Sechzehntes Capitel.


Sechzehntes Capitel.

Die erste Hälfte des Monats September war verflossen.

Wäre Fort-Esperance am Pole selbst gelegen gewesen, d.h. also noch um zwanzig Grad nördlicher, so würde es am 21. desselben Monats die Polarnacht schon mit ihren Schatten umhüllt haben. Ueber diesem siebenzigsten Breitengrade aber zog die Sonne wohl noch einen Monat lang ihre Kreise über dem Horizonte. Nichts desto weniger sank die Temperatur schon sehr fühlbar und in der Nacht fiel das Thermometer gelegentlich bis auf -1° C. Da und dort bildete sich junges Eis, das freilich die Sonnenstrahlen während des Tages wieder schmolzen. Manchmal mischte sich ein kurzes Schneegestöber unter die Regenschauer und die Windstöße. Offenbar war die schlechte Jahreszeit nahe.

Die Bewohner der Factorei konnten dieser jedoch sorglos entgegen sehen. Der aufgespeicherte Proviant versprach die ganze Zeit über, und wohl noch länger, auszureichen. Der Vorrath an trockenem Wildpret hatte wesentlich zugenommen, auch waren noch weiter gegen zwanzig Walrosse erlegt worden. Mac Nap hatte Zeit gefunden, einen wohlverwahrten Stall für die Rennthiere, welche man im Fort hielt, und einen geräumigen Schuppen zur Aufnahme des Heizmateriales zu errichten.

Der Winter, das will sagen: die Nacht, der Schnee, das Eis, die Kälte konnten nun kommen; man war auf Alles vorbereitet.

Nach Sicherung der späteren Bedürfnisse der Bewohner des Forts faßte Jasper Hobson aber auch die Interessen der Compagnie in’s Auge. Es war die Zeit gekommen, während der die Thiere, welche ihr Winterfell wieder bekommen haben, die schätzbarste Beute sind. Jetzt konnte man sie durch Pulver und Blei erlegen, während später, wenn sich die Schneedecke gleichmäßig ausgebreitet hatte, Schlingen und Fallen aufgestellt werden sollten. Jasper Hobson organisirte also förmliche Jagdzüge.

Die Concurrenz von Seiten der Indianer war in diesen hohen Breiten kaum zu fürchten, da diese gewöhnlichen Lieferanten der Factoreien meist nur südlichere Gebiete durchstreifen. Lieutenant Jasper Hobson, Marbre, Sabine und zwei bis drei ihrer Genossen sollten also für die Compagnie jagen, und es ist einleuchtend, daß es ihnen nicht an Arbeit fehlte.

An einem Arme des kleinen Baches, etwa sechs Meilen südlich vom Fort, war ein Bibervolk bemerkt worden. Nach diesem Punkte richtete Jasper Hobson seinen ersten Ausflug.

Früher, als es die Hutmacher noch vielfach verwendeten, galt das Kilogramm Biberhaare bis zu vierhundert Franken; seitdem der Verbrauch dieses Flaumenhaares aber abgenommen hat, ist zwar auch der Preis gesunken, aber dennoch an den Rauchwaaren- Märkten ein ziemlich hoher, da diese unerbittlich und unvernünftig verfolgte Nagerfamilie dem Verschwinden nahe zu sein scheint.

Die Jäger begaben sich also nach dem bezeichneten Orte an den Fluß.

Der Lieutenant rief Mrs. Paulina Barnett’s Bewunderung hervor, als er ihr die sinnreichen Anlagen zeigte, welche diese Thiere behufs Errichtung ihrer halb unter dem Wasser erbauten Stadt getroffen hatten. Gegen hundert Biber bewohnten pärchenweise in der Nachbarschaft des Wasserlaufes ausgehöhlte Löcher, hatten aber schon den Bau ihrer Winterwohnungen begonnen, an denen sie fleißig arbeiteten.

Quer durch das schnelllaufende Wasser, welches tief genug war, um nicht vollkommen auszufrieren, hatten die Biber einen gegen die Strömung hin etwas ausgebogenen Damm erbaut; er bestand zunächst aus lothrecht und nahe an einander gestellten Pfählen, welche in wagerechter Richtung von biegsamen Baumästen umschlungen und verbunden waren. Das Ganze bedeckte eine thonige Erde, welche die Füße der Nager erst geknetet hatten, wie mit einem Cemente überdeckt.

Hierauf war der Thon mit Hilfe der breiten ovalen, horizontal abgeplatteten und schuppigen Schwänze zu einzelnen Werkstücken geformt und damit das ganze Zimmerwerk des Dammes gleichmäßig gedichtet worden.

»Dieser Damm, Madame, sagte Jasper Hobson, hat den Zweck, das Flüßchen immer bei unverändertem Wasserstande zu erhalten und gestattet er den Baumeistern der Biber, stromaufwärts ihre rundlichen Wohnungen, deren oberste Theile sie dort wahrnehmen, zu errichten. Diese Bauten sind sehr solid construirt; ihre aus Holz und Thon hergestellten Wände haben eine Stärke von zwei Fuß, und bieten als Eingang nur eine unterhalb des Wasserspiegels gelegene Oeffnung, was Jeden, der heraus oder hinein will, allerdings zum Tauchen nöthigt, aber auch die Sicherheit der Biberfamilie erhöht. Bei Zerstörung eines solchen Baues findet man ihn aus zwei Stockwerken bestehend, einem unteren, welches als Vorrathsraum dient und den Winterproviant an Zweigen, Wurzeln und Rinden enthält, und einem oberen, welches das Wasser nicht erreicht und in dem der Eigenthümer mit seinem kleinen Hausstande lebt.

– Ich sehe aber keines dieser klugen und fleißigen Thiere, sagte Mrs. Paulina Barnett. Sollte die Ansiedelung schon wieder verlassen sein?

– Nein, Madame, erwiderte Lieutenant Hobson, jetzt ruhen die Arbeiter im Schlafe aus, denn sie sind nur in der Nacht thätig und wir werden sie in ihren Höhlen überraschen!«

Wirklich verursachte der Fang dieser Nagethiere keinerlei Schwierigkeit. Binnen einer Stunde hatte man wohl hundert Stück erbeutet, und darunter Einige, deren Fell vollkommen schwarz war, von sehr hohem Handelswerthe. Die Anderen hatten auch einen seidenweichen, langhaarigen, glänzenden Pelz, der aber eine rothbraune Nuance zeigte, und unter diesem einen feinen, dichten, silbergrauen Flaum. Die Biberfelle wurden in das Magazin gebracht und unter dem Namen »Parchemins« oder »junge Biber«, je nach ihrem Werthe registrirt.

Während des ganzen Septembers und bis Mitte October wurden derartige Jagdzüge wiederholt und lieferten diese immer sehr günstige Resultate.

Dachse wurden nur in geringer Menge gefangen. Man stellte ihnen wegen ihrer Haut, welche zur Garnitur der Pferdekummete dient, und wegen der Haare nach, die man zu Bürsten und Pinseln verarbeitet. Diese Raubthiere – denn sie sind wirklich kleinen Bären gleich – gehören zu der Nordamerika eigenthümlichen Abart der Vielfraß-Dachse.

Andere zum Geschlechte der Nagethiere gehörige und dem Biber an Intelligenz sehr nahe stehende Arten erreichten in den Magazinen der Factorei eine sehr hohe Ziffer. Es waren das z. B. die einen Fuß langen Bisamratten mit sehr entwickeltem Schwänze, deren Pelz ziemlich geschätzt ist.

Eine Katzenart, welche auch dann und wann vorkam, machte die Anwendung der Feuerwaffen nöthig. Es waren das gelenkige, lebhafte Thiere mit hellröthlichem, schwarz gesprenkeltem Haar, welche selbst den Rennthieren gefährlich werden, kurz Luchse, die sich sehr wacker vertheidigen. Aber weder Marbre noch Sabine standen ihnen zum ersten Male gegenüber, und sie erlegten auch gegen sechzig dieser Thiere.

Eben so erbeutete man einige wenige Vielfraße mit sehr schönen Pelzfellen.

Hermeline zeigten sich nur selten. Diese eben so wie die Iltisse zum Mardergeschlechte gehörigen Thiere hatten ihr schönes Winterfell, welches bis auf ein kleines schwarzes Fleckchen an der Schwanzspitze ganz weiß ist, noch nicht wieder. Ihr Haar war äußerlich noch gelblich grau und röthlich darunter. Jasper Hobson hatte seinen Leuten also anempfohlen, jenes Wild für jetzt zu schonen. Man mußte warten und die Felle nach Marbre’s Ausdruck »reif« werden, d. h. durch die Winterkälte bleichen lassen. Iltisse, deren Jagd wegen des unangenehmen Geruches, den sie um sich verbreiten, sehr lästig ist, erlegte man entweder durch Umstellung der hohlen Bäume, welche ihnen als Zuflucht dienten, oder durch Flintenschüsse, wenn sie in den Aesten umher sprangen.

Die Zobelmarder waren der Gegenstand einer ganz speciellen Jagd. Es ist bekannt, wie sehr das Fell dieser Raubthiere geschätzt ist, wenn es auch im Preise etwas gegen den eigentlichen Zobel, dessen Pelz im Winter von schwärzlicher Farbe ist, zurücksteht. Dieser eigentliche Zobel tritt aber nur im nördlichen Europa und Asien, bis nach Kamtschatka hin, auf und wird von den Sibiriern lebhaft gejagt. An der amerikanischen Küste des Eismeeres begegnet man anderen Marderarten, deren Fell immerhin von hohem Werthe ist, wie der »Wison« und der »Pékan«, welche auch den Namen »canadische Marder« führen.

Während des Monates September sollten diese der Factorei nur wenige Pelzfelle liefern. Diese sehr munteren und lebhaften Thiere haben einen langen und biegsamen Körper, der ihnen auch den Namen »Vermiformes« (d. i. wurmförmige) erworben hat. Wirklich können sie sich auch strecken wie ein Wurm, und folglich durch die engsten Oeffnungen schlüpfen, weshalb sie den Nachstellungen der Jäger natürlich leicht entgehen. Während des Winters fängt man sie leichter in Fallen und Schlingen, und Marbre und Sabine erwarteten schon ungeduldig den geeigneten Augenblick, wieder zu »Trappern« (Fallenstellern) zu werden. Sie waren fest überzeugt, daß die Magazine der Compagnie bei der Rückkehr des Frühlings mit diesen gesuchten Fellen reichlich versehen sein sollten.

Zur Vervollständigung des Verzeichnisses derjenigen Pelzwaaren, welche sich in Fort-Esperance durch jene Jagden anhäuften, verdienen auch die blauen und die Silber-Füchse eine Erwähnung, da sie an den russischen so wohl, wie an den englischen Märkten als die allerkostbarsten Pelzwaaren betrachtet werden.

Allen steht der blaue Fuchs, bekannt unter dem zoologischen Namen »Isatis«, voran. Dieses hübsche Thier hat eine schwarze Schnauze, sonst aber aschfarbene, fast dunkelblonde Behaarung, sieht indeß nirgends blau aus, wie man nach seinem Namen vermuthen sollte. Sein langes, dichtes und festes Haar ist wirklich bewundernswerth und besitzt alle die Eigenschaften, welche die Schönheit eines Pelzes ausmachen: Weichheit, Festigkeit und Länge, Dichtheit und schöne Färbung. Der blaue Fuchs ist der unbestrittene König der Pelzthiere; sein Pelz gilt den sechsfachen Preis jedes anderen, und ein Pelzmantel des Kaisers von Rußland, der ganz aus Halsstücken des blauen Fuchses besteht, welche man für die hochfeinsten Theile des Felles hält, wurde auf der Londoner Weltausstellung von 1851 zu 3400 Pfund Sterlings 34,000 Oesterr. S.-Gulden, 68,000 Reichsmark. geschätzt.

Einige solcher Füchse waren in der Umgebung von Cap Bathurst erschienen, doch von den Jägern nicht erlangt worden, denn diese Raubthiere sind sehr listig, flink und schwer zu fangen, dagegen gelang es, ein Dutzend Silberfüchse zu erlegen, deren prachtvoll schwarzes Haar weiße Spitzen hat. Obgleich das Fell der Letzteren dem der blauen Füchse an Werth nicht gleichkommt, so ist dies dennoch ein kostbarer Balg, der an den Märkten Rußlands und Englands einen hohen Preis erzielt.

Der eine dieser Silberfüchse war ein vorzügliches Exemplar, der den gemeinen Fuchs an Größe überragte. Seine Ohren, Schultern und der Schwanz waren rauchschwarz, aber das feine Ende seines Schwanzes und die Spitzen der Haare um die Augen silberweiß.

Die besonderen Umstände, unter welchen dieser Fuchs getödtet wurde, verdienen eine eingehende Schilderung, denn sie rechtfertigten gewisse Befürchtungen Jasper Hobson’s eben so, wie die Vertheidigungsmaßregeln, welche zu treffen er für nöthig erachtet hatte.

Am 24. September früh hatten zwei Schlitten Mrs. Paulina Barnett, den Lieutenant, Sergeant Long, Sabine und Marbre nach der Walroß-Bai gebracht. In der Mitte von Felsen, zwischen denen wenige magere Gesträuche sproßten, hatten einige Leute des Detachements Tags vorher Spuren von Füchsen entdeckt, die es unzweifelhaft machten, daß Letztere in der Nähe umherschweiften. Die Jäger, deren Lust einmal gereizt war, drängten daher, die Fährte wieder aufzusuchen, welche ihnen eine so kostbare Beute versprach und in der That auch lieferte. Zwei Stunden nach ihrer Ankunft lag ein schöner Silberfuchs todt auf dem Boden.

Da wurden noch zwei bis drei andere Exemplare bemerkt, was die Jäger veranlaßte, sich zu theilen. Während Sabine und Marbre den Spuren des einen nachgingen, suchten der Lieutenant, Sergeant Long und Mrs. Paulina Barnett einem anderen schönen Thiere, welches sich hinter Felsstücken zu verbergen suchte, den Rückweg abzuschneiden.

Es bedurfte gegenüber diesem Fuchse, der sich schlau zu decken und keinen Körpertheil einer Kugel auszusetzen wußte, der Aufbietung der größten List.

Eine halbe Stunde währte schon diese resultatlose Verfolgung. Drei Seiten waren indessen dem Thiere abgesperrt und das Meer verschloß die vierte. Jenes mochte das Mißliche seiner Lage einsehen und beschloß derselben durch einen glücklichen Sprung zu entgehen, der dem Jäger keine andere Wahl, als die, ihn im Fluge zu schießen, übrig ließ.

Der Fuchs sprang also auf einen Felsblock, doch Jasper Hobson lauerte ihm schon auf, und in dem Augenblicke, da das Thier wie ein Schatten vorüber flog, begrüßte er es mit seiner Kugel.

Fast zu derselben Zeit donnerte ein zweiter Schuß, und der tödtlich getroffene Fuchs sank zu Boden.

»Hurrah! Hurrah! rief Jasper Hobson, der ist mein!

– Und mein!« antwortete ein Fremder, der, als Jasper Hobson eben die Hand nach dem Thiere ausstreckte, seinen Fuß darauf setzte.

Erstaunt wich Jasper Hobson zurück. Er hatte den zweiten Schuß aus Sergeant Long’s Gewehr gekommen geglaubt, und jetzt stand er vor einem vollkommen fremden Jägersmann, dessen Büchsenlauf noch rauchte.

Die beiden Rivalen maßen sich mit den Augen.

Mrs. Paulina Barnett und ihr Begleiter kamen hinzu, auch Sabine und Marbre fanden sich eiligst ein, während ein Dutzend Menschen vom Ufer her auf den Fremdling zukamen, der sich höflich vor der Reisenden verneigte.

Jener war ein hochgewachsener Mann, der vollständige Typus jener »Canada-Reisenden«, deren Concurrenz Jasper Hobson vor Allem fürchtete. Der Jäger trug noch ganz jenes traditionelle Costüm, welches Washington Irving, der amerikanische Romanschriftsteller, genau beschrieben hat: eine in Mantelform übergeschlagene Decke, ein baumwollenes Hemd mit bunten Streifen, weite kurze Tuchhosen, Gamaschen aus Leder und Schuhe aus Damfell, einen bunten Gürtel, welcher das Waidmesser, Tabaksbeutel nebst Pfeife, und einige Lagergeräthschaften barg, mit einem Worte, eine halb civilisirte und halb wilde Kleidung. Vier seiner Begleiter waren so wie er, nur minder elegant, ausgerüstet, die acht Anderen, welche als Bedeckung dienten, gehörten zu den Chipeway-Indianern.

Jasper Hobson konnte sich nicht täuschen; er hatte einen Franzosen, mindestens einen Abkommen der canadischen Franzosen, vielleicht den Agenten einer amerikanischen Compagnie vor sich, welcher die Errichtung der neuen Factorei zu beobachten entsendet war.

»Dieser Fuchs gehört mir, mein Herr, sagte Jasper Hobson nach einigen Augenblicken des Schweigens, während deren er und sein Gegner sich Auge in Auge gegenüber gestanden hatten.

– Er gehört Ihnen, falls Sie ihn getroffen haben, antwortete der Unbekannte in gutem Englisch, aber mit einem leichten fremden Accente.

– Sie irren sich, mein Herr, entgegnete Jasper Hobson lebhafter. Selbst für den Fall, daß ihn Ihre Kugel und nicht die meinige getödtet hätte!«

Ein verächtliches Lächeln antwortete dieser Behauptung, welche die ganze Anmaßung der Hudsons-Bai-Compagnie über die Territorien vom Atlantischen bis zum Stillen Oceane wiederspiegelte.

»Sie betrachten also, fuhr der Fremdling fort, während er sich gefällig auf die Mündung seines Gewehres stützte, die Hudsons-Bai-Compagnie als vollkommene Herrin über die Gebiete des nördlichen Amerikas?

– Ohne Zweifel, erwiderte Lieutenant Hobson, und wenn Sie, mein Herr, wie ich voraussetze, etwa einer amerikanischen Gesellschaft angehören…

– Der Pelzwaaren-Gesellschaft von St. Louis, bekannte der Jäger mit einer Verneigung.

– Ich meine, dann sollten Sie, fuhr der Lieutenant fort, sich doch veranlaßt fühlen, die Acte aufzuweisen, welche Ihnen in irgend einem Theile dieses Gebietes ein Jagdrecht zugesteht.

– Acten! Privilegien! sagte verächtlich der Canadier, das sind Worte aus dem altersschwachen Europa, welche in Amerika einen schlechten Klang haben.

– Sie sind auch nicht auf amerikanischem, sondern auf englischem Grund und Boden! belehrte ihn Jasper Hobson mit Stolz.

– Herr Lieutenant, antwortete der Jäger, der nun auch seinerseits etwas wärmer wurde, jetzt ist wohl nicht der geeignete Zeitpunkt, über diese Frage zu debattiren. Die Ansprüche Englands im Allgemeinen und die der Hudsons-Bai-Compagnie im Besonderen, welche bezüglich dieser Jagdgebiete geltend gemacht werden, sind uns schon seit langer Zeit bekannt; doch denke ich, der Tag soll nicht mehr fern sein, wo die Ereignisse diese Sachlage ändern sollen, und Amerika von der Magelhaens-Straße bis zum Nordpole wirklich amerikanisch sein wird.

– Das glaube ich nicht, erwiderte trocken der Lieutenant.

– Wie dem auch sei, mein Herr, entgegnete unbeirrt der Canadier, ich schlage Ihnen vor, die internationale Seite der Frage nicht zu betonen. Was sich die Compagnie auch anmaße, so liegt es doch auf der Hand, daß die nördlichsten Theile des Continentes dem zugehören, der sie besetzt, und vor Allem gilt das vom Küstengebiete. Sie haben bei Cap Bathurst eine Factorei gegründet; gut, so werden wir nicht in Ihrem Gebiete jagen; Ihrerseits erwarte ich aber auch, daß Sie unsere Grenzen respectiren, wenn die Pelzwaaren-Gesellschaft von St. Louis an einer anderen Stelle der Nordküste eine Factorei errichtet haben wird.«

Jasper Hobson’s Stirne faltete sich. Der Lieutenant erkannte es zu klar, daß die Hudsons-Bai-Compagnie in nächster Zukunft gefährliche Rivalen bis hinauf an die nördliche Küste haben, daß man ihre Ansprüche auf den ganzen Norden Amerikas nicht anerkennen, und mancher Kugelwechsel zwischen den Concurrenten stattfinden werde. Aber auch er konnte sich der Einsicht nicht verschließen, daß jetzt nicht der geeignete Augenblick sei, die Privilegienfrage zu discutiren, und sah es nicht ungern, daß der im Uebrigen höfliche Jäger die Rede wieder auf etwas Anderes lenkte.

»Was nun die Angelegenheit betrifft, welche uns entzweit, sagte der Canada-Reisende, so ist diese doch nur von sehr untergeordneter Bedeutung, und ich denke, wir schlichten sie nach Waidmanns-Brauch. Ihr und mein Gewehr haben sicher verschiedenes Caliber, und unsere Kugeln werden leicht wieder zu erkennen sein. Der Fuchs gehöre also Demjenigen, der ihn wirklich getödtet hat.«

Der Vorschlag war gerecht. Die Frage nach dem Eigentumsrechte an dem Thiere konnte auf diese Weise mit Gewißheit entschieden werden.

Der Cadaver des Fuchses wurde also untersucht. Er hatte von den zwei Jägern auch zwei Kugeln bekommen. Die eine saß ihm in der Seite, die andere in der Brust. Die Kugel des Canadiers war diese Zweite.

»Das Thier gehört Ihnen, mein Herr«, sagte Jasper Hobson, der seine Enttäuschung, sich eines so kostbaren Balges durch fremde Hand beraubt zu sehen, nur schlecht verhehlte.

Der Reisende nahm den Fuchs auf; doch als man schon glaubte, daß er ihn über die Schulter werfen und davon gehen werde, schritt er mit einer weltmännischen Verneigung auf Mrs. Paulina Barnett zu.

»Die Damen lieben ja schönes Pelzwerk, sagte er. Wüßten sie, mit welchen Mühen, ja manchmal, mit welchen Gefahren man dieses zuerst erlangt, sie würden wohl nicht immer eine solche Sehnsucht darnach haben! Doch, sie lieben es einmal! Erlauben Sie mir also, Madame, Ihnen dieses Stück zur Erinnerung an unser Zusammentreffen zu überreichen.«

Mrs. Paulina Barnett zögerte, das Geschenk anzunehmen, der canadische Jäger hatte das kostbare Fell aber mit solcher Verbindlichkeit und so gutherzig angeboten, daß es beleidigend für ihn gewesen wäre, es abzuschlagen.

Die Reisende nahm es also mit einem Danke gegen den Fremdling an.

Dieser verneigte sich noch einmal vor Mrs. Paulina Barnett, grüßte die Engländer und verschwand, gefolgt von seinen Begleitern, hinter den Uferfelsen.

Der Lieutenant begab sich mit den Seinigen auf den Rückweg nach Fort-Esperance. Jasper Hobson wanderte aber in Gedanken vertieft dahin. Die Lage des durch seine Mühen gegründeten Etablissements war nun einer rivalisirenden Gesellschaft bekannt, und diese Begegnung mit dem Canada-Reisenden ließ ihn für die Zukunft die größten Schwierigkeiten vorhersehen.

Siebenzehntes Capitel.


Siebenzehntes Capitel.

Man schrieb den 21. September. Die Sonne stand im Herbst-Aequinoctium, das heißt, Tag und Nacht waren auf der ganzen Erdkugel von gleicher Dauer. Die Abwechselung zwischen Licht und Finsterniß hatte den Insassen des Fort-Esperance, welche während der Stunden der Dunkelheit natürlich besser schliefen, zu großer Befriedigung gedient. Das Auge ruht dabei aus und stärkt sich wieder, vorzüglich, wenn einige Monate ununterbrochenen Sonnenlichtes es hartnäckig ermüdet hatten.

Es ist bekannt, daß die Fluth zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche eine besonders hohe ist, da sich Sonne und Mond dabei in Conjunction befinden und die Summe ihres Einflusses die Intensität jener Erscheinung erhöht. Es war das also eine Veranlassung, die Fluth an der Küste des Cap Bathurst mit möglichster Sorgsamkeit zu beobachten. Einige Tage vorher hatte Jasper Hobson deshalb verschiedene Merkzeichen, eine Art Seehöhenmesser, angebracht, um den Unterschied zwischen dem niedrigsten und dem höchsten Wasserstande genau kennen zu lernen. Auch dieses Mal fand er es, trotz aller Angaben früherer Beobachter, bestätigt, daß der Einfluß der Sonne und des Mondes sich an diesem Theile des Eismeeres kaum bemerkbar machte. Die Fluth war eben annähernd gleich Null, – was den Berichten so vieler anderer Seefahrer widersprach.

»Hier liegt etwas vor, was nicht natürlich ist!« sagte sich dabei der Lieutenant Hobson.

Er wußte in der That nicht, was er davon zu halten habe. Da ihn aber andere Sorgen in Anspruch nahmen, beschäftigte er sich mit der Erklärung dieser Eigenthümlichkeit nicht allzulange.

Am 29. September trat in dem Zustande der Atmosphäre eine wesentliche Veränderung ein. Das Thermometer fiel auf 5° unter Null. Der Himmel war mit Dünsten erfüllt, welche sich auch bald als Schnee niederschlugen. Die schlechte Jahreszeit rückte heran.

Mrs. Joliffe beschäftigte sich, bevor der Schnee den Boden bedeckte, mit ihren Sämereien. Es stand zu hoffen, daß die nicht überempfindlichen Sauerampher- und Löffelkrautsamen, wenn sie durch die Schneedecke geschützt waren, der Rauhigkeit des Klimas widerstehen und im Frühlinge hervorknospen würden. Ein hinter dem ansteigenden Cap gelegenes Terrain von mehreren Ackern war vorher zugerichtet worden, und wurde nun in den letzten Tagen des Septembers besäet.

Jasper Hobson wollte nicht die strenge Kälte abwarten, um seine Gefährten die Winterkleidung wieder anlegen zu lassen. Alle eilten auch, sich entsprechend zu bekleiden, und trugen nun Wolle auf dem bloßen Körper, Ueberzieher von Damhirschfell, Beinkleider von Robbenhaut, Pelzmützen, und für Wasser undurchlässige Stiefeln. Gleichzeitig machten auch die Wohnräume so zu sagen Wintertoilette. Die Holzwände wurden nämlich mit Pelzfellen überdeckt, um zu verhindern, daß sich bei zufälligen Temperaturerniedrigungen Eisschichten an ihrer Oberfläche ablagerten. Meister Raë setzte zu derselben Zeit die Condensatoren in Stand, welche den in der Luft verbreiteten Wasserdampf aufnehmen und zweimal wöchentlich entleert werden sollten. Das Feuer im Ofen wurde nach den Schwankungen der Luftwärme so regulirt, daß das Thermometer in den Wohnräumen immer +10° Celsius zeigte. Bald mußte das Haus ja auch mit einer dicken Schneelage bedeckt sein, welche gegen jeden Verlust der Wärme seines Innern schützte. Mit diesen Hilfsmitteln hoffte man den beiden furchtbarsten Feinden der Ueberwinternden, der Kälte und der Feuchtigkeit, siegreich entgegen zu treten.

Am 2. October war die Thermometersäule noch weiter gesunken, und der erste dauernde Schnee umhüllte die ganze Umgebung des Cap Bathurst. Die leichte Brise veranlaßte keinen eigentlichen in den Polarländern so bekannten Schneewirbel, denen die Engländer den Namen »Drifts« gegeben haben. Ein weißer, gleichmäßig gelagerter Teppich breitete sich bald über das Cap, die Umzäunung des Forts und das Küstenland. Nur die Gewässer des Sees und des Meeres waren noch nicht in Banden geschlagen, und stachen durch ihre graue, trübe, fast schmutzige Farbe grell gegen alles Andere ab. Am nördlichen Horizonte aber gewahrte man schon die ersten Eisberge, welche sich scharf am Himmel abzeichneten. Es bildeten diese noch keine eigentliche Schollenwand, aber die Natur häufte langsam das Material zusammen, welches die Kälte bald zu einer unübersteiglichen Schranke verlöthen sollte.

Uebrigens währte es nicht lange, bis das »junge Eis« die Oberfläche des Meeres und des Sees fest überzog. Die Lagune kam zuerst an die Reihe. Da und dort wurden ausgedehnte weißlich-graue Stellen auf ihr sichtbar, die Vorzeichen des baldigen Gefrierens, das durch die Ruhe der Atmosphäre sehr begünstigt wurde. Und als sich das Thermometer eine Nacht über auf – 9° Celsius gehalten hatte, zeigte der See am anderen Tage eine Eisfläche, welche auch die wählerischsten Schlittschuhläufer der Serpentine 3 befriedigt hätte. Am fernen Horizonte nahm der Himmel nun eine eigenthümliche Färbung an, der die Walfänger die Bezeichnung »Blink« gegeben haben, und welche von dem Wiederschein der Eisfelder herrühren soll. Bald fror auch das Meer auf ungeheure Strecken hinaus zu, nachdem sich durch einzeln angeschobene Schollen ein weites Eisfeld längs der Küste gebildet hatte. Es bot dieses freilich nicht eine Spiegeloberfläche, wie das Eis des Sees, da es bei seiner Entstehung durch die Wellenbewegung gestört worden war. Da und dort schwankten einzelne Schollen noch auf und ab, schwimmende Eisblöcke, welche unter dem Namen »Drift-ices« bekannt sind, und an manchen Stellen ragten verschieden geformte und manchmal sehr steile Erhöhungen hervor, welche ihre Bildung dem allseitigen Drucke verdanken und die die Walfänger »Hummocks« (Spitzhügel) benennen.

Schon nach wenigen Tagen hatte sich der Anblick des Cap Bathurst und seiner Umgebung vollkommen verändert. Mit fortwährender Bewunderung verfolgte Mrs. Paulina Barnett dieses ihr so neue Schauspiel. Mit welchen Mühen und Anstrengungen hatte sie sich doch die Betrachtung desselben erkauft! Es giebt aber auch nichts Erhabeneres, als diesen Eintritt der kalten Jahreszeit, diese Besitznahme der Polarländer durch den Winterfrost. Kein Aussichtspunkt, kein Landschaftsbild, wie sie sich der Erinnerung der Mrs. Paulina Barnett bis hierher eingeprägt hatten, war wieder zu erkennen. Die Gegend erschien wie umgewandelt. Ein neues Land, mit dem Stempel der großartigsten Trauer, erzeugte sich vor ihren Blicken. Die Einzelheiten gingen unter, so daß der Schnee der Landschaft nur ihre gröberen Linien übrig ließ, und auch diese waren durch die Dunstmassen nur unklar sichtbar. Das Ganze war aber doch ein Schmuck, der dem früheren mit magischer Schnelligkeit folgte. Da war kein Meer zu sehen, wo früher der weite Ocean sich dehnte; kein Erdboden mit wechselnden Farben, sondern ein gleichmäßiger, blendender Teppich. Keine Wälder von verschiedenen Bäumen, sondern ein Gewirr ihrer blätterlosen Silhouetten, welche der Rauchfrost sein überzog. Keine strahlende Sonne gab es mehr? sondern an ihrer Stelle eine bleiche Scheibe, welche sich durch den Nebel schleppte und kaum während einiger Stunden des Tages einen sehr gedrückten Bogen beschrieb. Auch der Meereshorizont, der sich sonst so scharf vom Himmel abhob, war verschwunden; dagegen bildete eine launenhaft unterbrochene Kette von Eisbergen jene unübersteigliche Schollenschranke, welche die Natur zwischen dem Nordpole und den kühnen Reisenden, die nach ihm zu gelangen trachten, aufgethürmt hat.

Welchen Stoff für Gespräche, welche Fülle von Beobachtungen dieser Wechsel der Außenwelt bot, wird man sich leicht vorstellen können. Nur Thomas Black blieb allein von den Reizen dieses Schauspiels ungerührt. Was konnte man auch Anderes von dem so sehr beschäftigten Astronomen erwarten, der bis jetzt bei dem Personal der Colonie in der That kaum mitzählte. Der verschlossene Gelehrte lebte ja nur in der Beobachtung der Himmelserscheinungen und erging sich einzig in den Azurstraßen des Firmamentes; er verließ manchmal einen Stern, aber blos, um sich schnell nach einem anderen zu begeben. Und eben jetzt verschleierte sich ihm der Himmel, die Sternbilder verschwanden seinem Auge, jetzt wälzte sich ein undurchdringlicher Nebel zwischen ihm und dem Zenithe hin! O, wie wüthend er darüber war! Dennoch beruhigte er sich bei Jasper Hobson’s tröstlicher Versicherung, daß binnen Kurzem schöne, frosthelle Nächte, welche zu astronomischen Beobachtungen besonders günstig wären, eintreten müßten, und dazu Nordlichter, Mondhöfe, Nebenmonde und andere Erscheinungen, welche den Polarländern eigenthümlich sind, seine astronomische Bewunderung hervorrufen sollten.

Inzwischen war die Temperatur noch recht erträglich. Es blieb auch windstill, und vorzüglich ist es ja die bewegte Luft, welche die Empfindung des Frostes so sehr steigert. Einige Tage setzte man demnach die Jagden noch fort. Weitere Mengen von Pelzfellen häuften sich in den Magazinen der Factorei an, weitere Proviantvorräthe in der Speisekammer. Rebhühner und Schneegänse flohen nach milderen Gegenden, kamen dabei zu Hunderten vorüber, und lieferten eine frische, gesunde Fleischkost.

Auch Polarhasen, welche nun den Winterpelz trugen, gab es jetzt. Etwa hundert dieser schmackhaften Nagethiere vergrößerten die Reserven des Forts.

Dazu erschienen große Züge sogenannter »Pfeifer-Schwäne«, eine im nördlichen Amerika vorkommende schöne Abart, von welcher die Jäger einige Paare tödteten. Es waren prächtige, vier bis fünf Fuß lange Thiere, mit weißem Gefieder, aber kupferfarben am Kopfe und oberen Theile des Halses. Im Begriff, in einer gastlicheren Zone die zu ihrer Nahrung nöthigen Wasserpflanzen und Insecten zu suchen, flogen sie auffallend schnell, denn auf dem Wasser und in der Luft sind sie gleichmäßig in ihrem Elemente. Andere Schwäne, sogenannte »Trompeter-Schwäne«, deren Schrei dem Tone eines Signalhornes ähnelt, wurden ebenfalls in großen Schwärmen bemerkt. Weiß wie die Pfeifer, hatten sie auch ungefähr deren Gestalt, aber schwarze Schnäbel und Schwimmfüße. Weder Marbre, noch Sabine waren so glücklich, einen dieser Trompeter zu erlegen, sie riefen ihnen aber ein sehr bezeichnendes »Auf Wiedersehen!« zu. Mit den ersten Frühlingswinden kommen diese Vögel nämlich in der Regel wieder und werden dann mit Leichtigkeit gefangen. Wegen ihrer Haut, ihrer Federn und ihres Flaums wird ihnen von Jägern und Indianern eifrig nachgestellt, und in ergiebigen Jahren versenden die Factoreien diese Schwäne zu Zehntausenden nach den Märkten der alten Welt, wo sie mit einer halben Guinee das Stück bezahlt werden.

Bei diesen nur wenige Stunden dauernden und zudem oft von schlechter Witterung unterbrochenen Ausflügen begegnete man auch nicht selten ganzen Banden von Wölfen. Es war nicht nöthig, deshalb weit zu gehen, da diese vom Hunger getrieben nahe genug an die Factorei herankamen. Sie besitzen einen sehr feinen Geruch und wurden von den Ausdünstungen der Küche angelockt, so daß man während der Nacht oft ihr schauerliches Geheul hörte. Wenn diese Raubthiere vereinzelt auch nicht gerade gefährlich sind, so können sie es doch durch ihre große Anzahl werden, was die Jäger nöthigte, die Umplankung des Forts niemals unbewaffnet zu überschreiten.

Auch die Bären wurden jetzt angriffslustiger. Es verging kein Tag, ohne daß sich nicht einige dieser Thiere zeigten. In der Nacht streiften sie wohl bis an die Palissadenwand heran, so daß verschiedene angeschossen wurden, deren blutige Spur dann auf dem Schnee zu finden war. Bis zum 10. October hatte aber noch keiner sein warmes und kostbares Pelzfell in den Händen der Jäger gelassen; übrigens erlaubte Jasper Hobson seinen Leuten jetzt auch noch nicht, diese gefährlichen Gesellen anzugreifen. Er hielt es für besser, ihnen gegenüber die Defensive zu bewahren, da zu erwarten stand, daß sie später der Hunger treiben werde, Fort-Esperance vielleicht unmittelbar anzugreifen. Dann wollte man ihnen natürlich gegenübertreten und sich auf jeden Fall den nöthigen Vorrath einsammeln.

Einige Tage lang hielt sich das Wetter trocken und kalt. Der Schnee bot eine harte Oberfläche, welche das Gehen darauf leicht gestattete.

Man unternahm deshalb auch einige Ausflüge nach der Küste und dem Gebiete im Süden des Forts. Der Lieutenant wünschte zu erfahren, ob von den Agenten der Pelzwaaren-Gesellschaft in St. Louis, im Fall sie sein Territorium verlassen hätten, Spuren zu finden wären; doch war alles Nachsuchen vergeblich. Wahrscheinlich waren die Amerikaner nach einem südlicher gelegenen Fort abgezogen, um dort den Winter zu verbringen.

Die schönen Tage währten aber nicht allzu lange und in der ersten Woche des Novembers fiel, bei gleichzeitigem Umspringen des Windes nach Süden und merkbarem Steigen der Temperatur, außerordentlich reichlich Schnee. Tagtäglich mußten die Zugänge zum Hause mühsam gereinigt und je ein Gang nach dem Thore, dem Schuppen, dem Rennthier- und dem Hundestalle freigelegt werden. Ausflüge wurden nun seltener und waren nur unter Anwendung der sogenannten Schneeschuhe auszuführen.

Wenn die Schneedecke nämlich durch die Kälte erhärtet ist, trägt sie ja das Gewicht eines Menschen ganz sicher, und bietet dem Fuße einen festen Stützpunkt. Das Gehen ist im Allgemeinen also dadurch nicht behindert. Ist dieser Schnee aber weich, so vermöchte Niemand einen Schritt über denselben zu thun, ohne bis zum Knie einzusinken; dann eben machen die Indianer von jenen Schneeschlittschuhen Gebrauch.

Lieutenant Hobson und seine Leute waren in der Anwendung dieser »Snow-shoes« vollkommen geübt und erreichten auf dem mürben Schnee wohl die Schnelligkeit eines Schlittschuhläufers. Auch Mrs. Paulina Barnett hatte sich ja schon an dieses seltsame Schuhwerk gewöhnt, und wetteiferte bald an Geschwindigkeit mit ihren Gefährten. Derartige schnelle Spaziergänge wurden sowohl auf dem Eise des Sees, als auch an der Küste unternommen. Einige Meilen weit konnte man sich sogar auf die feste Oberfläche des Oceans hinauswagen, denn dessen Eis hatte schon eine Dicke von mehreren Fußen. Eine solche Excursion war freilich der holprigen Eisfläche wegen etwas anstrengender, denn allenthalben traf man auf über einander geschobene Schollen, mußte Spitzhügel umkreisen und hatte weiterhin die Kette von Eisbergen oder vielmehr die Schollenmauer, welche durch ihren wohl fünfhundert Fuß hohen Kamm ein unübersteigliches Hinderniß darstellte, vor sich. Diese malerisch über einander gehäuften Eisberge boten einen prächtigen Anblick. An einer Stelle glaubte man wohl die weißen Ruinen einer Stadt mit ihren Monumenten, Säulenhallen und niedergelegten Wällen vor sich zu haben; an einer anderen aber eine vulkanische Landschaft, eine Anhäufung von Eisschollen, welche ganze Bergketten mit überragenden Gipfeln, Widerlagern und Thälern, kurz, eine ganze Schweiz aus Eis bildeten! Einige spät wegziehende Vogelarten, wie die Sturmvögel und Wasserscheerer, belebten noch diese Einöde mit ihrem durchdringenden Geschrei. Große weiße Bären trotteten zwischen den Spitzhügeln, bei deren blendender Weiße sie schwer zu unterscheiden waren, umher.

Neue Eindrücke und Aufregungen fehlten der Reisenden wahrlich nicht. Die treue Madge theilte sie stets an ihrer Seite. Wie unendlich fern waren die Beiden jetzt von den Tropenzonen Indiens oder Australiens!

Mehrere Ausflüge wurden auf dem übereisten Oceane unternommen, dessen dicke Kruste ganze Artillerieparks, selbst die schwersten Denkmale getragen hätte. Bald aber erwiesen sie sich so mühselig, daß man sie endgiltig aufgeben mußte. Die Temperatur sank nämlich beträchtlich, und die kleinste Arbeit, die geringste Anstrengung verursachte Jedermann eine fast betäubende Lähmung. Auch die Augen litten jetzt von der intensiven Weiße des Schnees, und war die Rückstrahlung von derselben, welche die Ursache von so häufiger Blindheit bei den Eskimos ist, auf keinen Fall lange zu ertragen. Zudem beurtheilte man, in Folge einer eigenthümlichen Erscheinung, welche ihre Erklärung in der Brechung der Lichtstrahlen findet, Entfernungen und Tiefen nicht mehr richtig. Oft war eine Entfernung von fünf bis sechs Fuß zwischen zwei Eisstücken, die das Auge trotzdem nur auf zwei Fuß schätzte. In Folge dieser optischen Täuschung kam man auch sehr häufig und oft sehr empfindlich zum Fallen.

Am 14. October zeigte das Thermometer -16° Celsius, eine Temperatur, welche deshalb sehr rauh war, weil sie ein starker Wind begleitete. Die Luft stach, wie mit Nadeln. Wer außerhalb des Hauses zu verweilen wagte, lief immer Gefahr, schnell den oder jenen Körpertheil zu erfrieren, wenn er die Blutcirculation in demselben durch Frictionen mit Schnee nicht eiligst wieder herzustellen suchte. Mehrere Insassen des Forts, z. B. Garry, Belcher und Hope, machten diese üble Erfahrung, kamen aber durch rechtzeitige Hilfe noch ohne dauernden Nachtheil davon.

Selbstverständlich wurde unter solchen Verhältnissen jede Handarbeit im Freien unmöglich. Dazu waren die Tage in dieser Jahreszeit außerordentlich kurz; nur einige Stunden lang verweilte die Sonne über dem Horizonte, auf welche dann eine lange dauernde Dämmerung folgte. Die eigentliche Ueberwinterung, das heißt, die Beschränkung auf den geschlossenen Raum, nahte nun heran. Schon hatten die letzten Polarvögel das düsterer werdende Küstengebiet verlassen. Nur wenige Pärchen gefleckter Falken hielten noch aus, denen die Indianer auch den Namen »Wintergäste« beigelegt haben, weil sie in den Eisregionen bis zum Eintritt der eigentlichen Polarnacht ausharren. Aber auch diese mußten bald verschwinden.

Lieutenant Hobson betrieb also die Vollendung der noch nöthigen Arbeiten, das heißt, das Aufstellen von Fallen und Schlingen, mit welchen Cap Bathurst den Winter über umgeben werden sollte.

Diese Fallen bestanden im Wesentlichen aus sehr schweren Bohlenwänden, welche durch drei in Form einer 4 aufgestellte und leicht umzustoßende Holzstücke gehalten wurden. Sie waren also den Fallen, wie sie die Vogelsteller in den Feldern anwenden, ganz ähnlich, nur in vergrößertem Maßstabe ausgeführt. Das Ende des horizontalen Holzstückes trug als Köder ein Stück Wildpret, und mußte jedes mittelgroße Thier, wie ein Fuchs oder Zobelmarder, das nur mit der Tatze daran rührte, unfehlbar erschlagen werden. Ganz so sind die Fallen beschaffen, welche die berühmten Jäger, deren abenteuerliches Leben Cooper so dichterisch schildert, oft auf einem Raum von mehreren Meilen verstreut aufstellen. Rund um Fort-Esperance brachte man gegen dreißig solcher Fallen an, welche in kurzen Zwischenräumen untersucht werden sollten.

Am 12. November vermehrte sich die Colonie um ein neues Mitglied. Mrs. Mac Nap gab einem tüchtigen, wohlgestalteten Jungen das Leben, den der Meister Zimmermann stolz umherzeigte. Mrs. Paulina Barnett wurde die Pathe des kleinen Bürschchens, dem man die Vornamen »Michael Esperance« gab. Die Taufceremonie verlief mit möglichster Feierlichkeit, und zu Ehren des kleinen Wesens, das oberhalb des siebenzigsten Breitengrades das Licht der Welt erblickt hatte, wurde der ganze Tag als Festtag begangen.

Wenige Tage später, am 20. November, blieb die Sonne zum ersten Male ganz unter dem Horizonte, um nun erst nach zwei Monaten wieder zu kehren. Die Polarnacht hatte ihren Anfang genommen.

 

  1. Ein kleiner Fluß im Hyde-Park zu London.

Achtzehntes Capitel.


Achtzehntes Capitel.

Diese lange Winternacht führte sich mit einem heftigen Sturme ein. Die Kälte war vielleicht etwas minder lebhaft, aber die Atmosphäre ungemein feucht. Trotz aller Vorsichtsmaßregeln drang Letztere in das Haus ein und jeden Morgen enthielten die Condensatoren einige Pfund Eis.

Draußen wirbelte ein furchtbares Gestöber. Der Schnee fiel nicht mehr vertical, sondern nahezu horizontal. Jasper Hobson mußte das Oeffnen der Thüre vollständig untersagen, da zu befürchten war, daß der Vorraum sich sofort anfüllen möchte. Die Ueberwinterer waren nun in der That Gefangene.

Die Fensterläden wurden möglichst luftdicht verschlossen. Stets waren also die Lampen in Brand und beleuchteten die langen Stunden dieser nicht dem Schlafe gewidmeten Nacht.

Wenn aber auch außerhalb des Hauses Dunkelheit herrschte, so war an die Stelle des Schweigens in dieser hohen Breite das Getöse des Sturmes getreten. Der Wind, welcher zwischen dem Hause und der Ufererhöhung hindurch fegte, erzeugte einen langen, klagenden Ton. Wenn er sich an das Wohnhaus stieß, erzitterte dieses in seinen Grundpfeilern, so daß es ihm ohne die Solidität seiner Construction schwerlich hätte Widerstand leisten können. Zum Glück brach der sich ringsum anhäufende Schnee die Gewalt seiner Stöße. Mac Nap fürchtete nur für die Rauchfänge, deren äußerer aus Kalkziegeln errichteter Theil dem Drucke leicht nachgeben könnte. Indeß auch diese widerstanden, nur mußte man ihre vom Schnee verstopften Mündungen öfter reinigen.

Mitten durch das Pfeifen des Sturmes ließ sich dann und wann auch ein eigenthümliches Krachen hören, über das Mrs. Paulina Barnett sich keine Rechenschaft geben konnte. Dasselbe rührte von dem Sturze von Eisbergen her, dessen Geräusch das Echo vervielfältigte und es dem Donner ähnlich wiedergab. Unaufhörlich drang auch eine Art Knattern, von der Verschiebung des Eisfeldes, welche die Bergstürze veranlaßten, herrührend, an das Ohr. Wohl mußte man an das Wüthen der Elemente in diesen rauhen Klimaten schon gewöhnt sein, um sich dabei nicht bedrückt und geängstigt zu fühlen. Bei Lieutenant Hobson und seinen Leuten war das schon der Fall; Mrs. Paulina Barnett und Madge härteten sich allmälig dagegen ab. Sie hatten bei ihren Reisen auch schon jene furchtbaren Stürme mit erlebt, welche über zwanzig Meilen in der Stunde durchrasen und einen Vierundzwanzigpfünder von der Stelle rücken. Hier am Cap Bathurst aber wurde ein solches Naturereigniß durch die Nacht und den Schnee noch grauenvoller. Wenn dieser Wind das Haus auch nicht zertrümmerte, so begrub er es doch, und die Befürchtung lag nicht fern, daß zwölf Stunden Sturm hinreichen würden, die ganze Ansiedelung unter einer gleichmäßigen Schneedecke einzusargen.

Während dieser Gefangenschaft kam nun das Leben im Inneren in seine Gleise. Alle die wackeren Leute verstanden sich unter einander, und dieses Zusammenleben in so engem Räume gab dennoch zu keiner Belästigung oder Klage Veranlassung. Sie hatten sich ja übrigens von Fort-Reliance und Fort- Entreprise her gewöhnt, unter solchen Verhältnissen zu leben. Mrs. Paulina Barnett verwunderte sich also nicht besonders, zu sehen, wie leicht Alle zu leiten und zu behandeln waren.

Die Arbeit auf der einen, Lectüre und Spiele auf der anderen Seite nahmen jeden Augenblick in Anspruch. Die Arbeit bestand in der Anfertigung und Ausbesserung von Kleidungsstücken, der Instandhaltung der Waffen, der Verfertigung von Schuhwerk, der Abfassung des von Jasper Hobson geführten Tagebuches, welches auch die kleinsten Vorkommnisse des Winteraufenthaltes, aber auch über das Wetter, die Temperatur, die Windrichtung, die Erscheinung der in den Polargegenden so häufigen Meteore u.s.w. berichtete. Sie bestand aber auch in der Instandhaltung des Hauses selbst, der Reinigung der Zimmer, der täglichen Besichtigung der aufgespeicherten Pelzwaaren, denen die Feuchtigkeit Schaden bringen konnte; ferner in der Ueberwachung der Feuer und des Zuges in den Oefen und endlich in der unausgesetzten Jagd nach jeder Spur von Feuchtigkeit, welche sich in den Ecken ansammelte. Einem Jeden war, entsprechend den Vorschriften eines in dem großen Saale angehefteten Reglements, bei dieser Arbeit sein Theil zugewiesen. Ohne über die Maßen angestrengt zu sein, hatten die Bewohner des Forts doch stets Etwas zu thun. Während dieser Zeit zerlegte Thomas Black seine Instrumente und schraubte sie wieder zusammen, oder prüfte seine astronomischen Berechnungen; fast immer in seiner Cabine eingeschlossen, schimpfte er höchstens auf den Sturm, der ihm jede nächtliche Beobachtung raubte. Von den drei verheirateten Frauen hatte Mrs. Mac Nap mit ihrem lustig gedeihenden Säuglinge alle Hände voll zu thun, während Mrs. Joliffe mit Unterstützung der Mrs. Raë und dem unvermeidlichen »Topfgucker« von Corporal die Küchengeschäfte besorgte.

Zu gewissen Stunden, Sonntags aber den ganzen Tag über, erging man sich vereinigt in verschiedenen Zerstreuungen. Diese bestanden vor Allem in Lectüre. Die Bibel und einige Reisewerke bildeten allerdings die ganze Bibliothek des Forts, aber auch dieses Wenige genügte den wackeren Leuten. Für gewöhnlich las Mrs. Paulina Barnett zum großen Vergnügen ihrer Zuhörer vor. Die biblischen Geschichten, so wie die Reiseberichte, gewannen einen ganz besonderen Reiz, wenn sie mit ihrer volltönenden, sicheren Stimme einige Kapitel aus dem heiligen Buche vortrug. Die sinnbildlichen Persönlichkeiten, die Helden der Legende belebten sich und traten überzeugend vor die Augen. Mit großer Befriedigung sahen Alle stets die Stunde heran kommen, in der die liebenswürdige Frau ihr Buch zur Hand nehmen sollte. Sie war wirklich die Seele dieser kleinen Welt, belehrte sich und andere, fragte um Rath und theilte solchen aus und blieb immer und überall zu einem gewünschten Dienste bereit. Sie vereinigte alle Liebe und Güte des Weibes in sich, verband sie aber mit der geistigen Energie des Mannes. Dieses Doppelwesen hatte in den Augen der rauhen Soldaten einen doppelten Werth. Sie waren ganz vernarrt in sie und hätten nicht gezaudert, ihr Leben für sie zu lassen. Es verdient auch Erwähnung, daß Mrs. Paulina Barnett die allgemeine Lebensweise in Allem theilte, sich nicht in ihrer Cabine abschloß, sondern mitten unter ihren Gefährten arbeitete und durch ihre Reden und Fragen Jedermann in die allgemeine Unterhaltung hineinzog. Nichts feierte also in Fort-Esperance, weder Hände, noch Zungen. Man arbeitete, plauderte und, was das Wichtigste ist, man befand sich wohl dabei. Bei guter Laune und vortrefflicher Gesundheit wurde man der Langeweile während dieser Einsperrung Meister.

Der Sturm schien sich gar nicht legen zu wollen. Drei Tage lang waren die Ueberwinternden schon einzig auf das Haus beschränkt, und immer noch währte das Schneetreiben mit unverminderter Heftigkeit fort. Jasper Hobson wurde unruhig. Die mit Kohlensäure überladene Atmosphäre des Hausinneren mußte nothwendig einmal erneuert werden, denn schon brannten die Lampen in der ungesunden Luft nur trübe. Man gedachte also die Luftpumpen in Betrieb zu setzen. Die Rohre fanden sich aber, wie es ja zu erwarten stand, durch Eis verstopft und functionirten nicht; sie waren auch nur für den Gebrauch in dem Falle bestimmt, daß das Haus nicht unter solchen Unmassen von Schnee vergraben lag. Jetzt war guter Rath theuer. Lieutenant Hobson berieth mit Sergeant Long die Sachlage und beschloß, am 23. November eines der Fenster der Vorderseite, welches in dem Vorraume angebracht war, zu öffnen, da der Sturmwind dort noch am wenigsten anschlug.

Es war das keine so leichte Arbeit. Der Fensterflügel schlug zwar bald nach innen auf, der Laden aber, der von hart gewordenen Eisstücken gehalten wurde, trotzte jeder Anstrengung, so daß er endlich aus den Angeln gehoben werden mußte. Hierauf griff man die Schneeschicht mit Schaufeln und Hacken an. Sie war mindestens zehn Fuß dick, machte also die Aushöhlung einer Art Laufgrabens nöthig, durch welchen dann die freie Luft eindringen konnte.

Jasper Hobson, der Sergeant, einige Soldaten und selbst Mrs. Paulina Barnett wagten sich durch diesen Gang, durch welchen der Sturmwind mit ganz absonderlicher Wuth pfiff, nicht ohne große Mühe hinaus.

Welchen Anblick bot ihnen das Cap Bathurst und die nächst liegende Ebene! Es war jetzt zwar Mittagszeit, doch färbte kaum ein schwaches Dämmerlicht den südlichen Horizont. Die Kälte zeigte sich nicht so heftig, als man es hätte glauben sollen, und las man am Thermometer nur 9° unter dem Gefrierpunkte ab.

Das Schneegestöber setzte sich aber noch immer mit ganz unvergleichbarer Heftigkeit fort, und der Lieutenant, seine Leute und die Reisende wären bestimmt umgeworfen worden, hätte ihnen nicht die Schneelage, in welche sie bis zum halben Körper eingesunken waren, gegen das Ungestüm des Windes den nöthigen Halt verliehen. Zu sprechen vermochten sie nicht; ja bei dem Entgegenschlagen der Flocken, das sie halb blind machte, kaum etwas zu sehen. In weniger als einer halben Stunde wären sie wohl vollkommen überschneit gewesen. Alles rings um sie war weiß; die Umplankung überhäufelt; das Dach des Hauses verschwamm mit seinen Mauern unter einer gleichen Oberfläche, und ohne die bläulichen Rauchsäulen, welche aus den beiden Essen hinaufwirbelten, hätte kein Fremder an dieser Stelle das Vorhandensein eines bewohnten Hauses auch nur geahnt.

Unter solchen Umständen war »der Spaziergang« natürlich nur sehr kurz, dennoch hatte sich die Reisende einen schnellen Ueberblick der trostlosen Scene verschafft. Nur halb hatte sie zwar diesen schneegepeitschten Polarhimmel und den arktischen Sturm in seinem ganzen Schrecken sehen können, und dennoch nahm sie bei der Rückkehr in’s Haus eine unauslöschliche Erinnerung daran mit.

Die Luft im Hause war schon in wenigen Augenblicken erneuert gewesen, und die schädlichen Dünste verschwanden unter dem Einflüsse der reinen belebenden Atmosphäre. Lieutenant Hobson und seine Begleiter beeilten sich, wieder Schutz zu suchen. Das Fenster wurde wieder geschlossen, doch sorgte man im Interesse der Ventilation für die tägliche Reinigung seiner Oeffnung.

Auf diese Weise verfloß die ganze Woche. Glücklicher Weise hatten Rennthiere und Hunde hinreichendes Futter, so daß es unnöthig war, nach ihnen zu sehen. Acht Tage lang blieb die kleine Gesellschaft eingeschlossen. Für Leute, welche an die frische Luft gewöhnt sind, wie für Soldaten und Jäger, ist das eine sehr lauge Zeit. Am Ende verlor auch das Vorlesen seinen Reiz, und das »Cribbage« 4 drohte langweilig zu werden. Immer legte man sich mit der heimlichen Hoffnung nieder, am anderen Tage den Sturm austoben zu hören, immer sah man sich getäuscht. Fortwährend lagerte sich der Schnee vor den Scheiben des Fensters ab und heulte der Wind, fortwährend krachte es mit Donnergepolter in den Eisbergen und schlug der Rauch in die Wohnräume zurück, welche unausgesetzt von Husten wiederhallten – kurz der Sturm legte sich nicht nur nicht, sondern schien sich gar nicht wieder legen zu wollen.

Am 28. November endlich zeigte das in dem großen Saale angebrachte Aneroid-Barometer eine nahe Veränderung in dem Zustande der Atmosphäre an und stieg ganz bemerklich. Zu derselben Zeit fiel das außerhalb angebrachte Thermometer auch plötzlich auf 20° Celsius unter Null. Das waren untrügliche Erscheinungen. Und wirklich konnten die Bewohner von Fort-Esperance am 29. November aus der draußen herrschenden Ruhe das Ende des Unwetters bemerken.

Schnell suchte nun Jedermann hinaus zu gelangen. Die Gefangenschaft hatte lange genug gedauert. Die Thüre war nicht gangbar. Man mußte durch das Fenster klettern und es von den angehäuften Schneewehen reinigen. Jetzt galt es aber keine weiche Schneelage zu durchbrechen; im Gegentheil hatte die strenge Kalte die ganze Masse erhärtet, so daß sie nur durch Spitzhacken beseitigt werden konnte.

Das war das Werk einer halben Stunde, und bald befanden sich alle Wintergenossen, mit Ausnahme der Mrs. Mac Nap, welche noch nicht aufstand, in dem inneren Hofraume.

Die zwar strenge Kälte erschien, da der Wind sich gelegt hatte, ganz erträglich. Dennoch mußte man beim Verlassen einer geheizten Wohnung einigermaßen vorsichtig sein, um sich einem Temperaturunterschiede von vollen dreißig Graden ohne Nachtheil aussetzen zu können.

Es war acht Uhr Morgens. Vom Zenith, in dem der Polarstern leuchtete, bis zum Horizonte hinab glänzten die Sternbilder in prachtvoller Klarheit. Man hätte wohl geglaubt, Millionen zählen zu können, obgleich für das unbewaffnete Auge an der ganzen Himmelskugel nur etwa 5 000 deutlich unterscheidbar sind. Thomas Black gab seiner Bewunderung unverhohlen Ausdruck. Er jauchzte nach dem sternenbesäeten Firmament empor, welches kein Dunst, kein Wölkchen verhüllte. Nie breitete sich wohl ein schönerer Himmel vor dem Auge eines Astronomen aus!

Während Thomas Black in Verzückung schwelgte und gegen die Zustande auf der Erde ganz ohne Theilnahme war, begaben sich die Anderen bis nach der befestigten Umwallung hin. Zwar hatte die Schneelage die Festigkeit des Felsens, sie war aber so glatt, daß so Mancher deshalb hinfiel.

Der Hof des Forts war selbstverständlich ganz ausgefüllt. Nur das Dach des Hauses trat etwas über die weiße, vom Winde ganz horizontal abgewetzte Masse hinaus. Von der Palissade ragte nur noch das Ende der Pfähle hervor und in diesem Zustande würde sie auch dem ungelenkigsten Thiere kein Hinderniß gewesen sein. Was war aber dagegen zu thun? An das Wegschaffen einer zehn Fuß dicken und harten Schneelage von einer so großen Fläche war nicht zu denken. Höchstens konnte man versuchen, die äußere Fläche frei zu legen, indem man einen Graben um dieselbe zog, dessen Gegenböschung noch zum weiteren Schutze der Palissade diente. Jetzt war der Winter aber erst im Beginnen und man mußte fürchten, daß ein wiederholter Sturm den Graben in wenigen Stunden zuschütten würde.

Als der Lieutenant die Werke besichtigte, welche dem Hauptgebäude jetzt keine weitere Deckung boten, bis einst der Sonnenstrahl diese Schneekruste schmolz, rief Mrs. Joliffe:

»Und unsere Hunde! Unsere Rennthiere!«

In der That war es nöthig, sich nun einmal um diese Thiere zu bekümmern. Das »Dog-House« und der Stall, beide niedriger als das Wohnhaus, mußten wohl vollständig überweht sein und vielleicht gar der nöthigen Luft entbehrt haben. Man eilte also, die Einen nach dem Hunde-, die Anderen nach dem Rennthierstalle, sah aber bald jede Befürchtung zerstreut. Die Eismauer, welche jetzt die nördliche Ecke des Hauses mit der Uferhöhe verband, hatte die beiden Baulichkeiten so weit geschützt, daß der Schnee um sie her nur vier Fuß hoch lag. Die in den Wänden angebrachten »Lichter« waren also nicht verstopft. Man traf die Thiere ganz munter an, und sobald der Stall geöffnet wurde, sprangen die Hunde freudig bellend im Hofe umher.

Nun wurde die Kälte aber doch empfindlicher, und nach einstündiger Promenade sehnte sich Jeder nach dem wohlthuenden Ofen zurück, der im großen Saale prasselte. Draußen war ja überhaupt Nichts zu thun. Die Fallen, welche sechs Fuß tief unter dem Schnee lagen, konnten für jetzt nicht nachgesehen werden. Man kehrte demnach zurück. Das Fenster ward wieder geschlossen und da die Zeit des Mittagessens heran gekommen war, suchten Alle ihren Platz am Tische.

Natürlich kam das Gespräch auf die plötzliche Kälte, welche die dicke Schneeschicht so schnell fest gemacht hatte. Hierin lag der bedauerliche Umstand, daß die Sicherheit des Forts bis zu einem gewissen Punkte in Frage gestellt war.

»Aber, Herr Hobson, fragte Mrs. Paulina Barnett, dürfen wir nicht noch auf einige Tage Thauwetter rechnen, welche dieses ganze Schnee-Eis wieder in Wasser verwandeln?

– Nein, Madame, antwortete der Lieutenant. Thauwetter zu dieser Jahreszeit ist nicht wahrscheinlich. Ich glaube vielmehr, daß die Kälte bald zunehmen wird, und es ist zu bedauern, daß wir diesen Schnee nicht, als er noch weich war, fortschaffen konnten.

– Wie? Sie glauben, daß die Temperatur noch beträchtlich herabgehen werde?

– Ohne Zweifel, Madame. Was wollen denn zwanzig Grad unter dem Gefrierpunkte in so hoher Breite bedeuten?

– Wie würde sich aber das gestalten, wenn wir am Pole selbst wären, fragte die Reisende.

– Der Pol, Madame, ist höchst wahrscheinlich nicht der kälteste Punkt der Erdkugel, da alle Seefahrer dort ein freies Meer voraussetzen. Die niedrigste Mitteltemperatur scheint vielmehr, in Folge gewisser geographischer und hydrographischer Einflüsse, an einem unter 95° der Länge und 70° nördlicher Breite gelegenen Punkte, das wäre also an der Küste von Nord-Georgia, zu herrschen. Dort soll die Mitteltemperatur des Jahres 19° Celsius unter dem Gefrierpunkte betragen. Es ist dieser Punkt auch unter dem Namen des »Kältepols« allgemein bekannt. – Von diesem Punkte, Herr Hobson, erwiderte die Reisende, sind wir aber um acht Längengrade entfernt.

– Gewiß, antwortete der Lieutenant, und ich hoffe auch, daß wir am Cap Bathurst nicht ebenso hart daran kommen werden, wie es in Nord-Georgia der Fall sein müßte. Von dem Kältepole spreche ich Ihnen aber, um einer Verwechselung mit dem wirklichen Pole vorzubeugen, wenn es sich um das Herabgehen der Luftwärme handelt. Merken Sie sich übrigens, daß auch an anderen Punkten der Erdkugel oft eine sehr bedeutende Kälte beobachtet worden ist, nur war diese dann nie so anhaltend.

– Und wo, Herr Hobson? fragte Mrs. Paulina Barnett. Ich versichere Ihnen, daß mich gerade jetzt die Kälte ganz besonders interessirt.

– So weit ich mich entsinne, antwortete Lieutenant Hobson, haben Polar-Seefahrer bestätigt, daß die Temperatur auf der Insel Melville bis auf -51° und bis -53° Celsius am Port Felix herabgegangen ist.

– Liegen diese Insel Melville und der Port Felix nicht unter noch höherer Breite, als Cap Bathurst?

– Gewiß, Madame, aber bis zu einer gewissen Grenzlinie ist die Breitenlage ohne erheblichen Einfluß. Es genügt schon die Zusammenwirkung gewisser atmosphärischer Verhältnisse, um sehr heftige Kälte zu erzeugen. Trügt mich mein Gedachtniß nicht, so beobachteten wir im Jahre 1845 … Sergeant Long, waren Sie jener Zeit nicht in Fort- Reliance?

– Zu Befehl, Herr Lieutenant, antwortete Long. – Nun hatten wir im Januar eben dieses Jahres nicht eine ganz außergewöhnliche Kälte?

– Ja wohl, bestätigte der Sergeant, ich erinnere mich mit Bestimmtheit, daß das Thermometer 50°,7 unter Null zeigte.

– Was? rief Mrs. Paulina Barnett, über fünfzig Grad Kälte und das bei Fort-Reliance an dem großen Sklaven-See?

– So ist es, Madame, fuhr der Lieutenant fort, und nur bei einer Breite von fünfundsechzig Graden, in derselben Polhöhe, wie etwa Christiania oder St. Petersburg.

– Dann, Herr Hobson, werden wir auf Alles gefaßt sein müssen.

– Gewiß, wenn man in diesen arktischen Ländern den Winter zubringt, auf Alles!«

Am 29. und 30. November nahm der Frost nicht ab, und mußte man in den Oefen fortwährend ein tüchtiges Feuer unterhalten, sonst würde sich die Luftfeuchtigkeit in Ecken und Winkeln bald in Form von Eis abgelagert haben. Brennmaterial war jedoch in Ueberfluß vorhanden, und man schonte es deshalb auch nicht. Trotz der strengen Kälte im Freien wurde die Wärme im Inneren stets auf + 10° Celsius gehalten.

Ungeachtet der so niedrigen Temperatur wollte Thomas Black, den der klare Himmel verlockte, Sternbeobachtungen vornehmen. Er hoffte von den glänzenden Gestirnen, die um den Zenith kreisten, den oder jenen in zwei aufzulösen; doch mußte er auf jede Beobachtung verzichten. Die Instrumente »brannten« ihm in den Händen.

Brennen ist das einzige Wort, welches die durch einen metallischen und so starker Kälte ausgesetzten Körper hervorgebrachte Empfindung verdeutlichen kann. Im physikalischen Sinne ist die Erscheinung auch ganz die nämliche, der Eindruck ist derselbe, ob ein brennender Körper der Haut plötzlich hohe Wärmegrade zuführt, oder ein eiskalter Körper sie ihr eben so schnell entführt. Der würdige Gelehrte erkannte das recht handgreiflich, als die Haut seiner Finger an dem metallenen Rohre hängen blieb. Sofort stellte er dann seine Beobachtungen ein.

Der Himmel entschädigte ihn aber reichlich durch das unbeschreiblich schöne Schauspiel seiner prachtvollsten Erscheinungen, erst der Paraselene und dann eines glühenden Nordlichtes.

Die Paraselene oder der Mondhof bildet rings um den Mond einen Weißen, röthlich-bleich geränderten Kreis. Dieser Lichtabschnitt, welcher von der Brechung der Lichtstrahlen durch kleine, in der Atmosphäre schwebende Eiskrystalle herrührt, zeigte einen Durchmesser von etwa fünfundvierzig Graden. In der Mitte dieses Kranzes leuchtete das Gestirn der Nacht im lebhaftesten Glänze.

Fünfzehn Stunden später flammte über dem nördlichen Horizonte ein prächtiges Nordlicht auf, welches einen Bogen von mehr als hundert geographischen Graden einnahm. Der Gipfel des Bogens schien über dem magnetischen Meridiane zu stehen, auch war das Meteor, wie es dann und wann beobachtet wird, mit allen Farben des Prismas, unter welchen sich die rothe allerdings besonders geltend machte, geschmückt. An gewissen Stellen des Himmels erschienen die Sterne wie in Blut getaucht. Von der Nebelschicht, welche am Horizonte lagerte und den Kern der Erscheinung ausmachte, schossen manchmal Gluthstrahlen aus, die zum Theil den Zenith überschritten und den Mond erbleichen ließen, wenn er unter diese elektrischen Wellen tauchte. Diese Strahlenbündel erzitterten, als ob ein Luftstrom ihre Moleküle bewegte. Keine Beschreibung vermöchte die unerhörte Pracht dieses »Glorienscheines« wieder zu geben, welcher den Nordpol der Erde in vollem Glänze umrahmte. Dann verlöschte nach etwa, einer halben Stunde, ohne daß es sich verkleinert oder concentrirt hätte, ja ohne eine auch nur theilweise Verminderung seines Lichtscheines, das glänzende Meteor ganz plötzlich, als habe eine unsichtbare Hand die Elektricitätsquellen, von denen es sich nährte, mit einem Schlage verschlossen.

Für Thomas Black war es die höchste Zeit. Noch kurze fünf Minuten, und der eifrige Astronom wäre auf der Stelle angefroren.

  1. Ein in England sehr verbreitetes Kartenspiel.

Neunzehntes Capitel.


Neunzehntes Capitel.

Am 2. December erfolgte ein Abschlag der Kälte. Die Erscheinung des Mondhofes war ein Zeichen, welches ein Meteorolog nicht hätte mißverstehen können. Sie verrieth das Vorhandensein einer gewissen Menge Feuchtigkeit in der Luft, und wirklich fiel die Barometersäule auch zu der nämlichen Zeit, als sich die Thermometersäule bis auf -9° Celsius hob.

In gemäßigten Zonen wäre diese Kälte noch für sehr streng gehalten worden; Leute, wie die unserigen, ertrugen sie sehr bequem. Dazu war der Luftkreis ruhig. Da Lieutenant Hobson die Beobachtung gemacht hatte, daß die oberen Schneeschichten wieder mürber geworden waren, so ordnete er die Reinigung der äußeren Wand der Umplankung an. Mac Nap und seine Werkleute griffen die Arbeit muthig an und führten sie auch binnen wenigen Tagen glücklich zu Ende. Zu gleicher Zeit legte man auch die vom Schnee überdeckten Fallen wieder frei und stellte sie von Neuem auf.

Zahlreiche Spuren wiesen darauf hin, daß Pelzthiere sich in der Umgebung des Forts ansammelten, und da ihnen der Erdboden kein Futter lieferte, so mußten sie durch die Lockspeisen der Fallen leicht gefangen werden.

Auf den Rath des Jägers Marbre errichtete man auch eine Rennthiergrube nach Art der Eskimos. Diese besteht aus einem zehn Fuß im Durchmesser haltenden und zwölf Fuß tiefen Loche. Eine schaukelartig angebrachte Planke, welche sich durch ihr eigenes Gewicht wieder aufrichtet, lag darüber hin. Ließ sich das Thier von den am Ende der Planke hingestreuten Kräutern verlocken, so stürzte es sicher in die Grube, aus der es nicht wieder heraus kam.

Man sieht, daß sich diese Falle durch Anwendung der Schaukel selbstthätig wieder einstellte und daß sich auf diese Weise mehrere Rennthiere nach einander fangen konnten. Bei Errichtung seiner Falle fürchtete Marbre keine andere Schwierigkeit, als die, einen sehr harten Boden aufgraben zu müssen; aber er – und Jasper Hobson nicht minder – war höchlichst erstaunt, daß seine Hacke nach Beseitigung einer vier bis fünf Fuß messenden Erd- und Sandschicht wieder eine felsenfeste Schneelage antraf, welche von beträchtlicher Stärke zu sein schien.

»Notwendiger Weise, sagte der Lieutenant nach Betrachtung dieses Ergebnisses, muß dieser Küstenstrich, wahrscheinlich vor sehr vielen Jahren, einer ganz außerordentlichen Kälte ausgesetzt gewesen sein, und das auch eine sehr lange Zeit hindurch. Später hat dann Sand und Erde diese Eisschicht, welche höchst wahrscheinlich auf einem Bette von Granit ruht, überdeckt.

– Das mag sein, Herr Lieutenant, antwortete der Jäger, für unsere Fallgrube ist es aber gar nicht schädlich. Im Gegentheil werden die Rennthiere darin eine sehr glatte Wand ohne jeden Anhaltepunkt vorfinden.«

Marbre hatte recht, und die Zukunft bestätigte seine Voraussicht.

Als Sabine und er am 5. December nach der Grube gegangen waren, hörten sie ein dumpfes Brummen daraus hervor kommen. Sie hielten an.

»Das ist aber kein Rennthierschrei, sagte Marbre; das Thier, welches sich da drinnen gefangen hat, könnte ich Wohl nennen.

– Ein Bär? fragte Sabine.

– Ja, nickte Marbre, dessen Augen freudig erglänzten.

– Nun, meinte Sabine, bei solchem Tausche werden wir nichts einbüßen. Ein Beefsteak vom Bären ist wohl so viel werth, wie ein solches vom Rennthier, und das Fell haben wir obendrein! Vorwärts denn!« Die beiden Jäger waren bewaffnet. Sie luden noch eine Kugel auf ihre schon mit Hagel geladenen Gewehre, und begaben sich nach der Grube. Die Schaukel war wieder an richtiger Stelle, aber der Köder war verschwunden, und wahrscheinlich mit in die Grube hinabgefallen. Das Brummen wurde lauter; ohne Zweifel rührte es von einem Bären her. In einer Ecke der Grube hockte eine gigantische Masse, ein wahres Pack von weißem Pelze, das in dem Dunkel kaum zu erkennen war, aber in dessen Mitte zwei funkelnde Augen leuchteten. Die Wände der Grube erschienen von Tatzenschlägen zerkratzt, und hätte sich der Bär, wenn sie nur aus Erde bestanden, gewiß einen Ausweg in’s Freie verschafft. Auf dieser gleitenden Fläche aber vermochten seine Tatzen nicht zu haften, und wenn er sein Gefängniß sich auch ein wenig erweitert hatte, so hatte er mindestens nicht daraus entweichen können.

Jetzt bot es also keine Schwierigkeit, sich des Riesen zu bemächtigen. Von zwei Kugeln getroffen, sank er auf dem Grunde der Grube zusammen, und bestand das größte Stück Arbeit darin, ihn heraus zu ziehen. Die beiden Jäger kehrten nach der Factorei zurück, um sich Unterstützung zu holen. Etwa zehn ihrer Genossen folgten ihnen mit Stricken belastet nach der Grube, aus der das große Thier auch dann nur mühsam herauf zu bringen war. Es war ein riesiges Exemplar von sechs Fuß Höhe und mindestens sechshundert Pfund Gewicht, das eine ungeheure Stärke besessen haben mußte. Durch seinen platten Kopf, den länglichen Körper, die kurzen und wenig eingebogenen Krallen, die feine Schnauze und das vollkommen weiße Fell gehörte es zu der Unterart der sogenannten Weißen Bären. Die eßbaren Theile des Kolosses wurden in Mrs. Joliffe’s Hände sorgfältig abgeliefert, und figurirten bei der Mahlzeit an diesem Tage als hauptsächlichstes Fleischgericht.

In der folgenden Woche lieferten die Fallen noch so manchen Fang. Man erbeutete gegen zwanzig Zobelmarder, deren Winterfell jetzt am schönsten war, jedoch nur zwei bis drei Füchse. Diese schlauen Thiere witterten wohl die ausgelegten Köder, gewöhnlich aber höhlten sie den Erdboden unter und neben der Falle auf, gelangten auf diese Weise zur Lockspeise, und wußten sich dann unter der über ihnen zugeschlagenen Falle wegzustehlen. Sabine brachte diese Erfahrung ganz außer sich, und der Jäger erklärte eine solche Ausflucht für »ganz unwürdig eines anständigen Fuchses!«

Am 10. December war der Wind nach Südwesten umgesprungen; wieder fiel Schnee, aber nicht in großen Flocken. Es war ein feiner, nicht sehr reichlicher Schnee, der sich aber sofort zu Eis umwandelte, gleichzeitig aber eine tüchtige Kälte, und diese bei steifem Winde kaum zu ertragen. Man mußte sich demnach von Neuem kaserniren und die Stubenarbeiten wieder vornehmen. Der Vorsicht halber vertheilte Jasper Hobson an seine Leute Kalkpastillen und Citronensaft, da die anhaltende feuchte Kälte deren Gebrauch rathlich erscheinen ließ. Uebrigens war bisher noch bei keinem Inwohner von Fort-Esperance nur ein einziges Zeichen von Scorbut aufgetreten. Dank den getroffenen hygienischen Vorsichtsmaßregeln erlitt die allgemeine Gesundheit keinerlei Störung.

Jetzt war es tiefe Polarnacht. Das Winter- Solstitium rückte heran, das heißt, die Zeit, in der das Tagesgestirn am tiefsten unter den Horizont der nördlichen Erdhälfte taucht. Bei dieser mitternächtlichen Dunkelheit färbte sich, zu Mittag der südliche Horizont nur mit etwas helleren Farbentönen. Das ganze Gebiet machte vollkommen den Eindruck tiefster Trauer, als es die Schatten so allseitig umrahmten.

Einige Tage verbrachte man in der gemeinschaftlichen Wohnung. Wegen eines Ueberfalls durch wilde Thiere war Jasper Hobson beruhigter, seitdem die Außenseite der Umplankung von Schnee gereinigt war. Ein Glück war es auch zu nennen, denn oft ließ sich bis in das Haus hinein ein dumpfes Brummen vernehmen, über dessen Natur man gar nicht in Zweifel sein konnte. Ein unwillkommener Besuch indianischer oder canadischer Jäger war zu dieser Jahreszeit nicht zu erwarten.

Da trug sich ein Ereigniß zu, eine Unterbrechung der langen und langweiligen Durchwinterung, welches bewies, daß diese Einöden selbst im tiefsten Winter von Menschen nicht ganz verlassen sind. Auf der Jagd nach Walrossen und sich mit Lagerstätten unter dem Schnee begnügend, durchstreiften menschliche Wesen diesen Küstenstrich. Sie gehörten zur Race der »rohen Fisch-Esser« 5, welche sich im ganzen Norden Amerikas auf sehr verschiedenen Punkten vorfinden, wenigstens in der ganzen Breite von der Baffins-Bai bis nach der Behrings-Straße, wahrend der Sklaven-See etwa ihre Grenze im Süden darstellt.

Am Morgen des 14. Decembers, oder vielmehr um neun Uhr Vormittags, als Sergeant Long von einem Ausflug nach der Küste heimkam, schloß er seinen dem Lieutenant abgestatteten Bericht mit den Worten, daß, wenn seine Augen ihn nicht getauscht haben sollten, ein nomadisirender Stamm etwa vier Meilen von dem Fort entfernt, nahe einem kleinen Cap, welches die Küste dort bildete, sein Lager aufgeschlagen haben müsse.

»Und was für Nomaden sind es? fragte Jasper Hobson.

– Entweder Menschen oder – Walrosse, antwortete der Sergeant, denn ein Mittelglied dazwischen giebt es doch nicht.«

Der wackere Sergeant würde wohl nicht wenig erstaunt gewesen sein, hätte man ihm mitgetheilt, daß gewisse Naturforscher allerdings jenes ihm unbekannte »Mittelglied« angenommen haben. Denn wirklich betrachten einige Gelehrte, mehr oder weniger im Scherz, die Eskimos »als eine zwischen dem Menschen und dem Seekalbe rangirende Race«.

Lieutenant Hobson, Mrs. Paulina Barnett, Madge und einige Andere machten sich sofort auf, die Anwesenheit dieser Besucher sicherer zu begründen. In warmer Verhüllung, und gegen plötzlich eintretenden härteren Frost wohl geschützt, mit Flinten und Aexten bewaffnet und mit Pelzstiefeln versehen, da sie damit bequem über die Eiskruste des Schnees gehen konnten, verließen sie das äußere Thor und folgten dem Ufer, dessen Linie jetzt durch angeschobene Schollen nicht überall klar erkennbar war.

Der Mond, welcher zur Zeit im letzten Viertel stand, warf durch die Dünste am Himmel nur ein unsicheres Licht über das Eisfeld. Nach einer Stunde Wegs glaubte der Lieutenant schon annehmen zu müssen, daß sein Sergeant sich getäuscht, oder wirklich nur Walrosse gesehen habe, die durch die Oeffnungen, welche sie sich im Eise stets offen zu erhalten wissen, schon wieder in ihr Element zurückgekehrt seien.

Der Sergeant wies aber auf einen graublauen aus einer conischen Erhöhung noch einige hundert Schritte von ihnen aufsteigenden Rauch und sagte ganz gelassen:

»Da ist auch Rauch von den Walrossen!«

In demselben Augenblicke verließen einige lebende Wesen auf dem Schnee kriechend die Hütte. Es waren Eskimos; ob aber Männer oder Frauen, das hätte nur ein Stammesgenosse sagen können, so wenig unterschieden sie sich in der Kleidung.

Und in Wahrheit glaubte man, ohne damit im Geringsten der Anschauung oben erwähnter Naturforscher beizutreten, zottige, behaarte Amphibien vor sich zu haben. Jene waren ihrer sechs, vier größere und zwei kleine, breitschulterig, aber von geringer Größe, mit platter Nase, die Augen unter buschigen Brauen versteckt, mit großem Munde, dicken Lippen, langem, schwarzem, ungeordnetem Haare und bartlosem Gesicht. Als Kleidung trugen sie einen runden Ueberrock aus Walroßfell, Kapuzen, Stiefeln und Fausthandschuhe aus dem nämlichen Stoffe. Diese halbwilden Wesen näherten sich den Europäern und sahen sie schweigend an.

»Versteht Niemand die Sprache der Eskimos?« fragte Jasper Hobson seine Begleiter.

Niemand kannte dieses Idiom, aber plötzlich ließ sich eine Stimme vernehmen, welche eine Begrüßung in englischer Sprache darbrachte.

»Welcome! Welcome!« erklang es von einem Eskimo, oder, wie man bald erfuhr, von einer Eskimodin, welche auf Mrs. Paulina Barnett zuging und diese auch durch eine Handbewegung grüßte.

Die erstaunte Reisende erwiderte einige Worte, welche die Eingeborene leicht zu verstehen schien, weshalb man die Familie einlud, den Europäern nach dem Fort zu folgen.

Die Eskimos schienen einander durch Blicke zu fragen; nach einigen Augenblicken des Zögerns begleiteten sie aber in geschlossener Gruppe den Lieutenant.

Als man an der Umplankung ankam, rief die Eingeborene beim Anblick des Hauses, dessen Vorhandensein sie gar nicht vermuthet hatte:

»House! House! Snow-House?« (Haus! Haus! Schneehaus?)

Zu dieser Frage war sie wohl nicht unberechtigt, denn die Wohnung verschwand jetzt fast vollständig unter der weißen Masse, welche die Erde bedeckte. Man gab ihr zu verstehen, daß es sich um ein hölzernes Haus handele. Die Eskimoden sprach hierauf einige Worte zu ihren Genossen, welche mit einem Zeichen der Zustimmung antworteten. Alle traten nun durch das äußere Thor ein, und in kurzer Zeit waren sie in den großen Saal eingeführt.

Erst als sie dort die Kapuzen zurückschlugen, konnte man die Geschlechter unterscheiden. Es waren zwei Männer von vierzig bis fünfzig Jahren, mit rothgelbem Teint, spitzigen Zähnen und hervortretenden Backenknochen, was ihnen eine entfernte Aehnlichkeit mit Raubthieren verlieh. Zwei Frauen in jugendlicherem Alter trugen die Haare geflochten und mit Zähnen und Krallen des Polarbären verziert. Endlich waren zwei fünf- bis sechsjährige Kinder dabei, arme Wesen, aber mit munterem Gesichtsausdruck, welche Alles mit großen Augen anstaunten.

»Da man annehmen muß, begann Jasper Hobson, daß die Eskimos immer Hunger haben, so denke ich, wird ihnen ein Stück Wildpret nicht unwillkommen sein.«

Corporal Joliffe schaffte also einige Stücken Rennthierfleisch herbei, auf welche sich die armen Menschen mit wahrhaft thierischer Begierde stürzten.

Nur die junge, der englischen Sprache etwas mächtige Eingeborene zeigte eine gewisse Zurückhaltung, und hatte die Augen immer auf Mrs. Paulina Barnett und die anderen Frauen der Factorei geheftet. Als sie dann Mrs. Mac Nap’s kleines Kind bemerkte, das diese auf den Armen trug, erhob sie sich, lief zu diesem hin, flüsterte ihm mit schmeichelnder Stimme zu, und herzte es auf die artigste Weise.

Sie schien überhaupt, wenn sie nicht über ihren Gefährten stand, civilisirter zu sein als diese; man bemerkte es vorzüglich, als sie bei einem leichten Hustenanfall, ganz entsprechend den Grundregeln gesellschaftlicher Bildung, die Hand vor den Mund hielt.

Es entging das auch Niemandem. Mrs. Paulina Barnett, welche sich unter Anwendung der gebräuchlichsten englischen Worte mit der jungen Eskimofrau unterhielt, erfuhr bald, daß dieselbe früher ein Jahr lang bei dem dänischen Gouverneur in Uppernawik, dessen Gattin eine geborene Engländerin war, in Diensten gestanden hatte. Später hatte sie Grönland wieder verlassen, um ihrer Familie in die Jagdgebiete zu folgen. Die beiden Männer waren ihre Brüder. Die andere Frau war mit Einem derselben verheiratet, also ihre Schwägerin; dieser gehörten auch die beiden Kinder. Alle kamen von der an der Ostküste des britischen Amerika liegenden Insel Melbourne, und waren auf dem Wege nach der Barrow-Spitze, im Westen gelegen und zu Nord-Georgia im russischen Amerika gehörig, wo auch ihr Stamm wohnte. Sie erstaunten nicht wenig, am Cap Bathurst eine Factorei errichtet zu finden. Die beiden Eskimos schüttelten sogar mit dem Kopfe, als sie das Etablissement sahen. Mißbilligten sie den Bau eines Forts an diesem Küstenpunkte? Fanden sie die Oertlichkeit nicht gut gewählt? Trotz seiner Geduld gelang es Lieutenant Hobson nicht, Jene zur Kundgebung ihrer Ansicht hierüber zu veranlassen, oder mindestens verstand er ihre Antworten nicht.

Die junge Eskimodin, welche Kalumah hieß, schien sich der Mrs. Paulina Barnett schnell freundschaftlich anzuschließen. Ungeachtet ihres geselligen Wesens sehnte sie sich jedoch nicht nach ihrer bei dem Gouverneur von Uppernawik inne gehabten Stellung zurück, sondern schien sehr ihrer Familie anzuhängen.

Nachdem sie sich gestärkt und eine halbe Pinte Branntwein, von dem auch die Kinder einige Schlucke bekamen, redlich unter einander getheilt hatten, nahmen die Eskimos von ihren Wirthen Abschied. Bevor sie aber weggingen, lud die junge Eingeborene die Reisende ein, sie in ihrer Schneehütte zu besuchen. Mrs. Paulina Barnett versprach, wenn die Witterung nicht zu ungünstig wäre, am folgenden Tage zu kommen.

Wirklich begab sich am anderen Tage Mrs. Paulina in Begleitung von Madge, dem Lieutenant Hobson und einigen – nicht wegen jener armen Leute, aber für den Fall, daß etwa Bären an der Küste herumlungern sollten, – bewaffneten Soldaten nach dem Cap Eskimo, welchen Namen man der Stelle, an der sich das Lager der Eingeborenen befand, zugetheilt hatte.

Kalumah lief ihrer Freundin vom Tage vorher entgegen und wies ihr mit einer gewissen Selbstbefriedigung ihre Hütte. Diese bestand aus einem umfangreichen Kegel aus Schnee, hatte am obersten Punkte eine enge Oeffnung, die zum Austritte des Rauches diente, und in diesem Schneehaufen hatten die Eskimos ihre vorübergehende Wohnung ausgehöhlt. Die »Snow-Houses«, welche sie mit großer Geschwindigkeit herzustellen verstehen, heißen in der Landessprache »Igloo«. Dem Klima sind sie ganz vorzüglich angepaßt und ihre Bewohner ertragen darin, selbst ohne Feuer und ohne zu viel davon zu leiden, eine Kälte von 40° unter Null. Den Sommer über lagern die Eskimos unter Zelten aus Rennthier- oder Robbenfellen, welche den Namen »Tubic« führen.

In diese Hütte einzudringen, war keine so leichte Arbeit. Einen Eingang besaß sie nur dicht am Erdboden, durch welchen man, wie durch einen drei bis vier Fuß langen Gang, dessen Länge die Dicke der Wände darstellte, kriechend schlüpfen mußte. Doch eine Reisende von Profession, die ein Diplom der Königlichen Geographischen Gesellschaft besaß, konnte das nicht aufhalten. Gefolgt von Madge schob sich Mrs. Paulina Barnett hinter der jungen Eingeborenen her in den engen Schlauch. Lieutenant Hobson und seine Leute verzichteten auf diesen Besuch.

Auch Mrs. Paulina Barnett kam bald zu dem Einsehen, daß es noch nicht die schwierigste Aufgabe war, in diese Schneehütte zu gelangen, sondern erst, darin zu verweilen. Die Atmosphäre, welche durch einen offenen Herd, auf dem Walroßtheile verbrannt wurden, erwärmt, und von den Ausdünstungen einer rußenden Thranlampe ebenso, wie durch die der Kleider und des die Hauptnahrungsmittel bildenden Amphibienfleisches erfüllt wurde, – diese Atmosphäre war wirklich erstickend. Madge konnte sich nicht darin aufhalten und kroch sogleich wieder hinaus. Mrs. Paulina Barnett bewies, um die junge Eingeborene nicht zu kränken, einen ganz übermenschlichen Muth und verlängerte ihren Besuch bis auf fünf Minuten, – fünf Ewigkeiten für sie! Anwesend waren die beiden Kinder und deren Mutter, während die Männer vier bis fünf Meilen weit zur Walroßjagd ausgezogen waren.

Als Mrs. Paulina Barnett einmal aus der Hütte wieder heraus war, sog sie die kalte Außenluft, welche ihr erst wieder Farbe gab, mit einer wahren Wollust ein.

»Nun, Madame, fragte sie der Lieutenant, was sagen Sie von diesen Eskimo-Wohnungen?

– Daß der Luftwechsel darin Etwas zu wünschen läßt«, erwiderte einfach die Reisende.

Acht Tage lang blieb jene interessante Familie an der nämlichen Stelle wohnen. Von je vierundzwanzig Stunden verbrachten die beiden Eskimos zwölf mit der Jagd auf Walrosse. Sie lauerten auf jene Amphibien mit einer ihnen ganz eigenthümlichen Geduld am Rande der Oeffnungen, durch welche jene öfters auftauchen, um Athem zu schöpfen, auf. Zeigte sich nun ein Walroß, so wurde ihm eine Schlinge um die Brustflossen geworfen, mittels welcher die beiden Eingeborenen das Thier mit großer Mühe auf das Eis herausbugsirten, und es mit Axthieben tödteten. Eigentlich war das Verfahren mehr ein Fischfang, als eine Jagd zu nennen. Das größte Vergnügen bestand dann darin, das Blut dieser Amphibien zu trinken, was die Eskimos mit größter Vorliebe thun.

Trotz der Kälte kam Kalumah tagtäglich nach Fort-Esperance. Sie fand ein großes Vergnügen daran, die einzelnen Räume zu durchlaufen, oder sah der Nadelarbeit zu, und folgte Mrs. Joliffe’s Thätigkeit in der Küche bis in’s Einzelnste. Von jedem Gegenstande wollte sie den englischen Namen wissen und plauderte ganze Stunden lang mit Mrs. Paulina Barnett, wenn man »plaudern« einen Gedankenaustausch nennen kann, für den die Worte auf beiden Seiten nur mühsam gefunden wurden. Wenn die Reisende laut vorlas, hörte ihr Kalumah mit größter Aufmerksamkeit zu, obwohl sie gewiß kaum eine Sylbe davon verstand.

Kalumah sang auch mit weicher Stimme Lieder mit eigenthümlichem Rhythmus, Lieder, aus denen man die Kälte und das Eis, die ganze Melancholie des Nordens herausfühlte. Mrs. Paulina Barnett hatte sich die Mühe genommen, eine dieser grönländischen »Sagas« zu übersetzen, eine treffende Probe hochnordischer Poesie, welcher eine traurige Melodie, die von Pausen unterbrochen und in wunderlichen Intervallen fortgesetzt wurde, einen unbeschreibbaren Reiz verlieh. Wir geben hier eine möglichst getreue deutsche Übertragung aus dem Album der Reisenden.

Grönländisches Lied.

Am Himmel ist Nacht!
Kaum streift ein schwacher Sonnenstrahl
Das Erdenthal!
Nur ich halte Wacht,
In meinem Herzen allzumal
Des Zweifels Qual.
Das schöne Kind verlacht mein zärtlich Liebeslied –
Ob denn ein Eisberg wohl ihr Herzchen überzieht?

Du Engelsgestalt,
Von Deiner Liebe leb‘ ich hier,
Berauscht von ihr.
Des Sturmes Gewalt
Trotzt‘ ich um einen Blick von Dir,
O, send‘ ihn mir!
Mein heißer Kuß schmilzt nicht mit seiner Liebesgluth
Den Schnee, der kalt und dicht auf Deinem Herzen ruht!

O gieb, daß geschwind
Auch Deine Seele endlich sich
Anschließ‘ an mich.
Und morgen, mein Kind,
Wenn meine Hand nach Deiner schlich,
Dann schenk‘ mir Dich.
Die Sonne glänzt gewiß viel schöner Dir als Braut,
Hat nur die Lieb‘ einmal Dein Herzchen aufgethaut!

Am 20. December kam die Eskimo-Familie nach Fort-Esperance, um von dessen Bewohnern Abschied zu nehmen. Kalumah hatte sich an die Reisende sehr innig angeschlossen, und diese hätte sie gerne bei sich behalten; die junge Eingeborene brachte es aber nicht über sich, die Ihrigen zu verlassen; doch versprach sie, im Laufe des kommenden Sommers nach Fort-Esperance zurück zu kehren.

Der Abschied war rührend. Sie ließ Mrs. Paulina Barnett einen kupfernen Ring zum Andenken, und erhielt dafür ein Halsband von schwarzem Gagath, mit dem sie sich auf der Stelle schmückte. Jasper Hobson ließ die armen Leute nicht ohne einen tüchtigen Vorrath von Lebensmitteln, den man auf ihre Schlitten lud, davongehen, und nach einigen Dankesworten Kalumah’s verschwand die interessante Familie auf ihrem Zuge nach Westen in dem dicken Nebel der Küste.

  1. Übersetzung des Wortes Eskimo.

Zwanzigstes Capitel.


Zwanzigstes Capitel.

Noch einige Tage begünstigte das trockene und ruhige Wetter die Jäger; vom Fort entfernten sie sich aber niemals weit. Der Ueberfluß an Wild gestattete ihnen übrigens auch, sich mit einem beschränkten Raume zu begnügen.

Lieutenant Hobson konnte sich also nur Glück wünschen, sein Etablissement an einer so günstigen Stelle des Landes begründet zu haben. Die Trapper erbeuteten eine große Anzahl Pelzthiere aller Art. Sabine und Marbre tödteten eine beträchtliche Menge Polarhasen. Einige zwanzig hungerige Wölfe wurden geschossen. Diese Raubthiere waren sehr angriffslustig und, zu Heerden vereinigt, erfüllte ihr Bellen die Luft in der Umgebung des Forts. Auf der Seite des Eisfeldes passirten zwischen den Spitzhügeln häufig große Bären, deren Annäherung sorgsam überwacht wurde.

Am 25. December mußte wiederum jeder Ausflug aufgegeben werden. Der Wind sprang nach Norden um, und die Kälte wurde äußerst heftig; man konnte nicht in der freien Luft verweilen, ohne Gefahr zu laufen, sofort zu erfrieren. Das Thermometer fiel bis auf – 28° Celsius. Wie ein Kartätschenhagel blies der Wind. Bevor sich aber Alle verkrochen, trug Jasper Hobson Sorge, daß den Zugthieren genügend Futter zu Theil wurde, um einige Wochen damit auszudauern.

Der 25. December war ja Weihnachten, dieses, den Engländern so theure häusliche Fest. Es wurde mit aller religiösen Andacht gefeiert. Die Ueberwinternden dankten der Vorsehung, daß dieselbe sie bis hierher bewahrt hatte; dann fanden sich die Werkleute, nachdem sie den ganzen Christtag gefeiert hatten, zu einem splendiden Mahle zusammen, bei dem auch zwei gewaltige Puddings nicht fehlten.

Am Abend dampfte ein Punsch mitten zwischen den Gläsern. Die Lampen wurden verlöscht, und der nur durch die bleichen Flammen des Branntweins erhellte Saal gewann ein phantastisches Ansehen. Schon bei den zitternden Reflexen wurden alle diese braven Soldaten munter, was durch die Vertilgung des heißen Gebräues nur noch zunehmen sollte.

Darauf würden die Flammen kleiner,sprangen noch wie bläuliche Irrlichter um das nationale Gebäck herum, und verloschen endlich.

Da, o Wunder, trotzdem daß die Lampen noch nicht wieder angezündet waren, wurde doch der Saal nicht dunkel. Ein lebhaftes Licht drang durch die Fenster, welches vorher zu sehen nur die Lampen verhindert hatten. Erschrocken sprangen Alle auf und sahen sich an.

»Eine Feuersbrunst!« riefen Einige.

Wenn das Haus aber nicht selbst brannte, so konnte in der Nachbarschaft des Cap Bathurst keine Feuersbrunst ausbrechen.

Der Lieutenant stürzte an das Fenster und erkannte bald die Ursache des Wiederscheins; sie bestand in einer vulkanischen Eruption.

In der That stand westlich von dem steilen Ufer, jenseits der Walroß-Bai, der Horizont in Flammen. Den Gipfel der feuerspeienden Berge, welche etwa fünfundzwanzig Meilen von Cap Bathurst entfernt waren, konnte man allerdings nicht erkennen, die Flammengarbe aber, welche zu bedeutender Höhe aufstieg, erhellte die ganze Umgegend mit ihren Farbenreflexen.

»Das ist noch schöner als ein Nordlicht!« rief Mrs. Paulina Barnett.

Thomas Black widersprach dem; wie konnte ein Erdenphänomen schöner als eine Himmelserscheinung sein!

Doch anstatt dieses Thema zu besprechen, verließen Alle, trotz der heftigen Kälte und des scharfen Nordostwindes, den Saal, um das Schauspiel dieser funkensprühenden Flammengarbe zu bewundern, die sich glänzend von dem dunkeln Himmel abhob.

Hätten Jasper Hobson und seine männlichen und weiblichen Begleiter nicht Mund und Ohren dick in Pelze verhüllt gehabt, so hätten sie das dumpfe Geräusch hören müssen, das von der Eruption ausging, und hätten einander den Eindruck mittheilen können, den dieses wahrhaft erhabene Schauspiel auf sie machte. Aber so, wie sie vermummt waren, konnten sie weder hören, noch reden, und mußten sich mit dem Sehen begnügen. Und welch‘ imposanter Anblick bot sich da ihren Augen! Welche Erinnerung ihrem Geiste! Zwischen der tiefen Dunkelheit des Firmamentes und dem ungeheuren weißen Schneeteppich, brachte das Aufleuchten der vulkanischen Flammen Effecte hervor, welche keine Feder und kein Pinsel zu schildern vermögen. Bis über den Zenith hinaus erstreckte sich der helle Wiederschein, der nach und nach alle Sterne verlöschte. Der weiße Erdboden war dabei in goldene Tinten gekleidet. Die Spitzhügel des Eisfeldes und, weiter rückwärts, die ungeheuren Eisberge, warfen, wie ebenso viele glänzende Spiegel, die verschiedensten Lichter zurück. An allen Ecken und Kanten brachen und spiegelten sich diese Lichtbündel, und die verschieden geneigten Flächen sendeten sie mit lebhafterem Glanze und in neuen Farben weiter. Es war ein wahrhaft magischer Strahlenkampf; man hätte eine ungeheure Eisdecoration aus einer Feerie vor sich zu haben geglaubt, die eigens für dieses Fest des Lichtes hergestellt wäre.

Bald zwang die Kälte die Zuschauer freilich, in ihre warmen Wohnräume zurück zu lehren, und manche Nase mußte dieses Vergnügen theuer bezahlen, das die Augen bei einer solchen Temperatur nur sehr zum Nachtheil jener genossen hatten.

In den folgenden Tagen verdoppelte sich die Kalte. Es war zu befürchten, daß das Quecksilberthermometer nicht mehr ausreichen würde, die Grade derselben anzugeben, so daß man zu einem Alkoholthermometer werde greifen müssen. Wirklich ging die Quecksilbersäule in der Nacht vom 28. zum 29. December bis auf – 37° herunter.

Fast wurden die Oefen durch Feuermaterial erstickt, und doch gelang es nicht, die Temperatur im Innern über – 7° zu erhöhen. Bis in die Zimmer herein litt man von der Kälte, und in einem Umkreise von zehn Fuß um den Ofen war von Wärme überhaupt nichts mehr zu fühlen. Den besten Platz räumte man dem kleinen Kinde ein, dessen Wiege von Denen, welche sich nach und nach dem Feuerherde näherten, in Gang gehalten wurde. Fenster oder Thüren zu öffnen, wurde ein für alle Mal verboten, denn der in dem Saale aufgehäufte Dampf hätte sich dabei sofort in Schnee verwandelt. Der menschliche Athem brachte in dem Vorraume schon einen ähnlichen Effect hervor. Von allen Seiten hörte man ein kurzes Krachen, welches Personen, die an die Erscheinungen dieser Klimate nicht gewöhnt waren, erschreckte, und von den Baumstämmen, die die Wände des Hauses bildeten, herrührte, indem sie unter dem Einflüsse der Kälte sprangen. Die Vorräthe an Liqueuren, Branntwein und Gin, welche auf dem Boden untergebracht waren, mußten in den allgemeinen Saal herunter geholt werden, denn aller Weingeist dieser Flüssigkeiten concentrirte sich am Grunde der Flaschen, in Form eines Kernes. Das aus Tannensprossen hergestellte Bier zersprengte beim Gefrieren die Gefäße. Alle festen Körper widerstanden dem Einfluß der Wärme, als wären sie versteinert. Selbst das Holz brannte nur schwer, und Jasper Hobson mußte deshalb eine ansehnliche Menge Walroßfett opfern, um eine lebhaftere Verbrennung zu erzielen. Zum Glück zogen die Kamine sehr gut, und verhinderten das Uebertreten irgend welchen schlechten Geruches in’s Innere. Draußen aber mußte sich Fort- Esperance schon weithin durch den scharfen, unangenehmen Geruch des Rauches verrathen, und verdiente unter die gesundheitswidrigen Etablissements gezählt zu werden.

Als bemerkenswerthes Symptom stellte sich in dieser ungeheuren Kälte bei Jedermann ein brennender Durst ein. Um diesen zu löschen mußte man aber alle Flüssigkeiten erst am Feuer aufthauen, denn in ihrer Form als Eis waren sie nicht zu vertragen. Eine andere Erscheinung, gegen welche Lieutenant Hobson seinen Genossen anzukämpfen empfahl, war eine sonderbare Schlafsucht, deren Einige nicht Herr zu werden vermochten. Mrs. Paulina Barnett, die immer munter war, wirkte durch ihre Nachschlage, ihre Unterhaltung, ihr Ab- und Zugehen, durch das eigene Beispiel, und ermuthigte alle Uebrigen. Oefter las sie aus einem Reisewerke vor oder sang einige alte englische Lieder, die von Allen im Chore wiederholt wurden. Diese Gesänge weckten wohl oder übel die Eingeschlafenen wieder, welche dann auch ihrerseits bald mit einstimmten. So verrannen die langen Tage unter vollständiger Einschließung, und wenn Jasper Hobson durch die Scheiben nach dem außerhalb angebrachten Thermometer sah, fand er nur, daß die Kälte noch immer zunahm. Am 31. December war das Quecksilber in der Kugel des Instrumentes vollständig gefroren. Es war demnach eine Temperatur von mehr als 42° unter Null.

Am anderen Tage, am 1. Januar 1860, brachte Lieutenant Jasper Hobson der Mrs. Paulina Barnett seine Glückwünsche zum neuen Jahre dar und sprach ihr seine Anerkennung über den Muth und den guten Humor aus, mit welchen sie sich allen Strapazen unterzog. Dieselben Glückwünsche richtete er auch an den Astronomen, welcher aber in dem Neujahrstage Nichts als den Wechsel der Jahreszahl 1859 gegen 1860 sah, d. h. des Jahres, in welchem seine hochwichtige Sonnenfinsterniß stattfinden sollte. Zwischen allen Mitgliedern dieser kleinen Colonie, welche bis jetzt noch so einig und, Gott sei Dank, auch so vollkommen gesund geblieben waren, wurden herzliche Wünsche ausgetauscht. Hatten sich bei Einzelnen auch einige Vorzeichen von Scorbut gezeigt, so waren diese doch immer der rechtzeitigen Anwendung von Limoniensaft und Kalkpastillen gewichen.

Immerhin durfte man sich nicht zu zeitig freuen! Die schlechte Jahreszeit sollte ja noch drei Monate währen. Die Sonne mußte zwar bald wieder über dem Horizonte erscheinen, aber damit war nicht gesagt, daß auch die Kälte nun auch ihr Maximum erreicht haben müsse, und gewöhnlich tritt sogar in allen hochnördlichen Gegenden die stärkste Temperaturerniedrigung erst im Februar ein. Jedenfalls nahm die Kälte in den ersten Tagen des neuen Jahres nicht ab, und am 6. Januar zeigte das vor dem Fenster des Vorzimmers angebrachte Thermometer eine Kälte von 52° an. Noch einige Grade, und die im Jahre 1835 in Fort-Reliance beobachteten Temperaturminima waren erreicht, wenn nicht überschritten!

Die andauernde Kälte von solcher Heftigkeit beunruhigte Jasper Hobson mehr und mehr. Er fürchtete, daß die Pelzthiere gezwungen sein möchten, im Süden ein minder strenges Klima aufzusuchen, was seinen Absichten bezüglich der Jagden im kommenden Frühlinge sehr entgegen gewesen wäre.

Außerdem vernahm er durch die Erdschichten hindurch öfter ein dumpfes Rollen, das offenbar mit der vulkanischen Eruption zusammen hing. Der nördliche Horizont erschien fortwährend von dem Feuer aus der Erde erleuchtet, und gewiß vollzog sich jetzt in diesen Gegenden der Erdkugel eine furchtbare plutonische Arbeit. Konnte diese Nachbarschaft eines Vulkanes nicht für die neue Factorei gefährlich sein? Das ging Lieutenant Hobson immer durch den Kopf, wenn er dieses unterirdische Grollen vernahm, doch behielt er jene zunächst noch grundlosen Befürchtungen für sich.

Selbstverständlich dachte bei so enormer Kälte Niemand daran, das Haus zu verlassen. Hunde und Rennthiere waren reichlich versorgt; diese an ein langes Fasten während der Winterszeit gewöhnten Thiere nahmen auch seitens ihrer Herren keine Dienste in Anspruch. Es war also gar kein Grund vorhanden, sich der Strenge der Atmosphäre auszusetzen, und wohl schon genug, eine Temperatur auszuhalten, welche auch die Verbrennung von Holz und Fett kaum erträglich machte. Aller Vorsicht ungeachtet sammelte sich endlich doch Feuchtigkeit in dem gar nicht gelüfteten Raume an und schlug sich an den Balken als glänzende, von Tag zu Tag an Stärke zunehmende Schicht nieder. Die Condensatoren waren verstopft, und einer derselben sprang sogar unter dem Drucke des gefrierenden Wassers.

Unter solchen Verhältnissen dachte Lieutenant Hobson gar nicht daran, das Brennmaterial zu schonen. Er verschwendete es sogar, um die Temperatur etwas zu heben, welche, sobald die Feuer sich nur ein wenig minderten, bis auf – 9° herab ging. Alle Wachthabenden, welche sich von Stunde zu Stunde ablösten, hatten Befehl, wirklich zu wachen und die Feuer gut zu unterhalten.

»Das Holz wird uns bald ausgehen«, sagte da eines Tages Sergeant Long zum Lieutenant.

– Was? Uns ausgehen? rief Jasper Hobson.

– Ich will sagen, daß der Vorrath im Hause sich bald erschöpfen könnte, und daß wir uns aus dem Schuppen werden mit neuem versehen müssen. Ich weiß aber aus Erfahrung, daß man, wenn man sich bei dieser Kalte an die Luft wagt, auch das Leben auf das Spiel setzt.

– Ja, erwiderte der Lieutenant, es ist ein Fehler, den wir begangen haben, den Schuppen nicht im Anschluß an das Haus zu bauen. Ich bemerke das jetzt etwas spät und durfte es eigentlich, wenn wir über dem siebenzigsten Breitengrade überwintern wollten, nicht vergessen. Indeß, was geschehen ist, ist geschehen. Sagen Sie mir, Long, wie viel Holz haben wir noch im Hause?

– Höchstens so viel, um die Oefen noch zwei bis drei Tage heizen zu können, antwortete der Sergeant.

– Hoffen wir, versetzte Lieutenant Jasper Hobson, daß sich die Temperatur bis dahin ermäßigt hat, und daß wir ohne Gefahr über den Hof gehen können.

– Daran zweifle ich, Herr Lieutenant, sagte Sergeant Long, den Kopf schüttelnd. Der Himmel ist klar, der Wind hält sich nördlich, und ich würde mich nicht wundern, wenn diese Kälte noch vierzehn Tage, d.h. bis zum Neumond anhielte.

– Nun, mein wackerer Long, entgegnete der Lieutenant, vor Kälte werden wir nicht umkommen, und wird es nüthig, sich ihr auszusetzen …

– So wird es geschehen, Herr Lieutenant«, schloß Sergeant Long. Jasper Hobson drückte dem Sergeanten, dessen Ergebung ihm bekannt war, die Hand.

Man konnte glauben, daß Jasper Hobson und Sergeant Long übertrieben, als sie die plötzliche Einwirkung einer solchen Kälte für hinreichend ansahen, den Tod zu veranlassen. Doch stand ihnen, die an das herbe Polarklima gewöhnt waren, eine lange Erfahrung zur Seite. Sie hatten kräftige Menschen, die sich unter ähnlichen Umständen hinaus gewagt hatte, wie vom Schlage getroffen niederstürzen sehen; der Athem war ihnen ausgegangen und man hatte sie todt gefunden. Diese Thatsachen sind, so unglaublich sie scheinen, bei verschiedenen Durchwinterungen bestätigt worden. Gelegentlich ihrer Reise an der Küste der Hudsons-Bai im Jahre 1746, haben William Moor und Smith mehrere Fälle der Art erlebt, und einige ihrer Begleiter, die von der Kalte wie vom Blitze getroffen waren, dabei verloren. Unbestreitbar heißt es sich einem plötzlichen Tode aussetzen, wenn man einer Temperatur trotzen will, deren Intensität die Quecksilbersäule nicht mehr zu messen vermag. So war die beunruhigende Lage der Insassen des Fort-Esperance, als ein unerwarteter Zufall diese noch verschlimmern sollte.

Drittes Capitel.


Drittes Capitel.

Als Sergeant Long in dem engen Gange war, auf welchen sich die Außenthüre des Forts öffnete, hörte er die Rufe sich verdoppeln. Irgend Jemand klopfte auch heftig an das Ausfallsthor, welches zu dem von hohen Holzmauern geschützten Hofe den Zugang bildete. Der Sergeant stieß die Thür auf. Ein fußhoher Schnee bedeckte den Boden. Bis an die Kniee in diese weiße Decke sinkend, blind vom Schneewirbel, und geschüttelt von der eisigen Kälte ging jener quer über den Hof auf das Thor zu.

»Wer, zum Kukuk, mag nur bei diesem miserablen Wetter noch kommen! sagte sich Sergeant Long und hob methodisch, um nicht zu sagen »reglementmäßig« die schweren Schließbalken des Thores aus, – bei einer solchen Kälte wagen sich doch nur Eskimos heraus.

– Aufmachen! Aufmachen! drängte von draußen eine Stimme.

– Es wird schon aufgemacht«, antwortete Sergeant Long, der allerdings seine zwölf Tempos zum Oeffnen zu brauchen schien.

Endlich schlugen sich die Thorflügel nach Innen auf, wobei den Sergeanten ein Schlitten halb in den Schnee schleuderte, welcher mit einer Bespannung von sechs Hunden wie ein Blitz hereinfuhr. Fast wäre der wackere Long überfahren worden. Doch erhob er sich ohne Murren, schloß das Thor wieder und kam in gewöhnlichem Marschirtempo, das heißt mit fünfundsiebenzig Schritt per Minute, an das Hauptgebäude nach.

Schon waren Kapitän Craventy, Lieutenant Jasper Hobson und Corporal Joliffe da, welche, der entsetzlichen Kälte trotzend, den überschneiten Schlitten betrachteten, der vor ihnen hielt.

Soeben entstieg demselben ein dick in Pelze verpackter Mann.

»Das Fort-Reliance? fragte dieser.

– Ist hier, antwortete der Kapitän.

– Der Kapitän Craventy?

– Bin ich; und Sie?

– Ein Courier der Compagnie.

– Allein?

– Nein, ich bringe einen Reisenden.

– Einen Reisenden? Und was will er hier?

– Er will den Mond sehen.«

Bei dieser Antwort fragte sich der Kapitän, ob er es mit einem Tollhäusler zu thun habe, was in Anbetracht der begleitenden Umstände nicht unwahrscheinlich war. Jetzt hatte er aber keine Zeit, darüber nachzudenken. Der Courier hatte eine schwere Masse, eine Art schneebedeckten Sack, von dem Schlitten gezogen, den er Anstalt traf, in das Haus zu bringen, als der Kapitän ihn fragte:

»Was ist’s mit diesem Sacke?

– Das ist mein Reisender.

– Und wer ist er?

– Der Astronom Thomas Black.

– Aber er ist erfroren!

– Nun, dann thauen wir ihn wieder auf.«

Von den Händen des Sergeanten, des Corporals und des Couriers getragen, hielt Thomas Black seinen Einzug in das Haus, wo man ihn in einem Zimmer des ersten Stockwerks niederlegte, dessen Temperatur in Folge eines wohlgeheizten Ofens eine ganz erträgliche war. Dort legte man ihn auf ein Bett, und der Kapitän ergriff seine Hand.

Diese Hand war buchstäblich gefroren. Man löste die Decken und Pelzhüllen, welche Thomas Black, der wie ein Packet verschnürt war, umschlossen, und fand darunter einen dicken, kleinen Mann von gegen fünfzig Jahren, mit graulichen Haaren und struppigem Barte, dessen Augen geschlossen und dessen Lippen zusammengepreßt waren, als wären sie mit Leim verbunden. Dieser Mann athmete gar nicht, oder doch nur so schwach, daß er dadurch keinen Spiegel getrübt hätte. Joliffe entkleidete ihn weiter, und wendete und drehte ihn immer hin und her mit den Worten:

»Nun vorwärts, mein Herr! Wollen Sie denn nicht wieder zu sich kommen?«

Die also angeredete Persönlichkeit schien aber nur noch ein Leichnam zu sein. Um in ihm die entschwundene Wärme wieder zurückzurufen, fand Joliffe nur ein heroisches Mitttel, welches darin bestand, den Patienten in den heißen Punsch zu tauchen.

Ohne Zweifel zum Glücke für Thomas Black kam Lieutenant Jasper Hobson auf einen anderen Gedanken.

»Schnee her! befahl er. Sergeant Long, schaffen Sie einige Hände voll Schnee!«

Im Hofe von Fort-Reliance war daran kein Mangel. Während der Sergeant den verlangten Schnee zu holen ging, kleidete Joliffe den Astronomen vollends aus. Der Körper des Unglücklichen zeigte sich mit weißen Flecken bedeckt, welche auf ein tiefes Eindringen der Kälte in den Organismus hinwiesen. Gewiß war es die höchste Zeit, den ergriffenen Stellen wieder Blut zuzuführen, was Jasper Hobson durch kräftige Abreibungen mittels Schnee zu erreichen hoffte. Bekanntlich bedient man sich in den Polargegenden ganz allgemein dieses Mittels, um die Blutcirculation wieder herzustellen, welche eine übermäßige Kälte eben so hemmt, wie sie das Wasser der Flüsse zum Stehen bringt.

Sergeant Long war zurückgekommen, und er und Joliffe frottirten nun den neuen Ankömmling auf eine Weise, die dieser vorher sicher nicht gewöhnt war. Es war das kein sanftes Abreiben oder Einsalben mehr, sondern ein handfestes Kneten, das mehr etwa an die Bearbeitung mit einer Striegel, als mit der Hand erinnerte.

Während dieser Operation sprach der schwatzhafte Corporal immer auf den Reisenden, der ihn doch nicht hören konnte.

»Nun aber vorwärts, mein Herr! Was ist Ihnen nur eingefallen, sich dermaßen durchfrieren zu lassen. So seien Sie doch nicht so halsstarrig!«

Jedenfalls blieb Thomas Black zunächst noch halsstarrig, denn eine halbe Stunde verging noch ohne ein Lebenszeichen von seiner Seite. Schon wollte man daran verzweifeln, daß er wieder zu beleben sei, und die Massirenden gedachten eben ihre anstrengenden Versuche aufzugeben, als der arme Mann leise aufseufzte.

»Er lebt! Er erholt sich!« rief freudig Jasper Hobson.

Nach Wiedererwärmung der Körperoberfläche durch jene Frictionen durfte man auch die inneren Organe nicht vergessen.

Corporal Joliffe beeilte sich demnach, einige Gläser Punsch herbeizuschaffen, die dem Reisenden sehr wohl zu thun schienen. Seine Wangen bekamen wieder Farbe, seine Augen den Blick, seine Lippen die Sprache, und der Kapitän durfte endlich auf die Mittheilung hoffen, warum Thomas Black hierher, und das in so jämmerlichem Zustande gekommen war.

Der nun wieder warm zugedeckte Thomas Black richtete sich halb empor, stützte sich auf einen Ellenbogen und sagte mit schwacher Stimme:

»Fort-Reliance?

– Ist hier, erwiderte der Kapitän.

– Der Kapitän Craventy?

– Bin ich selbst, mein Herr, der Sie hier willkommen heißt. Doch darf ich fragen, was Sie nach Fort-Reliance führte?

– Er will den Mond sehen!« fiel der Courier ein, der beharrlich bei dieser Antwort blieb.

Sie schien übrigens Thomas Black zu befriedigen, denn er nickte beifällig mit dem Kopfe. Dann fuhr er fort:

»Der Lieutenant Hobson?

– Steht auch vor Ihnen.

– Also noch nicht abgereist?

– Wie Sie sehen, noch nicht, mein Herr.

– Schön, schön, mein Herr, versetzte Thomas Black, dann habe ich zunächst Ihnen nur noch zu danken und bis morgen auszuschlafen.«

Der Kapitän zog sich mit seinen Begleitern zurück und überließ den Sonderling der so nothwendigen Ruhe. Eine halbe Stunde später war das Abendfest zu Ende und Alle suchten ihre betreffenden Wohnungen auf, entweder im Fort selbst, oder in einigen kleinen Baulichkeiten, welche außerhalb desselben in der Nähe lagen.

Am anderen Tage war Thomas Black annähernd wieder hergestellt. Seine kräftige Konstitution hatte der furchtbaren Kälte widerstanden. Ein Anderer wäre wohl nicht aufgethaut, aber Er war eben von besserem Holze geschnitzt.

Doch wer war dieser Astronom? Woher kam er? Wozu diese Reise durch die Compagnieländereien, und das jetzt, noch während des strengen Winters? Was bedeutete die Antwort des Couriers, den Mond zu sehen? War denn der Mond nicht überall sichtbar und hatte es einen Zweck, ihn hier im hohen Norden zu suchen?

Diese Fragen stellte sich Kapitän Craventy. Als er jedoch Tags nachher ein Stündchen mit seinem neuen Gast gesprochen hatte, war er sich über alle im Klaren.

Thomas Black war in der That Astronom und zwar an der von Airy mit so großem Geschick geleiteten Sternwarte von Greenwich. Ein mehr intelligenter und kluger Kopf, als Theoretiker, hatte Thomas Black seit den vierundzwanzig Jahren, die er seine Stelle schon einnahm, den uranographischen Wissenschaften (d.i. der Himmelskunde) sehr große Dienste geleistet. Im Privatleben war er ein ganz unbrauchbarer Mensch, der außerhalb seiner astronomischen

Fragen gar nicht existirte und mehr im Himmel als auf der Erde wohnte; ein würdiger Abkomme des gelehrten La Fontaine, der bekanntlich in einen Ziehbrunnen fiel. Mit ihm war keine Unterhaltung möglich, wenn man nicht von Sternen und Sternbildern sprach. Er war ein Mann, geschaffen, gleich im Fernrohr zu leben. Aber wenn er beobachtete, that es ihm auch Keiner gleich. Welch‘ unerschöpfliche Geduld hatte er dann! Ganze Monate lang konnte er nach einem kosmischen Phänomen auf der Lauer liegen. Meteore und Sternschnuppen bildeten seine Specialität, und seine Entdeckungen in dieser Richtung sind von bleibendem Werthe. Handelte es sich um ganz feine Beobachtungen oder genaue Messungen und Bestimmungen, so wandte man sich stets an Thomas Black, der eine sehr merkwürdige »Gewandtheit des Blickes« besaß. Beobachten zu können ist nicht Jedermanns Sache. So nimmt es nicht Wunder, daß der Greenwicher Astronom ausersehen worden war, die nachfolgenden Beobachtungen, welche für die Selenographie (d. i. die Mondkunde) von hohem Werthe waren, auszuführen.

Bei einer totalen Sonnenfinsterniß erscheint die Mondscheibe nämlich von einem Strahlenkranze umgeben, dessen Ursprung indessen noch nicht fest steht. Ist er thatsächlich vorhanden oder Brechungsphänomen der Sonnenstrahlen rund um den Mond? Noch ist das eine offene Frage.

Seit 1706 schon haben die Astronomen diese »Aureola« wissenschaftlich beschrieben. Louville und Halley beobachteten bei der totalen Sonnenfinsterniß von 1715, Maraldi bei der von 1724, Antonio de Ulloa 1778, Bouditch und Ferrer 1806, diesen Strahlenkranz möglichst genau. Bei Gelegenheit der totalen Sonnenfinsterniß von 1842 suchten Gelehrte aller Nationen, wie Airy, Arago, Peytal, Laugier, Mauvais, Otto Struve, Petit, Baily u. A. die Lösung des Ursprungs dieser Erscheinung zu finden; aber so streng auch diese Beobachtungen waren, so sagt Arago darüber doch, daß »der Mangel an Übereinstimmung, welchen man an den von geübten Astronomen an verschiedenen Punkten angestellten Beobachtungen ein und derselben Sonnenfinsterniß findet, über diese Frage eine solche Dunkelheit verbreitet habe, daß vor der Hand an eine bestimmte Entscheidung über den Ursprung dieser Erscheinung nicht gedacht werden könne«.

Diese Frage berührt jedoch die Mondkunde sehr wesentlich und verlangt gebieterisch ihre Lösung. Jetzt bot sich eine neue Gelegenheit, diesen Lichtkranz zu beobachten. Am 18. Juli 1860 stand wieder eine totale Sonnenfinsterniß bevor, welche im Norden Amerikas, in Spanien und dem nördlichen Afrika sichtbar sein mußte. Die Astronomen verschiedener Länder waren übereingekommen, gleichzeitige Beobachtungen an verschiedenen Punkten in der Zone der Sichtbarkeit anzustellen. Thomas Black war zu dem Ende für den Norden Amerikas gewählt worden. Er befand sich da etwa unter denselben Verhältnissen, wie die englischen Astronomen, welche zur Beobachtung der Finsterniß von 1851 nach Schweden und Norwegen gegangen waren.

Es ist selbstverständlich, daß Thomas Black die ihm gebotene Gelegenheit, jenen Lichtkranz zu beobachten, mit Begierde ergriff. Er sollte gleichzeitig so weit als möglich die Natur der röthlichen Protuberanzen in’s Auge zu fassen suchen, welche an verschiedenen Stellen des Umkreises an unserem Tagesgestirne bemerkt werden. Gelang es dem Astronomen aus Greenwich, diese Frage auf unwiderlegliche Weise zu lösen, so durfte er der Anerkennung der ganzen gelehrten Welt sicher sein.

Thomas Black rüstete sich also zur Abreise und erhielt an die Hauptagenten der Hudsons-Bai-Compagnie die gewichtigsten Empfehlungsschreiben. Gleichzeitig sollte auch nächstens eine Expedition nach den Nordgrenzen abgehen, um dort eine neue Factorei zu gründen. Von dieser Gelegenheit galt es Nutzen zu ziehen. Thomas Black reiste also ab und durchschiffte den Atlantischen Ocean nach New-York, gelangte über die amerikanischen Seen nach der Niederlassung am Rothen Flusse, und dann von Fort zu Fort auf flüchtigem Schlitten, unter Leitung eines Couriers der Compagnie, trotz des Winters, trotz der Kälte, unter Mißachtung aller Gefahren einer Reise durch die arktischen Länder, am 17. März in Fort-Reliance unter den eben beschriebenen Umständen an.

Das waren die Aufklärungen, die der Astronom dem Kapitän Craventy gab, welcher sich in Folge dessen Thomas Black vollkommen zur Verfügung stellte.

»Aber, Herr Black, sagte er, warum eilten Sie dermaßen, um hierher zu kommen, da diese Sonnenfinsterniß erst im nächsten Jahre, also 1860, statthaben wird?

– Ich hatte ja gehört, Herr Kapitän, daß die Compagnie eine Expedition nach dem nördlichen Küstengebiet und über den siebenzigsten Breitengrad hinaus entsende, und wollte also die Abreise des Lieutenant Hobson nicht verfehlen.

– Herr Black, versetzte der Kapitän, wäre der Lieutenant schon fort gewesen, so würde es mir eine Ehre gewesen sein, Sie bis an die Küsten des Eismeeres zu geleiten.«

Endlich wiederholte er dem Astronomen, daß dieser völlig auf ihn rechnen könne, und nannte ihn nochmals in Fort-Reliance herzlich willkommen.

Fünfzehntes Capitel.


Fünfzehntes Capitel.

Die ersten Septembertage waren herangekommen. In drei Wochen mußte, selbst unter den günstigsten Verhältnissen, die rauhe Jahreszeit zur Einstellung jeder Arbeit nöthigen. Man mußte also eilen. Glücklicher Weise waren die neuen Bauten schnell aufgeführt worden. Meister Mac Nap hatte mit seinen Leuten wahre Wunder der Arbeit vollbracht. Das »Dog-house« wartete nur noch des letzten Hammerschlages, und die Palissade umschloß das Fort fast vollkommen in der vorgezeichneten Linie. Man war jetzt dabei, das Thor anzufertigen, welches den Zugang zum inneren Hofe bildete. Die aus zugespitzten, fünfzehnfüßigen Pfählen bestehende Umplankung bildete an der Vorderseite eine Art Halbmond oder »Katze«. Zur Vollendung des Vertheidigungsystemes sollte aber auch der Gipfel des Cap Bathurst, welcher die Position beherrschte, befestigt werden. Man sieht hieraus, daß Lieutenant Hobson neben dem System der fortlaufenden Umwallung auch das der detachirten Forts anwandte, womit ein großer Fortschritt in der Kunst Vauban’s und Cormontaigne’s bezeichnet ist. In Erwartung dieser Krönung des Caps gewährte aber auch schon die Palissade allein hinreichenden Schutz gegen einen »Tatzenstreich«, wo nicht gegen einen Handstreich.

Den 4. September bestimmte Jasper Hobson zur Jagd auf die Amphibien des Ufers, denn es wurde allgemach nöthig, sich vor Eintritt der schlechteren Jahreszeit mit dem nöthigen Heiz- und Leuchtmaterial zu versorgen.

Das Lager der Robben war etwa fünfzehn Meilen weit entfernt.

Jasper Hobson schlug Mrs. Paulina Barnett vor, den Zug zu begleiten, was diese gern annahm. Hatte auch das beabsichtigte Gemetzel für sie nichts besonders Anziehendes, so reizte doch die Aussicht, das Land zu sehen, die Umgebung des Cap Bathurst, und vorzüglich diejenigen Theile, welche unmittelbar an die steile Küste grenzten, kennen zu lernen, ihre lebhafte Neugierde.

Als Begleitung bestimmte Lieutenant Hubson den Sergeant Long und die Soldaten Petersen, Hope und Kellet.

Um acht Uhr Morgens brach man auf. Zwei mit je sechs Hunden bespannte Schlitten folgten der kleinen Gesellschaft, um die Körper der erlegten Amphibien zum Fort zurückzubefördern.

Da die Schlitten jetzt leer waren, so benutzten sie die Theilnehmer der Expedition für sich selbst. Das Wetter war schön, doch dämpften die niedrigen Nebel des Horizontes die Strahlen der Sonne, deren gelbliche Scheibe zu dieser Zeit des Jahres während der Nacht schon einige Stunden lang unterging.

Der Küstenstrich westlich von Cap Bathurst zeigte eine vollkommen ebene Oberfläche, welche das Niveau des Polarmeeres nur um einige Meter überragte. Diese Eigentümlichkeit des Erdbodens erregte aus folgenden Gründen Jasper Hobson’s Aufmerksamkeit:

In den arktischen Meeren ist die tägliche Fluth eine sehr hohe, wenigstens nach der allgemeinen Annahme. Viele Seefahrer, welche darauf Acht hatten, wie Parry, Franklin, die beiden Roß, Mac Clure und Mac Clintock, haben das Meer zur Zeit der Syzygien (d.i. des Neu- oder des Vollmondes) zwanzig bis fünfundzwanzig Fuß über den gewöhnlichen Wasserspiegel steigen sehen. War diese Beobachtung richtig – und es lag kein Grund vor, die Wahrheitsliebe jener Beobachter in Zweifel zu ziehen, – so mußte sich Lieutenant Hobson nothwendiger Weise fragen, woher es käme, daß der unter dem Einflusse der Anziehungskraft des Mondes anschwellende Ocean dieses kaum über das Meer hervorragende Ufer nicht überfluthete, da sich keinerlei Hinderniß, keine Düne und keine Bodenerhebung der Ausbreitung des Wassers widersetzte; wie es zuginge, daß die Hochfluth nicht das ganze Gebiet bis zum fernsten Horizonte überschwemmte, und keine Vermischung zwischen den Wassern des Binnensees und des Eismeeres stattfand. Es lag deutlich auf der Hand, daß ein solches Ereigniß weder in der Gegenwart eintrat, noch jemals früher eingetreten war.

Jasper Hobson konnte eine dahin zielende Bemerkung nicht unterdrücken, was seine Begleiterin zu dem Ausspruche veranlagte, daß Ebbe und Fluth im Arktischen Ocean trotz der gegentheiligen Berichte doch eben nicht bemerkbar sein würden.

»Im Gegentheil, Madame, erwiderte Jasper Hobson, die Berichte aller Seefahrer stimmen in dem Punkte überein, daß Ebbe und Fluth in den Polarmeeren sehr ausgesprochen auftreten, und es ist gar nicht anzunehmen, daß alle diese Beobachtungen falsch wären.

– Dann, Herr Hobson, erwiderte Mrs. Paulina Barnett, erklären Sie mir gefälligst, warum die Fluthen des Oceans dieses Land, welches sich kaum zehn Fuß über den niederen Wasserstand erhebt, nicht bedecken?

– Ja, Madame, entgegnete Jasper Hobson, diese Thatsache nicht erklären zu können ist ja eben der Grund meiner Verlegenheit. Seit einem Monat nach unserer Ankunft auf diesem Küstenpunkte habe ich mich mehr als einmal überzeugt, daß das Meer sich unter gewöhnlichen Verhältnissen kaum um einen Fuß hob, und ich möchte fast behaupten, daß die Niveau-Differenz in vierzehn Tagen, am 22. September, zur Zeit der Tag- und Nachtgleiche, das heißt eben dann, wenn diese Erscheinung ihr Maximum erreichen muß, an den Ufern des Cap Bathurst nicht ein und einen halben Fuß übersteigen wird. Uebrigens werden wir das ja selbst sehen.

– Aber die Erklärung, Herr Hobson, wo bleibt die Erklärung dafür, da es eine solche doch für Alles in der Welt geben muß?

– Nun, Madame, antwortete der Lieutenant, sie kann nur in einer der beiden folgenden Erwägungen gesucht werden. Entweder haben die Seefahrer ungenau beobachtet, was man bei Leuten wie Parry, Franklin, den Roß und Anderen nicht voraussetzen kann, oder die Gezeiten sind speciell für diese Stelle der amerikanischen Küste gleich Null, vielleicht aus denselben Gründen, welche sie in gewissen abgeschlossenen Meeren, wie z.B. dem Mittelländischen und anderen, unmerkbar machen, bei welchen die nahe aneinanderrückenden Festlandsufer und die Enge der Durchlässe dem Wasser des Atlantischen Oceans nicht hinreichend Zutritt geben.

– So nehmen wir also die letztere Hypothese an, Herr Hobson, sagte Mrs. Paulina Barnett.

– Wir müssen wohl, bestätigte der Lieutenant durch eine Neigung des Kopfes, trotzdem sie mich noch nicht befriedigt; ich habe hierbei immer die Empfindung einer Eigenheit der Natur, von der ich mir nicht klare Rechenschaft geben kann.«

Um neun Uhr waren die beiden Schlitten, welche stets dem sandigen und vollkommen ebenen Ufer gefolgt waren, an der gewöhnlich von den Robben besuchten Bucht angekommen. Man ließ die Bespannung zurück, um die Thiere, welche man auf dem Ufer überraschen mußte, nicht zu erschrecken.

Wie verschieden war aber dieses Gebiet von demjenigen, welches Cap Bathurst unmittelbar begrenzte!

Bei der Haltestelle der Jäger verrieth das Küstengebiet, das am Saume vielfach ausgehöhlt und gleichsam angenagt war, auch in seiner ganzen Ausdehnung sonderbare, schroffe Erhebungen aufwies, deutlich seinen plutonischen Ursprung, der von den Sedimentschichten, welche die Umgebungen des Cap Bathurst kennzeichneten, sehr wesentlich abwich.

Diese Landstriche waren in Zeiten der zoologischen Geburtsarbeit durch Feuer, nicht durch Wasser entstanden. Das Gestein, welches Cap Bathurst ganz abging – nebenbei gesagt, eine ebenso unerklärliche Sonderbarkeit, wie das Fehlen der Ebbe und Fluth, – trat hier in der Form erratischer Blöcke, d.h. beträchtlicher, tief in den Erdboden versenkter Felsstücke, auf. Ueberall hin lagen auf schwärzlichem Sande und feinblasiger Lava Kiesel umhergestreut, welche zu den thonigen Silicaten, die man unter dem Collectivnamen der Feldspathe zusammenfaßt, gehören und deren Vorhandensein die vulkanische Entstehungsursache dieses Küstenstrichs unwiderleglich darthut. Auf Letzterem glitzerten auch unzählige Labradoriten, Kieseldiamanten mit lebhaften, zwischen blau, roth und grün wechselnden Lichtreflexen; ferner da und dort Bimsteine und Obsidiane. Im Hintergrunde erhob sich das steile Gestade bis zweihundert Fuß über die Oberfläche des Meeres.

Jasper Hobson beschloß, diese Höhenpunkte zu besteigen, um sich einen Ueberblick über das ganze Land im Osten zu verschaffen. Er hatte genügend Zeit dazu, denn die Stunde der Robbenjagd war noch nicht gekommen. Bis jetzt sah man nur einige Pärchen jener Amphibien, welche sich auf dem Ufer gütlich thaten, während es sich empfahl, erst die Ansammlung einer größeren Anzahl abzuwarten, um sie während ihrer Siesta, oder vielmehr während des Schlummers, welcher bei allen Meersäugethieren in Folge der Bestrahlung durch die Sonne eintritt, zu überraschen. Lieutenant Hobson sah übrigens auch, daß diese Amphibien nicht, wie seine Leute ausgesagt hatten, eigentliche Robben waren. Sie gehörten wohl zu der Familie der Flossenfüßler, aber es waren sogenannte See-Pferde und See-Kühe, welche in den zoologischen Systemen die Unterart der Walrosse bilden, sowie an den langen von oben nach unten verlaufenden und zur Vertheidigung dienenden Spitzzähnen erkennbar sind.

Die Jäger umgingen also die kleine, von jenen Thieren scheinbar bevorzugte Bai, der sie den Namen »Walroß-Bai« gaben, und bestiegen die Erhöhungen am Ufer. Petersen, Hope und Kellet blieben auf einem kleinen Vorgebirge zurück, um die Amphibien im Auge zu behalten, während Mrs. Paulina Barnett, Jasper Hobson und der Sergeant den hundertundfünfzig bis zweihundert Fuß über seine Umgebungen emporragenden Gipfel erstiegen. Ihre drei Begleiter mußten sie fortwährend in Sicht behalten, da diese ein verabredetes Zeichen geben sollten, sobald sich die Walrosse in genügender Menge angesammelt hätten.

Binnen einer Viertelstunde hatten die Drei den höchsten Punkt erreicht. Von hier aus konnten sie die ganze Landschaft, welche sich rund umher entfaltete, überschauen.

Zu ihren Füßen dehnte sich das unendliche Meer, das sich nach Norden zu im Horizonte verlor. Kein Land, keine Scholle, kein Eisberg war in Sicht. Der Ocean war gewiß auch über Sehweite hinaus offen, und das Eismeer unter diesem Breitengrade allem Anscheine nach bis zur Behrings-Straße hin fahrbar. Während des Sommers konnten demnach die Schiffe der Compagnie Cap Bathurst von Nordwesten her leicht anlaufen.

Nach Westen hin entdeckte Jasper Hobson eine bisher ganz unbekannte Gegend, welche ihm das Vorkommen der vulkanischen Trümmer, mit denen das Ufer vollkommen übersäet war, genügend erklärte.

In einer Entfernung von etwa zehn Meilen ragten feuerspeiende Berge mit kegelförmigen Gipfeln in die Luft, die man von Cap Bathurst, der eben hier befindlichen Uferhöhen wegen, nicht wahrnehmen konnte. Sie starrten in allerhand Richtungen zum Himmel empor, so als ob eine zitternde Hand ihre Umrisse ausgeschnitten hätte. Nach eingehender Betrachtung wies sie Jasper Hobson dann, mit der Hand auf sie hinzeigend, dem Sergeanten und der Mrs. Paulina Barnett, wandte sich aber, ohne ein Wort über dieselben zu sagen, nach der entgegengesetzten Seite.

Im Osten erstreckte sich jener lange Ufersaum hin, welcher ohne Unregelmäßigkeiten oder Terrainbewegungen bis nach Cap Bathurst verlief. Mit guten Ferngläsern versehene Beobachter hätten wohl Fort-Esperance erkennen und den bläulichen Rauch sehen müssen, der zu dieser Stunde aus Mrs. Joliffe’s Küchenesse aufwirbelte.

Im Rücken bot das Territorium zwei sehr streng geschiedene Bilder. Im Osten und im Süden das einer ungeheuren Ebene, welche das Cap mehrere hundert Quadratmeilen groß umschloß, wogegen das Hinterland der Gegend des steilen Gestades, von der Walroß-Bai bis zu den Vulkangruppen hin, furchtbar zerrissen erschien und deutlich zeigte, daß es seinen Ursprung früheren vulkanischen Ausbrüchen verdankte.

Der Lieutenant betrachtete den so auffallenden Unterschied zwischen den beiden Theilen des Landes, der ihm doch als etwas »Fremdartiges« auffiel.

»Glauben Sie, Herr Hobson, fragte da Sergeant Long, daß jene Berge, welche den Horizont im Westen abschließen, wirklich Vulkane sind? – Ohne Zweifel, Sergeant, erwiderte Jasper Hobson. Eben diese haben die Bimsteine, die Obsidiane und die zahllosen Labradoriten bis hierher geschleudert, und wir würden keine drei Meilen weit zu gehen haben, um auf Lava und Asche zu treten.

– Und setzen Sie voraus, Her Lieutenant, daß jene noch thätige Vulkane sind? fragte der Sergeant weiter.

– Das vermag ich nicht zu entscheiden.

– Augenblicklich bemerkte man gerade keine Rauchsäule an ihrem Gipfel.

– Das ist noch kein Beweis, Sergeant Long; haben Sie etwa immer die Pfeife im Munde?

– Nein, Herr Hobson.

– Nun, sehen Sie, ganz eben so verhält es sich mit den Vulkanen, sie rauchen auch nicht immerfort.

– Das begreife ich, Herr Hobson, antwortete Sergeant Long, was ich aber nicht begreife, das ist das Vorkommen der Vulkane in den Polarländern überhaupt.

– Sie sind da auch nicht allzu zahlreich, bemerkte Mrs. Barnett.

– Nein, Madame, bestätigte der Lieutenant, und doch kennt man eine gewisse Anzahl: auf der Insel Johann-Mayen, auf den Aleuten, in Kamtschatka, im russischen Amerika und in Island; auf der südlichen Halbkugel aber in Feuerland. Diese Vulkane stellen nur die Rauchfänge der gewaltigen Centralwerkstätte des Innern vor in der sich die chemischen Vorgänge in der Erdkugel vollziehen, und ich glaube, daß der Schöpfer aller Dinge diese Abzugscanäle überall da errichtet hat, wo sie nothwendig waren.

– Gewiß, Herr Hobson, antwortete der Sergeant, aber am Pole, in diesem eisigen Klima!…

– Und was thut das, Sergeant, ob am Pole oder am Aequator! Ich möchte sogar behaupten, daß die Sicherheitsventile am Pole noch weit nothwendiger wären, als an jedem anderen Punkte der Erde.

– Und weshalb das? fragte der Sergeant, der über diese Ansicht höchlichst erstaunt war.

– Weil zur Zeit, als diese Ventile sich unter dem Druck der Gase des Erdinnern öffneten, das vorwiegend an solchen Stellen geschehen mußte, an welchen die Erdrinde die geringste Stärke hatte, und in Folge der Abplattung an den Polen wird es wahrscheinlich, daß… Doch, da sehe ich Kellet’s Signal, sagte der Lieutenant, indem er seine Beweisführung unterbrach. Haben Sie Lust, uns zu begleiten, Madame?

– Ich möchte Sie lieber hier erwarten, Herr Hobson, entgegnete die Reisende. Jenes Gemetzel unter den Walrossen hat für mich nichts Verlockendes.

– Ich widerstreite dem nicht, Madame, antwortete Jasper Hobson, und wenn es Ihnen beliebt, uns in einer Stunde wieder zu treffen, so werden wir uns vereinigt auf den Rückweg zum Fort begeben.«

Mrs. Paulina Barnett blieb also allein auf der Anhöhe zurück und betrachtete das an Abwechselung so reiche Panorama, welches sich vor ihren Blicken entrollte.

Eine Viertelstunde später langten Jasper Hobson und der Sergeant an dem Ufer an.

Walrosse waren jetzt in großer Menge da und konnte man deren wohl hundert zählen. Einige derselben krochen mit Hilfe ihrer kurzen, handförmigen Füße auf dem Sande hin, der größere Theil lag aber zu Familien vereinigt im Schlafe. Ein oder zwei sehr große, wohl drei Meter lange, aber mit wenig dichtem Pelze versehene und fast röthlich aussehende Thiere schienen für die ganze Heerde Wache zu stehen.

Die Jäger durften nur mit äußerster Vorsicht herankommen, benutzten Felsstücke und Unebenheiten des Bodens als Deckung und suchten einige Haufen Walrosse zu umstellen und ihnen den Rückzug nach dem Meere abzuschneiden, da diese Thiere auf dem Lande sehr schwerfällig, langsam und ungeschickt sind. Sie bewegen sich auf diesem nur in kurzen Sprüngen oder indem sie durch Krümmung des Rückgrats, ähnlich gewissen Raupenarten, kriechen. Im Wasser, ihrem Lebenselemente, aber werden sie zu flinken Fischen und furchtbaren Schwimmern, welche die sie verfolgenden Schaluppen nicht selten in Gefahr bringen.

Jene großen Exemplare schienen mißtrauisch zu werden und eine nahende Gefahr zu wittern. Sie hoben die Köpfe in die Höhe und sahen sich nach allen Seiten um. Aber bevor sie noch Zeit zu einem Warnungsignale hatten, stürzten Jasper Hobson und Kellet von der einen, Petersen, Hope und der Sergeant von der anderen Seite hervor und erlegten durch ihre Kugeln fünf Walrosse, denen sie mit den Messern vollends den Garaus machten, während die übrige Heerde sich so schnell als möglich in’s Meer stürzte.

Der Sieg war leicht gewesen. Die fünf Amphibien waren von ansehnlicher Größe. Das wenn auch etwas gekörnte Elfenbein ihrer Häuer schien doch von erster Sorte zu sein; Lieutenant Hobson freute sich aber weit mehr über ihren großen und fetten Körper, weil dieser eine beträchtliche Menge Oel zu liefern versprach. Man beeilte sich, sie auf die Schlitten zu verladen, und hatten die Hunde an ihnen auch eine hinreichende Last.

Eine Stunde war verflossen. Mrs. Paulina Barnett schloß sich ihren Gefährten wieder an, und Alle begaben sich längs des Ufers auf den Weg nach Fort-Esperance.

Natürlich ging man jetzt, da die Schlitten vollkommen beladen waren, zu Fuß. Es waren nur zehn Meilen, jedoch in gerader Linie, zurückzulegen. Nun sagt aber ein englisches Sprichwort: »Nichts ist so lang als ein Weg, der gar keine Ecken macht«, und dieses Sprichwort hat vollkommen Recht.

Um die Langeweile des Weges hinweg zu täuschen, plauderten die Wanderer wohl von Dem und Jenem. Mrs. Paulina Barnett mischte sich häufig in das Gespräch und zog aus den Specialkenntnissen der wackeren Jäger für sich manche Belehrung. Alles in Allem kam man aber nicht allzu rasch vorwärts. Die Fleischmassen waren für die Hunde eine tüchtige Last, und die Schlitten glitten nicht zum Besten. Auf fester Schneefläche hatten die Hunde die Entfernung zwischen der Walroß-Bai und Fort- Esperance mit Bequemlichkeit in noch nicht zwei Stunden zurückgelegt.

Mehrere Male mußte Lieutenant Hobson Halt machen lassen, um die Thiere, deren Kräfte zu Ende gingen, verschnaufen zu lassen. Das veranlaßte den Sergeant Long zu dem Ausspruche:

»In unserem Interesse hätten die Walrosse auch eine dem Fort näher gelegene Lagerstätte auswählen können.

– Sie würden keine geeignete Stelle dazu gefunden haben, antwortete Lieutenant Hobson kopfschüttelnd.

– Und warum das, Herr Hobson? fragte Mrs. Paulina Barnett, erstaunt über diese Antwort.

– Weil diese Amphibien nur die sanft abfallenden Küsten besuchen, auf denen sie kriechend das Meer verlassen können.

– Aber das Ufer des Caps? …

– Das Ufer des Caps, erwiderte Jasper Hobson, ist steil wie eine Festungsmauer, und zeigt nirgendswo eine schiefe Ebene. Es erscheint wie lothrecht abgeschnitten. Das, Madame, ist wiederum eine für jetzt unerklärliche Eigentümlichkeit dieser Landstrecke, und wollten unsere Leute an seinem Gestade fischen, so müßten ihre Schnuren, um bis zum Grunde zu reichen, wohl dreihundert Faden lang sein! Woher diese Bildung stamme? – Ich weiß es nicht, doch verleitet mich die Thatsache zu der Annahme, daß vielleicht vor vielen Jahrhunderten einst ein Theil des Continentes durch vulkanische Kräfte abgerissen wurde und im arktischen Oceane untergegangen sein mag!«

Erstes Capitel.


Erstes Capitel.

Um Abend des 17. März 1859 gab Kapitän Craventy im Fort-Reliance ein Fest.

Mit diesen Worten verbinde aber Niemand den Begriff einer großartigen Galaversammlung, eines Hofballes, eines mit allen Glocken eingeläuteten »raout« oder den einer Festlichkeit mit großem Orchester. Der Empfang bei Kapitän Craventy war einfacher, und doch hatte dieser Nichts gespart, ihm den möglichsten Glanz zu verleihen.

Wirklich hatte sich der Salon im Erdgeschoß unter der Leitung des Corporal Joliffe vollkommen verwandelt. Freilich waren die Wände, welche aus kaum behauenen, horizontal gelegten Stämmen bestanden, noch sichtbar, doch verhüllten vier in den Ecken angebrachte englische Flaggen und eine Anzahl dem Arsenale entnommene Waffen einigermaßen deren Nacktheit. Wenn sich die langen, rohen und geschwärzten Deckbalken auch kunstlos auf ihre Strebepfeiler stützten, so hingen doch dafür zwei mit Blechschirmen versehene Lampen als Kronleuchter davon herab und verbreiteten eine hinreichende Helligkeit in der dunstigen Atmosphäre des Saales. Die Fenster desselben waren schmal, und zum Theil vielmehr Schießscharten ähnlich; ihre dicht verblendeten Oeffnungen verwehrten jede Neugier, und zwei bis drei geschmackvoll daran angebrachte Stücken rothen Baumwollenstoffes erregten die Bewunderung der Eingeladenen. Der Fußboden bestand aus dicken Bohlen, welche Joliffe bei dieser Gelegenheit sorgfältig mit dem Besen gereinigt hatte. Weder Lehnsessel, noch Sophas oder Stühle, noch irgend welch‘ anderes Möbel stand im Wege. Holzbänke, welche in den dicken Wänden befestigt waren, roh zugehauene Klötze und zwei Tische mit stämmigen Füßen bildeten die ganze Ausrüstung des Salons; dagegen war die Zwischenwand, durch welche eine Thür nach dem Nebenzimmer führte, in außergewöhnlicher Weise reich geschmückt. An den Balken hingen, geschmackvoll angeordnet, so überreichlich Pelzfelle, daß man eine gleiche Auswahl in den Schaufenstern der Regent-Street oder Niewski-Perspective vergeblich gesucht haben würde. Alle arktischen Thierfamilien waren unter dieser Decoration durch Muster ihrer Felle vertreten. Da sah man die von Wölfen, grauen Bären, Eisbären, Ottern, Wieseln, Bibern, Moschusratten, Hermelinen und Silberfüchsen. Ueber dieser Ausstellung prangte eine Inschrift, deren Buchstaben kunstreich aus buntem Papiere ausgeschnitten waren, das Motto der weltberühmten Hudsons-Bai-Compagnie:

Propelle cutem.

»Wahrlich, Corporal Joliffe, sagte Kapitän Craventy zu seinem Untergebenen, Ihr habt Euch selbst übertroffen.

– Ich glaub‘ es, Herr Kapitän, ich glaub‘ es selbst, erwiderte der Corporal. Aber Jedem das Seine! Ein Theil Ihrer Lobsprüche trifft Mrs. Joliffe, die mir bei alledem geholfen hat.

– Das ist eine Capitalsfrau, Corporal.

– Sie hat nicht ihresgleichen, mein Kapitän.«

Mitten im Salon erhob sich ein ungeheurer Ofen, der halb aus Backsteinen und halb aus glasirten Kacheln aufgebaut war. Sein dickes Eisenblechrohr ging durch die Decke und verbreitete draußen dichte, schwarze Rauchwirbel. Dieser Ofen zog, prasselte und glühte bei der unausgesetzten Kohlenfütterung, die ihm der Heizer – ein speciell dazu angewiesener Soldat – zuführte. Manchmal verfing sich der Wind in der Esse, dann wälzte sich ein scharfer Rauch durch den Rost in den Salon; lange Flammen leckten an den Backsteinen in die Höhe; ein dichter Nebel verschleierte den Schein der Lampen und schwärzte die Balken der Decke. Diese kleine Unbequemlichkeit störte indeß die Gäste des Fort-Reliance nicht im Mindesten. Der Ofen spendete ja Wärme, und diese war damit nicht zu theuer erkauft, denn draußen war eine bittere Kälte, welche durch einen scharfen Nordwind doppelt fühlbar wurde.

Rund um das Haus tobte der Sturm. Der Schnee, der fast in festen Stücken fiel, trommelte an den Fenstern. Der Luftzug, welcher durch die Ritzen der Thüren und Fenster einen Eingang fand, verstärkte sich manchmal bis zum hörbaren Pfeifen. Dann wurde es wieder ganz still. Die Natur schien Athem zu holen, und erhoben die Windstöße dann sich wieder mit furchtbarer Gewalt. Man fühlte das Haus in seinen Grundpfählen erzittern, hörte die Dielen krachen und die Balken seufzen. Jeder Fremdling, der weniger, als die Gäste des Fort-Reliance, an dieses Wüthen des Luftmeeres gewöhnt war, hätte sich gefragt, ob dieser Haufen von Brettern und Bohlen nicht Gefahr liefe, ganz umgerissen zu werden. Kapitän Craventy’s Gäste kümmerte der Sturm aber wenig und hätte sie auch draußen eben so wenig erschreckt, wie die Sturmvögel, die dabei umherflatterten.

Die Gesellschaft bestand aus etwa hundert Personen beiderlei Geschlechts; nur Zwei – zwei Frauen – zählten nicht zu dem gewöhnlichen Personal und Besuchscontingent des Forts. Zu dem Ersteren gehörte Kapitän Craventy, Lieutenant Jasper Hobson, Sergeant Long, Corporal Joliffe und etwa sechzig Soldaten und Beamte der Compagnie. Einige von diesen waren verheiratet, unter Anderen der Corporal Joliffe, der glückliche Gatte einer munteren und geschickten Canadierin; ferner ein gewisser Mac Nap, ein Schotte, und mit einer Landsmännin verheiratet, und John Raë, der sich kürzlich eine Indianerin aus der Nachbarschaft zur Frau genommen hatte. Diese ganze Gesellschaft ohne Unterschied des Ranges, Officiere, Beamte und Soldaten, wurde an diesem Abende von Kapitän Craventy festlich bewirthet.

Das Personal der Compagnie lieferte aber die Festgäste nicht allein. Die Forts in der Nachbarschaft – und in solchen entlegenen Gegenden rechnet man diese bis auf hundert Meilen Entfernung – waren der Einladung des Kapitän Craventy gefolgt. Eine gute Anzahl Beamte oder Geschäftsführer waren aus Fort-Providence oder Fort-Resolution, ja sogar aus dem südlicher gelegenen Fort-Chipeway und Fort-Liard herbeigekommen. Eine so seltene Lustbarkeit und so unerwartete Zerstreuung durften sich diese Einsiedler, diese Verbannten, welche in der Einsamkeit der Borealgegenden halb verloren waren, nicht entgehen lassen.

Endlich hatten auch einige Indianerchefs die ihnen zugegangene Einladung nicht abgeschlagen. Diese Eingeborenen, welche zu den Factoreien in dauernder Beziehung stehen, liefern zum größten Theil und mittelst Tauschhandel die Pelzwaaren, welche die Compagnie vertreibt. Es waren zumeist Chipeway-Indianer, starke, prächtig gebaute Menschen, die in Lederröcke und Pelzumhänge der schönsten Art gekleidet waren. Ihr halb rothes, halb schwarzes Gesicht gewährte einen Anblick, wie man ihn in Europa bei Zaubervorstellungen etwa an den Teufeln sieht. Auf ihrem Haupte thronte ein Adlerfederbusch, wie der Fächer einer Sennora, der bei jeder Bewegung ihres pechschwarzen Haares erzitterte. Diese Häuptlinge, etwa ein Dutzend an Zahl, hatten ihre Frauen nicht mitgebracht, welche bedauernswerthen »Squaws« ein Leben nicht besser als das von Sklaven führen.

So war die Gesellschaft zusammengesetzt, welcher der Kapitän des Fort-Reliance seine Honneurs machte. Getanzt wurde, wegen Orchestermangels, nicht; das Büffet ersetzte aber reichlich die Lohnmusik der europäischen Bälle. Auf der Tafel erhob sich ein pyramidenförmiger Pudding, den Mrs. Joliffe hergestellt hatte; er bildete einen großen abgestumpften Kegel und war aus Mehl und Rennthier-, sowie Bisonochsenfett zusammengebaut. Vielleicht fehlte ihm die Zuthat an Eiern, Milch und Citronen, welche die Kochkünstler vorschreiben; diesen Mangel ersetzte er aber reichlich durch seine erstaunliche Größe. Mrs. Joliffe schnitt fleißig davon ab, ohne daß man deshalb eine wesentliche Verminderung der enormen Masse bemerkt hätte. Ferner figurirten sogenannte Sandwichbrödchen auf der Tafel, bei welchen freilich der Schiffszwieback die Scheiben feinen englischen Brodes ersetzen, mußte. Zwischen diese Zwiebackschnitten, welche trotz ihrer Härte den Zähnen der Chipeways nicht zu widerstehen vermochten, hatte Mrs. Joliffe erfinderischer Weise Schnitten von »corn-beef«, d. i. eine Art Pökelrindfleisch gelegt, welches den Schinken von York und die Trüffel-Gelatine der europäischen Büffets ersetzen mußte. Als Erfrischung reichte man Whisky und Gin in kleinen Zinnbechern herum, ohne des riesigen Punsches zu gedenken, der ein Fest beschließen sollte, von dem die Indianer in ihren Wigwams gewiß noch lange sprachen.

Wie viele Lobsprüche ernteten die Joliffe’schen Eheleute an diesem Abende! Aber welche Thätigkeit und Liebenswürdigkeit entfalteten sie auch! Sie schienen sich zu vervielfältigen. Mit welcher Freundlichkeit besorgten sie die Vertheilung der Herzstärkungen; sie erwarteten die Wünsche eines Jeden gar nicht, sie kamen ihnen zuvor. Niemand kam dazu, Etwas zu verlangen oder nur zu wünschen. Den Sandwichbrödchen folgten die Schnitten des unerschöpflichen Puddings, dem Pudding der Gin und der Whisky.

»Nein. ich danke, Mrs. Joliffe.

– Sie sind zu gütig, Corporal, lassen Sie mich nur einmal zu Athem kommen.

– Mrs. Joliffe, ich versichere Ihnen, daß ich ersticke!

– Corporal Joliffe, Sie machen aus mir, was Sie wollen.

– Nein, jetzt nicht, Mistreß, ich bin es nicht im Stande.«

Der Art waren die fast stehenden Antworten, welche sich das glückliche Ehepaar zuzog. Der Corporal und sein Weib nöthigten aber so herzhaft, daß ihnen auch die Widerspenstigsten den Willen thun mußten. Man aß ohne Unterlaß und trank eben immer.

Die Unterhaltung ward munter; Soldaten und Beamte wurden lebendiger. Hier sprach man von der Jagd, dort vom Handel. Was gab es da für Pläne für die kommende Saison! Die ganze Thierwelt der arktischen Regionen hätte die kühnen Nimrods nicht befriedigen können. Schon fielen Bären, Füchse und Bisonochsen unter ihren Kugeln. Biber, Hermeline, Wiesel und Marder fingen sich in ihren Fallen zu Tausenden. Die kostbarsten Pelze füllten die Magazine der Compagnie, welche in diesem Jahre einen ganz unerwarteten Segen einheimste. Während die reichlich fließenden Liqueure aber die Einbildung der Europäer erhitzten, ließen die ernsten und schweigsamen Indianer, welche zu stolz sind, um zu bewundern, und zu vorsichtig, um leichtsinnig zu versprechen, jene geläufigen Zungen schwatzen und vertilgten nur in großer Menge das »Feuerwasser« des Kapitän Craventy.

Dieser selbst, glücklich über den Jubel und befriedigt, daß sich diese armen Leute, welche fast außerhalb der bewohnten Erde dahinleben, einmal ergötzten, ging voller Freude unter seinen Gästen umher, antwortete aber auf alle Fragen, welche bezüglich des Festes an ihn gerichtet wurden, mit:

»Fragen Sie Joliffe! Immer nur Joliffe!«

Joliffe hatte aber auf jede Frage eine freundliche Antwort.

Von den Personen nun, welche eigentlich zum Fort-Reliance gehörten, müssen wir Einige naher betrachten, da wir sie in so schrecklichen Verhältnissen, wie keine menschliche Voraussicht sie erwarten konnte, wiederfinden werden. Es sind dies aber: der Lieutenant Jasper Hobson, Sergeant Long, das Joliffe’sche Ehepaar, und zwei weibliche Fremdlinge, denen zu Ehren der Kapitän jene Festlichkeit veranstaltet hatte.

Lieutenant Hobson war ein Mann von vierzig Jahren. Klein und mager, besaß er keine besondere Körperkraft, seine geistige Energie half ihm aber über alle Prüfungen und Unfälle hinaus. Er war ein »Kind der Compagnie«. Sein Vater, Major Hobson, ein Irländer aus Dublin, war erst seit einigen Jahren todt, nachdem er sehr lange Zeit mit Mrs. Hobson auf Fort-Assiniboine gewaltet hatte. Dort war auch Jasper Hobson geboren. Dort, am Fuße felsiger Berge, verlebte er seine Kindheit und Jugend.

Bei dem strengen Unterrichte Major Hobson’s ward er durch seine Kaltblütigkeit und seinen Muth zum »Manne«, als er den Jahren nach noch Jüngling war. Jasper Hobson war kein Jäger, aber ein Soldat, ein tüchtiger und gebildeter Officier. Während der Kämpfe, welche die Compagnie in Oregon gegen rivalisirende Compagnien zu bestehen hatte, zeichnete er sich durch seine Kühnheit ebenso, wie durch seinen Eifer aus, und avancirte bald zum Lieutenant. In Folge seiner anerkannten Verdienste war er eben zum Befehlshaber einer Expedition nach dem hohen Norden ausersehen worden. Diese Expedition sollte die Gegenden nördlich vom »See des Großen Bären« erforschen, und an der Küste des amerikanischen Festlandes ein Fort errichten. Lieutenant Jasper Hobson’s Abreise hatte in den ersten Tagen des April zu erfolgen.

Bot nun der Lieutenant das vollkommene Bild eines Officiers, so war dagegen Sergeant Long, ein Mann von fünfzig Jahren, dessen röthlicher Bart aus Kokosfasern zu bestehen schien, der Urtypus eines Soldaten; eine wackere Natur, gehorsam von Temperament, kannte er nur seine Ordre, grübelte über keinen noch so sonderbaren Befehl, und dachte an nichts Anderes, sobald es sich um den Dienst handelte; eine wahre Maschine in Uniform war er doch eine vollkommene, welche sich nicht abnutzte, immer im Gange blieb, und nie ermüdete. Dabei war Sergeant Long gegen seine Leute, aber auch gegen sich selbst, etwas hart. Er duldete nicht die geringste Lockerung der Disciplin, und machte unerbittlich von dem geringsten Fehler Meldung, wogegen wider ihn nie eine Anzeige eingelaufen war. Er commandirte wohl, weil er als Sergeant das mußte, aber man sah, daß er nur ungern Befehle ertheilte. Mit einem Worte, er war nur zum Gehorchen erschaffen, und diese Verneinung seines eigenen Ichs ihm ganz in Fleisch und Blut übergegangen. Aus solchen Leuten bildet man die furchtbaren Armeen. Sie sind nur Arme, welche einem Kopfe gehorchen. Liegt aber darin nicht die wahrhafte Organisation der Kraft? Die Fabel hat zwei Bilder erfunden: Briareus mit hundert Armen und die Hydra mit hundert Köpfen. Wenn diese beiden Ungeheuer mit einander kämpften, wer trüge den Sieg davon? – Briareus.

Corporal Joliffe ist schon etwas bekannt. Er war schon mehr eine schwärmende Fliege, aber man ergötzte sich bei deren Summen. Zu einem Haus- und Hofmeister eignete er sich besser, als zum Soldaten, und wußte das auch selbst. Mit Vorliebe nannte er sich den »Corporal für alles Mögliche«, aber dabei wäre er hundertmal nicht zurecht gekommen, hätte ihn nicht die sichere Hand der kleinen Mrs. Joliffe geleitet. Daraus folgt, daß der Corporal, ohne es zuzugestehen, nach seines Weibchens Pfeife tanzte, wobei er wohl mit dem Philosophen Sancho denken mochte: »An dem Rathschlage einer Frau ist zwar nicht viel, aber ein Thor ist, wer gar nicht auf einen solchen merkt.«

Das fremde Element der Abendgesellschaft war, wie erwähnt, durch zwei Frauen, im Alter von etwa vierzig Jahren, repräsentirt. Die Eine derselben verdiente mit Recht in der Reihe der berühmtesten weiblichen Reisenden zu stehen. Als Rivalin der Ida Pfeiffer, der Tinné, der Haumaire de Hell, wurde auch Paulina Barnett’s Name in den Sitzungen der Königlich Geographischen Gesellschaft häufig ehrenvoll erwähnt. Paulina Barnett hatte auf ihrem Zuge längs des Bramaputra bis zu den Gebirgsstöcken Tibets, und bei einem solchen durch unbekannte Theile Australiens, nämlich von der Bai der Schwäne bis zum Golf von Carpentaria, alle Eigenschaften einer großen Reisenden entfaltet. Sie war eine Frau von hohem Wuchse, seit fünfzehn Jahren Witwe, welche die Leidenschaft zu reisen immerfort durch unbekannte Länder jagte. Ihr von langen Bändern umrahmter, stellenweise schon ergrauter Kopf brachte eine stählerne Energie zum Ausdruck. Ihre etwas kurzsichtigen Augen verbargen sich hinter einem silbernen Lorgnon, welches seinerseits auf einer langen, geraden Nase aufsaß, deren bewegliche Flügel »nach der Weite zu trachten« schienen. Ihr Auftreten war freilich etwas männlich, und ihre ganze Erscheinung athmete weniger Liebreiz, als moralische Kraft. Sie war eine reiche Engländerin aus der Grafschaft York und verwendete einen großen Theil ihres Vermögens auf abenteuerliche Reisen. Auch wenn sie sich jetzt in Fort-Reliance befand, kam das daher, daß eine neue Entdeckungsfahrt sie dorthin verschlagen hatte. Nach Durchstreifung der Tropenregionen wollte sie nun zweifellos bis an die letzten Grenzen der Polarländer vordringen. Ihre Gegenwart im Fort galt als ein Ereigniß. Der Director der Compagnie hatte sie dem Kapitän Craventy schriftlich speciell empfohlen. Dieser sollte, nach dem Inhalte des Briefes, die Absicht der berühmten Reisenden, nach den Küsten des Eismeeres zu ziehen, nach Kräften fördern. Welch‘ großes Unternehmen! Es galt, den Weg eines Hearne, Mackenzie, Raë und Franklin einzuschlagen. Welche Mühen und Prüfungen, welche Kämpfe gegen die in den Polarländern so schreckliche Natur standen damit bevor! Wie konnte ein Weib sich dahin wagen, wo so viele Forscher umgekehrt oder untergegangen waren? Aber die Fremde, welche jetzt schon bis nach Fort-Reliance gekommen war, war kein gewöhnliches Weib, es war eben Paulina Barnett, die Preisgekrönte der Royal Society.

Wir fügen hinzu, daß die berühmte Reisende in ihrer Begleiterin, Namens Madge, mehr als eine Dienerin, eher eine muthige, ergebene Freundin besaß, welche nur für sie lebte, eine Schottin aus der guten alten Zeit, die ein Caleb ohne langes Besinnen hätte heiraten können. Madge war noch einige Jahre älter, als ihre Herrin, dabei groß und von gesundem Holze gezimmert. Madge duzte Paulina, wie diese Madge. Paulina betrachtete Letztere mehr als ältere Schwester, Madge aber Paulina als ihre Tochter. Alles in Allem machten Beide nur ein zusammengehöriges Wesen aus.

Zu Ehren dieser Paulina Barnett also bewirthete Kapitän Craventy an jenem Abende seine Beamten und die Indianer vom Stamme der Chipeways. Die Reisende sollte sich dann dem Detachement des Lieutenants Jasper Hobson auf dessen Erforschungsreise nach dem Norden anschließen. Für Paulina Barnett ertönte der große Salon der Factorei von kräftigen Hurrahs.

Wenn der Ofen an diesem denkwürdigen Abend einen Centner Kohlen consumirte, so lag das daran, daß draußen eine Kälte von vierundzwanzig Grad Die Temperaturangaben beziehen sich im Folgenden auf Celsiusgrade, (100° Celsius = 80° Réaumur.) – Unter Meilen sind englische zu verstehen, von denen 4, 611 einer geographischen, 4, 681 einer österreichischen Meile gleich sind. herrschte, und Fort-Reliance unter 61° 47″, also weniger als fünf Grade vom Polarkreise lag.

Zweites Capitel.


Zweites Capitel.

»Herr Kapitän?

– Mistreß Barnett.

– Was denken Sie von Ihrem Lieutenant, Herrn Jasper Hobson?

– Ich halte ihn für einen Officier, der weit vordringen wird.

– Was verstehen Sie unter den Worten, weit vordringen? Wollen Sie damit sagen, daß er den achtzigsten Breitengrad überschreiten wird?«

Der Kapitän Craventy konnte sich bei dieser Frage Mrs. Barnett’s des Lächelns nicht erwehren. Er und sie plauderten nahe dem Ofen, während die Eingeladenen zwischen dem Tische mit Speisen und dem mit Erfrischungen hin- und hergingen.

»Madame, erwiderte der Kapitän, Alles, was einem Manne möglich ist, wird Jasper Hobson thun. Die Compagnie hat ihn mit der Durchforschung ihrer nördlichsten Besitzungen und der Errichtung einer Factorei, möglichst nahe der Nordküste Amerikas beauftragt, und das wird er auch ausführen.

– Da ruht aber eine große Verantwortlichkeit auf dem Lieutenant Hobson, sagte die Reisende.

– Ja, Madame, doch ist Jasper Hobson nie vor der Durchführung eines Versuches, und wenn dieser auch noch so mühsam war, zurückgeschreckt.

– Ich glaube Ihnen, Kapitän, antwortete Mrs. Paulina, und ich werde ja diesen Lieutenant in Thätigkeit sehen. Welches Interesse treibt aber die Compagnie, auch an der Küste des Arktischen Oceans noch ein Fort zu errichten?

– O, ein sehr großes Interesse, Madame, um nicht zu sagen, ein doppeltes. Voraussichtlich wird Rußland in nächster Zeit seine amerikanischen Besitzungen der Regierung der Vereinigten Staaten abtreten. 1 Tritt diese Cession ein, so wird der Handel der Compagnie nach dem Pacifischen Ocean hin wesentlich erschwert, wenn die von Mac Clure entdeckte nordwestliche Durchfahrt keinen brauchbaren Seeweg bieten sollte. Darüber müssen erst neue Untersuchungen Licht geben, und die Admiralität rüstet eben ein Schiff aus, dessen Aufgabe es sein wird, von der Behrings-Straße aus längs der amerikanischen Küste bis zum Krönungs-Golf an der Ostgrenze, wo das neue Fort gegründet werden soll, hinzufahren. Gelingt das Vorhaben, so wird dieser Punkt zu einer sehr wichtigen Factorei werden, in der sich der ganze Rauchwaarenhandel des Nordens concentriren müßte. Und während der Transport der Pelze über die Indianer-Territorien sehr viel Zeit und hohe Spesen kostet, könnten flinke Dampfer den Stillen Ocean von jenem Fort aus in wenigen Tagen erreichen.

– Das wäre freilich, erwiderte Mrs. Paulina Barnett, ein schwerwiegender Erfolg, wenn die Nordwest-Passage überhaupt benutzbar ist. Doch Sie sprachen, glaub‘ ich, von einem doppelten Interesse?

– Das zweite Interesse, fuhr der Kapitän fort, berührt gewissermaßen eine Lebensfrage der Compagnie. Hierzu muß ich Sie jedoch um die Erlaubniß bitten, Ihnen deren Ursprung mit kurzen Worten zu berichten. Sie werden daraus abnehmen können, wie diese einst so blühende Handelsverbindung jetzt in ihrer Wurzel bedroht ist.«

In wenigen Worten erzählte also der Kapitän die Geschichte dieser weitberühmten Compagnie.

Es ist bekannt, daß der Mensch schon in den ältesten Zeiten nach den Fellen und Pelzen gewisser Thiere trachtete, um sie zu seiner Kleidung zu verwenden. Der Rauchwaarenhandel reicht also bis in das hohe Alterthum zurück. Der Kleiderluxus ging ja manchmal so weit, daß mehrere Male sogenannte Aufwands-Gesetze (Kleiderordnungen) erlassen wurden, um dieser Mode, welche vorzüglich in Pelzwaaren Verschwendung trieb, zu steuern. So mußte z. B. das graue Pelzwerk im zwölften Jahrhundert verboten werden.

Im Jahre 1553 gründete Rußland in seinen Steppen des Nordens mehrere Niederlassungen, und englische Compagnien folgten bald diesem Beispiele. Der Handel mit Zobel, Hermelin, Viber u. s. w. wurde damals durch die Samojeden vermittelt. Unter der Regierung Elisabeth’s aber wurde der Gebrauch kostbarer Pelzwaaren durch ein königliches Verbot streng verpönt, und einige Jahre lag diese Handelsbranche völlig brach.

Am 2. Mai 1670 erhielt dann die Pelzwaaren-Compagnie der Hudsons-Bai ein Privilegium. Diese Compagnie hatte eine Anzahl Theilhaber aus den höchsten Kreisen, wie den Herzog von York, den Herzog von Albemarle, den Grafen von Shaftesbury u. s. w. Ihr Capital betrug anfangs nur 8400 Pfund Sterling. – Als Rivalen hatte sie besondere Genossenschaften, deren französische, in Canada seßhafte Agenten oft sehr abenteuerliche, aber auch ergiebige Züge unternahmen. Die unerschrockenen Jäger, welche unter dem Namen der »Canada-Reisenden« bekannt sind, machten der jungen Compagnie eine derartige Concurrenz, daß deren Fortbestand ernstlich in Zweifel gestellt wurde.

Die Eroberung von Canada aber veränderte diese bedrohliche Sachlage. Drei Jahre nach der Einnahme von Quebec, im Jahre 1766, blühte der Rauchwaarenhandel sehr merkbar auf. Die englischen Factore hatten sich in die Schwierigkeiten dieses Geschäftes eingelebt, sie kannten nun die Landessitten, die Gewohnheiten der Indianer und das Verfahren, welches diese bei ihrem Tauschhamdel einhielten. Dennoch war von Erträgnissen der Compagnie noch keine Rede. Dazu waren, gegen 1784, Kaufleute aus Montreal zur Ausbeutung desselben Geschäftes zusammengetreten, und hatten die mächtige »Compagnie des Nordwestens« gegründet, welche bald Alles zu sich heranzog. Im Jahre 1798 belief sich der Umsatz dieser neuer Compagnie auf die enorme Ziffer von hundertundzwanzig Millionen Pfund Sterling, während die Hudsons-Bai-Compagnie noch um ihren Fortbestand kämpfte.

Freilich schreckte jene Compagnie des Nordwestens auch vor keiner Immoralität zurück, wenn ihr Interesse im Spiele war. Sie beutete ihre eigenen Beamten aus, speculirte auf das Elend der Indianer, mißhandelte sie, machte sie trunken, um sie zu berauben, und übertrat das Parlamentsverbot, welches den Verkauf von Spirituosen in den Gebieten der Eingeborenen untersagte. So ernteten die Agenten dieser Gesellschaft reiche Erträgnisse, trotz der Concurrenz der inzwischen gegründeten amerikanischen und russischen Handelsgesellschaften, unter Anderen der »Amerikanischen Rauchwaaren-Compagnie«, welche 1809 mit dem Kapitale von einer Million Dollars gegründet worden war und den Westen der Felsengebirge ausbeutete.

Von allen Gesellschaften blieb die Hudsons-Bai-Compagnie die bedrohteste, bis sie im Jahre 1821 nach lange hingezogenen Verhandlungen ihre alte Rivalin, die Compagnie des Nordwestens, in sich aufnahm, und sich nun »Hudson’s bay fur Company« nannte.

Heutzutage hat diese mächtige Gesellschaft keine andere Rivalin, als die »Amerikanische Pelzwaaren-Compagnie von St. Louis«. Sie besitzt zahlreiche Etablissements, welche auf einem Raume von 3,700,000 Quadratmeilen verstreut liegen. Ihre Hauptfactoreien befinden sich an der James-Bai, an der Mündung des Severn, im südlichen Theile und nahe den Grenzen von Ober-Canada, an den Seen Athapeskow, Winnipeg, Supervior, Methye, Buffalo, ferner an den Strömen Colombia, Mackenzie, Saskatchavan, Assinipoil u. s. w. Fort-York, welches den Nelson-Fluß, der in die Hudsons-Bai mündet, beherrscht, bildet das Hauptquartier der Compagnie, bei dem sich die ausgedehntesten Rauchwaarenmagazine befinden, daneben hat sie, seit 1842, gegen eine jährliche Entschädigung von 200,000 Francs die russischen Etablissements im Norden Amerikas übernommen. Sie beutet also für eigene Rechnung die ungeheuren Ländereien zwischen dem Mississippi und dem Stillen Weltmeere aus. Nach allen Richtungen hat sie unerschrockene Reisende entsendet, so Hearn nach dem Polarmeere, welcher 1770 Copernicia entdeckte; Franklin, von 1819 bis 1822, über 5550 Meilen des amerikanischen Küstenlandes; Mackenzie, welcher nach der Entdeckung des Flusses, der seinen Namen trägt, die Ufer des Stillen Oceans unter 52° 24′ nördlicher Breite erreichte. Von 1833 bis 1834 sendete sie folgende Massen von Häuten und Pelzfellen nach Europa, welche den erstaunlichen Umfang ihres Handels genau angeben:

Eine solche Production mußte der Gesellschaft wohl einen reichen Ertrag liefern; unglücklicher Weise waren aber solche Ziffern nicht beständig, und etwa seit zwanzig Jahren nahmen sie fortwährend ab.

Woher kam nun diese Abnahme, welche Kapitän Craventy jetzt Mrs. Barnett erklärte?

»Bis zum Jahre 1837, Madame, sagte er, konnte man den Zustand der Compagnie einen blühenden nennen. In eben diesem Jahre hatte sich der Export bis auf 2,358,000 Felle erhoben. Seitdem hat er sich aber stets vermindert, und erreicht jetzt kaum die Hälfte.

– Worin suchen Sie aber die Ursache hierfür? fragte Mrs. Paulina Barnett.

– In der Entvölkerung, welche die Thätigkeit der Jäger, und, fügen wir hinzu, die Sorglosigkeit derselben in den Jagdgebieten erzeugt hat. Man stellte dem Wilde nach und tödtete es ohne Schonzeit. Die Metzeleien vollzogen sich ohne Ausnahmen. Selbst die Jungen und die tragenden Weibchen wurden nicht verschont. Die Otter ist fast ganz verschwunden und findet sich nur nahe den Inseln des höchsten Nordens. Die Biber sind in kleinen Gesellschaften an die Ufer der entlegensten Ströme entflohen. Dasselbe ist mit anderen kostbaren Thieren der Fall, welche vor dem Andringen der Jäger entfliehen mußten. Die sonst immer gefüllten Fallen und Gruben sind jetzt leer. Der Preis der rohen Felle steigt, gerade wo die Pelzwaaren sehr gesucht sind. Auch verlieren die Jäger die Lust, und nur die Kühnsten und Unermüdlichen dringen noch bis zu den Grenzen des amerikanischen Festlandes vor.

– Ich begreife jetzt das Interesse, sagte Mrs. Paulina Barnett, welches die Compagnie an der Gründung einer Factorei an der Küste des Eismeeres hat, da sich die jagdbaren Thiere über den Polarkreis hinaus geflüchtet haben.

– So ist es, Madame, antwortete der Kapitän. Uebrigens mußte sich die Compagnie bald entschließen, den Mittelpunkt ihrer Thätigkeit mehr nach Norden zu verlegen, da vor zwei Jahren eine Parlamentsacte ihr Jagdgebiet wesentlich eingeschränkt hat.

– Und was konnte der Grund dieser Einschränkung sein? fragte die Reisende.

– Ein sehr wichtiger nationalökonomischer war es, Madame, der die Staatsmänner Großbritanniens lebhaft berühren mußte. Die Mission der Kompagnie ist offenbar keine civilisatorische gewesen; im Gegentheil. In ihrem eigenen Interesse mußte sie den Zustand der öden Landgebiete in Gleichem erhalten. Jeder Versuch einer Urbarmachung, welche die Pelzthiere verscheucht hätte, wurde unerbittlich von ihr unterdrückt. Ihr Monopol ist der Feind des Landbaues. Alle seiner Industrie fremden Fragen wurden von ihrem Verwaltungsrathe von der Hand gewiesen. Dieses absolute, und von gewissem Gesichtspunkte unmoralische Regime hat jene Maßnahme des Parlaments veranlaßt und eine im Jahre 1857 von dem Secretär der Colonien ernannte Commission entschied dahin, daß alle zum Ackerbau geeigneten Ländereien zu Canada geschlagen würden, wie die Territorien des Rothen, und die Districte des Saskatchavan-Flusses, während der Gesellschaft fernerhin nur diejenigen Strecken als Domäne zu überlassen seien, welche für die Civilisation keine Zukunft hätten. Im folgenden Jahre verlor die Compagnie die Abhänge der Felsen-Gebirge, welche nun direct unter dem Colonialamte stehen und der Jurisdiction der Hudsons-Bai-Compagnie entzogen wurden. Und deshalb, Madame, will die Compagnie, statt ihren Handel aufzugeben, die noch fast unbekannten nördlichen Gegenden ausbeuten, und Mittel und Wege zu einer Verbindung mit dem Pacifischen Oceane suchen.«

Mrs. Paulina Barnett war über diese Projecte der berühmten Handelsgesellschaft sehr zufrieden. Sie sollte in Person an der Gründung eines neuen Forts an der Küste des Eismeeres theilnehmen. Kapitän Craventy hatte sie mit der Sachlage völlig bekannt gemacht, und bald wäre er – denn er plauderte gern – auch noch auf weitere Einzelheiten eingegangen, wenn ihm nicht ein Zufall das Wort abschnitt.

Corporal Joliffe meldete nämlich mit lauter Stimme an, daß er mit Mrs. Joliffe’s Hilfe daran gehe, den Punsch zu bereiten. Diese Nachricht fand die verdiente Würdigung. Die Bowle – doch es war vielmehr ein Bassin – war mit dem köstlichen Naß gefüllt; sie enthielt nicht weniger, als zehn Maß Branntwein, auf dem Boden lag ein ganzer Haufen Zucker und auf der Oberfläche schwammen die nöthigen, freilich vor Alter schon runzlichen Citronen. Es bedurfte nur noch der Entzündung dieses Sees von Alkohol, und der Corporal wartete, mit der Lunte in der Hand, der Befehle seines Kapitäns, so als gelte es eine Mine anzuzünden.

»Los! Joliffe!« rief nun Kapitän Craventy.

Sofort flammte unter dem Jubel der Umstehenden das Meer von Punsch in die Höhe.

Zwei Minuten später wurden die gefüllten Gläser umhergereicht, welche stets eifrige Abnehmer fanden.

»Hurrah! Hurrah! Der Mrs. Paulina Barnett! Ein Hurrah für unseren Kapitän!«

Mitten in diesen Freudenlärmen ertönte da plötzlich ein Geschrei von außerhalb. Erstaunt schwieg die Gesellschaft.

»Sergeant Long, sehen Sie nach, was draußen vorgeht«, sagte der Kapitän.

Und auf den Befehl seines Chefs ließ der Soldat sein Glas halb ausgetrunken stehen und verließ den Salon.

  1. Ist inzwischen wirklich geschehen.

Elftes Capitel.


Elftes Capitel.

Der breite Meerbusen, den die Gesellschaft nach sechswöchentlicher Fahrt erreichte, bildete einen trapezförmigen, scharf in das Festland Amerikas hinein verlaufenden Einschnitt.

In seiner westlichen Ecke befand sich die Mündung des Coppermine-Flusses. An der östlichen dagegen zog sich eine lange Meerstraße hin, welche den Namen »Bathurst’s Eingang« erhalten hat. An dieser Seite zeigt das Ufer eine launenhafte Bildung, ist von Buchten und kleinen Schlüpfhäfen unterbrochen und mit scharfen Caps und steil abfallenden Vorgebirgen besetzt, verliert sich auch weiterhin in jenes Gewirr von Meerengen, Oeffnungen und Durchlässen, welche den Karten der Polargegenden einen so sonderbaren Anblick verleihen. An der anderen, also an der westlichen Seite des Meerbusens, steigt die Küste, von der Mündung des Coppermine aus, nach Norden zu an und lauft in dem Cap Krusenstern aus.

Dieser Meerbusen trägt den Namen der Krönungs- Bai, und seine Gewässer sind mit Inseln und Eilanden, welche den Archipel des Herzogs von York bilden, bedeckt.

Nach Zuratbeziehung des Sergeants Long beschloß Jasper Hobson, seinen Begleitern an diesem Punkte einen Rasttag zu gewähren.

Die Erforschung im eigentlichen Sinne, welche dem Lieutenant eine zur Gründung einer Factorei geeignete Stelle nachweisen sollte, begann also von hier ab. Die Compagnie hatte empfohlen, sich so weit als möglich oberhalb des siebenzigsten Breitengrades und an der Küste des Polarmeeres zu halten. Seinem Mandate gemäß konnte der Lieutenant also nur im Westen nach einem Punkte suchen, welcher so hoch und doch noch auf dem Festlande läge. Nach Osten hin bilden die so merkwürdig zerrissenen Ländermassen (vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Bootia-Landes), welche von jenem Breitengrade durchschnitten werden, Theile der eigentlich arktischen Gebiete, deren geographische Gestaltung aber nur erst sehr unvollkommen bekannt ist.

Nach Aufnahme der Länge und Breite und Einzeichnung seiner Position in der Karte sah Jasper Hobson, daß er sich noch mehr als hundert Meilen unterhalb des siebenzigsten Breitengrades befand. Oberhalb des Cap Krusenstern aber durchschnitt die Küste, welche sich nach Nordwesten fortsetzte, etwa mit dem hundertunddreißigsten Meridiane, jenen Parallelkreis, genau in der Höhe des Cap Bathurst, welches von Kapitän Craventy als Ort des Zusammentreffens bezeichnet worden war. Diesen Punkt galt es also zu erreichen und dort etwa konnte sich auch das neue Fort erheben, wenn die Oertlichkeit die nöthigen Hilfsquellen für eine Factorei versprach.

»Da, Sergeant Long, sagte der Lieutenant und zeigte seinem Unterofficier die Karte der Polargegenden, da werden wir uns unter den von der Compagnie vorgeschriebenen Bedingungen befinden. An diesem Punkte gestattet das einen großen Theil des Jahres über offene Meer den Schiffen von der Behrings-Straße bis an das Fort zu gelangen, dieses mit allem Nöthigen zu versehen und seine Producte auszuführen.

– Ohne zu erwähnen, fügte Sergeant Long hinzu, daß unsere Leute von der Zeit ab, da wir uns über dem siebenzigsten Breitengrade befinden, doppelte Löhnung beziehen sollen.

– Das versteht sich von selbst, entgegnete der Lieutenant, und ich denke, sie werden sie ohne Murren annehmen.

– Nun wohl, Herr Lieutenant, dann haben wir also nur nach Cap Bathurst aufzubrechen«, sagte einfach der Sergeant.

Da aber einmal ein Rasttag angesagt war, fand die Abreise erst anderen Tages, am 6. Juni, statt. Dieser zweite Theil der Reise mußte dem ersten gegenüber sehr verschieden sein und war es auch wirklich. Die Ordnung, welche den Schlitten bis hierher vorgeschrieben gewesen war, wurde nicht weiter aufrecht erhalten. Man zog in kleinen Tagereisen weiter, hielt an allen Ecken der Küste und ging häufig zu Fuß. Lieutenant Hobson empfahl seinen Begleitern nur dringend, sich niemals weiter als drei Meilen von der Küste zu entfernen und zweimal des Tages, Mittags und Abends, bei der Hauptabtheilung wieder einzutreffen. Bei einbrechender Nacht lagerte man sich. Das Wetter war zu dieser Jahreszeit beständig schön, und die Temperatur, welche bis + 15° C. stieg, sehr angenehm. Zwei- oder dreimal brachen zwar plötzliche Schneestürme los, welche aber nicht andauernd genug waren, um die Luftwärme wesentlich zu beeinträchtigen.

Der ganze Theil der amerikanischen Küste zwischen Cap Krusenstern und Cap Parry, welcher eine Ausdehnung von etwa zweihundertundfünfzig Meilen hat, wurde nun zwischen dem sechsten und dem zwanzigsten Grad möglichst sorgsam bereist. Wenn die geographische Aufnahme dieses Küstenstriches Nichts zu wünschen übrig ließ, wenn Jasper Hobson sogar – und hierbei wurde er von Thomas Black sehr erfolgreich unterstützt – einige hydrographische Irrthümer zu berichtigen vermochte, so wurde doch auch das benachbarte Land fortwährend scharf im Auge behalten, vorzüglich in der Hinsicht, welche die Hudsons- Bai-Compagnie direct interessirte.

Waren diese Gebiete z. B. wildreich? Konnte man auf eßbare Thiere ebenso rechnen, wie auf Pelzthiere? Würden die selbständigen Hilfsquellen des Landes ausreichen, eine Factorei, mindestens den Sommer über, zu erhalten? Das waren die wichtigeren Fragen, welche sich Jasper Hobson vorlegte und die ihn mit vollem Rechte beschäftigten. In Bezug hierauf beobachtete er etwa Folgendes:

Das eigentliche Wild, d. h. dasjenige, dem Corporal Jolisse, so gut wie Andere, den Vorzug gaben, schien nicht eben im Ueberfluß vorhanden. Geflügel, welches zu der zahlreichen Familie der Enten gehörte, gab es zwar in großer Menge, aber Nagethiere waren nur durch einige Polarhasen, welche sich übrigens schwierig ankommen ließen, vertreten. Dagegen mußten Bären hier häufig sein. Sabine und Marbre hatten nicht selten frische Spuren dieser Raubthiere angetroffen. Mehrere waren sogar bemerkt oder aufgespürt worden, doch hielten sie sich immer in gemessener Entfernung. Jedenfalls lag es auf der Hand, daß diese Thiere, wenn sie die strengere Jahreszeit durch Hunger aus den höher gelegenen Gegenden vertrieb, an den Küsten des Eismeeres nicht selten sein konnten.

»Uebrigens, sagte Corporal Jolisse, den die Verproviantirungsfrage vorwiegend beschäftigte, wenn der Bär in der Speisekammer hängt, ist er auch gar nicht zu verachten. Ist das aber noch nicht der Fall, so stellt er nur ein sehr problematisches Wild, welches alle Vorsicht nöthig macht, dar, und droht Euch Jägern immer dasselbe Loos, welches ihr ihm bestimmt habt.«

Klüger konnte wohl kein Mensch reden. Bären konnten die Bedürfnisse des Forts nicht wohl mit Sicherheit decken. Glücklicher Weise war das Gebiet aber auch von Banden noch nützlicherer, und vorzüglich wohlschmeckenderer Thiere, als es die Bären sind, häufiger besucht, denen die Indianer und manche Eskimostämme oft ihre einzige Nahrung entlehnen. Es sind das die canadischen Rennthiere, deren häufiges Vorkommen Corporal Joliffe auf diesem Küstenstriche constatirte. Wirklich hatte die Natur Alles gethan, sie hierher zu locken, indem sie den Boden mit jener Moosart bedeckte, nach welcher das Rennthier vorzüglich lüstern ist, die es sogar geschickt unter dem Schnee hervorzuscharren weiß, und von der es den Winter über ausschließlich lebt.

Jasper Hobson war nicht minder befriedigt, als Corporal Joliffe, als er mit diesem die Fußtapfen solcher Wiederkäuer auffand, welche sich dadurch leicht von anderen unterscheiden, daß die innere Huffläche, ähnlich der des Kameels, einen convexen Abdruck hinterläßt. Man begegnet in gewissen Gegenden Amerikas ganz beträchtlichen wilden Heerden dieser Thiere, die sich wohl bis zu mehreren tausend Köpfen ansammeln. Lebend lassen sie sich leicht zähmen, und leisten dann den Factoreien beträchtliche Dienste; entweder durch ihre selbst die Kuhmilch an Stoffreichthum übertreffende Milch, oder auch als Zugthiere für die Schlitten. Todt sind sie kaum minder nützlich, da ihr sehr dichtes Fell sich zu Kleidungsstücken verwerthen läßt; ihr Haar liefert gesponnen sehr dauerhafte Fäden; ihr Fleisch ist ziemlich schmackhaft, und kaum giebt’s unter den hohen Breiten ein allseitiger verwendbareres Geschöpf. Das Vorkommen solcher Rennthiere, welches unzweifelhaft bestätigt war, konnte also Jasper Hobson in seiner Absicht, auf einem Punkte dieses Gebietes eine Niederlassung zu begründen, nur bekräftigen.

Bezüglich der Pelzthiere war er aber ebenso befriedigt. Längs der kleinen Wasserläufe fanden sich häufige Bauten von Bibern und Bisamratten. Dachse, Luchse, Hermelins, Vielfraße, Marder und Wiesel waren in der Umgebung zahlreich, wo das Nichtauftreten von Jägern ihnen Ruhe gelassen hatte. Von Menschen sah man hier noch keine Spuren, folglich mußten die Thiere ebenda eine gesicherte Zuflucht finden. Gleichzeitig fanden sich auch Spuren von blauen, und von Silber-Füchsen, eine Abart, welche immer seltener und deren Fell sozusagen mit Gold aufgewogen wird. Die Jäger hätten auf dem Zuge nicht selten Gelegenheit gehabt, sich einen Preis herauszuschießen, doch verbot kluger Weise Hobson vorläufig alles Jagen. Er wollte die Thiere nicht vor der Saison, das heißt, vor der Zeit aufschrecken, in welcher ihr Fell dichter und schöner ist, und auch höher im Preise steht. Nebenbei wäre es nutzlos gewesen, die Schlitten zu überlasten. Sabine und Marbre sahen diese Gründe wohl ein, aber ihre Hand bewegte sich doch unwillkürlich, wenn ihnen ein Zobel oder ein kostbarer Fuchs vor den Lauf kam. Jasper Hobson’s Befehl war aber einmal ausgesprochen, und der Lieutenant hätte nicht geduldet, daß man dem zuwider handelte.

Die Gewehre der Jäger hatten also während dieser zweiten Reiseperiode kein anderes Ziel, als einige Eisbären, welche sich manchmal an den Seiten des Zuges sehen ließen. Diese Raubthiere aber liefen, da sie jetzt nicht Hunger litten, meist eiligst davon, so daß es zu keinem ernsthaften Engagement mit ihnen kam. Hatten die Vierfüßler des Landes aber von der Ankunft der Reisegesellschaft nicht zu leiden, so hatte dafür das ganze Federvieh reichlich zu bezahlen. So erlegte man weißköpfige Adler, eine Art großer Vögel, welche sehr laut kreischen, Fischer-Falken, die gewöhnlich in den Höhlungen abgestorbener Bäume nisten und während des Sommers bis in die arktischen Breiten hinaufziehen; ferner Schneegänse von prachtvoll weißem Gefieder, wilde Baumgänse, vom Standpunkte der Eßbarkeit wohl die beste Art des Geschlechts der Gänse; Enten mit rothem Schnabel und schwarzer Brust; aschfarbene Krähen, eine Art Spott-Elstern von ausnehmender Häßlichkeit; Eidergänse, Trauerenten und noch verschiedene Arten Geflügel, die mit ihrem Geschrei das Echo der Uferwände wach riefen. Die Vögel bewohnen diese Nachbarschaft der Seeküste zu Millionen, und ihre Menge übersteigt wirklich jede Schätzung.

Die Jäger, denen jede andere Jagd streng untersagt war, stillten also ihre Lust an dem Federvieh. Mehrere hundert, meist gut eßbare Vögel erlagen während der ersten vierzehn Tage dem Schrote, und brachten in die gewöhnliche aus Pökelfleisch und Schiffszwieback bestehende Tafel eine gern gesehene Abwechselung.

Thiere fehlten also in diesen Gebieten offenbar nicht. Die Compagnie konnte leicht ihre Magazine füllen, sowie das Personal des Forts seine Speisekammern. Hiermit allein war aber die Zukunft einer Factorei nicht sicher gestellt. In so hohen Breiten war eine dauernde Niederlassung ja ohne bequemen Bezug reichlichen Brennmaterials nicht zu begründen, da es hier auch der schneidigen Kälte des Polarwinters zu widerstehen galt.

Glücklicher Weise war das Küstengebiet bewaldet. Die Hügel, welche sich im nächsten Hinterlande erhoben, waren mit grünen Bäumen, vorherrschend mit Fichten so besetzt, daß diese fast den Namen von Wäldern verdienten. Da und dort bemerkte Jasper Hobson auch in einzelnen Gruppen Weiden, Pappeln, Zwergbirken und andere baumartige Gesträuche. Jetzt, in der warmen Jahreszeit, grünten alle diese Bäume und machten auf das Auge, gegenüber der gewohnten Nacktheit der Polarländer, fast einen fremdartigen Eindruck. Am Fuße der Hügel war der Erdboden mit kurzem Grase bedeckt, das die Rennthiere begierig aufsuchen, und von dem sie sich den Winter über ausschließlich nähren.

Man sieht also, daß der Lieutenant sich nur Glück wünschen konnte, dies neue Jagdgebiet im Norden des amerikanischen Festlandes aufgesucht zu haben.

Kamen aber Thiere in der erwähnten Gegend fast im Ueberfluß vor, so schienen Menschen dagegen fast absolut zu fehlen. Man traf weder Eskimos an, deren Stämme mit Vorliebe die der Hudsons-Bai näher liegenden Ländereien durchstreifen, noch Indianer, welche sich so weit über den Polarkreis nur selten hinauswagen. Wirklich könnten solche Einzeljäger hier auch von einem plötzlichen und nicht selten andauernden Rückschlage der schlechten Witterung überrascht und von jeder Verbindung abgeschnitten werden. Daß Lieutenant Jasper Hobson keine Ursache hatte, sich über die Abwesenheit von Seinesgleichen zu beklagen, liegt wohl auf der Hand, da er in ihnen doch nur Rivalen hätte sehen können. Ein jungfräulicher Boden war es, den er suchte; eine Einöde, in der nur die Pelzthiere ein Asyl gefunden hätten, und hierüber sprach er öfters sehr eingehend mit Mrs. Paulina Barnett, welche sich sehr lebhaft für den Erfolg der Unternehmung interessirte. Die Reisende vergaß nie, daß sie Gast der Hudsons-Bai-Compagnie sei, und ihre Wünsche richteten sich auf ein möglichst durchgreifendes Resultat bezüglich Jasper Hobson’s Vorhabens.

Wie groß mußte da die unangenehme Verwunderung des Lieutenants sein, als er sich am 20. Juni plötzlich angesichts eines Lagers, das erst vor mehr oder weniger langer Zeit verlassen sein konnte, sah.

Es befand sich bei einer kleinen, schmalen Bucht, welche den Namen Darnley-Bai führt, und deren westlichste Spitze das Cap Parry bildet. An dieser Stelle sah man am Fuße eines kleinen Hügels noch Pfähle, welche zu einer Art Umzäunung gehört haben mochten, und auf den erloschenen Herden noch Haufen erkalteter Asche.

Die ganze Reisegesellschaft lief an diesem Lager zusammen.

Jeder fühlte, daß dieses auf Lieutenant Hobson einen sehr unangenehmen Eindruck hervorbringen mußte.

»Das ist ein übles Ding, sagte er; lieber wäre ich auf dem Wege einer Familie Eisbären begegnet.

– Die Leute aber, wer sie nun auch gewesen sein mögen, welche hier gelagert haben, antwortete Mrs. Paulina Barnett, sind nun schon wieder ohne Zweifel fern, und haben sich wahrscheinlich nach ihren gewöhnlichen Jagdgebieten im Süden zurückgewendet.

– Das ist die Frage, Mistreß Paulina, entgegnete der Lieutenant. Waren es Eskimos, so sind, sie voraussichtlich weiter gegen Norden gezogen. Waren es dagegen Indianer, so dürften sie, so gut wie wir, wohl in der Auskundschaftung neuer Jagdgebiete begriffen gewesen sein, und ich wiederhole, daß das für uns von sehr üblen Folgen begleitet sein könnte.

– Aber kann man denn, fragte Mrs. Paulina Barnett, an gar Nichts erkennen, welcher Race diese Reisenden angehörten? Sollte sich nicht entscheiden lassen, ob es Eskimos oder Indianer aus dem Süden gewesen sind? Stämme von so verschiedenem Ursprünge und Volkssitten werden ein Lager doch nicht auf ganz gleiche Weise herstellen.«

Mrs. Paulina Barnett hatte hiermit offenbar recht, und es war wohl möglich, daß diese Frage durch ein genaueres in Augenschein-Nehmen des Lagers eine Lösung versprach.

Jasper Hobson ging also mit einigen Anderen an diese Prüfung, und suchte peinlich nach jeder Spur, nach irgend einem vergessenen Gegenstände, selbst nur nach einer Fußspur, welche ihnen einige Andeutung gegeben hätte. Doch weder aus dem Zustande des Erdbodens, noch der Feuerherde, war eine solche herzuleiten. Einige Thiergebeine, welche da und dort umherlagen, waren dazu ebenso ungenügend. Schon wollte der Lieutenant die fruchtlose Nachforschung aufgeben, als ihn Mrs. Joliffe, die sich etwa hundert Schritte nach links hin entfernt hatte, anrief.

Jasper Hobson, Mrs. Paulina Barnett, der Sergeant und noch Mehrere eilten sogleich auf die junge Canadierin zu, welche unbeweglich den Erdboden betrachtete.

»Sie suchten nach Spuren, sagte Mrs. Joliffe zu dem Lieutenant. Nun, hier sind deren!«

Sie zeigte dabei auf zahlreiche Fußeindrücke, welche sich in dem thonichten Erdboden sehr scharf erhalten hatten. Diese hätten wohl ein charakteristisches Merkmal bieten können, denn der Fuß des Eskimos und der des Indianers ist ebenso verschieden, wie das beiderseitige Schuhwerk. Vor Allem war Jasper Hobson über die eigentümliche Art dieser Eindrücke verwundert. Gewiß rührten sie von einem menschlichen, mit einem Stiefel bekleideten Fuße her, zeigten aber nur den Abklatsch der Sohle, während der des Fersentheiles fehlte. Daneben waren diese Fußspuren nach allen Seiten gerichtet, und nur in beschränktem Umkreise sehr zahlreich.

Jasper Hobson machte seine Begleiter auf diese Eigenthümlichkeit aufmerksam.

»Das sind keine Fußtapfen einer Person, welche im Gehen begriffen war, sagte er.

– Und auch keine eines springenden Menschen, da der Abdruck der Ferse fehlt, setzte Mrs. Barnett hinzu.

– Nein, antwortete Mrs. Joliffe, das sind Fußspuren einer tanzenden Person!«

Mrs. Joliffe hatte vollkommen recht. Bei genauerer Betrachtung bestätigte sich ihre Annahme, daß jene von irgend einer choregraphischen Vorstellung herrührten, und dazu nicht von einem langsamen, abgemessenen, sondern von einem leichten, lustigen Tanze. Die Thatsache war unbestreitbar. Aber welcher Mensch konnte wohl so leichtlebigen Charakters sein, um den Gedanken, oder gar das Bedürfniß zu einem flotten Tanze, hier an den Grenzen Amerikas, einige Grade über dem Polarkreise zu bekommen?

»Das war sicher kein Eskimo, sagte der Lieutenant.

– Auch kein Indianer! meinte Corporal Joliffe.

– Nein, entschied sehr ruhig Sergeant Long, das war ein Franzose!«

Und nach der Ansicht Aller mußte es wirklich nur ein Franzose gewesen sein, welcher an einer solchen Stelle der Erdkugel noch – an’s Tanzen denken konnte!