Achtzehntes Capitel

Achtzehntes Capitel

Karagwah. – Der Ukerewe-See. – Eine Nacht auf einer Insel. – Der Aequator. – Ueberfahrt über den See. – Die Wasserfälle. – Ansicht des Landes. – Die Nilquellen. – Die Benga-Insel. – Namenszug Andrea Debono’s. – Die Flagge mit dem Wappen Englands.

Am folgenden Tage begannen um fünf Uhr Morgens die Vorbereitungen zur Abreise. Joe zerschmetterte die Hauer des Elephanten mit dem glücklich wiedergefundenen Beil. Der nun in Freiheit gesetzte Victoria führte die Reisenden mit einer Geschwindigkeit von achtzehn Meilen gegen Nordosten davon.

Der Doctor hatte am vergangenen Abend nach der Höhe der Sterne genau die Lage bestimmt. Er befand sich unter 2° 40′ Br. südl. vom Aequator, gleich hundertundsechzig geographischen Meilen; er reiste über zahlreiche Dörfer hinweg, ohne sich um das durch seine Erscheinung hervorgerufene Geschrei zu kümmern, zeichnete summarische Ansichten von der Gestaltung der Gegenden, überschritt die Abhänge des Rubemhe, die fast ebenso steil waren wie die Gipfel des Usagara, und traf später in Tenga die ersten Vorsprünge der Karagwah-Ketten, welche seiner Meinung nach nothwendig von den Mondbergen aussgehen müssen. Die alte Sage, welche diese Berge zu der Wiege des Nils machte, kam der Wahrheit nahe, weil dieselben den Ukerewe-See, das angebliche Reservoir der Wasser des Großen Stromes, begrenzen.

Von Kafuro, dem großen District der Kaufleute des Landes, bemerkte er endlich am Horizont den so sehr gesuchten See, welchen der Kapitän Speke am 3. August 1858 erblickt hatte.

Samuel Fergusson fühlte sich von Rührung ergriffen. Er hatte eine der Hauptspitzen seiner Entdeckungsreise beinahe erreicht, und ließ sich, das Fernglas im Auge, nicht einen einzigen Winkel dieses geheimnißvollen Landes entgehen.

Unter ihm ein im Allgemeinen reizloses Land, kaum einige cultivirte Landstriche; das Terrain, mit Bergkegeln mittlerer Höhe besäet, plattete sich in der Nähe des Sees ab; Gerstenfelder traten an die Stelle der Reisfelder; dort wuchs der Wegerich (Plantago), aus dem der Wein des Landes gewonnen wird, und der »Mwani«, eine wilde Pflanze, die als Kaffee dient. Die Vereinigung von etwa fünfzig kreisförmigen Hütten, mit blumigem Strohdach bedeckt, machten die Hauptstadt von Karagwah aus.

Man konnte aus der Höhe ohne Anstrengung die erstaunten Gesichter einer ziemlich schönen Race mit gelblich braunem Teint gewahren. Weiber von unglaublicher Corpulenz schleppten sich in den Pflanzungen mit Mühe von der Stelle; und der Doctor setzte seine Gefährten sehr in Erstaunen durch die Mittheilung, daß solche, sehr geschätzte Wohlbeleibtheit durch den streng geregelten Genuß dicker Milch erlangt werde.

Um zwölf Uhr befand sich der Victoria unter 1° 45′ südl. Br.; um ein Uhr trieb ihn der Wind über den See.

Kapitän Speke hat demselben den Namen Nyanza-Victoria gegeben. An dieser Stelle mochte er neunzig Meilen in der Breite messen; an seinem südlichen Ende fand der Kapitän eine Inselgruppe, welche er den Bengalischen Archipelagus nannte. Er setzte seine Recognoscirung bis nach Muanza an der Ostküste fort, wo er von dem Sultan gut aufgenommen wurde. Er nahm die trigonometrische Vermessung dieses Theiles des Sees vor, konnte sich aber keine Barke verschaffen, um ihn zu überfahren oder die große Insel Ukerewe zu besuchen. Dies sehr volkreiche Eiland wird von drei Sultanen regiert und bildet zur Zeit der Ebbe nur eine Halbinsel.

Der Victoria näherte sich dem See mehr im Norden zum großen Verdruß des Doctors, welcher gern die südlichen Umrisse hatte bestimmen wollen. Die mit dornigem Gebüsch und verwickeltem Gesträuch dicht bewachsenen Ufer verschwanden buchstäblich unter Myriaden hellbräunlicher Moskitos. Dies Land sollte unbewohnbar und unbewohnt sein; man sah Schaaren von Nilpferden sich im Röhricht wälzen oder unter das weißliche Wasser des Sees tauchen.

Von oben herab gesehen, bot dieser im Westen einen so weiten Gesichtskreis, daß man ihn fast ein Meer hätte nennen können; die Entfernung zwischen den beiden Ufern ist zu groß, als daß ein Verkehr sich herstellen ließe; übrigens sind dort die Stürme stark und häufig, denn die Winde wüthen furchtbar in diesem hohen und bloßliegenden Becken.

Der Doctor hatte Mühe, den Ballon zu lenken; er fürchtete nach Osten getragen zu werden, aber glücklicher Weise führte ihn eine Strömung direct nach Norden, und um sechs Uhr Abends ließ sich der Victoria unter 0° 30′ Br. und 32° 52′ L. zwanzig Meilen weit von der Küste auf einer kleinen verlassenen Insel nieder.

Die Reisenden konnten an einen Baum anhaken, und da der Wind sich gegen Abend gelegt hatte, schwebten sie ruhig über ihrem Anker. Man konnte nicht daran denken, an’s Land zu steigen; hier bedeckten ebenso wie an den Ufern des Nyanza-Sees Legionen Moskitos den Boden mit einer dichten Wolke. Joe selbst kam mit Stichen bedeckt von dem Baume zurück, aber das ärgerte ihn weiter nicht, denn er fand dies von Seiten der Moskitos sehr natürlich.

Der Doctor indessen, welcher weniger Optimist war, ließ so viel wie möglich von dem Stricke ab, um diesen unerbittlichen Insecten, die mit einem beunruhigenden Summen zu ihm aufstiegen, zu entgehen.

Er bestimmte die Höhe des Sees über dem Meeresspiegel ebenso wie Kapitän Speke, auf dreitausendsiebenhundertundfünfzig Fuß.

»Wir sind hier also auf einer Insel! sagte Joe, der sich kratzte, bis das Blut hervorkam.

– Wir würden sie ohne Gefahr umgehen können, antwortete der Jäger, denn von diesen liebenswürdigen Insecten abgesehen, bemerkt man kein einziges lebendes Wesen.

– Die Inseln, von denen der See durchwebt ist, bemerkte der Doctor Fergusson, sind eigentlich Gipfel versenkter Hügel; wir können uns glücklich schätzen, hier eine Zuflucht gefunden zu haben, denn die Ufer des Sees werden von wilden Stämmen bewohnt. Schlaft also, da der Himmel uns eine Nacht der Ruhe schickt.

– Wirst Du Dich nicht auch niederlegen, Samuel?

– Nein, ich könnte kein Auge zuthun. Meine Gedanken würden allen Schlaf verscheuchen. Morgen werden wir, wenn der Wind günstig ist, gerade auf Norden zugehen und vielleicht die Nilquellen, dies bis jetzt undurchdringlich gebliebene Geheimniß, entdecken. So nahe an den Quellen des großen Flusses kann ich nicht schlafen.«

Kennedy und Joe, die weniger von wissenschaftlichem Enthusiasmus aufgeregt wurden, schlummerten bald ruhig unter der Wacht des Doctors ein.

Am Mittwoch, dem 23. April, machte sich der Victoria um vier Uhr Morgens bei bedecktem Himmel segelfertig; die Nacht hob sich langsam von den Ufern des Sees, die ein dichter Nebel verhüllte, aber bald zerstreute ein heftiger Wind die schwere Luft. Der Victoria schwankte einige Minuten nach verschiedenen Richtungen hin und her, und hielt endlich geraden Weges auf Norden zu.

Doctor Fergusson schlug vor Freude in die Hände.

»Wir sind auf gutem Wege, rief er aus. heute oder nie werden wir den Nil sehen! Meine Freunde, hier überschreiten wir den Aequator! Wir treten in unsere Hemisphäre ein!

– Oho! rief Joe aus. Sie meinen, daß hier der Aequator durchgeht?

– Allerdings, mein wackerer Junge.

– Nun, verzeihen Sie, Herr, es scheint mir passend, daß wir ihn ein wenig einweihen, und zwar ohne weiteren Zeitverlust.

– Ein Glas Grog möge zur Feier des Tages geopfert werden! antwortete der Doctor lachend; – Du hast eine Weise, Dich mit der Kosmographie zu befassen, die nicht übel ist.«

Und so wurde das Passiren der Linie an Bord des Victoria feierlich begangen.

Dieser schwebte in raschem Fluge vorwärts. Im Westen bemerkte man die niedrige und wenig unebene Küste, im Hintergrunde die höheren Plateaux von Uganda und Usoga. Die Schnelligkeit des Windes wurde außerordentlich: mehr als dreißig Meilen auf die Stunde.

Die gewaltsam aufgewühlten Wasser des Nyanza schäumten wie die Wogen eines Meeres. An gewissen tiefgehenden Wasserstrudeln, welche sich nach schon eingetretener Windstille noch lange hin und her bewegten, erkannte der Doctor, daß der See eine große Tiefe haben müsse. Kaum sah man während dieser schnellen Ueberfahrt ein oder zwei rohe Barken.

»Dieser See, sagte der Doctor, ist augenscheinlich durch seine erhabene Lage das natürliche Flußbecken der Ströme des östlichen Theiles von Afrika. Der Himmel giebt ihm an Regen wieder, was er ihm anderweitig entzieht. Es scheint mir nunmehr gewiß, daß der Nil dort seine Quelle hat.

– Wir werden sehen,« versetzte Kennedy.

Gegen neun Uhr näherte man sich der Westküste; sie schien verlassen und bewaldet. Der Wind erhob sich ein wenig gegen Osten, und man konnte das andere Ufer des Sees erblicken. Dasselbe krümmte sich derartig, daß es in einen sehr stumpfen Winkel gegen 2° 40′ nördl. Br. auslief. Hohe Berge erhoben ihre dürren Gipfel an diesem Ende des Nyanza; aber zwischen ihnen, in einem tief ausgehöhlten Schlunde, brach ein siedender Fluß sich Bahn.

Während Doctor Fergusson mit der Handhabung seines Luftschiffes beschäftigt war, ließ er seine Blicke begierig über das Land schweifen.

»Seht! rief er, seht, meine Freunde! die Erzählungen der Araber waren genau! Sie sprachen von einem Flusse, in welchen der Ukerewe-See sich nach Norden zu ergösse: dieser Fluß existiert, wir fahren ihn hinunter, er fließt mit einer Geschwindigkeit, die sich mit unsrer eigenen Schnelligkeit vergleichen läßt; und dieser Wassertropfen, welcher zu unsern Füßen verrinnt, wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach mit den Fluthen des Mittelmeers vereinigen! Es ist der Nil!

– Es ist der Nil! wiederholte Kennedy, der sich von der Begeisterung Samuel Fergusson’s fortreißen ließ.

– Es lebe der Nil!« sagte Joe, der gern ein Vivat ausbrachte, wenn er freudig gestimmt war.

Ungeheure Felsen hemmten hie und da den Lauf dieses geheimnißvollen Flusses: das Wasser schäumte, es bildeten sich Stromschnellen und Katarakte, welche den Doctor in seiner Ansicht, daß hier die Quelle des Nils zu suchen sei, bestärkten. Von den umliegenden Bergen ergossen sich zahlreiche, bei ihrem Falle wild schäumende Bäche. Man sah aus dem Boden vereinzelte, dünne Wasserstrahlen hervorsprudeln, die sich kreuzten, in einander flossen, an Schnelligkeit wetteiferten, und sämmtlich dem werdenden Flusse zueilten, welcher, nachdem er sie aufgenommen, zum Strome wird.

»Es ist der Nil! wiederholte der Doctor mit voller Ueberzeugung. Der Ursprung seines Namens hat die Gelehrten, ebenso wie der Ursprung seiner Gewässer, leidenschaftlich erhitzt. Man hat ihn aus dem Griechischen, dem Koptischen, dem Sanskrit abgeleitet; übrigens kommt nichts darauf an, da er endlich doch das Geheimniß seiner Quellen hat offenbaren müssen.

– Aber, sagte der Jäger, wie kann man darüber in’s Klare kommen, daß dieser Fluß derselbe ist, welchen die Reisenden des Nordens erforscht haben?

– Wir werden sichere, unwiderlegliche, unfehlbare Beweise davon erhalten, antwortete Fergusson, wenn der Wind uns noch eine Stunde begünstigt.«

Die Berge trennten sich und machten zahlreichen Dörfern Platz, die von Sesam-, Durrah- und Zuckerrohrfeldern umgeben waren. Die Stämme dieser Gegenden zeigten sich aufgeregt und feindlich: sie schienen mehr zum Zorne als zur Anbetung geneigt zu sein und witterten Fremde, aber keine Götter; es schien, als ob sie die Erforschung der Nilquellen als einen an ihnen begangenen Raub betrachteten. Der Victoria mußte sich außer Schußweite ihrer Musketen halten.

»Es wird uns schwer fallen, hier zu ankern, sagte der Schotte.

– Nun, erwiderte Joe. Um so schlimmer für diese Eingeborenen. Wir werden sie des Reizes unserer Unterhaltung berauben.

– Ich muß dennoch aussteigen, entgegnete der Doctor Fergusson; und wäre es nur auf eine Viertelstunde. Sonst kann ich die Resultate unserer Entdeckungen nicht feststellen.

– Es ist also unerläßlich, Samuel?

– Allerdings; und wir werden aussteigen, selbst wenn wir uns unserer Feuerwaffen bedienen müßten.

– Mir ganz Recht, antwortete Kennedy mit einem zärtlichen Blick auf seine Büchse.

– Es wäre nicht das erste Mal, daß man mit den Waffen in der Hand der Wissenschaft seine Dienste leiht, hob der Doctor hervor; etwas Aehnliches ist einem französischen Gelehrten in den spanischen Gebirgen begegnet, als er mit der Messung des Erdmeridians beschäftigt war.

– Sei unbesorgt, Samuel, und verlaß Dich auf Deine beiden Leibwächter.

– Sind wir so weit, Herr Doctor?

– Noch nicht; wir werden sogar noch höher steigen, um die genaue Gestaltung des Landes uns zu veranschaulichen.«

Das Wasserstoffgas dehnte sich aus, und in weniger als zehn Minuten schwebte der Victoria in einer Höhe von zweitausend fünfhundert Fuß über dem Boden. Von dort konnte man ein unentwirrbares Netz von Flüssen wahrnehmen, welche der Strom in sein Bett aufnahm. Es rannen noch mehrere Bäche von Westen zwischen den zahlreichen Hügeln inmitten fruchtbarer Felder herbei.

»Wir sind keine neunzig Meilen von Gondokoro entfernt, sagte der Doctor, das Besteck auf der Karte machend; und weniger als fünf Meilen von dem Punkte, der von den aus Norden gekommenen Entdeckungsreisenden erreicht worden ist. Wir wollen uns nun vorsichtig der Erde nähern.«

Der Victoria senkte sich mehr als zweitausend Fuß.

»Jetzt, meine Freunde, seid auf Alles gefaßt.

– Wir sind bereit, antworteten Dick und Joe.

– Gut!«

Der Victoria flog bald längs des Strombettes kaum hundert Fuß von der Erde dahin. Der Nil maß an dieser Stelle fünfzig Toisen, und die Eingeborenen befanden sich in den Dörfern, welche an seinen Ufern lagen, in lärmender Bewegung. Unter dem zweiten Grade bildet er einen jähen Sturz, der eine Höhe von ungefähr zehn Fuß hat und folglich unpassirbar ist.

»Das ist der von Herrn Debono bezeichnete Wasserfall,« rief der Doctor.

Das Flußbecken erweiterte sich und war mit zahlreichen Inseln übersäet, von denen Samuel Fergusson kein Auge abwandte. Er schien einen Landungsplatz zu suchen, den er noch nicht entdecken konnte.

Einige Neger, welche in einem Kahn unter dem Ballon gefahren waren, begrüßte Kennedy mit einem Flintenschuß, welcher, ohne zu treffen, sie dazu veranlaßte, so schnell wie möglich wieder an’s Ufer zu rudern.

»Glückliche Reise! rief ihnen Joe nach. An ihrer Stelle würde ich das Wiederkommen bleiben lassen und die Nähe eines solchen Ungeheuers, das nach Belieben Blitze schleudert, vermeiden.«

Plötzlich griff Fergusson nach seinem Fernrohr und richtete es auf eine mitten im Strom gelegene Insel.

»Vier Bäume! rief er; seht dort unten!«

Wirklich waren vier einzelne Bäume sichtbar.

»Das ist die Insel Benga! Ohne allen Zweifel! setzte er hinzu.

– Nun, was weiter? fragte Dick.

– Dort werden wir aussteigen, so Gott will.

– Aber sie scheint bewohnt, Herr Samuel!

– Joe hat Recht; wenn ich mich nicht täusche sehe ich einen Haufen von etwa zwanzig Eingeborenen.

– Wir werden sie in die Flucht jagen; das wird nicht schwer halten, antwortete Fergusson.

– Drauf und dran!« entgegnete der Jäger.

Die Sonne stand im Zenith. Der Victoria näherte sich der Insel.

Die Neger, welche dem Stamme Makado angehörten, stießen ein kräftiges Geschrei aus; einer von ihnen schwang seinen Borkenhut in der Luft. Kennedy zielte auf denselben, gab Feuer, und der Hut flog in Stücke.

Das war das Signal zu einer allgemeinen Flucht; die Eingeborenen stürzten sich in den Strom und durchschwammen ihn; von beiden Ufern kam ein Hagel von Kugeln, eine Wolke von Pfeilen, aber ohne Gefahr für das Luftschiff, dessen Anker sich in eine Felsspalte eingelassen hatte. Joe glitt auf die Erde herab.

»Die Leiter! rief der Doctor. Folge mir, Kennedy!

– Was willst Du thun?

– Wir wollen aussteigen; ich brauche einen Zeugen.

– Ich bin bereit.

– Joe, halte Du Wache!

– Sein Sie ohne Sorge, Herr; ich stehe für Alles.

– Komm, Dick,« sagte der Doctor, als er den Fuß auf festen Boden setzte.

Er zog seinen Gefährten nach einer Felsgruppe, welche sich an einem Ausläufer der Insel erhob; dort suchte er einige Zeit, spürte in den Gebüschen umher und riß sich dabei die Hände blutig.

Plötzlich ergriff er den Jäger lebhaft am Arme.

»Sieh dorthin! sagte er.

– Buchstaben!« rief Kennedy.

Wirklich erschienen zwei in den Fels eingegrabene Buchstaben in ihrer vollen Klarheit; man las deutlich: A. D.

»A. D., versetzte der Doctor Fergusson, Andrea Debono! Der Namenszug des Reisenden, welcher den Lauf des Nils am weitesten aufwärts verfolgt hat!

– Das ist unwiderleglich, Freund Samuel!

– Bist Du jetzt überzeugt?

– Es ist der Nil! Wir können nicht mehr daran zweifeln!«

Der Doctor blickte noch einmal auf diese kostbaren Initialen und zeichnete genau ihre Form und Größe ab.

»Und jetzt zum Ballon zurück! sagte er.

– Schnell also; denn dort sind mehrere Eingeborene, die wieder über den Fluß kommen wollen.

– Das kümmert uns jetzt wenig; wenn der Wind uns einige Stunden lang nach Norden treibt, werden wir Gondokoro erreichen und unsern Landsleuten die Hand drücken.«

Zehn Minuten darauf stieg der Victoria majestätisch empor, während Doctor Fergusson als Zeichen des errungenen Erfolges die Flagge mit dem englischen Wappen entfaltete.

Neunzehntes Capitel

Neunzehntes Capitel

Der Nil. – Der Zitterberg. – Erinnerungszeichen an das Land. – Die Erzählungen der Araber. – Die Nyam-Nyam. – Verständige Gedanken Joe’s. – Der Victoria lavirt. – Luftschifffahrten. – Madame Blanchard.

»Wohinaus steuern wir? fragte Kennedy, als er sah, wie sein Freund den Compaß zu Rathe zog.

– Nach Nord-Nordwest.

– Aber zum Teufel! Das ist nicht Norden!

– Nein, Dick; und ich glaube, daß wir schwerlich Gondokoro erreichen werden; ich bedauere es, aber schließlich haben wir die Forschungen des Ostens mit denen des Nordens verknüpft; da darf man sich nicht beklagen.«

Der Victoria entfernte sich allmälig vom Nil.

»Ein letzter Blick, sagte der Doctor, auf diesen noch unüberschrittenen Breitegrad, über den die unerschrockensten Reisenden nicht haben hinauskommen können. Das sind sicher die unzugänglichen Stämme, von denen die Herren Petherick, D’Arnaud, Miani sprechen; ebenso wie der junge Reisende Herr Lejean, dem wir die besten Arbeiten über den obern Lauf des Nil verdanken.

– So stimmen unsere Entdeckungen mit den Vermuthungen und Hypothesen der Wissenschaft überein? fragte Kennedy.

– Vollständig. Die Quellen des Weißen Flusses, des Bahr-el-Abiad sind in einem See, der die Größe eines Meeres hat, verborgen: dort hat er seinen Ursprung; die Poesie wird freilich dabei verlieren, man dachte sich für diesen König der Ströme gern eine himmlische Abkunft. Die Alten benannten ihn mit dem Namen Ocean, und man war geneigt zu glauben, daß er direct von der Sonne herkäme! Aber man muß ab und zu etwas von solchem Glauben aufgeben und das annehmen, was die Wissenschaft uns lehrt. Es wird vielleicht nicht immer Gelehrte, immer aber Dichter geben!

– Man bemerkt wieder Katarakte, äußerte Joe.

– Die Katarakte von Makado, auf drei Breitegraden; es stimmt ganz genau! Ach, warum haben wir nicht dem Laufe des Nils einige Stunden weit folgen können!

– Und da unten vor uns, sagte der Jäger, bemerke ich den Gipfel eines Berges.

– Das ist der Logwek, der Zitterberg der Araber; diese ganze Gegend ist von Herrn Debono besucht worden, der sie unter dem Namen Latif Effendi durchreiste. Die dem Nil anwohnenden Stämme sind unter einander verfeindet und führen einen gegenseitigen Vertilgungskrieg. Ihr könnt Euch leicht die Gefahren vorstellen, denen er hat Trotz bieten müssen.«

Der Wind trug nun den Victoria nach Nordwesten. Um den Berg Logwek zu vermeiden, mußte man eine niedrigere Strömung suchen.

»Meine Freunde, sagte der Doctor zu seinen beiden Begleitern, jetzt erst fangen wir wirklich unsere Entdeckungsreise in Afrika an. Bis hierher sind wir hauptsächlich den Spuren unserer Vorgänger gefolgt. Wir werden uns nunmehr in eine unbekannte Welt begeben. Wird uns der Muth nicht im Stich lassen?

– Niemals! riefen einstimmig Dick und Joe.

– Auf den Weg denn, und der Himmel beschütze uns!«

Um zehn Uhr Abends gelangten die Reisenden über Schluchten, Wälder und zerstreute Dörfer hinweg zum Zitterberge, an dessen sanft abfallenden Abhängen sie hinstreiften.

An diesem denkwürdigen Tage, dem dreiundzwanzigsten April, hatten sie während einer fünfzehnstündigen Reise, von einem raschen Winde getrieben, eine Entfernung von über dreihundert und fünfzehn Meilen zurückgelegt.

Aber dieser letzte Theil der Reise hatte ihnen einen traurigen Eindruck hinterlassen. Vollständiges Schweigen herrschte in der Gondel. War Doctor Fergusson einzig und allein mit seinen Entdeckungen beschäftigt? Dachten seine beiden Gefährten an die ihnen bevorstehende Fahrt mitten durch unbekannte Landstriche? In all‘ das mischten sich ohne Zweifel Erinnerungen an England und die entfernten Freunde. Joe zeigte dabei seine gewohnte Philosophie der Sorglosigkeit, die es ganz natürlich fand, daß das Vaterland nicht überall mit ihm herumziehen konnte; aber er achtete das Schweigen Samuel Fergusson’s und Dick Kennedy’s.

Um zehn Uhr Abends legte sich der Victoria auf der andern Seite des Zitterberges [Fußnote] vor Anker; man nahm ein substantielles Mahl ein, und Alle schliefen nacheinander, sich in der Wache ablösend.

Am folgenden Morgen sah man wieder fröhlichere Gesichter; es hatte sich prächtiges Wetter und ein günstiger Wind eingestellt, und ein durch die Scherze des muntern Joe gewürztes Frühstück brachte vollends die gute Laune der kleinen Gesellschaft zurück.

Das Land, welches man gegenwärtig zu durchreisen hatte, ist ein unermeßlich großes; es grenzt an die Mondberge und die Gebirge von Darfur; es mag an Ausdehnung etwa Europa zu vergleichen sein.

»Wir durchreisen jetzt jedenfalls das sogenannte Land Usoga, saqte der Doctor; Geographen haben behauptet, daß sich im Mittelpunkte von Afrika eine tiefe Senkung, ein ungeheurer Binnensee befände. Wir werden sehen, ob diese Annahme irgendwie begründet ist.

– Aber wie ist man zu dieser Voraussetzung gelangt? fragte Kennedy.

– Durch die Berichte der Araber; diese Leute erzählen gern, vielleicht zu gern. Einige in Kaseh oder an den großen Seen angekommene Reisende haben Sclaven gesehen, welche von dem Innern des Landes hergekommen waren, und dieselben über ihr Land ausgefragt, diese verschiedenen Mittheilungen dann mit einander verschmolzen, und daraus Systeme abgeleitet. Alledem liegt immer etwas Wahres zu Grunde und, wie Du siehst, hat man sich z. B. über den Ursprung des Nil nicht getäuscht.

– Ganz richtig! stimmte Kennedy bei.

– Auf diese Mittheilungen hin hat man Karten zu zeichnen versucht, und meine Absicht ist, unsern Weg auf einer derselben zu verfolgen, und sie erforderlichen Falls zu verbessern.

– Ist dieses weite Land bewohnt? erkundigte sich Joe.

– Allerdings, aber nur spärlich.

– Das habe ich mir gedacht.

– Diese zerstreuten Volksstämme begreift man unter der allgemeinen Bezeichnung Nyam-Nyam: der Name ist nur eine Onomatopöe; er giebt das Geräusch des Kauens wieder.

– Ausgezeichnet! rief Joe, Nyam! Nyam!

– Mein alter Junge, wenn Du die unmittelbare Ursache dieser Onomatopöe wärest, würdest Du das nicht ausgezeichnet finden.

– Was meinen Sie damit, Herr?

– Daß diese Völkerschaften Menschenfresser sind.

– Ist das wirklich wahr?

– Freilich; man hat auch behauptet, daß diese Eingeborenen wie gewöhnliche Vierfüßler mit einem Schwanze versehen seien; aber bald hat man erkannt, daß dieser Appendix nur den Thierfellen, mit denen sie bekleidet sind, angehört.

– Um so schlimmer für sie; ein Schwanz müßte in diesen Gegenden sehr angenehm sein, um die Moskitos zu verjagen.

– Wohl möglich, Joe; aber es ist das in’s Bereich der Fabel zu verweisen, wie auch die Hundsköpfe, welche der Reisende Brun-Rollet gewissen Völkerschaften beilegte.

– Hundsköpfe? sehr bequem zum Bellen und äußerst brauchbar für Menschenfresser!

– Was leider auf Wahrheit beruht, ist die Wildheit dieser nach Menschenfleisch lechzenden Völker.

– Ich wünsche nur, daß ich ihnen nicht zu viel Appetit einflöße, versetzte Joe.

– Da haben wir’s, sagte der Jäger.

– Meine Meinung ist die, Herr Dick: Wenn ich einmal gefressen werden muß, so soll es zu Ihrem Nutzen und zum Vortheil meines Herrn sein. Aber diesen Mohren zur Nahrung dienen! Pfui, ich würde mich zu Tode schämen!

– Recht so, mein braver Joe, meinte Kennedy; das nenne ich doch noch ein Wort! wir werden Dich bei Gelegenheit berücksichtigen.

– Stehe immer zu Diensten, meine Herren!

– Joe spricht nur so, bemerkte der Doctor, damit wir ihn gut füttern und recht fett machen sollen.

– Wer weiß? antwortete Joe; der Mensch ist nun einmal so egoistisch!«

Am Nachmittag bedeckte sich der Himmel mit einem heißen Nebel, der aus dem Boden empordampfte. Der umdüsterte Himmel gestattete kaum, die Gegenstände auf der Erde zu unterscheiden, und so gab der Doctor, aus Furcht an eine Felsspitze zu stoßen, um fünf Uhr das Haltesignal.

Die Nacht verging ohne Unfall, aber man hatte bei der tiefen Dunkelheit seine Wachsamkeit verdoppeln müssen.

Der Monsun wehte am andern Morgen mit außerordentlicher Heftigkeit; der Wind verfing sich in den untern Höhlungen des Ballons und schüttelte heftig den Kasten, durch welchen die Ausdehnungs-Röhren sich hinzogen. Man mußte sie mit Seilen befestigen, ein Geschäft, das Joe mit großer Geschicklichkeit ausführte.

Er constatirte zugleich, daß die Mündung des Luftschiffes noch immer hermetisch verschlossen war.

»Es hat das eine doppelte Bedeutung für uns, sagte Doctor Fergusson; zunächst vermeiden wir den Verlust des für uns sehr kostbaren Gases, und dann lassen wir in unserer Umgebung keinen entzündbaren Streifen zurück, der am Ende gar in Flammen gerathen könnte.

– Das wäre ein ärgerlicher Zwischenfall für unsere Reise.

– Würden wir zur Erde herabstürzen? fragte Dick

– Stürzen? nein! das Gas würde ruhig verbrennen und wir nach und nach zur Erde niedersteigen. Ein ähnlicher Unfall ist der französischen Luftschifferin Madame Blanchard, begegnet. Beim Abbrennen eines Feuerwerks entzündete sich ihr Ballon, aber sie fiel nicht, und würde ohne Zweifel mit dem Leben davongekommen sein, wenn ihre Gondel nicht an einen Schornstein gestoßen wäre, von welchem herunter sie zur Erde stürzte.

– Hoffen wir, daß uns nichts Aehnliches treffen wird, versetzte der Jäger; bis jetzt scheint mir unsere Fahrt nicht gefährlich. Ich sehe keinen Grund, der uns hindern könnte, an unserm Ziel anzukommen.

– Ich auch nicht, lieber Dick; übrigens sind die Unfälle auf Luftreisen immer durch Unvorsichtigkeit, oder den mangelhaften Bau der Apparate verursacht worden. Indessen zählt man auf mehrere tausend Ballonexpeditionen nicht zwanzig Unfälle, die den Tod zur Folge gehabt hätten. Im Allgemeinen bieten die Abfahrten und Landungen die meisten Gefahren. So dürfen wir in solchem Falle keine Vorsichtsmaßregel außer Augen lassen.

– Es ist Frühstückszeit, meldete Joe; wir müssen schon mit Kaffee und conservirtem Fleisch vorliebnehmen, bis Herr Kennedy Gelegenheit gefunden hat, uns mit einem guten Stück Wildbret zu versorgen.«

Zweites Capitel

Zweites Capitel

Ein Artikel des »Daily Telegraph«. – Gelehrter Federkrieg. – Herr Petermann unterstützt seinen Freund, den Doctor Fergusson. – Antwort des Gelehrten Koner. – Abschluß von Wetten. – Dem Doctor werden verschiedene Vorschläge gemacht.

Am folgenden Tage veröffentlichte der »Daily Telegraph« in seiner Nummer vom 15. Januar einen also lautenden Artikel: »Das Geheimniß der ungeheuren afrikanischen Einöden wird endlich offenbart werden; ein moderner Oedipus wird uns die Lösung dieses Räthsels bringen, das die Gelehrten von sechs Jahrtausenden nicht zu entziffern vermochten. Ehedem wurde eine Aufsuchung der Nilquellen, fontes Nili quaerere, als ein wahnsinniges Beginnen, ein nicht zu verwirklichendes Hirngespinst betrachtet.

»Indem der Doctor Barth die von Denham und Clapperton vorgezeichnete Straße bis Sudan verfolgte, Doctor Livingstone seine unerschrockenen Nachforschungen von dem Cap der guten Hoffnung bis zu dem Flußbecken des Zambesi ununterbrochen betrieb, die Kapitäne Burton und Speke die großen Binnenseen entdeckten, haben sie der modernen Civilisation drei Bahnen geöffnet; der Durchschnittspunkt, nach dem noch kein Reisender hat gelangen können, ist das eigentliche Herz Afrika’s; darauf hin müssen sich nunmehr alle Anstrengungen richten.

Jetzt aber werden die Arbeiten dieser unerschrockenen Pioniere der Wissenschaft durch den kühnen Versuch des Doctor Samuel Fergusson untereinander verknüpft werden.

Dieser verwegene Entdecker, dessen so herrliche Forschungen unsere Leser so oft mit Interesse verfolgt haben, hat sich vorgenommen, über ganz Afrika von Osten bis Westen in einem Ballon hinwegzufahren. Sind wir recht unterrichtet, so würde der Ausgangspunkt dieser wunderbaren Reise die Insel Zanzibar an der Ostküste sein. Was ihren beabsichtigten Endpunkt anbetrifft, so ist die Kenntniß desselben allein der Vorsehung vorbehalten.

Der Vorschlag zu dieser wissenschaftlichen Forschungsreise ist gestern officiell der Königlich Geographischen Gesellschaft gemacht worden, und eine Summe von zweitausend fünfhundert Pfund von derselben ausgeworfen, um die Kosten des Unternehmens zu decken.

Wir werden unsere Leser beständig in Kenntniß über den Verlauf dieser staunenswerthen Entdeckungsreise halten, von der sich in den Annalen der Geographie kein Präcedenzfall vorfindet.«

Wie man sich denken kann, machte dieser Artikel ein ungeheures Aufsehen; zuerst stieß er auf allgemeinen Unglauben; der Doctor Fergusson galt bei vielen für ein in der Idee existirendes, nur fingirtes Wesen von der Erfindung des Herrn Barnum, der, nachdem er in den Vereinigten Staaten gearbeitet hatte, sich nunmehr anschickte, die britischen Inseln zu »machen«.

Eine scherzhafte Antwort erschien in Genf in der Februar-Nummer der Bulletins de la Société Géographique; dieselbe verspottete in geistreicher Weise die Königlich Geographische Gesellschaft zu London, den Traveller’s-Club und den riesigen Stör.

Aber Herr Petermann brachte die Genfer Zeitschrift in seinen zu Gotha veröffentlichten »Mittheilungen« gründlich zum Schweigen, denn er kannte den Doctor Fergusson persönlich und leistete für die Unerschrockenheit seines kühnen Freundes Gewähr.

Bald mußten übrigens alle Zweifel verstummen; die Vorbereitungen zu der Reise gingen in London vor sich; Lyoner Fabriken hatten bedeutende Taffetbestellungen für den Bau des Luftschiffes erhalten, und endlich stellte die Regierung von Groß-Britannien das Transportschiff »The Resolute«, Kapitän Pennet, dem Doctor zur Verfügung.

Alsbald ließen sich von vielen Seiten Aeußerungen der Ermuthigung vernehmen, und tausend Glückwünsche wurden laut. Die Einzelheiten der projectirten Reise wurden des Langen und Breiten in den »Bulletins de la société géographique« zu Paris besprochen, und ein interessanter Artikel über diesen Gegenstand in den »Nouvelles Annales des voyages, de la géographie, de l’histoire et de l’archéologie de M. V. – A. Malte-Brun« abgedruckt. Eine äußerst sorgfältige Arbeit des Doctor W. Koner, die in der »Zeitschrift für allgemeine Erdkunde« veröffentlicht wurde, wies siegreich die Möglichkeit der Reise, ihre Aussichten auf Erfolg, die Natur der Hindernisse, und die unermeßlichen Vortheile der Beförderungsweise auf dem Luftwege nach; er tadelte nur den Anfangspunkt und gab Massauah, einem kleinen Hafenorte Abessyniens, den Vorzug, von welchem aus James Bruce im Jahre 1768 zu der Erforschung der Nilquellen ausgezogen war. Übrigens bewunderte er rückhaltlos den energischen Geist des Doctor Fergusson und das mit dreifachem Erz umschlossene Herz, welches den Plan zu einer solchen Reise entwerfen und sie zur Ausführung bringen konnte.

Die »North American Review« sah nicht ohne Mißvergnügen einen solchen Ruhm England vorbehalten, nahm den Vorschlag des Doctors von einer scherzhaften Seite, und lud ihn ein, da er dann einmal auf dem Wege sei, gleich weiter bis nach Amerika zu fahren.

Kurz, ohne die Zeitschriften der ganzen Welt aufzählen zu wollen, können wir versichern, daß es vom »Journal des missions évangéliques« bis auf die »Revue Algérienne et coloniale«, von den »Annales de la propagation de la foi« bis auf den »Church missionary intelligencer« keine wissenschaftliche Zeitschrift gab, welche diese Thatsache nicht in allen Variationen berichtet hätte.

Beträchtliche Wetten wurden in London wie in ganz England eingegangen, 1. über die wirkliche oder nur vermuthete Existenz des Doctor Fergusson; 2. über die Reise selbst, die nach der Behauptung der Einen nicht angetreten, nach der Meinung der Andern unternommen werden würde; 3. über die Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit einer Rückkehr des Doctor Fergusson.

Man trug bedeutendere Summen in das Wettbuch ein, als wenn es sich um ein Epsom-Rennen gehandelt hätte.

So waren die Augen von Gläubigen und Ungläubigen, von Unwissenden und Gelehrten auf den Doctor gerichtet, und er wurde der Löwe des Tages, ohne eine Ahnung davon zu haben, daß er eine Mähne trüge. Er gab bereitwillig Auskunft über die Expedition, denn er war der natürlichste und zugänglichste Mensch von der Welt. Mehr als ein kühner Abenteurer bot sich an, den Ruhm und die Gefahren seines Versuchs zu theilen, aber Fergusson wies alle solche Anerbietungen ab, ohne die Gründe hiezu anzugeben.

Außerdem stellten sich eine Menge Erfinder von allerhand Mechanismen bei ihm ein, um ihr System für die Direction des Ballons zu empfehlen; er ließ sich jedoch auf nichts ein, und wenn man ihn fragte, ob er selbst in dieser Beziehung etwas entdeckt habe, weigerte er sich hartnäckig, eine bestimmte Erklärung abzugeben, und beschäftigte sich eifriger als je mit den Vorbereitungen zu seiner Reise.

Zwanzigstes Capitel

Zwanzigstes Capitel

Die himmlische Flasche. – Die Feigen-Palmbäume. – Die »mammouth trees.« – Der Kriegsbaum. – Das geflügelte Gespann. – Kämpfe zweier Völkerstämme. – Blutbad. – Göttliche Dazwischenkunft.

Der Wind wurde heftig und unregelmäßig, und der Victoria lavirte förmlich in der Luft. Bald nach Norden, bald nach Süden geworfen, konnte er keine beständige Luftströmung antreffen.

»Wir fahren sehr rasch, ohne eigentlich vorwärts zu kommen, sagte Kennedy, als er die häufigen Schwankungen der Magnetnadel bemerkte.

– Der Victoria zieht mit einer Schnelligkeit von mindestens achtzehn Meilen auf die Stunde,« erwiderte Samuel Fergusson. Blickt herab und überzeugt euch, wie schnell das Feld zu unsern Füßen verschwindet. Dieser Wald sieht aus, als wollte er sich auf uns losstürzen!

– Aus dem Walde ist schon eine Lichtung geworden, bemerkte der Jäger.

– Und aus der Lichtung ein Dorf, setzte Joe einige Augenblicke später hinzu; ich glaube einige erstaunte Negergesichter zu erkennen!

– Das ist ganz natürlich, erklärte der Doctor. Die französischen Bauern haben beim ersten Erscheinen der Ballons auf dieselben geschossen, weil sie sie für Ungeheuer der Lüfte hielten. Ein Sudanischer Neger hat also wohl ein Recht, die Augen weit aufzureißen.

– Ich möchte mir wohl einen Spaß mit ihnen machen, sagte Joe, während der Victoria hundert Fuß hoch über einem Dorfe hinstreifte. Mit Ihrer Erlaubniß, Herr Doctor, will ich den Kerlen eine leere Flasche hinwerfen; wenn sie heil unten ankommt, werden sie sie anbeten; zerbricht sie, so werden sie sich Amulette aus den Stücken machen!«

Und mit diesen Worten schleuderte er eine Flasche hinab, die alsbald in tausend Stücke zerschellte, während die Eingeborenen ein lautes Geschrei ausstießen und in ihre runden Hütten stürzten.

Als man ein wenig weiter gekommen war, rief Kennedy:

»Seht doch diesen sonderbaren Baum an; er ist oben vollständig anders wie unten.

– Ach, meinte Joe, in diesem Lande wächst ein Baum auf dem andern!

– Es ist ganz einfach ein Feigenbaumstamm, erklärte der Doctor, auf welchem sich ein wenig fruchtbare Erde festgesetzt hat. Durch den Wind ist eines schönen Tages Saat von einem Palmbaum darauf geweht, und der Palmbaum wie auf offenem Felde emporgeschossen.

– Eine herrliche Mode, die ich in England einführen werde, rief Joe. Es wird sich in den Londoner Parks gut ausnehmen, ganz abgesehen davon, daß es ein vorzügliches Mittel ist, die Obstbäume zu vervielfältigen. Man würde Gärten in der Höhe bekommen, und alle kleinen Besitzer dürften das sehr wohl zu würdigen wissen.«

In diesem Augenblick mußte man den Victoria steigen lassen, um einen Wald von über dreihundert Fuß hohen Bäumen, einer Art hundertjähriger Bananen, zu überschreiten.

»Herrliche Bäume! rief Kennedy aus, ich kenne nichts so Schönes, als den Anblick dieser ehrwürdigen Wälder. Sieh doch, Samuel!

– Die Höhe dieser Bananen ist wirklich wunderbar, lieber Dick, und doch würde sie in den Wäldern der neuen Welt nichts Erstaunliches haben.

– Wie, es giebt noch höhere Bäume?

– Ganz gewiß, und zwar unter denen, welche mir die »mammouth trees« nennen. So hat man in Californien eine vierhundertundfünfzig Fuß hohe Ceder gefunden, eine Höhe, welche den Thurm des Parlamentsgebäudes und selbst die große ägyptische Pyramide überragt. Der untere Stamm des Baumes hatte hundertundzwanzig Fuß im Umkreise, und nach den concentrischen Ringen seines Holzes fristete er eine mehr als viertausendjährige Existenz.

– Nun, Herr Doctor, dann finde ich seine Dicke sehr natürlich; wenn man viertausend Jahre lebt, hat man Zeit genug, sich eine gute Figur zuzulegen!«

Aber während der Erklärung des Doctors und Joe’s Erwiderung war der Wald bereits einer großen Vereinigung von Hütten gewichen, welche kreisförmig um einen Platz gebaut waren. In der Mitte desselben wuchs ein einzelnstehender Baum, bei dessen Anblick Joe in Ekstase ausrief:

»Nun, wenn der da seit viertausend Jahren solche Blüthen trägt, so mache ich ihm nicht mein Compliment dafür.«

Und er wies auf eine riesenhafte Sykomore, deren Stamm fast gänzlich unter einem Haufen menschlicher Gebeine verschwand. Die Blüthen, von denen Joe sprach, waren frisch abgeschnittene, mit Dolchen in der Rinde befestigte Menschenköpfe.

»Der Kriegsbaum der Kannibalen! sagte der Doctor. Die Indianer nehmen nur die Schädelhaut, die Afrikaner aber den ganzen Kopf.

– Modesache!« bemerkte Joe.

Aber schon verschwand das Dorf mit den blutigen Köpfen am Horizont; ein anderes, etwas weiter hin, bot ein nicht minder widerliches Schauspiel dar; halbverzehrte Leichname, vermodernde Skelette, hier und da zerstreute menschliche Gliedmaßen waren den Hyänen und Schakalen zum Fraß gelassen.

»Dies sind jedenfalls die Körper der Verbrecher; man giebt sie, wie in Abessynien, den wilden Thieren preis, die ihre Opfer in aller Gemüthsruhe verschlingen, nachdem sie ihnen mit einem einzigen Biß in die Kehle den Garaus gemacht haben.

– Das ist nicht viel grausamer, als der Galgen, äußerte der Schotte, es ist schmutziger, das ist der ganze Unterschied.

– In den Gegenden des südlichen Afrika’s, versetzte der Doctor, begnügt man sich damit, den Verbrecher mit seinen Thieren und, unter Umständen, seiner Familie in der eigenen Hütte einzuschließen. Man zündet dann diese an, und Alles verbrennt zu gleicher Zeit. Ich nenne das Grausamkeit, räume jedoch mit Kennedy ein, daß der Galgen, wenn auch weniger grausam, doch ebenso barbarisch ist.«

Joe signalisirte jetzt einige Schwärme fleischfressender Vögel, die er mit seinem scharfen Auge am fernen Horizont bemerkte:

»Es sind Adler, rief Kennedy aus, nachdem er sie mit dem Fernglase recognoscirt hatte, prächtige Vögel, deren schneller Flug dem unsrigen gleichkommt.

– Der Himmel schütze uns vor ihren Angriffen, sagte der Doctor, wir haben sie mehr zu fürchten, als die wilden Thiere und Völkerstämme.

– Pah! höhnte der Jäger, ich würde sie bald mit Flintenschüssen verjagen.

– Bei allem Vertrauen auf Deine Geschicklichkeit, möchte ich sie in diesem Falle doch lieber nicht in Anspruch nehmen, lieber Dick; der Taffet unsers Ballons würde gegen einen ihrer Schnäbelhiebe nicht Stand halten. Doch hoffentlich werden diese furchtbaren Vögel von unserer Maschine mehr erschreckt als angezogen werden.

– Ach, mir kommt ein Gedanke, sagte Joe, sie wachsen mir heute zu Dutzenden im Gehirn: Wenn wir ein Gespann lebender Vögel einfingen, könnten wir sie an unsere Gondel ketten, und sie würden uns durch die Lüfte ziehen!

– Man hat dies Mittel im Ernste vorgeschlagen, entgegnete Fergusson, aber ich halte es für wenig zweckentsprechend, da diese Vögel ihrer Natur nach so störrig sind.

– Man könnte sie abrichten, schlug Joe vor; anstatt mit einem Gebiß würde man sie mit Scheuklappen versehen, welche ihnen das Gesicht beschränken. Einäugig, würden sie nach rechts oder links abweichen, und blind, überhaupt nicht von der Stelle zu bringen sein.

– Erlaube, daß ich einen günstigen Wind Deinem Adlergespann vorziehe, mein guter Joe; das kostet weniger Futter und ist sicherer.«

Es war zwölf Uhr. Der Victoria hatte seit einiger Zeit seine Schnelligkeit gemäßigt; das Land ging nur noch im Schritt unter ihm her, es war nicht mehr auf der Flucht.

Plötzlich vernahmen die Reisenden ein lautes Schreien und Pfeifen, sie sahen hernieder und bemerkten in einer offenen Ebene ein Schauspiel, von dem sie aufs Tiefste ergriffen wurden.

Zwei Völkerschaften waren im erbittertsten Kampfe mit einander begriffen, und Wolken von Pfeilen flogen in der Luft hin und her. Die Kämpfenden, von wilder Mordlust entflammt, wurden von der Annäherung des Victoria nichts gewahr; es waren ihrer ungefähr dreihundert, die in einem verworrenen Handgemenge auf einander stießen. Die Meisten, vom Blut der Verwundeten, in dem sie sich wälzten, roth, gewährten einen scheußlichen Anblick.

Bei der Erscheinung des Luftschiffes hielt man betroffen einen Augenblick inne; das Geheul verdoppelte sich; einige Pfeile wurden nach der Gondel abgesandt, und einer derselben flog so weit, daß Joe ihn mit der Hand abfangen konnte.

»Steigen wir aus ihrem Bereich! rief der Doctor Fergusson. Keine Unvorsichtigkeit! Dergleichen Fährlichkeiten dürfen wir uns nicht aussetzen«

Das Gemetzel wurde auf beiden Seiten mit Streitäxten und Sagajen fortgesetzt; sobald ein Feind auf dem Boden lag, beeilte sich sein Gegner, ihm den Kopf abzuschneiden; die Frauen, welche mitten im Gewühl waren, sammelten die blutigen Köpfe, thürmten sie zu beiden Seiten des Schlachtfeldes auf, und oft schlugen sie sich, um diese scheußlichen Trophäen zu erobern.

»Eine entsetzliche Scene! rief Kennedy mit tiefem Abscheu.

– Es sind garstige Kerle! bemerkte Joe; wenn sie aber in einer Uniform steckten, würde man an ihnen wenig Besonderes finden.

– Ich fühle einen unwiderstehlichen Drang, in dem Kampfe zu interveniren, versetzte der Jäger, indem er seinen Carabiner zur Hand nahm.

– Nein, erklärte entschieden der Doctor; bekümmern wir uns um unsere eigenen Angelegenheiten! weißt Du, wer hier Recht oder Unrecht hat, daß Du die Rolle der Vorsehung spielen willst? Laß uns sobald wie möglich vor diesem widerlichen Schauspiel fliehen! Wenn die großen Feldherrn so den Schauplatz ihrer Heldenthaten beherrschen könnten, würden sie schließlich vielleicht den Geschmack an Eroberungen und Blutvergießen verlieren!«

Der Anführer einer der wilden Parteien zeichnete sich durch einen athletischen Wuchs und eine herkulische Kraft aus. Mit einer Hand senkte er seine Lanze in die dichten Reihen der Feinde, und mit der andern vollführte er wuchtige Axtschläge. Jetzt eben warf er seine blutgeröthete Sagaje von sich, stürzte auf einen Verwundeten zu, dem er mit einem Schlage den Arm abhieb, nahm denselben in die Hand, und biß, ihn zum Munde führend, gierig hinein.

»Ha! rief Kennedy; die schauerliche Bestie! ich halte es nicht länger aus!«

Und der Krieger, von einer Kugel an der Stirn getroffen, fiel rücklings zu Boden.

Bei diesem plötzlichen Falle bemächtigte sich seiner Krieger Staunen und Entsetzen; der Muth ihrer Widersacher wurde von Neuem angefacht, und in wenigen Secunden war das Schlachtfeld von der Hälfte der Kämpfenden verlassen.

»Suchen wir mehr in der Höhe eine Strömung auf, die uns von dannen führt, sagte der Doctor; dieses Schauspiel ekelt mich an!«

Vor dem Abgange mußte er indessen noch mit ansehen, wie der siegreiche Stamm sich auf die Todten und Verwundeten warf, um das noch warme Fleisch miteinander raufte und sich gefräßig daran weidete.

»Puh! schüttelte sich Joe, das ist widerwärtig!«

Der Victoria erhob sich durch Ausdehnung des Gases, das Geheul der rasenden Horde verfolgte ihn noch einige Augenblicke, aber endlich entfernte er sich in der Richtung nach Süden von dieser Scene des Blutbades und Kannibalismus.

Das Terrain zeigte nunmehr mannigfache Unebenheiten und zahlreiche Wasserbäche, die nach Osten flossen; sie ergossen sich zweifellos in die Zuflüsse des Nu-Sees oder des Gazellenflusses, über welchen Herr Guillaume Lejean so merkwürdige Nachrichten verbreitet hat.

Bei Einbruch der Nacht warf der Victoria nach einer Fahrt von 150 Meilen Anker unter 27° L. und 4° 20′ nördl. Br.

Einundzwanzigstes Capitel

Einundzwanzigstes Capitel

Seltsames Geräusch. – Ein nächtlicher Angriff. – Kennedy und Joe in dem Baume. – Zwei Schüsse. – Zu Hilfe! zu Hilfe! – Antwort in französischer Sprache. – Der Morgen. – Der Missionar. – Der Rettungsplan.

Die Nacht war sehr dunkel. Der Doctor hatte das Land nicht recognosciren können; der Anker war in einen sehr hohen Baum eingelassen, dessen verworrene Masse im Schatten kaum zu erkennen war. Fergusson hatte, nach seiner Gewohnheit, von neun Uhr ab die Wache übernommen, und um zwölf Uhr wurde er von Dick abgelöst.

»Wache scharf, Dick, wache mit größter Sorgfalt.

– Ist Dir irgend etwas verdächtig?

– Nein, aber ich habe ein unbestimmtes Geräusch unter uns zu vernehmen geglaubt; ich weiß nicht genau, wohin uns der Wind geführt hat, zu große Vorsicht kann nicht schaden.

– Du wirst das Geschrei einiger wilder Thiere gehört haben.

– Nein, es kam mir anders vor. Kurz, bei dem Geringsten, was Dir auffällt, versäume nicht, uns zu wecken.

– Sei unbesorgt.«

Nachdem der Doctor ein letztes Mal aufmerksam, jedoch vergebens gelauscht hatte, warf er sich auf seine Decke und schlief alsbald ein.

Der Himmel war mit dichten Wolken bedeckt, aber nicht ein Windhauch bewegte die Luft. Der Victoria, obgleich nur von einem Anker gehalten, schwebte in vollständiger Ruhe.

Kennedy, mit dem Arm auf die Gondel gestützt, so daß er das Knallgasgebläse überwachen konnte, sah in diese dunkle Stille hinunter; er richtete seinen Blick auf den Horizont und glaubte, wie es wohl unruhigen oder befangenen Geistern begegnet, bisweilen ein unbestimmtes Aufleuchten wahrzunehmen.

Einen Augenblick vermeinte er sogar deutlich, ein solches in einer Entfernung von etwa zweihundert Schritten zu erkennen. Aber es war eben nur ein kurzes Aufblitzen, und dann wieder tiefe Dunkelheit.

Gewiß hatte er nur eine jener Lichtempfindungen, die das Auge bei undurchdringlicher Finsterniß zuweilen auffängt. Kennedy beruhigte sich wieder und verfiel in seine unbestimmten Betrachtungen, als ein gellender Pfiff die Lüfte durchschnitt.

War es der Schrei eines Thieres, vielleicht eines Nachtvogels? oder kam dieser Ton von menschlichen Lippen?

Kennedy, obgleich sich des ganzen Ernstes der Situation wohl bewußt, zögerte noch, seine Gefährten zu wecken. Konnte ja bis jetzt noch nichts zur Abwendung irgend welcher Gefahr gethan werden! Er untersuchte also seine Waffen und richtete von Neuem sein Auge, mit dem Nachtfernglase bewaffnet, hinunter.

Bald glaubte er, unter sich unbestimmte Gestalten zu bemerken, welche auf den Baum zuglitten, und bei einem Mondstrahl, der wie ein schwacher Blitz zwischen zwei Wolken hindurchbrach, erkannte er deutlich eine Gruppe Individuen, die sich im Schatten hin und her bewegten.

Das Abenteuer mit den Hundskopfaffen kam ihm in den Sinn; er nahm nun nicht länger Anstand, den Doctor zu wecken.

Dieser war sofort wach.

»Still! mahnte Kennedy, laß uns leise sprechen!

– Zeigt sich etwas Gefährliches?

– Ja, wir müssen Joe wecken.«

Sobald dieser sich erhoben, erzählte der Jäger, was er gesehen hatte.

»Wieder diese verwünschten Affen? fragte Joe.

– Wohl möglich; auf alle Fälle müssen wir unsere Vorsichtsmaßregeln treffen.

– Joe und ich, schlug Kennedy vor, wollen auf der Leiter in den Baum hinabsteigen.

– Und unterdessen, versetzte der Doctor, werde ich Alles dazu vorbereiten daß wir uns leicht auf und davon machen können.

– Einverstanden.

– Macht von den Waffen nur im äußersten Nothfall Gebrauch, es ist zwecklos, unsere Gegenwart hier zu verrathen.

Dick und Joe antworteten nur mit einem bejahenden Zeichen. Geräuschlos glitten sie auf den Baum hinunter, und nahmen auf einer Gabel von starken Zweigen, in welche der Anker sich eingehakt hatte, eine geschützte Stellung ein.

Einige Minuten lang horchten sie stumm und ohne sich zu bewegen. Bei einem leisen Knacken der Aeste, das durch die Stille der Nacht vernehmbar wurde, ergriff Joe die Hand des Schotten.

»Hören Sie nichts?«

– Ja wohl, es kommt näher.

– Wenn es eine Schlange wäre? Das Pfeifen, das Sie gehört haben …

– Nein, ich glaube, es sind Menschen gewesen!

– Das wäre mir jedenfalls lieber, sprach Joe vor sich hin. Diese Reptilien sind widerwärtig!

– Das Geräusch nimmt zu, versetzte Kennedy nach einigen Augenblicken.

– Ja, es scheint, sie steigen und klettern.

– Halte Du auf dieser Seite Wache, ich übernehme die andere.

– Gut.

Sie saßen beide isolirt auf dem Wipfel eines Hauptastes, der inmitten dieses mit dem Namen Baobab benannten Waldes gerade emporgeschossen war; die durch die Dichtigkeit des Laubes noch vergrößerte Dunkelheit war undurchdringlich, nur nicht für Joe’s scharfes Auge; er flüsterte, während er auf den untern Theil des Baumes hinwies, Kennedy in’s Ohr:

»Neger.«

Jetzt schlugen sogar einige halblaut gewechselte Worte an das Ohr unserer beiden Reisenden.

Joe machte seine Flinte schußfertig.

»Warte!« gebot Kennedy.

Wirklich hatten Wilde den Baobab erklettert; sie tauchten von allen Seiten auf, sich wie Reptilien auf den Zweigen hinschlängelnd und langsam, aber sicher emporklimmend; nunmehr verriethen sie ihre Gegenwart durch die Ausdünstung ihrer Körper, die sie mit einem übelriechenden Fett eingerieben hatten.

Bald zeigten sich zwei Neger den Blicken Kennedy’s und Joe’s, in ziemlich gleicher Höhe mit dem von ihnen besetzten Aste.

»Achtung! commandirte Kennedy. Feuer!«

Der doppelte Schuß erkrachte wie ein Donnerschlag und erlosch inmitten eines Wehgeschreis. In wenigen Augenblicken war die ganze Horde verschwunden.

Aber durch all‘ das Geheul war ein seltsamer, unerwarteter, unerklärlicher Schrei gedrungen; eine menschliche Stimme hatte deutlich in französischer Sprache die Worte gerufen: »Zu Hilfe! zu Hilfe!«

Kennedy und Joe stiegen höchlichst erstaunt, so schnell wie möglich in die Gondel.

»Habt ihr gehört?« fragte der Doctor.

»Natürlich! einen angstvollen Schrei: zu Hilfe! zu Hilfe!

– Ein Franzose in den Händen dieser Barbaren!

– Ein Reisender!

– Vielleicht ein Missionar!

– Der Unglückliche, rief der Jäger, man mordet ihn, martert ihn aller Wahrscheinlichkeit nach.«

Der Doctor suchte vergebens seine innere Bewegung zu verbergen:

»Wir können nicht daran zweifeln, sagte er. Ein unglücklicher Franzose ist diesen Wilden in die Hände gefallen. Aber wir werden uns nicht von dieser Stelle entfernen, ohne Alles, was in unsern Kräften steht, zu seiner Rettung gethan zu haben. Unsere Flintenschüsse haben ihm eine unverhoffte Hilfe, eine Dazwischenkunft der Vorsehung in Aussicht gestellt; wir werden ihm diesen letzten Hoffnungsstrahl nicht untergehen lassen. Denkt ihr ebenso?

– Natürlich, Samuel, und wir harren Deiner Befehle.

– Dann wollen wir unsern Plan machen und den Franzosen mit Tagesanbruch zu entführen suchen.

– Aber wie sollen wir diese nichtswürdigen Neger beseitigen? fragte Kennedy.

– Nach der Weise zu urtheilen, wie sie sich aus dem Staube gemacht haben, sind ihnen Feuerwaffen noch unbekannt; wir müssen also ihr Entsetzen zu benutzen suchen; ehe wir handeln, laßt uns jedoch den Tag abwarten und unsern Rettungsplan nach der Beschaffenheit der Oertlichkeit einrichten.

– Der arme Unglückliche kann nicht fern sein, äußerte Joe, denn …

– Zu Hilfe! zu Hilfe! wiederholte die Stimme ebenso klagend, aber schwächer als vorher.

– Die Barbaren! rief Joe in großer Aufregung. Wenn sie ihn in dieser Nacht noch tödteten!

– Hörst Du, Samuel? fiel Kennedy ein, indem er den Doctor hastig bei der Hand faßte, wenn sie ihn in dieser Nacht noch tödteten?

– Das ist nicht wahrscheinlich, meine Freunde; diese wilden Völkerschaften bringen ihre Gefangenen bei hellem, lichtem Tage um; sie bedürfen dazu des Sonnenlichts.

– Wenn ich die Nacht dazu benutzte, mich in die Nähe dieses Unglücklichen zu stehlen? sagte der Schotte.

– Ich begleite Sie, Herr Dick!

– Halt, meine Freunde! halt! dieser Plan macht eurem Herzen und eurem Muthe alle Ehre; aber ihr würdet uns alle in Gefahr bringen und dem, den wir retten wollen, keinen Dienst erweisen.

– Warum das? fragte Kennedy. Die Wilden sind erschreckt, zerstreut! Sie werden nicht wiederkommen.

– Dick, ich bitte Dich, gehorche mir, ich handle in unser Aller Interesse; wenn Du überfallen und gefangen genommen würdest, wäre Alles verloren!

– Aber dieser Unglückselige wartet, hofft, und erhält keine Antwort; niemand kommt ihm zu Hilfe! Er muß glauben, daß er eine Sinnestäuschung gehabt, daß er unsere Schüsse nicht gehört habe! . . .

– Man kann ihn beruhigen,« entgegnete Doctor Fergusson.

Und er machte aus seinen Händen ein Sprachrohr und rief kräftig in der Sprache des Fremden mitten in das Dunkel hinein:

»Wer Du auch seist, habe Vertrauen! Drei Freunde sind Dir nah!«

Ein schreckliches Geheul, das ohne Zweifel die Antwort des Gefangenen erstickte, antwortete ihm.

»Man erwürgt ihn! man wird ihn erwürgen! rief Kennedy. Unsere Dazwischenkunft hat nur dazu gedient, die Stunde seiner Todesqual zu beschleunigen! Wir müssen handeln!

– Aber wie, Dick? Was gedenkst Du bei dieser Dunkelheit zu thun?

– O, wenn es doch Tag wäre! wünschte Joe.

– Nun, und was wäre dann? fragte der Doctor in bedeutungsvollem Ton.

– Dann machte sich die Sache sehr einfach, Samuel, antwortete der Jäger. Ich würde auf die Erde herabsteigen und dieses Gesindel mit Flintenschüssen in alle Winde jagen.

– Und Du, Joe? fragte Fergusson weiter.

– Ich würde vorsichtiger zu Werke gehen, Herr Doctor, und dem Gefangenen nur angeben, in welcher Richtung er sich auf die Flucht begeben solle.

– Und wie würdest Du ihm das mittheilen?

– Vermittelst dieses Pfeils, den ich im Fluge aufgefangen habe, und an den ich einen Zettel befestigen könnte; oder ich würde ganz einfach mit lauter Stimme zu ihm reden; die Neger verstehen ja unsere Sprache nicht.

– Eure Pläne sind unausführbar, meine Freunde; die größte Schwierigkeit würde für den Unglücklichen darin bestehen, sich durch die Flucht zu retten, wenn es ihm wirklich gelingen sollte, die Wachsamkeit seiner Henker von sich abzuwenden. Dein Plan, mein lieber Dick, könnte mit einem großen Aufwand von Kühnheit, und indem wir das, durch unsere Feuerwaffen hervorgebrachte Entsetzen benutzen, vielleicht gelingen; wenn er jedoch mißglückte, wärest Du verloren, und wir hätten zwei Personen statt einer zu retten. Nein! wir müssen alle Chancen des Erfolgs auf unserer Seite haben und anders verfahren.

– Jedenfalls aber sofort handeln! rief der Jäqer.

– Vielleicht! erwiderte Samuel, dies eine Wort nachdrücklich betonend.

– Sind Sie denn im Stande, diese Finsterniß zu zerstreuen?

– Wer weiß, Joe?

– Wenn Sie das wirklich können, so erkläre ich Sie für den ersten Gelehrten der Welt.«

Der Doctor schwieg einige Augenblicke in tiefem Nachdenken, und seine beiden Gefährten sahen erwartungsvoll auf ihn hin. Das Außerordentliche der Situation hatte sie auf’s Höchste erregt. Jetzt nahm Fergusson wieder das Wort:

»Hört meinen Plan: Unsere zweihundert Pfund Ballast sind noch nicht angegriffen. Wenn dieser Gefangene, der jedenfalls ein von Leiden geschwächter Mensch ist, auch ebenso viel wiegt wie einer von uns, so bleiben uns trotzdem noch sechzig Pfund Ballast übrig, die wir auswerfen können, um schneller zu steigen.

– Wie gedenkst Du denn zu verfahren? fragte Kennedy.

– Auf folgende Weise, Dick: wenn ich bis zu dem Gefangenen gelange und eine seinem Gewicht gleichkommende Quantität Ballast auswerfe, so habe ich doch an dem Gleichgewicht des Ballons nichts geändert; wenn ich dann aber, um den Negern zu entgehen, eine rasche Steigung bewerkstelligen will, so muß ich kräftigere Mittel als das Knallgasgebläse in Anwendung bringen. Indem ich nun also diesen Ueberschuß an Ballast in dem gewünschten Augenblick herabstürze, erhebe ich mich sicher mit einer großen Geschwindigkeit.

– Ganz gewiß.

– Es ist allerdings ein mißlicher Umstand für uns hierbei. Wenn ich nämlich später herabsteigen will, werde ich eine Quantität Gas opfern müssen, die im Verhältniß steht zu dem Mehr des ausgeworfenen Ballasts. Das Gas ist allerdings für uns sehr werthvoll, aber wir dürfen den Verlust desselben nicht bedauern, wenn es sich um die Rettung eines Menschenlebens handelt.

– Du hast Recht, Samuel, mir müssen Alles opfern, um den Armen zu retten.

– Laßt uns also handeln, und bringt diese Säcke an den Rand der Gondel, damit mir uns ihrer durch einen einzigen Stoß entledigen können.

– Aber die Dunkelheit?

– Sie verbirgt unsere Vorbereitungen, und wird sich erst lichten, wenn dieselben beendet sind. Haltet nur sorgfältig alle Waffen in Bereitschaft. Vielleicht werden wir ein Feuer eröffnen müssen, dann haben wir den einen Schuß des Carabiners, zwei Flintenschüsse und außerdem noch zwölf aus den Revolvern, die sämmtlich in einer Viertelminute abgefeuert werden können. Vielleicht jedoch brauchen wir diesen Lärm nicht einmal. Seid ihr fertig?

– Ja, antwortete Joe.

– Gut. Nun habt ein Auge auf Alles. Joe soll den Ballast hinabstürzen und Dick den Gefangenen entführen; aber nichts geschehe vor meinen Anordnungen. Joe, mache zunächst den Anker los, und steige dann rasch wieder in die Gondel.«

Joe ließ sich an dem Tau hinuntergleiten und erschien nach einigen Augenblicken wieder; der losgelöste Victoria schwebte fast unbeweglich in der Luft.

Unterdessen versicherte sich der Doctor des Vorhandenseins einer hinreichenden Gasmenge in dem Mischungskasten, um nach Bedürfniß das Knallgasgebläse zu nähren, so daß man für einige Zeit die Arbeit der Bunsen’schen Batterie nicht dafür in Anspruch zu nehmen brauchte. Er nahm sodann die beiden vollkommen isolirten Leitungsdrähte, welche zur Zerlegung des Wassers dienten, fort, und zog aus seinem Reisesack zwei Stücke zugespitzter Kohle, die er am Ende jedes Drahtes befestigte.

Kennedy und Joe schauten ihm zu, ohne sein Thun begreifen zu können, aber sie schwiegen. Als der Doctor seine Arbeit beendigt hatte, stellte er sich mitten in die Gondel, nahm in jede Hand eine der beiden Kohlen und näherte die beiden Spitzen einander.

Plötzlich wurde ein intensives, blendendes Leuchten von unerträglichem Glanz zwischen den beiden Kohlenspitzen hervorgebracht; ein ungeheurer Büschel elektrischen Lichts durchbrach im eigentlichen Sinne des Worts die Dunkelheit der Nacht.

»O! mein Herr! rief Joe.

– Kein Wort,« flüsterte der Doctor.

Zweiundzwanzigstes Capitel

Zweiundzwanzigstes Capitel

Der Lichtbüschel. – Der Missionar. – Entführung in einem Lichtstrahl, – Der Lazaristen-Priester. – Wenig Hoffnung. – Des Doctors Sorge. – Ein Leben der Entsagung. – Ueberschreiten eines Vulkans.

Fergusion warf seinen intensiven Lichtstrahl nach verschiedenen Punkten der Umgebung und ließ ihn auf einer Stelle spielen, von der aus ein Schrei des Entsetzens ertönte. Seine beiden Begleiter schauten mit Anstrengung all‘ ihrer Sehnerven dorthin.

Der Baobab, über welchem der Victoria fast unbeweglich schwebte, stand im Mittelpunkt einer Lichtung, inmitten von Sesam- und Zuckerrohrfeldern. Man unterschied etwa fünfzig niedrige, kegelförmige Hütten, um welche zahlreiche schwarze Individuen hin und her wogten.

Hundert Fuß unter dem Ballon war ein Pfahl aufgerichtet, an dessen Fuß ein menschliches Wesen lag; es war ein noch junger Mann von höchstens dreißig Jahren mit langem, schwarzem Haar, halb entkleidet, abgezehrt, blutüberströmt, mit Wunden bedeckt und das Haupt auf die Brust geneigt wie Christus am Kreuze.

Eine helle runde Stelle auf seinem Kopfe deutete eine halbverwachsene Tonsur an.

»Es ist ein Missionar, ein Geistlicher! rief Joe aus.

– Der arme Unglückliche! sagte der Jäger.

– Wir retten ihn, Dick, wir retten ihn!« sprach der Doctor.

Als die Negermenge den Ballon gleich einem ungeheuren Kometen mit glänzendem Lichtschweif bemerkte, wurde sie von einem leicht erklärlichen Entsetzen ergriffen. Bei ihrem Geschrei erhob der Gefangene den Kopf, seine Augen leuchteten auf in rascher Hoffnung, und ohne noch recht zu begreifen, was vorging, streckte er seinen unverhofften Rettern beide Hände entgegen.

»Er lebt, er lebt! rief Fergusson! Gott sei gelobt! Diese Wilden sind von einem großartigen Schrecken ergriffen. Wir werden ihn retten; ihr seid bereit, meine Freunde?

– Wir sind bereit, Samuel.

– Joe, lösche das Knallgasgebläse aus.«

Der Befehl des Doctors wurde ausgeführt; eine kaum merkliche Brise trieb den Victoria langsam über den Gefangenen, während er sich zugleich durch die Zusammenziehung des Gases allmälig herabsenkte. Zehn Minuten später schwebte er inmitten der Lichtwogen. Fergusson strahlte über die Menge sein blendendes Leuchten aus, das hier und dort schnelle, intensive Lichtflecken gleichsam aus der tiefen Dunkelheit herausschnitt. Das Volk, von einer unbeschreiblichen Furcht beherrscht, verschwand in seinen Hütten, und in der Umgebung des Pfahles wurde es leer und einsam. Der Doctor hatte mit gutem Grunde auf die phantastische Erscheinung des Victoria und auf die Sonnenstrahlen, welche er in diese schwarze Dunkelheit warf, gerechnet.

Die Gondel näherte sich dem Boden. Unterdessen kehrten die Kühnsten der Neger, da sie begriffen, daß ihr Opfer ihnen entrissen werden sollte, mit großem Geschrei zurück; Kennedy ergriff seine Flinte, der Doctor befahl ihm, nicht zu schießen.

Der Priester lag auf den Knieen; er hatte nicht mehr die Kraft, sich aufrecht zu halten, und war nicht einmal an diesen Pfahl gebunden, denn seine Schwäche machte alle Fesseln überflüssig. Als die Gondel dem Boden nahe kam, warf der Jäger seine Waffe fort, umfaßte den Gefangenen und legte ihn in der Gondel nieder, genau in dem Augenblicke, in welchem Joe die zweihundert Pfund Ballast jählings herabstürzte.

Der Doctor erwartete, nun mit einer außerordentlichen Schnelligkeit emporzusteigen, aber wider alle seine Voraussicht blieb der Ballon, nachdem er sich drei bis vier Fuß über den Boden erhoben hatte, unbeweglich.

»Was hält uns zurück?« rief Fergusson erschreckt.

Einige Wilde eilten herbei, indem sie ein wüthendes Geschrei ausstießen.

»O, rief Joe, der sich über den Rand der Gondel gebogen hatte, einer dieser verdammten schwarzen Kerle hat sich unten angehängt.

– Dick! Dick! rief der Doctor, die Wasserkiste!«

Dick begriff sofort, was der Freund beabsichtigte, und stürzte eine der Wasserkisten, die ein Gewicht von über hundert Pfund hatte, über Bord.

Der Victoria, plötzlich entlastet, schnellte dreihundert Fuß in die Lüfte empor.

»Hurrah!« riefen die beiden Gefährten des Doctors.

Plötzlich schoß der Ballon von Neuem um über tausend Fuß in die Höhe.

»Was giebts denn? fragte Kennedy, der beinahe das Gleichgewicht verloren hatte.

– Nichts, der Lumpenkerl hat nur die Gondel losgelassen,« antwortete ruhig Samuel Fergusson.

Und Joe konnte, als er sich rasch hinüber neigte, noch den Wilden bemerken, der mit ausgebreiteten Armen in der Luft wirbelte und gleich darauf an der Erde zerschellte. Der Doctor entfernte nun die beiden elektrischen Drähte, und Alles fiel in sein früheres Dunkel zurück. Es war ein Uhr Morgens.

Der Franzose erwachte endlich aus seiner Ohnmacht und schlug die Augen auf.

»Sie sind gerettet, sprach der Doctor zu ihm.

– Gerettet? antwortete er auf englisch mit traurigem Lächeln, von einem martervollen Tode gerettet! ich danke euch, meine Brüder. Aber meine Tage, ja meine Stunden sogar sind gezählt, und ich habe nicht mehr viel Zeit zu leben!«

Und der Missionar fiel erschöpft in seine Ohnmacht zurück.

Er stirbt, rief Dick.

– Nein, nein, entgegnete Fergusson, sich über den Kranken neigend, aber er ist sehr schwach; wir wollen ihn unter dem Zelte betten.«

Sie richteten ein Lager von ihren Decken her, und legten den armen, blutenden Körper darauf; an mehr als zwanzig Stellen hatten Feuer und Eisen ihre grausamen Spuren an ihm zurückgelassen. Der Doctor zupfte aus einem Taschentuch Charpie, die er auf die Wunden legte, nachdem er dieselben zuvor ausgewaschen hatte; er benahm sich bei diesen Hilfsleistungen mit der Geschicklichkeit eines Arztes. Dann holte er eine herzstärkende Arznei aus seiner Apotheke und goß dem Priester einige Tropfen auf die Lippen, die dieser schwach aufeinander gepreßt hielt.

»Danke, danke,« hauchte er mit schwacher Stimme.

Fergusson sah ein, daß man ihm jetzt vollkommene Ruhe lassen müsse; er zog die Vorhänge des Zeltes zusammen und übernahm wieder das Steuer des Ballons.

Dieser war um eine Last von hundertundachtzig Pfund leichter geworden, und hielt sich in Folge dessen ohne Hilfe des Knallgasgebläses in der Luft; beim ersten Tagesstrahl trieb ihn eine sanfte Strömung nach West-Nordwesten. Fergusson betrachtete einige Augenblicke nachdenklich den im soporösen Schlafe daliegenden Priester.

»Könnten wir doch diesen Begleiter, den der Himmel uns geschickt hat, erhalten! sagte der Jäger. Hast Du Hoffnung?

– Ja, Dick! bei der gehörigen Pflege und in dieser so reinen Luft ist es vielleicht möglich.

– Wie muß dieser Mann gelitten haben! sagte Joe bewegt; er hat Kühneres als wir gethan, indem er sich allein unter diese wilden Horden begab.

– Daran ist kein Zweifel,« stimmte der Jäger bei.

Der Doctor ordnete an, daß der Schlaf des Unglücklichen den ganzen Tag über nicht gestört werden sollte; es war ein lethargisches Hindämmern, das ab und zu von einem dumpfen Stöhnen unterbrochen wurde. Fergusson konnte sich ängstlicher Besorgnisse nicht erwehren.

Gegen Abend blieb der Victoria in der Dunkelheit auf einem Fleck stehen, und Joe und Kennedy lösten sich bei dem Kranken ab, während Fergusson für die Sicherheit Aller wachte.

Am andern Morgen war der Victoria kaum ein wenig in der Richtung nach Westen vorgegangen; es schien ein klarer, herrlicher Tag werden zu wollen. Der Missionar rief seine neuen Freunde mit etwas stärkerer Stimme heran. Man zog die Vorhänge des Zeltes zurück, und er athmete mit Behagen die frische Morgenluft ein.

»Wie befinden Sie sich? fragte Fergusson.

– Vielleicht besser, antwortete er; aber euch, meine Freunde, habe ich bis jetzt erst im Traume gesehen! Kaum kann ich mir von dem, was vorgegangen, Rechenschaft ablegen! Wer seid ihr, damit ich eurer in meinem letzten Gebet gedenken kann?

– Wir sind englische Reisende, antwortete Samuel; wir haben den Versuch gemacht, Afrika im Ballon zu bereisen, und während unserer Fahrt das Glück gehabt, Sie zu retten.

– Die Wissenschaft hat ihre Helden, sagte der Missionar.

– Aber die Religion ihre Märtyrer, versetzte der Schotte.

– Sie sind Missionar? fragte der Doctor.

– Ich bin ein Missionsprediger der Lazaristen. Gott hat euch mir gesandt, er sei dafür gepriesen! das Opfer meines Lebens war gebracht! – Aber ihr kommt von dem heimatlichen Erdtheil, erzählt mir, bitte, von Europa, von Frankreich! ich bin seit fünf Jahren ohne jede Nachricht.

– Fünf Jahre sind Sie allein unter diesen Wilden gewesen? rief Kennedy.

– Es sind heilsbedürftige Seelen, sagte der junge Priester, Barbaren und unwissende Mitbrüder, welche die Religion allein zu unterrichten und zu civilisiren vermag.«

Samuel Fergusson erzählte lange, um dem Wunsche des Missionars zu entsprechen, von Frankreich.

Dieser hörte ihm begierig zu, und Thränen entströmten seinen Augen. Der arme junge Mann nahm abwechselnd Kennedy’s und Joe’s Hände in die seinigen, die von Fieberhitze brannten; der Doctor bereitete ihm einige Tassen Thee, die er mit sichtlichem Wohlbehagen trank; er hatte jetzt so viel Kraft, sich ein wenig aufzurichten und zu lächeln, als er sich in diese so reine Himmelsluft emporgetragen sah.

»Ihr seid kühne Reisende, sagte er, und euer gewagtes Unternehmen wird euch gelingen; ihr werdet eure Verwandten, eure Freunde, euer Vaterland wiedersehen! …«

Die Schwäche des jungen Missionars wurde wieder so groß, daß er sich von Neuem niederlegen mußte; Fergusson hielt ihn einige Stunden wie todt in den Armen. Er konnte seine Rührung nicht beherrschen, als er fühlte, wie dies Leben entrann; sollten sie so schnell ihn, den sie der Todesstrafe entrissen hatten wieder verlieren? Er verband abermals die entsetzlichen Wunden des Märtyrers und mußte den größten Theil seines Wasservorraths opfern, um die armen, fieberheißen Glieder zu erfrischen. Er widmete dem Kranken die zärtlichste, einsichtsvollste Pflege, und unter seinen Händen kam derselbe allmälig wieder zu sich und gewann die Besinnung, wenn nicht das Leben wieder.

Aus den abgebrochenen Worten des Geistlichen entnahm der Doctor seine Geschichte.

»Sprechen Sie in Ihrer Muttersprache, hatte er zu ihm gesagt, ich verstehe sie, und es wird weniger angreifend für Sie sein.«

Der Missionar war ein armer junger Mann aus Aradon, einem Dorfe in der Bretagne im Departement Morbihan; seine Neigung zog ihn schon früh zum kirchlichen Beruf. Mit einem Leben der Entsagung wollte er noch das Leben der Gefahr verbinden, und trat in den Orden der Missionspriester ein, dessen ruhmreicher Stifter Vincenz de Paula war; im Alter von zwanzig Jahren verließ er sein Vaterland, um es mit den ungastlichen Küsten Afrika’s zu vertauschen, und von dort rückte er, alle Hindernisse überwindend, den Entbehrungen Trotz bietend, wandernd und betend allmälig bis zu jenen Völkerschaften vor, die an den Zuflüssen des obern Nil wohnen; zwei Jahre lang wurde seine Religion zurückgewiesen, sein Eifer verkannt, seine christliche Liebe mißdeutet; er wurde als Gefangener bei einem der grausamsten Völkerstämme Nyambarra’s zurückgehalten und tausend Mißhandlungen preisgegeben, aber nie ermüdete er zu lehren, zu unterweisen und zu beten. Dieser Volksstamm wurde in einem der in diesen Gegenden so häufigen Kämpfe auseinandergesprengt und zerstreut, und er selber als todt zurückgelassen. Aber anstatt jetzt dahin zurückzukehren, woher er gekommen, setzte er seine evangelische Pilgerfahrt fort. Seine friedlichste Zeit war die gewesen, in der man ihn für einen Narren hielt; er hatte sich mit den Mundarten dieser Landstriche vertraut gemacht und katechisirte fortwährend. So durchstreifte er noch zwei lange Jahre diese barbarischen Gegenden, von jener übermenschlichen Kraft getrieben, die nur Gott verleihen kann. Seit einem Jahre etwa verweilte er unter dem »Barafri« genannten Stamme der Nyam-Nyam, einer der wildesten Völkerschaften Afrika’s. Der Häuptling war vor einigen Tagen gestorben, und da man dem Missionar die Schuld an diesem unerwarteten Tode beimaß, beschloß man, ihn zu opfern. Seine Marter hatte schon vierzig Stunden lang gewährt; er sollte, wie der Doctor vermuthet hatte, um die nächste Mittagsstunde sterben.

Als er das Krachen der Feuerwaffen hörte, riß ihn die Liebe zum Leben fort: »Zu Hilfe! zu Hilfe!« rief er, und glaubte geträumt zu haben, als eine vom Himmel kommende Stimme ihm Worte des Trostes sandte.

»Ich bedaure nicht mein dahinschwindendes Leben, fügte er hinzu; es ist Gottes Eigenthum!

– Hoffen Sie noch, tröstete der Doctor, wir sind bei Ihnen und werden Sie vom Tode erretten, wie wir Sie der Marter entrissen haben.

– Ich bitte den Himmel nicht darum, entgegnete der Priester ergebungsvoll; gesegnet sei Gott, der mir vor meinem Tode das Glück gewährt hat, noch einmal die Sprache meines Vaterlandes zu hören und Freundeshände zu drücken.«

Der Missionar wurde wieder von seiner Schwäche übermannt. So verging der Tag zwischen Hoffnung und Furcht; Kennedy war sehr bewegt, und auch Joe trocknete sich wiederholt die Augen.

Der Victoria trieb nur langsam vorwärts; der Wind schien seine kostbare Last schonen zu wollen.

Gegen Abend signalisirte Joe einen ungeheuren Lichtschein im Westen. Unter einer höhern Breite hätte man dies Phänomen für ein großes Nordlicht halten können, der Himmel schien in Flammen zu stehen. Der Doctor untersuchte diese Naturerscheinung mit äußerster Aufmerksamkeit.

»Es kann nur ein feuerspeiender Berg in Thätigkeit sein, sagte er.

– Aber der Wind trägt uns dorthin, versetzte Kennedy.

– Nun, so werden wir in einer beruhigenden Höhe darüber hinwegsegeln.«

Drei Stunden später befand sich der Ballon über den Bergen, unter der genauen Lage von 24° 15′ L. und 4° 42′ Br.; vor ihm ergoß ein entzündeter Krater Ströme flüssiger Lava und schleuderte glühende Felsstücke hoch empor; in blendenden Cascaden stürzten sich Bäche fließenden Feuers herab.

Ein prächtiges, aber zugleich gefährliches Schauspiel, denn der Wind trug in beständiger Richtung den Ballon nach dieser in Feuersbrunst stehenden Atmosphäre hin.

Da der Vulkan ein Hinderniß war, das man nicht umgehen konnte, so mußte man es übersteigen. Das Knallgasgebläse wirkte mit voller Flamme, und der Victoria gelangte in eine Höhe von sechstausend Fuß, indem er zwischen sich und dem Vulkan einen Raum von über dreihundert Toisen ließ.

Der sterbende Priester betrachtete von seinem Schmerzenslager aus den feurigen Krater, von dem unter Donnerkrachen tausend blendendrothe Flammengarben emporstoben.

»Wie schön ist das, sagte er, und wie unendlich groß ist Gottes Macht sogar in den furchtbarsten Naturerscheinungen!«

Der Lavastrom umzog die Seiten des Berges wie mit einem Flammenteppich; die untere Halbkugel des Ballons warf den Feuerschein durch das Dunkel der einbrechenden Nacht in hellem Glanze zurück; eine fast sengende Gluth stieg bis zur Gondel empor, und Doctor Fergusson that, was in seinen Kräften stand, dieser gefährlichen Lage zu entfliehen.

Gegen zehn Uhr Abends war der Berg nur noch als rother Punkt am Horizont sichtbar, und der Victoria setzte ruhig seine Reise in einer minder hohen Zone fort.

Dreiundzwanzigstes Capitel

Dreiundzwanzigstes Capitel

Joe’s Zorn. – Der Tod eines Gerechten. – Die Leichenwache. – Trockenheit. – Das Begräbniß. – Die Quarzblöcke. – Joe in Verzückung. – Kostbarer Ballast. – Aufnahme der Goldberge. – Joe’s Verzweiflung beginnt.

Eine prachtvolle Nacht breitete sich über der Erde aus; der Missionar schlief im Zustande größter Entkräftung.

»Er wird nicht wieder genesen, sagte Joe. Der arme Mann! er kann kaum dreißig Jahre alt sein!

– Er wird in unsern Armen verscheiden, begann der Doctor; auch er war ohne alle Hoffnung. Sein Athem wird schwächer und schwächer, und ich vermag nichts zu seiner Rettung zu thun.

– Die schändlichen Kerle, rief Joe, den bisweilen solche Ausbrüche plötzlichen Zorns erfaßten; und dabei findet dieser würdige Gottesmann noch Worte, sie zu entschuldigen und zu beklagen; ja, er verzeiht ihnen sogar!

– Der Himmel sendet ihm noch eine schöne Nacht, Joe, vielleicht seine letzte. Er wird, denke ich, nicht mehr viel zu leiden haben, sondern sanft und friedlich einschlummern.«

Der Sterbende sprach einige abgebrochene Worte, und der Doctor trat näher zu ihm heran. Der Kranke klagte über Mangel an Athem und verlangte mehr Luft. Es wurden die Vorhänge des Zeltes bei Seite gezogen, und er sog mit Entzücken die köstliche, milde Nachtluft ein. Die Sterne sandten ihm ihr freundliches, zitterndes Licht, und der Mond hüllte ihn in das weiße Leichentuch seiner Strahlen.

»Meine Freunde, sagte er mit schwacher Stimme, ich scheide! Möge Gott, der das Gute belohnt, euch zum sichern Hafen geleiten und meine Wünsche für euch erfüllen.

– Geben Sie nicht alle Hoffnung auf, versetzte Kennedy; Sie haben jetzt nur einen vorübergehenden Schwächeanfall, aber der Tod kommt noch nicht. Kann man sterben in solch‘ herrlicher Sommernacht?

– Der Tod ist da, erwiderte der Missionar; laßt mich ihm gefaßt in’s Auge sehen. Der Tod ist nur der Anfang der Ewigkeit und das Ende aller irdischen Sorgen. Helft mir, daß ich niederknieen kann, meine Brüder, ich bitte euch.«

Kennedy richtete ihn auf; es war ein jammervoller Anblick zu sehen, wie seine hilflosen Glieder unter ihm zusammenbrachen.

»Mein Gott! mein Gott! rief der sterbende Apostel, erbarme Dich meiner!«

Sein Gesicht leuchtete wie in überirdischem Glanze. Fern von der Erde, deren Freuden er niemals gekannt, mitten in der Nacht, die ihm ihr mildes Licht spendete, auf dem Wege zu jenem Himmel, dem er sich wie in wundersamer Himmelfahrt näherte, schien er schon jetzt in ein neues Leben einzugehen.

Seine letzte Geberde war eine Bewegung des Segens für seine neuen Freunde; dann fiel er in die Arme Kennedy’s zurück, dessen Antlitz von Thränen überströmt war.

»Todt! sagte der Doctor, indem er sich über ihn neigte; todt!«

Und einmüthig knieten die Freunde nieder, um schweigend zu beten.

»Morgen früh, begann sodann Fergusson, wollen wir ihn in dieser, mit seinem Blut getränkten Erde Afrika’s begraben.«

Der Doctor, Kennedy und Joe hielten während des übrigen Theiles der Nacht abwechselnd bei der Leiche Wache, und nicht ein Wort störte das ehrfurchtsvolle, fromme Schweigen ringsumher. –

Am folgenden Morgen wehte der Wind von Süden, und der Victoria segelte ziemlich langsam über ein wüstes Gebirgsplateau hinweg; hier zeigten sich ausgebrannte Krater, dort tiefe Schluchten, aber nirgend auch nur ein Tropfen Wasser. Die dürren Bergkämme sowohl, wie die aufgethürmten Felsen, erratischen Blöcke und weißlichen Mergelgruben verkündeten die äußerste Unfruchtbarkeit.

Der Doctor beschloß, in eine Schlucht inmitten plutonischer Felsen primitiver Formation hinabzusteigen, um das Begräbniß vorzunehmen. Die umgebenden Berge sollten den Ballon vor Winden schützen und so die Möglichkeit gewähren, ihn bis auf den Erdboden herabzulassen; denn es fand sich kein Baum, der dem Anker hätte einen Anhaltspunkt bieten können.

In Folge des Ballastverlustes bei der Entführung des Missionars, konnte das Luftschiff jedoch nur fallen, wenn es eine verhältnißmäßige Menge Gas entweichen ließ. Fergusson öffnete also die Klappe des Ballons, der Wasserstoff entwich zischend, und der Victoria senkte sich in die Schlucht hinab.

Sobald die Gondel die Erde berührte, schloß der Doctor die Klappe; Joe sprang, indem er sich mit einer Hand am Rande der Gondel festhielt, auf die Erde, und sammelte mit der andern eine gehörige Zahl Steine auf, damit diese sein eigenes Gewicht ersetzen sollten. Nun konnte er seine beiden Hände gebrauchen, und hatte bald über fünfhundert Pfund Steine in der Gondel aufgehäuft, so daß auch der Doctor und Kennedy aussteigen konnten. Der Victoria befand sich jetzt im Gleichgewicht, und seine emportreibende Kraft war nicht mächtig genug, ihn zu entführen.

Uebrigens bedurfte man, da die verwendeten Steine von außerordentlicher Schwere waren, keiner sehr großen Menge hierzu.

Dieser Umstand war so auffallend, daß Fergusson’s Aufmerksamkeit darauf hingelenkt wurde, und er das Mineral einer näheren Besichtigung würdigte. Der Boden war rings mit Quarz und porphyrhaltigen Felsstücken besäet.

»Eine sonderbare Entdeckung,« murmelte der Doctor.

Unterdessen gingen Kennedy und Joe einige Schritte, um den Platz für das Grab zu wählen. Es herrschte eine glühende Hitze wie in einem ungeheuren Schmelzofen in dieser Schlucht, die sich kesselförmig einsenkte. Die Mittagssonne ließ eben jetzt senkrecht ihre brennenden Strahlen hineinfallen.

Zunächst mußte man den Boden von den Felsstücken und dem Geröll, das ihn bedeckte, reinigen, und dann wurde eine ziemlich tiefe Grube ausgehöhlt, damit der Leichnam nicht durch wilde Thiere ausgegraben werden könne.

Nun wurde die sterbliche Hülle des Märtyrers ehrfurchtsvoll hineingebettet, das Grab mit Erde gefüllt und dicke Felsstücke darüber zu einem Denkmal gethürmt.

Der Doctor stand während der ganzen Zeit unbeweglich und in seine Betrachtungen versunken daneben. Er hörte nicht auf den Zuruf seiner Gefährten, und suchte nicht wie sie Schutz gegen die Hitze des Tages.

»Woran denkst Du? fragte ihn Kennedy.

– An einen seltsamen Contrast der Natur, ein wunderbares Spiel des Zufalls; wißt ihr, in was für Erde dieser Mann der Entsagung, dieses edle Herz begraben liegt?

– Was meinst Du damit? forschte abermals der Schotte.

– Dieser Priester, der das Gelübde der Armuth abgelegt, ruht hier in einer Goldmine.

– In einer Goldmine? riefen Joe und Kennedy in höchstem Staunen.

– In einer Goldmine, bestätigte mit größter Sicherheit der Doctor. Diese Blöcke, die ihr wie werthlose Steine mit den Füßen bei Seite stoßt, sind Erz von schönster Reinheit.

– Unmöglich! Unmöglich! begann Joe wieder.

– Ihr würdet zwischen diesen Schieferplatten nicht lange suchen, ohne bedeutende Goldklumpen anzutreffen.«

Joe stürzte wie närrisch auf die zerstreut umherliegenden Stücke zu, und Kennedy zeigte eine nicht viel geringere Aufregung.

»Beruhige Dich, mein guter Joe, sprach Fergusson.

– Herr Doctor, Sie bleiben dabei so kalt!

– Wie! ein Philosoph Deines Schlages ….

– Ach! dagegen hält keine Philosophie Stand.

– Aber überlege Dir’s doch; was nützt uns all‘ dieser Reichthum? Wir können ihn nicht mit uns nehmen.

– Wie? nicht mitnehmen? das wäre doch ….

– Die Last ist etwas schwer für unsere Gondel! ich trug sogar Bedenken, Dir diese Entdeckung mitzutheilen, aus Furcht, Dein Bedauern rege zu machen.

– Wir sollen diese Schätze im Stich lassen? ein großes Vermögen, das rechtmäßig uns gehört, preisgeben?

– Nimm Dich in Acht, guter Freund; packt Dich etwa das Goldfieber? Hat Dich dieser Todte, den Du so eben der Erde übergeben hast, nicht über die Eitelkeit weltlicher Schätze belehrt?

– Das ist Alles wahr, erwiderte Joe; aber doch – dies Gold! – Herr Kennedy, möchten Sie nicht auch ein paar Millionen von hier mit fort nehmen?

– Was sollen wir machen, mein armer Joe? antwortete der Jäger, der sich eines Lächelns nicht erwehren konnte. Wir sind nun einmal nicht hierher gegangen, um Schätze zu suchen, und so werden wir auch keine heimbringen.

– Die Millionen dort sind ziemlich schwer, fügte der Doctor hinzu, und man kann sie nicht so leicht in die Tasche stecken.

– Aber können wir nicht vielleicht anstatt des Sandes dies Erz als Ballast mitnehmen?

– Nun, das will ich gestatten, sagte Fergusson. Du darfst aber kein zu böses Gesicht machen, wenn wir einige hundert Pfund über Bord werfen müssen.

– Einige hundert Pfund! sprach Joe ihm nach, kann denn das Alles Gold sein?

– Ja, mein Lieber; es ist dies ein Becken, in welchem die Natur seit Jahrtausenden ihre Schätze aufgehäuft hat. Man könnte ganze Länder damit bereichern. Es finden sich hier tief in der Wüste Californien und Australien mit einander vereinigt!

– Und das Alles soll hier ohne jeden Nutzen liegen bleiben?

– Vielleicht! etwas aber kann ich Dir zu Deinem Troste mittheilen.

– Schwerlich, meinte Joe sehr niedergeschlagen.

– Höre nur; ich werde die genaue Lage dieses Flecks aufnehmen, und bei Deiner Rückkehr nach England kannst Du Deine Mitbürger davon in Kenntniß setzen, wenn Du glaubst, daß so viel Gold ihr Glück machen kann.

– Nun, Herr Doctor, ich sehe wohl, daß Sie Recht haben, und ergebe mich darein, weil es nun einmal nicht anders sein kann. Aber unsere Gondel wollen mir wenigstens mit diesem kostbaren Erz füllen; was dann am Ende unserer Reise davon übrig ist, können mir als reinen Verdienst betrachten.«

Und Joe machte sich an’s Werk; er arbeitete aus allen Kräften, und hatte bald etwa tausend Pfund von jenen Quarzstücken angehäuft, in denen das Gold eingeschlossen ruht wie in einem Gangstein von großer Härte.

Der Doctor sah lächelnd mit an, wie er ein Stück nach dem andern in die Gondel trug; er selbst nahm indessen die Besichtigung der Höhen vor, und fand als genaue Angabe für die Lage des Grabes 22° 23′ L. und 4° 55′ nördlicher Breite.

Sodann warf Fergusson noch einen Blick auf den Steinhügel, unter welchem die sterbliche Hülle des armen Franzosen ruhte, und kehrte zur Gondel zurück. Gern hätte er ein einfaches Kreuz auf diesem einsamen Grabe inmitten der afrikanischen Wüste errichtet, aber weit und breit war kein Baum zu erblicken.

»Gott wird es auch ohne das nicht vergessen,« dachte er.

Des Doctors Geist war von einer schweren Sorge erfüllt; er würde gern all‘ dies Gold hingegeben haben, wenn er nur ein wenig Wasser hätte finden können. Die Wasserkiste, welche er, um aus dem Bereich der Neger zu kommen, fortgeworfen hatte, war noch nicht ersetzt worden, und auf diesem dürren, unfruchtbaren Boden durfte er nicht an die Möglichkeit hiezu denken. Da er unaufhörlich das Knallgasgebläse mit Wasser zu speisen hatte, mußte er jetzt schon mit dem Trinkwasser kargen, und er nahm sich fest vor, so viel wie möglich nach einer Gelegenheit zur Erneuerung seines Vorraths auszuspähen.

Als er auf die Gondel zuschritt, fand er sie von dem habgierigen Joe stark mit Steinen beschwert; er stieg indessen hinein, ohne ein Wort darüber zu sagen, und auch der Schotte nahm seinen gewöhnlichen Platz ein. Joe folgte ihnen, nicht ohne einen begehrlichen Blick auf die noch ungehobenen Schätze der Schlucht zu werfen.

Fergusson zündete sein Knallgasgebläse an, das Schlangenrohr erhitzte sich, der Wasserstoffstrom wurde in wenigen Minuten hergestellt, und das Gas dehnte sich aus, aber – der Ballon rührte sich nicht.

Joe bemerkte dies Alles nicht ohne Unruhe, sagte aber kein Wort.

»Joe,« sagte der Doctor.

Joe antwortete nicht.

»Joe, hörst Du?«

Joe gab zu verstehen, daß er wohl höre, aber nicht verstehen wolle.

»Du wirst wohl so gut sein müssen, eine gewisse Menge von diesem Erz wieder auf den Erdboden zu werfen.

– Aber Herr Doctor, Sie haben mir doch erlaubt…

– Ich habe Dir erlaubt, daß Du den Ballast ersetzen durftest, weiter nichts.

– Aber…

– Sollen wir denn ewig in dieser Wüste bleiben?« Joe warf einen Blick der Verzweiflung auf Kennedy, aber dieser sah aus wie ein Mann, der nicht im Stande ist, gegen das Schicksal anzukämpfen.

»Nun, Joe?

– Ihr Knallgasgebläse arbeitet wohl nicht? fragte der Eigensinnige.

– Du siehst es ja, aber der Ballon wird sich erst heben, wenn Du ihm etwas Ballast abgenommen hast.«

Joe kratzte sich hinter den Ohren, nahm ein Stück Quarz, das kleinste von Allen, wog es einmal, dann noch einmal, ließ es in den Händen springen (es hatte ein Gewicht von drei bis vier Pfund) und warf es fort.

Der Victoria rührte sich nicht.

»Nun, meinte er, wir steigen noch immer nicht?

– Wie Du siehst; fahre nur fort.«

Kennedy lachte, und Joe entschloß sich, noch etwa zehn Pfund zu opfern. Der Ballon blieb trotzdem unbeweglich. Joe erblaßte.

»Mein armer Junge, sagte Fergusson nun. Dick, Du und ich, wir wiegen zusammen, wenn ich nicht irre, vierhundert Pfund; Du mußt also mindestens ebensoviel hinausspediren, da erst dies Gewicht dem unserigen gleichkommt.

– Vierhundert Pfund soll ich fortwerfen! rief Joe kläglich.

– Und noch etwas dazu, damit wir steigen können. Faß Dir ein Herz, Joe.«

Der brave Bursche seufzte tief auf, aber er begann, den Ballon zu entlasten. Von Zeit zu Zeit hielt er zögernd inne:

»Jetzt werden wir steigen, Herr Doctor.

– Nein, wir steigen noch nicht! war die stete Erwiderung.

– Ich glaube, er rührt sich.

– Nur weiter!

– Er steigt! ganz gewiß, er steigt!

– Fahre nur immer fort.«

Da ergriff Joe verzweiflungsvoll einen letzten Block und warf ihn aus der Gondel; und sieh, der Victoria hob sich um etwa hundert Fuß, und schwebte, mit Unterstützung des Knallgasgebläses, bald über die umliegenden Berghöhen hinweg.

»Nun, Joe, wenn es uns gelingt, diesen Vorrath von Erz mit nach Hause zu bringen, so bleibt Dir noch immer ein großes Vermögen, und Du bist für den Rest Deiner Tage ein reicher Mann.«

Joe antwortete nichts auf diese Trostworte des Doctors; er streckte sich warm und weich auf sein Bett von Erz.

»Sieh, mein lieber Dick, bemerkte Fergusson, was dieses Metall selbst auf den besten Menschen für eine unheilvolle Macht ausübt. Wie viel Leidenschaften, Begierden und Verbrechen würde die Kenntniß von einer solchen Goldmine an den Tag rufen! es ist ein trüber Gedanke.«

Am Abend dieses Tages war der Victoria um neunzig Meilen nach Westen vorgedrungen; er befand sich jetzt – in gerader Linie gerechnet – vierzehnhundert Meilen von Zanzibar entfernt.

Dreizehntes Capitel

Dreizehntes Capitel

Wetterveränderung. – Kennedy’s Fieber. – Die Medicin des Doctors. – Reise auf festem Boden. – Das Becken von Imendsche. – Der Rubeho-Berg. – Sechstausend Fuß hoch. – Eine Tagesrast.

Die Nacht verlief ruhig; indessen klagte Kennedy am Sonnabend Morgen beim Erwachen über Mattigkeit und Fieberschauer. Mit dem Wetter ging eine Veränderung vor. Der Himmel bedeckte sich mit dichten Wolken und schien sich für eine neue Sündfluth vorzubereiten. Ein trübseliges Land, dieses Zungomero, in dem es beständig regnet, etwa mit Ausnahme von vierzehn Tagen im Monat Januar.

Ein heftiger Regenguß stürzte alsbald auf die Reisenden herab: die von den sogenannten »Nullahs«, einer Art von Augenblicksströmen, durchschnittenen Wege wurden ungangbar, waren übrigens so wie so wegen der dornigen Büsche und riesenhaften Lianengewächse schwer zu passiren. Man merkte deutlich die Ausdünstungen von schwefligem Wasserstoff, von denen Kapitän Burton redet.

»Burton hat Recht, äußerte der Doctor, wenn er sagt, daß, nach diesem Geruch zu urtheilen, hinter jedem Gebüsch ein Leichnam liegen könnte.

»Ein garstiges Land«, fügte Joe hinzu, »und es scheint, als ob Herrn Kennedy der Nachtaufenthalt hier nicht besonders bekommen wäre.«

»Ich habe allerdings starkes Fieber«, klagte der Jäger.

»Das setzt mich nicht in Erstaunen, mein lieber Dick, wir befinden uns in einer der ungesundesten Gegenden von ganz Afrika. Aber wir werden uns hier nicht lange aufhalten. Marsch!«

Joe löste geschickt den Anker und stieg vermittelst der Leiter wieder in die Gondel. Der Doctor vermehrte rasch die Spannung des Gases, und der Victoria flog, von einem ziemlich starken Winde getrieben, auf und davon.

Einige Hütten schimmerten kaum durch diesen pestilentialischen Nebel hindurch. Das Land veränderte sich merklich. Es kommt in Afrika häufig vor, daß eine ungesunde Gegend von geringer Ausdehnung an vollkommen gesunde Landstriche grenzt.

Kennedy litt augenscheinlich sehr, und das Fieber nahm seine kräftige Natur furchtbar mit.

»Es ist jetzt gar nicht an der Zeit, krank zu sein«, meinte er, hüllte sich in seine Decke und bettete sich unter dem Zelte.

»Nur Geduld, mein lieber Dick, tröstete ihn Fergusson, bald wirst Du wieder genesen.«

»Genesen? Wahrhaftig, Samuel, wenn Du in Deiner Reise-Apotheke ein Mittel hast, das mich wieder auf die Beine bringen kann, so gieb es mir unverzüglich. Ich werde die Augen zu-, und den Mund aufmachen.«

»Ich habe noch etwas Besseres, Freund Dick, und werde Dir ein ganz natürliches Fiebermittel verschaffen, das nichts kosten soll.«

»Und wie willst Du das machen?«

»Sehr einfach; ich werde ganz gemüthlich über diese Wolken, die uns überschwemmen, emporsteigen und mich aus dieser pestilentialischen Atmosphäre entfernen. Ich bedarf nur zehn Minuten, um den Wasserstoff auszudehnen.«

Noch war diese Zeit nicht verflossen, als die Reisenden schon über die feuchte Zone hinausgekommen waren.

»Warte noch ein wenig, Dick, und Du wirst den Einfluß der reinen Luft und der Sonne bald verspüren.«

»Ist das eine Medicin!« rief Joe aus; »’s ist doch erstaunlich!«

»Nein, es ist ganz natürlich!«

»O, daran zweifle ich nicht!«

»Ich schicke Dick in gute Luft, wie das tagtäglich in Europa geschieht, und wie ich ihn in Martinique auf die Pitons schicken würde, um vor dem gelben Fieber zu fliehen.«

»Ach, dieser Ballon ist wirklich ein Paradies«, sagte Kennedy, der sich schon wohler fühlte.

»Auf alle Fälle führt er hinein,« fügte Joe heiter hinzu.

Die Wolkenmassen, welche sich in diesem Augenblick unter der Gondel zusammenballten, boten ein merkwürdiges Schauspiel dar; sie rollten über einander her und flossen in einem prächtigen Glanze zusammen, indem sie die Strahlen der Sonne zurückwarfen. Der Victoria erreichte eine Höhe von viertausend Fuß; das Thermometer zeigte ein Sinken der Temperatur; man sah die Erde nicht mehr. In einer Entfernung von etwa fünfzig Meilen ragte der Rubeho-Berg mit seinem funkelnden Haupte empor; er bildete die Grenze des Ugogo-Landes unter 36° 20′ L. Der Wind wehte mit einer Schnelle von zwanzig Meilen auf die Stunde, aber die Reisenden fühlten nichts von dieser Geschwindigkeit; sie empfanden keine Erschütterung und hatten nicht einmal das Gefühl irgend einer Ortsveränderung.

Drei Stunden später verwirklichte sich des Doctors Prophezeiung. Kennedy fühlte keinen Fieberschauer mehr und frühstückte mit Appetit.

»Das läuft dem schwefelsauren Chinin den Rang ab«, sagte er höchst zufrieden.

»Entschieden«, meinte Joe, »hierher werde ich mich auf meine alten Tage zurückziehen.«

Gegen zehn Uhr Morgens klärte sich die Luft auf. Es bildete sich eine Lücke in den Wolken; die Erde erschien wieder dem Auge, und der Victoria näherte sich ihr unmerklich. Doctor Fergusson suchte eine Strömung, die ihn mehr nach Nordosten tragen sollte, und fand dieselbe sechshundert Fuß vom Boden ab. Das Land wurde uneben, selbst bergig. Der Bezirk von Zungomero verwischte sich im Osten mit den letzten Kokosnußbäumen dieser Breite. Bald sprangen die Bergkämme entschiedener hervor; hie und da erhoben sich einige Pics, und man mußte jeden Augenblick auf die spitzigen Kegel Acht haben, die unvermuthet aufzusteigen schienen.

»Wir stecken mitten unter Klippen«, sagte Kennedy.

»Beruhige Dich, Dick, wir werden sie geschickt umsegeln.«

»Trotz alledem eine hübsche Manier zu reisen!« erklärte Joe.

Wirklich lenkte der Doctor seinen Ballon mit einer wunderbaren Geschicklichkeit.

»Wenn wir auf diesem eingeweichten Boden marschiren müßten«, sagte er, »würden wir uns in einem ungesunden Schmutz hinschleppen. Die Hälfte unserer Lastthiere wäre seit unserer Abreise von Zanzibar bereits vor Erschöpfung gestorben. Wir sähen ohne Zweifel schon wie Gespenster aus, und eine innere Verzweiflung hätte uns ergriffen. Wir würden in unaufhörlichem Kampfe mit unsern Führern, unsern Trägern leben und ihrer zügellosen Brutalität ausgesetzt sein. Am Tage eine feuchte, unausstehliche, erdrückende Hitze! Des Nachts eine oft unerträgliche Kälte und die Stiche jener Fliegen, deren Mandibeln die dichteste Leinwand durchbohren und den geduldigsten Menschen rasend machen können. Der wilden Thiere und Völkerstämme gar nicht einmal zu gedenken!«

»Ich möchte es nicht versuchen«, entgegnete Joe kurz.

»Ich übertreibe nichts«, erwiderte der Doctor, »bei der Erzählung der Reisenden, welche die Kühnheit gehabt haben, sich in diese Gegenden zu wagen, möchten Euch die Thränen in die Augen treten.«

Gegen elf Uhr fuhren sie über das Becken von Imendsche hinweg; die auf den Hügeln zerstreuten Volksstämme bedrohten vergeblich den Victoria mit ihren Waffen; er kam endlich an die letzten wellenförmigen Erhebungen des Bodens, die unmittelbaren Vorberge des Rubeho, welche die dritte und höchste Bergkette in Usagara bilden.

Die Reisenden konnten sich von der orographischen Gestaltung des Bodens ein genaues Bild machen. Die drei Verzweigungen, deren erste Staffel der Duthumi bildet, werden durch weite Längenebenen von einander geschieden; diese hohen Bergrücken bestehen aus abgerundeten Kegeln, zwischen denen der Boden mit erratischen Blöcken und Geröll besäet ist. Der steilste Abfall dieser Berge liegt der Küste von Zanzibar gegenüber; die westlichen Abhänge bilden nur geneigte Plateaux. Die Bodensenkungen sind mit einer schwarzen, fruchtbaren Erde bedeckt und durch eine kräftige Vegetation ausgezeichnet. Verschiedene Ströme ergießen sich nach Osten und stießen in den Kingani, mitten unter riesigen Gruppen von Sykomoren, Tamarinden, Kürbißbäumen und Palmyras.

»Achtung!« gebot der Doctor Fergusson. »Wir nähern uns dem Rubeho, dessen Name in der Sprache des Landes ›Fahrt der Winde‹ bedeutet. Wir werden gut thun, um seine spitzigen Gipfel in einer gewissen Höhe herumzufahren. Wenn meine Karte genau ist, müssen wir uns in eine Höhe von mehr als fünftausend Fuß begeben.«

»Werden wir oft Gelegenheit haben, diese oberen Zonen zu berühren?«

»Nur selten, die Erhebung der Berge Afrika’s scheint im Verhältniß zu den Gipfeln Europa’s und Asiens nur eine mittlere zu sein. Aber in jedem Falle würde unser Victoria dieselben ohne Schwierigkeit überschreiten.«

Bald dehnte sich das Gas unter Einwirkung der Hitze aus, und der Ballon nahm eine sehr entschieden aufsteigende Richtung. Die Ausdehnung des Wasserstoffs war übrigens gefahrlos, und der ungeheure Innenraum des Luftschiffes erst zu drei Vierteln gefüllt; das Barometer gab durch Fallen der Säule um beinahe acht Zoll eine Erhebung von sechstausend Fuß an.

»Würden wir lange so reisen können?« fragte Joe.

»Die Atmosphäre der Erde hat eine Höhe von sechstausend Toisen, antwortete der Doctor. Mit einem großen Ballon würde man sehr hoch steigen können. Das haben die Herren Brioschi und Gay-Lussac unternommen; aber da kam ihnen das Blut aus Mund und Ohren. Es fehlte die athmungsfähige Luft. Vor einigen Jahren wagten sich zwei kühne Franzosen, die Herren Banal und Bixio, ebenfalls in die hohen Regionen, aber ihr Ballon bekam einen Riß . . .«

»Und sie fielen?« fragte Kennedy lebhaft.

»Allerdings! aber wie Gelehrte fallen sollen ohne sich Schaden zu thun.«

»Nun meine Herren«, sagte Joe, »es steht Ihnen frei, ihnen ihren Fall nachzumachen; aber, da ich mich für meine Person nicht zu den Gelehrten rechne, ziehe ich es vor, mich in einer anständigen Mitte zu halten, weder zu hoch noch zu niedrig. Man muß nicht ehrgeizig sein.«

In der Höhe von sechstausend Fuß hat sich die Dichtigkeit der Luft fühlbar verringert; der Schall pflanzt sich nur schwer fort, und die Stimme ist weniger gut hörbar. Der Blick wird verworren, und das Auge bemerkt herniederschauend nur noch große, ziemlich unbestimmte Massen; Menschen und Thiere verschwinden ganz aus dem Gesichte, und die Straßen werden zu schmalen Bändern, die Seen zu Teichen.

Der Doctor und seine Begleiter fühlten sich nunmehr in einem anormalen Zustande; ein atmosphärischer Strom von außerordentlicher Schnelligkeit riß sie über dürre Berge hinweg, auf deren Gipfel große Schneeflächen den Blick überraschten; die zerrissene Physiognomie des Berglandes wies auf eine neptunische Arbeit aus den ersten Tagen der Welt hin.

Die Sonne glänzte im Zenith, und ihre Strahlen fielen senkrecht auf die öden Gipfel. Der Doctor nahm eine genaue Zeichnung dieser Berge auf; sie bestehen aus vier verschiedenen Rücken und ziehen sich fast in gerader Linie neben einander hin.

Bald stieg der Victoria an der jenseitigen Abdachung des Rubeho abwärts, einem mit Holz bewachsenen, mit Bäumen von sehr dunkelm Grün bestandenen Abhange folgend; dann wieder reihten sich Gebirgskämme und Schluchten in einer wüstenartigen Gegend daran, welche sich vor dem Ugogolande hinzog; weiter unten entfalteten sich gelbe, ausgedörrte Ebenen, hie und da mit Salzpflanzen und Dorngebüschen als einziger Vegetation.

Einige Holzungen, die sich in weiter Ferne zu Wäldern verdichteten, begrenzten den Horizont. Der Doctor näherte sich dem Erdboden, die Anker wurden ausgeworfen, und einer derselben hakte sich bald an den Zweigen einer ungeheuren Sykomore ein.

Joe glitt rasch auf den Baum hinunter und befestigte vorsichtig den Anker; der Doctor ließ sein Knallgasgebläse in Thätigkeit, um dem Luftschiff eine gewisse emportreibende Kraft, die es in der Luft oben halten könnte, zu bewahren. Der Wind hatte sich fast plötzlich gelegt.

»Jetzt«, sagte Fergusson, »nimm zwei Flinten, Freund Dick, eine für Dich und eine für Joe, und dann versucht, ob Ihr uns zum Mittagsmahl einen Antilopenbraten heimbringen könnt.«

»Auf die Jagd!« rief Kennedy neu belebt, kletterte aus der Gondel und stieg herab. Joe hatte sich von einem Zweige zum andern hinunterpurzeln lassen und wartete auf ihn, indem er sich, auf festem Boden stehend, dehnte und reckte. Der Doctor, welcher jetzt die Gondel um das Gewicht seiner beiden Gefährten erleichtert sah, konnte sein Knallgasgebläse gänzlich auslöschen.

»Fliegen Sie uns aber nicht fort, Herr!« rief Joe noch hinauf.

»Sei unbesorgt, mein Junge, ich werde mit festen Banden zurückgehalten. Ich will die Zeit benutzen, um meine Notizen zu vervollständigen, und wünsche Euch glückliche Jagd nebst einer guten Portion Vorsicht. Übrigens werde ich von meinem Posten das Land beobachten, und so wie sich irgend etwas Verdächtiges zeigt, feure ich den Carabiner ab. Das soll Euch als Signal zum Sammeln dienen.«

»Einverstanden.« antwortete der Jäger.

Vierzehntes Capitel

Vierzehntes Capitel

Der Gummibaumwald. – Die blaue Antilope. – Das Signal zum Sammeln. – Ein unerwarteter Angriff. – Kanyenye. – Eine Nacht im Aether. – Wabunguru. – Dschihue-la-Mkoa. Der Wasservorrath. – Ankunft in Kaseh.

Das dürre ausgetrocknete Land bestand aus einer thonartigen Erde, die von der Hitze rissig geworden war; es schien verlassen; nur hie und da zeigten sich einige Spuren von Karawanen, wie gebleichte, halb abgenagte Gebeine von Menschen und Thieren, die in demselben Staube neben einander moderten.

Nach einem halbstündigen Marsche vertieften sich Dick und Joe, das Auge auf der Lauer und den Finger am Hahn der Flinte, in einen Wald von Gummibäumen. Ohne ein Rifleman zu sein, wußte Joe doch geschickt mit einer Feuerwaffe umzugehen.

»Wie wohl thut es mir, wieder einmal marschiren zu können, Herr Dick, und doch ist dieser Grund und Boden nicht allzu bequem,« meinte er, als sie auf dem mit Quarzstücken besäeten Boden dahingingen.

Kennedy bedeutete seinem Begleiter durch ein Zeichen, daß er schweigen und stehen bleiben solle. Man mußte ohne Hunde fertig werden, und wie groß auch Joe’s Gewandtheit war, so besaß er doch nicht die Nase eines Bracken oder Windspiels.

An dem Bette eines Stroms, in welchem sich noch einige Lachen stehenden Wassers hielten, löschte eine kleine Heerde von etwa zehn Antilopen ihren Durst. Diese graciösen Thiere schienen Gefahr zu wittern; zwischen jedem Schlürfen hoben sie ihren hübschen Kopf lebhaft in die Höhe und prüften die Luft in der Richtung der Jäger.

Kennedy bog, während Joe unbeweglich blieb, um einige Gebüsche, gelangte in Schußweite und feuerte. Die Heerde verschwand in einem Augenblick, und nur eine männliche Antilope, auf’s Blatt getroffen, sank zusammen. Kennedy stürzte auf seine Beute zu; es war ein »Blawe-Bock«, ein prächtiges, blaßblaues Thier, dessen Bauch und innere Seite der Beine weiß wie Schnee schimmerten.

»Ein Kernschuß! rief der Jäger aus. Es ist dies eine sehr seltene Antilopenart, und ich hoffe, das Fell gut präpariren und aufbewahren zu können.

– Wirklich? denken Sie im Ernst daran, Herr Dick?

– Natürlich! sieh doch dies glänzende Fell!

– Aber der Doctor wird sich sehr entschieden gegen solche Lastvermehrung auflehnen.

– Du hast Recht, Joe! es ist aber doch ärgerlich, ein so schönes Thier ganz liegen lassen zu müssen!

– Ganz? nein, Herr Dick; wir wollen die bestnährenden Bestandtheile davon abnehmen, und ich werde mich mit Ihrer Erlaubniß dieser Aufgabe eben so gut entledigen wie der Vorsteher der ehrenwerthen Fleischerzunft in London.

– Wie Du willst, mein Freund; Du weißt aber hoffentlich, daß ich in meiner Eigenschaft als Jäger ebenso wenig in Verlegenheit bin, wie ich ein Stück Wild zerlegen, als wie ich es erlegen soll.

– Davon bin ich fest überzeugt, Herr Dick; machen Sie deshalb weiter keine Umstände, und errichten Sie auf drei Steinen einen Bratofen; Sie werden trockenes Holz in Menge finden, und ich bitte Sie dann nur um einige Minuten, um Ihre glühenden Kohlen auszunutzen.

– Das soll nicht lange dauern,« versetzte Kennedy. Er machte sich sogleich an den Bau eines Heerdes, in welchem das Feuer wenige Augenblicke später aufloderte. Joe hatte aus der Antilope etwa ein Dutzend Coteletten sowie die zartesten Stücke der Lende geschnitten, die sich bald unter seinen kundigen Händen in einen schmackhaften Rostbraten verwandelten.

»Das wird Freund Samuel erquicken, sagte der Jäger.

– Wissen Sie, woran ich denke, Herr Dick?

– Nun, doch gewiß an das, was Du eben machst, an Deine Beefsteaks.

– Nein, Herr Dick; ich denke daran, was wir für ein Gesicht machen würden, wenn wir das Luftschiff nicht mehr wiederfänden.

– Gott! welch‘ schrecklicher Gedanke! Du meinst, der Doctor könne uns im Stich lassen?

– Nein, aber wenn sein Anker sich loslöste?

– Unmöglich. Uebrigens könnte Samuel ja leicht mit seinem Ballon wieder herabsteigen; er lenkt ihn doch ziemlich geschickt.

– Ja, aber wenn der Wind ihn fortrisse, wenn er nicht zu uns zurückkommen könnte?

– Höre, Joe, mach‘ ein Ende mit Deinen Vermuthungen; sie haben nichts Angenehmes.

– Ach, Herr Kennedy, Alles, was sich in dieser Welt ereignet, ist natürlich; nun kann sich aber Alles ereignen, man muß also auf Alles gefaßt sein…

In diesem Augenblick hallte ein Flintenschuß in der Luft wieder.

– Horch! stieß Joe hervor.

– Mein Carabiner! ich erkenne seinen Knall.

– Das Signal!

– Eine Gefahr für uns!

– Für ihn vielleicht, ergänzte Joe.

– Marsch!«

Die Jäger hatten eilig ihre Jagdbeute aufgenommen und schlugen den Rückweg ein, indem sie sich nach den von Joe eingeknickten Zweigen richteten. Die Dichtigkeit des Gestrüpps hinderte sie, den Victoria zu bemerken, von dem sie nicht sehr fern sein konnten.

Ein zweiter Schuß ließ sich jetzt vernehmen.

»Das hat Eile, meinte Joe.

– Höre doch! noch ein Schuß!

– Das sieht aus wie eine persönliche Vertheidigung.

– Beeilen wir uns.«

Und sie liefen, so schnell sie konnten. Am Waldessaum angekommen, sahen sie gleich zuerst den Victoria an seinem Platze und den Doctor in der Gondel.

»Was giebt es denn? fragte Kennedy.

– Großer Gott! rief Joe aus.

– Was siehst Du?

– Da unten rings um den Baum eine Schaar Neger, die den Ballon belagern.«

Wirklich sah Joe, obgleich noch zwei Meilen von dem Ballon entfernt, etwa dreißig Individuen unter lebhaften Gestikulationen, Heulen und Luftsprüngen am Fuße der Sykomore. Einige waren auf den Baum geklettert und bis auf die höchsten Zweige gestiegen. Die Gefahr schien drohend.

»Mein Herr ist verloren, rief Joe aus.

– Ruhig, Joe, bewahre Dir Kaltblütigkeit und einen scharfen Blick! Wir haben das Leben von vier dieser mohrenfarbigen Bestien in unserer Hand. Vorwärts!«

Sie hatten mit außerordentlicher Geschwindigkeit etwa eine Meile zurückgelegt, als abermals ein Flintenschuß aus der Gondel abgefeuert wurde; derselbe war offenbar auf einen großen teuflischen Kerl gemünzt, der sich so eben anschickte, an dem Ankertau emporzuklimmen. Sein Körper fiel leblos von Zweig zu Zweig und blieb etwa zwanzig Fuß vom Boden entfernt hängen; seine Arme und Beine schwankten in der Luft hin und her.

»Ho! rief Joe stille stehend; woran zum Teufel hält sich die Bestie noch?

– Das ist einerlei, antwortete Kennedy. Laß uns laufen, schnell! schnell!

– Ach! Herr Kennedy, rief Joe und wollte bersten vor Lachen; er hält sich an seinem Schwanz! wahrhaftig an seinem Schwanz! Ein Affe! Es sind alles nur Affen!

– Immer noch besser, als wären es Menschen,« antwortete Kennedy, indem er sich unter die heulende Bande stürzte.

Es war in der That ein Rudel wilder, fürchterlicher, hundsköpfiger Paviane, gräulich anzusehen. Einige Flintenschüsse brachten sie indessen bald zur Vernunft, und die widerwärtige Grimassen schneidende Horde stob nach allen Seiten auseinander, mehrere der Ihren todt auf dem Kampfplatze zurücklassend. In wenig Augenblicken hatte Kennedy die Leiter bestiegen, Joe war an der Sykomore emporgeklettert und machte den Anker los. Die Gondel senkte sich bis zu ihm herab, und er schwang sich ohne alle Schwierigkeit hinein. Wenige Minuten später erhob sich der Victoria in die Luft und schwebte, von einem mäßigen Winde getrieben, westwärts.

»Das war ein Sturm, rief Joe.

– Wir glaubten Dich zuerst von Eingeborenen belagert.

– Es waren glücklicher Weise nur Affen, antwortete der Doctor.

– Von ferne ist der Unterschied kein sehr bedeutender, mein lieber Samuel.

– In der Nähe auch nicht, bemerkte Joe.

– Wie dem auch sein möge, antwortete Fergusson, dieser Affenangriff hätte ernste Folgen für uns haben können. Wenn der Anker den wiederholten Erschütterungen nicht widerstanden hätte – wer weiß, wohin ich vom Winde verschlagen worden wäre?

– Was habe ich Ihnen gesagt, Herr Kennedy?

– Du hattest Recht, Joe; genieße Deinen Triumph. Aber warst Du nicht gerade damals bei der Bereitung der Antilopen-Beefsteaks, deren Anblick mir so großen Appetit machte?

– Das will ich glauben, antwortete der Doctor, Antilopenfleisch ist etwas ganz Vorzügliches.

– Sie sollen selber darüber urtheilen, mein Herr. Der Tisch ist gedeckt.

– Wahrhaftig, sagte der Jäger, diese Antilopenschnittchen haben einen Wildpretgeruch, der nicht zu verachten ist.

– Ausgezeichnet! ich würde mich bis an’s Ende meiner Tage von Antilopenfleisch nähren können, stimmte Joe mit vollem Munde bei. Besonders wenn noch ein Gläschen Grog dabei wäre, um die Verdauung zu befördern.

Joe bereitete das erwähnte Getränk, das mit Andacht abgeschmeckt und genossen wurde.

– Bis jetzt geht es uns wirklich ganz vortrefflich, sagte er.

– Excellent, versetzte Kennedy.

– Sehen Sie wohl, Herr Dick? Bedauern Sie noch, daß Sie uns begleitet haben?

»Ich hätte den sehen wollen, der mich daran zu hindern versucht hätte,« antwortete der Jäger mit entschlossener Miene.

Es war vier Uhr Nachmittags; der Victoria kam jetzt in einen schnellern Luftstrom, der Boden begann zuerst unmerklich bergiger zu werden, und bald zeigte die Barometersäule eine Höhe von 1,500 Fuß über dem Meeresspiegel an. Der Doctor war genöthigt, sein Luftschiff durch eine ziemlich starke Ausdehnung des Gases zu unterstützen, und das Knallgasgebläse arbeitete unaufhörlich.

Gegen sieben Uhr schwebte der Victoria über dem Becken von Kanyenye; der Doctor erkannte sofort diese etwa zehn Meilen große Strecke urbar gemachten Landes, mit ihren in Baobabs und Kürbißbäumen versteckten Dörfern. Dies ist die Residenz von einem der Sultane des Ugogoland’s, in welchem die Civilisation vielleicht weniger zurück ist: man verkauft dort nämlich seltener seine Familienmitglieder, aber Thiere und Menschen leben auch dort friedlich zusammen in ihren runden, ohne Gebälk errichteten Hütten, die von ferne Heuschobern nicht unähnlich sehen.

Nachdem Kanyenye passiert war, wurde das Terrain dürr und steinig; aber nach einer Stunde etwa, als sie in einiger Entfernung von Mdaburu über eine fruchtbare Niederung kamen, zeigte die Vegetation wieder ihre volle Üppigkeit. Mit dem Ende des Tages legte sich der Wind, und die Luft schien gleichsam einzuschlafen. Der Doctor suchte vergebens in verschiedenen Luftschichten nach einer frischen Brise, und als er sich von der tiefen Ruhe der Natur überzeugt hatte, beschloß er, die Nacht hoch oben im Äther zu verleben, und ließ seinen Ballon der Sicherheit halber noch etwa tausend Fuß steigen. Der Victoria verblieb vollständig unbeweglich, und ringsumher herrschte die köstliche, Sternen durchleuchtete Nacht und tiefes Schweigen.

Dick und Joe streckten sich friedlich auf ihr Lager und schliefen den Schlaf des Gerechten, während der Doctor wachte. Um Mitternacht erhob sich der Schotte, um Samuel Fergusson abzulösen.

»Wenn der geringste Zufall sich ereignen sollte, so wecke mich, hatte der Doctor zu seinem Freunde Dick gesagt, und verliere vor Allem nicht das Barometer aus dem Auge. Du weißt, daß es jetzt unser Compaß ist!«

Die Nacht war ungefähr 27 Grade (14° Cels.) kälter, als die Tagestemperatur gewesen war, und mit der Dunkelheit hatte sich zugleich das nächtliche Concert der wilden Thiere eingestellt, welche Durst und Hunger aus ihren Schlupfwinkeln hervorgetrieben hatten. Die Frösche ließen ihre hellen Stimmen im Duett mit dem Heulen des Schakals erschallen, während der tiefe Baß der Löwen die Accorde dieses lebendigen Orchesters begleitete.

Als der Doctor Fergusson am andern Morgen seinen Platz wieder einnahm und seinen Compaß zu Rathe zog, bemerkte er, daß die Richtung des Windes während der Nacht stark gewechselt hatte. Der Victoria war seit etwa zwei Stunden um dreißig Meilen nach Nordosten abgewichen: er schwebte jetzt über Mabunguru, einem Lande, das von Steinen und glänzenden Syenitblöcken förmlich überschüttet und von abschüssigen, oben spitz zulaufenden Felsen durchzogen ist; kegelförmige, den Felsen von Karnak ähnliche Massen starrten, wie ebenso viel Druidensteine, aus dem Boden hervor; zahllose Gebeine von Büffeln und Elephanten bleichten hie und da in der Sonne; auch zeigten sich im Osten tiefe Wälder, in denen ab und zu ein Dorf verborgen lag.

Gegen sieben Uhr erschien ein runder Fels von beinahe zwei Meilen im Umfange, und wie eine ungeheure Schildkröte geformt.

»Wir sind auf gutem Wege, sagte der Doctor Fergusson, dort liegt Dschihue-La-Mkoa, wo wir einige Augenblicke Halt machen werden. Ich gedenke, den zur Speisung meines Knallgasgebläses nothwendigen Wasservorrath zu erneuern. Versuchen wir, unsern Ballon irgendwo anzuhaken.«

»Es sind hier wenige Bäume«, bemerkte der Jäger.

»Wir wollen trotzdem einen Versuch machen; Joe, wirf die Anker aus.«

Der Ballon, welcher allmälig von seiner emportreibenden Kraft verloren hatte, näherte sich dem Boden. Die Anker streiften die Erdoberfläche, die Schaufel eines derselben verwickelte sich in eine Felsspalte, und der Victoria war gefesselt.

Man darf nicht etwa glauben, daß der Doctor sein Knallgasgebläse während der Haltezeiten gänzlich in Inactivität setzen konnte. Das Gleichgewicht des Ballons war nach dem Meeresspiegel berechnet worden; wenn nun aber das Land stieg und eine Höhe von sechs- bis siebenhundert Fuß erreichte, so würde der Ballon ein Streben entwickelt haben, sogar noch unter das Niveau des festen Landes herabzusteigen; man mußte ihm demgemäß mit einer gewissen Ausdehnung des Gases zu Hilfe kommen. Nur in dem Falle, daß der Doctor bei vollständiger Windstille die Gondel hätte auf der Erde ruhen lassen, würde sich das Luftschiff, alsdann um ein beträchtliches Gewicht entlastet, ohne Hilfe des Knallgasgebläses in der Luft gehalten haben.

Die Karten gaben auf dem westlichen Abhange von Dschihue-la-Mkoa große stehende Wasser an. Joe begab sich allein mit einer Tonne dorthin, die ungefähr zehn Gallonen fassen konnte; er fand nicht weit von einem kleinen verlassenen Dorfe ohne Mühe die angegebene Stelle, nahm seinen Wasservorrath ein, und kehrte in weniger als drei Viertelstunden zurück; es war ihm nichts Bemerkenswerthes aufgestoßen, als einige ungeheure Elephantenfallen; beinahe wäre er selbst in eine derselben gerathen, in welcher ein halb zernagter Leichnam moderte.

Er brachte von seiner Excursion eine Art Mispeln mit, von denen er einige Affen begierig hatte fressen sehen. Der Doctor erkannte die Frucht des »Mbenbu«, eines Baumes, der häufig auf der westlichen Seite von Dschihue-la-Mkoa gefunden wird. Fergusson erwartete Joe mit einer gewissen Ungeduld, denn ein, wenn auch nur kurzer Aufenthalt über diesem ungastlichen Lande flößte ihm immer Besorgnisse ein.

Ohne Schwierigkeit wurde das Wasser eingeladen, denn die Gondel hatte sich fast auf den Erdboden herabgelassen: Joe konnte den Anker lichten und stieg gewandt wieder zu seinem Herrn empor. Alsbald belebte dieser von Neuem seine Flamme, und der Victoria segelte weiter auf der Bahn der Lüfte.

Er befand sich noch hundert Meilen von Kaseh, einer bedeutenden Niederlassung im Innern Afrika’s, entfernt, wohin die Reisenden, von einer südöstlichen Luftströmung begünstigt, zu gelangen hofften; sie flogen mit einer Schnelligkeit von vierzehn Meilen (die Stunde) dahin; die Führung des Luftschiffes wurde hiebei ziemlich schwierig, man konnte sich nicht zu hoch erheben, ohne das Gas bedeutend auszudehnen; denn das Land hatte an und für sich schon eine mittlere Höhe von 3,000 Fuß. Nun zog aber der Doctor vor, die Gasanspannung nicht zu sehr zu forciren; er folgte also sehr geschickt den Windungen eines ziemlich steilen Abhanges und glitt nah an den Dörfen Thembo und Tura-Wels vorüber. Dieses letztere gehört zu Unyamwesy, einer prächtigen Gegend, in welcher die Bäume die größten Dimensionen erreichen, unter andern die Cactus, die hier zu riesenhafter Höhe emporwachsen.

Gegen zwei Uhr schwebte der Victoria bei einem köstlichen Wetter unter einem glühenden Sonnenschein, welcher den geringsten Luftzug absorbirte, über der 350 Meilen von der Küste gelegenen Stadt Kaseh.

»Wir sind von Zanzibar um neun Uhr Morgens aufgebrochen«, sagte Doctor Fergusson, als er seine Notizen durchsah; »und nach einer zweitägigen Fahrt haben wir auf unsern Umwegen beinahe 500 geographische Meilen durchmessen. Die Kapitäne Burton und Speke brauchten vier und einen halben Monat, um denselben Weg zurückzulegen.«

Fünfzehntes Capitel

Fünfzehntes Capitel

Kaseh. – Der geräuschvolle Markt – Erscheinung des Victoria. – Die Wanganga. – Die Söhne des Mondes. – Spaziergang des Doctors. – Die Bevölkerung. – Das königliche Tembe. – Die Frauen des Sultans. – Eine königliche Trunkenheit. – Joe wird angebetet. – Wie man auf dem Monde tanzt. – Plötzlicher Umschlag. – Zwei Monde am Firmament. – Unbeständigkeit der göttlichen Größe.

Kaseh, ein wichtiger Punkt in Central-Afrika, ist keine Stadt, wie man überhaupt nicht sagen kann, daß es im eigentlichen Sinne des Wortes Städte im Binnenlande giebt. Es ist nur ein Ensemble von sechs großen Grubengebäuden, in welche dann wieder Häuschen und Sclavenhütten eingeschlossen sind, von sorgsam bebauten, kleinen Gärten umgeben; Zwiebeln, Kartoffeln, Eierpflanzen, Kürbisse und vorzügliche Pilze gedeihen dort auf’s Schönste.

Unyamwesy ist das eigentliche Mondland, der fruchtbarste und üppigste Theil von ganz Afrika; in seinem Mittelpunkt befindet sich Unyanembe, eine entzückende Gegend, wo einige Omani-Familien von reinem arabischem Ursprung ihr träges Leben verbringen.

Sie trieben lange im Innern Afrika’s und in Arabien Handel mit Gummi, Elfenbein, indischem Kattun und Sclaven und machten dabei bedeutende Geschäfte. Ihre Karawanen haben wieder und wieder die Äquatorialgegenden durchfurcht und Luxusgegenstände von der Küste für die reich gewordenen Kaufleute besorgt, während diese inmitten ihrer Frauen und Diener in dieser reizenden Gegend die ruhigste und horizontalste Existenz führen, immer auf dem Lager hingestreckt, lachend, rauchend oder schlafend.

Denkt euch um diese Grubengebäude herum zahlreiche Häuschen der Eingeborenen, große Waarenniederlagen, Hanf- und Datura-Felder, schöne Bäume und frisches Laubwerk, und ihr habt ein Bild von Kaseh.

Hier ist der allgemeine Sammelplatz der Karawanen, der von Süden mit ihren Sclaven- und Elfenbeinladungen kommenden, wie derjenigen, die aus dem Westen Baumwolle und Glaswaaren den Stämmen der großen Binnenseen zuführen.

So herrschte denn auch auf den Märkten beständige Bewegung, ein namenloses Getöse, in dem sich das Geschrei der Mestizenträger, der Schall der Trommeln und Hörner, das Wiehern der Maulthiere, das Schreien der Esel, der Gesang der Frauen, das Kindergekreisch und Schläge mit dem Rotang (spanischem Rohr) des Dschemadar mischen: der Letztere schlug den Tact zu dieser ländlichen Symphonie.

Hier werden ohne Ordnung und sogar in reizender Unordnung grellfarbige Stoffe, Glasperlen, Elfenbein, Rhinoceros- und Haifischzähne, Honig, Tabak und Baumwolle ausgebreitet und die seltsamsten Käufe abgeschlossen, bei denen ein jeder Gegenstand nur nach den Wünschen, die er weckt, Werth hat.

Plötzlich legte sich diese Geschäftigkeit, diese Bewegung, dieses Geräusch mit einem Schlage. Der Victoria war in den Lüften erschienen; er schwebte majestätisch und senkte sich allmälig, ohne von der lothrechten Linie abzuweichen. Männer, Frauen, Kinder, Sklaven, Kaufleute, Araber und Neger, alles verschwand und glitt in die »Tembes« und Hütten.

»Mein lieber Samuel«, meinte Kennedy, »wenn wir fortfahren, diese Wirkung bei den Leuten hervorzubringen, so werden wir Mühe haben, Handelsverbindungen mit ihnen anzuknüpfen.«

»Es ließe sich jedoch«, sagte Joe, »ein Handelsgeschäft mit großer Einfachheit abschließen. Man müßte ruhig hinabsteigen und die werthvollsten Waaren mitfortnehmen, ohne sich um die Kaufleute zu bekümmern. Man könnte dabei reich werden.«

»Allerdings«, versetzte der Doctor, »haben die Eingebornen sich im ersten Augenblick gefürchtet; Aberglauben oder Neugier werden sie jedoch bald wieder herbeiführen.«

»Glauben Sie, Herr?«

»Wir werden das bald sehen; aber es wird gerathen sein, ihnen nicht allzu nahe zu kommen, der Victoria ist weder ein gepanzerter noch geharnischter Ballon; er ist also weder gegen eine Kugel noch gegen einen Pfeil gedeckt.«

»Gedenkst Du denn, mein lieber Samuel, in Unterhandlung mit diesen Afrikanern zu treten?«

»Wenn es sich so macht, warum nicht?« antwortete der Doctor, »es müssen sich in Kaseh gebildete, weniger wilde Kaufleute finden. Ich erinnere mich, daß die Herren Burton und Speke die Gastlichkeit der Einwohner dieser Stadt nur rühmen konnten. So können wir das Abenteuer wohl versuchen.«

Der Victoria hatte sich inzwischen der Erde genähert und einen seiner Anker an dem Wipfel eines Baumes nahe am Marktplatze eingehakt.

Die ganze Bevölkerung kroch in diesem Augenblick wieder aus ihren Löchern; zuerst kamen die Köpfe ängstlich um sich schauend hervor. Mehrere »Wanganga«, an Insignien von kegelförmigen Muscheln kenntlich, rückten kühner vor; es waren dies die Zauberer des Ortes: sie trugen an ihren Gürteln kleine, schwarze, mit Fett überzogene Kürbißflaschen und verschiedene, zu ihrer Zauberei nothwendige Gegenstände, die sich übrigens durch eine ganz doctorale Unsauberkeit auszeichneten.

Nach und nach begab sich die Menge in ihre Nähe, die Frauen und Kinder umringten sie, die Trommler wetteiferten mit einander im Lärm, man schlug die Hände zusammen und streckte sie zum Himmel empor.

»Das ist ihre Manier zu beten«, sagte der Doctor Fergusson; »wenn ich mich nicht sehr täusche, sind wir berufen, hier eine große Rolle zu spielen.«

»Nun gut, Herr, spielen Sie sie doch!«

»Du selbst, mein braver Junge, wirst vielleicht als ein Gott angebetet werden.«

»Nun, Herr das sollte mich nicht sehr beunruhigen; Weihrauch ist mir nicht unangenehm.«

In diesem Augenblick machte einer der Zauberer, ein »Myanga«, eine Bewegung, und das Geschrei verwandelte sich sofort in ein tiefes Schweigen. Darauf richtete er etliche Worte in unbekannter Sprache an die Reisenden. Der Doctor, der ihn nicht verstanden hatte, rief einige arabische Worte hinunter, und man antwortete ihm sofort in derselben Sprache. Der Redner erging sich in einer schwülstigen, sehr blühenden Anrede, welche mit der größten Aufmerksamkeit angehört wurde, und der Doctor erkannte bald, daß der Victoria als der Mond in eigner Person betrachtet wurde, und daß man annahm, die liebenswürdige Mondgöttin habe sich dazu herabgelassen, sammt ihren drei Söhnen der Stadt einen Besuch abzustatten und ihr hiemit eine Ehre zu erweisen, die niemals von dieser sonnengeliebten Erde vergessen werden würde.

Der Doctor erwiderte mit vieler Würde, daß Göttin Luna alle tausend Jahre ihren Rundgang halte, um sich von Angesicht zu Angesicht ihren Verehrern zu nähern. Er forderte das Volk auf, von ihrer göttlichen Gegenwart Gebrauch zu machen und seine Wünsche und Bedürfnisse vorzutragen.

Er erhielt zur Antwort, daß der Sultan »Mwani« seit langen Jahren krank liege und den Himmel anflehe, ihm zu helfen. Der Zauberer lud deshalb die Söhne der Luna ein, sich zu ihm zu bemühen.

Fergusson theilte seinen Gefährten die erhaltene Einladung mit.

»Und Du willst Dich wirklich zu diesem Negerkönig begeben?« sagte der Jäger.

»Allerdings; diese Leute scheinen mir sehr günstig für uns gestimmt; die Atmosphäre ist ruhig, kein Lüftchen regt sich; wir haben also für den Victoria nichts zu fürchten.«

»Aber was wirst Du thun?«

»Sei ganz ruhig, lieber Dick; mit einigen kleinen Arzneimitteln werde ich mich schon herauszuziehen wissen.«

Dann wandte er sich an die Menge und sprach etwa Folgendes:

»Luna will sich des, den Kindern von Unyamwesy so theuren Herrschers erbarmen, und hat uns die Sorge für seine Heilung anvertraut. Er schicke sich an, uns zu empfangen!«

Das Geschrei, die Gesänge und Demonstrationen verdoppelten sich, und der ganze, große Ameisenhaufen schwarzer Köpfe setzte sich in Bewegung.

»Jetzt, meine Freunde«, sagte Doctor Fergusson, »müssen wir Alles mit Vorsicht anordnen; wir können unter Umständen zu einer sehr schnellen Abreise gezwungen werden. Dick wird in der Gondel bleiben und vermittelst des Knallgasgebläses eine hinreichende, emportreibende Kraft unterhalten. Der Anker ist solide befestigt, es ist also nichts zu fürchten. Ich will auf die Erde herabsteigen und Joe kann mich begleiten, aber am Fuß der Leiter zurückbleiben.«

»Wie, Du willst Dich allein in die Höhle dieses Mohren wagen?«

»Herr Samuel!« rief Joe, »Sie wollen nicht, daß ich Ihnen zur Seite bleibe?«

»Nein, ich werde allein gehen; diese guten Leute bilden sich ein, daß ihre große Göttin Luna herabgekommen sei, um ihnen einen Besuch zu machen, ich werde durch ihren Aberglauben geschützt. Habt also keine Furcht, und bleibe ein Jeder auf dem ihm angewiesenen Posten.«

»Nun, wie Du willst«, antwortete der Jäger.

»Achte auf die Spannung des Gases.«

»Sei unbesorgt.«

Das Geschrei der Eingeborenen nahm mehr und mehr zu; sie verlangten immer energischer das Einschreiten des Himmels.

»Seht doch einmal!« meinte Joe. »Ich finde, daß sie gegen ihre gute Luna und deren göttliche Söhne etwas zu gebieterisch auftreten.«

Der Doctor stieg, mit seiner Reise-Apotheke versehen, zur Erde herab, Joe ihm voran. Dieser setzte sich, ernst und würdig, wie es sich geziemte, an den Fuß der Leiter, schlug dabei nach arabischer Sitte die Beine übereinander, und ein Theil der Menge schloß um ihn einen ehrfurchtsvollen Kreis. Während dessen rückte der Doctor Fergusson unter dem Schall der Instrumente, von religiösen Waffentänzen geleitet, langsam nach dem »Königlichen Tembe« vor, das ziemlich weit außerhalb der Stadt lag; es war etwa drei Uhr, und die Sonne leuchtete so hell, als wolle sie auch, so viel an ihr lag, zur Verherrlichung der Söhne Luna’s beitragen.

Samuel Fergusson schritt mit Würde einher; die »Wanganga« umringten ihn und hielten die Menge zurück. Bald schloß sich ihm auch der natürliche Sohn des Sultans an, ein junger, ziemlich gut aussehender Bursche, welcher nach dem Brauch des Landes der einzige Erbe der väterlichen Güter, unter Ausschluß der legitimen Kinder war. Er warf sich vor dem Sohne der Luna zur Erde, dieser jedoch winkte ihm mit anmuthvoller Geberde, sich zu erheben.

Drei Viertelstunden später gelangte die begeisterte Procession auf schattigen Pfaden, inmitten der vollen Ueppigkeit einer tropischen Vegetation, zu dem Palast des Sultans, einem viereckigen Gebäude, das den Namen Ititenga führte, und an der Abdachung eines Hügels lag. Eine Art Veranda ging von dem Dach der Hütte aus, und stützte sich auf Holzpfähle, die darauf Anspruch machten, behauen zu sein. Lange Reihen von röthlichen Thongefäßen schmückten die Wände und suchten Menschen- und Schlangengestalten zu reproduciren; natürlich waren Erstere weniger gut gelungen, als die Letzteren. Das Dach dieser Wohnung ruhte nicht unmittelbar auf den Mauern, so daß die Luft frei darin circuliren konnte. Sonst waren wenige oder gar keine Oeffnungen gelassen; es gab keine Fenster, und kaum eine Thür.

Der Doctor Fergusson wurde mit vielen Ehrenbezeugungen von der Leibwache und den Günstlingen aufgenommen: Menschen schöner Race, vom Stamm der Wanyamwesy, der reine Typus der Volksstämme Central-Afrika’s, stark und kräftig, wohlgestaltet und gesunden Aussehens.

Ihr in eine Unmasse kleiner Flechten getheiltes Haar fiel auf die Schultern herab; durch schwarze oder blaue Einschnitte gaben sie ihren Wangen von den Schläfen bis zum Munde zebraartige Streifen. In ihre widerwärtig auseinander gezerrten Ohren waren hölzerne Scheiben und Platten von Copalgummi eingefügt; sie trugen Kleider von bunt bemalter Leinwand; die Soldaten waren bewaffnet mit der Sagaje, dem Bogen, mit Pfeilen, die mit Widerhaken versehen und mit dem Safte der Wolfsmilch vergiftet waren, mit dem Hieber, und dem »Sime«, einem langen Säbel mit Sägezähnen, und endlich noch mit kleinen Streitäxten.

Der Doctor begab sich in das Innere des Palastes. Trotz der Krankheit des Sultans nahm der schon so schreckliche Lärm bei der Ankunft des Zuges noch bedeutend zu. Fergusson bemerkte an dem Thürverschluß Hasenschwänze und Zebramähnen, welche als Talisman aufgehängt waren. Die Frauenschaar seiner Majestät empfing ihn unter den harmonischen Accorden des »Upatu«, einer Art Pauke, die aus dem Boden eines kupfernen Topfes gemacht war, und unter dem Dröhnen des »Kilindo«, einer aus einem hohlen Baumstamm fabricirten Trommel von fünf Fuß Höhe, an der sich zwei Virtuosen mit kräftigen Faustschlägen abarbeiteten. Die meisten der Frauen schienen sehr hübsch und rauchten unter vielem Lachen Tabak und Tang aus großen schwarzen Pfeifen; sie sahen in ihren langen, graziös drapierten Gewändern nicht übel aus und trugen den »Kilt« aus Kürbissfasern um ihren Gürtel befestigt.

Sechs von ihnen, die von den Uebrigen abgesondert einer grausamen Todesstrafe harrten, waren durchaus nicht die wenigst Heiteren der Bande. Beim Tode des Sultans sollten sie lebendig mit ihm beerdigt werden, um ihn während der ewigen Einsamkeit zu zerstreuen.

Nachdem Doktor Fergusson das ganze Innere des Gebäudes mit einem schnellen Blick überschaut hatte, trat er an das hölzerne Bett des Herrschers. Er sah in ihm einen Mann von etwa vierzig Jahren, dessen Gesundheit Orgien aller Art gänzlich zerrüttet hatten, sodass keine Hilfe für ihn mehr möglich war. Seine Krankheit, die bereits lange Jahre währte, bestand in einer permanenten Trunkenheit. Der königliche Säufer hatte beinahe ganz das Bewusstsein verloren und alles Ammoniak der Welt hätte ihn nicht wieder auf die Beine gebracht.

Günstlinge und Weiber beugten ihre Knie während dieses feierlichen Besuches. Mit einigen Tropfen eines starken Mittels gelang es dem Doctor, den abgestumpften Körper für einige Minuten zu beleben; der Sultan machte eine Bewegung und für einen Leichnam, der seit Stunden kein Lebenszeichen von sich gegeben hatte, wurde dieses Symptom als ein sehr glückliches betrachtet und mit einem Jubelgeschrei zu Ehren des Arztes aufgenommen.

Dieser, der vollständig genug von der Szene hatte, entfernte seine unbequem stürmischen Anbeter mit einer raschen Bewegung, verließ den Palast, und lenkte seine Schritte auf den Victoria zu. Es war mittlerweile sechs Uhr geworden.

Joe wartete während Fergusson’s Abwesenheit ruhig an der Leiter; die Menge erwies ihm die größten Ehrfurchtsbezeugungen, und er ließ sie, als echter Sohn der Luna, gewähren. Für eine Gottheit schaute er recht gemüthlich drein; auch verschmähte er es nicht, sich auf die liebenswürdigste Weise mit den jungen Afrikanerinnen zu unterhalten, die ihrerseits nicht müde wurden, ihn zu betrachten.

»Verehren Sie mich immerhin, meine Damen, sagte er, ich bin, obgleich ein Sohn der Göttin, doch ein guter Teufel.«

Man bot ihm Gaben an, die in den »Mzimu«, (Fetischhütten) niedergelegt zu werden pflegten. Es waren dies Gerstenähren und »Pombe«.

Joe glaubte sich verpflichtet von Letzterem, einer Art sehr starken Bieres, zu kosten, aber seine Kehle konnte es, trotzdem sie gegen Branntwein und Whisky ziemlich abgehärtet war, nicht vertragen. Er schnitt eine furchtbare Grimasse, die indessen von seiner Umgebung als ein huldvolles Lächeln gedeutet wurde.

Sodann vereinigten die jungen Mädchen ihre Stimmen zu einem schleppenden Gesang, und begannen rings um Joe einen Tanz auszuführen.

»Ach so, ihr könnt auch tanzen, sagte er leutselig; nun, was das betrifft, stehe ich euch nicht nach; ich will euch einen Tanz vormachen, der bei uns auf dem Monde getanzt wird.«

Und er begann ausgelassen zu tanzen, drehte und wand sich, wiegte sich hin und her, tanzte mit Füßen, Knieen und Händen, erging sich in den unglaublichsten Stellungen und schnitt dazu die unmöglichsten Gesichter: so gab er der Bevölkerung einen wunderbaren Begriff von der Art und Weise, wie die Götter auf dem Monde tanzen. Bald begannen die Afrikaner, welche ein Nachahmungstalent wie die Affen besaßen, seine Luftsprünge, sein Schütteln und alle seine Bewegungen nachzumachen. Es entging ihnen nicht der geringste Wink; sie wußten jede Haltung auf’s Allergenaueste wiederzugeben. Es entstand ein Tohuwabohu, eine Rührigkeit, ein Hinundherspringen, von dem es uns schwer fallen würde, einen, wenn auch nur schwachen Begriff zu geben. Als das Fest im schönsten Gange war, bemerkte Joe den Doctor, der in größter Eile inmitten einer heulenden, ungeordneten Menge zurückkam. Häuptlinge und Zauberer erschienen sehr aufgeregt; man umringte Fergusson, man umdrängte und bedrohte ihn.

Sonderbarer Umschlag des Schicksals! was hatte sich ereignet? War der Sultan unglücklicher Weise unter den Händen seines himmlischen Arztes verblichen?

Kennedy gewahrte von seinem Posten aus die Gefahr, ohne die Ursache derselben zu begreifen. Der Ballon, stark durch die Ausdehnung des Gases geschwellt, zog den Strick, der ihn zurückhielt, straff an und zeigte große Ungeduld, sich in die Luft zu schwingen.

Der Doctor war jetzt an der Leiter angekommen. Noch hielt eine abergläubische Furcht die Menge zurück und hinderte sie, zu Gewaltthätigkeiten gegen seine Person überzugehen. Er kletterte rasch an den Sprossen empor, und Joe folgte ihm behende.

»Wir haben keinen Augenblick Zeit zu verlieren«, raunte ihm sein Herr zu; »versuche nicht, den Anker loszuhaken! wir werden den Strick durchschneiden! folge mir!«

»Was in aller Welt ist denn geschehen?« fragte Joe, als er in die Gondel stieg.

»Was giebt’s?« rief auch Kennedy, seinen Carabiner zur Hand nehmend.

»Seht dorthin!« antwortete der Doctor und wies auf den Horizont.

»Nun?« fragte der Jäger.

»Nun? der Mond!«

Der Mond erhob sich in der That roth und glänzend, wie eine Feuerkugel auf azurnem Grunde, am Firmament; er war es, er und der Victoria! entweder gab es also zwei Monde, oder die Fremden waren nur Betrüger, Intriguanten, falsche Götter!

Dies die natürlichen Überlegungen der Menge, daher der plötzliche Umschlag.

Joe konnte ein lautes Gelächter nicht zurückhalten. Die Bevölkerung von Kaseh, welche jetzt begriff, daß ihre Beute sich anschickte zu entschlüpfen, stieß ein langgezogenes Geheul aus; man richtete Bogen und Musketen auf den Ballon.

Aber auf ein Zeichen von einem der Zauberer senkten sich die Waffen, derselbe kletterte auf den Baum mit der Absicht, das Ankertau zu ergreifen und die Maschine zur Erde herabzuziehen.

Joe wollte mit einer Streitaxt in der Hand auf ihn zustürzen.

»Soll ich das Tau durchhauen?« rief er.

»Warte!« war die einzige Antwort des Doctors.

»Aber der Neger? …«

»Wir können vielleicht unsern Anker noch retten; es liegt mir viel daran. Zum Durchhauen ist es immer noch Zeit.«

Der Zauberer hatte den Baum erstiegen und es durch Zerbrechen der Zweige dahin gebracht, daß der Anker sich löste; von dem Luftschiff heftig angezogen, packte er den Zauberer, der rittlings auf den Ankerarmen saß, und entführte ihn in die Lüfte.

Das Staunen der Menge, als sie einen ihrer Wanganga auf diese Weise im Weltenraum verschwinden sah, war maßlos.

»Hurrah«, rief Joe, während der Victoria, von einer bedeutenden Steigungskraft gehoben, mit großer Geschwindigkeit emporstieg.

»Er hält sich gut!« meinte Kennedy; »eine kleine Reise in frischer Luft wird ihm gewiß vorzüglich bekommen.«

»Sollen wir nicht den Mohren mit einem Schlage losmachen?« fragte Joe.

»Pfui!« versetzte der Doctor, »wir werden ihn gemächlich wieder zu Boden setzen und ich zweifle nicht, daß dieser Vorfall nur dazu beitragen wird, seinen Ruf als Magiker unter dem Volke zu erhöhen.«

»Sie sind im Stande, ihn von jetzt an als einen Gott zu verehren,« rief Joe.

Der Victoria war auf eine Höhe von etwa tausend Fuß gelangt; der Neger klammerte sich in Todesangst mit furchtbarer Energie an das Ankertau. Er schwieg, seine Augen waren starr geworden, und sein Schrecken mischte sich mit Erstaunen. Ein leichter Westwind trieb den Ballon über die Stadt hinaus.

Eine halbe Stunde später, als der Doctor sah, daß das Terrain menschenleer war, mäßigte er die Flamme des Knallgasgebläses, und näherte sich wieder der Erde. Als sie noch etwa zwanzig Fuß vom Boden entfernt waren, faßte der Neger einen schnellen Entschluß; er sprang herunter, fiel wie eine Katze auf seine Beine, und lief in eiliger Flucht in der Richtung nach Kaseh zu, während der Victoria, plötzlich entlastet, wieder in die Lüfte stieg.