Fünfunddreißigstes Capitel

Fünfunddreißigstes Capitel

Die Geschichte Joe’s. – Die Insel der Biddiomahs. – Anbetung. – Die verschlungene Insel. – Die Ufer des Sees. – Der Schlangenbaum. – Fußreise. – Leiden. – Moskitos und Ameisen. – Hunger. – Vorüberziehen des Victoria. – Verschwinden des Victoria. – Verzweiflung. – Der Morast. – Ein letzter Schrei.

Was war, während all dieser vergeblichen Nachforschungen seines Herrn, aus Joe geworden?

Als er sich in den See gestürzt hatte und wieder an die Oberfläche kam, war seine erste Bewegung, die Augen aufzuschlagen und emporzuschauen.

Er bemerkte, daß der Victoria schon wieder hoch über dem See schwebte, und noch unablässig stieg. Allmälig wurde er kleiner und kleiner, endlich erfaßte ihn eine schnelle nördliche Strömung, und er verschwand hinter dem Horizont.

»Es ist wirklich ein Glück,« sprach Joe zu sich selbst, »daß ich diesen Gedanken gehabt habe. Jedenfalls wäre sonst Herr Kennedy noch darauf gekommen, und er hätte ebenso wenig gezögert, ihn auszuführen wie ich, denn es ist ja ganz natürlich, daß ein Mensch sich opfert, um zwei zu retten. Das ist mathematisch richtig.«

Als Joe sich über diesen Punkt beruhigt hatte, begann er, an sich zu denken; er befand sich mitten in einem unermeßlichen, von unbekannten, wilden Völkerschaften umgebenen See. Ein Grund mehr um sich zu retten, ohne die Hilfe Anderer in Anspruch zu nehmen; das erschreckte ihn also weiter nicht.

Vor dem Anfall der Raubvögel, die sich übrigens seiner Meinung nach wie richtige Lämmergeier benommen haben, hatte er am Horizont eine Insel bemerkt; er beschloß jetzt, auf sie zuzusteuern und begann, nachdem er sich der hinderlichsten Theile seiner Kleidung entledigt hatte, alle seine Schwimmkunststücke zu entfalten. Eine Wasserpromenade von sechs bis sieben Meilen machte ihm keine besondern Schwierigkeiten, und so dachte er jetzt nur daran, kräftig und geraden Weges auf die Insel los zu schwimmen.

Nach ein und einer halben Stunde fand er bereits die Entfernung, welche ihn von der Insel trennte, sehr verringert.

Aber jemehr er sich dem Lande näherte, bemächtigte sich ein Gedanke seines Geistes, der zuerst nur flüchtig auftauchte, sich dann aber nicht mehr zurückdrängen ließ. Er wußte, daß die Ufer des Sees von ungeheuren Alligatoren unsicher gemacht würden, und kannte sehr wohl die Gefräßigkeit dieser Thiere.

So sehr der brave Bursche sich auch daran gewöhnt hatte, Alles in der Welt natürlich zu finden, fühlte er gegen die weitere Ausführung dieses Gedankens doch eine unbesiegbare Abneigung. Er fürchtete, das Fleisch eines Weißen möchte den Krokodilen ganz besonders zusagen, und rückte deshalb nur äußerst bedächtig und scharf umherlugend vor. Er war nur noch etwa zweihundert Schwimmstöße von einem, mit grünen Bäumen beschatteten Ufer entfernt, als ein mit dem penetranten Geruch des Moschus gefüllter Luftzug zu ihm hinüberwehte.

»Ganz wie ich dachte!« sagte er zu sich; »der Kaiman ist nicht weit!«

Er tauchte eilig unter, aber doch nicht schnell genug, um den Contact mit einem enormen Körper zu vermeiden, dessen schuppige Haut ihn hart streifte. Er hielt sich für verloren und begann, mit verzweifelter Schnelligkeit zu schwimmen; er kam wieder auf die Oberfläche des Wassers, schöpfte von Neuem Athem und verschwand dann wieder. Fünfzehn Minuten lang stand er eine unsägliche Angst aus, die seiner ganzen Philosophie spottete, und zuweilen glaubte er das Geräusch der ungeheuren Kinnlade hinter sich zu vernehmen, die sich bereit machte, ihn fortzuschnappen.

Er schwamm so leise wie möglich unter dem Wasser fort, da fühlte er plötzlich, wie man ihn zuerst am Arm und dann um den Leib faßte.

Der arme Joe! er dachte noch ein letztes Mal an seinen Herrn, und begann dann ein verzweifeltes Ringen, während dessen er nur darüber erstaunt war, daß er nicht weiter hinab gezogen wurde. Er wußte sehr wohl, daß Krokodile ihre Beute auf dem Grunde der Gewässer zu verschlingen pflegen. Er aber fühlte sich auf die Oberfläche geschleppt.

Kaum hatte er hier Athem geholt und die Augen geöffnet, als er sich zwischen zwei ebenholzschwarzen Negern erblickte, die ihn mit kräftigen Fäusten gepackt hielten und ein sonderbares Geschrei ausstießen.

»Sieh doch, Neger anstatt Kaimans!« rief Joe erstaunt aus; »ich ziehe sie wahrhaftig noch den Bestien vor! aber wie können diese Kerle wagen, sich hier zu baden?«

Es war ihm nicht bekannt, daß die Bewohner der Tschad-See-Inseln ungefährdet in die Alligatoren-Gewässer tauchen, ohne sich auch nur um die Gegenwart der Thiere zu kümmern; diese genießen den wohlverdienten Ruf unschädlicher Saurier.

War Joe aber nicht aus einer Gefahr in die andere gerathen? er wollte dies wenigstens abwarten und ließ sich inzwischen, da ihm nichts anders übrig blieb, an’s Ufer geleiten.

»Augenscheinlich,« sagte er zu sich, »haben diese Leute den Victoria wie ein Ungeheuer der Lüfte über den See streichen sehen! Sie sind von ferne Zeugen meines Falls gewesen und werden jedenfalls die gebührende Rücksicht für einen Mann an den Tag legen, der vom Himmel gefallen ist; lassen wir ihnen einstweilen ihr Vergnügen!«

So weit war Joe mit seinen Erwägungen gekommen, als er unter dem heulenden Zuruf einer Menge jeden Geschlechts, jeden Alters, aber nicht jeder Farbe an’s Land stieg. Er war bei einem Stamm der Biddiomahs, die sich durch ein prächtiges Schwarz auszeichnen. Er brauchte nicht einmal über die Leichtigkeit seiner Tracht zu erröthen; er war »entkleidet« nach der neuesten Mode des Landes.

Aber ehe er Zeit hatte, sich von seiner Lage Rechenschaft abzulegen, sah er bereits, daß ihm die offenkundigste Verehrung entgegengetragen wurde. Dies gewährte ihm eine gewisse Beruhigung, obgleich ihm das Abenteuer in Kaseh noch wohl im Gedächtniß war.

»Ich ahne schon, daß ich wieder ein Gott werden soll; wahrscheinlich irgend ein beliebiger Sohn der Luna! nun, schließlich ist dies Geschäft ebenso gut wie jedes andere, wenn man keine Wahl hat. Das Wichtigste ist jedenfalls, Zeit zu gewinnen. Wenn der Victoria wieder vorübersegelt, werde ich meine neue Stellung benutzen, um meinen Anbetern das Schauspiel einer wunderbaren Himmelfahrt zu gewähren.«

Während Joe diese Betrachtungen anstellte, schloß die Menge einen immer engern Kreis um ihn; sie warf sich auf den Boden, heulte, betastete ihn und wurde nach und nach zutraulich; aber man dachte auch daran, ihm ein köstliches Mahl anzubieten, das aus saurer Milch mit in Honig gestoßenem Reis bestand. Der wackere Junge ließ diesen Vortheil nicht unbenützt vorübergehen, hielt sofort eine der besten Mahlzeiten seines Lebens, und brachte dem Volk einen hohen Begriff von der Art und Weise bei, wie sich die Götter bei solchen Gelegenheiten delectiren.

Als der Abend herangekommen war, nahmen die Zauberer der Insel Joe ehrfurchtsvoll bei der Hand und führten ihn zu einer Hütte, die von Amuletten umgeben war. Bevor Joe hineinging, warf er einen etwas besorgten Blick auf die Knochenhaufen, die sich um dies Heiligthum erhoben; als er in seine Hütte eingeschlossen war, hatte er volle Zeit, über seine Lage nachzudenken.

Während des Abends und eines Theiles der Nacht hörte er Festgesänge, und außerdem vollführte man einen Lärm, der für afrikanische Ohren ohne Zweifel sehr lieblich klang, indem man eine Art Trommel rührte und altes Eisen an einander schlug; kräftig gebrüllte Chöre begleiteten Tänze mit Körperverdrehungen und Grimassen, die um die heilige Hütte aufgeführt wurden.

Joe konnte dies Treiben durch die aus Schmutz und Schilf aufgeführten Wände des Häuschens genau beobachten, und zu jeder andern Zeit hätte er gewiß das lebhafteste Vergnügen an all‘ diesen Ceremonien gefunden, aber sein Geist wurde bald von sehr unangenehmen Erwägungen heimgesucht. Wenn er auch noch so sehr geneigt war, die Dinge von ihrer guten Seite aufzufassen, so ließ sich die Thatsache doch nicht wegphilosophiren, daß er allein in diese terra incognita, unter einen wilden Volksstamm gerathen war, und diese Thatsache war wohl geeignet, trübe Gedanken in ihm wachzurufen. Wie wenige der Reisenden, die sich bis in diese Gegenden gewagt, hatten ihr Vaterland wiedergesehen!

Trotz dieser unglücklichen Perspective trug nach einigen Stunden die Müdigkeit den Sieg über jene schwarzen Gedanken davon, und Joe fiel in einen tiefen Schlaf, der jedenfalls bis Tagesanbruch gedauert hätte, wäre er nicht durch eine Feuchtigkeit, die sich rings in der Hütte verbreitete, gestört worden.

Bald verwandelte sich diese Feuchtigkeit in wirkliche Wassermassen, die hoch genug stiegen, um Joe bis an den Leib zu reichen.

»Was giebts?« rief dieser; »eine Überschwemmung! wahrscheinlich eine neue Todesqual der verdammten Neger! ich werde wahrhaftig nicht warten, bis mir das Wasser über dem Kopf zusammenschlägt!«

Mit diesen Worten stieß er die Mauer kräftig ein und befand sich – mitten auf dem See! Die Insel existirte nicht mehr, sie war während der Nacht im Wasser verschwunden, und an der Stelle, wo sie gegrünt, breitete sich die weite Fläche des Tschad-Sees.

»Ein trauriges Land für Grundbesitzer!« dachte Joe, und machte sich von Neuem an seine Schwimmübungen.

Eine der am Tschad-See ziemlich häufigen Naturerscheinungen hatte den wackern Joe befreit. Mehr als eine Insel, welche die Festigkeit eines Felsens zu haben schien, ist auf diese Weise verschwunden, und oft mußten die Ufervölker die Unglücklichen, welche solchen schrecklichen Katastrophen entgangen waren, bei sich aufnehmen.

Joe kannte diese Eigentümlichkeit der Tschad-Inseln nicht, aber er ließ die Gelegenheit, sie zu benutzen, nicht vorübergehen.

Bald erspähte er eine treibende Barke, eine Art grob ausgehöhlten Baumstamms, und näherte sich ihr schleunigst. Ein paar Pagajen (Ruder) befanden sich gücklicher Weise darin, und Joe schoß bald in einer ziemlich schnellen Strömung über den See.

»Orientiren wir uns,« sagte er. »Der Polarstern wird mir dabei zu Hilfe kommen, er pflegt ja sonst seinem Geschäft, einem Jeden die nördliche Richtung anzugeben, ehrlich nachzukommen.«

Joe erkannte zu seiner großen Befriedigung, daß der Strom ihn zum nördlichen Ufer des Tschad-Sees trug, und ließ ihn gewähren. Gegen zwei Uhr Morgens faßte er auf einem, mit dornigem Schilf bedeckten Vorsprunge festen Fuß; es war hier ein Baum emporgeschossen, der ihm ein Obdach in seinen Zweigen darbot. Joe kletterte, der größern Sicherheit wegen, hinein und erwartete, ohne viel zu schlafen, das Tageslicht.

Als der Morgen schnell und plötzlich angebrochen war, wie dies in den Aequatorialgegenden gewöhnlich ist, warf Joe einen Blick auf den Baum, der ihn beherbergt hatte; ein ziemlich unerwartetes Schauspiel erschreckte ihn. Die Zweige waren mit Schlangen und Chamäleons buchstäblich bedeckt; das Laub verschwand unter ihren Umschlingungen; man hätte glauben können, es sei ein Baum ganz seltsamer Art, der als Früchte diese wunderlichen Thiere hervorbringe. Bei den ersten Sonnenstrahlen fingen die Reptilien an, sich zu regen, und Joe stürzte unter dem Pfeifen und Zischen des Gewürms hinunter.

»Das ist wieder etwas, das man in Europa nicht glaublich finden wird,« dachte er.

Es war ihm unbekannt, daß die letzten Briefe des Doctor Vogel bereits von dieser Eigenthümlichkeit der Tschad-Ufer berichtet und dabei erwähnt hatten, daß sich hier Reptilien in einer Masse vorfänden, wie in keinem andern Theile der Welt.

Nach dem Erlebniß dieser Nacht beschloß Joe jedoch, in Zukunft mehr um sich zu schauen. Er machte sich nun in nordöstlicher Richtung auf den Weg, wobei er Hütten, Häuser, Gruben und Alles, was menschlichen Wohnungen glich, so viel wie möglich vermied.

Wie oft wandten sich seine Blicke in die Luft; immer hoffte er den Victoria zu bemerken, und obgleich er den ganzen Tag vergebens nach ihm ausgeschaut hatte, wurde sein Vertrauen auf Samuel Fergusson doch nicht geringer. Es war eine große Thatkraft des Charakters dazu nothwendig, um diese Situation so philosophisch aufzunehmen.

Der Hunger gesellte sich bald zur Ermüdung; denn eine Nahrung aus Wurzeln, dem Mark der Sträucher, dem »mele«, oder den Früchten der Dum-Palme erhält keinen Menschen bei der Anstrengung eines dreißig Meilen weiten Marsches, und so weit war er inzwischen nach Westen vorgedrungen. Sein Körper trug wohl an zwanzig Stellen die Spuren der Dornen, von denen das Rohr des Sees, die Akazien und Mimosen starren, und seine blutrünstigen Füße machten ihm beim Gehen große Schmerzen. Aber trotzdem konnte er doch gegen die Leiden Stand halten, und er beschloß, die Nacht an den Ufern des Sees zuzubringen.

Hier hatte er viel von den abscheulichen Stichen zahlloser Insecten zu ertragen; Fliegen, Moskitos und Ameisen, die einen halben Zoll an Länge haben, bedecken dort im eigentlichsten Sinne des Worts die Erde. Nach zwei Stunden der Ruhe war Joe auch nicht ein Fetzen von seinen wenigen Kleidungsstücken geblieben; die Insecten hatten Alles verschlungen.

Es war eine entsetzliche Nacht, die dem ermüdeten Wanderer auch nicht eine Stunde der Ruhe gönnte. Rings umher erscholl das schauerliche Concert der wilden Thiere im Dunkel der Nacht; der Eber, die wilden Büffel, das Ajub (eine Art ziemlich gefährlicher Seekuh) kreisten fortwährend um den Ruheplatz Joe’s oder hielten sich in den Büschen und unter dem Uferwasser des Sees.

Endlich nahte der Tag; Joe stand eilig auf, und sah zu seinem unbeschreiblichen Ekel, daß eine ungeheure Kröte, ein unsauberes, widerliches Thier, das ihn jetzt mit großen, runden Augen anglotzte, sein Lager getheilt hatte. Joe fühlte sich von Ekel dnrchschauert; endlich aber raffte er sich auf, schüttelte diese widerwärtige Empfindung ab, und machte sich eilig daran, seine Glieder in das Wasser des Sees zu tauchen. Das Bad besänftigte einigermaßen das Uebelkeitsgefühl, welches sich seiner bemächtigt hatte, und nachdem er einige Blätter gekaut, verfolgte er mit einer Hartnäckigkeit, von der er sich keine Rechenschaft ablegen konnte, wieder seinen Weg. Er hatte kein volles, klares Bewußtsein mehr von seinen Handlungen, und doch fühlte er eine Macht in sich, welche über die Verzweiflung die Oberhand gewann.

Indessen begann ihn ein furchtbarer Hunger zu quälen; sein Magen, der weniger resignirt als sein Herr zu sein schien, wurde rebellisch; doch Joe schnürte eine Liane straff um seinen Körper. Glücklicher Weise konnte er nach Belieben seinen Durst löschen, und als er sich an die Leiden der Wüste erinnerte, fand er ein relatives Glück darin, nicht die Marter dieses gebieterischen Bedürfnisses erdulden zu müssen.

»Wo kann der Victoria sein? fragte er sich … der Wind weht aus Norden! Er hätte auf den See zurückkehren müssen. Gewiß hat Herr Samuel eine neue Einrichtung getroffen, um das Gleichgewicht wieder herzustellen; aber der gestrige Tag sollte doch zu diesen Arbeiten genügt haben; heute wäre es also nicht unmöglich, daß …. Aber ich will handeln, als ob ich ihn nie wiedersehen sollte. Gelänge es mir schließlich, eine der großen Städte des Sees zu erreichen, so würde ich mich in der Lage der Reisenden befinden, von denen mein Herr uns erzählt hat. Warum sollte ich nicht ebenso gut fertig werden können, wie sie? Manche von ihnen sind wieder zurückgekehrt, warum sollte ich nicht …. Wohlan! Muth denn!«

Während der tapfere Joe dies Selbstgespräch hielt und dabei immer weiter marschirte, bemerkte er in einer kleinen Entfernung eine Schaar Wilder. Er machte noch zeitig genug Halt, um nicht gesehen zu werden, und schaute durch die Büsche, um zu erspähen, was sie vorhätten. Man war gerade daran, die Pfeile mit dem Saft der Wolfsmilch zu vergiften, eine Hauptbeschäftigung der Völkerschaften dieser Gegend, die stets mit einer gewissen Feierlichkeit vorgenommen wird.

Joe, der sich nicht zu bewegen wagte und den Athem anhielt, hatte sich in einem Dickicht verborgen, als er unwillkürlich die Blicke emporwendete und durch eine lichte Stelle im Laubwerk den Victoria bemerkte, wirklich und wahrhaftig den Victoria, der kaum hundert Fuß über ihm auf den See zusegelte. Es war gegenwärtig vollständig unmöglich, daß er vom Ballon aus gehört oder gesehen werden konnte.

Eine Thräne trat ihm in die Augen, nicht etwa aus Verzweiflung, sondern aus Dankbarkeit. »Sein Herr suchte nach ihm! sein Herr wollte ihn nicht im Stich lassen.« Jetzt aber mußte der arme Bursche den Aufbruch der Schwarzen abwarten, ehe er sein Versteck verlassen und nach den Ufern des Tschad eilen konnte.

Aber sieh! in diesem Augenblick verlor sich der Victoria am Horizont. Joe beschloß, auf ihn zu warten: gewiß würde er wieder vorüberkommen. Und er kam wirklich noch einmal vorbei, aber mehr im Osten. Joe lief, gesticulirte und schrie … aber vergebens! ein heftiger Wind riß den Ballon mit unwiderstehlicher Schnelligkeit davon!

Zum ersten Mal verließen Energie und Hoffnung den Unglücklichen, und er sah sich verloren; mußte er nicht glauben, daß sein Herr auf Nimmerwiedersehn davongefahren sei? er wagte nicht mehr, über seine Lage nachzudenken, noch sonstige Ueberlegungen anzustellen.

Er marschirte, trotzdem seine Füße von Blut trieften und sein Körper gequetscht und geschunden war, wie ein Narr den ganzen Tag und einen Theil der Nacht darauf los; er schleppte sich bald auf den Knieen, bald auf den Händen weiter, und sah jeden Augenblick den Zeitpunkt kommen, wo ihm die Kraft ausgehen und er sterben müßte.

Als er sich so eine Weile vorwärts bewegt hatte, kam er an einen Morast, oder doch an eine Stelle, die er mit der Zeit als Morast erkannte, denn die Nacht hatte sich seit einigen Stunden bereits herabgesenkt; Joe fiel, ehe er sich’s versah, in einen zähen Schlamm und fühlte, wie er trotz seines verzweifelten Widerstandes allmälig immer tiefer in den sumpfigen Boden versank; nach wenigen Minuten steckte er schon bis zum Gürtel in dem dunkeln Schlamm.

»Das also ist der Tod! dachte er; und was für ein Tod!« …

Mit rasender Anstrengung suchte er sich emporzuarbeiten, aber die Bemühungen des Unglücklichen dienten nur dazu, das Grab, welches er sich auf diese Weise selbst aushöhlte, noch schneller zu bereiten. Kein Stück Holz, nicht ein Rohr, an dem er sich hätte halten können! Er begriff mit furchtbarer Deutlichkeit, daß es um ihn geschehen war! … Seine Augen schlossen sich.

»Mein Herr! mein Herr! zu Hilfe! zu Hilfe!« … schrie er.

Und die verzweifelte, einsame, schon halb erstickte Stimme verlor sich in der Nacht.

Sechsunddreißigstes Capitel

Sechsunddreißigstes Capitel

Ein dunkler Punkt am Horizont. – Eine Arabertruppe. – Die Verfolgung. – Er ist’s! – Sturz vom Pferde. – Der erwürgte Araber. – Eine Kugel Kennedys. – Manöver. – Entführung im Fluge. – Joe gerettet.

Seitdem Kennedy den Beobachtungsposten in der Gondel eingenommen hatte, spähte er unablässig und mit gespanntester Aufmerksamkeit am Horizonte umher.

Nach einiger Zeit wandte er sich zum Doctor:

»Wenn ich mich nicht täusche, sehe ich dort einen Trupp Menschen oder Thiere, der sich vorwärts bewegt; und zwar geschieht dies mit außerordentlicher Kraft, denn es werden enorme Staubmassen dabei aufgewirbelt.«

»Sollte es nicht ein widriger Wind sein, eine Windsbraut, die uns wieder nach Norden verschlagen will?«

Mit diesen Worten stand Fergusson auf, um selber den Horizont zu prüfen.

»Das glaube ich nicht, Samuel,« erwiderte Kennedy; »es ist eine Herde wilder Rinder oder Gazellen.«

»Möglich, Dick; aber vorläufig ist sie noch neun oder zehn Meilen von uns entfernt, und was mich betrifft, so kann ich selbst mit dem Fernglase noch nichts Bestimmtes erkennen.«

»Jedenfalls werde ich den Punkt nicht aus den Augen verlieren; es muß etwas Außerordentliches sein und reizt mich ganz besonders. Zuweilen würde man es für ein Kavalleriemanöver halten können; ich täusche mich auch nicht, es sind Reiter! sieh doch!«

Der Doctor fixirte aufmerksam die erwähnte Gruppe.

»Ich glaube wirklich, Du hast Recht, Dick; es ist eine Abtheilung Araber oder Tibbus. Sie entfliehen in derselben Richtung wie wir, aber wir bewegen uns schneller vorwärts und holen sie bald ein. In einer halben Stunde werden wir im Stande sein, zu sehen und nach der Sachlage zu handeln.«

Kennedy hatte wieder zum Fernglase gegriffen und bemühte sich, Genaueres zu erkennen. Die Reitermasse wurde deutlicher sichtbar, ja man konnte unterscheiden, daß ein kleiner Theil derselben sich absonderte.

»Augenscheinlich ist es ein Manöver oder eine Jagd, versetzte Kennedy. Die Leute scheinen irgend etwas zu verfolgen. Ich möchte wohl über ihr Vorhaben in’s Klare kommen.

– Geduld, Dick, in kurzer Zeit werden wir die Reiter einholen und, wenn sie dieselbe Richtung beibehalten, sogar über sie hinauskommen. Wir machen jetzt zwanzig Meilen in der Stunde, und das kann kein Pferd leisten.«

Nach einigen Minuten scharfer Beobachtung hub Kennedy von Neuem an:

»Es sind etwa fünfzig Araber im schnellsten Ritt; ich kann sie jetzt deutlich unterscheiden; ihre Burnusse schwellen im Winde; es ist eine Reiterübung; jetzt ist ihr Anführer etwa hundert Schritte voraus, und Alle stürzen hinter ihm her.

– Mögen sie sein, wer sie wollen. Dick, wir haben sie nicht zu fürchten, und im Nothfall werde ich steigen.

– Warte noch, Samuel, warte!

– Sonderbar! fügte er nach einer Weile hinzu; diese Araber haben mehr das Ansehen, als ob sie auf der Verfolgung wären, wenn ich nämlich nach ihren Anstrengungen und der Unregelmäßigkeit ihrer Linie urtheilen darf.

– Bist Du dessen ganz sicher?

– Es ist offenbar so, ich täusche mich nicht; sie machen Jagd, und zwar Jagd auf einen Menschen. Der Eine, von dem ich sagte, daß er hundert Schritt voraus wäre, ist nicht ihr Führer, sondern ein Flüchtling.

– Ein Flüchtling! sagte Samuel bewegt. Wir wollen ihn nicht aus dem Gesicht verlieren, aber vorläufig noch warten.«

In nicht gar langer Zeit hatte man den Reitern, die mit der äußersten Geschwindigkeit dahinschossen, drei bis vier Meilen abgewonnen.

»Samuel! Samuel! rief Kennedy mit bebender Stimme.

– Was hast Du, Dick?

– Ist es eine Sinnestäuschung? wäre es möglich?

– Nun?

– Er ist’s, Samuel, er ist’s!

– Er!« rief nun auch Fergusson.

Er! Das sagte Alles; man brauchte keinen Namen zu nennen!

»Er ist zu Pferde, kaum hundert Schritt vor seinen Verfolgern voraus! er flieht!

– Wirklich, es ist Joe! sagte der Doctor erbleichend.

– Er kann uns auf seiner Flucht nicht bemerken!

– Bald wird er uns sehen, versetzte Fergusson und mäßigte die Flamme in seinem Knallgasgebläse.

– Wodurch willst Du das erreichen?

– In fünf Minuten sind wir fünfzig Fuß vom Boden, und in fünfzehn Minuten dicht über ihm.

– Wir wollen ihn durch einen Flintenschuß aufmerksam machen.

– Nein, das geht nicht, denn er kann nicht umkehren. Er ist abgeschnitten.

– Was sollen wir thun?

– Warten.

– Warten, wenn diese Araber ihm auf den Fersen sind?

– Wir holen sie ein und gehen über sie hinaus!

Jetzt sind wir nicht mehr zwei Meilen von ihm entfernt, und wenn nur Joe’s Pferd noch aushält …

– Großer Gott! schrie Kennedy.

– Was giebts?«

Kennedy hatte einen Schrei des Schreckens ausgestoßen, als er sah, wie Joe zur Erde stürzte; sein Pferd, das augenscheinlich ermattet und vollkommen erschöpft war, lag auf dem Boden.

»Er hat uns gesehen! rief der Doctor frohlockend; als er soeben wiederaufstand, gab er uns ein Zeichen!

– Aber die Araber werden ihn einholen! weshalb wartet er? Ach, der muthige Bursche! Hurrah!« jubelte der Jäger, der seine Freude nicht mehr beherrschen konnte.

Joe war sofort nach seinem Sturze wieder aufgesprungen, und als gleich darauf der schnellste von den Reitern ihn erreicht hatte, ging er ihm durch einen Seitensprung aus dem Wege, fuhr dann wie ein Panther auf den Araber los, packte ihn an der Gurgel, erwürgte ihn mit eigener Hand, und setzte, nachdem er den Leichnam auf den Sand niedergestoßen, seine Flucht fort.

Ein Wuthgeschrei der Araber drang durch die Lüfte.

Aber da sie ganz und gar mit ihrer Verfolgung beschäftigt waren, hatten sie den Victoria noch nicht bemerkt, obgleich derselbe nur fünfhundert Schritt hinter ihnen und kaum dreißig Fuß vom Boden entfernt war. Sie selber waren jetzt dem Flüchtling bis auf etwa zwanzig Pferdelängen nachgekommen.

Einer der Verfolger näherte sich Joe immer mehr und wollte ihn gerade mit einer Lanze durchbohren, als Kennedy Jenem sichern Auges und mit fester Hand ein schnelles Halt durch eine Kugel gebot, welche ihn todt zu Boden streckte.

Joe wandte sich bei dem Knall nicht einmal um. Ein Theil der Truppe zögerte in ihrem Lauf, und Einige fielen beim Anblick des Victoria mit dem Gesicht in den Staub, aber die Andern setzten ihre Verfolgung fort.

»Was in aller Welt macht denn Joe? rief Kennedy. Er bleibt nicht stehen!

– Joe benimmt sich ganz vorzüglich, Dick, ich habe ihn errathen; er hält sich in der Richtung des Luftschiffes und rechnet auf unser Verständniß. Ah, der wackere Junge! wir werden ihn diesen Arabern vor der Nase entführen! Jetzt ist er nur noch zweihundert Schritte von uns entfernt.

– Was soll ich thun? fragte Kennedy.

– Vor allen Dingen Deine Flinte bei Seite lassen.

– Gut! … Kennedy legte seine Waffe ab.

– Kannst Du hundertundfünfzig Pfund Ballast in Deinen Armen halten?

– Noch mehr.

– Nein, das wird genügen.«

Und der Doctor thürmte auf Kennedy’s Armen Sandsäcke auf.

»Halte Dich im Hintergründe der Gondel und sei bereit, diesen Ballast mit einem einzigen Wurf hinauszuschleudern. Aber bei Deinem Leben! thu es nicht vor meinem Befehl.

– Sei ruhig.

– Im andern Fall würden mir Joe missen, und er wäre verloren!

– Verlaß Dich auf mich!«

Der Victoria schwebte nun beinahe über der Reitertruppe, die mit verhängtem Zügel hinter Joe herflog. Der Doctor stand am vordern Gondelrand und hielt die aufgewickelte Leiter in seiner Hand, um sie im geeigneten Augenblick herabzulassen. Joe hatte sich vor seinen Feinden noch einen Vorsprung von fünfzig Fuß bewahrt. Der Victoria flog über diesen Raum hinweg.

»Achtung, Kennedy!

– Ich bin bereit!

– Joe, paß auf!« schrie der Doctor mit lautschallender Stimme, indem er ihm die Leiter zuwarf, deren erste Sprossen den Staub des Bodens berührten.

Bei dem Ruf des Doctors hatte sich Joe, ohne sein Pferd anzuhalten, umgewandt, die Leiter kam in seine Nähe, er umklammerte sie, und in demselben Augenblick rief der Doctor Kennedy zu:

»Jetzt!

– Es ist geschehen!«

Und der Victoria, um eine Last, die schwerer als Joe wog, erleichtert, stieg hundertundfünfzig Fuß hoch in die Lüfte.

Joe hielt sich, während die Leiter in großen Schwingungen umherschwebte, krampfhaft an derselben fest, dann machte er den Arabern eine unbeschreibliche Geberde und kletterte mit der Behendigkeit eines Clown zu seinen Gefährten hinauf, die ihn mit offenen Armen empfingen.

Die Araber hatten einen Schrei der Überraschung und der Wuth ausgestoßen, als ihnen der Flüchtling so im Fluge entführt worden war, und der Victoria sich so schnell entfernt hatte.

Als Joe in der Gondel anlangte, stieß er nur die Worte:

»Herr Doctor! Herr Dick!« hervor und fiel dann, der ungeheuren Anstrengung und Ermüdung erliegend, in eine tiefe Ohnmacht, während Kennedy, fast wahnsinnig vor Freude, ausrief:

»Gerettet! gerettet!

– Wir haben ihn wieder!« sprach der Doctor, der seine gleichmäßig ruhige Stimmung zurückgewonnen hatte.

Joe war fast völlig nackt, und dies, wie seine blutenden Arme und sein überall verletzter Körper, erzählten genugsam von den Leiden, die er ertragen. Der Doctor verband die Wunden und bettete ihn sorgsam unter dem Zelte.

Bald jedoch hatte sich Joe von seiner Ohnmacht erholt und verlangte ein Glas Branntwein, das ihm Fergusson gern zugestand, da er glaubte, daß man Joe nicht wie andere Leute zu behandeln brauche. Nachdem der brave Bursche getrunken hatte, drückte er dem Doctor und Kennedy die Hand und erklärte sich bereit, seine Erlebnisse zu erzählen.

Aber Fergusson gestattete ihm noch nicht, zu sprechen, und so fiel er bald abermals zurück, um in einen tiefen Schlaf zu versinken, dessen er sehr zu bedürfen schien.

Der Victoria schlug nun eine schräge Richtung nach Westen ein. Unter dem Wehen eines starken Windes sah er nochmals den Saum der dornigen Wüste, über Palmen hinweg, die vom Winde gebeugt oder entwurzelt wurden; und nachdem man seit Joe’s Entführung eine Reise von beinahe zweihundert Meilen zurückgelegt hatte, überschritt der Victoria gegen Abend den zehnten Längegrad.

Siebenunddreißigstes Capitel

Siebenunddreißigstes Capitel

Die Straße nach Westen. – Joe’s Erwachen. – Sein Eigensinn. – Ende von Joe’s Geschichte. – Tagelel. – Kennedy’s Besorgnisse. – Straße im Norden. – Eine Nacht bei Aghades.

Der Wind schien sich in der Nacht von seinen Strapazen am vorhergehenden Tage auszuruhen, und der Victoria weilte friedlich über dem Wipfel einer großen Sykomore; der Doctor und Kennedy hatten abwechselnd die Wache, und Joe machte sich das zu Nutze, um tüchtig zu schlafen, und zwar vierundzwanzig Stunden in einem Zuge.

»Es ist das beste Heilmittel für ihn, sagte Fergusson; die Natur wird seine Herstellung schon allein besorgen.«

Am Tage begann wieder ein heftiger, jedoch launischer Wind zu wehen; er wechselte oft seine Richtung, trieb den Victoria nach Süden, um ihn dann wieder nach Norden zu tragen, schließlich aber riß er den Ballon in westlicher Richtung fort.

Der Doctor recognoscirte, mit der Karte in der Hand, das Königreich Damerghu, ein wellenförmiges, sehr fruchtbares Gebiet, auf welchem die Hütten aus einer Mischung von langem Schilf und Asklepiazweigen erbaut waren; auf den beackerten Feldern erhoben sich Kornmühlen auf kleinen Gestellen, die sie vor der Zudringlichkeit der Mäuse und Termiten schützen sollten.

Bald erreichte man die Stadt Zinder, die sich durch ihren großen Richtplatz auszeichnet; im Mittelpunkt ist der Baum des Todes errichtet; der Henker wacht am Fuße desselben, und wer in seinen Schatten kommt, wird sofort gehangen.

Kennedy sah nach dem Compaß und konnte die Bemerkung nicht unterdrücken: »Nun gehen wir wieder nach Norden.

– Was thut’s! wenn der Weg uns nach Timbuktu führt, werden wir uns nicht darüber beklagen! Niemals ist dann eine schönere Reise unter besseren Umständen zu Stande gekommen! . . .

– Oder bei besserm Gesundheitszustande, fügte Joe rasch hinzu, und ließ sein gutmüthiges Gesicht freudig durch die Zeltvorhänge blicken.

– Da ist ja auch Freund Joe, unser Retter! rief Kennedy; wie geht’s denn?

– Wie natürlich, Herr Kennedy, wie natürlich! noch nie habe ich mich wohler befunden! Nichts reinigt den alten Menschen so gut, als ein Bad im Tschad-See und nachher eine kleine Vergnügungsreise. Sind Sie nicht auch der Meinung?

– Gute Seele! antwortete Fergusson, indem er ihm die Hand drückte; wie viel Angst und Unruhe haben wir um Dich empfunden.

– Und ich um Sie! oder glauben Sie, daß ich über Ihr Geschick ganz ruhig gewesen wäre? Sie können versichert sein, daß ich keine kleine Angst Ihretwegen ausgestanden habe!

– Wir werden uns nie verständigen, wenn Du die Dinge von dieser Seite auffassest.

– Ich sehe, daß sein Sturz ihn nicht verändert hat! fügte Kennedy hinzu.

– Deine edle Aufopferung hat uns gerettet, mein Junge, denn ohne sie wäre der Victoria in den See gefallen, und dann hätte ihn Niemand wieder herausziehen können.

– Wenn wirklich meine Aufopferung, wie Sie meinen Purzelbaum zu nennen belieben, Sie gerettet hat, Herr Doctor, so hat er jedenfalls auch mich selber mitgerettet, denn wir sind jetzt alle drei wieder wohlbehalten bei einander. Wir haben uns also gegenseitig nichts vorzuwerfen.

– Man wird sich mit dem Burschen nie verständigen, meinte der Jäger.

– Das beste Mittel zu einer Verständigung besteht darin, daß wir nicht mehr von der Geschichte sprechen. Was geschehen ist, ist geschehen! Mag es nun gut oder schlecht sein, so nützt es doch nichts, darauf zurückzukommen.

– Eigensinn! schalt der Doctor lachend. Du kannst uns nun wenigstens Deine Geschichte erzählen.

– Wenn sie Sie interessirt! Aber zuvor werde ich mit Ihrer gütigen Erlaubniß diese fette Gans in einen eßbaren Zustand versetzen; ich sehe, daß der Herr Dick seine Zeit nicht verloren hat.

– Wie Du willst, Joe.

– Wir wollen sehen, wie dies afrikanische Wild einem europäischen Magen behagt.«

Die Gans wurde alsbald in den Flammen des Knallgasgebläses geröstet und sodann verzehrt. Joe nahm seine tüchtige Portion davon, wie es sich für einen Menschen, der mehrere Tage nichts gegessen hat, ziemt. Nach dem Thee und dem Grog begann er, von seinen Abenteuern zu erzählen. Er sprach in einer gewissen Aufregung, da er zugleich die Ereignisse mit seiner gewöhnlichen Philosophie beleuchtete. Der Doctor drückte ihm mehrmals kräftig die Hand, als er sah, daß der brave Diener sich mehr mit der Wohlfahrt seines Herrn als mit dem eigenen Ergehen beschäftigt hatte. Bei dem Bericht von der Versenkung der Insel im Tschad-See erklärte er, daß diese Naturerscheinung dort durchaus nicht zu den Seltenheiten gehöre.

Endlich gelangte Joe im Lauf seiner Erzählung zu dem Moment, wo er im Morast versunken, einen letzten Schrei der Verzweiflung ausgestoßen habe.

»Ich hielt mich für verloren, fuhr er fort, und meine Gedanken richteten sich auf Sie. Noch ein Mal begann ich mich loszuarbeiten; wie? kann ich nicht genau sagen, aber ich war durchaus nicht Willens, mich so ohne allen Widerstand verschlucken zu lassen. Plötzlich gewahrte ich, etwa zwei Schritte von mir, ein frisch abgeschnittenes Tauende; ich arbeite mich mit äußerster Anstrengung, so gut es gehen will, bis nahe heran, und ergreife das Tau. Ich ziehe, es hält; ich hebe mich daran empor und stehe in kurzer Zeit auf festem Lande. Am Ende des Taues finde ich einen Anker; es war ein Anker des Victoria! . . . Ach, mein lieber Herr Doctor, ich hatte wohl ein Recht, ihn meinen Rettungsanker zu nennen, wenn Sie sonst nichts dagegen haben. Ich sah, daß Sie hier gelandet waren, und erkannte an der Lage des Taues, nach welcher Richtung hin Sie sich begeben hatten. Mit meinem Muthe waren auch meine Kräfte wiedergekommen, und ich marschirte einen Theil der Nacht hindurch, mich immer weiter von dem See entfernend. Endlich gelangte ich an den Saum eines unermeßlichen Waldes, wo in einem Gehege friedlich Pferde weideten. Es giebt im menschlichen Leben Augenblicke, wo ein Jeder reiten kann, nicht wahr? Ich für mein Theil verlor nicht eine Minute durch überflüssige Reflexionen, springe einem dieser Vierfüßler auf den Rücken und sprenge in aller Geschwindigkeit gen Norden. Ich erzähle Ihnen nichts von den Städten, die ich nicht gesehen habe, noch von den Dörfern, denen ich aus dem Wege geritten bin. Ich überschreite die Saatfelder, breche durch das Dickicht, überklettere Palissaden, treibe und sporne mein Thier an, und gelange endlich an die Grenze des angebauten Landes. Die Wüste! gut! das ist mir gerade Recht. Ich werde hier eine weitere Strecke übersehen können. Immer hoffte ich, den Victoria zu bemerken, wie er lavirend auf mich wartete. Aber nichts, gar nichts von ihm zu sehen! Nach drei Stunden gerieth ich Thor auf einen Lagerplatz der Araber; ach, was für eine Jagd! … Sehen Sie, Herr Kennedy, ein Jäger weiß eigentlich nicht, was eine Jagd ist, ehe er nicht selbst einmal gehetzt worden ist. Und doch, wenn er es vermeiden kann, gebe ich ihm den Rath, es lieber nicht zu versuchen! Mein Pferd sank vor Mattigkeit zusammen; die Kerle waren dicht hinter mir her; ich springe ab und einem Araber in den Rücken! ich habe nichts Böses mit ihm im Sinn gehabt, und hoffe, er wird mir’s nicht weiter übel nehmen, daß ich ihn erwürgt habe! Aber ich hatte Sie gesehen … und das Uebrige wissen Sie. Der Victoria eilt hinter mir her, Sie nehmen mich im Fluge auf, wie ein Reiter einen Ring auffängt. Hatte ich nicht Recht, daß ich auf Sie meine Hoffnung setzte? Sie haben nun gesehen, Herr Samuel, daß die ganze Geschichte höchst einfach und natürlich zugegangen ist. Ich bin gern bereit, Alles noch einmal durchzumachen, wenn ich Ihnen einen Dienst damit leisten kann; wie ich schon sagte, Herr Doctor, es ist nicht der Mühe werth, davon zu sprechen.

– Mein braver Joe, erwiderte der Doctor gerührt, wir hatten uns nicht geirrt, als wir uns auf Deine Klugheit und Geschicklichkeit verließen!

– Bah! man braucht nur immer den Ereignissen zu folgen, und sich bei precären Geschichten so gut wie möglich herauszuziehen. Das Sicherste ist immer noch, die Dinge zu nehmen, wie sie eben kommen.

Wahrend der Erzählung Joe’s hatte der Ballon in schnellem Fluge eine weite Strecke Landes durchmessen; Kennedy wies jetzt auf einen Complex von Hütten, der am Horizont wie eine Stadt erschien. Der Doctor zog seine Karte zu Rathe und recognoscirte den kleinen Marktflecken Tagelel in Damerghu.

»Wir kommen hier wieder auf die Straße Barth’s, sagte er,»in Tagelel trennte er sich von seinen beiden Begleitern Richardson und Overweg. Der Erstere sollte der Straße nach Zinder, der Letztere der nach Maradi folgen; ihr erinnert euch, daß von diesen drei Reisenden nur Barth Europa wiedersah.

– So steuern wir also jetzt direct nach Norden? fragte der Jäger, indem er auf der Karte die Richtung des Victoria verfolgte.

– Ja, mein lieber Dick.

– Und beunruhigt Dich das nicht einigermaßen?

– Warum meinst Du?

– Nun, weil dieser Weg uns nach Tripoli und über die große Wüste führt.

– O, wir werden so weit nicht kommen, Freund Kennedy, wenigstens hoffe ich es.

– Wo denkst Du einen Halt zu machen?

– Würde es Dir nicht interessant sein, einmal Timbuktu zu besuchen?

– Timbuktu?

– Ei freilich, mischte sich Joe in das Gespräch; wer in Afrika gewesen ist, muß auch Timbuktu gesehen haben.

– Du wirst der fünfte oder sechste Europäer sein, der diese geheimnißvolle Stadt sieht.

– Gut, also nach Timbuktu!

– Wenn wir zwischen den siebzehnten und achtzehnten Breitegrad kommen, werden wir eine günstige Strömung suchen, die uns nach Westen tragen kann.

– Haben wir noch eine lange Strecke nach Norden zu durchreisen? fragte der Jäger weiter.

– Noch mindestens hundertundfünfzig Meilen.

– Dann will ich ein wenig schlafen.

– Gute Ruhe, Herr Kennedy; legen Sie sich gleichfalls nieder, Herr Doctor; die Herren müssen sehr müde sein; ich habe Sie auf wirklich unverschämte Weise wachen lassen.«

Der Jäger streckte sich unter dem Zelte aus, aber Fergusson, über den die Müdigkeit wenig Macht hatte, blieb auf seinem Beobachtungsposten.

Nach drei Stunden überschritt der Victoria mit äußerster Geschwindigkeit ein steiniges Terrain mit hohen, kahlen Bergrücken auf einer Grundlage von Granit; einzelne, isolirte Spitzen erreichten sogar viertausend Fuß Höhe. Giraffen, Antilopen, Strauße sprangen mit wunderbarer Behendigkeit durch Wälder von Akazien, Mimosen, Suahs und Dattelpalmen; nach der Dürre der Wüste trat die Vegetation wieder in vollster Pracht in dem Lande der Kailuas auf, die sich ebenso wie ihre gefährlichen Nachbarn, die Tuaregs, mittelst einer Baumwollenbinde das Gesicht verschleiern.

Um zehn Uhr Abends hielt der Victoria nach einer herrlichen Fahrt von zweihundertundfünfzig Meilen über einer bedeutenden Stadt; beim Mondlicht konnte man erkennen, daß ein Theil derselben aus Ruinen bestand, einige Moscheenspitzen traten hie und da, von einem bleichen Mondstrahl beleuchtet, hervor. Der Doctor recognoscirte nach der Höhe der Sterne, daß er sich unter der Breite von Aghades befand.

Diese Stadt, ehemals der Mittelpunkt eines bedeutenden Handels, lag schon theilweise in Ruinen, als Doctor Barth sie besuchte.

Der Victoria, welcher im Schatten nicht bemerkt wurde, landete zwei Meilen oberhalb Aghades, auf einem großen Hirsefelde. Die Nacht war ziemlich ruhig und schwand gegen fünf Uhr Morgens, während ein leichter Wind den Ballon nach Westen und sogar ein wenig nach Süden lockte.

Fergusson beeilte sich, diesen glücklichen Umstand wahrzunehmen. Er stieg schnell empor und entfloh beim ersten, lichten Morgenstrahl.

Achtunddreißigstes Capitel

Achtunddreißigstes Capitel

Rasche Fahrt. – Vorsichtige Entschließungen. – Karawanen. – Beständige Regengüsse. – Gao – Der Niger. – Golberry, Geoffroy, Gray. – Mungo-Park. – Laing. – René Caillié. – Clapperton. – John und Richard Lander.

Der Tag des 17. Mai verging ruhig und ohne jeden Zwischenfall; die Wüste begann von Neuem; ein Wind mittlerer Stärke führte den Victoria nach Südwesten; dieser wich weder nach rechts noch nach links ab, und sein Schatten zog auf dem Sande eine strenggerade Linie.

Der Doctor hatte vor seinem Aufbruch der Vorsicht halber die Wasserkisten frisch gefüllt; er fürchtete, in diesen, von den Auelimminianischen Tuaregs unsicher gemachten Gegenden nicht landen zu können. Das Plateau, welches sich achtzehnhundert Fuß über dem Meeresspiegel erhob, fiel nach Süden hin ab. Nachdem die Reisenden die oft von Kameelen beschrittene Straße von Aghades nach Murfuk gekreuzt hatten, befanden sie sich Abends, nach einer Fahrt von hundertundachtzig Meilen, über einem äußerst monotonen Landstrich, unter 16° Br. und 4°55′ L.

Während dieses Tages richtete Joe die letzten Stücke Wildpret, die bis jetzt nur eine sehr summarische Vorbereitung erhalten, zu. Es waren sehr appetitliche Becassinen, die er zum Abendbrod auftrug. Da der Wind günstig war, und der Mond mit seinem bleichen Schimmer die Nacht erleuchtete, beschloß der Doctor, seine Reise nicht zu unterbrechen, ließ den Victoria fünfhundert Fuß steigen, und nun zog dieser so ruhig dahin, daß selbst der leichte Schlaf eines Kindes in ihm nicht gestört worden wäre.

Sonntag Morgen zeigte sich eine neue Veränderung in der Windrichtung; der Victoria trieb nach Nordwesten; einige Raben flogen in der Luft, und am Horizont sah man eine Schaar Geier, die sich aber glücklicher Weise in respectabler Ferne hielten.

Der Anblick dieser Vögel veranlaßte Joe, seinen Herrn in Betreff der neuen Balloneinrichtung zu beglückwünschen.

»Wo wären wir jetzt, wenn der Victoria nur die eine Hülle gehabt hätte? sagte er. Dieser zweite Ballon ist wie die Schaluppe bei einem Schiff; im Fall des Schiffbruchs kann man sie zur Rettung benutzen.

– Du hast Recht, Joe; nur macht mir meine neue Schaluppe einige Sorge; sie kommt dem Schiffe nicht gleich.

– Was willst Du damit sagen? fragte Kennedy.

– Ich meine, der neue Victoria steht an Güte gegen den alten zurück. Mag nun das Gewebe etwas gelitten haben, oder das Guttapercha bei der Hitze des Schlangenrohrs geschmolzen sein, ich constatire einen gewissen Gasverlust, der zwar bis jetzt nicht erheblich, aber doch schon wahrnehmbar ist. Der Ballon zeigt Neigung zu fallen, und um ihn oben zu halten, muß ich das Wasserstoffgas mehr ausdehnen.

– Verdammt!, fluchte Kennedy, es wird dafür kaum eine Abhilfe geben.

– Leider nein, lieber Dick; wir würden darum gut thun, auch die Nacht zu reisen, um Aufenthalt zu vermeiden.

– Sind wir noch weit von der Küste entfernt?, fragte Joe.

– Von welcher Küste, mein Junge? Wissen wir denn, wohin der Zufall uns führen wird? Ich kann Dir nur sagen, daß Timbuktu noch vierhundert Meilen nach Westen zu liegt.

– Und wie viel Zeit werden wir gebrauchen, um dorthin zu gelangen?

– Wenn der Wind uns nicht zu weit verschlägt, denke ich dort Dienstag Abend anzukommen.

– Jedenfalls treffen wir dort eher ein, als diese Karawane,« bemerkte Joe.

Fergusson und Kennedy schauten herab und sahen einen langen Zug von Menschen und Thieren, der sich durch die Wüste hinwand; es waren über hundertundfünfzig Kameele von jener Art, die für zwölf Muttals Gold mit einer Last von fünfhundert Pfund auf dem Rücken von Timbuktu nach Tafilet wandern; Jedes trug unter dem Schwanze einen kleinen Sack, der dazu bestimmt war, seine Excremente aufzunehmen; das einzige Brennmaterial, auf welches man in der Wüste rechnen kann.

Diese Kameele der Tuaregs gehören der besten Species an; sie können drei bis sieben Tage, ohne zu trinken, und zwei Tage, ohne zu fressen, ausdauern; ihre Schnelligkeit übertrifft sogar die der Pferde, und verständnißvoll gehorchen sie der Stimme des Khabir (Karawanenführers). Die Kameele sind im Lande unter dem Namen »Mehari« bekannt.

Diese Einzelheiten theilte der Doctor seinen Begleitern mit, während man die lange Linie von Männern, Frauen und Kindern vorüberziehen sah, die mühsam auf dem halbbeweglichen Sande vorwärts glitten. Einige Disteln, vertrocknete Gräser und hier und da ein kümmerliches Gesträuch verliehen dem Boden kaum einige Festigkeit. Der Wind verwischte fast augenblicklich wieder die Spur der Tritte.

Joe erkundigte sich, wie die Araber ihre Richtung in der Wüste bestimmen können, um die in dieser unendlichen Einöde verstreuten Brunnen nicht zu verfehlen.

»Die Araber, erklärte Fergusson, haben von der Natur einen vorzüglichen Sinn dafür erhalten, ihre Straße zu recognosciren; da, wo ein Europäer sich nicht zu orientiren weiß, schwanken sie nicht einmal; ein unbedeutender Stein, ein Kiesel, ein Grasbüschel, ja schon die verschiedene Nüancirung des Sandes genügt ihnen, um sicher ihrem Ziel zuzuschreiten.

Während der Nacht richten sie sich nach dem Polarstern; sie machen übrigens nie mehr als zwei Meilen in der Stunde, und ruhen während der Mittagshitze; hiernach könnt ihr euch vorstellen, eine wie lange Zeit sie brauchen, um die Sahara, eine Wüste von über neunhundert Meilen, zu durchreisen.«

Der Victoria war jetzt längst den erstaunten Augen der Araber entschwunden, denen seine Schnelligkeit gewiß beneidenswerth erschien. Am Abend zog der Ballon unter 2°20′ L. vorüber, und während der Nacht überschritt er noch mehr als einen Grad.

Am Montag ging eine totale Aenderung des Wetters vor sich; der Regen begann mit großer Heftigkeit herabzuströmen. Man mußte dieser Fluth und der Gewichtsvermehrung, mit der sie den Ballon und die Gondel belastete, Einhalt thun. Der fortwährende Regen gab eine genügende Erklärung von den Sümpfen, die das Land überall erfüllten; die Vegetation bestand auch hier hauptsächlich aus Mimosen, Baobabs und Tamarinden.

Hier lag das Gebiet von Sonray, dessen Dörfer durch die sonderbare Gestalt ihrer Hüttendächer einen so sonderbaren Anblick gewähren. Die Wohnungen sehen aus, als habe man ihnen armenische Hüte aufgestülpt. Es erhoben sich nur wenig Berge, und nur eben Hügel genug, als nöthig waren, um Schluchten und Weiher für die große Masse Perlhühner und Becassinen zu bilden, die hier zu finden sind. Ab und zu durchschnitt in ungestümem Laufe ein Strom die Straßen, der durch die Eingeborenen überschritten wurde, indem sie sich an einer Liane hielten, die an Bäumen herüber und hinüber gespannt war. Statt der Wälder sah man Dschungeln, in denen Alligatoren, Nilpferde und Nashörner ihre Schlupfwinkel suchten.

»Bald werden wir den Niger erreicht haben, sagte der Doctor, die Landschaft nimmt in der Nähe großer Flüsse eine andere Gestalt an. Diese Wasserstraßen haben zuerst die Vegetation hervorgerufen, wie sie später auch die Civilisation hierher bringen werden. So hat der Niger, in seinem Lauf von zweitausendfünfhundert Meilen, an seinen Ufern die wichtigsten Städte Afrika’s.

– Halt, schob hier Joe ein, das erinnert mich an die Geschichte von jenem Schlaukopf, der die Weisheit der Vorsehung besonders darin bewunderte, daß sie die großen Flüsse gerade durch die Städte geführt habe!

Am Mittag segelte der Victoria über die ehemalige Hauptstadt Gao hinweg; jetzt zeigt sie nur noch eine Vereinigung armseliger Hütten, und bildet einen kleinen Marktflecken.

»Dort setzte Barth bei seiner Rückkehr aus Timbuktu über den Niger, erzählte Fergusson, es ist dies der bereits im Alterthum bekannte Fluß, der Nebenbuhler des Nil, dem der heidnische Glaube einen himmlischen Ursprung gab; wie dieser hat er die Aufmerksamkeit der Geographen aller Zeiten in Anspruch genommen; und seine Erforschung hat noch zahlreichere Opfer gekostet als jener.«

Der Niger floß zwischen zwei weit von einander gelegenen Ufern dahin; seine Gewässer rollten mit großer Gewalt dem Süden zu, aber die Reisenden konnten die merkwürdigen Linien seines Laufs nicht näher besichtigen, sie wurden im Fluge weiter getragen.

»Ich wollte euch von diesem Strome sprechen, und schon ist er uns fern gerückt! Unter den Namen des Dhiuleba, Mano, Egghirreu, Quorra und anderen mehr durchfließt er eine ungeheure Länderstrecke, und kann es an Länge fast mit dem Nil aufnehmen. All‘ diese Namen bedeuten schlechtweg »Strom«, je nach der Sprache der verschiedenen Länder, durch welche er fließt.

– Hat Doctor Barth diese Straße verfolgt?, fragte Kennedy.

– Nein, Dick; als er den Tschad-See verließ, reiste er durch die hauptsächlichsten Städte von Bornu und durchschnitt den Niger bei Say, vier Grad südlich von Gao; dann drang er in das Innere jener unerforschten Gegenden, die der Niger in seinem Bogenlaufe umschließt, und gelangte nach achtmonatlichen, neuen Strapazen nach Timbuktu. Diese Reise werden wir bei günstigem Winde in drei Tagen vollenden.

– Hat man die Quellen des Niger entdeckt?, fragte Joe.

– Seit lange schon. Die Erforschung des Niger und seiner Nebenflüsse hat zahlreiche Entdeckungsreisen veranlaßt, von denen ich nur die hauptsächlichsten nennen will. Von 1749 bis 1758 bereist Adamson das Flußgebiet und besucht Gorée; von 1785 bis 1788 durchstreifen Golberry und Geoffroy die Wüsten Senegambiens und kommen bis zu dem Lande der Mauren, die Saugnier, Brisson, Adam, Riley, Cochelet und so viele andere Unglückliche ermordeten. Dann folgt der berühmte Mungo-Park, ein Freund Walter Scott’s, und wie dieser ein Schotte. Er wurde im Jahre 1795 von der afrikanischen Gesellschaft zu London abgesandt, erreicht Bambarra, sieht den Niger, macht in Gesellschaft eines Sklavenhändlers fünfhundert Meilen, recognoscirt den Gambia und kehrt im Jahre 1797 nach England zurück.

Am 30. Januar 1805 reist er mit seinem Schwager Anderson, dem Zeichner Scott und einer Schaar Handwerker wieder ab, kommt in Gorée an, nimmt sich eine Verstärkung von fünfunddreißig Soldaten, sieht am 19. August den Niger wieder, aber von vierzig Europäern bleiben in Folge der übermenschlichen Anstrengungen, Entbehrungen, Mißhandlungen, der Ungunst des Himmels, und der ungesunden Ausdünstungen des Landes nur noch elf am Leben; am 16. November gelangten die letzten Briefe Mungo-Park’s an seine Frau, und ein Jahr später erfuhr man durch einen Handelsmann dieses Landes, daß der unglückliche Reisende am 23. December in Bussa am Niger angekommen, seine Barke von den Katarakten des Stromes umgestürzt, und er selbst von den Eingeborenen ermordet sei.

– Und dies schreckliche Ende hielt die Forscher nicht zurück?

– Im Gegentheil, Dick; denn jetzt hatte man nicht nur den Fluß zu recognosciren, sondern auch die Briefschaften und Notizen des Reisenden aufzusuchen. Im Jahr 1816 wird zu London eine Expedition organisirt, an welcher sich Major Gray betheiligt; diese kommt in das Senegal, dringt nach Futa- Dhiallon, besucht die Völkerschaften der Fulahs und Mandingos und kehrt ohne weiteres Ergebniß nach England zurück. Im Jahre 1822 erforscht Major Laing jenen ganzen Theil des westlichen Afrika, der den englischen Besitzungen benachbart liegt, und erwirbt den Ruhm, zuerst an die Quellen des Niger gelangt zu sein; nach seinen Angaben hat die Quelle dieses Riesenflusses kaum zwei Fuß Breite.

– Leicht zu überspringen, meinte Joe.

– Leicht? das ist doch noch die Frage, entgegnete der Doctor.»Wenn man der Ueberlieferung Glauben schenkt, so wird ein Jeder, der es versucht, durch Springen über die Quelle zu setzen, sofort verschlungen; wer Wasser daraus schöpfen will, fühlt sich durch eine unsichtbare Hand zurückgezogen.«

– Es ist doch wohl gestattet, daß man nichts davon glaubt? fragte Joe.

– Jeder nach seinem Belieben. Fünf Jahre später sollte der Major Laing sich durch die Sahara schlagen, nach Timbuktu vordringen und einige Meilen weiter nördlich einen furchtbaren Tod durch die Ulad-Shiman finden, die ihn zwingen wollten, Muselmann zu werden.

– Wieder ein Opfer, sagte der Jäger.

– Nun unternahm ein muthiger junger Mann, dem nur geringe Hilfsquellen zu Gebote standen, die erstaunlichste der neueren Reisen und brachte sie auch glücklich zu Ende; ich rede von dem Franzosen René Caillié. Nach verschiedenen Anläufen in den Jahren 1819 und 1824 brach er den 19. April 1827 zu einer neuen Reise von Rio-Nunez auf; am 3. August langte er so erschöpft und krank in Timé an, daß er seine Reise erst im Januar 1828, sechs Monate später, wieder aufnehmen konnte; er gesellte sich dann, durch seine orientalische Kleidung geschützt, einer Karawane zu, erreichte am 10. März den Niger, drang in die Stadt Dschenna und fuhr den Fluß stromabwärts bis Timbuktu, wo er am 30. April ankam. Ein anderer Franzose, Imbert, hatte, vielleicht im Jahre 1670; ein Engländer, Robert Adams, im Jahre 1810 diese interessante Stadt gesehen; aber René Caillié sollte der erste Europäer sein, der genaue Angaben über dieselbe heimbringen durfte; am 4. Mai verließ er diese Königin der Wüste; am 9. besichtigte er genau die Stätte, an welcher Major Laing ermordet worden war; am 19. kam er nach El-Arawan und verließ diese Handelsstadt, um unter tausend Gefahren die großen, zwischen Süden und den nördlichen Gegenden Afrika’s liegenden Einöden zu überschreiten; endlich zog er wieder in Tanger ein und segelte am 28. September nach Toulon ab; in neunzehn Monaten hatte er trotz hundertundachtzigtägiger Krankheit Afrika von Westen bis zum Norden durchreist. Wenn Caillié in England geboren wäre, hätte man ihn als den kühnsten Reisenden der neuern Zeit gleich Mungo-Park geehrt, aber in Frankreich wird er nicht nach Verdienst geschätzt. [Fußnote]

– Ein unerschrockener Mann, stimmte Kennedy bei, was ist aus ihm geworden?

– Er starb im Alter von neununddreißig Jahren an den Folgen seiner Strapazen; man glaubte genug gethan zu haben, als man ihm im Jahre 1828 den Preis der Geographischen Gesellschaft zuerkannte; in England wären ihm die größten Ehrenbezeugungen erwiesen worden! Während übrigens René Caillié diese bewundernswerthe Reise vollendete, faßte ein Engländer, Kapitän Clapperton, der Begleiter Denham’s, den Plan zu demselben Unternehmen, das er mit gleichem Muthe, wenn nicht mit gleichem Glücke ausführte. Im Jahr 1829 begann er vom Busen von Benin an der Westküste seinen Einzug in Afrika, verfolgte den Weg Mungo-Park’s und Laing’s, fand in Bussa die auf den Tod des Erstern bezüglichen Beweisstücke, kam am 20. August in Sackatu an, wo er als Gefangener zurückgehalten, seinen letzten Athemzug in den Armen seines treuen Dieners Richard Lander, aushauchte.

– Und was wurde aus diesem Lander? fragte Joe sehr interessirt.

– Es gelang ihm, die Küste wieder zu erreichen; er kehrte nach London zurück und brachte die Briefschaften des Kapitäns und einen genauen Bericht seiner eigenen Reise mit; dann bot er der Regierung seine Dienste an, um die Erforschung des Niger zu vervollständigen; zur Gesellschaft nahm er seinen Bruder John, das zweite Kind armer Leute aus Cornwallis, mit, und die Beiden fuhren in den Jahren 1829 bis 1831 den Fluß von Bussa bis zur Mündung stromabwärts, indem sie ihre Reise Dorf für Dorf, Meile für Meile beschrieben.

– So sind also diese beiden Brüder dem allgemeinen Schicksal entgangen? fragte Kennedy.

– Ja, wenigstens auf dieser Forschungsreise; im Jahre 1833 aber, als Richard eine dritte Niger-Fahrt unternommen hatte, kam er nahe der Mündung des Flusses um; eine Kugel von unbekannter Hand hatte ihn getroffen. Ihr seht also, meine Freunde, das Land, durch welches wir gegenwärtig reisen, ist vielfach Zeuge edler Aufopferung gewesen, die nur zu oft mit dem Tode belohnt worden ist!

Neununddreißigstes Capitel

Neununddreißigstes Capitel

Das Land in der Biegung des Niger. – Phantastische Ansicht der Hombori-Berge. – Kabra. – Timbuktu. – Plan des Doctor Barth. – Verfall. – Wohin der Himmel will.

Während dieses unfreundlichen Montags gefiel sich Doctor Fergusson darin, seinen Begleitern tausend Einzelheiten über die Gegend, die sie durchreisten, mitzutheilen. Der ziemlich flache Boden setzte ihrem Fortschreiten kein Hinderniß entgegen, aber desto mehr Sorge verursachte dem Doctor der böse, mit rasender Gewalt wehende Nordostwind, der ihn von der Breite Timbuktu’s entfernte.

Nachdem der Niger nördlich bis zu dieser Stadt gekommen ist, beschreibt er in ungeheurem Bogen ein Knie und strömt in weit ausgebreiteten Wassergarben dem Ocean zu.

Innerhalb dieser Biegung ist das Land von sehr verschiedener Bodenbeschaffenheit: bald prangt es in üppiger Fruchtbarkeit, bald schmachtet es in großer Dürre. Unbebaute Ebenen wechseln mit Maisfeldern ab, auf die wieder ausgedehnte, mit Ginster bedeckte Flächen folgen; alle Arten Wasservögel, Pelikane, Krickenten, Eisvögel leben in Schaaren an den Ufern der Ströme und Sümpfe.

Von Zeit zu Zeit zeigte sich ein Lager der Tuaregs, die unter ledernen Zelten ein Obdach suchten, während die Frauen die Arbeiten außer dem Hause versahen, ihre Kameele molken und ihre großen Pfeifenköpfe ausrauchten.

Der Victoria war um acht Uhr Abends um mehr als zweihundert Meilen nach Westen vorgedrungen, und jetzt bot sich den Reisenden ein prächtiges Schauspiel.

Einige Mondstrahlen bahnten sich einen Weg durch dichte Wolken, und fielen, zwischen den Regenlinien hingleitend, auf die Kette der Hombori-Berge. Nichts wunderbareres als diese Kämme, die da aussehen, als seien sie aus Basalt; sie zeichneten sich in phantastischen Silhouetten am dunklen Himmel ab; man hätte sie für die sagenhaften Ruinen einer großen Stadt des Mittelalters ansehen können, und dann wieder erschienen sie wie Eisschollenberge im Polarmeer beim Düster der Nacht.

»Das ist eine Stätte der Geheimnisse Udolfo’s, bemerkte der Doctor; Ann Radcliff hätte diese Berge nicht schauerlicher schildern können!

– Wahrhaftig, betheuerte Joe, ich möchte Abends nicht gern allein in diesem gespensterhaften Lande herumspazieren; wenn sie nicht so schwer wäre, möchte ich wohl die ganze Landschaft mit nach Schottland nehmen, sie würde sich an den Ufern des Lomond-Sees ganz ausgezeichnet machen, und die Touristen würden in Menge hinströmen.

– Unser Ballon ist leider nicht groß genug, um Dir dies Vergnügen zu machen. Aber es kommt mir vor, als ändere sich unsere Richtung. Gut! Die Kobolde hier scheinen sehr liebenswürdig! sie wehen uns einen kleinen Südostwind zu, der uns besser weiter führen wird.«

Wirklich schlug der Victoria eine mehr nördliche Bahn ein, und am 20. Morgens schwebte er über einem unentwirrbaren Netz von Kanälen, Strömen, Flüssen, die Verwickelung der Niger-Zuflüsse hinweg. Mehrere dieser Canäle, die mit dichtem Grase bedeckt waren, glichen fetten Weiden. Hier fand Fergusson die Straße Barth’s wieder; dieser hatte sich hier auf dem Flusse eingeschifft, um ihn bis Timbuktu hinunterzufahren. Der Niger floß hier, achthundert Toisen breit, zwischen zwei, an Cruciferen und Tamarinden reichen Ufern dahin; Gazellenheerden, die sich hier tummelten, bogen ihre geringelten Hörner in das hohe Gras, in welchem der Alligator schweigend auf sie lauerte.

Lange Reihen von Eseln und Kameelen, mit Waaren aus Dschenna beladen, standen im Schatten der schönen Bäume. Bald erschien ein Amphitheater niedriger Häuser an einer Wendung des Flusses; auf den Dächern und Terrassen war das, in den umliegenden Landstrichen gesammelte Futter aufgehäuft.

»Da ist Kabra, rief freudig der Doctor, der Hafen von Timbuktu; die Stadt ist nicht fünf Meilen von hier entfernt!

– Sind Sie zufrieden, Herr Fergusson? fragte Joe.

– Entzückt, mein Junge!

– Gut, Alles geht ausgezeichnet.«

In der That entfaltete sich nach zwei Stunden die Königin der Wüste, das geheimnißvolle Timbuktu, vor den Augen unserer Reisenden. Es hatte einst wie Athen und Rom seine Gelehrten-Schulen und Lehrstühle der Philosophie.

Fergusson verglich Alles bis auf’s Kleinste mit dem, von Barth selbst gezeichneten Plan, und erkannte, daß dieser äußerst genau war.

Die Stadt bildet ein großes, in eine weite Sandebene eingeschobenes Dreieck; die Spitze desselben zeigt nach Norden und schneidet einen Winkel aus der Wüste heraus; kaum kommen hier einige Grasarten, zwerghafte Mimosen und verkrüppelte Sträucher fort.

Was die Physiognomie von Timbuktu anbetrifft, so stelle man sich einen Haufen Billardkugeln vor; dies der Eindruck, den der Anblick der Stadt aus der Vogelperspective gewährt. Die Straßen sind ziemlich eng und werden theils von Häusern aus gebrannten Backsteinen theils aus viereckigen Stroh- und Rohrhütten gebildet. Auf den Terrassen sieht man ab und zu Einwohner in ihrer farbenglänzenden Tracht nachlässig hingestreckt, mit der Lanze oder Muskete in der Hand. Frauen ließen sich um diese Tageszeit noch nicht blicken.

»Sie gelten jedoch für schön, bemerkte der Doctor. Ihr seht die drei Thürme der Moscheen, sie sind allein von einer großen Zahl übriggeblieben. Die Stadt hat viel von ihrem alten Glanze eingebüßt! Am Gipfelpunkte des Dreiecks erhebt sich die Moschee Sankore mit ihren Galerien, die von Arcaden von ziemlich reiner Zeichnung getragen werden. Weiter hin in dem Viertel von Sane-Gungu die Moschee Sidi-Dahia und einige zweistöckige Häuser. Suchet nicht nach Palästen und Monumenten; der Scheik ist ein einfacher Handelsmann und seine königliche Wohnung ein Comptoir.

– Es kommt mir vor, als sähe ich halb zerstörte Wälle, sagte Kennedy.

– Sie sind im Jahre 1826 von den Fullannes niedergeworfen worden. Bis dahin war die Stadt um ein Drittel größer, denn Timbuktu hat, als allgemein begehrt, vom XI. Jahrhundert nach einander den Tuaregs, den Sonrayern, den Marokkanern und den Fullannes gehört; und dies große Centrum der Civilisation, in welchem ein Gelehrter wie Achmed-Baba im XIV. Jahrhundert eine Bibliothek von sechzehnhundert Manuscripten besaß, ist jetzt nur noch ein Stapelplatz Central-Afrika’s.«

Die Stadt schien gegenwärtig wirklich großer Vernachlässigung preisgegeben; sie verrieth die epidemische Liederlichkeit der Städte, welche dem Verfall entgegengehen. Ungeheure Schutthaufen thürmten sich in den Vorstädten auf und bildeten nebst einem auf dem Markt befindlichen Hügel die einzigen Unebenheiten des Terrains.

Beim Vorüberziehen des Victoria entstand einige Bewegung; die Trommeln wurden gerührt; aber kaum hatte wohl irgend ein Gelehrter des Ortes Zeit, die wunderbare Naturerscheinung zu beobachten; denn die Reisenden, von dem Wüstenwinde schnell weitergetrieben, verfolgten wieder den gewundenen Lauf des Flusses, und bald war Timbuktu nur noch eine der kurzen Erinnerungen ihrer Reise.

»Und jetzt«, sprach der Doctor, »führe uns der Himmel, wohin er will!«

»Wenn nur nach Westen«, fügte Kennedy hinzu.

»Bah!« meinte Joe, »handelte es sich auch darum, auf demselben Wege wieder nach Zanzibar zurückzukehren und den Ocean bis nach Amerika zu überfahren, ich würde kaum davor zurückschrecken.«

»Das müßte man in erster Linie können, Joe.«

»Und weshalb könnten wir’s nicht?«

»Wir würden kein Gas dazu haben, mein Junge; die emportreibende Kraft des Ballons vermindert sich merklich, und wir werden sehr damit sparen müssen, damit der Victoria uns noch bis zur Küste trägt. Wir werden sogar gezwungen sein, noch Ballast auszuwerfen. Unsere Last ist zu schwer.

»Das kommt vom Nichtsthun, Herr Doctor! Wenn man den ganzen Tag über in seiner Hängematte ausgestreckt liegt, wie ein Faullenzer, so ist nichts natürlicher, als daß man Fett ansetzt und schwer wird. Wir führen ja auf unserer Reise ein complettes Schlaraffenleben; wenn wir nach Hause zurückkehren, wird man uns erschrecklich dick und fett geworden finden.«

»Diese Gedanken sind eines Joe würdig, äußerte der Jäger; aber warte nur das Ende ab, man weiß nicht, was der Himmel uns vorbehalten hat; das Ziel unserer Reise ist noch weit entfernt. Wo glaubst Du, die afrikanische Küste zu erreichen, Samuel?«

»Ich wäre in Verlegenheit, wenn ich Dir darauf anworten sollte, Dick. Wir sind sehr veränderlichen Winden ausgesetzt. Ich würde mich glücklich schätzen, wenn wir zwischen Sierra Leona und Portendik landen könnten; dort liegt eine gewisse Landstrecke, auf der wir Freunde finden würden.«

»Und dies Vergnügen dann, ihnen die Hand zu drücken! Aber folgen wir gegenwärtig wenigstens der gewünschten Richtung?«

»Nicht genau, Dick; sieh die Magnetnadel; wir halten nach dem Süden zu und gehen zu den Quellen des Niger hinauf.«

»Eine famose Gelegenheit, sie zu entdecken, fiel Joe schnell ein; im Fall sie nämlich noch unbekannt wären. Könnte man nicht vielleicht noch andere finden?«

»Nein, Joe, aber sei unbesorgt, ich hoffe, nicht ganz so weit zu kommen.«

Bei sinkender Nacht warf der Doctor die letzten Ballastsäcke aus; der Victoria stieg wieder, aber das Knallgasgebläse konnte ihn, obgleich es mit voller Flamme arbeitete, kaum oben halten; man befand sich nunmehr sechzig Meilen südlich von Timbuktu, und am andern Morgen erwachten die Reisenden am Ufer des Niger, nicht weit vom Debo-See.

Viertes Capitel

Viertes Capitel

Erforschungsreisen in Afrika. – Barth, Richardson, Overweg, Werne, Brun-Rolle, Peney, Andrea Debono, Miani, Guillaume Lejean, Bruce, Krapf und Rebmann, Maizan, Roscher, Burton und Speke.

Die Luftlinie, welcher der Doctor Fergusson zu folgen gedachte, war nicht auf’s Gerathewohl gewählt worden. In Bezug auf den Anfangspunkt seiner Reise hatte er tiefgehende Studien gemacht und nach reiflicher Ueberlegung beschlossen, von der Insel Zanzibar aufzusteigen. Dieselbe liegt an der Ostküste von Afrika, unter dem 6.° südlicher Breite, d. h. gegen vierhundert und dreißig geographische Meilen südlich vom Aequator. Von hier aus war soeben die letzte Expedition aufgebrochen, welche über die großen Seen zur Entdeckung der Nilquellen abgesandt war.

Es dürfte jedoch an der Zeit sein, hier die Forschungsreisen, welche Doctor Fergusson mit einander zu verknüpfen gedachte, näher zu beleuchten. Die beiden hauptsächlichsten derselben waren die des Doctor Barth im Jahre 1849 und ferner diejenige der Lieutenants Burton und Speke im Jahre 1858.

Doctor Barth, aus Hamburg gebürtig, erhielt für seinen Landsmann Overweg und sich die Erlaubniß, die Expedition des Engländers Richardson begleiten zu dürfen, der mit einer Sendung nach dem Sudan betraut war. Dieses ausgedehnte Land liegt zwischen dem 15. und 10.° nördlicher Breite, d.h. wenn man dorthin gelangen will, muß man über fünfzehnhundert Meilen weit in das Innere Afrika’s dringen.

Bis zu jener Zeit kannte man diese Länderstrecke nur durch die Reisen Denham’s, Clapperton’s und Oudney’s in den Jahren 1822 bis 1824. Richardson, Barth und Overweg gelangen in ihrem Eifer, die Nachforschungen weiter auszudehnen, nach Tunis und Tripoli, wie auch ihre Vorgänger, und schlagen sich bis Mursuk, der Hauptstadt von Fezzan, durch.

Dann verlassen sie die senkrechte Linie und biegen unter der Führung der Tuaregs westlich, in der Richtung nach Ghat ein, nicht ohne mannigfache Schwierigkeiten zu überwinden. Ihre Karawane kommt, nachdem sie vielfache Plünderungen, verschiedene Angriffe von bewaffneter Hand und tausenderlei andere Belästigungen erlitten hat, im Oktober bei der großen Oase von Asben an. Doctor Barth trennt sich hier von seinen Gefährten, um einen Abstecher nach der Stadt Agades zu machen, und schließt sich dann der Expedition, die am 12. December weiter marschirt, von Neuem an. In der Provinz von Damerghu trennen sich die drei Reisenden, und Barth schlägt die Straße nach Kano ein, wo er nach langem geduldigem Ausharren und bedeutenden Geldopfern endlich anlangt.

Trotzdem er an einem heftigen Fieber leidet, verläßt er am 7. März in Begleitung eines einzigen Bedienten die Stadt. Der Hauptzweck seiner Reise ist, den Tschad-See zu recognosciren, von dem er bis jetzt noch dreihundert und fünfzig Meilen entfernt ist. Er schreitet also östlich vor und erreicht den eigentlichen Kern des großen Reiches von Central-Afrika, die Stadt Suricolo in Bornu. Hier erfährt er die Nachricht von dem Tode Richardson’s, der den Strapazen und Entbehrungen erlegen ist. Barth setzt seine Reise fort, und kommt nach drei Wochen, am 14. April, also ein Jahr und vierzehn Tage nach seiner Abreise von Tripoli, in der Stadt Ngornu an.

Am 29. März 1851 finden wir ihn mit Overweg wieder auf der Reise, um dem Königreich Adamaua im Süden des See’s einen Besuch abzustatten; er gelangt bis zur Stadt Nola, etwas unter dem 9. Grad nördlicher Breite: die äußerste Grenze im Süden, die von diesem kühnen Reisenden erreicht worden ist.

Im Monat August kehrt er nach Kuka zurück, durchreist sodann Mandara, Barghimi, Kanem und erreicht als äußerste Grenze gegen Osten die Stadt Masena, unter 17°20′ westlicher Länge gelegen. [Fußnote]

Nach dem Tode Overweg’s, seines letzten Begleiters, schlägt er sich am 25. November 1852 nach Westen, besucht Sockoto, überschreitet den Niger und kommt endlich in Timbuctu an, wo er in der schlechtesten Behandlung und in großem Elend acht lange Monate, unter den Quälereien des Scheiks, schmachten muß. Aber die Anwesenheit eines Christen in der Stadt wird nicht länger geduldet; die Fullannes drohen mit einer Belagerung. Der Doctor verläßt also Timbuctu am 17. März 1854, flüchtet an die Grenze, wo er dreiunddreißig Tage in der vollständigsten Hilflosigkeit zu verweilen gezwungen ist, kehrt im November nach Kano zurück und begiebt sich wieder nach Kuka, von wo er nach einer viermonatlichen Rast die Straße Denham’s weiter verfolgt. Gegen Ende August 1855 sieht er Tripoli wieder und erscheint, der einzige von der Expedition übriggebliebene, am sechsten September in London.

Dies war die kühne Reise Barth’s, in Bezug auf welche Doctor Fergusson sich sorgfältigst notirte, daß er über den 4.° nördl. Breite und den 17.° westlicher Länge nicht hinausgekommen sei.

Vergegenwärtigen wir uns nunmehr, was die Lieutenants Burton und Speke in Ostafrika ausrichteten.

Die verschiedenen Expeditionen, welche am Nil aufwärts gegangen waren, hatten niemals vermocht, bis an die geheimnißvollen Quellen des Flusses zu gelangen. Nach dem Bericht des deutschen Arztes Ferdinand Werne machte die im Jahre 1840 unter den Auspicien Mehemet-Ali’s unternommene Expedition in Gondokoro zwischen dem 4. und 5.° nördl. Parallelkreise Halt.

Im Jahre 1855 brach Brun-Rollet, aus Savoyen gebürtig (zum Consul von Sardinien im östlichen Sudan ernannt, um Bauden, der dort seinen Tod gefunden hatte, zu ersetzen), von Chartum auf, gelangte mit Gummi und Elfenbein handelnd, nach Belenia bis über den 4. Grad hinaus, und kehrte krank von da nach Chartum zurück, wo er im Jahre 1857 starb.

Weder Dr. Peney, Chef des Medicinal-Wesens in Aegypten, welcher auf einem kleinen Dampfboot einen Grad unterhalb Gondokoro erreichte und nach seiner Rückkehr vor Erschöpfung in Chartum starb, – noch der Venetianer Miani, der, um die unterhalb Gondokoro gelegenen Katarakten biegend, den zweiten Parallelkreis erreichte, – noch auch der Malteser Kaufmann Andrea Debono, welcher seine Excursion an dem Nil noch weiter fortsetzte, – konnten über diese bisher unüberschrittene Grenze hinauskommen.

Im Jahre 1859 begab sich Herr Guillaume Lejean im Auftrage der französischen Regierung über das Rothe Meer nach Chartum und schiffte sich mit einundzwanzig Mann Schiffsvolk und zwanzig Soldaten auf dem Nil ein; aber er konnte nicht über Gondokoro hinauskommen und hatte die größten Gefahren inmitten der aufrührerischen Negerhorden zu bestehen. Die von Herrn d’Escayrac von Lauture geleitete Expedition suchte gleichfalls vergeblich, an die berüchtigten Quellen zu gelangen.

Aber vor diesem verhangnißvollen Ziel machten die Reisenden noch immer Halt; die Abgesandten Nero’s hatten vor Zeiten den 9. Breitegrad erreicht; man kam also in achtzehn Jahrhunderten nur um 5 oder 7 Grade, d. h. um dreihundert bis dreihundertundsechzig geographische Meilen weiter.

Mehrere Reisende versuchten, zu den Nilquellen zu gelangen, indem sie von einem Punkte auf der Ostküste Afrika’s ihre Reise antraten.

In den Jahren 1768 bis 1772 reiste der Schotte Bruc von Massauah, dem Hafen Abessiniens, ab, durchzog Tigre, besuchte die Ruinen von Arum, glaubte irrthümlich die Nilquellen gefunden zu haben, und brachte kein nennenswerthes Ergebniß von seiner Reise mit.

Im Jahre 1844 gründete der Doctor Krapf, Missionär der anglicanischen Kirche, eine Niederlassung zu Mombas auf der Küste von Zanzibar und entdeckte, in Gesellschaft des Geistlichen Rebmann, dreihundert Meilen weit von der Küste zwei Berge, den Kilimandscharo und den Kenia, welche die Herren von Heuglin und Thornton kürzlich theilweise erstiegen haben.

Im Jahre 1845 stieg der Franzose Maizan in Bagamayo, Zanzibar gegenüber, an’s Land und gelangte nach Deje-la-Mhora, wo ein Häuptling ihn unter den grausamsten Martern hinrichten ließ.

Im Monat August des Jahres 1859 erreichte der jugendliche Reisende Roscher aus Hamburg, der sich mit einer Karawane arabischer Kaufleute auf den Weg gemacht hatte, den Niassa-See, wo er im Schlaf ermordet wurde.

Endlich wurden im Jahre 1857 die Lieutenants Burton und Speke, beide Officiere im bengalischen Heere, von der Geographischen Gesellschaft zu London ausgesandt, um die großen Binnenseen zu erforschen; am 17. Juni verließen sie Zanzibar und drangen geraden Wegs nach Westen vor.

Nach viermonatlichen, unerhörten Leiden langten sie, ihres Gepäcks beraubt, ohne ihre Träger, die der Wuth der Eingebornen zum Opfer gefallen waren, in Kaseh, dem Centralvereinigungspunkt der Kaufleute und Karawanen an, sie waren mitten im Mondlande und sammelten werthvolle Belehrungen über die Sitten und Gebräuche, die Regierung, die Religion und die Fauna und Flora des dortigen Gebiets; dann steuerten sie auf den ersten der großen Binnenseen, den Tanganyika zu, der zwischen dem 3. und 8.° südlicher Breite gelegen ist; sie langten daselbst am 14. Februar 1858 an und besuchten die verschiedenen, meist kannibalischen Völkerschaften, die seine Ufer bewohnten. Am 26. Mai traten sie den Rückweg an, und zogen am 20. Juni wieder in Kaseh ein. Dort mußte der vor Erschöpfung erkrankte Burton mehrere Monate liegen bleiben; unterdessen machte Speke einen Abstecher von über dreihundert Meilen gegen Norden nach dem Ukerewe-See, den er am 3. August bemerkte; es war ihm jedoch nur möglich, den Anfang desselben unter 2° 31′ Br. zu besichtigen.

Am 25. August war er nach Kaseh zurückgekehrt und schlug in Gemeinschaft mit Burton wieder den Weg nach Zanzibar ein, wo sie im März des folgenden Jahres wieder eintrafen. Die beiden kühnen Reisenden kehrten nun nach England zurück, und die Geographische Gesellschaft zu London erkannte ihnen den Jahrespreis zu.

Doctor Fergusson merkte sorgfältig an, daß sie weder den 2. Grad südlicher Breite, noch den 29. Grad östlicher Länge überschritten hatten.

Es kam also darauf an, die Entdeckungsreisen Burton’s und Speke’s mit denen des Dr. Barth zu vereinigen, und dazu war es nothwendig, eine Länderstrecke von über zwölf Graden zu überschreiten.

Sechsundzwanzigstes Capitel

Sechsundzwanzigstes Capitel

Hundertunddreizehn Grad. – Erwägungen des Doctors. – Verzweifeltes Suchen. – Das Knallgasgebläse erlischt. – Hundertzweiundzwanzig Grad. – Betrachtung der Wüste. – Ein Spaziergang während der Nacht. – Oede. – Ohnmacht. – Joe’s Pläne. – Um einen Tag aufgeschoben.

Die vom Victoria am verflossenen Tage zurückgelegte Strecke betrug nicht über zehn Meilen, und doch hatte man, um sich oben zu halten, hundertzweiundsechzig Cubikfuß Gas verbraucht. Am Sonnabend Morgens gab der Doctor das Signal zum Aufbruch.

»Das Knallgasgebläse kann nur noch sechs Stunden arbeiten,« verkündete er seinen Begleitern; »wenn wir in dieser Zeit weder einen Brunnen noch eine Quelle entdeckt haben, weiß Gott allein, was aus uns werden wird.«

»Schlechter Wind heute Morgen, Herr Doctor,« sagte Joe, aber schnell fügte er hinzu, als er die tiefe Niedergeschlagenheit Fergusson’s bemerkte: »vielleicht wird er sich aber noch aufmachen.«

Eitle Hoffnung! es herrschte eine Todtenstille in der Luft, eine jener Windstillen, die auf den tropischen Meeren die Schiffe für lange Zeit auf einer Stelle bannen. Die Hitze wurde unerträglich, und das Thermometer zeigte im Schatten des Zeltes hundertunddreizehn Grad.

Joe und Kennedy hatten sich neben einander ausgestreckt, und suchten, wenn auch nicht im Schlaf, so doch in einer Art von Betäubung ihre furchtbare Lage zu vergessen. Die erzwungene Unthätigkeit legte ihnen eine neue Pein auf, denn wer sich seinen Leiden nicht durch eine Arbeit oder äußerliche Beschäftigung entziehen kann, fühlt sie bei Weitem tiefer. Hier gab es nichts zu beaufsichtigen, noch zu unternehmen; man mußte Alles hinnehmen, ohne eine Aenderung herbeiführen zu können.

Die Qualen des Durstes begannen, sich grausam fühlbar zu machen; der Branntwein, weit entfernt, dies gebieterische Bedürfniß zu befriedigen, machte im Gegentheil den Durst noch brennender, und verdiente mit Recht den, ihm von den Eingeborenen zugelegten Namen der »Tigermilch«. Es waren kaum noch zwei Pinten einer erhitzten Flüssigkeit vorhanden, und Jeder verschlang mit den Blicken diese wenigen, so kostbaren Tropfen, ohne es doch zu wagen, seine Lippen damit zu netzen. Zwei Pinten Wasser inmitten der Wüste!

Fergusson fragte sich jetzt, ob er recht gehandelt habe, indem er einen so großen Theil des Wassers zerlegte, nur um den Ballon oben zu halten? er war dadurch allerdings eine kleine Strecke weiter gekommen, aber war ihm daraus irgend ein Nutzen entsprungen? Es konnte ihm völlig gleichgiltig sein, ob er sich gegenwärtig hier oder sechzig Meilen zurück unter derselben Breite befände, wenn ihm hier das Wasser ausging. Erhob sich endlich der Wind, so würde er ebenso wohl dort unten wehen wie auch hier, ja hier vielleicht noch weniger schnell, wenn er von Osten herkam; aber die Hoffnung hatte den Doctor immer weiter getrieben. Wenn man jetzt die beiden vergeblich angewandten Gallonen Wasser gehabt hätte, so wäre ein neuntägiger Aufenthalt hier in der Wüste möglich gewesen. – Vielleicht auch hätte Fergusson weiser gehandelt, wenn er das Wasser nicht angriff, und den Ballon durch Ballast-Auswerfen und nachherigen Gasverlust steigen und fallen ließ. Aber das Gas des Ballons war ja sein Blut, sein Leben!

Diese tausendfachen Betrachtungen kreuzten sich in seinem Hirn, während er, den Kopf in beide Hände gestützt, ganze Stunden lang dumpf vor sich hinbrütete.

»Wir müssen eine letzte Anstrengung machen, sagte er gegen zehn Uhr Morgens zu sich; wir wollen noch einmal versuchen, eine atmosphärische Strömung zu finden, die uns forttragen kann, und wenn wir dabei unsere letzten Hilfsquellen daransetzen müßten.«

Und während seine Gefährten in apathischem Halbschlaf dalagen, machte er sich daran, das Wasserstoffgas des Luftschiffes auf einen hohen Temperaturgrad zu bringen; dieses rundete sich, und stieg unter der Spannung des Gases gerade in die senkrechten Strahlen der Sonne hinein. Aber vergebens suchte Fergusson in den Luftschichten von hundert bis fünftausend Fuß Höhe einen Windhauch; die Stelle, von der er aufgestiegen, blieb gerade unter ihm, und bis an die äußersten Grenzen der athmungsfähigen Luft schien absolute Stille zu herrschen.

Endlich war das Wasser für die Speisung des Ballons vollständig aufgebraucht; das Knallgasgebläse erlosch aus Mangel an Gas, die Bunsen’sche Batterie stellte ihre Arbeit ein, und der Ballon wurde schlaff, und ließ sich langsam an demselben Platze auf den Sand herab, auf dem die Gondel vor Kurzem ihre Spuren eingedrückt hatte.

Es war zwölf Uhr; die Aufnahme ergab 19° 35′ L. und 6° 51′ Br., also etwa fünfhundert Meilen Entfernung von dem Tschad-See und über vierhundert Meilen von den westlichen Küsten Afrika’s.

Als die Gondel auf dem Boden anlangte, erwachten Dick und Joe aus ihrem schweren Schlummer.

»Wir halten an?« rief der Schotte.

»Es bleibt uns nichts anderes übrig,« lautete die ernste Erwiderung.

Seine Begleiter verstanden ihn. Die Erdoberfläche befand sich in Folge ihrer beständigen Senkung mit dem Meeresspiegel in gleicher Höhe, und der Ballon hielt sich demgemäß ganz unbeweglich, und in vollkommenem Gleichgewicht.

Die Gondel wurde mit einer Last Sand beladen, die der Schwere der Reisenden gleichkam, und diese stiegen auf den Erdboden herab. Ein Jeder versenkte sich in seine Gedanken, und Keiner sprach ein Wort. Joe bereitete das aus Zwieback und Pemmican bestehende Abendessen, aber es wurde kaum berührt. Ein Schluck heißen Wassers vervollständigte dies traurige Mahl.

Wählend der Nacht hielt Niemand Wache, aber Niemand schlief auch. Die Hitze war entsetzlich. Am folgenden Morgen war nur noch eine halbe Pinte Wasser vorhanden, und der Doctor reservirte sie für den Fall der äußersten Noth.

»Ich ersticke, klagte Joe, die Hitze wird immer furchtbarer; man darf sich freilich nicht darüber wundern,« fügte er hinzu, nachdem er einen Blick auf das Thermometer geworfen; »wir haben hundertundvierzig Grad Wärme.«

»Der Sand brennt, als wäre er in einem Ofen erhitzt,« bemerkte der Jäger, »und nicht eine Wolke zeigt sich an dem feurigen Himmel! es ist, um wahnsinnig zu werden!«

»Wir dürfen noch nicht verzweifeln,« beruhigte sie der Doctor. »Auf so große Hitze folgen unvermeidlich in diesen Breiten Stürme, die dann mit der Schnelligkeit des Blitzes eintreten. Trotzdem jetzt der Himmel klar und hell ist, können sich in weniger als einer Stunde große Veränderungen des Wetters einstellen.«

»Ach, könnten wir doch etwas davon bemerken,« seufzte Kennedy.

»Nun,« entgegnete der Doctor, »es scheint mir, als zeige das Barometer eine leise Neigung zu fallen.«

»Der Himmel gebe es, Samuel! wir sind hier an den Boden gefesselt, wie ein Vogel, dem die Flügel zerschmettert sind.«

»Mit dem Unterschiede, mein lieber Dick, daß unsere Flügel unversehrt sind, und ich die Hoffnung hege, bald den gehörigen Gebrauch von ihnen machen zu können.«

»O, wenn sich doch endlich Wind erhöbe!« rief Joe. »Wenn uns nur die Möglichkeit gegeben wird, an einen Bach oder einen Brunnen zu gelangen, so kann uns nichts mehr fehlen. Die Lebensmittel sind hinreichend, um unser Leben noch einen Monat lang zu fristen, aber der Durst ist gar zu grausam.«

Nicht nur der Durst, sondern auch die unaufhörliche Betrachtung der Wüste ermüdete den Geist; keine Unebenheit des Bodens, kein Sandhügel, kein Kieselstein gab dem Blick einen Ruhepunkt. Die ebene Fläche verursachte einen förmlichen Ekel und erzeugte die unter dem Namen »Wüstenfieber« bekannte Krankheit. Das ewig gleiche, unveränderliche Blau des Himmels und die unermeßliche Fläche gelben Sandes wirkte zuletzt erschreckend, und die entzündete Atmosphäre schien in eine leise, zitternde Bewegung zu gerathen, wie die Luft über einem glühenden Feuerheerd. Der Menschengeist gerieth in Verzweiflung beim Anblick dieser unermeßlichen Stille, und marterte sich ab, einen Grund dafür zu finden, daß dieser Zustand auch einmal aufhören könne, denn die Unermeßlichkeit erscheint uns wie eine Art Ewigkeit.

Die Unglücklichen, welche in dieser ausdörrenden Temperatur des Wassers entbehrten, fingen bereits an, Symptome der Sinnverwirrung zu verspüren; ihre Augen vergrößerten sich, und ihr Blick wurde trübe.

Als die Nacht herangekommen war, beschloß der Doctor, gegen diese beunruhigende Stimmung durch einen schnellen Marsch anzukämpfen; er wollte einige Stunden lang die Sandfläche durchstreifen, nicht um zu suchen, sondern nur um zu gehen.

»Kommt mit mir,« redete er seinen Begleitern zu, »die rasche Bewegung wird auch euch wohlthun.«

»Es ist mir unmöglich,« erwiderte Kennedy; »ich könnte keinen Schritt gehen.«

»Und ich will lieber schlafen,« versetzte Joe.

»Schlaf und Ruhe können euch den Tod bringen, meine Freunde. Bemüht euch, diese Erstarrung abzuschütteln, und kommt mit mir.«

Da der Doctor sich bald davon überzeugte, daß er Dick und Joe nicht vermögen konnte, ihm bei seinem Gange Gesellschaft zu leisten, machte er sich allein auf den Weg. Die ersten Schritte würden ihm schwer, wie der erste Gehversuch eines Genesenden; aber bald bemerkte er, daß die Bewegung ihm heilsam sei.

Wirklich schritt er mehrere Meilen nach Westen vor, und fühlte sich schon sehr gekräftigt, als ein Schwindel ihn plötzlich ergriff. Er glaubte, über einem Abgrunde zu schweben, und fühlte, wie seine Kniee unter ihm wankten; die ungeheure Einöde erschreckte ihn, und er fühlte sich als der mathematische Punkt, das Centrum einer unendlichen Peripherie, d.h. Nichts. Der Victoria verschwand im Schatten, und der Doctor, er, der leidenschaftslose, kühne Reisende, wurde von einem unüberwindlichen Schrecken befallen. Er wollte wieder umkehren, aber es war ihm unmöglich; er rief, aber nicht einmal das Echo antwortete ihm, und seine Stimme fiel in den Weltenraum, wie ein Stein in einen grundlosen Schlund. Und so, allein in dem tiefen Schweigen der Wüste, bettete er sich, in Ohnmacht sinkend, auf dem Sande.

Um Mitternacht schlug er die Augen auf und fand sich in den Armen seines treuen Joe wieder. Dieser, über die so lange Abwesenheit seines Herrn in Unruhe gerathen, war seinen in den weichen Sand gedrückten Spuren gefolgt, und hatte ihn endlich ohnmächtig angetroffen.

»Was ist Ihnen zugestoßen, Herr Doctor?« fragte er besorgt.

»Nichts, mein lieber Joe, es war nur eine Anwandlung von Schwäche.«

»Ich hoffe, es wird nichts zu bedeuten haben, Herr, aber bitte, stehen Sie auf, stützen Sie sich auf mich, und begeben Sie sich mit mir nach dem Victoria zurück.«

Und an Joe’s Arm machte sich Fergusson auf den Rückweg.

»Wie unvorsichtig von Ihnen, Herr Doctor, daß Sie sich in solche Gefahr stürzten. Sie hätten beraubt werden können, fügte Joe lachend hinzu. Aber lassen Sie uns im Ernst mit einander reden; es muß jetzt ein Entschluß gefaßt werden. Unsere Lage kann nicht noch länger so fortdauern, denn wenn sich kein Wind erhebt, sind wir verloren.«

Fergusson antwortete nicht.

»Es muß sich einer von uns dreien für die beiden Andern opfern, und dieser Eine werde ich natürlich sein.

»Was willst Du damit sagen? woran denkst Du?«

»Mein Plan ist sehr einfach; ich will mich mit Lebensmitteln versehen, und immer weiter marschiren, bis ich an irgend einen Ort komme, was doch endlich einmal geschehen muß. Wenn ich in ein Dorf komme, werde ich meinen Auftrag ausrichten, indem ich einen Zettel von Ihnen abgebe, auf den Sie einige arabische Worte geschrieben haben. So denke ich Ihnen entweder Hilfe zuzuführen, oder mein Leben für Sie in die Schanze zu schlagen. Was meinen Sie dazu?«

»Das Project ist unsinnig, aber es macht Deinem Herzen alle Ehre. – Es ist unmöglich. Du kannst uns nicht verlassen.«

»Wir sollten es wirklich versuchen; Ihnen und Herrn Kennedy könnte daraus kein Nachtheil entstehen, denn im Fall ein günstiger Wind eher kommt als meine Hilfe, brauchen Sie nicht auf mich zu warten, und mir gelingt mein Plan vielleicht über Erwarten gut.«

»Nein, Joe, nein! wir wollen uns nicht trennen, nicht dies Leid noch zu allem andern fügen. Es stand geschrieben, daß es so kommen sollte, und vielleicht fügt es das Schicksal, daß es später wieder besser wird. Laß uns noch mit Ergebung warten.«

»Gut, Herr Doctor, ich will Ihnen nur dies Eine sagen: ich gestatte Ihnen noch einen Tag, aber länger werde ich nicht zögern. Es ist heute Sonntag, oder vielmehr Montag, denn es ist jetzt ein Uhr Morgens. Wenn wir uns am Dienstag nicht in die Lüfte erheben können, so versuche ich mein Heil; das ist unwiderruflich beschlossen.«

Der Doctor schwieg; bald hatte er die Gondel erreicht und nahm in derselben neben Kennedy Platz, Dieser war in ein dumpfes Hinbrüten versunken, das nichts mit dem Schlaf gemein hatte.

Siebenundzwanzigstes Capitel

Siebenundzwanzigstes Capitel

Uebergroße Hitze. – Sinnesverwirrung. – Die letzten Wassertropfen. – Eine Nacht der Verzweiflung. – Selbstmordversuch. – Der Samum. – Die Oasen. – Löwe und Löwin.

Die erste Sorge des Doctors bei Tagesanbruch war, nach dem Barometer zu sehen. Die Quecksilbersäule hatte sich kaum merklich gesenkt.

»Nichts,« sagte er sich, »nichts.«

Er stieg aus seiner Gondel und prüfte das Wetter. Noch immer dieselbe Hitze, dieselbe Klarheit; der Himmel schien unversöhnlich.

»Das ist doch zum Verzweifeln!« rief er aus.

Joe verhielt sich schweigend; er war in seine Gedanken versunken und sann über seinen Wanderplan hin und her.

Kennedy fühlte sich sehr krank, als er von seinem Lager aufstand; er litt an einer beunruhigenden Überspanntheit der Nerven und stand schreckliche Qualen des Durstes aus. Sein trockener Mund konnte kaum einen Ton hervorbringen.

Es waren noch einige Tropfen Wasser vorhanden, aber obgleich Jeder dies wußte, Jeder sie zu genießen wünschte, wagte doch Niemand, einen Schritt danach zu thun.

Die drei Gefährten blickten einander hohläugig an mit einem Gefühl bestialischer Gier, das besonders bei Kennedy hervortrat. Sein mächtiger Körper unterlag am schnellsten den unerträglichen Entbehrungen. Den ganzen Tag über lag er in Fieberdelirien oder er ging hin und her, stieß ein heiseres Geschrei aus, biß sich in die Fäuste und wollte sich die Adern öffnen, um Blut daraus zu trinken.

»O, du Land des Durstes, stieß er hervor, du solltest »»Land der Verzweiflung«« genannt werden!«

Dann verfiel er wieder in seine tiefe Niedergeschlagenheit, und man hörte nur noch das Pfeifen des Athems von seinen lechzenden Lippen.

Gegen Abend wurde auch Joe von einem Wahnsinnsanfall ergriffen; die ausgedehnte Sandebene erschien ihm wie ein ungeheurer Teich mit klarem, durchsichtigem Wasser. Mehr als ein Mal stürzte er sich auf den erhitzten Boden, um nach Herzenslust zu trinken, und stand, den Mund voll heißen Staubes, wieder auf.

»Verdammt!« rief er zornig, »es ist Salzwasser!«

Dann wurde er, während Fergusson und Kennedy unbeweglich dalagen, von dem Begehren erfaßt, die wenigen aufgesparten Wassertropfen auszutrinken. Er konnte den Gedanken nicht wieder los werden und näherte sich, auf den Knieen rutschend, der Gondel. Er hütete die Flasche, in der sich die Flüssigkeit befand, mit den Augen, warf einen gierigen Blick darauf, griff darnach und führte sie an seine Lippen.

Da hörte er plötzlich neben sich in herzzerreißendem Ton die Worte: »Zu trinken! zu trinken!«

Es war Kennedy, der sich zu ihm herangeschleppt hatte, und nun, ein Jammerbild, weinend auf den Knieen lag und um Wasser bettelte.

Joe weinte gleichfalls; er reichte dem Unglücklichen die Flasche, und dieser leerte sie bis auf den letzten Tropfen.

»Danke!« stammelte er.

Aber Joe hörte ihn nicht; er war gleich ihm auf den Sand zurückgesunken.

Endlich schwand auch diese furchtbare Nacht, und als der Morgen tagte, fühlten die Unglücklichen, wie ihre Glieder unter den brennenden Sonnenstrahlen nach und nach vertrockneten. Joe versuchte sich zu erheben, aber es war ihm unmöglich, und so konnte er seinen Plan nicht zur Ausführung bringen.

Als er aufschaute, gewahrte er Samuel Fergusson, der mit über der Brust gekreuzten Armen wie im Wahnwitz nach einem imaginären Punkt in der Luft starrte. Kennedy war in einem schreckenerregenden Zustande; er wiegte den Kopf hin und her wie ein wildes Thier im Käfig.

Plötzlich hefteten sich die Blicke des Jägers auf seine Büchse, deren Schaft über den Rand der Gondel hinausragte.

»O!« stieß er hervor, indem er sich mit übermenschlicher Anstrengung erhob, stürzte sich wahnsinnstoll auf die Waffe, und richtete ihren Lauf gegen seinen Mund.

»Herr, Herr!« rief Joe, indem er sich seinem Vorhaben zu widersetzen suchte.

»Laß mich! Fort!« schrie der Schotte ächzend.

Sie kämpften mit einander wie erbitterte Feinde.

»Geh weg, oder ich erschieße Dich!« wiederholte Kennedy.

Aber Joe klammerte sich mit Gewalt an ihn; so rangen sie, ohne daß der Doctor etwas hievon zu bemerken schien, wohl eine Minute lang. Da entlud sich plötzlich die Feuerwaffe, und Fergusson richtete sich beim Knall des Schusses wie ein Gespenst in die Höhe und blickte umher.

Aber in einem Augenblick belebte sich sein Blick; seine Hand streckte sich nach dem Horizont aus, und er rief mit einer Stimme, die fast übermenschlich klang:

»Dort! dort! dort unten!«

Es lag eine solche Entschiedenheit in seinen Bewegungen, daß Joe und Kennedy auseinanderfuhren und aufblickten.

Die Ebene war in Bewegung wie ein tiefaufgewühltes Meer an einem stürmischen Tage; die Sandwogen brandeten im dichten Staube übereinander. Eine ungeheure Säule kam wirbelnd, mit außerordentlicher Schnelligkeit aus Südosten; die Sonne verschwand hinter dunkeln Wolken, deren riesenhafte Schatten sich bis zum Victoria verlängerten. Die feinen Sandkörner glitten mit der Leichtigkeit flüssiger Molecüle dahin, und diese steigende Fluth nahm mehr und mehr zu.

Ein Hoffnungsblick strahlte aus den Augen Fergusson’s.

»Der Samum!« rief er.

»Der Samum!« wiederholte Joe, ohne zu verstehen, was damit gemeint war.

»Um so besser!« rief Kennedy mit verzweifelter Wuth, »um so besser, dann werden wir sterben!«

»Um so besser, denn wir werden leben!« erwiderte der Doctor.

Er begann schnell, den Sand, welcher die Gondel auf dem Boden festhielt, auszuwerfen.

Seine Gefährten verstanden ihn endlich, schlossen sich ihm an und nahmen an seiner Seite Platz.

»Jetzt, Joe,« sagte der Doctor, »wirf etwa fünfzig Pfund von Deinem Erz hinaus.«

Joe zögerte nicht, diesem Befehle nachzukommen, aber er empfand etwas wie ein rasch vorübergehendes Bedauern. Der Ballon hob sich.

»Es war Zeit!« rief Fergusson.

Der Samum kam in der That mit der Schnelligkeit des Blitzes heran; hätte der Victoria noch wenige Augenblicke gewartet, ihm zu entfliehen – er wäre zerschmettert, in Stücke gerissen, vernichtet worden. Die ungeheure Sandhose war im Begriff gewesen, ihn zu erreichen; er wurde mit einem Hagel von Sand überschüttet.

»Noch mehr Ballast auswerfen! rief der Doctor Joe zu.

»Hier!« antwortete dieser, indem er ein mächtiges Quarzstück hinabschleuderte.

Der Ballon stieg schnell über die Sandhose empor und wurde dann im ungeheuren Aufruhr der Luft mit einer unberechenbaren Schnelligkeit fortgerissen.

Samuel, Dick und Joe schauten schweigend in das aufgeregte Sandmeer hinaus, und ließen sich von dem Winde erfrischen. Um drei Uhr hörte der Sturm auf, der Sand bildete, indem er herniedersank, eine Unzahl kleiner Berge, und der Himmel nahm seine frühere Ruhe wieder an.

Der Victoria, welcher sich jetzt wieder unbeweglich verhielt, schwebte über einer, mit grünenden Bäumen bedeckten Oase, die gleich einer Insel aus dem Sandmeere herausragte.

»Wasser! dort ist Wasser!« triumphirte der Doctor; zugleich verschaffte er dem Wasserstoffgas durch Oeffnen der obern Klappe freien Ausgang und stieg sanft auf die Erde hernieder, wo er zweihundert Schritt von der Oase entfernt ankam.

In vier Stunden hatten die Reisenden einen Raum von zweihundertundvierzig Meilen durchmessen.

Die Gondel wurde sofort in’s Gleichgewicht gebracht, und Kennedy und Joe schwangen sich auf den Boden heraus.

»Eure Gewehre!« rief Fergusson. »Vergeßt nicht eure Gewehre, und seid vorsichtig.«

Dick ergriff sofort seinen Carabiner, und Joe bemächtigte sich einer der andern Flinten. Sie rückten schnell bis zu den Bäumen vor, und drangen zwischen grünem Laube hindurch, das ihnen eine fließende Quelle verhieß. Sie achteten nicht auf den zerstampften Boden, auf die frischen Spuren, die hie und da dem feuchten Erdreich eingedrückt waren.

Plötzlich ertönte in einer Entfernung von ungefähr zwanzig Schritten lautes Gebrüll.

»Ein Löwe!« rief Joe.

»Mir gerade Recht!« versetzte der Jager erbittert, »wir werden es mit ihm aufnehmen. Sobald es sich um einen Kampf handelt, fühle ich mich stark.«

»Vorsicht, Herr Dick, Vorsicht! bedenken Sie, daß von dem Leben eines der Unserigen unser Aller Leben abhängt.«

Aber Kennedy hörte nicht auf ihn; er rückte funkelnden Auges, mit geladener Büchse, vor. Unter einem Palmbaum stand ein kolossaler Löwe mit schwarzer Mähne, und schien dem Angriff entgegenzusehen, denn als der Jäger näher kam, sprang er mit einem ungeheuren Satze auf ihn zu. Aber noch hatten seine Füße nicht wieder die Erde berührt, da drang eine Kugel ihm in’s Herz. Er fiel todt zu Boden.

»Hurrah! Hurrah!« schrie Joe.

Und nun eilte Kennedy zum Brunnen, glitt auf den feuchten Stufen hinunter und lag, das köstliche Naß schlürfend, an einer frischen Quelle.

Joe ahmte ihm nach, und einige Zeit war nichts zu vernehmen als das Geräusch des Zungenschnalzens, wie man es hört, wenn Thiere, die lange nach Wasser lechzten, ihren Durst stillen.

»Wir müssen uns in Acht nehme, Herr Dick, daß wir uns nicht zu viel thun,« warnte Joe, Athem schöpfend.

Aber Dick trank noch immer und antwortete nicht. Er senkte seinen Kopf und seine Hände in das erquickende Wasser und berauschte sich förmlich in diesem Genuß.

»Und Herr Fergusson?« erinnerte Joe.

Dies eine Wort genügte, um Kennedy wieder zu sich selbst zu bringen; er füllte eine Flasche und stürzte die Stufen des Brunnens hinauf.

Aber hier blieb er wie angewurzelt vor Ueberraschung stehen; ein dunkler, umfangreicher Körper versperrte den Eingang. Joe, der dem Jäger gefolgt war, mußte mit ihm zurückweichen.

»Wir sind eingeschlossen!«

»Das ist unmöglich! was kann das sein?« …

Dick führte seine Worte nicht zu Ende; ein fürchterliches Gebrüll belehrte ihn, welch neuer Feind ihm gegenüberstand.

»Noch ein anderer Löwe!« rief Joe.

»Nein, eine Löwin! warte, Du verwünschte Bestie, warte!« … und der Jäger hatte in einem Moment seinen Carabiner geladen und feuerte, aber das Thier war verschwunden.

»Vorwärts!« kommandirte Kennedy.

»Nein, Herr Dick, Sie haben das Thier noch nicht getödtet, der Körper wäre sonst hier hinein gerollt; ich bin überzeugt, die Bestie steht draußen zum Sprunge bereit, und wer von uns sich zuerst hinauswagt, ist verloren.«

»Aber was sollen wir thun? hinaus müssen wir. Samuel wartet auf uns!«

»Lassen Sie uns das Thier anlocken, und nehmen Sie jetzt meine Flinte für Ihren Carabiner.«

»Was hast Du vor?«

»Sie werden gleich sehen.«

Joe zog seine Leinwandjacke aus, befestigte sie vorn an der Büchse, und reichte sie als Köder vor den Eingang des Brunnenhauses. Das wüthende Thier stürzte sich sofort darauf los. Kennedy hatte sein Erscheinen an der Oeffnung erwartet und zerschmetterte ihm jetzt mit einer Kugel die Schulter. Die Löwin rollte auf die Brunnentreppe, indem sie Joe mit sich fortriß; er glaubte schon die ungeheuren Tatzen der Bestie zu fühlen, als ein zweiter Schuß krachte und Samuel Fergusson mit einem noch rauchenden Gewehr in der Hand am Eingange erschien.

Joe erhob sich eilig, schritt über den Körper der Löwin hinweg, und reichte seinem Herrn die gefüllte Wasserflasche.

Sie an die Lippen führen und halb austrinken, war das Werk eines Augenblicks; dann dankten die drei Reisenden aus dem Grunde ihres Herzens der Vorsehung, die sie so wunderbar errettet hatte.

Achtundzwanzigstes Capitel

Achtundzwanzigstes Capitel

Ein köstlicher Abend. – Joe’s Küche. – Erörterung über rohes Fleisch. – Geschichte von James Bruce. – Das Bivouak. – Joe’s Träume. – Das Barometer fällt. – Das Barometer steigt wieder. – Vorbereitungen zum Aufbruch. – Der Orkan.

Der Abend war herrlich, und die drei Freunde brachten ihn, nachdem sie sich an einem Mahle gelabt hatten, unter dem frischen Laub der Mimosen zu. Thee und Grog wurden heute nicht gespart.

Kennedy hatte das kleine Paradies nach allen Seiten hin durchsucht und gefunden, daß sie die einzigen lebenden Wesen auf diesem Gebiete waren. Sie streckten sich auf ihre Decken aus und erfreuten sich einer friedlichen Nacht, die ihnen Vergessen der überstandenen Leiden brachte.

Am Morgen des 7. Mai leuchtete die Sonne in ihrem hellsten Glanz, aber ihre Strahlen vermochten nicht, das dichte Laubwerk zu durchbrechen. Da Lebensmittel in hinreichender Menge vorhanden waren, beschloß der Doctor, an diesem Orte einen günstigen Wind abzuwarten.

Joe hatte seine tragbare Küche hierher transportirt, und versuchte eine Masse culinarischer Combinationen, bei denen er das Wasser mit sorgloser Verschwendung benutzte.

»Welch‘ sonderbare Aufeinanderfolge von Leid und Freude, bemerkte Kennedy; dieser Ueberfluß nach so qualvoller Entbehrung! Dieser Luxus im Gefolge solches Elends! ach, ich war nahe daran, den Verstand zu verlieren.

– Mein lieber Dick, wäre Joe nicht gewesen, so würdest Du jetzt nicht mehr über die Unbeständigkeit der menschlichen Dinge philosophiren.

– Der wackere Junge, der treue Freund! rief der Schotte, indem er Joe die Hand reichte.

– Keine Ursache; es lohnt nicht davon zu reden,« antwortete dieser; »Sie können sich ja einmal revanchiren, Herr Dick; ich wünschte zwar nicht, daß sich Gelegenheit dazu böte.

– Armselige Creaturen sind wir doch, versetzte der Doctor, daß eine solche Kleinigkeit uns so niederzudrücken vermag!

– Sie meinen den Mangel von ein wenig Wasser, Herr Doctor? Dies Element muß doch wohl außerordentlich nothwendig zum Leben sein!

– Allerdings, Joe, man kann länger ohne zu essen, als ohne zu trinken leben.

– Das glaube ich; übrigens kann man im Falle der Noth so ziemlich Alles essen, was Einem aufstößt, sogar Seinesgleichen, obgleich das eine Speise sein muß, die schwer im Magen liegt.

– Die Wilden nehmen weiter keinen Anstoß daran, meinte Kennedy.

– Ja, die Wilden! sie sind aber auch daran gewöhnt, rohes Fleisch zu essen; ich für meine Person würde den Ekel davor nicht überwinden können.

– Es muß in der That ziemlich widerwärtig sein, stimmte der Doctor bei, und Niemand wollte den ersten Afrika-Reisenden Glauben schenken, als sie erzählten, daß verschiedene Völker sich von rohem Fleische nährten. James Bruce begegnete in dieser Hinsicht ein merkwürdiges Abenteuer.

– Bitte, erzählen Sie, Herr Doctor, wir haben Zeit, Ihnen zuzuhören …. Mit diesen Worten streckte sich Joe behaglich auf dem weichen Grase aus.

– Gern, mein Junge. James Bruce war ein Schotte, aus der Grafschaft Stirling gebürtig, der in den Jahren von 1768 bis 1772 behufs Aufsuchung der Nilquellen ganz Abessynien bis zum Tyana-See durchreiste; dann kehrte er nach England zurück, wo er erst im Jahre 1790 seine Reisebeschreibung veröffentlichte. Die darin enthaltenen Erzählungen wurden mit außerordentlichem Unglauben aufgenommen, einem Unglauben, der sicherlich auch den unserigen bevorsteht. Die Gewohnheiten der Abessynier waren von englischen Sitten und Gebräuchen so verschieden, daß Niemand sie für möglich hielt.

Unter Anderm hatte James Bruce behauptet, daß die Völker Ostafrika’s rohes Fleisch äßen. Diese Angabe brachte Jedermann in Harnisch gegen ihn; er könne ja Alles sagen, was ihm beliebe, meinte man, es würde Niemand hinreisen, um ihn zu widerlegen! Bruce war ein sehr muthiger, aber äußerst jähzorniger Mann, und diese Zweifel an seinen Worten reizten ihn im höchsten Grade. Eines Tages, als in einer Gesellschaft zu Edinburg ein Schotte das gewöhnliche Scherzthema wieder aufnahm und rund heraus erklärte, daß die Sache weder möglich noch wahr sei, entfernte sich Bruce stillschweigend und kehrte nach einigen Minuten mit einem rohen Beefsteak zurück, das nach afrikanischer Manier mit Pfeffer und Salz bestreut war. »Mein Herr,« sagte er zu dem Schotten, »durch Ihren Zweifel an einer meiner Behauptungen haben Sie mir eine schwere Beleidigung zugefügt; darin, daß Sie die Thatsache für unausführbar hielten, haben Sie sich sehr geirrt, und um das allen Anwesenden zu beweisen, werden Sie sofort entweder dies rohe Beefsteak essen, oder mir für Ihre Worte Genugthuung geben.« Der Schotte hatte Furcht und gehorchte nicht ohne allerlei Grimassen. Sodann sagte James Bruce mit der größten Kaltblütigkeit: »Wenn Sie vielleicht immer noch behaupten, mein Herr, daß meine Angabe nicht auf Wahrheit beruht, so werden Sie wenigstens nicht mehr sagen können, daß sie unmöglich sei.

– Gut gegeben! meinte Joe; wenn sich der Schotte an dem rohen Beefsteak ein Wenig den Magen verdorben hat, so ist ihm nur Recht geschehen. Wenn man bei unserer Rückkehr nach England unsere Reise gleichfalls in Zweifel ziehen sollte ….

– Nun, Joe, was gedenkst Du dann zu thun?

– Ich werde den Ungläubigen die Stücke des Victoria ohne Salz und Pfeffer zu essen geben!«

Und Jeder lachte über Joe’s Auskunftsmittel. Der Tag verging so unter angenehmen Gesprächen; mit der Kraft kehrte die Hoffnung, und mit der Hoffnung die Kühnheit wieder. Die Vergangenheit vermischte sich fast unmerklich mit der Zukunft.

Joe hätte am Liebsten dies entzückende Asyl nie wieder verlassen; es war das Ideal seiner Träume; er fühlte sich hier wie zu Hause, und sein Herr mußte ihm die genaue Aufnahme der Oertlichkeit angeben, die er mit großem Ernst in seine Reisenotizen eintrug: 15° 43′ L. und 8° 32′ Br.

Kennedy bedauerte nur eins, nämlich daß er in diesem Miniaturwalde nicht jagen konnte; seiner Ansicht nach fehlten zur Annehmlichkeit der Situation noch wilde Thiere.

»Du hast ein kurzes Gedächtniß, lieber Dick,« versetzte der Doctor. »Denkst Du gar nicht mehr an den Löwen und an die Löwin?«

»Ach das!« sprach er mit der Verachtung, die ein richtiger Jäger für das erlegte Wild an den Tag legt. »Aber freilich, ihre Anwesenheit in dieser Oase gestattet wohl der Vermuthung Raum, daß wir nicht mehr sehr entfernt von fruchtbaren Landstrichen sind.«

»Kein sicherer Beweis dafür, Dick. Diese Thiere überschreiten, von Hunger oder Durst getrieben, oft beträchtliche Entfernungen; in der nächsten Nacht werden wir sogar gut thun, größere Wachsamkeit zu beobachten und Feuer anzuzünden.«

»Bei dieser Temperatur noch Feuer anzünden!« rief Joe. »Nun wenn es sein muß, soll es geschehen. Aber es wird mir wirklich schwer werden, dies hübsche Gehölz, das uns so nützlich und erquickend gewesen ist, zu verbrennen.«

»Wir müssen besonders Acht darauf geben daß wir es nicht in Brand stecken,« fügte der Doctor hinzu, »damit auch andere Reisende hier eines Tages Zuflucht finden können.«

»Wir wollen schon dafür sorgen, Herr; aber meinen Sie denn, daß diese Oase bekannt ist?«

»Gewiß. Es ist ein Haltepunkt für die Karawanen, die Central-Afrika besuchen, und es wäre wohl möglich, daß solch‘ Besuch Dir wenig behagen würde, Joe.«

»Giebt es in dieser Gegend auch solche abscheuliche Nyam-Nyam?«

»Ohne Zweifel! das ist der Gesammtname für all diese Völkerschaften, und unter demselben Klima müssen dieselben Racen auch gleiche Gewohnheiten haben.«

Joe gab mit einem kräftigen »Puh« seinem Widerwillen Ausdruck.

»Trotzdem finde ich das eigentlich sehr natürlich! wenn Wilde denselben Geschmack wie gesittete Europäer hätten – wo bliebe der Unterschied? Es mag hier ganz honette Leute geben, die sich nicht bitten lassen würden, das rohe Beefsteak des Schotten und ihn selber noch obendrein zu verzehren.«

Nach dieser sehr verständigen Betrachtung errichtete Joe seine Scheiterhaufen für die Nacht, machte sie jedoch so klein wie möglich. Diese Vorsichtsmaßregeln erwiesen sich jedoch glücklicher Weise als unnöthig, und die drei Reisenden schliefen abwechselnd in tiefster Ruhe.

Am folgenden Morgen zeigte sich noch keine Aenderung des Wetters; es blieb hartnäckig klar und schön. Der Ballon verhielt sich vollständig ruhig, und nicht die geringste Schwankung seines beweglichen Körpers verrieth einen Windhauch.

Der Doctor wurde wieder besorgt; wenn die Reise sich sehr verlängern sollte, würden die Lebensmittel nicht ausreichen. Nachdem man beinahe dem Wassermangel erlegen war, sollte man schließlich vor Hunger sterben müssen?

Fergusson gewann indessen seine Zuversicht wieder, als er sah, wie das Quecksilber im Barometer sehr merklich fiel; das war ein augenscheinliches Zeichen einer nahen Veränderung in der Atmosphäre; demnach beschloß er seine Vorbereitungen zum Aufbruch zu treffen, um die erste günstige Gelegenheit sofort benutzen zu können. Der Speisungskasten wie auch die Wasserkiste wurden vollständig gefüllt.

Der Doctor mußte nun das Gleichgewicht des Luftschiffes wieder herstellen, und Joe wurde genöthigt, einen ansehnlichen Theil seines kostbaren Golderzes zu opfern. Mit der Gesundheit waren ihm jedoch wieder habsüchtige Gedanken aufgestiegen, und er schnitt ein böses Gesicht über das andere, ehe er sich entschloß, seinem Herrn zu gehorchen; dieser aber bewies ihm geduldig, daß er ein so bedeutendes Gewicht nicht mitnehmen könne, und ließ ihm die Wahl zwischen Wasser und Gold; Joe schwankte nun nicht länger, und schleuderte eine tüchtige Menge seiner werthvollen Kiesel auf den Sand, indem er rief:

»Mögen es die behalten, welche nach uns kommen; sie werden nicht wenig erstaunt sein, an solchem Orte ihr Glück zu finden.«

»Wenn nun irgend ein gelehrter Reisender diese Steinmuster hier auffindet?« hub Kennedy an.

»Ich zweifle durchaus nicht, mein lieber Dick, daß es ihn sehr überraschen und er seiner Verwunderung in zahlreichen Folianten Ausdruck verleihen würde! Vielleicht hören wir bald einmal von einer wunderbaren Schicht goldhaltigen Quarzes inmitten der Sandwüsten Afrika’s.«

»Und Joe ist dann die Ursache hiervon gewesen.« Der Gedanke, irgend einen Gelehrten zu mystificiren, schien den braven Joe zu trösten; er entlockte ihm wenigstens ein Lächeln.

Der Doctor wartete vergebens den Tag über auf Wetterveränderung. Die Temperatur stieg bedeutend, und wäre ohne den Schatten der Oase unerträglich gewesen. Das Thermometer zeigte in der Sonne hundertneunundvierzig Grad. Ein wahrer Feuerregen durchfuhr die Luft. Es war die höchste Wärme, die bis jetzt beobachtet worden war.

Joe ordnete wie am vergangenen Abende das Bivouak, und während der Doctor und später Kennedy wachten, ereignete sich kein weiterer Zwischenfall. Aber gegen drei Uhr Morgens, als Joe die Wache hatte, wurde die Temperatur plötzlich kühler, der Himmel bedeckte sich mit Wolken, und die Dunkelheit nahm zu.

»Auf! auf!« rief Joe, indem er seine beiden Gefährten weckte; »der Wind!«

»Endlich!« sagte der Doctor, indem er den Himmel betrachtete; »es erhebt sich ein Sturm; in den Victoria, in den Victoria

Es war die höchste Zeit zum Einsteigen. Der Victoria bog sich unter der Gewalt des Orkans und schleppte die Gondel fort, die auf dem Sande hinstreifte. Wenn durch irgend einen Zufall ein Theil des Ballasts zur Erde gestürzt wäre, würde der Ballon auf und davon gegangen sein, und jede Hoffnung, ihn wiederzufinden, wäre vergeblich gewesen.

Aber Joe lief, so schnell ihn seine Füße tragen wollten, zum Victoria und hielt die Gondel an, während der Ballon sich auf den Sand legte und der Gefahr des Zerreißens sehr nahe war. Der Doctor nahm seinen Platz ein, zündete das Knallgasgebläse an und warf den Gewichtüberschuß auf den Sand.

Die Reisenden betrachteten ein letztes Mal die Bäume der Oase, die sich unter dem Sturm beugten, und verschwanden bald zweihundert Fuß über der Erde, vom Ostwinde getrieben, im Dunkel der Nacht.

Neunundzwanzigstes Capitel

Neunundzwanzigstes Capitel

Symptome bei Vegetation. – Phantastischer Gedanke eines französischen Schriftstellers. – Ein herrliches Land. – Das Königreich Adamova. – Die Forschungsreisen Speke’s und Burton’s mit denen Barth’s verknüpft. – Die Atlantika-Berge. – Der Benue-Fluß. – Die Stadt Yola. – Der Bagele. – Der Berg Mendif.

Die Reisenden fuhren vom Augenblick ihres Aufbruchs an mit großer Geschwindigkeit; sie sehnten sich danach, diese Wüste, die ihnen beinahe so verhängnißvoll geworden wäre, zu verlassen.

Gegen ein Viertel zehn Uhr Morgens erblickte man einige Symptome der Vegetation, Gräser, die auf diesem Sandmeer zitterten und ihnen, wie dem Christoph Columbus, die Nähe des Landes verkündeten. Grüne Keime sproßten schüchtern unter Kieseln hervor, und am Horizonte zogen sich Hügel in wellenförmiger Linie hin. Ihre vom Nebel verwischte Seitenansicht zeichnete sich in vagen Umrissen ab; die Eintönigkeit schwand.

Fergusson begrüßte freudig diese neue Gegend, und wie ein Matrose im Mastkorbe hätte er ausrufen mögen: »Land! Land!«

Eine Stunde später entfaltete sich der Continent vor seinen Augen; er bot bis jetzt nur noch einen wilden Anblick dar, war aber doch weniger flach und nackt; einige Bäume hoben sich vom grauen Himmel ab.

»Wir sind jetzt also in civilisirten Landen? fragte der Jäger.

– Civilisirt? Herr Dick, was denken Sie sich? von Einwohnern ist noch nichts zu sehen.

– Bei der Schnelligkeit, mit der wir fortkommen, wird auch das nicht lange dauern, entgegnete Fergusson.

– Sind wir noch im Negerlande, Herr Samuel?

– Noch immer, Joe, und dann kommen wir zu den Arabern.

– Zu den Arabern, Herr Doctor? zu richtigen Arabern mit Kameelen?

– Nein, ohne Kameele; diese Thiere sind hier selten, wenn nicht gar unbekannt; man trifft sie erst einige Grade nördlicher an.

– Das gefällt mir nicht.

– Warum denn, Joe?

– Weil sie uns bei widrigem Winde nützlich werden könnten. Es kommt mir nämlich ein Gedanke, Herr Doctor. Man könnte sie an die Gondel spannen und sich von ihnen in’s Schlepptau nehmen lassen.

– Mein armer Joe, diesen Gedanken hat schon ein Anderer vor Dir gehabt, und er ist von einem sehr geistreichen, französischen Schriftsteller durchgeführt worden … allerdings nur in einem Roman. Reisende lassen sich im Ballon von Kameelen ziehen, es kommt ein Löwe, der die Kameele verschlingt, das Sattelzeug gleichfalls verspeist und nun an ihrer Stelle ziehen muß, und so dann weiter. Du siehst, daß dies Alles in’s Genre der höhern Phantasie gehört, und nichts mit unserer Beförderungsart gemein hat.«

Joe, der sich ein wenig durch den Gedanken gedemüthigt fühlte, daß seine Idee schon Verwendung gefunden hatte, sann darüber nach, welches Thier den Löwen hätte verschlingen können, kam jedoch zu keinem Resultat und begann wieder, das Land zu besichtigen.

Ein See von mittlerer Größe erstreckte sich unter ihnen und wurde von einem Amphitheater von Hügeln eingeschlossen, die noch keinen Anspruch darauf erheben konnten, Berge zu heißen; dort schlängelten sich zahlreiche, fruchtbare Thäler mit ihrem unentwirrbaren Durcheinander der mannigfaltigsten Bäume; die Oelpalme mit ihren fünfzehn Fuß langen Blättern auf scharfdornigen Stengeln, war hauptsächlich unter ihnen vertreten; der Bombyx (Seidenwollenbaum) füllte den Wind mit dem feinen Flaum seines Samens; der strenge Geruch des Pendanus, des »Kenda« der Araber, durchduftete die Lüfte bis zu der Zone, in welcher der Victoria dahinschwebte. Der Melonenbaum mit gefingerten Blättern, der Stinkbaum, auf dem die Sudanischen Nüsse wachsen, Baobabs und Bananen vervollständigten diese üppige Flora der Tropengegenden.

»Das Land ist herrlich, sagte der Doctor.

– Thiere finden sich schon ein, dann sind auch Menschen nicht weit, äußerte Joe.

– Ach, die prächtigen Elephanten! rief Kennedy; ließe sich hier nicht eine kleine Jagd veranstalten?

– Wie könnten wir bei einer so heftigen Strömung wohl anhalten, lieber Dick? Stehe nur ein wenig Tantalusqual aus! Du kannst Dich später dafür entschädigen.«

Es war allerdings Ursache vorhanden, einen Jäger in Aufregung zu bringen. Dick klopfte das Herz in der Brust, und seine Finger legten sich fester um den Kolben seines Purdey.

Die Fauna dieses Landes kam der Flora gleich. Der wilde Ochse walzte sich in einem so dichten Grase, daß er fast darunter verschwand; graue, schwarze und gelbliche Elephanten von riesenhaftem Wuchse schritten wie ein Windbruch durch die Wälder, verheerend, niederbrechend, umstürzend und ihren Weg durch Verwüstung bezeichnend. Auf dem mit Holz bestandenen Abhang der Hügel sickerten Cascaden und Wasserrinnen, die ihren Weg gen Norden nahmen; dort badeten sich Nilpferde mit lautem Plätschern, und Seekühe von zwölf Fuß Länge und fischartigem Körper streckten sich an den Ufern aus, indem sie ihre runden milchgeschwellten Euter nach oben kehrten.

Es war eine förmliche Menagerie seltener Thiere in einem wunderbaren Treibhause, das zahllose, buntfarbig schillernde Vögel durchschwirrten.

An dieser, mit verschwenderischer Ueppigkeit geschmückten Natur erkannte der Doctor das stolze Königreich Adamova.

»Wir treten nunmehr in die Fußtapfen der neuern Entdecker ein,« theilte der Doctor seinen Begleitern mit; ich habe die unterbrochene Spur der Reisenden wieder aufgenommen; eine glückliche Schickung, meine Freunde. Wir werden die Forschungsreisen der Kapitäne Burton und Speke mit denen des Doctor Barth verknüpfen können; wir haben Engländer verlassen, um einen Hamburger wiederzufinden, und bald werden wir an dem äußersten Punkte angelangt sein, den dieser kühne Gelehrte erreicht hat.

– Es kommt mir vor, hub Kennedy an, als ob sich zwischen diesen beiden Entdeckungsreisen eine große Länderstrecke befinden müßte, wenn ich nach dem von uns zurückgelegten Wege urtheilen darf.

– Das können wir leicht berechnen; nimm die Karte zur Hand und sieh, welches der Längengrad der von Speke erreichten Südspitze des Ukerewe-Sees ist.

– Sie zeigt sich etwa unter dem siebenunddreißigsten Grad.

– Und wo liegt die Stadt Yola, die wir heute Abend aufnehmen werden, nach der Barth gelangte?

– Ungefähr unter dem zwölften Längengrad.

– Beträgt also fünfundzwanzig Grad; jeden zu sechzig Meilen, macht fünfzehnhundert Meilen.

– Ein hübscher Spaziergang für Leute, die zu Fuß reisen.

– Trotzdem wird er gemacht werden. Livingstone und Moffat gehen immer weiter in’s Innere vor; der Nyassa, den sie entdeckt haben, liegt in nicht zu großer Entfernung von dem durch Burton recognoscirten Tanganiyka-See. Noch ehe das Jahrhundert zu Ende geht, werden diese unermeßlichen Gegenden gewiß durchforscht sein. Aber,… fügte Fergusson nach Besichtigung seines Compasses hinzu,… ich bedaure, daß der Wind uns so sehr nach Westen trägt; ich hätte mehr nach Norden kommen mögen.«

Nach einer zwölfstündigen Reise befand sich der Victoria auf den Grenzen Nigritiens; die ersten Bewohner dieses Landes, Chua-Araber, weideten ihre Nomadenherden. Die ungeheuren Gipfel der Atlantika-Berge erhoben sich über den Horizont, Berge, die noch der Fuß keines Europäers betreten hat, und deren Höhe auf ungefähr dreizehnhundert Toisen geschätzt wird. Ihr westlicher Abhang bestimmt den Abfluß aller Wasser aus diesem Theile Afrika’s nach dem Ocean; es sind die Mondberge dieser Gegend.

Endlich zeigte sich ein wirklicher Strom den Augen der Reisenden, und an den kolossalen Ameisenhaufen in seiner Nähe erkannte der Doctor den Benue, einen der großen Zuflüsse des Niger, ihn, den die Eingeborenen »die Quelle der Wasser« genannt haben.

»Dieser Strom, belehrte der Doctor seine Gefährten, wird dermaleinst der natürliche Communicationsweg mit dem Innern Nigritiens werden. Unter dem Oberbefehl eines unserer tapfern Kapitäne ist das Dampfboot, »die Plejade« bereits auf demselben bis zur Stadt Aola gefahren. Ihr seht, daß wir in bekanntem Lande sind.«

Zahlreiche Sclaven beschäftigten sich mit Feldarbeiten, indem sie den Sorgo (eine Art Hirse), ihr hauptsächliches Nahrungsmittel, anbauten. Starres Staunen prägte sich auf den Gesichtern der Leute aus, als der Victoria wie ein Meteor an ihnen vorüberflog. Am Abend machte er vierzig Meilen von Yola Halt, und vor ihm, in der Ferne, erhoben sich die beiden spitzigen Kegel des Mendif-Berges.

Der Doctor ließ den Anker auswerfen und hakte ihn in den Wipfel eines hohen Baumes ein; aber ein sehr rauher Wind schüttelte den Victoria dermaßen, daß er sich mitunter in ganz wagerechter Lage befand, und so wurde die Stellung der Gondel bisweilen äußerst gefährlich. Fergusson schloß in dieser Nacht kein Auge; oft war er nahe daran, das Befestigungstau zu durchhauen und vor dieser Pein zu fliehen. Endlich aber legte sich der Sturm, und die Schwankungen des Luftschiffes hatten nichts Beunruhigendes mehr.

Am andern Morgen war der Wind gemäßigter, aber er entfernte die Reisenden von der Stadt Jola, die kürzlich von den Fullannes neu aufgebaut, die Neugier Fergusson’s erregte; nichtsdestoweniger mußte man sich darein ergeben, nach Norden, ja sogar ein wenig nach Osten zu segeln.

Kennedy schlug vor, in diesem Jagdlande Station zu machen; Joe behauptete, für die Küche frisches Fleisch sehr nöthig zu haben; aber die wilden Sitten dieses Landes, die Haltung der Bevölkerung, das Abfeuern einiger Flintenschüsse auf den Victoria veranlaßten den Doctor, seine Reise ohne Aufenthalt fortzusetzen. Man schwebte über ein Land hinweg, das einen Schauplatz von Brand und Mord darstellte, in welchem kriegerische Kämpfe nimmer aufhören, und in denen die Sultane unter dem scheußlichsten Gemetzel um ihre Reiche spielen.

Zahlreiche, bevölkerte Dörfer mit langen Negerhütten erstreckten sich zwischen den großen Viehweiden, deren dichtes Gras mit violetten Blumen besäet war; Häuser, großen Bienenkörben ähnlich, standen im Schutze starrender Palissaden, und die wilden Abhänge der Hügel erinnerten, wie Kennedy mehrmals hervorhob, an die »Glen« des schottischen Hochlandes

Trotz aller Anstrengungen segelte der Doctor nach Nordosten, gerade auf den Mendif-Berg zu, der in den Wolken verschwand; die hohen Gipfel dieses Gebirges trennen das Nigerbassin von dem Becken des Tschad-Sees.

Bald erschien der Bagele mit seinen achtzehn Dörfern, die wie Kinder im Schooß ihrer Mutter, an den Seitenabhängen des Berges kleben. Für die Reisenden, die dies Ensemble überschauen konnten, bot das Bild einen wahrhaft reizenden Anblick; die Schluchten waren mit Reis- und Erdeichelfeldern bedeckt.

Um drei Uhr befand sich der Victoria dem Mendif-Berge gegenüber. Man hatte ihn nicht umsegeln können, und so mußte er überschritten werden. Mittelst einer Temperatur, die der Doctor um hundertundachtzig Grad steigerte, gab er dem Ballon eine neue emportreibende Kraft von beinahe sechzehnhundert Pfund. Er stieg um mehr als achttausend Fuß: die bedeutendste auf der Reise erreichte Höhe, in der die Temperatur dergestalt abnahm, daß der Doctor und seine Gefährten sich in Decken einhüllen mußten.

Fergusson stieg eilig wieder hinab, denn die Hülle des Luftschiffes dehnte sich zum Zerspringen aus; dennoch hatte man Zeit gehabt, den vulkanischen Ursprung des Berges zu constatiren; seine ausgebrannten Krater zeigen sich jetzt nur noch als tiefe Abgründe. Große Anhäufungen von Vogelmist geben den Seitenabhängen des Mendif das Aussehen von Kalkfelsen; man hätte damit die Ländereien des ganzen Königreichs düngen können.

Um fünf Uhr segelte der Victoria, vor den Südwinden geschützt, sanft an der Senkung des Gebirges hin, und hielt in einer großen, von jeder menschlichen Wohnung entfernt liegenden Lichtung; sobald die Gondel den Boden berührt hatte, wurden Vorsichtsmaßregeln getroffen, um sie an der Erde zu fesseln, und Kennedy stürzte, die Flinte in der Hand, über die sanftabfallende Ebene davon. Bald kam er, mit einem halben Dutzend wilder Enten und einer Art Becassinen beladen, zurück, die Joe kunstgerecht herrichtete. Das Mahl war köstlich, und ihm folgte eine Nacht ungestörter, tiefer Ruhe.