Erstes Capitel

Erstes Capitel

Der Indische Ocean

So verlief also das ganze Leben des Kapitäns Nemo im Schooße des unermeßlichen Meeres bis zum Grabe in unergründlicher Tiefe, an der stillen Stätte, wohin kein Ungeheuer des Oceans drang, den letzten Schlummer der Genossen des Nautilus zu stören, seiner Freunde, die im Tode wie im Leben fest mit einander verbunden waren! »Auch kein Mensch sollte sie da stören«, hatte der Kapitän beigefügt.

Stets dasselbe Mißtrauen, das wilde, unversöhnliche, gegen die menschliche Gesellschaft!

Ich beruhigte mich nicht bei der Annahme, welche Conseil befriedigte, der Commandant des Nautilus sei nur einer der verkannten Gelehrten, welche den Menschen ihre Gleichgiltigkeit mit Verachtung erwidern. Er hielt ihn ferner für ein unverstandenes Genie, welches der Täuschungen der Erdenwelt müde, sich in dieses unzugängliche Gebiet hatte flüchten müssen, wo den Trieben seines Geistes ein freies Wirken vergönnt war. Allein, meines Erachtens, erklärte diese Annahme nur eine der Seiten seines Charakters.

In der That, das Geheimniß dieser letzten Nacht, während deren wir im Gefängniß und durch Schlaf gefesselt waren, die so gewaltsam ausgeübte Vorsicht, mir das Fernrohr, womit ich den Horizont zu betrachten im Begriff war, von den Augen wegzureißen, die tödtliche Verwundung des Mannes, die von einem unerklärlichen Stoß des Nautilus herrühren sollte, – alles dies drängte mich in eine neue Bahn. Nein! Der Kapitän Nemo beschränkte sich nicht darauf, die Menschen zu fliehen! Sein furchtbares Fahrzeug diente nicht allein seinem Freiheitsbedürfniß, sondern vielleicht auch der Absicht gewisser fürchterlicher Repressalien.

In diesem Augenblick ist mir noch nichts mit Gewißheit klar, ich sehe in diesem Dunkel nur unbestimmten Lichtschimmer, und ich muß mich darauf beschränken zu schreiben, was mir gewissermaßen die Ereignisse dictiren.

Uebrigens sind wir durch nichts an den Kapitän Nemo gebunden. Er weiß, daß ein Entrinnen unmöglich ist. Wir sind nicht einmal auf Ehrenwort eingehalten; keine Ehrenverbindlichkeit fesselt uns. Wir sind nur Gefangene, deren Eigenschaft als solche durch einen Anschein von Höflichkeit mit der Benennung »Gaste« verdeckt ist. Demnach hat Ned-Land die Hoffnung nicht aufgegeben, wieder die Freiheit zu erlangen. Gewißlich wird er die erste Gelegenheit dazu, welche ihm das Schicksal darbietet, benutzen. Ohne Zweifel werd‘ ich’s ebenso machen. Doch werde ich nur mit gewissem Leidwesen mit mir nehmen, was uns von den Geheimnissen des Nautilus durch das Vertrauen des Kapitäns mitgetheilt worden. Denn, kurz zu reden, muß man diesen Mann hassen oder bewundern? Ist er ein Opfer oder ein Henker? Und dann, offen gesagt, ich möchte gern, bevor ich ihn auf immer verließe, diese unterseeische Fahrt um die Welt, welche so prächtig begonnen, erst vollenden. Ich möchte gern zuvor die in den Tiefen der Meere des Erdballs vorhandenen Wunder vollständig beobachten. Ich möchte sehen, was noch kein Mensch gesehen hat, und sollte ich dieses unersättliche Bedürfnis zu lernen mit meinem Leben bezahlen! Was hab‘ ich bis jetzt entdeckt? Nichts, ober so gut wie Nichts, denn wir haben erst sechstausend Meilen durch den Stillen Ocean zurück gelegt!

Doch weiß ich wohl, daß der Nautilus sich den bewohnten Ländern nähert, und daß, wenn sich eins Aussicht zur Rettung darbietet, es grausam wäre, meine Gefährten meiner Leidenschaft für das Unbekannte zu opfern. Ich muß mich ihnen anschließen, vielleicht sie anführen. Aber wird sich eine solche Gelegenheit jemals ergeben? Der gewaltsam seiner freien Verfügung beraubte Mensch sehnt sich nach einer solchen, aber der Gelehrte in seinem Wissensdrang fürchtet sie.

An diesem Tage, den 21. Januar 1868, war um Mittag der Schiffslieutenant beschäftigt, den Höhestand der Sonne aufzunehmen. Ich begab mich auf die Plattform, zündete eine Cigarre an und sah der Verrichtung zu. Es schien mir klar, daß dieser Mann französisch nicht verstand, denn einigemal, machte ich laut in dieser Sprache Bemerkungen, welche ihm unwillkürliche Zeichen der Beachtung entlockt haben würden, wenn er sie verstanden hätte; aber er blieb gleichgiltig und stumm.

Während er mit dem Sextant seine Beobachtungen anstellte, kam einer der Matrosen des Nautilus – jener kräftige Mann, der uns bei unserem ersten unterseeischen Ausflug auf die Insel Crespo begleitet hatte – und reinigte die Fenster der Leuchte. Da betrachtete ich die Einrichtung dieses Apparates, dessen Wirkungskraft durch linsenförmige Ringe hundertfach verstärkt wurde, welche wie bei den Leuchtthürmen angebracht waren und das Licht in der erforderlichen Ebene hielten. Die elektrische Lampe war der Art eingerichtet, daß sie alle ihre Leuchtkraft hingab. Ihr Licht erzeugte sich wirklich im leeren Raume, wodurch seine Regelmäßigkeit und Stärke gesichert wurde. Dieser leere Raum sparte auch die Graphitspitzen, zwischen welchen die Lichtströmung sich entwickelt. Eine um so wichtigere Sache für den Kapitän Nemo, da er sie nicht leicht hätte erneuern können. Aber unter diesen Verhältnissen war ihre Abnutzung fast unmerklich.

Während der Nautilus sich vorbereitete, seine unterseeische Fahrt fortzusetzen, begab ich mich wieder in den Saal hinab. Die Lucken wurden wieder geschlossen, und es wurde gerade westliche Richtung gegeben.

Wir durchschnitten also die Wogen des Indischen Oceans, eine Fläche von fünfhundertfünfzig Millionen Hektaren Gehalt von so durchsichtigem Wasser, daß man den Schwindel bekommt, wenn man an der Oberfläche sich darüber beugt. Der Nautilus hielt sich im Allgemeinen hundert bis zweihundert Meter tief. So ging es fünf Tage lang. Jedem anderen, der nicht so große Freude am Meer hatte, wie ich, würden die Stunden gewiß langweilig und einförmig vorgekommen sein; aber dieser tägliche Spaziergang auf der Plattform, wo ich mich in der erfrischenden Seeluft erquickte, der Anblick der reichen Gewässer durch die Fenster des Salon, die Lectüre in der Bibliothek, die Ausarbeitung meines Tagebuchs beschäftigten mich die ganze Zeit über, und ließen mir nicht einen einzigen Augenblick Langeweile.

Unser Gesundheitszustand hielt sich allerseits sehr befriedigend. Die tägliche Kost sagte uns vollkommen zu, und ich meines Theils hätte ganz wohl die Abwechselung entbehren können, welche Ned-Land aus Widerspruchsgeist in dieselbe zu bringen beflissen war. Ferner war bei der gleichmäßigen Temperatur nicht einmal ein Katarrh zu befürchten. Zudem hätte das madreporische Gewächs, welches in der Provence unter dem Namen Meerfenchel bekannt ist, und wovon man einigen Vorrath an Bord genommen hatte, mit dem saftigen Fleisch seiner Polypen ein vortreffliches Mittel wider den Husten gegeben.

Einige Tage lang bekamen wir eine große Menge Seevögel zu sehen, Plattfüßer, Meerschwalben oder Seemöven. Es gelang einige zu schießen, und gehörig zubereitet gaben sie ein sehr annehmliches Seewildpret ab. Unter den Weitseglern, die allerwärtsher aus weiter Ferne verschlagen, von dem ermüdenden Flug auf den Wellen ausruhen, bemerkte ich prächtige Albatros, die so disharmonisch schreien wie ein Esel; sodann Fregatten, die in reißend schnellem Flug die Fische von dem Meeresspiegel fangen, und zahlreiche Phaeton, unter anderen den rothgesprengten von der Größe einer Taube, dessen weiße Flaumfedern mit rosa Tönen schattirt sind, welche die schwarze Färbung der Flügel hervorheben.

Die Netze des Nautilus lieferten einige Sorten Seeschildkröten, von der Karetgattung mit gewölbtem Rücken und sehr geschätzter Schale. Diese Thiere tauchen leicht unter und können sich lange unter’m Wasser halten, indem sie die fleischige Klappe an der äußeren Mündung ihres Nasenkanals schließen. Das Fleisch derselben war meist nicht viel werth, aber ihre Eier bildeten eine treffliche Erfrischung.

Die Fische erregten stets unsere Bewunderung, wenn wir bei geöffneten Läden sie bei den Geheimnissen ihres Wasserlebens belauschten. Ich bemerkte einige Arten, welche ich bisher noch nicht zu beobachten Gelegenheit hatte.

Ich hebe daraus die dem Rothen und Indischen Meer eigenthümlichen Beinfische hervor. Diese sind gleich den Schildkröten, Gürtelthieren, Meerigeln, Schalthieren, mit einem Panzer geschirmt, der weder kreideartig, noch steinartig, sondern wirklich von Knochenstoff ist. Er hat bald die Form eines dreieckigen, bald eines viereckigen Körpers. Von den dreieckigen waren manche einen halben Decimeter lang, von gesundem Fleisch und ausgesuchtem Geschmack, mit braunem Schwanz und gelben Flossen. Unter den viereckigen führe ich die mit vier Buckeln auf dem Rücken an; die Dromedare mit dicken kegelförmigen Höckern, von hartem, zähem Fleisch; ferner Trigonen, welche mit Stacheln versehen sind, die durch Verlängerung ihrer beinigen Schale entstehen, und die man ihres eigenthümlichen Grunzens wegen »Meerschweine« genannt hat.

Meister Conseil hatte in seinem Tagebuch eine sehr große Menge der schönsten und merkwürdigsten Fische verzeichnet, von denen ich noch manche anführen möchte, aber es würde allzuweitläufig sein.

Vom 21. bis 23. Januar fuhr der Nautilus im Verhältniß von zweihundertundfünfzig Lieues binnen vierundzwanzig Stunden, also fünfhundertundvierzig Meilen, oder zweiundzwanzig Meilen in der Stunde. Die mancherlei Fische, welche uns begleiteten, waren durch das elektrische Licht angelockt: die meisten blieben bald zurück, manche jedoch konnten sich eine Zeit lang bei demselben halten.

Am 24. früh bekamen wir, unter 12° 5′ südlicher Breite und 94° 33′ Länge, die Insel Keeling in Sicht, dieselbe ist madreporischen Ursprungs, mit prachtvollen Cocosbäumen bepflanzt, aber menschenleer und mit steilen Küsten, an welchen der Nautilus nahe vorbei fuhr. Darwin und der Kapitän Fitz-Roy hatten sie besucht. Sie verschwand uns rasch am Horizont, und wir fuhren nordwestlich auf die Spitze der Indischen Halbinsel zu.

»Civilisirte Länder, sagte damals Ned-Land zu mir. Das wird besser sein, als Papuasien, wo man mehr Wilde als Wildpret antrifft! Auf diesem indischen Land, Herr Professor, giebt’s Landstraßen, Eisenbahnen, englische, französische und Hindu-Städte. Da würde man keine fünf Meilen zu machen haben, um auf einen Landsmann zu stoßen. Nun? Ist da nicht der rechte Zeitpunkt, dem Kapitän Nemo seine Höflichkeit zu vergelten!

– Nein, Ned, nein, erwiderte ich in sehr bestimmtem Ton. Der Nautilus nähert sich bewohnten Landschaften. Er kommt nach Europa zurück, mag uns dahin führen. Sind wir einmal in unseren heimatlichen Meeren, werden wir sehen, was die Klugheit uns rathen wird zu versuchen. Uebrigens nehme ich nicht an, daß der Kapitän Nemo uns gestatten wird, an der Küste von Malabar oder Coromandel auf die Jagd zu gehen, wie er in den Wäldern von Neu-Guinea erlaubte.

– Ah! Herr, kann man’s nicht ohne seine Erlaubniß thun?«

Ich gab dem Canadier keine Antwort weiter; ich wollte nicht darüber hin und her reden. Im Grunde hatte ich mir vorgenommen, bis zu Ende die Wechselfälle des Schicksals mitzumachen, welches mich an Bord des Nautilus verschlagen hatte.

Von der Insel Keeling an wurde unsere Fahrt im Allgemeinen langsamer. Sie war auch launenhafter, und zog uns oft in große Tiefen hinab. Wir kamen so bis auf zwei bis drei Kilometer, aber ohne jemals die großen Tiefen dieses Indischen Meeres festzustellen, welche durch Sondiren mit dreizehntausend Meter nicht hatte erreicht werden können. Was die Temperatur der niederen Schichten betraf, so zeigte das Thermometer stets unverändert vier Grad über Null. Ich beobachtete nur, daß in den oberen Lagen das Wasser unter der Oberfläche stets kälter war als oberhalb.

Am 25. Januar, da der Ocean völlig leer war, brachte der Nautilus den ganzen Tag auf der Oberfläche zu, und seine gewaltige Schraube warf bei ihren Schlägen die Wellen hoch empor. Da konnte man ihn wohl für ein Riesenungeheuer ansehen. Ich brachte drei Viertel des Tages auf der Plattform zu. Mein Blick schweifte über dem Meer. Nichts am Horizont, als gegen vier Uhr Abends ein langes Dampfboot, welches westlich uns entgegen fuhr. Seine Masten waren einen Augenblick sichtbar, aber es konnte den Nautilus nicht sehen, weil er zu flach, über die Oberfläche des Wassers wenig hervorragte. Ich glaubte, dies Boot gehörte der Linie an, welche die Fahrten von Ceylon nach Sidney macht.

Um fünf Uhr Abends, vor der Dämmerung, welche in den Tropengegenden so kurz ist, wurden wir, Conseil und ich, durch einen merkwürdigen Anblick in Staunen versetzt.

Es giebt ein reizendes Thierchen, dessen Begegnung die Alten als ein glückliches Wahrzeichen ansahen. Sie nannten es Nautilus und Pompylius. Aber die neuere Wissenschaft hat ihm einen andern Namen gegeben; die Molluske heißt jetzt Argonaut, welcher zu derselben Familie gehört, wie der Kalmar und der Tintenfisch. Einer solchen Truppe von Argonauten, die auf der Oberfläche des Oceans wanderte, und mehrere Hunderte zählte, begegneten wir damals.

Diese zierlichen Mollusken bewegten sich vermittelst ihrer Fortbewegungsröhre rückwärts, indem sie durch diese Röhre das eingesaugte Wasser entfernen. Von ihren acht Fühlfäden schwammen sechs lange und feine oben auf dem Wasser, während die beiden andern blattförmig zusammengerollt, wie ein leichtes Segel im Winde aufgespannt waren. Ich sah genau ihre spiralförmige gefältelte Muschel, welche Cuvier richtig mit einer eleganten Schaluppe vergleicht. In der That ist’s ein wirkliches Boot, worin das Thier, welches durch Absonderung dasselbe geschaffen hat, fährt, ohne daß es ihm anhängt.

Etwa eine Stunde lang schwamm der Nautilus inmitten dieser Molluskenschaar. Darauf befiel sie ein plötzlicher Schrecken. Wie auf ein Signal verschwanden auf einmal alle Segel, die Arme zogen sich ein, die Körper schrumpften zusammen, die Muscheln änderten durch Umkehren ihren Schwerpunkt und die ganze Flotille sank unter. Dies geschah in einem Augenblick und mit einer gleichen Gemeinsamkeit des Manoeuvers, wie man’s bei einem Schiffsgeschwader noch nie gesehen hat.

Am folgenden Tage, den 26. Januar, durchschnitten wir unter’m zweiundachtzigsten Meridian den Aequator und kamen wieder auf die nördliche Hemisphäre.

Während dieses Tages hatten wir eine fürchterliche Schaar von Haifischen im Gefolge, Ungeheuer, die in diesen Meeren massenweise vorkommen und sie sehr gefährlich machen. Oft schossen diese gewaltigen Thiere mit beunruhigendem Ungestüm wider die Fenster des Salon. Dann hielt sich Ned-Land nicht länger, wollte auf die Oberfläche des Wassers, um die Ungethüme mit seiner Harpune zu treffen. Aber der Nautilus bekam durch Verstärkung seiner Schnelligkeit leicht einen Vorsprung vor den raschesten dieser Thiere.

Am 27. Januar, bei der Einfahrt in den ungeheuern bengalischen Golf, stießen wir mehrmals auf Leichname, die auf der Meeresoberfläche schwammen. Es waren Leichen aus den indischen Städten, welche der Ganges bis in’s hohe Meer getrieben hatte, und welche die Geier, die einzigen Bestatter des Landes, nicht alle hatten verschlingen können. Die Haifische waren beflissen, sie in ihrem leidigen Geschäfte zu unterstützen.

Gegen sieben Uhr Abends fuhr der Nautilus halb unter’m Wasser mitten durch ein Milchmeer. So weit man sehen konnte, schien der Ocean aus Milch zu bestehen. War’s nur Wirkung des Mondlichts? Nein, denn der Mond, erst seit zwei Tagen im Wachsen begriffen, befand sich noch unterhalb des Horizonts. Der ganze Himmel, obgleich in der Beleuchtung des Sternenlichts, schien schwarz im Gegensatz mit diesem weißen Gewässer.

Conseil konnte seinen Augen nicht trauen, und fragte mich über die Ursachen dieser auffallenden Erscheinung. Glücklicherweise war ich im Stande ihm seine Frage zu beantworten.

»Man nennt das ein Milchmeer, sagte ich, weiße Meereswellen in weitem Umfang, wie man’s häufig an den Küsten von Amboina und in diesen Gegenden zu sehen bekommt.

– Aber, fragte Conseil, kann mein Herr mich darüber belehren, welche Ursache eine solche Wirkung hervorbringt, denn das Wasser hat sich nicht in Milch umgewandelt, denk‘ ich mir.

– Nein, lieber Junge; diese weiße Farbe, welche Dir auffällt, rührt nur von Myriaden Infusionsthierchen her, eine Art Leuchtwürmchen, die farblos sind und wie Gallerte aussehen, haardünn und nicht länger als ein fünftel Millimeter. Manche dieser Thierchen hängen meilenweit mit einander zusammen.

– Meilenweit, rief Conseil aus.

– Ja, mein Junge, und gieb Dir nicht die Mühe, die Zahl dieser Thierchen auszurechnen! Du würdest es nicht fertig bringen, denn, irre ich nicht, so sind manche Seefahrer mehr als vierzig Meilen weit über solche Milchmeere gefahren.«

Ich weiß nicht, ob Conseil meiner Mahnung Rechnung trug, aber er schien in tiefes Nachdenken versenkt, indem er ohne Zweifel auszurechnen bemüht war, wieviel Fünftheile von Millimetern in vierzig Quadratmeilen enthalten sind. Ich meines Theils fuhr fort, das Phänomen zu beobachten. Einige Stunden lang fuhr der Nautilus über solchen weißen Wogen, und ich bemerkte, daß er ganz geräuschlos durch dieses seifenartige Wasser glitt, als führe er in den Schaumwirbeln, welche mitunter zwischen den Strömungen und Gegenströmungen der Baien entstehen.

Gegen Mitternacht nahm das Meer plötzlich seine gewöhnliche Farbe wieder an, aber hinter uns bis zu den Grenzen des Horizonts schien der Himmel im Wiederschein der weißen Wogen lange Zeit mit dem unbestimmten Nordlichtschimmer überzogen.

Zweites Capitel

Zweites Capitel

Ein neuer Vorschlag des Kapitän Nemo

Am 28. Februar, als der Nautilus zur Mittagszeit unter’m 9° 4′ nördlicher Breite wieder an die Oberfläche des Meeres kam, befand er sich im Angesicht eines Landes, das acht Meilen westlich lag. Ich gewahrte zuerst einen Haufen etwa zweitausend Fuß hoher Berge, deren Formen sich sehr launenhaft änderten. Als die Lage aufgenommen war, begab ich mich wieder in den Salon, und erkannte auf der Karte, daß wir im Angesicht der Insel Ceylon waren, dieser Perle an der unteren Spitze der indischen Halbinsel.

Ich suchte in der Bibliothek nach einem Buch über diese Insel, die eine der fruchtbarsten der Erde ist, und fand gerade einen Band von Sir H. O. Esq., mit dem Titel Ceylon und Cingalesen. Als ich wieder in den Salon trat, erschienen gleich auch der Kapitän Nemo und sein Lieutenant.

Der Kapitän warf einen Blick auf die Karte und sprach zu mir:

»Die Insel Ceylon ist durch ihre Perlenfischereien berühmt? Würde es Ihnen angenehm sein, Herr Arronax, eine solche Fischerei zu besuchen?

– Ja wohl, Kapitän.

– Gut. Es kann leicht geschehen. Nun, sehen wir zwar die Fischereien, so können wir doch nicht die Fischer sehen. Die jährlich vorgenommene Ausbeutung hat noch nicht begonnen. Thut nichts. Ich will nach dem Golf Manaar fahren, wo wir in der Nacht ankommen werden.«

Der Kapitän sprach mit seinem Lieutenant einige Worte, der ging sogleich hinaus und der Nautilus tauchte alsbald in sein Element hinab. Das Manometer zeigte, daß er sich in einer Tiefe von dreißig Fuß hielt.

Ich suchte auf der Karte den Golf von Manaar. Derselbe findet sich im Nordwesten unter’m neunten Breitegrad, gebildet durch einen langen Streifen des Inselchens Manaar. Man mußte, um hin zu kommen, das ganze westliche Ufer von Ceylon hinauf fahren.

»Herr Professor, sagte darauf der Kapitän Nemo, man fischt Perlen im Golf von Bengalen, im Indischen Meer, dem Chinesischen und Japanischen, in den Meeren Süd-Amerika’s, in den Golfen von Panama und Kalifornien; aber zu Ceylon mit dem schönsten Erfolg. Wir kommen dafür zwar etwas zu früh. Die Fischer versammeln sich erst im März im Golf von Manaar, und dann widmen sich ihre dreihundert Boote dreißig Tage lang ganz dem gemeinsamen Geschäft, diese Kostbarkeiten des Meeres zu holen. Jedes Boot ist mit zehn Ruderern und zehn Fischern besetzt. Die letzteren sind in zwei Rotten getheilt, die im Untertauchen mit einander abwechseln, und begeben sich in eine Tiefe von zwölf Meter mit Hilfe eines schweren Steins, welchen sie zwischen ihre Füße nehmen, und der mit einem Tau an das Fahrzeug befestigt ist.

– Also, sagte ich, ist immer noch das ursprüngliche Verfahren in Brauch.

– Immer noch, erwiderte der Kapitän Nemo, obwohl diese Fischereien dem gewerbverständigsten Volk der Welt angehören, den Engländern, welchen dieselben im Vertrag zu Amiens, 1802, abgetreten worden sind.

– Es scheint mir doch, daß der Skaphander, wie Sie ihn im Gebrauch haben, dabei große Dienste leisten würde.

– Ja wohl, denn die armen Fischer können’s nicht lange unter’m Wasser aushalten. Der Engländer Parceval spricht zwar von einem Kaffer, der fünf Minuten lang unter’m Wasser bleiben konnte, aber es scheint mir dies nicht sehr glaubhaft. Ich weiß, daß manche Taucher es bis auf siebenundfünfzig Secunden, und sehr geschickte bis siebenundachtzig bringen; doch sind solche selten, und wenn die armen Kerle wieder an Bord kommen, strömt ihnen Wasser mit Blut vermischt aus Nase und Ohren. Ich glaube, daß die Durchschnittszeit, welche diese Fischer es aushalten können, nur dreißig Secunden beträgt, während dessen sie in aller Eile mit einem kleinen Netz alle Perlmuscheln, deren sie habhaft werden können, zusammenraffen; aber im Allgemeinen werden diese Fischer nicht alt; sie bekommen schwache Sehkraft, es bilden sich Geschwüre an ihren Augen und zeigen sich Wunden über dem ganzen Körper; und oft auch werden sie auf dem Meeresgrunde vom Schlage getroffen.

– Ja, sagte ich, ’s ist ein trauriges Gewerbe, und dient doch nur, um einige Launen zu befriedigen. Aber, sagen Sie mir, Kapitän, wieviel Muscheln kann ein Boot während eines Tages fischen?

– Etwa vierzig- bis fünfzigtausend. Man sagt sogar, daß im Jahre 1814, als die englische Regierung auf eigene Rechnung fischen ließ, ihre Taucher binnen zwanzig Tagen sechsundsiebenzig Millionen Muscheln zu Tage förderten.

– Da finden sich wenigstens, fragte ich, diese Fischer hinreichend belohnt.

– Schwerlich, Herr Professor. Zu Panama verdienen sie nur einen Dollar die Woche. Meistens bekommen sie nur einen Sou für die Muschel mit einer Perle, und wie viele bringen sie herauf, welche keine enthalten!

– Ein Sou den armen Leuten, welche ihre Herren bereichern! Das ist abscheulich!

– Also, Herr Professor, sagte zu mir der Kapitän Nemo, Sie werden mit Ihren Gefährten die Bank von Manaar besuchen, und wenn sich vielleicht ein erwerbsamer Fischer schon dort befindet, so werden wir ihn sehen, wie er’s macht.

– Einverstanden, Kapitän.

– Beiläufig, Herr Arronax, Sie fürchten sich doch nicht vor den Haifischen?

– Vor den Haifischen?« rief ich aus.

Diese Frage schien mir zum mindesten recht müßig.

»Nun? wiederholte der Kapitän.

– Ich muß Ihnen gestehen, Kapitän, daß ich mich mit dieser Art Fische noch nicht sehr befreundet habe.

– Wir sind daran gewöhnt, versetzte der Kapitän Nemo, und mit der Zeit werden Sie sich darin finden. Uebrigens sind wir ja bewaffnet, und wir können unterwegs vielleicht einen Hai erlegen; ’s ist das eine recht interessante Jagd. Also, auf morgen, Herr Professor, und in aller Frühe.«

Das sagte der Kapitän so leichthin, und verließ den Saal.

Ladet man uns ein, im Schweizergebirge einen Bären zu jagen, so sagen wir: »Recht gern! Morgen gehen wir auf die Bärenjagd.« Ladet man uns zu einer Löwenjagd auf den Hochebenen des Atlas, oder zu einer Tigerjagd in den Niederungen Indiens ein, so sagen wir: »Ei nun! wir werden wohl dabei sein!« Aber ladet man uns ein, den Haifisch in seinem natürlichen Element zu jagen, so erbitten wir uns vielleicht Bedenkzeit aus, bevor wir die Einladung annehmen.

Ich für meinen Theil fuhr mit der Hand über meine Stirn, und fühlte da einige Tropfen kalten Schweißes.

»Wir wollen’s überlegen, sagte ich bei mir, und übereilen wir uns nicht. Fischotter in unterseeischen Wäldern zu jagen, wie wir’s auf der Insel Crespo gethan, geht noch an. Aber sich auf den Meeresgrund zu begeben, wenn man fast sicher ist, dort auf Haifische zu stoßen, ist doch etwas anderes! Ich weiß wohl, daß in manchen Ländern, besonders auf den Andamanen, die Neger bei der Hand sind, einen Dolch in einer Hand, eine Schlinge in der anderen, einen Haifisch anzugreifen, aber ich weiß auch, daß Viele, die keck genug sind, mit diesen furchtbaren Ungeheuern anzubinden, nicht mit dem Leben davon kommen! Uebrigens bin ich auch kein Neger, und wenn ich einer wäre, so würde, glaube ich, in diesem Falle eine leichte Bedenklichkeit meinerseits wohl an der Stelle sein.«

Ich stellte mir also in Gedanken die Haifische vor, ihre ungeheueren Kinnbacken mit vielen Reihen Zähnen, die einen Menschen mit einem Biß in zwei Theile zerlegen können. Da kam mir schon ein Schmerzfühl um die Lenden. Sodann wollte mir doch die Gleichgiltigkeit nicht behagen, womit der Kapitän diese leidige Einladung gemacht hatte! Hätte man nicht meinen sollen, es handle sich nur darum, in einem Buschwerk einen Fuchs zu prellen?

»Gut! dachte ich, Conseil wird sich nie entschließen mit zu gehen, und das wird mich beim Kapitän entschuldigen.«

In Beziehung auf Ned-Land, gestehe ich, fühlte ich mich nicht so sicher seiner Klugheit. Eine noch so große Gefahr hatte für seine kampffertige Natur stets einen Reiz.

Ich machte mich wieder an die Lectüre des Buches von Sier, aber ich blätterte nur mechanisch darin. Ich sah zwischen den Zeilen die fürchterlichen Kinnbacken aufgesperrt.

In diesem Augenblick traten Conseil und der Canadier ein, mit ruhiger, selbst heiterer Miene. Sie wußten nicht, was ihnen bevorstand.

»Meiner Treu‘, mein Herr, sagte Ned-Land zu mir, Ihr Kapitän Nemo – hol‘ ihn der Teufel – hat uns so eben einen sehr annehmlichen Vorschlag gemacht.

– Ah! sagt‘ ich, Sie wissen …

– Nehmen Sie’s nicht übel, mein Herr, erwiderte Conseil, der Kommandant des Nautilus hat uns eingeladen, morgen in Gesellschaft meines Herrn die prächtigen Fischereien von Ceylon zu besuchen. Er hat die Einladung in seinen Worten gemacht, und sich wie ein echter Gentleman benommen.

– Sonst hat er Euch nichts gesagt?

– Nein, mein Herr, erwiderte der Canadier, außer daß er von dem kleinen Ausflug mit Ihnen gesprochen habe.

– In der That, sagte ich. Und er hat Ihnen nichts besonderes gesagt über …

– Nichts, Herr Naturforscher. Sie werden doch mit dabei sein, nicht wahr?

– Ich … ohne Zweifel! Ich sehe, daß Sie Geschmack daran bekommen, Meister Land.

– Ja! ’s ist merkwürdig, sehr merkwürdig.

– Gefährlich vielleicht! fügte ich mit schmeichelndem Tone bei.

– Gefährlich, erwiderte Ned-Land, ein bloßer Ausflug auf eine Austernbank!

Offenbar hatte der Kapitän Nemo für unzuträglich gehalten, den Gedanken an Haifische bei meinen Gefährten anzuregen. Ich sah sie mit besorgtem Auge an, als wenn ihnen schon ein Glied mangele. Sollte ich sie warnen? Ja gewiß, aber ich wußte nicht recht, wie es anzufangen.

»Wird mein Herr, sagte Conseil, die Güte haben, uns Näheres über die Perlenfischerei zu sagen?

– Ueber das Fischen selbst, fragte ich, oder über das, was dabei vorfallen …

– Ueber das Fischen, versetzte der Canadier. Ehe man auf etwas eingeht, muß man den Grund kennen lernen.

– Nun denn! Setzen Sie sich nieder, meine Freunde, und ich will Ihnen mittheilen, was ich von dem Engländer Sier selbst so eben gelernt habe.«

Ned und Conseil setzen sich auf einen Divan, und zuerst sprach der Canadier zu mir:

»Mein Herr, was ist denn eigentlich eine Perle?

– Lieber Ned, erwiderte ich, für den Dichter ist die Perle eine Thräne des Meeres; für die Orientalen ein fest gewordener Thautropfen; für die Frauen ein längliches Kleinod von durchsichtigem Glanz und Perlmutterstoff, welches sie am Finger, Hals oder am Ohr tragen; für den Chemiker eine Mischung von phosphorsaurem und kohlensaurem Salz mit ein wenig Leim, und endlich für den Naturkundigen nur eine krankhafte Ausscheidung des Organes, welches bei einigen zweischaligen Muscheln die Perlmutter erzeugt.

– Abtheilung der Mollusken, sagte Conseil, Classe der Kopflosen, Ordnung der Schalthiere.

– Ganz richtig, gelehrter Conseil. Unter diesen Schalthieren nun sind alle die, welche Perlmutter ausscheiden, d. h. die blaue, bläuliche violette oder weiße Substanz, welche das Innere ihrer Schalen auskleidet, fähig Perlen zu erzeugen.

– Auch die Muscheln? fragte der Canadier.

– Ja die Muscheln einiger Bäche in Schottland, Wales, Irland, Sachsen, Böhmen, Frankreich.

– Gut! Das wird man sich merken, erwiderte der Canadier.

– Aber, fuhr ich fort, die Molluske, welche vorzugsweise Perlen absondert, ist die Perlen-Auster, meleagrina Margaritifera, die kostbare Perlmuttermuschel. Die Perle ist nur eine Perlmutterausscheidung, welche Kugelform annimmt. Entweder sitzt sie an der Schale fest, oder befindet sich als Verhärtung im Fleisch des Thieres frei. Zum Kern hat sie stets ein kleines hartes Körperchen, sei’s ein unfruchtbares Eichen oder ein Sandkorn, um welches der Perlmutterstoff binnen einigen Jahren nach und nach in kleinen concentrischen Ringen sich absetzt.

– Finden sich mehrere Perlen in derselben Auster? fragte Conseil.

– Ja, lieber Junge. Es giebt Perlenmuscheln, die einen wahren Schrein bilden. Man hat sogar eine Auster angeführt, aber ich bin so frei es in Zweifel zu ziehen, die nicht minder als hundertundfünfzig Haifische enthielt.

– Hundertundfünfzig Haifische! rief Ned-Land aus.

– Hab‘ ich Haifische gesagt? versetzte ich lebhaft. Ich meine hundertundfünfzig Perlen. Haifische wäre ja sinnlos.

– Ja wohl, sagte Conseil. Will mein Herr uns nun lehren, wie man diese Perlen herausbekommt?

– Man verfährt auf verschiedene Weise, und oft, wenn die Perlen an den Schalen anhängen, reißen die Fischer sie mit den Zangen ab. Aber zumeist werden die Perlmuscheln über Matten von Pfrimmenkraut gebreitet, welche am Ufer liegen. So sterben sie in der freien Luft, und nach Verlauf von zehn Tagen befinden sie sich in einem befriedigenden Zustand von Fäulniß. Darauf thut man sie in ungeheure Behälter voll Meerwasser, öffnet und wäscht sie. Jetzt beginnt die doppelte Arbeit der Aussonderung. Zuerst lesen sie die Perlmutterblätter ab, welche in Kisten von hundertundfünfundzwanzig bis hundertundfünfzig Kilogramm geliefert werden. Nachher entfernen sie das Fleisch der Auster, sieben sie ab und sieben sie durch, um auch die kleinsten Perlchen heraus zu bekommen.

– Der Preis der Perlen richtet sich nach ihrer Größe? fragte Conseil.

– Nicht allein nach ihrer Größe, erwiderte ich, sondern auch nach ihrer Form, ihrem Wasser ihrer Farbe, und nach ihrem Orient, d. h. dem schillernden farbenreichen Glanz, welcher sie dem Auge so reizend macht. Die schönsten Perlen werden Jungfernperlen genannt; sie bilden sich vereinzelt im Fleisch der Molluske; sie sind weiß, oft undurchsichtig, doch manchmal auch durchsichtig, opalfarbig, und zumeist kugel- oder birnförmig. Die kugelrunden werden zu Armbändern verwendet, die birnförmigen zu Gehängen, und die kostbarsten werden nach dem Stück verkauft. Die anderen Perlen hängen an der Schale der Auster, und außergewöhnlich werden sie nach dem Gewicht verkauft. Endlich zur geringsten Sorte gehören die Sandperlen, die nach dem Maß verkauft und ganz besonders zu Stickereien auf kirchlichen Schmuck gebraucht werden.

– Aber das Aussondern der Perlen nach der Größe muß eine langwierige Arbeit sein, sagte der Canadier.

– Nein, mein Freund, sie geschieht vermittelst elf Sieben, welche eine verschiedene Anzahl Löcher haben. Die Perlen, welche in den Sieben mit zwanzig bis achtzig Löchern zurück bleiben, sind ersten Ranges; die bei hundert bis achthundert nicht durchfallen, bilden die zweite Sorte; für die dritte Sorte endlich, die Saatperlen, gebraucht man Siebe mit neunhundert bis tausend Löchern.

– Das ist sinnreich, sagte Conseil; ich sehe, daß hier das Classificiren mechanisch vor sich geht. Könnte uns mein Herr auch sagen, was die Ausbeutung der Perl-Austernbänke einträgt?

– Laut Sier’s Buch sind die Fischereien Ceylons jährlich für die Summe von drei Millionen Haifische verpachtet.

– Franken! versetzte Conseil.

– Ja, Franken! Drei Millionen Franken wiederholte ich. Aber ich glaube, diese Fischereien tragen jetzt nicht mehr so viel ein, wie früher. Ebenso ist es mit den amerikanischen, die unter Karl V. vier Millionen Franken brachten, gegenwärtig auf zwei Drittheil herabgesunken sind. Im Ganzen kann man den allgemeinen Ertrag der Ausbeutung der Perlen auf neun Millionen Franken anschlagen.

– Aber, fragte Conseil, man führt ja doch einzelne Perlen von sehr hohem Preis an?

– Ja, Lieber. Man sagt, Cäsar habe der Servilia eine Perle überreicht, die nach heutiger Münze auf hundertundzwanzigtausend Franken geschätzt wurde.

– Ich habe, versetzte der Canadier, meiner Braut, Kat Tender – die übrigens einen Anderen geheiratet hat, ein Perlenhalshand gekauft, das kostete nur ein und einen halben Dollar, und doch – der Herr Professor kann mir’s kecklich glauben – wären diese Perlen nicht durch ein Sieb mit zwanzig Löchern gegangen.

– Guter Ned, erwiderte ich lachend, das waren unechte Perlen, blos Glaskugeln, innen mit orientalischer Essenz bestrichen.

– Ach! diese Essenz, erwiderte Ned, muß theuer sein.

– Sie kostet soviel wie nichts. Es ist nur die silberweiße Substanz der Schuppen des Weißfisches die man im Wasser sammelt und in Salmiak aufhebt. Sie ist ganz werthlos.

– Vielleicht hat Kat Tender deshalb einen Anderen geheiratet, erwiderte Meister Land nachdenklich.

– Aber sagte ich, um auf den hohen Preis von Perlen zurück zu kommen, ich glaube nicht, daß je ein Fürst eine von höherem Werthe besaß, als die im Besitz des Kapitäns Nemo.

– Diese hier, sagte Conseil, und wies auf das prachtvolle Kleinod in seinem Glaskasten.

– Ich irre gewiß nicht, wenn ich ihren Werth auf zwei Millionen anschlage …

– Franken! sagte Conseil lebhaft.

– Ja, sagte ich, zwei Millionen Franken, und ohne Zweifel hat sie den Kapitän nur die Mühe des Einsammelns gekostet.

– Ah! rief Ned-Land, könnten wir nicht morgen bei dem Ausflug eine gleiche finden?

– Bah! sagte Conseil.

– Und warum nicht?

– Was sollen an Bord des Nautilus Millionen uns nützen?

– An Bord nicht, sagte Ned-Land, aber … sonst wo.

– O! sonst wo! versetzte Conseil mit Kopfschütteln.

– In der That, sagte ich, hat Ned-Land Recht. Und wenn wir jemals eine Perle von einigen Millionen Werth nach Europa oder Amerika bringen, so gäbe das mindestens ein starkes Beweismittel der Echtheit, und zugleich der Erzählung von unseren Abenteuern einen hohen Werth.

– Das glaub‘ ich wohl, sagte der Canadier.

– Aber, sagte Conseil, der stets auf das Belehrende bei den Dingen zurück kam, ist diese Perlenfischerei mit Gefahr verbunden?

– Nein, versetzte ich lebhaft, zumal bei einigen Vorsichtsmaßregeln.

– Was hat man bei dieser Arbeit zu riskiren? sagte Ned-Land, höchstens, daß man einige Schluck Seewasser zu verschlingen hat!

– So ist’s, Ned. Beiläufig, fuhr ich fort, indem ich des Kapitäns Nemo leichten Ton anzunehmen suchte, fürchten Sie sich vor den Haifischen, wackerer Ned?

– Ich! erwiderte der Canadier, ein Harpunier von Profession! Es ist ja mein Geschäft, ihrer zu spotten!

– Es handelt sich nicht darum, sagte ich, sie mit einem Haken zu fangen, auf das Verdeck zu ziehen, ihnen den Schwanz abzuhauen, den Leib aufzuschlitzen und ihr Herz in’s Meer zu werfen!

– Es handelt sich also …?

– Ja, das ist’s eben.

– Im Wasser?

– Ja, im Wasser.

– Meiner Treu‘, mit einer tüchtigen Harpune! Sie wissen, mein Herr, diese Haifische sind sehr ungeschlachte Thiere. Sie müssen sich umdrehen auf den Bauch, um nach Ihnen zu schnappen, und unterdessen …

Ned-Land sprach das Wort »schnappen« auf eine Weise aus, daß es einem kalt über den Rücken lief.

»Nun, Conseil, was denkst Du von diesen Haifischen?

– Ich bin ganz auf der Seite meines Herrn.

– Das ist mir schon recht, dachte ich.

– Wenn mein Herr den Haifischen Trotz bietet, sagte Conseil, so sehe ich nicht ein, warum sein treuer Diener nicht mit dabei wäre!«

Drittes Capitel

 

Drittes Capitel

Eine Perle von zehn Millionen

Die Nacht kam heran, ich legte mich zu Bette und schlief ziemlich schlecht. In meinen Träumen spielten die Haifische eine bedeutende Rolle.

Am folgenden Morgen weckte mich um vier Uhr der Steward, welchen der Kapitän Nemo besonders zu meinen Diensten bestellt hatte. Ich stand rasch auf, kleidete mich an und ging in den Salon.

Der Kapitän Nemo wartete schon auf mich.

»Herr Arronax, sagte er zu mir, sind Sie bereit zu gehen?

– Ja.

– Folgen Sie mir gefälligst.

– Und meine Gefährten, Kapitän?

– Sie sind schon in Kenntniß gesetzt, und erwarten uns.

– Werden wir nicht unsere Skaphander anziehen? fragte ich.

– Noch nicht. Ich habe den Nautilus jener Küste nicht zu nahe kommen lassen, und wir sind von der Bank von Manaar ziemlich weit ab in hoher See; aber ich habe unseren Nachen zurecht machen lassen, der uns genau an den Punkt bringen wird, wo wir ausschiffen werden, dadurch wird uns eine weite Ueberfahrt erspart. Er bringt unsere Tauchapparate mit, welche wir in dem Moment, wo diese unterseeische Untersuchung beginnt, anziehen werden.«

Der Kapitän Nemo führte mich zu der Mittelleiter, welche auf die Plattform führte. Ned und Conseil befanden sich schon da, voll Freude über »die Vergnügungspartie,« welche vorbereitet wurde. Fünf Matrosen des Nautilus warteten, die Ruder in der Hand, in dem Nachen, welcher mit einem Tau an Bord befestigt war.

Es war noch dunkle Nacht. Wolkenstreifen bedeckten den Himmel, und ließen nur hie und da Sterne erblicken. Ich wendete meinen Blick dem Lande zu, sah aber nur einen trüben Streifen, der drei Viertheil des Horizonts von Südwest nach Nordwest schloß. Der Nautilus, welcher während der Nacht die Westküste Ceylons hinauf gefahren war, befand sich im Westen der Bai, oder vielmehr des Golfs, welcher durch dieses Land und die Insel Menaar gebildet wird. Dort, unter düsterem Gewässer, befand sich die Perlmuschelbank, ein unerschöpfliches Feld, das über zwanzig Meilen weit sich erstreckt.

Der Kapitän Nemo nebst mir, Conseil und Ned-Land, wir saßen im hinteren Theile des Bootes; der Führer desselben stand beim Steuer, seine vier Genossen faßten ihre Ruder; das Bindseil wurde losgeknüpft und wir fuhren ab.

Das Boot steuerte in südlicher Richtung nicht sehr eilig. Ich beobachtete, daß die kräftig unter’m Wasser geführten Ruderschläge nur von zehn zu zehn Secunden auf einander folgten, nach der allgemein bei den Kriegsmarinen üblichen Weise. Ein leichtes Wogen von der offenen See her brachte das Boot in einiges Schwanken, und einiges Wellengeräusch lief ihm voran.

Wir verhielten uns schweigend. Worauf hafteten des Kapitäns Nemo sinnende Gedanken? Vielleicht bei dem Land, welchem er sich näherte, und das er allzu nahe fand, umgekehrt wie bei Ned, dem es noch allzu ferne vorkam. Conseil war in neugieriger Spannung.

Gegen halb sechs Uhr ließ die erste Färbung des Horizonts den oberen Streifen der Küste klarer erkennen. Ziemlich stach im Osten hob sie sich etwas nach dem Süden zu. Fünf Meilen war sie noch entfernt, und ihr Gestade zerfloß noch im nebeligen Gewässer. Das Meer zwischen uns war leer: kein Fahrzeug, kein Taucher zu sehen. Völlig verlassen war die Stelle, wo die Perlenfischer zusammen zu kommen pflegten. Wir kamen, wie der Kapitän Nemo mir bemerkt hatte, einen Monat zu früh in diese Gegend.

Um sechs Uhr ward’s plötzlich Tag, so rasch, wie es den Tropengegenden eigenthümlich ist, wo man weder Dämmerung noch Morgenröthe kennt. Die Sonnenstrahlen drangen durch den Vorhang des über den Horizont zerstreuten Gewölkes, und das strahlende Gestirn stieg rasch empor.

Ich sah deutlich das Land mit hie und da zerstreuten Bäumen. Das Boot fuhr weiter auf die Insel Manaar zu, welche südlich sich abrundete. Der Kapitän Nemo war aufgestanden und beobachtete das Meer.

Auf ein gegebenes Zeichen ward der Anker hinabgelassen, der nicht viel zu sinken hatte; denn der Meeresgrund, welcher an dieser Stelle einen der höchsten Punkte der Perlenbank bildete, war nur ein Meter tief. Das Boot schwenkte sich sogleich der Ebbe gemäß, welche nach dem hohen Meer hin trieb.

»Nun sind wir an Ort und Stelle, Herr Arronax, sagte darauf der Kapitän Nemo. Sie sehen hier diese enge Bai. An dieser Stelle hier werden in einem Monat die zahlreichen Fischerbarken der Ausbeutenden sich einfinden, und in diesen Gewässern werden ihre Taucher mit kühner Ausdauer suchen. Diese Bai ist für diese Art Fischerei günstig gelegen und geeignet. Im Schutz vor den stärksten Winden ist das Meer da nie sehr unruhig, ein Umstand, welcher der Arbeit der Taucher sehr zu Statten kommt. Jetzt wollen wir unsere Skaphander anlegen und unseren Spaziergang vornehmen.«

Ich erwiderte nichts, und in stetem Hinblick auf diese verdächtigen Wogen fing ich an mit Hilfe der Bootsleute meine schwere Seekleidung anzuziehen. Der Kapitän Nemo und meine beiden Gefährten legten ebenfalls die Kleidung an. Von der Mannschaft des Nautilus durfte uns bei diesem Ausflug Niemand begleiten.

Bald steckten wir bis an den Hals in der Kautschukkleidung, und der Luftapparat war mit Bändern auf unseren Rücken befestigt. Vom Ruhmkorff’schen Apparat war keine Rede. Bevor ich meinen Kopf in die kupferne Kapsel steckte, bemerkte ich es dem Kapitän.

»Dieser Apparat würde uns nicht dienlich sein, erwiderte der Kapitän. Wir begeben uns in keine große Tiefe, und die Sonnenstrahlen werden schon ausreichen, unseren Weg zu beleuchten. Zudem ist’s nicht klug, unter diese Gewässer eine elektrische Lampe mitzunehmen, weil deren heller Schein unversehens einen gefährlichen Bewohner dieser Meeresgegend herbeilocken könnte.«

Während der Kapitän diese Aeußerung machte, wendete ich mich um nach Conseil und Ned-Land. Aber diese beiden Freunde hatten scholl ihren Kopf in die metallene Kappe gesteckt, und sie konnten weder hören noch antworten.

Ich hatte noch eine letzte Frage an den Kapitän Nemo zu richten:

»Und unsere Waffen, fragte ich, unsere Gewehre?

– Gewehre! Wozu? Bekämpfen Ihre Gebirgsbewohner nicht den Bären mit dem Dolch in der Hand, und ist nicht der Stahl eine zuverlässigere Waffe, als das Blei? Hier ist eine gute Klinge, die stecken Sie in Ihren Gürtel, und nun vorwärts.«

Ich blickte auf meine Gefährten. Sie waren wie wir in Rüstung, und dazu schwang Ned-Land eine ungeheure Harpune, welche er, bevor‘ er den Nautilus verließ, in das Boot gelegt hatte.

Hierauf ließ ich mir, nach dem Beispiel des Kapitäns, den Kopf in die schwere Kupferkugel stecken, und unsere Luftbehälter wurden sofort in Thätigkeit gesetzt.

Alsbald darauf brachten die Bootsleute uns der Reihe nach aus dem Fahrzeug, und wir faßten anderthalb Meter tief Grund auf ebenem Sand. Der Kapitän Nemo winkte uns mit der Hand, wir folgten ihm und verschwanden auf sanft abhängigem Boden unter dem Gewässer.

Hier verließen mich die schlimmen Gedanken, welche meinen Kopf belagert hatten. Ich ward wieder zum Erstaunen ruhig. Die Leichtigkeit meiner Bewegungen hob mein Vertrauen, und das Fremdartige des Schauspiels fesselte meine Einbildungskraft.

Die Sonnenstrahlen brachten schon hinreichende Helle unter die Gewässer. Die geringsten Gegenstände waren erkennbar. Nachdem wir zehn Minuten weit gegangen, befanden wir uns in einer Tiefe von fünf Meter und der Boden wurde fast eben.

Unter unseren Tritten wurden, gleich Becassinen im Sumpf, Schwärme merkwürdiger Fische aufgescheucht, aus der Gattung der Einflosser, die außer am Schwanz sonst keine Flossen haben. Ich erkannte eine acht Decimeter lange Meerschlange mit blauschwarzem Bauch, die man leicht mit dem Meeraal verwechseln könnte, hätte nicht dieser goldfarbene Streifen an den Seiten. Von Deckfischen mit sehr plattem, ovalem Körper bemerkte ich Golddecken mit grellen Farben, die eßbar sind und ein vortreffliches Gericht liefern.

Inzwischen war die Sonne höher gestiegen und erleuchtete mehr und mehr die Masse der Gewässer. Der Boden änderte sich allmälig und an die Stelle des Sandes trat eins ordentliche Straße mit runden Felsstücken, überkleidet mit einem Teppich von Mollusken und Zoophyten. Mitten unter diesen lebendigen Pflanzen und unter den Wölbungen von Wassergewächsen liefen Legionen unbeholfener Gliederthiere, zum Theil häßlich anzusehen. So stieß ich mehrmals auf den enormen, von Darwin beobachteten Meerkrebs, welchem die Natur die erforderliche Kraft und den Instinct gegeben hat, um sich von Cocosnüssen zu nähren. Er klettert am Ufer an den Bäumen hinauf, wirft die Nuß herab, welche beim Fallen zerbricht, worauf er sie mit seinen ungeheueren Scheeren öffnet. Hier unter den klaren Fluthen bewegte sich die Krabbe mit einer Behendigkeit ohne Gleichen.

Gegen sieben Uhr beschritten wir endlich die Perlmuschelbank, worauf Perlenaustern zu Millionen erzeugt werden. Diese kostbaren Mollusken waren durch braunen Byssus fest angeheftet, so daß sie ihre Stelle nicht wechseln konnten. Die Muscheln sind rund, haben dicke, sehr runzelige Schalen, beide von fast gleicher Größe. Manche waren mit grünlichen, von oben herablaufenden Streifen geziert; sie gehörten jungen Austern. Die anderen mit rauher und schwarzer Oberfläche, zehn Jahre alt oder noch älter, waren bis zu fünfzehn Centimeter breit.

Der Kapitän Nemo zeigte mir mit der Hand diese erstaunlich reich aufgeschichtete Masse von Perlmuscheln, und es war mir begreiflich, daß diese Fundgrube wahrhaft unerschöpflich ist. – Ned-Land beeilte sich, mit den schönsten Mollusken ein Garn zu füllen, das er an der Seite hängen hatte.

Aber wir konnten uns nicht aufhalten. Wir mußten dem Kapitän folgen, der auf ihm bekannten Pfaden zu gehen schien. Der Boden wurde allmälig wieder höher, und manchmal reichte mein Arm, wann ich ihn aufhob, über den Meeresspiegel heraus. Nachher wurde die Bank wieder niedriger; wir stießen auf hohe, zugespitzte Felsen, aus deren dunkeln Schlupfwinkeln ungestaltete Schalthiere mit starren Augen uns anblickten.

In diesem Augenblicke öffnete sich vor unseren Augen eine ungeheure Grotte zwischen malerisch gethürmten Felsen, die mit allem Schmuck der unterseeischen Flora geziert waren. Dieselbe kam mir anfangs ganz dunkel vor, die Sonnenstrahlen schienen darin allmälig zu erlöschen.

Der Kapitän Nemo trat in dieselbe ein; wir nach ihm. Meine Augen gewöhnten sich bald an das verhältnißmäßige Dunkel. Wir befanden uns unter einem Gewölbe, das von natürlichen Pfeilern getragen wurde, die gleich den schwerfälligen Säulen toscanischer Architektur auf breiter Granitbasis ruhten. Weshalb zog uns unser räthselhafter Führer in’s Innere dieser unterseeischen Grotte? Wir solltens bald erfahren.

Nachdem wir einen ziemlich steilen Abhang hinabgestiegen waren, betraten wir den Boden einer Art kreisrunden Schachtes. Der Kapitän Nemo blieb stehen und wies mit der Hand auf einen Gegenstand, den ich noch gar nicht einmal wahrgenommen hatte.

Es war eine Auster von außerordentlicher Größe, eine Riesen-Tridacne, ein Weihkessel, der einen See von Weihwasser faßte, ein Becken, das mehr wie zwei Meter groß war, und folglich größer als dasjenige, welches den Salon des Nautilus zierte.

Ich näherte mich der phänomenalen Molluske. Sie war mit ihrem Byssus an eine Granitplatte befestigt, und entwickelte sich da abgesondert im ruhigen Wasser der Grotte. Ich schätzte ihr Gewicht auf dreihundert Kilogramm. Eine solche Auster enthält fünfzehn Kilo Fleisch, und es gehörte wohl ein Riesenmagen dazu, einige Dutzend solcher Austern zu verschlingen.

Der Kapitän Nemo war ohne Zweifel schon mit dem Dasein dieses Schalthieres bekannt, und besuchte es nicht jetzt zum ersten Male, und ich dachte, er wolle, indem er uns dahin führte, uns nur eine Naturmerkwürdigkeit zeigen. Ich irrte mich. Der Kapitän hatte ein besonderes Interesse, sich von dem gegenwärtigen Zustand des Thieres zu überzeugen.

Die beiden Schalen der Molluske waren ein wenig geöffnet. Der Kapitän näherte sich und steckte seinen Dolch zwischen die Schalen, um sie zu hindern, sich wieder zu schließen; dann hob er mit der Hand die häutige und bekränzte Umhüllung auf, welche das Thier wie ein Mantel bedeckte.

Hier sah ich zwischen blätterigen Falten eine freiliegende Perle von der Größe einer Cocosnuß. Ihre kugelrunde Form, vollkommene Klarheit, ihr bewundernswerthes Wasser machte sie zu einem Kleinod von unschätzbarem Werth. Voll Neugierde streckte ich die Hand aus, um sie zu fassen, zu betasten; aber der Kapitän hielt mich zurück, machte ein verneinendes Zeichen, und zog rasch seinen Dolch heraus, daß die Schalen sich wieder schlössen.

Ich begriff die Absicht des Kapitäns. Er wollte die Perle in ihrer Umhüllung allmälig größer werden lassen, indem das Thier jedes Jahr durch fortgesetzte Absonderung neue concentrische Schichten zufügte. Dem Kapitän Nemo allein war die Grotte bekannt, wo diese staunenswerthe Frucht der Natur »reif wurde«; er allein zog sie so gewissermaßen groß, um ihr eines Tages in seinem Museum ihren Platz anzuweisen. Vielleicht hatte er sogar, nach dem Beispiel der Chinesen und Indier, die Bildung dieser Perle hervorgerufen, indem er ein Stückchen Glas oder Metall zwischen die Falten der Molluske schob, das sich allmälig mit dem Perlmutterstoff bedeckte. Jedenfalls, verglich ich diese Perle mit den mir bereits bekannten, mit denen, welche in der Sammlung des Kapitäns glänzten, so schätzte ich ihren Werth auf mindestens zehn Millionen Franken. Eine prachtvolle Naturmerkwürdigkeit, kein persönlicher Schmuck, denn welche Frauenohren hatten diese Perle tragen können?

Als der Besuch bei der stattlichen Tridacne abgestattet war, verließ der Kapitän Nemo die Grotte, und wir begaben uns wieder auf die Muschelbank inmitten des klaren, von dem Werk der Taucher noch nicht getrübten Wassers.

Wir gingen einzeln, indem Jeder nach Belieben stehen blieb oder sich entfernte. Ich hatte nicht die geringste Angst vor den Gefahren, welche meine Phantasie so lächerlich übertrieben hatte. Die Bodenerhebung zog sich merklich der Meeresoberfläche zu, und bald war mein Kopf nur noch einen Meter von derselben entfernt. Conseil kam zu mir und grüßte mich freundlich, indem er sein dickes Kopfgehäuse an das meinige hielt. Aber diese hohe Stelle, war nur einige Toisen groß, und bald kamen wir wieder abwärts in unser Element.

Zehn Minuten später blieb der Kapitän Nemo plötzlich stehen. Ich glaubte, er wolle wieder umkehren. Nein. Mit einem Wink befahl er, an seiner Seite in einer Krümmung uns auf den Boden zu ducken. Er wies mit der Hand auf einen Punkt hin, und ich schaute aufmerksam.

In einer Entfernung von fünf Meter zeigte sich ein Schatten, und kam bis zum Boden herab. Es fuhr mir der ängstliche Gedanke an Haifische durch den Kopf. Aber ich irrte mich, und diesmal noch hatten wir es nicht mit Seeungeheuern zu thun.

Es war ein Mensch, ein leibhaftiger Mann, ein Indier, ein Schwarzer, wohl ein armer Teufel, der die Absicht hatte, vor der Ernte eine Nachlese zu halten. Ich bemerkte, wie sein Canot, das einige Fuß über seinem Kopf ankerte, ihm als Rückhalt diente. Von da aus tauchte er unter, kehrte dahin zurück. Ein gleich einem Zuckerhut zugehauener Stein, den er mit dem Fuß festhielt, und der mit einem Strick an sein Boot befestigt war, beförderte sein rascheres Hinabsteigen. Darin bestand sein ganzer Apparat. Sowie er, etwa fünf Meter tief, auf den Grund kam, fiel er auf die Kniee und füllte seinen Sack mit rasch zusammengerafften Muscheln. Dann eilte er wieder hinauf, leerte seinen Sack aus, zog seinen Stein nach, und wiederholte seine Verrichtung, die nur dreißig Secunden dauerte.

Der Taucher sah uns nicht; wir waren durch den Schatten des Felsen seinen Blicken entzogen. Und wie hätte auch der arme Kerl sich denken können, daß Menschen dort unter den Gewässern sich befänden, die seine Bewegungen belauerten, seine Arbeit genau beobachteten!

So tauchte er öfters auf und ab. Mehr wie ein Dutzend Muscheln bekam er bei einem Tauchen nicht, denn er mußte sie von der Bank, wo sie mit ihrem starken Byssus befestigt waren, losreißen. Und wie viele Muscheln waren ohne Perlen, für die er sein Leben wagte!

Ich sah ihm mit gespannter Aufmerksamkeit zu. Er verrichtete sein Geschäft regelmäßig, und eine halbe Stunde lang schien ihn keine Gefahr zu bedrohen. Das Schauspiel dieser Fischerei war mir interessant. Da auf einmal, als der Indier eben auf dem Boden kniete, sah ich ihn mit Entsetzen aufspringen und sich aufwärts schwingen zur Rückkehr an die Oberfläche.

Ich erkannte bald den Grund seines Schreckens. Ein riesenmäßiger Schatten zeigte sich über dem unglücklichen Taucher. Es war ein Hai erster Größe, der mit feurigen Augen, offenem Rachen schräg herbeischoß!

Ich starrte stumm vor Schrecken, unfähig mich zu regen.

Das gefräßige Thier stürzte mit einem kräftigen Schlag seiner Flossen auf den Indier, der zwar dem Biß des Ungethüms seitwärts auswich, aber von seinem Schwanz auf die Brust getroffen zu Boden fiel.

Diese Scene dauerte kaum einige Secunden. Der Hai kam wieder, legte sich auf den Rücken und schickte sich an, den Indier zu zerfleischen, als der Kapitän Nemo, welcher neben mir kauerte, plötzlich aufsprang. Den Dolch in der Hand ging er gerade auf das Ungeheuer los, um es im Kampf mit ihm aufzunehmen.

Im Augenblick, als der Hai im Begriff war, nach dem unglücklichen Fischer zu schnappen, gewahrte er seinen neuen Gegner, legte sich wieder um auf den Bauch und schoß auf ihn los.

Der Kapitän Nemo nahm seine Stellung. Rückwärts gebogen erwartete er mit staunenswerther Kaltblütigkeit das fürchterliche Thier, und als dieses auf ihn zustürzte, bog er sich mit wunderbarer Behendigkeit seitwärts, wich dem Stoß aus und bohrte ihm seinen Dolch in den Bauch. Aber damit war’s noch nicht aus. Es entspann sich ein furchtbarer Kampf. Der Haifisch wurde wüthend. Das Blut strömte aus seinen Wunden, das Meer färbte sich roth, und ich konnte in dem dunkeln Schein nichts mehr sehen.

Nichts mehr, bis zu dem Moment, wo ich durch eine lichte Stelle den kühnen Kapitän im Zweikampf mit dem Ungeheuer begriffen erblickte. Angeklammert an eine der Flossen des Thieres, bearbeitete er den Bauch seines Gegners mit Dolchstößen, ohne jedoch durch einen Stich in’s Herz die Entscheidung geben zu können. Der wüthend zappelnde Hai regte die Wassermasse dergestalt auf, daß der Wogenwirbel mich hinzuwerfen drohte.

Ich hätte dem Kapitän zu Hilfe eilen mögen; aber vor Schrecken starr, vermochte ich mich nicht zu regen.

Ich blickte mit verstörten Augen hin, sah die Erfolge des Kampfes schwanken. Der Kapitän fiel zu Boden, von der Wucht der enormen Masse über ihm niedergedrückt. Der Rachen des Ungethüms öffnete sich über die Maßen weit gleich der Blechscheere eines Hüttenwerkes, und es war um den Kapitän geschehen, wäre nicht, flink wie ein Gedanke, Ned-Land mit seiner Harpune auf den Hai gestürzt, um ihm den Todesstoß zu versetzen.

Die Wogen mischten sich mit dem massenweis strömenden Blut; sie geriethen durch die Schläge des mit unbeschreiblicher Wuth sich bewegenden Thieres in heftige Aufregung. Ned-Land hatte sein Ziel nicht verfehlt; das Todesröcheln des Ungeheuers trat ein. In’s Herz getroffen zappelte es in fürchterlichen Zuckungen, so daß Conseil durch den Gegenstoß zu Boden geworfen wurde.

Inzwischen hatte Ned-Land den Kapitän frei gemacht. Dieser stand unverletzt auf, ging stracks auf den Indier zu, schnitt rasch den Strick entzwei, womit er an seinen Stein gebunden war, nahm ihn in seine Arme und versetzte ihm einen kräftigen Tritt mit der Ferse, wodurch er zur Oberfläche des Meeres empor kam.

Wir Drei folgten ihm nach, und wie durch ein Wunder gerettet erreichten wir in einigen Augenblicken die Fischerbarke.

Der Kapitän Nemo war vor allem darauf bedacht, den Unglücklichen wieder in’s Leben zu rufen. Ob’s gelingen würde, stand dahin. Man konnte es hoffen, da der arme Teufel nicht lange unter Wasser gewesen war. Aber der Hai konnte ihm mit seinem Schwanz einen Streich versetzt haben, der tödtlich war.

Glücklicherweise war dem nicht so, und das kräftige Reiben Conseil’s und des Kapitäns brachte es allmälig dahin, daß der Ertrunkene wieder zum Bewußtsein kam. Er schlug die Augen auf. Wie mußte er überrascht, ja erschrocken sein, als er die vier dicken Kupferköpfe über sich gebeugt sah!

Und was mußte er gar denken, als der Kapitän Nemo ein Säckchen voll Perlen aus der Tasche zog und es ihm in die Hand drückte? Dieses hochherzige Almosen des Mannes der Gewässer wurde von dem armen Indier Ceylons mit zitternder Hand angenommen. Seine scheuen Blicke gaben übrigens zu erkennen, daß er nicht wußte, welchen übermenschlichen Wesen er Leben und Glück verdankte. Auf ein Zeichen des Kapitäns begaben wir uns wieder zu der Perlmuschelbank, und indem wir denselben Weg einschlugen, welchen wir gemacht hatten, gelangten wir nach einer halben Stunde zu dem Anker, woran das Boot des Nautilus befestigt war.

Sobald wir uns in dem Fahrzeug befanden, entledigten wir uns mit Hilfe der Bootsleute der schweren Bepanzerung.

Der Kapitän Nemo richtete sein erstes Wort an den Canadier.

»Dank, Meister Land, sprach er zu ihm.

– Es ist eine Vergeltung gewesen, Kapitän, erwiderte Ned-Land, und meine Schuldigkeit.«

Ein bleiches Lächeln auf den Lippen des Kapitäns, das war Alles.

»Zum Nautilus,« sprach er.

Das Boot flog rasch über die Wellen. Nach einigen Minuten stießen wir auf den todten Haifisch, der auf der Oberfläche schwamm.

An der schwarzen Farbe der Spitzen seiner Flossen erkannte ich den furchtbaren Schwarzflosser des Indischen Meeres, der zur Gattung der eigentlichen Haifische zählt. Er war über fünfundzwanzig Fuß lang; sein entsetzlich großes Maul machte den dritten Theil seines Körpers aus. Er war ausgewachsen, was an den sechs Reihen Zähnen zu erkennen war, welche in gleichschenkeligen Dreiecken auf der oberen Kinnlade saßen.

Conseil betrachtete ihn mit rein wissenschaftlichem Interesse, und ich bin überzeugt, daß er ihn unter den Knorpelfischen richtig zu classificiren verstand.

Während ich diese träge Masse betrachtete, zeigte sich ein Dutzend dieser gefräßigen Schwarzflosser plötzlich rings um das Boot herum; doch ohne sich um uns zu bekümmern, fielen sie über den Leichnam her und stritten sich um seine Fetzen.

Um halb neun Uhr befanden wir uns wieder an Bord des Nautilus.

Hier überließ ich mich meinen Gedanken über die Vorfälle bei unserem Ausflug zur Bank von Manaar. Zwei Bemerkungen drängten sich mir dabei unwillkürlich auf. Die eine betraf die unvergleichliche Kühnheit des Kapitäns Nemo, die andere seine aufopfernde Hingebung für ein menschliches Wesen, einen Repräsentanten der Race, vor welcher er sich unter das Meer flüchtete. Was er auch darüber sagen mochte, dieser seltsame Mann hatte es noch nicht dahin gebracht, sein Menschenherz ganz zu vernichten.

Als ich ihm diese Bemerkung machte, antwortete er mir mit etwas gerührtem Ton:

»Dieser Indier, Herr Professor, ist Bewohner eines Landes von Unterdrückten, und ich bin noch, und werde es bis zu meinem letzten Athemzug sein, diesem Lande angehörig.«

Viertes Capitel

Viertes Capitel

Das Rothe Meer

Während des 29. Januar verschwand die Insel Ceylon unter’m Horizont, und der Nautilus, mit einer Geschwindigkeit von zwanzig Meilen in der Stunde, bewegte sich vorsichtig in dem Labyrinth von Kanälen, welche die Malediven von den Lakadiven trennen. Er fuhr selbst längs der Insel Kittan, die von madreporischem Ursprung, von Vasco de Gama im Jahre 1499 entdeckt, eine der neunzehn Hauptinseln dieses Archipels der Lakadiven, unter’m 10° und 14° 30′ nördlicher Breite, und 69° bis 50° 72′ östlicher Länge liegt.

Wir hatten damals sechzehntausendzweihundert Meilen, oder siebentausendfünfhundert Lieues seit unserer Abfahrt im Japanischen Meer zurück gelegt.

Am folgenden Tage, den 30. Januar, als sich der Nautilus wieder auf die Oberfläche des Oceans erhob, hatte er kein Land mehr in Sicht. Er fuhr nord-nord-westlich in der Richtung des Meeres von Oman, welches zwischen Arabien und der Indischen Halbinsel den Eingang zum Persischen Golf bildet.

Von hier aus war es nicht möglich weiter zu fahren. Wohin führte uns der Kapitän Nemo? Ich hätte es nicht sagen können. Das konnte den Canadier nicht befriedigen, welcher die Frage aufwarf.

»Wir fahren, Meister Ned, wohin das Belieben des Kapitäns uns führt.

– Dies Belieben kann hier hinaus nicht weit führen. Der Persische Golf hat keinen Ausgang, und wenn wir hinein fahren, müssen wir bald wieder denselben Weg zurück machen.

– Nun, so werden wir wieder rückwärts fahren, Meister Land, und wenn der Nautilus nach dem Persischen Golf dem Rothen Meer einen Besuch abstatten will, so ist die Straße von Babel-Mandeb nicht fern, um in derselben einzufahren.

– Ich brauche Sie es nicht zu lehren, mein Herr, erwiderte Ned-Land, daß das Rothe Meer ebenso wie der Golf geschlossen ist, da der Isthmus von Suez noch nicht durchstochen ist und, wäre er es, ein so geheimnißvolles Fahrzeug, wie das unserige, nicht in einen Kanal mit Schleußen sich wagen würde. Demnach ist das Rothe Meer noch nicht der Weg, uns nach Europa zu führen.

– Ich hab‘ auch nicht gesagt, wir würden nach Europa zurück fahren.

– Was vermuthen Sie denn?

– Ich vermuthe, daß der Nautilus nach einem Besuch in den merkwürdigen Gegenden von Arabien und Aegypten, sich wieder in den Indischen Ocean begeben wird, vielleicht durch den Kanal von Mozambique, vielleicht in hoher See bei den Mascarenen zu dem Cap der guten Hoffnung.

– Und sind wir am Cap der guten Hoffnung? fragte der Canadier besonders dringlich.

– Nun, so werden wir in den Atlantischen Ocean fahren, den wir noch nicht kennen. Ei! Freund Ned, diese Reise unter’m Meer ist Ihnen wohl langweilig? Sie sind also gleichgiltig gegen den unaufhörlich wechselnden Anblick der unterseeischen Wunder? Mir an meinem Theile würde es sehr leid sein, wenn diese Reise, welche zu machen wenig Menschen vergönnt ist, schon zu Ende wäre.

– Aber wissen Sie, Herr Arronax, erwiderte der Canadier, daß wir nun seit beinahe drei Monaten an Bord des Nautilus Gefangene sind?

– Nein, Ned, ich weiß es nicht, will’s auch nicht wissen, und ich zähle weder die Tage noch die Stunden.

– Aber was soll daraus am Ende werden?

– Das wird sich seiner Zeit zeigen. Uebrigens können wir dabei nichts ab- oder zuthun, und es ist fruchtlos darüber hin- und her zu reden. Kämen Sie, wackerer Ned, und sagten mir: »Da ist eine Aussicht zu entkommen,« so würde ich mit Ihnen es besprechen. Aber dieser Fall liegt nicht vor, und offen zu reden, ich glaube nicht, daß der Kapitän Nemo sich jemals in die europäischen Meere wagen wird.«

Man sieht, ich war dem Nautilus schon so befreundet, als steckte ich in der Haut seines Commandanten.

Ned sprach zu sich selber: »Das ist alles schön und gut, aber ich meine doch, wo Zwang ist, hört das Vergnügen auf.«

Vier Tage lang, bis zum 3. Februar, befand sich der Nautilus im Meer von Oman, mit verschiedener Schnelligkeit und in verschiedener Tiefe. Es schien, als fahre er auf’s Gerathewohl, als habe er über die Fahrt geschwankt; doch kam er nicht über den Wendekreis des Krebses hinaus.

Indem wir dieses Meer verließen, bekamen wir einen Augenblick Mascat zu sehen, die bedeutendste Stadt im Lande Oman. Ich bewunderte ihr seltsames Aussehen, mitten in einer Umgebung schwarzer Felsen weiße Häuser und Festungswerke in grellem Abstich. Ich sah die runden Kuppeln ihrer Moscheen, mit den schlanken Spitzen ihrer Minarets, ihren Terrassen in frischem Grün. Aber es war nur ein Gesicht meiner Phantasie, denn der Nautilus tauchte bald unter die dunkeln Wellen dieser Gegenden.

Hierauf fuhr er in einer Entfernung von sechs Meilen längs der arabischen Küsten von Mahra und Hadramaut und dessen wellenförmiger Gebirgsreihe mit einigen alten Ruinen. Am 5. Februar liefen wir endlich in den Golf von Aden ein, der einem Trichter gleicht im Hals von Babel-Mandeb, um die Indischen Gewässer in’s Rothe Meer zu gießen.

Am 6. Februar schwamm der Nautilus im Angesicht Adens, welches auf der Spitze eines Vorgebirges liegt, das durch eine schmale Landenge mit dem Festland zusammenhängt, eine Art von unzugänglichem Gibraltar, dessen Befestigungswerke die Engländer, nachdem sie sich ihrer im Jahre 1839 bemächtigt hatten, wieder hergestellt und verstärkt haben. Ich sah die achtseitigen Minarets dieser Stadt, welche einst, wie der Geschichtschreiber Edrisi berichtet, der reichste und belebteste Stapelplatz der Küste war.

Ich glaubte wohl, der Kapitän Nemo werde, nachdem wir so weit gekommen, zurückkehren, aber ich irrte, und zu meiner großer Ueberraschung war es anders.

Am folgenden Tage, den 7. Februar, fuhren wir in die Straße Babel-Mandeb ein. Dieselbe ist bei einer Breite von zwanzig Meilen nur zweiundfünfzig Kilometer lang, so daß der Nautilus bei Schnellfahrt sie binnen einer Stunde zurücklegte. Aber ich bekam nichts zu sehen, nicht einmal die Insel Parim, welche die englische Regierung zur Verstärkung des Platzes befestigt hat. Es fuhren zu viele englische oder französische Dampfboote der Linien Suez-Bombay, Calcutta, Melbourne, Bourbon, St. Moritz die enge Fahrstraße, als daß der Nautilus sich zu zeigen gewagt hätte. Auch hielt er sich vorsichtig in einiger Tiefe.

Endlich, zu Mittag, fuhren wir auf den Wogen des Rothen Meeres.

Das durch die Ueberlieferungen der Bibel berühmte Rothe Meer wird durch keinen Regen erfrischt, von keinem erheblichen Fluß bespült, durch eine übermäßige Verdunstung unaufhörlich ausgepumpt, so daß es jährlich eine Schicht Wasser von anderthalb Meter einbüßt. Wäre der merkwürdige Golf geschlossen und in den Verhältnissen eines See’s, so wäre er vielleicht bereits völlig ausgetrocknet; es ist mit ihm anders, als mit dem Caspischen Meer, dessen Niveau gerade nur um so viel gesunken ist, daß die Ausdünstung und der Zufluß sich aufwiegen.

Dieses Rothe Meer ist zweitausendsechshundert Kilometer lang, bei einer durchschnittlichen Breite von zweihundertundvierzig. Zur Zeit der Ptolemäer und der römischen Kaiser war es die Hauptstraße des Welthandels und die Durchstechung des Isthmus von Suez wird ihm diese Bedeutung wieder geben, welche durch die Eisenbahnen bereits zum Theil wieder gewonnen ist.

Es war mir gar nicht darum zu thun, über die Laune des Kapitäns Nemo zu grübeln, daß er uns in diesen Golf führte; aber ich billigte unverholen, daß der Nautilus hineinfuhr. Er hielt sich bei einer mittleren Geschwindigkeit bald auf der Oberfläche, bald tauchte er, um einem Schiff auszuweichen, unter, und ich konnte also das merkwürdige Meer in seiner Tiefe und auf seiner Oberfläche beobachten.

Am 8. Februar in den ersten Morgenstunden hatten wir Mocca im Angesicht, eine jetzt verfallene Stadt, deren Mauern schon durch den Kanonendonner zusammenstürzen, und die hier und da von einigen grünen Dattelbäumen beschattet ist. Zur Zeit ihrer früheren Bedeutung hatte sie sechs öffentliche Märkte, sechsundzwanzig Moscheen, und ihre mit vierzehn Forts versehenen Mauern hatten einen Umfang von drei Kilometer.

Darauf näherte sich der Nautilus den afrikanischen Küsten, wo das Meer bedeutend tiefer ist. Hier, wo das Wasser in einiger Tiefe durchsichtig wie Krystall ist, ließ er uns bei geöffneten Läden merkwürdiges Gebüsch glänzender Korallen betrachten, und ungeheure Felswände, die mit einem glänzenden Teppich von Tang und Algen bedeckt waren. Welch unbeschreiblicher Anblick, welch mannichfaltiger Wechsel von Landschaften und Gegenden beim Vorbeifahren an diesen Klippen und vulkanischen Eilanden, welche die lybischen Küsten besäumen! Aber an dem östlichen Gestade, wohin der Nautilus sich alsbald wendete, zeigte sich der Baumwuchs in seiner vollen Schönheit. Welch reizende Stunden brachte ich so an dem Fenster des Salon hin! Wie hatte ich da nur Musterstücke der unterseeischen Flora und Fauna beim Licht unserer elektrischen Leuchte zu bewundern! Außer diesen Prachtstücken konnte ich unzählige Arten eines bisher noch nicht von mir beobachteten Polypengeschöpfs betrachten, des gewöhnlichen Schwammes.

Der Schwamm gehört nicht dem Pflanzenreich an, wie noch manche Naturforscher annehmen, sondern ist ein Thier der letzten Ordnung, ein Polypengeschöpf, das noch niedriger steht, als die Koralle. Seine Eigenschaft als Thier ist nicht zu bezweifeln, und man kann auch nicht die Ansicht der Alten gelten lassen, die ihn als ein Geschöpf ansahen, das in der Mitte zwischen Pflanzen und Thier den Uebergang bilde. Doch muß ich beifügen, daß die Naturforscher über die Art der Organisation des Schwammes nicht einig sind. Die Einen nehmen ihn als ein Gesellschaftsthier, die Andern, wie Milne Edwards, für ein alleinbestehendes einheitliches Individuum.

Die Classe der Schwammthiere enthält ungefähr dreihundert Arten, welche in vielen Meeren, und selbst in einigen Flüssen sich finden. Vorzugsweise sind sie in den Gewässern des Mittelländischen Meeres, dem griechischen Archipel, an den Küsten Syriens und des Rothen Meeres. Da wachsen die feinen, weichen Schwämme, deren Werth bis auf hundertundfünfzig Franken steigt, der blonde Schwamm Syriens, der harte Schwamm der Barbarei. Aber weil ich keine Aussicht hatte, sie in der Levante zu studiren, so begnügte ich mich, sie in den Gewässern des Rothen Meeres zu beobachten.

Ich rief daher Conseil zu mir, während der Nautilus bei einer durchschnittlichen Tiefe von acht bis neun Meter langsam an allen schönen Felsen der orientalischen Küste vorüberfuhr.

Da wuchsen Schwämme von allen Formen, gestielte, blattförmige, kugelrunde, gefingerte, welche ziemlich genau den Namen entsprachen, welche die Fischer ihnen beilegen, nämlich Körbe, Kelche, Spindeln, Elendshorn, Löwenfuß, Pfauenschweif, Neptunshandschuhe. Aus ihrem faserigen, mit einer gallertartigen, halbflüssigen Substanz gefüllten Gewebe, träufelten unablässig kleine Wassertröpfchen, welche, nachdem sie jedes Zellchen belebt hatten, durch eine zusammenziehende Bewegung daraus ausgestoßen werden. Diese Substanz verschwindet nach dem Tode des Polypen, und verfault, indem sie Salmiak entwickelt. Dann bleiben nur diese horn- oder gallertartigen Gewebe, woraus der Hausschwamm besteht, der eine röthliche Farbe bekommt, und nach dem verschiedenen Grade seiner Elasticität, Durchdringlichkeit oder Sprödigkeit beim Einweichen zu verschiedenem Gebrauch verwendet wird.

Diese Polypengebilde saßen fest an Felsen, Muscheln von Mollusken, selbst an Stielen von Wasserpflanzen, und zwar bis in die kleinsten Spalten hinein, sich ausbreitend, bald aufwärts, bald abwärts gerichtet, wie korallenartige Auswüchse. Ich belehrte Conseil, daß diese Schwämme auf zwei Arten gefischt würden, mit dem Kratzgarn und mit der Hand. Dieses letztere Verfahren, welches Taucher erforderlich macht, ist vorzuziehen, weil sie weit höher an Werth sind, wenn das Gewebe, so wie es gewachsen ist, geschont wird.

Die anderen Zoophyten, welche neben den Schwammgebilden in Menge sproßten, bestanden hauptsächlich in einer sehr zierlichen Art Medusen; die Mollusken waren durch eine besondere Art Kalmar vertreten, welche nach d’Orbigny dem Rothen Meere eigenthümlich sind; und die Reptilien durch eine Schildkrötenart, die unserer Tafel ein gesundes und schmackhaftes Gericht lieferte.

Die Fische waren zahlreich und oft merkwürdig. Von den in unseren Garnen gefangenen hebe ich hervor: Rochen von eiförmiger Gestalt und ziegelsteinfarbig mit blauen Flecken am Leib und einem doppelten gezahnten Stachel; Stechrochen mit getüpfeltem Schwanz; Dromedarbeinfische mit einem Buckel, der in einem rückwärts gebogenen Stachel endigt; Schlangenfische, echte Muränen mit silbernem Schwanz, bläulichem Rücken, braunen graubordirten Brustflossen; Streifdecken mit geraden Goldstreifen und den drei Farben Frankreichs geziert; Trichterfische u. a.

Am 9. Februar fuhr der Nautilus an der weitesten Stelle des Rothen Meeres, zwischen Suakin an der Westküste und Quonfodah an der östlichen, wo der Durchmesser hundertneunzig Meilen beträgt.

An diesem Tage, zur Mittagsstunde, kam der Kapitän Nemo auf die Plattform, wo ich bereits mich befand. Ich nahm mir vor, ihn nicht wieder hinabgehen zu lassen, ohne ihn wenigstens über seine weiteren Pläne ausgeforscht zu haben. Er kam, sowie er mich bemerkte, gleich auf mich zu, bot mir freundlich eine Cigarre an, und sprach zu mir:

»Nun, Herr Professor, gefällt Ihnen dieses Rothe Meer? Haben Sie seine Wunder schon recht beobachtet, seine Fische und Zoophyten, Schwämme und Korallenwälder? Haben Sie auch die Städte an seinen Ufern angesehen?

– Ja, Kapitän Nemo, erwiderte ich, und der Nautilus hat sich diesem Studium zum Erstaunen willig gezeigt. Ach! ’s ist ein verständiges Fahrzeug.

– Ja, mein Herr, verständig, kühn und unverwundbar! Es scheut weder die fürchterlichen Stürme des Rothen Meeres, noch seine Strömung, noch seine Klippen.

– In der That, sagte ich, ist dieses Meer als sehr schlimm verrufen, und irre ich nicht, im Alterthum als abscheulich.

– Ja wohl, Herr Arronax. Die griechischen und lateinischen Geschichtschreiber reden nicht günstig von ihm. Der arabische Historiker Edrisi, der es unter der Benennung Golf von Colzun schildert, berichtet, es gingen zahlreiche Schiffe auf seinen Sandbänken zu Grunde, und Niemand wage bei Nacht darauf zu fahren. Dies Meer ist, behauptet er, von erschrecklichen Stürmen heimgesucht, mit ungastlichen Inseln bedeckt, und hat nichts Gutes an sich, weder in der Tiefe, noch an der Oberstäche. Und wirklich, so wird es von Arrian, Agatharchides und Artemidorus geschildert.

– Man sieht wohl, erwiderte ich, daß diese Historiker nicht an Bord des Nautilus gefahren sind.

– Allerdings, versetzte lächelnd der Kapitän, und in dieser Hinsicht sind die modernen Schriftsteller nicht weiter als die alten. Viele Jahrhunderte hat’s gedauert, bis man die mechanische Kraft des Dampfes fand! Wer weiß, ob binnen hundert Jahren ein zweiter Nautilus zu sehen sein wird! Die Welt macht ihre Fortschritte langsam, Herr Arronax.

– Sie haben Recht, erwiderte ich, Ihr Schiff ist ein Jahrhundert, mehrere vielleicht, seiner Zeit zuvor gekommen. Um so mehr schade, wenn ein solches Geheimniß mit seinem Erfinder wieder untergehen soll!«

Der Kapitän Nemo blieb die Antwort schuldig. Nach einer Pause von einigen Minuten sagte er:

»Sie sprachen mir von der Ansicht der alten Historiker über die Gefahren der Schifffahrt auf dem Rothen Meere?

– So ist’s, erwiderte ich, aber waren ihre Befürchtungen nicht übertrieben?

– Ja und Nein, Herr Arronax, versetzte der Kapitän Nemo, der sein Rothes Meer gründlich zu kennen schien. Was für ein modernes, solid gebautes, wohl eingerichtetes Schiff, das Dank der willfährigen Dampfkraft seiner Leitung Meister, nicht mehr gefährlich ist, bot den Fahrzeugen der Alten Gefahren aller Art dar. Man denke nur, wie mangelhaft die Barken, worauf die ersten Seefahrer sich wagten, beschaffen waren, aus Brettern mit Stricken zusammengebunden, mit gestampftem Harz calfatert und mit Seehundsfell überzogen. Sie besaßen nicht einmal Instrumente, um ihre Richtung aufzunehmen, und sie fuhren nach Gutdünken mitten durch Strömungen, von denen sie kaum etwas wußten. Unter solchen Verhältnissen fielen nothwendig zahlreiche Schiffbrüche vor. Aber heut zu Tage haben die Dampfboote, welche zwischen Suez und den südlichen Meeren fahren, von der Wuth dieses Golfs, trotz widriger Passatwinde, nichts mehr zu fürchten!

– Ich bin einverstanden, sagte ich, und der Dampf scheint mir die Dankbarkeit in den Herzen der Seeleute erstickt zu haben. Doch, Kapitän, da Sie dieses Meer so genau studirt haben, können Sie mir wohl auch sagen, woher die Benennung »Rothes« Meer kommt? Denn die Angabe, daß, nachdem Pharao darin umgekommen, es so benannt worden sei, befriedigt mich nicht.

– Meine persönliche Ansicht, Herr Arronax, will ich Ihnen sagen. Der Name enthält eine Übersetzung des hebräischen Wortes »Edrom«, und die Alten haben ihm denselben wegen der besonderen Färbung seiner Gewässer gegeben.

– Bis jetzt habe ich aber doch nur klare Wellen ohne irgend besondere Färbung gesehen.

– Allerdings, aber wenn wir weiter in den Golf hinein kommen, werden Sie diesen besonderen Schein erkennen. Ich erinnere mich, die Bai von Tor völlig roth, wie einen Blutsee gesehen zu haben.

– Und diese Farbe ist wohl einer mikroskopischen Pflanze zuzuschreiben?

– Ja wohl. Es ist ein schleimiger, purpurfarbener Stoff, der von jenen kleinen Pflänzchen, Trichodesmion genannt, herrührt, von welchen vierzigtausend den Raum eines Quadratmillimeters einnehmen. Vielleicht werden wir solche zu Tor finden.

– Also, Kapitän Nemo, Sie befahren nicht zum ersten Mal an Bord des Nautilus das Rothe Meer?

– Nein, mein Herr.

– Dann möcht‘ ich, da Sie vorhin vom Untergang der Aegypter im Rothen Meer sprachen, Sie fragen, ob Sie unter’m Wasser die Spuren dieses großen historischen Ereignisses gesehen haben?

– Nein, Herr Professor, und zwar aus einem triftigen Grund.

– Und der ist?

– Weil gerade die Stelle, wo Moses mit seinem Volk hindurch gegangen, nun dergestalt versandet ist, daß die Kameele darin kaum ihre Beine benetzen. Natürlich hätte da mein Nautilus nicht Wasser genug gehabt.

– Und diese Stelle? … fragte ich.

– Befindet sich ein wenig oberhalb Suez in dem Arm, welcher ehemals, als das Rothe Meer sich bis zu den Bitteren Seen erstreckte, eine tiefe Meerlache bildete. Ich glaube wohl, daß man durch Nachgrabungen in diesem Sande eine große Menge Waffen und Instrumente ägyptischen Ursprungs zu Tage fördern würde.

– Ohne Zweifel, erwiderte ich, und die Archäologen mögen hoffen, daß solche Nachgrabungen früher oder später angestellt werden, wenn nach dem Durchstich des Kanals von Suez neue Städte auf diesem Isthmus entstehen werden. Für einen Nautilus freilich wäre ein solcher Kanal wenig nütze!

– Allerdings, aber für die ganze Welt, sagte der Kapitän Nemo. Bereits die Alten hatten begriffen, wie nützlich es für ihren Großhandel sein würde, eine Verbindung zwischen dem Rothen und Mittelländischen Meere herzustellen; aber sie dachten nicht daran, einen neuen Kanal zu graben, sondern bedienten sich der Vermittelung des Nils. Wahrscheinlich wurde, der Sage zufolge, der Kanal, welcher den Nil mit dem Rothen Meere verband, unter Sesostris angefangen. Ausgemacht ist, daß 615 Jahre vor Christus Necho die Arbeiten eines Kanals begann, welcher von dem Wasser des Nils gespeist, durch die nach Arabien hin liegende Ebene führte. Man fuhr denselben aufwärts in vier Tagen, er war so breit, daß zwei Triremen sich darin ausweichen konnten. Er wurde von Darius fortgeführt, und wahrscheinlich von Ptolemäus II. vollendet. Zu Strabo’s Zeit wurde er von Schiffen befahren; aber der geringe Fall seines Wassers von seinem Anfang, zu Bubastis, bis zum Rothen Meere veranlaßte, daß man ihn nur einige Monate im Jahre benutzen konnte. Bis zur Zeit der Antonine diente er dem Handelszweck; hernach versandet und verödet, wurde er vom Kalifen Omar wieder hergestellt, aber im Jahre 761 oder 762 vom Kalifen Almansor verschüttet, um seinem aufständigen Gegner die Lebensmittel abzuschneiden. Bonaparte fand in der Wüste von Suez die Spuren desselben, und von der Fluth überrascht, wäre er, einige Stunden ehe er nach Hadzaroth kam, beinahe umgekommen, an derselben Stelle, wo Moses dreitausendunddreihundert Jahre zuvor sein Lager gehabt hatte.

– Nun, Kapitän, was die Alten nicht zu unternehmen vermochten, eine Verbindung der beiden Meere, wodurch der Weg von Cadix nach Indien um neuntausend Kilometer abgekürzt werden wird, hat Herr Lesseps zu Stande gebracht, und in Kurzem wird er Afrika zu einer ungeheuern Insel gemacht haben.

– Ja, Herr Arronax, Sie dürfen stolz auf Ihren Landsmann sein. Solch ein Mann gereicht einer Nation mehr zum Ruhme, als die größten Feldherren! Seine Willenskraft hat über die Hindernisse triumphirt, und ein Werk, das eine internationale Unternehmung hätte sein sollen, ist nur durch die Energie eines einzigen Mannes zu Stande gekommen.

– Ja, Ehre dem großen Bürger, erwiderte ich, überrascht über die warme Betonung, womit der Kapitän Nemo gesprochen.

– Leider, fuhr er fort, kann ich nicht durch diesen Kanal von Suez mit Ihnen fahren; aber doch können Sie bis übermorgen, da wir im Mittelländischen Meere sein werden, die langen Dämme von Port-Said sehen.

– Im Mittelländischen Meer! rief ich aus.

– Ja, Herr Professor. Wundern Sie sich darüber?

– Ich wundere mich, daß wir übermorgen dort sein sollen.

– Wirklich?

– Ja, Kapitän, obwohl ich, seit ich an Ihrem Bord bin, mir das Staunen hätte abgewöhnen können!

– Aber was ist denn dabei zum Erstaunen?

– Die entsetzliche Schnelligkeit, womit Sie um Afrika herum bis in’s Mittelländische Meer fahren wollen.

– Und wer sagt denn, Herr Professor, daß der Nautilus um das Cap der guten Hoffnung herum fahren will?

– Doch, wenn er nicht zu Lande oder über den Isthmus fahren will …

– Oder unter demselben her, Herr Arronax.

– Unter demselben?

– Allerdings, erwiderte ruhig der Kapitän Nemo. Längst hat die Natur unter dieser Landenge geschaffen, was der Mensch jetzt über derselben in Ausführung bringt.

– Wie? Es bestände eine Durchfahrt?

– Ja, eine unterirdische Durchfahrt, welche ich »Arabischen Tunnel« genannt habe. Er fängt unterhalb Suez an und endigt im Golf von Pelusium.

– Aber auf dem Isthmus ist ja nur Flugsand?

– Bis zu einer gewissen Tiefe. Nur fünfzig Meter tief findet sich eine unerschütterlich feste Lage Felsen.

– Haben Sie diesen Durchweg zufällig gefunden? fragte ich immer mehr erstaunt.

– Durch Zufall und Ueberlegung, Herr Professor, und sogar mehr durch Ueberlegung als durch Zufall.

– Kapitän, ich höre Ihnen zu, obwohl mein Ohr sich dagegen sträubt.

– Diese Durchfahrt existirt; ich habe sie auch schon einigemal benutzt. Sonst hatte ich mich auch nicht jetzt in diese Enge gewagt.

– Darf man fragen, wie Sie diese Entdeckung gemacht haben?

– Mein Herr, erwiderte der Kapitän, zwischen Leuten, die sich nicht mehr von einander trennen dürfen, giebt’s kein Geheimniß.«

Ohne diese Andeutung zu beachten, hörte ich zu.

»Herr Professor, sprach er, eine einfache Beobachtung brachte mich auf die Entdeckung dieser Durchfahrt. Ich hatte bemerkt, daß es im Rothen und Mittelländischen Meere gewisse Arten von Fischen giebt, die sich völlig gleich sind, Streifdecken, Schlangenfische, Meeradler, Barsche u. a. Diese Thatsache führte auf die Frage, ob nicht eine Verbindung zwischen beiden Meeren bestehe. Bestand sie, so muhte die Strömung nothwendig vom Rothen zum Mittelländischen gehen, lediglich wegen der verschiedenen Höhe des Meeresspiegels. Ich fing nun eine Menge Fische in der Nähe von Suez, legte ihnen am Schwanz einen kupfernen Ring an, und warf sie dann wieder in’s Meer. Einige Monate später fing ich an der Syrischen Küste etliche Exemplare meiner mit dem Ring gezierten Fische wieder. Damit war die Verbindung der beiden Meere bewiesen. Ich suchte sie mit meinem Nautilus auf, wagte mich hinein, und es wird nicht lange dauern, Herr Professor, werden Sie ebenfalls durch meinen Arabischen Tunnel fahren!«

Fünftes Capitel

Fünftes Capitel

Der Arabische Tunnel

Noch denselben Tag theilte ich Conseil und Ned den sie zunächst interessirenden Theil dieser Unterhaltung mit. Als ich ihnen sagte, daß wir in zwei Tagen uns mitten im Mittelländischen Meere befinden würden, klatschte Conseil mit den Händen, aber der Canadier zuckte die Achseln.

»Ein unterseeischer Tunnel! rief er aus, eine Verbindung beider Meere! Wer hat jemals so etwas gehört?

– Freund Ned, erwiderte Conseil, hatten Sie jemals vom Nautilus reden gehört? Nein! und doch existirt er. Darum zucken Sie nicht so leicht die Achseln.

– Wir werden’s wohl sehen! versetzte Ned-Land mit Kopfschütteln. Trotzdem will ich recht gern an diesen Durchweg glauben, und wünsche nur, daß der Kapitän uns wirklich in’s Mittelländische Meer führen möge.«

Noch denselben Abend fuhr der Nautilus, unter’m 21° 30′ nördlicher Breite, auf der Oberfläche in die Nähe der arabischen Küste. Ich erblickte Djedda, das mächtige Comptoir des ägyptischen, syrischen, türkischen und indischen Handels. Ich konnte klar ihre sämmtlichen Bauten, die längs den Quais ankernden, und die auf der Rhede liegenden Schiffe unterscheiden. Die ziemlich niedrig am Horizont stehende Sonne beleuchtete hell die Häuser der Stadt, deren weiße Farbe um so greller hervorstach. Außerhalb derselben ließen einige Hütten von Holz oder Rohr das von den Beduinen bewohnte Quartier erkennen.

Bald verschwand Djedda im Abenddunkel, und der Nautilus tauchte unter das leicht phosphorescirende Wasser.

Am folgenden Tage, den 10. Februar, zeigten sich einige Schiffe, die auf uns zu fuhren. Der Nautilus tauchte wieder unter; aber zu Mittag begab er sich, da das Meer leer war, wieder an die Oberfläche.

In Begleitung von Ned und Conseil setzte ich mich auf die Plattform. Die Ostküste zeigte sich im feuchten Nebel wie eine unklar gezeichnete Masse.

Wider die Seiten des Bootes gelehnt plauderten wir von diesem und jenem, als Ned-Land mit der Hand auf einen Punkt wies und sprach:

»Sehen Sie da Etwas, Herr Professor?

– Nein, Ned, erwiderte ich, aber Ihr Gesicht reicht auch weiter, als das meinige, wie Sie wissen.

– Schauen Sie wohl, fuhr Ned fort, dort rechts vor uns, so hoch wie die Leuchte! Sehen Sie da nicht eine Masse, die sich zu bewegen scheint?

– Wirklich, sagte ich, nachdem ich achtsam geschaut, ich gewahre etwas auf der Oberfläche des Wassers, das sieht wie ein langer, schwärzlicher Körper aus.

– Noch ein Nautilus? sagte Conseil.

– Nein, erwiderte der Canadier, aber ich müßte mich sehr irren, wenn es nicht ein Seethier ist.

– Giebt’s denn Wallfische im Rothen Meere? fragte Conseil.

– Ja, mein Lieber, erwiderte ich, bisweilen.

– Es ist kein Wallfisch, versetzte Ned-Land, der den wahrgenommenen Gegenstand nicht aus den Augen verlor. Mit Wallfischen stehe ich in vertrauter Bekanntschaft, und ich würde ihre Bewegungen leicht erkennen.

– Warten wir nur, sagte Conseil. Der Nautilus fährt da hinaus, und wir werden bald wissen, wie es damit steht.«

Wirklich, der schwärzliche Gegenstand war bald nur noch eine Meile von uns entfernt. Er sah aus, wie eine große Klippe im Meer. Was war es? Ich konnte mich noch nicht darüber aussprechen.

»Ah! es schwimmt! es taucht unter! rief Ned-Land. Tausend Teufel! Was mag dies für ein Thier sein? Es hat nicht den zweispaltigen Schwanz der Wallfische oder Pottfische, und seine Flossen sehen aus, wie verstümmelte Gliedmaßen.

– Aber dann … sprach ich.

– Richtig, fuhr der Canadier fort, es liegt auf dem Rücken und streckt seine Brüste empor!

– Eine Sirene, rief Conseil, eine echte Sirene, nehmen Sie’s nicht übel, mein Herr.«

Dies Wort brachte mich auf den rechten Weg, und ich sah, daß dies Thier zu den Seegeschöpfen gehörte, woraus die Fabel Sirenen und Fischweibchen gemacht hat.

»Nein, sagte ich zu Conseil, eine Sirene ist’s nicht, aber ein merkwürdiges Geschöpf, von dem es kaum noch einige Exemplare im Rothen Meere giebt. Es ist ein Dugong.

– Ordnung der Sirenen, Gruppe der fischförmigen, Unterclasse der Menodelphine, Classe der Säugethiere, Abtheilung der Wirbelthiere,« erwiderte Conseil.

Doch Ned-Land schaute unverwandten Blickes hin. Beim Anblick des Thieres glänzten seine Augen vor Begierde. Seine Hand zuckte schon, um es zu harpuniren. Man hätte meinen können, er warte nur auf den Moment, sich in’s Meer zu werfen, um es da in seinem Element anzugreifen.

»O! mein Herr, sprach er zu mir mit vor Unruhe zitternder Stimme, so etwas hab‘ ich noch nie erlegt.«

In dieser Aeußerung zeigte sich der ganze Harpunier.

In diesem Augenblick zeigte sich der Kapitän Nemo auf der Plattform. Er bemerkte den Dugong, verstand die Haltung des Canadiers, und sprach zu ihm:

»Wenn Sie eine Harpune hätten, Meister Land, würde Ihnen da nicht die Hand zucken?

– Allerdings, mein Herr.

– Und es würde Ihnen nicht unangenehm sein, für einen Tag einmal wieder Ihr Fischergeschäft zu treiben, und dieses Thier zu den von Ihnen erlegten hinzuzufügen?

– Es wäre mir das ganz recht.

– Nun, Sie mögen’s versuchen.

– Dank, mein Herr, erwiderte Ned-Land mit sprühenden Blicken.

– Nur, fuhr der Kapitän fort, fordere ich Sie auf, dies Thier nicht zu fehlen, und zwar in Ihrem eigenen Interesse.

– Ist’s gefährlich, diesen Dugong anzugreifen? fragte ich trotz des Canadiers Achselzucken.

– Ja, mitunter, erwiderte der Kapitän. Das Thier stürzt sich wiederholt auf seine Angreifer und wirft ihr Fahrzeug um. Aber für Meister Land ist keine Gefahr zu besorgen. Er hat einen raschen Blick, einen sichern Arm. Ich empfehle es ihm nur deshalb, weil man es als ein feines Gericht ansieht, und ich weiß, daß Meister Land die guten Bissen nicht verschmäht.

– Ah! sagte der Canadier, dies Thier hat auch den Vorzug, daß es gut schmeckt?

– Ja, Meister Land, sein Fleisch, ein wirkliches Fleisch, ist ausnehmend geschätzt, und im ganzen Malayenland hebt man’s für die Tafel der Fürsten auf. Darum macht man auch so hitzig Jagd auf das vortreffliche Thier, daß es, wie der Manati, sein Stammesgenosse, immer seltener wird.

– Herr Kapitän, sagte darauf Conseil im Ernst, wenn vielleicht dieses das Letzte seiner Race wäre, würde es dann nicht besser sein es zu schonen, im Interesse der Wissenschaft?

– Vielleicht, entgegnete der Canadier; aber im Interesse der Küche ist’s besser es zu erlegen.

– Gehen Sie nur an’s Werk, Meister Land,« erwiderte der Kapitän Nemo.

In dem Augenblick kamen sieben Mann von den Bootsknechten, stumm und ausdruckslos, wie immer, auf die Plattform. Einer trug eine Harpune und eine Schnur, wie sie die Wallfischfänger brauchen. Das Boot wurde aus seinem Gehäuse genommen und in’s Meer hinabgelassen. Sechs Ruderer besetzten die Bänke und der Steuerer nahm seinen Platz ein. Ned, Conseil und ich setzten uns hinten hin.

– Sie kommen nicht, Kapitän? fragte ich.

– Nein, mein Herr, aber ich wünsche Glück zur Jagd.«

Das Boot stieß ab und fuhr mit seinen sechs Rudern pfeilschnell auf den Dugong zu, welcher damals zwei Meilen vom Nautilus entfernt schwamm.

Als wir bis auf einige Klafter dem Thiere nahe gekommen waren, fuhren wir langsamer, und die Ruder griffen geräuschlos in’s ruhige Wasser. Ned-Land stellte sich, die Harpune in der Hand, auf dem Vordertheil des Bootes auf. Die Harpune, womit man nach einem Wallfisch wirft, ist gewöhnlich an einen sehr langen Strick befestigt, welcher sich rasch abwickelt, wenn das verwundete Thier sie mit sich fortschleppt. Aber hier maß der Strick nur etwa zehn Ellen, und war an eine kleine Tonne angeschlagen, welche schwimmend angab, in welcher Richtung der Dugong sich unter’m Wasser bewegte.

Ich war aufgestanden und betrachtete genau den Gegner des Canadiers. Dieser Dugong hatte viel Aehnlichkeit mit dem Manati. Sein länglicher Leib endigte sich in einen sehr langen Schwanz, und seine Seitenflossen in wirkliche Finger. Vom Manati unterschied es sich durch zwei lange, spitze Zähne seines Oberkiefers.

Der Dugong nun, auf welchen Ned-Land Jagd machte, war bei einer Länge von mindestens sieben Meter von kolossalen Verhältnissen. Er rührte sich nicht, und schien zu schlafen.

Das Boot kam dem Thiere vorsichtig bis auf drei Ellen nahe. Ich richtete mich halb auf. Ned-Land bog sich ein wenig rückwärts und warf seine Harpune mit geübter Hand.

Man hörte ein Zischen und der Dugong verschwand. Die kräftig geschwungene Harpune hatte wohl nur das Wasser gestreift.

»Tausend Teufel! schrie der Canadier wüthend, ich hab‘ ihn gefehlt.

– Nein, sagte ich, das Thier ist verwundet, hier sieht man Blut, aber Ihre Waffe ist nicht stecken geblieben.

– Meine Harpune! meine Harpune!« schrie Ned-Land.

Die Matrosen ruderten wieder, und der Steuerer lenkte das Boot auf die schwimmende Tonne. Die Harpune wurde wieder aufgefischt, und das Boot verfolgte das Thier.

Dasselbe kam von Zeit zu Zeit zum Athmen an die Oberfläche; es war durch die Wunde nicht entkräftet, denn es schwamm äußerst schnell. Das Boot folgte, von kräftigen Armen der Ruderer gefördert, ihm eilig auf der Spur. Manchmal kam es ihm auf einige Ellen nahe, und der Canadier war gefaßt zu werfen; aber der Dugong entwischte durch plötzliches Untertauchen, und es ward unmöglich, ihn zu erreichen.

Man kann sich denken, wie zornig der ungeduldige Ned-Land wurde; er schleuderte die kräftigsten Flüche der englischen Sprache dem Thiere nach. Ich meines Theils ärgerte mich nur, daß der Dugong sich all unseren Nachstellungen entzog.

Man verfolgte ihn eine Stunde lang unablässig, und ich fing an zu glauben, es werde sehr schwierig sein, seiner Meister zu werden, als dem Thiere der unglückselige Gedanke sich zu rächen kam, den es jedoch zu bereuen hatte.

Der Canadier merkte gleich seine Absicht.

»Aufgepaßt!« rief er.

Der Bootführer sprach einige Worte in seiner seltsamen Sprache, womit er vermuthlich seine Leute warnte, auf ihrer Hut zu sein.

Als der Dugong noch zwanzig Fuß vom Boot entfernt war; machte er Halt, zog hastig mit seinen oben auf der Schnauze stehenden ungeheuern Nasenlöchern Luft ein. Darauf nahm er seinen Anlauf und stürzte sich auf uns.

Das Boot konnte den Stoß nicht aushalten, schöpfte einige Tonnen Wasser, das man wieder ausleeren mußte; aber Dank der Geschicklichkeit des Bootführers schlug es nicht um. Ned-Land, an den Vordersteven geklammert, stach mit seiner Harpune auf das riesige Thier los, das mit seinen Zähnen den Deckbord packend, das Fahrzeug aus dem Wasser heraushob. Wir waren über einander geworfen, und ich weiß nicht, welchen Ausgang das Abenteuer genommen haben würde, hätte nicht der Canadier, der unablässig dem Thier hitzig zusetzte, es endlich in’s Herz getroffen.

Ich hörte das Knirschen seiner Zähne am Eisenblech, der Dugong verschwand und zog die Harpune mit sich. Aber bald kam die Tonne wieder auf die Oberfläche, und nach wenigen Augenblicken kam auch, auf dem Rücken liegend, der Körper des Thieres zum Vorschein. Das Boot kam herbei, nahm ihn in’s Schlepptau und kehrte zum Nautilus zurück.

Man bedurfte sehr starke Taue, um den Dugong auf die Plattform zu ziehen. Er wog fünftausend Kilogramm. Man zerlegte das Thier vor den Augen des Canadiers, der allen Details der Verrichtung aufmerksam zusah. Denselben Tag noch setzte mir der Steward beim Diner einige Stücke von diesem Fleisch vor, das der Schiffskoch kundig zubereitet hatte. Ich fand es vortrefflich, und sogar vorzüglicher, als Kalbfleisch, wo nicht Rindfleisch.

Am folgenden Tage, den 11. Februar, wurde die Küche des Nautilus mit noch einem köstlichen Wildpret bereichert. Ein Schwarm Seeschwalben ließ sich auf dem Nautilus nieder. Es war eine Art der in Aegypten einheimischen; ihr Schnabel ist schwarz, der Kopf grau getüpfelt, Rücken, Flügel und Schwanz graulich, Bauch und Kehle weiß, die Füße roth. Man fing auch einige Dutzend Nil-Enten, deren Hals und Kopf oben weiß und schwarz gefleckt sind.

Der Nautilus fuhr damals mit mäßiger Schnelligkeit. Ich bemerkte, daß das Wasser des Rothen Meeres an Salzgehalt mehr und mehr abnahm, je näher wir Suez kamen. Gegen fünf Uhr Abends gewahrten wir nördlich das Cap Ras-Mohammed, welches zwischen dem Golf von Suez und dem von Acabah das Ende des Peträischen Arabiens bildet. Der Nautilus fuhr durch die Enge von Jubal, welche zum Golf von Suez führt. Ich bemerkte deutlich einen hohen Berg, welcher zwischen den beiden Golfen den Ras-Mohammed beherrschte. Es war der Berg Horeb, jener Sinai, auf dessen Gipfel Moses Gott von Angesicht zu Angesicht schaute, und den man sich beständig von Blitzen umzuckt vorstellt.

Um sechs Uhr fuhr der Nautilus bald über, bald unter dem Wasserspiegel auf hoher See bei Tor vorüber, das in der Tiefe einer Bucht liegt, deren Wasser, wie der Kapitän bereits bemerkte, roth gefärbt erscheint.

Darauf trat die Nacht ein, in tiefer Stille, die nur mitunter vom Geschrei des Pelikans, und einiger Nachtvögel, vom Geräusch der am Felsen abprallenden Wogen, oder vom Wellenschlag eines in der Ferne segelnden Dampfers unterbrochen wurde.

Von acht bis neun Uhr blieb der Nautilus einige Meter unter’m Wasser. Meiner Berechnung nach mußten wir ganz nahe bei Suez sein. Durch die Fensterlucken des Salons sah ich den Felsengrund von unserem elektrischen Licht hell erleuchtet. Es schien mir, als werde die Enge immer schmäler.

Als um neun und ein viertel das Boot wieder auf die Oberfläche kam, begab ich mich auf die Plattform. Vor Ungeduld, den Tunnel des Kapitäns Nemo zu durchfahren, hielt ich’s innen nicht aus und suchte die frische Nachtluft zu athmen.

Bald gewahrte ich im Dunkeln ein blasses, vom Nebel halb ersticktes Licht eine Meile weit von uns.

»Ein schwimmender Pharus,« sagte Jemand in meiner Nähe. Ich drehte mich um, und erkannte den Kapitän.

»Der schwimmende Pharus von Suez, wiederholte er. Wir werden gleich zur Mündung des Tunnel gelangen.

– Die Fahrt darin muß schwierig sein?

– Ja, mein Herr. Darum pflege ich selbst am Platze des Steuerers die Leitung zu übernehmen. Und jetzt, wenn Sie gefälligst hinabgehen wollen, Herr Arronax, wird der Nautilus untertauchen, und wird erst, nachdem er durch den Tunnel hindurch gefahren, wieder auf die Oberfläche kommen.«

Ich folgte dem Kapitän Nemo. Die Lucke schloß sich, die Wasserbehälter füllten sich, und das Fahrzeug tauchte etwa zehn Meter hinab.

Als ich eben im Begriff war, mich auf mein Zimmer zu begeben, redete mich der Kapitän an.

»Herr Professor, sprach er zu mir, wäre es Ihnen gefällig, mich in das Gehäuse des Steuerers zu begleiten.

– Ich wagte nicht, Sie darum zu bitten, erwiderte ich.

– So kommen Sie. Da werden Sie alles sehen, was man von dieser zugleich unterirdischen und unterseeischen Fahrt sehen kann.«

Der Kapitän führte mich zur Mittelstiege. Auf der Hälfte derselben öffnete er eine Thür und schritt durch die oberen Gänge bis zum Steuermannsgehäuse, welches, wie wir wissen, am Ende der Plattform hervorragte.

Es war eine Cabine von sechs Fuß im Gevierte, ungefähr wie die der Steuerer bei den Dampfern auf dem Mississippi oder Hudson. In der Mitte drehte sich in senkrechter Richtung ein Rad, das in die Stücktaue des Steuerruders eingriff, welche bis zum Hintertheil des Nautilus liefen. Vier Lucken mit Linsengläsern, die in den Wänden der Kabine angebracht waren, gewährten dem Steuermann die Aussicht nach allen Richtungen.

Diese Kabine war dunkel; aber meine Augen gewöhnten sich schnell an dieses Dunkel, und ich gewahrte den Steuerer, einen kräftigen Mann, dessen Hände sich auf die Radfelgen stützten. Außen schien das Meer von der Leuchte hell bestrahlt, welche hinter der Cabine am anderen Ende der Plattform glänzte.

»Jetzt, sagte der Kapitän Nemo, suchen wir unsere Durchfahrt.«

Die Zelle des Steuerers war durch elektrische Drähte mit der Maschinenkammer in Verbindung gesetzt, und so war der Kapitän im Stande, seinem Nautilus zugleich die Richtung und die Bewegung vorzuschreiben. Er drückte auf einen metallenen Knopf, und sogleich minderte sich die Schnelligkeit der Schraube.

Ich betrachtete schweigend die hohe, sehr steile Wand, an welcher wir eben vorbeifuhren, die unerschütterliche Grundlage des sandigen Kerns der Küste. Eine Stunde lang fuhren wir, nur einige Meter davon ab, längs derselben her. Der Kapitän Nemo verwandte keinen Blick von dem in der Cabine hängenden Compaß. Auf einen bloßen Wink änderte der Steuerer jeden Augenblick die Richtung des Nautilus.

Ich hatte mich an die Lucke zur linken Seite gesetzt, wo ich prächtige Korallengerüste sah, Zoophyten, Algen und Schalthiere, die mit ihren ungeheuren Tatzen, welche sie aus den Spalten der Felsen herausstreckten, hin und her langten.

Um zehn und ein viertel nahm der Kapitän Nemo selbst das Steuer zur Hand. Eine breite, finstere und tiefe Gallerie öffnete sich vor uns. Der Nautilus fuhr kühn hinein. Ein ungewöhnliches Gebrause hörte man zu beiden Seiten. Die Gewässer des Rothen Meeres stürzten über den stark abfallenden Tunnel in’s Mittelländische. Der Nautilus folgte der Strömung pfeilschnell, so sehr die Maschine sich anstrengte, zu hemmen.

Auf den engen Wänden der Durchfahrt sah ich nur noch schimmernde Striche, gerade Linien, Feuerstreifen, welche beim glänzenden Licht der Elektricität durch die Schnelligkeit gezogen wurden. Mein Herz klopfte, daß ich mit der Hand seinen Pulsschlag hemmen mußte.

Um zehn Uhr fünfunddreißig Minuten trat der Kapitän Nemo vom Rad des Steuers zurück und wendete sich zu mir mit den Worten:

»Das Mittelländische Meer.«

In weniger als zehn Minuten war der Nautilus, von der Strömung fortgerissen, durch den Isthmus von Suez hindurch gefahren.

Sechstes Capitel

Sechstes Capitel

Der griechische Archipel

Am folgenden Morgen, den 12. Februar, mit Tages-Anbruch, tauchte der Nautilus auf die Oberfläche empor. Ich eilte auf die Plattform. Drei Meilen südlich sah man einen unklaren Schattenriß von Pelusium. Wir waren mit reißend abfallender Strömung durchgefahren; aber aufwärts diesen Tunnel zu fahren, mußte unausführbar sein.

Gegen sieben Uhr kamen Ned und Conseil zu mir. Diese beiden unzertrennlichen Kameraden hatten ruhig geschlafen, ohne sich weiter über die Heldenthaten des Nautilus Gedanken zu machen.

»Nun, Herr Naturforscher, fragte der Canadier mit etwas spöttischem Ton, und das Mittelländische Meer?

– Wir fahren auf demselben, Freund Ned.

– Hm! sagte Conseil, diese Nacht ….?

– Ja, just diese Nacht, in einigen Minuten sind wir durch diesen Isthmus gefahren.

– Das glaub‘ ich nicht, erwiderte der Canadier.

– Und Sie haben Unrecht, Meister Land, versetzte ich. Diese niedrige Küste im Süden ist die ägyptische.

– Das mag man, mein Herr, sonst Jemanden weiß machen, entgegnete der starrköpfige Canadier.

– Aber da mein Herr es versichert, sagte Conseil zu ihm, so muß man ihm glauben.

– Zudem, Ned, hat der Kapitän Nemo mir die Ehre erwiesen, mich zu sich in die Zelle des Steuerers zu nehmen, und ich war zugegen, als er selbst den Nautilus durch die enge Fahrt lenkte.

– Hören Sie, Ned, sagte Conseil.

– Und Sie, Ned, mit ihren guten Augen, fügte ich hinzu, Sie können die Dämme am Port Said von hier aus erkennen.«

Der Canadier schaute achtsam hin.

»Wirklich, sagte er, Sie haben Recht, Herr Professor, und Ihr Kapitän ist ein Mann, wie es keinen mehr giebt. Wir sind im Mittelländischen Meer. Gut. So wollen wir, wenn’s beliebt, von unseren Angelegenheiten plaudern, aber daß Niemand uns hören kann.«

Ich sah wohl, wo der Canadier hinaus wollte. Jedenfalls, dachte ich, sei es besser zu plaudern, weil er’s wünschte, und wir drei setzten uns neben den Fanal, wo wir weniger den feuchten Meeresdünsten ausgesetzt waren.

»Jetzt, Ned, hören wir Ihnen zu, sagte ich. Was haben Sie uns mitzutheilen?

– Was ich Ihnen mitzutheilen habe, ist sehr einfach, erwiderte der Canadier. Wir sind in Europa, und ehe die Launen des Kapitäns Nemo uns bis zum Meeresgrund des Nordens mit fortschleppen oder wieder nach dem Stillen Ocean zurück bringen, verlange ich den Nautilus zu verlassen.«

Ich gestehe offen, daß diese Erörterung mit dem Canadier mich stets in Verlegenheit setzte. Ich wollte in keiner Weise der Befreiung meiner Genossen hinderlich sein, und doch spürte ich kein Verlangen den Kapitän Nemo zu verlassen. Ihm und seinem Apparat verdankte ich es, daß ich täglich meine unterseeischen Studien vervollständigte, und ich arbeitete mein Werk über die Meerestiefen mitten in dem Element selbst um. Würde ich jemals eine solche Gelegenheit wieder finden, die Wunder des Oceans zu beobachten? Gewiß nicht! Ich konnte mich daher nicht dem Gedanken anschließen, den Nautilus vor Vollendung unserer Forschungen zu verlassen.

»Freund Ned, sagte ich, antworten Sie mir frei heraus. Haben Sie Unlust an Bord? Bedauern Sie, daß das Schicksal Sie dem Kapitän Nemo in die Hand gegeben hat?«

Der Canadier schwieg eine Weile. Dann kreuzte er die Arme und sprach:

»Offen gesagt, diese Reise unter’m Meere mißfällt mir nicht. Ich werde befriedigt sein, wenn sie gemacht ist. Dafür aber muß sie ein Ende nehmen. Dies denke ich darüber.

– Sie wird ein Ende nehmen, Ned.

– Wo und wann?

– Wo? weiß ich nicht. Wann? Das kann ich auch nicht sagen, oder vielmehr ich nehme an, daß sie ihr Ende erreichen wird, wann wir in diesen Meeren nichts mehr zu lernen haben werden. In dieser Welt hat alles, was einen Anfang genommen hat, auch sein Ende.

– Ich denke wie mein Herr, erwiderte Conseil, und es ist wohl möglich, daß der Kapitän Nemo, nachdem wir alle Meere des Erdballs durchlaufen haben, uns drei zusammen in Freiheit setzen wird.

– In Freiheit! rief der Canadier. Er wird uns schon etwas anderes vorsetzen.

– Uebertreiben wir nicht, Meister Land, versetzte ich. Wir haben vom Kapitän nichts zu besorgen, aber ich theile auch nicht die Idee Conseil’s. Wir sind im Besitz der Geheimnisse des Nautilus, und ich erwarte nicht, daß sein Commandant, um uns in Freiheit zu setzen, sich darein finden wird, daß sie mit uns sich in aller Welt verbreiten.

– Aber was erwarten Sie dann? fragte der Canadier.

– Daß sich Umstände ergeben werden, welche wir benutzen können und dürfen, und das in sechs Monaten eben so gut, wie jetzt.

– Der Henker! sagte Ned-Land. Und wo werden wir in sechs Monaten sein, wenn’s beliebt, Herr Naturforscher?

– Vielleicht hier, vielleicht in China. Sie wissen, der Nautilus fährt reißend schnell. Er fliegt durch die Oceane, wie eine Schwalbe durch die Lüfte, oder ein Eilzug über die Continente. Er scheut sich nicht vor den befahrenen Meeren. Wer sagt uns, daß er nicht einmal an die Küsten Frankreichs, Englands oder Amerikas kommen wird, wo eine Flucht mit eben so viel Vortheil unternommen werden kann, wie hier?

– Herr Arronax, erwiderte der Canadier, Ihren Gründen fehlt’s am Grund. Sie sprechen in zukünftiger Zeit: »Wir werden dort, wir werden hier sein!« Ich rede in der Gegenwart: »Wir sind hier, und man muß das benutzen.«

Die Logik Ned-Land’s hatte mich in die Enge getrieben. Ich hatte keine Argumente für mich gegen ihn geltend zu machen.

»Mein Herr, fuhr Ned fort, setzen wir, was unmöglich der Fall, der Kapitän Nemo bietet Ihnen schon heute die Freiheit an. Würden Sie’s annehmen?

– Ich weiß nicht, antwortete ich.

– Und wenn er beifügt, daß er das heute gemachte Erbieten später nicht wieder machen wird, werden Sie’s dann annehmen?«

Ich blieb die Antwort schuldig.

»Und was denkt Freund Conseil darüber? fragte Ned-Land.

– Freund Conseil, erwiderte gelassen dieser brave Junge, Freund Conseil hat nichts dabei zu sagen. Wie sein Herr, wie sein Kamerad Ned, ist er ohne Familie. Weder Frau, noch Eltern, noch Kinder erwarten ihn in der Heimat. Er steht im Dienste seines Herrn und denkt wie sein Herr, und spricht wie sein Herr, und zu seinem großen Bedauern darf man nicht auf ihn zählen, um eine Majorität zu bilden. Es sind nur zwei Personen da: Mein Herr auf der einen, Ned-Land auf der anderen Seite. Freund Conseil hört zu, und ist bereit die Stiche zu zählen.«

Ich konnte mich des Lachens nicht erwehren, als ich sah, wie Conseil seine Persönlichkeit so vollständig verleugnete. Im Grunde konnte der Canadier herzlich froh sein, daß er ihn nicht gegen sich hatte.

»Also, mein Herr, sagte Ned-Land, weil Conseil nicht existirt, wollen wir nur unter uns disputiren. Ich habe meine Meinung gesagt, Sie haben mich gehört. Was haben Sie zu erwidern?«

Man mußte offenbar zum Schluß kommen, und Ausflüchte waren mir zuwider.

»Freund Ned, sagte ich, ich will Ihnen meine Antwort sagen. Sie haben Recht gegen mich, und meine Gründe können gegen die Ihrigen nicht Stich halten. Auf den guten Willen des Kapitäns Nemo darf man nicht rechnen. Die gewöhnlichste Klugheit verbietet ihm, uns in Freiheit zu setzen. Dagegen räth die Klugheit, daß wir die erste Gelegenheit benutzen, den Nautilus zu verlassen.

– Richtig, Herr Arronax, das heißt verständig gesprochen.

– Nur, sag‘ ich, eine Bemerkung, eine einzige. Die Gelegenheit muß eine ernstliche sein. Unser erster Fluchtversuch muß glücken; denn wenn er fehl schlägt, werden wir die Gelegenheit zu einem abermaligen Versuch nicht wieder bekommen, und der Kapitän Nemo wird uns nicht verzeihen.

– Alles dies steht richtig, erwiderte der Canadier. Aber Ihre Bemerkung gilt für jeden Fluchtversuch, mag er in zwei Jahren oder in zwei Tagen stattfinden. Folglich kommt die Frage immer darauf hinaus: wenn eine günstige Gelegenheit sich darbietet, muß man sie ergreifen.

– Einverstanden. Und nun, sagen Sie mir, was verstehen Sie unter einer günstigen Gelegenheit?

– Wenn bei einer dunkeln Nacht der Nautilus einer europäischen Küste nahe käme.

– Und Sie würden versuchen, durch Schwimmen zu entkommen?

– Ja, wenn wir einem Ufer nahe genug wären, und wenn der Nautilus auf der Oberfläche führe. Nein, wenn wir zu fern wären, und wenn wir unter’m Wasser führen.

– Und in diesem Falle?

– In diesem Falle würde ich mich bemühen, in Besitz des Bootes zu gelangen. Ich verstehe es zu führen. Wir würden uns in’s Innere schleichen, die Zapfen wegnehmen und uns wieder auf die Oberfläche begeben, ohne daß selbst der vorne befindliche Steuermann unsere Flucht bemerkte.

– Gut, Ned. Spüren Sie diese Gelegenheit aus; aber behalten Sie im Sinn, daß ein Fehlschlagen unser Verderben wäre.

– Das werd‘ ich nicht vergessen, mein Herr.

– Und jetzt, Ned, wollen Sie meine Gedanken über Ihr Project vollständig kennen?

– Gerne, Herr Arronax.

– Nun, ich denke – ich sage nicht hoffe, – ich denke, daß diese günstige Gelegenheit sich nicht ergeben wird.

– Weshalb?

– Weil der Kapitän Nemo sich nicht verhehlen kann, daß wir die Hoffnung, unsere Freiheit wieder zu erlangen, nicht aufgegeben haben, und daß er achtsam sein wird, zumal in den Meeren und an den Küsten Europas.

– Ich theile meines Herrn Ansicht, sagte Conseil.

– Wir werden’s wohl sehen, erwiderte Ned-Land, der mit entschiedener Miene den Kopf schüttelte.

– Und jetzt, Ned-Land, fügte ich hinzu, bleiben wir dabei. Kein Wort weiter über das alles. Wenn Sie dazu gerüstet und bereit sind, melden Sie’s uns, und wir werden uns Ihnen anschließen. Ich verlasse mich gänzlich auf Sie.«

Diese Unterredung, welche später so schwere Folgen haben sollte, schloß also. Ich darf jetzt sagen, daß die Thatsachen mein Voraussehen zu bestätigen schienen, zur großen Verzweiflung des Canadiers. Mißtraute uns der Kapitän Nemo in diesen vielbesuchten Meeren, oder wollte er sich nur dem Angesicht der vielen Schiffe aller Nationen, welche das Mittelländische Meer befahren, entziehen? Ich weiß es nicht, aber er hielt sich meistens in mäßiger Tiefe unter Wasser und weit ab von den Küsten. Der Nautilus fuhr entweder so unter Wasser, daß nur des Steuermanns Gehäuse hervorragte, oder er verschwand in große Tiefen, denn zwischen dem griechischen Archipel und Kleinasien fanden wir bei zweitausend Meter noch keinen Grund.

Am 14. Februar beschloß ich, einige Stunden darauf zu verwenden, die Fische des Archipelagus zu studiren; aber aus irgend welchem Grunde blieben die Läden geschlossen. Wir fuhren in der Richtung nach der Insel Kandia. Am Abend befand ich mich mit dem Kapitän allein im Salon. Derselbe schien voll Gedanken schweigsam. Dann ließ er die beiden Läden öffnen, ging von einem zum andern und beobachtete sorgfältig die Gewässer. Diese Insel war, als ich auf dem Abraham Lincoln mich einschiffte, in vollem Aufstände gegen den türkischen Despotismus; ich hatte aber nie mit dem Kapitän Nemo davon gesprochen, da er ja außer Verbindung mit der Oberwelt war. Ich machte mich an die Betrachtung der Fische, und es fielen mir gleich einige schon im Alterthum bekannte Arten auf. Unter anderen sah ich den schon von Aristoteles angeführten Trichterfisch, den man gewöhnlich Meergrundel nennt; sodann Sackstoffen, die etwas phosphoresciren, eine Art Meerbrassen, die zu den heiligen Thieren der Aegypter gehörten, indem sie durch ihr Erscheinen im Fluß die befruchtende Überschwemmung desselben ankündigten. Sodann zog meine Aufmerksamkeit sich auf den sogenannten Hemmfisch, ein kleiner Fisch, von dem die Alten sagten, er könne, wenn er sich an den Kiel eines Schiffes anhängt, dessen Lauf hemmen.

Ich war ganz in die Anschauung dieser Herrlichkeit vertieft, als plötzlich eine unerwartete Erscheinung mein Erstaunen erregte. Mitten in den Gewässern zeigte sich ein Mann, ein Taucher mit einem ledernen Gurt um die Hüfte. Es war nicht ein Leichnam, der mit den Wogen trieb, sondern ein lebendiger Mensch, der mit kräftigem Arm ruderte, zuweilen verschwand, um an der Oberfläche Luft zu schöpfen, dann sogleich wieder untertauchte.

Ich wendete mich zum Kapitän und rief mit bewegtem Gemüth: »Ein Mann! ein Schiffbrüchiger! den müssen wir retten!«

Der Kapitän gab keine Antwort und lehnte sich an das Fenster. Der Mann war nahe gekommen und betrachtete uns durch die Fenster.

Zu meinem großen Erstaunen winkte ihm der Kapitän. Der Taucher erwiderte mit der Hand, begab sich unverzüglich wieder zur Oberfläche, und kam nicht wieder zum Vorschein.

»Beunruhigen Sie sich nicht, sagte zu mir der Kapitän. Es ist der auf allen Cykladen wohl bekannte, kühne Taucher Nicolas, vom Cap Matapan. Das Wasser ist sein Element, und er lebt in demselben mehr, wie auf dem Lande, indem er bis nach Kreta hin alle Inseln besucht.

– Ist er Ihnen bekannt, Kapitän?

– Warum nicht, Herr Arronax?«

Darauf wendete sich der Kapitän Nemo zu einem Schrank neben dem linken Fenster des Salons. Neben demselben sah ich einen mit Eisen beschlagenen Koffer, auf dessen Deckel eine kupferne Platte mit der Chiffre des Nautilus und seiner Devise Mobilis in mobile befand.

In dem Augenblick öffnete der Kapitän, ohne meine Anwesenheit zu beachten, den Koffer, der eine Menge Goldstangen enthielt. Woher kam das kostbare Metall von so ungeheurem Werth? Wo sammelte es der Kapitän, und was sollte damit geschehen?

Ich sprach kein Wort, sah zu. Der Kapitän Nemo nahm eine der Goldstangen nach der anderen heraus, legte sie regelmäßig in den Koffer hinein, den er ganz damit füllte. Ich schätzte den Inhalt auf mehr als tausend Kilogramm Gold, d. h. fast fünf Millionen Francs.

Der Koffer wurde wieder fest verschlossen, und der Kapitän schrieb auf seinen Deckel eine Adresse in einer Schrift, welche die neugriechische sein mußte.

Hierauf drückte der Kapitän Nemo auf einen Knopf, dessen Draht mit dem Posten der Mannschaft in Verbindung stand. Es erschienen vier Mann, und schoben nur mit Mühe den Koffer aus dem Salon hinaus. Nachher vernahm ich, daß sie ihn mit Hilfe von Stricken die eiserne Leiter hinauf zogen.

In dem Moment wandte sich der Kapitän Nemo zu mir:

»Und Sie sagten, Herr Professor? fragte er mich.

– Ich habe nichts gesagt, Kapitän.

– Dann erlauben Sie mir, mein Herr, Ihnen gute Nacht zu wünschen.«

Mit diesen Worten verließ der Kapitän den Salon.

Ich begab mich voll Unruhe, begreift man, auf mein Zimmer, versuchte vergebens zu schlafen. Ich suchte eine Beziehung zwischen der Erscheinung des Tauchers und dem mit Gold gefüllten Koffer. Bald merkte ich an einigen schwankenden Bewegungen, daß der Nautilus aus den niederen Schichten sich auf die Oberfläche der Gewässer hob.

Nachher vernahm ich Fußtritte auf der Plattform. Ich merkte, daß man das Boot los machte und es in’s Meer hinabließ. Es stieß einen Augenblick an die Seite des Nautilus an, dann hörte man kein Geräusch mehr.

Zwei Stunden nachher vernahm man dasselbe Geräusch, das nämliche Hin- und Hergehen. Das Boot wurde heraufgezogen, in seinem Gehäuse geborgen, und der Nautilus tauchte wieder unter.

So waren also die Millionen zu ihrem Adressaten geschafft worden. An welchen Ort des Continents? Mit wem stand der Kapitän in solcher Verbindung?

Am folgenden Morgen erzählte ich Conseil und dem Canadier die Ereignisse dieser Nacht, welche meine Neugierde im höchsten Grade erregt hatten. Meine Gefährten waren nicht minder, wie ich, darüber erstaunt.

»Aber woher bekommt er diese Millionen?« fragte Ned-Land.

Darauf war eine Antwort nicht möglich. Ich begab mich nach dem Frühstück an die Arbeit, und war bis fünf Uhr mit meinem Tagebuch beschäftigt. Dann empfand ich eine so außerordentliche Hitze, daß ich mein Byssuskleid ablegen mußte. Unbegreiflich, denn wir befanden uns nicht unter Breitegraden von hoher Temperatur, und zudem durfte der Nautilus in der Tiefe eine Erhöhung derselben nicht verspüren. Ich sah auf das Meer-Manometer. Es zeigte eine Tiefe von sechzig Fuß, wohin die atmosphärische Luft nicht hätte dringen können.

Ich fuhr fort zu arbeiten, aber die Temperatur stieg dermaßen, daß es nicht zum Aushalten war.

»Sollte ein Brand an Bord sein?« fragte ich mich.

Ich war im Begriff, den Salon zu verlassen, als der Kapitän Nemo eintrat. Er trat zum Thermometer, sah nach und sprach zu mir:

»Zweiundvierzig Grad.

– Ich spür‘ es wohl, Kapitän, erwiderte ich, und sollte diese Hitze noch steigen, so können wir’s nicht aushalten.

– O, Herr Professor, diese Hitze wird nur dann steigen, wenn wir wollen.

– Sie können sie also nach Belieben ändern?

– Nein, aber ich kann mich von der Quelle derselben entfernen.

– Also kommt sie von außen?

– Ja wohl. Wir fahren in siedendem Wasser.

– Ist’s möglich? rief ich aus.

– Schauen Sie her.«

Die Laden öffneten sich, und ich sah das Meer um den Nautilus herum ganz weiß. Dicke Schwefeldünste entwirbelten inmitten der Wogen, welche sprudelten wie siedendes Wasser im Kessel. Ich hielt meine Hand an eins der Fenster, aber es war so heiß, daß ich sie zurück ziehen mußte.

»Wo befinden mir uns? fragte ich.

– Nächst der Insel Santorin, Herr Professor, erwiderte der Kapitän, und gerade in dem Kanal, welcher Nea-Kamenni von Palea-Kamenni scheidet. Ich wollte Ihnen den merkwürdigen Anblick eines unterseeischen Vulkanausbruchs gewähren.

– Ich meinte, sagte ich, die Bildung dieser neuen Inseln sei fertig.

– In vulkanischen Gegenden ist nie etwas fertig, erwiderte der Kapitän Nemo, und die Arbeit der unterirdischen Feuer dauerte da stets fort. Bereits im Jahre neunzehn unserer Zeitrechnung zeigte sich, nach Cassiodorus und Plinius, eine neue Insel, die göttliche Theia, an derselben Stelle, wo sich neuerdings diese Eilande bildeten. Nachher versank sie wieder, um im Jahre neunundsechzig wieder zu erscheinen, um dann abermals zu versinken. Seit jener Zeit bis auf unsere Tage war die plutonische Arbeit unterbrochen. Aber am 3. Februar 1866 tauchte ein neues Eiland, dem man den Namen Georgsinsel gab, aus den Schwefeldünsten auf nächst Nea-Kamenni, und vereinigte sich mit dieser am 6. desselben Monats. Sieben Tage nachher, am 13. Februar, erschien das Inselchen Aphroessa so nahe bei Nea-Kamenni, daß nur ein Kanal von zehn Meter dazwischen blieb. Ich befand mich, während diese Naturerscheinung sich begab, in diesen Meeren, und ich konnte alle ihre Phasen beobachten. Das Eiland Aphroessa war von runder Gestalt und hatte dreihundert Fuß Durchmesser bei dreißig Fuß Höhe. Es bestand aus schwarzer glasartiger Lava, verbunden mit Feldspathstücken. Endlich, am 10. März, zeigte sich noch ein kleineres Inselchen, Reka genannt, nahe bei Nea-Kamenni, und seit dem bilden diese drei zusammengelötheten Eilande nur eine einzige Insel.

– Und der Kanal, worin wir uns in dem Augenblick befinden? fragte ich.

– Hier ist er, erwiderte der Kapitän Nemo, und wies auf eine Karte des Archipel. Sie sehen, daß ich die neuen Inselchen darauf eingetragen habe.

– Aber dieser Kanal wird sich einmal ausfüllen?

– Wahrscheinlich, Herr Arronax, denn seit 1866 sind acht kleine Lava-Eilande dicht vor dem Hafen St. Nicolas zu Palea-Kamenni aufgetaucht. Es ist also klar, daß Nea und Palea in kurzer Zeit sich vereinigen werden. Wie im Stillen Ocean die Continente durch Infusorien gebildet werden, so geschieht es hier durch vulkanische Ausbrüche. Sehen Sie, mein Herr, so vollzieht sich die Arbeit unter diesen Wogen.«

Ich trat wieder an’s Fenster. Der Nautilus fuhr nicht weiter. Die Hitze ward unerträglich. Die weiße Farbe des Meeres wurde roth durch Hinzukommen eines Eisensalzes. Trotzdem, daß der Salon hermetisch verschlossen war, entwickelte sich ein unerträglicher Schwefelgeruch, und ich bemerkte scharlachrothe Flammen, die so lebhaft waren, daß der Glanz des elektrischen Lichtes sich darin verlor.

Ich war über und über in Schweiß, war am Ersticken. Wahrhaftig, ich fühlte, wie ich im Begriff war zu braten!

»Man kann es in diesem siedenden Wasser nicht länger aushalten, sagte ich zum Kapitän.

– Nein, das wäre nicht klug,« erwiderte Nemo phlegmatisch.

Es wurde Befehl ertheilt, und der Nautilus drehte sich, um sich aus diesem Glühofen, welchem er nicht ungestraft trotzen konnte, zu entfernen. Nach einer Viertelstunde athmeten wir an der Oberstäche wieder auf.

Am folgenden Tage, den 16. Februar, verließen wir dieses Becken, welches zwischen Rhodos und Alexandria Tiefen von dreitausend Meter zeigte; und der Nautilus verließ, indem er auf hoher See vor Cerigo vorbeifuhr, den griechischen Archipel, nachdem er um Cap Matapan herum lavirt.

Siebentes Capitel

Siebentes Capitel

Das Mittelländische Meer in vierundzwanzig Stunden

Das Mittelländische, das vorzugsweise blaue Meer, von den Hebräern »das große Meer«, von den Griechen »das Meer«, von den Römern »unser Meer« genannt, ist an seinen Gestaden mit Orangen, Aloe, Cactus, Pinien besetzt, von Myrthendüften durchdrungen, von rauhem Gebirgsland eingefaßt, von reiner, durchsichtiger Luft gesättigt; aber die unablässig thätigen unterirdischen Feuer machen es zu einem wahren Schlachtfeld, wo Neptun und Pluto sich noch um die Weltherrschaft streiten. An seinen Ufern, auf seinen Gewässern findet der Mensch im trefflichsten Klima der Welt seine stärkende Erholung.

Aber trotz dieser herrlichen Eigenschaft habe ich doch von diesem Becken, das eine Oberfläche von zwei Millionen Quadratkilometer enthält, nur einen raschen Ueberblick nehmen können; und selbst die persönlichen Kenntnisse des Kapitäns Nemo gingen mir ab, denn der räthselhafte Mann ließ sich während der Eilfahrt nicht ein einziges Mal sehen. Ich schätze den Weg, welchen der Nautilus unter den Wogen dieses Meeres durchlief, auf etwa sechshundert Lieues, und diese Fahrt machte er in zweimal vierundzwanzig Stunden. Wir fuhren am Morgen des 16. Februar aus den Gewässern Griechenlands ab, und am 18. bei Sonnenaufgang hatten wir die Straße von Gibraltar passirt.

Offenbar war das Mittelländische Meer, eingeengt zwischen Ländern, welche der Kapitän Nemo vermeiden wollte, demselben kein angenehmer Aufenthalt. Er hatte darin nicht jene Freiheit der Bewegungen, jene Unabhängigkeit seiner Unternehmungen, welche die Oceane ihm gewährten, und es ward seinem Nautilus zu enge zwischen den allzu nahen Gestaden Europa’s und Afrika’s. Daher fuhren wir denn auch mit einer Schnelligkeit von fünfundzwanzig Meilen die Stunde. Es versteht sich von selbst, daß dabei Ned-Land auf sein Entweichungsproject verzichten mußte. Unter solchen Umständen den Nautilus verlassen, wäre so mißlich gewesen, als bei einem Eilzug aus dem Waggon zu springen. Zudem kam unser Fahrzeug nur Nachts an die Oberfläche, um seine Luft zu erneuern, und es nahm seine Richtung nur nach den Angaben des Compasses und des Logs.

Ich sah also vom Inneren des Mittelländischen Meeres nur, was der Passagier eines Eilzugs von der Landschaft, die vor seinen Blicken entflieht, d. h. den entfernten Horizont, und nicht die Gegenstände im Vordergrunde, welche blitzschnell enteilen. Doch konnten wir manche der mittelländischen Fische beobachten, welche kräftig genug waren, sich einige Augenblicke in der Umgebung des Nautilus zu halten. Wir standen daher vor den Fenstern auf der Lauer, und notirten, was uns möglich war.

In den vom elektrischen Licht hell erleuchteten Strichen sah man Lampreten, die in fast allen Klimaten zu Hause sind, von der Länge eines Meter; fünf Fuß breite Rochen mit weißem Bauch und aschgrauem gesteckten Rücken; zwölf Fuß lange Haifische überboten sich einander in Schnelligkeit; acht Fuß lange Seefüchse mit äußerst feiner Spürkraft; Goldbrassen, mitunter bis dreizehn Decimeter lang, wie in Silber und lasurblauer Kleidung und mit goldenen Wimpern, eine kostbare Fischgattung, die in allen Gewässern, Flüssen, Seeen und Meeren zu Hause, in jedem Klima fortkommt, alle Temperaturen verträgt. Prachtvolle Störe, neun bis zehn Meter lang, mit bläulichem, braun getüpfeltem Rücken, schlugen mit kräftigem Schwanz wider die Fenster. Sie sind den Haifischen ähnlich, doch nicht so stark, und finden sich in allen Meeren; im Frühling kommen sie gern in die großen Flüsse stromaufwärts, die Wolga, Donau, den Po, Rhein, die Loire, die Oder hinauf, fressen Häringe, Makrelen, Salme u. a.; sie gehören zwar zu den Knorpelfischen, sind aber schmackhaft, und werden frisch, getrocknet, marinirt oder gesalzen gegessen. Am besten konnte man, wann der Nautilus in die Nähe der Oberfläche kam, die Thunfische beobachten, mit blauschwarzem Rücken, silbergepanzertem Leib und goldschimmernden Rückenflossen. Man sagt von ihnen, sie begleiten gern die Schiffe auf ihrer Fahrt, und suchten in ihrem kühlen Schatten Schutz gegen die tropischen Sonnenstrahlen; und so begleiteten sie auch Stunden lang den Nautilus, an Schnelligkeit mit ihm wetteifernd. Ich konnte mich nicht satt sehen an diesen Thieren, die wie für die Schnellfahrt gebaut sind, mit kleinem Kopf, schlankem, glattem Leib, der mitunter über drei Meter maß, ausnehmend kräftigen Brustflossen und gabelförmigem Schwanz. Sie schwammen im Triangel, wie manche Zugvögel stiegen, denen sie an Schnelligkeit gleich kommen. Doch den Provenzalen entrinnen sie nicht, welche sie ebenfalls schmackhaft finden, und sie zu Tausenden in großen Netzen fangen, indem sie blindlings, wie betäubt in diese hinein gerathen.

Zahllos war die Menge der übrigen Fische, die wir nur flüchtig wahrnahmen, oder bei der großen Schnelligkeit nicht beobachten konnten.

Von Seesäugethieren bemerkte ich im Vorüberfahren an der Mündung des Adriatischen Meeres zwei bis drei Pottfische; einige Delphine von der Gattung der kugelköpfigen, welche besonders im Mittelländischen Meere vorkommen, mit hellgestreiftem Vorderkopf; und auch ein Dutzend Robben mit weißem Bauch und schwarzem Hauthaar, denen man den Beinamen Mönche gab, und die auch ganz wie Dominicaner aussehen.

Am Abend des 16. fuhren wir zwischen Sicilien und der Küste von Tunis. An dieser engen Stelle zwischen Cap Bon und der Straße von Messina erhebt sich der Meeresgrund fast plötzlich, so daß er einen Kamm bildet, über welchem das Wasser nur siebenzehn Meter Tiefe hat, während er auf beiden Seiten wieder bis zu hundertundsiebenzig Meter abfällt. Der Nautilus mußte also mit Vorsicht fahren, um nicht gegen diese unterseeische Wand anzustoßen.

Ich zeigte Conseil auf der Karte des Mittelländischen Meeres die Stelle, wo dieses Riff sich befand.

»Erlauben Sie, mein Herr, bemerkte Conseil, das ist ja ein wahrhafter Isthmus zwischen Europa und Afrika.

– Ja, lieber Junge, erwiderte ich, er versperrt völlig die Lybische Enge, und Smith’s Sondirungen haben bewiesen, daß zwischen Cap Bon und Cap Furina die Continente ehemals zusammen hingen.

– Ich glaub’s wohl, sagte Conseil.

– Dazu will ich bemerken, fuhr ich fort, daß eine ähnliche Sperre zwischen Gibraltar und Ceuta besteht, welche in der Urzeit das Mittelländische Meer völlig schloß.

– Ah! sagte Conseil, wenn einmal durch eine vulkanische Einwirkung diese beiden Schranken wieder über die Meeresfläche empor gehoben würden!

– Das ist nicht wahrscheinlich, Conseil.

– Mein Herr möge mir noch die Bemerkung erlauben, wenn dieses vorginge, so wäre das dem Herrn von Lesseps, der sich mit dem Durchstich des Isthmus so viel Mühe giebt, recht unangenehm!

– Gewiß, aber, wiederholte ich, dies Ereigniß wird nicht eintreten. Die Wirkung der vulkanischen Kräfte unter der Erde nimmt stets ab. Die in der Urzeit der Welt zahlreichen Vulkane erlöschen nach und nach, die im Inneren wirkende Wärme wird schwächer, die Temperatur der unteren Schichten des Erdballs wird von Jahrhundert zu Jahrhundert bedeutend niedriger, und zum Nachtheil der Erde, denn diese Wärme ist ihr Leben.

– Doch, die Sonne …

– Die Sonnenwärme ist nicht ausreichend, Conseil. Kann sie einem Leichnam sein Leben wieder geben?

– Nein, so viel ich weiß.

– Nun, die Erde wird dereinst so ein kalter Leichnam sein. Sie wird unbewohnbar und unbewohnt sein, wie der Mond, welcher längst seine Lebenswärme verloren hat.

– In wieviel Jahrhunderten? fragte Conseil.

– In einigen hunderttausend Jahren, mein Lieber.

– Dann haben wir noch Zeit, erwiderte Conseil, unsere Reise zu vollenden, sofern Ned-Land sich nicht darein mischt!«

Und Conseil machte sich ruhig wieder an das Studium der oberen Wasserschichten, durch welche eben der Nautilus mit mäßiger Schnelligkeit fuhr, und wo auf felsigem und vulkanischem Grund eine ganze Flora lebender Gewächse, Schwämme, Holoturien u. s. w. sich ausbreitete. Nicht minder eifrig befaßte er sich mit der Beobachtung der Mollusken und Gliederthiere, und stellte ein langes Verzeichniß auf, womit ich aber doch den Leser verschonen will. Er war mit denselben noch nicht fertig, als der Nautilus, nachdem er über die Lybische Enge hinaus gekommen, wieder tiefer auf den unteren Meeresgrund, wo es keine Mollusken und Zoophyten mehr giebt, sich begab, und seine gewöhnliche Schnelligkeit annahm.

Während der Nacht des 16. zum 17. Februar waren wir in das zweite Becken des Mittelländischen Meeres eingefahren, worin die größten Tiefen dreitausend Meter betragen; und der Nautilus tauchte bis in die untersten Schichten hinab.

Hier boten, in Ermangelung von Naturmerkwürdigkeiten, die Gewässer den Anblick rührender und furchtbarer Scenen; denn auf diesem Theil des Mittelländischen Meeres sind am häufigsten Unglücksfälle eingetreten, durch Schiffbruch oder Versinken von Schiffen. In Vergleichung mit dem Stillen Ocean ist das Mittelländische Meer nur ein See, aber ein launischer See mit tückisch wechselnden Wogen, heute günstig und schmeichelnd für eine zerbrechliche Tartane, morgen wüthend aufgeregt, von Stürmen gepeitscht, die stärksten Schiffe zertrümmernd. Was hatte ich also bei der raschen Fahrt für eine Masse Trümmer vor Augen, mit Korallen oder Rost überzogen, Kanonen, Anker, Kugeln, Eisengeräthe, Stücke von Maschinen, zerbrochene Cylinder, versenkte Kessel, Schiffsrümpfe in den verschiedensten Lagen.

Solche Trümmer waren zahlreicher, je näher man der Enge von Gibraltar kam, der Raum zwischen der afrikanischen und europäischen Küste sich verengte. Der Nautilus fuhr mit reißender Schnelligkeit gleichgiltig über sie alle hinweg, und langte am 18. Februar um drei Uhr früh beim Eingang der Straße an.

Hier giebt’s zwei Strömungen: die obere, welche längst bekannt ist, führt die Gewässer aus dem Ocean in das Becken des Mittelländischen, sodann eine tiefer in entgegengesetzter Richtung, deren Existenz nun durch Folgerungen bewiesen ist. In der That sollte die Gesammtmasse der Mittelländischen Gewässer, welche durch die Atlantischen und durch die einmündenden Flüsse unaufhörlich anwächst, alljährlich das Niveau derselben erhöhen, denn die Ausdünstung ist nicht in gleichem Grade wirksam, um ein Gleichgewicht herzustellen. Nun ist aber dem nicht so, und hieraus hat man geschlossen, daß in tieferen Schichten eine Gegenströmung den Ueberschuß der Mittelländischen Gewässer durch die Enge von Gibraltar wieder in das Atlantische Becken führe.

Und genau so ist’s wirklich. Der Nautilus fuhr mit dieser Strömung sehr rasch durch die Enge. Einen Augenblick Zeit hatte ich, um die Ruinen des Herkulestempels zu bewundern, welcher nach Plinius und Avienus sammt der niedrigen Insel, worauf er stand, einst versunken ist. Einige Minuten darauf schwammen wir auf den Wogen des Atlantischen Meeres.

Achtes Capitel

Achtes Capitel

Die Bai von Vigo

Das Atlantische Meer! Die ungeheure Wasserfläche umfaßt fünfundzwanzig Millionen Quadratmeilen, bei einer Länge von neuntausend Meilen gegen eine mittlere Breite von zweitausendsiebenhundert Meilen. Das nun so bedeutende Meer war im Alterthum fast nicht gekannt, außer vielleicht den Karthagern, die bei ihren Handelsfahrten längs den Westküsten Europa’s und Afrika’s segelten. Seine Gestade mit parallelen Krümmungen bilden eine ungeheure Umfangslinie, und es münden in dasselbe die größten Ströme der Welt, St. Lorenz, Mississippi, Amazonenstrom, La-Plata, Orinocco, Niger, Senegal, Elbe, Loire, Rhein, und führen ihm die Gewässer aus den civilisirtesten Ländern und den wildesten Gegenden zu. Die prachtvolle Fläche ist beständig von den Schiffen aller Nationen unter’m Schutz aller Flaggen der Welt befahren.

Der Nautilus hatte bis zur Stunde nahezu zehntausend Lieues in drei und ein halb Monaten zurückgelegt, was mehr beträgt, als der Umfang des ganzen Erdkreises. Wohin fuhren wir jetzt, und was sollte uns bevorstehen?

Sobald wir aus der Straße von Gibraltar heraus waren, fuhr der Nautilus in die hohe See und tauchte zur Oberfläche empor, so daß wir wieder unseren täglichen Spaziergang auf der Plattform machen konnten.

Ich stieg sogleich in Gesellschaft von Ned-Land und Conseil hinauf. Zwölf Meilen entfernt sah man in unbestimmten Umrissen das Cap St. Vincent, die südwestliche Spitze der spanischen Halbinsel. Es wehte ein ziemlich starker Südwind. Das Meer war unruhig, die Fluthen gingen hoch, brachte durch arge Stöße den Nautilus in Schwankung, so daß man sich auf der Plateform fast nicht aufrecht halten konnte. Wir begaben uns also, nachdem mir uns ein wenig an der frischen Luft erquickt hatten, wieder hinab.

Ich ging in mein Zimmer, Conseil in seine Cabine, aber der Canadier folgte mir nach mit etwas befangener Miene. Unsere rasche Fahrt durch’s Mittelländische Meer hatte ihm nicht gestattet, sein Vorhaben in Ausführung zu bringen, und er konnte sein Mißbehagen kaum verheimlichen.

Als die Thüre meines Zimmers geschlossen war, setzte er sich nieder, und sah mich schweigend an.

»Freund Ned, sagte ich zu ihm, ich verstehe Sie, aber Sie haben sich keinen Vorwurf zu machen. Unter den Umständen der Fahrt des Nautilus wäre der Gedanke an ein Entfliehen Narrheit gewesen!«

Ned-Land schwieg. Aus seinen zusammengepreßten Lippen, der gerunzelten Stirn konnte man abnehmen, daß er stark von einer fixen Idee befangen war.

»Sehen wir, fuhr ich fort, es ist noch nichts verloren. Wir fahren längs der portugiesischen Küste, sind nicht weit von Frankreich und England, wo wir leicht eine Zufluchtsstätte finden würden. Ja, wenn der Nautilus, als wir aus der Straße von Gibraltar herauskamen, sogleich südwärts gesteuert wäre; hätte er uns in Gegenden geschleppt, wo die Continente mangeln, so würde ich Ihre Unruhe theilen. Aber wir wissen jetzt, der Kapitän Nemo meidet nicht die civilisirten Länder, und ich glaube, daß Sie in einigen Tagen mit einiger Sicherheit werden handeln können.«

Ned-Land sah mich noch starrer an, öffnete endlich die Lippen und sprach: »Diesen Abend soll’s sein.«

Ich nahm mich schnell zusammen. Ich war, gestehe ich, auf diese Mittheilung nicht gefaßt. Gerne hätte ich dem Canadier geantwortet, aber es versagten mir die Worte.

»Wir waren darüber einig, eine Gelegenheit abzuwarten, fuhr Ned-Land fort. Eine solche ist nun da. Wir werden diesen Abend nur einige Meilen von der spanischen Küste entfernt sein. Die Nacht ist dunkel; der Wind weht günstig. Ich habe Ihr Wort, Herr Arronax, und ich rechne auf Sie.«

Da ich fortwährend schwieg, stand der Canadier auf, trat zu mir heran und sprach:

»Diesen Abend um neun Uhr. Ich hab’s Conseil schon gesagt. Dann wird der Kapitän Nemo in seiner Kammer sein, und wahrscheinlich schon zu Bette. Weder die Maschinisten, noch jemand von der Mannschaft kann uns sehen. Conseil und ich werden uns auf die Centralleiter begeben; Sie, Herr Arronax, werden in der Bibliothek sich aufhalten und auf mein Signal warten. Ruder, Mast und Segel befinden sich schon im Boot. Ich habe sogar einige Lebensmittel hingeschafft. Ich habe mir einen Schraubenschlüssel verschafft, um das Boot vom Nautilus los zu machen. So ist alles vorbereitet. Also diesen Abend.

– Das Meer ist nicht günstig, sagte ich.

– Ich geb’s zu, erwiderte der Canadier, aber man muß es riskiren. Die Freiheit will bezahlt sein. Uebrigens ist das Boot solid, und einige Meilen mit treibendem Wind haben nicht viel auf sich. Wer weiß, ob wir nicht binnen heut‘ und morgen hundert Meilen weit in die hohe See kommen. Wenn uns die Umstände günstig sind, werden wir zwischen zehn und elf Uhr an einem Punkt des festen Landes ausgeschifft, oder nicht mehr unter den Lebenden sein. Darum, Gott befohlen, und diesen Abend!«

Nach dieser Aeußerung zog sich der Canadier zurück und ließ mich in ziemlicher Bestürzung. Ich hatte gedacht, wann der Fall einträte, würde ich Zeit zu überlegen, zum Besprechen haben. Mein starrköpfiger Genosse gestattete mir dies nicht. Was hätte ich ihm auch trotzdem sagen können? Ned-Land hatte hundertmal Recht. Es war beinahe ein günstiger Umstand, den er benutzen wollte. Konnte ich die Verantwortlichkeit übernehmen, aus persönlichem Interesse die Zukunft meiner Gefährten zu beeinträchtigen? Konnte nicht morgen der Kapitän Nemo uns in die weite See hinaus nach allen Weltgegenden hin schleppen?

In diesem Augenblick gab mir ein ziemlich starkes Zischen zu erkennen, daß die Behälter gefüllt wurden, und der Nautilus tauchte unter in die Atlantischen Wogen.

Ich blieb auf meinem Zimmer. Ich wollte dem Kapitän aus dem Wege gehen, um die Bewegung, welche mich beherrschte, ihm zu verbergen. So brachte ich einen traurigen Tag hin im Schwanken zwischen dem Wunsch, wieder in Besitz meiner freien Verfügung über mich zu gelangen, und dem Bedauern, diesen merkwürdigen Nautilus zu verlassen, ohne meine unterseeischen Studien zu vollenden; diesen meinen Ocean, wie ich ihn schon gerne nannte, ohne seine tiefsten Schichten untersucht, ohne die Geheimnisse, welche mir die Gewässer der Indischen Meere und des Stillen Oceans enthüllt hatten, auch ihm abzulauschen! Mein Roman fiel mir beim ersten Band aus den Händen, mein Traum zerrann im schönsten Moment! Schlimme Stunden waren dies, während ich bald mich sammt meinen Gefährten am Lande in Sicherheit sah, bald im Widerspruch mit meiner Vernunft wünschte, es möge ein unvorhergesehener Umstand die Verwirklichung der Projecte Ned-Land’s hindern.

Ich begab mich zweimal in den Salon. Ich wollte den Compaß befragen. Ich wollte nachsehen, ob die Richtung des Nautilus uns wirklich der Küste näher oder von derselben abwärts führte. Nein. Der Nautilus hielt sich unverändert in den portugiesischen Gewässern, in nördlicher Richtung längs den Gestaden des Oceans.

Man mußte dieses benutzen und zur Flucht sich bereit machen. Mein Gepäck war nicht schwer: meine Notizen, nichts weiter.

Ich fragte mich weiter, wie der Kapitän Nemo unser Entweichen aufnehmen; welche Unruhe, vielleicht Kränkungen es ihm bereiten würde; was er wohl thun würde, wenn der Plan ihm enthüllt oder vereitelt würde. Ich hatte gewiß nicht über ihn zu klagen, im Gegentheil, nirgends war mir eine aufrichtigere Gastfreundschaft zu Theil geworden, wie bei ihm. Doch konnte man mich nicht des Undanks beschuldigen, wenn ich ihn verließ. Wir waren durch keinen Eid an ihn gebunden. Er zählte allein auf die Gewalt der Dinge, und nicht auf unser Wort, um uns auf immer in seine Nähe zu fesseln. Aber diese offen ausgesprochene Absicht, uns ewig als Gefangene an seinen Bord festzuhalten, rechtfertigte unsere Gegenbemühungen.

Seit unserem Besuch auf der Insel Santorin hatte ich den Kapitän nicht wieder gesehen. Sollte der Zufall mich vor unserem Entweichen noch einmal mit ihm zusammenbringen? Ich wünschte und fürchtete es zugleich. Ich horchte, ob ich ihn nicht in seinem an das meinige stoßenden Zimmer auf- und abgehen hören könnte. Ich vernahm nicht das geringste Geräusch; das Zimmer war ohne Zweifel leer.

Darauf fragte ich mich sogar, ob dieser seltsame Mann an Bord sei. Seit jener Nacht, in welcher das Boot den Nautilus um einer geheimnißvollen Verrichtung willen verlassen, hatten sich meine Ideen in Hinsicht auf denselben ein wenig geändert. Ich dachte, was er auch sagen mochte, der Kapitän Nemo müsse wohl einige Verbindungen gewisser Art mit der Erde unterhalten haben. Verließ er niemals den Nautilus? Oft verflossen ganze Wochen, ohne daß ich mit ihm zusammentraf. Was trieb er unterdessen? Und während ich glaubte, er sei einer Anwandlung von Menschenhaß anheim gefallen, vollführte er nicht indessen in der Entfernung einen stillen Act, dessen Natur mir bis jetzt verborgen geblieben?

Alle diese Ideen bestürmten mich mit einem Mal. In der seltsamen Lage, worin wir uns befanden, konnte das Feld der Vermuthungen nur ein unendliches sein. Ich empfand ein unerträgliches Mißbehagen. Dieser Tag schien kein Ende nehmen zu wollen. Meiner Ungeduld flossen die Stunden zu langsam hin.

Mein Diner wurde mir wie immer auf mein Zimmer gebracht. Das Essen schmeckte mir nicht, da ich zu sehr von Gedanken eingenommen war. Um sieben Uhr stand ich von der Tafel auf. Nur noch hundertundzwanzig Minuten, bis ich mit Ned-Land zusammen kommen sollte. Meine Unruhe verdoppelte sich. Mein Puls schlug ungestüm; ich konnte mich nicht stille halten, ging hin und her, hoffte durch die Bewegung den Aufruhr meines Geistes zu stillen. Der Gedanke an ein Mißlingen unseres verwegenen Vorhabens war mir am wenigsten peinlich; aber es pochte doch mein Herz bei dem Gedanken, daß dasselbe, bevor wir den Nautilus verlassen, entdeckt, und ich vor das Angesicht des entrüsteten Kapitäns zurückgebracht würde.

Ich wollte zum letzten Male den Salon sehen, schlich mich durch den Gang und kam in das Museum, wo ich so viele angenehme und nützliche Stunden hingebracht hatte. Ich schaute mir alle diese Schätze und Kleinodien noch einmal an, als sollte ich in ein ewiges Exil gehen. Ich war im Begriff, diese Wunder der Natur, diese Meisterwerke der Kunst, die mir so lieb geworden, auf immer zu verlassen.

Indem ich so den Salon durchlief, kam ich an die Thüre, welche in des Kapitäns Zimmer führte. Zu meinem großen Erstaunen war sie halb geöffnet. Ich fuhr unwillkürlich zurück. Wenn der Kapitän Nemo in seinem Zimmer war, konnte er mich sehen. Doch da ich kein Geräusch hörte, trat ich näher. Das Zimmer war leer; ich drückte die Thüre auf, that einige Schritte hinein. Stets das gleiche, mönchische Aussehen.

Jetzt fielen mir einige, an den Wänden hängende Kupferstiche auf, welche ich früher übersehen hatte. Es waren Brustbilder der großen historischen Männer, deren Dasein eine ununterbrochene Hingebung an eine große menschliche Idee enthielt, Kosziusko, Botzaris, Oconnel, Washington, Manin, Lincoln, und endlich der Märtyrer der Negerbefreiung, John Brown.

Welches Band einigte diese heroischen Seelen mit der des Kapitäns Nemo? Konnte ich endlich das Geheimniß seines Lebens lösen? War er der Kampfheld unterdrückter Völker, Befreier der Sclavenmassen? Hatte er in den letzten politischen oder socialen Bewegungen dieses Jahrhunderts eine Rolle gespielt?

Plötzlich schlug es acht Uhr. Der erste Glockenschlag riß mich aus meinen Träumen. Ich zitterte, als hätte ein unsichtbares Auge in’s tiefste Geheimniß meiner Gedanken dringen können, und stürzte zum Zimmer hinaus.

Hier hafteten meine Blicke auf dem Compaß. Die Richtung unserer Fahrt war stets nördlich. Das Log zeigte eine mäßige Schnelligkeit, das Manometer eine Tiefe von etwa sechzig Fuß. Die Umstände waren also dem Vorhaben des Canadiers günstig.

Ich ging wieder in mein Zimmer und kleidete mich rasch an: Seestiefel, Ottermütze, Reiserock von Byssus mit Robbenfell gefüttert. Nun war ich fertig, ich wartete. Der Wellenschlag der Schraube allein unterbrach die tiefe Stille, welche an Bord herrschte. Ich horchte, spitzte mein Ohr. War nicht aus einigen Stimmen, die man plötzlich vernahm, abzunehmen, daß Ned-Land bei seinem Entweichungsplan war überrascht worden? Eine Unruhe zum Sterben befiel mich. Vergeblich trachtete ich meine Gemüthsruhe wieder zu gewinnen.

Einige Minuten vor neun Uhr lauschte ich an der Thüre des Kapitäns. Kein Geräusch. Ich verließ mein Zimmer und begab mich wieder in den Salon, der in halbem Dunkel war, aber Niemand anwesend.

Ich öffnete die Thüre zur Bibliothek. Sie war ebenso düster, ebenso leer. Ich stellte mich neben die Thüre, welche zur Mittelstiege führte, und wartete auf Ned-Land’s Zeichen.

In dem Moment wurden die Bewegungen der Schraube merklich schwächer, dann hörte sie gänzlich auf. Weshalb diese Veränderung? Sollte dieses Anhalten das Vorhaben Ned-Land’s begünstigen oder stören? Ich konnte es nicht sagen.

Nur noch meine Pulsschläge unterbrachen die Stille.

Plötzlich verspürte man einen leichten Stoß. Ich merkte, daß der Nautilus auf dem Meeresgrund hielt. Meine Unruhe verdoppelte sich. Kein Signal vom Canadier war zu vernehmen. Ich hatte Lust, Ned-Land aufzusuchen, um ihn aufzufordern, seinen Versuch zu verschieben, denn wir fuhren jetzt nicht mehr unter den gewöhnlichen Bedingungen …

In dem Augenblick öffnete sich die Thüre des großen Saales und der Kapitän Nemo erschien. Er bemerkte mich, und sprach ohne weiteres:

»Ah! Herr Professor, sagte er in liebenswürdigem Ton, ich suchte Sie. Kennen Sie die Geschichte Spaniens?«

Mag man die Geschichte seines eigenen Landes noch so gründlich verstehen, in einer Lage, wie die meinige war, den Geist verstört, den Kopf verloren, wäre es unmöglich, ein Wort daraus anzuführen.

»Nun? wiederholte der Kapitän Nemo, Sie haben meine Frage gehört? Kennen Sie die Geschichte Spaniens?

– Sehr wenig, erwiderte ich.

– Das sind rechte Gelehrte, sagte der Kapitän, die nichts wissen. Dann setzen Sie sich, fuhr er fort, und ich will Ihnen eine merkwürdige Episode aus der spanischen Geschichte erzählen.«

Der Kapitän lagerte sich auf einen Divan, und ich setzte mich neben ihn im Halbdunkel.

»Herr Professor, sagte er zu mir, geben Sie wohl Acht. Diese Geschichte wird Sie in gewisser Hinsicht interessiren, denn sie wird auf eine Frage antworten, welche Sie wohl noch nicht zu lösen vermochten.

– Ich gebe Acht, Kapitän, sagte ich, indem ich nicht wußte, wo er damit hinaus wollte, und fragte mich, ob dieser Zwischenfall sich auf unser Fluchtproject beziehe.

– Herr Professor, fuhr der Kapitän Nemo fort, wenn es Ihnen beliebt, gehen wir bis auf 1702 zurück. Es ist Ihnen bekannt, daß damals Ihr König Ludwig XIV., in der Meinung, ein Machtherrscher brauche nur die Hand aufzuheben, um die Scheidewand der Pyrenäen niederzuwerfen, seinen Enkel, den Herzog von Anjou, den Spaniern zum König aufnöthigte. Dieser Prinz, der unter dem Namen Philipp V. regierte, fand im Ausland starken Widerstand.

»In der That hatten im Jahre zuvor die Königshäuser von Holland, Österreich und England im Haag einen Allianztractat geschlossen, um Philipp V. die spanische Krone zu entreißen und einem Erzherzog auf das Haupt zu setzen, welchem sie zu früh den Namen Karl III. gaben.

»Spanien mußte dieser Coalition Widerstand leisten, aber es war fast ohne Soldaten und Seeleute. Doch an Gold fehlte es ihm nicht, freilich unter der Bedingung, daß seine mit Gold und Silber beladenen Galionen aus Amerika in seine Häfen einlaufen konnten. Nun erwartete es gegen Ende des Jahres 1702 eine reiche Sendung, unter Bedeckung einer französischen Flotte von dreiundzwanzig Schiffen unter dem Oberbefehl des Admirals Chateau-Renaud, denn die Flotten der Alliirten kreuzten damals im Atlantischen Meer.

»Diese Sendung sollte zu Cadix landen; aber da der Admiral hörte, daß in jener Gegend die englische Flotte kreuzte, beschloß er einen französischen Hafen aufzusuchen.

»Die spanischen Befehlshaber der Sendung protestirten gegen diesen Beschluß. Sie wollten in einen spanischen Hafen einlaufen, und in Ermangelung von Cadix in die Bai von Vigo an der Nordwestküste Spaniens, welche nicht blockirt war.

»Der Admiral Chateau-Renaud war schwach genug, dieser Zumuthung Folge zu geben, und die Galionen liefen in die Bai von Vigo ein.

»Leider hat diese Bai nur eine offene Rhede, die nicht vertheidigt werden kann. Man mußte daher schleunigst, bevor die Flotten der Coalirten heran kamen, die Galionen ausladen, und es hätte auch dafür nicht an Zeit gemangelt, wäre nicht plötzlich eine elende Rivalitätsfrage entstanden.

»Sie folgen wohl dem Zusammenhang der Thatsachen? fragte mich der Kapitän Nemo.

– »Vollständig,« sagte ich, indem ich noch nicht wußte, weshalb er mir diese historische Lection ertheilte.

»Ich fahre fort. Hören Sie, was vorging. Die Kaufmannschaft zu Cadix hatte ein Privileg, wonach alle Waaren aus Westindien dort mußten ausgeladen werden. Diesem Vorrecht also widersprach es, daß man die Goldbarren zu Vigo auslud. Auf ihre Beschwerde gewährte ihnen der schwache Philipp V., daß die Sendung, ohne ausgeladen zu werden, auf der Rhede zu Vigo in Sequester bleiben sollte, bis die feindlichen Flotten sich wieder entfernt haben würden.

– Während man nun diesen Bescheid gab, erschien am 22. October 1702 die englische Flotte in der Bai von Vigo. Der Admiral Chateau-Renaud, obwohl schwächer an Streitkräften, kämpfte tapfer. Als er aber sah, daß die Schätze in die Hände der Feinde fallen mußten, steckte er seine Galionen in Brand und versenkte sie sammt ihrer reichen Ladung.«

Hier hielt der Kapitän inne. Ich gestehe, ich sah noch nicht, worin das Interesse dieser Geschichte für mich liegen sollte.

»Nun? fragte ich.

– Nun, Herr Arronax, erwiderte der Kapitän Nemo, wir befinden uns eben in dieser Bai von Vigo, und es steht bei uns, in ihre Geheimnisse zu dringen.«

Der Kapitän stand auf und bat mich, ihn zu begleiten. Ich hatte Zeit gehabt, mich zu fassen. Ich folgte. Der Salon war dunkel, aber durch die Fenster funkelten die Meeresfluthen. Ich schaute.

In einem Umkreis von einer halben Meile um den Nautilus herum waren die Gewässer von elektrischem Licht durchdrungen. Ein Theil der Mannschaft mit Skaphandern gepanzert, war beschäftigt, halb verfaulte Fässer abzuräumen und Kisten zu leeren inmitten des schwarzen Strandgutes. Aus diesen Kisten und Tonnen kamen Gold- und Silberbarren zum Vorschein, Piaster und Edelsteine gleich Springwassern. Der Sand war damit bedeckt. Beladen mit so kostbarer Beute brachten diese Männer sie zum Nautilus, legten sie nieder, und setzten dann ihr Fischen in der unerschöpflichen Quelle fort.

Ich verstand wohl, daß an dieser Stelle am 22. October 1702 die Schlacht vorgefallen, und die für Rechnung der spanischen Regierung geladenen Galionen versenkt waren. Hierhin begab sich der Kapitän Nemo, um nach Bedürfniß Millionen einzukassiren, und sie als Ballast mit zu nehmen. Für ihn allein hatte Amerika diese reichen Schätze gesendet. Er war directer Universalerbe der den Incas und den von Ferdinand Cortez überwundenen Eingeborenen entrissenen Schätze.

»Wußten Sie, Herr Professor, fragte er mich lächelnd, daß das Meer solche Schätze birgt?

– Ich wußte, erwiderte ich, daß man das in den Gewässern außer Umlauf gesetzte Geld auf zwei Millionen Tonnen anschlägt.

– Allerdings, aber um dasselbe heraufzuholen, würden die Kosten den Gewinn überwiegen. Hier dagegen habe ich nur zusammen zu raffen, was die Menschen verloren haben, und nicht blos in dieser Bai von Vigo, sondern auch noch unzähligen anderen Stellen von Schiffbruch, welche auf meiner unterseeischen Karte notirt sind. Begreifen Sie jetzt, daß ich einen Reichthum von Milliarden habe?

– Ja wohl, Kapitän. Gestatten Sie mir jedoch Ihnen zu sagen, daß Sie mit dem Ausbeuten dieser Bai nur den Arbeiten einer rivalisirenden Gesellschaft zuvorgekommen sind.

– Und welcher?

– Einer Gesellschaft, welche von der spanischen Regierung das Privilegium erhalten hat, die versenkten Galionen aufzusuchen. Die Actionäre werden durch den Köder einer ungeheuren Dividende angelockt, denn man schlägt den Werth dieser versenkten Schätze auf fünfhundert Millionen an.

– Fünfhundert Millionen! erwiderte der Kapitän Nemo. Sie waren vorhanden, sind’s aber nicht mehr.

– Wirklich, sagte ich. Daher wäre eine angemessene Warnung an die Aktionäre eine Wohlthat. Wer weiß übrigens, ob man’s danken würde. Die Spieler bedauern bei alledem meist weniger die Einbuße an Geld, als an thörichten Hoffnungen. Trotzdem bedaure ich sie weniger, als die Tausende von Unglücklichen, welchen bei richtiger Vertheilung solche Schätze nützen konnten, während sie nun für dieselben auf immer unfruchtbar sind!«

Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, als ich merkte, daß sie den Kapitän Nemo verletzen mußten.

– Unfruchtbar! erwiderte er lebhaft. Glauben Sie denn, mein Herr, daß diese Schätze verloren sind, wenn ich sie hole? Nicht für mich selbst, wie Sie meinen, gab‘ ich mir die Mühe diese Schätze zu heben. Woher wissen Sie denn, daß ich nicht einen guten Gebrauch davon mache? Glauben Sie, ich wisse nicht, daß es auf dieser Erde leidende Geschöpfe giebt, unterdrückte Racen, Unglückliche zu unterstützen, Opfer zu rächen? Begreifen Sie nicht? …«

Bei diesen letzten Worten hielt der Kapitän Nemo ein, vielleicht bedauernd, daß er zu viel gesprochen habe. Aber ich hatte es geahnt. Welche Beweggründe auch ihn gedrungen hatten, die Unabhängigkeit unter’m Meer zu suchen, vor allem war er Mensch geblieben! Sein Herz schlug noch bei den Leiden der Menschheit, und seine unbegrenzte Barmherzigkeit wendete sich sowohl den unterdrückten Racen, als dem Einzelnen zu!

Jetzt begriff ich auch, welche Bestimmung jene Millionen hatten, welche der Kapitän Nemo ausschiffte, als der Nautilus in den Gewässern der im Aufstand begriffenen Insel Creta fuhr!

Neuntes Capitel

Neuntes Capitel

Ein verschwundener Continent

Am folgenden Morgen, den 19. Februar, trat der Canadier in mein Zimmer. Ich erwartete seinen Besuch. Seine Miene war sehr herabgestimmt.

»Nun, mein Herr, sagte er zu mir.

– Nun, Ned, der Zufall ist gestern uns nicht günstig gewesen.

– Ja! Der verdammte Kapitän mußte gerade zu der Stunde anhalten, da wir im Begriff waren, von seinem Fahrzeug zu entweichen.

– Ja, Ned, er hatte Geschäfte bei seinem Banquier.

– Seinem Banquier!

– Oder vielmehr bei seinem Bankhause. Ich verstehe darunter diesen Ocean, wo seine Schätze sicherer aufgehoben sind, als sie’s in den Staatskassen wären.«

Ich erzählte darauf dem Canadier, was am Abend zuvor sich begeben hatte, in der stillen Hoffnung, ihn auf den Gedanken zu bringen, den Kapitän nicht zu verlassen; aber meine Erzählung hatte nur den Erfolg, daß Ned energisch sein Bedauern aussprach, daß er nicht auf eigene Rechnung einen Ausflug auf den Kampfplatz von Vigo hatte machen können.

»Kurz, sagte er, es ist noch nicht aller Tage Abend! nur ein vergeblicher Wurf der Harpune! Ein andermal wird’s glücken, und gleich diesen Abend, wenn es sein muß …

– In welcher Richtung fährt der Nautilus? fragte ich.

– Ich weiß nicht, erwiderte Ned.

– Nun denn! So werden wir zu Mittag die Aufnahme sehen.«

Der Canadier kehrte zu Conseil zurück. Sobald ich angekleidet war, begab ich mich in den Salon. Der Compaß beruhigte nicht. Der Nautilus fuhr in süd-süd-westlicher Richtung. Wir kehrten Europa den Rücken.

Ich wartete mit einiger Ungeduld, bis die Aufnahme geschah. Gegen halb zwölf entleerten sich die Behälter und unser Fahrzeug stieg zur Oberfläche des Oceans auf. Ich eilte auf die Plattform, Ned-Land war mir schon zuvor gekommen.

Es war kein Land mehr in Sicht. Auf der unermeßlichen Meeresfläche zeigten sich nur einige Segel am Horizont, ohne Zweifel von solchen, die bis zum Cap Roque die günstigen Winde zur Fahrt um das Cap der guten Hoffnung herum suchen. Es war bedeckter Himmel; ein Windstoß bereitete sich vor.

Ned versuchte voll Zorn den nebeligen Horizont zu durchdringen. Er hoffte noch, daß hinter diesem Nebel sich das so ersehnte Land zeigen werde.

Um zwölf Uhr schien die Sonne einen Augenblick durch. Der Lieutenant benutzte diesen hellen Zeitpunkt, um die Höhe aufzunehmen. Darauf, als das Meer unruhiger ward, stiegen wir wieder hinab, und die Lücke ward wieder geschlossen.

Als ich eine Stunde nachher auf die Karte sah, bemerkte ich, daß die Lage des Nautilus darauf eingetragen war mit 16° 17′ Länge, und 33° 22′ Breite, hundertundfünfzig Lieues von der nächsten Küste entfernt. An ein Entweichen konnte man nicht mehr denken, und man kann sich den Zorn des Canadiers vorstellen, als ich ihm zu erkennen gab, wo wir uns befanden.

Ich meines Theils war nicht übermäßig untröstlich. Ich fühlte gleichsam eine lastende Bürde mir abgenommen, und ich konnte mich mit einer gewissen Ruhe wieder zu meiner gewohnten Beschäftigung wenden.

Am Abend gegen elf Uhr erhielt ich ganz unerwartet den Besuch des Kapitäns Nemo. Er fragte mich sehr höflich, ob ich mich von dem Wachen in der vorigen Nacht ermüdet fühle. Ich sagte Nein.

»Dann, Herr Arronax, will ich Ihnen einen merkwürdigen Ausflug vorschlagen.

– Thun Sie das, Kapitän.

– Sie haben den Meeresgrund noch nicht anders besucht, als bei Tag und Sonnenschein. Würde es Ihnen gefallen, ihn in dunkler Nacht zu sehen?

– Recht gerne.

– Dieser Spaziergang wird ermüdend sein, sag‘ ich zum voraus. Man muß weit gehen und einen Berg hinauf. Die Wege sind nicht sehr gut gebahnt.

– Was Sie da sagen, Kapitän, erhöht nur meine Neugierde. Ich bin bereit, Sie zu begleiten.

– Nun, so kommen Sie, Herr Professor, um unsere Skaphander anzuziehen.«

Als mir im Ankleidezimmer waren, sah ich, daß weder meine Gefährten, noch irgend Jemand von der Bemannung uns bei diesem Ausflug begleiten sollten. Der Kapitän hatte mir nicht einmal vorgeschlagen, Ned oder Conseil mit zu nehmen.

In einigen Augenblicken waren wir angezogen. Man gab uns reichlich mit Luft versehene Behälter auf den Rücken, aber die elektrischen Lampen waren nicht in Bereitschaft. Ich bemerkte es dem Kapitän.

»Sie würden uns unnütz sein«, erwiderte er.

Ich glaubte mißverstanden zu haben, aber ich konnte meine Bemerkung nicht wiederholen, denn der Kopf des Kapitäns war schon in seiner Metallumhüllung verschwunden. Ich legte meinen Panzer vollständig an, und fühlte, daß man mir einen beschlagenen Stock in die Hand gab, und nach einigen Minuten faßten wir Fuß auf dem Grunde des Atlantischen Meeres in einer Tiefe von dreihundert Meter.

Es war bald Mitternacht, und die Gewässer in tiefem Dunkel, aber der Kapitän Nemo zeigte mir, in der Ferne einen röthlichen Punkt, einen weithin leuchtenden Schimmer, der etwa zwei Meilen vom Nautilus entfernt glänzte. Was es für ein Feuer war, wodurch genährt, weshalb und wie es in der Wassermasse sich wieder belebte, hätte ich nicht sagen können. Jedenfalls leuchtete es uns, obwohl unbestimmt; aber ich gewöhnte mich bald an dies eigenthümliche Dunkel; und ich begriff, wie unnütz unter diesen Umständen der Ruhmkorff’sche Apparat gewesen wäre.

Wir schritten also neben einander her, gerade auf das bezeichnete Feuer los. Der ebene Boden stieg unmerklich. Wir machten mit Hilfe des Stockes große Schritte; aber im Ganzen kamen wir langsam vorwärts, denn unsere Füße blieben oft in einer Art Schlamm stecken, der mit Algen durchknetet und mit flachen Steinen bedeckt war.

Während des Voranschreitens vernahm ich über meinem Kopf ein gewisses Nieseln. Dieses Geräusch wurde mitunter stärker und erzeugte gleichsam ein anhaltendes Knistern. Die Ursache wurde mir bald klar. Es war der Regen, welcher ungestüm und prasselnd auf die Oberfläche fiel. Es kam mir instinctartig das Gefühl, als würde ich durchnäßt! Vom Wasser mitten im Wasser! Ich konnte nicht umhin, über den närrischen Gedanken zu lachen. Aber unter dem dichten Skaphanderkleid fühlt man das nasse Element nicht mehr, und man meint mitten in einer Atmosphäre zu sein, die etwas dichter, wie auf der Erde wäre. Das ist alles.

Nachdem wir eine halbe Stunde weit gegangen, wurde der Boden steinig. Die Medusen, die mikroskopischen Schalthiere, die Seefedern beleuchteten ihn ein wenig mit phosphorescirendem Schimmer. Ich erblickte dann Steinhaufen, die von Millionen Zoophyten und einer Menge Algen bedeckt waren. Der Fuß glitt oft aus auf dieser klebrigen Decke von Tang, und ohne meinen eisenbeschlagenen Stock wäre ich manchmal gefallen. Wandte ich mich um, so sah ich stets die weißliche Leuchte des Nautilus, welche in der Entfernung zu erbleichen begann.

Diese Steinschichtungen, wovon ich eben sprach, waren auf dem Grunde des Oceans mit einer gewissen Regelmäßigkeit gereiht, welche ich nicht zu erklären wußte. Ich gewahrte riesenhafte Furchen, die sich im fernen Dunkel verloren, und deren Länge man nicht zu schätzen im Stande war. Noch andere besondere Eigenthümlichkeiten zeigten sich, welche ich nicht zu erklären wußte. Es kam mir vor, als zertraten meine schweren bleiernen Sohlen eine Lage von Gebein, das mit trockenem Geräusch krachte. Was war dies für eine weite Ebene, über die ich herschritt? Ich hätte den Kapitän fragen mögen, aber seine Zeichensprache, wodurch er mit seinen Gefährten, wann sie ihn bei seinen unterseeischen Ausflügen begleiteten, sich verständigen konnte, war mir noch unverständlich.

Inzwischen vergrößerte sich der röthliche Schein, welcher uns leitete, und setzte den Horizont in Flammen. Daß es unter den Wassern einen solchen Lichtheerd gab, beunruhigte mich im höchsten Grade. War’s eine elektrische Ausströmung, die sich kund gab? oder eine den Gelehrten der Erde noch unbekannte Naturerscheinung? Oder gar – der Gedanke fuhr mir durch den Kopf – hatte der Mensch bei dieser Gluth die Hand im Spiele? Fachte er diesen Brand an? Sollte ich auf tiefem Meeresgrunde Genossen, Freunde des Kapitäns Nemo finden, welche gleich ihm ein so seltsames Dasein hatten, denen er einen Besuch abstatten wollte? Sollte ich dort unten eine ganze Kolonie Landesflüchtiger finden, welche des irdischen Elends müde, die Unabhängigkeit im tiefsten Grunde des Oceans aufgesucht und gefunden hatten? Alle diese tollen, unglaublichen Ideen verfolgten mich, und in dieser Stimmung des Geistes, der unablässig von den zahllosen Wundern, die unter meinen Augen geschahen, überspannt war, wäre ich nicht überrascht gewesen, wenn ich im tiefen Meeresgrunde auf eine der unterseeischen Städte, wovon der Kapitän Nemo träumte, gestoßen wäre!

Unser Weg wurde immer heller. Der bleiche Schimmer strahlte auf dem Gipfel eines etwa achthundert Fuß hohen Berges. Aber was ich bemerkte, war nur der Widerschein, welcher sich durch das Krystall der Wasserschichten bildete. Die Quelle dieser unerklärbaren Helle, die Gluthstätte, war auf der entgegengesetzten Seite gelegen.

Mitten in diesen steinigen Irrgängen, welche den Grund des Atlantischen Meeres durchzogen, ging der Kapitän Nemo ohne Anstoß weiter; er kannte die dunkeln Pfade. Ohne Zweifel hatte er sie schon oft gemacht, und konnte sich nicht verirren. Ich folgte ihm mit unerschütterlichem Vertrauen. Er kam mir vor, wie ein Genius des Meeres, und wenn er vor mir her schritt, bewunderte ich seine hohe Gestalt, die auf dem hellen Hintergrunde schwarz abstach.

Um ein Uhr früh befanden mir uns an den ersten Gebirgsaufgängen; aber um hinauf zu kommen, mußte man sich durch die schwierigen Pfade eines ungeheuren Gehölzes wagen.

Ja, ein Gehölz von abgestorbenen, blätterlosen, saftlosen Bäumen, die durch Einwirkung des Wassers mineralisirt waren, und über welche hier und da riesenhafte Fichten emporragten. Es war, so zu sagen, ein noch aufrecht stehender Kohlenschatz, der mit den Wurzeln im Boden steckte, und dessen Gezweig, gleich den seinen Papierausschnitten, sich auf der Oberfläche der Gewässer klar abzeichnete. Man stellte sich einen Harzwald, an den Seiten eines Gebirges vor, aber einen versunkenen Wald. Die Pfade waren mit Tang und Meergras überschüttet, worunter eine Welt von Schalthieren wimmelte. Ich klimmte die Felsen hinan, schritt über hingestreckte Baumstämme, zerriß die Meer-Lianen, welche sich von einem Baum zum anderen hinzogen, scheuchte die Fische auf, welche von einem Zweig zum anderen entflohen. Fortgerissen, fühlte ich keine Müdigkeit. Ich folgte meinem Führer, welchem Ermüdung unbekannt war.

Welch ein Schauspiel! Wie ließe sich ein Bild geben, von dieser Waldung und diesen Felsen, unten düster und wild, oben in der Färbung rother Töne durch Einwirkung jenes hellen Schimmers, welche durch die zurückstrahlende Kraft der Gewässer verstärkt wurde? Wir klimmten Felsen hinan, die späterhin mit dem dumpfen Getöse einer Lavine zusammen fielen. Rechts und links zogen finstere Gänge, worin sich der Blick verlor.

Der Kapitän Nemo ging stets aufwärts. Ich wollte nicht zurück bleiben, folgte ihm kühn, unterstützt durch meinen tüchtigen Stock. Ein Fehltritt wäre verderblich gewesen auf diesen engen Pfaden neben Abgründen; aber ich schritt weiter mit festem Tritt und ohne Schwindel. Bald sprang ich über einen tiefen Spalt, bald wagte ich mich über einen wankenden Baumstamm, der umgestürzt von einer Kluft zur anderen führte. Dort schienen monumentale Felsen auf unregelmäßiger Basis überhängend, den Gleichgewichtsgesetzen zu trotzen.

Und ich selbst fühlte nicht den Unterschied der starken Dichtigkeit des Wassers, wenn ich, trotz meines schwerfälligen Anzugs, der kupfernen Kopfbedeckung und den bleiernen Sohlen über steile Abhänge so leicht fast, wie eine Gemse aufwärts drang.

Ich fühle wohl, daß ich bei dieser Erzählung Unwahrscheinliches zu sagen scheine. Aber es ist doch wirklich und unbestreitbar so; es ist kein Traum, den ich berichte.

Zwei Stunden, nachdem wir den Nautilus verlassen hatten, waren wir über die Linie des Baumwuchses hinaus gekommen, und hundert Fuß über unseren Köpfen ragte die Spitze des Berges empor, welcher die glänzende Bestrahlung des Abhangs der anderen Seite verdeckte. Hier und da zogen sich versteinerte Gebüsche im Zickzack. Massenweis entflohen die Fische unter unseren Tritten, wie Vögel im Gesträuch. Die Felsenmasse war voll undurchdringlicher Spalten, tiefer Grotten, unergründlicher Löcher, worin es sich auf dem Grunde fürchterlich rührte und regte. Mein Pulsschlag stockte, wenn sich mir enorme Fühlhörner in den Weg streckten oder im Dunkel der Höhlungen erschreckliche Scheeren klafften. Tausende leuchtender Punkte glänzten inmitten des Dunkels. Es waren die Augen riesenmäßiger Schalthiere, die in ihren Löchern hockten, kolossale Hummern, die sich wie Hellebardiere reckten, Krabben wie Kanonen auf ihren Laffetten, und gräßliche Polypen, die ihre Fühlhörner gleich einem lebendigen Schlangengebüsch verschlungen ausstreckten.

Diese Ungeheuerlichkeiten waren eine mir unbekannte Welt. Seit wieviel Jahrhunderten lebten diese Thiere also in den tiefsten Schichten des Oceans?

Aber ich konnte mich nicht dabei aufhalten. Der Kapitän Nemo achtete nicht mehr darauf. Wir waren auf einer ersten Hochfläche angelangt, wo andere Ueberraschungen meiner harrten. Man bekam da malerische Ruinen zu Gesicht, welche die Hand des Menschen erkennen ließen: ungeheure Haufen von Steintrümmern, woran man unklare Formen von Schlössern und Tempeln unterscheiden konnte, die mit einer Welt von Zoophyten in Blüthe, und mit einer dicken Hülle von Tang und Algen, gleich Epheu überdeckt waren.

Aber was hatte es mit diesem durch Überschwemmung versenkten Erdtheil für eine Bewandtniß? Wer hatte diese Felsen und Steine als Zeugen aus der Urzeit aufgerichtet? Wohin hatte mich des Kapitäns Nemo Laune geschleppt?

Gerne hätte ich ihn gefragt. Ich hielt ihn an, faßte ihn beim Arm. Aber er schüttelte den Kopf, und zeigte auf den höchsten Gipfel des Berges, als wolle er sagen:

»Komm‘! Komm‘ immer weiter!«

Ich nahm meine letzten Kräfte zusammen, ihm zu folgen, und in einigen Minuten hatten wir die Spitze erstiegen, die um etwa zehn Meter über diese ganze Felsenmasse emporragte.

Ich blickte auf die Seite, woher wir gekommen waren, zurück. Der Berg erhob sich nur sieben- bis achthundert Fuß über die Ebene; aber auf der entgegengesetzten Seite beherrschte er aus doppelter Höhe den Grund dieses Theiles des Atlantischen Meeres. Ich konnte weit hinaus blicken, und gewahrte einen ungeheuren Raum von starkem Blitzesschein erleuchtet. In der That, der Berg war ein Vulkan. Fünfzig Fuß unterhalb der Spitze, mitten in einem Regen von Steinen und Schlacken, warf ein weiter Krater Lavaströme aus, die in feurigem Sprudeln durch die Gewässer drangen. So erleuchtete der Vulkan wie eine ungeheure Fackel die darunter liegende Ebene bis zu den äußersten Grenzen des Horizonts.

Ich habe gesagt, der unterseeische Krater warf nur Laven aus, keine Flammen. Für diese bedarf’s des Sauerstoffs der Luft, und sie konnten ohne diesen sich nicht unter dem Wasser entwickeln; aber Lavaströmungen, die das Princip ihres Brandes in sich tragen, können bis zum Rothweißen gedeihen, siegreich gegen das nasse Element kämpfen, und bei einer Berührung verdunsten. Alle diese Gase verbreiteten sich in reißenden Strudeln, und die Lavaströme glitten auf dem Krater des Berges hinab, wie einst aus dem Krater des Vesuvs auf Torre del Greco.

Wirklich zeigte sich da unter meinen Augen in Trümmern eine in den Abgrund versunkene Stadt mit eingestürzten Dächern, zerfallenen Tempeln, verschobenen Gewölben, zu Boden gestürzten Säulen, an denen man noch die Verhältnisse toskanischer Architektur erkannte: weiter hinaus Trümmer eines riesenhaften Aquäducts; hier in Schlamm vergraben eine Akropole mit den Formen eines Parthenon; dort die Spuren eines Quai, als hätte einst ein antiker Hafen am Gestade eines verschwundenen Oceans den Kaufmannsschiffen und Kriegs-Triremen Schutz gewährt; noch weiter hinaus lange Reihen zerfallener Mauern, große verödete Straßen, ein ganzes versunkenes Pompeji, welches der Kapitän Nemo vor meinen Augen wieder in’s Leben rief.

Wo war ich? Ich wollte es um jeden Preis wissen, ich wollte reden, die kupferne Kugel, welche meinen Kopf einkerkerte, abreißen.

Aber der Kapitän Nemo kam zu mir und hielt mich ab.

Darauf hob er ein Stückchen kreideartigen Gesteins auf, trat an einen schwarzen Basaltfelsen und schrieb darauf nur das einzige Wort:

Atlantis.

Wie ein Blitzstrahl fuhr mir ein Gedanke durch den Kopf! Die alte Atlantis Platon’s, das einst versunkene Festland, dessen Dasein eine Menge Gelehrten von Origenes an bis Humboldt geleugnet, ein Verschwinden unter die Märchen gerechnet, von anderen nicht minder großen Gelehrten, von Plinius bis Buffon anerkannt wurde, – hier lag es vor meinen Augen mit den unverwerflichen Zeugnissen seines Hinabsinkens! Es war also die versunkene Landschaft, welche einst außerhalb Europas, Asiens, Libyens vorhanden war, draußen vor den Säulen des Herkules, wo einst das mächtige Volk der Atlanten lebte, mit welchem das alte Griechenland seine ersten Kriege führte.

Plato selbst hat in seinen Schriften die Großthaten dieser Heroenzeit aufgezeichnet. Sein Dialog Timäus und Kritias ist so zu sagen unter Eingebung Solon’s geschrieben.

Einst unterhielt sich Solon mit einigen weisen Greisen aus Sais, einer bereits achthundert Jahre alten Stadt. Einer dieser Greise erzählte die Geschichte einer anderen Stadt, die über tausend Jahre älter war. Diese erste etwa neun Jahrhunderte alte athenische Stadt war von den Atlanten angegriffen und zum Theil zerstört worden. Diese Atlanten, sagte er, hatten ein unermeßliches Festland inne, das größer war als Afrika und Asien zusammen, und eine Fläche vom zwölften bis vierzigsten Grad nördlicher Breite deckte. Ihre Herrschaft erstreckte sich selbst auf Aegypten. Sie wollten dieselbe auch über Griechenland ausdehnen, mußten aber vor dem unbezwinglichen Widerstand der Hellenen zurückweichen. Jahrhunderte verflossen. Es entstand eine Ueberschwemmung, ein Erdbeben, und in Zeit von einer Nacht und einem Tag verschwand jene Atlantis, deren höchste Spitzen, Madera, die Azoren, die Kanarien, die Capverdischen Inseln noch hervorragen.

Diese historischen Erinnerungen rief die Inschrift des Kapitäns Nemo in meinem Geiste wach. Also hatte mich das seltsamste Geschick dahin geleitet, daß ich auf einem der Berge dieses Continents stand, die Ruinen aus der Urzeit der geologischen Epochen mit Händen zu berühren im Stande war!

Ach! wie bedauerte ich diesen Mangel an Zeit! Gerne wäre ich die steilen Abhänge des Berges hinabgestiegen, um den unermeßlichen Continent ganz zu durchlaufen, der ohne Zweifel einst Afrika mit Amerika verband, um die großen Städte der Urzeit zu besuchen.

Während ich über diesen Gedanken in Träume versank, und alle Details dieser großartigen Landschaft mir einzuprägen bemüht war, stand auch der Kapitän Nemo, wider eine bemooste Säule gelehnt, in stummes Träumen verloren.

Eine volle Stunde blieben wir an dieser Stelle, und betrachteten beim Glanz der Laven die ungeheure Ebene. Aus der Tiefe drang ein Getöse, das klar durch die umgebenden Gewässer drang, und mit majestätischer Fülle widerhallte.

In diesem Augenblick schien auch der Mond eine Weile durch die Masse der Gewässer, und warf einige bleiche Strahlen auf den versunkenen Continent. Nur ein Schimmer zwar, aber von unbeschreiblichem Effect. Der Kapitän erhob sich, warf einen letzten Blick auf diese unermeßliche Ebene; darauf winkte er mit der Hand, ihm zu folgen.

Wir stiegen rasch den Berg hinab. Als wir den mineralischen Wald einmal hinter uns hatten, sah ich die Leuchte des Nautilus gleich einem Stern glänzen. Der Kapitän schritt gerade darauf los, und wir befanden uns wieder an Bord, als eben das erste Schimmern des Morgenroths die Oberfläche des Oceans traf.

Zehntes Capitel

Zehntes Capitel

Unterseeische Kohlenminen

Am folgenden Tage, den 20. Februar, stand ich sehr spät auf. Die Ermüdung der nächtlichen Partie hatte mich bis elf Uhr zu Bette gehalten. Ich zog mich rasch an, um mich bald über die Richtung des Nautilus zu versichern. Die Instrumente gaben mir an, daß er mit einer Schnelligkeit von zwanzig Meilen in der Stunde bei einer Tiefe von hundert Meter stets südlich fuhr.

Conseil trat ein. Ich erzählte unseren nächtlichen Ausflug, und da die Läden geöffnet waren, so konnte er noch einen Theil des versunkenen Continents aus der Ferne erkennen.

Der Nautilus fuhr in der That nur zehn Meter hoch über dem Boden der Atlantis hin, und zwar so schnell, wie ein Ballon, den der Wind über Wiesenland treibt; richtiger gesagt, wir waren in diesem Salon wie in dem Waggon eines Eilzuges. Der Vordergrund vor unseren Augen bestand aus phantastisch zugeschnittenen Felsen, Bäumen, die bereits aus dem Pflanzen- in’s Mineralreich übergegangen waren; ferner aus steinigen Massen mit einem Teppich von Axidien und Anemonen bedeckt, voll langen senkrechten Wasserpflanzen; ferner aus seltsam gestalteten Lavablöcken, welche von der wüthenden Gewaltsamkeit plutonischer Umgestaltungen Zeugniß gaben.

Während diese bizarren Landschaften in der Beleuchtung unseres elektrischen Lichtes glänzten, erzählte ich Conseil von jenen Atlanten, von den Kriegen dieser Heroenzeit. Ich besprach die Frage der Atlantis wie ein Mann, der davon überzeugt ist. Aber Conseil, in voller Zerstreuung zeigte wenig Sinn für diesen historischen Punkt. Zahlreiche Fische zogen seine Blicke an, und in die Tiefen der Classification versunken, befand er sich nicht mehr in der wirklichen Welt. Ich schloß mich ihm an in ichthyologischen Untersuchungen.

Uebrigens zeigten die Fische des Atlantischen Meeres keinen erheblichen Unterschied von den bisher beobachteten. Es waren Rochen von riesenhafter Große, fünf Meter lang und von ungeheurer Muskelkraft, so daß sie sich über die Oberfläche des Wassers emporschnellen konnten; verschiedene Arten Haifische, unter anderen ein blaugrüner, fünfzehn Fuß langer, der wegen seiner Durchsichtigkeit mitten im Wasser fast unsichtbar war, braune Speerhaie, Störe gleich denen im Mittelländischen, Seepferde, Trompetenfische, anderthalb Fuß lang, gelbbraune, mit kleinen grauen Flossen, ohne Zähne noch Zunge.

Unter den Knochenfischen notirte Conseil schwärzliche Makaïra, drei Meter lang und mit einem scharfen Degen am Oberkiefer; Seedrachen von lebhaften Farben, die wegen der Stacheln ihrer Rückenflossen schwer zu fangen sind, schöne Goldbrassen; acht Meter lange Schwertfische, die truppweise ziehen, mit gelblichen sichelförmigen Flossen und sechs Fuß langen Schwertern, unverzagte Thiere, die jedoch mehr von Pflanzen als Fischen leben und ihren Weibchen auf einen Wink gehorchen, wie ein bestgezogener Ehemann.

Aber neben der Beobachtung der Seefauna verabsäumte ich nicht, die ausgedehnten Ebenen der Atlantis zu untersuchen. Manchmal war der Nautilus durch launenhafte Unebenheiten des Bodens genöthigt, langsam zu fahren, und glitt dann so gewandt wie ein Delphin durch die engen Wege zwischen Hügeln. War dies unmöglich, so stieg er wie ein Luftballon aufwärts, und setzte, nachdem das Hinderniß beseitigt war, seine Schnellfahrt einige Meter tiefer fort. Diese Fahrt war reizend zum Staunen, ähnlich den Bewegungen einer Luftschiffahrt, nur daß der Nautilus folgsam der Hand seines Steuerers gehorchte.

Um vier Uhr Abends zeigte das Erdreich, welches im Allgemeinen aus dichtem Schlamm mit mineralisirtem Gezweig vermischt bestand, allmälig eine andere Beschaffenheit; es ward steinig und schien bedeckt mit einem Gemenge von Basalttuff mit einigen Lagen Lava und schwefelichtem Obsidian. Ich dachte, auf die ausgedehnten Ebenen werde bald die Bergregion folgen, und wirklich, bei einigen Schwenkungen des Nautilus sah ich den südlichen Horizont durch eine hohe Wand versperrt, welche jeden Ausweg abzuschneiden schien. Sie ragte offenbar über den Meeresspiegel hinan. Es mußte ein Continent oder wenigstens eine Insel sein, eine der Canarischen oder Capverdischen. Wo wir uns befanden, war mir völlig unbekannt. Jedenfalls schien eine solche Wand das Ende der Atlantis, wovon mir nur einen sehr kleinen Theil durchstreift hatten, zu bilden.

Die Nacht unterbrach meine Beobachtungen nicht. Ich befand mich allein, da Conseil sich in seine Kabine begeben hatte. Der Nautilus fuhr langsam, bewegte sich leicht über unklaren Massen des Bodens, bald an demselben hinstreifend, bald zur Oberfläche aufsteigend. Dann sah ich durch die Gewässer einige lebhafte Sternbilder, oben gerade von denjenigen, welche zum Schweife des Orion gehören.

Ich wäre noch lange an meinem Fenster geblieben um die Schönheiten des Meeres und Himmels zu bewundern, – da schlossen sich die Läden. Der Nautilus war eben an die senkrechte Wand gekommen. Wie er nun manoeuvriren würde, konnte ich nicht errathen. Ich begab mich auf mein Zimmer. Der Nautilus rührte sich nicht. Ich schlief ein, fest entschlossen, nach einigen Stunden wieder aufzustehen.

Aber am folgenden Morgen kam ich erst um acht Uhr in den Salon. Ich sah auf das Manometer, und fand, daß der Nautilus auf der Oberfläche des Meeres schwamm. Ich vernahm übrigens Fußtritte auf der Plattform. Doch verrieth kein Schwanken den Wellenschlag des Meeresspiegels.

Ich stieg zur Luckenöffnung; sie war geschlossen. Aber anstatt des Tageslichtes, wie ich erwartete, sah ich mich von dichtem Dunkel umgeben. Wo befanden wir uns? Hatte ich mich geirrt? War es noch Nacht? Nein, es schimmerte kein Stern, und so stockfinstere Nacht giebt’s nicht.

Ich wußte nicht, was ich davon denken sollte, als eine Stimme mich anrief:

»Sind Sie’s, Herr Professor?

– Ah! Kapitän Nemo, erwiderte ich, wo sind wir?

– Unter der Erde, Herr Professor.

– Unter der Erde! rief ich aus. Und der Nautilus schwimmt noch?

– Er schwimmt fortwährend.

– Aber, ich begreife nicht?

– Warten Sie einige Augenblicke. Unsere Leuchte wird angezündet werden, und wenn Sie Klarheit lieben, sollen Sie befriedigt werden.«

Ich betrat die Plattform und wartete. Das Dunkel war so vollständig, daß ich nicht einmal den Kapitän Nemo wahrnehmen konnte. Doch als ich zum Zenith aufblickte, gerade über meinem Kopf, glaube ich einen unbestimmten Schimmer zu bemerken, eine Art Dämmerlicht durch ein rundes Loch. In dem Augenblick wurde die Leuchte plötzlich angezündet, und vor seinem lebhaften Glanz verschwand jener unbestimmte Schimmer.

Einen Augenblick mußte ich meine durch das elektrische Licht geblendeten Augen schließen, dann blickte ich umher. Der Nautilus lag still auf der Wasserfläche neben einer steilen Küste, die einem Quai gleich gestaltet war. Dies Meer, worauf er eben lag, war ein See, umschlossen von Felswänden in einem Umkreis, welcher zwei Meilen Durchmesser, also sechs Meilen Umfang hatte. Sein Wasserspiegel konnte nur – das Manometer wies es nach – von gleicher Höhe, wie der äußere sein, denn es fand nothwendig eine Verbindung zwischen diesem See und dem Meere statt. Die hohen Wände wölbten sich oben, und bildeten einen ungeheuren umgekehrten Trichter von fünf bis sechs Meter Höhe. An der Spitze befand sich eine kreisrunde Oeffnung, durch welche ich den matten Schein, offenbar vom Tageslicht, bemerkt hatte.

Bevor ich die innere Beschaffenheit dieser enormen Höhle aufmerksam untersuchte, bevor ich mir die Frage vorlegte, ob sie ein Werk der Natur oder des Menschen sei, wendete ich mich an den Kapitän Nemo.

»Wo sind wir? fragte ich.

– Mitten im Centrum eines erloschenen Vulkans, erwiderte mir der Kapitän, eines Vulkans, in dessen Inneres das Meer eingedrungen ist in Folge einer Zerreißung des Bodens. Während Sie schliefen, Herr Professor, ist der Nautilus durch einen natürlichen Kanal, zehn Meter unter dem Meeresspiegel, in diesen See eingelaufen. Hier ist sein Haupthafen, ein sicherer, bequemer, geheimnißvoller, gegen alle Windstriche geschützt! Ist denn auf den Küsten Eurer Continente oder Inseln eine Rhede zu finden, die eine so sichere Zuflucht und Schutz gegen wüthende Orkane darböte.

– Wahrhaftig, erwiderte ich, hie sind Sie in Sicherheit, Kapitän Nemo. Wer könnte im Centrum eines Vulkans Ihnen beikommen? Aber habe ich nicht in seinem Gipfel eine Oeffnung bemerkt?

– Ja, sein Krater, der vormals von Lava, Dünsten und Flammen erfüllt, nun diese erquickende Luft, welche wir einathmen, herein läßt.

– Aber was ist es für ein vulkanischer Berg? fragte ich.

– Er gehört zu einem der zahlreichen Eilande, womit dieses Meer bedeckt ist. Nur eine Klippe für die Schiffe, für uns eine unermeßliche Höhle. Der Zufall hat mich sie finden lassen, und hat mir damit sehr genützt.

– Aber könnte man nicht durch diese Oeffnung, welche den Krater des Vulkans bildet, hinabsteigen?

– Eben so wenig als ich hinaufsteigen könnte. Bis zu einer Höhe von hundert Fuß ist der untere Theil des Berges innen zu ersteigen, aber darüber hinaus hängen die Wände über, und auf ihren Abhängen kann man nicht hinauf kommen.

– Ich sehe, Kapitän, daß die Natur Ihnen überall und immer zu Diensten ist. Sie sind auf diesem See in Sicherheit, und kein Mensch außer Ihnen kann seine Gewässer besuchen. Aber wozu ein Zufluchtsort? Der Nautilus bedarf eines Hafens nicht.

– Nein, Herr Professor, aber er bedarf Elektricität, um sich zu bewegen, Elemente zur Erzeugung seiner Elektricität; Sodium, um die Elemente zu nähren; Kohle, um sein Sodium zu bereiten, und Kohlenminen, um seine Kohlen zu gewinnen. Nun aber bedeckt das Meer eben hier ganze Wälder, die in der Urzeit versanken, um mineralisirt und in Steinkohle verwandelt mir eine unerschöpfliche Vorrathsgrube bilden.

– Ihre Matrosen also, Kapitän, sind die Grubenleute?

– Ja wohl. Diese Minen laufen unter dem Meer her, wie die Gruben von Newcastle. Hier holen meine Leute in ihren Skaphandern, mit Hacke und Schaufel die Kohle, welche ich aus den Gruben der Erde nicht bedarf. Wenn ich diesen Stoff für Gewinnung des Sodiums verbrenne, bekommt der Berg durch den aus dem Krater aufsteigenden Dampf noch das Aussehen eines thätigen Vulkans.

– Und wir können Ihre Leute bei der Arbeit sehen?

– Nein, diesmal wenigstens nicht, denn ich habe Eile, unsere unterseeische Fahrt fortzusetzen. Darum beschränke ich mich jetzt darauf, aus meinem Vorrath von Sodium mich zu versehen. Wir brauchen nur einen Tag, um dasselbe an Bord zu schaffen, dann werden mir unsere Fahrt fortsetzen. Wenn Sie also, Herr Arronax, diese Zeit benutzen wollen, diese Höhle zu durchwandern und den See rings zu befahren, so steht’s in Ihrem Belieben.«

Ich dankte dem Kapitän, und suchte meine Gefährten auf, die noch nicht aus ihrer Cabine herausgekommen waren. Ich lud sie ein, mir zu folgen, ohne ihnen zu sagen, wo sie sich befanden.

Sie kamen auf die Plattform. Conseil, der über nichts mehr sich verwunderte, sah es als etwas ganz Natürliches an, daß er unter einem Berg aufwachte, nachdem er unter dem Wasser eingeschlafen war. Aber Ned-Land hatte keinen andern Gedanken, als zu forschen, ob die Höhle nicht einen Ausgang habe.

Nach dem Frühstück, gegen zehn Uhr, stiegen wir aus an die Küste.

»Da sind wir einmal wieder auf dem Lande, sagte Conseil.

– Das nenn‘ ich nicht »Land«, erwiderte der Canadier. Und zudem sind wir nicht auf, sondern unter demselben.«

Zwischen dem Fuß der Gebirgswände und dem Wasser des Sees zog sich ein sandiger Uferrand, der, wo am weitesten, fünfhundert Fuß breit war. Auf diesem sandigen Rand konnte man leicht um den See herum gehen. Aber die Basis der hohen Wände bildete ein unebener Boden, worauf malerisch aufgeschichtete vulkanische Felsblöcke und ungeheure Bimssteine lagen. Alle diese durcheinander geworfenen Massen, durch die Einwirkung der unterirdischen Feuer mit einem glatten Schmelz bedeckt, warfen, wenn die elektrischen Strahlen der Leuchte sie trafen, einen schimmernden Glanz zurück. Der Glimmerstaub des Ufers, den unsere Tritte erregten, flog auf gleich einer Wolke von Funken.

Der Boden erhob sich merklich, sowie man sich von dem Wasser entfernte, und wir gelangten bald zu langen, gewundenen Auswegen, wahren Anbergen, welche allmälig hinauf zu kommen gestatteten, aber man mußte inmitten dieser, von keinem Bindemittel zusammengehaltenen Haufen vorsichtig schreiten, und der Fuß glitt auf diesen glasartigen Trachyten, die aus Krystallen von Feldspath und Quarz gebildet waren.

Die vulkanische Natur dieser enormen Höhlung bestätigte sich allerwärts. Ich machte meine Gefährten darauf aufmerksam.

»Können Sie sich vorstellen, fragte ich sie, wie dieser Trichter sein müßte, wenn er mit siedender Lava sich füllte, und das Niveau dieser glühenden Masse bis zur Mündung des Berges stieg, wie das siedende Metall über die Wände des Gießofens?

– Ich kann mir’s völlig so vorstellen, erwiderte Conseil. Aber kann mir mein Herr sagen, weshalb der große Gießer seine Verrichtung eingestellt hat, und woher es kommt, daß an die Stelle des Gießofens ein See mit so stillem Wasser getreten ist?

– Sehr wahrscheinlich, Conseil, weil irgend eine gewaltsame Zerklüftung unterhalb der Meeresoberfläche diese Oeffnung hervorgebracht, welche dem Nautilus zur Einfahrt gedient hat. Da stürzten die Wasser des Atlantischen Meeres in’s Innere des Berges hinein. Es gab dann einen fürchterlichen Kampf zwischen beiden Elementen, aus welchem Neptun als Sieger hervorging. Aber es sind seitdem viele Jahrhunderte verflossen und, der vom Wasser überwältigte Vulkan hat sich zu einer friedlichen Grotte umgewandelt.

– Sehr richtig, versetzte Ned-Land. Ich lasse die Erklärung gelten, aber ich bedauere in unserm Interesse, daß diese Oeffnung, wovon der Herr Professor spricht, nicht oberhalb des Meeresspiegels entstanden ist.

– Aber, Freund Ned, erwiderte Conseil, wäre diese Oeffnung nicht unter der See gewesen, so hätte der Nautilus nicht dahin gelangen können!

– Und ich will hinzufügen, Meister Land, die Wasser wären dann nicht unter dem Berg eingedrungen, und der Vulkan wäre Vulkan geblieben. Ihr Bedauern ist also überflüssig.«

– Wir stiegen weiter aufwärts. Die Aufwege wurden immer steiler und enger. Mitunter wurden sie von tiefen Schluchten unterbrochen, über welche man setzen mußte. Ueberhängende Massen mußten umgangen werden. Man glitt auf den Knieen, man rutschte auf dem Bauch. Aber mit Hilfe der Geschicklichkeit Conseil’s und der Kraft des Canadiers wurden alle Hindernisse überwunden.

In einer Höhe von etwa dreißig Meter änderte sich die Beschaffenheit des Bodens, ohne daß er darum bequemer zu passiren wurde. An der Stelle der Conglomerate und Trachyte traten schwarze Basalte; diese zogen theils in blasigen Streifen, theils bildeten sie regelmäßige Prismen, die sich wie eine Colonnade reiheten, auf welcher das ungeheure Gewölbe ruhte, ein staunenswerthes Muster natürlicher Architektur. Sodann schlängelten sich weithin Gänge kalt gewordener Lava mit Harzstreifen durchzogen, und stellenweise bereiteten sich weite Schwefellager. Durch den oberen Theil des Kraters fiel ein stärkeres Licht herein und übergoß mit einem Dämmerschein alle diese, für immer im Schooße des erloschenen Gebirges vergrabenen vulkanischen Auswürfe.

Doch wurde unser Aufsteigen bald auf einer Höhe von etwa zweihundertfünfzig Fuß durch unüberwindliche Hindernisse gehemmt. Die innere Wölbung ward überhängend, und wir mußten nun seitwärts um den See herum wandern. Auf dieser Stufe fing das Thierreich an mit dem Mineralreich zu ringen. Es ragten einige Gebüsche und selbst Bäume aus den Krümmungen der Wand. Ich erkannte Euphorbien und Heliotropien. Diese letzteren konnten freilich nicht sich der Sonne zuwenden, weil die Strahlen derselben nicht zu ihnen reichten; einige Chrysanthemumen wuchsen schüchtern neben Aloe mit langen, traurigen und kränkelnden Blättern. Aber zwischen den Lavagängen bemerkte ich kleine Veilchen, die noch leicht dufteten, und erquickte mich an dem köstlichen Geruch.

Wir waren zu einem Gebüsch gekommen, das mit starken Wurzeln die Felsen auseinander trieb, als Ned-Land ausrief:

»Mein Herr, ein Bienenstock!

– Ein Bienenstock! versetzte ich mit ungläubiger Miene.

– Ja! ein Bienenstock, wiederholte der Canadier, und da summen Bienen herum.«

Ich trat hinzu und mußte mich durch den Augenschein überzeugen. Es fanden sich da, an der Mündung eines Loches in einem hohlen Baume einige tausend dieser fleißigen Insecten, die auf den Canarischen Inseln sehr häufig sind, wo man auch den Honig sehr zu schätzen weiß.

Ganz natürlich wünschte da der Canadier sich mit Honig zu versehen, und er hätte mir’s sehr übel genommen, wenn ich ihm hätte entgegen sein wollen. Er zündete mit seinem Feuerstahl ein Häufchen dürrer Blätter mit Schwefel vermischt an, und ließ den Rauch zu den Bienen dringen. Bald hörte das Summen auf, und die Waben lieferten einige Pfund duftenden Honig, welchen Ned-Land in seinem Ranzen barg.

»Wenn ich diesen Honig mit dem Teig vom Brodfruchtbaum menge, sprach er, bin ich im Stande, Ihnen einen schmackhaften Kuchen vorzusetzen.

– Potz! sagte Conseil, das giebt ja Lebkuchen.

– Lassen wir jetzt den Lebkuchen, sagte ich, und setzen unsern interessanten Spaziergang fort.«

Nachdem wir auf dem Pfade, worauf wir uns befanden, noch etwas weiter gegangen, lag der See in seiner ganzen Ausdehnung vor unseren Blicken. Die Leuchte ließ seinen riesigen Spiegel vollständig erkennen, wie er ohne Wellen und Runzeln war. Der Nautilus hielt sich völlig unbeweglich. Auf seiner Plattform und dem Ufer regte sich die Mannschaft gleich schwarzen Schatten, die mitten aus dem Lichtkreise sich deutlich hervorhoben.

In diesem Augenblick kamen wir um die höchste Spitze des Vordergrundes der Felsen, auf welcher das Gewölbe ruhte. Da sah ich, daß Bienen nicht die einzigen Repräsentanten des Thierreichs im Innern dieses Vulkans waren. Raubvögel schweiften und streiften hier und da im Dunkel oder flohen aus ihren Nestern auf Felsenspitzen. Es waren Sperber und schreiende Weihe. Auf den Abhängen gab’s auch hübsche fette Trappen, die so schnell als ihre Läufe sie trugen, davon eilten. Man kann sich denken, wie der Canadier Lust nach einem solchen Braten bekam, und wie leid es ihm war, keine Flinte zur Hand zu haben. Er versuchte durch Steine das Blei zu ersetzen, und es gelang ihm auch, nach einigen fruchtlosen Versuchen, eins der prächtigen Thiere zu verwunden. Zwanzigmal, das ist reine Wahrheit, setzte er sein Leben daran, bis daß er es in seinen Sack zu den Lebkuchen bekam.

Darauf mußten mir uns wieder abwärts nach dem Ufer zuwenden, denn aus den Gebirgskamm konnten wir nicht gelangen. Ueber uns sah der klaffende Krater aus wie eine weite Brunnenmündung. Von dieser Stelle aus konnte man den Himmel ziemlich klar erkennen, und ich sah vom Westwind zerzaustes Gewölk ziehen, das mit seinen Nebelfetzen am Gipfel des Berges streifte, also in mäßiger Höhe, denn der Vulkan ragte nicht mehr als achthundert Fuß über den Meeresspiegel.

Eine halbe Stunde nach der letzten That des Canadiers waren wir wieder am inneren Ufer angelangt. Hier war die Flora durch ein dichtes Beet Meerfenchel repräsentirt, die kleinen Schirmpflänzchen, welche man gerne zum Einmachen verwendet. Conseil sammelt einige Büschel davon. Die Fauna zählte nach Tausenden, Schalthiere aller Art, Hummer, Krabben, Palämon, Feldspinnen, Seejungfern, und eine zahllose Menge von Muscheln, Porzellan-, Purpurschnecken, Napfmuscheln.

Hier öffnete sich eine prachtvolle Grotte. Wir genossen ein wahres Vergnügen, uns auf den feinen Sand hinzustrecken. Ihre Wände waren vom Feuer glatt emaillirt und funkelnd, ganz mit Glimmerstaub bestreut. Ned-Land betastete die Wände, als wolle er untersuchen, wie dick sie seien. Ich konnte mich des Lachens nicht enthalten. Die Unterhaltung wendete sich ans die ewigen Entweichungsprojecte, und ich glaubte, ohne Uebertreibung, ihm die Hoffnung geben zu können, der Kapitän Nemo sei nur deshalb so weit nach Süden gegangen, um sich mit Sodium zu versehen. Ich hoffte demnach, er werde jetzt sich wieder den Küsten Europa’s und Amerika’s nähern; dann sei es möglich mit mehr Aussicht auf Erfolg den gescheiterten Versuch nochmals zu machen.

Seit einer Stunde hatten wir uns in dieser reizenden Grotte gelagert. Die Anfangs so belebte Unterhaltung stockte, und wir neigten zum Schlaf. Da ich gar keinen Grund sah, dieser Neigung Widerstand zu leisten, so gab ich mich tiefem Schlummer hin. Ich träumte – die Träume liegen nicht in unserer Wahl – ich träumte mein Dasein habe sich nun auf das vegetative Leben einer Molluske eingeengt. Es kam mir vor, diese Grotte bilde die doppelte Schaale meiner Muschel …

Da weckte mich plötzlich Conseil’s lauter Ruf:

»Auf! Auf! schrie der wackere Junge.

– Was giebt’s? fragte ich, und richtete mich etwas auf.

– Das Wasser dringt auf uns ein!«

Ich sprang auf. Das Meer stürzte reißend wie ein Bergstrom in unsere Zufluchtsstätte, und da wir keine Molluske waren, so mußten wir allerdings flüchten.

In einigen Augenblicken waren wir in Sicherheit auf dem höchsten Punkt eben dieser Grotte.

»Was geht denn vor? fragte Conseil. Ist’s ein neues Phänomen?

– Nein! meine Freunde, erwiderte ich, es ist die Fluth, nichts weiter. Der Ocean schwillt draußen an, und nach dem Naturgesetz muß auch der Wasserspiegel des See’s steigen. Wir sind mit einem kleinen Bade davon gekommen. Wir wollen zum Nautilus und uns umkleiden.«

Nach dreiviertel Stunden hatten wir unseren Rundgang vollendet und kamen wieder an Bord. Die Leute der Bemannung waren eben mit dem Einladen des Sodiums fertig, und der Nautilus hätte sogleich abfahren können.

Doch der Kapitän Nemo gab keinen Befehl dazu. Wollte er die Nacht abwarten und im Stillen die unterseeische Einfahrt passiren? Vielleicht.

Wie dem auch sein mag, am folgenden Morgen fuhr der Nautilus, nachdem er seinen Zufluchtshafen verlassen, weit ab von jedem Land auf hoher See, einige Meter unter dem Spiegel des Atlantischen Oceans.