Chelly wollen, und er hat mir diese Offenheit damit vergolten, daß er den Bankier mißtrauisch gemacht hat. Er glaubt nicht, daß am Chelly Petroleum zu finden ist.“

„Hm, das kann ich ihm nicht verdenken. Ich muß Euch sagen, Sir, daß ich auch nicht daran glaube.“

„Das sagt Ihr im Ernste?“

„Im vollen Ernste.“

„So haltet auch Ihr mich für einen Schwindler?“

„Nein.“

„O doch. Es ist ja gar nicht anders möglich, wenn Ihr nicht an meine Behauptung glaubt.“

„Ich denke, daß Ihr getäuscht worden seid.“

„Es hat mich niemand täuschen können, denn ich selbst bin es gewesen, der das Placer entdeckt hat.“

„Kein andrer war dabei?“

„Keinen“

„So habt Ihr sehr einfach Euch selbst getäuscht und irgend eine Flüssigkeit für Petroleum gehalten.“

„Das ist ja gar nicht möglich, Sir. Welche Flüssigkeit könnte das sein?“

„Weiß es auch nicht; aber ich möchte darauf schwören, daß es da oben am Chelly kein Petroleum gibt.“

„Kennt Ihr die Gegend?“

„Ja; ich bin einmal dort gewesen.“

„Längere Zeit?“

„Nein, sondern nur einige Tage; aber das ist gar nicht nötig; man braucht nicht dort gewesen zu sein, um zu wissen, daß kein Erdöl dort vorhanden ist; die Gegend stimmt nicht dazu. ja, wenn Ihr sagtet, Gold und Silber oder irgend ein andres Metall dort entdeckt zu haben, das wollte ich wohl glauben, Petroleum aber nie!“

„Aber ich habe es doch probieren lassen!“

„So! Und wie ist das Gutachten ausgefallen?“

„Zu meiner vollsten Zufriedenheit.“

„Das kann ich nicht begreifen. Dann ist ein Wunder geschehen, und ich gestehe Euch, daß es mich verlangt, dieses sonderbare Petroleum zu sehen.“

„Das könnt Ihr, Sir. Wenn Ihr uns die Erlaubnis gebt, uns Euch anzuschließen, werdet Ihr es zu sehen bekommen.“

„Ihr würdet mich zu dem Placer führen?“

„Ja.“

Well; das ist mir wirklich hoch interessant. Also Mr. Frank hat auch nicht an das Öl geglaubt und Mr. Droll wohl auch nicht?“

„Beide nicht.“

„Und Ihr ärgert Euch natürlich darüber?“

„Darüber eigentlich nicht, sondern vielmehr darüber, daß sie den Bankier mißtrauisch gemacht haben. Sie konnten meinetwegen zehnmal oder hundertmal zweifeln; aber ihm ihren Unglauben aufzureden, das hätten sie nicht thun sollen. Sie konnten mir dadurch leicht das Geschäft, welches ich vorhabe zu Schanden machen.“

„Ist dieser Mr. Rollins denn wirklich zweifelhaft geworden?“

„Ja. Und eben auch aus diesem Grunde habe ich Euch gebeten, mich mitzunehmen. Sie wissen sich dann unter Eurem Schutze und werden nicht länger denken, daß ich irgend etwas gegen sie unternehmen will. Wollt Ihr mir den Gefallen thun, Sir?“

„Gern, möchte aber vorher meine Gefährten darum fragen.“

„Ist das nötig, Sir? Sehe ich so wenig Vertrauen erweckend aus, daß Ihr, der Ihr der Anführer zu sein scheint, Euch erst die Genehmigung andrer holen müßt?“

„So schlimm ist es nicht. Wenn Ihr nichts dagegen habt, daß ich aufrichtig gegen Euch bin, will ich Euch ehrlich sagen, daß ich Euch nicht für einen Schwindler, aber auch nicht für das Gegenteil halte; ich halte Euch für einen Menschen, den man erst kennen lernen und prüfen muß, um ihn richtig beurteilen zu können. Darum wollte ich mich erst bei Dick Stone und Will Parker erkundigen.“

„Alle Teufel, Sir! Diese Eure Aufrichtigkeit ist nicht etwa ein Kompliment gegen mich!“

„Aber sie ist doch besser, als wenn ich Euch in das Gesicht freundlich, hinterrücks aber mit Mißtrauen behandelte. Und damit Ihr seht, daß es nicht gar so schlimm gemeint ist, will ich meine Gefährten nicht erst fragen, ob sie Euch mitnehmen wollen, sondern Euch meine Zustimmung gleich jetzt erteilen.“

„Den Bankier und seinen Buchhalter eingeschlossen?“

„Versteht sich doch ganz von selbst, Sir.“

„Wann reitet Ihr von hier fort?“

„Morgen früh, wenn ich mich nicht irre. Wann wolltet denn Ihr weiter?“

„Heute schon; aber ich werde Mr. Rollins und Mr. Baumgarten zu bestimmen suchen, bis morgen zu warten.“

„Thut das, Sir; denn unsre Tiere sind ermüdet und die Frauen und Kinder ebenso, weil diese des Reitens nicht gewohnt sind. Ich will hoffen, daß ich es nicht zu bereuen haben werde, Euch meine Zustimmung gegeben zu haben.“

„Keine Sorge, Sir! Ich bin ein ehrlicher Kerl und glaube dies auch dadurch bewiesen zu haben, daß ich trotz der Gefahr, die ich dabei laufen könnte, bereit bin, Euch das Placer zu zeigen. Ein andrer würde das wohl schwerlich thun.“

„Ja; ich wenigstens würde mich sehr hüten, mein Geheimnis außer dem Käufer noch andern Leuten zu verraten. Also wir sind einig, Sir; morgen früh wird aufgebrochen.“

Er wendete sich von ihm ab. Der Ölprinz wendete sich nach dem Hofe, indem er einen Fluch ausstieß und dann zornig vor sich hinmurmelte:

Damned fellow! Das sollst du mir büßen! Mir so etwas in das Gesicht zu sagen! Ich muß erst beobachtet und geprüft werden, ehe man mich für einen ehrlichen Menschen halten kann! Der Blitz soll dir dafür in die Glieder fahren! jetzt freut es mich, daß mein Bruder diese Halunken haben will. Hatte erst wenig Lust, mich mit ihnen abzugeben; nach dieser Beleidigung aber wird es mir eine Wonne sein, sie ihm zuzuführen. ja, sie sollen Petroleum zu sehen bekommen, und zwar was für welches!“

Die Pferde, Maultiere und Maulesel waren jetzt entsattelt und weideten im frischen Grase oder thaten sich im Wasser des Flusses gütlich. Mit Hilfe von Stangen, welche Forner herlieh, und Decken wurden Zelte improvisiert, da so viele Personen nicht im Innern des Rancho Platz finden konnten; die Zelte wurden im Hofe errichtet. Dann entwickelten die Frauen eine sehr rege Thätigkeit, welche bald zur Folge hatte, daß der Hof vom Dufte gebratenen Fleisches und neu gebackener Maisfladen erfüllt war. Zu dem Schmause, weicher nun begann, wurden der Hobble-Frank und auch die Tante Droll eingeladen. Die andern mochten für sich selber sorgen.

Frank lachte still in sich hinein, als er bemerkte, wie besorgt Frau Rosalie Ebersbach, geborene Morgenstern und verwitwete Leiermüller für ihn war. Sie legte ihm die besten Bissen vor; er mußte fast mehr essen, als er vermochte, und als er schließlich nicht mehr konnte und sehr energisch dankte, weil sie ihm noch einen dampfenden Maiskuchen aufzwingen wollte, bat sie ihn:

„Nehmen Sie doch nur dieses noch, Herr Hobble-Frank! Ich gebe es Ihnen ungeheuer gern. Verschtehen Se mich?“

„O ja,“ lachte er. „Ich habe ja schon vorhin gesehen, daß Sie mir gern ‚was geben. Beinahe hätte ich sogar Ohrfeigen bekommen.“

„Weil ich nich wußte, wer Sie eegentlich sind. Wenn ich Sie für den berühmten Hobble-Frank gehalten hätte, wäre das Mißverschtändnis gar nich vorgefallen.“

„Aber eenem andern gegenüber wären Sie demnach grob gewesen?“

„Verschteht sich ganz von selbst. So een Betragen is eene Beleidigung, und beleidigen lasse ich mich eenmal nich, denn ich bin nich nur eene gebildete, sondern ooch eene tapfere Frau und weeß genau, wie man sich zu verhalten hat, wenn man als Dame nich mit der erforderlichen Weechherzigkeet behandelt wird.“

„Aber ich wiederhole Ihnen, daß von eener Unzartheet oder gar Beleidigung gar keene Rede war. Ich wollte Ihnen eene ritterliche Offmerksamkeet erweisen, weil Ihr Maulesel schtörrisch war. Mir haben Sie fälschlicherweise die Vorwürfe gemacht, während der Esel es gewesen is, der sich nich als Gentleman gegen Sie betragen hat.“

„Was brauchten Sie ihn aber anzugreifen? Sie hatten doch nich die allerkleenste Ursache dazu. Ich wäre schon alleene mit ihm fertig geworden. Ich verschtehe es schon mit Eseln umzugehen, von welcher Sorte sie nur immer sein mögen. Sie werden mich schon noch kennen lernen. Wenn Sie ‚mal eene recht resolute Person brauchen, so wenden Se sich nur an mich. Ich fürchte mich vor keenem Esel und vor keenem Maultiere, vor keenem roten Indianer und ooch vor keenem weißen Bleichgesichte. Der Herr Kantor emeritus hat uns so viel Liebes und Schönes von Ihnen erzählt, daß ich Sie lieb gewonnen habe und bereit bin, Ihnen in aller Not und Gefahr hilfreich beizuschpringen. Sie können sich droff verlassen: ich gehe für Sie durchs Feuer, wenn es sein muß. Da, nehmen Sie noch dieses Schtückchen Rindfleesch; es is das beste, was ich noch für Sie habe.“

„Danke, danke!“ wehrte er ihr ab. „Ich kann nich mehr, wirklich nich mehr. Ich bin geschtoppt voll und könnte mir, wenn ich noch mehr äße, leicht eene gefährliche Indigestikulation zuziehen.“

„Indigestion, wollen Sie wohl sagen, Herr Frank,“ fiel der Kantor ihm in die Rede. Da aber fuhr ihn der Kleine zornig an:

„Schweigen Sie, Sie konfuser Emeritechnikus! Was verschtehen denn Sie von griechischen und arabischen Wörterbüchern! Sie können zwar Orgel schpielen und vielleicht ooch Opern komprimieren, im übrigen müssen Sie ganz schtille sein, zumal eenem Prairiejäger und Gelehrten gegenüber, wie ich eener bin. Wenn ich mich mit Ihnen in gelehrten Schtreit einlassen wollte, würden Sie doch allemal kleene zugeben müssen!“

„Das möchte ich denn doch bezweifeln,“ wendete der Kantor ein.

„Wie? Was? Das wollen Sie nich zugeben? Soll ich’s Ihnen beweisen? Soll ich Ihnen zeigen, was für eene schprächliche Null Sie gegen mich sind, wenn es sich um unsre extrakten Wissenschaften handelt?“

„Exakt muß es heißen, Herr Frank!“

Da fuhr der Kleine ihn noch zorniger als vorher an:

„Was? Schon wieder wollen Sie mich verbessern? Was meenen Sie denn eegentlich mit Ihrem exakt, he?“

„Unter exakten Wissenschaften versteht man bekanntlich diejenigen Wissenschaften, welche auf sichern, feststehenden Kenntnissen beruhen.“

„Ach so! Und damit wollen Sie mich Schlagen, mich, den berühmten Hobble-Frank? Wissen Sie, was das zu bedeuten hat? Besitzen Sie eene Ahnung davon? Es soll Ihnen gleich een Licht offgehen! Was verschtehen Sie denn nu zweetens unter dem Worte, dessen ich mich höchst zutreffender Weise bedient habe; ich meene nämlich das Wort extrakt?“

„Den Auszug aus irgend etwas, zum Beispiele aus Schriften, aus Kräutern und so weiter.“

„Schön, sehr schön, mein lieber Herr Kantor emeritus! Sie geben aber doch wohl zu, daß der Extrakt stets das Beste enthält? Lindenblütenextrakt zum Beispiel enthält die ganzen körperlichen und geistigen Fähigkeiten, welche in der Lindenblüte geschteckt haben. Nich?“

„Ja, wenn ich mich auch vielleicht etwas anders ausgedrückt hätte.“

„O bitte, drücken Sie sich immer ergebenst aus, wohin es Ihnen beliebt, ich bin Ihnen nich im geringsten hinderlich. Die Hauptsache is, daß Sie mir zugeschtimmt haben. Extrakt is der Inbegriff aller Geister, die sich herausziehen lassen. Wenn ich nun von extrakten Wissenschaften schpreche, so meene ich natürlich, daß die Geister aller Wissenschaften in mir vereenigt sind. Das muß jedes Kind einsehen, Ihnen aber scheint diese Schprache viel zu hoch zu sein. Es ist wirklich nich zu begreifen, wie es menschenmöglich sein kann, daß Sie sich vorhin über meine Indigestikulation offgehalten haben!“

„Weil es Indigestion heißen muß.“

„So, so! Was soll denn dieses schöne, liebliche Wort bedeuten?“

„Unverdaulichkeit. Indigestibel bedeutet unverdaulich oder unverdaubar.“

„Das gloobe ich Ihnen sofort und von ganzem Herzen, denn Sie selber sind im höchsten Grade indigestibel; wenigstens ich kann Sie ganz unmöglich verdauen. Was haben Sie nun aber gegen das Wort, welches ich gebraucht habe, nämlich Indigestikulation?“

„Daß es kein richtiges Wort, sondern der reine Unsinn ist.“

„Ach so, hm, hm! Und was heeßt denn wohl Gestikulation?“

„Die Gebärdensprache, die Sprache durch Bewegung der Hand oder andrer Körperteile.“

„Schön, sehr schön! jetzt habe ich Sie, wohin ich Sie haben wollte. Jetzt sind Sie gefangen wie Kleopatra von Karl Martell in der Schlacht an der Beresina! Also Gestikulation is Gebärden- oder Bewegungsschprache, und indi bedeutet innerlich, sich off den Magen beziehend, denn Sie haben selber gesagt, daß indigestibel unverdaulich heißt. Also wenn ich mich des sehr geistreichen Ausdruckes Indigestikulation bediene, so habe ich zu viel gegessen und will durch die Blume andeuten, daß mein Magen sich in schtürmische Windungen versetzt, um mich durch diese Gebärden- und Bewegungsschprache daroff offmerksam zu machen, daß ich Messer, Gabel und Löffel nun in die Serviette wickeln und beiseite legen soll. Sie aber scheinen für solche zarten Andeutungen Ihres Magens keen Verschtändnis zu besitzen, sonst hätten Sie meine Indigestikulation nich angezweifelt. Is Ihnen vielleicht die Fabel von dem Frosche und dem Ochsen bekannt?“

„Ja.“

„Nu, wie war die denn?“

„Der Frosch sah einen Ochsen, wollte sich so groß machen, wie dieser war, blies sich auf und –- zerplatzte dabei.“

„Und die Lehre, welche man aus dieser Fabel zu ziehen hat?“

„Der Kleine soll sich nicht groß dünken, sonst kommt er in Schaden.“

„Schön, sehr schön! Ausgezeichnet sogar!“ stimmte Frank begeistert bei. „Nehmen Sie sich diese Lehre zu Herzen, Herr Kantor emeriticus!“

„Warum, wenn ich Sie darum fragen darf?“

„Weil diese Fabel außerordentlich gut off uns paßt, nämlich off Sie und mich.“

„Wieso?“

Das schlaue Lächeln, mit welchem der Kantor dieses Fragewort aussprach, ließ erraten, daß er beabsichtigte, den Hobble-Frank in seine eigene Falle zu locken. Auch die andern blickten mit großer Spannung zu dem erregten Kleinen herüber; sie waren neugierig, ob er wirklich in die Grube fallen würde, in welche der Kantor stürzen sollte. Frank war zu begeistert, dies zu bemerken; er antwortete auf das „Wieso?“ des Emeritus, ohne sich zu überlegen, was er sagte:

„Weil Sie geistig unbedeutend sind, während ich eene Größe bin. Wenn Sie sich mit mir vergleichen wollen, so müssen Sie unbedingt zerplatzen, denn Sie sind in Bezug off Kenntnisse, Fertigkeeten und Wissenschaften der kleene Frosch, während ich in allen diesen Dingen der große Och – – –“

Frank hielt mitten im Worte inne; sein Gesicht wurde länger; er erkannte plötzlich, an welcher Leimrute er im Begriff stand, kleben zu bleiben.

„… der große Ochse bin,“ ergänzte der Kantor den unterbrochenen Satz. „Ja, ja, da haben Sie Recht. Ihr Beispiel ist nicht ganz unzutreffend gewählt, besonders rücksichtlich des einen Bildes, welches Sie auf sich beziehen.“

Es brach natürlich ein allgemeines Gelächter aus, welches gar nicht enden wollte. Frank schrie zornig dazwischen hinein, was aber nur zur Folge hatte, daß das Lachen immer stärker wurde und immer wieder von neuem ausbrach. Da sprang er, im höchsten Grade ergrimmt, auf und brüllte, was er nur brüllen konnte:

„Haltet die Mäuler, ihr Schreihälse, ihr! Wenn ihr nich off der Schtelle schtille seid, reite ich fort und lasse euch hier sitzen!“

Aber man beachtete diese Drohung nicht; das Gelächter schwoll im Gegenteile von neuem an und selbst sein Freund und Vetter Droll lachte, daß er sich den Bauch mit beiden Händen halten mußte. Dies brachte den Hobble vollends außer sich, er schüttelte die geballten Fäuste wütend gegen die Lachenden und rief mit vor Zorn fast überschnappender Stimme:

„Nu gut! Ihr wollt nich hören, da sollt ihr fühlen! Ich schüttle den Schtaub von meinen Schtiefeln wie Johann Huß off seinem Scheiderhaufen in Magenta und gehe meine Wege. Düh l’ah wollüh, Anton! Ich wasche meine Hände in kindlicher Unschuld und lasse die Seefe bei euch zurück. Adieu, off Reservoir in eener bessern Welt, wo’s keene dummen Menschen gibt, die über meine reformatorische Geistesgröße lachen!“

Er rannte davon, während das Gelächter nun wahrhaft homerisch hinter ihm erscholl. Sein Pferd graste draußen im Freien; er lief hinaus.

Ein einziger nur war es, der nicht mit in das Lachen eingestimmt hatte, nämlich Schi-So, der Häuptlingssohn. Der angeborene Indianerernst ließ ihn zurückhaltend sein. Er verstand ja auch deutsch und hatte gar wohl gehört, in welch drolliger Weise Frank in sein eigenes Netz gelaufen war; er fühlte sich auch belustigt, doch fand seine Heiterkeit ihren Ausdruck nur in einem Lächeln, welches um seine Lippen spielte. Er erhob sich nach kurzer Zeit von seinem Platze und ging nach dem Thore, um sich nach dem zornigen Kleinen umzusehen. Bereits nach wenigen Augenblicken kehrte er zurück und meldete.

„Er macht wirklich Ernst, denn er sattelt draußen sein Pferd. Soll ich ihn bitten zurückzukommen?“

„Nee,“ antwortete Droll in seiner Altenburger Mundart. „Er will uns nur in Verlegenheet bringe. Ich kenne meine Pappenheimer; dem fällt es epper gar nich ein, fortzureite und mich hier sitze zu lasse.“

Dennoch kehrte Schi-So an das Thor zurück. Kaum war er dort angekommen, so ließ er einen Pfiff hören und rief, als sie nach ihm hinblickten, ihnen zu:

„Er steigt auf; es scheint ihm Ernst zu sein.“

Nun rannten alle hin. Da kamen sie gerade recht, zu sehen, daß der ergrimmte Hobble wirklich im Sattel saß und, sein Pferd nach dem Flusse lenkend, fortritt. Droll rief ihm nach.

„Frank, Vetter, wo willste hin? Es war ja gar nich so gemeent!“

Der Hobble drehte sein Pferd herum und antwortete:

„Meents wie ihr wollt; der Prairiejäger und Privatgelehrte Heliogabalus Morpheus Edeward Franke läßt sich nich auslachen.“

„Mer habe ja nich über dich, sondern über den Kantor gelacht,“ log Droll.

„Das machste mir nich weiß. Ihr habt über den Ochsen gelacht, den ich gar nich ‚mal vollschtändig ausgeschprochen habe; er kam nur halb heraus; die hintere Hälfte is mir im Munde schtecken geblieben. Is das etwa lächerlich?“

„Lächerlich nich, aber höchst gefährlich, eenen halben Ochsen im Maule zu habe; das macht dir wahrhaftig keener von uns nach. Unsre Achtung schteigt; also komm nur wieder her, altes Haus!“

„Fällt mir nich im Troome ein, besonders da du sogar jetzt wieder über den Ochsen lachst. O, Vetter Droll, was muß ich alles von dir erleben und erleiden. Das hätte ich nich gedacht! Aber Schtrafe muß sein. Ich bin Achilles mit der Ferse und werde es mit euch grad so machen, wie er es mit den Russen gemacht hat.“

„Achilles? Der is mir unbekannt und seine Ferse ooch.“

„Pfui Schande, so was nich zu wissen! Und dennoch lachste über mich? Achilles war der größte Held der Schpartaner und zog mit den Russen gegen die Türken aus. Bei der Belagerung von Dünkirchen beleidigte ihn Gortschakoff durch grad so een höllisches Hohngelächter, wie heut das eurige war; da setzte er sich off seinen Rappen und jagte wütend und mit verhängtem Zügel zum Burgthore hinaus. Seit dieser Zeit is er verschwunden, schpurlos verschwunden, und keen Mensch hat ihn jemals wiedergesehn. Zum Andenken aber hat man ihm eenen astronomischen Fixstern an den Himmel gesetzt, mit seinem schpartanischen Namen darüber. Wenn du off die Himmelskarte guckst, kannste ihn am südlichen Firmamente im Bilde des grauen Bären sehen, zu dem ooch der Mond gehört. So wie dieser große Held wird jetzt ooch der Hobble-Frank verschwinden.“

„Unsinn! Komm nur her, und sei nich albern!“

„Albern? Dieses Wort schtößt dem Faß vollends den Boden’naus! Der Hobble-Frank und albern! Hat man jemals so was nur gehört! Nee, ich verschwinde ganz so, wie Achilles unsichtbar geworden is, und lasse mich durch nischt zur Rückkehr mehr bewegen, ooch nich dadurch, daß ihr mir eenen Schtern ’noff an den Himmel setzt. Lebt also wohl, Gentlemen! Habe die Ehre! Mein Kompliment!“

Er wendete wieder um, gab seinem Pferde die Sporen, jagte nach dem Flusse und ritt in denselben hinein.

„Frank, Frank, kehr um, kehr doch um!“ schrie Droll ihm lachend nach. „Du kannst doch deine Tante nich verlasse!“

Der Hobble drehte diesmal nur den Kopf herum und rief zurück:

„Wir sind von heute an geschiedene Leute; da beißt keene Maus keenen Faden nich! Ich drehe mich kontinatürlich weiter, wie sich die Erde um die Sonne dreht. Ich bin für euch een abgeschiedener, toter Mann. Quietist in patrem – Friede eurer Asche!“

Der neue Achilles ritt weiter, über das Flüßchen hinüber und dann in den weiten Camp hinein.

„Das thut mir außerordentlich leid,“ gestand der besorgte Kantor. „Er ist etwas streitfertig, besonders in Beziehung auf die Wissenschaft, aber sonst ein seelensguter Mann. Ich hatte mich so sehr darauf gefreut, ihn zu treffen, und nun haben wir ihn eingebüßt!“

„Für höchstens eenige Schtunden nur,“ antwortete Droll.

„Meinen Sie wirklich?“

„Ja; ich kenne ihn. Wenn man ihm nich recht gibt, so schmollt er gern, wird aber gleich wieder gut.“

„Aber heut scheint es anders zu sein!“

„Nee. So wild wie heut is er freilich noch nie gewese; zum Fortreite is es noch niemals gekomme; aber ich weeß, daß er ohne mich nich lebe kann, und selbst wenn er das könnte, verlasse thut er mich doch sicher nich. Er wird seinen Zorn hinaus in den Camp reite, ihn dort liege lasse und nachher zu uns zurückkomme; darauf könne Sie sich verlasse. Dann dürfe Sie freilich nich off ihn rede; Sie müsse so thun, als ob gar nischt geschehe wäre und als ob Sie ihn gar nich sehe thäte. Überhaupt dürfe Sie ihn, wenn er ‚mal zu schtreite beginnt, nich durch Widerschpruch zornig mache. Er bildet sich nu eemal ein, alle mögliche Gelehrsamkeet zu besitze; das macht keenem eenen Schaden; darum lasse Sie ihn off seinem Schteckenpferd sitze, wenn er es partuh reite will!“

Natürlich waren alle Anwesenden Zeugen der Entfernung Franks gewesen. Sogar das Gesinde des Ranchero hatte, durch das Gelächter angelockt, das Haus verlassen und war vor das Thor gelaufen. Auch der Bankier hatte mit seinem Buchhalter den Vorgang beobachtet; da er nicht deutsch verstand, mußte der letztere ihm die gefallenen Reden erklären. Er lachte nachträglich auf das herzlichste und war neugierig, ob die Voraussetzung Drolls sich erfüllen und Frank wiederkommen werde. Während diese beiden noch miteinander sprachen, trat Sam Hawkens zu ihnen und fragte:

„Ihr wollt nach dem Chellyflusse, Mr. Rollins? Unser Weg führt uns dort vorüber, und morgen früh reiten wir von hier fort, Euer Ölprinz hat die Absicht, sich uns anzuschließen, und ich bin darauf eingegangen. Wißt Ihr schon davon?“

„Nein; er hat mir noch nichts gesagt. Was denkt Ihr von dem Ölfunde?“

„Daß er sich in der Flüssigkeit geirrt hat, wenn es nicht etwas noch Schlimmeres ist. Ich kann Euch nur zur Vorsicht mahnen.“

„Also genau so, wie Mr. Frank und auch Mr. Droll mir sagten. Diese beiden scheinen auch mit euch zu gehen?“

„Ja. Und später kommt Old Shatterhand mit Winnetou uns nach. Ich denke, daß die Gelegenheit gar nicht trefflicher für Euch passen kann. Ihr werdet mir willkommen sein; macht aber, was Ihr wollt!“

Well! Ich müßte gar kein Hirn im Kopfe haben, wenn ich nicht auf Euern Vorschlag eingehen wollte. Ihr gewährt mir einen Schutz, den ich vielleicht sehr nötig habe. Es mag also zugesagt sein: ich werde mich Euch anschließen, Sir, und sage Euch für die Erlaubnis einstweilen meinen Dank.“

So war die Sache also zur allseitigen Zufriedenheit abgemacht, und Rollins, Baumgarten und der Ölprinz, welche sich bisher mehr für sich gehalten hatten, schlossen sich den Emigranten und deren Führern an. Man setzte sich zusammen; es wurde viel erzählt, so daß man bald bekannter miteinander wurde. Darüber verging der Nachmittag; der Abend brach herein, und man brannte im Hofe ein Feuer an, um an demselben das Fleisch, welches der Ranchero lieferte, zu braten. Nach dem Essen sollte Kaffee gekocht werden. Die dazu gehörigen Gefäße hatten die Einwanderer mit; man brauchte sie also nicht von Forner zu borgen. Frau Rosalie und eine der andern Frauen nahmen einen Kessel und gingen damit nach dem Flusse, um Wasser zu holen. Nach einigen Minuten kamen sie in großer Aufregung und ohne den Kessel zurück. Ihre Gesichter drückten das größte Entsetzen aus.

„Was ist denn mit Ihnen?“ fragte der Kantor. „Wo haben Sie den Kessel? Wie sehen Sie denn aus?“

Die andre Frau konnte vor Schreck nicht reden; Frau Rosalie antwortete, aber unter allen Anzeichen des Schreckes.

„Wie ich aussehe? Wohl schlecht, he?“

„Ganz leichenblaß. Ist Ihnen vielleicht etwas passiert?“

„Passiert? Und ob! Herjesses, was wir gesehen haben!“

„Was denn?“

„Was? Ja, das weeß ich nich, da fragen Sie mich zu viel.“

Da meinte ihr Mann:

„Sei doch nich so dumm! Du mußt doch wissen, waste gesehen hast!“

Da stemmte sie die Fäuste in die Hüften und fuhr ihn zornig an:

„Weeßt du es vielleicht?“

„Ich? Nee,“ antwortete er verblüfft.

„Na also! Da schweigste ooch schtille, verschtehste mich! Ich weeß schon, wo ich meine Oogen hab; aber so een grausiges Geschöpf, wie wir gesehen haben, is mir in meinem ganzen Leben noch nich vorgekommen.“

„Es war een Geist, een Flußgeschpenst,“ erklärte die andre Frau, indem sie sich schüttelte. Sie hatte die Sprache wieder erlangt.

„Unsinn!“ antwortete Frau Rosalie. „Geister gibt es nich, und an Geschpenster gloobe ich erscht recht nich.“

„So war es een Wassernix!“

„Ooch nich. Sei doch nich so abergläubisch! Nixe gibt es nur in den Kindermärchen.“

„Was denkste denn, was es da gewesen sein mag?“

„Ja, da fragste mich zu viel. Een Geist also warsch nich, denn es gibt keenen; een Mensch is es ooch nich gewesen, also warsch een Vieh, aber was für eens!“

Da ergriff der Kantor das Wort wieder:

„Wenn es ein Tier gewesen ist, so werden wir die Gattung, die Art und den Namen bald herausbekommen; ich bin ja Zoologe, nämlich vom Unterrichte in der Schule her. Beantworten Sie mir meine Fragen. War es ein Wirbeltier?“

„Von eenem Wirbel hab’ich nischt bemerkt. Dazu ist es zu dunkel gewesen.“

„Welche Größe hatte es denn?“

„Als es im Wasser saß, konnte ich das nich gut sehen; aber als es offschprang, war es meiner Seele so groß wie een Mensch.“

„Also war es unbedingt ein Wirbeltier, wahrscheinlich ein Säugetier?“

„Das kann ich nich sagen.“

„Gehen wir die einzelnen Klassen durch. Ist es ein Affe gewesen?“

„Nee, denn es hatte keenen Schwanz.“

„Es gibt auch ungeschwänzte Affen. Vielleicht ein Raubtier?“

„Ooch nich, obgleich es gefährlich genug ausgesehen hat.“

„Woher wissen Sie denn, daß es kein Raubtier gewesen ist?“

„Weil es keene Haare hatte.“

„So so, hm, hm! Vielleicht ein Fisch?“

„Nee, gar nich, denn een Fisch hat doch keene Arme und Beene.“

„Die hatte es aber?“

„Ja.“

„Sonderbar, höchst sonderbar! Arme und Beine haben nur die Menschen und die Affen; ein Affe aber war es nicht, wie Sie behaupten; also scheint anzunehmen zu sein, daß es ein Mensch gewesen ist, zumal er keine Haare, also kein Fell gehabt hat.“

„Gott bewahre, een Mensch war es nich; een Mensch hat eene ganz andre Schtimme,“

„Hatte er denn eine?“

„Na, und was für eene.“

„Können Sie es mir nicht einmal vormachen?“

„Ich will’s versuchen,“ meinte sie, setzte sich in Positur, holte tief Atem und brüllte dann. „Uhuahuahuahuaauauauahhh!“

Bei diesem entsetzlichen Gebrüll sprangen alle Anwesende auf.

„Herrgott, was muß das für eine Bestie gewesen sein – ein Löwe – Tiger – – Panther!“ so rief es durcheinander.

„Still, ihr Leute!“ gebot der Kantor. „Regen Sie sich nicht auf! Sie haben ja gehört, daß es kein Raubtier gewesen ist. Wir haben also nichts zu befürchten, und ich werde an der Hand der Wissenschaft die Sache bald aufklären. Das Tier hatte kein Fell, war also kein Säugetier. Ein Fisch kann es auch nicht gewesen Sein, weil es eine Stimme hatte. Da wir von den wirbellosen Tieren ganz absehen müssen, so bleiben uns nur noch die Amphibien, besonders die Frösche und die Kröten.“

Da rief die andre Frau schnell:

„Ja, ja, das is richtig; es war eene Kröte!“

„Nee, es war een Frosch!“ behauptete Frau Rosalie ebensoschnell.

„Nee, eene Kröte! So wie dieses Vieh, kann nur eene Kröte im Wasser sitzen.“

„Se hoppte aber doch in die Höhe!“

„Kröten hoppen ooch!“

„Aber nich so wie die Frösche, und Kröten halten sich ooch mehrschtenteels off der Erde off, aber nich im Wasser. Verschtehste mich. Es war een Frosch!“

„Aber ein so großer Frosch!“ zweifelte der Kantor, indem er bedenklich mit dem Kopfe schüttelte. „Sie sagten doch, daß er so groß wie ein Mensch gewesen sei?“

„Ja, so groß war er, off Ehre!“

„Hm, hm! Der größte Frosch, den es hier in Amerika gibt, das ist der Ochsenfrosch; aber der ist doch nicht so groß wie ein Mensch!“

„Ochsenfrosch? Gibt es da welche? Da is es ganz gewiß eener gewesen.“

„Unmöglich, denn ein solcher Frosch erreicht niemals eine solche Größe.“

„Warum denn nich? Es gibt überall Riesen und Zwerge, also wird es wohl auch unter den Fröschen solche geben. Es is also een Ochsenfroschriese, oder een Riesenochsenfrosch, oder een Ochsenriesenfrosch, oder een Froschochsenriese, oder een Riesenfroschochse, oder een Froschriesenochse—“

„Halt, halt, halt!“ wehrte der Kantor schaudernd ab. „Was werden Sie noch alles aus diesem Frosche machen! In meinem Lehrbuche der Naturgeschichte war ein solcher Ochsenfroschriese nicht verzeichnet; aber ich will nicht streiten; ich lebe mehr der Kunst als der Zoologie und will nicht behaupten, daß es solche Abnormitäten nicht geben kann. Sie meinen also wirklich, daß es ein riesiger Ochsenfrosch gewesen ist, Frau Ebersbach?“

„Ja, off Ehre und off Seligkeet! Ich kann’s beschwören, denn wie das Vieh so mit allen vier Beenen in die Höhe schprang, kann es nischt andres als nur een Frosch gewesen sein.“

„Was that das Tier denn vor dem Springen? Saß oder schwamm es?“

„Es saß wie een Frosch sitzt! Den hintern Teil sah mer nich, und von der vordem Hälfte guckten nur die obern Beene, een bissel vom Leibe und der Kopp aus dem Wasser. Und nu besinne ich mich ooch ganz genau off das breete Froschmaul und off die Glotzoogen, mit denen er uns entgegenschtarrte, Herr Kantor.“

„Bitte, Kantor emeritus, der Vollständigkeit halber! Wir stehen trotz der Beschreibung, welche Sie uns liefern, vor einem Rätsel, und ich schlage vor, wir gehen nach dem Flusse, um uns zu überzeugen.“

„Meenen Sie, daß er noch dortsitzt?“

„Ja. Frösche sind keine Zug-, sondern Standtiere. Dieser Frosch ist hier geboren oder vielmehr gelaicht worden und wird diese Gegend also nie verlassen. Da es aber ein so großes Biest ist, schlage ich vor, die Gewehre mitzunehmen. Frösche haben nämlich Zähne, während Kröten keine haben. Das Tier könnte beißen.“

Der Wirt mußte einige Laternen herschaffen, und dann verließen alle ohne Ausnahme den Hof, um nach dem Flusse zu gehen. Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker waren die hintersten. Ihnen hatte sich auch Droll angeschlossen. Dieser letztere fragte, indem er leise vor sich hinlachte:

„Was meint ihr wohl, Mesch’schurs, was für ein Tier dieses Viehzeug ist?“

„Doch nur ein Frosch, so groß wie meine Hand,“ antwortete Hawkens. „Er ist vor den Weibern plötzlich aufgesprungen, und im Schreck haben sie ihn für fünfzigmal größer gehalten, als er war.“

„Nein; er ist wirklich so groß,“ entgegnete Droll.

„Wie? Glaubt Ihr das wirklich?“

„Ja.“

„Unsinn! Ein Frosch, so groß wie ein Mensch!“

„Es ist ja gar kein Frosch!“

„Nicht?“

„Nein.“

„Was denn?“

„Ein Mensch, welcher gebadet hat.“

„Ah! Gewiß einer der Knechte, welche hier im Freien das grasende Vieh zu bewachen haben.“

„Auch nicht.“

„Wer denn?“

„Mein Hobble-Frank.“

„Alle Wetter! Welche Idee, wenn ich mich nicht irre!“

„Ja, er ist’s gewiß. Er sprach heut, als wir drin im Hofe bei der Sonnenglut zusammensaßen, daß er heut abend, wenn es finster sein werde, ein Bad nehmen wolle. Das hat er jetzt gethan.“

„Aber er ist doch fort!“

Pshaw! Er ist wieder da; ich kenne ihn. In den Hof hat er freilich nicht kommen wollen, sondern sich hier ins Freie gelagert. Da ist ihm der Gedanke an das Bad wieder aufgestiegen; er hat sich ausgezogen und ist in das Wasser gegangen. Das ist so gewiß, daß ich um tausend Dollars wetten will.“

„Sollte mich freuen, wenn er wiedergekommen wäre.“

„Ich habe nicht daran gezweifelt.“

„Na, daß er uns ganz verlassen werde, habe ich auch nicht gedacht; er weiß ja, wohin wir morgen wollen, und da meinte ich, daß er unterwegs wieder zu uns stoßen würde. Ah, schaut! Da haben wir ja den Frosch!“

Nämlich der Zug der Neugierigen war, mit vier Laternen versehen, in der Nähe des Flusses angekommen. Da saß der Hobble-Frank neben seiner weidenden Mary im Grase. Er erhob sich ganz erstaunt, als er die vielen Menschen erblickte, und fragte in deutscher Sprache:

„Was habt ihr denn da vor, ihr Leute? Das is ja die reene Wallfahrt, die da herangeschlängelt kommt!“

„Ah, Sie sind wieder da, Herr Frank!“ antwortete der Emeritus. „Das ist mir außerordentlich lieb, denn vielleicht können Sie uns Auskunft geben. Wie lange befinden Sie sich wieder hier?“

„Seit vielleicht eener Schtunde.“

„Haben Sie beobachtet, was an dieser Stelle vorgegangen ist?“

„Natürlich! Ich habe ja meine Oogen und ooch meine Ohren, und so eenem Prairiejäger, wie ich bin, kann niemals nischt entgehen.“

„Haben Sie die beiden Frauen gesehen, welche Wasser holen wollten?“

„Ja.“

„Und auch das Tier?“

„Welches Tier?“

„Welches im Wasser gesessen hat?“

„Im Wasser gesessen? Ich habe keens bemerkt.“

„So sind Ihre Augen und Ohren doch nicht so aufmerksam gewesen, wie Sie denken.“

„Oho! Was für een Vieh soll es denn gewesen sein?“

„Ein Ochsenfrosch.“

„Sapperlot! Da soll eener hier gewesen sein?“

„Ja.“

„Wer hat denn das gesagt?“

„Die Frauen.“

„Von eenem Ochsenfrosch is mir wirklich nischt ins Bewußtsein gekommen.“

„Waren Sie denn wirklich in der Nähe, als die Damen hier waren?“

„Was das betrifft, so war ich ihnen allerdings sehr nahe.“

Da schob sich Frau Rosalie zu ihm hin und sagte:

„Sie habe ich allerdings nich gesehen, Herr Hobble-Frank, desto deutlicher aber den Ochsenfrosch. Wenn Sie so sehr in unsrer Nähe gewesen sein wollen, so müssen Sie ihn unbedingt ooch gesehen haben!“

„Leider nich!“

„Er war ja groß genug!“

„Wie denn ungefähr?“

„Grad wie een ausgewachsener Mensch.“

„Oho! So groß wird im ganzen Leben keen Frosch, Frau Eberschbach, selbst wenn es een Ochsenfrosch wäre. Ich habe genug solche Kerls gesehen; sie werden etwas größer als eene tüchtige Männerhand, größer nich. Ihren Namen haben sie nich etwa daher, daß sie die Größe eines Ochsen besitzen, sondern von ihrer obligaten Schtimme. Sie schreien nämlich ganz ähnlich, wie ein Ochse brüllt.“

„Das schtimmt, das schtimmt! Wir haben das Biest schreien hören.“

„Wann denn?“

„Na, als wir hier waren!“

„Das hätt‘ ich doch ooch hören müssen!“

„Das denke ich ooch. Wo haben Se denn nur Ihre Ohren und Ihre Oogen gehabt, daß Sie das Vieh nich gehört und nich gesehen haben?“

„Das weeß ich wirklich nich. Zeigen Sie mir doch ergebenst ‚mal die genaue topographische Schtelle, an welcher der Frosch gebrüllt hat!“

„Er brüllte erscht dann, als er offschprang.“

„Hörn Se ‚mal, Frau Eberschbach, das will mir unglooblich erscheinen. Een Frosch brüllt nich im Schpringen, sondern nur wenn er sitzt.“

„Nee, dieser schrie in dem Oogenblicke, an welchem er aus dem Wasser in die Höhe fuhr. Kommen Sie! Ich will Ihnen die Schtelle zeigen.“

Frau Ebersbach führte den ungläubigen Frank vollends an das Ufer hinab, deutete auf einen Punkt desselben, in dessen Nähe der leere Eimer lag, dann in das Wasser hinein und erklärte dabei:

„Hier schtanden wir, um Wasser für den Kaffee zu schöpfen; da sehen Sie zum Beweise ooch den Eemer liegen, den wir vor Platzangst weggeworfen haben. Und da im Wasser saß der Ochsenfrosch.“

Da machte der Hobble-Frank ein sehr langes Gesicht, welches aber mehr und mehr einen lustigen Ausdruck annahm, und fragte:

„Sie haben also genau gesehen, daß es een Ochsenfrosch gewesen is?“

„Na, offen und ehrlich geschtanden, haben wir erscht nich so recht gewußt, in welche Klasse von Insekten das Biest gehören mag; aber unser Herr Kantor hat die Zowolie schtudiert, und mit seiner gütigen Hilfe is es herausgedüftelt worden, daß es ooch een Ochsenfrosch gewesen is.“

„Ausgezeechnet, ausgezeechnet! Das macht mir gewaltigen Schpaß, meine Damen und meine Herren! Und warum kommen Sie denn jetzt mit Laternen und Lampinjongs nach dem Flusse gezogen?“

„Um den Ochsenfrosch zu suchen und zu fangen,“ antwortete Frau Rosalie.

„Meenen Sie, daß das so leicht sein wird?“

„Na, vor eenem Frosche werden wir uns doch nich fürchten. Er is zwar riesengroß, aber wenn er sich ooch wehrt, es hilft ihm nischt. Sobald er beißen will, wird er erschossen. Wir haben die Flinten mit, wie Se sehen.“

Da schlug er ein helles Gelächter auf, durch welches Frau Rosalie sich so beleidigt fühlte, daß sie zornig sagte:

„Feixen Se nich so! Es is keen Schpaß, so bei nachtschlafender Zeit und wenn es dunkel wird, off eenen Ochsenriesen –- Froschriesenochsen – – Riesenochsenfr – – –“

Sie hielt einen Augenblick verlegen inne; da Frank noch lauter lachte als vorher, stemmte sie die Fäuste in die Hüften und schrie ihn an:

„Sie sind wohl übergeschnappt, Sie Lachmeier, Sie? Ich möchte bloß wissen, wo Sie Ihre Bildung hernehmen, daß Sie in Gegenwart eener so reschpektabeln Dame, wie ich bin, nich ernsthaft bleiben können. So een Lachtauber, wie Sie, is mir wirklich im ganzen Leben noch nich vorgekommen!“

Er gab sich die größte Mühe, den Lachreiz zu bemeistern, und antwortete ihr, als ihm dies gelungen war:

„Und wenn eener seine Bildung mit Scheffeln messen könnte, hier müßte er lachen. Een Ochsenfrosch soll das gewesen sein, een Ochsenfrosch!“

Er fing von neuem an zu lachen. Da faßte sie ihn bei den beiden Oberarmen, schüttelte ihn und rief:

„Kommen Sie nur zu sich! Sie müssen ja sonst die Maulschperre kriegen, Sie ewiger Lachullrich, Sie! Is denn een Ochsenfrosch gar so ‚was Lächerliches?“

„Ochsenriesenfrosch – Riesenfroschochse – Froschriesenochse!“ lachte er weiter. „Mich, den berühmten und gelehrten Hobble-Frank für eenen Ochsenfrosch zu halten! Das is schtark; das is zu schtark; das geht wahrhaftig über alle Begriffe und logischen Estimationen!“

Da trat sie einen Schritt zurück, funkelte ihn mit ihren Augen an und fragte:

„Sie, Sie sind für eenen Ochsenfrosch gehalten worden?“

„Ja, ich!“ lachte er.

„Von wem denn?“

„Von Ihnen doch!“

„Das is nich wahr; das is eene Lüge, eene großartige Lüge!“

„Ich muß es leider dadroff ankommen lassen, denn was ich sage, das is wahr. Ich war hinaus ins Camp geritten, und kehrte, als es dunkel geworden war, wieder um. Es war den ganzen Tag über so heeß gewesen und der Ritt hatte mich noch mehr erhitzt. Als ich hier dann wieder durch das Flüßchen ritt, kühlte mich das Wasser so hübsch an, und es fiel mir ein, daß ich een Bad hatte nehmen wollen. Ich stieg also vom Pferde oder vielmehr von meiner alten, guten Mary, die een Maultier is, zog mich aus und ging ins Wasser.“

Als Frank hier eine kurze Pause machte, schlug Frau Rosalie die Hände zusammen und rief ahnungsvoll aus:

„Herrjemerschneh, was werd’ich da zu hören bekommen! Sie sind ins Wasser geschtiegen?“

„Ja. Ich schwamm hin und her, plätscherte mich tüchtig aus und wollte eben wieder offs Trockene heraus, als ich zwee weibliche Personen erblickte, welche nach dem Flusse gekommen waren und, ohne daß ich sie wegen der Finsternis bemerkt hatte, sich schon ganz nahe befanden. Ich hockte mich rasch nieder, denn ich gloobte, daß sie vorübergehen würden; aber sie kamen grad nach derjenigen Schtelle, wo der Hase im Pfeffer und der Frank im Wasser lag. Da blieben sie schtehen und sahen mich an.“

„Das is freilich wahr,“ fiel Frau Rosalie ein. „Wir sahen was Helles im dunkeln Wasser und wußten erscht gar nich, was wir daraus machen sollten; aber off alle Fälle war es een lebendiges Wesen, was uns fürchterlich anglotzte.“

„Bitte sehr, Frau Eberschbach! Angeklotzt habe ich Sie nich! Ich habe Sie sogar ängstlich angeblickt, weil ich hoffte, daß Sie sich in zartfühlender Deliciosität entfernen würden. Aber dies war nich der Fall. Darum entschloß ich mich zu eener strategischen Revolution: ich schprang in die Höhe, klatschte die Hände zusammen und brüllte, was ich konnte.“

Frau Ebersbach schien über diese Mitteilung sehr indigniert und im Begriffe zu sein, ihm noch schärfer als bisher antworten zu wollen; da aber ergriff Droll das Wort:

„Es is een Irrtum gewese, meine verehrte Herrschafte, een Irrtum, der keenen Menschen in Schaden bringe kann. Darum wolle mer uns nich weiter schtreite und zanke, sondern lieber demjenigen Ehre erweise, dem Ehre zu erweise is. Unser Hobble-Frank, der Rieseochsefrosch, soll lebe hoch, hoch und dreimal hoch!“

Als alle lachend in das Hoch eingestimmt hatten, fuhr er fort:

„Dort liegt der Kessel; schöpft ihn voll, damit wir endlich zu unserm Kaffee komme; dann schtelle wir uns in Reih und Glied, um unsern Ochsefrosch im Triumph eheeme zu schaffe!“

So geschah es, Hobble-Frank mochte sich noch so sehr sträuben; er wurde dem Schmiede Ebersbach, welcher der längste der Anwesenden war, wie ein Kind auf die Schultern gesetzt, und dann kehrte der Zug im militärischen Gleichschritte und indem alle das Quaken von Fröschen nachahmten, in den Hof zurück.

Nun setzte man sich um das Feuer, und die unterbrochene Bereitung des Abendbrotes wurde wieder aufgenommen. Als das Fleisch verzehrt worden war, wurde Kaffee gekocht, von welchem jeder einige Becher voll bekam.

Das Ziel für morgen war ein einsames Pueblo, welches am südlichen Abhange der Mogollonberge lag. Um es noch vor Abend zu erreichen, mußte man zeitig aufbrechen und durfte unterwegs nicht öfters und allzulange rasten. Dennoch ging man heute nicht zeitig schlafen. Es gab zwischen denen, welche sich noch nie gesehen hatten und sich kennen lernen wollten, gar viel zu erzählen. Im Laufe des Abends wurde zwischen Hawkens, Stone und Parker einerseits und Frank und Droll andrerseits Brüderschaft gemacht, wie das so zwischen Westmännern üblich ist. Nur ganz hervorragende Jäger pflegen sich in dieser Beziehung zurückzuhalten, und dann wird auch kein andrer es wagen, einen Antrag auf das Du auszusprechen.

Was den Ölprinzen betrifft, so beteiligte er sich auch recht lebhaft an der Unterhaltung. Dies wurde dadurch möglich, weil der Bankier das Deutsche auch nicht verstand und man diesem zuliebe sich viel des Englischen bediente; so konnte Grinley also auch teilnehmen. Er gab sich sichtlich alle Mühe, Sympathie zu erwecken, was ihm bei den deutschen Auswanderern auch leidlich zu gelingen schien, obgleich diese nicht viel von der englischen Unterhaltung verstanden. Auch der Bankier schien in seinem Mißtrauen arg wankend zu werden. Schi-So und sein junger Gefährte Adolf Wolf beteiligten sich an der Unterhaltung, wie es ihrem jugendlichen Alter zukam, nur in der Weise, daß sie antworteten, wenn sie gefragt wurden.

Bei dem eigenartigen Charakter des kleinen, listigen Sam Hawkens, der Lustigkeit Drolls und der Originalität des Hobble-Frank verstand es sich ganz von selbst, daß das Gespräch ein höchst animiertes war. Die Zeit verging außerordentlich schnell, so daß alle höchst verwundert waren, als Will Parker endlich daran erinnerte, daß Mitternacht bereits vorüber sei.

Es gab jetzt nur vier, höchstens fünf Stunden Schlaf; darum legte man sich nun zur Ruhe. Wenige Minuten später schliefen alle. Wachen brauchte man nicht auszustellen, weil die Knechte des Ranchero draußen wachten.

Als am andern Morgen der Tag kaum graute, hatte Forner schon für Kaffee und frisches, in Fladenform gebackenes Maisbrot gesorgt, so daß die Gesellschaft sich wegen des Frühstückes gar nicht zu bemühen oder Zeit zu verlieren brauchte. Die Tiere wurden tüchtig getränkt, weil bis zum Abende kein Wasser zu finden war; der Ranchero bekam Bezahlung für das, was er geliefert hatte; den Knechten desselben wurde ein Trinkgeld gegeben; dann brach man auf.

Sam Hawkens war dafür besorgt gewesen, daß die Frauen auf ihren Tieren gute Sitze hatten: das Reiten strengte sie auch nicht mehr als die Männer an. Die Kinder hatten Platz in Körben gefunden, deren zwei je ein Maultier trug, einen auf der rechten und einen auf der linken Seite. Diese mit Stroh ausgepolsterten Plätze verursachten gar keine Beschwerden, und so kam es, daß die Reiter ihre Tiere ausgreifen lassen konnten und der Ritt ein ziemlich schneller war.

Je weiter man sich von dein Flusse entfernte, desto unfruchtbarer wurde das Land. Wo es in jenen Gegenden Feuchtigkeit gibt oder gar fließendes Wasser, da bringt die Erde einen außerordentlichen Reichtum von Produkten hervor; wo aber der belebende Tropfen fehlt, ist nichts als Öde, als die trostloseste Wüste zu sehen.

Am Vormittage war die Temperatur noch nicht allzu beschwerlich; je höher aber die Sonne stieg, desto größer wurde die Hitze, welche von dem sterilen, felsigen Boden und den nackten, kahlen Steinwänden der Berge zurückgestrahlt,wurde, so daß sie für die deutschen Emigranten, welche eine solche Glut nicht gewöhnt waren, kaum auszuhalten war.

Bis einige Stunden nach Mittag ging es durch flache Thalmulden oder über weite Ebenen, welche nicht eine Spur von Vegetation zeigten. Dann gab es Höhen, die aber dem Auge keine Erquickung boten, da die hier so geizige Natur ihnen keinen einzigen Baum, nicht einmal einen Strauch geschenkt hatte. Nur an verborgenen, seltenen Stellen, auf welche die Sonne nicht von früh bis zum Abend zu brennen vermochte, wo es also wenigstens für einige Zeit Schatten gab, ließ sich ein einsamer, phantastisch gestalteter Kaktus sehen, dessen farb- und charakterloses Grau dem Beschauer jedoch auch keine Freude brachte.

Zur Zeit der größten Tageshitze wurde an einer steilen Bergwand gerastet. Es gab da einigen Schatten; aber die gegenüberliegende Wand warf die Wärme so intensiv auf die Ruhenden, daß dieselben keine Erquickung fanden und sie lieber wieder aufstiegen, weil der Ritt, wenn er ein schneller war, doch eine etwas kühlende Luftbewegung brachte,

Endlich – die Sonne neigte sich schon sehr dem Horizonte zu – schien die Hitze abzunehmen, und zwar schneller, weit schneller, als es eigentlich hätte sein sollen. Sam Hawkens prüfte den Himmel und machte ein leicht bedenkliches Gesicht.

„Warum schaust du so nach oben?“ fragte ihn der Hobble-Frank. „Es scheint mir, als ob der Horizont dir nich gefällt?“

„Kannst recht haben,“ antwortete der Gefragte.

„Warum?“

„Weil sich die Luft so schnell und plötzlich abkühlt.“

„Ach, wohl gar Gewitter?“

„Möchte es fast befürchten, wie mir scheint.“

„Das wäre doch gut! Een Gewitter nach dieser Trockenheet und Hitze müßte uns doch willkommen sein!“

„Danke! Die Gewitter pflegen in dieser Gegend ganz anders aufzutreten, als du zu denken scheinst. Es gibt Jahre, in denen hier nicht ein Tropfen Regen fällt; ja es hat Zeiten gegeben, wo es zwei und gar drei Jahre lang nicht geregnet hat. Wenn es dann aber einmal ein Wetter gibt, dann ist es auch ein fürchterliches. Wollen machen, daß wir das Pueblo erreichen.“

„Wie weit ist’s noch dahin?“

An einer halben Stunde sind wir dort.“

„Da hat’s ja keene Gefahr. Es schteht noch nich een Wölkchen am Firmamente des Himmels; es können also noch Schtunden vergehen, ehe es da oben schwarz und finster wird.“

„Irre dich nicht. Es bedarf hier nur einiger Minuten, um den Himmel zu verdunkeln, und ich möchte fast behaupten, daß ich die Elektrizität, welche sich in der Luft angesammelt hat, rieche. Schau nur meine Mary an, wie eilig sie es hat, wie sie die Nüstern aufbläst und mit den Ohren und mit dem Schwanze wedelt! Die weiß ganz genau, daß etwas im Anzuge ist, das gescheite Vieh.“

Es war wirklich so. Das alte Maultier hastete förmlich vorwärts und zeigte eine Unruhe, welche auffallen mußte. Und doch war für den Unerfahrenen ganz und gar nichts Bedrohliches zu bemerken. Als Frank seinem Vetter Droll die Befürchtung Sams mitteilte, antwortete dieser:

„Habe mir ooch schon so ‚was gedacht. Sieh nur, wie gelb es draußen rund off dem Gesichtskreis liegt! Das wird höher und höher schteige, und wenn es den Scheitelpunkt erreicht hat, bricht das Wetter los. Gut, daß wir bald unter Dach und Fach komme!“

„Im Pueblo?“

„Ja.“

„Da gibt’s doch wohl nur Zelte, durch die der Regen dringen wird.“

„Was du denkst. Hast du denn noch keen Pueblo gesehn?“

„Nee.“

„Da wirst du dich wundern, wenn wir hinkommen. So een Pueblo is ganz sonderbar anzuschauen.“

Er hatte ganz recht, wenn er sagte, daß ein Pueblo einen ganz eigenartigen Anblick biete. Was das Wort an und für sich betrifft, so ist es ein spanisches und bedeutet „bewohnter Ort“, also sowohl ein einzelnes Haus als auch ein Dorf, eine Ortschaft. Diejenigen Indianer, welche Pueblos bewohnen, werden Puebloindianer oder kurzweg Pueblos genannt. Zu ihnen gehören die Tanos, Taos, Tehua, Jemes, Queres, Acoma, Zuhi und Moqui, im weiteren Sinne auch noch die Pimas, Maricopas und Papagos am Gilaflusse und südlich von demselben.

Ein Pueblo ist entweder aus Stein oder aus Adobes (Luftziegeln) oder aus beiden gebaut. Gewöhnlich liegt das Gebäude an einem Felsen, welcher als Rückwand dient, und etwaige Felstrümmer sind mit in den Mauerbau gezogen. Das Gebäude steigt stets stufenartig an, so daß jedes vorhergehende, tiefere Stockwerk vor dem nachfolgenden, höheren vortritt, und alle sind mit einem flachen Dache versehen. Das Erdgeschoß also trägt auf seinem platten Dache das erste Gestock, welches um einige Meter zurückgebaut ist. Dadurch bleibt vor dem ersten Stocke ein freier Raum, der vordere Teil des Parterredaches, in welchem sich ein Loch befindet, das den Eingang zum Parterre bildet. Der zweite Stock liegt auf dem ersten, aber auch zurück und hat vor sich das vordere platte Dach des ersten Geschosses. In der Parterremauer gibt es keine Thür; es hat überhaupt kein Geschoß eine eigentliche Thür, sondern ein Loch im Dache, durch welches man hinabsteigt. Treppen gibt es nicht, sondern nur Leitern, welche von Stock zu Stock außen anliegen und weggenommen werden können. Wer also in das Parterre will, muß zum ersten Stock hinauf- und dann durch das dort im Parterredache befindliche Loch hinuntersteigen. Die immer weiter zurückliegenden höheren Stockwerke bilden also eine Reihe gewaltiger Stufen, von denen man sich ein ungefähres Bild machen kann, wenn man sich hier bei uns einen Weinberg betrachtet, welcher sich etagenweise nach rückwärts in die Höhe hebt.

Zu dieser Bauart waren die alten seßhaften und arbeitsamen Urwohner durch die Nähe der räuberisch herumstreifenden wilden Horden gezwungen. So ein Pueblo bildet, so einfach sein Bau ist, eine Festung, welche durch die Angriffsmittel, die es damals gab, unmöglich eingenommen werden konnte. Man brauchte nur die Leiter wegzunehmen, so konnte der Feind nicht herauf. Und brachte er welche mit, so mußte er jedes vorhergehende Stockwerk erobern, ehe er seinen Angriff auf das nachfolgende, höhere richten konnte.

Diese Puebloindianer sind meist sehr friedlich gesinnt und stehen unter der Aufsicht von Agenturen. Es gibt aber Pueblobauten, welche einsam in fern- und abgelegenen Gegenden liegen; deren Bewohner betrachten sich als frei und sind genau so zu beurteilen und zu behandeln wie die ungezügelt herumzichenden Stämme. Zu dieser letzteren Art gehörte das Pueblo, welches sich unsre Reiter zum heutigen Ziele genommen hatten. Die Bewohner desselben waren wilde Nijoraindianer, deren Häuptling Ka Maku hieß. Ka heißt drei, und Maku ist der Plural von Finger; Ka Maku bedeutet also „Drei Finger“. Er trug diesen Kriegs- und Ehrennamen, weil er an der linken Hand im Kampfe zwei Finger verloren hatte und also nur noch drei besaß. Er war als ein tapfrer, aber habsüchtiger Krieger bekannt, auf dessen Wort und Freundschaft man sich in gewöhnlichen Zeiten vielleicht verlassen konnte; jetzt jedoch, wo verschiedene Stämme ihre Kriegsbeile ausgegraben hatten, war es jedenfalls gewagt, ihm rückhaltloses Vertrauen zu schenken.

Sein Pueblo lag einsam im Glanze der nun fast untergehenden Sonne. Es hatte außer dem Erdgeschoß fünf Etagen, welche sich mit ihrem Rücken an die senkrechte Wand des Berges lehnten. Zusammengesetzt waren die untern Stockwerke aus gewaltigen Felsstücken, welche durch Adobessteine verbunden waren; die oberen Etagen bestanden ausschließlich aus Luftziegeln. Der Bau war ganz gewiß mehr als ein halbes Jahrtausend alt, und noch zeigte sich nicht der kleinste Riß in demselben.

Man sah Frauen und Kinder auf den Terrassen sitzen, alle beschäftigt und sehr ernsten Gesichtes, wie es so Art der Roten ist. Ein aufmerksamer Beobachter hätte wohl bemerken können, daß diese Frauen, ja auch die Kinder, oft und geflissentlich nach Süden blickten, als ob sie von dorther ein wichtiges Ereignis erwarteten. Ein Mann oder gar Krieger war jetzt nicht zu sehen.

Da aber stiegen aus dem Loche der dritten Terrasse drei Personen, ein Roter und zwei Weiße hervor, welche auf dieser Plattform stehen blieben und ihre Aufmerksamkeit auch nach Süden richteten. Der Rote war Ka Maku, der Häuptling, eine lange, sehnige Gestalt mit der Rabenfeder im Schopfe. Sein Gesicht war nicht bemalt, ein Zeichen, daß sein Pueblo im Frieden lag; darum steckte auch nur das Skalpmesser in seinem Gürtel. Die beiden Weißen neben ihm waren –- Buttler, der Anführer der zwölf Finders, und Poller, sein Gefährte, welcher der Führer der deutschen Einwanderer gewesen war. Als sich in der Richtung, in welche sie blickten, nichts sehen ließ, sagte Buttler:

„Noch nicht; aber sie kommen jedenfalls noch vor Anbruch des Abends.“

„Ja, sie werden sich beeilen,“ stimmte der Häuptling bei. „Es sind kluge Männer bei ihnen, welchen nicht entgehen wird, daß ein Wetter naht; darum werden sie ihren Ritt beschleunigen, um hier zu sein, ehe es hereinbricht.“

„Du wirst also Wort halten? Ich darf mich auf dich verlassen?“

„Ich lüge nicht gegen dich. Du bist seit langer Zeit mein Bruder gewesen, und ich werde ehrlich gegen dich sein. Doch hoffe ich, daß ich mich auch auf dich verlassen kann und den Lohn erhalte, welchen du mir versprochen hast.“

„Ich habe dir meine Hand darauf gegeben; das ist so gut wie ein Schwur. Sorge nur dafür, daß ich baldigst und ungesehen mit dem Ölprinzen sprechen kann!“

„Ich werde ihn zu dir führen. Es wäre mir wohl nicht leicht geworden, dir mein Wort zu halten; nun aber, da das Wetter naht, werden diese Bleichgesichter nicht im Freien bleiben wollen, sondern in das Pueblo steigen, um nicht naß zu werden; da kann ich sie gefangen nehmen, ohne daß es zum Kampfe kommt.“

„Diejenigen aber, welche ich dir bezeichnet habe, mußt du von ihnen trennen, damit sie später glauben, daß der Ölprinz sie gerettet hat.“

„Es wird geschehen, wie du gesagt hast. Uff! Da draußen kommen Reiter; sie werden es sein. Versteckt euch schnell!“

Die beiden stiegen eiligst nach dem obersten Stock empor, in welchem sie verschwanden. Der Häuptling aber blieb stehen und beobachtete die Nahenden mit scharfem Auge.

Es war ein langer Zug von Reitern und Packpferden, lang, weil er sich auf indianische Weise im Gänsemarsche, also ein Reiter hinter dem andern, bewegte. Nur die drei vordersten ritten nebeneinander, nämlich Sam Hawkens, Droll und der Hobble-Frank. Als dieser letztere die sich übereinander aufbauenden Terrassen des Pueblo beim Näherkommen deutlich vor sich liegen sah, sagte er:

„So een Bauwerk is mir noch nich vorgekommen. Was für een Bauschtiel mag das wohl sein? Ob byzantinisch-chloroformisch oder hebräisch-imperialisch? Vielleicht is es gotisch-objektivisch, vielleicht ooch griechisch-mixturalisch. Jedenfalls aber is es für so eenen Sachverschtändigen, wie ich bin, über alle Maßen interessant, zu sehen, mit welch eener regelmäßigen Treppenschtufenförmlichkeet sich diese Puebloindianer übereenander auf- und ansässig gemacht haben. Hast du, geliebter Sam, een architektonisches Verschtändnis für so eene amphidialektische Gebäudeförmlichkeet?“

„Du meinst jedenfalls amphitheatralisch,“ antwortete Hawkens.

„Nee, das fällt mir nich im Troome ein. Ich gebe dir zu bedenken, daß du nich die nötigen Kenntnisse und Finessen besitzest, meinen gelehrten Verschtand petrefaktisch zu verbessern. Das Wort amphi is griechischer Dialekt und hat mit der Opernbühne und dem Theater nischt zu thun, und weil es Dialekt is, wird een derartiges Mauerwerk een amphidialektisches genannt. Als ich damals noch als Forschtgehilfe in Moritzburg amtifizierte, kam der berühmte Baumeester Gottfried Semper oft in unsern Wald schpaziert; ich habe ihn wohl zwanzigmal von weitem gesehen, und eenmal ging er so nahe an mir vorüber, daß ich guten Tag zu ihm sagte. Er nickte mir interimistisch zu und antwortete mit freundlichem Kontrapunkte: Habe die Ehre Wenn ich nun so eener Berühmtheet so nahe geschtanden habe, wirscht du doch nich wagen wollen, mir meine Bauschtile und geometrischen Schtandesverhältnisse abzuändern. Oder kannst du mir vielleicht sagen, off welchem Grundschteene die gesamte Baukunst errichtet is?“

„Nun?“

„Off dem Pythagoräischen Lehrsatz, welcher bekanntlich lautet: das Quadrat der Hypokonfuse sitzt off den beeden Kathedern. Aber was nutzt der Kuh Muschkate! Ich kann euch zehn Wochen lang das höhere Tierreich predigen, ihr bleibt doch die niedrigen Regenwürmer, die nur als Maulwurfsfutter nütze sind.“

Er machte bei diesen Worten eine wegwerfende Geste, die leider keinen andern Erfolg hatte, als daß die beiden andern sich heimlich und vergnügt zulächelten. Dann wurde schweigend weitergeritten, bis man am Fuße des Bauwerkes angekommen war.

Die Leiter, welche zum Besteigen des Erdgeschosses diente, war aufgezogen. Auf den verschiedenen Terrassen ließen sich außer den Frauen und Kindern nur einige Männer sehen. Das machte den Eindruck, daß die Krieger abwesend seien. Der Häuptling erwartete in stolzer, unbeweglicher Haltung die Ansprache der Reisenden. Sam Hawkens rief in dem dort gebräuchlichen, aus Englisch, Spanisch und Indianisch zusammengemischten Idiom zu ihm hinauf:

„Bist du Ka Maku, der Häuptling dieses Pueblo?“

„Ja,“ antwortete er kurz.

„Wir wollen hier rasten. Können wir Wasser für uns und unsre Pferde bekommen?“

„Nein.“

Diese Abweisung war eine scheinbare. Es lag in seinem Plane, sie festzuhalten; er mußte ihnen also Wasser gewähren; aber sie sollten nicht ahnen, daß er sich nur gar zu gern mit ihnen befassen wolle.

„Warum nicht?“ fragte Sam.

„Das wenige Wasser, welches wir haben, reicht kaum für uns und unsre Tiere.“

„Ich sehe aber doch weder eure Krieger noch eure Pferde. Wo befinden sie sich?“

„Auf der Jagd; sie werden aber bald zurückkehren.“

„Dann müßt ihr Wasser übrig haben. Warum verweigerst du es uns?“

„Ich kenne euch nicht.“

„Siehst du nicht, daß Frauen und Kinder bei uns sind? Wir sind also friedlich gesinnte Leute. Wir müssen trinken. Wenn du uns kein Wasser gibst, werden wir es uns suchen.“

„Ihr werdet es nicht finden.“

„Meinst du, daß weiße Männer keine Augen haben?“

„Sucht! Dann werde ich erfahren, ob ihr sehen könnt.“

Er wendete sich ab und that so, als ob er nichts mehr von ihnen wissen wolle. Das war dem braven Hobble-Frank zu viel; er sagte in zornigem Tone zu seinem Vetter Droll:

„Was denkt denn der Kerl eegentlich, wer und was wir sind? Wenn mir’s einfällt, so gebe ich ihm eene Kugel durch den Kopp, nachher wird er schon höflicher werden. Wir sind auserlesene, peremierende Leute, die Haare zwischen den Zähnen haben, und lassen uns nich wie Vagabunden von der hohen Pforte weisen. Ich schlage vor, in ernster Kompression mit diesem konsistenten Manne zu schprechen. Oder nich?“

„Ja,“ antwortete der geborene Altenburger in seinem heimatlichen Dialekte; „es is nich sehr angenehm, Dorscht zu habe und keen Wasser zu bekomme; aber finde wer’n mersch jedenfalls; mer dürfe nur bloß suche.“

Die Reiter stiegen ab, um nach einem vorhandenen Quell zu suchen. Feuchtigkeit war genug da, denn es wuchs Gras in der Nähe des Pueblo, und gar nicht fern von demselben gab es mehrere kleine Gärten mit Mais, Melonen und andern Gewächsen, deren Gedeihen fleißiges Begießen voraussetzte. Aber das Gesuchte wollte sich trotz alles Forschens nicht entdecken lassen, so daß Frank schließlich unmutig ausrief –

„Dummköpfe sind wir, weiter nischt! Wenn Old Shatterhand oder Winnetou mit ihrer anwesenden Gegenwart hier vorhanden wären, hätten sie das Wasser längst gefunden; ja, ich gloobe sogar, daß sie es riechen thäten.“

„Dieser berühmten Krieger bedarf es nicht,“ meinte da Schi-So, der Häuptlingssohn, welcher sich an den bisherigen Bemühungen nicht beteiligt, sondern denselben leise lächelnd zugesehen hatte. &Man muß nachdenken, anstatt zu suchen.“

„So? Na, da denke doch ‚mal nach!“

Man sieht, daß unter den sich näher stehenden Personen der Reisegesellschaft das Sie oder Ihr dem Du gewichen war. Es widerstrebte dem Hobble-Frank, von dem Jünglinge, der fast noch ein Knabe war, an Scharfsinn übertroffen zu werden.

„Das habe ich schon gethan,“ antwortete dieser.

„Wirklich? So habe doch die Gewogenheit, uns das offizinelle Resultat deiner geistigen Anschtrengung mitzuteilen!“

„Dieses Pueblo ist eine Festung, welche ohne Wasser nicht bestehen kann. Am notwendigsten ist dasselbe im Falle einer Belagerung, während welcher die Verteidiger den Bau nicht verlassen können. Zieht man diesen Umstand in Erwägung, so läßt sich leicht denken, wo der Brunnen zu finden ist.“

„Ah, du meenst vielleicht im Innern des Gebäudes?“

„Ja.“

„Aber wo denn da?“

„Jedenfalls nicht in einem der oberen Stockwerke,“ lächelte der junge Indianer.

„Nee, ooch ich hab‘ noch keen Wasserwerk off eener Kirchturmspitze gesehen. Der Brunnen wird parterre zu suchen sein.“

„Wo er schon vor Jahrhunderten, als das Pueblo erbaut wurde, angelegt worden ist.“

„Richtig! Das is so klar und deutlich wie Schtiefelwichse.

„Höre, mein lieber, jugendlicher Freund, du scheinst gar nich so dumm zu sein, wie du aussiehst. Wenn du dich so weiter fortentwickelst, is es partial möglich, daß aus dir vielleicht,was werden kann. Also da im Erdgeschoß hätten wir zu suchen. Aber wie kommen wir hinein? Een subjektives Eingangsthor is nich vorhanden, ebensowenig sind gerade oder gewendelte Treppen zu sehen, und die gewohnheetsmäßige Leiter haben sie außergewöhnlich emporgezogen. Aber wenn wir eene ägyptisch-sarmatische Pyramide bilden, indem immer eener off die Achseln des andern schteigt, so können mehrere von uns hinauf offs Dach und von da inwendig hinunter ins Parterre gelangen, wo das Aqua destillanterium zu finden is.“

Da bemerkte Sam Hawkens:

„Das hieße den Zugang erzwingen, was wir möglichst vermeiden wollen, wenn ich mich nicht irre. Wie es scheint, können wir das umgehen; der Häuptling kommt herab. Ich denke, daß er mit uns reden will.“

Wirklich kam Ka Maku jetzt bis auf die erste Plattform herabgestiegen. Er trat an den Rand derselben vor und fragte.

„Haben die Bleichgesichter das Wasser gefunden?“

„Erlaube uns, hinauf zu dir zu kommen, dann werden wir es finden,“ antwortete Sam, der Kleine.

„Denkst du, daß es hier oben fließt?“

„Nein, sondern unter dir im Erdgeschoß.“

„Du hast es erraten. Ich würde euch welches geben, aber es ist hier so selten, daß – –“

„Wir werden es dir bezahlen,“ unterbrach ihn Sam.

„Das ist gut! Doch weiß mein Bruder vielleicht, daß mehrere Stämme der Roten ihre Kriegsbeile gegen die Weißen ausgegraben haben? Darf man da den Bleichgesichtern trauen?“

„Von uns hast du nichts zu fürchten. Vielleicht hast du schon einmal von uns gehört. Ich und diese beiden Krieger, welche hier neben mir stehen, werden das Kleeblatt genannt; da hinter mir steht – – –“

„Das Kleeblatt?“ fiel ihm der Häuptling schnell in die Rede. „Da kenne ich eure Namen. Ihr heißt Hawkens, Stone und Parker?“

„Ja.“

„Warum habt Ihr mir das nicht gleich gesagt? Das Kleeblatt ist stets freundlich zu uns roten Männern gewesen; ihr seid unsre Brüder, und wir heißen euch willkommen. Ihr sollt Wasser haben, umsonst und so viel, wie ihr braucht. Unsre Frauen sollen es euch hinausreichen.“

Auf einen Ruf von ihm kamen die Squaws auf die unterste Plattform herabgestiegen und holten aus dem innen im Erdgeschosse befindlichen Brunnen in großen, thönernen Krügen Wasser, welches die Reisenden sich leicht herunterlangen konnten, weil einige Leitern angelegt worden waren. Das Ganze machte einen so friedlichen Eindruck, daß weder Sam Hawkens, der doch sonst so klug war, noch einer seiner Gefährten auf den Gedanken kam, daß die Freundlichkeit des Häuptlings nur Verstellung sei.

Während die Menschen sich erquickten und dann die durstigen Pferde getränkt wurden, hatte die Farbe des Himmels sich in sehr bedrohlicher Weise verändert. Er war erst hellrot, dann dunkelrot und schließlich violett geworden, und diese letztere Färbung ging nun in ein düsteres Schwarz über, ohne daß man hätte sagen können, daß eigentliche Wolken vorhanden seien.

„Das sieht bös aus,“ meinte Will Parker zu Hawkens. „Was sagst du dazu, Sam? Das scheint ein Hurrikan oder Tornado zu werden.“

„Glaube es nicht,“ antwortete der Gefragte, indem er mit einem langen Blicke den Himmel prüfte. „Ja, Sturm wird es geben, einen tüchtigen Sturm, aber viel, sehr viel Wasser dazu. Es wäre am besten, wenn wir unter Dach und Fach kommen könnten, und unsre Pferde auch, sonst gehen sie uns durch.“

Und sich an den Häuptling wendend, welcher noch immer auf der Plattform stand, fragte er diesen –

„Was sagt mein roter Bruder zu diesen bedenklichen Wetteranzeichen? Was wird daraus werden?“

„Ein großer Sturm mit einem solchen Regen, daß in kurzer Zeit hier alles schwimmen wird.“

„Denke das auch, habe aber keine Lust, zu schwimmen und unsre Sachen durch den Regen verderben zu lassen. Können wir nicht im Pueblo aufgenommen werden?“

„Meine weißen Brüder mögen mit ihren Frauen und Kindern zu uns heraufsteigen. Es soll sie kein Tropfen Regen treffen.“

„Und unsre Tiere? Gibt es keinen Platz für sie, wo sie uns nicht entfliehen können?“

„Da links um die Ecke des Pueblo ist ein Korral, in welchem ihr sie einsperren könnet.“

„Gut, das werden wir thun. Indessen können die Frauen zu euch emporsteigen.“

Es wurden noch einige Leitern herabgelassen, an denen die deutschen Frauen und Kinder nach der zweiten Etage und durch das dort befindliche Loch in das Innere der ersten Etage niederstiegen. Zu gleicher Zeit kamen mehrere indianische Squaws und halberwachsene Knaben herunter, welche das Gepäck, das man den Pferden und Maultieren abgenommen hatte, nach der ersten Plattform trugen und von da durch ein ebensolches Deckenloch in das Erdgeschoß schafften.

An der Seite des Pueblo, welche der Häuptling bezeichnet hatte, war durch ziemlich hohe Mauern ein offener, viereckiger Platz eingeschlossen, den Ka Maku als Korral bezeichnet hatte. Hierher wurden die Pferde geschafft. Als sie sich in Sicherheit befanden, verschloß man den Eingang durch Stangen, welche in dazu bestimmte Mauerlöcher querüber zu liegen kamen. Eben als man damit fertig war, gab es mit einemmal einen Blitz, als ob der ganze Himmel in Flammen stehe, und es krachte ein Donnerschlag, unter dem die Erde zu zittern schien. Zu gleicher Zeit begann es zu regnen, daß man kaum einige Schritte weit zu sehen vermochte, und es brach urplötzlich ein Sturm los, welcher von solcher Mächtigkeit war, daß man sich an der Mauer festhalten mußte, um nicht niedergeworfen zu werden. Die Männer eilten zu den Leitern.

Der Bankier und sein deutscher Buchhalter waren nicht so erfahren, gewandt und schnell wie die andern und darum die letzten, welche die Leitern erreichten. Alles drängte in höchster Eile hinauf nach der zweiten Plattform und nach dem dort befindlichen Loche, durch welches man mittels einer Leiter in das erste Stockwerk niederstieg. Da immer nur eine Person hineinkonnte, ging dies nicht so schnell, wie der gleich einem See niederstürzende Regen wünschen ließ. Jeder dachte nur an sich selbst und drängte vorwärts; auf andres hatte man nicht acht. So kam es, daß keinem die fünf oder sechs Indianer auffielen, welche ganz plötzlich bei dem Häuptlinge standen, der das Niedersteigen leitete.

Der Deckel, durch welchen das Eingangsloch verschlossen werden konnte, lag neben demselben. in der Nähe waren mehrere große, mehr als zentnerschwere Steine zu sehen, was auch niemandem auffiel. Der Bankier und Baumgarten, sein Buchhalter, waren, wie schon erwähnt, die beiden letzten. Eben als der erstere seinen Fuß auf die erste, oberste Leitersprosse setzen wollte, rief ihm der Häuptling zu

„Halt, zurück! Ihr dürft nicht da hinein!“

„Warum nicht?“ fragte Rollins.

„Das werdet ihr erfahren.“

Er warf sich mit den erwähnten Indianern auf die beiden, welche, ehe sie sich nur besinnen und an Widerstand denken konnten, niedergerissen und gefesselt wurden. Ihre Hilferufe, die sie ausstießen, wurden von dem Toben des Sturmes und dem Krachen des Donners verschlungen. Ebenso schnell, wie dies geschehen war, zog der Häuptling die Leiter aus dem Loche empor und warf den Deckel auf dasselbe, worauf seine Leute die schweren Steine auf den letzteren wälzten. Die Hinabgestiegenen konnten nicht herauf; sie waren gefangen.

Hierauf wurden der Bankier und Baumgarten eine Etage tiefer geschafft und mittels Lassos in das Erdgeschoß hinabgelassen. Dann wurde auch hier der Eingang mit dem fallthürähnlichen Deckel verschlossen, Hierauf schickte der Häuptling einen seiner Leute fort, Der Mann verließ zunächst mittels der untersten Leiter das Pueblo und rannte dann trotz Blitz und Donner, Sturm und Regen längs der Felsenhöhe, an welche sich das Bauwerk schmiegte, hin, bog um eine Ecke derselben und kam dann nach vielleicht zehn Minuten an einen Platz, wo, wie es schien, die Trümmer einer herab- oder zusammengestürzten Steinwand ein Wirrwarr bildeten, welches sich sehr gut zum Verstecke eignete. Hierher hatten sich die Krieger des Pueblo mit ihren Pferden zurückgezogen, um den Weißen glaubhaft zu machen, daß sie auf der Jagd abwesend seien. Diesen Leuten meldete der Bote, daß der Streich geglückt sei und sie also zurückkehren könnten.

Ja, er war geglückt, und zwar viel, viel leichter, besser und schneller, als der Häuptling sich vorher gedacht hatte. Zu diesem unerwarteten Gelingen hatte freilich das so plötzlich hereinbrechende Wetter am meisten mitgewirkt, kaum weniger aber auch die Unvorsichtigkeit, mit welcher die Gefangenen in die Falle gegangen waren.

Erst waren, wie schon erzählt, die Frauen und Kinder von der dritten Terrasse in das zweite Stockwerk hinabgestiegen. Als sie da angelangt waren, sahen sie sich in einem ungefähr fünf Ellen hohen, fensterlosen Raume. Es war außer dem Loche oben in der Decke, durch welches sie herabgestiegen waren, nicht die kleinste Maueröffnung vorhanden. Dieses Stockwerk wurde von vier Querwänden in fünf Räume geteilt, deren mittelster der größte war; in diesem befanden sie sich. In einer Nische desselben brannte ein kleines Thonlämpchen, dessen matter Schein nur wenige Schritte weit zur Geltung kam.

Frau Rosalie sah sich kopfschüttelnd um. Als sie in dem ganzen Raume außer der Leiter und der Lampe nicht den geringsten Gegenstand entdeckte, sagte sie entrüstet:

„Na, so was habe ich ooch noch nich gesehen und erlebt! Schteckt man denn seine Gäste in so een Loch, wo es keen Kanapee und keenen eenzigen Schtuhl nich gibt! Das is ja grad wie in eenem Keller! Wo setzt man sich hin? Wo hängt man seine Sachen off? Wo macht man das Feuer? Wo kocht man den Kaffee? Keen Fenster is zu sehen, und keen Ofen is da! Das muß ich mir wirklich sehr verbitten! Wir sind Damen, und Damen schteckt man nich in – – – Dunner Sachsen!“ unterbrach sie sich erschrocken, als sie den ersten Donnerschlag hörte, welcher bis in diesen Raum herabklang. „Ich gloobe gar, das hat eingeschlagen! Nich?“

„Ja, das war een Schlag, und was für eener!“ antwortete Frau Strauch. „Ich guckte grad in das Loch hinauf und habe es deutlich blitzen sehen.“

„Na, dann stellt euch nur gleich alle mit ’nander dort in die hinterschte Ecke! Die Männer schprachen unterwegs davon, daß die Gewitter hier ganz andersch offtreten als bei uns derheeme. Wenn so een rabiater amerikanischer Blitz durch das Loch herunterkommt, sind wir bei lebendigem Leibe off der Schtelle mausetot. Da is es freilich gut, daß es hier keen Heu, keen Schtroh und überhaupt keene brennbaren Sachen gibt. Verschteht ihr mich? Hört ihr’s, wie der Regen da oben auftrappst? Du meine Güte, unsre guten Männer werden durchweecht bis off die Haut! Nachher gibt’s Erkältung, Schnupfen, Leib- und Magenschmerzen, und wer hat die Sorgen und die Angst? Natürlich wir Weiber, wir Frauen, wir Damen, wie sich ganz von selbst verschteht! Wenn sie nur bald kämen!“

Ihr Wunsch wurde augenblicklich erfüllt, denn soeben kam der erste herabgestiegen, Hobble-Frank, dem nach und nach die andern folgten. Unten angekommen, schüttelte er die Nässe möglichst von sich ab, sah sich um und sagte enttäuscht:

„Was is denn das für een konfernalisches Loch hier unten? Das soll doch nich etwa eene aggregate Wohnung für provisorische Menschen sein? Ich danke für Pflaumenkuchen zu Weihnachten! Nich ‚mal das liebe Tageslicht will hier herunter! Wenn diese roten Gentlemen keenen bessern Aufenthaltsort für uns haben, werde ich ihnen nächstens eenen königlich sächsischen Baumeester herüberschicken. Der mag ihnen zeigen, was für een Unterschied is zwischen meiner brillanten Villa Bärenfett an der Elbe und dieser unterirdischen Hekatombe unter der Erde. Wo setzt man sich denn da eegentlich hin, wenn man müde is und een Mittagsschlummerchen riskieren will?“

„Überall hin, Herr Franke,“ antwortete Frau Rosalie. „Platz is genug.“

„Wie? Was sagen Sie?“ fragte der Hobble gereizt. „Überall hin? Warum setzen denn Sie sich nich? Wohl weil es Ihnen nich paßt? Und was Ihnen nich gefällt, das is wohl für mich gut genug? Da kommen Sie freilich an den Unrichtigen. Bei meinen vestibulen Anlagen und Talenten habe ich es nich nötig, mit dem fürlieb zu nehmen, was andern Leuten nich in die Suppe und in den Kaffee paßt!“

„Still, Frank!“ forderte ihn Sam auf. „Es ist hier nicht der Ort und die Zeit zu solchen Häkeleien. Wir haben mehr und Besseres zu thun.“

„So? Was denn?“

„Vor allen Dingen müssen wir die Friedenspfeife rauchen, wenn ich mich nicht irre.“

„Mit diesen Indianern?“

„Ja, mit dem Häuptlinge wenigstens. Du weißt doch jedenfalls, daß man eines Roten erst dann sicher ist, wenn man das Calummet mit ihm geraucht hat.“

„Das weeß ich wohl. Aber da hätten wir doch draußen roochen sollen!“

„Warum?“

„Um eben unsrer Sicherheit willen.“

„Es gab ja keine Zeit dazu.“

„Die hätten wir uns trotz des schlechten Wetters nehmen sollen. Jetzt schtecken wir in diesem Keller und wenn die Roten es nich offrichtig mit uns meenen, so is es grad so gut, als ob – – alle tausend Deixel! Siehste, daß die Geschichte schon losgeht? Da ziehen sie die Leiter in die Höhe. Haltet sie fest; haltet sie fest!“

Er eilte hin und sprang mit ausgestreckten Armen in die Höhe, um die Leiter noch zu ergreifen, kam aber zu spät; sie verschwand oben durch die Öffnung.

„Da habt ihr die Bescherung!“ rief er zornig. „Jetzt schtecken wir in der Patsche, grad wie Pythagoras im Fasse!“

„Das war wohl Diogenes,“ verbesserte Sam.

„Schweig!“ fuhr ihn Frank an. „Was verschtehst du von Diogenes! Das is der Zwerg beim Heidelberger Fasse. Ich aber meene dasjenige Faß, in welchem Pythagoras schteckte, als der große Georginenzüchter Galilei zu ihm kam und ihn bat: „Karo, Karo, gib mir meinen Leviathan wieder!“ Als guter Deutscher mußt du wissen, daß das kurz nach der Schlacht im Teutoburger Walde geschah, wo Dschingis Khan dem General Moreau alle beede Beene wegschießen ließ. Das eene flog nach Blasewitz, wo es die berühmte Gustel von Blasewitz in der Nähe von Wallensteens Lager fand, und das andre nach Loschwitz ins Schillerhäuschen, wo Schiller grad damals seinen Trompeter von Sigmaringen dichtete. Er und die Gustel haben nachher die Beene zusammengetragen und oberhalb Dresden bei Räcknitz unter vier Linden begraben. Ich bin selbst dort gewesen und habe das Denkmal, welches off seine Beene gesetzt worden is, mit meinen eegenen zwee Oogen gesehen. Is das nich Beweis genug? Willst du nu noch immer mit mir schtreiten?“

„Nein,“ lachte Sam. „Aber die Sache mit der Leiter kommt mir nun auch einigermaßen bedenklich vor. Warum hat man sie hinaufgezogen? Hat man sie vielleicht schnell für ein andres Stockwerk gebraucht? Das wäre bei diesem Wetter ja wohl leicht möglich. Laßt einmal sehen, ob wir alle beisammen sind!“

Es stellte sich heraus, daß der Bankier und sein Buchhalter fehlten. Darum meinte Sam Hawkens befriedigt:

„Da bin ich beruhigt. Die gehören zu uns und müssen also auch noch zu uns herab. Die Leiter ist schnell anderwärts gebraucht worden, wenn ich mich nicht irre.“

„Aber warum hat mer da obe zugemacht und den Deckel offs Loch gelegt?“ warf Droll ein.

„Das fragst du noch?“ antwortete Frank. „Ich schäme mich wahrhaftig, daß du mein Vetter und Verwandter bist! jeder vernünftige Mensch macht, wenn es regnet, die Klappe zu. Hier regnet es nicht bloß, sondern es gießt wie aus Badewannen. Darum is der Deckel zugemacht worden, damit es nich prima Visite uns off die Köppe regnen soll. Kannst du das begreifen?“

„Ja, lieber Freund und Vetter Heliogabalus Morpheus Edeward Franke, weil du’s so deutlich zu mache verschtehst, habe ich’s verschtande.“

„Ja, das wird der Grund sein,“ stimmte Sam bei. „Wir haben Zeit; bis der Häuptling herunterkommt, wollen wir uns einmal unsre heutige Wohnung ansehen. Wir können das, weil es eine Lampe gibt.“

Sie waren von dieser „Wohnung“ keineswegs erbaut. Die Räume waren vollständig leer. Es gab keinen Sitz, keine Decke, keine Spur von Stroh, Heu oder Laub, woraus man auch nur für einen einzigen Menschen ein Lager hätte bereiten können. Das zog die Stimmung der durchnäßten Leute tief herab. Doch Sam verlor seinen Gleichmut noch immer nicht, sondern sagte, als sie wieder in den mittleren Raum zurückgekehrt waren:

„Das wird bald anders werden; laßt nur erst den Häuptling kommen. Dann werden wir alles erhalten, was wir brauchen.“

Schi-So, der junge Indianer, hatte sich an der Besichtigung der Räumlichkeiten nicht mit beteiligt. Er saß, mit dem Rücken an die Mauer gelehnt, am Boden und blickte sehr ernst vor sich hin. Jetzt, als er Sams tröstliche Worte hörte, brach er sein bisheriges Schweigen und sagte:

„Sam Hawkens irrt sich. Es wird nicht bald anders werden.“

„Wieso?“ fragte der Genannte.

„Wir sind gefangen.“

„Gefangen? Alle Wetter! Woraus schließest du das?“

„Ich bin Indianer und weiß, woran ich bin, ihr seid erfahrene Westmänner und könnt das ebenso wissen. Als wir oben einstiegen, sah ich zwei Leitern, welche an dem nächsten Stockwerk lehnten. Wenn man schnell eine brauchte, warum hat man da nicht eine von diesen genommen, welche doch bequemer zu haben waren, sondern grad die unsrige emporgezogen?“

„Ah! Ich habe diese beiden Leitern auch gesehen. Da ist es allerdings sonderbar, daß man grad die unsrige genommen hat.“

„Und noch eins,“ fuhr der Jüngling fort. „Wo ist Grinley, welcher sich den Namen eines Ölprinzen gibt?“

„Alle Wetter, ja, das ist richtig!“ rief Sam in betroffenem Tone aus.

„Warum fehlen grad die beiden, welche er höchst wahrscheinlich betrügen will? Er weiß, daß wir es nicht zu dem Betruge kommen lassen werden; er will sie von uns trennen und hat sich zu diesem Zwecke an den Häuptling gewendet.“

„Aber wie und wann?“

„Denkt an die beiden Weißen, welche vor uns auf Forners Rancho gewesen sind! Er hat mit ihnen gesprochen; ich habe erfahren, daß er sogar mit dem einen längere Zeit hinter dem Hause gesteckt hat.“

„Wenn das wäre, so gäbe es freilich einen Zusammenhang, der mich bedenklich machen muß. Aber wie kann man es wagen, so viele Leute, wie wir sind, hier als Gefangene einzuschließen? Wir sind ausgezeichnet bewaffnet und können ausbrechen.“

„Wo?“

„Indem wir den Deckel öffnen.“

„Versucht das doch! Er geht gewiß nicht auf.“

„Dann durch die Außenmauer.“

„Die besteht aus Steinen und einem Mörtel, welcher sicher noch härter als Stein ist.“

„Durch die Decke.“

„Versucht es einmal, mit euern Messern hindurchzukommen!“

„Aber ich habe außer dem Häuptlinge nur Weiber und Kinder gesehen!“

„Die Krieger hatten sich versteckt. Sie sollen sich auf der Jagd befinden. Welch ein Wild gäbe es zu dieser Jahreszeit und in dieser öden Gegend zu jagen? Ihr wißt, daß mehrere Indianerstämme das Kriegsbeil ausgegraben haben. Wenn diese sich auf dem Kriegspfade befinden und zu jeder Zeit an jedem Orte erscheinen können, werden da andre so unvorsichtig sein, ihr festes Lager zu verlassen, indem sie auf die Jagd gehen und dabei ihr Leben riskieren? Gehen überhaupt die Puebloindianer in solchen Massen auf die Jagd? Leben sie nicht vielmehr von den Erträgnissen, welche sie in ihren Gärten ziehen?“

„Du hast recht. Deine Gründe sind nicht zu widerlegen.“

„Ja; wir sind gefangen.“

„So wollen wir uns überzeugen und vor allen Dingen versuchen, ob der Deckel da oben zu öffnen ist.“

Dick Stone und Will Parker mußten zusammentreten. Sam stieg auf ihre Schultern, so daß er den Deckel erreichen konnte, und stemmte sich mit aller Kraft gegen denselben -vergebens; er war nicht um einen halben Zoll zu bewegen.

„Es ist richtig; man hat uns eingeschlossen,“ zürnte er, indem er wieder niederstieg. „Aber wir werden diesen Schuften zeigen, daß sie sich verrechnet haben.“

„In welcher Weise?“ fragte Stone.

„Wir graben uns durch, entweder durch die Mauer oder durch die Decke. Wollen zunächst die erstere untersuchen.“

Bei dem Scheine des Lämpchens wurden erst in den verschiedenen Abteilungen der Etage mehrere Mauerstellen in Augenschein genommen. Es zeigte sich, daß die ganze Außenmauer, wie Schi-So gesagt hatte, in ihrer ganzen Länge aus dicken Steinen bestand, welche durch einen Mörtel verbunden waren, den kein Messer zu entfernen vermochte. Und andre, kräftigere Werkzeuge gab es nicht. Schi-So blieb auf seinem Platze sitzen, ohne sich an der Untersuchung zu beteiligen.

Nun blieb nur noch die Decke, durch welche vielleicht ein Ausgang erzwungen werden konnte. An der Untersuchung beteiligten sich alle Männer, indem je zwei sich zusammenstellten und ein dritter auf sie stieg, um mit dem Messer zu versuchen, ein Loch fertig zu bringen. Es stellte sich heraus, daß die eigentliche Unterlage aus einem eisenfesten Holze bestand, Knüppel an Knüppel nebeneinander gelegt, welches selbst seit Jahrhunderten nicht von der Feuchtigkeit angegriffen worden war und den Messern einen unbesieglichen Widerstand entgegensetzte, so daß man nicht einmal in Erfahrung bringen konnte, woraus die darauf liegenden Schichten bestanden.

Die Frauen hatten diesen Bemühungen mit banger Erwartung zugesehen; als sich dieselben als nutzlos erwiesen und die Versuche eingestellt wurden, rief Frau Rosalie zornig aus:

„Sollte man denn denken, daß es so schlechte Menschen in der Welt geben kann! Wir haben dieser indianischen Rasselbande nich das mindeste gethan und trotzdem schperren sie uns hier ein wie Schpitzbuben, die zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden sind. Wenn ich die Halunken jetzt hier hätte, Herr meines Lebens, wie wollte ich ihnen die Wahrheet sagen! Aber da sieht man wieder ‚mal, was dabei ‚rauskommt, wenn man sich off die Männer verläßt! Die sollen unsre natürlichen Beschützer sein; aber anschtatt offzupassen und uns zu beschützen, führen sie uns gradezu ins blaue Unglück’nein!“

„Sei doch schtille!“ bat ihr Mann. „Du beleidigst ja die Herren mit deiner ewigen Zankerei.“

„Was? Wie? Ewig?“ fragte sie erbost. „Seit wann habe ich denn geredet und geschprochen? Seit höchstens drei oder vier Sekunden. Und das nennst du ewig? Es is mir ganz egal, ob ich jemand beleidige, denn ich bin in meinem guten Rechte. Und wer recht hat, der braucht seine Zunge nich schtille schtehn zu lassen. Wir sind so dumm gewesen, uns einschperren zu lassen; ich bin nich schuld daran; aber fragen will ich doch, was wir nun zu erwarten haben und was mit uns geschehen wird?“

„Das fragen Sie noch?“ antwortete der Hobble-Frank, indem es pfiffig um seine Mundwinkeln zuckte. „Es is doch ganz selbstverständlich, was mit uns geschehen wird.“

„Na, was denn zum Beischpiele?“

„Zuerscht werden wir gefesselt – – –“

„Etwa ooch wir Damen?“

„Natürlich! Dann bindet man uns an den Marterpfahl – –“

„Uns Damen ooch?“

„Selbstverschtändlich! Und nachher werden wir ermordet – – –“

„Die Damen ooch?“

„Allemal! Und wenn wir dann tot sind, werden wir schkalpiert.“

„Dunner Sachsen! Doch nich etwa wir Damen ooch?“

„Freilich ooch! Die Roten pflegen die Weiber sogar lebendig zu schkalpieren; sie warten gar nich, bis sie tot sind, wissen Sie, weil die Damen schöneres und längeres Haar haben, was dem Schkalpe eenen viel größeren Wert verleiht ––“

„Danke ergebenst für diese Schmeichelei!“ fiel sie ihm in die Rede.

„Bitte sehr!“ antwortete er. „Und sodann weil die Schkalphaut sich bei eener toten Leiche nich so gut losziehen läßt wie bei eener lebendigen.“

„Ist das wahr, oder wollen Sie mir bloß angst machen, Herr Franke?“

„Es is die volle, reene Wahrheet, off die Sie sich ganz ergebenst verlassen können.“

„So sind diese Roten ja die echten und richtigen Mordbarbaren! Aber ich lasse mich weder tot noch lebendig schkalpieren. Meine Haut bekommen sie nich, um keenen Preis. Ich wehre mich; ich verteidige meine Haare vom erschten bis zum letzten Oogenblicke. Mir sollen sie nich kommen, denn ich bin Frau Rosalie Eberschbach, geborene Morgenschtern und verwitwete Leiermüllern, und mich sollen sie kennen lernen!“

Bei der andern Gruppe von Gefangenen, nämlich bei dem Bankier und seinem Buchhalter, ging es weniger lebhaft her. Sie lagen miteinander im Erdgeschosse. Dort brannte keine Lampe; es war finster. Die dortige Feuchtigkeit der Luft und ein zeitweiliges Gurgeln ließen vermuten, daß sie sich in der Nähe der Wasserquelle befanden. Die Mauern waren hier unten so stark, daß das Toben des Unwetters fast gar nicht vernommen wurde. Als man sie an Lassos niedergelassen, und der Deckel sich über ihnen geschlossen hatte, horchten die beiden erst eine kleine Weile. Es blieb rund um sie her still, und nichts verriet die Anwesenheit eines andern Menschen. Darum ergriff der Bankier das Wort, natürlich in englischer Sprache:

„Seid Ihr ohnmächtig, Mr. BaumgaRten, oder hört Ihr mich?“

„Ich höre Euch, Sir. Es ist allerdings zum ohnmächtig werden. Was haben wir den Indianern gethan, daß sie uns in dieser Weise behandeln?“

„Hm, das frage ich mich auch. Warum nehmen sie grad uns zwei gefangen und nicht auch die andern?“

„Was das betrifft, so vermute ich, daß diese es nicht besser haben werden als wir.“

„Ihr meint, daß sie auch gefangen sind?“

„Ja.“

„Habt Ihr einen Grund dazu?“

„Mehrere. Einer von ihnen ist mir vor allen Dingen maßgebend. Die Roten können uns nicht gefangen nehmen, ohne unsre Gefährten auch festzuhalten, da diese uns sonst jedenfalls befreien würden.“

„Das ist richtig, aber zugleich auch traurig für uns, denn wir müssen die Hoffnung, befreit zu werden, aufgeben.“

„Fällt mir nicht ein! Ich hoffe bis zum letzten Augenblicke.“

„Auf wen?“

„Zunächst auf Gottes Hilfe. Und sodann erscheint es keineswegs ausgeschlossen, daß wir trotz allem auch auf unsre Gefährten rechnen können. Sie sind wahrscheinlich ebenso eingeschlossen wie wir, aber nicht gefesselt. Sie haben ihre Waffen bei sich. Nehmen Sie dazu, was für Kerls sie sind! Dieser Hobble-Frank ist zwar eine ganz wunderliche, originelle Persönlichkeit, aber gewiß ein unerschrockener, mutiger Mensch und tüchtiger Westmann. Von Hawkens, Parker, Stone und Droll läßt sich ganz dasselbe sagen, und was die übrigen betrifft, so gibt es außer diesem unzuverlässigen Kantor gewiß keinen, der die Hände furchtsam in den Schoß legen wird.“

Well, denke das auch. Aber warum hat man sich unser bemächtigt? Das ist es, was ich wissen möchte. Vielleicht eines Lösegeldes halber?“

„Schwerlich. So etwas wäre die Artweißer Banditen, aber nicht diejenige der Indianer.“

„Also einfach uns ausrauben?“

„Auch nicht, wenigstens nicht allein. Wäre es nur das, so hätte man uns sogleich die Taschen geleert, anstatt uns nur die Waffen abzunehmen. Ich bin kein Westmann und kann also nichts Sicheres sagen, aber ich vermute, das Verhalten der Roten ist eine Folge der zwischen ihnen und den Weißen ausgebrochenen Streitigkeiten.“

All devils! Dann hätten wir nichts zu hoffen, denn dann wären wir, sozusagen, Kriegsgefangene, und es wird uns wohl an den Kragen gehen!“

„Wenigstens wird das die Absicht der Roten sein.“

„Schöne Aussicht! Am Marterpfahle braten und skalpiert zu werden!“

„So weit sind wir noch nicht! Ich hoffe, wie gesagt, bis zum letzten Augenblicke. Wollen zunächst einmal versuchen, ob wir aus den Fesseln kommen können.“

Sie gaben sich alle Mühe; sie strengten ihre Kräfte bis auf das Äußerste an, doch ohne jeden Erfolg; die Riemen waren zu fest. Freilich, wenn Old Shatterhand und Winnetou sich an ihrer Stelle befunden hätten, die wären wohl schon nach einigen Minuten ihrer Banden ledig geworden; aber diese beiden hier waren unerfahren, und es fehlte ihnen derjenige Scharfsinn, welcher selbst aus der übelsten Lage noch einen Ausgang findet. Sie gaben ihre Bemühungen, die Riemen zu zersprengen, auf; sie einander aufzuknoten, daran dachten sie nicht, und doch hätten sie, selbst mit gefesselten Händen, wenigstens einen Versuch dazu machen können.

Sie lagen nun still neben einander und warteten – – eine lange, lange Zeit, wie ihnen dünkte. Da hörten sie über sich ein Geräusch. Der Deckel wurde entfernt. Sie erblickten den blauen Sternenhimmel. Das Unwetter hatte sich also verzogen‘ und es war Abend geworden. Sie sahen, daß die Leiter herabgelassen wurde und der Häuptling an derselben herniederstieg. Er bückte sich nach ihnen und betastete sie mit seinen Händen. Als er sich überzeugt hatte, daß sie noch gefesselt waren und still gelegen hatten, sagte er:

„Die weißen Hunde sind dümmer wie die heulenden Koyoten. Sie kommen in die Wohnung der roten Krieger, ohne zu bedenken, daß jetzt das Messer zwischen uns und ihnen ausgegraben ist. Sie haben uns unser Land, unsre heiligen Orte genommen und uns vertrieben; sie verfolgen und betrügen uns fort und fort. Sie kamen zu Wenigen und schwellen zu Millionen an; wir aber waren Millionen und müssen verschwinden wie die Mustangs und Bisons auf der Savanne. Aber wir sterben nicht, ohne uns zu rächen. Das Kriegsbeil ist ausgegraben, und alle Bleichgesichter, welche in unsre Hände fallen, sind verloren. So auch ihr. Morgen früh, sobald der Tag graut, werden die Marterpfähle errichtet werden, und euer Schmerzgeheul wird so laut in die Lüfte schallen, daß die Geier in Scharen kommen werden, um euch das blutige, vor Schmerz dampfende Fleisch vom lebendigen Leibe zu reißen. So wird es geschehen, denn Ka Maku, der Häuptling, hat es gesagt!“

Nach diesen Worten stieg er wieder empor, zog die Leiter nach sich und legte den Deckel auf die Öffnung.

Seine Drohung war den beiden durch Mark und Bein gegangen; sie nahmen dieselbe ernst, denn sie wußten nicht, daß er im Auftrage handelte und ihnen ihr Schicksal nur deshalb in so düsterer Farbe malte, damit sie ihrem vermeintlichen Retter später um so dankbarer sein möchten.

Dieser Besuch des Häuptlings drückte den Bankier vollständig nieder, und auch Baumgarten war bei weitem nicht mehr so zuversichtlich wie vorher. Schon morgen früh am Marterpfahle! Das war ja entsetzlich schnell und die Zeit viel, viel zu kurz zu einer möglichen Rettung!

Sie teilten sich ihre Befürchtungen mit; sie zermarterten sich das Gehirn, um einen Ausweg zu finden; sie begannen wieder, an ihren Fesseln zu zerren, so daß dieselben ihnen in das Fleisch schnitten, doch ohne den geringsten Erfolg. Da – – es waren wohl einige Stunden vergangen, hörten sie wieder ein Geräusch. Sie blickten nach oben. Der Deckel wurde weggeschoben, und ein Kopf erschien über der Öffnung.

„Pst, pst, Mr. Rollins, seid Ihr etwa da unten?“ hörten sie in unterdrücktem Tone fragen.

„Ja, ja!“ antwortete der Genannte, vor Freude laut, weil er Hoffnung schöpfte.

„Leise, leise! Wenn man etwas von uns hört, bin ich verloren. Ist vielleicht Mr. Baumgarten bei Euch?“

„Ja, ich bin auch hier,“ antwortete der Deutsche.

„Endlich, endlich finde ich euch! Ich habe euch unter tausend Todesgefahren gesucht, um euch zu retten. Habt ihr euch gewehrt? Seid ihr etwa verwundet?“

Es klang eine fast liebevolle Besorgnis aus diesen Worten.

„Nein, wir sind gesund und unbeschädigt,“ antwortete Rollins.

„So wartet eine kleine Weile; ich will sehen, ob es mir gelingt, eine Leiter herbeizuschaffen. Es stehen zwar überall Wächter da oben, aber ich will, um euch zu retten, gern mein Leben wagen.“

Der Kopf verschwand aus der Öffnung.

„Gott sei Dank! Wir werden entkommen!“ seufzte der Bankier, indem er sich durch einen tiefen, tiefen Atemzug erleichterte. „Das war Grinley, unser Ölprinz. Nicht?“

„Ja,“ antwortete der Buchhalter. „Zwar konnte ich sein Gesicht nicht sehen, aber ich habe ihn an der Stimme erkannt, obgleich er nur flüstern durfte.“

„Er holt uns heraus; er riskiert sein Leben, um uns zu befreien. Ist das nicht brav, außerordentlich brav von ihm?“

„Sehr!“

„Da sieht man wieder einmal, wie sich Leute, die sonst scharfsinnig sind, in einem Menschen irren können! Man wollte ihn zum Betrüger stempeln. Jetzt können wir die feste Überzeugung haben, daß er unser vollstes Vertrauen verdient, Ihr seht, wie ehrlich und treu er ist. ich werde gewiß nicht wieder an ihm zweifeln.“

Jetzt erschien der Ölprinz wieder an der Öffnung. Er ließ eine Leiter herab und forderte die beiden mit leiser Stimme auf:

„Es ist mir gelungen. Da habt ihr die Leiter. Kommt herauf!“

„Wir können nicht, denn wir sind gefesselt,“ antwortete Rollins.

„Das ist schlimm, sehr schlimm, denn da vergeht eine kostbare Zeit, weil ich zu euch hinunter muß.“

Er kam zu ihnen hernieder, betastete ihre Fesseln und schnitt dieselben durch. Sie standen auf und dehnten ihre Glieder, um das stockende Blut wieder in Umlauf zu bringen. Dabei erkundigte sich Rollins:

„Das werde ich Euch nie vergessen, Sir! Aber sagt mir doch einmal wie es Euch gelungen ist, hier – – –“

„Pst, still!“ fiel ihm der Ölprinz in die Rede. „Davon später. Jetzt haben wir keine Zeit. Es gilt, schnell fortzukommen, da jeden Augenblick jemand nach euch sehen kann; dann wären wir verloren. Kommt also schnell herauf! Aber richtet euch nicht etwa in die Höhe, denn da würdet ihr sofort gesehen. Wir müssen uns kriechend entfernen.“

Er stieg empor, und sie folgten ihm. Oben legten sie sich glatt auf das Dach nieder.

„Schaut hinauf!“ flüsterte er ihnen zu. „Seht ihr die Wächter?“

Sie sahen im hellen Sternenscheine Indianer auf den oberen Terrassen stehen. In ihrer Unerfahrenheit fiel es ihnen gar nicht auf, daß grad hier unten bei ihnen, wo ein Posten doch am notwendigsten gewesen wäre, keiner stand. Und noch viel weniger kamen sie auf den Gedanken, daß sie von den Wächtern da oben recht gut gesehen wurden und das Gebaren des Ölprinzen nichts war als die reine Spiegelfechterei. Er ließ das Loch offen und die Leiter in demselben stecken und raunte ihnen zu:

„Folgt mir ganz leise bis hin zum Rande, wo ich eine Leiter angelegt habe. Wenn wir nicht gesehen werden und erst unten sind, dann haben wir nichts mehr zu fürchten.“

Sie krochen nach der Kante der ersten Terrasse und sahen dort die Leiter lehnen. Auch das fiel ihnen nicht auf. Sie stiegen einer nach dem andern hinunter und befanden sich nun außerhalb des Pueblo.

„Endlich, endlich!“ sagte da der Ölprinz. „Es ist gelungen. Nun schnell fort von hier!“

„Noch nicht, Mr. Grinley,“ sagte der gewissenhafte Buchhalter. „Unsre Gefährten sind doch jedenfalls auch gefangen?“

„Allerdings.“

„Wollen wir sie stecken lassen? Wir haben wohl die Pflicht, ihnen—“

„Unsinn!“ fiel ihm der andre in die Rede. „Was fällt Euch ein! Der Häuptling hat gelogen. Seine Krieger sind nicht auf der Jagd, sondern hier. Was können wir drei gegen sechzig bis siebzig wohlbewaffnete Indianer thun? Wir würden ins sichere Verderben rennen. Seid froh, daß ich euch herausgeholt habe! jedes längere Verweilen muß uns Verderben bringen.“

„Das mag richtig sein; aber es thut mir doch leid um die, welche wir nicht retten können.“

„So, die werden schon selbst für sich sorgen. Es sind ja tüchtige Kerls dabei, welche gewiß einen Ausweg finden werden.“

„Das beruhigt mich. Aber wie kommen wir fort? Man wird uns wahrscheinlich verfolgen. Ja, wenn wir unsre Pferde und Waffen hätten! Auch unser Gepäck wird uns fehlen.“

„Es ist alles da; ich habe alles gerettet!“

„Was? Wie? Das ist ja ganz unmöglich!“

„So, ein mutiger Mann macht seinen Freunden zuliebe selbst das Unmögliche möglich. Ich allein freilich hätte es nicht fertig gebracht; ich habe Hilfe und Unterstützung gefunden.“

„Bei wem?“

„Bei zwei wackern Gentlemen, zu denen ich euch führen werde. Kommt also rasch; wir dürfen keinen Augenblick mehr hier verweilen.“

Er führte sie an der Außenmauer des Pueblo hin und dann nach dem Trümmergewirr, in welchem heut die Indianer gesteckt hatten. Dort trafen sie auf Buttler und Poller und fanden bei denselben nicht nur ihre Pferde und Waffen, sondern auch ihr ganzes sonstiges Eigentum. Darüber waren sie denn doch erstaunt; ihre Fragen aber wies der Ölprinz mit den Worten zurück:

„Jetzt müssen wir augenblicklich fort, denn man wird, wie ihr selbst ganz richtig vermutet habt, uns verfolgen, und da ist es notwendig, einen möglichst großen Vorsprung zu erlangen. Unterwegs sollt ihr erfahren, wie sich alles zugetragen hat.“

Er hatte sich eine glaubhafte Erzählung zurechtgelegt und war überzeugt, daß dieselbe die gewünschte Aufnahme finden werde. Sie stiegen auf und jagten im Galopp von dannen. Der Bankier war von Dank gegen seine Retter erfüllt; ihn kümmerten die Zurückgelassenen nicht; Baumgarten aber konnte sich des Gedankens doch nicht erwehren, daß es eigentlich ihre Pflicht gewesen wäre, die Befreiung ihrer Gefährten wenigstens zu versuchen.

Diese letzteren befanden sich in einer Lage, welche zwar jedenfalls ernst war, aber doch auch ihre komische Seite hatte, dieses letztere infolge der Eigentümlichkeiten einiger der beteiligten Personen. Man war zuerst der Überzeugung gewesen, daß die Eingangsklappe wieder geöffnet werde, damit der Bankier und sein Buchhalter noch nachkommen könnten. Die feste Behauptung Schi-Sos brachte in diese Ansicht die erste Bresche, und als man dann längere Zeit, ja stundenlang gewartet hatte, ohne daß der Deckel geöffnet wurde, konnte es nicht länger in Abrede gestellt werden, daß die Meinung des Indianerjünglings die richtige war. Da erlitt die bisher ziemlich ruhige Stimmung der Eingesperrten freilich einen gewaltigen Umschlag. Die erfahrenen Westmänner waren allerdings gewohnt, sich zu beherrschen, desto aufgeregter aber zeigten sich die andern, die deutschen Auswanderer, welche vor Sorge außer sich waren; sie dachten natürlich, daß es nicht bloß auf ihr Eigentum, sondern auch auf ihr Leben abgesehen sei. Ein einziger von ihnen bewahrte seine Fassung, nämlich der Kantor, welchem es gar nicht einfiel, zu glauben, daß sein künstlerisches Dichten und Trachten hier einen gewaltthätigen Abschluß finden könne. Wie sich sehr leicht denken läßt, führte Frau Rosalie das erste Wort. Sie schimpfte ganz gewaltig zunächst auf die Indianer und dann aber auch auf Sam Hawkens und seine Gefährten, denen sie die Schuld gab, daß sie in die gegenwärtige Lage gekommen war.

„Wer hätte das diesem alten, roten Indianerbürgermeester angesehen!“ zürnte Frau Rosalie. „Der Mann war so freundlich, wie schöne, gelbe Grasbutter; er that so schön und so freundlich, daß ich schon gloobte, er werde mich zu eenem Walzer anggaschieren. Und jetzt schtellt sich’s ‚raus, daß das alles Falschheet, Betrug und Hinterlistigkeet gewesen is. Ohrfeigen sollte man dem Kerl geben, Maulschellen, gehörige, tüchtige Maulschellen, immer eene herüber und die andre hinüber! Was will er denn eegentlich von uns? Off was hat er es denn abgesehen? Off unsre Sachen und off unser Geld? Sagen Sie mir doch das, Herr Hawkens! Reden Sie doch; schprechen Sie doch! Schtehen Sie doch nich da wie een chinesischer Ölgötze, der keen Wort von sich geben kann! Ich will und muß partuh wissen, woran ich bin!“

„Natürlich haben sie es auf unser Eigentum abgesehen,“ antwortete Sam.

„Natürlich? Das finde ich gar nich so natürlich wie Sie. Mein Eegentum is eben mein Eegentum, an dem mir keen andrer Mensch herumzufispern hat. Wer die Hand nach meinen rechtmäßigen und gesetzlichen Habseligkeeten ausschtreckt, der is een Schpitzbube, verschtehn Se mich! Und da gibt’s in Sachsen gewisse Paragraphen, welche von der Polizei schtreng gehandhabt werden. Wer maust, der wird eingeschteckt oder ooch sogar ins Loch geschperrt!“

„Das ist sehr richtig; aber leider befinden wir uns nicht in Sachsen.“

„Nich in Sachsen? I was Se nich sagen! Ich bin noch lange keene Amerikanerin; ich befinde mich zwar gegenwärtig off der Auswanderung, aber meine gute, sächsische Schtaatsangehörigkeet habe ich trotzdem noch nich offgegeben. Ich bin immer noch eene Landestochter des schönen Sachsenlandes an der Elbe. Die Sachsen haben in mehr als zwanzig Schlachten gesiegt und werden mich ooch hier herauszuhauen wissen. Verschtehn Se mich? Ich habe dreißig Jahre lang meine Abgaben, Schteuern und Schulanlagen pünktlich und ehrlich bezahlt, bin noch keenen einzigen Pfennig schuldig geblieben und kann also wohl verlangen, daß mein Heimatsschtaat sich tapfer meiner annimmt, wenn so een roter, indianischer Taugenischt und Thunichgut mich betrügen und beschtehlen will! Ich lass’mich nich berauben und dann ohne eenen Pfennig in der Tasche fortjagen.“

Sam warf einen seiner eigentümlich funkelnden Blicke auf die erregte Frau und meinte:

„Sie machen sich eine falsche Vorstellung, Frau Ebersbach. Man wird Sie nicht ausrauben und dann fortjagen.“

„Nich? Was denn?“

„Wenn der Indianer raubt, so tötet er auch. Nimmt er uns das Eigentum, so nimmt er uns auch das Leben, damit wir uns nicht später rächen können.“

„Herr, meine Seele! Wollen Sie etwa sagen, daß wir ermordet werden sollen?“

„Ja.“

„Wirklich? Na, da hört aber nu grad alles off! Und das haben Sie gewußt und uns trotzdem hierher geführt? Herr Hawkens, nehmen Sie es mir ja nich übel, aber Sie sind een Ungeheuer, een Molch, een Drache, wie es keenen zweeten geben kann!“

„Entschuldigen Sie! Konnte ich wissen, was die Indianer vorhatten? Diese Pueblos sind als freundlich und zuverlässig bekannt; es war beinahe unmöglich, zu denken, daß sie uns eine solche Falle stellen würden.“

„Mußten Sie denn hineinschpringen? Wir konnten draußen bleiben.“

„Bei dem Wetter?!“

„Ach was Wetter! Ich lasse mir doch lieber zehn Wasserbottiche in den Zopf regnen, als mich ausrauben und umbringen. Das können Sie sich doch so von ohngefähr selbst denken. Du lieber Himmel! Ermordet werden! Wer hätte das gedacht! Ich bin ausgewandert, um noch eene ganze Reihe von Jahren amerikanisch leben zu bleiben, und kaum habe ich meine Füße in dieses Land gesetzt, so tritt mir ooch schon der leibhaftige Tod entgegen. Ich möchte denjenigen sehen, der das aushalten kann!“

Da trat der Kantor zu ihr heran, legte ihr die Hand auf den Arm und sagte in beruhigendem Tone:

„Regen Sie sich nicht unnütz auf, meine liebe Frau Ebersbach. Vom Tode kann hier keine Rede sein.“

„Nich? Wieso?“

„Solange ich bei Ihnen bin, sind Sie sicher vor jeder Gefahr. Ich schütze Sie!“

„Sie? – – Mich – –?“ fragte sie, indem sie ihren Blick ungläubig an seiner Gestalt heruntergleiten ließ.

„Ja, ich Sie! Sie wissen doch wohl, daß ich eine Heldenoper von zwölf Akten komponieren will?“

„Natürlich; ich hab’s ja mehr als oft genug hören müssen.“

„Na, also! Ein Komponist ist ein jünger der Kunst, und Sie können sich fest darauf verlassen, daß diese mächtige Göttin keinen ihrer Anhänger sterben läßt.“

„Aber ich komponiere doch nich!“

„Schadet nichts; Sie stehen unter meinem Schutze. Um meiner großen Oper willen werden es die Musen zu machen wissen, daß ich gesund und froh nach Hause zurückkehre, denn sonst würde der Welt ein Kunstwerk verloren gehen, welches geradezu unersetzlich wäre. Es wird mir während meiner amerikanischen Reise kein Haar meines Hauptes gekrümmt werden; folglich ist auch jeder, der sich bei mir befindet, vor jedem Unfalle sicher.“

„Schön! Dann will – – – ich wollte sagen. Wenn Sie so sicher sind, daß uns nischt passieren kann, so haben Sie doch,mal die Gewogenheet, uns aus der Patsche, in -welcher wir schtecken, herauszuschaffen!“

Da kratzte er sich hinter dem Ohre und antwortete brummend:

„Sie scheinen mich falsch verstanden zu haben, meine Allerliebste. Man darf ein Tonstück, welches mit Lento bezeichnet ist, nicht allegro vivace spielen. Wenn ich gesagt habe, daß Ihnen in meiner Gegenwart kein Unglück geschehen kann, so meine ich damit keineswegs, daß ich es bin, der die Pforten unsrer gegenwärtigen Gefangenschaft zu öffnen hat. Dazu sind andre Leute da. Ich brauche Ihnen nur Herrn Franke zu nennen, der schon viele große Thaten ausgeführt hat und uns auf keinen Fall sitzen lassen wird. Habe ich da nicht recht?“

Er richtete diese letztere Frage an den Hobble-Frank. Dieser fühlte sich geschmeichelt und antwortete in seiner bekannten Weise:

„Ja, Sie haben richtig geschprochen, vollschtändig richtig, Herr Kantor emeriticus, und das Vertrauen, mit welchem Sie mich in so reservierter Weise beehren, soll nich betrogen werden. Ich bin der Mann, off den Sie sich in jeder partikularen Fährlichkeet verlassen können. Was keen Verschtand der Verschtändigen sieht, das is dem Hobble sein Lieblingslied. Und wenn alle Schtränge reißen sollten, ich mache euch frei!“

„Wie denn?“ fragte Sam.

„Du gloobst’s wohl etwa nich?“

„Ob ich es glaube oder nicht, das ist jetzt Nebensache. Ich möchte aber wissen, wie du es anfangen willst, deine Versicherung wahr zu machen.“

„Nebensache? Red nich so dumm. Der Glaube is eben grad die Hauptsache. Mit Hilfe des Glaubens kann man psychologische Berge versetzen und die intimsten Eisenbahnen bauen. Dieses Schprüchwort hat schon Josua gesagt, als er die Pyramide des ägyptischen Königs Washington von Moskau nach Schtockholm schaffte.“

„Aber, verehrtester Herr Frank,“ fiel da der Kantor ein, „Josua, Washington, Pyramide, Stockholm, Ägypten – wie kann man das zusammenbringen?“

„Wie? Das fragen Sie? Sie, der Sie een jünger der Kunst sein wollen? Ich sage Ihnen, für mich is es gar keene Kunst, das alles zusammenzureumen. Sie haben ja gehört, daß ich es fertig gebracht habe. Und so werde ich es ooch mit der größten Leichtigkeet und Differenz fertig bringen, uns zu befreien. Es gehört weiter gar nischt dazu, als een bißchen angeborene Schlauheet und affektierte Pfiffigkeet. Während ihr euch hier ganz ohne Resultat und Marzipan hier herumgeschtritten habt, bin ich mit meiner innerlichen Orangerie zu Rate gegangen und habe den Weg entdeckt, der uns ins Freie führen wird.“

„So bin ich sehr neugierig, ihn kennen zu lernen,“ meinte Sam.

„Das gloobe ich dir offs Wort. Du hättest ihn jedenfalls nich gefunden!“

„Laß nur erst hören, ob dein Weg kein Irrweg ist.“

„Du, ich will dir’mal was sagen. Wo du nich bist, Herr Organist, da schweigen alle Flöten. Ich bin der Herr Organist und du bist die Flöte, welche zu schweigen hat! Mein Weg is der richtige, wie ihr gleich erkennen werdet. Ihr habt an der Mauer herumgepocht und an der Decke herumgeschtochen, ohne ein richtiges Facit destillata zu finden; eure Messer konnten nich in die Schteene dringen. Ich aber mach eene Wette mit, daß es hier Löcher gibt, in denen wir die Hebel der Befreiung ansetzen müssen, wenn wir die Fesseln der Gefangenschaft in die Luft mundieren wollen.“

„Löcher? Wo denn?“

„Wo? ja, das müssen wir erst suchen.“

„So sind wir grad so klug, wie vorher, als wir suchten und nichts fanden!“

„Schweig schtille! Wäre dieses Suchen unter meiner geographischen Oberleitung vor sich gegangen, so hättet ihr den Kasus Belladonna sofort gefunden. Eure Oogen sind mit Blindheet geschlagen und alle eure Nasen nich drei Pfennige wert. Der Deckel da oben is zu, und außer ihm scheint es keene Öffnung zu geben. Wenn das wahr wäre, so müßte man hier erschticken, weil die Lebensluft infolge unsers konservierten Sauerschtoffes alle würde. Wenigstens würde es hier moderig und müffig riechen. Nu seht euch aber’mal die Lampe an, wie schön sie brennt, und schtrengt dazu die Riechorgane an, ob ooch nur eene Schpur von schlechter Luft vorhanden is! Ich bin überzeugt, daß die Luft immer wieder erneuert wird, was der Gelehrte mit Vehikulation bezeichnet. Diese Vehikulation habe ich sehr genau schtudiert, als ich meine Villa „Bärenfett“ bauen ließ. Sie findet schtets in der Weise schtatt, daß unten die frische Luft eintritt und die schlechte oben entweicht. Es müssen also unten und oben Löcher sein, hier ebenso wie in meiner Villa an der Elbe. Es gibt eenen immerwährenden Luftzug hier, den wir entdecken müssen. Und wißt ihr denn, wie man diese Entdeckung am besten improfitieren kann?“

„Mit dem Lichte, meinst du wohl?“ fragte Sam.

„Ja, mit der Lampe. Siehste, daß es bei dir Zeiten gibt, wo du nich ganz off den Kopp gefallen bist! Nehmt also ‚mal die Lampe und haltet sie unten am Fußboden längs der Mauer hin; da werdet ihr die Schtellen finden, wo die Luft von außen hereinkommt. Und wenn ihr nachher die Decke ebenso untersucht, entdeckt ihr ganz gewiß die Panamakanäle, durch welche die schlechte Atmosphäre in das draußen befindliche Weltall schteigt.“

„Du, Frank, dieser Gedanke ist wirklich nicht übel!“ rief Sam Hawkens. „Deine Beobachtung ist ganz richtig; wir haben hier eine vollständig reine Luft; es muß also eine Art von Ventilation vorhanden sein. Wir werden suchen.“

„Na, siehste also, alte Flöte, daß der Organist seine Sache verschteht! Wenn ich nich wäre, so – – – horch!“

Er hielt in seiner Rede inne, und die andern lauschten auch nach oben, wo jetzt ein Geräusch vernommen wurde. Das Wetter war vorüber; es donnerte nicht mehr und so hörte man ziemlich deutlich, was auf dem platten Dache geschah: es wurden schwere Steine weggewälzt, und dann öffnete man den Deckel, aber nur um eine schmale Lücke. Dann ließ sich die Stimme des Häuptlings vernehmen:

„Die weißen Männer mögen hören, was ich ihnen sage! Sie werden jetzt wissen, daß sie meine Gefangenen sind. Es ist Krieg zwischen uns und den Bleichgesichtern, und so sollte ich sie eigentlich töten; aber ich will gnädig sein und ihnen ihr Leben schenken, wenn sie freiwillig alles abgeben, was sie bei sich haben. Ihr Anführer mag mir antworten!“

Mit der Bezeichnung Anführer war Sam Hawkens gemeint. Dieser antwortete sofort:

„Du sollst alles haben, was du wünschest. Laß uns hinauf, so geben wir es ab!“

„Mein Bruder spricht mit der Zunge der Schlange. Wenn ich euch hinaufließe, so würdet ihr nichts geben, sondern euch wehren.“

„So komm herab und hol dir, was du verlangst!“

„Dann würdet ihr mich unten behalten. Die Bleichgesichter mögen zunächst ihre Waffen zusammenthun und mit den Riemen, welche ich hinabwerfe, zusammenbinden. Wir werden dann unsre Lassos hinablassen und die Bündels emporziehen. Der Anführer mag sagen, ob ihr damit einverstanden seid!“

„Wird Ka Maku, der Häuptling, sein Wort halten und uns auch freilassen, wenn wir ihm alles abgegeben haben?“

„Ja.“

„Ja? Hihihihi! Halte uns doch nicht für so dumm“, wie du selber bist, und mach dich schleunigst von da oben weg, sonst gebe ich dir eine Kugel in den Kopf! Wir wissen genau, woran wir mit euch sind, ihr Lügner und Verräter. Ihr werdet nicht so viel von uns bekommen, wie man vom Fingernagel schneidet.“

„Ist das dein Ernst?“

„Mein voller Ernst.“

„So müßt ihr sterben!“

„Warte es ab! Der Tod drohte uns auch dann, wenn wir euch alles geben. Ihr habt euch verrechnet. Wir haben Gewehre und werden euch zwingen, uns ohne Lösegeld ziehen zu lassen.“

„Mein Bruder irrt sich. Eure Waffen bringen euch keinen Nutzen, denn es wird gar nicht zum Kampfe kommen. Ihr seid eingesperrt und könnt nicht heraus. Wir werden euch nicht angreifen, und ihr braucht euch nicht zu verteidigen; aber ihr habt kein Wasser und nichts zu essen. Wir werden warten, bis ihr verschmachtet seid, und dann ohne Kampf bekommen, was wir wollen. Howgh!“

Der Deckel klappte wieder zu, und dann hörte man unten, daß die Steine auf denselben gewälzt wurden.

„Dummheit!“ brummte Dick Stone. „Du hättest es besser machen sollen!“

„Wie denn?“ fragte Sam.

„Gar nicht antworten, sondern ihm eine Kugel geben.“

„Fällt mir nicht ein!“

„Warum nicht? Der Halunke hielt zwar den Kopf weit zurück, aber seine Stirn war doch so deutlich zu sehen, daß man sie mit einer Kugel durchlöchern konnte.“

„Das weiß ich wohl, alter Dick; aber du glaubst doch nicht, daß uns dies etwas genützt hätte. Unsre Lage wäre im Gegenteile dadurch nur verschlimmert worden. Nein, wenn es nicht notwendig ist, vergieße ich kein Blut. Wollen vor allen Dingen versuchen, uns durch List zu befreien.“

„So gilt es, den Rat Franks zu befolgen; aber wir müssen uns damit beeilen, denn die Lampe wird nicht mehr lange brennen, dann sitzen wir im Finstern.“

Es stellte sich heraus, daß der Hobble-Frank recht gehabt hatte. In der Außenmauer waren nahe dem Fußboden Löcher angebracht, um den Eintritt der Luft zu ermöglichen, und bald entdeckte man auch in der Decke kleine Öffnungen, durch welche die schlechte Luft entweichen konnte. Diese Öffnungen führten schräg durch die Decke. Wären sie senkrecht angebracht gewesen, so hätte man sie leichter entdeckt, weil man den Himmel hätte durch sie sehen können. Sie hatten einen Durchmesser von vielleicht nur sechs Centimeter; bedeutend größer waren die Öffnungen, welche unten durch die Außenmauer führten.

„Jetzt ist uns wahrscheinlich geholfen,“ meinte Will Parker. „Vorhin konnten wir mit unsern Messern nichts machen; jetzt aber bieten die Löcher uns Punkte, wo die scharfen Klingen gewiß greifen werden. Es fragt sich nur, wo wir hinaus wollen. Durch die Mauer?“

„Die ist zu dick,“ sagte Sam. „Um da ein Loch, welches groß genug ist, fertig zu bringen, müßten wir mehrere Tage lang arbeiten.“

„Also durch die Decke?“

„Ja. Freilich wird das dadurch schwierig, daß derjenige, welcher arbeitet, auf den Schultern zweier andrer stehen oder sitzen muß; aber wenn wir erst einmal ein Holz entfernt haben, dann wird es desto schneller gehen. Leider haben wir nur noch höchstens für eine halbe Stunde Licht; dann befinden wir uns im Finstern. Suchen wir uns die passendste Stelle aus!“

Die war bald gefunden. Sam und Frank wollten zuerst arbeiten; der erstere stellte sich auf Stone und Parker, der letztere auf die beiden Deutschen Ebersbach und Strauch. Später, wenn sie ermüdet waren, sollten sie abgelöst werden. Als sie ihre Arbeit in Angriff genommen hatten, machte Schi-So die Bemerkung:

„Das Licht reicht nicht. Vielleicht ist es später nötiger als jetzt. Warum es also jetzt zu Ende brennen lassen?“

Er hatte recht; darum wurde es ausgelöscht. Nun war es völlig dunkel in dem Raume. Man hörte das leise Bohren und Knirschen der Messer und das Atmen der beiden Arbeitenden; sie strengten sich so an, daß sie schon nach einer Viertelstunde abgelöst werden mußten. Von Schlaf war keine Rede. Man bohrte und schnitt und kratzte die ganze Nacht hindurch; dann war so viel Holz aus der Decke geschnitten, daß ein Loch entstand, durch welches ein Mann kriechen konnte. Nun galt es, dieses Loch durch das Außenmaterial nach oben fortzusetzen. Dieses Material bestand aus festgeschlagenem Lehm, welcher fast zu Stein verhärtet war. Da kam man äußerst langsam voran, und es war Mittag geworden, als das Geräusch, welches die Messer verursachten, einen Klang annahm, welcher verriet, daß die Decke nun bald durchbrochen sei.

„Macht jetzt leise, so leise wie möglich,“ gebot Sam Hawkens, „sonst hören sie euch oben.“

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so fiel draußen über den Arbeitenden ein Schuß, und einige Augenblicke später rief Dick Stone, welcher neben Droff oben im Loche arbeitete:

All devils! Ich bin verwundet.“

„Ist’s möglich? Wo denn?“ fragte Sam.

„Im Oberarme. Die Halunken schießen auf uns.“

„Durch die Decke? Da haben sie also das Geräusch eurer Messer gehört. Ist’s bös mit der Wunde?“

„Glaube nicht. Wahrscheinlich ein Streifschuß. Der Knochen ist unverletzt; aber ich fühle das Blut rinnen.“

„So kommt schnell herab! Sie könnten wieder schießen und euch in die Köpfe treffen. Wollen deinen Arm untersuchen.“

Jetzt war es gut, daß man die Lampe nicht ganz ausgebrannt hatte. Kaum war der Platz unter dem Loche frei geworden, so fielen noch zwei oder drei Schüsse durch die Decke. Man hörte die Kugeln unten in den Boden schlagen. Sam Hawkens stieß ein überlautes Gebrüll aus.

„Was schreist du?“ fragte ihn Parker. „Bist du getroffen worden?“

„Nein. Will bloß wissen, wo die Halunken stehen.“

Oben ertönte ein Freudengeheul. Die Indianer hatten die Stimme Sams gehört, glaubten, ihn getroffen zu haben, und äußerten in dieser Weise ihre Freude darüber.

„Sehr gut!“ lachte Sam. „Die Kerls liegen oder kauern gerade über unserm Loche und horchen. Wollen ihnen auch einige Kugeln geben. Frank und Droll, kommt! In unsern drei Doppelgewehren stecken sechs Kugeln. Jeder zwei Schüsse schnell hintereinander. Eins – zwei – drei!“

Die Schüsse krachten, und sofort erhob sich draußen über den Gefangenen ein Wat- und Schmerzensgeheul.

Well! Ausgezeichnet! Hihihihi!“ lachte Sam. „Wir scheinen einige getroffen zu haben. Glaube nicht, daß sie sich wieder hersetzen, um zu lauschen.“

„Aber ich stelle mich auch nicht wieder in das Loch, um auf mich schießen zu lassen!“ murrte Stone.

„Wird kein Mensch verlangen,“ erwiderte Sam. „Zeig deinen Arm!“

Die Lampe war wieder angebrannt worden. Beim Scheine derselben stellte es sich heraus, daß es nur eine kleine Streifwunde war, welche leicht verbunden werden konnte. Als dies geschehen, ließ sich der Hobble-Frank hören:

„Wir hätten nich durch die Decke, sondern hier unten durch die Mauer graben sollen. Off der Decke schtehen die Indianer und hören uns. Brechen wir aber durch die Mauer, so kann uns keen Mensch hören.“

„Aber die Arbeit ist viel schwerer,“ warf Sam ein.

„Lieber eene schwere Arbeit, wobei man nich das Leben wagt, als eene leichte, bei der man erschossen wird. Das is meine unmaßgebliche Kompensation, mit welcher ich geflissentlicherweise recht haben werde.“

Man stimmte ihm bei. Es wurde eine kurze Beratung gehalten, deren Ergebnis der Beschluß war, seinem Rate Folge zu leisten. Die in der Außenmauer befindlichen Luftlöcher waren so groß, daß man zwei Flintenläufe nebeneinander in eins derselben stecken und sie als Hebel benützen konnte. Auf diese Weise gelang es, allerdings erst nach stundenlanger Anstrengung, das Bindematerial der Steine so zu lockern, daß man nun mit den Messern fortfahren konnte.

Darüber verging der Nachmittag. Es war Abend geworden, als endlich der erste Stein aus der Mauer fiel. Der erste! Und wie viele waren noch zu entfernen! Und wie stand es mit den Gefangenen! Sie hatten hier Rast machen und sich erholen wollen; aber es war nach ihrer Ankunft nur Zeit zum Trinken, nicht zum Essen gewesen. Nun waren sie schon über einen Tag gefangen, ohne etwas genossen zu haben. Der Hunger und der Durst stellten sich ein. Das hatte bei den Erwachsenen jetzt noch nicht viel zu sagen, aber die Kinder verlangten nach Speise und nach Trank und konnten nicht leicht beruhigt werden.

Indem immer je zwei und zwei sich ablösten, wurde die ganze Nacht hindurch an dem Loche gearbeitet; es ging äußerst langsam vorwärts, weil die Mauer so stark und der Mörtel fast noch fester als der Stein war. Endlich war man hindurch; ein Stein fiel nach außen, Das kleine Loch, welches dadurch entstanden war, ließ den fahlen Schein des anbrechenden Morgens hereinfallen. Nun ging es rascher; noch eine halbe Stunde und das Loch war so weit, daß ein Mann hinauskriechen konnte.

„Gewonnen!“ jubelte Frau Rosalie. „Dieses Loch is zwar keene bequeme Passage für eene anschtändige Dame, aber wenn es sich um die Freiheit handelt, krieche ich sogar durch eene Feueresse, wobei man sich doch schpäter wieder abwaschen kann. Jetzt vorwärts, meine Herren! Wer macht voran? Die Höflichkeet erfordert natürlich, daß wir Damen zu allererscht gerettet werden. Darum mache ich den Vorschlag, daß ich den Anfang mache.“

Sie bückte sich schon, um den Kopf in das Loch zu stecken; aber der Hobble-Frank zog sie zurück und sagte:

„Sind Sie denn nich recht gescheit, Madame Eberschbach? Was fällt Ihnen denn ein? Das is nischt für Weiber. Hier müssen die Herren der Schöpfung den Anfang machen.“

„Wer?“ fragte sie. „Die Herren der Schöpfung? Zu denen rechnen Sie sich wohl ooch mit?“

„Natürlich!“

„Na, da thut mir aber die ganze liebe Schöpfung leed. Ich bin eene Dame, eene deutsche Dame vom zusammengeenten deutschen Kaiserreich. Und haben Sie etwa nicht gehört, daß man gegen Damen zuvorkommend sein soll?“

„Ja, das weeß ich sehr genau und bin es ooch schtets gewesen.“

„Das machen Sie mir nich weiß; verschtehn Se mich! Ich danke dafür, wenn eener, der so unhöflich is, sich ooch noch großartig eenen Herrn der Schöpfung nennt!“

„Aber ich verschtehe Sie nich, meine liebste, ergebenste Frau Eberschbach! Ich bin doch ganz und gar zuvorkommend gegen Sie!“

„I, was Sie nich sagen! Wieso denn eegentlich?“

„Weil ich Ihnen beim Hinauskriechen so pomäle zuvorkommen will. Is das denn nich zuvorkommend?“

„O – o – o! Ja, wenn Sie das in dieser Weise meenen, da wenden Sie das Wort ganz falsch an. Sie sollen zuvorkommend sein, indem Sie mich zuvorkommend sein lassen. Können Sie das denn nich begreifen?“

„Sogar sehr gut. Aber Sie machen’s doch ganz verkehrt!“

„Verkehrt? Wieso?“

„Na, das Loch da is doch wenigstens fünf Ellen hoch über der darunterliegenden Terrasse. Nich?“

„Jawohl.“

„Sie müssen also so hoch hinunterschpringen?“

„Natürlich!“

„Können Sie das?“

„Ich hoffe es. Wenn es sich um meine Freiheit und um mein Leben handelt, schpringe ich, so hoch oder so tief es is.“

„Mit dem Koppe voran?“

„Mit dem Koppe? Wie denn anders?“

„Na, wenn Sie mit dem Koppe fünf Ellen tief unten offfliegen, da schtoßen Sie ihn sich so weit in die Achseln hinein, daß er gar nich mehr zu sehen is. Man schpringt doch mit den Füßen, aber nich mit demjenigen Körperteele, in welchem der gesunde Menschenverschtand offbewahrt zu werden pflegt. Also muß man mit den Füßen voran durch dieses Loch kriechen!“

„Das is aber dennoch verkehrt. Ich habe doch die Oogen nich in den Füßen!“

„Sehr richtig, wenn Sie nich etwa die Hühneroogen meenen.“

„Und ich muß mich doch, wenn ich hinauskomme, erscht genau umsehen, ob niemand da is, der mir schaden kann! Dazu sind die Oogen notwendig, und also muß man mit dem Koppe zuerscht ins Loch.“

„Ooch das gebe ich zu. Dennoch werden Sie sofort einsehen, daß es höchst rücksichtsvoll von mir is, wenn ich vor Ihnen hinein will. Ich setze den Fall, die Indianer haben die Schteene fallen. hören, welche wir hinaus geschtoßen haben. Dann schtehen sie gewiß Wache und sehen unser Loch. Wenn nun der erschte kommt, der hinaus will, so geben sie ihm sicher eene Kugel, ganz gleich, ob er mit den Füßen oder mit dem Koppe zuerscht das Morgenlicht erblickt. Wenn Sie nun noch voran wollen, so habe ich nischt dagegen. Schaköng a song Hut!“

„Da danke ich freilich; da danke ich sehr! Ich bin eine Dame und als solche nich verpflichtet, für die Herren der Schöpfung den Kugelfang abzugeben.“

Sie trat jetzt außerordentlich schnell zurück. Aber Frank erhielt auch nicht die Erlaubnis, der erste zu sein, sondern Sam Hawkens nahm dieses gefährliche Vorrecht für sich in Anspruch. Er kroch, mit dem Kopfe voran, langsam, sehr langsam vorwärts. Als sein Auge die Mündung des Loches erreicht hatte, fuhr er schnell zurück, kam wieder herein und meldete:

„Wahrhaftig, es stehen mehrere Wachen unten auf der Plattform. Unser Loch ist also entdeckt worden.“

„Haben sie dich gesehen?“ fragte Dick Stone.

„Nein.“

„Wie sind sie bewaffnet?“

„Mit Gewehren.“

„So schießen sie auf alle Fälle. Sie stehen unten auf der Plattform, auf welche wir springen müssen, und von uns kann immer nur einer hinaus. Wahrscheinlich wird das Loch nicht nur von ihnen, sondern auch von oben aus bewacht. Wollen einmal sehen.“

Er nahm seine lange Rifle, stülpte seine unaussprechliche und unbeschreibliche Kopfbedeckung auf die Mündung und schob den Lauf langsam so in das Loch, daß es draußen aussehen mußte, als ob ein Menschenkopf in der Öffnung erscheine. Draußen ertönte ein Ruf, und zugleich fielen mehrere Schüsse. Er zog das Gewehr wieder herein, untersuchte die Kopfbedeckung genau und sagte:

„Zwei Kugeln sind hindurch, eine von unten und eine von oben. Was sagst du dazu, alter Sam?“

Es dauerte eine ganze Weile, ehe der Gefragte antwortete. Sie warteten alle mit großer Spannung auf seine Rede; dann endlich sagte er in einem Tone, welcher ziemlich niedergeschlagen klang:

„Es sind auch Wächter über uns, welche über die Kante unsrer Etage hinausblicken und das Loch beobachten. Über uns Wächter und unter uns Wächter; das ist schlimm, sehr schlimm!“

„Wir schießen sie weg!“ meinte der Hobble wohlgemut.

„Versuch es doch!“

„Warum nich?“

„Überlege doch, bevor du sprichst. Kannst du diejenigen, welche auf unserm Dache liegen, wegschießen?“

„Nee. Daran hatte ich freilich nich gedacht; aber desto leichter diejenigen, welche draußen unter uns schtehen.“

„Wie willst du das anfangen?“

„Na, ich brauch‘ doch bloß das Gewehr off sie zu richten und loszudrücken!“

„Das ist leichter gesagt als gethan. Das Loch ist so eng, daß du nur dann auf sie zielen kannst, wenn du das ganze Gewehr, die beiden Hände und den Kopf draußen hast. Aber ehe du dich in diese höchst gefährliche Lage bringst, hast du einige Kugeln im Kopfe.“

„Wetter! Das is richtig! Nu haben wir das schöne Loch und können doch nich’naus!“

„Leider, leider! Wir haben uns umsonst geplagt. Wir können weder durch die Decke noch durch die Mauer.“

„Dunner Sachsen! Is das wahr?“ fragte Frau Rosalie.

„Es ist nur zu wahr,“ erklärte Sam.

„Gibt es denn keenen andern Ausweg? Etwa hier durch den Fußboden?“

„Nein, denn es wird unter uns jedenfalls auch aufgepaßt.“

„Na, da schtehen die Ochsen ja gerade so am Berge wie vorher! Und das will sich Herren der Schöpfung nennen. Wenn ich een Mann wäre, ich wüßte gewiß, was ich thäte!“

„Nun, was?“

„Ja, das weeß ich eben nich, weil ich keen Mann, sondern eene Dame bin. Die Herren sind da, um uns zu schützen; verschtehn Sie mich? Nu thun Sie doch Ihre Pflicht! Ich hab’s ganz und gar nich nötig, mir den Kopp darüber zu zerbrechen, wie Sie mich aus dieser Gefangenschaft retten wollen. Aber ‚raus muß ich unbedingt, und so fordre ich Sie off, Ihre paar Sinne anzuschtrengen, um zu ermitteln, off welche Weise Sie mich retten können und sich dazu!“

Es trat eine lange Pause ein. Jeder und jede dachte nach, ob es denn keinen Weg der Rettung gebe; aber es erhob niemand die Stimme, um einen solchen zu verkünden. So verging eine halbe, eine ganze Stunde in trübem, peinlichem Schweigen. Da endlich hörte man Schi-So sagen:

„Das Denken und Grübeln bringt keinen Nutzen. Wir können nicht hinaus, denn wir müßten einzeln hinauskriechen und würden einzeln weggeschossen. Dennoch aber denke ich, daß wir gerettet werden.“

„Wie? Wie? Wodurch? Auf welche Weise?“ erklang es um ihn her.

„Old Shatterhand und Winnetou wollen sich auf Forners Rancho treffen. Forner wird ihnen von uns sagen, und es ist gewiß, daß diese beiden berühmten Männer unsrer Spur folgen. Sie werden also hier nach dem Pueblo kommen.“

„Ja,“ erklärte Sam mit einem tiefen Seufzer, „das ist die einzige Hoffnung, die wir noch haben können. Sie werden kommen; darauf möchte ich schwören, und wenn wir es bis dahin aushalten, werden wir gerettet werden.“

„Aber das sind doch nur zwee Menschen. Was können die gegen so viele Indianer ausrichten?“ warf Frau Rosalie ein.

„Schweigen Sie unterthänigst!“ wurde sie von dem Hobble aufgefordert. „Was verschtehen Sie von diesen beeden Helden, die meine Freunde und Gönner sind! Ich sage Ihnen: Und wenn tausend Rote uns bewachen, Old Shatterhand und Winnetou holen uns doch heraus, entweder mit List oder mit Gewalt, je nachdem es ihnen beliebt. Die haben noch ganz andre Sachen fertig gebracht. Wenn sie nur erscht unsre Schpur haben, nachher brauchen wir uns nich zu sorgen; sie holen uns heraus, und nich uns alleene!“

„Wen denn noch?“

„Ooch den Bankier, wenn er noch lebt.“

„Der wird wohl nicht mehr leben,“ meinte Sam; „er nicht und sein Buchhalter nicht. Auf diese beiden war es wohl ganz besonders abgesehen, sonst hätte man sie nicht von uns getrennt.“

Er hatte recht, jedoch in andrer Art. Auf sie war es allerdings besonders abgesehen gewesen, doch nicht so, daß es, wenigstens von seiten des Häuptlings, ihr Leben galt. Sie waren entkommen und mit dem Ölprinzen, Buttler und Poller gegen Norden geritten, ohne anzuhalten, bis sie um die Mittagszeit in den Mogollonbergen den ersten Wald erreichten, der ihnen Schatten, Kühlung und Wasser bot. Da stiegen sie ab und setzten sich an einem Bache nieder, um auszuruhen und auch ihren Pferden Erholung zu gönnen. Hier war es, wo der Ölprinz sein Märchen erzählte, mit welchem er dem Bankier die Ereignisse des vergangenen Abends zu erklären versuchte, was ihm auch vollständig gelang. Rollins hielt ihn jetzt fest für einen Ehrenmann und freute sich auch darüber, in Buttler und Poller so brave und ehrenwerte Gefährten gefunden zu haben.

Als sie sich ausgeruht hatten, stiegen sie wieder auf und ritten weiter, bis sie gegen Abend eine Stelle fanden, welche sich sehr gut zum Lagerplatze für die Nacht eignete. Es gab da Wasser und genug dürres Holz, um ein Feuer die ganze Nacht zu unterhalten. Daß der Ölprinz, Buttler und Poller sehr reichlich mit Nahrungsmitteln versehen waren, die sie nur vom Pueblo mitgenommen haben konnten, das fiel weder Rollins noch Baumgarten auf. Als Poller das Feuer anbrannte, meinte Buttler im Tone leiser Besorgnis:

„Wir befinden uns in der Nähe des Gebietes der Nijoraindianer. Wäre es nicht vielleicht besser, auf das Feuer zu verzichten, welches uns verraten kann?“

„Es hat keine Gefahr,“ erklärte der Ölprinz. „Ich stehe mit den Nijoras auf gutem Fuße.“

„Aber sie haben das Kriegsbeil ausgegraben!“

„Thut nichts. Mir sind sie selbst auf dem Kriegszuge nicht gefährlich.“

„Mag sein; aber sie wohnen nördlich von hier und die Gileños südlich; wir befinden uns also auf der Grenze zwischen beiden, und solche Grenzgebiete sind stets gefährlich, weil da etwaige Feindseligkeiten zuerst beginnen und zum Austrage gebracht werden. Da gibt es immer einzelne Herumtreiber, welche die gefährlichsten sind und weder Feind noch Freund schonen, wenn sie nur ihre Rechnung dabei finden.“

„Und ich sage dir, du kannst sicher sein, daß sich in dieser ganzen Gegend außer uns kein Mensch befindet. Und gerade diese Stelle liegt tief versteckt; ich glaube, ich bin der einzige, der sie kennt, denn so oft ich auch hier war, bin ich doch niemals einem Menschen begegnet und habe auch nie die leiseste Spur von einem solchen gefunden. Wir befinden uns im weiten Umkreise ganz allein und können ruhig unser Feuer brennen lassen.“

Er war vollständig überzeugt, recht zu haben, und hatte doch nicht recht, denn es gab nordwärts von ihnen zwei Reiter, welche, ohne daß sie einander sahen, das gleiche Ziel zu verfolgen schienen, nämlich die Stelle, an welcher der Ölprinz mit seinen Begleitern lagerte.

Diese beiden Reiter waren vielleicht drei englische Meilen von diesem Lagerplatze und nur eine voneinander entfernt und hielten einer wie der andre nach Süden zu.

Der eine war ein Weißer und ritt einen prächtigen Rapphengst mit roten Nüstern und jenem Haarwirbel in der langen Mähne, welcher bei den Indianern als sicheres Kennzeichen vorzüglicher Eigenschaften gilt. Sattel und Riemenzeug waren von feiner, indianischer Arbeit. Dieser Mann war von nicht sehr hoher und nicht sehr breiter Gestalt, aber seine Sehnen schienen von Stahl und seine Muskeln von Eisen zu sein. Ein dunkelblonder Vollbart umrahmte sein sonnverbranntes, ernstes Gesicht. Er trug ausgefranste Leggins und ein ebenso an den Nähten ausgefranstes Jagdhemd, lange Stiefel, welche er bis über die Kniee emporgezogen hatte, und einen breitkrämpigen Filzhut, in dessen Schnur rundum die Ohrenspitzen des grauen Bären steckten. In dem breiten, aus einzelnen Riemen geflochtenen Gürtel, der rundum mit Patronen gefüllt zu sein schien, staken zwei Revolver und ein Bowiemesser. An ihm hingen außer mehreren Lederbeuteln zwei Paar Schraubenhufeisen und vier fast kreisrunde, dicke Stroh- oder Schilfgeflechte, welche mit Riemen und Schnallen versehen waren. Von der linken Schulter nach der rechten Hüfte trug er einen aus mehrfachen Riemen geflochtenen Lasso und um den Hals an einer starken Seidenschnur eine mit Kolibribälgen verzierte Friedenspfeife, in deren Kopf indianische Charaktere eingegraben waren. In der Rechten hielt er ein kurzläufiges Gewehr, dessen Schloß eine höchst eigentümliche Konstruktion besaß – es war ein fünfundzwanzigschüssiger Henrystutzen – und über seinem Rücken hing ein doppelläufiger Bärentöter von allerschwerstem Kaliber, wie es heutigen Tages keinen mehr gibt.

Der echte Prairiejäger gibt nichts auf Glanz und Sauberkeit; je mitgenommener er aussieht, desto größer die Ehre, denn desto mehr hat er mitgemacht. Er betrachtet einen jeden, der auf sein Äußeres etwas hält, mit souveräner Geringschätzung; der allergrößte Greuel aber ist ihm ein blankgeputztes Gewehr. Nach seiner Überzeugung hat kein Westläufer die nötige Zeit, sich mit solchen Nebendingen abzugeben. Nun aber sah an diesem Manne alles so sauber aus, als sei er erst gestern von St. Louis aus nach dem Westen aufgebrochen. Seine Gewehre schienen vor kaum einer Stunde aus der Hand des Büchsenmachers hervorgegangen zu sein. Seine Stiefel waren makellos eingefettet und seine Sporen ohne die geringste Spur von Rost. Seinem Anzuge konnte keine Spur von Strapazen angesehen werden, und wahrhaftig, er hatte nicht nur sein Gesicht, sondern sogar seine Hände rein gewaschen! Es war wirklich gar nicht schwer, in ihm einen Sonntagsjäger zu vermuten.

Und allerdings, dieser Westmann war sehr, sehr oft von Leuten, die ihn nicht kannten und zum erstenmal sahen, seines saubern Äußeren wegen für einen Sonntagsjäger gehalten worden. Sobald sie aber seinen Namen hörten, sahen sie ein, welch ein grundfalsches Urteil sie gefällt hatten, denn er war kein andrer als Old Shatterhand, der berühmteste, verwegenste und dabei doch bedächtigste Jäger des wilden Westens, der unerschütterliche Freund der roten Nation und zugleich der unerbittlichste Feind aller Bösewichter, deren es jenseits des Mississippi eine Menge gab und noch heute gibt.

Old Shatterhand war sein Kriegsname, abgeleitet von dem englischen Worte shatter, zerschmettern, niederschmettern. Er vergoß nämlich nur dann das Blut eines Feindes, wenn es unbedingt nötig war, und selbst dann tötete er nicht, sondern verwundete nur. Im Handgemenge pflegte er, dem man eine solche Körperkraft kaum ansah, den Gegner mit einem einzigen Hiebe gegen die Schläfe niederzuschmettern. Daher der Name, der ihm von den weißen und roten Jägern gegeben war.

Und der andre Reiter, welcher eine englische Meile westlich von ihm ritt, war ein Indianer; das Pferd, auf welchem er saß, glich ganz genau demjenigen von Old Shatterhand.

Es gibt Menschen, welche gleich im ersten Augenblick der Begegnung, noch ehe sie gesprochen haben, einen tiefen, unauslöschlichen Eindruck auf uns machen. Ohne daß eine solche Person sich freundlich oder feindselig verhalten hat oder verhalten konnte, weil man sie eben zum erstenmal sieht, fühlt man sogleich und deutlich, ob man sie hassen oder lieben werde. Ein solcher Mensch schien dieser Indianer zu sein.

Er trug ein weißgegerbtes, mit roter, indianischer Stickerei verziertes Jagdhemd. Die Leggins waren aus demselben Stoffe gefertigt und mit dicken Fransen von Skalphaaren besetzt. Kein Fleck, keine noch so geringe Unsauberkeit war an Hemd oder Hose zu bemerken. Seine kleinen Füße steckten in mit Perlen gestickten Mokassins, welche mit Stachelschweinsborsten geschmückt waren. Um den Hals trug er einen kostbaren Medizinbeutel, die kunstvoll geschnitzte Friedenspfeife und eine dreifache Kette von den Krallen des grauen Bären, welche er mit größter Lebensgefahr dem grauen Bären, dem gefürchtetsten Raubtiere der Felsengebirge, abgenommen hatte. Um seine schlanke Taille schlang sich ein breiter Gürtel, welcher aus einer kostbaren Santillodecke bestand. Aus demselben schauten, wiederum so wie bei Old Shatterhand, die Griffe zweier Revolver und eines Skalpmessers hervor. Den Kopf trug er unbedeckt. Sein langes, dichtes, blauschwarzes Haar war in einen hohen, helmartigen Schopf geordnet und mit einer Klapperschlangenhaut durchflochten. Keine Adlerfeder, kein andres Unterscheidungszeichen schmückte diese Frisur, und doch sagte man sich gleich beim ersten Blicke, daß dieser rote Krieger ein Häuptling, und zwar kein gewöhnlicher, sein müsse. Der Schnitt seines schönen, männlich ernsten Angesichtes konnte ein römischer genannt werden; die Backenknochen standen kaum merklich vor, die Lippen des vollständig bartlosen Gesichtes waren voll und doch fein geschwungen und die Hautfarbe zeigte ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch. Quer über dem Sattel hatte er ein Gewehr vor sich liegen, dessen Holzteile dicht mit silbernen Nägeln beschlagen waren.

Wäre ihm ein Westmann begegnet, der ihn noch nie gesehen hatte, er hätte ihn sofort an diesem Gewehre erkannt, welches der Gegenstand des Gespräches an Tausenden von Lagerfeuern gewesen war. Es gab im Westen drei Gewehre, an deren Berühmtheit kein viertes reichte; das waren Old Shatterhands Henrystutzen, sein Bärentöter und Winnetous Silberbüchse. Dieser rote Reiter war also Winnetou, der Häuptling der Apachen, überhaupt der berühmteste Häuptling des Westens, der treueste und aufopferndste Freund seiner Freunde und zugleich der gefürchtetste Gegner aller seiner Feinde.

Er ritt nicht nach unsrer Manier, sondern er hing vorn über auf seinem Pferde, als ob er das Reiten gar nicht verstehe. Sein Blick schien müd und träumerisch unausgesetzt am Boden zu haften, aber wer ihn kannte, der wußte, daß seine Sinne von einer unvergleichlichen Schärfe waren und seinem Auge nichts, aber auch gar nichts entging.

Da plötzlich richtete er sich mitten im Reiten auf; ebenso schnell hatte er seine Silberbüchse angelegt und auf einen Baum gerichtet; der Schuß krachte; es war ein kurzer, scharfer, sonorer Knall. Er lenkte sein Pferd nach dem Baume, ganz an denselben heran, stieg mit den Füßen auf den Sattel, langte in eine Höhlung, welche sich in der Nähe des untersten Astes befand, und zog den Gegenstand hervor, nach welchem er geschossen hatte. Es war ein Tier von der Größe eines mittleren Hundes mit gelblich grauem Pelze, dessen Grannen schwarze Spitzen hatten; der Schwanz war halb so lang wie der Körper. Dieses Tier war ein Waschbär oder Schupp, bei den Amerikanern Coati oder Raccoon genannt, für jeden Jäger ein höchst willkommener Braten.

Kaum hatte er den Waschbären in der Hand, und noch waren seit seinem Schusse nicht zehn Sekunden vergangen, so ertönte östlich von ihm ein zweiter Schuß, welcher einen tiefen, eigentümlich schweren Fall hatte.

„Uff!“ sagte der Indianer überrascht zu sich. „Akaya Selkhi-Lata!“

Dieser Ausruf in der Apachensprache heißt: „Dort ist Old Shatterhand!“ Und sonderbar: Auch Old Shatterhand hatte scheinbar ganz gleichgültig und in sich versunken seinen Weg verfolgt, als der Schuß des Apachen fiel. Sofort hielt er sein Pferd an und sagte:

„Das war Winnetou, der Häuptling der Apachen! Ich kenne die Stimme seiner Silberbüchse.“

Er hatte diese Worte in deutscher Sprache gesagt, ein untrügliches Zeichen, daß er ein Deutscher war. Schnell nahm er seinen Bärentöter vor und gab den Schuß ab, an welchem Winnetou augenblicklich seinen Freund erkannte. Dem Europäer und auch jedem andern, der den Westen nicht betreten hat, scheint dies unmöglich zu sein; aber der erfahrene und geübte Westmann kennt die Stimme jedes ihm bekannten Gewehres; seine Sinne sind geschärft, weil von der Feinheit derselben hundertmal sein Leben abgehangen hat und noch abhängen wird. Wer sich diese Sinnesschärfe nicht anzueignen vermag, der geht verloren. Wie verschieden ist die menschliche Stimme! Man hört einen Bekannten unter Tausenden heraus. Und wie ist es z. B. mit dem Hundegebell? Erkennst du deinen Phylax, Cäsar, Ami oder Nero nicht sofort an der Stimme? So ist es auch mit den Gewehren. Ein jedes hat eine andre, seine eigene Stimme; das weiß und hört freilich nur derjenige, der ein Ohr dafür hat.

Als die beiden Schüsse, an denen die Freunde einander sich erkannten, gefallen waren, verließen sie ihre bisherige Richtung und ritten aufeinander zu, Old Shatterhand westlich und Winnetou östlich. Um den andern genau zu finden, schoß jeder noch einmal; dann trafen sie auf einer kleinen Lichtung zusammen, sprangen von den Pferden und umarmten und küßten einander.

„Wie freut sich meine Seele, meinen guten, weißen Bruder schon heut zu treffen!“ sagte Winnetou. „Wir wollten erst übermorgen uns auf Forners Rancho finden. Mein Herz sehnte sich seit langer Zeit nach dir und meine Gedanken eilten dir viele Tagereisen weit entgegen.“

„Auch ich bin ganz glücklich, den besten und edelsten meiner Freunde bei mir zu haben,“ erwiderte Old Shatterhand. „Ich habe an dich mit Sehnsucht gedacht; du hast mir gefehlt, seit ich von dir schied, und meine Seele ist nun stille, da ich dich vor mir sehe. Wie ist es meinem Bruder während dieser langen Zeit ergangen?“

„Die Sonne steigt und fällt wieder nieder; die Tage kommen und gehen; das Gras wächst und verdorrt; Winnetou aber ist derselbe geblieben. Hat mein weißer Bruder viel erlebt, seit ich ihn zum letzten Male sah?“

„Viel! Nicht jeder Tag ist schön, und unter den Blumen der Prairie gibt es manche giftige. Dieser Prairie gleicht die Vergangenheit. Aber auch ich bin noch der, der ich war. Wenn wir am Lagerfeuer sitzen, werden wir uns erzählen, was wir erlebt und erfahren haben. Weiß mein Bruder einen Platz, an dem es sich gut ruhen läßt?“

„Ja. Wenn wir noch eine Stunde reiten, kommen wir über ein kleines Wasser, in welches sich ein Seitenquell ergießt. Da, wo dieser Quell entspringt, ist der Ort von allen Seiten mit Gebüsch umgeben, durch welches kein Auge dringen kann. Dort dürfen wir ein Feuer haben, an welchem wir den Waschbär braten, den ich soeben geschossen habe. Mein Bruder mag mit mir kommen!“

Sie ritten weiter unter den hohen, lichten Bäumen des Waldes hin. Es war hier ziemlich düster, denn die Sonne hatte sich, was man aber im Walde nicht bemerken konnte, dem Horizonte weit zugeneigt.

Als eine Stunde ziemlich vergangen war, erreichten sie das Wasser, den kleinen, schmalen Bach, von welchem Winnetou gesprochen hatte. Sie ritten über denselben hinüber und – -hielten sofort ihre Pferde an, denn sie erblickten im Grase einen Streif, eine niedergetretene Fährte, welche von links her kam und nach rechts am Wasser weiterführte. Beide stiegen ab, um die Spur zu betrachten und zu lesen, und beide richteten sich nach wenigen Augenblicken zu gleicher Zeit wieder auf. Sie waren im Spurenlesen gleich gut bewandert.

„Fünf Reiter,“ sagte Old Shatterhand, „mit ziemlich müden Pferden.“

„Erst vor einigen Minuten hier vorübergekommen,“ ergänzte Winnetou. „Werden nicht weit von hier Lager machen. Was beschließt Old Shatterhand?“

„Wir dürfen sie nicht unbeachtet lassen, sondern müssen sehen, wer sie sind. Mein Bruder wird wissen, daß der Tomahawk des Krieges ausgegraben ist. Da muß man vorsichtig sein.“

Sie schritten nach einem dichten Gebüsch, welches in der Nähe stand, führten die Pferde hinein, um sie einstweilen zu verbergen, banden sie an und legten ihnen die Hände auf die Nasen. Das war das Zeichen für die indianisch dressierten Tiere, sich ruhig zu verhalten und nicht etwa durch ein lautes Schnauben zu verraten. Dann kehrten sie zu dem Wasser zurück und folgten der Spur mit langsamen, unhörbaren Schritten. Sie waren beide Meister im Anschleichen und benutzten jeden Baum, jeden Strauch, jede Biegung des Baches zur Deckung für sich.

Kaum waren sie fünf Minuten gegangen, so blieb Winnetou stehen und sog die Luft durch die Nase ein. Old Shatterhand that dasselbe und spürte Rauch.

„Sie befinden sich ganz in der Nähe und haben ein Feuer,“ flüsterte er Winnetou zu. „Es müssen Weiße sein, denn ein Roter würde nicht die Unvorsichtigkeit begehen, einen Lagerplatz zu wählen, der nach der Windrichtung hin offen ist.“

Winnetou nickte und huschte weiter. Der Bach wand sich jetzt zwischen Bäumen hin, unter denen ziemlich hohe Büsche standen. Das gab eine herrliche Deckung für die beiden Jäger. Bald sahen sie das Feuer; es brannte hart am Wasser, und die Flamme stieg wohl mehrere Fuß empor. Das war eine Unvorsichtigkeit, die ein richtiger Westmann wohl nicht begangen hätte.

Der Boden des Waldes bestand hier aus weichem Moose, so daß die Schritte auch ungeübterer Leute, als Winnetou und Old Shatterhand waren, nicht gehört werden konnten. Vier Bäume, hinter denen das Feuer brannte, standen eng beisammen, und zwischen ihren Stämmen gab es Buschwerk; das bildete einen Schirm, hinter welchem die beiden Lauscher sich leicht verstecken konnten. Sie krochen vorsichtig heran und legten sich lang auf den Boden nieder, mit den Köpfen hart an den Büschen, durch deren blattlose Unterteile sie hindurchblicken konnten. Da sahen sie die fünf Männer ganz nahe vor sich. Das Feuer brannte ungefähr vier Schritte von den Bäumen entfernt. Diesseits desselben saßen der Ölprinz und Buttler, sein Bruder, mit den Rücken an die Stämme gelehnt, jenseits der Bankier und Baumgarten, sein Buchhalter; rechts davon war Poller beschäftigt, dürres Holz klein zu brechen und in die Flamme zu werfen. Sie mußten sich sehr sicher fühlen, denn sie hielten es nicht für nötig, bei dem Gespräch, welches sie führten, leise zu sprechen, vielmehr redeten sie so laut, daß man ihre Worte gewiß auf wenigstens zwanzig Schritte weit deutlich verstehen konnte, ein Umstand, welcher den beiden Lauschern nur lieb sein mußte.

„Ja, Mr. Rollins,“ sagte der Ölprinz, „ich versichere Euch, daß das Geschäft, welches Ihr machen werdet, ein glänzendes, ein großartiges sein wird. Das Petroleum schwimmt dort gewiß einen Finger dick auf dem Wasser; es muß unterirdisch in großen Massen vorhanden sein. Wenn dies nicht der Fall wäre, so hätte ich es gar nicht entdeckt, denn der Ort liegt so versteckt und weltverlassen, daß ich wette, es ist noch nie der Fuß eines Menschenkindes hingekommen und es würde ihn auch in Jahrzehnten keiner betreten, obgleich der Chelly-Arm schon oft von Jägern und wohl noch mehr von Indianern besucht worden ist. Wie gesagt, ich wäre an dieser Stelle gewiß vorüber gegangen, wenn mich nicht der Ölgeruch aufmerksam gemacht hätte.“

„War dieser wirklich so stark?“ fragte der Bankier.

„Sollte es meinen! Ich war wohl fast eine halbe Meile von der Stelle entfernt, und doch spürte meine Nase das Petroleum. Ihr könnt Euch also denken, in welchen Massen es vorhanden sein muß. Ich bin überzeugt, daß der Bohrer gar nicht tief in die Erde zu dringen braucht, um auf das unterirdische Ölbassin zu treffen. Heigh-day, muß das eine Fontaine geben, wenn es dann emporspringt! Wollen wir wetten, Sir, daß sie wenigstens hundert Fuß in die Höhe steigt?“

„Ich wette nie,“ antwortete Rollins in ruhigem Tone, zu welchem er sich zwingen mußte, denn das Funkeln seiner Augen bewies, daß seine Begierde heftig erregt worden war; „aber ich will hoffen, daß alles wirklich so ist, wie Ihr sagt.“

„Kann es anders sein, Sir? Kann ich Euch belügen, da Ihr doch dann, wenn wir an Ort und Stelle kommen, den Betrug sofort erkennen würdet? Ich habe noch keinen einzigen Dollar von Euch verlangt, sondern Ihr bezahlt mich erst dann, wenn Ihr Euch überzeugt habt, daß ich Euch nicht täusche und der Handel ein ehrlicher ist. Ein Betrug könnte doch nur dann möglich sein, wenn ich die Bedingung stellte, vorher bezahlt zu werden.“

„Ja, Ihr habt da so gehandelt, daß ich Euch für einen ehrlichen Mann halten muß; das will ich gern zugeben.“

„Dazu kommt, daß Ihr mich nicht bar, sondern in Anweisungen auf San Francisco bezahlen werdet.“

„Ihr wollt doch hoffentlich nicht damit sagen, daß Ihr bezweifelt, daß diese Anweisungen in Frisco honoriert werden?“

„Fällt mir nicht ein! Ich weiß, daß Eure Unterschrift selbst für eine Million gut sein würde. Aber sagt mir doch einmal, ob Ihr diese Anweisungen bereits jetzt in der Tasche tragt!“

Ein aufmerksamer Beobachter hätte wohl bemerkt, daß er bei dieser Frage einen Ausdruck der Spannung auf seinem Gesichte nicht ganz zu unterdrücken vermochte. Sein Blick war mit schlecht verhehlter Begierde auf den Bankier gerichtet, und das hatte seinen guten Grund.

Der angebliche Petroleumfund war Schwindel; Rollins sollte getäuscht und nach der Zahlung mit seinem Buchhalter ermordet werden. Hätte er die Summe bar bei sich gehabt, so wäre sie ihm schon längst abgenommen worden, und er lebte nicht mehr. Trug er nun die fertig ausgestellten Anweisungen in seiner Tasche, so war das ebensogut wie bares Geld, und man brauchte sich mit ihm keinen Augenblick länger zu befassen. Eine Kugel in den Kopf, dem Buchhalter auch eine, und der Ölprinz befand sich so gut wie im Besitze des Geldes. Waren diese Papiere aber noch nicht fertig, so mußte die Komödie weiter- und bis zu Ende gespielt werden.

Rollins beachtete weder den bösen Blick noch den Gefühlsausdruck des Fragenden und antwortete:

„Warum wollt Ihr das wissen, Sir?“

„Weil es von großer Wichtigkeit für mich und auch für Euch ist. Wir befinden uns in der Wildnis, wo man seines Lebens oder wenigstens seines Eigentumes niemals sicher ist. Das habt Ihr ja im Pueblo erfahren. Wie nun, wenn wir überfallen und beraubt werden, wenn man Euch die Papiere abnimmt und mit ihnen nach Frisco reitet, um das Geld zu erheben?“

„Das wird nicht geschehen, denn ich bin vorsichtig gewesen. Ich habe zwar Formulare mitgenommen, aber sie sind nicht ausgefüllt und unterschrieben.“

„Das ist recht; das beruhigt mich. Aber wie wollt Ihr sie ausfüllen? Meint Ihr, daß da oben am Chellyflusse Federn wachsen und statt des Wassers Tinte fließt?“

„Habt keine Sorge! Ich bin natürlich mit einigen Federn versehen und habe auch ein kleines Fläschchen Tinte bei mir. Was übrigens den gestrigen Vorgang im Pueblo betrifft, so wundre ich mich allerdings darüber, daß es diesem Häuptlinge Ka Maku nicht eingefallen ist, uns die Taschen auszuleeren. Ich kann mir das wirklich nicht erklären.“

„O, die Erklärung ist doch so einfach wie nur möglich. Die Roten waren mit der Gefangennahme so beschäftigt, daß sie zum Plündern zunächst gar keine Zeit fanden; dies sollte später geschehen.“

„Meint Ihr, daß sie es auch auf unser Leben abgesehen hatten?“

„Natürlich! Ihr wäret auf alle Fälle beim Anbruche des Morgens an den Marterpfahl gebunden worden.“

„Dann haben wir beide euch dreien viel, sehr viel zu verdanken, und es thut mir um unsre armen Gefährten um so mehr leid. Wahrscheinlich lebt in diesem Augenblicke kein einziger mehr.“

„Ja,“ fügte Baumgarten hinzu, „ich mache mir die bittersten Vorwürfe, daß wir fortgeritten sind und nur an uns gedacht haben. Es war unbedingt unsre Pflicht, alles zu versuchen, sie auch zu retten.“

„Das sagt Ihr nur, weil Ihr Euch jetzt in Sicherheit befindet und es Euch nun wohl leicht erscheint, diese Leute aus dem Innern des Pueblo herauszuholen. Ich aber gebe Euch die Versicherung, daß dies nicht nur ungeheuer schwierig, sondern sogar unmöglich gewesen wäre. Wir hätten unser Leben nicht etwa bloß gewagt, sondern es unbedingt verloren, ohne damit den andern den geringsten Nutzen gebracht zu haben. Ich bin hier im wilden Westen erfahren, und Ihr könnt also jedes Wort glauben, welches ich Euch sage. Wir brauchen uns nicht den geringsten Vorwurf zu machen; ja, ich behaupte im Gegenteile, daß unsre Flucht den Gefährten nützlicher gewesen ist, als wenn wir geblieben wären, um sie zu retten, und dabei unser Leben ohne Vorteil für sie eingebüßt hätten.“

„Wieso?“

„Weil sie dadurch Zeit gewonnen haben. Die Roten sind, sobald sie heut früh unser Entkommen entdeckten, sicher sofort aufgebrochen, um uns zu verfolgen; sie haben also keine Zeit, ihre Gefangenen schon heut zu martern und zu töten. Ich rechne einen Tag, daß sie uns folgen, und einen Tag, daß sie zurückkehren; das gibt eine Frist von zwei Tagen, und man weiß, was in zwei Tagen alles geschehen kann, zumal wenn es sich um so tüchtige, erfahrene und kühne Leute handelt. Ja, Ihr könnt sehr ruhig sein!“

„Hm,“ brummte der Bankier, „was ihr da sagt, scheint Hände und Füße zu haben. Der Hobble-Frank ist zwar ein origineller Kauz, aber gewiß kein Mann, der sich gemächlich niederstechen läßt, von Droll möchte ich dasselbe sagen, und nun gar diese drei Jäger, welche sich das Kleeblatt nennen, die haben noch viel weniger den Eindruck auf mich gemacht, als ob sie mit sich scherzen ließen.“

„Ihr meint Sam Hawkens?“ fragte Buttler.

„Ja, ihn und Dick Stone und Will Parker. Das sind Westmänner, wie sie im Buche stehen. Ihr habt sie nicht gesehen, Mr. Buttler und Mr. Poller, und ich habe euch noch nicht erzählt, wie sie mit den deutschen Auswanderern zusammengetroffen sind. Das müßt ihr hören, um zu wissen, was für tüchtige Männer sie sind.“

„Waret Ihr dabei, Sir?“ fragte Poller.

„Nein; aber während des Rittes von Forners Rancho nach dem Pueblo wurde es erzählt; daher weiß ich es.“

Und nun berichtete er, was er gehört hatte. Er ahnte dabei nicht, daß Buttler und Poller die Sache noch viel besser und genauer wußten als er, weil sie ja dabei gewesen waren. Als er geendet hatte, fragte er sie:

„Müssen das nicht tüchtige Kerls sein, da sie mit den berüchtigten Finders in dieser Weise umgesprungen sind?“

„Ja,“ antwortete Buttler mit einem erzwungenen Lächeln. „Besonders scheint dieser Hawkens eine außerordentlich listige Kreatur zu sein.“

„Kreatur? Wie kommt Ihr dazu, ihn so zu nennen? Das hatte einen beinahe feindlichen Klang, Sir. Kennt Ihr ihn etwa? Hat er Euch einmal beleidigt?“

„Nicht im geringsten. Ich habe ihn nie gesehen, ja nicht einmal seinen Namen gehört. Aber die Hauptsache ist, daß Ihr nun seht, wie recht ich vorhin hatte, als ich sagte, Ihr braucht um die Gefangenen im Pueblo nicht besorgt zu sein. Männer wie diejenigen, welche Ihr jetzt genannt habt, wissen sich in jeder Lage zu helfen, und ich möchte fast sagen, ich hege die Überzeugung, daß sie unsrer Hilfe gar nicht bedürfen, um sich zu befreien. Ich wette mit Euch gegen jeden Einsatz: Wenn die Roten, welche uns verfolgen, heimkehren, sind die gefangenen Vögel ausgeflogen.“

„Ich wette nicht, will aber wünschen, daß Ihr recht habt. Vielleicht befinden wir uns dann in viel größerer Gefahr als diejenigen, um welche wir uns so vergeblich gesorgt haben.“

„Wieso?“

„Nun, Ihr sagtet doch, daß wir verfolgt werden.“

„Allerdings.“

„Wenn die Roten uns nun aufstöbern? Wenn sie unser Feuer sehen, welches so schön hell und offen brennt!“

„Das werden sie wohl bleiben lassen. Sie holen uns nicht ein.“

„Irrt Ihr Euch da nicht, Sir? Ich kenne den wilden Westen nicht; aber ich habe viel von ihm gehört und noch mehr über ihn gelesen. Diese Indianer sind schreckliche Leute, welche einem Menschen, den sie haben wollen, monatelang auf der Ferse bleiben, bis sie ihn erwischen.“

„Das wird hier nicht geschehen, denn ich würde dafür sorgen, daß unsre Spur ihnen verloren ginge. Das ist aber gar nicht nötig, denn sie können uns nicht einholen. Bedenkt doch, wann wir vom Pueblo fortgeritten sind, und daß sie erst nach Tagesanbruch sich auf die Verfolgung gemacht haben können! Wir besitzen also einen Vorsprung, den sie gar nicht einholen können.“

„Warum nicht? Sie brauchen nur weiterzureiten, während wir hier sitzen, so sind sie noch vor Mitternacht hier an dieser Stelle.“

Da stieß der Ölprinz ein schallendes Gelächter aus und rief:

„Ihr behauptetet vorhin, vom wilden Westen nichts zu verstehen und habt da allerdings sehr recht gehabt, Sir. Ihr versteht ganz und gar nichts. Ihr behauptet, daß die Roten uns während der Nacht folgen können?“

„Ja. Wenigstens wenn sie klug sind, werden sie es thun, um den Vorsprung, welchen wir haben, auszugleichen.“

„Wie sollen sie das anfangen? Wissen sie denn, wo wir uns befinden?“

„Das nicht; aber sie brauchen doch nur auf unsrer Spur zu bleiben, um uns zu finden.“

„Kann man Spuren etwa riechen, Sir, oder dieselben des Nachts sehen?“

„Na, das nun freilich nicht.“

„Können die Roten also jetzt, da es dunkel geworden ist, unsrer Fährte folgen?“

„Nein.“

„Richtig, nein; sie müssen halten bleiben und warten, bis es wieder Tag geworden ist. Wie also wollen sie unsern Vorsprung einholen, zumal morgen früh unsre Fährte auf keinen Fall mehr zu erkennen ist? Nein, Sir, wir haben nichts, aber auch gar nichts zu fürchten und werden glücklich nach dem Gloomy-water kommen und dort unser Geschäft hoffentlich ganz glücklich zum Abschluß bringen.“

Gloomy-waterFinsteres Wasser? Was ist das?“

„Das ist eben der Ort, an welchem ich das Petroleum entdeckt habe.“

„Und dieser Ort hat diesen Namen? Das klingt ja ganz anders, als Ihr vorhin sagtet.“

„Wieso, Sir?“

„Ihr sagtet doch, es sei wohl noch kein Mensch dorthin gekommen.“

„Das habe ich allerdings gesagt und das ist meine ganz entschiedene Meinung.“

„Aber es muß doch jemand dort gewesen sein!“

„Aus welchem Grunde kommt Ihr auf diese Vermutung?“

„Weil der Ort Gloomy-water heißt; er hat also einen Namen.“

„Nun? Weiter! Ich verstehe Euch noch nicht ganz.“

„Wer einen Namen hat, muß ihn doch von jemand bekommen haben. Nicht?“

„Allerdings.“

„Es muß also einen Menschen geben, von welchem Euer Ort seinen Namen erhalten hat, und dieser Mensch muß dort gewesen sein. Warum hat man nichts davon gehört? Er muß das Petroleum doch ebensogut bemerkt haben, wie Ihr es gesehen habt.“

Dieses Argument brachte den Ölprinzen in Verlegenheit; trotz seiner Verschlagenheit fiel ihm nicht sogleich eine Antwort ein, mit welcher er sich heraushelfen konnte; er füllte die kurze Pause, welche dadurch eintrat, durch ein halblautes Lachen aus, das überlegen klingen sollte. Zum Glücke für ihn wurde es durch seinen Stiefbruder Buttler unterbrochen:

„Mr. Rollins, Ihr glaubt jedenfalls, eine recht geistreiche Bemerkung gemacht zu haben. Nicht?“

„Geistreich?“ antwortete der Gefragte. „Nein, das denke ich keineswegs; aber sachlich war sie jedenfalls. Der Ort hat einen Namen, also muß unbedingt jemand, der ihm denselben gegeben hat, vor Mr. Grinley dort gewesen sein. Und da man diesen Namen kennt, muß dieser jemand viel und oft von dem Orte gesprochen haben. Warum hat er nicht auch vom Petroleum erzählt, welches er doch unbedingt entdeckt haben muß? Und wenn er es entdeckt hat, so wird es ihm nicht eingefallen sein, von diesem Orte zu sprechen, sondern er muß um seines eigenen Vorteiles willen darüber geschwiegen haben. Ihr seht also, es gibt hier gewisse Widersprüche, denen ich meine Aufmerksamkeit unbedingt schenken muß.“

„Thut das immerhin; aber laßt Euch dabei sagen, daß diese Widersprüche nur scheinbar sind.“

„Könnt Ihr sie etwa lösen und erklären?“

„Nichts leichter als das!“

„Nun?“

„Sonderbar, höchst sonderbar, daß man Euch das erst sagen muß, daß Ihr nicht selbst darauf kommt! Der jemand, von welchem Ihr redet, ist eben hier unser Mr. Grinley, der Ölprinz gewesen.“

„Ah!“ machte jetzt der Bankier verwundert.

„Ja, er ist es gewesen und er hat dem Orte den Namen Gloomy-water gegeben, weil – –“

„Weil,“ fiel der Ölprinz schnell ein, „die Örtlichkeit eine düstere ist und weil das Wasser eine fast ganz schwarze Farbe hat.“

Er war nun außerordentlich froh, von Buttler aus seiner Verlegenheit erlöst worden zu sein und warf ihm einen dankbaren Blick zu, welchen dieser mit einem mißbilligenden, leisen Kopfschütteln beantwortete. Weder dieser Blick noch dieses Kopfschütteln wurden von Rollins oder Baumgarten bemerkt. Der Ölprinz schien die Lust, das Gespräch fortzusetzen, verloren zu haben; er stand auf und entfernte sich mit der Bemerkung, daß er noch Holz für das Feuer sammeln wolle.

Nun war es Zeit für Old Shatterhand und Winnetou, sich zurückzuziehen, weil sie, wenn sie noch länger blieben, von Grinley ganz gewiß entdeckt werden mußten. Zum Glück für sie entfernte er sich bachaufwärts und ohne einen Blick nach der Seite zu werfen, wo sie lagen. Wäre sein Auge nach dieser Richtung gefallen, er hätte sie unbedingt sehen müssen.

Er hatte mit dem Rücken nach ihnen gesessen und die Baumstämme und Sträucher hatten sich zwischen ihm und ihnen befunden; aus diesem Grunde hatten sie sein Gesicht nicht sehen können. Aber als er jetzt aufstand, um fortzugehen, mußte er eine Wendung machen, infolge deren sie seine Züge auf das deutlichste erkannten. Sie krochen zurück, in den Wald hinein, bis der Schein des Feuers sie nicht mehr treffen konnte; dann richteten sie sich auf und kehrten nach der Stelle zurück, an welcher sie ihre Pferde versteckt hatten.

Andre Personen hätten nun nichts Eiligeres zu thun gehabt, als sich ihre Bemerkungen über das Gehörte und Gesehene mitzuteilen; diese beiden berühmten Westmänner aber waren aus einem andern Stoffe gemacht. Sie verstanden sich auch ohne Worte und pflegten nur dann zu reden, wenn die Zeit dazu gekommen war.

Winnetou zog sein Pferd aus dem Gebüsch heraus und schritt, es an dem Zügel hinter sich herführend, in den Wald hinein. Old Shatterhand folgte ihm mit dem seinigen, ohne zu fragen, warum der Apache diesen bequemen Ort verließ und den finstern Wald aufsuchte, wo bei der gegenwärtigen abendlichen Dunkelheit mit den Pferden so schlecht fortzukommen war. Er kannte den Grund und hätte, wenn er allein gewesen wäre, genau so wie Winnetou gehandelt.

Da, wo die Pferde gesteckt hatten, gab es Gras für dieselben und auch Wasser, zwei Dinge, welche unbedingt nötig waren. Man hätte dort also recht gut lagern können, ohne befürchten zu müssen, während der Nacht von den fünf Personen, welche belauscht worden waren, entdeckt oder gar belästigt zu werden. Aber es war die Möglichkeit doch nicht ausgeschlossen, daß am nächsten Morgen zufällig einer von ihnen nach dieser Stelle kam, wo er sie sehen oder, falls sie schon fort waren, ihre Lagerspuren entdecken mußte. Darum gingen sie fort. Die Spuren, welche sie bis jetzt gemacht hatten, konnten am nächsten Morgen gewiß nicht mehr erkannt werden, da das Gras sich bis dahin wieder aufgerichtet haben mußte.

Da sie aber unbedingt Wasser und Weide für ihre Tiere brauchten, verstand es sich ganz von selbst, daß sie wieder zu dem Bache zurückkehrten, allerdings an einer sehr entfernten Stelle. Der Weg dorthin mußte durch einen Bogen gemacht werden, den man durch den Wald schlug, weil das weiche Moos desselben die Huf- und Fußeindrücke am Morgen nicht mehr sehen ließ. Das alles verstand sich ganz von selbst, und so kam es, daß Old Shatterhand dem Apachen folgte, ohne zu fragen.

Es gehörten die an die Dunkelheit gewöhnten Augen Winnetous und Old Shatterhands dazu, ohne anzustoßen oder gar zu fallen, durch das Gehölz zu kommen. Sie bewegten sich mit einer Sicherheit, als ob es am hellen Tage wäre, wohl eine ganze Viertelstunde lang zwischen den Bäumen hin und bogen dann nach rechts, um den Bach wieder zu gewinnen. Ganz genau an der Stelle, wo sie ihn erreichten, floß ein kleines Wässerchen in denselben; sie überschritten den Bach und folgten diesem schmalen Wasser aufwärts, bis sie seinen Ursprung erreichten. Das war die Quelle, von welcher Winnetou gesprochen hatte und an der er hatte lagern wollen. Wie außerordentlich ausgeprägt mußte der untrügliche Ortssinn des Häuptlings sein, trotz der Dunkelheit und mitten im wilden Walde diese Quelle zu finden!

Sie nahmen nun ihren Pferden die Sättel ab und ließen sie dann frei grasen; sie durften das, weil die beiden Rappen treu wie die Hunde waren, dem leisesten Ruf gehorchten und sich nie von ihren Herren entfernten. Erst jetzt fiel das erste Wort, indem Winnetou fragte:

„Hat mein Bruder einen Imbiß bei sich?“

„Ein Stück trockenes Fleisch,“ antwortete Old Shatterhand. „Ich sorgte nicht für mehr, weil ich morgen auf Ka Makus Pueblo vorsprechen wollte.“

„Mein Bruder mag sein Fleisch aufheben; wir werden das Coon braten, welches ich vorher geschossen habe.“

Nach diesen Worten entfernte er sich. Old Shatterhand fragte nicht, wohin er wolle; er wußte, daß Winnetou jetzt die Umgebung der Quelle umkreisen würde, um sich zu überzeugen, daß dieselbe sicher sei. Er kehrte nach vielleicht zehn Minuten zurück und brachte einen Arm voll trockenes Holz mit, ein Beweis, daß kein feindliches Wesen in der Nähe sei. Das außerordentlich scharfe Ohr Old Shatterhands hatte das Abbrechen und Knacken dieses Holzes nicht gehört, wieder ein Zeichen von der unvergleichlichen Geschicklichkeit des Apachen.

Bald brannte ein Feuer, aber klein, nach indianischer Weise; die beiden Männer ließen sich an demselben nieder, um den Waschbär aus seinem Fell zu schälen. Nach kurzer Zeit verbreitete das bratende Fleisch desselben jenen feinen Duft umher, welchen es in keiner Küche, sondern nur am Lagerfeuer gibt. Es wurde gegessen, langsam und mit Genuß, ohne daß ein Wort dabei fiel. Als beide satt waren, brieten sie die Überreste des Fleisches für den morgenden Tag, an welchem sie sich nicht mit der Jagd befassen durften, und nun erst hielt Winnetou es an der Zeit, sich hören zu lassen.

„Hat mein Bruder Riemen bei sich?“

„Vielleicht zwanzig Stück,“ antwortete Old Shatterhand, welcher genau wußte, warum der Apache nach Riemen fragte. Mit Riemen ist ein Westmann überhaupt stets gut versehen.

„Ich habe auch so viel,“ erklärte der Häuptling; „dennoch werden wir das Fell dieses Waschbären auch noch in Streifen schneiden, weil wir morgen vielleicht Riemen brauchen.“

„Für Ka Makus Krieger,“ nickte Old Shatterhand. „Dieser Häuptling ist uns zwar nie feindlich begegnet, aber es steht zu erwarten, daß wir ihn morgen zwingen müssen, das zu thun, was wir wollen.“

„Mein Bruder hat recht. Kennt er die Männer, welche wir belauscht haben, oder vielleicht einen von ihnen?“

„Nur einen habe ich schon einmal gesehen, den, welcher Grinley und Ölprinz genannt wurde. Ich entsinne mich, ihn bei einer Bande Buschklepper gesehen zu haben.“

„Auch ohne dies zu wissen, habe ich mir gesagt, daß er ein gefährlicher Mensch ist. Mein Bruder ist mit mir am Chellyflusse, von dem sie sprachen, gewesen; er mag mir sagen, ob es dort Erdöl geben kann!“

„Keinen Tropfen!“

„Und hat dieser Grinley das Gloomy-water entdeckt und ihm den Namen gegeben?“

„Nein. Ich bin mit dir ja schon vor Jahren an diesem kleinen See gewesen und schon damals hatte er seinen Namen. Der Ölprinz hat einen großen Schwindel und jedenfalls noch viel Schlimmeres mit den beiden Männern vor.“

„Einen Doppelmord!“

„Ja. Zwei von den fünf Männern, die wir sahen, sollen betrogen und dann ermordet werden. Sie sollen eine Petroleumquelle vorfinden, diese Entdeckung bezahlen und dann – verschwinden.“

„Wir müssen sie retten!“

„Das versteht sich ganz von selbst.“

„Will mein Bruder das gleich jetzt thun?“

„Nein. Und auch dir kommt das nicht in den Sinn, sonst hättest du dich nicht so weit von ihrem Lager entfernt. Wir würden durch Streitigkeiten aufgehalten werden und selbst dann, wenn die beiden Betrogenen uns Glauben schenkten, würden wir sie zu uns nehmen müssen und dabei die kostbare Zeit verlieren, welche wir brauchen, um die Gefangenen Ka Makus zu befreien.“

„Ja, diese Leute müssen schon morgen unsre Hilfe haben, und darum werden wir den Ölprinzen mit seinen Begleitern einstweilen ziehen lassen. Wir holen sie später sicher ein.“

„So ist mein roter Bruder entschlossen, unsern ursprünglichen Plan aufzugeben?“

„Ja. Wir wollten uns auf Forners Rancho treffen und haben uns schon hier getroffen. Wir wollten von dort aus nach der Sonora hinüber, um die dortigen Stämme der Apachen zu besuchen; das können wir später thun. Jetzt gilt es, diesen zweien Bleichgesichtern das Leben zu retten und die Gefangenen aus dem Pueblo zu holen. Aber was sagt mein Bruder dazu, daß unter ihnen Freunde von uns sind?“

„Ich war natürlich überrascht, als ich es hörte.“

„Was will der Hobble und was will auch Droll jetzt hier?“

„Ich mußte dem kleinen Hobble versprechen, ihm einmal zu schreiben. Das habe ich gethan und dabei erwähnt, daß und wann und wo ich beabsichtigte, mit dir zusammenzutreffen. Da ist in dem kleinen komischen Kerl das Westfieber erwacht und hat ihn herübergetrieben. Droll hat ihn natürlich gern begleitet.“

„Und Hawkens, Stone und Parker sind auch dabei! Uff!“

Dies war ein Ausruf der Verwunderung und Mißbilligung. Der Grund dieser Mißbilligung wurde sofort von Old Shatterhand deutlich angegeben:

„Daß sich so erfahrene Leute fangen lassen; es ist kaum glaublich! Sie müssen doch unbedingt gehört haben, daß sich eine gefährliche kriegerische Bewegung einiger roter Stämme bemächtigt hat, und da ist doppelte Vorsicht geboten. Sie durften das Pueblo nicht betreten, ohne vorher mit dem Häuptling die Pfeife des Friedens geraucht zu haben. Nur das Unwetter von gestern kann daran schuld sein.“

„Ganz richtig! Das Wetter hat sie wahrscheinlich in das Pueblo getrieben, ohne daß sie Zeit fanden, sich vorher der Freundschaft des Häuptlings zu versichern. Das ist klar und leicht zu begreifen.“

„Dieser Häuptling ist den Weißen sonst freundlich gesinnt.“

„Ja, aber anders ist es kaum möglich. Ka Maku muß im Einvernehmen mit diesem Ölprinzen gestanden haben und von ihm verführt worden sein. Wir werden morgen erfahren, daß diese Vermutung die richtige ist. Ferner gebe ich meinem Bruder Winnetou etwas höchst Wichtiges zu bedenken: Unser Hobble-Frank ist mit seinem Droll nach Forners Rancho gekommen, um dort mit uns zusammenzutreffen. Er kennt uns genau und hat also gewußt, daß wir pünktlich dort ankommen würden. Warum hat er nicht auf uns gewartet? Warum hat er sich dem Zuge dieser Auswanderer angeschlossen?“

„Ölprinz!“

Winnetou sagte nur dieses eine Wort und bewies damit, daß es ihm keine Schwierigkeiten bereitete, auch diese schwere Frage zu beantworten.

„Ganz recht. Der kleine Hobble hat auf dem Rancho von dem vermeintlichen Ölfunde gehört und nicht daran geglaubt, sondern Verdacht gefaßt. Er ist ein ritterliches Kerlchen und wagt gern mehr, als er auszuführen vermag; er und Droll haben sich vorgenommen, einmal Winnetou und Old Shatterhand zu spielen und sich der beiden Männer, welche betrogen werden sollen, anzunehmen. Das haben sie natürlich auch Sam Hawkens und seinen beiden Kleeblättern gesagt, und diese sind mit ihnen in den Bund getreten. Das hat der Ölprinz gemerkt und sich ihrer dadurch entledigt, daß er Ka Maku auf irgend eine Weise veranlaßte, den ganzen Zug gefangen zu nehmen und dann aber die Betreffenden entkommen zu lassen.“

„Mein Bruder Old Shatterhand spricht meine eignen Gedanken aus. Wann meint er, daß wir zur Befreiung der Gefangenen von hier aufbrechen werden? Jetzt?“

„Nein; das ist ja sicher auch deine Absicht nicht. Reiten wir jetzt schon fort, so kämen wir am Tage beim Pueblo an und würden leicht entdeckt. Was wir vorhaben, kann nur des Nachts ausgeführt werden. Wenn wir morgen früh von hier fortreiten, kommen wir zeitig genug dort an.“

„Winnetou stimmt bei. Wir werden kurz vor Abend in der Nähe des Pueblo sein, um, bevor es dunkel wird, unsre Augen auf dasselbe zu richten.“

„Ja, um zu rekognoszieren. Durch mein Fernrohr können wir alles sehen, ohne uns soweit nähern zu müssen, daß wir Gefahr laufen, entdeckt zu werden. Löschen wir jetzt das Feuer aus!“

Während Old Shatterhand die Flamme mit Wasser aus der Quelle löschte, machte Winnetou noch einmal die Runde, um sich zu überzeugen, daß sie ohne Besorgnis schlafen konnten; dann streckten sie sich neben einander zur nächtlichen Ruhe im weichen Grase aus. Sie hielten es nicht für nötig, abwechselnd zu wachen; sie konnten sich auf ihr gutes Gehör und auf ihre Pferde verlassen, welche gewohnt waren, die Annäherung von Menschen oder Tieren durch Schnauben zu verraten.

Am andern Morgen früh erwacht, ließen sie vor allen Dingen die Pferde tüchtig trinken, weil vorauszusehen war, daß dieselben wohl länger als einen Tag kein Wasser bekommen würden, denn am Pueblo konnten sie nicht getränkt werden, weil die Bewohner desselben jetzt als Gegner zu betrachten waren. Die beiden so verschiedenfarbigen und doch so innigen Freunde genossen einen Teil des gestern Abend übrig gebliebenen Fleisches, sattelten dann und ritten mutig dem Tage entgegen, dessen Abend für sie ein sehr schwieriger zu werden versprach.

Von ihrem Lagerplatze bis zum Pueblo war es ein guter Tagesritt, ihre vortrefflichen Pferde aber brauchten sie gar nicht anzustrengen, um schon lange vor Abend an Ort und Stelle zu sein. Sie kannten die Gegend so genau, wie sie dem Ölprinzen bekannt gewesen war. Da dieser die gerade Richtung eingeschlagen hatte und sie dasselbe thaten, fiel ihr Weg mit dem seinigen zusammen. Die Fährte, welche er mit seinen vier Begleitern gestern zurückgelassen hatte, war für gewöhnliche Westmänner nicht zu sehen, für ihre scharfen Augen aber doch von Zeit zu Zeit zu erkennen. Sie ritten während des ganzen Vormittages und machten erst um die Mittagszeit einen Halt, um ihre Pferde ruhen zu lassen. Es war bis dahin nur davon die Rede gewesen, was sie seit ihrer letzten Trennung erlebt hatten; über ihr heutiges Vorhaben hatten sie nichts erwähnt. Jetzt aber, während sie ruhten, sagte Winnetou:

„Mein Bruder sieht ein, daß wir uns nicht getäuscht haben: Ka Maku hat mit dem Ölprinzen im Bunde gestanden.“

„Jawohl,“ nickte Old Shatterhand, „Wäre das nicht der Fall, so hätte der Häuptling die Flüchtigen verfolgt und wir wären ihm entweder begegnet, oder müßten seine Fährte sehen. Und wie wir uns hier nicht geirrt haben, werden wir uns auch in Beziehung auf das übrige nicht täuschen.“

Dann ging es weiter, bis sie am Nachmittage soweit gekommen waren, daß sie bis zum Pueblo nur noch eine Stunde zu reiten hatten. Nun galt es, vorsichtig zu sein, wenn sie sich nicht sehen lassen wollten. Sie stiegen also abermals ab, um noch einige Zeit verstreichen zu lassen, da sie sich dem Pueblo erst kurz vor Abend nähern wollten.

Die Gegend, in welcher sie sich befanden, war eben und sandig. Diese Ebene zog sich als immer schmaler werdende, unfruchtbare Zunge in die Mogollonberge hinein. Hier und da sah man einen einzelnen Felsblock liegen. Sie hatten aus Berechnung sich hinter einen solchen Block niedergesetzt, hinter dessen Ecke hervor sie südwärts blicken konnten, wo das Pueblo lag. Jemand, der von dorther kam, konnte sie und auch ihre Pferde nicht sehen.

Sie hatten noch nicht lange dagesessen, so deutete Winnetou nach rechts hinüber und rief überrascht aus:

„Teshi, tlao tchate!“

Diese drei Worte der Apachensprache bedeuten: „Schau, viel Rehe,“ oder „schau, ein Rudel Rehe!“ Es sind aber nicht wirkliche Rehe gemeint, sondern eine Art der amerikanischen Antilope, welche in Arizona äußerst selten vorkommt.

Daher die Überraschung des Apachenhäuptlings. Wie gern hätten er und Old Shatterhand die Jagd auf diese schnellfüßigen Tiere aufgenommen, die einen sehr zarten Braten geben; aber die Aufgabe, welche sie heut zu lösen hatten, verbot es ihnen.

Das schöne Wild zog in reizenden, eleganten Sprüngen dem Winde entgegen, südwärts, wo es bald hinter dem Horizonte verschwand. Wird es gejagt, so pflegt es mit dem Winde davonzugehen, um den Verfolgern nicht nur aus den Augen, sondern auch aus der Nase zu kommen.

„Herrliches Wildpret!“ sagte Old Shatterhand. „Kommt uns hier aber außerordentlich ungelegen.“

Er prüfte die Luft, welche aus Süden kam.

„Kann uns leicht die Feinde herbeiführen,“ nickte Winnetou. „Das Rudel zieht grad nach dem Pueblo hin. Wenn es von dort gesehen wird, können wir bald rote Jäger hier haben, da die Luft von dorther weht.“

Sie nahmen nun den südlichen Horizont noch schärfer als bisher ins Auge. Es verging eine halbe Stunde und noch mehr, und nichts war zu sehen; die Antilopen schienen also nicht bemerkt worden zu sein. Da aber tauchten da, wohin die Augen gerichtet waren, mehrere kleine Punkte auf, welche sich schnell vergrößerten.

„Uff! Sie kommen!“ sagte Winnetou., „Nun werden wir entdeckt!“

„Vielleicht doch nicht,“ meinte Old Shatterhand. „Es ist möglich, daß wir uns verbergen können. Reiten sie nicht geteilt, sondern in einem Trupp vorüber, so kommen sie nur an einer Seite vorbei, und wir können uns auf die andre hinübermachen. Wollen sehen!“

Sie standen auf und nahmen ihre Pferde kurz bei den Zügeln.

Ja, die Antilopen waren bemerkt worden; sie kamen zurück, und hinter ihnen sah man vier Reiter, welche ihre Pferde zur äußersten Anstrengung antrieben.

„Nur vier!“ sagte Winnetou. „Wäre doch der Häuptling dabei!“

Schnell nahm Old Shatterhand sein Fernrohr aus der Tasche und richtete es auf die Reiter.

„Er ist dabei,“ meldete er. „Er reitet das schnellste Pferd und ist der vorderste.“

„Das ist gut!“ rief der Apache, indem seine Augen leuchteten. „Nehmen wir ihn?“

„Ja. Und natürlich nicht ihn allein, sondern die drei andern auch.“

„Uff!“

Indem er dieses Wort ausrief, sprang er in den Sattel und nahm seine Silberbüchse zur Hand. In demselben Augenblicke saß auch Old Shatterhand schon auf seinem Pferde und hielt den Henrystutzen bereit. Das war so schnell gegangen, daß von dem Augenblicke, in welchem die zurückkehrenden Antilopen gesehen wurden, bis jetzt kaum eine Minute vergangen war. Da kam das flüchtige Wild herangeflogen und jagte in der Entfernung von vielleicht tausend Schritten vorüber. Die vier Indianer waren noch zurück; man hörte ihre scharfen Schreie, mit denen sie ihre Pferde antrieben.

„Jetzt!“ rief Winnetou.

Zugleich mit diesem Worte schoß er hinter dem Felsen hervor, Old Shatterhand dicht neben ihm, den Indianern schräg entgegen. Diese stutzten, als sie so plötzlich zwei Reiter erblickten, die sich ihnen in den Weg warfen.

„Halt!“ rief ihnen Old Shatterhand zu, indem er seinen Rappen parierte und der Apache dasselbe that. „Wo will Ka Maku mit seinen Kriegern hin?“

Es wurde den Indianern schwer, ihre Pferde im schnellsten Laufe anzuhalten; sie thaten es; aber der Häuptling schrie zornig:

„Was haltet ihr uns auf! Nun ist das Fleisch für uns verloren!“

„Ihr hättet es überhaupt nicht bekommen. Jagt man denn die flüchtige Gazelle wie einen langsamen Prairiewolf? Wißt ihr nicht, daß man ihr Fleisch nur dann erlangt, wenn es gelingt, sie einzuschließen, so daß sie trotz ihrer Flüchtigkeit keinen Ausweg findet?“

Erst jetzt war es den vier Roten gelungen, ihre aufgeregten Pferde zur Ruhe zu bringen, und nun konnten sie die beiden Störenfriede genauer betrachten.

„Uff!“ rief da der Häuptling aus. „Old Shatterhand, der große, weiße Jäger!“

„So kennst du mich noch? Kennst du auch den Krieger hier neben mir?“

„Winnetou, der berühmte Häuptling der Apachen!“

„Ja, wir sind es; du täuschest dich nicht. Steig ab mit deinen Leuten, und folge uns dorthin in den Schatten des Felsens, hinter dem wir ruhten, als wir euch kommen sahen.“

„Warum sollen wir denn dorthin gehen?“ fragte jetzt Ka Maku.

„Wir haben mit euch zu sprechen.“

„Kann das nicht auch hier geschehen?“

„Gewiß; die Sonne scheint uns noch zu warm; dort aber gibt es Schatten.“

„Wollen meine beiden berühmten Brüder nicht mit mir nach dem Pueblo kommen, wo sie mir alles ebensogut sagen können, was sie mir hier mitteilen wollen?“

„Ja, wir werden mit dir nach dem Pueblo reiten; vorher aber sollst du die Pfeife des Friedens mit uns rauchen.“

„Ist das nötig? Ich habe sie doch schon längst mit euch geraucht.“

„Damals gab es Frieden in dieser Gegend; jetzt aber ist das Schlachtbeil ausgegraben; darum trauen wir nur dem, welcher bereit ist, das Calumet mit uns zu teilen; hingegen, wer sich dessen weigert, den betrachten wir als unsern Feind. Also entscheidet euch; aber schnell!“

Er spielte hierbei mit seinem Henrystutzen in einer Weise, welche dem Häuptlinge Angst einflößte. Er kannte dieses Gewehr, das die Roten für ein Zaubergewehr hielten, ganz genau und wußte, was es zu bedeuten hatte, wenn Old Shatterhand es in so demonstrativer Weise in den Händen hielt. Darum erklärte er, freilich in einem nicht sehr frohen Tone:

„Meine berühmten Brüder wünschen es; so werden wir es denn auch thun.“

Er wäre am allerliebsten fortgeritten, wußte aber, daß er dies leider nicht wagen durfte. Sein Pferd war nicht so schnell wie die Kugeln Old Shatterhands und Winnetous. Er hatte zwar auch eine Flinte, seine drei Begleiter ebenso, aber den Gewehren dieser beiden Jäger gegenüber war das genau so, als ob er keine Waffen in der Hand hätte. Er stieg also von seinem Pferde, und seine Leute folgten diesem Beispiele. Man schritt, indem jeder sein Pferd führte, nach dem Felsen, wo man sich niedersetzte. Als dies geschehen war, nestelte Ka Maku seine Friedenspfeife von der Schnur los, mit welcher sie um seinen Hals hing, und sagte:

„Mein Tabaksbeutel ist leer; vielleicht besitzen meine großen Brüder Kinnikinnik, um das Calumet zu füllen?“

„Wir haben Tabak, soviel wir brauchen,“ antwortete Old Shatterhand. „Aber ehe wir mit dir die Friedenspfeife rauchen und dann nach dem Pueblo gehen, um deine Gäste zu sein, möchte ich wissen, was für Krieger wir dort vorfinden werden.“

„Die meinigen.“

„Keine andern?“

„Nein.“

„Und doch wurde mir gesagt, daß du fremde Krieger bei dir beherbergst. Es ist Unfrieden ausgebrochen zwischen einigen Stämmen und zwischen den roten Männern und den Bleichgesichtern. Ka Maku wird begreifen, daß es da gilt, vorsichtig zu sein.“

„Wenn meine Brüder zu mir kommen, werden sie keinen fremden Krieger bei uns finden.“

„Und doch führte eine große Spur von Forners Rancho nach eurem Pueblo, wo sie aufhörte; von euch weg ist sie dann zu einer kleinen Fährte von nur fünf Männern geworden.“

Ka Maku erschrak, ließ sich aber nichts merken, und versicherte in bestimmtestem Ton:

„Da müssen sich meine Brüder irren. Ich weiß von keiner solchen Spur etwas.“

„Der Häuptling der Apachen und Old Shatterhand irren sich niemals wenn es sich um eine Fährte handelt. Sie zählen nicht nur die Eindrücke der Tiere und der Menschen ganz genau, sondern sie kennen auch die Namen der letzteren.“

„So kennen meine berühmten Brüder Namen, welche mir unbekannt sind.“

„Hättest du nie von Grinley, dem Ölprinzen, gehört?“

„Nie.“

„Das ist eine Lüge!“

Da griff der Häuptling nach dem Messer in seinem Gürtel und rief zornig aus:

„Will Old Shatterhand das Haupt eines tapfern Häuptlings beleidigen? Mein Messer würde ihm Antwort geben!“

Der weiße Jäger zuckte leicht die Achsel und antwortete.

„Warum begeht Ka Maku den großen Fehler, mir zu drohen? Er kennt mich doch und weiß also sehr genau, daß er meine Kugel im Kopf hätte, ehe die Spitze seines Messers mich erreichte, oder seine Hand die Flinte gegen mich richten könnte.“

Er hatte während dieser Worte mit einem schnellen Griffe seine beiden Revolver gezogen und hielt ihm die Mündungen derselben entgegen. Zugleich hatte auch Winnetou seine beiden Drehpistolen in den Händen und hielt sie den drei andern Roten vor, indem Old Shatterhand in ruhigem Tone weiter sprach:

„Ich versichere euch bei dem großen Manitou, den die roten Männern verehren, daß bei der leisesten Bewegung eurer Waffen die unsrigen blitzen und knallen werden! Old Shatterhand bricht nie sein Wort; das wißt ihr ebenso gut wie jeder andre Indianer! Ihr kennt diese kleinen Gewehre hier in meinen Händen, in denen zweimal sechs Schüsse stecken. Mein Bruder Winnetou wird euch jetzt eure Messer und Gewehre wegnehmen. Wer sich dagegen wehrt, ja, wer nur eine kleine Bewegung des Widerstandes macht, erhält sofort eine Kugel. Ich habe es gesagt, und es gilt, Howgh!“

Dieses letzte Wort ist eine indianische Bekräftigung. Old Shatterhand wollte mit demselben sagen, daß er gesonnen sei, seine Drohung unbedingt auszuführen. Sein Auge senkte sich mit gebieterischem Blicke in dasjenige des Häuptlings, welcher es nicht wagte, sich zu regen, als der Apache ihm das Messer und die Flinte wegnahm. Auch die drei andern regten sich nicht, als sie von Winnetou entwaffnet wurden. Nachdem dies geschehen war, fuhr Old Shatterhand fort:

„Die roten Männer sehen, wie die Sache steht; sie befinden sich in unsrer Gewalt. Nur das Eingeständnis der Wahrheit kann sie retten. Ka Maku mag meine Fragen beantworten! Warum hat er einige Gefangene mit dem Ölprinzen vorsätzlich entfliehen lassen?“

„Es sind keine Gefangene bei uns gewesen,“ zischte der Häuptling grimmig.

„Und auch jetzt befinden sich keine im Pueblo?“

„Nein.“

„Ka Maku lügt. Er müßte doch wohl wissen, daß Winnetou und Shatterhand nicht junge, unerfahrene Burschen sind, welche sich täuschen lassen. Wir wissen, daß Sam Hawkens, Parker und Stone sich bei euch befinden.“

Das zuckende Auge des Häuptlings verriet seinen Schreck, doch antwortete er nicht.

„Auch noch zwei andre weiße Krieger, Frank und Droll genannt, stecken bei euch. Dazu ein Häuptlingssohn der Navajos und sein junger, weißer Freund, auch noch vier andre weiße Männer nebst ihren Frauen und Kindern. Will Ka Maku dies eingestehen?“

„Kein Mensch ist da, kein einziger,“ lautete die Antwort. „Bin ich ein elender, räudiger Hund, daß ich so mit mir sprechen lassen muß?“

Pshaw! Ich werde noch ganz anders mit dir sprechen! Werden die drei andern roten Krieger vielleicht zugeben, was ihr Häuptling so unklug ist, zu leugnen?“

Diese Frage war an die Begleiter Ka Makus gerichtet.

„Er hat die Wahrheit gesagt,“ antwortete einer von ihnen. „Es gibt keinen Gefangenen bei uns.“

„Ganz, wie ihr wollt. Wir werden nach dem Pueblo gehen, um nachzuforschen, und damit ihr uns nicht hindern könnt, werden wir euch binden. Winnetou wird mit Ka Maku den Anfang machen.“

Der Apache zog seine Riemen aus der Tasche. Da sprang Ka Maku auf und schrie wütend:

„Mich fesseln? Da soll – –“

Er kam nicht weiter, denn er erhielt von Old Shatterhand, der ebenso rasch aufgeschnellt war, einen solchen Fausthieb gegen die Schläfe, daß er augenblicklich zusammenbrach und besinnungslos liegen blieb. Das war der Hieb, dem der berühmte Westmann seinen Namen zu verdanken hatte. Er wendete sich drohend zu den andern dreien:

„Da seht ihr, was es nützt, uns zu widerstehen! Soll ich euch ebenso an die Köpfe schlagen? Haltet still, wenn ihr gefesselt werdet, sonst ergeht es euch grad ebenso wie diesem hier!“

Der zürnende Jäger, welcher mit einem Schlage seiner Hand einen starken Mann zu fällen vermochte, machte einen solchen Eindruck, daß die drei Indianer sich fesseln ließen, ohne daß sie zu widerstreben wagten; dann wurde auch Ka Maku an Händen und Füßen gebunden. Es handelte sich hier um Puebloindianer, die seßhaft waren, die einen guten Teil ihres ursprünglichen Charakters verloren hatten. Hätten sie zu einer herumschweifenden, wilden Truppe gehört, so wäre ihr Verhalten wahrscheinlich ein andres gewesen.

Um ihre Pferde am Entlaufen zu verhindern, wurden sie mit den langen Zügeln an die Erde gepflockt. Dann mußte dafür gesorgt werden, daß die Gefangenen nicht im stande waren, sich von der Stelle zu bewegen oder gar sich trotz der gefesselten Hände gegenseitig Hilfe zu leisten. Ein selbst an Händen und Füßen gebundener Mensch kann, indem er sich fortwälzt, zu entfliehen versuchen, und niemand kann, wenn er gut gefesselt ist, sich selbst befreien, aber doch die Banden seiner Mitgefangenen aufknoten. Darum wurden die Flinten der vier Indianer tief in den Sand gegraben, weit von einander entfernt und dann an jede einer von ihnen so festgebunden, daß er unmöglich loskommen konnte.

Während dies geschah, kehrte dem Häuptling die Besinnung zurück. Als er sah, in welch einer hilflosen Lage er sich befand, knirschte er mit den Zähnen. Old Shatterhand hörte es und sagte:

„Ka Maku trägt selbst die Schuld, daß er in dieser Weise behandelt wird. Ich ersuche ihn noch einmal, die Wahrheit zu gestehen. Wenn er mir verspricht, die Gefangenen herauszugeben und alles, was ihnen gehört, soll er losgebunden werden.“

Der Angeredete spuckte aus und antwortete nicht, für Old Shatterhand eine Beleidigung, welche diesem ein mitleidiges Lächeln entlockte. Nachdem noch einmal sorgfältig nachgesehen worden war, daß es den Gefangenen ganz unmöglich sei, durch eigne Anstrengung loszukommen, bestiegen die beiden Freunde ihre Pferde und ritten fort, dem Pueblo entgegen.

Ka Maku warf ihnen haßerfüllte Blicke nach und sagte sich:

„Diese beiden Hunde waren meine Freunde, sind aber nun meine Feinde geworden. Sie irren sich. Sie glauben, die gefangenen Bleichgesichter befreien zu können, werden aber selbst ergriffen werden, da es ihnen nicht gelingen kann, unsren Wächter zu täuschen. Sie sind zwar Meister des Anschleichens, aber ein Pueblo kann nicht beschlichen werden. Auf keinen Fall werden wir hier lange liegen, denn wenn wir nicht bald zurückkehren, wird man Boten aussenden, welche uns suchen und bald finden werden.“

Darin täuschte sich Ka Maku freilich. Es fiel seinen Leuten gar nicht ein, nach ihm und seinen drei Gefährten wie nach verlorenen Kindern zu suchen. Daß sie nicht zurückkehrten, beunruhigte niemanden. Die Verfolgung der windesschnellen Antilope kann den Jäger weit, weit fortführen, und bricht darüber die Nacht herein, so kann er leicht Gründe haben, die Heimkehr auf den nächsten Morgen zu verschieben.

Da das Pueblo an der Südseite des Felsenberges lag, konnte es nur von dieser Seite her beobachtet werden, und weil Old Shatterhand und Winnetou von Norden, also aus der entgegengesetzten Richtung kamen, mußten sie einen Bogen reiten, wenn sie ihren Zweck erreichen wollten. Dabei waren sie zur allergrößten Vorsicht gezwungen, da zu jedem Augenblicke in ihrem Gesichtskreise ein Indianer erscheinen und sie ebenso gut sehen konnte, wie sie ihn.

Eben war die Sonne hinter dem Horizonte verschwunden, als sie den Berg und an seinem steilen Hange das Pueblo liegen sahen. Sie näherten sich demselben nicht ganz bis auf Augensichtweite; dann hielten sie ihre Pferde an, und Old Shatterhand zog sein Fernrohr hervor. Nachdem er einige Zeit durch dasselbe geblickt hatte, gab er es Winnetou. Dieser setzte es nach einer kurzen Weile ab und sagte:

„Die Gefangenen haben die Hände gerührt, hat mein Bruder das Loch gesehen, welches sich in der Mauer der zweiten Etage befindet?“

„Ja,“ antwortete Old Shatterhand. „Sie haben es durchgebrochen, können aber nicht heraus, weil es bewacht wird. Vielleicht haben sie auch versucht, durch die Decke zu gelangen.“

„Das kann ihnen ebensowenig gelingen, denn auch da stehen die Wächter.“

„Jedenfalls werden, wenn es dunkel ist, Feuer angebrannt; das ist uns außerordentlich hinderlich. Wollen aber zunächst zufrieden sein, daß wir jetzt das Loch gesehen haben, denn nun wissen wir, unter welcher Terrasse die Gefangenen stecken. Unten lehnt eine Leiter an, jedenfalls für den Häuptling, wenn er zurückkehrt, Wie prächtig wäre es, wenn sie nicht emporgezogen würde!“

Sie stiegen ab und setzten sich nieder, um die Dunkelheit zu erwarten. Als dieselbe hereingebrochen war, sahen sie auf dem Pueblo einige Feuer aufflammen. Nun pflockten sie ihre Pferde an und schritten langsam dem Orte entgegen, an welchem es heut ein wahres Meisterstück auszuführen gab. Diese einzelnen zwei Männer wollten es, ob durch List oder Gewalt, mit der ganzen zahlreichen Besatzung des Pueblo aufnehmen!

Eigentlich war es für dieses kühne Unternehmen noch zu früh, und es wäre weit besser gewesen, wenn sie noch einige Stunden hätten warten können, bis die Indianer, welche jetzt noch alle wach waren, sich zur Ruhe gelegt hatten. Dann hätte es nur einige Wachen gegeben, welche zu überwältigen waren. Aber es gab verschiedene sehr triftige Gründe, die Ausführung des Vorhabens trotzdem nicht aufzuschieben. Erstens war zu bedenken, daß doch immerhin ein Umstand eintreten konnte, durch welchen der gefangene Häuptling mit seinen Begleitern befreit wurde. Es konnte einer seiner Leute unterwegs sein und ihn finden. Kam Ka Maku los und in das Pueblo, so war die Befreiung der in demselben eingeschlossenen Leute fast unmöglich. Zweitens konnte man nicht wissen, in welcher Lage sich diese Personen befanden und was ihnen drohte; eine Verzögerung konnte ihnen leicht verhängnisvoll werden. Und drittens fühlten die Roten über die verzögerte Rückkehr ihres Häuptlings jetzt noch keine Besorgnis; wahrscheinlich trat dies erst am morgenden Tage ein; aber es war auch möglich, daß man schon im Verlaufe des Abends sein Fortbleiben auffällig fand. In diesem Falle schickte man wohl Boten nach ihm aus und wartete auf die Rückkehr derselben. Das gab dann einen Zustand der Aufregung, der allgemeinen Wachsamkeit, welcher das Gelingen von Old Shatterhands und Winnetous Vorhaben vereiteln mußte. Darum war es auf alle Fälle besser, schon jetzt an die Ausführung desselben zu gehen.

Als sich diese beiden dem Pueblo weit genug genähert hatten, sagte Winnetou:

„Mein Bruder mag rechts gehen, und ich gehe links. In der Mitte, da wo die Leiter lag, treffen wir zusammen.“

Old Shatterhand verstand ihn; sie wollten erst das vor dem Pueblo liegende Terrain absuchen, ob dasselbe vielleicht bewacht werde oder überhaupt jemand von den Roten sich außerhalb der Niederlassung befand. Old Shatterhand folgte der Aufforderung seines Freundes und fand nichts, was ihm hätte auffallen können. Als er mit ihm zusammentraf, zeigte es sich, daß die Leiter, welche sie hatten liegen sehen, hinaufgezogen worden war.

„Uff!“ sagte der Apache leise. „Sie ist fort. Kein andrer könnte hinauf.“

„Ja, kein andrer,“ nickte Old Shatterhand. „Uns aber soll dies nicht abhalten, das unterste Dach zu erreichen. Vor allen Dingen aber müssen wir wissen, wie die Feinde sich verteilt haben, wo sie sich befinden.“

„Es brennen zwei Feuer.“

„Richtig. Das sind die Wachtfeuer. Eins auf der Terrasse, unter welcher die Gefangenen stecken, und eins auf der darunterliegenden Etage, um das Loch zu erleuchten, durch welches sie sich haben retten wollen. Dort stehen Posten, die ich gezählt habe: oben drei und unten drei. Wo aber sind die andern Indianer?“

„Im Innern der Stockwerke. Hat mein Bruder nicht gesehen, daß dort Licht ist?“

„Ja; die Eingangslöcher stehen offen, und der Lichtschein schlägt von innen heraus. Darnach zu urteilen, würden die Roten mit ihren Squaws und Kindern die oberen Etagen bewohnen, während die beiden unteren unbewohnt sind und wahrscheinlich zur Aufnahme der Vorräte dienen.“

„Mein Bruder hat recht geraten. Ich war vor einigen Jahren hier und habe mir das Innere des Pueblo angesehen.“

„Hm! Die damalige Anordnung kann verändert worden sein. Wir müssen vorsichtig verfahren. Es ist ein schöner Abend heut und wir dürfen getrost annehmen, daß nicht alle Indianer sich in den Wohnungen befinden; sehr wahrscheinlich liegen auch welche, ohne daß wir sie sehen können, auf den platten Dächern im Freien.“

„Wollen wir uns dadurch abhalten lassen?“

„Nein.“

„So stell dich auf die Mauer, damit ich auf deine Schultern steige!“

Old Shatterhand folgte dieser Aufforderung und der Apache schwang sich ihm auf die Achseln. Als er von da aus die Kante der untersten Plattform mit den Händen nicht erreichen konnte, flüsterte er dem Gefährten zu.

„Strecke die beiden Arme hoch, damit ich dir auf die Hände steigen kann!“

Old Shatterhand that dies und hielt den Häuptling mit solcher Leichtigkeit empor, als ob derselbe ein Kind von wenigen Jahren wäre.

„Es geht noch nicht,“ sagte der Apache.

„Wieviel fehlt noch?“ fragte Old Shatterhand.

„Drei Hände breit.“

„Schadet nichts. Deine Finger sind wie von Eisen. Wenn sie die Kante erreichen, wirst du dich festhalten, obgleich dies kein andrer vermöchte. Dann helfe ich mit meinem langen Bärentöter nach. Ich zähle bis drei und werfe dich in die Höhe; paß auf und greif schnell zu! Eins – zwei – drei –!“

Bei drei gab er dem Apachen einen kräftigen Schwung nach oben; dieser erreichte die Kante mit den Händen und hielt sich dort mit denselben wie mit eisernen Klammern fest. Schnell nahm Old Shatterhand seinen langen Bärentöter zur Hand und hielt ihn empor, um mit demselben einen Fuß Winnetous zu stützen. Dieser fand dadurch einen festen Punkt und schwang sich, da Old Shatterhand mit dem Gewehre kräftig nachschob, auf die Terrasse, wo er zunächst ganz still und unbeweglich liegen blieb, um zu lauschen, ob sich vielleicht jemand in der Nähe befinde, der ihn bemerkt habe oder sehen könne. Er lag eng zusammengekrümmt und sprungbereit, um sich sofort wie ein Panther auf denselben zu schnellen und ihn mit einem Griffe nach der Gurgel unfähig zu machen, einen Warnungsruf auszustoßen. Seine scharfen Augen überblickten die ganze Länge der Terrasse – es befand sich außer ihm kein Mensch auf derselben. Unweit von sich sah er das offene, viereckige Eingangsloch, welches hinab in das Erdgeschoß führte, und hart neben ihm lag die Leiter, welche heraufgezogen worden war.

Zunächst kroch er mit unhörbaren, schlangengleichen Bewegungen nach dem Loche und horchte hinab. Es führte eine Leiter hinunter und es war dunkel unten. Nichts regte sich; es schien niemand unten zu sein. Nun kroch er zur Leiter zurück und ließ sie zu Old Shatterhand hinab, so daß sie wieder, wie am Tage, an der Mauer lehnte und der Genannte heraufsteigen konnte. Als dieser Winnetou erreichte, legte er sich neben demselben nieder und fragte:

„Ist jemand unter uns?“

Daß jemand oben bei ihnen auf der Etage sei, das fragte er gar nicht, denn er sah gleich beim ersten Blicke, daß sie sich allein befanden.

„Ich habe nichts gehört,“ antwortete Winnetou.

„Ziehen wir die Leiter wieder herauf?“

„Nein.“

„Richtig! Es könnte der Fall sein, daß wir fliehen müssen, und dann brauchen wir sie. Nun aber auf die nächste Etage.“

Zu derselben führte eine Leiter hinauf, weil nur die unterste weggenommen worden war. Aber diese Leiter durften sie nicht benutzen, denn sie lehnte an der Mitte der Etage, wo das unterste Feuer brannte, an dem die drei Wächter saßen, welche auf das von den Gefangenen durch die Mauer gebrochene Loch aufzupassen hatten. Von diesen hätten sie sofort bemerkt werden müssen, wenn sie auf dieser Leiter emporgestiegen wären.

Die Plattform über ihnen war vielleicht vier Schritte breit und achtzig Schritte lang. Das Feuer, welches in der Mitte brannte, war nach indianischer Weise nur klein und konnte also seinen Schein nicht bis an die Endpunkte der Terrasse werfen; dort war es also dunkel und dort mußten die beiden Befreier hinauf, entweder nach der rechten oder nach der linken Ecke des platten Daches. Sie entschlossen sich für das erstere, und zwar infolge eines Umstandes, der zwar sehr geringfügig, ihnen aber von großem Vorteile war. Andre Leute hätten diesen Umstand wohl gar nicht beachtet; diesen beiden erfahrenen und scharfsinnigen Leuten aber mußte alles, selbst das Geringste, zur Erreichung ihrer Zwecke und Absichten dienen.

Nämlich die drei indianischen Wächter saßen so an dem Feuer, daß zwei von ihnen ihre Gesichter dem Loche, welches sie zu bewachen hatten, zukehrten; der dritte kauerte links davon, so daß er den Lichtschein auf sich nahm und einen langen, dunklen Schatten nach dieser Seite der Plattform warf. Dieser Schatten ermöglichte es, sich ihnen zu nähern, ohne sofort bemerkt zu werden.

Sie zogen also die Leiter, weiche von der ersten Etage hinunter in das Erdgeschoß führte, hinauf und trugen sie nach dem linksseitigen Ende der Etage. Dies mußte mit außerordentlicher Vorsicht geschehen. Dort angekommen, legten sie sie an die Mauer der zweiten Etage und stiegen hinauf. Oben angelangt, blieben sie eine Zeitlang ebenso vorsichtig wie vorher liegen, um diese Plattform zu überblicken.

„Die Wächter sind allein.“ flüsterte der Apache.

„Ja, und das ist gut,“ meinte sein weißer Freund. „Dennoch ist die Sache außerordentlich schwer. Es gibt hier keine Deckung, weder Busch noch Baum, hinter welchen man sich verbergen könnte.“

„Aber Schatten!“

Well! Doch das ist nicht hinreichend. Wir können höchstens bis auf zwanzig Schritte an sie heran, und wenn der Bursche, der den Schatten bildet, sich bewegt, so fällt das Licht auf uns und sie müssen uns noch viel eher bemerken.“

„Wir werden ihre Aufmerksamkeit nach der andern Seite richten.“

„Womit? Mit kleinen Steinchen?“

„Ja.“

„Schön! Wenn sie dumm genug sind, werden sie sich dadurch irre machen lassen. Dann aber heißt es, die zwanzig Schritte in zwei Augenblicken zurückzulegen. Ich schlage den, welcher uns den Rücken kehrt, sofort nieder; du nimmst den nächsten und ich den dritten.“

„Aber ja ohne das geringste Geräusch!“ warnte Winnetou.

„Natürlich, denn sonst werden die drei Wächter auf der nächsten Etage aufmerksam. Selbst wenn uns das Anschleichen gelingt, braucht es nur einem dieser Roten einzufallen, von da oben herabzuschauen, so sieht er uns, und wir sind verraten. Was würden wir in diesem Falle thun?“

„Die drei hier niederschlagen und dann rasch hinauf zu den andern drei. Sind diese unschädlich gemacht, so besitzen wir den Eingang zu denen, die wir befreien wollen.“

„Aber es würde laut hergehen und das ganze Pueblo käme in Alarm.“

„Winnetou und Old Shatterhand würden sich trotzdem nicht fürchten. Wir löschten die Feuer aus und würden nicht gesehen; da könnte man nicht auf uns schießen.“

„Gut! Also jetzt Steinchen her!“

Es war von großem Vorteile für sie, daß Old Shatterhand diese Frage aufgeworfen hatte und sie zu einer Verständigung über dieselbe gekommen waren, denn es trat später wirklich der Umstand ein, daß sie gesehen wurden, und da konnten sie sofort im Einvernehmen handeln, ohne vorher die kostbare Zeit durch Fragen zu verlieren. Sie griffen auf der Plattform mit den Händen nach Steinchen umher und fanden schnell so viele, wie sie brauchten. Dann legten sie sich lang auf den Boden nieder und krochen auf die drei Wächter zu. Old Shatterhand hatte sehr genau taxiert: als sie noch ungefähr zwanzig Schritte von denselben entfernt waren, mußten sie anhalten. Winnetou erhob sich ein wenig und warf ein Steinchen über sie hinweg, so daß es jenseits von ihnen niederfiel. Das dadurch entstehende Geräusch wurde, so gering es war, von ihnen bemerkt, und sie wendeten ihre Gesichter nach rechts, um zu lauschen.

„Es gelingt,“ flüsterte Old Shatterhand. „Sie sind dumm genug, ihre Aufmerksamkeit von dieser unsrer Seite abzuwenden.“

Winnetou warf noch einige Steinchen, was zur Folge hatte, daß die drei Wächter ein lebendes Wesen, vielleicht gar ein feindliches, rechts von sich vermuteten und scharf nach dorthin lauschten.

„Jetzt!“ sagte Old Shatterhand leise.

Sie erhoben sich. Fünf, sechs weite, aber ganz leise und fast unhörbare Sprünge, und sie standen bei den dreien. Die Faust des starken weißen Jägers fuhr dem ersten so gegen den Kopf, daß er lautlos niedersank; im nächsten Augenblicke hatten sie den zweiten und dritten bei den Kehlen. Ein fester Druck, einige Hiebe an die Schläfen und auch diese waren besinnungslos. Sie wurden schnell gefesselt und bekamen Knebel zwischen die Zähne.

„Das ist geglückt!“ flüsterte Old Shatterhand. „Nun schnell die Leiter an das Loch, unter welchem die Gefangenen stecken. Ich will mit ihnen reden; während dessen mag mein Bruder Winnetou die nächste Etage nicht aus den Augen lassen. Es könnte einer der dortigen Wächter an der Kante des Daches erscheinen.“

Er zog nun die Leiter, welche sie vorhin vermieden hatten, als sie sich auf der unteren Plattform befanden, herauf, lehnte sie neben dem Loche an die Mauer und stieg hinauf. Den Kopf in dieses Loch steckend, rief er hinein, aber so, daß nur die innen Befindlichen es hören konnten:

„Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker! Ist einer von euch da?“

Er lauschte und hörte drin eine Stimme:

„Horcht! Da draußen sprach jemand! Es ist ein Mensch am Loche.“

„Wahrscheinlich einer der roten Halunken!“ meinte ein andrer. „Gebt ihm eine Kugel!“

„Unsinn!“ fiel schnell ein dritter ein. „Ein Indianer wagt es nicht, seinen Schädel so schön herzuhalten, daß wir ihm das Lebenslicht ausblasen können, wenn ich mich nicht irre. Es muß ein andrer sein, einer, der uns retten will, vielleicht gar Old Shatterhand oder Winnetou. Macht mir Platz! Ich will an das Loch.“

Aus der Redensart „wenn ich mich nicht irre“, erkannte Old Shatterhand, wer der Sprecher war; darum fragte er:

„Sam Hawkens, seid Ihr da?“

„Will’s meinen,“ antwortete es von innen. „Wer seid denn Ihr?“

„Old Shatterhand.“

Heigh-day! Ist’s wahr?“

Yes. Wollen euch herausholen.“

„Wollen? Die Mehrzahl? Also seid Ihr nicht allein?“

„Nein. Winnetou ist mit.“

„Noch jemand?“

„Wir sind allein.“

Thank you! Haben mit großen Schmerzen auf Euch gewartet. Aber, Sir, seid Ihr denn auch wirklich Old Shatterhand? Oder heißt Ihr vielleicht Mr. Grinley, der Ölprinz?“

„Müßt mich doch an der Stimme erkennen, alter Sam!“

„Stimme hin und Stimme her! In diesem Loche klingt, zumal Ihr leise redet, eine Stimme wie die andre. Es wäre eine nette Geschichte, wenn wir Euch trauten und nachher hätte sich Old Shatterhand in den Ölprinzen verwandelt. So ein dummes Coon bin ich nicht. Gebt mir einen Beweis!“

„Welchen?“

„Habt Ihr Euern Henrystutzen bei Euch?“

„Ja.“

„So langt ihn einmal herein, damit ich ihn befühlen kann.“

„Hier ist er. Aber gebt ihn schnell wieder heraus, denn ich kann ihn jeden Augenblick gebrauchen müssen.“

Er schob das Gewehr ins Loch; es dauerte nur wenige Sekunden, so wurde es ihm zurückgegeben und Sam sagte:

„Es hat seine Richtigkeit; Ihr seid es, Sir. Gott sei Dank, daß Ihr kommt! Wir können nicht hinaus. Zwar ist Rettung möglich; aber es würde dabei einen heißen Kampf geben und wir möchten nicht Blut vergießen. Wie wollt Ihr uns herausbringen?“

„Könnt ihr nicht nach oben?“

„Nein; das Loch ist zu.“

„Habt ihr keine Leiter?“

„Die Schufte haben sie hinaufgezogen.“

„Und Waffen?“

„Die haben wir; man konnte sie uns nicht abnehmen. Werde Euch später erzählen, wie wir in diese himmelblaue Tinte geraten sind.“

„Müßt es freilich sehr geistreich angefangen haben; ist ein wahres Meisterstück von Leuten wie ihr seid! Wer ist alles drin?“

„Gute Bekannte von Euch: Ich, Stone, Parker, Droll, der Hobble-Frank und so weiter.“

„Auch Kinder?“

„Leider!“

Well! So paßt genau auf, was ich Euch sage! Erst schiebt Ihr uns die Kinder heraus; aber sie dürfen keinen Laut von sich geben. Dann folgen die Damen, die hoffentlich auch still sind. Hierauf kommen diejenigen, welche den Westen nicht kennen und wenig Erfahrung besitzen. Es ist geraten, alle diese zuerst ins Freie zu bringen, damit sie schon heraus sind, wenn wir vielleicht entdeckt werden. Hier saßen drei Wächter, die wir überwältigt haben, Über euch sind auch drei, die uns leicht überraschen können. Wenn dies geschehen sollte, so muß ich schnell eingreifen: ich steig‘ hinauf und schlage sie nieder. Gelingt mir dies, so öffne ich euch das Loch und gebe euch eine Leiter herab, an welcher diejenigen, die sich noch drin befinden, schnell zu mir hinaufsteigen und mich unterstützen können. Also, die Erfahrenen von euch bleiben bis zuletzt drin. Habt Ihr alles verstanden?“

„Alles.“

„So macht los! Ich warte hier, um zunächst die Kinder in Empfang zu nehmen.“

In kurzer Zeit erschien ein Knabe im Loche. Old Shatterhand zog ihn heraus und langte ihn Winnetou zu, welcher ihn ergriff und dicht an die Mauer stellte. So wurde es mit allen Kindern und dann auch mit den Frauen gemacht. Das war eine schwere Arbeit, bei welcher Old Shatterhand, auf der Leiter stehend, alle seine Kräfte anstrengen mußte. Als es bis hierher geglückt war und Sam Hawkens ihm meldete, daß nun die Männer, zunächst die deutschen Auswanderer, folgen würden, antwortete er:

„Die bedürfen, um die Leiter zu erreichen, meiner Hilfe nicht. Ich werde mich also entfernen, um die drei über euch befindlichen Wächter in die Augen zu nehmen.“

Er stieg zu Winnetou nieder, warf diesem einige leise, erklärende Worte zu und huschte dicht an der Mauer nach der linken Seite hin, wo die Leiter lag, an welcher sie auf diese Plattform gestiegen waren. Er zog sie herauf und lehnte sie an die nächste Etage, um da hinaufzusteigen.

Oben angekommen und das von dem Feuer erleuchtete Terrain musternd, sah er die großen Steine, welche auf den Deckel gelegt worden waren und diesen festhielten, so daß die Gefangenen nicht herausgekonnt hatten. Daneben lag die Leiter, welche von den Indianern, ehe sie den Deckel zuwarfen, emporgezogen worden war. Eine zweite Leiter führte zur nächsten Plattform empor. Die Wächter saßen so, daß zwei von ihnen ihm den Rücken zukehrten.

Old Shatterhand war auf dieses Dach gestiegen, um im Falle einer Entdeckung sofort bei der Hand zu sein. Im Falle es aber den Gefangenen bis auf den letzten Mann gelang, ins Freie zu kommen, wollte er hinabsteigen, ohne sich sehen zu lassen. So lag er still und wartete. Er rechnete nach, welche Zeit eine Person brauchte, um durch das Loch zu kriechen, und wie viele also schon heraus sein konnten. Eben sagte er sich, daß nun wohl schon der sechste an der Reihe sein werde, da ertönte eine schrille Frauenstimme laut durch die Nacht:

„Herrjesses, Kantor, schtürzen Sie doch nich off mich!“

Sofort sprangen die drei Wächter auf, traten an den Rand der Plattform und blickten hinab. Sie sahen die befreiten Weißen; sie sahen auch den Apachen, der hoch aufgerichtet am Feuer stand. Sie erkannten ihn, und einer von ihnen rief, so daß es über das ganze Pueblo schallte:

„Akhane, akhane, arku Winnetou, nonton, schis inteh!“

Diese Worte heißen zu deutsch: „Herbei, herbei; Winnetou, der Häuptling der Apachen ist da!“

Kaum war dieser Ruf erschollen, so ertönte es hinter ihnen ebensolaut:

„Und hier steht Old Shatterhand, um die Gefangenen zu befreien. Winnetou, nimm die beiden Burschen in Empfang!“

Der weiße Jäger war zu gleicher Zeit mit den Wächtern auf- und auf diese zugesprungen. Während er die angegebenen Worte rief, schlug er einen von ihnen nieder und stieß die beiden andern über die Kante der Plattform, an welcher sie standen, hinab, wo sie von den Untenstehenden in Empfang genommen wurden. Dann warf er zunächst die Leiter um, welche zur nächst höheren Etage führte, damit kein Roter von oben herunter könne. Hierauf wälzte er die zentnerschweren Steine von dem Deckel und nahm diesen weg; dann ließ er die Leiter in das Loch und rief in dasselbe hinab:

„Schnell herauf! Es könnte zum Kampfe kommen.“

Nun sprang er mit beiden Füßen in das Feuer, um dasselbe auszutreten, was, da es klein gewesen war, ihm sofort gelang. Es wurde dunkel, denn Winnetou hatte auch das untere Feuer ausgelöscht. Old Shatterhand hatte mit einer solchen Schnelligkeit gehandelt, daß seit dem Augenblicke, an welchem die unvorsichtige Frauenstimme erschallte, kaum eine Minute bis jetzt vergangen war. Und schon kamen die letzten der Gefangenen aus der Luke zu ihm heraufgestiegen.

Auf den über ihnen liegenden Terrassen wurde es lebendig. Laute, fragende Stimmen erschallten. Lichter erschienen und man sah dunkle Gestalten an den Leitern herniedersteigen. Da ertönte Old Shatterhands mächtige Stimme:

„Die roten Männer mögen oben bleiben, wenn sie nicht sterben wollen! Hier stehen Old Shatterhand und Winnetou mit ihren Leuten. Wer sich zu uns herunterwagt, wird erschossen!“

Er wollte keinen der Indianer töten, mußte ihnen aber beweisen, daß er wirklich hier war. Diesen Beweis konnte er, wie er wußte, ihnen nur durch seinen so viel- und schnellschüssigen Stutzen geben, den sie alle kannten und fürchteten. Er legte ihn an und zielte empor nach einem Indianer, welcher, mit einer Leuchte in der Hand, eiligst herniedergestiegen kam; er wollte ihn in die Hand treffen und drückte ab.

„Hahi, Latah-schi – au, meine Hand!“ schrie der Getroffene, indem er das Licht oder die Fackel fallen ließ.

Drei weitere Schüsse, schnell hintereinander, und ebenso viele Lichte verschwanden. Eine Stimme rief:

„Das ist Old Shatterhands Zauberflinte; hinauf, schnell wieder hinauf!“

Es wurde oben ganz dunkel und plötzlich so still, als ob auf den höheren Terrassen kein Mensch zu finden sei.

„Seid ihr alle hier?“ fragte Old Shatterhand die jetzt bei ihm Stehenden. „Ist niemand mehr unten?“

„Keiner,“ antwortete Sam Hawkens.

„So legt die beiden Leitern an und steigt hinab zu den andern! Ich denke, daß die Roten uns in Ruhe lassen werden, bis wir die freie Erde unter den Füßen haben.“

Sie folgten seiner Aufforderung; er folgte zuletzt. Als er die nächst untere Plattform erreichte, sah er, daß der umsichtige Apache schon für das weitere gesorgt hatte. Die Befreiten befanden sich auch dort bereits im Niedersteigen. Es fiel Winnetou nicht etwa ein, sie zur Eile aufzufordern; im Gegenteile mahnte er sie, wegen der Frauen und Kinder hübsch langsam und vorsichtig zu verfahren, denn er wußte, daß wenigstens für einige Zeit die Indianer jetzt nicht zu fürchten waren; sie wurden durch die beiden Namen Old Shatterhand und Winnetou in Furcht gehalten.

Der Abstieg ging also ziemlich gemächlich von statten und zwar in der Weise, daß alle Leitern von oben mit hinuntergenommen wurden, um den Roten die Verfolgung zu erschweren. Als sie dann alle am Fuße des Pueblo im Freien beisammenstanden, sagte Old Shatterhand:

„Es ist gelungen, und zwar viel leichter, als ich dachte. Nun gibt –“

Er wurde von mehreren unterbrochen, die ihrer Dankbarkeit Ausdruck geben wollten, fiel ihnen aber schnell in die Rede:

„Still! Nichts davon jetzt! Es muß zunächst das Notwendigste geschehen. Später, wenn wir von hier fort sind, könnt ihr reden, so viel ihr wollt. Wo sind eure Pferde?“

„Dort im Corral, rechts hinter dem Mauerwerk,“ antwortete Hawkens.

„Habt ihr alle eure Waffen?“

„Ja.“

„Und euer Eigentum?“

„Was wir einstecken hatten, konnte uns nicht genommen werden; aber was sich in den Satteltaschen befand, das werden die roten Spitzbuben wohl an sich genommen haben.“

„Hattet ihr auch Packpferde bei euch?“

Yes. Die mußten die Sachen der Auswanderer tragen.“

„Sind diese Gegenstände vorhanden?“

„Weiß nicht; glaube es auch nicht. Das Wetter brach so rasch über uns herein, daß wir gar nicht Zeit hatten, abzuladen und die Tiere abzusatteln.“

„Hm! Wäre alles da, was euch und ihnen gehörte, so könnten wir gleich fort von hier, sonst aber müssen wir die Roten zwingen, das Geraubte herauszugeben. Sam Hawkens mag mich nach dem Corral begleiten; die andern bleiben hier und passen auf die untersten Terrassen des Pueblo auf. Sobald ein Roter sich dort hören oder gar sehen läßt, wird nach ihm geschossen, doch ohne ihn zu treffen; verstanden! Es genügt vollständig, wenn er die Kugel neben sich einschlagen hört. Diese Leute sollen nur wissen, daß wir uns hier aufgestellt haben, um sie nicht herunter zu lassen. Mein Bruder Winnetou wird indessen gehen, um unsre beiden Rappen herbeizuholen.“

Der Apache entfernte sich still, wie es so seine Weise war, und Old Shatterhand ging mit Hawkens nach der Umfriedigung, in welche die Pferde gebracht worden waren. Als diese drei sich entfernt hatten, sagte der Kantor, natürlich in deutscher Sprache:

„Also das sind die beiden großen Helden, nach deren Anblick ich so begierig gewesen bin! Man kann sie nicht erkennen, weil es dunkel ist, aber schon ihr Auftreten imponiert mir ungeheuer. Sie werden sehr hervorragende Stellen in meiner Oper einnehmen.“

„Na, sehen Sie sich die beeden nur erscht eemal bei Tage an!“ antwortete der Hobble-Frank. „Schon während man das erschte Ooge off sie wirft, muß man sich gleich hypothekarisch sagen, daß man keene gewöhnlichen Leute vor sich hat. Is es nich genau so, wie ich prophezeit habe? Diese beeden berühmten Leute brauchen nur zu erscheinen, so sind wir ooch schon frei!“

„Sehr wahr!“ stimmte Droll bei. „Es is een wahres Heldenschtück von ihne, uns herausgeholt zu habe, ohne daß uns nur een Haar gekrümmt worde is. Es wär sogar noch viel besser gegange, wenn Frau Eberschbach den Mund gehalte hätte.“

„Ich?“ fiel schnell Frau Rosalie ein. „Meenen Sie vielleicht, ich bin schuld, daß mir der Schrei entfahren is?“

„Natürlich! Wer denn sonst?“

„Der Kantor, aber doch nich ich!“

„Bitte ergebenst!“ verteidigte sich der von ihr Beschuldigte. „Sie wissen wohl, daß ich Emeritus bin! Wenn Sie das doch nicht immer auslassen wollen. Sie haben kein Recht, zu behaupten, daß ich die tiefe Stille, welche geboten war, gebrochen habe. Über meine Lippen ist kein Laut gekommen, kein einziger, und wenn er noch so pianissimo gewesen wäre. Sie sind es gewesen, Frau Ebersbach, die geschrieen hat.“

„Das leugne ich gar nich. Aber weshalb habe ich geschrieen? Hätten Sie sich doch fester angehalten, Sie Emeritus 1 Wenn Sie wieder ‚mal Lust haben, von der Leiter herabzupurzeln, so thun Sie es doch wenigstens nich grad dann, wenn eene reputierliche Dame drunter schteht! Wenn Sie Ihre Tonleitern ooch nich fester in die Hände nehmen, so kann mich Ihre schöne Heldenoper dauern. Verschtehn Sie mich!“

„Ich verstehe Sie, Verehrteste; aber Sie verstehen etwas nicht, nämlich mit einem Sohne der Musen höflich umzugehen. Ich habe Ihnen versprochen, seiner Zeit an Sie zu denken, und hegte wirklich die Absicht, Ihnen eine Sopranarie in den Mund zu legen; da Sie aber in dieser Weise von meiner Kunst sprechen, sehe ich davon ab. Sie werden nicht die Ehre haben, in meiner Oper zu erscheinen!“

„Nich? 1, was Sie nich sagen! Meenen Sie etwa, es liegt mir so sehr viel daran, off den Brettern zu erscheinen, die die Erde bedeuten? Das fällt mir gar nich ein. Und Sopran hab‘ ich singen sollen? Hören Sie, damit lassen Sie mich in Ruh! Wenn ich singen will, da laß ich mir gar nischt vorschreiben, da singe ich, was ich will, Fagott, Klarinette oder Rumpelbaß, ganz was mir beliebt. Und nu sind wir miteinander für dieses Leben fertig. Leben Sie wohl! Adjes off Ewigkeet!“

Sie wendete sich höchst aufgebracht von ihm ab. Er wollte noch eine Bemerkung machen, doch der Hobble-Frank forderte ihn schnell auf –

„Pst! Schweigen Sie schtille! Es is mir ganz so, als ob ich een lebendiges Wesen da oben off der erschten Etage hätte huschen sehen. Wahrhaftig, da schleicht es wieder! jetzt bleibt es schtehen und neigt den Kopp herab. Das is een Indianer, der jedenfalls eene Okularkonstruktion beabsichtigt, um zu sehen, wo wir schtecken. Er soll es gleich erfahren!“

Er hob sein Gewehr, zielte kurz und drückte ab.

„Uff!“ rief eine erschrockene Stimme gleich nach dem Knalle des Schusses.

Soeben kehrte Old Shatterhand mit Sam Hawkens zurück.

„Was gibt es? Wer hat geschossen?“ fragte er.

„Ich,“ antwortete Frank.

„Warum?“

„Das is eene Frage an das Schicksal, die ich gern beantworten will. Es schtand een roter Signor da oben off dem Dache Nummer eens; der wollte wahrscheinlich wissen, welche Zeit es is, und da habe ich ihm gezeigt, wieviel die Repitieruhr geschlagen hat, wenn er sich nich gleich off die Socken macht. Er hat sich ooch gleich kompetent zurückgezogen.“

„Ist er getroffen worden?“

„Nee; ich habe weiter rechts gezielt, vielleicht zwee Ellen weit; aber wenn er vier Fuß lange Ohren haben sollte, so is ihm die Kugel höchst wahrscheinlich durch das reche Läppchen gefahren, was ihm hoffentlich zur physharmonischen Warnung dienen wird.“

„Also haben sie sich doch schon bis herunter auf die erste Terrasse getraut! Da müssen wir aufpassen. Wir halten uns natürlich in solcher Entfernung, daß sie uns nicht sehen können, denn sonst würden sie auf uns schießen. Aber sie müssen wissen, daß wir da sind und sie nicht herunterlassen. Darum mögen Frank und Droll hinschleichen und sich eng an der Mauer niederlegen. Wenn sie dann aufwärts gegen den Himmel blicken, können sie jeden Kopf sehen, der oben über der Kante erscheint, um herabzublicken. Dann rasch eine Kugel hinauf!“

„Aber wohl ohne zu treffen?“ fragte der Hobble.

„Ja. Ich möchte kein Leben vernichten.“

„Da werde ich mich hüten, meine schönen Kugeln in die Luft zu schießen! Ich schtecke lieber keene in den Lauf.“

Da näherte Schi-Scho sich Old Shatterhand und bat in deutscher Sprache:

„Herr, erlauben Sie mir, an dieser Bewachung des Pueblo teilzunehmen! Sechs Augen sind besser als nur vier.“

„Das ist sehr richtig,“ antwortete der Jäger, indem er den Jüngling, dessen Gesicht er nicht erkennen konnte, forschend anblickte. „Sie scheinen aber noch sehr jung zu sein. Haben Sie gute Augen?“

„Ja.“

„Und aber auch Erfahrung?“

„Ich bin der Schüler meines Vaters,“ antwortete Schi-So in bescheidenem Tone.

„Wer ist Ihr Vater?“

„Nitsas-Ini, der Häuptling der Navajos.“

„Was? Meines Freundes, des großen Donners? Dann wären Sie ja Schi-So, von dem ich weiß, daß er in Deutschland ist?“

„Ich bin es.“

„Dann hier meine Hand, junger Freund. Ich freue mich sehr, Sie hier zu treffen; sobald wir Zeit haben, sprechen wir weiter miteinander. Wäre es heller, so hätte ich Sie wohl erkannt. Da Sie Schi-So sind, so weiß ich, daß ich Ihren Wunsch getrost erfüllen darf. Gehen Sie also mit Frank und Droll und postieren Sie sich mit ihnen so weit auseinander, daß die ganze Länge der Plattform unter Beobachtung steht!“

Der Häuptlingssohn entfernte sich, stolz darauf, seinen Wunsch erfüllt zu sehen. Eben, als er ging, kehrte Winnetou mit den Pferden zurück, welche in genügender Entfernung von dem Pueblo angepflockt wurden. Als dies geschehen war, fragte er Old Shatterhand:

„Ich hörte einen Schuß. Aus wessen Gewehr ist er gefallen?“

Der Gefragte sagte es ihm und fuhr dann fort:

„Die ledigen Pferde derer, die wir befreit haben, stehen dort im Corral; aber alles Gepäck und das ganze Sattel- und Zaumzeug ist verschwunden.“

„Muß sich im Pueblo befinden!“

„Ja. Wir können also nicht fort, sondern müssen hier bleiben, um die Herausgabe zu erzwingen.“

„Das ist nicht schwer, denn der Häuptling befindet sich in unsrer Hand.“

„Wohl. Wir müssen ihn holen. Will mein roter Bruder den Befehl hier übernehmen? Dann reite ich mit Hawkens, Parker und Stone fort, um Ka Maku herzuschaffen.“

„Mein Bruder mag gehen; er wird bei seiner Rückkehr hier alles in Ordnung finden.“

Die drei „Kleeblätter“ waren gern einverstanden mit Old Shatterhand zu reiten. Sie gingen nach dem Corral, um ihre Tiere zu holen. Diese waren freilich ohne Zaum und Sattel, was aber den Reitern vollständig gleichgültig war. Sie schwangen sich auf und ritten in nördlicher Richtung davon. Es verstand sich ganz von selbst, daß Old Shatterhand sich nun unterwegs erkundigte, wie sie mit den Auswanderern zusammengetroffen und dann in die Gefangenschaft geraten seien. Sie hatten Zeit, es ihm ausführlich zu erzählen und von jedem der Beteiligten eine Charakterschilderung zu geben. Als er alles gehört hatte, sagte er, den Kopf leise schüttelnd:

„Sonderbare Menschen und höchst unvorsichtig dazu! Also ihr habt euch ihrer angenommen und wollt sie begleiten?“

„Ja,“ antwortete Sam. „Sie bedürfen unser, und uns ist es ja ganz gleich, ob wir hierhin oder dorthin reiten. Was sagt Ihr dazu, Sir?“

„Hm! Ich wollte mit Winnetou über die Grenze, halte es aber für meine Pflicht, mich dieser Leute auch anzunehmen, zumal sie durch Gegenden wollen, wo sie ohne die Hilfe erfahrener Leute zu Grunde gehen müssen, da den Roten, auf die sie dort treffen müssen, nicht zu trauen ist. Da gilt es, wie es scheint, nachsichtig zu sein. Dieser emeritierte Kantor zum Beispiel kann gefährlich werden.“

„Ist er schon geworden. Am liebsten hätte ich ihn fortgejagt; aber das geht ja nicht. Und dann die Geschichte mit dem Ölprinzen. Was sagt Ihr dazu?“

„Schwindel!“

Well, ist auch meine Meinung. Der Buchhalter ist ein Deutscher; darf man ihn ins Verderben laufen lassen?“

„Auf keinen Fall. Wir folgen diesem Grinley, der sehr wahrscheinlich auch noch andre Namen führt, und ich denke, daß wir ihn noch zur rechten Zeit einholen werden. Bin sehr neugierig, zu erfahren, auf welche Weise er das Öl aus der Erde gezaubert hat oder noch hervorzaubern will!“

Sie waren sehr schnell geritten und befanden sich jetzt nicht sehr weit mehr von der Stelle, an welcher der gefesselte Häuptling mit seinen Leuten zurückgelassen worden war.

Old Shatterhand erzählte ihnen, wie derselbe in seine und Winnetous Hände gefallen war, und fügte dann hinzu:

„Er hat alles geleugnet und verdient eine Strafe. Ich bin als ein Freund der Roten bekannt und lebe gern mit ihnen in Frieden, darum möchte ich mit Ka Maku so glimpflich wie möglich verfahren. Will sehen, ob er mir doch nicht vielleicht ein Eingeständnis macht. Wenn er euch sieht, merkt er sofort, wie die Sache steht; ich will also voranreiten; folgt mir langsam nach. Wenn ihr euch genau nördlich haltet, kommt ihr grad nach dem Felsen, hinter dem wir die Gefangenen zurückgelassen haben.“

Es war sehr dunkel, und ein andrer hätte sich in dieser ebenen Gegend, in welcher nichts als Anhalt und Merkmal diente, wohl kaum zurechtgefunden; Old Shatterhand aber durfte sich auf seinen Ortssinn verlassen und erreichte sein Ziel mit derselben Genauigkeit, als ob es nicht in dunkler Nacht, sondern am hellen Tage gewesen wäre.

Er war überzeugt, die vier Roten in der Lage anzutreffen, in welcher er sie verlassen hatte, dennoch aber mußte er vorsichtig sein. Sie konnten auf irgend eine Weise die Möglichkeit gefunden haben, sich frei zu machen, und nun auf ihn und Winnetou warten, um sich zu rächen, Darum stieg er in angemessener Entfernung von dem Pferde, pflockte dasselbe an und schlich sich zu Fuße nach dem Felsen hin. Als er so nahe an diesen gekommen war, daß er ihn sehen konnte, legte er sich nieder und kroch auf den Händen und Füßen weiter. Bald hatte er den hohen, breiten Stein links vor sich, machte einen kurzen Bogen und sah dann die Gefangenen liegen. Sie konnten frei sein und ihre Stellung aus Hinterlist beibehalten haben; darum ließ er sich noch nicht hören, sondern kroch so leise bis hinter den Häuptling heran, daß dieser nicht das geringste Geräusch zu vernehmen vermochte. Dann erhob er die Hand und betastete das in die Erde wie ein Pfahl gegrabene Gewehr, an welches Ka Maku festgebunden worden war. Die Riemen befanden sich noch in derselben Lage wie vorher; sie waren nicht gelöst worden. Da richtete er sich auf und stellte sich, wie plötzlich aus der Erde gewachsen, vor den Gefangenen hin.

„Die Zeit wird Ka Maku lang geworden sein,“ begann Old Shatterhand. „Er hat, da er einen Knebel im Munde trägt, nicht einmal mit seinen Gefährten sprechen können. Ich werde ihm die Stimme wiedergeben.“

Er zog ihm den Knebel aus dem Munde und fuhr fort:

„Der Häuptling hat Zeit gehabt, sich zu besinnen. Wenn er bereit ist, mir zu gestehen, daß sich Gefangene in seinem Pueblo befinden, werde ich ihn freilassen, ohne daß ihm etwas weiteres geschieht.“

Ka Maku schloß aus der Stellung dieser Worte, daß Old Shatterhand noch nichts Genaues wisse, und war infolgedessen entschlossen, nichts zu gestehen. Da er Old Shatterhands Art und Weise kannte, war er überzeugt, daß sein Leben sich nicht in Gefahr befand. Also nichts gestehen und lieber hier noch angebunden liegen, bis seine Leute kommen würden, ihn zu befreien. Er nahm an, daß sie dies bald nach Tagesanbruch thun würden. Er sah nur Old Shatterhand. Wo war Winnetou? Um dies zu erfahren, fragte er:

„Warum kommt nicht der Häuptling der Apachen, um mit mir zu reden?“

Man hörte es seiner Stimme an, daß der Knebel ihm das Atmen erschwert hatte.

„Er mußte in der Nähe des Pueblo bleiben, um dasselbe beobachten zu können.“

Auf Grund dieser Antwort vermutete Ka Maku, daß die Bemühungen Winnetous und Old Shatterhands vergeblich gewesen seien und der letztere nur gekommen sei, durch weiteres Ausfragen etwas zu erfahren; darum sagte er in deutlich höhnischem Tone:

„Winnetou wird nichts andres hören und sehen, als was ich gesagt habe: es befindet sich kein Gefangener bei uns. Warum schleichen die beiden tapfern Männer heimlich beim Pueblo hin und her? Warum fordern sie nicht Einlaß, um sich zu überzeugen, daß ich die Wahrheit gesprochen habe und es ehrlich meine?“

„Weil wir euch nicht trauen und fest überzeugt sind, daß wir auch festgenommen werden würden.“

„Uff! Wo ist die Klugheit Old Shatterhands hin? Der große Geist hat ihm das Gehirn genommen. Ich bin sein Freund gewesen; nun er mich als Feind behandelt hat, wird das Messer zwischen ihm und mir entscheiden!“

„Habe nichts dagegen. Also ihr haltet wirklich keine weißen Männer, Frauen und Kinder im Pueblo gefangen?“

„Nein.“

„Bedenke, daß es mir und Winnetou nicht schwer sein würde, sie zu befreien! Dann träfe dich die Strafe. Gestehst du es aber ein, so werden wir daran denken, daß du unser Freund und Bruder gewesen bist und dich mit Milde behandeln.“

„Old Shatterhand mag thun und denken, was er will. Ich habe die Wahrheit gesagt und werde mich rächen!“

„Ganz wie du willst! Aber horch! Wer mag da kommen?“

Man hörte nahendes Pferdegetrappel; Ka Maku richtete sich, soweit seine Fesseln es zuließen, empor und stieß einen Ruf der Freude aus. Die Reiter, welche sich nahten, konnten doch nur seine Leute sein, die ihn suchten. Sie bogen um den Felsen und blieben da halten. Er konnte ihre Gestalten nicht deutlich erkennen, war aber in seiner Ansicht so sicher, daß er ihnen zurief:

„Ich bin Ka Maku, den ihr sucht. Steigt ab und bindet mich los!“

Da antwortete Sam Hawkens lachend:

„Daß du Ka Maku bist, das glaube ich gern; aber daß ich dich losbinde, das glaube ich nicht. Old Shatterhand wird bestimmen, was geschehen soll. Erkennst du mich vielleicht an der Stimme, alter Schurke?“

„Sam Hawkens!“ schrie der Häuptling vor Schreck förmlich auf.

„Ja, Sam Hawkens und Dick Stone, nebst Will Parker,“ bestätigte Old Shatterhand. „Meinst du nun noch immer, daß der große Geist mir das Gehirn genommen hat? Oder war es richtig, als ich sagte, daß es uns nicht schwer werden würde, die Gefangenen zu befreien? Wir haben die Lanze umgedreht und nun gegen euch gerichtet: Eure Gefangenen sind frei, und ihr seid gefangen. Keiner von deinen Kriegern ist im stande, das Pueblo zu verlassen, denn wir halten vor demselben und werden jedem, der zu entkommen versucht, eine Kugel geben. Wir sind jetzt gekommen, dich zu holen. Wir werden euch auf eure Pferde binden, und ich rate euch, euch ja nicht etwa dagegen zu wehren, wenn ihr nicht unsre Messerklingen kosten wollt!“

Die „Kleeblätter“ stiegen von ihren Pferden und machten sich über die vier Indianer her, welche so bestürzt waren, daß es ihnen gar nicht einfiel, Widerstand zu leisten, der ihnen doch nichts gefruchtet hätte. Sie wurden auf ihre Tiere gebunden, welche bis jetzt angepflockt gewesen waren, und dann trat man den Rückweg an, auf welchem kein Wort gesprochen wurde, bis man bei dem Pueblo angekommen war. Dort mußten die vier Roten absteigen und wurden unter scharfe Bewachung genommen. Sie mußten trotz der Dunkelheit bald bemerken, daß alle ihre Gefangenen, keinen einzigen ausgenommen, sich in Freiheit befanden. Ihr Grimm darüber läßt sich leicht denken.

Die Weißen, besonders die lebhafteren unter ihnen, hätten am liebsten die ganze Nacht durchplaudern mögen; aber Old Shatterhand gab das nicht zu. Er machte sie darauf aufmerksam, daß ihnen morgen ein jedenfalls scharfer und auch langer Ritt bevorstehe, und brachte sie soweit, daß sie, die sich stündlich ablösenden Wachen natürlich abgerechnet, sich zur Ruhe legten.

Die Nacht verging, ohne daß die Roten wagten, das Pueblo zu verlassen und einen Angriff zu versuchen. Als der Tag graute, sah man, daß sie sich auf die oberen Plattformen zurückgezogen hatten. Die Mehrzahl von ihnen schlief, wurde aber, sobald es nur einigermaßen hell geworden war, von den Wächtern, welche auch sie ausgestellt hatten, geweckt. Sie versammelten sich oben und warfen den Weißen, welche sich ebenso vom Schlafe erhoben hatten, drohende Reden herab. Daß ihr Häuptling sich als Gefangener bei diesen befand, konnten sie nicht erkennen.

Winnetou und Old Shatterhand waren entschlossen, sich auf keine langen Verhandlungen einzulassen. Man durfte keine Zeit verlieren, wenn es gelingen sollte, den Ölprinzen noch rechtzeitig einzuholen. Darum begaben sich beide zu Ka Maku, um mit ihm zu reden. Die andern bildeten einen Kreis um sie, um zuzuhören, oder, was diejenigen betraf, die das Gespräch nicht verstehen konnten, wenigstens zuzusehen. Da Winnetou sich lieber schweigend verhielt und nur dann zu sprechen pflegte, wenn es nicht unterlassen werden durfte, ergriff Old Shatterhand das Wort:

„Ka Maku sieht wohl, daß alle seine Gefangenen sich in Freiheit befinden?“

Der Häuptling antwortete nicht; darum ermahnte ihn der Westmann in drohendem Tone:

„Ich pflege nicht gern in den Wind zu reden. Du sollst so mild wie möglich behandelt werden. Antwortest du nicht, so hast du es nur dir zuzuschreiben, wenn wir nur die Rache gelten lassen. Beantworte also meine Frage!“

„Ich sehe, daß sie frei sind,“ knurrte er ingrimmig.

„Und daß deine Krieger nun unsre Gefangenen sind?“

„Das sehe ich nicht.“

„Nicht? Kann einer von ihnen das Pueblo verlassen, wenn wir es nicht wollen? Wir brauchen nicht einmal zu dulden, daß sie auf den Dächern stehen. Unsre Gewehre tragen bis zur obersten Terrasse, und wir können sie alle zwingen, in das Innere der Stockwerke zu flüchten. Wo nehmen sie zu essen und zu trinken her? Sie dürfen nicht dorthin herab, wo der Brunnen ist und die Vorräte liegen. Außerdem haben wir dich und deine drei Gefährten fest. Was meinst du wohl, was wir mit euch vornehmen werden?“

„Nichts!“

„Ah, wirklich?“

„Ja, denn es ist keinem von euch ein Leid geschehen.“

„Das haben sie nicht euch, sondern Winnetou und mir zu verdanken. Ihr hattet es anders mit ihnen vor. Ich will es kurz mit dir machen. Es fehlen ihnen noch viele Sachen, welche sich im Pueblo befinden. Wenn ihnen alles, was verloren gegangen ist, ersetzt wird, geben wir euch frei und reiten fort; weigerst du dich aber dessen, so wirst du erschossen, und wir verbrennen deine Skalplocke, daß du in den ewigen Jagdgründen ohne sie erscheinen mußt. Ebenso wird es deinen drei Mitgefangenen ergehen. Entscheide dich! Sieh, eben jetzt geht die Sonne auf. Wenn sie eine Hand breit über dem Horizonte steht, will ich deine Antwort haben. Länger warte ich nicht. Ich habe gesprochen!“

Er stand auf und ging mit Winnetou fort, zum Zeichen, daß er kein weiteres Wort verlieren wolle. Ka Maku starrte finster vor sich hin. Er kannte die Humanität seiner Sieger und glaubte nicht, daß sie ihre Drohung wahr machen würden. Die ganze Beute hergeben, das schien ihm zu viel verlangt. Als die Sonne soweit, wie angegeben, vorgerückt war, kamen die beiden zurück, und Old Shatterhand fragte:

„Was hat Ka Maku beschlossen? Soll die Ersetzung stattfinden?“

„Nein!“ stieß er hervor.

Well! Ich habe dir gesagt, daß ich gesprochen habe; wir sind fertig. Schafft die Kerls fort, nach jenem Felsen hinüber; schneidet ihnen die Skalplocken ab und gebt nachher jedem eine Kugel in den Kopf! Ich habe keine Lust, meine Worte unnötig zu verlieren.“

Sam, Dick und Will, Frank und Droll griffen zu und schleppten die vier Roten nach dem bezeichneten Felsen. Ein Indianer, welcher ohne Skalplocke stirbt und begraben wird, geht der Freuden der ewigen Jagdgründe verloren. Darum schrie der Häuptling, als Hawkens mit der Linken ihn an der Locke ergriff und mit der Rechten das Messer schwang:

„Halt, halt! Ihr sollt alles haben!“

„Gut!“ nickte Old Shatterhand. „Es war grad die höchste Zeit; widerrufe aber ja nicht, denn dann gibt es keine Gnade! Ich verlange, daß alles, bis auf den geringsten Gegenstand, ausgeliefert wird. Eure Squaws mögen uns diese Sachen heraus- und herunterbringen; sollten Männer es wagen, zu erscheinen, würden wir sie niederschießen. Bist du einverstanden?“

„Ja,“ knirschte Ka Maku.

„So mag dieser Mann hier es den Deinen melden; aber wenn die Auslieferung nicht binnen fünf Minuten beginnt, bist du verloren!“

Er deutete auf einen der Gefangenen; es wurden ihm die Fesseln abgenommen, und dann erhielt er eine Leiter, um auf das Pueblo zu steigen. Erst durch ihn erfuhren die Indianer, daß ihr Häuptling gefangen war. Sie erhoben ein großes Geheul und rannten unter drohenden Gebärden oben hin und her, doch schien der Bote ihnen ernstlich zuzusprechen, und nach den festgesetzten fünf Minuten kamen schon die ersten Squaws mit Lasten herabgestiegen, die sie unten abgaben. Jeder Beraubte nahm das in Empfang, was ihm gehörte und gab an, was ihm noch fehlte. Es wurde scharf darauf gedrungen, daß selbst der kleinste Gegenstand zurückerstattet wurde; das machte freilich viele Mühe, endlich aber war doch alles vorhanden und verteilt. Darum rief der Häuptling:

„Es ist geschehen, was ihr wolltet. Nun bindet mich los und packt euch fort!“

„Du irrst,“ antwortete Old Shatterhand ihm ruhig, „ihr habt noch nicht alles ersetzt.“

„Was verlangst du noch?“

„Die Zeit, die uns verloren gegangen ist.“

„Kann ich euch Zeit geben, Stunden schenken?“ erwiderte Ka Maku.

„Ja. Wir haben alle deinetwegen eine kostbare Zeit verloren, die wir unbedingt wieder einbringen müssen. Das ist mit den schlechten Pferden, welche einige von uns besitzen, nicht möglich. Ich habe gesehen, daß ihr in eurem Corral sehr schöne Tiere habt; wir werden unsre schlechten gegen eure guten umtauschen.“

„Wage das!“ rief Ka Maku, indem seine Augen zornig blitzten.

Pshaw! Was ist dabei zu wagen? Du glaubst doch nicht etwa, daß ich mich vor dir fürchte! Wer kann es uns verwehren, den Tausch vorzunehmen? Du bist in unsrer Gewalt, und deine Krieger dürfen sich nicht herunter wagen, um uns zu hindern. Unsre Gewehre tragen weiter als die ihrigen; wir würden sie treffen, nicht aber sie uns; das wissen sie recht gut und werden sich also hüten, uns nahe zu kommen.“

„Es würde ein Raub, ein Diebstahl sein!“

„Nur Vergeltung! Ihr seid Diebe; wir aber strafen euch. Sollt ihr alle diese Leute umsonst gefangen genommen und beraubt haben? Man muß euch zeigen, daß der Unehrliche stets dem Ehrlichen unterliegt. Also, dein Widerstreben hilft dir nichts. Winnetou, Sam Hawkens und Droll mögen kommen, um mit mir die Pferde auszulesen!“

Er ging mit den drei Genannten nach dem Corral. Der Häuptling geriet in große Wut; er bäumte sich unter seinen Fesseln und gebärdete sich, als ob er den Verstand verloren hätte. Da trat Frau Rosalie zu ihm und fuhr ihn zornig an:

„Willste gleich schtille sein, du Schreihals ewiger, du! Was biste denn eegentlich? Een Häuptling willste sein? Wennste denkst, daß ich das gloobe, da kommste schöne an! Een Lump biste, een langfingriger Galgenschtrick. Verschtehste mich? Klappse sollteste kriegen, Haue, tüchtige Prügel! Eingeschperrt haste uns, uns arme Würmer! Und nu, da das gerechte Schtrafgericht über dich kommt, wie der Pfeffer off die Suppe, da thuste grad, als obste die reene Unschuld wärscht. Nimm dich in acht und komm‘ mir nich etwa ‚mal in meine Hände; ich reiß dir die Haare alle eenzeln ‚raus! So, jetzt weeste, woran du bist und mit wem du es zu thun hast. Bessere dich! jetzt is es vielleicht noch Zeit. Sonst kriegst du’s noch mit der Polizei und dem Schangdarm zu thun!“

Sie warf ihm noch einen vernichtenden Blick zu und wendete sich dann von ihm ab. Ihre Worte blieben nicht ohne Wirkung, obgleich er keins derselben verstanden hatte. Desto verständlicher war ihm ihr Ton gewesen. Er sah ihr ganz erstaunt nach und schwieg, schwieg selbst dann, als kurze Zeit darauf die Pferde aus dem Corral gelassen und gesattelt wurden. Es befanden sich seine besten dabei. Aber wenn er auch nichts sagte, seine Blicke redeten um so deutlicher. Es war ihnen anzusehen, daß er auf Rache sann.

Als die auf den obern Stockwerken befindlichen Roten sahen, daß die Weißen aufbrechen wollten, kamen sie mit Hilfe der ihnen gebliebenen Leitern herabgestiegen. Sie glaubten, dies wagen zu können, weil die Bleichgesichter aufgehört hatten, eine drohende Haltung zu zeigen. Hätte man ihnen den Willen gelassen, so wäre kein ruhiger Abzug möglich gewesen. Darum richtete Old Shatterhand seinen Stutzen auf sie und rief drohend:

„Bleibt oben, sonst schießen wir!“

Da sie dieser Aufforderung nicht Folge leisteten, so gab er zwei Warnungsschüsse ab, doch absichtlich ohne jemand zu treffen. Da erhoben sie ein Geheul und wichen nach oben zurück. Sie waren übrigens den Verhältnissen angemessen sehr gut weggekommen, denn außer den Fackelträgern, welche von Old Shatterhand in die Hände getroffen worden waren, hatte keiner von ihnen eine Verletzung davongetragen; Tote gab es gar nicht. Dennoch sagte der Häuptling zu Old Shatterhand, als dieser das Gewehr absetzte:

„Warum schießest du auf meine Leute? Siehst du nicht, daß sie keine feindlichen Absichten mehr haben?“

„Und hast du nicht gesehen, daß auch meine Absicht eine friedliche war?“ antwortete der Jäger. „Oder glaubst du, ich hätte treffen wollen und doch Fehlschüsse gethan? Wenn ich will, trifft meine Kugel stets; ich habe sie nur warnen wollen.“

„Aber siehst du nicht, daß einige mit verbundenen Händen oben stehen? Sie erheben dieselben, um mir zu zeigen, daß sie verwundet worden sind.“

„Sie mögen es meiner Güte danken, daß ich nur auf ihre Hände, nicht aber auf ihre Köpfe gezielt habe. Eigentlich hättet ihr alle verdient, erschossen zu werden.“

„Nennst du auch das Güte, daß du uns die Pferde weggenommen hast?“

„Allerdings. Es ist das eine Strafe, mit der ihr sehr zufrieden sein könnt. Eigentlich habt ihr eine viel größere, viel strengere verdient.“

„Das sagt du. Weißt du aber, was ich in Zukunft sagen werde?“

Old Shatterhand machte eine geringschätzige Handbewegung, wendete sich ab und stieg, ohne zu antworten, auf sein Pferd. Die andern waren schon aufgesessen. Da rief Ka Maku, über diese Verachtung entrüstet, ihm zornig nach:

„Ich werde jedem, der zu mir kommt, sagen: Winnetou und Old Shatterhand, die so stolz auf ihre Namen sind, sind unter die Pferdediebe gegangen, und Pferdediebe pflegen gehangen zu werden!“

Der Jäger that, als ob er diese Beleidigung gar nicht gehört habe; aber der kleine Hobble-Frank war so ergrimmt über dieselbe, daß er sein Pferd nahe zu dem Häuptling herantrieb und ihn zornig anfuhr:

„Schweig, Halunke! So een inklusiver Spitzbube, wie du bist, muß froh sein, daß er nich selber an eenem kapitularen Schtricke offgehängt worden is. Dir wäre noch besser, du würdest mit eenem Mühlschteen am Halse ersäuft im Indischen Ozean, da wo er am tiefsten is. Da haste meine Meenung, nu adjes!“

Er wendete sein Pferd und ritt davon, leider ohne sich zu sagen, daß Ka Maku diese deutsche Strafrede gar nicht verstanden haben konnte.

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Am Petroleumsee

Am Petroleumsee

Wenn das Kriegsbeil zwischen zwei Indianerstämmen ausgegraben ist, was so viel heißt, daß nun auf Tod und Leben zwischen ihnen gekämpft werden soll, dann werden zunächst und vor allen Dingen von beiden Seiten Kundschafter ausgeschickt, welche zu erfahren suchen, wo der feindliche Stamm sich gegenwärtig befindet und wie viele erwachsene Krieger er zu stellen vermag. Den jetzigen Aufenthalt zu erkunden, ist deshalb schon notwendig, weil die sogenannten „wilden“ Stämme gar nicht seßhaft sind, sondern, stets umherstreifend, ihren Aufenthaltsort, allerdings innerhalb gewisser Grenzen, je nach ihren Bedürfnissen und Absichten immerwährend verändern.

Damit ist die Aufgabe der Kundschafter aber noch nicht erfüllt; sie müssen, und das ist das Schwierigere, auch zu erforschen suchen, in welcher Weise der Feind den Krieg zu führen beabsichtigt, ob er gut verproviantiert ist, wenn er aufbricht, welchen Weg er einzuschlagen und an welchem Orte er auf den Gegner zu treffen gedenkt. Dazu gehören erfahrene Männer, welche neben der unbedingt notwendigen Tapferkeit auch die nötige Umsicht, Vorsicht und List besitzen.

In Fällen, welche von keiner großen Bedeutung sind und dabei weniger Gefahr bieten, bedient man sich als Kundschafter jüngerer Krieger, damit dieselben Gelegenheit finden, ihren Mut und ihre Geschicklichkeit zu zeigen und sich einen Namen zu machen. Handelt es sich aber um mehr als das, so werden ältere, bewährte Männer auserwählt; ja, es kann sogar vorkommen, daß der Häuptling selbst auf Kundschaft geht, wenn er die Angelegenheit für dem entsprechend wichtig hält.

Da, wie ganz selbstverständlich, von beiden Seiten Späher ausgesandt werden, so kommt es vor, daß dieselben aufeinander treffen. Dann heißt es, alles aufzubieten, was Verschlagenheit und Kühnheit vermögen, um die feindlichen Kundschafter unschädlich zu machen, also sie zu töten. Wenn das gelingt, so bleibt der Gegner ohne Nachricht, wird also durch den Angriff überrascht und mit größerer Leichtigkeit besiegt.

Es läßt sich da leicht denken, daß bei einem solchen Zusammentreffen der beiderseitigen Späher oft weit mehr List, Gewandtheit und Verwegenheit aufgeboten wird, als bei dem späteren eigentlichen Kampfe. Es geschehen dabei Thaten, deren Erzählung noch später, nach langen Jahren, von Mund zu Munde geht.

Wie schon mehrfach erwähnt, waren gerade in gegenwärtiger Zeit zwischen einigen Stämmen sehr ernste Feindseligkeiten ausgebrochen, nämlich zwischen den Nijoras und den damals nördlich von ihnen hausenden Navajoindianern. Der Chellyarm des Rio Colorado bildete die Grenze zwischen diesen beiden Stämmen. Die Gegend, welche er durchfließt, war also das sehr gefährliche Gebiet, in welchem die Gegner voraussichtlich aufeinander treffen würden, und das also vorher von den Kundschaftern durchspäht werden mußte.

Die Gefährlichkeit dieser Gegend betraf nicht etwa nur die Indianer, sondern auch die Weißen, denn die Erfahrung lehrt, daß, sobald Rote gegeneinander kämpfen, die Bleichgesichter von beiden Seiten als Feinde betrachtet werden. Sie befinden sich dann, um ein Bild zu gebrauchen, wie zwischen den Klingen einer Schere, welche in jedem Augenblicke sich zusammenziehen können.

Das Gloomy-water, nach welchem der Ölprinz wollte, lag am Chellyflusse. Grinley kannte die Gefahr, welche jeden Weißen, der gerade jetzt dorthin wollte, erwartete, glaubte aber, den Ritt doch riskieren zu können, weil er bisher von Angehörigen beider Stämme nie feindlich behandelt worden war. Vielleicht hätte er trotzdem davon abgesehen, wenn er nicht durch die Zeit und die Verhältnisse dazu gedrängt worden wäre. Wenn er seinen Zweck erreichen wollte, mußte er sich beeilen; er durfte den Bankier weder zur Besinnung kommen, noch irgend welchen Umstand eintreten lassen, durch den dieser etwa gewarnt werden konnte.

Was Rollins und seinen Buchhalter betrifft, so hatten diese zwar gehört, daß ein Bruch zwischen den Nijoras und Navajos stattgefunden habe, besaßen aber nicht die nötigen Erfahrungen und Kenntnisse, um zu wissen, was auch ihnen dadurch drohte. Und der Ölprinz hütete sich gar wohl, sie darüber aufzuklären.

Die fünf Männer befanden sich vielleicht noch einen Tagesritt vom Chelly entfernt, als sie, über eine offene, grasige Prairie reitend, welche zuweilen durch Buschwerk unterbrochen wurde, sich plötzlich einem Reiter gegenüber sahen, den sie nicht eher hatten bemerken können, weil sich ein solches Gesträuch zwischen ihm und ihnen befunden hatte. Er war ein Weißer, hatte ein Felleisen hinter sich aufgeschnallt und ritt einen kräftigen indianischen Pony, welchem man es aber ansah, daß er tüchtig angestrengt worden war. Beide Teile blieben überrascht voreinander halten.

„Hallo!“ rief der Fremde. „Das hätten Rote sein sollen!“

„Dann wäre es um Euern Skalp geschehen gewesen,“ antwortete der Ölprinz, wobei er ein erzwungenes Lachen hören ließ, um seine eigene Verlegenheit zu verbergen, denn auch er war über dieses so unerwartete Zusammentreffen erschrocken.

„Oder um die eurigen,“ entgegnete der andre. „Bin nicht der Mann, der sich seine Kopfhaut so leicht über die Ohren ziehen läßt.“

„Auch nicht, wenn fünf gegen einen stehen?“

„Auch dann nicht, wenn es Rote sind. Habe noch mehr gegen mich gehabt und meinen Skalp dennoch behalten.“

„So möchte man Respekt vor Euch haben, Sir. Darf man vielleicht wissen, wer Ihr seid?“

„Warum nicht? Brauche mich nicht zu schämen, es zu sagen.“ Und auf das Felleisen hinter sich deutend, erklärte er: „Wundere mich eigentlich über Eure Frage. Ihr scheint keine rechten Westleute zu sein. Müßtet es doch diesem Dinge da ansehen, daß ich Kurier bin.“

Er war also einer jener kühnen Männer, welche, ihr Felleisen mit Briefen und ähnlichen Dingen gefüllt, auf ihren schnellen Pferden furchtlos über die Prairien und Felsenberge ritten. Jetzt freilich trifft man keinen solchen Kurier mehr an.

„Ob wir Westmänner sind oder nicht, geht Euch nichts an,“ gab ihm der Ölprinz zurück. „Euer Felleisen habe ich freilich gesehen, aber ich weiß, daß durch diese Gegend hier noch niemals ein Kurier gekommen ist. Diese Leute pflegen sich doch stets auf der Albuquerque-San Franciscostraße zu halten. Warum seid Ihr von dieser abgewichen?“

Der Mann richtete seine klugen Augen halb verächtlich auf den Fragesteller und antwortete:

„Bin eigentlich nicht verpflichtet, Euch Auskunft zu geben, und habe auch keine Lust, es zu thun, aber da ich sehe, daß Ihr im Begriffe steht, ganz ahnungslos in Euer Verderben zu rennen, sollt Ihr erfahren, daß ich wegen der Navajos und Nijoras von meiner Richtung abgewichen bin. Sie hätte mich gerade durch die Gegend geführt, die ein kluger Mann jetzt am liebsten den Roten überläßt, nämlich durch das Gebiet am Chellyflusse. Wißt Ihr denn nicht, wer sich gerade jetzt dort in den Haaren liegt?“

„Meint Ihr vielleicht der einzige Kluge zu sein, den es hier im Westen gibt?“

Der Ölprinz hätte wohl besser gethan, höflich zu sein, aber der Schreck über die plötzliche Begegnung hatte ihn zornig gemacht, und diesem einzelnen Manne gegenüber hielt er es nicht für nötig, das ihm eigene rücksichtslose Wesen zu verleugnen. Der Kurier blickte prüfend von einem zum andern, ohne die Grobheit, welche er anzuhören bekam, in gleicher Weise zu beantworten, nickte dann leise vor sich hin und sagte, indem er auf den Bankier und den Buchhalter deutete, in ruhigem Tone:

„Ich möchte behaupten, daß wenigstens diese beiden Männer noch nicht viel Blut haben fließen sehen. Wenn Ihr so sehr klug seid, daß Ihr keines Rates bedürft, so will ich wenigstens sie auffordern, vorsichtig zu sein. Vielleicht wissen sie gar nicht, was sie thun und wagen. Es steckt doch kein vernünftiger Mensch den Kopf in eine Presse, welche soeben zugeschraubt werden soll!“

Diese ernsten Worte hatten den Erfolg, daß der Bankier sich erkundigte:

„Was wollt Ihr sagen, Sir? Welche Presse meint Ihr?“

„Die, welche sich da hinter mir am Chelly befindet. Ihr scheint schnurstracks in dieselbe hineinreiten zu wollen. Kehrt um, Mesch’schurs, sonst geratet ihr zwischen die Skalpmesser der beiden Stämme, die einander abschlachten wollen, und was da von euch übrig bleiben wird, das können die Geier und Prairiewölfe fressen. Hört auf mich; ich meine es gut mit euch!“

Ein Blick in sein offenes Gesicht, in seine ehrlichen Augen genügte zu der Überzeugung, daß er die Wahrheit redete. Darum fragte Rollins:

„Meint Ihr wirklich, daß die Gefahr so groß ist?“

„Ja, das meine ich. Habe heut früh Spuren gesehen, welche mir zeigten, daß sich die Kundschafter schon gegenseitig beschleichen. Das ist stets etwas, was sich jeder kluge Mann zur Warnung dienen läßt. Müßt ihr denn unbedingt und gerade jetzt nach dieser Gegend? Könnt ihr diesen unvorsichtigen Ritt nicht aufschieben bis auf bessere, friedlichere Zeiten?“

„Hm, das könnten wir thun. Wenn Ihr behauptet, daß die Gefahr so groß ist, so halte ich es allerdings für besser –“

„Nichts da!“ fiel ihm der Ölprinz in die Rede. „Kennt Ihr diesen Mann hier? Wollt Ihr ihm mehr glauben und vertrauen als uns? Wenn er sich vor einer Spur im Grase fürchtet, so ist das seine Sache, aber nicht die unsrige.“

„Aber Kuriere pflegen erfahrene Leute zu sein; er scheint die Wahrheit zu sprechen, und wenn es sich ums Leben, also um alles handelt, so ist es nicht geraten, tollkühn zu sein. Ob unser Geschäft heut oder einige Tage später zu stande kommt, das macht wohl keinen Unterschied.“

„Es macht einen! Ich habe gar keine Lust, mich ewig hier herumzudrücken, Sir.“

„Ah, es handelt sich um ein Geschäft!“ lächelte der Kurier.

Well, da gehöre ich nicht dazu. Habe meine Pflicht gethan und euch gewarnt; mehr kann man nicht von mir verlangen.“

Bei diesen Worten ergriff er die Zügel, um seinen Pony wieder in Bewegung zu setzen.

„Wir verlangen gar nicht mehr,“ fuhr ihn der Ölprinz an. „Wir haben überhaupt gar nichts von Euch verlangt, und Ihr konntet also Eure Meinung recht gut für Euch behalten. Macht Euch fort von uns!“

Der Kurier ließ sich auch durch dieses Verhalten nicht aus der Fassung bringen, sondern antwortete im Tone eines Lehrers, der seinem Schüler eine Ermahnung gibt:

„So ein Grobian wie Ihr ist mir noch nicht vorgekommen; es reiten doch recht verschiedene Menschen im Westen hin und her!“

Und sich an den Bankier wendend, fuhr er fort:

„Ehe ich dem Befehle dieses großmächtigen Gentleman Gehorsam leiste und mich fort von Euch mache, muß ich Euch noch eins sagen, nämlich: Wenn es sich in dieser Gegend um ein Geschäft handelt, so ist es allemal ein gefährliches, auch in ganz gewöhnlichen, friedlichen Zeiten; wenn es aber selbst unter den gegenwärtigen Verhältnissen keinen Aufschub erleiden darf, so ist es nicht bloß ein gefährliches, sondern geradezu ein verdächtiges. Nehmt Euch also in acht, Sir, daß es Euch dabei nicht an Kopf und Kragen geht!“

Er wollte fort; da zog der Ölprinz sein Messer und schrie ihn an:

„Das war eine Beleidigung, Mensch! Soll ich dir diesen spitzen Stahl zwischen die Rippen geben? Sag noch ein einziges Wort, so thue ich es!“

Da blitzten aber auch schon die Läufe zweier Revolver in den Händen des Kuriers und noch mehr blitzten seine Augen, als er ihm, verächtlich lachend, antwortete:

„Versuch’s doch einmal, my boy! Thu augenblicklich das Messer fort, sonst schieße ich! Hier sind zwölf Kugeln, Mesch’schurs. Wer von euch nur die bloße Hand gegen mich bewegt, dem schieße ich ein Loch durch seine arme Seele. Also fort mit dem Messer, Mensch! Ich zähl‘ bis drei! Eins – – zwei – – –“

Es war ihm anzusehen, daß es ihm ernst war, seine Drohung wahr zu machen; darum ließ es Grinley wohlweislich nicht bis zur Drei kommen, sondern steckte sein Messer ein, ehe sie ausgesprochen wurde.

„So ist’s richtig!“ lachte der Kurier. „Ich wollte Euch auch nicht geraten haben, es darauf ankommen zu lassen. Für heut ist’s genug; aber sollten wir uns vielleicht noch einmal begegnen, so werdet Ihr noch viel mehr von mir lernen!“

Nun ritt er fort und hielt es nicht der Mühe wert, sich einmal umzusehen. Grinley griff nach seinem Gewehre, um es auf ihn zu richten; da legte der Buchhalter ihm die Hand auf den Arm und sagte in beinahe strengem Tone:

„Macht keine weiteren Dummheiten, Sir! Wollt Ihr den Mann erschießen?“

„Keine weiteren Dummheiten?“ wiederholte der Ölprinz Baumgartens Worte. „Habe ich denn schon welche gemacht?“

„Allerdings!“

„Wieso?“

„Eure Grobheit, Euer ganzes Verhalten war eine. Der Mann meinte es offenbar gut mit uns, und ich kann wirklich keinen Grund ersehen, der Euch veranlassen konnte, ihn in solcher Weise zu behandeln!“

Grinley wollte ihm eine zornige Antwort geben, besann sich aber eines andern und erwiderte:

„Bin ich grob gegen ihn gewesen, so seid Ihr es jetzt gegen mich; lassen wir das sich gegenseitig aufheben. Der Kerl war, indem er Euch warnte, ein Hasenfuß.“

„Aber als Ihr mit dem Messer an ihn wolltet, benahm er sich gar nicht wie ein solcher, sondern Ihr waret es, der beigeben mußte!“

„Das ist gar keine Schande. Der Teufel mag ruhig zusehen, wenn ihm zwei sechsfach geladene Läufe auf die Brust gerichtet werden! Doch genug hiervon; reiten wir weiter!“

Buttler und Poller hatten sich während dieser ganzen Scene äußerst ruhig verhalten, doch war ihnen anzusehen, daß sie sich über das Erscheinen und Verhalten des Kuriers, besonders über seine Warnungen, nicht wenig ärgerten. Sie warfen im Weiterreiten ebenso wie der Ölprinz besorgt forschende Blicke auf Rollins und Baumgarten, um an ihren Mienen abzulesen, welchen Eindruck diese Warnungen gemacht hatten.

Die Stimmung war eine ganz andre als vorher; es wurde nicht gesprochen, und jeder schien mit seinen Gedanken zu thun zu haben, bis nach einiger Zeit die Sonne verschwand und ein zum Nachtlager passender Ort gefunden wurde. Um ein Abendessen brauchten sie sich nicht zu sorgen, weil der Ölprinz auf dem Pueblo hinreichend mit Proviant versehen worden war. Sie verzehrten es schweigend, und erst als es völlig dunkel geworden war, fiel das erste Wort aus Baumgartens Munde:

„Brennen wir ein Feuer an?“

„Nein,“ antwortete Grinley.

„Also seid Ihr doch auch besorgt von wegen der Indianer?“

„Besorgt? Nein! Ich kenne diese Gegend und die Roten, die es in derselben gibt, viel besser als der Kurier, der wohl zum erstenmal hierhergekommen ist. Von Sorge oder gar Angst kann keine Rede sein, doch braucht die Vorsicht immerhin nicht vernachlässigt zu werden. Wenn der Mann Spuren gesehen hat, so ist es nicht notwendig, daß sie gerade von Kundschaftern herrühren. Dennoch wollen wir lieber kein Feuer machen. Ihr sollt mir später nicht den Vorwurf machen, etwas unterlassen zu haben, was zu unsrer Sicherheit erforderlich war.“

„Hm!“ brummte der Bankier nachdenklich. „Ihr seid also überzeugt, daß es die Gefahr nicht gibt, von welcher der Kurier sprach?“

„Für uns nicht; darauf könnt Ihr Euch verlassen. Um Euch vollständig zu überzeugen und ganz zu beruhigen, will ich, obgleich es ganz und gar nicht nötig ist, ein Übriges thun und morgen Poller und Buttler voranschicken.“

Die beiden Genannten hatten dies erwartet; sie sagten nichts dazu.

„Warum? Was sollen sie?“ fragte der Bankier.

„Unsre Eclaireurs machen, also voranreiten, um dafür zu sorgen, daß Ihr nicht in Gefahr kommt. Ihr seht also, daß ich allen Möglichkeiten Rechnung trage, und werdet Euch hoffentlich wieder beruhigt fühlen.“

„Schön! Wir brechen also morgen früh nicht alle auf?“

„Nein. Ich bleibe mit Euch und Mr. Baumgarten hier. Nur Buttler und Poller reiten fort. Sie werden scharf aufpassen und, falls sie eine Gefahr für uns entdecken, sofort zurückkehren, um uns zu warnen.“

„Das beruhigt mich, Mr. Grinley. Dieser Kurier hatte mir doch einigermaßen Angst gemacht.“

Er ahnte nicht, daß die Veranstaltung, welche ihn beruhigte, ganz den gegenteiligen Zweck hatte, den Betrug vorzubereiten, welchem er zum Opfer fallen sollte.

Da die beiden Genannten frühzeitig aufbrechen sollten, so wurde das Gespräch nicht fortgesetzt, sondern man legte sich schlafen; je einer mußte wachen; die Reihenfolge ergab, daß Baumgarten die erste und der Bankier die zweite Wache hatte. Als der letztere dann den Ölprinzen, welcher folgte, geweckt und sich niedergelegt hatte, blieb dieser wohl eine halbe Stunde lang unbeweglich sitzen; dann beugte er sich zu dem Bankier und Buchhalter nieder, um zu erfahren, ob sie schliefen. Als er bemerkte, daß ihr Schlaf ein fester war, weckte er Poller und Buttler leise; die drei standen auf und entfernten sich eine Strecke, so weit, daß sie nicht gesehen und gehört werden konnten; sie hatten heimlich miteinander zu reden.

„Dachte es, daß du uns wecken würdest,“ sagte Buttler. „Hol der Teufel den Kurier, der uns leicht das ganze Spiel verderben konnte! Hättest dich übrigens anders verhalten sollen!“

„Willst auch du mir Vorwürfe machen?“ brummte sein Bruder.

„Wunderst du dich darüber? Der Kerl hatte Haare auf den ähnen und hat dich, wie man so sagt, auf der ganzen Linie geschlagen.“

„Oho!“

Pshaw! Gib es nur zu; es ist doch wahr! je erregter du wurdest, desto ruhiger blieb er; schon da war er dir überlegen; diesen Eindruck haben Rollins und Baumgarten unbedingt auch gehabt. Und dann gar die Messergeschichte! Es war eine riesige Blamage, als wir uns nicht rühren durften!“

„Du doch auch nicht!“

„Allerdings nicht. Es reizte mich freilich wohl, dem Kerl die Zähne zu zeigen; aber es war ihm völliger Ernst. Er hätte wahrhaftiglich geschossen. Fünf gegen einen. Was müssen Rollins und Baumgarten von uns denken!“

„Laß sie denken, was sie wollen! Sie haben das erschütterte Vertrauen wiedergefunden. Reden wir von besserem! Ich habe euch die Lage des Petroleumsees genau beschrieben. Getraut ihr euch, ihn zu finden?“

„Unbedingt.“

„Wenn ihr zeitig aufbrecht und durch nichts aufgehalten werdet, seid ihr schon des Nachmittags dort. Die Höhle werdet ihr ebenso leicht finden wie das Gloomy-water?“

„Versteht sich.“

„In ihr findet ihr alles, was nötig ist: die vierzig Fässer Öl, die Werkzeuge und alles andre. Nun merkt wohl auf! Ihr müßt mit der Arbeit sofort, wenn ihr angekommen seid, beginnen, weil es dann längerer Zeit bedarf, die Spuren dieser Arbeit zu verwischen. Ihr rollt die Fässer einzeln bis hart an das Wasser und schafft sie, wenn das Petroleum in den See gelaufen ist, wieder in die Höhle. Den Eingang zu dieser verschließt ihr gerade in derselben Weise, wie ihr ihn findet; er darf selbst für das schärfste Auge nicht zu entdecken sein. Dann löscht ihr alle Spuren aus, welche durch das Rollen der Fässer entstanden sind. Hoffentlich werdet ihr mit dem allen bis zum Abende fertig.“

„Wenn die Arbeit am See beendet ist, was dann?“ fragte Buttler.

„Dann schlaft ihr aus und reitet uns am nächsten Morgen entgegen, um uns zu sagen, daß ihr den See gefunden habt und der Weg dorthin ganz ungefährlich ist. Dabei ist die Hauptsache, daß ihr euch ganz begeistert über den Petroleumfund zeigt.“

„Daran soll es nicht fehlen, Wollen schon dafür sorgen, daß die beiden von unsrer Begeisterung angesteckt werden. Du thust hoffentlich dann auch deine Pflicht!“

„Natürlich!“

„Wieviel war es, was du geben wolltest?“

„Ihr bekommt miteinander fünfzigtausend Dollar, in welche ihr euch teilt,“

Bei diesen Worten ergriff er die Hand seines Bruders, und drückte sie, zum Zeichen, daß dieses Versprechen nur eine Lockspeise für Poller sein solle. Für diesen war ja nicht das Geld, sondern das Messer oder eine Kugel bestimmt. Poller ahnte dies nicht, traute den beiden Betrügern und rief freudig, aber in ganz leisem Tone aus.

„Fünfzigtausend, die wir teilen! So bekomme ich also fünfundzwanzigtausend?“

„Ja,“ nickte Grinley.

„Das ist herrlich! Ich gehöre Euch mit Leib und Seele! Wenn man es nur sofort und bar haben könnte!“

„Leider ist das unmöglich. Er zahlt ja in Anweisungen auf Frisco.“

„Wir reiten also dann alle drei nach San Franzisco?“

„Alle drei.“

„Na, diesen Weg will ich ganz gern machen. Für fünfundzwanzigtausend Dollar reitet man gern noch viel weiter.“

Well! Nun noch eine Ermahnung. Ich bin wegen der Indianer keineswegs so ruhig, wie ich mich gestellt habe. Nehmt euch in acht; laßt euch nicht sehen, damit ihr ganz gewiß zum Gloomy-water kommt und die Vorbereitungen treffen könnt. Es wäre ja entsetzlich, wenn ich mit den beiden dort anlangte, und es wäre nur pures Wasser zu sehen.“

„Das kann gar nicht stattfinden,“ meinte Buttler.

„Gar wohl, wenn ihr nicht vorsichtig seid.“

„Nein, denn wenn uns etwas passierte, würden und könnten wir euch nicht entgegenkommen, und daraus müßtest du doch ersehen, daß die Sache nicht in Ordnung ist.“

„Das ist richtig. In diesem Falle würde ich mich dann hüten, die beiden nach dem See zu führen.“

„Was würdet ihr dann thun?“

„Natürlich nach euch forschen, um euch beizustehen, wenn es nötig ist.“

„Das hoffen wir. Du bist uns nötig, grad ebenso, wie wir dich brauchen. Keiner darf den andern sitzen lassen. Nun aber wollen wir wieder zum Lager zurück. Die beiden könnten, wenn einer von ihnen aufwacht und uns vermißt, Verdacht schöpfen.“

Als sie zu Rollins und Baumgarten kamen, fanden sie, daß diese noch fest schliefen, und ließen sich leise bei ihnen nieder. Die Nacht verging ohne Störung, und als der Morgen anbrach, traten Buttler und Poller ihren Tagemarsch an.

Rollins und Baumgarten hatten geglaubt, daß diese zwei nur eine gewisse Strecke voranzureiten und sie ihnen dann zu folgen hätten, doch der Ölprinz belehrte sie eines andern:

„Das würde unklug und unzulänglich sein. Sie gehen als Späher, haben sich also überall umzusehen und müssen langsam reiten; wir würden sie also bald einholen und wären gezwungen, wieder und wieder zurückzubleiben. Da ist es doch entschieden besser, daß wir ihnen Zeit lassen, den ganzen Weg zu machen und den Weg in einem ununterbrochenen Ritte auszukundschaften.“

„Und wann folgen wir?“

„Morgen früh.“

„So spät!“

„Es ist das nicht zu spät. Ihr habt ja selbst verlangt, daß keine Vorsicht versäumt werden möge. Treffen die beiden unterwegs Feinde, so kehren sie zurück, um es uns zu melden. Kommen sie bis heute abend nicht wieder, so ist das ein sicheres Zeichen, daß wir nichts zu befürchten haben, denn es ist ihnen nichts aufgestoßen. Dann können wir morgen, nachdem unsre Pferde sich heute gut ausgeruht haben, die Strecke bis zum Ziele mit doppelter Schnelligkeit zurücklegen.“

Das leuchtete ihnen ein, da sie keine Erfahrungen besaßen und also Grinley, ohne ihn zu kritisieren, für alles sorgen ließen.

Der Tag verging, und es wurde Abend, ohne daß Buttler und Poller zurückkehrten, was die drei Zurückgebliebenen in eine heitere, zuversichtliche Stimmung versetzte. Der Bankier konnte während der ganzen Nacht nicht einen Augenblick lang schlafen; er befand sich in fieberhafter Aufregung. Also morgen, morgen war der große Tag, an dem er das größte und bedeutendste Geschäft seines Lebens abzuschließen hatte, ein so glänzendes Geschäft, wie es ihm in keinem Traum vorgekommen war! Ölprinz sollte er werden, Besitzer einer unerschöpflichen Petroleumquelle! Sein Name sollte neben den Namen der größten Millionäre genannt werden; ja, er würde wohl in kurzer Zeit zu den berühmten sogenannten „Vierhundert“ von New York gehören! Das ließ ihm keine Ruhe. Er hatte, als der Tag graute, wohl kaum einen Versuch gemacht, die Augen zu schließen, und weckte Grinley und Baumgarten, um sie zum Aufbruche zu mahnen.

Sie waren gern bereit dazu, und als die Sonne am Horizonte erschien, hatten sie mit ihren ausgeruhten Pferden schon einige Meilen zurückgelegt.

Die Gegend, durch welche sie kamen, war bergig; die Höhen trugen dichte Wälder, und die Thäler hatten sich mit saftigem Grase geschmückt. In dem letzteren fanden sie von Zeit zu Zeit die Fährte ihrer vorangerittenen Gefährten. Es wurde Mittag, wo den Pferden eine Ruhestunde gegönnt werden mußte.

„Wir werden bald einen dazu passenden Ort finden,“ sagte der Ölprinz, „einen tiefen Thalkessel, dessen Sohle die Sonne auf der südlichen Seite nicht treffen kann. Dort ist es kühl. In einer Viertelstunde sind wir dort.“

Sie befanden sich jetzt auf einer ziemlich steil ansteigenden Lehne; als sie dieselbe hinter sich hatten, senkte sich das mit Nadelbäumen bestandene Terrain so schnell abwärts, daß sie absteigen und ihre Pferde führen mußten, um sie zu schonen.

„Nun noch zweihundert Schritte,“ sagte Grinley, „dann seht ihr das Thal gerade vor euch liegen. Es ist nicht groß, und mitten in demselben liegt ein riesiger Felsblock, neben welchem eine mehrhundertjährige Blutbuche steht.“

Als sie diese Entfernung zurückgelegt hatten, blieben seine Begleiter halten, ganz überrascht von dem Anblicke, welcher sich ihnen bot. Gerade vor ihren Füßen senkte sich das Gestein beinahe lotrecht abwärts; sie standen am Rande des Thalkessels, welcher von hohen Felswänden eingeschlossen wurde, aber zwei schmale Ausgänge hatte. Sie befanden sich auf einer, einem Altane gleichenden niedrigen Stelle der Westwand. Der eine Eingang lag an der Süd- und der andre an der Nordseite. Der Felsenteil, welcher den Altan trug, trat ziemlich weit in das Thal hinein, so daß der Steinblock, von welchem der Ölprinz vorhin gesprochen hatte, gar nicht weit von ihnen lag. Die Blutbuche neben ihm war ein Baum von solch schönem Baue, daß sein Anblick einen Maler in Entzücken versetzt hätte.

„Welch herrlicher Baum!“ rief Baumgarten aus. „So einen – – –“

„Pst!“ warnte ihn da Grinley, indem er ihn am Arme faßte. „Still! Wir sind nicht allein hier. Seht Ihr die beiden Indianer dort an der Nordseite des Felsblockes? jenseits desselben scheinen ihre Pferde zu grasen.“

Es war so. Zwei Indianer saßen am Felsen, da, wo er Schatten warf. Dort waren sie vor den heißen Strahlen der Sonne geschützt. Sie waren mit den Kriegsfarben bemalt, so daß man ihre Züge nicht zu erkennen vermochte. Der eine von ihnen trug zwei weiße Adlerfedern im Schopfe. Und nun erst fiel den drei Beobachtern ein dunkler Strich im Grase auf, welcher beim südlichen Eingange begann und wie eine gerade gezogene Schnur nach dem Felsblock führte.

„Dieser Strich ist die Fährte, welche die beiden Roten gemacht haben,“ erklärte Grinley seinen Begleitern. „Sie sind von Süden her hereingekommen und werden, wenn sie sich ausgeruht haben, nach Norden hinausreiten.“

„Da können wir aber doch nicht weiter, nicht hinab!“ bemerkte der Bankier besorgt. „Seit unsrer Gefangenschaft im Pueblo traue ich keinem Indsman mehr. Wer mögen die beiden sein?“

„Ich kenne sie und weiß sogar den Namen des einen. Es ist Mokaschi, der Häuptling der Nijoras.“

„Was bedeutet dieser Name?“ erkundigte sich der Buchhalter.

„Mokaschi heißt Büffel. Der Häuptling war, als die Bisons noch in großen Herden durch die Savannen und über die Pässe zogen, ein berühmter Büffeljäger. Daher sein Name.“

„Wenn Ihr ihn kennt, so kennt er vielleicht auch Euch?“

„Ja, denn ich bin früher einige Male bei seinem Stamme gewesen.“

„Wie ist er Euch gesinnt?“

„Freundlich, wenigstens früher, und diese Gesinnung wird sich in Friedenszeiten auch nicht ändern. Jetzt aber ist das Beil des Krieges ausgegraben, und da darf man nicht trauen.“

„Hm, was ist da zu thun?“

„Weiß wirklich nicht. Reiten wir vollends hinab, so empfängt er uns vielleicht freundlich, vielleicht auch nicht. Auf alle Fälle aber erfährt er unsre Anwesenheit, die ihm besser verborgen bleiben sollte.“

„Können wir ihm denn nicht auf einem Umwege ausweichen?“

„Allerdings; aber dieser Umweg würde so bedeutend sein, daß wir heut nicht an unsern Petroleumsee gelangten. Noch viel weniger würden wir auf Buttler und Poller treffen, die uns wahrscheinlich entgegengeritten kommen. Es ist wirklich höchst fatal, daß diese beiden Nijoras gerade hier – – -halt,“ unterbrach er sich, „was ist denn das?“

Er sah etwas, was die drei Beobachter in die höchste Spannung versetzen mußte. Es erschienen nämlich am südlichen Eingange, woher die Spur der Nijoras kam, zwei Indianer, nicht beritten, sondern zu Fuße. Auch ihre Gesichter waren mit Kriegsfarben bemalt; der eine von ihnen trug eine Adlerfeder im Haare, war also nicht gerade ein hervorragender Häuptling, mußte sich aber durch seine kriegerischen Eigenschaften ausgezeichnet haben. Bewaffnet waren sie mit Gewehren.

„Sind das auch Nijoras?“ fragte Rollins.

„Nein, sondern Navajos,“ antwortete der Ölprinz leise, als ob die Roten ihn hören könnten.

„Kennt Ihr sie vielleicht?“

„Nein. Der mit der Feder ist ein noch junger Krieger, welcher diese Auszeichnung jedenfalls erst nach der Zeit, in welcher ich zum letzten Male bei den Navajos war, erhalten hat.“

„Alle Donner! Sie legen sich ins Gras. Warum thun sie das?“

„Erratet ihr das nicht? Sie sind ja Feinde der Nijoras. Hier treffen Kundschafter beider Stämme zusammen. Das gibt Blut! Die Navajos sind auf die Spur der Nijoras gestoßen und ihnen heimlich gefolgt bis hier ins Thal herein. Paßt auf, was geschehen wird!“

Er zitterte vor Aufregung, und seinen beiden Begleitern ging es ebenso; der Platz, auf welchem sie standen, lag so, daß sie den Vorgang beobachten konnten, ohne gesehen zu werden.

Die zwei Navajos krochen langsam auf den Spitzen der Hände und Füße auf der Fährte der Nijoras nach dem Felsenblocke hin.

„Alle Teufel!“ meinte der Ölprinz. „Mokaschi und sein Begleiter sind verloren, wenn sie nur noch eine Minute sitzen bleiben!“

„Herrgott!“ fragte der aufgeregte Buchhalter. „Können wir die Blutthat nicht verhüten?“

„Nein, nein – – und – – aber – – ja,“ antwortete Grinley mit fliegendem Atem –- „benutzen müssen wir die Sache.“

Die beiden Navajos befanden sich noch zehn Schritte vom Felsblocke entfernt. Erreichten sie ihn, so war es um die Nijoras, welche hinterrücks überfallen wurden, geschehen.

„Benutzen? Wieso?“ erkundigte sich der Bankier, der kaum zu atmen wagte.

„Sollt es sofort sehen.“

Er nahm sein Doppelgewehr mit einer schnellen Bewegung vom Sattel und legte es an.

„Um Gottes willen, Ihr wollt doch nicht etwa schießen!“ wollte Baumgarten ihm sein Vorhaben vereiteln, aber da krachte auch schon der erste Schuß und eine Sekunde später der zweite. Der eine Navajo, welcher die Feder trug, wurde vom ersten Schusse in den Kopf getroffen und war sofort tot; den andern erreichte die zweite Kugel; er that einen Satz in die Luft, noch einen und brach dann zusammen.

„Herr, mein Gott! Ihr habt sie erschossen!“ schrie Rollins vor Entsetzen laut auf.

„Zu meinem und Eurem Nutzen,“ antwortete der Ölprinz in kaltem Tone, indem er das Gewehr absetzte und auf dem Felsen soweit vortrat, daß er von unten gesehen werden konnte.

Der Erfolg der beiden Schüsse auf die Nijoras war ein blitzschneller. Sie sprangen im ersten Schrecke aus ihrer sitzenden Stellung auf, warfen sich aber sofort wieder nieder, platt ins Gras, um ein so wenig wie möglich sichtbares Ziel zu bieten. Sie glaubten, die Schüsse seien auf sie gerichtet gewesen, denn sie konnten, da der Felsblock dazwischen lag, die beiden toten Navajos nicht liegen sehen. Da sie sich aber den, welcher geschossen hatte, hinter diesem Blocke dachten, so krochen sie langsam und vorsichtig am Fuße desselben hin, um die eine Ecke zu erreichen, von wo aus sie dann den oder die Schützen zu bemerken hofften. Da rief der Ölprinz von seinem Altane herab:

„Mokaschi, der Häuptling der Nijoras, darf sich unbedenklich aufrichten; er braucht sich nicht zu verstecken, denn seine Feinde sind tot.“

Mokaschi richtete den Blick zu ihm empor, stieß, als er ihn sah, einen Ruf der Überraschung aus und fragte:

„Uff! Wer hat geschossen?“

„Ich.“

„Auf wen?“

„Auf die zwei Navajos.“

„Wo?“

„Hinter Eurem Felsen. Geht hin! Sie sind tot.“

Aber der vorsichtige Rote folgte dieser Aufforderung keineswegs sofort, sondern er kroch weiter, bis zur Ecke hin und lugte hinter derselben hervor, erst im höchsten Grade vorsichtig; dann hob er den Kopf immer höher, zog sein Messer, um auf alles vorbereitet zu sein, und sprang mit zwei, drei schnellen Sätzen zu den Leichen hin. Als er sah, daß kein Leben mehr in ihnen war, richtete er sich auf und rief dem Ölprinzen zu:

„Du hast recht; sie sind tot. Komm herab!“

„Ich bin nicht allein; es sind noch Männer bei mir.“

„Bleichgesichter?“

„Ja.“

„Wie viele?“

„Zwei.“

„Bring sie mit!“

„Wollen wir ihm den Willen thun?“ fragte Rollins den Ölprinzen.

„Natürlich,“ antwortete dieser.

„Hat das keine Gefahr?“

„Nun nicht die geringste. Ich habe den beiden Nijoras das Leben gerettet, und sie sind uns also zum größten Dank verpflichtet.“

„Aber, Sir, es ist ein Mord, ein Doppelmord!“

Pshaw! Laßt Euch das nicht anfechten. Zwei Indianer mußten auf alle Fälle sterben. Sagte oder that ich nichts, so traf es die Nijoras. Rief ich ihnen eine Warnung zu, so gab es einen Kampf zwischen Vieren, den wohl schwerlich einer von ihnen überlebt hätte. Die Vier hätten einander zerfleischt. Da habe ich das schwarze Los den beiden Navajos zugeworfen und mir dadurch die Dankbarkeit und Freundschaft Mokaschis erworben. Jetzt brauchen wir keine Sorge mehr zu haben. Unser Petroleumunternehmen muß gelingen, denn die Nijoras werden uns beschützen. Also kommt und folgt mir getrost!“

Sie thaten dies, konnten sich aber eines Grauens vor diesem Manne nicht erwehren, der um eines Vorteiles willen zweien Menschen, die ihm nichts gethan, so schlanker Weise das Leben genommen hatte. Ihr Weg führte sie außerhalb des Thales bis zum südlichen Eingang desselben nieder. Als sie durch denselben passierten, sahen sie nicht, daß hinter einem Gebüsch zwei funkelnde Augen auf sie gerichtet waren. Sie verschwanden hinter dem engen Durchlasse, und nun richtete sich ein Roter hinter dem Gesträuch auf und knirschte.

„Uff! Der Alte war der Mörder! Ich konnte meinen Brüdern nicht helfen, aber ich werde sie rächen. Man wird nach unsern Spuren forschen, mich aber nicht finden.“

Sich wieder niederduckend, verschwand er im Gesträuch. Er war ein Navajo. Jedenfalls hatte er als Sicherheitsposten hier bleiben müssen, während seine unglücklichen Gefährten in das Thal gedrungen waren.

Der Ölprinz ritt mit Rollins und Baumgarten getrosten Mutes auf den Häuptling zu, der sie an dem Felsblocke erwartete. Mokaschi hatte vorhin Grinleys Gesicht der Entfernung wegen nicht deutlich erkennen können; jetzt, als er es in der Nähe sah, zog sich seine Stirn unter den Querstrichen der Kriegsfarben finster zusammen.

„Wo kommen die drei Bleichgesichter her?“ fragte er.

Der Ölprinz hatte einen weit freundlichern Empfang erwartet; er antwortete enttäuscht, indem er vom Pferde stieg, was auch seine Begleiter thaten.

„Unser Pfad hat am Rio Gila begonnen.“

„Wo wird er denn enden?“

„Am Wasser des Chelly.“

„Seid ihr allein?“

„Ja.“

„Kommen noch mehr der Bleichgesichter nach?“

„Nein. Und wenn welche kommen sollten, so sind sie nicht Freunde von uns.“

„Wißt ihr, daß die Pfeife des Friedens von uns zerbrochen worden ist?“

„Ja,“

„Und dennoch wagt ihr euch hierher?“

„Eure Feindschaft ist doch nur gegen die Navajos, nicht aber gegen die Weißen gerichtet!“

„Die Bleichgesichter sind schlimmer als die Hunde der Navajos. Als es noch keine Weißen gab, herrschte Frieden unter allen roten Männern. Nur den Bleichgesichtern haben wir es zu verdanken, daß der Tomahawk unser Leben frißt. Sie werden nicht geschont.“

„Willst du damit sagen, daß ihr unsre Feinde seid?“

„Ja, eure Todfeinde.“

„Und doch habt ihr beide meinen zwei Kugeln euer Leben zu verdanken! Wollt ihr uns dafür am Marterfeuer braten?“

Über das Gesicht des Häuptlings zuckte ein verächtliches Lächeln, als er hierauf antwortete:

„Du sprichst vom Marterfeuer, als befändest du dich bereits in unsrer Gewalt, und doch sind wir nur zu zweien, während ihr zu dreien seid. Du scheinst den Mut eines Frosches zu haben, welcher der Schlange in den Rachen springt, wenn sie den Blick auf ihn richtet.“

Dieses beleidigende Verhalten war jedenfalls nicht bloß eine Folge der jetzt herrschenden feindseligen Verhältnisse. Sehr wahrscheinlich war das Ansehen Grinleys schon früher ein ganz andres bei den Nijoras gewesen, als er seinen Begleitern gesagt hatte. Er fühlte, daß sie unbedingt auf diesen Gedanken kommen mußten und wollte dem entgegenwirken, indem er fragte:

„Mokaschi, der tapfere Häuptling, kennt mich wohl nicht mehr?“

„Mein Auge hat noch nie ein Gesicht vergessen, selbst wenn es dasselbe nur ein einziges Mal und kurz zu sehen bekam.“

„Ich habe den Kriegern der Nijoras nie ein Leid gethan!“

„Uff! Warum sprichst du so? Hättest du einen meiner Krieger nur mit einer Bewegung der Fingerspitze gekränkt, so lebtest du nicht mehr.“

„Warum trittst du denn so feindlich gegen mich auf? Ist dein Leben so wenig wert, daß du den Retter desselben nicht einmal willkommen heißest?“

„Sag mir erst, wann du die Navajos, welche du vorhin tötetest, gesehen und wie lange du sie verfolgt hast!“

„Ich sah sie zwei Minuten, bevor ich sie erschoß, um dich zu retten.“

„Was hatten sie dir gethan?“

„Nichts.“

„Du hattest keine Rache gegen sie?“

„Nein.“

„Und doch hast du sie getötet!“

„Nur um dich zu retten!“

„Hund!“ donnerte da Mokaschi, indem seine Augen funkelten, den Weißen an. „Es haben mir viele Jäger und Krieger ihr Leben zu verdanken, und ich habe es nicht ein einziges Mal erwähnt, obgleich Jahre darüber vergangen sind. Du aber stehst erst wenige Augenblicke vor mir und hast dich bereits fünfmal meinen Retter genannt. Wenn du so dich selbst bezahlst, darfst du keinen Lohn von mir erwarten. Habe ich verlangt, von dir gerettet zu werden?“

Grinley fühlte sich außerordentlich eingeschüchtert, wagte aber dennoch den Einwurf:

„Nein; aber ohne mich wärest du jetzt tot.“

„Wer sagt dir das? Es ist ein Lüge. Du siehst hier neben dem Felsen unsre Pferde stehen, welche uns die Annäherung jedes fremden Menschen verraten. Eben hörten wir sie schnauben und griffen schon nach unsern Messern, als deine Schüsse fielen. Die Navajos hatten dir nichts gethan. Du hast nicht mit ihnen gekämpft, sondern sie aus dem Hinterhalte erschossen. Du bist kein Krieger, sondern ein Mörder. Dort hegen ihre Leichen. Darf ich mir ihre Skalpe nehmen? Nein, denn sie sind von deinen heimtückischen Kugeln gefallen. Wärest du nicht gekommen, so hätte ich sie, durch das Schnauben unsrer Pferde aufmerksam gemacht, mit dem Messer empfangen und dürfte mich mit ihren Skalplocken schmücken. Kennst du den, in dessen Haar die Feder steckt? Sein Name lautet Khasti-tine, obgleich die Zeit seines Lebens erst zwanzig Sommer und Winter beträgt. Diesen Ehrennamen erhielt er infolge seiner Klugheit und Tapferkeit. Und so einen Krieger hast du gemordet! Und mich hast du um den Ruhm gebracht, ihn besiegt zu haben! Und da verlangst du anstatt Rache Lohn von mir!“

Dem Ölprinzen wurde himmelangst, und seinen Begleitern war es nicht weniger bange. Der Häuptling fuhr fort:

„So wie du sind die Bleichgesichter alle. Wieviel gute gibt es unter ihnen? Auf einen Old Shatterhand, in dessen Herzen die Liebe wohnt, kommen hundertmal hundert andre, welche uns das Verderben bringen. Bleibt hier stehen, bis ich wiederkomme! Wenn ihr es wagt, euch zu entfernen, seid ihr verloren!“

Er gab dem andern Nijora einen Wink und schritt mit ihm, die Fährte sorgfältig untersuchend, neben derselben hin dem Eingange zu, hinter welchem die beiden verschwanden.

„O wehe! Das klang viel, viel anders, als wir erwarteten!“ klagte der Bankier. „Ihr habt uns da eine Suppe eingebrockt, die so dick geraten ist, daß wir, wenn wir sie essen müssen, an ihr ersticken können!“

„Ein Mörder!“ stimmte der Buchhalter bei. „Der Häuptling hatte recht. Warum habt Ihr doch nur geschossen! Dieser Khasti-tine, ein so junges Blut und doch schon so berühmt! Schaudert Euch nicht selber ob dieser That?“

„Schweigt!“ herrschte ihn der Ölprinz an. „Es ist doch so, wie ich sagte; ich habe den Häuptling vom Tode errettet. Das vom Schnauben der Pferde ist Ausrede, ist Lüge!“

„Möchte es bezweifeln. Der Mann sieht genau so aus, als ob er wisse, was er sagt. Standen wir nicht wie Schulbuben vor ihm? Es wird am besten sein, uns aus dem Staub zu machen, ehe er wiederkommt!“

„Wagt das nicht, Mr. Baumgarten! Er scheint noch mehr Krieger in der Nähe zu haben. Wenn wir uns entfernten, würde er sich mit ihnen an unsre Fersen heften, und dann wären wir verloren, während es so noch möglich ist, daß er uns laufen läßt. Warten wir also!“

Es verging über eine Viertelstunde, ehe die Nijoras wiederkamen. Als sie herangekommen waren, sagte Mokaschi:

„Die Rache steht bereits hinter dir, und das Verderben wird dich ereilen, ohne daß ich die Hand an dich lege. Es sind nicht zwei, sondern drei Navajos gewesen. Der dritte hat im Eingange Wache gehalten und wohl alles gesehen, ohne die Mordthat verhindern zu können. Er wird seine Moccassins auf deine Fährte setzen und dir folgen, bis sein Messer dir im Herzen sitzt. Dein Skalp sitzt nicht fester auf deinem Haupte, als ein Regentropfen, den der Wind vom Zweige schüttelt. Ich habe keinen Teil an dir, weder im Guten noch im Bösen. Warum wollt ihr nach dem Chellyflusse? Was sucht ihr dort?“

„Ein Stück Land,“ erklang es kleinlaut aus dem Munde des seiner Sache vorher so sichern Ölprinzen.

„Gehört es dir?“

„Ja.“

„Wer hat es dir geschenkt?“

„Niemand.“

„Und dennoch behauptest du, daß es dir gehöre!“

„Ja. Es ist ein Tomahawk-Improvement.“

„Es thut mir leid, daß ich das hören muß.“

„Warum?“

„Weil das ein Räuber- und Diebeswort ist! Ein Stück Land am Chellyflusse! Es ist dein! Und hier steht Mokaschi, der Häuptling der Nijoras, welche die rechtmäßigen Herren und Besitzer der ganzen Chellygegend sind! Ihr räudigen Hunde! Was würden die Bleichgesichter jenseits des großen Meeres sagen, wenn wir hinüberkämen und behaupteten, daß ihr Land unser sei? Wir aber sollen es uns gefallen lassen, daß sie über uns herfallen und uns alles nehmen! Ein Stück Land am Chellyflusse, welches dir gehört, obgleich du es von uns weder gekauft noch geschenkt erhalten hast! Meine Faust sollte dich niederschlagen, doch ist sie zu stolz, dich zu berühren. Macht euch fort von hier, fort nach dem Landfetzen, nach welchem eure Seelen schreien! Setzt euch darauf und ihr braucht gar nicht lange zu warten, so wird er euch die blutige Ernte bringen!“

Er streckte die Hand gebieterisch nach dem nördlichen Ausgange aus. Sie stiegen schnell auf ihre Pferde und trabten eiligst fort, im tiefsten Herzen froh, den Ort, der ihnen so gefährlich werden konnte, mit heiler Haut verlassen zu dürfen.

Um die Worte und das Verhalten des Häuptlings zu verstehen, muß man wissen, auf welche Weise sich die Weißen in den Besitz von Ländereien zu setzen pflegten. Nach dem sogenannten Heimstättengesetz kann nämlich jedes Familienhaupt und jeder einundzwanzigjährige Mann, welcher entweder Bürger ist oder Bürger werden zu wollen erklärt, eine noch unbesetzte Parzelle Land von 160 Acres ohne alle Bezahlung erwerben; nur muß er sie fünf Jahre lang bewohnen und bebauen. Außerdem wurden Millionen Acres namentlich an die Eisenbahnen verschleudert.

Und was die Tomahawk-Improvements betrifft, so brauchte nach ihnen jemand, um als Eigentümer einer ihm zusagenden Strecke Landes zu gelten, dasselbe nur dadurch als das seinige zu bezeichnen, daß er mit der Axt einige Bäume anhieb, eine Hütte baute und etwas Getreide säete. Was die Indianer, die Herren dieser Ländereien, dazu sagten, darnach wurde nicht gefragt!

Die drei Weißen ritten, als sie das Thal verlassen hatten, eine ganze Weile schweigend nebeneinander durch den lichten Wald. Der Ölprinz fühlte recht wohl, daß er von dem Häuptling der Nijoras weit mehr als von dem Kurier blamiert worden war. Er war wütend über die Behandlung, welche er erfahren hatte, und sann nun darüber nach, wie es ihm gelingen könne, sein bei dem Bankier und dem Buchhalter wohl mehr als wankend gewordenes Ansehen wieder zu befestigen. Dann sagte er, die lange Stille endlich unterbrechend:

„So sind diese roten Halunken! Undankbar im höchsten Grade! Man kann noch so lange in Frieden mit ihnen gelebt und ihnen noch so viele und große Wohlthaten erwiesen haben, eines schönen Tages brechen sie doch die Treue und haben vollständig vergessen, welchen Dank sie einem schuldig sind.“

Yes,“ nickte Rollins. „Das war eine böse Lage, in welcher wir uns befanden. Wir können froh sein, daß wir so mit einem blauen Auge aus derselben entkommen sind. Ich dachte bereits, daß es uns an das Leben gehen würde.“

„Freilich wäre es uns an das Leben gegangen, wenn der Häuptling mir nicht im stillen recht gegeben hätte, weil er doch unbedingt einsehen mußte, daß ich sein Retter war, Es wird mir aber niemals wieder einfallen, einem Indianer Gutes zu erweisen.“

„Richtig! Diese roten Kerls sind es nicht wert, daß man sich ihrer annimmt.“

Aus diesen Worten des Bankiers war zu ersehen, daß er weniger geneigt war, den Ölprinzen wegen seines Verhaltens zu verurteilen. Er gehörte zu jenen echten Yankees, denen ein Menschenleben nichts gilt. Die Gefahr, in welcher er sich befunden hatte, war vorüber und ebenso der Eindruck, welchen die Ermordung der beiden Navajos für den Augenblick auf ihn gemacht hatte. Anders aber bei Baumgarten. Dieser war als Deutscher innerlich ganz anders angelegt; er hielt das Verhalten Grinleys für ein Verbrechen, konnte nicht über die Verurteilung desselben hinüberkommen und fragte daher den Ölprinzen jetzt in ernstem, vorwurfsvollem Tone:

„Habt Ihr denn jemals einem Indianer Gutes erwiesen, Sir?“

„Ich? Welch eine Frage! Hunderte von diesen roten Halunken haben mir ihr Leben zu verdanken, und Tausende haben Fleisch, Brot, Pulver, Blei und noch vieles andre von mir bekommen.“

„Auch die Nijoras?“

„Diese erst recht.“

„Der Häuptling that aber gar nicht so, als ob dies der Fall wäre!“

„Weil er ein undankbarer Schuft ist.“

„Hm! Warum habt Ihr ihn denn nicht daran erinnert?“

„Aus reiner Noblesse, Sir.“

„Unsinn! In einer Lage, wie die war, in welcher wir uns befanden, ist Noblesse die größte Dummheit, die es meiner Ansicht nach geben kann.“

„Das sagt Ihr, weil Ihr den Westen nicht kennt.“

„Meinetwegen! Dennoch würde ich an Eurer Stelle den Häuptling daran erinnert haben, daß er und sein Stamm mir Dankbarkeit schuldeten. Ihr habt keinen Laut hören lassen. Vielleicht leben die Wohlthaten, von denen Ihr redet, nur in Eurem Kopfe.“

„Sir! Wollt Ihr mich beleidigen?“ fuhr da der Ölprinz auf. „Mich vielleicht gar zum Lügner machen?“

„Fällt mir gar nicht ein. Ich sage meine Meinung, und das Recht, dies zu thun, hat wohl jedermann!“

„Ja, wenn er dabei nicht die Ehre eines andern kränkt. Ihr solltet Euch mir gegenüber doch etwas vorsichtiger und rücksichtsvoller ausdrücken!“

„So? Warum das? Warum grad Euch gegenüber?“

„Weil ihr mir nicht nur viel verdanken -werdet, sondern auch schon zu verdanken habt. Ich stehe im Begriffe, euch zu steinreichen Leuten zu machen!“

„Nicht mich, sondern nur Mr. Rollins, und dafür werdet Ihr mehr als gut bezahlt.“

„Ich habe Euch aus der Gefangenschaft im Pueblo errettet!“

„Das mag sein, doch will ich Euch aufrichtig sagen, daß mir, je mehr ich über diese Angelegenheit nachdenke, desto mehr Fragen aufstoßen, die ich mir nicht zu beantworten vermag.“

Grinley warf ihm von der Seite her einen scharf forschenden Blick zu; er wollte zornig auffahren, besann sich aber eines andern und fragte in ruhiger Weise.

„Welche Fragen könnten das wohl sein? Darf ich sie erfahren?“

„Ich halte es nicht für nötig.“

„Nicht? Es ist sehr wahrscheinlich, daß ich sie Euch beantworten könnte.“

„Das ist nicht nur wahrscheinlich, sondern sogar gewiß. Ihr könntet; aber ob Ihr auch würdet, das bezweifle ich.“

„Wenn ich kann, so will ich auch, Sir; darauf könnt Ihr Euch verlassen.“

„Mag sein; dennoch wollen wir nicht weiter davon sprechen. Nur weil Ihr so stark betont, daß wir Euch so viel zu verdanken haben und auch zu verdanken haben werden, will ich Euch sagen, daß wohl noch nicht aller Tage Abend ist.“

„Wie meint Ihr das?“

„Es ist sehr wahrscheinlich, daß wir mit Euch quitt werden, so daß Ihr dann keinen Dank mehr von uns zu fordern habt.“

„Möchte wissen, wie das der Fall sein könnte!“

„Sehr einfach- In Bezug auf das Geschäft, welches abgeschlossen werden soll, habt Ihr keinen Dank zu fordern, denn Ihr werdet bezahlt; das habe ich schon erwähnt. Und daß Ihr uns aus dem Pueblo errettet habt, ist Euch von uns zwar auf das Konto geschrieben worden, doch werden wir diesen Posten vielleicht sehr bald ausstreichen müssen, da Ihr die beiden Navajos erschossen habt.“

„Was geht das dieses Konto an?“

„Fragt doch nicht so, als ob Ihr ein Neuling wärt! Es ist doch keineswegs ausgeschlossen, daß wir den Navajos begegnen.“

„Was wäre das weiter?“

„Sie würden den Tod der beiden Kundschafter rächen.“

Pshaw! Durch diese Behauptung beweist Ihr eben, daß Ihr den Westen gar nicht kennt. Wie wollen sie wissen, was geschehen ist?“

„Wie? Habt Ihr denn nicht gehört, was Mokaschi sagte? Es sind drei Navajos gewesen, nicht bloß zwei. Der dritte wird uns folgen.“

Das Gesicht des Ölprinzen wollte ernst und nachdenklich werden, aber er zwang ein höhnisches Lachen hervor und antwortete.

„Da sieht man, was für ein kluger Kerl Ihr seid! Glaubt Ihr denn, daß Mokaschi da seine wirkliche Meinung gesagt hat?“

„Ja.“

„Wirklich? So muß ich Euch sagen, daß aus Euch niemals ein richtiger Westmann werden könnte. Mokaschi ist auf Kundschaft gegen die Navajos ausgerückt. Daß er das selbst gethan und nicht gewöhnliche Krieger geschickt hat, ist ein Zeichen, daß er der Sache die größte Wichtigkeit beilegt. Er ist auf drei Feinde gestoßen, welche auch Kundschafter sind, und muß alles thun, dieselben unschädlich zu machen. Zwei habe ich erschossen; der dritte lebt noch und hat die Nijoras gesehen. Er wird nicht uns verfolgen, sondern seinen Stamm auf das schleunigste aufsuchen, um zu melden, daß Mokaschi sich hier befindet. Dieser muß das auf alle Fälle zu verhindern suchen; er wird also sich auf die Fährte des Navajo machen, um ihn einzuholen und zu töten. Sehr Ihr das ein oder nicht?“

„Hm!“ brummte Baumgarten. „Vielleicht ist es so, wie Ihr sagt, vielleicht aber auch nicht.“

„Es ist so und nicht anders; das versichere ich Euch und – – –“

Er sprach nicht weiter, sondern hielt sein Pferd an und bückte aufmerksam in die Ferne. Während sie sich jetzt auf einer kleinen, offenen Prairie befanden, war dort der Rand eines Waldes zu sehen. Von diesem dunklen Hintergrunde stachen zwei Reiter ab, welche halten geblieben waren, weil sie die drei auch bemerkt hatten.

„Zwei Männer,“ meinte Grinley. „Es sind, wie es scheint, Weiße. Da ist hundert gegen eins zu wetten, daß wir Buttler und Poller vor uns haben. Drei gegen zwei, da brauchen wir uns nicht zu fürchten. Vorwärts also!“

Sie ritten weiter, auf die andern zu. Als diese das sahen, trieben sie ihre Pferde auch wieder vorwärts. Bald erkannte man sich gegenseitig. Ja, die beiden Genannten waren es. Als sie auf Hörweite herangekommen waren, rief der Ölprinz ihnen zu.

„Ihr seid es? Das ist ein gutes Zeichen. Habt ihr den Weg frei gefunden?“

„Ja,“ antwortete Buttler, „so frei wie im tiefsten Frieden. Wir sind nicht auf die Spur auch nur eines einzigen Indianers gestoßen.“

„Und habt das Gloomy-water gefunden?“

Yes, mit Leichtigkeit.“

„Nun? Und das Öl?“

„Großartig, geradezu großartig!“ antwortete der Gefragte, indem sein Gesicht vor Wonne zu strahlen schien. Er wendete sich an den Bankier und fuhr fort:

„Habt die Güte, uns einmal anzuriechen! Wie findet Ihr unsern Duft? Ist das etwa Rosenöl, Sir?“

Die beiden dufteten infolge der Arbeit, welche sie zu bewältigen gehabt hatten, natürlich sehr stark nach Petroleum. Rollins‘ Züge nahmen sofort einen entzückten Ausdruck an. Er antwortete:

„Rosenöl nun freilich nicht, mir aber grad so lieb, als ob es welches wäre. Wie lange dauert es, Mesch’schurs, bis man ein Pfund Rosenöl beisammen hat! Das Erdöl aber läuft so bereitwillig aus der Erde, daß man täglich Hunderte von Fässern füllen kann. Der Duft, den ihr verbreitet, ist mir weit angenehmer, als alle andern Gerüche der Welt. Meint Ihr das nicht auch, Mr. Baumgarten?“

„Ja,“ nickte dieser, dessen Gesicht nun auch einen heitern, zuversichtlichen Ausdruck angenommen hatte.

Well! Ihr wolltet bis jetzt noch immer nicht recht an die Sache glauben; ich habe Euch das oft angesehen. Gebt Ihr es zu?“

„Will es nicht leugnen, Sir.“

„Aber nun? jetzt wird sich Euer Mißtrauen doch wohl in das Gegenteil verkehren?“

Da fiel der Ölprinz ein:

„Auch ich habe natürlich bemerkt, daß Mr. Baumgarten mir weniger Vertrauen schenkte, bin aber zu stolz gewesen, mich dadurch beleidigt zu fühlen. Jetzt wird er einsehen, daß er einen Ehrenmann vor sich hat, der das Vertrauen wohl verdient, welches er beansprucht hat. Aber bleiben wir nicht hier auf der offenen Prairie halten. Es gibt Indianer da, welche uns leicht bemerken könnten.“

„Indianer?“ fragte Buttler, indem sie vorwärts ritten, dem Walde entgegen, aus welchem er mit Poller gekommen war. „Seid ihr etwa auf welche getroffen?“

„Ja.“

„Alle Wetter! Wann?“

„Vor kurzer Zeit.“

„Was für welche?“

„Nijoras. Sogar der Häuptling derselben.“

„Und gut mit ihnen auseinandergekommen?“

„So leidlich. Hätte schlimmer werden können.“

Er erzählte den Vorgang, und es verstand sich ganz von selbst, daß Buttler und Poller sich mit seinem Verhalten einverstanden erklärten, Mittlerweile erreichten sie den Wald, welcher ihrer Unterhaltung ein Ende bereitete, denn die Bäume desselben standen so dicht, daß man einzeln hintereinander reiten mußte, was dem Bankier gar nicht lieb war, da er darauf brannte, Weiteres und Ausführliches über den Petroleumsee zu erfahren.

Nach einiger Zeit ging das Gehölz zu Ende und es öffnete sich von neuem eine grasige Savanne. Nun konnten sich die Reiter zusammenhalten, und Rollins fragte nach dem Gloomy-water und allen Verhältnissen desselben. Buttler und Poller erfüllten seine Neugierde in einer Weise, welche seine Erwartung noch mehr steigerte und ihn in die größte Aufregung versetzte. Als er behauptete, den Augenblick der Ankunft kaum erwarten zu können, beruhigte ihn Buttler durch die Mitteilung:

„Was das betrifft, so wird Eure Geduld nicht mehr lange auf die Probe gestellt werden, denn wir haben höchstens noch anderthalb Stunden zu reiten.“

„Anderthalb? Und vor einer halben Stunde haben wir euch getroffen; das macht zwei ganze. So habt ihr den Petroleumsee erst seit zwei Stunden verlassen?“

„So ungefähr.“

„Warum nicht eher? Eine Botschaft wie die, welche ihr mir brachtet, kann man nicht früh genug erfahren.“

Diese Frage kam höchst ungelegen, denn er durfte doch nicht erfahren, welche langwierige Arbeit sie am Gloomy-water zu verrichten gehabt hatten, doch Poller brachte sich aus der Verlegenheit, indem er die Auskunft gab:

„Es war unsre Aufgabe, für eure Sicherheit zu sorgen. Dazu gehörte vor allen Dingen auch, daß wir die ganze Umgegend des Sees absuchten. Das war nicht leicht, denn das Terrain ist ein schwieriges, und wir konnten nur langsam verfahren, weil wir vorsichtig sein mußten. Darum sind wir erst vor einigen Stunden fertig geworden.“

„Und ihr habt nichts gefunden, was auf eine Gefahr für uns schließen läßt?“

„Nichts, gar nichts. Ihr braucht nicht die mindeste Sorge zu haben, Sir.“

Rollins fühlte sich nicht nur beruhigt, sondern so froh und zuversichtlich gestimmt, wie noch selten in seinem Leben. An dem Orte, den er in der Zeit von nicht viel über einer Stunde erreichen würde, lag für ihn ein Kapital in der Höhe von vielen, vielen Millionen! Er hätte seine Begleiter alle umarmen mögen, begnügte sich aber damit, seinem Buchhalter die Hand zu drücken und zu ihm zu sagen:

„Endlich, endlich am Ziele! Und endlich, endlich nun aus den Ungewißheiten heraus! Seid Ihr nicht auch darüber froh?“

„Natürlich, Sir,“ lautete die einfache Antwort.

„Natürlich, Sir!“ wiederholte Rollins, indem er mit dem Kopfe schüttelte. „Das klingt so kalt, so teilnahmlos, als ob die Sache Euch gar nichts anginge!“

„Denkt das nicht! Ihr wißt ja, daß ich in allen Euern Angelegenheiten stets so sorge, als ob es die meinigen wären. Ich freue mich auch, pflege aber so etwas gewöhnlich nicht übermäßig laut zu äußern.“

Well, kenne Euch ja, Mr. Baumgarten. Hier aber könnt Ihr schon etwas lauter sein. Habe Euch noch nichts gesagt, doch konntet Ihr wohl denken, daß ich, da ich Euch mitgenommen habe, mit Euch gewisse Absichten verfolge. Ihr sollt an diesem neuen Unternehmen mehr beteiligt sein, als Ihr bis jetzt gedacht habt. Meint Ihr, daß ich die Absicht habe, mit meiner Familie Arkansas zu verlassen und mich hier im wilden Westen anzusiedeln? Kann mir nicht einfallen. Werde zunächst freilich alles thun, was hier nötig ist; mein fester und eigentlicher Wohnsitz aber wird doch unser Brownsville bleiben. Werde Ingenieure anstellen müssen und über ihnen einen geschäftlichen Direktor, auf den ich mich verlassen kann. Wer meint Ihr wohl, wer dieser Mann sein wird?“

Er blickte dabei den Buchhalter mit bezeichnendem Schmunzeln von der Seite an und fuhr, als dieser nicht gleich antwortete, fort:

„Oder habt Ihr die Absicht, auch Zeit Eures Lebens in Brownsville zu bleiben?“

„Über diese Frage nachzudenken, habe ich bisher noch keine Veranlassung gehabt, Mr. Rollins.“

Well, so habt die Güte, jetzt darüber nachzudenken! Wie nun, wenn der Direktor, von welchem ich sprach, Mr. Baumgarten heißen soll?“

Da richtete sich der Deutsche scharf im Sattel auf und fragte:

„Ist das Euer Ernst, Sir?“

Yes! Ihr wißt, daß ich in so wichtigen Angelegenheiten keinen Scherz zu treiben pflege. Die Stelle ist eine verantwortliche und schwierige. Darum würde ich Euch neben dem Gehalte mit an dem Gewinne beteiligen. Wollt Ihr sie annehmen?“

„Von ganzem Herzen gern!“

„So schlagt ein! Hier ist meine Hand.“

Baumgarten gab ihm die seinige und sagte:

„Ich will keine vielen, überflüssigen Worte machen, Mr. Rollins; Ihr kennt mich und wißt, daß ich nicht undankbar bin. Mein größter Wunsch jetzt ist, der Stellung, die ich bekleiden soll, gewachsen zu sein.“

„Das seid Ihr; ich weiß es.“

„Und ich möchte dies weniger zuversichtlich behaupten. Es ist ja wahr, was Mr. Grinley so oft schon ausgesprochen hat: Ich kenne den Westen nicht, und doch gehören solche Leute her, welche Haare auf den Zähnen haben.“

„Werde schon dafür sorgen, daß Ihr solche Kerls ins Werk bekommt.“

„Es wird Kämpfe geben.“

„Kämpfe? Was für welche?“

„Mit den Indianern. Oder meint Ihr, sie werden es sich ruhig gefallen lassen, daß wir uns hier in der Weise, wie ein großartiges Ölunternehmen es mit sich bringt, festnisten?“

„Werden wenig dagegen thun können.“

„Hm! Sie werden behaupten, der Platz gehöre ihnen, und – – –“

„Macht Euch doch keine so unnützen Gedanken!“ fiel ihm da der Ölprinz in die Rede. „Ihr habt doch gehört, was Mokaschi sagte? Nämlich, daß ich getrost zu meinem Landfetzen gehen soll, um ihn in Besitz zu nehmen.“

„Das war wohl kaum sein Ernst.“

„O doch.“

„Schön! Aber gehört die Stelle wirklich den Nijoras? Ist es nicht möglich, daß auch andre Rote, zum Beispiel die Navajos, auf den Besitz derselben Anspruch erheben?“

„Was diese Kerls sagen und behaupten, kann uns höchst gleichgültig sein. Ich habe mein Tomahawk-Improvement, welches ich Euch abtrete. Das Dokument darüber steckt hier in meiner Tasche. Ihr habt es in Brownsville prüfen lassen; es ist für gut, für echt befunden worden und wird Euch gehören, sobald Ihr mir die Anweisung auf San Francisco aushändigt. Ist dies geschehen, so seid Ihr nach den Vereinigten-Staatengesetzen rechtmäßige Besitzer des Gloomy-waters und kein Roter kann Euch von dort vertreiben.“

„Sehr richtig, Sir. Aber wenn die Roten sich nicht nach diesem Vereinigten-Staatengesetze richten?“

„So werden sie dazu gezwungen. Ihr engagiert natürlich nur Leute, die mit der Büchse und dem Messer umzugehen verstehen; das wird den Indsmen Respekt einflößen. Übrigens könnt Ihr versichert sein, daß Euer Etablissement sehr bald eine weiße Bevölkerung anziehen wird, die zahlreich genug ist, nicht nur jeden Angriff siegreich zurückzuschlagen, sondern die Roten ganz aus der Gegend zu verdrängen. Stellt nur erst eure Maschinen auf! Ihr wißt, daß die Maschine die größte und siegreichste Feindin der Indianer ist.“

Damit hatte er recht. Wo der Weiße sich mit den eisernen Händen und Füßen des Dampfes sehen läßt, muß der Rote weichen: das unerbittliche Schicksal will es so. Die Maschine ist eine unüberwindliche Gegnerin, doch nicht so grausam, wie das Gewehr, das Feuerwasser, oder die Blattern und andre Krankheiten, denen zahllose Indianer zum Opfer gefallen sind und noch fallen werden, wie die Bisons der Savanne, die soweit ausgerottet sind, daß nur noch wenige als Rarität in zoologischen Gärten gehalten werden.

Noch vor Ablauf der angegebenen Frist von anderthalb Stunden befanden die fünf Reiter sich zwischen Höhen, welche von dunklen Nadelbäumen dicht bestanden waren. Nur hier und da ließ sich etwas Laubholz sehen, dessen helles Grün den düsteren Eindruck jener minderte. Als Rollins eine Bemerkung darüber machte, meinte der Ölprinz:

„Kommt nur erst zum Gloomy-water. Dort wird es noch finsterer als hier.“

„Ist’s noch weit bis dort?“

„Nein, Die nächste Schlucht führt ans Ziel.“

Bald war die Schlucht erreicht und man bog in dieselbe ein. Zu beiden Seiten stiegen dunkle Felsen hoch empor, an ihren Lehnen und auf ihren Gipfeln schwarze Hölzer tragend. Auf dem Grunde rieselte ein dünnes, schmales Wässerchen, auf welchem Fettaugen schwammen. Grinley warf, als er das bemerkte, Buttler und Poller einen befriedigten Blick zu. Er hatte nicht heimlich mit ihnen reden können und sich darum bisher im stillen besorgt gefragt, ob sie ihre Aufgabe auch wohl so, wie er es erwartete, gelöst haben würden. Jetzt begann er sich beruhigt zu fühlen, deutete auf das Wasser und sagte zu dem Bankier:

„Seht einmal her, Mr. Rollins! Das ist der Abfluß des Gloomy-water. Was meint Ihr wohl, was auf demselben schwimmt?“

„Petroleum?“ antwortete der Gefragte, indem er niederblickte.

„Ja, Petroleum.“

„Wirklich, wirklich! Schade darum, ewig schade, daß es fortfließt!“

„Laßt es laufen; es ist wenig genug. Das beste an meinem Funde ist ja eben der Umstand, daß der See nur diesen einen, so geringen und gar nicht nennenswerten Abfluß hat. Später könnt Ihr ja dafür sorgen, daß Euch selbst dieses kleine Quantum nicht entgeht.“

„Freilich, freilich! Aber Mr. Grinley, merkt Ihr nicht auch den Geruch?“

„Natürlich! Ich als der Entdecker dieses famosen Ortes muß ihn doch viel eher als Ihr bemerkt haben.“

„Er wird um so stärker, je weiter wir vorwärts kommen.“

„Wartet nur, bis wir an den See kommen. Ihr werdet Euch wohl wundern!“

Der Erdölgeruch wurde auch wirklich mit jedem Schritte stärker. Da traten die Wände der Schlucht plötzlich auseinander und vor den erstaunten Augen des Bankiers und seines Buchhalters öffnete sich eine länglich runde Thalmulde, deren Grund der Petroleumsee soweit ausfüllte, daß zwischen dem Ufer desselben und den Felsen, welche den nur schwer zu erklimmenden Rand des Thales bildeten, ein nur schmaler Bodenstreifen übrig blieb, auf welchem aus dichten Sträuchern riesige Schwarztannen emporragten. Eben solche Bäume stiegen an den Felsen ringsum bis zu dem Hochwalde hinauf, welcher da oben als Wächter zu stehen schien, um keinen einzigen Sonnenstrahl herabzulassen.

Hier unten herrschte trotz des hellen Tages Dämmerung. Kein Lüftchen bewegte die Zweige; kein Vogel war zu sehen; kein Schmetterling gaukelte über Blumen. Alles Leben schien erstorben zu sein. Schien? 0 nein, es schien nicht nur, sondern es war wirklich erstorben, denn auf dem See schwammen zahllose tote Fische, deren mattglänzende Leiber ganz eigenartig von der dunklen, ölig schimmernden Oberfläche abstachen. Dazu der außerordentlich starke Geruch des Öles. Dieser unbewegte und unbeleuchtete See, welcher wie ein im Tode erstarrtes Auge vor den Beschauern lag, führte seinen Namen Gloomy-water, finsteres Wasser, mit dem vollsten Rechte. Der Eindruck, welchen sein Anblick hervorbrachte, war ein derartiger, daß Rollins und Baumgarten eine ganze Weile an seinem Ufer hielten, ohne ein Wort zu sagen.

„Nun, das ist das Gloomy-water,“ unterbrach der Ölprinz die herrschende Stille. „Was meint Ihr dazu, Mr. Rollins? Gefällt es Euch?“

Aus seinem Staunen wie aus einem Traume erwachend holte dieser tief Atem und antwortete:

„Wie er mir gefällt? Welche Frage! Ich glaube, die alten Griechen hatten ein Wasser, über welches die Verstorbenen nach der Unterwelt fuhren. So wie der See hier muß dieses Wasser ausgesehen haben, gewiß so und nicht anders.“

„Weiß nichts von diesem griechischen Gewässer, möchte aber doch behaupten, daß es mit unserm Gloomy-water nicht zu vergleichen ist, denn ich glaube nicht, daß es dort Petroleum wie hier gegeben hat. Steigt ab, Sir, und untersucht das Öl; wir wollen einen Rundgang um den See machen!“

Die Reiter verließen ihre Sättel; sie mußten die Pferde anbinden, denn diese schnaubten und stampften und wollten fort. Der penetrante Petroleumgeruch war ihnen zuwider. Grinley trat hart an das Wasser heran, schöpfte mit der Hand, beroch und betrachtete es und sagte dann in triumphierendem Tone zu dem Bankier:

„Hier habt Ihr die Dollars zu Millionen schwimmen, Sir; überzeugt Euch selbst!“

Rollins schöpfte ebenso, ging weiter und schöpfte wieder; er untersuchte das Wasser an verschiedenen Stellen; er sagte kein Wort; er schüttelte und schüttelte nur immer wieder den Kopf. Er schien sprachlos geworden zu sein; aber seine Augen leuchteten und in seinen Zügen arbeitete die außerordentliche Erregtheit, welche sich seines Innern bemächtigt hatte. Seine Bewegungen waren hastig und dabei unsicher, fast taumelnd; seine Hände zitterten und er schien alle Kraft zusammennehmen zu müssen, um endlich mit beinahe überschnappender Stimme ausrufen zu können:

„Wer hätte das gedacht! Wer hätte das nur denken können! Mr. Grinley, ich finde alles, alles, was Ihr gesagt habt, hier übertroffen!“

„Wirklich? Freut mich, Sir, freut mich ungeheuer!“ lachte der Ölprinz. „Seid Ihr nun endlich überzeugt, daß ich ein ehrlicher Mann bin, der es aufrichtig mit Euch gemeint hat?“

Rollins streckte ihm beide Hände entgegen und antwortete:

„Gebt Eure Hände her; ich muß sie Euch schütteln und drücken. Ihr seid ein Ehrenmann, wie ich noch keinen gefunden habe. Verzeiht es uns, daß wir in unserm Vertrauen einigemal unsicher geworden sind! Wir waren nicht schuld daran!“

„Weiß es, weiß es, Sir,“ nickte Grinley in biederer Weise. „Diese Fremden machten Euch an mir irre. Hättet nicht auf sie hören sollen; ist jetzt aber alles gut, alles! Untersucht das Öl, Sir!“

„Habe schon, habe es untersucht.“

„Nun, und –“

„Es ist das schönste, das reinste Erdöl, welches zu haben ist. Woher kommt es? Hat der See einen Zufluß?“

„Nein, nur diesen kleinen Abfluß. Es muß eine unterirdische Quelle da sein, eine oder vielleicht zwei: eine für das Wasser und eine für das Erdöl. Ihr seht, man braucht das letztere nur so abzuschöpfen und in die Fässer zu füllen.“

Rollins wußte vor Entzücken weder aus noch ein. Baumgarten war nüchterner und bemerkte auf die letzten Worte:

„Ja, man braucht nur abzuschöpfen; aber was dann, wenn abgeschöpft worden ist? Wann und wie stark läuft es nachher wieder zu?“

„Natürlich schnell, so schnell, daß gar keine Unterbrechung der Arbeit eintreten wird.“

„Das möchte ich nicht ohne Kritik annehmen. Es kann doch nur soviel zulaufen, wie abläuft. Nun seht den spärlichen Abfluß hier, welcher unser Wegweiser gewesen ist. Ich glaube, das Wässerchen führt pro Stunde keinen Liter Öl mit sich fort; das ist die Ausbeute, die ganze Ausbeute, die wir zu erwarten haben.“

„Meint Ihr? Nicht mehr? Nicht mehr als bloß einen Liter in der Stunde?“ fragte der Bankier im Tone bitterster Enttäuschung.

Der Mund blieb ihm vor Schreck offen stehen; sein Gesicht war leichenblaß geworden.

„Ja, Mr. Rollins, so ist es,“ antwortete der Buchhalter. „Ihr müßt doch zugeben, daß der Zufluß nicht größer als der Abfluß sein kann? Und wenn er größer wäre, zehnmal größer, hundertmal! Was sind hundert Liter Öl in der Stunde? Nichts, gar nichts. Rechnet die Höhe des Anlage- und des Betriebskapitals, die Abgelegenheit dieser Gegend, die hier vorhandenen Gefahren, die Schwierigkeit des Absatzes! Und hundert Liter pro Stunde!“

„Kann es denn nicht doch mehr sein? Ist es nicht möglich, daß Ihr Euch irrt?“

„Nein und abermals nein. Wie alt ist dieser See? Die Jahre sind nicht zu zählen. Seit seiner Entstehung sind Jahrhunderte oder Jahrtausende vergangen; es fließt so wenig ab. Wenn mehr Öl zuflösse, wie hoch müßte es dann auf dem Wasser stehen! Nein, es ist nichts, gar nichts hier zu holen!“

„Nichts, gar nichts!“ wiederholte der Bankier, indem er mit beiden Händen nach dem Kopfe griff. „Also alle Hoffnung, alle Freude vergeblich! Den weiten, weiten Weg umsonst gemacht! Wer soll das aushalten; wer kann das ertragen!“

Auch der Ölprinz war über die Worte des Buchhalters erschrocken. Mit welchen Mühen und unter welchen Gefahren hatte er das Petroleum faßweise und nach und nach hierher geschafft und versteckt! Was hatte es ihm gekostet! Und nun er so nahe am Erfolge stand, sollte das alles vergeblich gewesen sein! Es flimmerte ihm vor den Augen; er fühlte sich ratlos, konnte kein Wort hervorbringen und richtete seine Blicke hilfesuchend auf seinen Stiefbruder Buttler.

Dieser hatte schon wiederholt gezeigt, daß er ihm an Schlauheit überlegen war, und auch jetzt zeigte es sich, daß der frühere Anführer der „Finders“ sich nicht so leicht aus der Fassung bringen ließ. Er gab ein kurzes, überlegenes Lachen zu hören und sagte zu dem Bankier:

„Was lamentiert Ihr denn, Mr. Rollins? Ich kann Euch nicht begreifen! Wenn es mit dem, was Ihr jetzt denkt und sagt, seine Richtigkeit hätte, so würde es Grinley nicht eingefallen sein, so große Hoffnungen auf das Gloomy-water zu setzen.“

„Meint Ihr?“ fragte Rollins schnell, indem er neuen Mut bekam.

„Ja, das meine ich. Und wenn das Öl hier nur so in Fässern zu schöpfen wäre, so würde er Euch den Platz nicht angeboten, sondern selbst behalten haben. Es ist eben die Sache, daß die Gewinnung des Öles einige kostspielige Vorbereitungen erfordert, zu denen er nicht die Mittel besitzt.“

„Vorbereitungen? Welche?“

„Hm! Es wundert mich Sehr, daß Ihr das nicht selbst findet. Habt Ihr vielleicht einmal Physik studiert?“

„Nein.“

„Hm! Schade drum! Brauchte Euch dann keine lange Erklärung zu geben. Will aber versuchen, es Euch deutlich zu machen. Ich setze den Fall, Euer Pferd liegt da im Grase und Ihr steigt in den Sattel. Wird es mit Euch aufstehen können?“

„Ja.“

„Ihr denkt also nicht, daß Ihr ihm zu schwer seid?“

„Nein; es steht auf.“

Well. Setze aber den andern Fall, daß anstatt des Pferdes ein Schoßhündchen hier läge. Würde das Euch auch in die Höhe bringen?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil ich ihm zu schwer wäre.“

„Nun wohl, wendet das doch einmal auf das Petroleum an!“

„Wieso?“ fragte Rollins, der das, was Buttler meinte, nicht zu erraten vermochte.

„Mein Beispiel soll sagen, daß ein schwerer Körper, der auf einem leichteren lastet, diesen niederhält. Das begreift Ihr wohl?“

„Jetzt allerdings.“

„Und auch Ihr, Mr. Baumgarten?“

„Ja,“ nickte der Genannte, welcher den Worten Buttlers mit Aufmerksamkeit gefolgt war. Dieser fuhr fort: „Wißt Ihr nun aber auch, was schwerer ist, das Petroleum oder das Wasser?“

„Das Wasser,“ antwortete der Buchhalter.

Very well! Nun denkt Euch einmal, wie schwer die Wassermenge ist, welche sich hier im See befindet!“

„Tausende von Zentnern.“

„Und auf dem Grunde des Sees gibt es eine Petroleumquelle, das heißt ein kleines Loch, aus welchem das Öl heraus will; aber auf diesem Loche liegen viele tausend Zentner von Wasser. Kann da das Öl heraus?“

„Nein.“

Baumgarten ging in die Falle. Er war Kaufmann; von den physikalischen Gesetzen verstand er wenig; er wußte nicht, daß das Öl, gerade weil es leichter als das Wasser ist, emporsteigen müsse. Grinley begann von neuem aufzuatmen. Auf Buttlers Gesicht ließ sich ein siegesgewisses Lächeln sehen. Er sprach weiter:

„Also das Öl, welches aus der Erde strömen möchte, kann nicht in die Höhe. Wir sehen hier nur das geringe Quantum, welches oben durch irgend eine kleine Ritze aus der Erde sickert. Nun schafft aber einmal eine Pumpe her und pumpt das Wasser aus dem See, oder sorgt auf irgend eine andre Weise für den Abfluß desselben. Dann werdet Ihr sehen, daß ein Ölstrahl hundert Fuß hoch und noch höher in die Luft steigt. Das gibt dann einen Ölspring wie in Pennsylvanien, der an einem Tage mehrere hundert Fässer füllt. Hätte Grinley das Geld zu einem solchen Pumpwerke, so wäre es ihm nicht eingefallen, sich an Euch zu wenden. Da habt Ihr die Sache, wie sie steht. Macht, was Ihr wollt; aber besinnt Euch nicht lange. Wir finden allemal und zu jeder Zeit einen Unternehmer, welcher Geist und Mut genug besitzt, für einen solchen Lumpenpreis Millionen einzuheimsen.“

Das wirkte. Der Bankier jubelte von neuem und Baumgarten ließ alle seine Bedenken fallen. Öl war vorhanden, das sah man ja; man brauchte ihm nur einen Ausweg zu bahnen. Es wurde hin und her gesprochen, natürlich in einer Weise, welche den beiden Käufern die Köpfe verdrehte. Rollins entschloß sich auf den Handel einzugehen, und es geschah nur um der Form willen, daß er meinte, man müsse doch vorher den ganzen Umfang des Sees in Augenschein nehmen.

„Thut das, Mr. Rollins,“ sagte Grinley. „Poller mag Euch führen.“

Der Genannte entfernte sich mit Rollins und Baumgarten. Als sie fort waren, stieß der Ölprinz erleichtert hervor:

„Tausend Donner, war das eine fatale Lage! Fast wären die Kerls noch zu guter Letzt zurückgetreten! Dein Einfall war ausgezeichnet.“

„Ja,“ lachte Buttler. „Wäre ich nicht gewesen, so hättest du deinen Petroleumsee für dich behalten können. Nun aber bin ich überzeugt, daß sie auf den Leim gehen werden.“

„Man sollte es kaum für möglich halten, daß eine solche physikalische Erklärung so harmlos hingenommen wird!“

Pshaw! Rollins ist zu dumm und der Deutsche zu ehrlich.“

„Sie werden an der Höhle vorüberkommen. Es ist doch nichts zu sehen?“

„Nein. Die Arbeit hat uns freilich mehr als Schweiß gekostet. Dafür magst du aber auch Sorge tragen, daß der Handel noch heut zu stande kommt. Wir dürfen keine Stunde versäumen, denn es ist den Roten nicht zu trauen. Wir dürfen nicht länger als höchstens bis morgen früh hier bleiben. Wie fertigen wir denn die beiden Dummköpfe ab, mit dem Messer oder mit der Kugel?“

„Hm, ich möchte beides vermeiden.“

„Sie also leben lassen? Was fällt dir ein!“

„Versteh nicht falsch! Ich will sie bloß nicht sterben sehen; die Erinnerung daran ist unbehaglich. Was sagst du dazu, daß wir sie in die Höhle stecken?“

„Kein übler Gedanke. Wir binden sie und sperren sie hinein. Da gehen sie zu Grunde, ohne daß wir es anzusehen brauchen. Ich bin einverstanden. Aber wann?“

„Sobald wir das Geld haben, bekommt jeder einen Kolbenhieb auf den Kopf.“

„Auch Poller?“

„Der noch nicht. Wir haben ihn wahrscheinlich noch nötig. Bis wir diese gefährliche Gegend hinter uns haben, ist es besser, zu dreien, als nur zu zweien zu sein. Dann können wir uns seiner zu jeder Zeit entledigen.“

Ja, diese Gegend war allerdings für sie gefährlich. Sie ahnten nicht, daß sie beobachtet wurden. Gar nicht weit von ihnen, an der Stelle, wo die Schlucht auf den See mündete, lag ein Indianer hinter dem Gesträuch und beobachtete alles, was vor seinen Augen geschah. Es war der Navajo, welcher der Ermordung seiner beiden Gefährten hatte zusehen müssen, ohne sie verhindern zu können, Grinley und Buttler streckten sich jetzt in das Gras nieder. Als der Indianer dies bemerkte, sagte er zu sich selbst:

„Sie bleiben hier; sie werden diese Gegend jetzt noch nicht verlassen. Ich habe Zeit zu unsern Kriegern zu gehen und sie herbeizuholen.“

Er kroch hinter dem Busche hervor und verschwand in der Schlucht, ohne einen Eindruck seiner Füße im Boden zurückzulassen.

Einige Zeit später hatten die drei Weißen den See umgangen und kehrten zu Buttler und Grinley zurück.

„Nun, Mesch’schurs,“ fragte der letztere, „Ihr habt alles gesehen. Was gedenkt Ihr zu thun?“

„Kaufen,“ antwortete der Bankier.

„Ihr seid also überzeugt, daß Ihr ein Geschäft machen werdet?“

„Ja, wenn auch nicht so groß, wie Ihr Euch vorstellt.“

„Laßt diese Redensart, Sir! Ich gehe keinen Dollar von meiner Forderung herunter, habe überhaupt keine Lust, meine Zeit zu verlieren. Ich halte es nämlich doch für möglich, daß die Roten hinter uns her sind, und möchte ihnen nicht gern meinen Skalp überlassen.“

„So wollen wir schleunigst fort,“ sagte Rollins ängstlich.

„Ja, aber nicht eher, als bis der Handel perfekt ist. Es war ausgemacht, ihn hier am See abzuschließen. Sobald wir unterschrieben und die Papiere ausgetauscht haben, brechen wir auf.“

„Soll mir recht sein. Mr. Baumgarten, habt Ihr vielleicht noch ein Bedenken?“

Ehe der Gefragte antworten konnte, fiel Grinley in scharfem Tone ein:

„Wenn Ihr auch jetzt noch von Bedenken redet, Mr. Rollins, so muß ich das nun wirklich als eine Beleidigung ansehen. Sagt kurz, ob Ihr wollt oder nicht!“

Dadurch eingeschüchtert, erklärte der Bankier:

„Ich will; das versteht sich ganz von selbst.“

„Nun wohl; so können wir zum Abschlusse schreiten. Die Dokumente sind längst aufgesetzt und nur noch zu unterschreiben. Sucht Eure Tinte und Feder hervor!“

Rollins holte das Erforderliche aus seiner Satteltasche, erhielt nach geschehener Unterschrift den Besitztitel und den Kaufkontrakt und unterzeichnete dann die bereit gehaltene Anweisung auf San Francisco. Als Grinley dieselbe in die Hand bekam, betrachtete er sie mit gierigem Blicke und sagte, indem er ein ganz eigentümliches, nach innen gehendes Lachen hören ließ:

„So, Mr. Rollins, jetzt seid ihr Herr und Besitzer dieses großartigen Petroleumdistriktes. Ich wünsche Euch viel Glück! Und da Euch nun alles hier gehört und ich keinen Gebrauch mehr davon machen kann, will ich Euch ein Geheimnis entdecken, dessen Kenntnis Euch von großem Nutzen sein wird.“

„Was für ein Geheimnis?“

„Eine verborgene Höhle.“

„Weiter nichts?“

„Oho! Ihr sagt weiter nichts, als ob dies gar nichts wäre! Aber diese Höhle kann Euch oder Euern Leuten in der ersten Zeit als Vorratskammer dienen und als Versteck bei Indianerangriffen. Es ist sogar möglich, daß sie mit dem unterirdischen Petroleumbassin, welches hier unbedingt vorhanden ist, in Verbindung steht.“

„Ach, Petroleumbassin? Ist’s möglich?“

„Sehr sogar. Ich habe sie noch nicht untersucht.“

„So sagt schnell, wo sie ist! Ich muß sie sehen; ich werde sie später erforschen lassen.“

„Kommt; ich werde sie Euch zeigen.“

Sie gingen eine kurze Strecke am Ufer hin, bis da, wo der Felsen näher an das Wasser trat. Am Fuße dieses Felsens lag ein ziemlich hoher Geröllhaufen, dessen Spitze Buttler und Poller abzuräumen begannen. Bald wurde ein Loch sichtbar, welches in den Felsen führte.

„Das ist die Höhle; das ist sie!“ rief der Bankier aus. „Machen wir den Zugang weiter; schnell! Helft mit dabei, Mr. Baumgarten!“

Die beiden bückten sich nieder, um sich an der Arbeit zu beteiligen. Buttler stand auf und blickte Grinley fragend an. Dieser nickte. Sie ergriffen ihre Gewehre; jeder von ihnen that einen Kolbenschlag – – der Bankier und Baumgarten stürzten, an ihre Köpfe getroffen, vornüber; sie wurden an Händen und Füßen gefesselt und, als der Eingang weit genug geworden war, in die Höhle geschafft und weit hinten in derselben niedergelegt. Wären sie nicht betäubt gewesen, so hätten sie die vielen Fässer gesehen, mit denen die Höhle fast ganz ausgefüllt war.

Hierauf wurde das Geröll wieder aufgeschichtet, bis das Loch nicht mehr zu sehen war. Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, daß die drei Mörder ihren Opfern außer den Kleidern alles, was dieselben besaßen, abgenommen hatten. Dann begaben sie sich zu ihren Pferden zurück.

„Endlich!“ sagte der Ölprinz. „Noch kein Geschäft hat mir so viel Mühe und Sorge gemacht, wie dieses. Und noch ist es nicht vollständig gelungen. Es gilt nun erst, die Anweisung nach San Francisco zu schaffen. Hoffentlich kommen wir glücklich dort an! Wir brechen natürlich doch gleich auf?“

„Ja,“ antwortete Poller. „Vorher aber müssen wir uns doch teilen.“

„Worin?“

„In die Gegenstände, die wir den beiden abgenommen haben.“

„Ist das denn sofort nötig?“

„So sehr nicht; aber es ist jedenfalls besser, es weiß ein jeder, was ihm gehört.“

Grinley hätte ihn am liebsten sogleich niedergeschlagen, aber er sagte sich, daß ihm das, was er jetzt bekam, später doch wieder abgenommen würde. Darum entschied er im Tone der Gutwilligkeit:

„Meinetwegen, die Pferde bleiben natürlich ungeteilt, und über die andern Gegenstände werden wir uns nicht zanken. Wir sind Freunde und Brüder, die sich wegen Kleinigkeiten nicht veruneinigen werden.“

Sie setzten sich nieder und breiteten die geraubten Waffen, Uhren, Ringe, Börsen und andren Gegenstände vor sich aus, um ihren Wert zu taxieren und sie nach demselben unter sich zu verteilen.

Während dies geschah, kamen durch die Schlucht, die nach dem See führte, acht Indianer geschlichen. Es waren Navajos; an ihrer Spitze huschte der Kundschafter, welcher schon vorhin hier gewesen war. Am Eingange zum Thale angekommen, blieben sie halten und lauschten hinter den Büschen hervor, Sie sahen die drei Weißen sitzen.

„Uff!“ flüsterte der Älteste von ihnen, indem er sich an den Kundschafter wandte, „es ist wirklich so, wie mein Bruder berichtet hat: der See ist voll Petroleum. Wo ist dasselbe hergekommen?“

„Die Bleichgesichter werden es wissen,“ antwortete der andre.

„Hat mein Bruder nicht fünf Weiße gezählt? Ich sehe nur drei.“

„Vorhin gab es fünf; es fehlen zwei. Diese drei sind diejenigen, welche ich bei Mokaschi, dem Häuptling der Nijoras sah.“

„Welcher von ihnen hat unsern Bruder Khasti-tine ermordet?“

„Der, welcher jetzt zwei Flinten in den Händen hat.“

Er meinte damit den Ölprinzen.

„Er wird eines bösen Todes sterben; aber auch die beiden andern kommen an den Marterpfahl. Uff! Sie teilen die Sachen, welche vor ihnen liegen. Bald erhält der eine etwas und bald der andre. Der vierte und der fünfte sind verschwunden. Die Sachen haben ihnen gehört. Sollten sie getötet worden sein?“

„Wir werden es erfahren. Wann ergreifen wir sie?“

„Jetzt gleich. Sie achten auf nichts als auf ihren Raub und werden so erschrecken, daß sie sich gar nicht wehren. Meine Brüder mögen mir schnell folgen.“

Er schnellte sich, die sieben andern hinter ihm her, auf die drei Weißen zu. Dieser Überfall kam so plötzlich und wurde so rasch ausgeführt, daß sie gebunden waren, ehe sie nur einen Schrei ausgestoßen oder ein Glied zu ihrer Verteidigung gerührt hatten. Vor Angst versagte ihnen die Sprache.

Auch die Roten sprachen zunächst kein Wort. Fünf von ihnen setzten sich zu den Gefangenen nieder; die andern drei entfernten sich, um das Thal abzusuchen. Als sie zurückkehrten, meldete einer von ihnen:

„Die zwei Bleichgesichter bleiben verschwunden. Wir haben keinen von ihnen gesehen.“

„Sind sie nicht am Felsen emporgestiegen?“ fragte der Älteste.

„Nein; dann hätten wir ihre Spuren gesehen.“

„Wir werden sogleich erfahren, wo sie zu suchen sind.“

Er zog sein Messer, setzte es dem Ölprinzen auf die Brust und drohte:

„Du bist der Schurke, welcher Khasti-tine, unsern jungen Bruder, ermordet hat. Sagst du mir nicht augenblicklich, wo die zwei Bleichgesichter hingekommen sind, welche vorhin noch bei euch waren, so stoß‘ ich dir dieses Eisen in das Herz!“

Dieser Befehl versetzte Grinley in großen Schrecken. Gehorchte er, so holten die Indianer den Bankier und seinen Buchhalter ganz gewiß aus der Höhle; das aber durfte nicht geschehen. Gehorchte er nicht, so stand zu erwarten, daß der Rote seine Drohung ausführen und ihn erstechen werde. Was thun? Da half ihm wieder der listigere Buttler aus der Not; dieser rief dem Indsman zu:

„Du irrst dich. Der Mann, den du erstechen willst, ist nicht der Mörder von Khasti-tine, Wir sind ganz unschuldig an dem Tode desselben.“

Der Indianer ließ von dem Ölprinzen ab und wendete sich an Buttler:

„Schweig! Wir wissen gar wohl, wer der Mörder ist.“

„Nein, ihr wißt es nicht!“

„Dieser unser Bruder hat es gesehen.“

Er deutete auf den Kundschaften

„Er irrt sich,“ behauptete Buttler trotzdem. „Er hat uns bei dem Häuptling der Nijoras gesehen; aber als die beiden Schüsse fielen, standen wir so, daß sein Blick uns gar nicht treffen konnte.“

„So willst du wohl leugnen, bei der Ermordung unsrer beiden Brüder zugegen gewesen zu sein?“

„Nein. Ich habe noch nie eine Lüge gesagt und auch jetzt fällt es mir gar nicht ein, gegen die Wahrheit zu sprechen. Die beiden weißen Männer, nach denen du gefragt hast, sind die Mörder.“

„Uff!“ rief der Rote. „Wir sehen sie nicht; sie sind also fort. So suchst du euch zu retten, indem du die Schuld auf sie wirfst!“

„Sie sind fort, sagst du? Wohin sollen sie sein? Ihr seid Kundschafter, also Krieger, welche scharfe Augen besitzen. Habt ihr denn ihre Spuren gesehen, welche gewiß zu finden wären, wenn sie sich wirklich entfernt hätten?“

„Nein. Du willst also sagen, daß sie noch hier sind?“

„Ja.“

„Wo?“

„An einem Orte, wo ihr sie nicht sehen könnt.“

„Welchen Ort meinst du?“

„Diesen.“

Er deutete auf das Wasser.

„Uff! Sie befinden sich in diesem See?“

„Ja.“

„Sie sind also ertrunken?“

„Ja.“

„Lüg nicht! Es gibt keinen Menschen, der in dieses ölige Wasser ginge.“

„Freiwillig nicht; das ist richtig. Sie wollten nicht hinein, aber sie mußten doch.“

„Wer hat sie gezwungen?“

„Wir. Wir haben sie ersäuft.“

„Ihr – habt – sie – – ersäuft?“ fragte der Indianer. Er war ein Wilder und fühlte doch einen so großen Abscheu vor einer solchen That, daß er die Worte nur in Absätzen herausbrachte. „Ersäuft? Warum?“

„Zur Strafe. Sie waren unsre Todfeinde.“

„Und doch befanden sie sich bei euch! Niemand pflegt in Gesellschaft seiner Todfeinde zu reiten.“

„Wir haben von ihrer Feindschaft nichts gewußt; wir merkten es erst, als wir hier ankamen.“

„Was hattet Ihr ihnen gethan?“

„Nichts. Sie wollten diesen Ölsee allein besitzen und darum uns ermorden. Als wir dies bemerkten, haben wir sie unschädlich gemacht, indem wir sie in das Wasser warfen.“

„Wehrten sie sich nicht?“

„Nein. Wir schlugen sie ganz plötzlich mit den Kolben nieder.“

„Warum sieht man sie nicht?“

„Weil wir ihnen Steine an die Füße gebunden haben; da sind sie auf den Grund gegangen.“

Der Rote schwieg eine Weile. Er überlegte, ob es geraten sei, die Angaben Buttlers zu glauben. Dann sagte er:

Ach will glauben, daß du die Wahrheit redest. Aber mir graut vor euch. Ihr habt Söhne Eurer eignen Rasse ersäuft, so wie man räudige Hunde in das Wasser wirft. Ihr habt sie heimlich getötet, ohne mit ihnen zu kämpfen. Ihr seid böse Menschen!“

„Konnten wir anders handeln? Sollten wir etwa warten, bis sie ihren Plan ausführten und uns hinterrücks niederschossen? Das wollten sie nämlich thun; wir haben sie belauscht.“

„Wie ihr über diese Sache denkt, das geht mich nichts an; kein roter Mann ersäuft einen andern Indianer und wenn es sein größter Feind wäre. Seid ihr schon einmal an diesem Wasser gewesen?“

„Ja, ich,“ antwortete der Ölprinz jetzt.

„Wann?“

„Vor mehreren Monden.“

„War schon damals dieses Öl vorhanden?“

„Ja. Darum ging ich fort, um noch einige Weiße herbeizuholen und es ihnen zu zeigen. Ich wollte mit ihnen eine Gesellschaft zur Gewinnung des Öles gründen. Diese beiden aber wollten uns ermorden, um die alleinigen Besitzer zu sein.“

„Uff! Vorher hat es hier niemals Öl gegeben. Es muß erst kürzlich aus der Erde hervorgebrochen sein. Aber wie konntet ihr euch als Besitzer des Sees dünken! Er gehört den roten Männern. Die Bleichgesichter sind Räuber, welche zu uns kommen, um uns alles zu nehmen, was uns gehört. Der Tomahawk ist ausgegraben. Wäret ihr daheim geblieben! Indem ihr hierhergekommen seid, seid ihr in den Tod geritten.“

„In den Tod? Seid ihr ehrliche Krieger oder seid ihr Mörder? Wir haben euch doch nichts gethan!“

„Schweig! Ist nicht Khasti-tine mit seinem Gefährten ermordet worden?“

„Leider; aber nicht wir sind es, die sie getötet haben.“

„Ihr waret dabei: Ihr hättet die That verhüten sollen.“

„Das war unmöglich. Die beiden Kerle schossen so schnell, daß wir keine Zeit fanden, auch nur ein einziges Wort dagegen zu sagen.“

„Das rettet euch nicht. Ihr habt euch in der Gesellschaft der Mörder befunden; ihr werdet sterben. Wir werden euch zu unserm Häuptling bringen; da werden die Alten über euch zur Beratung sitzen, welchen Tod ihr zu erleiden habt.“

„Aber wir haben doch die beiden Mörder bestraft; dafür solltet ihr uns dankbar sein.“

„Dankbar?“ hohnlachte der Rote. „Meinst du, daß du uns damit einen Dienst erwiesen hast? Es wäre uns lieber, sie lebten noch; da könnten wir uns ihre Skalpe holen und sie am Marterpfahle sterben lassen. Um diese Freude habt ihr uns gebracht. Willst du dich dessen rühmen? Euer Schicksal ist bestimmt; der Tod erwartet euch. Ich habe gesprochen!“

Er wendete sich ab, zum Zeichen, daß er kein Wort mehr sagen werde. Nun wurden ihnen die Taschen geleert. Die Indianer nahmen alles an sich, was sich in denselben befand. Nur als der Anführer die Anweisung sah, faßte er sie vorsichtig mit den Fingerspitzen an, schob sie wieder in die Tasche Grinleys zurück und sagte:

„Das ist Zauberei, ein redendes Papier; kein roter Krieger nimmt ein solches in die Hände, denn es würde später alle seine Gedanken, Worte und Thaten verraten.“

Das war dem Ölprinzen natürlich lieb. Er hoffte zu entkommen, das war dann mit der Anweisung natürlich weit besser, als ohne dieselbe.

Mittlerweile war der Tag so weit vorgeschritten, daß es am See schon dunkel zu werden begann. Die Indianer wären hier über Nacht geblieben, doch trieb sie der Ölgeruch davon. Die Gefangenen wurden auf ihre Pferde gefesselt; dann ritten sie davon, durch die Schlucht zurück und dann ein Stück in den Wald hinein, wo es Wasser gab. Hier saßen sie ab, banden die Gefangenen an drei Bäume und trafen ihre Vorbereitungen zum Lagern. Sie schienen sich an dieser Stelle vollständig sicher zu fühlen; aber hätten sie gewußt, was hinter ihnen geschah, so wären sie gewiß so weit wie möglich fortgeritten.

Mokaschi nämlich, der Häuptling der Nijoras, war, als die fünf Weißen ihn verlassen hatten, so vorsichtig gewesen, die Spuren der Navajokundschafter noch einmal genauer zu untersuchen. Er hatte vorher schon gesehen, daß außer den zwei Ermordeten noch ein dritter dagewesen war; nun wollte er wissen, wo dieser hingekommen war.

Nach längerem Suchen fand er die Fährte; sie führte auf einem Umwege auf die Spur der Bleichgesichter und dann hinter denselben her.

„Dieser Navajo will sich an den Mördern rächen. Er folgt ihnen; daraus ist zu schließen, daß der Kriegertrupp, zu welchem er gehört, sich in derselben Richtung befindet. Wir werden ihm nachreiten und diese Navajos gefangen nehmen.“

So sagte der Häuptling und ritt zunächst in die gerade entgegengesetzte Richtung, bis er eine tief versteckte Lichtung im Walde erreichte, wo ungefähr dreißig Nijorakrieger lagerten, Das waren die Kundschafter, welche dem eigentlichen großen Kriegertruppe voranritten. Mit diesen Leuten kehrte er zu der Fährte der Weißen und des Navajo zurück und folgte derselben. Dabei gebrauchte er die Vorsicht, einen einzelnen seiner Leute weit vorauszusenden.

Sie kamen bis in die Nähe der Schlucht, welche auf den Ölsee mündete. Dort versteckten sie sich. Nach kurzer Zeit sahen sie den Navajokundschafter aus der Schlucht kommen und eiligst fortspringen. Einer der Nijoras machte eine Bewegung, als ob er auf ihn schießen wolle; der Häuptling machte eine abwehrende Handbewegung und flüsterte ihm zu:

„Laß ihn laufen! Er wird bald wiederkommen und andre Navajos mitbringen. Die fangen wir dann.“

Schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit zeigte es sich, daß er ganz richtig vermutet hatte, denn der Kundschafter kehrte mit sieben andern zurück, mit denen er in die Schlucht hineinritt. Sie wollten am Ende derselben von den Pferden steigen und die Weißen überfallen.

Die Nijoras warteten. Mokaschi wunderte sich nicht wenig, als er die Navajos dann mit nur drei Weißen aus der Schlucht kommen sah. Er hatte sie in dem Augenblicke, an welchem er sie aus derselben herauskommen sah, überfallen wollen, gab aber seinen Leuten nun einen Wink, noch versteckt zu bleiben. Er wollte erst sehen, warum zwei Weiße fehlten. Darum ließ er die Feinde fort und ging dann mit noch einigen seiner Leute durch die Schlucht nach dem „finstern Wasser“. Sie suchten so schnell, aber auch so vorsichtig wie möglich den ganzen Rand desselben ab, doch ohne eine Spur der fehlenden Bleichgesichter zu entdecken.

„Fort können sie nicht sein,“ sagte Mokaschi. „Sie leben nicht mehr, und da wir ihre Leichen nicht sehen, sind sie gewiß in das Wasser geworfen worden.“

Er verließ mit seinen Begleitern den See und kehrte zu dem Verstecke der andern zurück. Dort blieben die Pferde unter der Aufsicht von zwei Wächtern zurück; mit den übrigen achtundzwanzig Männern machte er sich zu Fuße hinter den Navajos her. Diese waren jedenfalls nicht weit entfernt, da der Abend hereinzubrechen begann, und also anzunehmen war, daß sie bald lagern würden.

Es war gerade noch so hell, daß man ihre Spuren erkennen konnte; sie führten in den Wald hinein, wo sie dann nicht mehr zu sehen waren. Mokaschi ließ sich dadurch nicht stören. Um die Gesuchten zu finden, brauchte er nur die bisherige Richtung einzuhalten.

Es dauerte auch gar nicht lange, so bemerkte er erst einen Brandgeruch und gleich darauf den Schein eines kleinen indianischen Lagerfeuers. Er blieb halten und flüsterte seinen Leuten zu:

„Diese Navajos sind keine Krieger, sondern junge Knaben, welche keinen Verstand besitzen. Welcher Kundschafter brennt des Nachts ein Feuer an! Meine Brüder mögen sie umzingeln und, sobald ich den Kriegsruf hören lasse, sich auf sie werfen. Wir müssen sie lebendig haben, um sie an den Marterpfahl binden zu können.“

Die Nijoras huschten wie unhörbare Schatten unter den Bäumen hin. Mokaschi schlich sich möglichst nahe zum Feuer heran und nahm sich einen Navajo ins Auge, den er fassen wollte. Als er sich nach einigen Minuten sagen konnte, daß seine Leute bereit seien, stieß er den bekannten, schrill durch den Wald schneidenden Ruf aus und sprang mitten unter die Navajos hinein, um den Betreffenden zu packen. In demselben Augenblicke wiederholten seine Krieger das Kriegsgeschrei und warfen sich von allen Seiten auf die Feinde, welche eine solche Überrumpelung für ganz unmöglich gehalten hatten und so überrascht, so erschrocken waren, daß sie für den Augenblick gar nicht an Widerstand dachten. Sie wurden überwältigt, ohne daß auch nur einer von ihnen Zeit fand, nach dem Messer, Gewehre oder Tomahawk zu greifen.

„Gott sei Dank!“ raunte der Ölprinz seinen beiden Gefährten zu. „Wir sind nun gerettet!“

„Oder nicht!“ antwortete Poller.

„O, gewiß. Mokaschi hat uns ja schon einmal fortreiten lassen. Aus welchem Grunde sollte er uns jetzt festhalten?“

„Aus gar keinem. Diese roten Halunken fragen eben gar nicht nach Gründen.“

„Wartet es ab! Ihr werdet sehen, daß ich recht habe.“

Niemand hatte auf dieses kurze, leise Gespräch geachtet. Die Navajos lagen gebunden auf der Erde; die Nijoras teilten sich in ihre Waffen. Mokaschi stand hoch aufgerichtet am Feuer und gebot:

„Die Söhne der Navajos mögen mir sagen, welcher von ihnen ihr Anführer ist!“

„Ich bin es,“ antwortete der älteste.

„Wie ist dein Name?“

„Ich werde das schnelle Roß genannt.“

„Dieser Name mag zutreffend sein. Auf der Flucht vor dem Feinde wirst du noch schneller als der Mustang der Prairie sein.“

„Mokaschi, der Häuptling der Nijoras, lügt. Noch niemals hat ein Feind meinen Rücken zu sehen bekommen!“

„Du nennst meinen Namen; also kennst du mich?“

„Ja, ich habe dich gesehen. Du bist ein kluger und tapferer Krieger. Ich wollte, daß ich mit dir kämpfen dürfte. Dein Skalp würde dann an meinem Gürtel hangen.“

„Meinen Skalp wird nie ein Feind besitzen, am allerwenigsten einer, wie du bist. Hat der große Geist euch denn ohne Gehirn erschaffen? Wißt ihr nicht, daß die Späher der Nijoras ebenso gegen euch unterwegs sind, wie ihr gegen sie? Welcher Kundschaftet geht durch den Wald und über das Gras, ohne sich nach den Spuren seiner Feinde umzusehen? Ein kluger Späher trachtet vor allen Dingen darnach, verborgen zu bleiben; ihr aber brennt ein Feuer an, als ob es euch gerade darauf ankomme, uns herbeizulocken! Ihr werdet freilich nie wieder Gelegenheit haben, solche Fehler zu begehen, denn ihr werdet am Pfahle sterben und vorher so gemartert werden, daß vor Schmerzen eure Stimmen über alle Berge schallen.“

Da antwortete das „schnelle Roß“:

„Martert uns! Wir werden als Krieger sterben, keinen Laut hören lassen und mit keiner Wimper zucken. Die Krieger der Navajos haben gelernt, die größten Schmerzen zu verachten. Was werdet ihr mit diesen Weißen thun?“

Als der Ölprinz diese Frage hörte, antwortete er:

„Mokaschi, der edle und berühmte Häuptling, wird uns freilassen.“

Aber dieser edle und berühmte Häuptling fuhr ihn an:

„Hund! Wer wurde gefragt, ich oder du? Wie kannst du es wagen, vor mir zu reden, noch ehe ich den Mund geöffnet habe!“

„Weil ich weiß, daß du das thun wirst, was ich gesagt habe.“

„Was ich thun werde, wirst du bald erfahren. Einmal habe ich euch ziehen lassen, um euch zu zeigen, daß ich euch verachte; zweimal aber kann dies nicht geschehen. Ihr waret fünf Bleichgesichter. Wo sind die zwei, welche fehlen?“

„Tot,“ antwortete Grinley bedeutend kleinlauter als vorher.

„Tot? Wer hat sie getötet?“

„Wir.“

„Warum?“

„Weil wir bemerkten, daß sie uns nach dem Leben trachteten. Sie wollten uns heimlich ermorden.“

Mokaschi zog die Brauen erstaunt empor und rief aus:

„Uff! Euch heimlich ermorden? Diese Leute! Wer hat euch diese Lüge gesagt?“

„Es ist keine Lüge, sondern Wahrheit. Sie sprachen miteinander, als sie glaubten, daß wir es nicht hörten; aber ich belauschte sie.“

„Hund, das ist eine Lüge! Ich habe die Augen, die Gesichter dieser zwei Männer genau betrachtet; sie waren gute und ehrliche Menschen; ihr aber seid Mörder und Diebe, die man ausrotten muß wie wilde und giftige Tiere. Wo befinden sich ihre Leichen? Ich habe sie nicht gesehen.“

„Im Wasser.“

„Auch sah ich keine Spur von Blut. Also habt ihr sie nicht vorher getötet, ehe sie in das Wasser geworfen wurden?“

„Nein.“

„So sind sie ersäuft worden?“

„Ja.“

Es kostete dem Ölprinzen große Anstrengung, dieses ja auszusprechen. Die Wirkung zeigte sich sofort: Der Häuptling versetzte ihm einen Fußtritt, spie ihm ins Gesicht und rief:

„Ungeheuer, du scheußliches! Du bist kein Mensch, sondern ein Ungeziefer, und sollst eines Todes sterben, welcher deiner würdig ist. Seine Gefährten, die ihn nicht beleidigt haben, nicht nur zu erschlagen, sondern sogar zu ersäufen! Du bist hinterrücks über sie hergefallen, wie du auch Khasti-tine heimtückisch ermordet hast!“

Als das „schnelle Roß“ dies hörte, richtete er sich auf, soweit seine Fesseln dies erlaubten, und sagte:

„Welche Worte hat Mokaschi da gesprochen? Wer hat Khasti-tine ermordet?“

„Dieses Bleichgesicht, welches wagt, zu glauben, daß ich es freilassen werde.“

„Uff! Der Elende sagte, die beiden Ersäuften seien die Mörder.“

„Lüge! Er selbst hat sich gegen mich gerühmt, die beiden Späher der Navajos getötet zu haben. Der feige Schurke bebt nun vor Angst und schiebt die Schuld den zwei ehrlichen Männern zu, welche er ermordet hat. Diese zwei erschossenen Späher und die beiden ermordeten Bleichgesichter sollen fürchterlich gerächt werden, obgleich keiner von ihnen zu meinem Stamme gehört hat. Seht diese drei weißen Mörder vor euch liegen, ihr roten Krieger, sie werden Qualen erleiden müssen, ohne sterben zu können, und dann am Ende ersäuft werden, wie sie ihre Opfer auch ersäuft haben. Howgh; ich habe es gesagt!“

Er spie dem Ölprinzen nochmals in das Gesicht, gab Buttler und Poller je einen sehr kräftigen Fußtritt und wendete sich dann von ihnen ab.

Es wurde ein Bote fortgeschickt, welcher die Pferde holen mußte; als diese kamen, wurde getrocknetes Fleisch aus den Satteltaschen genommen und das Mahl gehalten. Die gefangenen Navajos bekamen auch zu essen; die drei Weißen aber erhielten keinen Bissen.

„Verteufelte Geschichte!“ flüsterte Buttler seinem Stiefbruder zu. „Dieses Ersäufen bricht uns den Hals. Es wäre doch vielleicht besser gewesen, die Wahrheit zu sagen.“

„Nein,“ antwortete der Ölprinz. „Die roten Kerls hätten den Bankier und den Deutschen befreit, ohne daß unsre Lage dadurch verbessert worden wäre. Vor allen Dingen wären wir um die Anweisung gekommen.“

Pshaw! Was nützt sie uns, wenn wir am Marterpfahle braten!“

„So weit ist es noch nicht.“

„Wird aber so weit kommen! Hast ja gehört, was der Häuptling sagte!“

„Gesagt wird manches, was dann doch nicht zur Ausführung kommt.“

„So hast du noch Hoffnung?“

„Natürlich! Befinde mich nicht zum erstenmal in einer solchen Klemme; bin immer mit einem blauen Auge davongekommen. Und selbst wenn ich an den Marterpfahl gebunden werde, halte ich noch immer die Hoffnung fest, bis sie mir den Todesstoß versetzen. Es hat, wie du weißt, schon mancher am Pfahle gehangen und ist doch gerettet worden.“

„Der hatte Freunde, die ihn befreiten; wen aber haben wir?“

„Hm!“

„Keinen Menschen, welcher um unsertwillen wagen würde, hier mit den Roten anzubinden. Wenn die Befreiung nicht uns selbst gelingt, so sind wir verloren.“

Er hatte nur zu recht. Wenn sie es wert gewesen wären, Freunde zu besitzen, so hätten sie jetzt die Hilfe aus der Not viel, viel näher gehabt, als sie glauben oder auch nur ahnen konnten. Es waren Helfer da, nämlich Old Shatterhand und Winnetou.

Diese beiden Männer waren seit dem Augenblicke, an welchem sie nach ihrem Zusammentreffen den Ölprinzen mit seinen Begleitern belauscht hatten, entschlossen gewesen, diesen fünf Männern nach dem Gloomy-water zu folgen. Dadurch aber, daß sie vorher nach dem Pueblo mußten, um die dortigen Gefangenen zu befreien, hatte Grinley einen Vorsprung von zwei Tagereisen bekommen. Eine dieser Tagereisen war diesem freilich dadurch verloren gegangen, daß er Buttler und Poller nach dem See vorausgeschickt hatte und einen ganzen Tag lang liegen geblieben war. Und die zweite Tagereise wurde beinahe dadurch wieder eingebracht, daß Winnetou und Old Shatterhand die besten Pferde der Puebloindianer mitgenommen hatten; der Ritt ging also schneller als sonst von statten. Überdies folgte man keineswegs den Spuren des Ölprinzen; Winnetou wußte einen Weg, welcher mit Umgehung verschiedener Terrainschwierigkeiten rascher an das Ziel führte, und so kam es, daß der Reitertrupp heute kurz vor Abend höchstens noch zwei Stunden zu reiten hatte, um den See zu erreichen. Das war eine Leistung, welche um so mehr anerkannt zu werden verdiente, als sich ja Frauen und Kinder dabei befanden.

Seit dem Pueblo bis hierher war man auf keine einzige Fährte getroffen. Jetzt aber vereinigten sich die Richtungen Old Shatterhands und des Ölprinzen. Da verstand es sich ganz von selbst, daß der erstere auf die Spur des letzteren treffen mußte. Dies geschah an einer Stelle, wo sie über eine Lichtung führte, welche mehr eine Waldwiese als eine Prairie zu nennen war. Man sah sie als ziemlich breite und gerade Linie über dieselbe gehen. Der Zug hielt an. Winnetou und Old Shatterhand stiegen von ihren Pferden, um diese Fährte anzusehen. Die andern blieben im Sattel sitzen; sie waren gewohnt, den beiden ebenso berühmten wie scharfsinnigen Männern den Vortritt zu lassen. Selbst Sam Hawkens, so erfahren und listig wie er war, pflegte sich erst dann der Sache anzunehmen, wenn er von den beiden dazu aufgefordert wurde.

Die Spur schien sehr schwer zu lesen zu sein, denn Old Shatterhand folgte ihr vorwärts, Winnetou schritt sie rückwärts ab, und es verging beinahe eine Viertelstunde, ehe sie wieder um- und zueinander zurückkehrten. Sie stießen gerade da, wo die Reiter hielten, wieder zusammen, so daß also die andern hörten, was sie sich mitzuteilen hatten.

„Was sagt mein roter Bruder zu dieser Spur?“ fragte Old Shatterhand seinen Freund. „Ich habe noch selten eine Fährte gefunden, welche so schwer zu verstehen ist.“

Winnetou blickte gerade vor sich hin, in die Luft hinein, als ob die Erklärung dort zu lesen sei, und antwortete mit der ihm eigenen Bestimmtheit, der man es stets anhörte, daß jede Täuschung ausgeschlossen sei:

„Wir werden morgen dreierlei Menschen sehen- Bleichgesichter und Krieger von zwei roten Nationen.“

„Ja, das meine ich auch. Die Roten werden Navajos und Nijoras sein. Diese drei Parteien befinden sich in diesem Augenblicke am Gloomy-water, um einander zu beschleichen.“

„Mein weißer Bruder hat das richtige erraten, wie immer und stets. Erst sind hier fünf Pferde geritten; das waren die Bleichgesichter, denen wir folgen. Dann kam ein einzelner Reiter und später folgte ein Trupp, welcher wohl aus dreimal zehn Männern bestehen kann.“

Nach diesen Worten blickte er nach Westen, um sich über den Stand der Sonne zu unterrichten, und fuhr dann fort:

„Es wäre wohl vorteilhaft, noch heute das Gloomy-water zu erreichen; aber die Zeit ist zu kurz und die Gefahr dabei zu groß. Was sagt Old Shatterhand dazu?“

„Ich gebe dir recht. Ehe wir am Wasser ankämen, würde es Nacht sein, also zu spät, um noch etwas vornehmen zu können. Wir würden nichts sehen, dafür aber im Gegenteile von den Feinden bemerkt werden. Und schließlich ist zu bedenken, daß unser Trupp nicht nur aus Kriegern oder Männern zusammengesetzt ist.“

„Sehr richtig! Wir können erst morgen früh, wenn es hell geworden ist, an das Wasser und werden also baldigst Lager machen.“

„Wo?“

„Winnetou kennt einen Ort, welcher eine Stunde vom Gloomy-water entfernt ist. Dort kann man sogar ein Feuer anbrennen, welches weder gesehen noch gerochen werden kann. Meine Brüder mögen mir dorthin folgen!“

Damit war für ihn die Sache entschieden und geordnet; er ritt weiter, ohne sich umzusehen, ob die andern ihm auch folgten. Old Shatterhand aber blieb halten, denn er sah mit leisem Lächeln, daß die Westmänner jetzt von den Pferden stiegen, um nun auch ihrerseits die Fährte zu untersuchen. Es war jenes gutmütig-überlegene Lächeln, mit welchem zum Beispiel ein Klaviervirtuos die „berühmten“ Klosterglocken oder das ebenso bekannte Gebet einer Jungfrau spielen hört.

Sie suchten hin und her, teilten sich leise ihre Meinungen mit und schienen nicht einig werden zu können. Da mahnte Old Shatterhand endlich:

„Macht, daß ihr fertig werdet, Mesch’schurs! Winnetou ist schon weit fort und wird soeben dort im Wald verschwinden.“

„Ja, Sir,“ antwortete Sam Hawkens, indem er sich kratzte, „ihr beide habt gut reden, ihr seid Meister; unsereiner aber wird aus der Sache nicht so schnell klug wie ihr, wenn ich mich nicht irre.“

„Was ist denn noch Unklares dabei?“

„Das von den zwei roten Parteien.“

„Das ist doch sehr leicht zu ersehen.“

„Finde es nicht so leicht. Zuerst gab es fünf Reiter; das war natürlich der Ölprinz mit seinen Leuten. Zuletzt kamen ungefähr dreißig Pferde; die wurden von Indianern geritten. Das ist die eine Partei. Nicht?“

„Ja.“

„Und die andre Partei?“

„Ist der einzelne Indianer, welcher den Weißen gefolgt ist.“

„Kann der nicht zu den dreißig Roten gehören?“

„Nein.“

„Er kann doch von ihnen vorausgeschickt worden sein.“

„Nein, denn in diesem Falle wäre er zu ihnen zurückgekehrt, um ihnen Nachricht zu bringen, was aber nicht geschehen ist. Wir wissen, daß der Tomahawk des Kampfes ausgegraben worden ist; wenn es in der hiesigen Gegend zum Streite kommt, so kann es nur zwischen den Nijoras und Navajos geschehen. Diese beiden Nationen senden vorher Kundschafter gegeneinander aus. Die dreißig Reiter, welche hier geritten sind, bilden einen Spähertrupp. Sie sind auf die Spur des einzelnen gestoßen, welcher sie dann folgten, um über seine Kameraden herzufallen.“

„Kameraden? Sollte er welche haben?“

„Das versteht sich ganz von selbst. Keine kriegführende rote Nation schickt einen einzelnen Mann auf Kundschaft aus; die Späher gehen in Trupps; er hat sich aus irgend einem Grunde von dem seinigen entfernt und kehrt jetzt zu ihm zurück. Sie verfolgen ihn.“

„Und gerade auf der Spur der Weißen?“

„Warum nicht? Das kann sowohl Zufall als auch Absicht sein. Kein Späher darf eine Fährte, welche er findet, unberücksichtigt lassen; er muß ihr so weit folgen, bis er sich über sie klar geworden ist. Ich möchte sogar so kühn sein, zu bestimmen, welchen Stämmen diese Kundschafter angehören.“

„Das kann ich ooch!“ fiel da der Hobble-Frank eifrig ein.

„Wirklich?“ fragte Old Shatterhand.

„Ja. Für unsereenen is es doch nich etwa schwer, zu beschtimmen, ob Herodot zu den Makkabäern oder Simson zu den Japanesen gehört hat.“

„Schön; dann mal los!“

„Na, die dreißig sind Nijoras gewesen; der eene aber war een Navajo. Wenn das nich wahr is, will ich nich der berühmte Hobble-Frank sein.“

„Und die Gründe zu dieser Annahme?“

„Die sind so klar wie meine Hutkrempe. Es ist doch erwiesen, daß die Navajos tapfer sind. Nich?“

„Ja.“

„Tapferer wohl als die Nijoras?“

„Möglich.“

„Na, was zeigt denn nu von größerer Tapferkeet? Wenn dreißig hier beisammen sind oder wenn een eenzelner sich ganz alleene in so eene gefährliche Gegend wagt?“

„Das letztere.“

„Also! Er hat mehr gewagt als die andern; darum is er een Navajo und die andern sind Nijoras. Is das die richtige Guitarre oder nich?“

„Auch ich bin überzeugt, daß er ein Navajo ist und die dreißig Nijoras sind, doch aus andern Gründen. Es gibt aber keine Zeit, dieselben auseinanderzusetzen. Man sieht Winnetou schon nicht mehr. Machen wir, daß wir ihn einholen!“

Die Westmänner stiegen wieder auf und ritten im Trabe weiter, bis sie den Apachen erreichten. Noch ehe die Sonne ganz verschwunden war, lenkte dieser links von der Fährte ab, in den Wald hinein, wo sie bald an eine Bodenvertiefung kamen, als ob hier ein Schacht, ein Stollen zusammengestürzt sei. Er zeigte hinab und sagte:

„Da unten werden wir lagern. Stellen wir hier oben eine Wache her, so dürfen wir unten ein Feuer anzünden, ohne daß ein Feind uns zu entdecken vermag.“

Es ging nicht sehr steil zur Tiefe, so daß die Pferde unschwer hinabgeführt werden konnten. Sie fanden an den Zweigen der dort stehenden Büsche genug Futter für die Nacht. Oben blieb ein Wächter stehen, und unten wurde ein Feuer angezündet, an welchem das Abendessen bereitet wurde.

Der Gegenstand des Gespräches war natürlich der morgende Tag, doch wurde dasselbe nicht lange fortgeführt, weil nach dem langen Ritte alle so ermüdet waren, daß sie sich sehr bald niederlegten. Ehe Old Shatterhand und Winnetou dies thaten, hatten sie noch eine kurze Verständigung. Der erstere sagte:

„Es ist möglich, daß es morgen zu einem Kampfe kommt, bei welchem wir die Frauen und Kinder nicht gefährden dürfen, auch möchte ich die Auswanderer nicht dabei haben. Sie sind unerfahren und würden uns nur hinderlich sein. Wollen wir sie nicht lieber hier zurücklassen? Der Ort ist sicher und eignet sich sehr gut zum Verstecke.“

„Für den Fall eines Kampfes hat mein Bruder recht. Aber wie nun, wenn wir das Gloomy-water schnell verlassen müssen? Vielleicht bleibt uns keine Zeit, hierher zurückzukehren und diese Leute zu holen.“

„Hm, ja! Es steht allerdings zu erwarten, daß wir uns beeilen müssen. Ich befürchte, daß die Indsmen die fünf Weißen gefangen nehmen.“

„Winnetou denkt, daß dies schon geschehen ist.“

„Dann müßten wir aber denn doch schnell hinterher sein, um dieselben zu befreien. Wären wir gezwungen, vorher hierher zurückzukehren, so würden wir eine kostbare Zeit versäumen. Aber es ist auch gefährlich, mit den Frauen und Kindern so stracks nach dem See zu gehen.“

„Es gibt nur ein Mittel, diese Gefahr zu vermeiden und doch nicht die Zeit zu versäumen.“

„Ich weiß es. Es muß einer von uns beiden sehr zeitig voranreiten, um die Gegend des dunklen Wassers auszuspähen.“

„So ist es,“ nickte Winnetou.

„Wer soll es thun? Ich bin gern bereit dazu.“

„Nein; ich werde dies thun. Mein Bruder Old Shatterhand muß hier bleiben, weil er mit diesen Leuten besser verkehren kann als ich. Winnetou ist ein Krieger; er wird diese weißen Squaws und Babies beschützen, weil er es versprochen hat, aber ihnen mit Worten die Zeit zu vertreiben, dazu fehlt ihm das Geschick. Ich werde fortreiten, noch ehe es ganz Tag geworden ist. Mein Bruder mag mir dann mit den andern langsam nachkommen. Er braucht nur meiner Spur zu folgen, so wird er, falls Gefahr vorhanden ist, meine Warnungszeichen finden, oder ich komme auch selbst zurück.“

Dabei blieb es. Als Old Shatterhand am nächsten Morgen erwachte, war der Apache fort. Nach vielleicht einer Stunde wurde aufgebrochen. Die Westmänner untersuchten ihre Waffen, ob dieselben in gutem Zustande waren, doch hüteten sie sich wohl, den Auswanderern zu sagen, daß der heutige Ritt vielleicht ein gefährlicher sei; dieselben wurden nur angehalten, die tiefste Stille zu bewahren.

Winnetou hatte dafür gesorgt, daß seine Fährte leicht zu erkennen war. Man folgte derselben langsam, um ihm die zum Spähen erforderliche Zeit zu lassen, und hatte darum die Gegend des Sees erst nach fast zwei Stunden erreicht. Da sah man ihn geritten kommen.

„Alle Wetter, das ist kein gutes Zeichen!“ sagte Sam Hawkens.

„Und ich denke grad das kongruente Gegenteel,“ erklärte der Hobble-Frank. „Er wird uns sagen, wie die Sache schteht; da wissen wir nachher, woran wir sind mit dem neuen Klavier. Käme er nich, da würden unsre Köppe in ihren unklaren Dimensionen schtecken bleiben.“

„Nein. Stände es gut, so würde er am See auf uns warten.“

„Schtreite nur nich so, alter Waschbär! Wir werden gleich erfahren, was richtig is, ob Connewitz oder ob Schtötteritz.“

Jetzt war der Apache angekommen. Der Zug hielt an und Winnetou erklärte:

„Ich kehre nicht zurück, weil eine Gefahr vorhanden ist; sie ist vorüber; ich komme nur, weil es für mich jetzt nichts mehr zu thun gab. Meine Brüder mögen mir folgen!“

Als einige sich an ihn machten, um ihn auszufragen, sagte er:

„Winnetou wird an Ort und Stelle reden, aber nicht vorher.“

Man ritt weiter. Die Fährte derer, welche gestern hier geritten waren, war stellenweise noch ziemlich deutlich zu sehen; nur da, wo es steinigen Boden gab, bedurfte es eines Auges wie dasjenige des Apachen, sie noch zu erkennen. So wurde der Eingang der Schlucht erreicht, welche zum See führte. Da hielt Winnetou an und berichtete.

„Durch diese kurze Schlucht muß man reiten, um nach dem Gloomy-water zu gelangen. Winnetou hat erforscht, was gestern hier geschehen ist.“

Er deutete nach der Höhe des Berges und fuhr fort:

„Da oben haben sieben Kundschafter der Navajos kampiert. Der achte, welcher zu ihnen gehörte, ist der einzelne Reiter, dessen Spur wir gestern gesehen haben. Er ist hinter den Weißen her und hat, als sie sich am See befanden, seine sieben Krieger herbeigeholt, um sie zu überfallen.“

„Ist das geschehen?“ fragte Hawkens.

„Ja. Die Weißen sind überwältigt worden. Aber inzwischen sind die dreißig Nijoras gekommen und haben sich hier hinter den Bäumen versteckt. Meine Brüder können die Spuren derselben noch ganz deutlich sehen. Sie haben gewartet, bis die Navajos mit den weißen Gefangenen vom See zurückkehrten und sind ihnen dann gefolgt.“

„Um sie zu überfallen?“

„Ja.“

„Warum thaten sie das nicht gleich hier? Diese Stelle ist wie geschaffen zu einem Überfalle.“

„Winnetou hat darüber nachgedacht, ohne aber die richtige Antwort zu finden. Vielleicht entdecken wir später den Grund, weshalb die Nijoras noch gewartet haben. Die Navajos sind mit ihren Gefangenen da links in den Wald hinein bis zu einer Stelle, an welcher es Wasser gibt. Dort lagerten sie sich und dort wurden sie von den Nijoras angegriffen.“

„Also hat es Kampf und Blut gegeben?“

„Von Blut hat mein Auge keinen Tropfen entdecken können und ein wirklicher Kampf hat auch nicht stattgefunden. Die Navajos sind so überrascht gewesen, daß sie wohl gebunden worden sind, ehe sie an Widerstand gedacht haben.“

„Pfui Schande!“ rief da der Hobble-Frank aus. „Und ich habe diese Feiglinge tapfere Leute genannt! Wenn ich gewußt hätte, daß sie sich so mir nischt und dir ooch nischt bei den Haaren ergreifen lassen, da hätte ich ihnen eenen ganz andern Namen gegeben. Wer sich fangen läßt, ohne sich ooch nur zur Wehre zu setzen, der hat sich für alle Zeit um meine ganze konvexe Hochachtung gebracht!“

Winnetou beachtete diese in deutscher Sprache vorgebrachte Rede nicht; er fuhr in seiner Erklärung fort:

„Die Navajos und die Weißen befinden sich also in der Gewalt der Nijoras. Diese sind während der Nacht an derselben Stelle lagern geblieben und am Morgen mit ihren Gefangenen fortgeritten.“

„Wohin?“ fragte Sam Hawkens.

„Das weiß ich nicht. Ich habe ihrer Spur nicht folgen können, weil ich ja auf euch warten mußte.“

„Wir müssen ihnen nach! Es handelt sich nicht um den Ölprinzen und die beiden Kerls, welche bei ihm sind. Die mögen meinetwegen skalpiert werden. Aber der Bankier und sein Buchhalter müssen befreit werden. Mir ist nur eins unerklärlich: Am See gibt es doch Wasser und Futter genug für die Pferde. Warum sind die Roten nicht dort geblieben? Warum haben sie da im Walde gelagert, wenn ich mich nicht irre?“

Old Shatterhand hatte bis jetzt noch nichts gesagt, sondern seine Aufmerksamkeit neben den Erklärungen des Apachen auch dem seichten Abflußwässerchen zugewendet, welches aus der Schlucht gerieselt kam. Jetzt, bei Sams letzten Worten, deutete er auf dieses Wasser und antwortete:

„Mir scheint, daß hier die Erklärung fließt!“

„Wieso?“

„Riecht ihr denn nichts? Betrachtet doch das Wasser! Es schwimmen ölige Augen darauf.“

Jetzt blickten alle zu dem Bächlein nieder, sogen die Luft ein und fanden, daß dieselbe nach Petroleum roch.

„Hat mein Bruder etwa Öl im See gesehen?“ fragte Old Shatterhand den Apachen.

„Ja,“ nickte dieser.

„So hat der Ölprinz das ausgeführt, was wir belauschten. Reiten wir hinein. Ich muß sehen, wie es steht.“

„Aber dabei verlieren wir Zeit,“ warf Sam Hawkens ein. „Wir wollen doch den Nijoras nach!“

„Die entgehen uns nicht. Die werden durch die Gefangenen aufgehalten. Wir holen sie jedenfalls noch rechtzeitig ein. Jetzt vor allen Dingen will ich das Gloomy-water sehen.“

Er lenkte sein Pferd nach der Schlucht und die andern folgten ihm. Der Petroleumgeruch wurde von Schritt zu Schritt stärker, bis sie den See vor sich liegen sahen. Der Anblick desselben wirkte so, daß alle ihre Augen wortlos auf die dunkle, unheimliche Fläche richteten. Nur bei einer Person war die Wirkung eine entgegengesetzte, nämlich bei Frau Rosalie Ebersbach. Als diese den See erblickte, stieß sie einen Ruf des Erstaunens aus, rutschte von ihrem Pferde herab, eilte an das Ufer, hielt einen Finger in das Wasser, besah und beroch denselben und rief aus:

„Dunner Sachsen, is das eene großartige Entdeckung! Herr Hobble-Frank, riechen Sie doch gleich ‚mal da an meinen Finger! Schpüren Sie, was das is?“

Sie hielt ihm den Finger unter die Nase. Er zog den Kopf zurück und antwortete.

„Lassen Sie mich mit Ihrem Spitz- und Zeigefinger in Ruhe! Den brauch‘ ich nich, um zu erfahren, woran ich bin. Wenn ich ‚was riechen will, schtecke ich die Nase da in den See. Da habe ich die Petroleumwonne aus der erschten Hand.“

„Also Sie geben ooch zu, daß es Petroleum is?“

„Natürlich! Oder denken Sie etwa, daß ich es für Himbeerlikör halte? Da kennen Sie meine Nase schlecht; die is oft feiner, als ich selber bin.“

„Aber so eene Menge, so eene Menge!“ rief sie, noch immer ganz fassungslos. „Ich hab‘ freilich schon gehört, daß das Petroleum in Amerika aus der Erde geloofen kommt, hab’s aber nich gegloobt. Nu aber liegt’s vor meinen eegenen und leibhaftigen Oogen. Ich bleibe hier; ich bleibe hier; mich bringt keen Mensch von dieser Schtelle fort.“

„So? Was wollen Sie denn da?“

„Ich fange eenen Petroleumhandel an. Da is ja een Geschäft zu machen, wie es gar nich größer sein kann. Hier kostet das Öl nich eenen Pfennig und drüben in Sachsen muß man fürs Liter beinahe zwee Groschen bezahlen. Es bleibt dabei: ich laß mich hier nieder und handle mit Petroleum!“

Sie schlug die Hände sehr energisch zusammen, ein Zeichen, daß dieser Entschluß ein unerschütterlicher sei. Frank antwortete lachend:

„Schön! Setzen Sie sich immer in den Besitz dieser schönen Gegend! Aber gleich schon am erschten Tage kommen die Indianer und roofen Ihnen die Haare alle eenzeln aus. Denken Sie denn, Sie können sich hier so gemütlich niederlassen wie derheeme off den Großvaterschtuhl oder off die Ofenbank? Handeln wollen Sie? Wer kooft Ihnen hier was ab? Wovon leben Sie? Und wonach riechen Sie? Wenn Sie nur drei Tage lang hier sitzen bleiben, hat Ihre ganze komparative Persönlichkeet eenen Duft angenommen, den Sie mit dem ganzen transatlantischen Ozean nich nunterwaschen können.“

Diese Warnung hatte den Erfolg, daß Frau Rosalie ein bedenkliches Gesicht machte und sich ihrem Manne zuwandte, um dessen Meinung zu hören. Die andern hatten sich indessen von ihrem Staunen erholt; sie knieten am Ufer, untersuchten das Öl und teilten sich in lauten Ausrufen ihre Bemerkungen mit. Am ruhigsten waren selbstverständlich Winnetou und Old Shatterhand. Sie hatten sich von den andern entfernt, um einen Gang um den See zu machen und die Ufer desselben genauer abzusuchen, als es vorher von dem Apachen hatte geschehen können.

Derjenige, auf welchen diese Petroleummasse den größten Eindruck machte, war der Kantor. Die andern waren schon längst von ihrem Staunen zurückgekommen, da stand er noch immer da und starrte mit weitgeöffneten Augen und ebenso offenstehendem Munde auf das Wasser. Als der Hobble-Frank dies bemerkte, trat er zu ihm, gab ihm einen Klaps auf den Rücken und sagte:

„Ihnen is wohl der ganze menschliche Verschtand schtehen geblieben? Fassen Sie sich! Nehmen Sie sich zusammen und erinnern Sie sich daran, daß so een See voll Kaffee viel besser schmecken würde, als seine jetzigen Inhaltsbeschtandteele! Wahrhaftig, Sie scheinen Ihre ganze Mutterschprache verloren zu haben! Wenn Sie nich reden können, so versuchen Sie wenigstens, einige Töne zu singen, Herr Kantor!“

Da kehrte dem musikalischen Herrn die Sprachfähigkeit zurück. Er holte tief, tief Atem und antwortete:

„Kantor emeritus, wenn ich bitten darf, Herr Franke! Ich fühle mich ganz grandios berührt. Es ist ein ganz unbeschreiblicher Anblick. Mich überkommt ein Gedanke, ein Gedanke, ebenso grandios und unbeschreiblich wie dieser See, sage ich Ihnen.“

„Welcher Gedanke, Herr Emeritikus?“

„Emeritus, lieber Freund. Sie haben eine Silbe zu viel.“

„Wie? Was? Eene Silbe hätte ich zu viel? Eene ganze Silbe? Wer Ihnen das weiß gemacht hat, der hat das A-B-C noch nich im Koppe. Ehe ich eene Silbe zu viel ausschpreche, gehn eher Sonne, Mond und Schterne zu Grunde. Ich habe mein Silbenmaß schtets bei mir; es is mir angeboren. Ich mach’s ganz so wie die Pflaumenhändler: ich laß eher eene weg, als daß ich eene zu viel gebe; darauf können Sie sich verlassen. Das wollte ich nur so nebenbei bemerkt haben. Die Hauptsache war der grandezziose Gedanke, der Ihnen gekommen is. Darf ich den erfahren?“

„Ja, Ihnen will ich ihn mitteilen, vorausgesetzt, daß Sie es nicht ausplaudern.“

„O, was das betrifft, so dürfen Sie meiner größten und verschwiegensten Dislokation versichert sein. Is dieser Gedanke so een großes Geheimnis?“

„Außerordentlich! Wenn ein andrer Komponist ihn erführe, er würde ihn sofort für sich verarbeiten. Sie wissen doch von meiner Heldenoper? Was?“

„Ja – – zwölf Akte.“

„So ist es, Und wissen Sie, was ich in dieser Oper bringen werde?“

„Natürlich weeß ich das.“

„Nun, was?“

„Musik werden Sie bringen.“

„Natürlich! Das ist ja selbstverständlich. Ich meine in Beziehung auf den Inhalt dieser Musik und auch betreffs der Scenerie, der Ausstattung.“

„Da muß ich sagen, daß ich mich zwar mit allen Wissenschaften beschäftigt habe, aber die musikalische Ausschtattung soll erscht noch drankommen. Also weiter! Was wollen Sie bringen?“

Der Kantor näherte seinen Mund dem Ohre Franks, hielt seine hohlen Hände wie ein Sprachrohr an dasselbe und flüsterte hinein:

„Einen solchen Petroleumsee werde ich bringen.“

Frank fuhr zurück und fragte:

„Etwa off die Bühne?“

„Jawohl, ganz selbstverständlich.“

„Herrjemineh, eenen Petroleumsee off die Bretter, welche die Erde bedeuten! Is das die Möglichkeet?“

„Nicht wahr, Sie staunen?“ fragte der Emeritus triumphierend. „Da wird sogar Ben Akiba zu Schanden.“

„Ben Akiba? In wiefern der?“

„Er hat behauptet, es sei alles schon dagewesen; aber einen Petroleumsee auf der Bühne hat es noch nicht gegeben.“

„Das mit der Bühne mag richtig sein; das mit Ben Akiba aber is unbedingt falsch.“

„Wieso?“

„Es is eene Verwechslung identischer Persönlichkeeten. Wissen Sie, wer das gewesen is, der gesagt hat, es sei schon alles ‚mal dagewesen?“

„Eben dieser Ben Akiba.“

„Nee. Wenn Sie das sagen, da halten Sie die ungerade Fünfe vor eene gerade Neune. Das Wort, daß alles schon dagewesen is, hat Benjamin Franklin gesagt, als er den Blitzableiter erfand und nachher an eene Scheune kam, wo schon seit langer Zeit eener droff gewesen war. Ben Akiba war een ganz andrer Mann, een persischer Feldherr, und hat den griechischen Kaiser Granikus in der Seeschlacht bei Gideon und Ajalon besiegt.“

„Aber, lieber Herr Frank, Gideon und Ajalon, das kommt ja in der Bibel vor, im Buche der Richter, wo Josua – – –“

„Schweigen Sie ergebenst!“ unterbrach ihn Frank in beleidigtem Tone. „Wo das vorkommt, das is meine Sache, aber nich die Ihrige. Reden Sie mir nich in meine Wissenschaft, wie ich Ihnen nich in die Ihrige rede. Ich lasse Ihnen doch ooch Ihren Willen. Ob Sie in Ihrer Oper eenen Petroleumsee bringen oder Ihre Oper hier im Petroleumsee, das is mir ganz egal; das können Sie machen, wie Sie wollen; den Ben Akiba aber nehme ich für mich in Anschpruch; der is mein; den laß ich mir nich von Ihnen komponieren!“

Er wendete sich entrüstet ab und schloß sich Droll, Sam, Dick Stone und Will Parker an, welche sahen, was Winnetou und Old Shatterhand thaten und nun auch zu suchen begannen. Der letztere bemerkte dies, kam eiligst herbei und bat:

„Nehmt euch in acht, Mesch’schurs, daß ihr mir die Spuren nicht verderbt! Was wollt ihr denn entdecken?“

„Wir wollen die Stelle suchen, an welcher die fünf Weißen überrumpelt worden sind,“ antwortete Hawkens.

„Die könnt ihr nicht mehr entdecken. Die Spuren davon sind durch unsre Pferde ausgetreten worden; sie liegt da vorn in der Nähe des Einganges. Wir aber wollen etwas andres, etwas weit Wichtigeres entdecken.“

„Was, Sir?“

„Die Höhle, in welcher, wie ich euch ja erzählt habe, die Petroleumfässer versteckt gewesen sind.“

„Die wird doch wohl zu finden sein!“

„Nicht so leicht, wie ihr denkt. Die Kerls haben die Spuren außerordentlich gut ausgewischt.“

„Sollte man es denken! Eine Höhle, wo so viele Fässer aufbewahrt worden sind, muß groß sein und also einen weiten Eingang haben. Die Fässer sind herausgeschafft, an das Wasser gerollt und nachher, als sie leer waren, wieder hineingeschafft worden. Das muß doch Spuren geben!“

„Natürlich. Sie sind aber leider geradezu meisterhaft verwischt worden.“

„Laßt uns mit suchen, Sir! Dann wird sie sich schon finden.“

„Gut; aber verderbt mir nichts.“

Die sonst so scharfsinnigen Westmänner forschten das ganze Seethal durch; es verging Stunde um Stunde, ohne daß sie ihren Zweck erreichten. Winnetou, der unübertroffene Meister im Spüren, gab endlich alle Hoffnung auf und sagte zu Old Shatterhand:

„Mein weißer Bruder mag sich nicht mehr bemühen. Die Höhle kann wohl nur durch einen Zufall entdeckt werden.“

Aber Shatterhand war hartnäckiger. Er ärgerte sich. Sollte es heißen, daß er nicht im stande gewesen sei, einen Ort zu finden, dessen Dasein vollständig erwiesen war? Er betrachtete es nachgerade als Ehrensache, seinen Zweck doch noch zu erreichen, und antwortete:

„Was der Zufall kann, müssen wir doch auch können. Wozu haben wir gelernt, zu denken?“

Er schloß die Augen, um sich durch nichts irre machen zu lassen, und stand eine Weile still und unbeweglich. Winnetou beobachtete ihn, sah, daß eine eigentümliche Bewegung über sein Gesicht ging und fragte –

„Mein Bruder hat den Weg gefunden?“

„Ja,“ meinte Old Shatterhand, indem er die Augen wieder öffnete; „wenigstens hoffe ich es. Wenn ich mich nicht irre, so war es gar nicht schwierig, ja sogar sehr leicht, die Höhle zu finden. Die vollen Fässer waren schwer, und vierzig waren es. Wo vierzig Fässer hin und her gerollt werden, wird das Gras so fest niedergedrückt, daß es mit den Händen unmöglich aufgerichtet werden kann; es wird mehrere Tage liegen bleiben. Die Arbeit, welche hier geschehen ist, ist aber erst gestern, höchstens vorgestern verrichtet worden. Das Gras müßte also noch niederliegen. Gibt dies mein roter Bruder zu?“

„Old Shatterhand hat recht,“ stimmte der Apache bei.

„Die Stelle muß also da liegen, wo es kein Gras gibt, kein Gras nämlich auf dem ganzen Wege vom Ufer nach dem Felsen, in welchem sich die Höhle befindet.“

„Uff, uff!“ rief Winnetou aus, indem sein bronzenes Angesicht erglühte, vielleicht vor Freude, vielleicht aber auch vor Scham, nicht auch auf diesen Gedanken gekommen zu sein.

„Ferner,“ fuhr Old Shatterhand fort, „beim Auslaufenlassen der Fässer ist unbedingt Öl verschüttet worden, auch muß der Rand des Ufers beschädigt worden sein. Beides müßte man sehen, wenn dieser Rand aus Rasen bestände. Besteht er aber aus Erde oder Gestein, so kann leicht nachgeholfen werden. Nun suche mein roter Bruder das ganze Ufer ab; er wird überall Gras und Rasen finden, zwei Stellen ausgenommen, die wir sofort untersuchen werden.“

Die eine dieser Stellen war nicht allzuweit vom Eingange des Thales entfernt. Dorthin gingen die beiden, gefolgt von den Westmännern, welche begierig waren, zu erfahren, ob der Scharfsinn Old Shatterhands auch dieses Mal das richtige getroffen hatte.

Ein vielleicht drei Ellen breiter, aus Schlammsand und Steingeröll bestehender grasloser Streifen zog sich da von dem Felsen nach dem Wasser hin. Der Jäger kniete in der Nähe des Ufers nieder und beroch den Boden.

„Gefunden!“ rief er aus. „Hier riecht das Gestein nach Öl; es ist welches verschüttet worden.“

Er scharrte mit den Händen den Boden auf; die untere Schicht war voller Öl; man hatte, um dies zu verbergen, die obere darauf geworfen.

„Also hier sind die Fässer geleert worden,“ sagte er. „Wurde dabei das Ufer beschädigt, so war es leicht und schnell ausgebessert, da es aus Geröll bestand. Ich wette mein Leben, daß dort, wo dieser Streifen an den Felsen stößt, die Höhle zu suchen ist. Laßt sehen!“

Er folgte dem Streifen, welcher am Felsen in einen hohen Geröllhaufen auslief; die andern kamen hüben und drüben nachgegangen. Er blieb vor dem Haufen stehen, betrachtete denselben nur einen Augenblick und erklärte dann:

„Ja, wir sind am Ziele. Hinter diesem Steinhaufen befindet sich die Höhle.“

Der Hobble-Frank wollte sich gern auch als berühmten Westmann aufspielen und fragte darum:

„Das sehen Sie mit diesem einen Blick, Herr Shatterhand?“

„Ja,“ antwortete der Gefragte.

„Das müßte ich doch ooch erkennen können. Darf ich ‚mal hinschen?“

„Thun Sie es!“

Frank betrachtete den Haufen von allen Seiten, schien aber nichts zu finden.

„Nun?“ fragte Old Shatterhand. „Was sehen Sie, lieber Frank?“

„Eenen Haufen, der so wie alle Haufen is; das heeßt een Schteenhaufen, der aus eenem Haufen von Schteenen beschteht.“

„Sehen Sie denn nur die Steine?“

„Ja, nur.“

„Weiter gar nichts?“

„Nich das Geringste.“

„Bedenken Sie, daß unter diesen Umständen der kleinste Gegenstand von der größten Bedeutung sein kann!“

„So, also nach eenem kleenen Gegenschtande soll ich suchen. Ich finde aber nischt.“

Auch die andern bei ihm Stehenden suchten gerade so vergeblich wie er. Nur der Apache ließ ein leises, befriedigendes „Uff!“ vernehmen. Sein Auge war auf einen toten Laufkäfer gefallen, der halb unter einem Steine lag.

„Sonderbar!“ lächelte Old Shatterhand. „Nur Winnetou sieht, was ich meine. Frank, sehen Sie denn den schwarzen Käfer nicht, dessen halber Leib da unter dem Steine hervorblickt?“

„Ja, den Käfer, den habe ich freilich schon längst entdeckt.“

„Nun, und – – –?“

„Nu – – und – –? Ja, was denn nu, und was denn und? Es is eben een Käfer, weiter nischt.“

„Weiter nichts? Sogar sehr viel, denn er sagt mir, daß wir bei der Höhle sind.“

„Wie? Der? Was kann der sagen? Selbst wenn er bei Lebzeiten eene verschtändliche Schprache besessen hätte, er is jetzt tot.“

„Ja, er ist tot. Woran mag er wohl gestorben sein?“

„Weeß ich’s? Vielleicht an Diphtheriteris oder Trommelfellentzündung.“

„Nehmen Sie ihn weg und betrachten Sie ihn!“

Frank mußte den Stein aufheben, um den Käfer wegnehmen zu können.

„Er is von dem Schteene zerquetscht worden,“ erklärte er, indem er ihn betrachtete.

„Ganz richtig! Wie aber hat dies geschehen können? Hat sich das Tierchen etwa selbst unter den Stein gedrängt, so daß es von diesem zermalmt wurde?“

„Nee, dazu hätte das Käferchen die Kraft nich besessen. Der Schteen is off ihn droff geworfen worden.“

„Schön! Endlich haben Sie es! Wenn geworfen wird, ist jemand da, welcher wirft; das sehen Sie doch ein?“

„Ja, das sehe ich – – –“

Er hielt inne, besann sich einige Augenblicke, schlug sich dann mit der Hand an die Stirn und rief aus:

„Jetzt habe ich endlich den Ochsen bei den Hörnern erwischt! jetzt begreife ich’s! Sollte man’s denken, daß so een gescheiter Kerl, wie ich bin, so riesenhaft dumm sein kann! Diese Schteene sind unter- und übereenander geworfen worden, wobei der Käfer sein irdisches Dasein verloren hat. Dieser aus eenern Haufen von Schteenen beschtehende Schteenhaufen is erscht weggeschafft und nachher wieder offgerichtet worden. Warum und wozu? Weil er den verschlossenen Eingang zu der Höhle bildet und –“

Hobble-Frank hielt wieder inne und horchte.

„Was gibt’s?“ fragte Old Shatterhand.

„Ich habe ‚was gehört,“ antwortete Frank.

„Wo? In der Höhle?“

„Ja.“

„Was?“

„Een Geräusch wie von eener unterirdischen Schtimme. Es klang so dumpf. Herr meine Güte, es wird doch nich etwa een Bär drin sein!“

„Schwerlich.“

„Es klang aber beinahe so!“

„Von einem Bären kann keine Rede sein. Wäre einer da, so wäre das Loch vorhanden, durch welches er ein und aus geht.“

„Das is eben gestern zugemacht worden.“

„Das würde er sich wohl verbeten haben,“

„Horchen Sie einmal! Ich hör’s schon wieder.“

Old Shatterhand kniete nieder und horchte. Kaum hatte er das gethan, so sprang er wieder auf und rief aus:

„Herr Gott, es sind Menschen drin! Sie rufen um Hilfe. Schafft die Steine weg, schnell, schnell!“

Sofort waren zehn und mehr Arme bereit, diesen Befehl auszuführen. Schon nach einigen Augenblicken kam das Loch zum Vorscheine.

„Ist da jemand drin?“ fragte Old Shatterhand in englischer Sprache hinein.

Yes,“ antworteten zwei Stimmen zu gleicher Zeit.

„Wer seid ihr?“

„Ich heiße Rollins,“

„und ich Baumgarten,“ erwiderten die beiden.

„Rollins und Baumgarten!“ erklang es aus aller Munde. Das war eine große Überraschung; man hatte ja geglaubt, daß diese beiden mit von den Nijoras ergriffen worden seien, nachdem sie vorher von den Navajos gefangen genommen worden waren. Sie waren ganz glücklich, wieder Menschen zu hören und das Tageslicht zu erblicken, welches durch das sich immer mehr vergrößernde Loch zu ihnen drang. Doch war der Gedanke auch nicht ausgeschlossen, daß der Ölprinz mit Buttler und Poller sich draußen befand. Darum fragte der Bankier, wer vor der Höhle sei. Da antwortete der Hobble-Frank, das gern und stets bereite Kerlchen:

„Wir sind es, die Helfer in der Not: Old Shatterhand, Winnetou, Droll, Sam, Dick und Will. Und wer ich bin, das sollt ihr gleich sehen; ich komme hinein!“

Er zwängte sich durch das Loch, aus welchem ein Freudenruf erschallte. Nun dauerte es nicht lange mehr bis der ganze Steinhaufen entfernt war. Der Eingang besaß die Höhe eines Mannes von mittlerer Größe und war so breit, daß ein Petroleumfaß bequem hinein- oder herausgerollt werden konnte. Als die Retter eintreten wollten, rief Frank ihnen zu:

„Bleibt draußen! Wir kommen hinaus. Ich muß den armen Teufeln nur erst die Fesseln zerschneiden.“

Ja, sie kamen, leichenblaß und angegriffen von der ausgestandenen Angst, ebensosehr auch von dem Petroleumgeruche, welcher in der Höhle herrschte. Sie reichten denen, welche sie von Forners Rancho her kannten, die Hände und blickten dann mit hochachtungsvollen Blicken zu Winnetou und Old Shatterhand auf.

„Das ging um euer Leben, Mesch’schurs,“ sagte der letztere. „Wir haben diese Höhle lange vergeblich gesucht und faßten schon den Entschluß, den See zu verlassen. Hätten wir dies gethan, wo wäre der Tod des langsamen Verschmachtens euer Los gewesen. Ihr habt natürlich Durst und Hunger?“

„Keins von beiden,“ antwortete Baumgarten. „Danke Euch, Sir! Wir haben nicht an Essen und Trinken gedacht, sondern nur an den elenden Tod, der uns getroffen hätte, wenn ihr nicht gekommen wäret.“

„Habt ihr denn nicht gedacht, daß eure Bekannten hier euch folgen würden?“

„Wie konnten wir das? Wir glaubten sie ja noch im Pueblo gefangen. Ich darf euch wohl versichern, daß der Dank, den wir euch – – –“

„Still davon!“ unterbrach ihn Old Shatterhand. „Hebt euern Dank für später auf! jetzt möchte ich vor allen Dingen einiges erfahren, was wir wissen müssen, wenn wir nichts versäumen wollen. Hoffentlich seid ihr nicht so sehr angegriffen, daß ihr nicht antworten könnt?“

„O, nun wir uns wieder in freier Luft befinden, ist alles gut.“

„Schön! Ich habe das Nötige über euch schon erfahren und möchte nur nach dem fragen, was in den letzten Tagen mit euch geschehen ist. Übrigens seid ihr mir nicht ganz unbekannt. Winnetou und ich haben euch schon gesehen.“

„Ah! Wann und wo?“ erkundigte sich der Bankier.

„Einen Tagesritt hinter dem Pueblo, wo ihr des Abends am Bache saßet. Wir krochen unter den Bäumen so nahe zu euch hin, daß wir euer Gespräch hören konnten.“

Good luck! So erfuhrt ihr wohl, daß es sich um einen Petroleumsee handelte?“

„Ja.“

„Und daß wir nach dem Gloomy-water wollten?“

„Wo es kein Petroleum gibt, ja, das hörten wir.“

„Ihr meintet, daß es hier keins geben könne? Warum ließet ihr euch da nicht sehen? Warum warntet ihr uns nicht?“

„Warum? Weil es sich fragt, ob ihr uns geglaubt hättet. Ihr seid ja auch schon vorher von andrer Seite gewarnt worden, ohne daß es gefruchtet hat. Übrigens hatten wir keine Zeit, uns sogleich mit eurem famosen Ölprinzen abzugeben. Wir mußten nach dem Pueblo, um die Gefangenen zu befreien.“

„Das ist euch gelungen, Sir?“

„Wie ihr seht, ja.“

„Wer hat euch da geholfen? Ihr hattet noch andre bei euch, Westmänner, erfahrene Prairieleute?“

„Nein; wir waren allein.“

„Allein?“ rief Rollins aus, indem er vor Erstaunen die Augen weit öffnete. „Ihr beide allein? Und da habt ihr die Gefangenen befreit?“

„Ja,“ antwortete Old Shatterhand, innerlich belustigt über die ungeheure Verwunderung des Bankiers.

„Das ist aber doch gar nicht möglich! Zwei Männer! Niemand weiter dabei! Wie habt Ihr das nur angefangen, Sir?“

„Das laßt Euch später einmal erzählen, Mr. Rollins. Jetzt möchten wir von Euch erfahren, wie Ihr vom Pueblo entkommen seid und was dann bis jetzt geschehen ist. Setzt Euch nieder und erzählt!“

Die ganze Gesellschaft nahm im Grase Platz, und der Bankier berichtete über die Erlebnisse der letzten Tage. Man kann sich denken, in welcher Weise er sich schließlich über Grinley, Buttler und Poller aussprach; da fiel ihm aber Old Shatterhand in die Rede:

„Raisonniert nicht bloß über sie, sondern auch über euch, Sir! Ein solches Vertrauen, wie ihr diesen Kerls entgegengebracht habt, ist mir unbegreiflich. Und die – ich will sagen Harmlosigkeit, mit welcher ihr in die euch gestellte Falle gelaufen seid, ist mir recht unverständlich. Nehmt es mir nicht übel, aber ihr seid an dem, was euch betroffen hat, selber schuld. Ihr vertraut euch, beide allein, unerfahren und ohne allen Schutz, solchen Halunken an! Das ist stark!“

„Ich hielt Grinley für einen ehrlichen Menschen,“ verteidigte sich Rollins kleinlaut.

Pshaw! Dem spricht der Schurke doch gleich aus den Augen. Und wenn es sich um eine so hohe Summe, um ein solches Unternehmen handelt, trifft man doch ganz andre Vorbereitungen!“

„Das wollte er nicht. Es sollte alles heimlich betrieben werden.“

„Aha! Ist denn Mr. Baumgarten hier Sachverständiger in Beziehung auf Petroleum?“

„Nein.“

„Was seid ihr doch für Menschen! Ihr hättet doch wenigstens einen Fachmann mitnehmen müssen!“

„Grinley meinte, dies sei fürerst nicht nötig. Da das Petroleum offen auf dem Wasser schwimme, so bedürfe es nur eines Blickes, um mir zu beweisen, daß das Geschäft ein wahrhaft glänzendes für mich sei.“

„Und als ihr dann kamt und das schöne Öl so schwimmen saht, da waret ihr wohl ganz entzückt?“

„Natürlich! Ihr gebt doch zu, Sir, daß es hier ein ganz außerordentliches Placer für Öl ist?“

Old Shatterhand warf einen fast betroffenen Blick auf den Sprecher, ehe er antwortete:

„Es scheint, ihr wißt selbst jetzt noch nicht, woran ihr eigentlich seid. Ihr haltet diesen See für ein natürliches Ölbassin?“

„Allerdings. Darin hat Grinley die Wahrheit gesagt; aber nachdem er meine Anweisung in den Händen hatte, sind wir niedergeschlagen und eingesperrt worden, um zu Grunde zu gehen. Wahrscheinlich will er nun den See an einen zweiten verkaufen.“

„Habt ihr euch denn nicht in der Höhle umgeblickt?“

„Wie konnten wir das? Als wir aus unsrer Betäubung erwachten, war es finster um uns her. Aber es roch so gewaltig nach Petroleum, daß in der Höhle wahrscheinlich der eigentliche Quell des Petroleums zu suchen ist.“

„Das ist richtig; nur handelt es sich nicht um einen Quell, sondern um viele Quellen, welche aus hölzernen Dauben gefertigt sind.“

„Dauben? Ich verstehe Euch nicht.“

„Na, habt ihr euch denn auch jetzt nicht drin umgesehen?“

„Nein. Wir haben vor lauter Wonne für nichts andres Augen gehabt, als für das Loch, durch welches das Licht des Tages drang.“

„So geht einmal hinein und schaut, was ihr drin finden werdet! Ich bin zwar selbst noch nicht in der Höhle gewesen, glaube aber, ihren Inhalt gut zu kennen. Vorher aber möchte ich Euch fragen, ob Ihr denn, als Ihr hier ankamt, das Petroleum betrachtet habt?“

„Natürlich habe ich das gethan.“

„Und wie habt Ihr es gefunden?“

„Ausgezeichnet gradezu!“

„Ja, ich auch,“ lachte Old Shatterhand. „Es hat gar nicht die Eigenschaften des Rohpetroleums, welches erst in Lampenöl, Schmieröl und Naphtha gespalten werden muß; es ist schon raffiniert. Ist Euch das nicht aufgefallen?“

„Nein. Wollt Ihr etwa sagen, daß es kein Rohpetroleum ist?“

„Ja, grad das meine ich.“

„Was sollte es denn sonst sein?“

„Diese Frage werdet Ihr Euch, wenn Ihr nochmals in der Höhle gewesen seid, wohl selbst beantworten. Wie lange glaubt Ihr wohl, daß das Öl sich hier im See befindet?“

„Wer kann das wissen? Wohl seit Jahrhunderten schon oder gar noch länger.“

„Wer das wissen kann? Ich zum Beispiel weiß es ganz genau. Von Jahrhunderten ist keine Rede. Da wäre die Quelle längt ausgebeutet worden.“

„Es hat sie niemand gekannt. Grinley ist der einzige Mensch, der jemals hier an diesem See gewesen ist.“

„Wenn das wahr ist, so bin ich kein Mensch, und Winnetou ist auch keiner; denn wir sind schon vor Jahren hier gewesen.“

„Ihr – – auch – –?“ fragte Rollins verwundert. „Ihr wart hier? Und habt keinen Gebrauch von diesem Ölreichtum gemacht?“

„Nein.“

„Aber das begreife ich nicht, Sir! Warum denn nicht?“

„Weil noch kein Öl zu sehen war, kein einziger Tropfen, sage ich Euch.“

„So ist es erst später gekommen?“

„Ja, vorgestern.“

„Vor – ge – – stern?“ wiederholte der Bankier dieses Wort. „Ich verstehe Euch wieder nicht, Sir.“

„Nicht? Na, da muß ich deutlicher werden. Ihr habt doch Augen und seht also die große Menge toter Fische schwimmen?“

„Natürlich.“

„Was mag wohl schuld an ihrem Tode sein?“

„Das Öl, ganz selbstverständlich. Kein Fisch kann im Petroleum leben.“

„Schön! Wie lange werden diese Tiere wohl tot sein?“

„Vielleicht zwei Tage, länger nicht, sonst wären sie mehr von der Verwesung ergriffen.“

„Und wo haben sie sich bei Lebzeiten befunden? Sind sie etwa hier unter den Bäumen herumspaziert?“

Da antwortete Rollins im Tone des Gekränktseins:

„Ich möchte doch bitten, zu bedenken, daß ich kein Knabe, sondern ein Mann bin. Ich bin auch nicht geistesschwach und weiß sehr wohl, daß diese Fische hier im See gelebt haben.“

„Sehr gut, Mr. Rollins! jetzt habe ich Euch da, wohin ich Euch haben wollte. Die Fische sind seit zwei Tagen tot, haben also bis vorgestern hier im See gelebt. Im Petroleum können sie nicht leben. Seit wann also wird sich das Öl hier auf dem Wasser befinden?“

Erst jetzt ging dem Bankier das Licht auf, welches ihm angezündet werden sollte. Er sprang von seinem Sitze empor, starrte auf Old Shatterhand nieder, ließ seinen Blick auch über die andern schweifen, bewegte die Lippen, als ob er reden wolle, brachte aber kein einziges Wort hervor.

„Nun, Sir, wollt Ihr mir keine Antwort geben? Wenn es seit vorgestern hier eine Sorte von Petroleum gibt, welches in einer Raffinieranstalt künstlich gereinigt worden ist, so möchte man doch wohl fragen, wie dieser hochinteressante und unbegreifliche Fall zu erklären ist. Die Antwort werdet Ihr da in der Höhle finden. Geht hinein, Mr. Rollins.“

„Das werde ich; das werde ich!“ rief der Bankier aus. „Es kommt mir ein Gedanke, der so außerordentlich ist, daß ich ihn gar nicht auszudenken vermag. Kommt mit, Mr. Baumgarten! Ihr seid bisher mein Gefährte gewesen und müßt auch jetzt, in diesem Augenblicke, bei mir sein.“

Er zog den Buchhalter von seinem Sitze empor und verschwand mit ihm in der Höhle. Die außerhalb derselben Befindlichen horchten. Es waren einige Rufe zu hören; dann vernahm man das Zusammenstoßen und Rollen von Fässern; hierauf stürzte der Bankier heraus und rief in großer Aufregung:

„Welch ein Schwindel! Welch ein raffinierter Betrug! Das Öl ist in diese Gegend transportiert worden, um mir mein Geld abzulocken!“

„Seht Ihr das nun ein?“ fragte ihn Old Shatterhand. „Was habt Ihr denn in der Höhle gefunden?“

„Eine ganze Menge leerer Petroleumfässer.“

„Weiter nichts?“

„Einige Werkzeuge, weiter nichts. Es ist gar keine Quelle vorhanden!“

„So ist es, Sir. Gleich als ich die Kerls von dem Öle, welches hier gefunden worden sein sollte, sprechen hörte, war ich überzeugt, daß dies ein Schwindel sei. Buttler und Poller sind nicht vorausgeschickt worden, um die Sicherheit des Weges zu erforschen, sondern um die Fässer auslaufen zu lassen und sie dann wieder in der Höhle zu verbergen. Der Betrug ist mit vieler Mühe und von langer Hand vorbereitet worden, denn es will etwas sagen, so gegen vierzig schwere Ölfässer nach und nach hierher zu schaffen.“

„Sind aber auch gut bezahlt worden, hihihihi,“ lachte Sam Hawkens. „Wollt Ihr das Öl ausschöpfen und wieder hineinfüllen, oder nur die leeren Fässer mitnehmen, Mr. Rollins?“

„Lacht mich nicht auch noch aus!“ rief dieser. „Mein Geld, mein schönes, schönes Geld! Ich muß es unbedingt wieder haben. Ihr müßt mir dazu verhelfen, Mr. Shatterhand!“

„Einstweilen handelt es sich nicht um das Geld, sondern um die Anweisung,“ antwortete der Jäger. „Meint Ihr, daß dieselbe in San Francisco wirklich honoriert wird?“

„Ganz gewiß, wenn es den Kerls gelingt, den Indianern zu entkommen und Frisco zu erreichen. Ihr machtet doch vorhin während meiner Erzählung die Bemerkung, daß sie von den Nijoras gefangen genommen worden seien?“

„So ist es. Erst wurden sie von den Navajos überfallen und dann mit diesen von den Nijoras ergriffen.“

„Wahrscheinlich haben diese die Weißen beraubt. Meint Ihr nicht, Sir?“

„Jedenfalls.“

„Und also dem Ölprinzen die Anweisung abgenommen? In diesem Falle würde sie wahrscheinlich nicht präsentiert.“

„Ich glaube auch, daß dies nicht geschehen würde, möchte aber behaupten, daß sie ihm den Zettel nicht nehmen. Es gibt ja Indianerstämme, welche in der Zivilisation so weit vorgeschritten sind, daß sie lesen und sogar schreiben können, zu diesen gehören aber die hiesigen Völker nicht. Der wilde Indianer hält jede Schrift für einen Zauber, mit dem er sich nicht befassen mag; darum ist es wahrscheinlich, daß die Nijoras dem Ölprinzen die Anweisung lassen. Gelingt es ihm, ihnen zu entkommen, so wird er ganz gewiß nach Frisco gehen und das Geld erheben.“

„So wäre es am besten, ihm zuvorzukommen. Was meint Ihr dazu, Sir, daß ich mich mit Mr. Baumgarten sofort nach San Francisco aufmache, um die dortige Bank zu verständigen? Wenn der Halunke dann kommt, wird er festgenommen.“

„Unter den jetzigen und hiesigen Verhältnissen werdet Ihr das am liebsten bleiben lassen. Ihr würdet nicht weit kommen. Es wäre übrigens auf keinen Fall nötig, die weite Reise nach San Francisco zu machen, sondern es genügte jedenfalls, nur nach Prescott zu gehen, die dortige Behörde zu verständigen und von da aus die betreffende Bank durch die Post unterrichten zu lassen.“

„Richtig, sehr richtig! Also gehen wir nach Prescott!“

„Nicht so eilig, Mr. Rollins 1 Von hier nach Prescott hättet Ihr wenigstens zehn Tage zu reiten, da die Entfernung in der Luftlinie ungefähr fünfzig geographische Meilen betragen wird. Und, was die Hauptsache ist, kennt Ihr denn den Weg?“

„Nein. Vielleicht hätte einer von euch, der ihn kennt, Lust, gegen eine gute Bezahlung mit uns zu gehen.“

„Es ist wohl keiner unter uns, der den Lohnführer machen würde. Es ist auch zu bedenken, daß der Weg nach Prescott durch Gegenden geht, welche bei den jetzigen Verhältnissen nicht nur unsicher, sondern sogar gefährlich genannt werden müssen. Drei Personen, ihr beide und ein Führer? Selbst wenn er ein tüchtiger Mann wäre, stände zu erwarten, daß ihr nicht lebendig an das Ziel gelangen würdet.“

„So soll ich also nichts thun, sondern mein Geld verlieren?“

Da trat Schi-So, der Navajojüngling, zu Old Shatterhand heran und sagte:

„Sir, werdet Ihr mir erlauben, die Frage zu beantworten, welche Mr. Rollins soeben ausgesprochen hat?“

„Thue es!“ nickte der Jäger. Er nannte ihn „du“, weil er ein Freund seines Vaters war und ihn schon als Knaben gekannt hatte. Schi-So wendete sich an den Bankier und sagte in zuversichtlichem Tone:

„Ihr braucht keine Sorge zu haben, Sir. Ihr werdet die Anweisung zurückerhalten.“

„Wirklich?“ fragte Rollins erfreut. „Auf welche Weise?“

„Durch mich.“

„Durch Euch? Wollt Ihr sie ihm etwa abnehmen?“

„Ja.“

„Wie wollt Ihr denn an ihn kommen? Ihr wißt doch, daß er sich in den Händen der Nijoras befindet.“

„Ich bin ein Navajo; die Nijoras sind jetzt unsre Feinde; sie haben acht Navajokrieger gefangen genommen, deren Bruder ich bin; ich habe die Pflicht, alles zu versuchen, diese Gefangenen zu befreien. Da gerät auch der Ölprinz in meine Hand. Ich nehme ihm die Anweisung ab und gebe sie Euch.“

Der Bankier sah den jungen Indianer, welcher mit einer solchen Bestimmtheit und Sicherheit sprach, erstaunt an und fragte ihn:

„Die Navajos wollt Ihr befreien, mein kleiner Sir? Wißt Ihr denn die Zahl der Nijoras?“

„Es sind nur dreißig.“

„Nur?! Und Ihr, Ihr allein wollt es mit ihnen aufnehmen?“

„Ich fürchte mich nicht vor ihnen. Übrigens werde ich gar nicht allein sein. Ich suche die Krieger meines Stammes auf.“

„Wißt Ihr denn, wo diese sich befinden?“

„Sie sind hier. Es gibt acht Navajospäher; daraus ist zu schließen, daß unsre Krieger nicht fern von hier zu suchen sind.“

„Aber ehe Ihr sie findet, vergeht die Zeit und die Nijoras werden indessen entkommen!“

„Die entkommen nicht,“ fiel da Old Shatterhand ein. „Wir sind ja hier. Was sagt mein Bruder Winnetou zu meinem Entschlusse?“

Er hatte diesen Entschluß noch mit keinem Worte bezeichnet, dennoch antwortete der Apache, ihn erratend, sofort:

„Er ist gut. Wir werden den Nijoras folgen, die Navajos befreien und dem Ölprinzen den Zettel abnehmen. &

„Danke Euch, danke Euch!“ rief Rollins jubelnd aus. „Wenn Ihr dies sagt, so ist es gewiß, daß ich die Anweisung zurückerhalte und also mein Geld rette. Aber wann brechen wir auf? Natürlich sofort, meine Herren?“

„Sobald wie möglich,“ antwortete Old Shatterhand. „Erst wollen wir uns diese Höhle auch einmal ansehen, und dann wird Winnetou mich nach der Stelle im Walde führen, wo die Nijoras mit ihren Gefangenen gelagert haben.“

Nun erst wurde das Innere der Höhle untersucht. Sie war keine künstlich hergestellte, sondern eine natürliche, ausgewaschen durch die vom Hochwalde durch den Felsen sickernde Feuchtigkeit, welche von hier aus ihren Abfluß in den See gefunden hatte. Daher der Sand und Steingrus, welcher in einem schmalen Streifen von der Höhle aus nach dem „finstern Wasser“ führte. Man fand vierzig leere Petroleumfässer, einige Hacken und ein Beil, weiter nichts. Zwei der Fässer wurden zerschlagen; ihre Trämmer sollten mitgenommen werden, weil sie ein vorzügliches Feuermaterial lieferten, falls man in eine Gegend kam, wo kein Holz zu finden war.

Dann gingen Winnetou und Old Shatterhand fort, um die Lagerstätte der Nijoras zu untersuchen. Die andern lagerten sich in das Gras, um auf die Rückkehr dieser beiden zu warten. Sie bildeten da verschiedene kleine Gruppen, so wie die einzelnen sich gerade zusammenfanden. Bei allen war das Thema des Gespräches eines und dasselbe: die Erlebnisse der letzten Tage und daß man die Rettung aller nur Old Shatterhand und Winnetou zu verdanken hätte. Das Lob dieser beiden Männer floß von allen Lippen.

Besonders wußte der Hobble-Frank von ihnen zu erzählen. Er saß bei den deutschen Auswanderern und erzählte in seiner drastischen Weise einige Episoden aus seinem Zusammenleben mit Old Shatterhand und Winnetou. Der Kantor hörte mit großer Aufmerksamkeit zu und benützte eine Pause, welche Frank machte, zu der Bemerkung:

„Das ist es, was ich brauche! Solche Thaten will ich auf die Bühne bringen; die geben den Effekt, welchen ich beabsichtige! Aber es gibt eine Schwierigkeit dabei, die zu überwinden Sie mir vielleicht helfen können, Herr Franke.“

„Was für eene is das denn? Ich liebe nämlich grad die Schwierigkeeten. Für so was Leichtes kann ich mich nich gut kondensieren. Was aber schwer is, was Mühe macht und Anschtrengung kostet, das is zu jeder Zeit mein Lieblingsfach gewesen. Darum habe ich es schtets mehr mit den geistig offwärtsschtrebenden, als mit den körperlich abwärtsgerichteten Wissenschaften und Künsten gehalten. Also wenden Sie sich getrost an mich, Herr Kantor emeriticus! Ich bin der richtige Mann und Held für Sie. Was meenen Sie für eene Schwierigkeet? Ich werde sie mit der größten Leichtigkeet und Kohäsion beseitigen.“

„Hm! Haben Sie vielleicht einmal Old Shatterhand oder Winnetou singen hören?“

„Singen? Nee!“

„Aber diese beiden Männer können doch singen? Oder meinen Sie nicht?“

„Ob sie singen können! Was das für eene indigoflammierte Frage is! Schämen Sie sich denn nich, so was zu denken oder gar so alluvialisch auszuschprechen? Ich sage Ihnen, diese zwee beeden Männer könnes alles, mag es heeßen, wie es will, also ooch singen.“

„Werden Sie nur nicht so grob, Herr Franke! Ich habe es ja nicht bös gemeint. Was denken Sie, würde Old Shatterhand vielleicht einmal singen, wenn ich ihn darum bäte?“

„Hm!“ brummte Frank, indem er ein zweifelndes Gesicht machte.

„Und Winnetou?“

„Der off alle Fälle nich. Er is in allen Sachen groß, und so bin ich überzeugt, daß er ooch een ganz bedeutender Sänger und Koloraturierer is; aber wenn ich offen schprechen soll, so kann ich ihn mir gar nich singend vorschtellen.“

„Wirklich nicht?“

„Nee. Denken Sie sich doch ‚mal diesen berühmten Häuptling mit geschpreizten Beenen und weit offgeschnapptem Munde im Konzertsaale schtehend und die schkandinavische Arie singend: Guter Mond, du gehst so schtille hinter Nachbars Birnboom hin! Können Sie ihn sich off diese Weise ausmalen?“

„Was Sie da sagen, ist nicht ganz ohne. Aber die Indianer singen doch jedenfalls auch!“

„Natürlich. Ich habe schon verschiedene singen hören.“

„Wie klang es denn? Was sangen sie? War es einstimmig oder mehrstimmig? Es ist mir sehr wichtig, das von Ihnen zu erfahren.“

„Hören Sie, das is nu wieder so eene epileptische Frage! Wenn eener singt, so is es doch allemal eenschtimmig. Oder denken Sie etwas, daß een eenzelner Mann achtschtimmig singen kann? Und wenn zwölfe singen, so is es zwölfschtimmig; das muß doch jeder Schangdarm einsehen. Wie es geklungen hat, wollen Sie wissen? Na, nich ganz so wie bei den großen Komponisten Mozart, Galvani und Correggio. Es is nich leicht, es zu beschreiben. Denken Sie sich eenen großen Schmiedeblasebalg, in welchem een Eisbär, een Truthahn und drei junge Schweine schtecken; fangen Sie an, den Balg zu ziehen und zu drücken, dann werden Sie wahrscheinlich etwas zu hören bekommen, was grad so klingt wie eene echte, indianische Zivilschtandsoperette. Haben Sie mich verschtanden?“

„Jawohl. Ihr Beispiel ist ja deutlich genug.“

„Na, was wollen Sie denn mit Old Shatterhand und Winnetou? Warum sollen diese singen?“

„Weil ich wissen möchte, was für Stimmen sie haben.“

„Gute Schtimmen natürlich, sehr schöne Schtimmen sogar. Denn das Gegenteel davon zu denken, das wäre eene Beleidigung für sie.“

„Ob gut oder nicht, das meine ich nicht. Ich wollte wissen, ob sie Tenor, Bariton oder Baß singen.“

„Müssen Sie das denn so notwendig wissen?“

„Ja. Sie sollen doch die Haupthelden meiner Oper sein; also muß ich ihre Stimmlage wissen.“

„Unsinn! Ihre Schtimmlage! Die Schtimme liegt allemal in der Kehle. Wo soll sie denn sonst liegen? Ich habe noch keenen Menschen gesehen, der mit dem Magen oder mit den Ellbogen gesungen hat. Das sollten Sie doch wissen, wenn Sie eene zwölfaktige Oper komprimieren wollen. Und ooch das muß ich an Ihnen rügen, daß Sie das vorher wissen wollen. Das is doch gar nich notwendig. Old Shatterhand und Winnetou sollen offtreten und singen; gut; warten Sie das eenfach ab, so werden Sie gleich hören, ob sie Tenor, Baß oder Bariton singen. Es is doch gar nich notwendig, sich schon vorher darum zu kümmern.“

„Sie irren sich! Ich habe doch das, was gesungen werden soll, vorher zu komponieren!“

„Natürlich! Das is ja Ihre Schuldigkeet als Komponist.“

„Also muß ich doch wissen, ob ich den Gesang in den Baß oder den Tenor legen soll.“

„Legen Sie ihn in die Partitur; da gehört er hin! Der Kapellmeester wird ihn nachher finden, wenn er sich off Musik verschteht, was ich doch hoffen will.“

„Aber,“ erklärte der Kantor eifrig, „eben bevor ich an der Partitur arbeite, muß ich doch wissen, in welcher Stimmlage – –“

„So lassen Sie mich doch mit Ihrer Schtimmlage in Ruhe!“ unterbrach ihn Frank, zornig werdend. „Ich habe doch schon gesagt, daß die in der Gurgel liegt! Sie besitzen doch ooch so eene Art von Menschenverschtand; also is es doch eegentlich gar nich notwendig, daß Sie sich das zweemal sagen lassen. Merken Sie sich das, daß die wahre Weisheet nie wiederholt zu werden braucht!“

Der Kantor öffnete den Mund zu einer Gegenrede; darum fuhr Frank sehr schnell fort.

„Schweigen Sie! Lassen Sie mich ausschprechen! Der Rat, den ich Ihnen gebe, is ausgezeichnet und wird Ihnen sehr viel Zeit, Sorge und Arbeit erschparen. Komprimieren Sie immer Ihre Heldenoper; um Baß oder Tenor brauchen Sie sich dabei gar nich zu kümmern, denn wenn der Vorhang offgezogen wird und die Darschteller zu singen anfangen, wird es sich ganz von selber zeigen, ob sie für den Tenor geeignet, oder zum Kontrabaß geboren worden sind. Es muß doch jedenfalls nur den Sängern ihre Sache sein, ob sie hoch oder niedrig singen wollen. Ich wenigstens ließe mir keenen Tenor vorschreiben, wenn ich eenen Violonbaß in der Gurgel hätte. Das können Sie mir glooben. Ich bin der richtige Mann, der das beurteelen kann, denn als ich damals in Moritzburg als Forschtgehilfe differierte, bin ich Mitglied des dortigen Gesangvereins gewesen und habe sogar den Vertrauensposten animiert, allemal nach der Übungsschtunde die Notenbücher und den Taktschtock einzuschließen, was doch ‚was zu bedeuten hat.“

Hobble-Frank wäre in seiner eifrigen Rede gern fortgefahren; aber da kehrten Winnetou und Old Shatterhand zurück, und der letztere gebot den Lagernden, sich zum Aufbruche zu rüsten; er teilte den Westmännern mit:

„Wir sind den Spuren der Nijoras eine Strecke weit gefolgt. Sie scheinen nach dem Chellyflusse zu wollen, was uns sehr lieb sein muß, da derselbe auch in unsrer Richtung liegt.“

Als dann alle aufgestiegen waren, setzte sich der Trupp in Bewegung. Den Eingang der Höhle wieder zuzuschütten, hätte keinen Zweck gehabt; man ließ sie offen.

Nachdem man die Schlucht passiert hatte, lenkte Winnetou, welcher an der Spitze ritt, nach dem Walde, in welchem die Nijoras die Nacht zugebracht hatten. Man kam auf ihre Fährte; sie führte zur Höhe empor und dann jenseits in ein langes Thal hinab, welches auf eine ebene Savanne mündete, welche eine solche Ausdehnung besaß, daß man ihre Grenzen nicht sehen konnte. Die Spur der Indianer führte in schnurgerader Richtung in diese Ebene hinein.

Hier brauchte man nicht besorgt zu sein, unerwartet auf Feinde zu treffen, denn es wäre jede Annäherung schon von weitem zu bemerken gewesen. Darum duldeten es die beiden Führer, daß ihre Gefährten sich ganz nach ihrem Belieben bewegten und sich laut miteinander unterhielten.

Der Kantor war durch die Auskunft, um welche er den Hobble-Frank gebeten hatte, nicht befriedigt worden; darum machte er sich an die Seite desselben und fragte:

„Herr Franke, würden Sie mir einen Gefallen erweisen?“

„Warum denn nich? Aber was für eenen denn?“

„Ich habe bemerkt, daß Sie bei Old Shatterhand gut stehen. Ihnen erfüllt er vielleicht den Wunsch, mit welchem er mich abweisen würde.“

„So? Wenn Sie das denken, da haben Sie das Richtige getroffen. Ich erfreue mich der ganz besondern Freundschaft und Egalität dieses berühmten Mannes.“

„Dann ersuchen Sie ihn doch einmal, ein Lied zu singen, und wenn es auch nur eine einzige Strophe wäre! Wollen Sie das?“

„Nee, lieber Freund, ich will nich!“

„Nicht? Warum nicht?“

„Ich will ihn bitten, sich bei eenem Grizzlybären schlafen zu legen oder eenen wilden Büffel bei den Hörnern anzufassen; das würde er thun, denn er is der Mann dazu. Aber singen? Nee, das kann ich ihm nich zumuten; da würde er mich schön heimleuchten, hörnse ‚mal. Versuchen Sie es selber; ich will mir da die Finger nich verbrennen. Übrigens, Sie reden nur immer von der Musik Ihrer Oper, aber nich von dem Texte dazu. Haben Sie den schon?“

„Nein.“

„Na, da is aber keene Zeit zu verlieren. Wenden Sie sich schleunigst an eenen Dichter, der das nötige Talent besitzt!“

„Ich gedenke selbst den Text fertig zu bringen.“

„So? Sie selber?“ fragte Frank, indem er ihn mit einem kurzen Seitenblicke maß. &Haben Sie denn die Wissenschaft vom richtigen Verschmaße schtudiert? Können Sie die Helden, welche Sie aus den Kulissen schieben wollen, in die eenzelnen Zeilen und Wörter zerlegen, daß sie sich ooch richtig reimen?“

„Ich hoffe es. Übrigens würde ich hier vergeblich nach einem Dichter suchen.“

„So? I der tausend! Sie denken also wohl, es is keener da?“

„Ja.“

„Hören Sie, da geben Sie sich eener optischen Täuschung hin, die ich Ihnen kurieren muß. Es is nämlich een Dichter unter uns.“

„Wirklich?“

„Ja. Und was für eener!“

„Wer denn?“

„Das erraten Sie nich?“

„Nein.“

„Hm, Sie können mir leid thun! Sie brauchen ihn bloß anzublicken, um ihm sofort anzusehen, daß er eene höchst seltene dichterische Formation im Kopfe trägt. Seine geistig edlen und melodisch delikaten Gesichtszüge beweisen das.“

Der Kantor ließ seinen Blick prüfend von einem Reiter zum andern schweifen und erkundigte sich dann:

„Wen meinen Sie denn?“

Da wies Frank mit dem Zeigefinger auf sich selbst und ließ mit bedeutender Wucht das eine kleine Wörtchen hören.

„Mich.“

„Ah, sich selbst meinen Sie? Sie können dichten?“

„Und aber wie!“

„Unglaublich!“

„Ach was, unglooblich! Ich kann alles! Das müssen Sie doch nu endlich bald bemerken! Sagen Sie mir een Wort, so mache ich sofort zwanzig Reime droff! In höchstens zwee oder drei Schtunden dichte ich Ihnen eenen Operntext zusammen, der sich gewaschen hat. Ich beherrsche meine Mutterschprache in eener so konsumierten Weise, daß die Reime nur so nach allen Seiten fliegen. Wenn Sie daran zweifeln, gebe ich Ihnen die Erloobnis, mich zu prüfen.“

„Sie zu prüfen? Das würden Sie mir übel nehmen.“

„Fällt mir gar nich ein! Wie kann der Löwe oder der Adler dem Schperling etwas übel nehmen! Ich bin überhaupt nich übelnehmisch, wie sich bei meinem edlen Charakterbild von selber verschteht. Also schtellen Sie mir eene Offgabe; sagen Sie mir getrost, was ich dichten soll. Es fällt mir gar nich ein, Sie deshalb tot zu beißen.“

„Nun wohl, machen wir einen Versuch. Denken Sie sich den ersten Akt meiner Oper. Der Vorhang rollt auf; man erblickt einen großen Urwald; in der Mitte desselben liegt Winnetou am Boden und bewegt sich leise fort, um einen Feind zu beschleichen. Was würden Sie ihn dabei singen lassen?“

„Singen? Gar nischt natürlich!“

„Nichts? Warum? Er muß doch etwas singen. Wenn der Vorhang aufgeht, will das Publikum doch etwas hören!“

„Da wäre dieses Publikum schöne dumm! Winnetou – eenen Feind beschleichen – und dazu singen! Sehen Sie denn nich ein, daß der Feind das hören und also ausreißen würde?“

„Ja, hier im wilden Westen, Aber wir reden doch von der Bühne. Er muß singen, unbedingt singen!“

„Na, wenn er wirklich muß, wenn es so unbedingt notwendig is, daß er seine Schtimme erschallen läßt, so mag er also meinetwegen singen.“

„Aber welche Worte? Das Publikum kennt ihn noch nicht; sein Gesang muß also sagen, wer er ist.“

„Schön! Bin schon fertig. Er kriecht also an der Erde hin und singt dazu:

Ich bin der große Winnetou, In Amerika geboren, Habe Oogen, aber nu! Rechts und links zwee scharfe Ohren, Krieche off dem Bauch im Grase, Rieche alles mit der Nase.“

Als er diese Reime deklamiert hatte, richtete er auf den Kantor einen triumphierenden Blick, als ob er nun die höchste Anerkennung erwarte. Als der Emeritus aber schwieg, fragte er:

„Na, was sagen Sie dazu? Sind Sie erschtaunt oder nich?“

„Nicht,“ gestand der Gefragte.

„Nich? Ich hoffe doch, daß Sie das, was Sie gehört haben, hochachtungsvoll zu schätzen wissen? Geben Sie Ihr Urteil ab!“

„Ich würde Sie kränken!“

„Nee. Es gibt keen Geschöpf unter mir, welches mich kränken könnte. Ich schwebe geistreich oben drüber!“

„Gut, so sollen Sie erfahren, daß Sie Knüttelverse gemacht haben. Daß Winnetou in Amerika geboren ist, daß er Augen hat, daß er alles mit der Nase, nicht aber mit den Ohren riecht, daß diese letzteren sich links und rechts an seinem Kopfe befinden, daß er nicht auf dem Rücken, sondern auf dem Bauche kriecht – – das ist ja so selbstverständlich, daß man es gar nicht zu sagen und noch viel weniger zu singen braucht. Also bitte, machen Sie einen andern Reim!“

Als der Hobble dieses Urteil hörte, wurden seine Augen immer größer, seine Brauen stiegen empor; er räusperte sich, als ob er glaube, nicht richtig gehört zu haben, öffnete dann den Mund und brach los –

„Was sagen Sie da? Was haben Sie geschprochen? Was für Zeug hätte ich gemacht? Knüttelversche meenen Sie?“

„Ja; so pflegt man solche Verse zu nennen, Herr Franke,“ antwortete der Kantor unbefangen.

„Knüttelversche, Knüttelversche! Hat man schon jemals so ‚was gehört! Ich, der berühmte Prairiejäger, Westmann und Hobble-Frank habe Knüttelversche gemacht! Da hört denn doch alles und verschiedenes off! Das hat mir noch keen Mensch gesagt, keen eenziger Mensch! Erscht fordern Sie mich off, zu sagen, wer Winnetou is und was er will, und als ich es dann sage, sagen Sie, es wäre überflüssig gewesen, das zu sagen! Ich aber sage Ihnen, daß Sie sich sagen mögen, daß Sie selber überflüssig sind, een ganz überflüssiger Mensch! Warum sind Sie nich mehr im Amte? Weil Sie überflüssig sind, een abgeschiedener und vorübergeschwundener Emeritikus. Ich aber befinde mich noch mitten in meinem Berufe als Prairiejäger, als Mitarbeiter des berühmten Schtuttgarter Guten Kameraden“ also als anerkannter Litterat und permutierter Operndichter. Schteigen Sie also vom Pferde und lösen Sie mir die Riemen meiner Schuhe off, Sie unglücklicher Harfenist und zwölf Akte langer Pauken-, Saiten- und Triangelschpieler! Ich sollte Ihnen eegentlich eene Schtrafrede halten, off griechisch eene Philippine genannt, daß Ihnen alle Ohren wackeln, halte dies aber tief unter meiner kalcinierten Würde und Behendigkeet. Darum will ich schweigen und wortlos den Schtaub von meinen Füßen bürschten, was so viel zu bedeuten hat, daß ich Ihnen meine Freundschaft und Identität offkündige, Ihnen den legierten Reichstagsabschied gebe und mich fernerhin nur in solchen Regionen bewegen werde, wo der Luftballon meines Gedankenfluges von Ihrem Ooge weder erreicht noch akklimatisiert werden kann. Leben Sie also wohl für das gegenwärtige irdische Dasein! Ich wohne für Sie von jetzt an im Lande der seligen Geister und olympischen Schpielkameraden, an die Sie nie nich herankommen können!“

Er gab seinem Pferde die Sporen und galoppierte davon, in die Savanne hinein.

„Halt, Frank, wo willste hin?“ rief Droll ihm nach.

„Über euern geistigen Horizont hinaus,“ antwortete er zurück.

„Da halte dich nur fest und fall’drüben nich über den Horizont hinab!“

Der kleine, zornige Kerl wäre wohl noch weiter fortgeritten, wenn ihm nicht Old Shatterhand befehlend zugerufen hätte, zurückzukehren. Er gehorchte und machte sich an Drolls Seite.

„Was war denn los?“ fragte dieser. „Du machst ja een ganz rabiates Gesicht. Hast du dich wieder ‚mal geärgert?“

„Schweig! Empöre dich nich gegen meine Nachsicht und renitente Duldsamkeet! Ich bin off eene Weise verkannt worden, daß mir alle meine Haare ins Gebirge schteigen.“

„Von wem?“

„Vom frühern Kantorei- und Orgelschpieler.“

„Er hat dich beleidigt?“

„Im höchsten Grade nach Reaumur, Pestalozzi, Gall und Fahrenheit!“

„Womit?“

„Das brauchst du nich zu wissen. Bekümmere dich um deine eegne Häuslichkeet und laß mich und meine inkapabeln Schtaatsbürgerrechte ungeschoren!“

Droll lachte leise vor sich hin und schwieg. Er sah ein, daß es am besten sei, den Hobble seinem Zorne, der immer bald zu verrauchen pflegte, ruhig zu überlassen.

Die Savanne, auf welcher sie ritten, nahm kein Ende, oder vielmehr die Ebene; denn wenn man unter Savanne ein Grasland versteht, so hatte man sie schon nach einer Stunde hinter sich; das Gras und mit ihm jede andre Vegetation war verschwunden, und der Boden bestand meist aus hartem Fels, auf welchem kein Gewächs zu leben vermochte. Man befand sich auf dem Plateau des Koloradoflusses, welches an diesem und seinen Nebenflüssen in steile Schluchten und Canons abfällt.

Hier mußte man sehr scharfe Augen besitzen, wenn man die Spur der Nijoras nicht verlieren wollte. Es war wirklich außerordentlich und wurde von den übrigen auch bewundert, mit welcher Sicherheit Winnetou, der an der Spitze ritt, Zeichen fand und deutete, welche keiner der übrigen Reiter, Old Shatterhand natürlich ausgenommen, zu entdecken vermochte.

Um die Mitte des Tages wurde der Frauen und Kinder wegen Halt gemacht. Man gönnte ihnen eine Ruhe von zwei Stunden; dann ging es wieder vorwärts, bis gegen Abend der Apache anhielt und wieder von dem Pferde stieg. Old Shatterhand that dasselbe.

„Warum hier halten?“ fragte Sam Hawkens. „Wollen wir an dieser öden Stelle, die sich gar nicht dazu eignet, die Nacht verbringen?“

„Nein,“ antwortete der Apache. „Die Vorsicht gebietet uns, hier zu warten, bis es dunkel ist.“

„Warum?“

„Weil wir nur noch eine halbe Stunde bis zum Chelly zu reiten haben. Dort gibt es Wald, in welchem die Nijoras wahrscheinlich kampieren werden. Da die Gegend eben ist, würden sie uns kommen sehen und sich verstecken, um uns zu überfallen. Darum müssen wir warten, bis es Nacht geworden ist und sie uns nicht bemerken können.“

„Aber dann können wir auch sie nicht sehen!“

„Wir werden sie finden, wenn nicht heut, so morgen ganz gewiß.“

Die andern stiegen nun auch ab und lagerten sich im Kreise. Am nördlichen Horizonte sah man einige Geier schweben. Sie zogen sehr enge Kreise. Old Shatterhand machte auf diese Vögel aufmerksam und sagte:

„Wo Geier sind, gibt es entweder Aas oder sonstiges Futter. Sie fliegen nicht fort, sondern bleiben an derselben Stelle; es gibt also dort Beute für sie. Ich vermute, daß die Nijoras dort ihr Lager haben.“

„Mein weißer Bruder hat es erraten,“ stimmte Winnetou bei. „Diese Vögel zeigen uns den Weg. Wir werden das Lager noch heut beschleichen.“

„Müssen dabei aber sehr vorsichtig sein. Diese dreißig Nijoras haben den weiten Weg von dem Gloomy-water bis zum Chelly in einer Tour zurückgelegt. Wenn Kundschafter dies thun, weiß man, was es zu bedeuten hat: Sie sind dahin zurückgekehrt, von wo sie ausgegangen sind. Ich vermute also, daß dort am Chelly alle Krieger des Nijorastammes versammelt sind, um den Zug gegen die Navajos zu beginnen.“

„Dann wären ihnen die Gefangenen abgeliefert worden,“ meinte Hawkens, „und es wäre nun doppelt schwer und gefährlich, sie zu befreien.“

„Sie werden frei,“ sagte Winnetou in seiner bestimmten Weise; „nur darf auf unsrer Seite keine Unvorsichtigkeit vorkommen.“

Als es soweit war, daß man nach einer Viertelstunde die Dämmerung erwarten konnte, wurde weiter geritten. Noch ehe es zu dunkeln begann, sah man, daß der Horizont sich im Norden wie ein schwarzer Strich abzeichnete.

„Das ist der Wald des Chellyflusses,“ erklärte Old Shatterhand. „Bleibt hier halten! Ich werde allein weiterreiten, bis ich ihn durch mein Fernrohr absuchen kann. Ein einzelner Reiter kann von dort aus nicht so leicht bemerkt werden wie ein ganzer Trupp.“

Er trabte fort und hielt dann an. Man sah, daß er sein Rohr nach dem Walde richtete. Dann kehrte er zurück und sagte.

„Ihr müßt wissen, daß der Chellyfluß jetzt Wasser hat. Er fließt da, wohin wir wollen, in einem tiefen Thale. Die steilen Seiten desselben tragen Wald; da aber die verdunstende Feuchtigkeit nur in dem Thale, nicht über dasselbe hinaus zu wirken vermag, reicht dieser Wald nur bis zum Rande des Thales herauf, nicht aber in die Ebene hinein. Er bildet oben einen sehr schmalen Saum, den ich mit meinem Fernrohre ab- gesucht habe. Wenn die Nijoras da oben lagerten, hätte ich sie sehen müssen. Sie werden sich also unten in der Tiefe, am Flusse, befinden. Reiten wir also vorwärts!“

Die Dämmerung ist in jenen Gegenden sehr kurz; es wurde schnell dunkel, und nun konnte man sicher sein, vom Rande des Flußthales aus nicht gesehen zu werden. Nur eine kleine Viertelstunde später hörte man an den Huftritten der Pferde, daß der Boden grasig geworden war, und gleich darauf erreichte man den Saum des Waldes. Hier wurde angehalten und abgestiegen.

Ein Feuer anzubrennen, davon konnte keine Rede sein. Man mußte der Nähe der Indianer wegen im Dunkeln und zugleich so fern von ihnen bleiben, daß, falls vielleicht ein Pferd wieherte, sie dies nicht hören konnten. Dazu war natürlich notwendig, zu wissen, an welcher Stelle sie sich befanden. Old Shatterhand und Winnetou waren überzeugt, gar nicht fern von der Gegend zu sein, über welcher die Geier geschwebt hatten; die Indianer mußten also ziemlich nahe sein. Die beiden Genannten gingen fort, um zu rekognoszieren. Sie drangen in den Wald ein, und es verging weit über eine halbe Stunde, ehe einer von ihnen, nämlich Old Shatterhand, zurückkehrte.

„Wir befinden uns gerade an der richtigen Stelle; es ist wirklich zu loben, mit welchem Scharfsinne der Apache uns geleitet hat. Der Rand des Waldes ist hier kaum dreißig Schritte breit; dann steigt er in das Thal hinab. Wir sind ziemlich weit hinuntergestiegen, was bei dieser Dunkelheit keine leichte Sache war, und sahen dann Feuer; wir zählten drei, doch ist es möglich, daß noch mehrere brennen, welche wir nicht sehen konnten. Aus dieser Zahl der Feuer ist zu schließen, daß sich nicht nur die dreißig Kundschafter, sondern alle Kriegsmannschaften der Nijoras da unten befinden. Wir werden, wenn wir den Gefangenen loshelfen wollen, einen schweren Stand haben.“

„Und wo ist Winnetou?“ fragte Sam.

„Ich kehrte zurück, um euch Bericht zu erstatten. Wenn wir beide länger fortblieben, konntet ihr euch leicht beunruhigen. Der Apache ist vollends hinunter, um sich genau umzusehen. Ich denke, daß wir ihn vor Verlauf einer Stunde nicht zurückerwarten können. Das Terrain ist sehr schwierig, und ein Lager zu umschleichen, in welchem so viele Feuer brennen, das erfordert große Behutsamkeit und lange Zeit.“

Es zeigte sich, daß er noch zu wenig gesagt hatte, denn es vergingen fast zwei volle Stunden, bis der Apache sich wieder sehen ließ. Er setzte sich zu Old Shatterhand nieder und sagte:

„Winnetou hat außer den drei Feuern noch zwei weitere gesehen; es sind also fünf, an denen wohl über dreihundert Nijoras lagern.“

„Also ganz, wie wir dachten. Wer ist der Anführer? Hast du ihn entdeckt?“

„Ja. Es ist Mokaschi, den du auch kennst.“

„Der Büffel, ein Krieger, den ich achte. Wenn wir als Freunde kämen, würde er uns gewiß nicht feindlich empfangen.“

„Da wir die Gefangenen befreien wollen, sind wir seine Feinde und dürfen uns nicht vor ihm und seinen Leuten sehen lassen. Mein Auge hat die Gefangenen erblickt.“

„Alle?“

„Ja, acht Navajos und die drei Bleichgesichter. Sie liegen an einem der Feuer und sind von einem doppelten Kreise von Kriegern umgeben.“

„O wehe! Da ist es schwer, sie herauszuholen!“

„.Es ist nicht nur schwer, sondern geradezu unmöglich. Wir können heut nichts thun, sondern müssen warten bis morgen.“

„Ich stimme meinem roten Bruder bei. Es wäre Tollheit, unser Leben zu wagen, wenn der Erfolg so außerordentlich unsicher ist.“

„Erlaubt mir, zu sagen, daß ich diesen Entschluß nicht begreife,“ sprach Hawkens. „Meint ihr, daß wir morgen mehr erreichen werden als heut?“

„Gewiß.“

„Inwiefern? Die Aussichten werden da auch nicht besser sein als heut.“

„O doch.“

„Meint ihr? In welcher Weise könnte das sein?“

„Ihr habt doch mit uns die Ansicht, daß die Nijoras gegen die Navajos ziehen wollen?“

„Natürlich!“

„Glaubt Ihr, daß sie sich da mit den elf Gefangenen belästigen werden?“

„Hm! Es ist freilich nicht anzunehmen, daß sie diese mit sich schleppen werden.“

„Also! Sie lassen sie unter Bewachung zurück. Wir warten dies ab und haben dann viel leichteres Spiel als heut.“

„Das leuchtet mir freilich ein. Daran habe ich gar nicht gedacht, wenn ich mich nicht irre. Wenn man aber nur wüßte, wann sie fortreiten werden.“

„Ich vermute, morgen.“

„Das wäre gut. Wenn sie aber noch da bleiben, kommen wir in die Gefahr, von ihnen entdeckt zu werden.“

„Das müssen wir riskieren.“

„Freilich; aber das ist viel leichter gesagt als gethan. Es gibt hier oben kein Wasser. Die Pferde haben darunter weniger zu leiden, da sie Gras finden. Aber wir! Am Gloomy-water konnten wir nicht trinken, des Öles wegen; heut hat es während des ganzen Rittes auch keinen Tropfen gegeben. Wenn wir auch morgen nicht trinken können, so wird es mir um die Ladies und um die Kinder bang; von uns selbst will ich da gar nicht sprechen.“

„O, von uns muß grad ooch geschprochen werden,“ fiel da der Hobble-Frank ein. „Wir sind einstweilen noch keene unschterblichen Seelen, sondern Menschen, deren Schterblichkeet een erwiesenes Faktotum is. Jedes schterbliche Wesen aber muß Wasser haben, und ich geschtehe der Wahrheet gemäß ein, ich habe eenen solchen Durscht, daß ich für een paar Schlucke Wasser oder een Glas Lagerbier gern drei Mark bezahlen würde.“

Da konnte sich der Kantor nicht enthalten, ihm in bedauerndem Tone zu versichern:

„Das thut mir außerordentlich leid, Herr Franke. Wenn ich Wasser hätte, würde ich es gern mit Ihnen teilen.“

Er war ein sehr gutmütiger Mensch und er bereute es schon seit langem, den Hobble-Frank heut geärgert zu haben. Diesem aber, der nicht weniger gutmütig war, erging es ebenso. Er sagte sich im stillen, daß er eigentlich doch wohl zu grob gegen den Kantor gewesen sei; er war also versöhnlich gestimmt, hielt es aber nicht für seiner Würde gemäß, dies merken zu lassen, und antwortete also auf die Versicherung des Emeritus:

„Wissen Sie denn, ob ich es von Ihnen annehmen würde?“

„Ich hoffe es!“

„Hoffen Sie das nich! So groß mein Durscht is, mein Charakter is noch viel größer. Wenn Sie mir das ganze Weltmeer hierher brächten, ich rührte doch keenen Tropfen an. Wissen Sie, mit den Knüttelverschen haben Sie sich ihren besten Freund vor den Kopp geschtoßen. Das is een sehr schwerer Verlust für Sie, und Sie können die feste, pekuniäre Überzeugung haben, daß ich Ihnen für Ihr ganzes Leben unersetzlich bleiben werde. Es is traurig für Sie, aber wahr, und ich kann Ihnen beim besten Willen nich helfen.“

Das ging dem Kantor so nahe, daß er den Gedanken daran nicht wieder los wurde. Er konnte, als gegessen worden war und man sich zur Ruhe gelegt hatte, nicht einschlafen. Er fragte sich, auf welche Weise es möglich sei, Frank zu versöhnen, und da kam ihm eine Idee, die er für ganz vorzüglich hielt, obgleich er auf eine unklugere gar nicht hätte kommen können. Frank hatte über Durst geklagt und drei Mark für ein paar Schlucke Wasser zahlen wollen. Wie nun, wenn er ihm den Durst stillte? Das mußte ihn doch sicher rühren, zumal das Herbeischaffen des Wassers nicht nur schwierig, sondern auch wohl nicht ganz gefahrlos war. Unten im Thale war der Fluß, und er, der Kantor, hatte einen ledernen Trinkbecher. Aber es war jedenfalls verboten, da hinabzusteigen. Wenn er es thun wollte, mußte es heimlich geschehen. Er richtete sich halb auf und lauschte, Sie schliefen alle außer Dick Stone, welcher jetzt die Wache hatte; er befand sich in diesem Augenblicke bei den Pferden.

Der Emeritus hatte den Sattel als Kopfkissen unter sich liegen. In der Satteltasche steckte der Becher. Er nahm denselben heraus und kroch leise fort, zwischen die Bäume hinein. Was er beabsichtigte, that er aus zwei Gründen, nämlich Franks wegen und sodann weil er selbst auch einmal „ein Held des Westens“ sein wollte. Der Gedanke, da hinunter zu den Feinden zu steigen und Wasser heraufzuholen, mutete ihn stolz an. Wie würde man sich wundern, wenn er ihn glücklich ausführte. Glücklich? Konnte er überhaupt unglücklich sein? Gewiß nicht, wenn er nur die nötige Vorsicht beobachtete.

Er kroch also weiter und weiter, bis er dachte, daß Dick Stone ihn nun weder mehr hören noch sehen könne. Da erhob er sich und tastete sich fort. Da ging der ebene Boden zu Ende; der Wald senkte sich in das Thal hinab. Nun begannen erst die Schwierigkeiten. Er drehte sich um und begann hinabzuklettern, verkehrt, auf allen Vieren, mit den vorsichtig tastenden Füßen voran. Das ging langsam, außerordentlich langsam. Er konnte erst dann einen Fuß weitersetzen, wenn er vorher mit dem andern den Boden untersucht hatte. Es gab scharfe Steine und dornige Ranken, an denen er sich die Hände verletzte. Er achtete nicht darauf. Je weiter er kam, desto mehr wuchs seine Begierde, das Unternehmen zu Ende zu bringen. Zuweilen verlor er den Halt unter den Füßen und rutschte streckenweit hinab. Das geschah natürlich nicht ohne Geräusch; er aber hörte vor lauter Eifer das Rollen der losgetretenen Steine und das Knicken und Knacken der brechenden Zweige gar nicht.

Jetzt sah der Emeritus die Lagerfeuer leuchten; er glaubte, das Spiel bereits gewonnen zu haben, und hastete weiter und weiter. Er kam den Feuern immer näher und näher. Er sah nicht, daß man dort aufmerksam wurde, daß fünf oder sechs Indianer, welche das Geräusch hörten, aufsprangen und ihm entgegenhuschten. Sie blieben dann stehen und warteten. Er atmete so laut, daß sie es ganz deutlich hören konnten.

„Uff!“ flüsterte einer von ihnen. „Das ist kein Tier, sondern ein Mensch!“

„Ob mehrere?“ fragte ein andrer.

„Nein, nur einer. Ergreifen wir ihn, ohne ihn zu töten!“

Jetzt war er ganz nahe bei ihnen. Sie bückten sich nieder, um ihn gegen die Feuer vor ihre Augen zu bekommen. Sie sahen ihn; sie überzeugten sich, daß er allein war, und streckten nun die Hände nach ihm aus. Als er sich so plötzlich ergriffen fühlte, erschrak er in der Weise, daß er keinen Laut hervorbrachte, obgleich er schreien wollte. Man rief ihm einige Worte zu, die er aber nicht verstand; desto besser aber verstand er die Sprache der Messer, deren Spitzen ihm, wie er fühlte, auf die Brust gesetzt wurden. Es fiel ihm gar nicht ein, sich zu wehren; er folgte, als er fortgezogen wurde, ohne allen Widerstand. Man kann sich denken, welches Aufsehen sein Erscheinen im Lager erregte; aber dieses Aufsehen war kein lärmendes. Ein Weißer hatte sich herbeigeschlichen und war ergriffen worden. Er konnte nicht allein hier in der Gegend sein; er mußte Gefährten bei sich haben, die sich in der Nähe befanden; man mußte also jeden Lärm vermeiden.

Es hatte sich sofort ein Kreis von Roten um ihn gebildet; keiner von ihnen sprach ein Wort. Bei ihm, in der Mitte dieses Kreises, stand Mokaschi, der Häuptling. Dieser that vor allen Dingen das, was ein jeder umsichtige Anführer thun mußte: er schickte einige Späher aus, welche die Umgebung des Lagers absuchen mußten. Dann fragte er den Gefangenen nach seinem Namen und seinen Absichten. Der Kantor verstand kein Wort und sagte, was er sagen zu müssen glaubte, in deutscher Sprache. Da meinte der Häuptling:

„Er kennt unsre Sprache nicht, und wir verstehen die seinige nicht. Wir wollen ihn den drei gefangenen Bleichgesichtern zeigen, vielleicht ist er ihnen bekannt.“

Der Kreis öffnete sich und der Emeritus wurde nach dem Feuer geführt, an welchem die Gefangenen lagerten. Als diese ihn erblickten, rief Poller überrascht aus.-

„Der deutsche Kantor! Der verrückte Kerl! Dieser hirnverbrannte Mensch muß aus dem Pueblo, wo er gefangen war, entkommen sein!“

Er hatte das in einem Gemisch von Englisch und Indianisch gesagt, welches der Kantor nicht verstand. Doch bemerkte dieser, daß die Worte ihm galten, er erkannte den einstigen Führer der Auswandererkarawane und sagte in deutscher Sprache, deren Poller mächtig war:

„Hallo! Das ist ja unser Wegweiser, der Dux, wie wir Komponisten sagen! Und gar mit gefesselten Extremitäten! Herr Poller, wie sind Sie denn in diese fatale Lage gekommen? Ich freue mich natürlich außerordentlich, Sie wiederzusehen.“

„Diese Kerls haben uns gefangen genommen,“ antwortete der Gefragte, natürlich deutsch.

Da aber fiel der Häuptling schnell und in drohendem Tone ein:

„Ihr sollt nicht reden, was ich nicht verstehe! Wollt ihr etwa unsre Messer in die Leiber haben? Kennst du diesen Mann?“

„Ja.“

„Wer ist er?“

„Ein Mann aus Deutschland.“

„Deutschland? Ist dies das Land, in welchem Old Shatterhand geboren wurde?“

„Ja.“

„So ist er wohl auch ein berühmter Jäger?“

„Nein. Er versteht es nicht, eine Waffe zu führen. Er will Musik machen und singen. Er ist verrückt.“

Darauf hin betrachtete der Häuptling den Kantor mit viel weniger feindseligen Augen. Es gibt wilde Völkerschaften, welche die Wahnsinnigen nicht nur nicht bedauern oder gar verachten, sondern ihnen sogar Verehrung zollen. Sie sind der Ansicht, daß ein Geist, ein überirdisches Wesen von dem Irren Besitz ergriffen habe. Auch mehrere Stämme der Indianer huldigen dieser Anschauung und wagen es nicht, sich an einem Wahnsinnigen, selbst wenn er zu einem feindlichen Volke gehört, zu vergreifen. Darum erkundigte sich der Häuptling weiter:

„Weißt du es genau, daß dieser Mann nicht mehr bei seinen Sinnen ist?“

„Sehr genau,“ antwortete Poller, welchem der Gedanke kam, daß er daraus vielleicht Vorteil ziehen könne. „Ich bin ja lange Zeit mit ihm und seinen Begleitern geritten.“

„Wer waren diese?“

„Auch Deutsche, welche herübergekommen sind, sich Land zu kaufen, welches den roten Männern gehört.“

„Das hat ihnen der böse Geist eingegeben; denn wenn sie Land kaufen, so wird es uns gestohlen, und nicht wir, sondern die Länderdiebe bekommen das Geld. Jeder, der in diese Gegend kommt, um Land zu kaufen, ist unser Feind. Will dieser Mann auch welches haben?“

„Nein. Er will die roten Männer und Helden kennen lernen und dann in sein Vaterland zurückkehren, um Lieder über sie zu singen.“

„So ist er uns ja gar nicht gefährlich. Ich werde ihm erlauben, zu singen, so viel er will. Wo aber sind seine Begleiter?“

„Ich weiß es nicht.“

„So frage ihn!“

„Das kann ich nicht.“

„Warum?“

„Weil du uns verboten hast, zu sprechen, was du nicht verstehst. Er redet nur die Sprache seines Landes; in dieser also müßte ich mit ihm reden, und dann bekäme ich, wie du gesagt hast, eure Messer in den Leib.“

„Wenn dies wahr ist, so mußt du freilich in seiner Sprache mit ihm reden; ich erlaube es dir.“

„Daran thust du wohl; denn ich vermute, daß du dann sehr wichtige Dinge durch mich erfahren wirst.“

„Welche Dinge?“

„Die Auswanderer, zu denen er gehört, sind nicht allein. Es sind berühmte Jäger bei ihnen, welche sich vielleicht hier in der Nähe befinden. Sie müssen da sein, denn ich könnte nicht begreifen, wie er, der nichts versteht und wahnsinnig ist, ganz allein hierherkommen könnte.“

„Uff! Berühmte Jäger! Meinst du etwa Bleichgesichter?“

„Ja.“

„Welche?“

„Sam Hawkens, Dick Stone, Will Parker, Droll, Hobble-Frank und vielleicht auch noch andre.“

„Uff, uff, uff! Das sind lauter berühmte Namen. Diese Männer sind zwar nie unsre Feinde gewesen, aber jetzt, wo der Tomahawk des Krieges ausgegraben ist, muß man zehnfach vorsichtig sein, Ich will wissen, wo sie sich befinden. Aber hüte dich, mir eine Lüge zu sagen! Sobald eine Unwahrheit aus deinem Munde kommt, seid ihr verloren.“

„Sorge nicht! Du hast uns feindlich behandelt; aber ich werde dir trotzdem beweisen, daß wir eure Freunde sind. Ich kann dir diesen Beweis sogar schon jetzt gleich liefern, indem ich dir sage, daß wir uns bemüht haben, diese weißen Krieger für euch unschädlich zu machen.“

„Wie könntet ihr dies angefangen haben?“

„Wir haben sie in das Pueblo des Häuptlings Ka Maku gelockt.“

„Uff! Ka Maku ist unser Bruder. Sind sie zu ihm gekommen?“

„Ja. Er hat sie alle gefangen genommen, die weißen Jäger, die Auswanderer und ihre Frauen und Kinder.“

„Auch diesen wahnsinnigen Mann hier?“

„Ja.“

„Und jetzt befindet er sich bei uns! Er kann den weiten Weg unmöglich allein gemacht haben. Ich muß wissen, welche Leute bei ihm sind und wo sich dieselben in diesem Augenblicke befinden.“

„Soll ich ihn fragen?“

„Ja. Doch hüte dich, mich betrügen zu wollen! Was du mir auch sagen magst, ich werde dir kein Wort eher glauben, als bis ich mich von der Wahrheit desselben überzeugt habe.“

Nun wendete sich Poller an den Kantor und forderte ihn auf zu erzählen.

Nach einigem Widerstreben berichtete dieser, ohne daran zu denken, wie Poller gehandelt hatte und daß er ihn als Feind zu betrachten habe. Der frühere Führer der Auswanderer hörte mit Staunen von Old Shatterhand und Winnetou. Die Erzählung des Emeritus wurde von dem Häuptling unterbrochen, welcher mißtrauisch war und das lange Zwiegespräch, von welchem er kein Wort verstand, nicht dulden wollte. Poller aber beruhigte ihn mit der Versicherung:

„Ich erfahre da Dinge, welche für dich sehr wichtig sind. Ich muß diesen Verrückten ausfragen, was lange Zeit erfordert, weil sein Verstand nicht mehr ganz bei ihm ist. Laß mich also nur sprechen; du wirst dann später sehen, daß ich jetzt als Freund von euch handle.“

Endlich war der Kantor mit seiner Erzählung fertig; Poller wußte alles und wendete sich an den Häuptling:

„Das Wichtigste sollst du gleich zuerst erfahren: Da oben auf der Höhe befinden sich die zwei berühmtesten Männer des wilden Westens. Wirst du erraten, wen ich meine?“

„Etwa Old Shatterhand?“

„Ja.“

„Und Winnetou, der Häuptling der Apachen?“

„Auch dieser.“

„Uff, uff! Du redest die Wahrheit?“

„Es ist so, wie ich sage. Sie sind gekommen, euch zu überfallen.“

„Da werden sie sterben müssen. Woher kommen sie, wo stecken sie, und wie viele Leute sind bei ihnen?“

Poller gab ihm genaue Auskunft, denn es fiel ihm gar nicht ein, den Häuptling zu belügen und irre zu führen. Er rechnete auf die Dankbarkeit der Roten. Die hervorragendsten Krieger derselben standen in der Nähe und hörten Pollers Worte. Als dieser mit seinen Mitteilungen zu Ende war, blickte der Häuptling eine Zeit lang sinnend vor sich nieder und sagte dann, zu den Indianern gewendet:

„Meine Brüder haben gehört, was dieses Bleichgesicht gesprochen hat. Aber die Zungen der Weißen haben zwei Spitzen, von denen die eine mit Trug und die andre mit Falschheit endet. Wir müssen uns überzeugen, ob unsre Ohren die Wahrheit oder die Lüge vernommen haben. Es mögen also Kundschafter, die ich jetzt auswählen werde, zur Höhe steigen.“

Er ging von Feuer zu Feuer, um die Krieger zu bezeichnen, welche er für befähigt hielt, Leute wie Winnetou und Old Shatterhand zu beschleichen; dann sah man diese, nur mit ihren Messern bewaffnet, sich vorsichtig entfernen. Hierauf kam der Häuptling zu Poller zurück und sagte, auf den Kantor zeigend:

„Da dieses Bleichgesicht von einem Geiste, welcher nichts verlangt, als singen zu dürfen, besessen ist, so soll ihm von uns nichts Böses geschehen. Er wird ungefesselt hin und her gehen können, wie es ihm beliebt; aber sobald es ihm einfallen sollte, zu entfliehen, bekommt er eine Kugel. Sag‘ ihm das!“

Poller gehorchte natürlich. Als der Emeritus es hörte, sagte er in triumphierendem Tone:

„Sehen Sie, daß ich recht hatte? Für einen jünger der Kunst gibt es keine Gefahr; die Musen beschützen mich. Merken Sie sich, daß wir Komponisten keine gewöhnlichen Menschen sind!“

Poller ärgerte sich über dieses große Selbstbewußtsein und antwortete also:

„Von Ihren Musen kann hier keine Rede sein. Ja, Sie stehen unter einem besondern Schutze, aber unter einem ganz andern.“

„So? Unter welchem denn?“

„Unter dem der Verrücktheit.“

„Ver – – rückt – – heit?“ dehnte der Musikbeflissene. „Darf ich fragen, wie Sie das meinen?“

„Warum nicht? Kein Indianer thut einem Wahnsinnigen etwas zu leide; darum können Sie hier fast ganz frei spazieren gehen.“

„Wahnsinnig? Spazieren gehen? Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß – – –“

Er sah dabei Poller starr in das Gesicht.

„Ja, grad das will ich sagen,“ nickte dieser.

„Daß – – daß ich für wahnsinnig gehalten werde?“

„Gewiß, ganz gewiß ist das der Fall!“

„Wie, was? Ist das möglich? Diese roten Leute halten mich für wahnsinnig!“

„Ja, für verrückt, für vollständig verrückt.“

„Aber warum denn, aus welchem Grunde denn?“

„Weil sie nicht begreifen können, daß ein vernünftiger Mensch über das Meer und nach dem wilden Westen gehen kann, nur um über die Leute, welche er da sieht, Musik zu machen.“

„Musik zu machen? Bitte sehr, Herr Poller; Sie bedienen sich da eines vollständig falschen Ausdruckes. Musik macht ein Bierfiedler oder Leierkastenmann; ich aber bin Komponist; ich werde eine Heldenoper von zwölf Akten komponieren, und Sie werden die Ehre haben, in derselben auch mit vorzukommen.“

„Danke sehr, und bitte, mich dabei auszulassen! Übrigens haben die Indsmen gar nicht so sehr unrecht; denn wenn ich aufrichtig sein will, so muß ich Ihnen sagen, daß Sie allerdings einen Klapps zu haben scheinen, und zwar einen nicht sehr kleinen.“

„Wie? Meinen Sie das wirklich?“

„Ja; aber Sie brauchen es mir nicht übel zu nehmen, denn bei den Indianern ist es eine Ehre, für verrückt gehalten zu werden.“

„Danke für die Ehre; danke sehr! Lieber will ich doch wie Sie gefesselt an der Erde liegen, aber für einen vernünftigen Menschen gehalten werden. Sagen Sie das dem Häuptling!“

„Fällt mir nicht ein. Der Umstand, daß Sie sich frei bewegen dürfen, kann uns von außerordentlichem Nutzen sein. Mißbrauchen Sie ihn aber nicht und kommen Sie ja nicht auf den Gedanken, sich zu entfernen! Man würde Sie auf der Stelle töten.“

„Pah! Das fällt keinem Menschen ein. ich stehe unter dem Schutze der Kunst.“

„Lassen Sie doch, zum Kuckuck, Ihre Kunst aus dem Spiele! Denken Sie von sich meinetwegen, was Sie wollen; aber denken Sie dabei auch an diejenigen, denen Sie nützlich sein können! Sehen Sie, wie der Häuptling nach uns sieht, wie er uns beobachtet? Wir dürfen nicht zu viel miteinander reden, sonst schöpft er Verdacht. Passen Sie später ein wenig auf mich auf. Wenn ich Ihnen winke, so habe ich Ihnen etwas mitzuteilen. Da nähern Sie sich mir so unbefangen wie möglich, sehen mich gar nicht an und bleiben in meiner Nähe stehen, bis Sie gehört haben, was ich Ihnen mitteilen will. Es wird das von großem Nutzen für Ihre Freunde sein. Wollen Sie das?“

„Ganz gern, Herr Poller. Wir Jünger der Kunst leben zwar in höhern Regionen und gehören später der Nachwelt und der Geschichte an; aber ich bin keineswegs stolz darauf, und wenn ich im gewöhnlichen Leben einem Menschen nützlich sein kann, so weigere ich mich keinesfalls, von meiner Höhe herniederzusteigen.“

Poller wäre am liebsten recht grob geworden, hielt es aber für geraten, sich zu beherrschen und sagte:

„Man hat Sie entwaffnet; sehen Sie doch zu, heimlich, recht heimlich zu einem Messer zu kommen! Ich hoffe doch, daß Sie pfiffig genug sind, mir diesen Wunsch zu erfüllen?“

„Pfiffig? Na, und ob! Ein Komponist ohne Pfiffigkeit ist eine absolute Unmöglichkeit. Wozu aber wollen Sie denn das Messer haben?“

Diese Frage war nun freilich kein Beweis von Pfiffigkeit, das hätte Poller ihm gar zu gern gesagt; aber er befürchtete, ihn damit zu beleidigen und gab ihm also die Auskunft:

„Um mich und Ihre Gefährten zu befreien.“

„Die sind doch nicht gefangen!“

„Das weiß ich sehr wohl; aber man weiß doch nicht, was geschehen kann. Ich habe dem Häuptling vollständig falsch berichtet, dennoch kann der kleinste Zufall seine Späher auf die richtige Spur bringen. Dann ist es sehr leicht möglich, daß Ihre Freunde ergriffen werden, wenn nicht etwas noch Schlimmeres geschieht. In diesem Falle würden sie nur dadurch zu retten sein, daß Sie mir heimlich ein Messer verschaffen. Ihnen zu erklären, wozu ich es haben will, dazu fehlt jetzt die Zeit. Wir dürfen nicht länger miteinander sprechen. Also wollen Sie?“

„Ja. Wenn ich meinen Freunden damit nutzen kann, soll es mir nicht darauf ankommen, einmal den Spitzbuben zu machen, indem ich den Roten ein Messer stehle.“

Poller hatte recht gehabt, denn der Häuptling stand jetzt von dem Platze, an welchem er saß, auf, und kam herbei, die beiden auseinander zu treiben. Doch wurde seine Aufmerksamkeit abgelenkt, weil eben jetzt die Kundschafter zurückkehrten. Sie meldeten ihm, daß sich alles genau so verhalte, wie Poller sagte.

„Das ist sein Glück!“ meinte er. „Hätte er mich belogen, so wäre er noch in dieser Nacht getötet worden. Er hat die Bleichgesichter verraten und wird meinen, daß ich ihm dafür gnädig sein werde; da aber irrt er sich, denn ein Verräter ist schlimmer als der schlimmste Feind.“

Er ließ sich das, was die Späher erkundet hatten, auf das genaueste beschreiben und sagte dann:

„Wir werden sie im Schlafe überraschen und also wohl nicht mit ihnen zu kämpfen brauchen. Zwei Krieger von uns auf einen von ihnen, auf Winnetou aber drei und auf Old Shatterhand vier; drei auch für den Posten, welcher Wache hält, damit er schnell und sicher überwältigt wird. Wir nehmen nicht die Gewehre, sondern nur die Messer und Tomahawks mit und Riemen dazu, die Gefangenen zu binden. So große und berühmte Krieger tötet man nicht, denn es ist ein großer Ruhm für uns, sie gefangen zu den Unsrigen zu bringen, und eine noch viel größere Schande für sie, in unsre Hände gefallen zu sein, ohne gekämpft und eine Wunde erhalten zu haben.“

Er suchte sich die zuverlässigsten und stärksten seiner Leute aus und brach mit ihnen auf. Der Mond stand über dem Thale; sein bleicher, matter Schein drang aber nicht durch die Wipfel der Bäume, unter und zwischen denen die Schar der auserwählten Roten jetzt verschwand, um lautlos und in der vorsichtigsten Weise den Bergeshang hinaufzuklettern.

Oben herrschte die tiefste Ruhe. Schi-So hatte bis vor kurzem Wache gestanden und war von Droll abgelöst worden. Der letztere ging, um nach dem anstrengenden Ritte wach zu bleiben, leisen Schrittes und langsam hin und her. Die andern schliefen alle fest, außer dem Hobble-Frank. Dieser hatte einen aufregenden Traum, in welchem er sich mit dem Kantor zankte, und zwar in einer solchen Weise, daß er sich auf ihn stürzte, um ihn zu packen. Darüber wachte er auf. Er öffnete die Augen, sah den bleichen Mond über sich und war froh, daß der Streit nur ein Traum und keine Wirklichkeit gewesen war. Er drehte sich auf die andre Seite, um nach dem Emeritus zu sehen, welcher sich nicht weit von ihm niedergelassen hatte – – er war nicht mehr da. Sollte er sein Lager nach einer andern Stelle verlegt haben? Das war unwahrscheinlich. Frank setzte sich auf und blickte umher; er sah ihn nicht. Er zählte die Schläfer; es fehlte einer. Da weckte der Hobble seinen Nachbar, was zufälligerweise Sam Hawkens war, und flüsterte ihm zu:

„Nimm’s nich übel, Sam, daß ich dich aus dem Schlafe kompensiere; ich sehe den Kantor nich. Wo mag er sein? Soll ich die andern wecken?“

Sam gähnte ein wenig und antwortete dann ebenso leise:

„Wecken? Nein, der Schlaf ist allen nötig. Da du mich nun doch geweckt hast und selbst auch munter bist, wollen wir die Sache allein abmachen. Der unvorsichtige Mann wird wieder mal eine Strecke fortgelaufen sein, um sich im stillen an seiner berühmten Oper zu zermartern. Komm, wollen ihn suchen!“

„In welcher Richtung?“

„Hier in den Wald und den Abhang hinunter, wo die Roten kampieren, hat er sich jedenfalls nicht gewagt.“

„Nee, er is jedenfalls da links in die Ebene hinausfiltriert, um den Mondschein aus der Despektive anzusingen. Nach dieser Seite wollen wir gehn. Nehmen wir die Gewehre mit? Brauchen werden wir sie schwerlich.“

„Brauchen oder nicht brauchen, ein Westmann läßt sein Gewehr nie liegen, ich nehme meine Liddy auf jeden Fall.“

Ehe sie sich entfernten, erkundigten sie sich bei Droll, welcher nun auch bemerkte, daß der Emeritus fehlte, und versicherte:

„Er muß schon fort sein, ehe ich meinen Posten angetreten habe; macht, daß ihr ihn findet, sonst kann’s leicht eene Dummheet geben.“

„Werden ihn schon bringen, wenn ich mich nicht irre,“ nickte Sam. „Wenn wir einen Halbkreis gehen, müssen wir unbedingt auf seine Spur kommen. Der Mond scheint zwar nicht hell, aber ich denke, daß wir sie dennoch bemerken werden – soll ihm diesmal schlecht ergehen, wenn wir ihn erst haben.“

Hawkens und Frank gingen eine Strecke westwärts am Waldessaume hin, um dann ostwärts einen Halbkreis zurückzuschlagen, dessen Mittelpunkt das Lager war. Sie waren gezwungen, tief gebückt zu gehen, um die Spur erkennen zu können. Da sie den Gesuchten nicht sehen konnten, nahmen sie an, daß er sich ziemlich weit entfernt hatte.

Droll folgte ihnen mit seinen Blicken, bis er sie nicht mehr sah; er war besorgt wegen des unvorsichtigen Kantors und lenkte also unwillkürlich die Schärfe seiner Sinne in die Ebene hinaus und stand auch so, daß er derselben das Gesicht zukehrte. Daher sah er nicht, daß jetzt drei Indianer aus dem Waldessaume hervortraten und sich mit unhörbaren Schritten nach ihm hinbewegten. Plötzlich fühlte er zwei Hände an seinem Halse. Er wollte rufen, brachte aber nur ein kurzes Röcheln hervor; dann streckte ihn ein Hieb mit dem stumpfen Tomahawk besinnungslos zu Boden.

Sam Hawkens und der Hobble hatten wohl zwei Drittel ihres Weges zurückgelegt, ohne eine Spur des Gesuchten zu finden, da vernahmen sie plötzlich einen lauten Kriegsschrei von Winnetou, und nur einen Augenblick später erklang die Stimme Old Shatterhands –

„Wacht auf, der Feind ist – – –“

Weiter kam er nicht; die Worte endeten in einem Gurgeln, welches bis zu ihnen drang.

„Herrgott, nun sind wir überfallen worden! Schnell hin!“ rief Frank und machte eine Drehung, um sich nach dem Lager zurückzuwenden. Da wurde er von Sam ergriffen und zurückgehalten.

„Bist du toll?“ raunte ihm dieser mit unterdrückter Stimme zu. „Horch! Es ist schon vorbei. Wir können nichts mehr thun.“

Es ertönte jetzt ein vielstimmiges indianisches Siegesgeheul. Der Hobble-Frank versuchte, sich loszureißen und rief:

„Ich muß aber hin, ich muß! Wollen wir unsre Freunde abmurksen lassen, ohne ihnen beizuschtehen?“

„Leise, leise, du Unglücksrabe!“ ermahnte Sam. „Ich sage dir, daß wir ihnen nur nützen können, wenn wir nicht hingehen. Es hat gar keinen Kampf gegeben; sie sind im Schlafe überfallen worden; das kann uns beruhigen.“

„Beruhigen? Bist du denn bei Troste und Verschtand? Daß unsre Kameraden überfallen worden sind, das soll uns beruhigen? Soll ich ihnen nich zu Hilfe kommen? Laß mich los, sonst kannst du eene Kugel durch deine Phrenologie kriegen!“

Er rang mit Sam; dieser hielt ihn aber fest und belehrte ihn:

„Bedenke den Mondschein! Die Feinde sehen uns doch kommen und schießen uns nieder, ehe wir für unsre Kameraden auch nur einen Finger rühren können. Es ist ihnen nichts geschehen, grad weil sie im Schlafe überrumpelt worden sind; sie liegen gefesselt dort bei einander, und wenn wir es klug anfangen, können wir sie wahrscheinlich retten.“

„Retten? Das läßt sich eher hören. Ich gebe mein Leben hin, sie wieder frei zu machen!“

„Das ist hoffentlich gar nicht notwendig. Jetzt freut es mich, daß du mich geweckt hast, um den Kantor zu suchen. Wäre dies nicht geschehen, so lägen wir auch mit bei den Gefährten, an Händen und Füßen gebunden. So aber sind wir frei, und wie ich den alten Sam Hawkens kenne, wird er nicht eher ruhen, als bis sie wieder losgekommen sind, wenn ich mich nicht irre, hihihihi!“

Der Hobble war noch nicht überzeugt. Er befand sich in großer Aufregung und stand, nach dem Lager hinhorchend, mit vorgebeugtem Oberkörper da, wie bereit, augenblicklich fortzurennen. Darum hielt Hawkens ihn noch immer fest und redete auf ihn ein, bis Frank sich endlich beruhigte. Sam zog ihn dann mit sich fort. Am Walde angekommen, schlichen sie im Dunkel desselben längs des Randes hin; aber sie waren noch nicht weit gekommen, so blieben sie stehen, denn es erscholl ein sehr lauter Ruf.

„Ustah arku etente – kommt herauf, ihr Männer!“

„Halt, wir müssen stehen bleiben,“ flüsterte Hawkens. „Die Leute, welche der Häuptling ruft, werden da am Abhang heraufkommen, und wir stoßen mit ihnen zusammen, wenn wir weitergehen. Horch!“

Die Stimme des Anführers war bis hinab in das Thal gedrungen. Bald hörte man das Rollen von Steinen, das Brechen und Knacken von Zweigen und das Geräusch von vielen kletternden Fußtritten. Die so plötzlich Überfallenen und Überwundenen sollten hinab in das Thal geschafft werden, wozu mehr Indianer erforderlich waren, als sich oben befanden. Um solche Leute, wie hier gefangen genommen worden waren, zu transportieren, genügten fünfzig oder sechzig Krieger nicht. Es mußten doch auch alle ihnen abgenommenen Sachen und ihre Pferde hinabgeschafft werden.

Nun gab es ein Gewirr von befehlenden, fragenden, antwortenden Stimmen; dann hörten die beiden Lauscher Huftritte und Menschenschritte näherkommen. Sie sahen einen langen Zug von Menschen und Pferden vorübergehen; da er vom Monde beleuchtet wurde, konnten sie die einzelnen Gestalten deutlich unterscheiden. Ihre Freunde waren alle an den Händen und Füßen gefesselt, an den letzteren so, daß sie kurze Schritte machen konnten; keiner außer dem Kantor fehlte. Winnetou ging ebenso wie Old Shatterhand zwischen vier stämmigen Indianern.

Als dieser Zug vorüber war, drohte der Hobble mit der Faust hinter ihm her und knirschte:

„Wenn ich nur könnte, wie ich wollte, da riß ich diese roten Halunken in Schtücke, daß sie wie Sägeschpähne durch alle Lüfte flögen! Aber ich werde ihnen schon noch een Licht darüber offschtecken, was der Hobble-Frank zu bedeuten hat, wenn sein Grimm zornig und sein Zorn grimmig geworden is! Da sind sie hin, und wir schtehen hier wie zwee zerbrochene Regenschirme oder als ob uns die Filzschuhe an die Beene gewachsen wären! Wollen wir ihnen denn nich nach?“

„Nein.“

„Warum denn nich?“

„Weil das ein Umweg wäre. Sie mußten sich zum Transporte der Gefangenen den bequemsten Weg auswählen, sind darum längs der Höhe hin und werden dann an einer geeigneten Stelle hinuntergehen. Wir aber schleichen uns den Abhang hier hinab, da, wo sie heraufgekommen sind.“

„Und nachher?“

„Nachher werden wir ja sehen, was wir thun können.“

„Schön, also vorwärts, Sam! Es juckt mich in allen Fingern, die Kerls bei der Parabel festzunehmen.“

Sie stiegen langsam und vorsichtig geraden Weges in das Thal hinab. Als sie unten angekommen waren, wurde ihnen das Anschleichen durch die brennenden Feuer erleichtert, nach denen sie sich richten konnten. Sie bewegten sich ein wenig oberhalb des Indianerlagers hin, bis sie an eine Stelle kamen, wo zwei hohe, flache und dünne Felsenstücke so gegeneinander lagen, daß sie eine Art Feldhütte oder ein Dach bildeten, unter welchem leidlich Platz für zwei Personen war. Vorn standen einige kleine Koniferen, deren niedrige Zweige den Eingang fast ganz verdeckten. Sie krochen hinein und legten sich so, daß sie sich mit den Köpfen unter den Bäumchen befanden und zwischen den Stämmen derselben hervorblicken konnten.

Als sie es sich so bequem wie möglich gemacht hatten, stieß Frank seinen Gefährten an und flüsterte ihm zu:

„Siehst du, daß sich meine große Komprimationsgabe nich geirrt hat! Dort sitzt der Pflaumentoffel am Feuer. Er is es also wirklich gewesen, der uns verraten hat, dieser zwölfaktige Emeritikus!“

„Ja, du hast recht gehabt; er ist es wirklich gewesen.“

„Aber er scheint nich gefangen zu sein. Warum haben sie ihn nich gefesselt?“

„Das ist auch mir unbegreiflich.“

„Siehst du, wer dort liegt?“

„Ah, der Ölprinz! Und die beeden andern werden Buttler und Poller sein.“

Außerdem konnten die beiden etwa hundertfünfzig Indianer zählen; also waren ebensoviele nach oben gestiegen, um die Weißen festzunehmen und dann herabzuschaffen. Am Flusse schliefen oder grasten die Pferde; sie waren abgezäumt, und man hatte die Sättel in mehrere Haufen zusammengelegt. Jetzt waren die lagernden Roten aufgesprungen; sie blickten erwartungsvoll thalaufwärts. Von dorther erscholl ein Jubelgeheul, und sie beantworteten es. Der oben erwähnte Zug näherte sich dem Lager.

Erst erschien ein kleiner Trupp von Roten; dann kamen Old Shatterhand und Winnetou mit ihren acht Wächtern. Diesen beiden Männern sah man es nicht an, daß sie sich gefangen oder gar gedemütigt fühlen müßten. Ihre Haltung war stolz und aufrecht, und mit freien, offenen Blicken musterten sie den Platz und die Personen, welche an den Feuern standen öder lagen. Auch den andern Westmännern sah man keine Niedergeschlagenheit an; die deutschen Auswanderer jedoch blickten ängstlich um sich her, und noch niedergedrückter sahen ihre Frauen aus, welche alle Mühe hatten, das Weinen der Kinder zu unterdrücken. Eine Ausnahme machte Frau Rosalie Ebersbach, welche auch gebunden war, aber in ihren Fesseln stolz einherschritt und mit geradezu herausfordernder Miene um sich blickte.

Dem Kantor mochte jetzt doch endlich ein Licht über den Fehler aufgehen, den er begangen hatte; sobald er die Situation einigermaßen übersah, trat er auf Old Shatterhand zu und sagte –

„Herr Franke klagte über Durst; darum kletterte ich hier herunter, um ihm heimlich eine Freude – – –“

„Schweigen Sie!“ herrschte ihn der Jäger an und wendete sich von ihm ab.

Einige Indianer nahmen den Emeritus zwischen sich, denn er sollte nicht mit seinen Reisegefährten sprechen. Die Nijoras bildeten einen Kreis um die Gefangenen; ihr Häuptling stand mit den bedeutendsten Kriegern in demselben und ergriff nun das Wort, indem er sich an Winnetou wendete:

„Winnetou, der Häuptling der Apachen, ist gekommen, uns zu töten; er wird dafür am Marterpfahle sterben müssen.“

Pshaw!“

Nur dieses eine Wort antwortete der Apache; dann setzte er sich nieder. Er war zu stolz, sich zu verteidigen. Der Häuptling zog die Brauen zornig zusammen und richtete sein Wort nun an Old Shatterhand:

„Die weißen Männer werden alle mit dem Apachen sterben müssen; das Kriegsbeil ist ausgegraben und sie haben uns töten wollen.“

„Wer hat das gesagt?“ fragte Old Shatterhand.

„Dieser Mann.“

Dabei zeigte er auf den Kantor.

„Er spricht eine Sprache, welche du nicht verstehst; wie hast du da mit ihm reden können?“

Der Häuptling deutete auf Poller und antwortete:

„Durch diesen, welcher den Dolmetscher gemacht hat.“

„So ist der Dolmetscher ein Lügner und Fälscher gewesen. Du weißt, wer ich bin. Darf jemand Old Shatterhand einen Feind der roten Männer nennen?“

. „Nein; aber jetzt ist der Kampf ausgebrochen, und ein jedes Bleichgesicht ist unser Feind.“

„Auch ohne euch beleidigt zu haben?“

„Ja.“

„Gut, so wissen wir, woran wir sind! Schau diese drei Bleichgesichter, welche du vor uns gefangen hast; sie sind Lügner, Betrüger, Diebe und Mörder. Nur um sie zu ergreifen, sind wir in diese Gegend gekommen, nicht um euch zu belästigen oder gar zu bekämpfen. Gib sie heraus, so ziehen wir weiter, ohne uns in eure Angelegenheiten zu mischen!“

„Uff! Ist Old Shatterhand plötzlich ein Kind geworden, daß es ihm in den Sinn kommt, ein solches Verlangen an uns zu stellen? Diese Bleichgesichter sollen wir ihm ausliefern? Sie gehören uns, sollen unsern Siegeszug schmücken und dann am Marterpfahle sterben. Dasselbe soll mit Old Shatterhand geschehen und allen, die jetzt mit ihm von uns ergriffen worden sind. Welcher Häuptling der roten Männer gibt solche Gefangenen heraus! Und wenn ich es thun wollte, würde Old Shatterhand noch viel mehr von uns verlangen.“

„Was?“

„Wir haben eure Pferde erbeutet und alles, was ihr bei euch hattet. Das gehört nun uns. Das köstlichste aber, was wir erhalten haben, ist Winnetous Silberbüchse, dein berühmter Bärentöter und das Zaubergewehr, mit welchem du, ohne laden zu brauchen, so viele Male schießen kannst, wie du willst. Würdest du nicht das alles von uns fordern, wenn wir euch ziehen ließen?“

„Allerdings.“

„So siehst du, daß ich recht hatte. Wir geben die Beute nicht heraus und werden auch euch festhalten, denn euer Tod am Marterpfahle wird unsern Stamm berühmter machen, als jemals ein Stamm der roten Männer gewesen ist, und wir werden nach unserm Tode in den ewigen Jagdgründen zu den obersten der Seligen gehören, weil eure abgeschiedenen Seelen uns dort bedienen müssen.“

Old Shatterhand machte trotz seiner enggefesselten Hände eine geradezu unnachahmlich stolze Armbewegung und fragte:

Pshaw! Ist dies dein fester Entschluß?“

„Ja.“

„Aber wir sind nicht eure Feinde!“

„Wir halten euch dafür, folglich seid ihr es!“

„So hast du gesprochen, und ich werde auch mein letztes Wort sagen. Höre es: Ihr könnt uns nicht festhalten und werdet auch die Beute herausgeben. Unsre Seelen werden die eurigen nicht bedienen, denn wenn es uns beliebt, senden wir euch jetzt, in diesem Augenblicke, in die ewigen Jagdgründe, wo ihr dann uns bedienen müßt, anstatt wir euch. Ich habe gesprochen.“

Er wollte sich abwenden; da trat der Häuptling ihm um einige Schritte rasch näher und herrschte ihn an:

„Wagst du, so mit mir, dem obersten Häuptlinge der Nijoras zu reden! Seid ihr unsre Gefangenen oder sind wir die eurigen? Zähle deine Leute; sie sind gefesselt und nur wenige Männer; wir aber sind frei, bewaffnet und zählen über dreimal zehn mal zehn tapfere Krieger!“

Pshaw! Old Shatterhand und Winnetou sind nicht gewöhnt, ihre Feinde zu zählen, und ob wir gefesselt sind oder nicht, das ist uns gleich. Wir haben nicht eure Feinde sein, sondern friedlich von euch ziehen wollen; du aber hast uns die Feindschaft aufgezwungen. Wohlan, wir nehmen sie an. Das Kriegsbeil mag ausgegraben sein zwischen mir und dir, zwischen uns und euch. Nicht die Zahl der Köpfe oder die gefesselten Hände werden entscheiden, sondern die Vortrefflichkeit der Waffen und die Macht des Geistes!“

Er warf einen kurzen Blick auf Winnetou und dieser neigte zustimmend, doch kaum bemerkbar, das Haupt. Die beiden verstanden sich ohne Worte. Der Häuptling der Nijoras beachtete dies in seinem Zorne nicht; er rief mit vor Wut bebender Stimme.

„Wo sind eure Waffen und wo ist der Geist, von dem du sprichst? Eure drei berühmten Gewehre hängen hier an meiner Schulter, und – – –“

„Der Geist, von dem ich sprach, wird sie dir nehmen!“ fiel Old Shatterhand ihm in die Rede.

In diesem Augenblicke stand er bei ihm, erhob die gefesselten Hände und schmetterte ihn mit einem Hiebe der beiden Fäuste besinnungslos zu Boden. Schon stand auch Winnetou bei ihm, riß dem Leblosen das Messer aus dem Gürtel und schnitt mit demselben die Armriemen Old Shatterhands durch, worauf dieser ihm die seinigen zerschnitt. Nun hatten sie die Hände frei. Noch etwa zwei Schnitte und auch ihre Fußriemen fielen. Das war so schnell geschehen, daß die Roten gar keine Zeit gefunden hatten, eine Bewegung zu machen, es zu verhindern; sie standen vielmehr ganz starr vor Staunen darüber, daß zwei Männer es wagten, mitten zwischen dreihundert Feinden in dieser Weise aufzutreten. Es galt, den Augenblick zu benutzen und sie abzuhalten, von allen Seiten heranzudringen. Darum riß Old Shatterhand ihren Häuptling mit der linken Hand von der Erde zu sich empor, zückte mit der Rechten das Messer und rief:

„Weicht zurück! Wenn ein einziger Nijora es wagt, nur einen Fuß gegen uns zu bewegen, so wird mein Messer augenblicklich in das Herz eures Häuptlings fahren! Und seht Winnetou, den Häuptling der Apachen, an! Soll er euch die Kugeln meines Zaubergewehres in die Köpfe geben?“

Winnetou hatte nämlich den Henrystutzen ergriffen und hielt ihn schußbereit in den Händen. Die Macht solcher Persönlichkeiten ist eine außerordentliche, zumal auf wilde, abergläubische Menschen. Dennoch war es ein höchst gefährlicher Augenblick. Wenn nur ein einziger Nijora den Mut besaß, zum Angriffe zu schreiten, so mußte er erschossen werden, und dann war die Rache sicherlich entfesselt und es mußte ein Niedermetzeln der Gefangenen folgen. Noch waren aller Mienen starr vor außerordentlicher Betroffenheit, und noch wollte keiner eine Bewegung wagen; aber schon in der nächsten Sekunde konnte dieser Zauber seine Macht verlieren; da erschien eine Hilfe, die der kühne Jäger wohl kaum für möglich gehalten hätte, denn unter den Bäumen des Waldes heraus erscholl eine laute Stimme:

„Zurück, ihr Nijoras! hier stehen auch noch Bleichgesichter. Weicht ihr nicht sofort, so fressen euch unsre Kugeln. Um euch zu warnen, holen wir uns zunächst die Feder des Unterhäuptlings! Dann aber treffen wir die Köpfe. Also Feuer!“

Der Unteranführer, welcher gemeint war, stand in der Nähe von Old Shatterhand; er trug als Zeichen seiner Würde in seinem Schopfe eine Adlerfeder; die finstern, kampfeslustigen Blicke, welche er auf die beiden kühnen Männer warf, sagten mehr als deutlich, daß er nicht willens war, sich einschüchtern zu lassen. Aber da krachte in dem Dunkel des Waldes, da, wo die beiden erwähnten Steine lagen, der Schuß, und die Kugel riß ihm die Feder vorn Kopfe. Das wirkte augenblicklich. Die Drohung, welche er gehört hatte, konnte in der nächsten Sekunde in Erfüllung gehen: jetzt war es nur auf seine Feder abgesehen gewesen; nun aber galt es seinem Leben. Er ahnte nicht, daß es nur zwei Personen waren, welche dort im Dunkel steckten; es mußten vielmehr, da sie so keck auftraten, ihrer viele sein. Darum stieß er einen Schrei des Schreckens aus und sprang vom Feuer weg. Die andern Nijoras folgten seinem Beispiele, indem sie sich ebenso rasch entfernten.

„Gott sei Dank!“ raunte Old Shatterhand dem Apachen zu. „Wir haben gewonnen. Das war Sam Hawkens, den wir hörten. Der Hobble-Frank wird bei ihm sein. Ziele du auf den Häuptling; ich brauche das Messer, um die andern von den Fesseln zu befreien.“

Er ließ den Häuptling, auf welchen Winnetou die Mündung des Gewehres richtete, zur Erde fallen und wendete sich zu seinen Gefährten, um ihnen die Riemen zu durchschneiden. Das geschah außerordentlich schnell, so daß die Indianer gar keine Zeit zu dem Gedanken fanden, ihn daran zu hindern. Sie hatten alles, was den Gefangenen abgenommen worden war, mit heruntergebracht, also auch die Waffen, und hier beim Feuer auf einen Haufen geworfen; die Weißen brauchten sich also nur zu bücken, um in den Besitz ihrer Messer und Gewehre zu kommen. Sie standen nun frei und bewaffnet da, noch ehe zwei Minuten seit dem Beginne der gefährlichen Scene vergangen waren.

„Jetzt die Pferde, und dann mir nach in den Wald!“ gebot Old Shatterhand.

Er selbst nahm sein und Winnetous Pferd beim Zügel, während der Apache den Häuptling der Nijoras aufhob, um mit ihm in das Dunkel zu verschwinden, dahin, von wo sie Sam Hawkens Stimme vernommen hatten. Der Platz am Feuer war leer; die Roten starrten auf denselben hin, kaum im stande, sich selbst zu begreifen, daß sie sich so hatten überraschen lassen.

Die beiden Helden dieser befreienden That hatten nicht Zeit gefunden, auf ein Vorkommnis zu achten, dessen Folgen ihnen später sehr ärgerlich werden sollten. Dem Kantor emeritus war nämlich plötzlich eingefallen, daß er in der oberen Westentasche, welche ihm nicht geleert worden war, sein Federmesser stecken hatte. Er wollte den Fehler, den er begangen hatte, wieder gut machen und ging, während alle andern nur für Old Shatterhand und Winnetou Augen hatten, zu Poller hin, setzte sich neben denselben nieder und sagte:

„Eben denke ich daran, daß ich ein Federmesser habe. Sie wollen meinen Kameraden mit helfen. Hier ist es.“

„Schön, schön!“ antwortete Poller ganz entzückt. „Legen Sie sich lang neben mich her, und schneiden Sie mir die Riemen an den Händen entzwei, doch so, daß niemand es sieht. Wenn Sie mir dann das Messer geben, besorge ich das weitere selbst.“

„Aber Sie müssen dann auch meine Gefährten von ihren Fesseln befreien!“

„Natürlich, natürlich! Also machen Sie nur schnell, schnell!“

Der Kantor kam dieser Aufforderung nach und gab Poller das Messer in dem Augenblicke, in welchem Old Shatterhand das Durchschneiden der Riemen, mit denen die Weißen gefesselt waren, selbst in die Hand nahm. Darum sagte er:

„Sehen Sie dorthin! Nun ist Ihre Hilfe nicht nötig. Shatterhand wird Sie auch frei machen. Sie können mir mein Messer wieder geben.“

„Fällt mir nicht ein!“ antwortete Poller. „Machen Sie sich schnell wieder zu Ihren Leuten hin; wir drei kommen dann gleich nach!“

Der Kantor stand also auf und sprang, als er sah, was die andern auf Old Shatterhands Befehl machten, zu seinem Pferde, um dasselbe auch schnell fortzuziehen.

Jetzt nun war die Situation so, daß nur Buttler, Poller und der Ölprinz am Feuer lagen; die Indianer hatten sich, um ihren Feinden keine sicheren Ziele zu bieten, gegen den Fluß hin in das Dunkel zurückgezogen, während die Weißen am Fuße der Thalwand unter den Bäumen steckten. Aus diesem Verstecke heraus rief Old Shatterhand den Roten zu:

„Die Krieger der Nijoras mögen sich ja ruhig verhalten. Beim geringsten Zeichen der Feindseligkeit oder wenn auch nur einer von ihnen es wagen wollte, zu uns herüberzuspähen, werden wir ihren Häuptling töten. Wenn es Tag geworden ist, soll über denselben verhandelt werden. Wir sind Freunde aller roten Männer und werden uns nur dann an ihm vergreifen, wenn wir gezwungen werden, uns zu verteidigen.“

Die Indianer nahmen als ganz natürlich an, daß er Wort halten würde, obgleich es ihm selbst dann, wenn sie angegriffen hätten, nicht eingefallen wäre, einen Mord zu begehen. Und für einen Mord hielt er es selbst in diesem Falle, einem wehrlosen Gefangenen das Leben zu nehmen, denn wehrlos war jetzt der Häuptling, weil man ihn an den Händen und Füßen gefesselt hatte.

Sam Hawkens und der Hobble-Frank waren unter den Steinen hervorgekrochen. Der erstere sagte in seiner eigentümlichen Weise:

„Das haben die roten Gentlemen wohl nicht gedacht! Dreihundert solche Kerle lassen sich von zwei Männern in das Bockshorn jagen. So etwas ist noch gar nicht dagewesen! Aber selbst dann, wenn es nicht gelungen wäre, hätte es dasselbe Ende genommen, nur ein wenig später, denn wir lagen hier, um euch zu befreien, hihihihi!“

„Ja,“ stimmte der Hobble bei, „wir hätten euch herausgeholt, das schtand bei uns bombenfest. Ob es zehn oder dreihundert Indianer waren, das hielten wir ganz ebenso für Wurscht als wie für Schnuppe.“

„Ja, ihr seid zwei außerordentliche Helden,“ meinte Old Shatterhand, halb zornig und halb belustigt. „Wo habt ihr denn gesteckt? Mir scheint, ihr seid spazieren gegangen, während ihr schlafen solltet?“

„Schpazieren gerade nich. Ich hatte eenen Troom, der meine physikalische Seele in innere Offregung versetzte; ich wachte darum off und bemerkte zu meinem Erschtaunen, daß der Herr Kantor fort war. Da weckte ich meinen Busenfreund Sam, und wir gingen, den abwesenden Herrn in die Anwesenheet zurückzuführen, Inzwischen geschah der Überfall, den wir nich verhindern konnten. Wir verschteckten uns und sahen, daß ihr an uns vorübergeschafft wurdet. Da schtiegen wir ins Thal herunter und verschteckten uns, um euch im Momente des geeigneten Oogenblickes aus der Gefangenschaft zu befreien. Es war een Glück für uns, daß der Herr Emeritus sich entfernt hatte, denn wäre dies nich der Fall gewesen, so hätten wir ihn nich gesucht und wären doch mit gefangen genommen worden.“

„Das wird wohl ein Irrtum sein,“ entgegnete Old Shatterhand. „Ich bin überzeugt, daß der Überfall gar nicht hätte stattfinden können, wenn dieser Unglücksmann ruhig liegen geblieben wäre. Wo steckt er denn jetzt? Ich bemerke ihn nicht.“

„Hier bin ich,“ antwortete der Kantor hinter einem Baum hervor.

„Schön! Sagen Sie mir doch um aller Welt willen, wie es Ihnen einfallen konnte, sich von unserm Lagerplatze zu entfernen!“

„Ich wollte Wasser holen, Herr Shatterhand.“

„Wasser! Hier unten vom Flusse?“

„Ja.“

„Sollte man so etwas für möglich halten! War denn Ihr Durst gar so groß, daß Sie ihn nicht bis morgen früh bezwingen konnten?“

„Aber nicht für mich.“

„Für wen denn?“

„Für meinen guten Freund Herrn Hobble-Frank. Er klagte über Durst, und ich hatte mich mit ihm im Streite überworfen; das wollte ich wieder gut machen, indem ich ihm behilflich war, seinen Durst zu löschen.“

„Welch ein Unsinn! Eines ganz und gar albernen Zankes wegen haben Sie unser aller Leben in Gefahr gebracht! Wahrlich, wenn wir uns nicht hier mitten in der Wildnis befänden, würde ich Sie auf der Stelle fortjagen. Das kann ich aber leider nicht, weil Sie da unbedingt zu Grunde gehen würden.“

„Ich? Glauben Sie das ja nicht! Wer eine so hohe, künstlerische Mission zu erfüllen hat, wie die meinige ist, welche zwölf volle Akte betragen wird, der kann nicht zu Grunde gehen.“

„Lassen Sie sich doch nicht auslachen! Ich werde Sie in Zukunft des Abends anbinden müssen, damit Sie keine ferneren Dummheiten machen können. Und an dem ersten zivilisierten Ort, den wir erreichen, lasse ich Sie sitzen. Dann dürfen Sie meinetwegen nach Stoff für Ihre berühmte Oper suchen, bei wem und so viel Sie wollen. Ist es Ihnen denn gelungen, den Fluß hier unten zu erreichen?“

Der Emeritus verneinte und berichtete seine Festnahme, wie es ihm ergangen, bis zu dem Umstande, daß er Poller sein Messer geliehen habe.

„Alle Wetter!“ rief Old Shatterhand, „ist dieser Mann ein Unglücksrabe, da müssen wir schnell dafür sorgen, daß sie uns nicht entkommen. Ich werde es wagen, an das Feuer zu gehen, um sie wieder zu binden. Ich will dabei nur hoffen, daß es den Nijoras nicht einfällt, mich – – –“

Er wurde durch ein lautes Geschrei unterbrochen, welches die Nijoras in diesem Augenblicke erhoben. Als er nach dem Feuer blickte, sah er die Ursache desselben. Nämlich Poller, Buttler und der Ölprinz hatten sich plötzlich von ihren Plätzen erhoben und rannten fort, dorthin, wo sich die Pferde der Indianer befanden.

„Sie reißen aus; sie reißen aus!“ schrie der Hobble-Frank. „Rasch off die Pferde und ihnen nach, sonst – – –“

Er vollendete seinen Satz nicht, in der Eile, seinen Worten die That folgen zu lassen, doch Old Shatterhand hielt ihn fest und gebot:

„Hierbleiben! Und still! Horcht!“

Man sah und hörte, daß die Indianer nach ihren Pferden rannten; aber die drei Flüchtlinge waren rascher als sie, denn man vernahm trotz des Wutgeheules ganz deutlich den Hufschlag der Pferde, deren sie sich bemächtigt hatten und auf denen sie davongaloppierten.

„Da sind sie fort, futsch, für uns verloren in alle Ewigkeit!“ lamentierte Frank. „Ich wollte ihnen nach. Warum sollte ich denn nich?“

„Weil es nichts genützt hätte und auch sehr gefährlich war,“ antwortete Old Shatterhand.

„Gefährlich? Meenen Sie etwa, daß ich mich vor diesen drei Halunken fürchte? Da kennen Sie mich, wie es scheint, noch immer nich!“

„Ich meine die Roten, Wir haben noch nicht mit ihnen verhandelt und müssen also sehr vorsichtig sein. Wollten wir die Fliehenden jetzt verfolgen, so fielen wir wahrscheinlich den Nijoras in die Hände. Wir müssen hier verborgen bleiben, bis wir uns mit ihnen auseinandergesetzt haben.“

„Und die drei Schurken entkommen lassen?“

„Würde es uns gelingen, sie jetzt, in der Nacht, zu ergreifen? Wenn die Möglichkeit dazu vorhanden ist, so können wir dies den Roten überlassen. Hört! Sie reiten den Entkommenen nach. Wir brauchen uns also nicht zu bemühen.“

„Ach was! Selber is der Mann! Diese Indianer werden sich keine große Mühe geben.“

„Damit würden sie nur beweisen, daß sie klug sind. Wenn wir warten, bis es Tag geworden ist, können wir die Spuren sehen und ihnen folgen.“

„Aber der Vorschprung, den die Kerls dann haben!“

„Den holen wir wohl ein. Es ist dann ganz leicht, sie festzunehmen, weil sie sich nicht verteidigen können; sie haben nur das Federmesser, welches unser sehr pfiffiger Herr Kantor ihnen geborgt hat, und das ist doch wohl nicht als eine sehr furchtbare und gefährliche Waffe zu betrachten.“

Alle sahen ein, daß er recht hatte, und auch Frank gestand dies zu. Nach einiger Zeit hörte man wieder den Hufschlag von Pferden; dann war es still. Die Indianer kamen resultatlos von der Verfolgung zurück, denn wenn sie die Flüchtlinge ergriffen gehabt hätten, wären sie jedenfalls sehr laut gewesen.

Da es voraussichtlich morgen einen anstrengenden Tag gab, mußte sich die Gesellschaft wieder schlafen legen; Winnetou und Old Shatterhand aber blieben wach, um die Nijoras zu beobachten, da ein Versuch ihrerseits, ihren gefangenen Häuptling zu befreien, doch immerhin möglich war. Aber sie blieben während der ganzen Nacht ruhig und als es Morgen wurde und die Schläfer erwachten, sah man sie drüben am Ufer des Flusses sitzen; sie waren wahrscheinlich alle munter geblieben.

Bis jetzt hatte niemand ein Wort mit Mokaschi gesprochen, und auch er hatte den Mund nicht geöffnet; ja, er hatte so still und unbeweglich gelegen, als ob Old Shatterhands Hieb ihn getötet habe. Aber er lebte und blickte mit sehr scharfen Augen um sich her; es war Zeit, ihm zu sagen, was man von ihm verlangte. Darum wollte Old Shatterhand das Wort nehmen. Winnetou erriet dies, bat ihn durch einen Wink zu schweigen, und wendete sich, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, selbst an den Häuptling Mokaschi.-

„Der Häuptling der Nijoras ist ein starker Mann, ein großer Jäger und ein sehr tapferer Krieger; er hat die stärksten Büffel mit einem einzigen Pfeile getötet; darum wird er Mokaschi genannt. Ich möchte gern als sein Freund und Bruder zu ihm sprechen und bitte ihn, mir zu sagen, wer ich bin!“

Das war scheinbar eine sonderbare Aufforderung, doch hatte sie ihren guten Grund und Zweck; das mochte Mokaschi denken, und darum antwortete er bereitwillig:

„Du bist Winnetou, der Häuptling der Apachen.“

„Du hast ganz richtig gesprochen. Warum hast du nicht einen besondern Stamm der Apachen genannt, zu dem ich gehöre?“

„Weil alle Stämme dieses großen Volkes dich als Häuptling anerkennen.“

„So ist es. Weißt du, zu welchem Volke der Stamm der Navajos gehört?“

„Sie sind Apachen.“

„Und was sind die Nijoras, die dich ihren Häuptling nennen?“

„Auch Apachen.“

„Dein Mund sagt die Wahrheit. Wenn aber diese ebenso wie jene zu dem großen Volke der Apachen gehören, so sind sie Brüder. Hat ein Vater mehrere Kinder, so sollen sie sich lieben und einander beistehen in jeder Sorge, Not und Gefahr, aber sich nicht zanken oder gar bekämpfen. Da unten im Südosten wohnen die Komanchen, die Todfeinde der Apachen; ihre Krieger ziehen alljährlich aus, die Apachen zu bekämpfen; darum sollten unsre Stämme fest zusammenhalten gegen diese Diebe und Mörder. Aber sie thun dies nicht; vielmehr entzweien sie sich untereinander, reiben sich gegenseitig auf und sind dann zu schwach, wenn es gilt, den gemeinschaftlichen Feind zurückzuweisen. Wenn meine Seele daran denkt, wird mir mein Herz schwer von Sorgen wie ein Fels, der nicht von dannen zu wälzen ist. Die Nijoras und die Navajos nennen mich einen Häuptling der Apachen; sie sind auch Apachen; darum sollten ihre Ohren auf die Worte meines Mundes hören. Du hast mich und meine weißen Brüder gefangen genommen, obgleich wir euch nichts gethan haben und obwohl ich eines Stammes oder Volkes mit dir bin. Kannst du mir einen Grund angeben, den ich anerkennen muß?“

„Ja.“

„Welchen?“

„Dein Herz hängt mehr an den Navajos als an meinem Stamm.“

„Du irrst. Ich bin euer aller Bruder.“

„Aber deine Seele gehört den Bleichgesichtern, welche unsre Feinde sind.“

„Auch das ist ein Irrtum. Ich liebe alle Menschen, gleichviel ob sie eine rote oder eine bleiche Farbe haben, wenn sie das Gute thun. Und ich bin der Feind aller bösen Menschen, ohne zu fragen, ob sie Indianer oder Weiße sind. Das Beil des Krieges ist ausgegraben und nun zieht der Bruder gegen den Bruder, um sein Blut zu vergießen; das ist nicht gut, sondern bös, und darum bin ich heute nicht euer Freund. Doch dürft ihr auch nicht meinen, daß ich euer Feind sei. Ich helfe weder euch noch den Navajos, sondern ich möchte euch mahnen, den Tomahawk des Krieges wieder zu vergraben und Frieden walten zu lassen.“

„Das ist nicht möglich, Das Beil, welches die Hand des Kriegers einmal ergriffen hat, darf nicht eher zur Ruhe kommen, als bis es Blut gekostet hat, Wir hören auf keinen Mund, welcher vom Frieden redet.“

„Auch auf den meinigen nicht?“

„Nein.“

„So sehe und höre ich, daß jedes meiner Worte vergeblich sein würde; Winnetou aber pflegt nicht unnütz zu reden; ich will also schweigen. Fechtet euren Streit mit den Navajos aus; aber hütet euch, mich und meine weißen Brüder mit hineinzuziehen! Du hast uns als Feinde behandelt; das wollen wir vergessen. Nun befindest du dich in unsern Händen; dein Leben ist in unsre Gewalt gegeben. Soll man in den Zelten eurer Feinde erzählen: Old Shatterhand und Winnetou, diese beiden Männer, haben Mokaschi gefangen genommen, obgleich er dreihundert Krieger bei sich hatte? Sollst du mit deinen Kriegern an allen Lagerfeuern verlacht und verspottet werden? Willst du, daß man von dir sage: Er hat sogar die weißen Squaws und Kinder, welche sich in seiner Gewalt befanden, wieder hergeben müssen?“

Winnetou sprach diese Fragen mit sehr gutem Grunde aus. Es war für Mokaschi unbedingt eine große Schande, unter solchen Verhältnissen und trotz seiner großen Kriegerschar festgenommen worden zu sein. Er sollte seine vorherigen Gefangenen ungehindert ziehen lassen und dafür selbst freigegeben werden. Ging er nicht darauf ein, so mußte dann das Versprechen, daß seine Schande verschwiegen bleiben solle, ihn doch noch willfährig machen. Er sah jetzt finster vor sich hin und antwortete nicht. Darum fuhr Winnetou fort:

„Deine Krieger haben vernommen, daß du sofort getötet wirst, wenn sie uns angreifen. Hast du es auch gehört, als mein Bruder Shatterhand es ihnen hinüberrief?“

Mokaschi nickte.

„So weißt du also, was du zu erwarten hast. Du sollst aber dein Leben behalten und deine Freiheit zurückbekommen. Dafür verlangen wir freien Abzug von hier und alle Sachen zurück, welche uns genommen worden sind und die wir noch nicht wieder haben.“

„Die gehören nun uns!“

„Nein. Wir werden nicht eine einzige Nadel in euren Händen lassen.“

„So mag es zum Kampfe kommen!“

„Aber du wirst zuerst sterben!“

„Ich bin ein Krieger und fürchte den Tod nicht. Meine Leute werden mich rächen!“

„Du irrst. Wir befinden uns hier unter dem Schutze der Felsen und Bäume; auch haben wir nie die Zahl unsrer Feinde gezählt; ob ihr dreihundert seid oder weniger, das ist uns gleich, und deine Krieger wissen, was für Gewehre wir besitzen. Ich sage dir, daß wir ganz gewiß nicht unterliegen werden.“

„So mögen meine Leute mit mir sterben. Sie tragen ja ebenso wie ich die Schande, von welcher du vorhin gesprochen hast.“

„Wenn du klug bist und sie dir gehorchen, wird diese Schande nicht auf euch liegen bleiben. Wir versprechen dir, nicht davon zu sprechen.“

Da leuchteten die Augen Mokaschis freudig auf, und er rief:

„Das versprichst du mir?“

„Ja.“

„Und wirst Wort halten?“

„Hat Winnetou sein Wort jemals gebrochen?“

„Nein. Aber sage mir, wie ihr euch dann gegen uns verhalten werdet, wenn wir euch ziehen lassen!“

„So, wie ihr euch gegen uns verhaltet. Folgt ihr uns, um uns von neuem zu bekämpfen, so werden wir uns wehren.“

„Wohin werdet ihr euch wenden?“

„Das wissen wir noch nicht.“

„Etwa zu den Navajos?“

„Wir müssen den drei entflohenen Gefangenen folgen. Wo diese hingeritten sind, dahin reiten wir auch. Sind sie zu den Navajos, so suchen auch wir diese auf.“

„Und steht ihnen gegen uns bei?“

„Wir werden sie zum Frieden ermahnen, so wie ich es bei dir gethan habe. Ich sagte dir ja schon, daß wir nicht eure Feinde sind, aber auch nicht die ihrigen. Entscheide dich schnell! Wir müssen bald aufbrechen, sonst bekommen die drei Bleichgesichter einen zu großen Vorsprung.“

Mokaschi schloß die Augen, um alles für und wider zu überlegen; dann schlug er sie wieder auf und erklärte:

„Ihr sollt alles zurückbekommen, was euch gehört, und dann fortreiten können.“

„Ohne daß ihr uns verfolgt?“

„Wir werden nicht mehr an euch denken; dafür aber werdet ihr nicht davon reden, wie ich hier in eure Hände geraten bin!“

„Einverstanden! Ist mein Bruder Mokaschi bereit, mit uns hierüber die Pfeife des Friedens zu rauchen?“

„Ja.“

„Halt!“ fiel da Old Shatterhand ein. „Mein Bruder Winnetou hat etwas Wichtiges vergessen. Er hat nicht an die acht Navajos gedacht, welche sich in den Händen der Nijoras befinden.“

„Ich habe an sie gedacht,“ antwortete der Apache.

„Wir müssen auch ihre Freiheit verlangen.“

Da fuhr Mokaschi zornig auf:

„Was gehen diese euch an? Sind sie eure Gefährten? Haben wir sie in eurer Gesellschaft gefangen? Ihr sagt, daß ihr weder ihre noch unsre Feinde seid, und ich habe das geglaubt. Soll ich nun daran irre werden? Ich habe euch den Willen gethan, soweit es eure Personen und eure Sachen betrifft. Diese Navajos aber, unsre Feinde, sind euch fremd: sie gehen euch nichts an, und ihr habt sie nicht von uns zu fordern. Wenn ihr dies dennoch thut, so nehme ich mein Versprechen zurück, und der Kampf zwischen uns und euch mag beginnen, obgleich ihr mir gedroht habt, daß ich der erste sein werde, welcher sterben muß.“

Die Menschlichkeit trieb Old Shatterhand, dennoch auf seinem Verlangen zu beharren; Winnetou aber glaubte, auf eine andre Weise zu demselben Ziele kommen zu können; er gab ihm daher einen heimlichen Wink und sagte zu dem Nijora:

„Mein Bruder Mokaschi hat recht; wir dürfen diese Navajos nicht von euch verlangen, denn sie sind nicht unsre Gefährten gewesen; aber du weißt, daß ich sie ebenso wie euch als meine Brüder betrachte, und darum werde ich eine Bitte für sie aussprechen.“

„Winnetou mag reden, und ich werde hören.“

„Was beabsichtigt ihr, mit diesen Gefangenen zu thun?“

„Sie werden am Marterpfahle sterben, gerade so wie alle andern Navajos, die noch in unsre Hände fallen.“

„So bitte ich dich, sie nicht schon jetzt sterben zu lassen.“

„Wann?“

„Wenn der Kampf beendet und das Kriegsbeil wieder vergraben worden ist.“

„Das würde auch geschehen, ohne daß du es erbittest. Du bist der berühmteste Krieger der Apachen und mußt also den Gebrauch aller Stämme kennen. Kein Gefangener wird während des Kriegszuges gemartert, sondern erst dann, wenn die Sieger in ihre Dörfer heimgekehrt sind. So wird es auch bei uns geschehen.“

„Ich wußte es, Wir sind nun einig und werden die Pfeife des Friedens und der Besiegelung darüber rauchen.“

„So bindet mich los und kommt mit mir unter den Bäumen hervor und in das Freie hinaus, damit meine Krieger sehen, daß wir das Calumet rauchen. Da werden sie wissen, daß sie für mich nichts zu fürchten haben und daß der Friede zwischen uns und euch geschlossen worden ist.“

Sein Wunsch wurde sogleich erfüllt. Man löste ihm die Fesseln und dann setzten sich alle hinaus ins Freie, wo gestern die Feuer gebrannt hatten. Dort stopfte Winnetou seine Friedenspfeife, zündete sie an und ließ Mokaschi die ersten Züge aus derselben thun. Dann ging sie von Hand zu Hand weiter. Sogar die Frauen und die Kinder mußten sie wenigstens in den Mund nehmen, sonst hätte sich nach indianischen Begriffen der Vergleich nicht mit auf sie erstreckt und sie hätten überfallen oder gar getötet werden können, ohne daß man das Recht gehabt hätte, deshalb auf die Roten den Vorwurf der Treulosigkeit zu schleudern.

Als diese Zeremonie vorüber war, reichte Mokaschi allen, selbst auch den Kindern, die Hand und ging dann zu seinen Leuten hinüber, um ihnen das Übereinkommen mitzuteilen.

„Ich hätte die acht Navajos zu gern frei gehabt,“ sagte Old Shatterhand. „Nun müssen wir sie in den Händen der Nijoras lassen!“

„Mein Bruder mag sich nicht um sie sorgen; es wird ihnen nichts geschehen,“ versicherte Winnetou.

„Das ist nicht so sicher, wie du zu denken scheinst.“

„Es ist sicher. Die Nijoras werden gezwungen sein, auch diese Gefangenen frei zu geben.“

„Wer soll sie zwingen? Die Navajos?“

„Ja.“

„Wieso denn?“

„Wir werden sie dazu auffordern.“

„So denkst du, daß wir uns nun direkt zu den Navajos wenden werden?“

„Wir werden das thun müssen, weil der Ölprinz zu ihnen ist.“

„Hm! Es gibt allerdings Gründe, dies anzunehmen. Die drei Kerls haben keine Waffen; sie können kein Wild erlegen; Feuerzeug fehlt ihnen auch; sie werden hungern müssen und also gezwungen sein, Menschen aufzusuchen; andre Menschen als die Navajos gibt es aber da, wohin sie kommen, nicht. Freilich fragt es sich, wie sie von diesen aufgenommen werden.“

„Gut.“

„Das ist zu bezweifeln und doch auch möglich. Wenn sie sagen, daß sie Feinde der Nijoras, bei diesen gefangen gewesen, ihnen aber entflohen sind, so wird der Empfang ein leidlicher sein.“

„Mein Bruder mag berücksichtigen, daß sie auch noch andres sagen können. Sie werden von den Navajokundschaftern sprechen und vielleicht erzählen, daß Khasti-tine, der Anführer derselben, von den Nijoras ermordet worden ist. Sie werden dich und mich erwähnen und alles versuchen, um sich bei den Navajos einzuschmeicheln.“

„Und von ihnen Hilfe zu erlangen, nämlich Waffen und alles, was sie sonst noch brauchen. Denkst du, daß sie das bekommen werden?“

„Es kommt darauf an, was sie erzählen werden. Nitsas-Ini aber, der große Häuptling der Navajos, ist ein sehr kluger Mann; er wird jedes Wort, was er von ihnen hört, prüfen, ehe er es glaubt. Doch, schau hinüber zu den Nijoras! Sie besteigen ihre Pferde.“

Es war so, wie er sagte. Mokaschi hatte seinen Leuten gesagt, daß Friede geschlossen sei. Sie waren zwar nicht sehr damit einverstanden, mußten sich aber fügen, weil das Calumet darüber geraucht worden war. Aus Ärger über diesen für sie gar nicht glänzenden Abschluß des Abenteuers wollten sie am liebsten jetzt gar nichts mehr sehen; sie stiegen also auf ihre Pferde und ritten davon. Einige aber waren zurückgeblieben und brachten alle Gegenstände, welche die Weißen noch zu verlangen hatten. Es fehlten zwar einige Kleinigkeiten, doch hatten dieselben einen so geringen Wert, daß gar kein Wort darüber verloren wurde. Warum solche Nichtigkeiten erwähnen, wo es sich vorher um ganz andre Dinge, sogar um Tod und Leben gehandelt hatte!

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