Einundzwanzigstes Kapitel.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Während dieses ganzen Tages blieb sich das Wetter gleich. Der schlafende Ozean lag da, ein glatter, glänzender Spiegel, und nur das Steigen und Fallen langer Wellenlinien deutete an; daß am entfernten Horizont eine starke Bewegung im Anzuge sein müsse. Der Pirat, der es so gut verstand, die wilde, unbändige Stimmung seiner Untergebenen unter seine Autorität zu beugen, war von dem Zeitpunkte an, wo er das Verdeck verlassen hatte, bis zu dem, wo die Sonne ihren Glutball in der See abkühlte, unsichtbar geworden. Zufrieden mit seinem Siege, schien er die Möglichkeit, daß jemand zum Umsturz seiner Macht Kühnheit genug besitzen könne, gar nicht zu befürchten; auch verfehlte dieses offenbare Selbstvertrauen die beabsichtigte Wirkung auf seine Leute nicht. Da keine Vernachlässigung im Dienste unbemerkt, kein Fehler ungestraft blieb, so setzte sich bei ihnen der Glaube fest, daß sie ein unsichtbares Auge stets bewache, ein unsichtbarer Arm zu allen Zeiten ausgestreckt sei, gleich bereit zu strafen und zu belohnen. Durch diese Methode nämlich, durchgreifend zu handeln, wenn es der Augenblick gebot, und wieder nachsichtig zu sein, wenn Ausübung und Strenge nur dazu gedient hätte, die Gemüter zu erbittern, gelang es dem außerordentlichen Mann, auf seinem Schiffe nicht nur den Verrat zu ersticken, sondern auch seinen offenen Feinden trotz ihren schlauesten Anschlägen und ausdauernsten Verfolgungen zu entgehen.

Als nun aber die Wache für die Nacht abgelöst war und die gewöhnliche Stille das Schiff umgab, erschien der Rover wieder auf dem Deck der Hütte, wo sich jetzt niemand aufhielt, um dort raschen Schrittes auf und ab zu gehen. Obgleich beiliegend, war doch das Fahrzeug mit dem Golfstrom so weit nördlich gelaufen, daß die kleine, blaue Erhöhung in der Ferne längst unter den Meeresrand getaucht war und, für den Bereich menschlicher Sehkraft wenigstens, nur eine grenzenlose Wasserwüste rund umher lag. Da sich auch nicht der leiseste Windhauch rührte, so waren sämtliche Segel beschlagen, und die hohen, entblößten Spieren gaben in der Finsternis der Nacht dem Schiffe das Ansehen, als läge es vor Anker. Mit einem Worte, es war eine jener Stunden vollkommener Ruhe, wie sie den Abenteurern, die ihr Glück dem eigensinnigen Spiel der verräterischen und unbeständigen Winde anvertrauen, zuweilen von den Elementen vergönnt werden.

Selbst die Leute, denen der Dienst das Wachen zur Pflicht machte, ließen sich auf ihren Posten durch die tiefe, allumgebende Stille zur Nachlässigkeit verleiten; sie lagen teils zwischen den Kanonen, teils an verschiedenen andern Orten des Verdecks und genossen den süßen Schlaf, den sie, der strengen Mannszucht und guten Ordnung wegen, nicht in ihren Hängematten suchen durften. Ja, an manchen Stellen konnte man selbst Offiziere gegen ein Bollwerk oder eine außerhalb des geheiligten Bezirks der Schanzen stehende Kanone sich anlehnen und, mit dem trägen Steigen und Sinken des Kiels Takte haltend, im Schlafe nicken sehen. Nur eine Gestalt stand aufrecht, munter, und offenbar mit einem wachsamen Auge über das Ganze. Es war Wilder, an den schon wieder, nach der regelmäßigen Einteilung des Offizierdienstes, die Reihe gekommen war, auf dem Verdeck zu bleiben.

Zwei Stunden gingen vorüber, ohne daß zwischen dem Rover und seinem Leutnant die geringste Mitteilung stattgefunden hätte. Beide vermieden vielmehr eine Unterredung; denn jeglicher hatte seine besonderen, geheimen Gegenstände der Betrachtung. Als diese zwei Stunden Schweigens zu Ende waren, hielt der erstere im Gehen inne und blickte lange und unverrückt hinab nach der noch immer regungslos auf dem Verdeck stehenden Gestalt. – Endlich sagte er:

»Herr Wilder, hier oben auf der Hütte ist die Luft frischer und den unreinen Dünsten des Schiffes weniger ausgesetzt, wollen Sie heraufkommen?«

Der Angeredete gehorchte. Mehrere Minuten lang wandelten sie nach Seemannssitte in stiller Nacht schweigend und schritthaltend nebeneinander.

»Wir hatten einen unruhigen Tag, Wilder,« fing der Rover endlich an, indem er dadurch unwillkürlich seine Gedanken verriet, aber doch immer so behutsam sprach, daß der Ton nur die Ohren Wilders erreichen konnte; »haben Sie diesem allerliebsten Abgrunde, den man Meuterei nennt, schon einmal im Leben so nahe gestanden?«

»Der, den die Kugel getroffen hat, muß der Gefahr doch wohl näher gewesen sein als einer, der bloß den Druck der Luft fühlte.«

»Aha, Sie haben in Ihrem Schiffe offene Widersetzlichkeit gefunden! Auch hier ließen sich einige von den Kerlen einfallen, persönlichen Haß gegen Sie zu äußern, aber beunruhigen Sie sich nicht deshalb; ich kenne ihre geheimsten Gedanken, wie Sie bald sehen werden.«

»Ich leugne es nicht, an Ihrer Stelle würde ich bei solchen Beweisen von der Gesinnung meiner Untergebenen auf Dornen schlafen. Wer bürgt Ihnen dafür, daß nicht heute oder morgen ein Aufruhr innerhalb weniger Stunden das Fahrzeug der Regierung ausliefert und Ihr Leben dem …«

»Henker! Und warum nicht auch Ihres?« fügte der Räuber hastig hinzu und ließ einen leisen Anflug von Mißtrauen durchblicken. »Doch das Auge, das viele Schlachten gesehen hat, ist nicht leicht zum Blinzeln zu bringen; meines hat der Gefahr zu oft gerade ins Angesicht geschaut, als daß mich der Anblick einer königlichen Flagge erschrecken könnte. Überdies halten wir uns auch nur selten an dieser kitzligen Küste auf. Wir kreuzen meist bei den Inseln und auf der spanischen See, was mit weniger Gefahren verknüpft ist.«

»Wie kommt es denn, daß Sie sich jetzt gerade hierher wagen, wo einige über den Feind errungene Vorteile dem Admiral Zeit geben, Sie von einer bedeutenden Schiffsmacht verfolgen zu lassen?«

»Ich hatte meine Ursachen dazu. Nicht immer läßt sich der Mensch von dem Befehlshaber trennen. Hab‘ ich über die Sehnsucht des ersten die Pflichten des letzten hintangesetzt, so hat es doch bis jetzt wenigstens noch keine nachteiligen Folgen gehabt. Kann ja auch sein, daß es mich langweilte, ewig Jagd auf die bequemen spanischen Dons zu machen, oder spanische Zollschiffe in ihre Häfen zurückzutreiben. Dies unruhevolle Leben lieb‘ ich nun einmal! Selbst einer Meuterei weiß ich Interesse abzugewinnen!«

»Ich kann Verrat nicht lieben und gestehe gern, daß es mir in dieser Beziehung nicht besser geht wie dem Bauer, der nur so lange Mut hat, als es hell ist. Solange der Feind sichtbar ist, sollen Sie mich so bewährt finden wie einen, doch über einer Mine schlafen, ist ein Vergnügen, das meinem Geschmack nicht zusagt.«

»Das kommt vom Mangel an Übung! Gewagt ist gewagt, sei’s auf welche Weise es wolle; der menschliche Geist kann es durch Gewohnheit endlich dahin bringen, daß er bei geheimen Anschlägen ebenso großen Gleichmut behält, als bei offenem Wagnis. Still! Schlug es da sechs oder sieben?«

»Sieben. Die Leute schlafen fort, wie Sie sehen. Wäre es ihre Stunde, so würden Sie instinktmäßig aufwachen.«

»Gut. Schon fürchtete ich, die Zeit sei vorüber. Ja, ich liebe die schwebende Ungewißheit, Wilder; sie hält die Seelentätigkeit stets regsam und verweist uns auf die edleren Kräfte unserer Natur. Mag wohl sein, daß es nur mein Eigensinn ist, aber wahrlich, selbst ein konträrer Wind ist nicht ohne Genuß für meinen Geist.«

»Und eine Windstille?«

»Die mag für friedliebende Gemüter ihre Reize haben, allein es gibt nichts zu tun, nichts zu besiegen dabei. Können wir auch die Elemente nicht zum Kampf herausfordern, so vermögen wir uns ihnen doch entgegenzusetzen und ihr Wirken zu vereiteln.«

»Sie haben doch Ihr Handwerk nicht angetreten …«

» Ihr Handwerk!«

»Ich hätte sagen können unseres, da ich jetzt ebenfalls Pirat geworden bin.«

Der Scharfsinn des Rovers durchschaute wohl, was Wilder sagen wollte; ja, seine Antwort zeigte, daß er sogar manche Zwischengedanken übersprang:

»Sie sind noch in Ihrem Noviziat, und die Beichte, die Sie mir von Ihren Wünschen ablegten, gewährte mir nicht wenig Vergnügen. Sie wußten das eigentlich Gewollte so gut anzudeuten, ohne es zu berühren; eine Gewandtheit, die mich in Ihnen einen gelehrigen Schüler voraussehen ließ.«

»Aber keinen büßenden, hoffentlich.«

»Das kommt auf die Umstände an; Augenblicken der Schwachheit sind wir alle ausgesetzt, zumal wenn wir das Leben ansehen, wie es die Bücherschreiber schildern, und da, wo wir den Genuß ergreifen sollten, nur die Prüfung erkennen. Ja, ich angelte nach Ihnen, wie der Fischer nach dem Karpfen. Auch glauben Sie nicht, daß ich die Gefahr des Verrates aus dem Gesichte verlor. Im ganzen genommen waren Sie treu, ob ich gleich für die Zukunft dagegen protestiere, daß Sie, gegen mein Interesse, Intrigen spielen, um das Wild aus meinem Netz zu halten.«

»Wann, und wie hätte ich das getan? Sie haben selbst zugegeben …«

»Daß die Royal Carolina nicht ungeschickt geführt worden sei und ihr Untergang nur dem Himmel zur Last falle. Allein ich spreche jetzt von edlerem Wild als das, worauf jeder Habicht Jagd machen kann. Sind Sie ein Weiberfeind, daß Sie alles aufboten, um das edelmütige Weib und die liebliche Jungfrau, die in diesem Augenblick hier unten sind, von dem Vorzug und hohen Genuß Ihrer Gesellschaft zurückzuschrecken?«

»War Verrat in dem Wunsche, Frauen von dem Schicksale zu retten, das zum Beispiel erst diesen Tag beide bedrohte? Denn, solange in diesem Schiffe Ihr Ansehen die Oberhand behält, glaube ich freilich nicht, daß selbst die Liebliche das geringste zu besorgen hat.«

»Beim Himmel, Wilder, Sie lassen mir nur Gerechtigkeit widerfahren. Ehe diese schöne Unschuldige Leid treffen sollte, würde ich mit dieser Hand das Pulvermagazin anzünden, und sie, rein und fleckenlos wie sie ist, gen Himmel senden, von wo sie herabgekommen zu sein scheint.«

Gierig lauschte unser Abenteurer diesen Worten, ob ihm auch der enthusiastische Ausdruck der Bewunderung, in dem der Freibeuter sein großherziges Gefühl einzukleiden für gut fand, nicht sonderlich behagte. Endlich, nach einer Pause, die keiner von beiden gern zu unterbrechen schien, fragte er:

»Wie kommt es, daß Sie von meinem Wunsch, den Damen zu dienen, unterrichtet sind?«

»Konnte ich Ihre Sprache mißverstehen? Mich dünkt doch, Sie haben sich deutlich genug ausgesprochen.«

»Ausgesprochen!« rief Wilder erstaunt. »Am Ende hab‘ ich gar meine eigentliche Beichte in einem Augenblicke abgelegt, wo ich mich dessen am wenigsten versah.«

Antwort gab der Rover nicht; aber an dem vielsagenden Lächeln, das um seinen Mund spielte, konnte sein Gefährte nur zu deutlich erkennen, daß er durch eine ebenso verwegene als vollkommen gelungene Vermummung hintergangen worden war, und daß er in der Person des alten Matrosen Bob Bunt mit niemand anders, als mit seinem Kommandeur selbst verkehrt hatte. Das Benehmen Jorams und das rätselhafte Verschwinden des Nachens waren ihm jetzt völlig klar. Tief bewegt, vielleicht weil er nun die Entdeckung machte, wie verwickelt die Schlingen waren, in die er sich gestürzt hatte, vielleicht auch aus Ärger, daß er sich so zum besten haben ließ, machte er in starken Schritten einige Gänge quer über das Deck, ehe er antwortete:

»Ich hab‘ mich hintergehen lassen, ich geb‘ es zu, und unterwerfe mich von nun an einem Meister, von dem man wohl vieles lernen, den man aber nie übertreffen kann. Aber der Wirt zum › Unklaren Anker‹, der hat doch wenigstens in eigener Person gehandelt, wer auch immer der alte Matrose gewesen sein mag?«

»Der ehrliche Joram! Fürwahr, ein Matrose in Not kann sich keinen nützlicheren Mann wünschen, das werden Sie nicht leugnen. Wie hat Ihnen denn der Newporter Lotse gefallen?«

»Auch der Ihr Geschäftsträger?«

»Nur zum Scherz, solchen Schurken vertraue ich von meinem Geheimnis nicht mehr, als sie etwa von selbst erraten können. Doch sachte! Hörten sie nichts?«

»Mich dünkt, ich hörte ein Tau im Wasser plätschern.«

»Ganz recht, so ist es. Nun werden sie sich überzeugen, wie durch und durch ich mich auf diese unruhigen Herren verstehe.«

Hier brach der Rover das seinem Gefährten immer interessanter werdende Gespräch kurz ab, ging leisen Schrittes nach dem Spiegel des Schiffes und lehnte sich einige Augenblicke einsam über die Galerie, wie einer, der ein Vergnügen daran findet, die dunkle Oberfläche des Meeres anzuschauen. Kaum indessen traf das Ohr seines Gesellschafters ein leises Geräusch von hin und her bewegten Tauen, so kam er heran und stellte sich neben ihn, wo er bald noch mehr Beweise erhalten sollte, wie fein der Kommandeur sowohl ihn, als die übrige Schiffsbemannung zu überlisten verstand.

Ein Mann bewegte sich äußerst behutsam und nicht ohne Schwierigkeit von der Stelle, wo er sich befand, um die Schiffsviering herum. Er erreichte auch seinen Zweck, indem er sich teils mit Tauen, teils mit einigen Mallen vorwärts half, bis er an eine vom Hinterschiff herabhängende Strickleiter gelangte. – Auf einer ihrer Sprossen schwebend, stierte er nach den herüberlehnenden, ihm zusehenden Gestalten, sich offenbar anstrengend, auszufinden, wer von beiden das Individuum wäre, das er suchte.

Der Rover berührte Wilder leise mit der Hand, um ihm zu verstehen zu geben, daß er jetzt aufmerken sollte, und sprach dann flüsternd hinab: »Bist du da, Davis? Ich fürchte, man hat dich gesehen, oder doch gehört.«

»Nichts zu befürchten, Ew. Gnaden. Ich schlüpfte zum Schottengat der Kajüte hinaus; die ganze Hinterwacht schläft so tief, als wenn sie die Wache im Raum unten hätte.«

»Gut. Was für Nachricht bringst du von den Leuten?«

»Traun, Ew. Gnaden dürfen ihnen befehlen, in die Kirche zu gehen, und der derbste Seehund unter ihnen würde nicht Herz genug haben, einzuwenden, er könne sein Gebet nicht mehr auswendig.«

»Glaubst du, sie seien jetzt in besserer Stimmung als vorher?«

»Ich weiß es, Sir. Nicht daß einem oder zweien von den Leuten der gute Wille zur Unordnung fehlte; aber sie wagen es nicht, einander zu trauen. Ew. Gnaden haben so was Gewinnendes an sich, daß einer nie weiß, ob er sich auf sicherem Boden befindet, wenn er sich’s beikommen ließe, sich zum Herrn aufzuwerfen.«

»Ja, ja, das sieht dem Charakter von Empörung ähnlich genug«, brummte der Rover, so daß ihn nur Wilder hören konnte. »Gerade dazu, daß einer des andern Zutrauen genieße, fehlt ihnen ein bißchen mehr Ehrlichkeit, als sie besitzen. (Laut:) Und wie haben die Kerle meine Gnade aufgenommen? War’s wohlgetan, oder muß der Morgen auch seine Strafe mit sich bringen?«

»Lassen Sie es beim jetzigen Stand der Dinge sein Bewenden haben, Sir. Die Leute kennen das gute Gedächtnis einer gewissen Person und sprechen schon von der Gefahr, noch ein Ditto zu der Rechnung hinzuzufügen, von der sie recht gut wissen, daß Ew. Gnaden sie sich angeschrieben haben. Da ist der Vordermann des Backs, der wie gewöhnlich etwas sauer tut, und bei dieser Gelegenheit um so mehr, wegen des Andenkens an die betäubende Faust des Negers.«

»Ich weiß schon, der ist stets ein Störenfried; ich werde mit dem Schurken doch endlich einen Abrechnungstag halten müssen.«

»Das wird nicht schwer sein! Sie verwenden ihn auf irgendeinen Dienst im Boote, Sir: die Schiffsmannschaft wird sich desto wohler fühlen, wenn er aus dem Wege ist.«

»Schon gut; nichts weiter von ihm«, unterbrach ihn der Korsar mit einiger Ungeduld, wahrscheinlich, weil er nicht wünschte, daß sein Gefährte auf dieser frühen Stufe seiner Einweihung schon einen so tiefen Blick in seine Regierungsweise tun sollte.

»Ich werde schon sorgen für ihn, aber du selbst, Kerl! – Irre ich nicht, so hast du deine Rolle heute ein wenig zu gut gespielt, und zeigtest dich etwas zu bereitwillig, die Matrosen anzuführen.«

»Ich hoffe, Ew. Gnaden werden sich erinnern, daß die Bootsmannspfeife einmal die Mannschaft zum Unheil kommandiert hatte; zudem konnte es nicht viel schaden, einigen Marinesoldaten den Puder von den Köpfen zu waschen.«

»Schon gut, aber du setztest das Spiel fort, nachdem dein Offizier für gut gefunden hatte, sich dazwischen zu legen. Nimm dich in acht, daß du in Zukunft deine Rolle nicht mit so vieler Natur und Wahrheit spielst, sonst dürfte der Beifall nicht minder wahr und natürlich sein!«

Der Kerl versprach Vorsicht und Besserung, worauf er seine Belohnung in Gold erhielt, und mit der Einschärfung strenger Verschwiegenheit entlassen wurde. Kaum war diese Zusammenkunft vorüber, so versicherte sich der Kapitän zunächst, daß kein Unberufener, der sich in seine heimliche Verbindung mit dem Spion einstehlen könnte, in der Nähe weilte, und setzte dann sein Auf- und Abgehen mit Wilder fort. Nach einer langen, gedankenvollen und tiefen Stille fing er wieder an:

»In einem Schiffe wie dieses sind feine Ohren fast ebenso wichtig als ein unerschrockenes Herz. Die Schufte im Vorderraum dürfen nicht von dem Baum der Erkenntnis kosten, auf daß wir, die wir in den Kajüten sind, nicht sterben mögen.«

»Es ist doch ein gefahrvoller Dienst, den wir übernommen haben«, bemerkte Wilder, seinen geheimen Gedanken unwillkürlich freien Lauf gebend.

Der Rover schwieg. Lange ging er hin und her auf dem Deck, ehe er sprach, und als er es tat, war es mit einer Stimme, so einschmeichelnd weich und sanft, daß seine Worte mehr den ermahnenden Tönen eines besonnenen Freundes glichen, als der Sprache eines Mannes, der lange der Gefährte von Wesen war, so rauh und grundsatzlos wie die, von denen man ihn jetzt umgeben sah.

»Sie sind noch an der Türschwelle Ihres Lebens, Herr Wilder; ganz liegt es vor Ihnen und ladet Sie ein, zu wählen, welchen Pfad Sie betreten wollen. Noch sind Sie von keinem Auftritte Zeuge gewesen, der eine Verletzung dessen genannt werden könnte, was die Welt ihre Gesetze nennt; und es ist noch nicht zu spät zu sagen, daß Sie es nie sein werden. Mich hat vielleicht bei meinem Wunsche, Sie zu gewinnen, die Selbstsucht regiert; doch stellen Sie mich auf die Probe, Sie werden finden, daß diese Leidenschaft zwar oft tätig, aber nie in meinem Geiste herrschend wird, noch werden kann. Sie dürfen nur Ihren Wunsch, frei zu sein, ausdrücken, und Sie sind es; leicht lassen sich die geringen Spuren, daß Sie zu meiner Mannschaft je gehört haben, vertilgen. Sehen Sie den blassen Lichtstreifen dort, unweit davon ist Land; ehe noch die morgende Sonne untergeht, können Sie es betreten.«

»Ach, warum nicht auch Sie? Ist dies regellose Treiben für mich ein Übel, so ist es nicht minder eines für Sie. Dürfte ich der Hoffnung …«

Er stockte. Der Rover schwieg lange, so daß er sich überzeugen konnte, sein Gefährte nehme Anstand, fortzufahren; endlich fragte er ruhig:

»Was wollten Sie sagen? Sprechen Sie frei, Sie reden mit einem Freunde.«

»So will ich mich Ihnen denn wie einem Busenfreunde eröffnen. Sie sagen, das Land sei dort im Westen nahe. Beide zur See erzogen, würde es Ihnen und mir ein leichtes sein, dies Boot ins Wasser zu lassen und, indem wir uns die Dunkelheit zunutze machten, wären wir, lange ehe unsere Abwesenheit kund würde, den Augen der uns Suchenden entschwunden.«

»Nach welcher Gegend möchten Sie zusteuern?«

»Nach den Küsten Amerikas, wo Obdach und Friede in tausend verborgenen Orten zu finden sind.«

»Können Sie wollen, daß ein Mann, der solange als Fürst unter seinen Leuten lebte, Bettler in einem Lande von Fremdlingen werde?«

»Sie haben ja Gold. Sind wir nicht die Herren hier? Wer mag es wagen, unser Tun auch nur mit einem beobachtenden Auge zu verfolgen, bis es uns gefällt, von selbst die Autorität, womit wir bekleidet sind, von uns abzuwerfen? Noch ehe die Mitternachtswache abgelöst ist, könnte alles geschehen sein.«

» Allein? Wünschen Sie, daß wir allein gehen?«

»Nein … nicht ganz … das heißt … es würde uns, als Männern, kaum ziemen, die Damen der rohen Macht derer preiszugeben, die wir hier zurücklassen.«

»Und würde es uns, als Männern, ziemen, die ihrem Schicksale preiszugeben, die in unsere Treue ihre Zuversicht setzen? Herr Wilder, Ihr Plan würde mich zu einem Niederträchtigen machen! Gesetzlos, in der Meinung der Welt wenigstens, bin ich schon lange; aber ein Verräter an meiner Treue und meinem gegebenen Worte war ich nie! Wohl wird einst die Stunde schlagen, wo die Menschen, deren ganze Welt jetzt von diesem Schiffe umschlossen ist, auseinandergehen; allein die Trennung muß offen, freiwillig, manneswürdig sein. – Haben Sie nie erfahren, was mich damals, als wir uns im Leben das erstemal in der Stadt Boston trafen, nach dem Aufenthalt der Menschen hinzog?«

»Nie«, erwiderte Wilder in dem wehmütigen Tone gänzlich getäuschter Hoffnung.

»So hören Sie. Ein handfester Kerl von meinen Leuten war von den Handlangern des Gesetzes erwischt worden. Gerettet sollte und mußte er werden. Es war ein Mann, den ich nicht besonders liebte, allein er war zu jeder Zeit ehrlich, nach seinen Begriffen von Ehrlichkeit. Ich konnte das Opfer nicht verlassen, und doch war außer mir keiner imstande, seine Rettung zu bewirken. Dem Golde und der List blieb der Sieg; und nun erfüllt der Kerl hier am Bord die Ohren der Mannschaft mir Gesängen, Psalmen und Hymnen zum Lobe und Preise seines Kommandeurs. Soll ich mir nun den Verlust eines mit so vielem Wagnis errungenen guten Namens zuziehen?«

»Sie würden die gute Meinung von Spitzbuben verlieren, und dafür den Gewinn eines guten Rufes bei Menschen eintauschen, deren Lob eine Ehre ist.«

»Das weiß ich nicht. Sie verstehen sich wenig auf die Menschennatur, wenn Sie jetzt erst lernen müssen, daß, wer sich einmal Berühmtheit erworben hat, sei’s auch durch lasterhafte Taten, seinen Stolz darein setzt, den so erworbenen Ruf aufrecht zu halten. Übrigens passe ich nicht zu der Welt, wie sie zwischen unterjochten Kolonisten gestaltet ist.«

»Sie sind vielleicht stolz auf Ihre Geburt im Mutterlande?«

»Ich bin nur ein armer Teufel aus der Provinz, Sir! Ein demütiger Satellit der mächtigen Sonne. Sie haben meine Flaggen gesehen, Herr Wilder: – eine einzige fehlte darunter; ach, diese eine, existierte sie, so wäre es mein Stolz, mein Ruhm gewesen, sie mit meinem besten Herzblute zu verteidigen.«

»Ich kann Ihren Sinn nicht erraten.«

»Ich darf einem Seemann wie Ihnen, nicht erst sagen, wieviel herrliche Ströme längs der Küste, von der wir gesprochen haben, ihre Gewässer der See entgegenführen – wieviel weite und bequeme Hafen sie besitzt – oder wieviel Segel den Ozean beglänzen, bemannt von Leuten, die das Licht der Welt zuerst in jenem geräumigen und friedlichen Lande erblickten.«

»Wohl kenne ich die Vorzüge meines Heimatlandes.«

»Ich fürchte, nein!« erwiderte hastig der Freibeuter. »Kennten Sie und andere, die Ihnen gleichen, jene Vorzüge, wie Sie es sollten, so würde die Flagge, die ich meine, bald auf jedem Meere anzutreffen sein, und unsere Landsleute nicht den Mietlingen eines ausländischen Fürsten unterliegen dürfen.«

»Ich will mich nicht stellen, als verstände ich Sie nicht; denn ich kenne mehrere Enthusiasten, die wie Sie der Schimäre nachhangen, daß ein solches Ereignis möglich wäre.«

»Möglich! So gewiß, als sich jener Stern dort in den Ozean senkt, so gewiß der Tag auf die Nacht folgt, es ist notwendig. O, hätte jene Flagge geweht, Herr Wilder, kein Mensch würde je den Namen des roten Freibeuters gehört haben.«

»Der König hat ja auch eine Flotte, und der Dienst darin steht jedem seiner Untertanen gleich offen.«

»Ja, ich konnte der Untertan eines Königs sein; aber Untertan eines Untertans, Wilder, das geht über die Grenzen meiner armen Geduld. Ich bin in einem seiner Schiffe erzogen, ich darf fast sagen, geboren; wie oft mußte ich mit blutendem Herzen fühlen, daß ein Ozean mein Geburtsland vom Schemel seines Thrones trennt! Werden Sie es glauben, Sir, einer seiner Kommandeurs wagte es, den Namen meines Vaterlandes mit einem Titel zu verbinden, den ich nicht wiederholen mag, um Ihr Ohr nicht zu verletzen!«

»Ich hoffe, Sie lehrten den Schurken Lebensart.«

Der Rover blickte seinen Gefährten starr an, ein fürchterliches Lächeln durchzuckte seine sprechenden Züge, als er antwortete:

»Nie wiederholte er die Beleidigung! Es galt sein Blut oder meins; er hat seine Roheit teuer bezahlt.«

»Ihr fochtet wie Männer, und das Glück war dem beleidigten Teile günstig, nicht wahr?«

»Wir fochten, Sir. – Allein ich hatte mich erkühnt, die Hand gegen einen Eingeborenen der heiligen Insel zu erheben! – Es ist genug, Herr Wilder; der König brachte einen treuen Untertan zur Verzweiflung, und er hat vielleicht Ursache gehabt, es zu bereuen. Genug für jetzt; ein anderes Mal vielleicht mehr. Gute Nacht!«

Wilder sah seinen Kommandeur die Leiter hinabsteigen zur Schanze; und nun war er allein, und konnte seinen Gedanken während einer Wache, die seiner Ungeduld endlos vorkam, freien Lauf lassen.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Wenn auch die meisten von der Mannschaft des Delphin teils in ihren Hängematten, teils zwischen den Kanonen in tiefen Schlaf versunken lagen, so gab es doch in einem andern Teile des Fahrzeugs glänzende Augen, die sich vor Angst nicht schließen wollten. Der rote Freibeuter hatte den Damen gleich bei ihrer Aufnahme ins Schiff seine eigene Kajüte abgetreten; dort saßen sie in ernstem Gespräche beisammen.

Von der Lampe aus geschlagenem, massivem Silber, die von der Decke herabhing, fiel ein schiefer Strahl des milden, weichen Lichtes auf das schmerzlich sinnende Antlitz der Erzieherin; ein hellerer umglänzte das blühende und frische Gesicht ihrer Gefährtin, das aber nicht soviel Ausdruck hatte, weil sie weniger in Gedanken versunken war. Den schattigen Hintergrund des Gemäldes bildete die schwärzliche Gestalt der schlummernden Kassandra.

»Ich bleibe dabei, teuerste Madame, daß sowohl die Fasson dieser Verzierungen als der Stoff, aus dem sie bestehen, etwas Außergewöhnliches in einem Schiffe sind.«

»Und was schließen Sie daraus?«

»Ich weiß nicht, aber ich wünschte, wir wären wohlbehalten im Hause meines Vaters.«

»Gott gebe es! Es wäre unklug, länger zu schweigen… Gertraud, alles, wovon wir heute Zeuge waren, hat mein Gemüt mit fürchterlichem, entsetzlichem Verdacht erfüllt.«

Das Mädchen erbleichte, während jeder ängstliche Zug in ihrem Antlitz um eine nähere Erklärung zu bitten schien.

»Ich war lange genug auf einem Kriegsschiffe, um mit den Schiffsgebräuchen vertraut zu sein,« fuhr die Gouvernante fort, die eine so lange Pause gemacht hatte, um sich selbst erst alle Gründe ihres Verdachtes klar werden zu lassen; »allein niemals sah ich Sitten, wie sie sich in diesem Schiffe von Stunde zu Stunde deutlicher entwickeln.«

»Aber was für einen Verdacht haben Sie in Hinsicht des Schiffes?«

Der Blick tiefer, zunehmender mütterlicher Angst, den die liebenswürdige Fragestellerin als Antwort erhielt, würde genügt haben, um eine andere, die mehr als dies reine Wesen gewohnt gewesen wäre, über die Verderbtheiten der menschlichen Natur nachzudenken, mit einer bestimmten Ahnung zu erfüllen; Gertrauden jedoch gab der Blick nur den allgemeinen Begriff von unbestimmter Gefahr.

»Warum sehen Sie mich so an, meine Erzieherin – meine Mutter?« rief sie, indem sie sich vorwärtsbeugte und mit einer bittenden Miene ihre Hand auf den Arm der Wyllys legte, als wollte sie diese aus einer Verzückung zurückrufen.

»Ja, ich will mein Schweigen brechen: besser ist’s, Sie wissen das Ärgste, als daß Sie bei Ihrer schuldlosen Unbefangenheit der Täuschung ausgesetzt bleiben. Ich traue dem Gewerbe dieses Schiffes nicht, und ebensowenig dem Charakter aller, die dazu gehören.«

» Aller?«

»Ja, aller.«

»Es kann freilich böse und mißwollende Menschen in der königlichen Flotte geben, aber sie dürfen uns gewiß nichts zuleide tun; die Furcht vor der Strafe, wenn nicht die Furcht vor Entehrung, wird uns schützen.«

»Ich fürchte, die unbändigen Gemüter, die dieses Schiff hegt, unterwerfen sich nur den Gesetzen, die sie sich selber machen, und erkennen keine fremde Autoritär an.«

»Dann wären sie ja Seeräuber!«

»Und daß sie Seeräuber sind, fürchte ich, werden wir erfahren.«

»Seeräuber? Wie? Alle?«

»Nicht anders, alle. Wo einer eines solchen Verbrechens schuldig ist, können seine Gefährten unmöglich unverdächtig sein.«

»Aber, teuerste Wyllys, wir wissen ja doch, daß wenigstens einer darunter unschuldig ist; da er mit uns ins Schiff gekommen ist, und noch dazu unter Umständen, die gar keinen Trug zulassen.«

»Ich bezweifle es. Es gibt verschiedene Grade von Verworfenheit, so wie die davon befleckten Gemüter verschieden sind; aber ich fürchte, alle, die auf Ehrlichkeit in diesem Schiffe Anspruch machen können, befinden sich in dieser Kajüte versammelt.«

Hier sank der Blick des Mädchens auf den Boden, und ihre Lippen bebten, teils unwillkürlich und daher unwiderstehlich, teils vielleicht aus einer innern, ihr selbst unerklärbaren Bewegung. Mit unterdrückter Stimme sagte sie:

»Wie gegründet auch Ihr Verdacht gegen alle übrigen sein mag, so glaub‘ ich doch, daß Sie unserem gewesenen Begleiter unrecht tun; wir wissen ja, woher er kommt.«

»Es kann sein, daß ich in Beziehung auf ihn irre; doch ist es wichtig, daß wir uns auf das ärgste bereit halten. Fassen Sie sich, Liebe; unser Diener kommt heraus, vielleicht kommen wir durch seine Mitteilungen der Wahrheit näher.«

Hier gab Mistreß Wyllys ihrer Schülerin noch ein ausdrucksvolles Zeichen, eine ruhige Miene anzunehmen, und ging ihr mit dem Beispiel voran, indem ihr Ansehen wieder jene gewohnte sinnende Gelassenheit gewann, die selbst von einem weit erfahreneren Wesen als der Knabe, der jetzt langsam in die Kajüte trat, allen Verdacht ferngehalten hätte. Gertraud verhüllte das Gesicht in ihr Gewand, während Wyllys den Knaben mit einer Stimme anredete, die von Güte und inniger Teilnahme zeugte:

»Roderich, mein Kind, deine Augenlider werden schon schwer. Du bist gewiß noch nicht an den Schiffsdienst gewöhnt?«

»Gewöhnt genug, um nicht einzuschlafen, solang‘ ich auf meinem Posten bin«, erwiderte ruhig der Knabe.

»Für ein Kind in deinen Jahren würde eine sorgsame Mutter besser passen, als die Schule eines Bootsmanns. Wie alt bist du, Roderich?«

»Für meine Jahre könnte ich immer weiser und besser sein«, antwortete er, und ein leiser Zug der Schwermut umdüsterte seine Stirn. »Im nächsten Monat bin ich zwanzig Jahre alt.«

»Zwanzig! Du hast meine Neugier zum besten, junger Schelm.«

»Sagte ich zwanzig, Madame? Fünfzehn würde der Wahrheit näher sein.«

»Das glaub‘ ich auch. Und wieviele von diesen Jahren hast du zu Wasser zugebracht?«

»Eigentlich nur zwei, ob es mir zuweilen auch vorkommt, als wären es zehn; dennoch gibt es auch wieder Stunden, wo sie mir nur ein einziger Tag scheinen.«

»Du schwärmst früh genug, Knabe. Und wie gefällt dir das Kriegshandwerk?«

»Kriegshandwerk!«

»Allerdings. Ich spreche doch deutlich. Wer in einem Fahrzeug dient, das ausdrücklich auf Schlachten berechnet ist, folgt doch wahrlich dem Kriegshandwerk.«

»Ach so! Ja; der Krieg ist allerdings unser Handwerk.«

»Und hast du schon etwas von seinen Schrecken gesehen? War dieses Schiff schon in einem Gefecht, seit du daraus dienst?«

»Dieses Schiff?«

»Nun ja, dieses Schiff; hast du denn schon in einem andern gedient?«

»Niemals.«

»Nun, so kann auch meine Frage nur auf dieses Schiff Bezug haben. Nicht wahr, Prisengelder werden recht oft unter die Mannschaft verteilt?«

»Sehr oft: sie leiden nie Mangel.«

»Dann ist der Kapitän und das Schiff bei den Leuten beliebt; der Matrose pflegt immer das Fahrzeug und den Befehlshaber zu lieben, wo er ein rührig Leben findet.«

»Ganz recht, Madame, wir führen ein rühriges Leben hier. Und es gibt auch einige unter uns, denen das Schiff und der Befehlshaber lieb sind.«

»Und hast du eine Mutter oder sonst Verwandte, denen deine Gage zugute kommt?«

»Habe ich …«

Der Ton von Betäubung, in dem der Knabe ihre Fragen beantwortete, fiel hier der Gouvernante auf, daher wandte sie sich und überflog mit einem schnellen Blick sein Gesicht, um dessen Ausdruck zu lesen. In einer Art von Besinnungslosigkeit stand der Knabe da, und obgleich er sie anzuschauen schien, so war sein Auge doch zu stier, als daß man hätte glauben können, er sähe wirklich den Gegenstand, auf den er blickte.

»Sag‘ mir doch, Roderich,« fuhr sie fort, behutsam jede Anspielung auf seinen Zustand, die seine Empfindlichkeit hätte reizen können, vermeidend, »sag‘ mir doch, wie findest du denn diese Lebensweise? Nicht wahr, recht lustig?«

»Ich finde sie traurig.«

»Seltsam. Die jungen Schiffsknaben gehören doch sonst immer zu den lustigen Sterblichen. Dein Offizier behandelt dich wahrscheinlich sehr strenge.«

Keine Antwort.

»Ich hab’s getroffen: dein Kapitän ist ein Tyrann.«

»Sie irren; nie hat er ein hartes, ungütiges Wort zu mir gesprochen.«

»Ach, er ist also sanft und gütig. Du bist sehr glücklich, Roderich.«

»Ich … glücklich, Madame?«

»Sprech‘ ich denn nicht deutlich? Ja, glücklich.«

»Ach so! Ja; wir sind alle sehr glücklich hier.«

»Das ist schön. Ein Schiff voller Unzufriedenen ist kein Paradies. Und dann befindet ihr euch auch wohl oft an Hafenorten, Roderich, um die Annehmlichkeiten des festen Landes zu genießen.«

»Ich würde mich wenig um das feste Land kümmern, wenn ich nur im Schiff Freunde hätte, die mich liebten.«

»Und hast du denn keine? Ist Herr Wilder nicht dein Freund?«

»Ich kenne ihn nur wenig; ich sah ihn nie früher, als …«

»Als, Roderich?«

»Als damals, wo ich ihn in Newport traf.«

»In Newport?«

»Nun ja; wissen Sie denn nicht, daß wir beide zuletzt von Newport kamen?«

»Ach ja, ich verstehe schon. Zu Newport machtest du also die Bekanntschaft des Herrn Wilder? Gewiß als euer Schiff im Angesicht des dortigen Hafens lag?«

»Wohl. Ich brachte ihm ja den Befehl, daß er das Kommando des Bristoler Kauffahrteischiffs übernehmen sollte, und den Abend vorher war er das allererstemal bei uns.«

»Erst? Das war freilich eine sehr junge Bekanntschaft. Aber dein Kommandeur, denk‘ ich, kannte seine Verdienste?«

»Die Mannschaft hofft es. Doch …«

»Was wolltest du sagen, Roderich?«

»Keiner an Bord darf sich herausnehmen, den Kapitän nach seinen Ursachen zu fragen. Sogar ich muß verstummen.«

» Sogar du!« rief Mistreß Wyllys mit einem Erstaunen aus, das auf einen Augenblick ihre Zurückhaltung besiegte. Allein der Knabe war so sehr in Gedanken versunken, daß er den plötzlichen Wechsel in ihrem Tone nicht bemerkte. Ja, er hatte so wenig Bewußtsein von dem, was um ihn vorging, daß die Gouvernante, ohne im mindesten zu befürchten, er könne es gewahr werden, Gertraud bei der Hand faßte, und schweigend auf die besinnungslose Gestalt des Knaben hinwies.

»Was meinst du, Roderich, würde er auch uns eine Antwort verweigern?«

Der Knabe schrak auf: und sowie sein Blick auf das sanfte, sprechende Antlitz Gertrauds fiel, blitzte auch das Bewußtsein wieder durch seine Seele, und er antwortete feurig:

»Ob sie auch von seltener Schönheit ist, so überschätze sie diese nicht. Kein Weib vermag es, sein Gemüt zu zähmen.«

»Ist er denn so harten Herzens? Glaubst du, daß eine Frage von dieser Schönen keine Rücksicht bei ihm finden werde?«

Mit ebenso vielem Ernst als Weichheit und Trauer in der Stimme antwortete er: »Hören Sie mich, Dame. Meine letzten zwei Jahre sind so angefüllt mit Erfahrungen, ich hab‘ soviel währenddem gesehen, daß mancher Jüngling wohl zwischen seinen Kinder- und Mannesjahren nicht mehr sehen und erfahren kann. Dies ist kein Ort für Unschuld und Schönheit. O, verlassen Sie das Schiff, selbst wenn Sie es mit dem Zustande vertauschen sollten, in dem Sie sich bei Ihrer Ankunft befanden, ohne ein Verdeck, unter dem Sie das Haupt zur Ruhe legen können!«

»Leicht dürfte es zu spät sein, diesem Rat zu folgen«, erwiderte tiefsinnig Mistreß Wyllys, indem sie einen Blick auf die schweigende Gertraud warf. »Doch sag‘ mir mehr von diesem außerordentlichen Schiffe. Roderich, du bist nicht geboren, um eine solche Stelle, wie deine jetzige, zu bekleiden.«

Der Knabe schüttelte den Kopf, hob aber die Augen nicht vom Boden, offenbar abgeneigt, mehr über diesen Punkt zu antworten.

»Wie kommt es, daß der Delphin jeden Tag eine andere Flagge führt? Und warum ist das Schiff seit mehreren Tagen ganz anders bemalt, so daß es dem Sklavenhändler von Newport gar nicht mehr ähnlich sieht.«

»Und warum«, erwiderte der Knabe mit einem halb traurigen, halb bittern Lächeln, »kann niemand in das Interesse dessen hineinschauen, der diese Veränderungen ganz nach eigenem Willen vornimmt? Wenn sich im Schiffe weiter nichts veränderte als die Farben, so ließe sich noch immer glücklich darin leben!«

»So bist du also nicht glücklich, Roderich? Soll ich Kapitän Heidegger für dich bitten, daß er dir deine Entlassung gebe?«

»Ich kann nicht wünschen, je einem andern zu dienen.«

»Wie! Du klagst, und doch liebst du deine Fesseln?«

»Ich klage nicht.«

Die Gouvernante betrachtete ihn scharf; nach einer kleinen Pause fuhr sie fort: »Fallen solche aufrührerische Auftritte, wie der, den wir heute gesehen haben, öfter unter den Leuten dieses Schiffes vor?«

»O nein. Sie haben von den Leuten nur wenig zu besorgen; der sie zur Ordnung zurückbrachte, versteht sich schon drauf, sie zu bändigen.«

»Sind sie denn nicht aus königlichen Befehl angeworben?«

»Auf königlichen? Jawohl, der ist wahrlich ein König, der keinen Höhern über sich hat.«

»Sie wagten’s aber doch, das Leben des Herrn Wilder zu bedrohen. Pflegen Matrosen in königlichem Dienste so frech zu sein?«

Der Knabe schoß einen Blick auf Mistreß Wyllys, der zu verstehen gab, daß er recht gut ihre Verstellung, als wäre sie mit dem Gewerbe des Schiffes unbekannt, durchschaue – aber er schwieg.

»Glaubst du, Roderich,« fuhr die Gouvernante fort, die es jetzt freilich für überflüssig hielt, ihre weiteren Fragen auf die bisherige verdeckte Weise zu tun – »glaubst du, Roderich, daß uns der – Frei… daß uns der Kapitän Heidegger erlauben würde, im ersten Hafen, der sich uns darbietet, zu landen?«

»Wir sind schon bei vielen vorübergefahren, seit Sie im Schiffe sind.«

»Wohl viele, allein es waren vielleicht solche, denen sich der Kapitän nicht gerne nähern mochte; wie aber, wenn wir einen Hafen erreichen, in den sein Schiff ohne Gefahr einlaufen kann?«

»Solcher Orte sind nicht viele.«

»Aber wenn ein solcher Ort kommt, glaubst du nicht, daß er uns erlauben wird, zu landen? Wir haben Gold, ihn für seine Mühe zu lohnen.«

»Er macht sich nichts aus Gold. Er gibt mir immer eine Handvoll, wenn ich von ihm was verlange.«

»Dann bist du ja aber glücklich. Überfluß an Gold entschädigt doch wohl für einen kalten Blick, den man dann und wann erhält.«

»Nie!« erwiderte der Knabe schnell und ausdrucksvoll. »Hätte ich ein ganzes Schiff voll von diesem Staube, ganz gäbe ich es dahin, um seinem Auge einen einzigen gütigen Blick damit zu entlocken.«

Das Feuer in der Sprache des Knaben erregte die höchste Aufmerksamkeit der Mistreß Wyllys. Sie stand auf, näherte sich ihm von der Seite, wo das Licht der Lampe voll auf seine Züge fiel, und sah den großen Tropfen, der unter den langen, seidenen Augenwimpern hervorbrach, herabrollen über eine Wange, von der Sonne zwar gebräunt, die aber nun, vom durchdringenden Blick der Dame getroffen, in ein immer tiefer werdendes Rot aufglühte; langsam und scharf ließ nun die Gouvernante das Auge an der Gestalt des Knaben hinabgleiten bis zu dessen zarten Füßen, die kaum groß genug schienen, ihn zu tragen. – Das Sinnende und Gütige, der gewöhnliche Zug im Gesicht der Gouvernante, machte hier einem Blicke kalter, fremder Achtung Platz, und ihre ganze Gestalt schien erhabener, als sie streng und mit der keuschen Würde einer Matrone fragte:

»Knabe, hast du eine Mutter?«

»Ich weiß nicht«, war die halberstickte Antwort aus kaum sich trennenden Lippen.

»Genug; ein andermal sprech‘ ich mehr mit dir. Kassandra wird künftig den Dienst in der Kajüte verrichten; wenn ich deiner bedarf, werde ich den Gong anschlagen.«

Roderich ließ das Haupt fast auf die Brust sinken, so wenig konnte er das kalte, prüfende Auge der Matrone ertragen, das seine Gestalt verfolgte, bis sie in der Luke untertauchte. Kaum war der Knabe verschwunden, als Frau Wyllys auf Gertraud zueilte, sie umarmte und das erschreckte Mädchen mit einem Feuer an ihr Herz drückte, das deutlich zeigte, wie bekümmert sie in diesem schrecklichen Augenblicke um ihren geliebten Pflegling war.

Wieviel Stoff zum Nachdenken indessen beide auch haben mochten, so blieb ihnen doch keine Zeit zum Austausch ihrer Ideen, denn es klopfte sanft an die Tür, die Gouvernante gab die übliche Antwort, und der Rover trat in die Kajüte.

Einleitung Coopers

Einleitung Coopers

Seit die vorliegende Erzählung zum ersten Male erschienen ist, wurde sie von dem Verfasser nicht wieder gelesen, und jetzt erst hat er sich entschlossen, sie behufs des Wiederabdrucks in einer größeren Sammlung einer nochmaligen Durchsicht zu unterwerfen. Diese Arbeit hat ihn eine gute Anzahl von Verstößen darin entdecken lassen: sowohl in Beziehung auf Stil und Korrektheit, als hauptsächlich auf Geschmack. Sie nach Möglichkeit zu vermindern, war der Verfasser eifrig bemüht, und das Buch möchte jetzt der Gunst, die ihm zuteil geworden ist, weit eher wert sein als zuvor.

Was den Gegenstand der Erzählung betrifft, so hat der Verfasser wenig zu erinnern. Amerika ist ein Land beinahe ohne Überlieferungen: die wenigen, die es aufzuweisen hat, sind größtenteils zu bekannt, um der Dichtkunst anheimfallen zu können. Der Zweck unseres Buches ist, Schilderungen des Meeres zu geben, Seemannsgebräuche und Charaktere zu zeichnen, ohne irgend Begebnisse der Wirklichkeit einschließen zu wollen. Nie gab es einen Freibeuter wie den Helden dieser Geschichte; sogar die ihm geliehene Benennung hat der Autor nirgend je gehört, und der Name Red-Rover ist so gut seine Erfindung als alles übrige. Die einzige dem Verfasser vorschwebende sittliche Tendenz war, darzutun, wie Menschen von der edelsten Anlage durch arge Leidenschaften irregeführt werden können: zu erweisen, wie nahe Laster und Tugend aneinander grenzen, wenn Erziehung oder Mißgunst der Verhältnisse edleren Geistern eine verkehrte Richtung geben. Auch sollte gezeigt werden, und, wie wir hoffen, nicht ohne Nutzen, daß sogar das Verbrechen eine glänzende Außenseite haben kann, und daß der Mangel irgendeiner wichtigen sittlichen Eigenschaft, der einem Manne gerechterweise die Achtung anderer entzogen hat, ihn darum noch nicht zum Ungeheuer stempelt; denn wahrlich die schonungslosen Anklagen solcher, die, vom Geschicke begünstigt, vor den Gefahren der Versuchung selbst geschützt bleiben, sind so verwerflich, als das böse Beispiel eines Übeltäters.

Neuntes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Wilder war aus dem Felde geschlagen und nahm seinen Rückzug. Der Zufall oder wie er es selbst geneigt war zu nennen, die Speichelleckerei des alten Seefahrers, hatte seiner kleinen Kriegslist entgegengearbeitet, und ihm alle Hoffnung benommen, sich auf irgendeine Weise wieder in Vorteil zu setzen und seinen Plan auszuführen.

Der junge Seemann ging langsam und mürrisch zur Stadt zurück. Mehr als einmal stand er auf dem Abhange still und heftete seine Augen minutenlang auf die verschiedenen Schiffe im Hafen. So oft er haltmachte, fand er Gelegenheit, dem Interesse, das er an jedem fand, neue Nahrung zu geben. Doch schien es, als mache das für Karolina bestimmte Schiff einen längern und tiefern Eindruck auf ihn; nur daß sich sein Blick ab und zu, auch neugierig und sogar ängstlich über die andern Fahrzeuge erstreckte.

Die Stunde, die zur Morgenarbeit rief, hatte geschlagen; alles kam in Bewegung, in jedem Viertel der Stadt rührten sich fleißige Handwerker. Matrosenlieder schallten in die Morgenstille hinein und wechselten mit ihren gewohnten, langgedehnten, eigentümlichen Jodeltönen ab. Das Schiff im innern Hafen war eines der ersten, aus dem sich das Geräusch und die Laute der Tätigkeit hören ließen und dessen nahe Abfahrt ankündigten. Tiefe Bewegungen und Vorkehrungen trafen zugleich Wilders Auge und Ohr, weckten ihn aus seinen tiefen Gedanken und fesselten bald seine ganze Aufmerksamkeit. – Er richtete sie einzig auf das Schiff, sah die Matrosen die Takelage ebenso langsam und gemächlich hinaufklettern, als dies schnell und eilig geschieht, wenn Not oder Sturm vorhanden ist; er sah hier und da eine Menschengestalt auf den schwarzen, schweren Rahen reiten. Dann, nach einigen Minuten, sah er das fest zusammengerollte Vormarssegel sich von den Rahen lösen, in nachlässig lieblichen Festons hängen; dann, wieder nach einigen Minuten, sah er die unteren Ecken des ungeheuern Segels sich den Enden der damit in Verbindung gesetzten Spieren anschließen, und dann endlich die schwere Rahe langsam den Mast hinaufgewunden werden, die flatternden Falten des Segels nach sich ziehend, bis sich dieses, an allen Ecken angezogen, wie eine breite, schneeweiße Zeltfläche ausbreitete. Gleichzeitig spielten die leichten Luftströme mit ihnen, fielen ein, ließen nach; das Segel schien seinerseits mit dem schwachen Morgenwind zu spielen, blähte sich auf, schlug sich zusammen, als wolle es die Ohnmacht des Angriffs zugleich anzeigen und ihm nur leicht begegnen. Jetzt wurde mit den Vorkehrungen innegehalten: die Matrosen schienen die Kühlde gelockt zu haben und nun abzuwarten, inwiefern ihre Einladung von Erfolg sein würde.

Durch einen vielleicht nur zufälligen und natürlichen Übergang schweiften Wilders Augen von dem Schiffe, auf dem die Vorkehrungen der Abfahrt für ihn so interessant waren, zu dem über, das im äußern Hafen lag; vielleicht geschah es aber auch, um zu sehen, ob jede Bewegung dort Eindruck gemacht und irgendeine Wirkung hervorgebracht hätte. Doch die genaueste und strengste Untersuchung würde hier zu keinem Resultat geführt haben, woraus man irgendeine Verbindung zwischen den Interessen beider Schiffe hätte abnehmen können. Während im ersten Schiffe alles in der größten Tätigkeit war, lag im zweiten alles in der tiefsten Ruhe. Der Anker blieb ausgeworfen, das Schiff unbeweglich; und keine Spur gab zu erkennen, daß die schwarze, leblose Masse bewohnt sei. So still und regungslos schien sie, daß jemand, der in diesem Fache ganz unbewandert gewesen wäre, hätte glauben sollen, es sei ein Felsen im Meere oder irgendein ungeheures symmetrisches, von den Fluten herbeigewälztes Naturspiel, oder gar eines von den fabelhaften, phantastischen Seeungetümen, an deren Dasein das Schiffsvolk glaubt, und das der Boden des Ozeans unter Nebel und Stürmen ausgespien, nachdem es jahrhundertelang in seinem Schoß verborgen gelegen. Dem unterrichteten Auge Wilders gab diese schwarze Masse einen ganz andern Aufschluß. Er durchschaute die anscheinend schlafende Gestalt und fand in ihrer Unbeweglichkeit selbst Zeichen des nahen Aufbruchs. Anstatt in langer, gedehnter Linie ins Wasser zu laufen, war das Ankertau kurz, fast senkrecht, und hatte gerade nur so viel Spielraum außer Bord, als erforderlich war, der Flut zu widerstehen, die den Kiel unterhalb in Bewegung setzte. Alle Boote waren ausgesetzt und in Bereitschaft, so daß es Wildern deutlich war, ihre Bestimmung sei, in der schnellstmöglichen Zeit das Schiff zu bugsieren. Kein Segel, keine Rahe war aus der Stelle, wie es sonst immer zu sein pflegt, wenn ein Schiff im sichern Hafen still liegt, weil alsdann das Volk gewöhnlich mit Untersuchen und Ausbessern beschäftigt ist. Auch fehlte kein einziges Tau von den Hunderten, die sich in den obern Teilen des Schiffs kreuzen und der blauen Himmelsdecke zu Vorhängen dienen. Alles war an seinem Platz und schien auf den Augenblick zu warten, wo es selbst in Gang gebracht werden solle. So wenig sich das Schiff zur geringsten Bewegung anzuschicken schien, war es doch in solcher Lage, daß es augenblicklich die Anker lichten, oder sich, wenn es not täte, seiner Angriffs- und Verteidigungsmittel bedienen konnte. Die Finkenetten waren zwar wie tags vorher zwischen den Regelingen ausgespannt: dies ließ sich aber als reine Vorsicht erklären. Es war Krieg; französische Kreuzer konnten in der Nähe sein. Man wußte, daß sie von den westindischen Inseln aus, längs den Küsten des Festlandes, schwärmten. Das Schiff war im äußern Hafen ihrem Angriff ausgesetzt und mußte auf seiner Hut sein. Es glich in seiner Lage und bei seinen Anstalten einem wilden Tiere oder einem giftigen Reptil, in anscheinend tiefem Schlafe, und so das keine Gefahr ahnende Opfer in seine Nähe lockend, damit es sich desto sicherer darauf stürze und ihm den tödlichen Fang oder Stich versetze.

Wilder schüttelte sein Haupt auf eine Weise, die sattsam zu erkennen gab, wie sehr er die verräterische Ruhe durchschaue. Dann setzte er seinen Weg nach der Stadt fort. So ging’s eine Zeit weiter. Er schlenderte, vertiefte sich schon wieder in Gedanken, und würde sich noch mehr vertieft haben, hätte ihn nicht ein Schlag auf die Schulter geweckt. Er kehrte sich um und erblickte hinter sich den alten Seemann, der ihn eingeholt, und den er in jener Gesellschaft verlassen hatte, in die er selbst so gern aufgenommen worden wäre.

»Master,« redete jener ihn an. »Eure jungen Beine hätten Euch, wie mich dünkt, schneller vorwärts bringen sollen; Ihr segeltet ja dort ab, wie ein vorn scharf und voll gebauter Bermuder, und seht, jetzt hab‘ ich Euch mit meinen alten Knochen ein- und ausgeholt und praie Euch an.«

»Es mag Euch eine außerordentliche Freude machen,« erwiderte Wilder mit Hohnlächeln, »die Wellen mit Euerm Hackebord zu durchschneiden. Wer so segelt, kommt vorwärts, er weiß oft selbst nicht wie.«

»Bruder, ich merke, Ihr seid empfindlich, daß ich es gemacht habe wie Ihr; denn, unter uns gesagt, ich bin bloß Euerm Beispiel gefolgt. Wie konntet Ihr Euch einbilden, daß ein alter Seehund wie ich, der solange auf einem Flaggenschiffe gedient hat, in irgendeiner Sache, die das blaue Wasser betrifft, seine Unwissenheit kundgeben oder eingestehen würde? Wie, zum Henker! Konnte ich wissen, ob es unter den tausend Weisen, ein Schiff zu lenken, nicht auch eine gibt, es rückwärts segeln zu lassen, hätt‘ ich’s nicht von Euch gelernt? Man pflegt zu sagen, ein Schiff sei gebaut wie ein Fisch; und wenn dies der Fall ist, so kann es ja wohl auch ein Krebs, eine Auster sein, nicht wahr? Nenn‘ ich das Ding nicht beim rechten Namen?«

»Schon gut, Alter. Ihr habt Euern Lohn eingestrichen, wie ich vermute. Ein hübsches Präsent von der Admiralswitwe, so daß Ihr nun eine geraume Zeit ruhig beilegen könnt, ohne Euch um die Art und Weise zu bekümmern, wie man nach Eurer Zeit die Schiffe baut. Sagt mir nur, ob Euch Euer Weg den Hügel hinabführt?«

»Bis ganz unten.«

»Das ist mir lieb, Freund, denn meine Absicht ist, ihn wieder hinaufzugehen. Und da nun unser Gespräch ein Ende hat, so sag‘ ich Euch auf Schiffermanier: ›Schmuck Wetter auf die Fahrt!‹«

Der alte Schlaukopf lachte und schüttelte sich auf die gewohnte Weise, als er den jungen Mann linksum machen und die Höhe wieder hinanlaufen sah.

»Nein, Ihr seid mir nie mit einem Konteradmiral auf einem Schiffe gewesen«, sagte er, setzte seinen Stab weiter und schlich langsam fort, wie einer, der die Last der Jahre mit sich schleppt. »Nein, man wird mit den Seekniffen nicht eher fertig, bis man ein paar Kampagnen auf einem Flaggenschiffe gemacht hat, und das am Besanmast!« Dies murmelte er dem jungen Manne nach.

Der junge Mann murmelte seinerseits zwischen den Zähnen: »O des unleidlichen Heuchlers und Schmeichlers. Der Schurke hat sich ein gut Teil in der Welt umgesehen und benutzt nun seine Erfahrungen dazu, ein närrisches Weib zu seinem Vorteil zu ködern. Ich bin froh, daß ich den Kerl los bin, der sich aufs Lügen legt, weil er sieht, daß es mit der Arbeit nicht mehr fort will … Nun wieder zurück. Die Küste ist klar: wer weiß, was sich zutragen kann!«

Den Anfang der Rede hatte er, wie gesagt, unvernehmlich gemurmelt, das Ende dachte er jetzt mehr, als er sprach: da es ihm aber an Zuhörern fehlte, war es ebensogut, als wenn er sich eines Sprachrohrs bedient hätte. Nur sollte es ihm nicht gelingen, die Hoffnung, die er sich gemacht, so bald in Erfüllung gehen zu sehen. Er hatte schon den Hügel erstiegen und sich vorgenommen, wenn man ihn bemerken sollte, ein gleichgültiges, nachlässiges Wesen anzunehmen, um sich nicht zu verraten. Allein dies war nicht einmal nötig, denn obschon er eine ganze Weile nach den Fenstern der Frau von Lacey schielte, wollte es ihm nicht glücken, nur die Nasenspitze einer der Bewohnerinnen zu entdecken. Lärmen und Geräusch genug im Hause: es wurden Koffer und Gepäck von Bedienten nach der Stadt getragen, aber die Hauptpersonen mußten seiner Meinung nach im Innern verborgen sein, um die wenigen Augenblicke noch im häuslichen Gespräch zuzubringen und sich auf den langen Abschied vorzubereiten. Schon wollte er sich getäuscht und verdrießlich auf den Rückweg machen, schon schlich er sich traurig längs der Gartenmauer hin, als er dahinter weibliche Stimmen hörte. – Er lauschte; die Stimmen kamen näher, und bald erkannte sein horchendes Ohr die Musik der jungen Gertraud.

»Wir quälen uns selbst, liebste Madame,« sagte sie, als Wilder die Töne unterscheiden konnte, »wenn wir dem, was solch ein … Individuum gesagt hat, den geringsten Eindruck auf uns zu machen gestatten wollten.«

»Ich fühle vollkommen, liebstes Kind, daß Sie recht haben,« erwiderte die Gouvernante mit schwermütigem Tone, »und doch bin ich so schwach, daß ich eine Art von Aberglauben … von Ahnung … nicht überwinden kann. Liebe Gertraud, wünschten Sie nicht wie ich, den jungen Mann nochmals zu sprechen?«

»Ich, Madame?« rief die junge Person mit einiger Unruhe aus. »Wie können Sie, und wie sollte ich wünschen, den Fremden wiederzusehen? Aus einem so niedrigen … vielleicht auch nicht niedrigen Stande …, aber gewiß einen Menschen, der sich nicht für die Gesellschaft …«

»Wohlerzogener Ladys eignet, wollten Sie sagen. Und woraus schließen Sie, daß der junge Mann so tief unter uns steht?«

Wilder fand in der Stimme der jungen Lady so viel Melodie und Wohlklang, daß er das Persönliche, das ihre Antwort enthielt, verschmerzte oder wohl gar überhörte.

»Weit entfernt,« sagte sie lachend, »daß ich in meinen Begriffen von Stand und Geburt so ekel und vornehm sein sollte als Tante Lacey; müßte ich doch, liebe Wyllys, Ihre eigenen Lehren und Unterweisungen vergessen, wenn ich nicht fühlen sollte, daß Erziehung und Sitten auf Meinungen und Charaktere der Menschen einen starken Einfluß haben.«

»Sehr wahr, mein Kind. Aber ich muß Ihnen gestehen, daß ich von dem jungen Manne nichts gesehen oder gehört habe, was mich glauben machen könnte, er sei ohne Erziehung und von gemeiner Abkunft. Im Gegenteil ist seine Sprache und sogar seine Aussprache die eines Gentleman, und sein Äußeres stimmt mit dem übrigen zusammen. Er hat die freien, einfachen Sitten seines Gewerbes; ich darf Ihnen aber nicht erst sagen, liebste Gertraud, daß junge Leute aus den besten Häusern hierzulande, in den Provinzen, sowie in England, oft unter der Marine dienen.«

»Als Offiziere, liebe Madame; dieser … Mensch trug aber Matrosenkleidung.«

»Nicht so ganz. Das Zeug war feiner, der Zuschnitt modischer als gewöhnlich. Ich habe Admirale gekannt, die in den Erholungsstunden ebenso einhergingen. Seefahrer von Rang lieben die Tracht ihres gewählten Standes, und verschmähen die läppischen Abzeichen.«

»Also sind Sie der Meinung, daß es ein Offizier war? Vielleicht in königlichen Diensten?«

»Kann wohl sein, obschon der Umstand, daß gegenwärtig kein Kreuzer im Hafen liegt, mit der Vermutung nicht übereinstimmt. Nicht aber diese Kleinigkeit ist es, die in mir das unaussprechliche Interesse rege macht, das mich zu ihm zieht. Nein, liebste Gertraud, es ist ganz was anders. Mein Verhängnis hat es gewollt, daß ich in früheren Jahren viel unter Seeleuten gelebt habe, so daß ich selten einen Mann von dieser Klasse in dem Alter und von dem geistreichen, männlichen Wesen sehe, wie diesen, ohne bedeutend aufgeregt zu werden. Doch ich mache Ihnen Langeweile; sprechen wir von etwas anderm.«

»Nicht im geringsten, liebste Madame«, unterbrach Gertraud. »Da Sie den Fremden für einen Gentleman halten, so hat’s nichts zu sagen … So ist es, dünkt mich, nicht so unschicklich, wenn wir von ihm reden. Ob er denn wirklich selbst glauben mag, was er uns glauben machen wollte, daß wir Gefahr liefen, wenn wir uns dem Schiffe anvertrauten, von dem man uns so viel Gutes gesagt hat?«

»Möglich! Wenigstens war ein unerklärbares Gemisch von seltsamer, ich möchte fast sagen, wilder Ironie und inniger Teilnahme in seinem Wesen bemerkbar! Überdies lag in einem Teile seiner Rede barer Unsinn; doch schien er ihn nicht ohne sichtbar ernsthafte Absicht zu sprechen. Liebe Gertraud, Sie sind mit der Seesprache nicht so vertraut als ich; vielleicht wissen Sie nicht mal, daß Ihre gute Tante, die eine so große Bewunderin des edlen Seehandwerks ist, das ihr in so vieler Hinsicht teuer sein muß, bisweilen Ausdrücke gebraucht, die …«

»O ja, gewiß, das weiß ich längst … wenigstens glaube ich es bemerkt zu haben«, unterbrach die junge Lady auf eine Weise, die zu erkennen gab, es werde hier eine für sie unangenehme Saite berührt, und sie wünsche davon abzubrechen. »Es war gewiß sehr anmaßend und unartig von dem Fremden, wenn er wirklich die Absicht hatte, mit einer so harmlosen und allgemeinen Schwäche, die wir überhaupt kaum eine Schwäche nennen können, seinen Scherz zu treiben.«

»Ganz gewiß,« fuhr Frau Wyllys mit einem bestimmteren Tone fort, »und doch schien er mir nicht zu der Klasse hirnloser Spötter zu gehören, die Vergnügen daran finden, die Torheiten anderer aufzudecken. Erinnern Sie sich noch, Gertraud, daß sich gestern, bei der Ruine, Ihre Tante gewisser Ausdrücke bediente, als sie ihre Bewunderung über ein Schiff mit vollen Segeln schildern wollte?«

»Ja doch, ja, ich entsinne mich«, sagte die Nichte mit etwas Ungeduld.

»Einer ihrer Ausdrücke war besonders unrichtig, so weit mich nämlich mein ehemaliger Umgang mit Seefahrern mit ihrer Sprache bekannt gemacht hat.«

»Ich dachte mir’s gleich«, unterbrach Gertraud, »und konnte es Ihren Augen ansehen, aber …«

»Merken Sie auf, Liebe! Es ist gar nichts Außerordentliches, daß eine Dame, wenn sie sich der Seesprache bedient, sich in den Redensarten vergreift und ein Wort fürs andere nimmt: daß aber ein Seekundiger, ein Seemann, in denselben Fehler fällt, ist allerdings merkwürdig. Und dies tat der junge Mann, von dem wir sprechen: und, was noch ausfallender ist, der alte Mann wiederholte den Mißgriff, gerade als wären die Benennungen richtig.«

»Vielleicht«, sagte Gertraud etwas leiser, »haben sie erfahren, daß Tante Lacey die kleine Schwäche hat, sich gern in Unterhaltungen dieser Art einzulassen. Soviel aber ist gewiß, liebste Madame, wenn wir dies genauer bedenken, können wir den Fremden nicht für einen wohlerzogenen Gentleman halten.«

»Ich würde gar nicht mehr an ihn denken, Liebe, wäre es nicht ein geheimes Gefühl, das mich zu ihm zieht, ein Gefühl, das ich nicht beschreiben kann. Ich wünschte, ihn noch einmal sprechen zu können.«

Ein leichter Schrei der jungen Lady unterbrach sie; es fiel etwas in den Garten, und im nächsten Augenblick sprang der Gegenstand ihres Gesprächs über die Mauer, anscheinend den Rohrstock wiederzuholen, womit er die junge Lady erschreckt hatte. Er stellte sich bestürzt, machte viele Entschuldigungen, einen fremden Grund betreten zu haben, hob den Stock auf und schien im Begriff, sich langsam zurückzubegeben. als sei alles das Werk des Zufalls gewesen. Er legte aber in den ganzen Auftritt soviel Artigkeit, Anstand und gute Sitte, daß man mit ziemlichem Grund daraus seine Absicht hätte erraten können, der jungen Dame einen bessern Begriff von seiner Erziehung beizubringen, und ihr den Irrtum zu benehmen, als gehöre er nicht zu einer gebildeten Klasse. Auch verfehlte er seinen Zweck nicht bei ihr. Frau Wyllys war ebenfalls, allein auf eine andere Art, ergriffen worden; sie erblaßte, ihre Lippen bebten, obschon was sie sprach und wie sie es sprach, bewies, daß sie nicht erschrocken war.

»Bleiben Sie noch einen Augenblick, Sir,« sagte sie hastig, »wenn es Ihnen die Zeit erlaubt, und Sie nicht anderswo erwartet werden. Ihre Erscheinung hat so etwas Außerordentliches, daß es mir lieb sein würde, sie zu benützen.«

Wilder verneigte sich und näherte sich den Damen wieder, von denen er sich nur insoweit entfernt hatte, als es nötig war, sie auf den Gedanken zu bringen, er habe nur das zufällig oder ungeschickterweise Verlorene wieder aufheben wollen. Als Frau Wyllys seine Bewegung bemerkte, und daß er sich so bereit zeigte, ihrem Wunsche zu willfahren, geriet sie in einige Verlegenheit, wie sie den Faden des Gesprächs anknüpfen sollte.

»Ich habe mir die Freiheit nehmen wollen,« stammelte sie mehr, als sie es sprach, »mich mit Ihnen wegen des segelfertigen Schiffes im Hafen, und der von Ihnen vorhin darüber geäußerten Meinung nochmals zu besprechen.«

»Die Royal Carolina?« fragte Wilder nachlässig.

»So heißt es, glaub‘ ich.«

»Ich will hoffen, Madame,« setzte er mit Feuer hinzu, »nichts von dem, was ich davon gesagt habe, werde Sie gegen das Schiff selbst einnehmen. Ich verbürge mich dafür, daß es vortrefflich gezimmert ist, und zweifle keineswegs, daß es einen geschickten Kommandeur hat.«

»Und doch haben Sie keinen Anstand genommen, zu behaupten, daß Sie eine Reise auf eben diesem Schiffe für gefährlicher hielten als auf jedem andern, was binnen einigen Monaten aus diesem oder sonst einem Hafen unserer Provinzen auslaufen möchte.«

»Ja, Madame, das habe ich gesagt und behauptet«, sagte Wilder, und legte den größten Nachdruck auf jedes Wort.

»Wollen Sie die Güte haben, Ihre Gründe anzugeben?«

»Irre ich nicht, so habe ich sie der Dame auseinandergesetzt, die ich die Ehre hatte, vor einer Stunde zu sehen.«

»Diese Dame, Sir, ist nicht mehr hier, und gehört überhaupt nicht zu denen, die absegeln sollen. Diese junge Lady und ich sind bestimmt, das Schiff als Passagiere zu besteigen.«

»So hatt‘ ich’s auch verstanden«, erwiderte Wilder, seinen nachdenkenden Blick aus die sprechende Miene der tief erregten Gertraud gerichtet.

»Und nun, da kein Irrtum vorwaltet, und Sie wissen, wer die beteiligten Personen sind, muß ich Sie ersuchen, mir nochmals die Gründe anzugeben, weswegen Sie es für gefährlich halten, sich auf die Carolina zu wagen?«

Wilder stockte, errötete, schwieg, als sein Blick dem ruhigen, aber forschenden Blick der Frau Wyllys begegnete: endlich stammelte er:

»Sie verlangen doch nicht, Madame, daß ich Ihnen wörtlich wiederhole, was ich schon gesagt habe?«

»Nein, das verlang‘ ich gewiß nicht: nur ein paar Worte zur Aufklärung der Sache, denn ich bin versichert, daß Sie … Ihre Ursachen gehabt haben, zu sprechen, wie Sie gesprochen.«

»Es ist für einen Seemann äußerst schwer, über ein Schiff zu reden, ohne sich dabei der ihm geläufigen Kunstsprache zu bedienen, und diese Sprache muß Personen Ihres Geschlechts und Ranges durchaus unverständlich sein. Sie waren nie zur See, Madame?«

»Ich? Sehr oft, Sir.«

»Dann will ich versuchen, und zugleich hoffen, mich Ihnen verständlich zu machen. Es wird Ihnen nicht unbewußt sein, daß die Hauptsache beim Schiff ist, daß es im Gleichgewicht bleibe; wir Segler nennen das ›gerade aufstehen‹. Nun darf ich einer so verständigen Dame nicht erst bedenken geben, daß wenn die Carolina von der Richtung des mittelsten Balkens abfällt, für alle an Bord augenscheinliche Gefahr ist.«

»Ich verstehe vollkommen; nur wünschte ich zu wissen, ob gleiche Gefahr nicht überhaupt jedem Schiffe droht?«

»Ohne Zweifel, wenn ein anderes anfährt. Doch ich habe schon manches Jahr mein Geschäft betrieben, ohne mehr als einmal dieses Unglück erlebt zu haben … Dann sind, zweitens, die Hältnisse des Bugspriets …«

»So gut, als sie aus der Hand des besten Takelmeisters kommen können«, ließ sich eine Stimme hinter ihnen vernehmen.

Das Kleeblatt drehte sich um und sah in einer kleinen Entfernung den alten Seefahrer draußen stehen und mit dem Kopf über die Mauer wegsehen.

»Ich bin«, sagte er, »auf den Wunsch der Frau von Lacey, der Witwe meines edeln Kommandeurs und Admirals, hingegangen und habe mir das Schiff angesehen. Mögen nun andere denken, was sie wollen, ich für meinen Teil bin bereit und erbötig, einen körperlichen Eid abzulegen, daß die Royal Carolina ihr Bugspriet auf eine ebenso gute Art befestigt hat, als das beste Schiff, das die britische Flagge führt. Und das ist noch nicht alles, was ich zum Vorteil der Carolina sagen kann; das Fahrzeug ist nett und leicht gespieret und weicht so wenig nach einer Seite hin, als jener Kirche der Einsturz droht. Ich bin ein alter Mann, und meine Rechnung steht auf dem letzten Blatt des Tagebuchs; auch hab‘ ich an jenem Schoner oder jener Brigg nicht das mindeste Interesse, kann auch keines daran haben, aber soviel sag‘ ich und werd‘ ich immer sagen, schändlich ist es, von einem wohlgebauten, gesunden Schiffe Böses zu sprechen, und ebenso unverzeihlich, als es von einem guten Christen zu tun.«

Der alte Mann sprach so nachdrücklich und zeigte dabei einen so natürlichen, ehrlichen Unwillen, daß seine Rede Eindruck aus die Damen machte und zugleich in Wilders Gewissen ein unangenehmes Gefühl erregte.

»Sie sehen, Sir,« sagte Frau Wyllys, nachdem sie vergebens aus des jungen Mannes Antwort geharrt hatte, »wie es möglich ist, daß zwei Männer, die dasselbe Gewerbe treiben, unter sonst gleichen Umständen und bei gleichen Kenntnissen, verschiedener Meinung sein können. Wem von beiden ist nun zu glauben?«

»Dem, den Ihr vortreffliches, untrügliches Gefühl für den Glaubhaftesten hält. Ich wiederhole es, und bei dieser meiner Beteuerung rufe ich den Himmel zum Zeugen meiner Aufrichtigkeit an – ich würde nie meine Einwilligung geben, wenn sich Mutter oder Schwester in der Carolina einschiffen wollten.«

»Unbegreiflich!« sagte Frau Wyllys, sich zu Gertraud wendend, und leise, für sie allein verständlich, sprechend: »Meine Vernunft sagt mir, daß der junge Mann sein Spiel mit uns treibt; und doch ist es ihm mit seinen Beteuerungen so sehr Ernst, und er scheint es so aufrichtig zu meinen, daß ich mich nicht von ihm losmachen kann. Zu welchem von den beiden finden Sie sich, liebste Gertraud, am stärksten hingezogen? Wem glauben Sie am meisten Ihr Vertrauen schenken zu können?«

»Sie wissen, liebste Madame,« erwiderte Gertraud, einen welkenden Strauß zerpflückend und ihre Augen fest darauf heftend, »Sie wissen, meine Liebe, daß ich in dergleichen Dingen ganz unerfahren bin; nur so viel kommt mir vor, der alte Mann hat einen anmaßenden, widerwärtigen Blick.«

»Also scheint Ihnen der jüngere ehrlicher und glaubwürdiger?«

»Nun ja; haben Sie mir nicht selbst gesagt, daß Sie ihn für einen Gentleman halten?«

»Ich sehe nicht ab, wie ihm ein höherer Stand zu größerer Beglaubigung dienen kann. Wie mancher hat diese Vorzüge erhalten, um sie zu mißbrauchen! … Es tut mir leid, Sir,« sich zu Wildern wendend, »daß bei aller Veranlassung offenherziger zu sein, Sie uns einigermaßen zwingen, Mißtrauen in Sie zu setzen, so daß wir Ihrem Rate nicht folgen können, und bei unserm Entschluß verharren müssen, mit der Royal Carolina abzusegeln.«

»Aus dem Grunde meines Herzens, Madame, muß ich den Entschluß bedauern.«

»Es stände ja nur bei Ihnen, sich näher und deutlicher zu erklären.«

Wilder schwieg, dachte nach, stritt mit sich selbst; ein paarmal schienen seine Lippen sich zu bewegen, sich zum Sprechen öffnen zu wollen. Frau Wyllys und Gertraud harrten mit ängstlicher Ungeduld auf seine Antwort; aber nach einer langen und zögernden Pause, im innern Kampfe begriffen, täuschte er beider Erwartung, indem er sagte:

»Es tut mir unendlich leid, mich nicht verständlicher machen zu können; die Schuld liegt lediglich an mir und an meinem Ungeschick. Ich kann nichts weiter tun, als nochmals beteuern, daß in meinen Augen die Gefahr ebenso hell und klar ist, wie die Sonne am Himmel.«

»So bleibt uns nichts weiter übrig, als in unserer Blindheit zu verbleiben«, sagte Frau Wyllys mit einer kalten Verneigung. »Ich danke Ihnen für Ihre guten wohlwollenden Absichten; nur können Sie es uns nicht verdenken, wenn wir einem Rate nicht folgen, der sich in soviel Dunkelheit einhüllt. Schließlich müssen wir um Verzeihung bitten, daß wir so unhöflich sind, Sie auf unserem Grund und Boden zuerst zu verlassen. Die Stunde der Abreise hat für uns geschlagen.«

Wilder erwiderte den ernsten Gruß der Frau Wyllys mit einem ebenso förmlichen; dann verneigte er sich mit mehr Grazie und Herzlichkeit gegen die tiefe, aber kurze Verbeugung der Lady Gertraud Grayson. Er blieb auf derselben Stelle stehen, wo sie ihn verlassen hatten, bis er sie in das Haus eintreten sah; es kam ihm vor, als werfe noch in der Tür die junge Dame ihm, oder der Richtung, in der er stand, einen scheuen, ängstlichen Blick gerade in dem Augenblick zu, als ihre leichte, ätherische Gestalt verschwand. Er drückte nun die rechte Hand auf den Mauerrand und schwang sich mit einem Sprung hinüber. Sowie er den Boden jenseits berührt:, sah er zu seinem Befremden, daß er nur sechs Fuß von dem alten Seemann ab war, der sich zwischen ihm und dem Gegenstand, der ihm so sehr am Herzen lag, zweimal in den Weg gestellt hatte. Doch ließ ihm der Alte nicht Zeit, seinem Mißmut Luft zu machen: er kam ihm mit folgenden Worten zuvor:

»Bruder,« sagte er in vertraulichem, freundschaftlichem Tone, ihm die Hand schüttelnd wie einer, der seinem Gefährten zu erkennen geben wollte, ihm sei der Betrug nicht entgangen, den dieser im Sinne gehabt, »kommt, Bruder, Ihr habt lange genug am Geitau gestanden, es ist Zeit, eine andere Stellung einzunehmen. Ei, ich bin zu meiner Zeit auch jung gewesen, und weiß, was es bedeutet, dem Teufel mehr als nötig einzuräumen, wenn es einem Spaß macht, in seiner Gesellschaft zu segeln. Aber das Alter macht uns bedächtig, und wenn die Zeit kommt, wo man seine Rechnung abschließen soll, und ein armer Schelm bald am Ende seines Lebenstaues ist, so beginnt er mir seinen Schelmstückchen rätlicher umzugehen, gerade wie man aus dem Schiffe, wenn Windstille eintritt, mir dem Wasser haushält, und es nicht Wochen- und monatelang wie Regen über das Deck strömen läßt. Nachdenken kommt mit den Jahren, und der Mensch tut nicht übel, der sich ein wenig von diesem Proviant beizeiten zurücklegt.«

»Ich hoffte, als ich Euch am Fuße der Anhöhe verließ und den Hügel selbst wieder hinaufstieg,« erwiderte Wilder, ohne den unleidlichen Begleiter nur eines Blickes zu würdigen, »ich hoffte, wir würden uns nie wiedersehen. Da es aber das Ansehen hat, Ihr liebt die Höhe, so lasse ich Euch Euer Gelüste befriedigen und kehre in die Stadt zurück.«

Der alte Mann schusselte aber dem stark vorschreitenden Wilder so raschen Ganges nach, daß dieser sich hätte in Lauf setzen müssen, was er aber unter seiner Würde hielt. Einen Augenblick stand er mit sich an, ob er seinen Verfolger und Peiniger nicht gewaltsam von sich abhielte, aber auch diesen Gedanken verwarf er, und nun entschloß er sich, mir nichts dir nichts seinen Weg langsamer fortzusetzen, sich um den andern nicht zu bekümmern, und den Lästigen zu verachten.

Dieser folgte immer in der Entfernung von ein paar Schritten und rief ihm nach: »Master, vorhin setztet Ihr alle Eure Segel bei, so daß ich Mühe hatte, Euch nachzukommen; jetzt scheint Ihr vernünftiger, und ich kann schon eine freundschaftliche Unterhaltung mit Euch anknüpfen. Wart Ihr im Garten dort nicht nahe daran, der alten Lady aufzubinden, die Royal Carolina sei ebenso ’n Schiff wie der fliegende Holländer?«

»Und was brauchtet Ihr der Alten den Irrtum zu benehmen?« fragte stolz Wilder.

»Nicht wahr? Ihr hättet mir’s wohl zugemutet, nach fünfzigjährigen Seereisen zu dulden, daß man in meiner Gegenwart von Holz und Eisen auf eine so unehrbare Weise spreche! – Die Ehre eines Schiffes liegt einem alten Seehunde ebensosehr am Herzen, als die Ehre seines Weibes oder seiner Liebsten.«

»Hört mich an, Freund; Ihr lebt, denke ich, wie andere Euresgleichen, von Essen und Trinken?«

»Ein wenig von jenem, ein gut Teil von diesem«, erwiderte der Alte, sich vor Lachen ausschüttend.

»Und um Euch beides zu verschaffen, macht Ihr’s wie die meisten vom Seevolk: schwere Arbeit, saurer Schweiß und beständige Lebensgefahr?«

»Hm! Das Sprichwort sagt: ›Pferdearbeit, Eselskost‹; so geht’s uns allen!«

»Nu, so will ich Euch ein Mittel an die Hand geben, mal leichter davonzukommen, Geld zu verdienen ohne Müh‘, und es zu vertun nach Gefallen. Wollt Ihr Euch auf ein paar Stunden bei mir verdingen? Seht, da habt Ihr ein Handgeld, und für guten Lohn seid nicht besorgt, wofern Ihr’s ehrlich mit mir meint.«

Der alte Mann streckte die Hand aus und griff nach der Guinee, die ihm Wilder über die Schulter hinhielt, ohne es einmal für nötig zu halten, sich nach seinem Rekruten umzusehen.

»’s ist doch keine falsche?« sagte er, und klopfte damit auf einen Stein.

»Echt Gold, rein Gold, wie es nur aus der Münze kommen kann.«

Der Alte steckte das Stück ruhig ein und fragte dann mit roher, entschiedener Stimme, wie einer, der zu allem bereit wäre:

»Was für eine Hühnerlatte hab‘ ich für das Geld zu stehlen?«

»Nichts so Erbärmliches und Niedriges. Ihr habt nichts weiter zu tun, als was, wie mich dünkt, nichts Neues für Euch ist: Könnt Ihr ein falsches Log angeben?«

»Ja, und im Notfall darauf schwören. Ich versteh‘ Euch; Ihr seid es müde, an der Wahrheit wie an einem neuangesponnenen Seile zu drehen, und möchtet gern, daß ich Euch die Arbeit abnähme.«

»So was Ähnliches. Ihr sollt alles, was Ihr von dem Schiffe gesagt habt, zurücknehmen, und da Ihr verschmitzt genug gewesen seid, der Frau von Lacey die Windseite abzugewinnen, so sollt Ihr Euch dieses Vorteils bedienen und die Sache noch etwas schlimmer machen, als es von mir geschehen ist. Sagt mir aber vor allem, damit ich Euch ganz kennen lerne, seid Ihr jemals mit dem preiswürdigen Admiral gefahren?«

»So wahr ich ein frommer, ehrlicher Christ bin, habe ich von dem preiswürdigen Herrn vor gestern früh kein Sterbenswort gehört. O, Ihr müßt mich von dieser Seite erst recht kennen lernen. Ich bin der Mann nicht, der in einer Historie stecken bleibt, wenn es ihm an Tatsachen fehlt.«

»Das will ich glauben. Nun aber hört meinen Plan.«

»Halt, würdiger Kamerad!« unterbrach ihn jener. » Steine haben Ohren, pflegt man zu Lande zu sagen, weil es zu Lande Steine gibt. Wir Seeleute sagen: Schiffspumpen haben Ohren. Kennt Ihr in der Stadt eine gewisse Taverne, zum ›Unklaren Anker?‹«

»Ich bin dagewesen.«

»Ich will hoffen, Ihr habt sie gut genug befunden, um wieder hinzugehen, denn hier müssen wir uns trennen. Ihr braßt die Segel ein wenig, da Ihr von uns beiden der beste Segler seid, und geht ein paar Straßen auf und nieder, bis Ihr der Kirche dort windwärts gekommen seid. Von da aus steuert Ihr geradezu auf die Bucht des ehrlichen Joseph Joram; hier findet Ihr einen schmucken Ankerplatz, wie ihn sich kein Handelsmann besser in den Kolonien wünschen kann. Ich werde indessen den kürzern Weg nehmen, den Hügel vollends hinabgehen, und dann so ziemlich mit Euch zugleich einlaufen.«

»Wozu die vielen Manöver, das Lavieren, die Querzüge? Könnt Ihr denn kein vernünftig Wort vorbringen oder anhören, wenn die Rumflasche nicht ihre Dienste tut?«

»Keine Beleidigung, Bruder! Ich bin nicht der Mann, wofür Ihr mich anseht. Ihr sollt mich mit der Zeit besser kennen lernen. Einen so nüchternen Menschen wie ich, findet Ihr schwerlich zu Euerm Auftrag. Nein, Bruder, ich habe zu unserer Trennung hier ganz andere Gründe. Gesetzt, jemand merkte, daß wir die Straße zusammengehen und uns unterhalten, Ihr, der in keinem guten Rufe bei der Lady steht, und ich, der soviel bei ihr gelte – würde ich meine Glaubwürdigkeit nicht verlieren?«

»Ihr habt recht. Macht, daß Ihr fortkommt, und dann laßt mich Euch bald wieder treffen, denn da sie im Begriff sind, sich einzuschiffen, ist keine Minute zu verlieren.«

»Seid ohne Sorgen: mit dem Einschiffen hat’s so bald keine Not«, sagte der Alte, die flache Hand über den Kopf ausstreckend, um den Wind aufzufassen. »Da ist noch nicht mal Luft genug, die roten Wangen der jungen Lady dort oben abzukühlen. Ihr könnt gewiß sein, daß ihnen das Zeichen nicht eher gegeben wird, bis sich der Abfahrtwind eingefunden hat.«

Wilder winkte ihm zum Abschiede mit der Hand und trat den Weg an, den ihm jener vorgezeichnet hatte. Im Gehen dachte er dem Eindruck nach, den die frischen und jungen Reize Gertrauds sogar auf den alten herzlosen Mann gemacht, der sich in diesem Augenblick ihrer bildlich erinnert hatte, und sie in seine Windprobe dichterisch einwob. Der Eindruck war nicht tief, denn als er dem abgehenden Wilder eine kleine Weile mit pfiffigem Wesen und ironischem Blicke nachgesehen hatte, machte er sich auf, verdoppelte seine Schritte und eilte, um noch vor ihm den verabredeten Ort ihrer Bestimmung zu erreichen.

Zehntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Als Wilder sich dem »Unklaren Anker« näherte, traf sein Auge und Ohr ein Schauspiel, das mit dem bisher so friedlichen Orte in vollem Widerspruch stand, und in irgendeiner außerordentlichen Aufregung seinen Grund zu haben schien. – Über die Hälfte der Frauen in der Nachbarschaft und ein gutes Viertel der Männer hatten sich vor der Tür des Schenkhauses versammelt und hörten auf die scharfen, schrillenden, durchdringenden Töne einer weiblichen Stimme, deren Deklamation, Klage und Beschwerde von der Art waren, daß es den Zuhörern in dem weiten Kreise, der sie umgab, ebenso unmöglich war, die Rednerin für kalt und unparteiisch zu halten, als selbst kalt und unparteiisch zu bleiben. Bei dem Bewußtsein, daß er sich selbst neuerdings in Verbindungen eingelassen hatte, deren Erfolg er nicht voraussehen konnte, und bei dem innern Gefühl seines Wagstücks, nahm unser junger Abenteurer Anstand, sich in den Haufen zu mischen, und hielt sich abwärts. Es bedurfte eines aufmunternden Blickes, den der alte Seemann auf ihn warf, der inzwischen ebenfalls angekommen war, sich mit Hilfe seiner Ellbogen durch die Menge Raum machte, und so der Gestalt, aus der die Wehklagen ertönten, bald nahe und gegenüber stand. Seinem Beispiele folgend, rückte der junge Mann nun auch vor, begnügte sich aber mit einer Stellung außer dem Gedränge, wo er sehen und hören und auf den schlimmsten Fall sich zurückziehen konnte, ohne von dem Strom aufgehalten oder fortgerissen zu werden.

»Ich rufe euch alle, die ihr hier seid, zu Zeugen, dich, Earthly Potter, und dich, Preserved Green, und dich, Faithsuhl Wantou« (so hörte Wilder die entrüstete Desideria schreien, dann einen Augenblick innehaltend, um Atem zu schöpfen, dann die ganze Nachbarschaft weiter namentlich aufrufend) – »und dich, Upright Crook, und dich, Relent Flint, und dich, Wealthy Poor! Ich rufe euch zu Zeugen auf in meiner Sache. Ihr alle, samt und sonders, alle für einen, und einer für alle, gebt mir Zeugnis, wenn es nottut, daß ich von jeher und immerfort die sklavische, nachgebende Lebensgefährtin und Ehehälfte dieses Mannes gewesen bin, der mich in meinem Alter so schändlich verlassen und mir noch obenein seine vielen Kinder auf den Hals gebürdet hat!«

»Aber«, unterbrach sie der Wirt zum »Unklaren Anker« sehr zur Unzeit, »was habt Ihr denn für Gewißheit, daß er Euch verlassen und sich aus dem Staube gemacht hat? Der gestrige Tag war ein Tag der Freude, ein Siegestag, ein Feiertag; und so ist es denn ganz natürlich, daß Euer Mann, wie so viele andere, die ich nennen könnte – die ich aber nicht so dumm bin zu nennen – ein bißchen, wie soll ich sagen? über die Schnur gehauen hat, und nur etwas später als die übrigen ausschläft. Ich gehe die Wette ein, daß der ehrliche Schneidermeister in wenig Minuten aus irgendeiner Scheune hervorkriecht und sich seinen Morgenschluck Bitters bei mir holt, so frisch und nüchtern, als hätte er am gestrigen Feste seine Kehle nur mit Wasser benetzt.«

Ein allgemeines, halbunterdrücktes Lachen folgte dem Branntweinwitze des Schenkwirts. Nur auf die verzerrten Gesichtszüge der jammernden Desideria brachte er keine Veränderung, noch weniger ein Lächeln hervor: ihre Züge schienen im Gegenteil auf immer die Fähigkeit dazu verloren zu haben.

»Nicht doch,« rief sie, »nicht doch, der Mann hat nicht mal die Courage, sich als ein loyaler Patriot und Vaterlandsfreund an einem Fest- und Freudentage auf die Gesundheit und den Ruhm Sr. Majestät zu betrinken; er kann weiter nichts, der erbärmliche Mann, als nähen und flicken. Ich hab‘ ihn bloß der Arbeit wegen genommen; und nur, weil mir sein Arm und seine Nadel fehlen, vermiss‘ ich ihn, sonst um gar nichts. Ist es nicht ein Elend für mich armes, unterdrücktes Weib, nachdem ich den Mann solange für mich habe arbeiten und Brot schaffen lassen, daß ich mich nun mir nichts, dir nichts hinsetzen und selbst für mich sorgen soll? Aber ich will mich an ihm rächen, solange noch in Rhode-Island oder in Providence Recht und Gerechtigkeit zu finden ist. Laß ihn nur über die Zeit des gesetzlichen Termins wegbleiben! Laß ihn dann nur kommen und mir sein O-Jeminesgesicht zeigen! Er soll schön anlaufen, der Vagabund; er soll sein Weib und seine Tür verschlossen finden, und nichts haben, wo er sein hundsföttisches Haupt hinlege!«

Hier gewahrte sie das aufmerksame Gesicht des alten Seemanns, der sich bis zu ihr hingedrängt hatte. Sie unterbrach sich plötzlich und setzte hinzu: »Hier steht ein Fremder, ein eben eintreffender … Sagt mir, Freund, ist Euch auf Euerm Wege hierher ein Landläufer, ein Deserteur aufgestoßen?«

»Liebe Frau,« erwiderte dieser mit ungemeiner Fassung, »ich habe, während ich mit meinem alten Rumpfe hierzulande segelte, soviel mit mir zu tun gehabt, daß ich Namen und Rang derer, die mir begegnet sind, unmöglich habe in mein Logbuch eintragen können … Doch mir fällt ein, zu Anfang der Tagwache einen armen Teufel auf dem Wege hierher im Gebüsch zwischen der Stadt und dem Stück Fähre an der See angeprait zu haben.«

»Wie sah der Mann aus?« fragten fünf bis sechs Stimmen, ängstlich und in einem Atem, unter denen aber die der Frau Desideria das Übergewicht an Lungenkraft behauptete, ungefähr wie die Kadenzen einer Bravoursängerin über die schwächeren Triller der Choristinnen vorherrschen.

»Wie er aussah, der Mann? Ei nu, wie ein Mann aussieht, der die Armtakelage quer verschränkt hat, und die Schenkelklampen trägt, wie jeder andere Christenmensch. Wie soll er sonst aussehen? … Doch, halt, ich besinne mich: er schleppte ein Bein nach, wie ein lahmes Schaf, und schlenkerte ein gut Teil hin und her im Gehen.«

»Er ist’s! Er ist’s!« rief alles im Chor, sogleich stahlen sich fünf oder sechs eilig davon, in der heimlichen Absicht, dem Ausreißer nachzueilen, um sich wegen einiger kleinen Reste in der Rechnungsbilanz mit dem armen, verschrienen Schuldner abzufinden.

Desideria, die in der Form Rechtens von ihrem Tagedieb nichts zu fordern und in anderer Hinsicht nichts von ihm zu erwarten hatte, war stehen geblieben und fuhr fort, sich bei dem Fremden nach ihm zu erkundigen.

»Hatte der Mann einen Diebesblick?« fragte sie, ohne den Abgang derer bemerkt zu haben, die sich so schnell hintereinander fortgeschlichen hatten und noch eben in ihrem gerechten Schmerze so sympathetisch einstimmten. »Sah er aus wie eine Schlange, wie eine Blindschleiche?«

»Was sein Kopfstück betrifft,« sagte der Alte, »so würdet Ihr zuviel von mir verlangen, wenn ich Euch eine genaue Beschreibung davon machen sollte: doch beim Lichte betrachtet, sah er ziemlich so aus wie einer, der eine geraume Zeit in den Speigaten gelegen hat. Soll ich Euch meine wahre Meinung sagen? Er kam mir vor, als trüge er schwer an einer guten Ladung …«

»Von Müßiggang, wollt Ihr sagen. Ja, ja, Müßiggang ist aller Laster Anfang. Der Mann ist ganzer acht Tage fast ohne Arbeit gewesen; das hat er sich zu Gemüt gezogen, und weil er nichts Besseres zu tun und zu denken hatte, so ist er davongegangen. So ist’s … Er trug schwer …«

»An seinem Weibe«, unterbrach sie der Alte mit pathetischem Nachdruck. Hier entstand ein zweites Gelächter, weit mehr und deutlicher auf Kosten der Dame Desideria, als das erste. Sie aber, nicht im geringsten dadurch aus der Fassung gebracht, und sowohl den groben Scherz des alten Seemanns, als den schallenden Beifall der Umstehenden tapfer und als ein echtes Mannweib verschmähend, fuhr fort:

»O, Ihr könnt nicht wissen, was und wieviel ich so lange Jahre mit dem Manne ausgestanden habe … Sah er aus wie einer, der eben eine beleidigte, gekränkte Frau verlassen hat?«

»Ich will eben nicht behaupten, daß er gerade zu mir gesagt hätte, inwiefern er seine Frau gekränkt und beleidigt, als er sie vor Anker gelassen; soviel aber ist gewiß, wo er sie auch gestauet haben mag, sein Weib, oder auch nicht sein Weib, viel Schiffsgut und Ladung hat er ihr nicht zurückgelassen. Der Mann hatte sich den Hals mit weiblichen Flittern ausstaffiert, so daß ich glauben mußte, er trage um den Nacken lieber ihren Schmuck als ihre Arme.«

»Was!« rief Desideria mit wildem Blick, »hat er meine goldenen Bommeln gestohlen? Was trug er von mir? Meine goldenen Bommeln?«

»Echt oder unecht, will ich nicht schwören.«

»Der Bösewicht!« fuhr sie wütend fort wie eine, die länger im Wasser geblieben, als ihr lieb war, und nach dieser unangenehmen Unterbrechung wieder zu Atem kommt. Zugleich drängte sie sich mit aller Gewalt durch die Menge, um die Größe des Raubes und ihres Verlustes zu übersehen, und rief im Laufen: »Der Bösewicht! Der Räuber! Der Kirchenräuber! Sein Weib bestehlen, an deren Busen er geruht! Die Mutter seiner Kinder bestehlen, und … und …«

»Da höre mir einer ganz was Neues!« sagte der Wirt zum »Unklaren Anker«. »Hab‘ ich doch mein Lebtag nicht gehört, daß man den guten Nachbar Homespun für einen Dieb gehalten: sein Spitzname war Hasenherz, weil er unter dem Pantoffel stand.«

Der alte Seemann schaute dem Wirt starr in die Augen und sagte mit Bedeutung:

»Hätte der ehrliche Schneider sonst niemand bestohlen, als seine Ehehälfte, so würde keine große Diebssünde auf ihm haften; denn mit den Bommeln und Goldperlen, die er um den Hals trug, würde ich nicht mal das Fährgeld bezahlt haben. Alles Gold, was er bei und auf sich trug, könnte in meinem Augenwinkel Platz finden, ohne mich im geringsten am Sehen zu hindern. Weil es aber eine Schande und Sünde ist, die Tür einer ehrlichen Taverne so zu belagern wie einen Hafen, auf dessen Schiffe man ein Embargo gelegt hat, so hab‘ ich, wie Ihr seht, das Weib fortgeschickt, nach ihren Bommeln zu suchen, und den ganzen Haufen hinterdrein, seine Neugier zu stillen.«

Joseph Joram starrte den Fremden mir einem Paar Augen an, die ihm wie bezaubert im Kopfe standen. Augen, Zunge, Hände und Füße blieben eine Minute lang unbeweglich. Endlich brach er in ein heftiges, mächtiges Gelächter aus, denn jetzt roch er Lunte, merkte den Pfiff, der die Menge von seiner Tür nach dem Schneiderhause weggefegt hatte, erkannte den schlauen Fuchs, breitete die Arme nach ihm aus und sagte:

»Willkommen, ehrlicher Jan, ehrlicher Bob! Willkommen, alter Knabe, willkommen! Aus welcher Wolke seid Ihr geregnet? Welcher Wind hat Euch hergeweht? Woher des Wegs? Wie und wann seid Ihr in Newport eingelaufen?«

»Zuviel Fragen auf einmal, um sie in offener Reede zu beantworten; und überhaupt ist’s hier zu trocken für eine geheime Unterredung. Quartiert mich in eine von Euern innern Kajüten ein; setzt mir eine Kanne Flip und ein Stück gut Rhode-Island Rindfleisch in Enterweite hin – und dann soviel Fragen, als Euch beliebt, und soviel Antworten, als sich mit meinen Kauwerkzeugen vertragen.«

»Wer bezahlt mir aber die Musikanten, Bob? Welcher Schiffskassierer steht mir für den Tanz?« sagte der Wirt, indem er den ehrlichen Bob mit einer Bereitwilligkeit ins Haus ließ, die diese Zweifel Lügen strafen, oder die wenigstens durch zuvorkommende Artigkeit die Pille verzuckern sollte.

»Wer?« unterbrach jener, das Goldstück hervorholend, das er von Wilder bekommen hatte, und es auf eine Weise zwischen den Fingern haltend, daß es auch von den paar Leuten gesehen werden konnte, die noch vor der Türe standen, damit sie in diesem kleinen runden Dinge die beste Schutzrede für dessen Eigner lesen möchten: »Wer sonst, als dieser Gentleman! Ich bin stolz, in der Person Seiner Allerhöchsten Majestät des Königs, den Gott erhalte! einen Bürgen für mich aufstellen zu können.«

»Den Gott erhalte!« schallte es von allen loyalen Untertanen wieder, die sich auf der Straße befanden, und in einer Stadt, wo jetzt dieser Ausruf gewiß ebensoviel Staunen, nur weniger Bestürzung verursachen würde, als ein Erdbeben.

»Den Gott erhalte!« wiederholte Joram nochmals, als er eine innere Tür öffnete und seinen Gast hineinließ. »Ihn, und alle, die sein Bild im Beutel führen! Tritt ein, alter Bob, und du sollst bald einen halben Ochsen entern.«

Inzwischen war Wilder in die Gaststube getreten, gerade als sich die Leute vor der Tür zerstreut hatten und das verehrliche Paar, nämlich der Wirt mit dem Alten, tiefer ins Haus gegangen war. Er dachte eben nach, wie er sich mit seinem Verbündeten in Rapport setzen sollte, ohne zuviel Aufsehen zu erregen, als der Wirt zurückkam und ihm die Mühe des weitern Nachsinnens ersparte. Joram sah sich erst schnell im Zimmer um, warf dann einen Blick auf den jungen Abenteurer und näherte sich ihm halb zweifelhaft, mit einem Gesicht, das zu sagen schien: »Kenn‘ ich ihn, oder kenn‘ ich ihn nicht?«

Endlich, als er den Fremden wiedererkannte, der am Morgen bei ihm eingesprochen hatte, fragte er:

»Wie steht’s, Sir? Ein Schiff gefunden? Schwerlich; es gibt mehr Nachfrager als Stellen.«

»Weiß nicht, ob es mit mir was wird. Als ich den Hügel hinaufging, begegnete ich einem alten Seemann …«

»Hm!« unterbrach ihn der Wirt, mit einem verstohlenen bedeutsamen Zeichen, ihm zu folgen. »Ich will Euch ein anderes Zimmer weisen, wo Euch das Frühstück besser schmecken soll.«

Wilder folgte dem Wirt, der ihn einen andern Weg aus der Gaststube führte, als er den ehrlichen Bob geführt hatte, und dabei ein geheimes Wesen annahm, das dem jungen Fremden auffiel. Er brachte ihn, tiefes Schweigen beobachtend, durch winkelige Umwege eine Hintertreppe hinauf, bis auf den Hausboden. Hier klopfte er leise an eine Tür. Mit hohler, schwerer Stimme, die Wildern stutzig machte, wurde Herein! gerufen. Er trat ein, fand sich in einer niedern, engen Dachkammer, und niemand darin als den ehrlichen Bob, die alte Bekanntschaft des Wirts, der ihm beim Wiedererkennen diesen Ehrentitel gegeben hatte. Während sich Wilder mit einigem Befremden nach der Stimme, die er gehört zu haben glaubte, umsah, begab sich der Wirt zurück und ließ die beiden allein. Der ehrliche Bob war bei einem wichtigen Geschäft begriffen. Er zerlegte die halbe Ochsenkeule und begoß sie reichlich mit einem Bier, das, in Erwartung des bestellten Flips, ebensosehr nach seinem Geschmack war, als die Knochen- und Fleischmasse. Ohne seinem Besucher Zeit zum Nachdenken zu lassen, lud er ihn ein, den einzigen Stuhl im Kämmerchen einzunehmen, und setzte seine Sektion des Lendenstückes so emsig fort, als sei keine Unterbrechung vorgefallen.

»Der ehrliche Joseph Joram«, sagte er, nachdem er einen Zug getan, der die Kanne fast bis auf den Boden leerte, »muß beim Metzgergewerk gute Freunde haben. Dies Rindvieh schmeckt so gut, daß man es für ein Stück Hellbutte halten sollte. Ihr seid weit gewesen, Landsmann; doch ich sollte sagen ›Seemann‹ oder noch lieber ›Tischkamerad‹, da wir beide an einem Tische ankern – nicht wahr, Ihr seid weit gereist?«

»Ein gutes Teil; müßte sonst ein schlechter Seefahrer sein.«

»Nu dann, so sagt mir frei raus, seid Ihr jemals in einem Lande gewesen, das, wie unser edles Amerika, wo wir beide vor Anker liegen, und wo wir beide, wie ich hoffe, geboren sind, soviel Herrliches an Fisch, Fleisch, Geflügel und Obst hervorbringt?«

Wilder, der seine Ursachen hatte, das Gespräch noch nicht auf den beabsichtigten Gegenstand zu bringen, weil er seine Gedanken erst sammeln und ordnen, und dabei gewiß sein wollte, ob ihn niemand behorche, sagte:

»Es hieße die Vaterlandsliebe zu weit treiben, wenn man dem Lande, das uns geboren, den Vorzug vor allen andern gäbe, England, wie es allgemein angenommen wird, übertrifft uns in allen diesen Gegenständen.«

»Allgemein angenommen? Angenommen? Von wem? Von unseren Nichtswissern, von unseren Alleswissern, von unseren sieben Jungenweisen! Ich, ein Mann, der die vier Erdteile gesehen, und die vier Wasserteile dazu, ich stehe auf und strafe die Großmäuler Lügen. Wer wir sind Kolonien, mein Freund: wir sind Kolonien, und in einer Kolonie ist es ebenso keck, der Mutter zu sagen, daß die Tochter diesen oder jenen Vorzug hat, als es sich für Jack beim Fockmast schicken würde, seinem Offizier unrecht zu geben, auch wenn er unrecht hätte. Ich bin nur ein armer Wicht, Master. Wie nenn‘ ich Ew. Ehren?«

»Mich? Mein Name ist … Harris.«

»Ich bin, wie gesagt, nur ein armer Mann, Master Harris; aber ich habe zu meiner Zeit manchen Wachtposten kommandiert, und so alt und rostig als ich Euch scheinen mag, bin ich manche lange Nacht auf dem Verdeck gewesen, ohne andere Beschäftigung als meinen Gedanken nachzuhängen. – Freilich hab‘ ich dabei nicht soviel von der Philosophie abgekriegt, als ein besoldeter Herr Pfarrer, oder ein bezahlter Herr Richter. Laßt Euch’s aber dennoch von mir sagen, es ist ein dumm Ding um einen, der weiter nichts ist, als der Bewohner einer Kolonie. Es benimmt einem allen Stolz und allen Mut, und hilft einen zu dem machen, wozu ihn das Mutterland – sein Herr und Meister – gern gemacht haben will. Ich will nichts mehr sagen vom Obst, von seinen Gerichten, von dem, was Leckerei heißt und aus dem Lande zu uns kommt, von dem Ihr und ich nur zuviel gehört haben: ich will nur mit dem Finger nach jener Sonne hinzeigen und fragen: Denkt Ihr, daß König Georg die Macht hat, sie auf das Stück Insel, wo er lebt, ebenso wohltätig scheinen zu lassen, als sie hier in seinen unermeßlichen Provinzen von Amerika scheint?«

»Gewiß, nein: aber Ihr müßt doch zugeben, was jeder behauptet, nämlich: daß Englands Erzeugnisse den Vorzug haben vor …«

»Ei was? Eine Kolonie segelt immer an der Leeseite des Mutterlandes. So sagt man und so ist’s; warum? Weil man’s sagt. Ja, sagen läßt sich vieles, Freund Harris. Mit Worten wird’s abgetan. Worte – Worte – Worte! Mit Worten kann man sich selbst ein Fieber an den Hals reden. Mit Worten eine ganze Schiffskompagnie bei den Ohren festhalten. Mit Worten macht man Kirschen zu Pfirsichen, eine Butte zum Walfisch. – Wimmelt nicht die unendliche Seeküste von Amerika, wimmeln nicht alle unsere Flüsse, Seen, Bäche von Fischen, vom Reichtum und Fett unseres Landes? Und doch muß man mit anhören, daß die Diener Sr. Majestät, die von jenseits des Ozeans kommen, von ihren Steinbutten, ihren Schollen, ihren Karpfen schwatzen, als habe Gott der Herr nur Steinbutten, Schollen und Karpfen erschaffen, und als hätte der Teufel, ohne dessen Erlaubnis einzuholen, alle übrigen Fische zwischen den Fingern durchwitschen lassen.«

Bei diesen Worten wendete sich Wilder rasch nach dem Alten und blickte ihn mit einigem Befremden an, während dieser ruhig sein Rindfleisch verschlang, unbekümmert über das, was er gesprochen hatte, weil er es als eine Meinung ansah, wie man sie in der gewöhnlichen Unterhaltung aufzustellen pflegt. Wilder, dem sie mehr aufgefallen war, gab es durch ernste Mienen und ernste Worte zu erkennen.

»Freund,« sagte er, »Ihr scheint mehr von Euerm Geburtslande, als von Loyalität zu halten.«

»Wenigstens bin ich nicht fisch-loyal, das heißt nicht stumm wie ein Fisch. Was Gott erschaffen hat, darüber läßt sich’s, wie ich hoffe, vor Menschen sprechen, ohne jemand zu beleidigen. Was aber die Regierung anbelangt, die ist ein von Menschenhand gedrehtes Seil, und …«

»Und was weiter?« fragte Wilder, als er sah, daß der andere innehielt.

»Hm! Nu, ich denke, der Mensch kann sein eigenes Werk umstoßen, wenn er nichts Besseres zu tun hat. Damit will ich aber nichts gesagt haben, und niemand zu nahe treten, hoff‘ ich.«

»Das habt Ihr so sehr getan, daß es mich mahnt, zu dem Geschäft überzugehen, was uns hierher gebracht hat. Ihr habt doch Euern Mietspfennig nicht vergessen?«

Der alte Segler schob den Tisch ein wenig von sich ab, kreuzte die Arme, schaute seinem Gefährten voll ins Gesicht und antwortete mit Ruhe:

»Wenn ich mal in jemandes Dienste getreten bin, so läßt sich’s auf mich bauen wie auf Felsengrund. Ich hoffe, Ihr segelt denselben Kurs, Freund Harris!«

»Ich wäre sonst kein rechtschaffener Mensch. Vor allen Dingen erlaubt mir aber, ehe ich Euch mit meinen Wünschen und Entwürfen näher bekannt mache, das Nebenkämmerchen zu untersuchen, um vollkommen gewiß zu sein, daß wir allein sind.«

»Ihr werdet nichts weiter darin finden, als das bißchen Staat von Jorams Schwiegertochter. Und da die Türe nicht mal gehörig schließ, so wird Eure Runde bald gemacht sein. Sehen ist besser als glauben.«

Wilder schien die Erlaubnis des Alten nicht abwarten zu wollen, denn er hatte schon die Tür aufgestoßen, als jener noch sprach, und nachdem er sich nun auch überzeugt hatte, daß dieser Raum nur die angegebenen weiblichen Fähnchen enthielt, kam er mit der Miene eines Mannes zurück, der sich verrechnet hat.

»Wart Ihr allein, als ich eintrat?« fragte er nach einer nachdenkenden Pause.

»Nur der ehrliche Joram und Ihr …«

»Sonst niemand?«

»Ich habe niemand gesehen«, versetzte der Alte, aber auf eine Weise, die ein wenig Verlegenheit verriet. »Seid Ihr anderer Meinung, so laßt uns das Zimmer visitieren. Wehe dem Horcher hier im Versteck; er sollte meine Fäuste fühlen.«

»Halt! Antwortet mir auf eines; wer rief vorhin: Herein?«

Bob, der schon aufgesprungen war, die Winkel zu durchsuchen, verlor mit einem Male seine Lebhaftigkeit, dachte einen Augenblick nach, und sich dann plötzlich besinnend, brach er in ein lautes Auflachen aus.

»Aha! Nun merk‘ ich, wo Euch der Floh sitzt. Was man doch für Gedanken aushecken kann! Nicht wahr, wenn geklopft wird und jemand Herein! ruft, der ein Pfund Rindfleisch im Maule hat, so soll er eben die Stimme haben, als wenn seine Zunge im ledigen Schiffsraume spazieren ginge?«

»Also Ihr waret es, der sprach?«

»Ich will darauf schwören«, erwiderte Bob und setzte sich wieder hin, wie jemand, der sich ganz zu seinem Vorteil aus einem bösen Handel gezogen hat. Dann fuhr er fort: »Nu, Freund Harris, habt Ihr Lust, mir Euer Inneres aufzuschließen, so bin ich bereit, Euch anzuhören.«

Wilder schien zwar nicht ganz durch diese Erklärung befriedigt. Gleichwohl rückte er den Stuhl näher an den andern und schickte sich an, den Gegenstand ihres Zusammentreffens ins Licht zu setzen.

»Nach dem, was Ihr gesehen und gehört habt, Freund, brauch‘ ich Euch nicht erst zu sagen, daß ich nicht eben wünsche, die Dame, mit der wir diesen Morgen gesprochen haben, und ihre Gefährtin in der Royal Carolina absegeln zu sehen. Ich nehme es bei unserer Verabredung für hinreichend an, diese Tatsache zugrunde zu legen und es dabei bewenden zu lassen; meine besonderen Ursachen, weswegen ich es gern sähe, wenn die Damen dort blieben, wo sie sind, können dem, was Ihr in der Sache zu tun habt, kein neues Gewicht geben.«

»Ihr habt ganz und gar nicht nötig, einem alten Seebären zu sagen, wie er das Schlappsegel eines vorübereilenden Gedankens fassen und zusammenhalten soll,« sagte Bob, seinem Gefährten einen pfiffigen Wink zuwerfend und sich dabei vertraulich schüttelnd, was Wilder mißfiel; »ich habe keine fünfzig Jahre im blauen Wasser zugebracht, ohne gelernt zu haben, es vom blauen Himmel zu unterscheiden.«

»Ihr glaubt also, Freund, meinen Beweggrund durchschaut zu haben?«

»Es bedarf keines Fernglases zu dieser Entdeckung. Wenn die Alten sagen: Geht! sagen die Jungen: Bleibt! oder denken es wenigstens.«

»Ihr habt hier unrecht, und tut beiden Teilen der Jungen unrecht; denn, auf Ehre, eher als gestern hab‘ ich die junge Person, die Ihr meint, nicht mit Augen gesehen.«

»Ah! Nu bin ich darauf gekommen. Die Eigner der Carolina haben sich gegen Euch nicht so artig betragen, wie sie gesollt, und deshalb erhalten sie nun auch Euern Dank.«

»Dies wäre freilich eine Wiedervergeltung in Euerm Sinne und nach Euern Grundsätzen«, sagte Wilder sehr ernst. »Mit den meinen ist sie nicht übereinstimmend. Auf dem ganzen Schiffe kenn‘ ich keine Seele.«

»Hm! So bleibt mir nichts weiter übrig, als der Gedanke, daß Ihr mit dem Schiff im äußeren Hafen in Verbindung stehen müßt. Nu, nu, wenn Ihr auch Eure Feinde nicht haßt, so liebt Ihr doch Eure Freunde. Das ist doppelt christlich. Wir müssen folglich auf Mittel bedacht sein, die Ladys in das Schiff hinein zu manövrieren.«

»Gott bewahre!«

»Gott bewahre, sagt Ihr? Freund Harris, jetzt kommt mir’s beinahe vor, als ob Ihr die Pardunen Euers Gewissens etwas zu steif anzieht. Obschon ich mit Euch in dem, was Ihr von der Royal Carolina gesagt habt, weder übereinstimme, noch übereinstimmen kann, so ist doch wohl unter uns kein Meinungsunterschied in betreff jenes Schiffes. Ich halte es für einen vollständigen Bau von dem schönsten Ebenmaß in allen Teilen, kurz für ein Fahrzeug, das ein König mit voller Sicherheit besteigen könnte.«

»Ich stell’s nicht in Abrede, aber … ich liebe es nicht.«

»Nicht? Nu, das hör‘ ich gern; und da die Rede eben auf diesen Gegenstand fällt, so muß ich Euch sagen, Master Harris, daß ich noch über dieses Schiff ein paar Worte zu verlieren habe. – Ich bin ein alter Seehund, dem was Außerordentliches in unserem Fache nicht so leicht entgeht. Sagt mir, findet Ihr nicht, daß es sich nicht mit einer ehrlichen Gewerbs- und Handelsweise verträgt, sich wie jenes Schiff vor Anker zu legen, außerhalb des Forts, in einer so schläfrigen, untätigen Lage, wie eine unbewegliche Masse, zumal da es ihr bei alledem anzusehen ist, daß sie eine andere Bestimmung hat, und eine andere Absicht haben muß, als Austern zu fangen oder Schlachtvieh nach den Inseln zu bringen?«

»Ich bin ganz Eurer Meinung und halte es für ein vollkommen gutes, fest- und steifgebautes Schiff. Ihr scheint ihm aber ein faules Gewerbe zuzutrauen? Welches? Etwa fremde Waren einzuschwärzen?«

»Hm! Ich sollte nicht glauben, daß man sich eines solchen Schiffes zum Schmuggeln bedienen würde, obschon der Konterbandehandel ganz und gar kein unebner sein soll. Seht nur, was für eine schöne Batterie das Schiff hat, insofern man sie von hier aus beurteilen kann.«

»Es kommt mir vor, als wollte sie sagen: Unsere Eigner sind des Schiffes noch nicht überdrüssig, und wir wollen schon dafür sorgen, daß es nicht in die Hände der Franzosen falle.«

»Wohl möglich! Kann sein, daß ich mich irre; aber wenn mich meine alten Augen nicht ganz trügen, so lese ich auf der Stirn des Sklavenhändlers, daß, selbst wenn er gültige Papiere führt, und es mit seinen Kaperbriefen seine Richtigkeit hat, nicht alles darauf ist, wie es sein sollte. Was meint Ihr dazu, ehrlicher Joseph Joram?«

Wilder wandte sich unwillig um und erblickte den Wirt, der mit so leisen Schritten eingetreten war, daß er, der seine ganze Aufmerksamkeit auf die Rede des Alten gerichtet hatte, nichts davon gewahr geworden. Jorams Bestürzung über die Frage war weder Spiel noch Verstellung; denn schon hatte sie der Fragende in noch deutlicheren Worten wiederholt, ehe sich der Wirt imstande sah, sie zu beantworten.

»Ich frage Euch noch mal, ehrlicher Joseph, ob Ihr den Sklavenhändler dort im äußern Hafen für ein ehrliches Schiff haltet?«

»Bob, Ihr fallt einem immer so plump mit der Türe ins Haus,« erwiderte der Wirt, die Augen in schiefer Richtung um sich werfend, als wolle er sich überzeugen, ob er auch alle seine Zuhörer um sich sähe, »mit Euern verwünschten Fragen, mit Euern verdammten Vermutungen, so daß ich oft in der Klemme bin, und nicht weiß, wie ich meine fünf Sinne zusammennehmen soll, Euch eine vernünftige Antwort zu geben.«

»Ist es nicht possierlich,« sagte der alte Mann bedächtig und ruhig, »den Wirt zum ›Unklaren Anker‹ verdutzt und duschig zu sehen? Ich frage Euch, ob Ihr nicht auch über das Sklavenschiff Eure Vermutung habt? Ob Ihr nichts argwöhnet? Nichts? Gar nichts?«

»Ich, argwöhnen? Guter Gott im Himmel, bedenkt, Master Robert, was Ihr sprecht. Ich möchte nicht, und gälte es die Kundschaft des Lord-Großadmirals Sr. Majestät, daß in meinem Hause ein einziges ehrenrühriges Wort gegen den Ruf irgendeines makellosen, rechtlichen Sklavenhändlers gesprochen wurde. Gott wolle mich vor der Sünde bewahren, den Charakter irgendeines ehrlichen Untertans Sr. Majestät des Königs anzuschwärzen!«

»Seht Ihr, würdiger, zartsinniger Joram, an dem Schiffe dort draußen im Vorhafen nichts Unrichtiges?« wiederholte Master Robert zum dritten Male, ohne ein Auge, ein Glied, eine Muskel zu verziehen.

»Nu, da Ihr mir so nahe auf den Leib rückt und durchaus wissen wollt, was ich meine, da Ihr überdies ein Kunde seid, der bar bezahlt, so will ich es denn von mir geben, daß, wenn sich was Unregelmäßiges, was Vernunftwidriges, was selbst Ungesetzliches im Betragen des Gentleman zu erkennen gibt …«

»Ihr segelt so nahe beim Winde weg, Freund Joram,« unterbrach der Seemann kalt, »daß man sieht, Ihr möchtet es mit niemand verderben. Ich bestehe also zum viertenmal auf eine gerade, einfache Antwort: Habt Ihr an dem Schiff was Unrichtiges bemerkt?«

»Na, wenn’s denn so sein muß, nichts, auf mein Gewissen nichts,« platzte der Wirt heraus wie ein Walfisch, der aus dem Wasser steigt, um Atem zu schöpfen, »nichts, so wahr ich ein armer Sünder bin, ein unwürdiger Zuhörer und Beichtiger des guten, ehrwürdigen Doktor Dogma … nichts, nichts … gar nichts!«

»Gut, dann seid Ihr ein größerer Schafskopf, als ich mir von Euch eingebildet habe. Weiter im Text: Habt Ihr auch nichts geargwohnt?«

»Bewahre mich der Himmel vor Argwohn! Der böse Feind gibt uns allen Zweifel ein, das ist mal wahr; aber schwach und zum Bösen geneigt ist der, der ihm nicht wiedersteht. Die Offiziere und die übrige Mannschaft des Schiffes sind tapfere Zecher und freigebig wie die Prinzen; und da sie obenein nie vergessen, die Rechnung zu berichtigen, ehe sie das Haus verlassen, so nenn‘ ich sie mit Recht – ehrliche Leute.«

»Aber ich nenne sie Piraten!«

»Piraten?« hallte Joram wider und warf mit offenbarem Mißtrauen den Blick auf Wilder. »Pirat ist ein hartes Wort, Master Robert, und sollte keinem Gentleman an den Kopf geworfen werden, solange es an Beweisen zu einem Injurienprozeß fehlt, der die Sache, wie sich’s schickt, vor zwölf geschworene, gewissenhafte Männer bringt. Aber ich will hoffen, Ihr wißt, was Ihr sagt, und vor wem Ihr’s sagt.«

»Das weiß ich; und nu, da es scheint, daß Eure Meinung über diesen Punkt gerade auf Null hinausläuft, so werdet Ihr wohl die Güte haben …«

»Alles zu tun, was Ihr befehlt«, rief Joram, voller Freude, daß er der Unterhaltung eine andere Wendung geben konnte.

»Hinzugehen und Eure Gäste unten zu fragen, ob sie nicht durstig sind«, fuhr der Alte fort und winkte dem Wirte zu, des Weges, den er gekommen, wieder zurückzugehen. Dabei sah er aus, wie jemand, der gehört sein will, und voraus weiß, daß man ihm gehorchen wird.

Sobald der Wirt die Tür hinter sich zugemacht hatte, wendete sich jener zu seinem Kompagnon und fuhr fort:

»Ihr scheint mir ebenso backliegend wie der ungläubige Joseph, über das, was ich eben gesagt habe?«

»Ei was, alter Mann, Ihr erlaubt Euch da einen harten Argwohn und tätet wohl, zu überlegen, ob Ihr ihn beweisen könnt, eh‘ Ihr ihn wiederholt. Von welchem Piraten hat man hier auf der Küste was gehört?«

»Da ist der wohlbekannte Red-Rover«, erwiderte der andere, die Stimme senkend und einen verstohlenen Blick um sich werfend, als hielt er es für notwendig, bei der bloßen Erwähnung des furchtbaren Namens Vorsicht zu gebrauchen.

»Von dem heißt es ja, er treibe sein Wesen vorzüglich im Karaibischen Meere.«

»Red-Rover ist einer, der überall und nirgends ist. Der König würde einen schönen Preis für den aussetzen, der den Schelm in die Hände der Gesetze lieferte.«

»Leichter gedacht als getan«, antwortete Wilder nachdenkend.

»Mag sein, mag auch nicht sein. Ich bin ein alter Knast, auf der Neige, und mehr berufen bergab als bergauf zu gehen. Mit Euch steht’s anders. Ihr seid ein neu ausgerüstetes Schiff, Eure Takelage steif, Eure Spieren gerade; nichts Geworfenes, Gebogenes an Euch. Wie wär’s, wenn Ihr Euer Glück machtet und das Gelichter dem Könige verhandeltet? Es heißt doch nur, dem Teufel ein paar Monate früher oder später sein Futter gegeben!«

Wilder erstarrte vor Entsetzen und wendete sich von seinem Mitgenossen ab, wie einer, der über die Art höchst unzufrieden war, auf die sich jener ausgedrückt hat. Doch da er wohl einsah, daß er Antwort geben müsse, verwandelte er sie in eine Frage:

»Noch einmal, was für einen Grund habt Ihr, Euern Verdacht für wahr zu halten? Oder was für Mittel habt Ihr, im Fall er wahr wäre, da es hier an königlichen Kreuzern fehlt, den Plan auszuführen?«

»Einen Eid kann ich nicht darauf schwören, daß ich recht habe; wenn wir aber auch das Segel links wenden sollten, so dürfen wir es ja nur wieder rechts wenden, sobald wir den Irrtum einsehen. Was die Mittel anbelangt, so sind sie freilich leichter angegeben, als herbeigeschafft.«

»Geht doch, geht; das ist eitler, leerer Schnickschnack, ein ausgehecktes Hirngespinst Euers alten Kopfes«, sagte Wilder kalt. »Je weniger davon geschwatzt wird, desto besser … Die ganze Zeit haben wir darüber unser eigenes Geschäft vergessen. Ich bin fast der Meinung, Master Robert, daß Ihr falsche Lichter aufsteckt, um der Verbindlichkeit zu entgehen, die Ihr schon halb bezahlt bekommen habt.«

Auf dem Gesichte des alten Matrosen zeigte sich, während Wilder sprach, ein solcher Zug von Zufriedenheit, daß ihn der junge Mann hätte bemerken und darüber stutzen müssen, wäre er nicht mitten in der Rede aufgestanden und schnell und nachdenkend das Kämmerchen auf und ab gegangen.

»Nu ja, nu ja,« nahm der Alte das Wort, und bemühte sich, seine Freude hinter den gewöhnlichen schroffen, selbstischen Ton und Ausdruck seiner Stimme zu verbergen; »ich bin ein alter Träumer, der sich einbildet, mitten im Meere zu schwimmen, wenn er sicher und ruhig am Ufer vor Anker liegt. Mir scheint, ich würde nicht unrecht tun, sobald als möglich mit dem Teufel meine Rechnung abzuschließen, damit jeder seinen Teil von meinem armen Gerippe erhalte, und ich in Zukunft mein eigener Herr und ungeschoren bliebe … Und nun, zu Euer Gnaden Befehl.«

Jetzt nahm Wilder seinen Sitz wieder ein und schickte sich an, seinem Mitverbündeten die nötigen Instruktionen zu geben, die darauf hinausliefen, daß er alles wieder zurücknehmen sollte, was er vorhin zugunsten der Carolina gesagt hatte.

Elftes Kapitel.

Elftes Kapitel.

Sobald der Tag zunahm, fanden sich auch nach und nach die Vorzeichen eines starken Seewindes ein, und mit dem Zunehmen des Windes zeigten sich auf dem Bristoler Kauffahrteifahrer alle jene Bewegungen, die die Absicht verraten, den Hafen zu verlassen. Vor sechzig Jahren war das Absegeln eines größeren Schiffes ein Ereignis von viel mehr Wichtigkeit in einem amerikanischen Hafen, als heutzutage, wo man oft an einem und demselben Tage, und in einem und demselben Hafen zwanzig Schiffe ankommen und zwanzig andere absegeln sehen kann. Ungeachtet ihrer Ansprüche, Einwohner einer der vornehmsten Städte in der Kolonie zu sein, beobachteten die guten Leute von Newport die Bewegung am Bord der Carolina; doch nicht mit jener Art von Teilnahmlosigkeit, die aus Übersättigung entspringt, und die uns Sterbliche endlich auch gegen das seltenste Schauspiel abstumpft, selbst gegen die interessantesten Evolutionen einer ganzen Flotte. Im Gegenteil, in den Kojen wimmelte es unaufhörlich von Knaben, ja auch von erwachsenen Pflastertretern. Selbst die gesetzteren, arbeitsameren Bürgersleute, die sonst mit Minuten zu geizen pflegten, erlaubten sich von Zeit zu Zeit ein Mußestündchen, schlenderten aus ihren dumpfen Werkstätten nach der Küste hin, um sich am erhabenen Anblick eines Schiffes in Bewegung zu ergötzen.

Jedoch waren die Vorbereitungen der Carolina etwas zu zögernd, um die Geduld der mehr als die übrigen auf die Zeit, die liebe Zeit, bedachten Bürger nicht endlich zu erschöpfen. So kam es denn, daß nach und nach die Anzahl der Neugierigen aus der besseren Klasse bis auf die Hälfte geschmolzen war; aber das Fahrzeug zog noch immer keine frische Segel auf, noch immer flatterte nur das eine Segel einsam im Winde. Statt den Wünschen von Hunderten, die sich schon müde gesehen hatten, zu entsprechen, drehte sich das edle Fahrzeug um seine eigenen Anker und legte sich bald auf die eine, bald auf die andere Seite, wie gerade der Wind den Kiel traf, einem raschen Rennpferde gleich, das, noch am Zügel gehalten, am Gebiß schäumt und es nicht abwarten kann, bis es die Luft durchfliege, hin ans Ziel. Nachdem man so eine Stunde gewartet hatte, und nicht begreifen konnte, was vorgefallen sei, verbreitete sich durch die Menge das Gerücht, daß jemand, der ein wichtiges Amt im Schiffe versah, einen bedeutenden Schaden genommen habe. Aber auch dies Gerücht hielt sich nicht lange und war schon fast vergessen, als auf einmal aus einer der Stückpforten der Carolina eine Wolke wirbelnden, aufsteigenden Rauches hervorkam, und dicht darauf ein Flammenblitz, dem ebenso schnell der Knall einer Kanone folgte. Nun entstand unter den von der Erwartung abgemüdeten Zuschauern jenes rege Drängen und Treiben, das der Ankündigung eines lang ersehnten Auftrittes voranzugehen pflegt, und bei jedem einzelnen war’s jetzt ausgemacht, nun würde es mit dem Schiffe vorwärts gehen, es möchte darin vorgefallen sein, was wollte.

Diesem langen Zaudern, den verschiedenen Bewegungen an Bord, dem Signal zur Abfahrt und der Ungeduld der Menge hatte Wilder mit ebenso vielem Ernst als Aufmerksamkeit zugeschaut. Gegen einen Anker gelehnt, der zu einem zur Untätigkeit verurteilten Schiffe gehörte, und auf einem von dem Gedränge etwas entfernten Löschplatze lag, war er eine Stunde lang in derselben Stellung stehen geblieben und hatte während der Zeit kaum den Blick vom Schiffe weggewendet. Als die Kanone abgefeuert wurde, schrak er zusammen, nicht etwa aus jenem Eindruck auf die Nerven, der bei hundert andern dieselbe Wirkung hervorbrachte; was ihn erschreckte, schien vom Lande herzukommen, denn er warf einen ängstlichen; raschen Blick nach den Straßen hin, die zur Kaje führten. Doch nahm er bald seine vorige Stellung wieder an, obgleich die Unruhe in seinen Blicken und der ganze Ausdruck seines sprechenden Gesichtes leicht merken ließ, daß irgend etwas, das des jungen Seemanns Gemüt ganz eingenommen hatte, zu geschehen im Begriff wäre. Eine Minute nach der andern flog dahin, und mit ihnen seine Unruhe; ein Lächeln der Freude glänzte auf seinen Zügen, und seine Lippen bewegten sich, als wenn er vor innerem Behagen ein Selbstgespräch hielte. Allein kaum hatte er sich diesen angenehmen Betrachtungen überlassen, als mehrere Stimmen in der Nähe hörbar wurden, und wie er sich umwandte, erblickte er eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft wenige Schritte von sich. Bald entdeckte sein spähender Blick die Gestalt von Mistreß Wyllys und Gertraud in Reisekleidern, so daß es nun endlich gewiß war, daß sie sich einschiffen würden.

Keine Wolke, die an der Sonne vorüberzieht, verändert das Aussehen der Erde so sehr, als dieser unerwartete Auftritt Wilders Antlitz. Er hatte sich dem Glauben an das Gelingen einer List ganz hingegeben, die zwar hinlänglich seicht war, von der er sich aber doch, auf die weibliche Furchtsamkeit und Leichtgläubigkeit bauend, volle Wirkung versprochen hatte; und nun wurde er von diesem schmeichlerischen Wahn zu einer, alle seine Hoffnung zerstörenden Wirklichkeit aufgerüttelt. Halb unterdrückte Verwünschungen über die Treulosigkeit seines Mitverschworenen vor sich hinmurmelnd, verbarg er sich so sehr als möglich hinter dem Ankerflügel und heftete den düstern Blick auf das Fahrzeug.

Die Gesellschaft, die die Abreisenden bis ans Wasser begleitete, war, wie Gesellschaften zu sein pflegen, wenn der Abschied von geschätzten Freunden bevorsteht: schweigsam und unruhig zugleich. Wer sprach, hatte etwas Rasches, Ungeduldiges im Tone, als wünschte man die Trennung zu beschleunigen, die doch wehe tat, und die Züge derer, die ein Schweigen beobachteten, waren beredt genug, um den innern Gram zu verraten. Gar mancher liebevolle, herzliche Wunsch, gar manches abgezwungene Versprechen ertönte von jugendlichen Stimmen, während dazwischen die weichen, trauernden Antworten aus Gertrauds Munde vernehmbar waren, aber Wilder tat sich Gewalt an und erlaubte sich auch nicht einen einzigen verstohlenen Blick dahin, wo die Sprechenden standen.

Endlich hörte er in der Nähe Fußtritte, und der Seitenblick, den er wagte, begegnete dem der Mistreß Wyllys. Beide waren über das plötzliche gegenseitige Sicherkennen etwas betroffen, allein die Dame gewann die Fassung zuerst wieder und bemerkte mit bewunderungswürdiger Ruhe: »Sie sehen, mein Herr, wir lassen uns von einem einmal unternommenen Plane durch gewöhnliche Gefahren nicht abschrecken.«

»Ich wünsche, Madame, Sie mögen Ihren Mut nicht zu bereuen haben.«

Mistreß Wyllys hielt einen Augenblick, schmerzlich sinnend, inne, blickte dann hinter sich, um sich zu überzeugen, daß sie nicht belauscht werde, trat dann einen Schritt näher auf den Jüngling zu und sprach mit noch leiserer Stimme als zuvor:

»Es ist noch nicht zu spät: geben Sie mir nur einen Schatten von Grund zu dem, was Sie behauptet haben, und ich will die Ankunft eines andern Schiffes abwarten. Töricht genug, machen meine Gefühle mich geneigt, Ihren Worten zu glauben, wenn mir auch meine Vernunft sagt, daß Sie mit unserer weibischen Zaghaftigkeit Ihr Spiel treiben.«

»Spiel? Gilt es solches Wagnis, möchte ich mit keiner Ihres Geschlechts mein Spiel treiben, und am allerwenigsten mit Ihnen!«

»Sonderbar! Von einem Fremden unbegreiflich! Sind Sie nicht imstande, mir eine Tatsache, einen Beweggrund anzuführen, worauf ich mich bei den Verwandten meiner Pflegebefohlenen stützen könnte?«

»Das hab‘ ich schon.«

»So muß ich denn, wie ungern ich es auch tue, annehmen, daß Sie durch zwingende Rücksichten bestimmt werden, Ihren Beweggrund nicht mitzuteilen,« erwiderte die Gouvernante mit einer Mischung von Ruhe und gekränkter Empfindlichkeit, »und ich wünsche um Ihrer selbst willen, er möge kein unedler sein. Nehmen Sie meinen Dank hin für Ihre Absichten, wenn sie redlich, meine Verzeihung, wenn sie es nicht waren.«

Sie schieden mit der Zurückhaltung, die sich äußert, wenn man sich gegenseitig das Mißtrauen abfühlt. Wilder verharrte hinter seiner Brustwehr in stolzer Stellung, und dunkler Ernst umwölkte sein Gesicht. Allein die Nähe der Gesellschaft nötigte ihn, fast alles, was gesprochen wurde, mit anzuhören. Die am meisten sprach, war, wie sich’s bei einer solchen Gelegenheit gebührte, Frau von Lacey, deren Stimme sich oft erhob in weisen Ermahnungen, auf eine solche Weise mit ihren Ansichten über die Schiffahrtswissenschaft vermischt, daß alle darüber erstaunten, wenngleich keine ihres Geschlechts, die nicht etwa das seltene Glück genoß, in engster Bindung mit einem Flaggenoffizier zu stehen, der Hoffnung Raum geben durfte, es Frau von Lacey gleichzutun.

»Und nun, meine teuerste Nichte,« schloß die Witwe des Konteradmirals, nachdem sie ihren Atem und Weisheitsvorrat fast erschöpft hatte in zahllosen Ermahnungen, als da sind: Die Gesundheit in acht zu nehmen, recht oft zu schreiben, ihrem Bruder, dem General, alles wörtlich auszurichten, wenn der Wind hoch gehe, hübsch in der Kajüte zu bleiben, ausführliche Berichte aufzusetzen von allem Merkwürdigen, was auf der Fahrt sich ereignen könnte: – kurz, in allem, was es nur bei einem Abschied dieser Art zu ermahnen und zu erinnern gab – »und nun, meine teuerste Nichte, befehle ich dich der mächtigen See und einem weit Mächtigeren – dem, der sie geschaffen hat. Verbanne von deinen Gedanken alle Erinnerung an das, was du über die Mängel der Royal Carolina gehört haben magst; denn die Meinung des alten Seemanns, der mit meinem betrauerten Admiral segelte, bestärkt mich in der Überzeugung, daß alles nur aus Irrtum hervorgegangen ist.«

»Der Verräter, der Schurke«, murmelte Wilder.

Beim Ende ihrer Rede waren die Augen der würdigen, gutherzigen Matrone voll Tränen, und das Natürliche in dem Zittern ihrer Stimme erfüllte jeden, der sie hörte, mit gleicher Rührung. In dieser herzlichen Stimmung wurde endlich das letzte Lebewohl ausgetauscht, und in der darauffolgenden Minute hörte man schon den Ruderschlag der Bootsknechte, die unsere Reisenden zum Schiff hinführten.

Mit einer Aufmerksamkeit, die fast an Schmerz grenzte, und von der er sich wohl selbst keine Rechenschaft geben konnte, lauschte Wilder dem wohlbekannten Schlagen der Ruder. Aus diesem halb bewußtlosen Hinstarren weckte ihn eine leise Berührung am Ellbogen. Etwas entrüstet über die Zudringlichkeit wendete er sich hastig um und sah einen Knaben von ungefähr fünfzehn Jahren vor sich. Seine Abwesenheit des Geistes machte, daß er erst beim zweiten Blick Roderich, den Burschen des Freibeuters wiedererkannte.

Sein Befremden über die zudringliche Unterbrechung seiner Betrachtungen ging nun in Unwillen über. »Was beliebt?« fragte er.

»Ich bin beauftragt, Ihnen diese Befehle zu übergeben«, war die Antwort.

»Befehle!« erwiderte der Jüngling, indem er die Lippen aufwarf: »Wahrlich, die Macht verdient Gehorsam, deren hohe Verfügungen durch solche Hände gehen.«

»Es ist eine Macht, der man noch nicht ohne Gefahr ungehorsam gewesen ist«, erwiderte mit Ernst der Knabe.

»So! Da muß ich mich denn freilich ungesäumt mit dem Inhalt bekannt machen, sonst dürfte wohl der Verzug verhängnisvoll sein. Hat man dich geheißen, auf Antwort zu warten?« Während dieser Worte hatte er den Brief erbrochen, und als er bei der Schlußfrage aufblickte, war der Bote schon verschwunden. Ein so behendes Wesen wie Roderich in dem Labyrinth von Gegenständen aller Art einzuholen, die auf dem Löschplatz und dem Strand entlang umherlagen, wäre vergebliches Bemühen gewesen, daher öffnete Wilder das Papier und las:

»Ein Zufall hat den Schiffer des zum Absegeln bestimmten Fahrzeuges, die Royal Carolina genannt, unfähig gemacht, seinem Amte vorzustehen. Der, dem die Ladung übergeben ist, hat kein Vertrauen in die Fähigkeit des Nächsten im Range auf dem Schiff; absegeln muß es aber. Man lobt es als einen Scharfsegler. Wenn Sie Zeugnisse über Ihre Aufführung und geeignete Kenntnisse besitzen, benutzen Sie die Gelegenheit und verdienen Sie sich den Rang, den Sie zu bekleiden bestimmt sind. Sie sind einigen von den Beteiligten vorgeschlagen worden, und man hat nach Ihnen überall gesucht. Erreicht Sie Gegenwärtiges noch früh genug, so verlieren Sie keine Zeit, und handeln Sie entschlossen. Lassen Sie sich kein Befremden anmerken, wenn Sie unvermuteten Beistand finden. Ich habe mehr Leute im Sold, als Sie anfangs glaubten. Die Ursache ist klar; Gold ist gelb, obgleich ich bin

Der Rote.«

Der Inhalt und der Ton dieses Briefes ließen Wilder nicht lange auf den Verfasser raten, wenn auch die Unterschrift gefehlt hätte. Einen Blick um sich her werfen und in einen Kahn springen, war Sache einer Sekunde, und ehe noch die Reisenden im Boote das Schiff erreicht hatten, hatte er den halben Weg dahin durchschnitten; da er sein Ruder mit kräftigem und geschicktem Arm handhabte, so stand er bald auf dem Verdeck, wo er sich Bahn brach durch die Menge, die sich auf einem Schiff, das eben in See stechen will, noch dies und jenes zu schaffen macht. So drang er bis zu dem Teil des Schiffes vor, wo ein Kreis von Menschen stand, deren geschäftige und sorgliche Mienen ihm sagten, daß sie bei dem Schicksale des Schiffes am meisten interessiert waren. Bis zu diesem Augenblick war er kaum zu Atem gekommen, geschweige zum Nachdenken darüber, wie sein plötzliches Erscheinen aufgenommen werden dürfte. Hätte er sich nun aber auch zurückziehen oder gar sein Vorhaben aufgeben wollen, so war es jetzt zu spät dazu, wenn er nicht gefahrbringenden Verdacht erregen wollte. Er nahm sich daher schnell zusammen und fragte: »Sehe ich hier den Eigentümer der Carolina?«

»Das Schiff ist an unser Haus konsigniert«, erwiderte ein gesetztes, bedächtiges Individuum mit schlauer Miene und in einem Anzug, der den reichen, aber ökonomischen Handelsmann verriet,

»Mir ist gesagt worden, daß Euch ein erfahrener Offizier fehle.«

»Erfahrene Offiziere sind eine trostreiche Sache für den Eigentümer eines Schiffes von Wert«, antwortete der Kaufmann. »Ich hoffe, die Carolina ist damit wohl versehen.«

»Ich hörte aber doch, man sähe sich ängstlich nach jemand um, der die Stelle des Kommandeurs vertreten könne?«

»Sollte der Kommandeur nicht imstande sein, seiner Pflicht zu entsprechen, so dürfte allerdings von so was die Rede sein. Suchen Sie vielleicht einen Platz im Schiff?«

»Ich bin gekommen, mich um die leergewordene Stelle zu bewerben.«

»So? Es wäre aber weiser gehandelt gewesen, wenn Sie sich erst davon vergewissert hätten, daß eine Stelle wirklich leer geworden sei. Aber Sie verlangen doch wohl nicht ein Kommando in einem Schiff, wie das gegenwärtige, ohne ausreichende Zeugnisse über Ihre Fähigkeit, und daß Sie einem solchen Posten gewachsen sind?«

»Ich hoffe, diese Dokumente werden genügend sein«, sagte Wilder, ihm einige entsiegelte Papiere einhändigend.

Während des Lesens blickte das Männchen mit dem schlauen Auge mehrere Male über die Brille weg auf den Gegenstand der Zeugnisse, und seine abwechselnden Blicke bald niederwärts aufs Papier, bald über die Brille weg auf den Jüngling, zeigten deutlich, daß es sich aus eigenem Anschauen von der Wahrheit des Gelesenen überzeugen wollte.

»Hm, hm! Freilich ein ganz vortreffliches Zeugnis zu Ihren Gunsten, junger Herr; und da es von zwei so respektabeln und vermögenden Häusern, wie Spriggs, Boggs & Komp. und Hammer & Hacket ausgestellt ist, allerdings glaubwürdig. Eine reichere und solidere Firma als die erstere, dürfte wohl in allen Kolonien Sr. Majestät nicht anzutreffen sein, und was die letztere anbelangt, so schätze ich sie sehr, wenngleich einige Neidharde sagen, daß sie sich etwas zu tief einlasse.«

»Wenn Sie eine so große Achtung vor jenen Häusern haben, so hab‘ ich mich wohl nicht übereilt, indem ich so vermessen war, auf meine Freundschaft damit als auf eine gute Empfehlung zu rechnen.«

»Nicht im mindesten, nein, nicht im mindesten, Herr – hm – hm – (mit dem Blick einen der Briefe durchlaufend) jawohl, Herr Wilder; ein billiges Anerbieten in Geschäftssachen ist niemals Vermessenheit. Ohne Anerbieten von seiten des Käufers und Verkäufers würde unsere Ware nicht von der Hand gehen. Teuerster, ha, ha! Wohlverstanden, junger Herr, nicht mit Prosit von der Hand gehen.«

»Ich sehe die Wahrheit Ihrer Bemerkungen ein und wiederhole daher mein Anerbieten.«

»Alles ganz schön und billig. Aber, Herr Wilder, Sie verlangen doch nicht, daß wir ausdrücklich eine Lücke machen, bloß damit Sie sie ausfüllen können – ob zwar zugestanden werden muß, daß Ihre Zeugnisse ganz vortrefflich sind – so gut wie die Wechsel von Spriggs, Boggs & Komp. selber – so verlangen Sie doch nicht, daß wir ausdrücklich …«

»Ich stand im Wahn, der Schiffer sei so bedenklich krank, daß …«

»Krank, aber nicht bedenklich,« unterbrach der verschmitzte Kommissionär, indem er mehrere der Beteiligten und einige andere Zuschauer, die nahe genug standen, um das Gespräch mit anhören zu können, flüchtig anblickte; »krank allerdings, aber doch nicht so sehr, daß er das Schiff verlassen müßte. Nein, nein, meine Herren: das traute Schiff Royal Carolina tritt seine Fahrt an, wie immer, unter der Leitung des alten und wohlerfahrenen Seemanns Nicholas Nichols.«

»So tut es mir leid, Herr, Sie in einem so beschäftigten Augenblicke gestört zu haben«, sagte Wilder mit der Miene getäuschter Hoffnung und trat einen Schritt zurück, um sich wegzubegeben.

»Nicht so eilig – nicht so eilig: ein Handel, junger Mann, schließt sich nicht so rasch ab, wie ihr die Segeltücher von den Rahen fallen laßt. Kann sein, daß Ihre Dienste von Nutzen sind, wenngleich nicht in dem verantwortlichen Amte eines Offiziers. Wie hoch schlagen Sie den Titel Kapitän an?«

»Ich kümmere mich wenig um den Namen, wenn mir nur das Schiff und der Oberbefehl darauf anvertraut werden.«

»Ein sehr gescheiter Junge!« brummte der kluge Kaufmann, »der versteht sich auf den Unterschied zwischen Schein und Sein. Dennoch kann es einem Herrn von Ihrem Verstande und Charakter nicht unbekannt sein, daß sich das Gehalt immer nach der Titularwürde richtet. Handelte ich in dieser Angelegenheit für meine eigene Person, so wär‘ das ganz was anderes, allein als Kommissionär befiehlt mir die Pflicht, das Interesse meines Prinzipals zu wahren.«

»Das Gehalt kommt bei mir nicht in Anschlag,« sagte Wilder mit einer Hastigkeit, die vielleicht alles verdorben hätte, wenn der, mit dem er handelte, nicht ganz in Gedanken verloren gewesen wäre (was immer der Fall war, wenn es einen so löblichen Gegenstand, als Sparen, galt), wie er sich wohl zu möglichst wohlfeilem Preise des andern Dienste sichern könnte, »mir ist es nur um Beschäftigung zu tun.«

»Die sollen Sie denn haben, auch sollen Sie an uns keine Knicker finden. Vorschuß für ein Fährtchen von weniger als einem Monat werden Sie wohl nicht verlangen, ebensowenig wie Akzidenzien fürs Stauen, da das Schiff schon bis zu den Luken angestaut ist, ebensowenig Gratifikationen, da wir Sie hauptsächlich nehmen, um einem so braven Jüngling einen Gefallen zu erzeigen, und die Empfehlungen eines so respektabeln Hauses wie Spriggs, Boggs & Komp. zu honorieren; aber freigebig, über die Maßen freigebig sollen Sie uns finden. Sachte – wer steht uns aber dafür, daß Sie die in dem Avi – wollte sagen, in dem Empfehlungsschreiben genannte Person auch wirklich sind?«

»Ist die Tatsache, daß ich die Briefe besitze, nicht Bürge für meinen Charakter?«

»Das wäre sie allerdings in Friedenszeiten, wo das Reich nicht von der Kriegsgeißel heimgesucht wird. Eine Personbeschreibung sollte dem Dokumente angefügt sein, wie ein Avisbrief einem Wechsel. Da wir demnach in dem vorliegenden Geschäft einiges Risiko laufen, so darf es Sie keineswegs befremden, wenn der Umstand etwas auf den Preis wirkt. Wir sind freigebig; kein Haus in den Kolonien belohnt meines Erachtens mit größerer Liberalität, aber man hat denn doch auch den Ruf der Diskretion zu schonen.«

»Des Preises wegen, das sagte ich Ihnen schon, werden wir nicht uneinig.«

»Gut; es freut einen, bei so liberalen und ehrenwerten Grundsätzen einen Handel zu schließen, aber doch wär‘ es mir lieb gewesen, wenn ein Notariatssiegel oder eine Personalbeschreibung die Zeugnisse begleitet hätte. Dies ist die Unterschrift von Robert Boggs, ich kenne sie wohl, und wollte, ich hätte sie unter einer Verschreibung von zehntausend Pfund, wohlverstanden mit einem verantwortlichen Endosseur; aber diese Unsicherheit, junger Mann, steht Ihrem pekuniären Interesse im Wege, da wir gleichsam dafür garantieren, daß Sie und kein anderer die gemeinte Person sind.«

»Damit Sie sich hierüber vollkommen beruhigen, Herr Bale,« rief eine Stimme aus dem Kreise der nahestehenden Personen, die mit ungewöhnlicher Teilnahme die Ohren spitzte, um kein Wort vom Gange des Handels zu verlieren, »so kann ich dafür Zeugnis ablegen, oder wenn’s nötig sein sollte, auch Bürgschaft stellen, daß der junge Herr die gemeinte Person ist.«

Wilder wandte sich etwas rasch um und war nicht wenig betroffen über die Bekanntschaft, die ihm der Zufall auf eine so außerordentliche, ja so unangenehme Weise zuführte, und noch dazu in einer Gegend, wo er wünschte, vollkommen ungekannt zu bleiben. Zu seinem größten Erstaunen fand er nämlich, daß der hinzutretende Sprecher kein anderer war, als der Wirt zum Unklaren Anker. – Da stand der ehrliche Joram, blickte vollkommen ruhig drein, mit einem Gesicht, dem man’s ansah, es würde auch vor einer höheren Behörde seine Gelassenheit behalten, und erwartete, was seine Bürgschaft auf die scheinbar noch schwankende Gesinnung des Kommissionärs für Wirkung haben würde.

»Ach, der Herr hat bei Euch eine Zeitlang logiert, und da könnt Ihr denn bezeugen, daß er ein pünktlicher Zahler und ruhiger Gast ist! Was ich aber gern möchte, sind Dokumente, um sie der Korrespondenz mit dem Eigentümer daheim anzuweisen.«

»Ich weiß zwar nicht, welche Sorte von Zeugnis Sie für dergleichen vornehme Gesellschaft gut genug halten,« erwiderte gelassen der Gastwirt, indem er mit der größten Unbefangenheit die Hand in die Höhe hielt; »wenn aber die auf Eid gegebene Erklärung eines Hauseigentümers von der Sorte ist, wie Sie es brauchen, nu so sind Sie ja eine Magistratsperson und können mir gleich den Eid vorsagen.«

»Mitnichten! Bin ich auch eine Magistratsperson, so fehlt doch die Form bei dem Eid, und er würde also vor Gericht nicht bindend sein. Aber sagt, was wißt Ihr von dem in Rede stehenden jungen Manne?«

»Daß er für seine Jahre ein Seemann ist, wie Sie ihn in den Kolonien nicht besser finden können. Einige mögen ihn vielleicht an Übung und Erfahrung übertreffen; sehr wahrscheinlich finden sich solche. Kommt es aber auf Tätigkeit, Wachsamkeit und Klugheit an, so würde es kein leichtes sein, seinesgleichen anzutreffen – ganz absonderlich was die Klugheit betrifft.«

»So, Ihr seid also ganz gewiß, daß diese Person eine und dieselbe mit dem in diesen Papieren genannten Individuum ist?«

Mit derselben bewunderungswürdigen Ruhe, die er von Anfang des Gesprächs an gezeigt hatte, nahm Joram die dargereichten Zeugnisse und machte sich dran, sie mit der gewissenhaftesten Sorgfalt durchzulesen. Um dieses Stück zu bewirken, mußte er seine Brille aufsetzen, denn der Wirt zum Unklaren Anker stand im abnehmenden Lebensviertel, und wie er so gemächlich das Lesewerkzeug herauszog, drängte sich Wildern die unwillkürliche Betrachtung auf, daß er ein merkwürdiges Beispiel abgebe, wie selbst die Verderbtheit den Anschein der Ehrbarkeit erhalte, wenn eine ehrwürdige Außenseite das Auge besticht.

»Alles sehr wahr, was dasteht, Herr Bale,« fuhr der Gastwirt fort, indem er die Brille ebenso bedächtig, als er sie aufgesetzt hatte, wieder abnahm, und die Papiere dem Kaufmann hinreichte; »aber man hat vergessen zu erwähnen, wie er die ›Muntre Nanette‹ rettete, auf der Höhe von Hatteras, und wie er ohne Lotsen die ›Margarete‹ durch die Barre des Hafens von Savannah führte, während die Batterien von Norden und von Osten her spielten; ich aber, der ich in meinen jungen Tagen zur See gewesen bin, wie Sie wohl wissen, hab‘ gar oft die Seefahrer von beiden Umständen sprechen hören, und ich kann wohl über die Schwierigkeit ein Urteil fällen. Ich nehme teil an diesem Schiff, Nachbar Bale (denn wenn Sie auch ein reicher Mann sind, ich aber nur ein armer, so sind wir doch immer Nachbarn), ich sage also, ich nehme teil an dem Schiffe, weil es ein Fahrzeug ist, das Newport selten verläßt, ohne klingende Münze in meiner Tasche zurückzulassen, sonst wär‘ ich heute nicht da, um zu sehen, wie es die Anker lichtet.«

Bei diesen Worten gab er hörbaren Beweis davon, daß sein Besuch nicht unbelohnt gewesen war, indem er mit der Hand in der Tasche einen Ton erklingen ließ, der den Ohren des haushälterischen Handelsmannes nicht weniger angenehm war, als seinen eigenen. Die beiden Ehrenmänner lachten wie Leute, die sich verstehen, und die aus ihrem Verhältnisse zur Royal Carolina ihren respektiven Profit zu ziehen wußten. Bale winkte Wilder beiseite, und nach noch einigen Präliminarien wurden endlich die Bedingungen seiner Anstellung festgesetzt. Der eigentliche Schiffer sollte nach diesen Bestimmungen an Bord bleiben, sowohl als Bürge für die Versicherung des Schiffes, als zur Erhaltung des guten Rufes; aber man machte nun kein Geheimnis mehr daraus, daß ihn sein Schaden, der in einem Beinbruch bestand, das die Chirurgen eben zurechtsetzten, aller Wahrscheinlichkeit nach nötigen würde, über einen Monat seine Kajüte und Hängematte zu hüten. Seinem Amte und seinen Pflichten sollte nun während dieser Zeit wesentlich unser Abenteurer vorstehen. Nachdem diese Verabredung noch eine Stunde Zeit weggenommen hatte, verließ der Kommissionär das Schiff, mit der klugen und ökonomischen Weise höchst zufrieden, mit der er seiner Pflicht gegen seinen Prinzipal nachgekommen war. Um aber sein eigenes Interesse nicht aus dem Gesichte zu verlieren, wählte er noch, bevor er in das Boot stieg, eine passende Gelegenheit, um den Wirt zu ersuchen, eine gehörige und förmliche Erklärung von allem aufzusetzen, was er aus eigener Erfahrung von dem eben angestellten Seeoffizier wisse. Der ehrliche Joram ließ es auch an Versprechungen nicht fehlen; als er aber alles nach Genüge arrangiert sah, so konnte er die Notwendigkeit, sich einem nutzlosen Risiko bloßzustellen, nicht einsehen, und wußte es so zu machen, daß er das Halten umging, höchstwahrscheinlich seine Entschuldigung darin findend, daß seine Aussage ja doch bei weitem nicht umständlich genug wäre, um vor den Gerichten bei genauerer Prüfung nach den erforderlichen Bestimmungen von Gewicht zu sein.

Das geschäftige Treiben, das Nachholen halbvergessener Geschäfte, das Getöse, die Wünsche, das Einschärfen der Aufträge für den oder jenen entfernten Hafen, und alle sich durchkreuzende, und scheinbar gar kein Ende nehmende Pflichten, die sich in den letzten zehn Minuten vor der Abfahrt eines Kauffahrteifahrers drängen, besonders wenn glücklicher oder vielmehr unglücklicherweise Passagiere darauf sind – das alles zu schildern wäre überflüssig. Bei dergleichen Gelegenheiten verläßt eine gewisse Klasse von Leuten ein Schiff mit derselben Saumseligkeit, wie irgendeinen andern Ort, wo es was zu verdienen gibt, indem sie so träge an der Schiffsleiter hinabkriechen, wie der Blutegel, wenn er sich mit seinem blutigen Mahl angefüllt hat. Des gemeinen Matrosen Aufmerksamkeit ist zwischen den Anordnungen des Lotsen und dem Abschied von Bekannten geteilt, so daß er bald da, bald dorthin rennt, nur nicht wohin er sollte, und das ist vielleicht die einzige Zeit in seinem Seeleben, wo er den Gebrauch des solang gehandhabten Tauwerks nicht zu kennen scheint. Trotz all dieser verdrießlichen Zauderei und herkömmlichen Belästigungen, ward die »Royal Carolina« endlich doch aller ihrer Besuche, mit der Ausnahme eines einzigen, los, und Wilder konnte sich nun einem Vergnügen überlassen, das niemand als ein Seemann nach Würden zu schätzen weiß – reines Feld auf dem Verdeck und eine wohldisziplinierte Schiffsmannschaft.

Zwölftes Kapitel.

Zwölftes Kapitel.

Die eben erwähnten Auftritte hatten einen geraumen Teil des Tages dahingenommen. Ein stehender Wind hatte sich wohl eingestellt, allein er war nichts weniger als stark. Sobald sich Wilder indessen von den Müßiggängern vom Lande und dem sich in alles mischenden Kommissionär befreit sah, warf er den Blick um sich her, um das Schiff unter den Wind zu bringen. Er ließ daher den Lotsen holen, teilte ihm seinen Entschluß mit und zog sich dann an einen Platz des Verdecks zurück, der geeignet war, ihm teils über die Gegenstände seines neuen Kommandos einen Überblick, teils über die unerwartete und außerordentliche Lage, in die er sich versetzt sah, Muße zum Nachdenken zu lassen.

Der Royal Carolina fehlten keineswegs gerechte Ansprüche auf den pompösen Namen, den sie führte. Es war ein Fahrzeug von jener glücklichen Mittelgröße, wo für die Bequemlichkeit am besten gesorgt zu sein pflegt. Der Brief des Freibeuters bestätigte, daß es wegen seines schnellen Segelns im Ruf stehe, und mit innigem Vergnügen gewahrte der junge Kommandeur, daß es dem Schiffe nicht an Mitteln fehlte, seine besten Eigenschaften entwickeln zu können. Eine gesunde, muntre und geübte Mannschaft, Spieren, die vollkommen der Größe des Fahrzeugs entsprachen, wenig Windfang Verursachendes in den Marsen und Masten, eine vortreffliche Form und Lage, mit einem Überfluß an leichten Segeln, boten alle Vorteile dar, die sich seine Erfahrung nur wünschen konnte. Sein Auge glänzte, als es über diese verschiedenen, seinem Kommando unterworfenen Gegenstände wegglitt, und seine Lippen bewegten sich wie die eines Menschen, der sich selbst halblaut beglückwünscht, oder sich einer Selbstgefälligkeit überläßt, die nach den Vorschriften der Bescheidenheit die Grenzen des Gedankens nicht überschreiten soll.

Jetzt war die Mannschaft unter den Befehlen des Lotsen am Bratspill versammelt und hatte schon angefangen, Kabel aufzuziehen. Diese Arbeit eignete sich ganz dazu, die Kräfte des einzelnen sowohl als die Gesamtkraft im vorteilhaftesten Lichte zu zeigen. Ihre Bewegung um das Bratspill war taktmäßig, rasch und kräftig; ihre Töne rein und munter. Unser Abenteurer, gleichsam als ob er sich seinen Einfluß fühlbar machen wollte, erhob nun mitten im »Ahoi!« der Matrosen seine eigne Stimme mit einem jener abgebrochenen und ermutigenden Zurufe, durch die Seeoffiziere ihre Leute aufzumuntern pflegen. Seine Aussprache war männlich, lebhaft und Gehorsam gebietend. Feurigen Rennern gleich hielten die Matrosen einen Augenblick inne, als sie zuerst dies Signal vernahmen, und jeder warf einen Blick hinter sich, als wollte er die Eigenschaften seines neuen Befehlshabers prüfen. Wilder lächelte mit einiger Selbstzufriedenheit, wandte sich, um auf der Schanze auf und ab zu gehen, und fand sich wieder dem ruhigen, sinnenden, aber doch erstaunten Blicke der Mistreß Wyllys gegenüber.

»Nach der Meinung, die Sie über dies Schiff zu erkennen zu geben beliebten,« sagte die Dame mit scharfer Ironie, »hatte ich nimmermehr erwartet, Sie darauf ein Amt von solcher Verantwortlichkeit verwalten zu sehen.«

»Wahrscheinlich wissen Sie, Madame, daß dem Schiffer ein trauriger Zufall begegnete?«

»Ja, auch hatte ich gehört, daß man vorläufig einem andern Offizier seine Stelle anvertraut hätte. Allein, ich sollte meinen, daß es Sie nicht befremden muß, wenn Sie selbst darüber nachdenken, mich erstaunt zu sehen, indem ich nun finde, wer dieser andere Offizier ist.«

»Unsere Unterredungen, Madame, haben Ihnen vielleicht eine ungünstige Idee von meiner Sachkunde beigebracht. Indessen hoffe ich, daß Sie sich über diesen Punkt beruhigen werden, da …«

»Sie verstehen sich ohne Zweifel auf Ihre Wissenschaft! Wenigstens scheint es, daß eine geringfügige Gefahr nicht imstande ist, Sie davon abzuschrecken, passende Gelegenheit zu suchen, Ihre Kenntnisse zu zeigen. Werden Sie uns mit Ihrer Gesellschaft für die ganze Reise oder nur bis zur Mündung des Hafens erfreuen?«

»Ich hab‘ es übernommen, das Schiff bis zum Ziele seiner Reise zu führen.«

»Dann dürfen wir ja wohl hoffen, daß Sie die Gefahr, die Sie entweder sahen oder doch zu sehen glaubten, jetzt für geringer halten, sonst würden Sie ja nicht so bereitwillig sein, sie mit uns zu teilen.«

»Sie tun mir unrecht, Madame,« erwiderte Wilder warm und unwillkürlich den Blick auf die ernste, aber mit der größten Spannung zuhörende Gertraud richtend: »Es gibt keine Gefahr, der ich nicht freudig die Stirn böte, um Sie oder diese junge Dame vor Leid zu schützen.«

»Ihr ritterliches Betragen kann selbst dieser jungen Dame nicht entgehen!« Mistreß Wyllys entledigte sich nun des Zwanges, den sie bis jetzt in ihren Reden beobachtet hatte, und fuhr in einem natürlicheren, mit ihrer sanften und sinnigen Miene mehr im Einklange stehenden Tone fort: »Das sonderbare Gefühl, daß Sie dennoch ein Freund der Wahrheit seien, wie sehr es auch meine Vernunft verwirft, bleibt immer ein mächtiger Fürsprech für Sie, junger Mann, in meinem Innersten. Da das Schiff Ihrer Dienste bedarf, so will ich Sie jetzt nicht aufhalten; es kann uns nicht an Gelegenheiten fehlen, die uns instand setzen werden, sowohl über Ihren Willen, als über Ihre Fähigkeit, uns nützlich zu sein, ein Urteil zu fällen. Liebe Gertraud, Frauen sind gewöhnlich nur im Wege auf einem Fahrzeuge, besonders wenn eine dringende und schwere Dienstpflicht ruft, wie es hier der Fall ist.«

Eine Röte überflog Gertrauds Wangen bei dieser Anrede, und sie folgte hastig ihrer Gouvernante zur entgegengesetzten Seite der Schanze, während ihr unser Abenteurer mit einem sehnsuchtsvollen Blicke nachsah, der deutlich genug ausdrückte, daß ihm ihre Gegenwart nichts weniger als lästig war. Da aber die Damen einen von allen anderen entfernten Platz einnahmen, wo sie bei einer bequemen Übersicht aller Manöver doch selber am wenigsten der Regierung des Schiffes im Wege waren, so konnte der arme Wilder nicht schicklich das Gespräch fortsetzen, obgleich er sehr gewünscht hätte, die angenehme Unterhaltung nicht eher abbrechen zu dürfen, bis er sich durch die Übernahme des Kommandos aus den Händen des Lotsen dazu gezwungen sähe. Inzwischen war der Anker bereits eingewunden, und die Matrosen waren vollauf damit beschäftigt, mehr Segel beizusetzen. Wilder gab sich nun in sehr aufgeregter Stimmung der Dienstpflicht hin, ließ sich von dem Offizier, der die nötigen Befehle erteilte, die Parole geben, und übernahm die unmittelbare Leitung des Schiffes selber.

Sowie ein Segeltuch nach dem andern von den Rahen fiel, und durch den zusammengesetzten Wind den Mechanismus auffing, gewann das Interesse, das ein Seemann stets an seinem Schiffe nimmt, mehr und mehr über jedes andere Gefühl die Oberhand. Als alles in Ordnung war, von den Oberbramsegeln an bis zum Verdeck, und das Schiff mit seinem Vorderteil nach der Mündung des Hafens zugewendet war, so hatte unser Abenteurer wahrscheinlich vergessen (freilich nur auf einen Augenblick), wie vollkommen fremd er noch immer denen sein mußte, über die er durch eine so außergewöhnliche Wahl das Kommando erhalten hatte, und welche kostbare Fracht man seiner Festigkeit und Entschlossenheit anvertraut hatte. Nachdem alles vom Verdeck bis zum Topp hinaus in die vorteilhafteste Lage und das Schiff dicht in die Windlinie gebracht war, maß sein Auge jede Rahe, jedes Segel von den obersten Flaggenknöpfen bis zum Rumpf und überschaute endlich auch noch die Außenseite des Schiffes, ob auch der Lauf nicht durch irgendein heraushängendes Seil gehemmt werde. Da erblickte er ein winziges Boot, an der Leeseite des Schiffes angebunden, in dem ein Knabe saß, und das, sowie die Masse des Schiffes sich vorwärts bewegte, leicht und elastisch wie eine Feder hinten nachtanzte. Wilder bemerkte, daß es ein Boot von der Küste sei, daher fragte er einen Seemann, wer der Eigentümer davon wäre. Jener wies auf Joram, der gerade in dem Augenblick vom Schiffsraume heraufgestiegen kam, wo er mit einem Delinquenten, oder, was bei ihm gleichbedeutend war, einem Gast, der noch nicht bezahlt hatte, seine Rechnung ins reine zu bringen beschäftigt war.

Der Anblick dieses Mannes erinnerte Wilder an alles, was am Morgen vorgefallen war, und wie bedenklich das Unternehmen sei, dem er sich hingegeben hatte. Der Gastwirt seinesteils, dessen Gedanken sich alle um den Angelpunkt des Prosits drehten, schien bei dem Wiederbegegnen auf keine Weise bewegt. Er näherte sich dem jungen Seemanne, redete ihn mit dem Titel Kapitän an und wünschte ihm eine glückliche Reise, nebst allem andern, was man zu wünschen pflegt, wenn man zur See und bei einer solchen Gelegenheit voneinander scheidet.

»Der Herr Kapitän haben einen vorteilhaften Handel geschlossen,« endigte er, »und ich hoffe, Sie werden eine schnelle Fahrt machen. Es wird Ihnen diesen Nachmittag nicht an Wind fehlen, und wenn Sie bis nach Montauth hin brav Segel aussetzen, werden Sie beim zweiten Wenden die offene See gewinnen, so daß Sie morgen schon die Küste aus dem Gesicht haben. Wenn ich mich im geringsten aufs Wetter verstehe, so wird auch der Wind mehr von Osten blasen, als Euch vielleicht anstehen dürfte.«

»Und wie lange glaubt Ihr wohl, daß meine Fahrt dauern wird?« fragte Wilder in einem so leisen Tone, daß ihn außer dem Gastwirt niemand hören konnte. Joram sah sich verstohlen um, und als er sah, daß sie ohne Zeugen waren, erlaubte er seinen Zügen, die gewöhnlich eine abgestumpfte, sinnliche Zufriedenheit aussprachen, den Ausdruck einer verstockten Verschmitztheit, und, den Finger an die Nase legend, erwiderte er:

»Hab‘ ich dem Kommissionär nicht einen schönen Eid angeboten, Herr Wilder?«

»Ihr habt allerdings meine Erwartung übertroffen mit Eurer Bereitwilligkeit und …«

»Auskunft!« setzte der Gastwirt zum Unklaren Anker hinzu, wie er Wildern in Verlegenheit nach einem Worte sah; »ja, ja, ich bin stets merkwürdig gewesen wegen der Geschäftigkeit meines Geistes in derlei Kleinigkeiten; allein, wenn einer eine Sache schon durch und durch kennt, ei! da wär’s ja töricht, seinen Atem mit zuviel Worten zu vergeuden.«

»Es ist freilich sehr vorteilbringend, so wohlunterrichtet zu sein. Ihr versteht Euch ohne Zweifel herrlich darauf, aus Euern Kenntnissen soviel Profit als möglich zu ziehen.«

»Du lieber Gott! was sollte denn auch in diesen schweren Zeiten aus uns allen werden, wenn wir einen redlichen Groschen nicht auf jede sich darbietende Art anlegen wollten? Hab‘ mit Ehren mehrere hübsche Kinder großgezogen, und an mir soll’s nicht liegen, wenn ich ihnen nicht auch noch was zurücklasse, meinen guten Ruf gar nicht mitgerechnet. Nu ja, das Sprichwort sagt: Ein behender Groschen ist so gut wie ein müßiger Taler; ich aber lobe mir den Mann, der nicht dasteht und Maulaffen feil hat, wenn ein Freund seines guten Wortes oder des Aufhebens seines Fingers bedarf. Sie wissen nun, wo Sie jederzeit einen solchen Mann finden werden, wie unsere Staatsmänner zu sagen pflegen, wenn sie durch das Dicke und Dünne der Sache gegangen sind, sie mag nun gerecht oder ungerecht sein.«

»Sehr lobenswerte Grundsätze, in der Tat! Sie werden gewiß dazu beitragen, Euch früher oder später in der Welt zu erheben! Doch, Ihr vergeßt meine eigentliche Frage zu beantworten: Wird unsere Fahrt von langer oder kurzer Dauer sein?«

»Ei der Tausend, Herr Wilder! Muß ein armer Gastwirt, wie ich, dem Meister dieses stattlichen Schiffes erst sagen, woher der Wind zuerst blasen wird? Da haben Sie den werten und ehrenhaften Schiffer Nichols, der drunten in seiner Staatskajüte liegt, der kann Euch mit dem Fahrzeuge anfangen, was er will; und warum soll ich glauben, daß ein Herr, wie Sie, mit so guten Empfehlungen, nicht ebensoviel auszurichten vermag? Ich versehe mich keines andern, als mit nächstem zu hören, daß Sie was ganz Apartes von Fahrt gemacht, und das gute Wort, das ich zu Ihren Gunsten gesprochen, vollkommen gerechtfertigt hätten.«

Wilder verwünschte in seinem Herzen die vorsichtige Verschmitztheit des Spitzbuben, mit dem er unter den obwaltenden Umständen notwendig im Bunde stand; denn er sah klar ein, daß Joram durchaus entschlossen war, nicht mehr als das schlechthin Erforderliche von seinem Geheimnis zu verraten, und viel zuviel Umsicht beobachtete, um seinen eigenen Absichten zu entsprechen. Nach einem augenblicklichen Besinnen fuhr er hastig fort:

»Ihr seht, das Schiff läuft viel zu schnell, um uns zu erlauben, unsere Zeit mit ausweichenden Redensarten zu vergeuden. Sagt, was wißt Ihr von dem Billett, das ich heute früh empfangen habe?«

»Aber, lieber Gott! halten Sie mich denn für einen Postmeister, Herr Kapitän? Wie kann ich wissen, welche Briefe in Newport ankommen, und welche auf See bleiben?«

»Ein ebenso großer Hasenfuß als verschmitzter Schurke!« murmelte der junge Seemann. »Aber das könnt Ihr doch wenigstens sagen: Wird man mir auf der Ferse folgen, oder erwartet man, daß ich unter irgendeinem erdenklichen Vorwande das Schiff anhalten lasse, sobald es die offene See gewonnen hat?«

»Der Himmel behüte Euch, junger Herr! was sind das für seltsame Fragen von einem, der frisch von der See kommt, an einen Mann, der sie seit fünfundzwanzig Jahren nur vom Lande aus angesehen hat. Alles, worauf ich mich besinnen kann, ist, daß Sie das Schiff ziemlich Süd halten müssen, bis die Inseln zurückgelegt sind, und dann müssen Sie Ihre Berechnung nach dem Winde machen, damit Sie nicht in den Golf kommen, wo Sie, wie Sie wissen werden, der Strom dahin treibt, während Ihr Kommando dorthin lautet.«

»Luv an! beim Wind gehalten, Herr!« rief nun der Lotse mit barscher Stimme dem am Steuer zu: »So sehr als möglich beim Wind gehalten; um keinen Preis nach der Leeseite des Sklavenhändlers dort!«

Sowohl Wilder als der Gastwirt schreckten zusammen, als wenn das eben erwähnte Schiff etwas Besorgniserregendes für sie hätte; der erstere wies auf das winzige Boot und sagte:

»Wenn Ihr nicht mit uns zur See gehen wollt, Herr Joram, so ist es Zeit, daß dieses Boot jetzt seinen Eigentümer aufnimmt!«

»Ei, jawohl, ich sehe, Sie sind schon in vollem Gange, und muß Sie also verlassen, wie gern ich auch länger bliebe«, erwiderte der Gastwirt zum Unklaren Anker, indem er sich geschäftig und so gut es gehen wollte, über die Schiffsseite hinüber und in sein Schiffchen hinuntermachte.

»Na, Jungens, wünsch‘ euch gute Zeit, viel Wind und von der rechten Sorte, sichere Reise auswärts und eine schnelle Zurückkunft. Werft ab!«

Man gehorchte seinem Ruf; kaum war das Boot außer Verbindung mit dem Schiffe gesetzt, so wich es aus der bisherigen Bahn, drehte sich drei- viermal um sich selbst und hielt dann einen Augenblick inne, während das große Schiff weiter zog mit der Stetigkeit eines Elefanten, von dessen Rücken eben ein Schmetterling ausgeflogen. Wilder folgte dem Boote eine Sekunde mit den Augen, allein seine Gedanken wurden zurückgerufen durch die Stimme des Lotsen, die sich nun wieder von der Vorderseite des Schiffes her vernehmen ließ:

»Etwas mehr in die Höhe mit den leichten Segeln, Junge, mehr in die Höhe, keinen Zoll breit vom Winde, sonst kommst du nie dem Sklavenhändler bei der Windseite vorbei. Luv an, sag‘ ich, Herr, Luv!«

»Der Sklavenhändler!« murmelte unser Abenteurer vor sich hin, indem er hastig nach einem Platz im Schiffe eilte, von wo aus er jenes wichtige, ihn zwiefach interessierende Schiff genau sehen konnte; »ach ja, der Sklavenhändler! Es mag freilich nicht leicht sein, dem Sklavenhändler die Windseite abzugewinnen!«

Ohne es zu wissen, fand er sich neben Mistreß Wyllys und Gertraud, die sich auf die Galerie der Schanze stützte, und das fremde, vor Anker liegende Fahrzeug mit einem Vergnügen betrachtete, das für ein so junges Mädchen natürlich genug war. »Sie werden mich auslachen, liebe Frau Wyllys, mich unbeständig, ja leichtgläubig nennen,« rief das arglose Mädchen, gerade als Wilder die bezeichnete Stelle eingenommen hatte, »aber bei alldem wünsche ich doch, wir kämen auf eine gute Manier aus dieser Royal Carolina und könnten unsre Fahrt in jenem schönen Schiffe dort machen.«

»Es ist allerdings ein schönes Schiff!« erwiderte Mistreß Wyllys, »doch möchte ich nicht behaupten, daß es ein sicheres und bequemeres wäre als das, in dem wir uns befinden.«

»Welch ein Ebenmaß, welche Ordnung in den Tauen! Und wie vogelähnlich es auf dem Wasser schwebt!«

»Wenn Sie es mit einer Ente verglichen hätten, so wäre das Bild durchaus der Schiffahrtskunst gemäß,« sagte die Gouvernante halb ernsthaft, halb lächelnd; »Sie zeigen Anlagen, liebes Kind, zur einstigen Frau eines Seemannes.«

Gertraud errötete ein wenig, und wie sie den Kopf umwandte, um ihrer Gouvernante in demselben scherzhaften Tone zu antworten, begegnete ihr Auge dem auf sie gehefteten Blicke Wilders. Nun wuchs das sanfte Erröten zum Hochrot, und sie verstummte; der große Strohhut, den sie auf hatte, diente dazu, ihr Gesicht und die Verwirrung zu verbergen, die sich so deutlich darauf malte.

»Sie antworten ja nicht, Kind, als überlegten Sie ernsthaft, was kommen könnte«, fuhr Mistreß Wyllys fort, deren nachdenkender, abwesender Blick jedoch hinlänglich bewies, daß sie kaum wußte, was sie gesprochen hatte.

»Die See ist ein zu unstetes Element für meinen Geschmack«, erwiderte Gertraud kalt. »Sagen Sie mir doch, liebe Wyllys, ist das Schiff, dem wir uns nähern, ein königliches Schiff? Es sieht so kriegerisch aus, ja fast drohend.«

»Der Lotse hat es schon zweimal einen Sklavenhändler genannt.«

»Ein Sklavenhändler! Wie trügerisch ist dann seine Schönheit und sein Ebenmaß! Nie will ich dem Scheine wieder trauen, da ein so hübscher Gegenstand zu einem so abscheulichen Zwecke gebraucht werden kann.«

»Jawohl, trügerisch!« rief Wilder mit einer ebenso unwiderstehlichen als unwillkürlichen Bewegung laut aus. »Ich wage es, zu behaupten, daß auf dem ganzen Ozean kein Schiff treibt, das so verräterisch wäre, wie dort der symmetrische, bewunderungswürdig ausgerüstete …«

»Sklavenhändler!« fügte Mistreß Wyllys hinzu, die nun Zeit gehabt hatte, sich umzuwenden und ihr ganzes Erstaunen durch ihre Blicke auszudrücken, bis der junge Mann in der Mitte seines Satzes stockte.

»Sklavenhändler!« wiederholte er mir Nachdruck, indem er zugleich eine Verbeugung machte, als wollte er ihr für das Wort danken. Nach dieser Unterbrechung folgte eine tiefe Stille. Mistreß Wyllys prüfte einen Augenblick die bewegten Züge des Jünglings mit einem Gesicht, das eine besondere, obgleich nicht ungemischte Teilnahme ausdrückte, dann ließ sie den Blick aufs Meer fallen, in tiefen, wo nicht schmerzlichen Betrachtungen versunken.

Auch Gertraud, obgleich ihre sylphenhafte, in den zartesten Umrissen gezeichnete Gestalt noch gegen die Galerie lehnte, hatte ihr vom Hut beschattetes Köpfchen abgewender, so daß sich Wilder vergebens bestrebte, noch einen Blick zu erhaschen. Inzwischen nahte die Stunde, wo Dinge vorfallen sollten, die geeignet waren, ihn selbst von seiner so angenehmen Beschäftigung abzuziehen und ganz in Anspruch zu nehmen.

Das Schiff war jetzt zwischen der kleinen Insel und dem Punkte hindurch, wo Homespun eingeschifft worden war, so daß es nun den inneren Hafen vollkommen klariert hatte. Schnurgerade dem Schiffe im Wege lag der Sklavenhändler dort, und jedermann war in der größten Spannung, um zu sehen, ob es noch möglich wäre, auf der Windseite vorbeizukommen. Wünschenswert war es, teils weil ein Seemann stolz darauf ist, jeden Gegenstand, der ihm begegnet, an der Ehrenseite zu passieren, teils und vorzüglich, weil die Lage des fremden Schiffes von der Art war, daß man, wenn bei seiner Windseite passiert werden konnte, nicht eher zu wenden brauchte, als bis zu dieser Bewegung ein vorteilhafterer Punkt als der gegenwärtige erreicht sein würde. Unsere Leser werden indessen leicht begreifen, daß die Spannung des neuen Kommandeurs der Carolina aus ganz anderen Gefühlen als bloßem Kunststolz oder Liebe zur Bequemlichkeit entsprang.

In jedem Nerv fühlte Wilder die Wahrscheinlichkeit, daß es nun zu einer Entscheidung kommen werde. Man erwäge wohl, daß ihm die unmittelbaren Absichten des Rover völlig unbekannt waren. Das Fort war keineswegs in dem Zustand, der letzteren hätte verhindern können, seine Beute im Angesicht der Stadtbewohner aufzubringen, und sie, deren schwachen Verteidigungsmitteln zum Hohn mit sich fortzuführen. Auch war die Stellung, in der sich beide Schiffe zueinander verhielten, einem solchen Unternehmen nichts weniger als ungünstig. Unvorbereitet und verdachtlos mußte ihm die Carolina, die sich überhaupt nicht mit einem so mächtigen Gegner messen konnte, ohne Mühe als Opfer fallen. Nur sehr wenig Aussicht war vorhanden, daß der Pirat mit seiner Prise nicht sollte weit genug absegeln können, um jeden Schuß von der Batterie wirkungslos, wo nicht vollkommen unschädlich zu machen. Überdies mußte das Wilde und Verwegene eines solchen Unternehmens für den verzweifelten Freibeuter, seinem Rufe nach zu urteilen, sogar etwas Verlockendes haben, so daß die Tat einzig von seiner zufälligen Stimmung abzuhängen schien.

Unter diesen Eindrücken, und mit der Aussicht einer baldigen Endschaft seines nagelneuen Kommandos, darf es wohl nicht wundernehmen, daß unser Abenteurer dem Ausgang mit weit größerer Gespanntheit entgegensah, als irgend jemand in seiner Umgebung. Er erstieg die Kühl des Schiffes und strengte sich an, den Plan seiner geheimen Verbündeten mittelst eines der Zeichen, womit Seefahrer so vertraut sind, durchschauen zu können. Allein es ließ sich in dem angeblichen Sklavenschiff auch nicht die mindeste Andeutung erspähen, daß es abzusegeln oder irgendwie seine Stellung zu ändern beabsichtige. Da lag es in derselben tiefen, schönen aber verratbrütenden Ruhe, in der es während des ganzen ereignisreichen Morgens gelegen hatte. In dem ganzen Labyrinth seines Tauwerks, längs dem weiten Bereich seiner Spierstangen, war nicht mehr als eine einsame Figur zu entdecken. Diese war ein Matrose, der auf dem einen Ende eines der unteren Rahen saß, wo er sich, wie das bei großen Schiffen beständig nötig ist, mit der Ausbesserung der Kardeelen zu beschäftigen und auf sonst nichts zu achten schien. Da der Mann auf der Windseite seines Schiffes saß, so durchzuckte Wilder die Idee, daß er dorthin postiert wäre, damit er in die Takelage der Carolina nötigenfalls einen Fanghaken werfe, um die Schiffe aufeinander treiben zu machen. Einer solchen unsanften Bewegung auszuweichen, beschloß er rasch den Plan zu hintertreiben. Er rief dem Lotsen zu, daß der Versuch bei der Windseite zu passieren von sehr zweifelhaftem Erfolg wäre, und stellte ihm vor, das sicherste sei wohl, bei der Leeseite vorüberzufahren.

»Fürchten Sie nichts, Kapitän, fürchten Sie nichts«, erwiderte der eigensinnige Leiter des Schiffes, der wegen der kurzen Dauer seiner Herrschaft nur desto entschlossener war, sie ohne Einschränkung auszuüben, und dem Usurpator eines Thrones gleich, voll Eifersucht gegen die mehr berechtigte Macht, die er gestürzt hat. »Lassen Sie mich nur machen, Kapitän! Ich bin schon öfter über diesen Boden getrollt, als Sie die See durchschnitten haben, und kann Ihnen die Namen der Felsen auf dem Grunde bei den Fingern herzählen, wie der Stadtbüttel die Straßen von Newport. Luv, Junge! Laß das Schiff gerade in den Wind reinsegeln, luv! soviel du kannst.«

»Ihr seht, Herr,« sagte Wilder ernst, »das Schiff zittert in allen Rippen, Wenn Ihr uns auf den Sklavenhändler treibt, wer zahlt die Zeche?«

»Ich habe Kaution für alles gestellt,« erwiderte der eingebildete Lotse; »meine Frau soll Euch jedes Loch, das ich in Eure Segel bringe, mit einer Nadel zusammennähen, nicht dicker als ein Haar und einem Platen, nicht größer, als der Fingerhut einer Fee.«

»Das klingt recht schön, aber Ihr könnt ja schon jetzt das Schiff nicht mehr regieren, und ehe Ihr noch mit Euern Prahlereien zu Ende seid, liegt es gefesselt wie ein verurteilter Dieb. Nicht höher mit den Segeln da, nicht höher damit. Junge!«

»Jawohl, nicht höher«, wiederholte nun auch der Lotse, der jetzt, da die Schwierigkeit, die Windseite zu passieren, mit jeder Sekunde wuchs, in seinem Entschlüsse zu wanken anfing. »Halt‘ die Segel voll und dicht bei Wind – ich hab’s ja immer gesagt: voll und dicht bei Wind. – Es kann sein, Kapitän, da der Wind etwas konträr geworden ist, daß wir doch noch auf die Leeseite müssen: wenn das aber ist, so müssen Sie zugeben, daß wir werden wenden müssen.«

Eigentlich war aber erstlich, gerade jetzt der Wind, obgleich etwas schwächer als vorher, nichts weniger als konträr, im Gegenteil um eine Kleinigkeit günstiger geworden, und zweitens war es Wildern nie beigekommen zu leugnen, daß das Schiff, wenn es die Leeseite des andern nähme, einige und zwanzig Minuten früher würde wenden müssen, als in dem Fall, wenn ihnen der schwierige Versuch, auf der Ehrenseite zu passieren, gelingen sollte. Allein, je gemeiner eine Seele ist, desto schwerer kommt es ihr an, begangene Fehler einzugestehen, daher suchte der überführte Lotse sein notgedrungenes Nachgeben auf diese Weise zu bemänteln, um die Meinung nicht zu verringern, die die Mannschaft von seinem Scharfsinn haben mochte.

»Aus dem Wind mit dem Schiffe!« schrie Wilder, der nachgerade anfing, aus dem Ton der Vorstellung in den des Befehls überzugehen; »aus dem Winde, Herr, solang‘ es noch geht, oder beim …« Seine Lippen wurden hier regungslos, denn sein Blick fiel auf das blasse, sprechende und ängstliche Antlitz Gertrauds.

»Es wird wohl geschehen müssen, da der Wind einmal geschralt hat. Laß fallen vorm Wind, Junge … nimm die Richtung nach dem Spiegel des Schiffes dort vor Anker! … Halt! … wieder nach der Luvseite hin! Rein in den Wind, bis ins Mark rein! … in die Höhe mit den Segeln … leichte Segel in die Höhe! Das fremde Schiff hat uns ja ein Ankerseil quer übers Kielwasser geworfen! Wenn noch Gesetz in den Plantagen ist, soll mir sein Kapitän dies vor Gericht verantworten.«

»Was will der Mensch?« fragte Wilder, sich rasch auf eine Kanone schwingend, um besser sehen zu können. Sein Gehilfe zeigte nach der Leeseite des andern Schiffes, wo man nur zu deutlich sehen konnte, wie ein langes Tau das Wasser peitschte, gerade als wenn man eben mit dem Ausspannen beschäftigt wäre. Die Wahrheit durchblitzte nun das Gemüt unseres jungen Seemanns. Der Pirat lag vor Anker mit einem heimlichen Spring auf dem Kapel, wahrscheinlich um nötigenfalls die Geschützseite seines Schiffes desto leichter nach der Batterie richten zu können, und nun bediente er sich dieses Springtaues, um dem Kauffahrteischiff die Leeseite abzuschneiden. Die Offiziere auf der Carolina waren nicht wenig über diese Vorkehrung befremdet und stießen nicht wenig Verwünschungen aus, obgleich niemand außer dem Kommandeur nur im entferntesten die eigentliche Ursache ahnen konnte, warum der Wurfanker so gelegt und ein Sperrtau so zur Unzeit quer über den Pfad gestreckt wurde. Einen gab es indessen auf dem Schiff, der sich über den Umstand freute, und das war der Lotse. Er hatte nämlich das Schiff in eine solche Lage gebracht, daß es ebenso schwierig war, auf der einen, wie auf der andern Seite vorwärts zu segeln; und es fehlte ihm nun nicht an einem hinlänglichen Grund zur Rechtfertigung, wenn sich bei dem höchst mißlichen und nunmehr unvermeidlich gewordenen Manöver ein Unfall ereignen sollte.

»Das ist eine außerordentliche Frechheit am Eingang eines Hafens«, brummte Wilder vor sich hin, als er sich durch den Augenschein von der Wirklichkeit überzeugt hatte. »Ihr müßt das Schiff bei der Windseite vorbeiführen, Lotse; es bleibt nichts anderes übrig.«

»Ich wasche meine Hände in Unschuld, was auch folgen möge, und rufe alle am Bord zu Zeugen auf«, erwiderte der Lotse mit der Miene eines tiefbeleidigten Mannes, obgleich er innerlich frohlockte, daß er dieselbe Maßregel, die er vor einer Minute hartnäckig durchsetzen wollte, notgedrungen wieder ergreifen mußte. »Die Gerechtigkeit muß sich dreinlegen, wenn’s jetzt zerbrochene Stangen und zerzauste Takelage gibt. Luv auf ein Haar, Junge: luv kurz in den Wind und versuch‘ eine halbe Wendung!«

Der Mann am Steuer gehorchte dem Befehl, ließ die Spaken fahren, so daß das Steuerrad einen schnellen Umschwung machte. Das Schiff, von neuem durch den Wind getrieben, drehte sich schwerfällig mit dem Vorderteil nach der Seite, von der es gekommen war, während die Massen von Leinwand oben ein Geflatter machten, wie ein eben auffliegendes Volk Wasservögel. Allein kaum war es mit dem Steuer wieder in einer Richtung, so fiel es vom Winde ab wie vorher, kraftlos, weil es seinen Pfad verloren hatte, und quer auf den vermeinten Sklavenhändler hintreibend, mit einem Winde, der gerade jetzt, in dem bedenklichen Moment, wo seine vollste Gewalt höchst wünschenswert war, um vieles nachgelassen hatte.

Die Lage der Carolina war eine solche, die ein Seemann leicht begreifen wird. Durch Beisetzung vieler Segel hatte sie sich weit genug nach vorne hingearbeitet, daß sie gerade auf der Windseite des fremden Schiffes lag, allein zu nahe, um nur im mindesten vom Winde abfallen zu können, ohne die höchste Gefahr, auf den Sklavenhändler zu stoßen. Der Wind war unbeständig, bald in leichten Stößen blasend, bald wieder still und lauernd. Bei jedem Stoße beugten sich die hohen Masten zierlich nach dem Sklavenhändler zu, als wollten sie ihm Lebewohl sagen, doch kaum ließ der augenblickliche Druck nach, so rollte das Schiff schwerfällig nach der Windseite hin, ohne einen Fuß weiterzukommen. Indessen bewirkte jeder solcher Wechsel eine wachsende Annäherung an den gefährlichen Nachbar, so daß es jetzt dem unerfahrensten Seemann im Schiffe klar sein mußte, daß nichts als ein schnelles Wenden des Windes das Schiff in den Stand setzen konnte, gerade vorbeizusegeln, zumal da die Flut eben vom Meere hereinzukommen schien.

Da die untergeordneten Offiziere der Carolina mit ihren Bemerkungen über die Dummheit, die sie in eine so unbehilfliche und demütigende Lage gebracht hatte, nicht sparsam waren, so versuchte der Lotse seinen Verdruß hinter zahllosen und lärmenden Befehlen zu verbergen. Vom Schreien ging er bald zur Verwirrung über, bis die Mannschaft müßig dastand und nicht wußte, was von den schwankenden und sich widersprechenden Kommandos sie zuerst ausführen sollte. Inzwischen stand Wilder neben seinen weiblichen Passagieren mit verschränkten Armen und scheinbar vollkommen gleichgültig. Mistreß Wyllys studierte emsig seine Blicke, um sich durch deren Ausdruck über die Beschaffenheit und Größe der Gefahr Gewißheit zu verschaffen, sollte überhaupt Gefahr darin sein, wenn ein Schiff, sich auf spiegelflachem Wasser fast unmerklich vorwärtsbewegend, endlich auf ein anderes stößt, das ruhig vor Anker liegt. Die düstere und unbewegliche Wolke, die sich auf seiner Stirn zusammenzog, gab ihr eine Unruhe, die sie sonst, da der Anschein von großer Gefahr nicht sehr lebendig war, nicht gefühlt haben würde.

»Ist wirklich Gefahr da, mein Herr?« fragte die Gouvernante, indem sie ihre eigenen Besorgnisse vor Gertraud zu verbergen strebte.

»Ich sagte Ihnen, Madame, es würde sich ausweisen, daß die Carolina ein unglückbringend Schiff ist.«

Beide Damen betrachteten das eigentümliche bittere Lächeln, womit Wilder diese Erwiderung machte, als ein schlimmes Zeichen, und Gertraud schmiegte sich an ihre Reisegefährtin, auf die sie längst gewohnt war, sich kindlich vertrauend zu stützen.

»Warum lassen sich die Matrosen des Sklavenschiffs nicht sehen, um uns beizustehen, um abzuwehren, daß wir nicht zu nahe kommen?« fragte sie ängstlich.

»Jawohl, warum nicht! Doch wir werden sie, denk‘ ich, bald genug zu sehen bekommen.«

»Nach Ihren Reden und Blicken zu urteilen, junger Mann, halten Sie dies Sehen für gefahrvoll!«

»Bleiben Sie an meiner Seite«, erwiderte Wilder mit halbunterdrückten Worten. »Auf jeden Fall bleiben Sie mir so nahe als möglich zur Seite.«

»Den kleinen Leesegelbaum windwärts angeholt!« schrie der Lotse; »laßt die Boote hinab und zieht das Schiff beim Vorderteil rum … Tau vom Wurfanker los … Klüversegel angeholt … große Segeltaue wieder zugesetzt!«

Die erstaunten Leute standen da wie Bildsäulen, nicht wissend, wohin zuerst, indem einige einen Befehl kaum weiter gefördert hatten, als andere schon wieder ein entgegengesetztes Kommandowort riefen. Da ertönte eine achtunggebietende, ruhige Stimme: »Schweigt im Schiff!« Die Töne waren von jener Art, die die vollkommene Besonnenheit des Sprechers bekunden und daher den Untergeordneten stets viel von der Zuversicht des Befehlenden mitteilen. Jedes Ohr richtete sich nach der Seite hin, woher der Ton kam, als wollte ein jeder den nun zu folgenden Befehl zuerst auffangen. Wilder stand auf dem Gangspill, von wo aus er nach jeder Seite hin sehen konnte, und es bedurfte nur eines einzigen Kennerblicks, um ihn über die Lage des Schiffs genau zu unterrichten. Dann haftete sein ängstlicher Blick an dem Sklavenschiff, als wollte er die verratschwangere Stille, die dort noch immer herrschte, durchdringen, um zu erkennen, wieweit man ihm erlauben würde, seinem Schiffe nützlich zu sein. Allein das fremde Fahrzeug lag bewegungslos wie auf das Wasser hingezaubert; im ganzen Bereich seines künstlich verschränkten Baues war auch nicht eine menschliche Gestalt sichtbar, ausgenommen der schon erwähnte Matrose, der seine Arbeit noch immer emsig fortsetzte, so ruhig, als ob die Carolina hundert Meilen weit von dem Orte entfernt wäre, wo er saß. Wilders Lippen bewegten sich, ob aus innerem Unmut, ob aus Freude, war nicht zu verkennen, denn ein höchst zweideutiges Lächeln hellte seine Gesichtszüge auf, als er in der vorherigen tiefen gebieterischen Stimme fortfuhr: »Legt alle Segel flatt gegen die Masten, vorn und hinten!«

»Jawohl!« wiederholte der Lotse wie ein Echo, »alles flatt gegen die Masten.«

»Ist keine Schluppe an Bord des Schiffes?« fragte unser Abenteurer. Ein Dutzend Stimmen antwortete bejahend. »Werft den Lotsen dort hinein.«

»Dies ist eine gesetzwidrige Order,« schrie dieser, »und ich verbiete es, irgendeinem Kommando, außer dem meinigen, zu gehorchen.«

» Werft ihn hinein!« wiederholte Wilder strenge.

Bei dem Geklatter, das das Umbrassen der Rahen verursachte, erregte der Widerstand des Lotsen wenig oder gar kein besonderes Aufsehen. Die nervigen Arme zweier Matrosen hoben ihn, trotz seinem Sträuben, das sich in den sonderbarsten Bewegungen seiner Glieder äußerte, leicht in die Höhe und warfen ihn dann ins Boot mit ebensowenig Umständen, als wäre er ein Klotz gewesen. Das andere Ende der Fangleine wurde ihm nachgeworfen, und so überließ man den besiegten Wegweiser höchst gleichgültig seinen eigenen erbaulichen Betrachtungen.

Inzwischen war der Befehl Wilders ausgeführt; die ungeheuren Segeltücher, die noch vor einem Augenblick teils in der Luft flatterten, teils sich bald ein- bald auswärts füllten, preßten nun alle gegen ihre Masten und nötigten das Schiff, seinen irrtümlich genommenen Weg wieder zurückzumessen. Das Manöver war von der Art, daß es nur die ungeteilteste Aufmerksamkeit und eine selbst das Geringfügigste berücksichtigende Pünktlichkeit glücklich ausführen konnte. Allein der junge Befehlshaber war seiner Aufgabe ganz gewachsen. Hier schob sich ein Segel; dort wurde ein anderes flacher dem Winde zugekehrt; bald sah man die leichteren Segeltücher flattern; bald waren sie wie ein durchsichtiger Nebel, der plötzlich von der Sonne zerstreut wird, wieder verschwunden. Gebieterisch und doch ruhig erklang die Stimme Wilders während der ganzen Szene. Das Schiff selber schien einem belebten Wesen gleich, sich bewußt, daß sein Schicksal nun anderen und geschickteren Händen als vorher anvertraut sei. Gehorsam der neuen Wendung rollte dies unermeßliche Gewölk von Leinwand mit seinem ganzen hohen Wald von Spieren und Tauwerk zuerst hin und her; bald aber war die bisherige Untätigkeit des Schiffes überwunden, und dem Drucke nachgebend trat es den beabsichtigten Rückweg an.

Während der ganzen Zeit, die erforderlich war, um die Carolina aus ihrer mißlichen Stellung zu bringen, war Wilders Aufmerksamkeit zwischen seinem eigenen Schiffe und seinem rätselhaften Nachbar geteilt, dessen imposante, totenähnliche Stille auch nicht durch einen Laut unterbrochen wurde. Kein Menschenantlitz, ja kein einziges lauerndes Auge konnte man in irgendeinem der zahlreichen Luglöcher entdecken, durch die die Mannschaft eines bewaffneten Schiffs auf die See blicken kann. Der Matrose oben auf der Rahe setzte seine Arbeit fort, wie einer, für den alle Gegenstände außer ihm so gut wie nicht da sind. Jedoch machte jetzt das Schiff langsam und fast unbemerklich eine Bewegung, die der trägen Wendung eines schlafenden Walfisches ähnlich, mehr die Folge bewußtloser Willkür, als einer durch Menschenhände bewirkten Tätigkeit zu sein schien.

Aber nicht die geringste dieser Veränderungen entging der scharfen und kennermäßigen Prüfung Wilders. Er sah, wie sich die Seite des Sklavenschiffes nach und nach, sowie sich sein Schiff zurückzuziehen begann, ihm gleichfalls zukehrte. Unaufhörlich klafften die Kanonenrachen des fremden Schiffes auf das seinige, so wie das Auge des lauernden Tigers die Bewegungen seines Opfers verfolgt; und während der Zeit der größten Annäherung beider Schiffe war auch kein Augenblick, wo nicht eine volle Ladung des erstern das ganze Verdeck des letztern hätte bestreichen können. Bei jedem Befehl wandte unser Abenteurer sein Auge mir steigender Spannung seitwärts, um zu sehen, ob man ihm die Ausführung vergönnen werde; nicht eher fühlte er sich überzeugt, daß das Schiff wirklich von seinem alleinigen Befehl geleitet werde, als bis er sah, daß es sich aus seiner gefährlichen Nachbarschaft zu entfernen und der neuen Richtung der Segel folgend, von dem leichten Winde abzufallen begann und einer Stelle zusteuerte, wo er es nach Belieben handhaben konnte. Hier angelangt, fand er, daß der Strom ungünstig und der Wind zu leicht war, um mit dem Vorsteven davor liegen zu bleiben; daher wurden die Segel an ihren Rahen in Festons zusammengezogen und ein Anker auf den Grund hinabgelassen.

Dreizehntes Kapitel.

Dreizehntes Kapitel.

Die Carolina lag nun innerhalb einer Kabellänge von dem vermeintlichen Sklavenhändler. Wilder hatte dadurch, daß er dem Lotsen den Laufpaß gegeben hatte, eine Verantwortlichkeit übernommen, vor der ein Seemann zurückzuschrecken pflegt, indem er nicht nur die ganze Summe, zu der das Schiff versichert ist, zahlen muß, falls sich beim Klarieren des Hafens ein Unglück ereignen sollte, sondern sich noch sonstigen Strafen aussetzt. Wievielen Einfluß bei Wilder aber auch das Bewußtsein, daß er außer oder über dem Bereich des Gesetzes stehe, auf seine entschiedene Handlungsweise gehabt haben mochte, jedenfalls war die einzige unmittelbare Wirkung seines Schrittes die, daß seine Aufmerksamkeit, die sich vorher zwischen seinen weiblichen Passagieren und dem Schiffe teilte, nun ganz der Leitung des letzteren zugewandt wurde. Kaum indessen hatte er sein Fahrzeug, auf eine Zeitlang wenigstens, in Sicherheit gebracht, kaum waren seine Besorgnisse eines bevorstehenden, heftigen Auftrittes beschwichtigt, so fand er auch schon Muße zu seiner frühern, obgleich (für einen so ausgemachten Seefahrer) kaum angenehmeren Beschäftigung. Der glückliche Erfolg seines schwierigen Manövers gab seinem Antlitze eine Glut wie nach einem errungenen Triumph; und als er sich Frau Wyllys und Gertraud näherte, verriet sein Schritt jenen Stolz, den das Bewußtsein dem Manne gibt, wenn er sich durch Anwendung von großer Sachkenntnis aus einer bedenklichen Lage zu ziehen verstand. Wenigstens las die erstere der beiden Damen alles dieses in seinem flammenden Auge, in seiner triumphierenden Miene; möglich, daß die letztere geneigt war, seine inneren Regungen nachsichtiger zu beurteilen. Von den geheimen Gründen seines Frohlockens ahnte wahrscheinlich weder die eine noch die andere das Geringste; und es ist wohl möglich, daß ein weit edleres Gefühl, als beide vermuten konnten, auf seine freudige Stimmung Einfluß hatte.

Dem mag aber sein, wie ihm wolle, sobald Wilder sah, daß die Carolina ruhig vor ihrem Anker spielte, mithin seine Dienste nicht unmittelbar vonnöten waren, so suchte er Gelegenheit, ein Gespräch wieder anzuknüpfen, das bisher wegen der vielen Unterbrechungen noch immer arm an Gehalt bleiben mußte. Mistreß Wyllys war lange unverrückten Blickes im Anschauen des fremden Schiffes versunken; erst als ihr der junge Seemann ganz nahe stand, wandte sie von dem regungslosen und schweigsamen Gegenstand das Auge auf ihn und begann das Gespräch:

»Das Schiff dort«, rief sie mit einem Tone des Erstaunens, »muß eine außerordentliche, oder eine der Empfindung unfähige Mannschaft in sich schließen. Man wäre leicht versucht, es für ein gespenstisches Schiff zu halten, wenn es dergleichen gäbe.«

»Es ist in der Tat ein wunderbar ebenmäßiges und schön ausgerüstetes Kauffahrteischiff.«

»Trogen mich meine Besorgnisse? oder war wirklich Gefahr vorhanden, daß die beiden Schiffe aufeinander trieben?«

»Es war allerdings Grund zu einiger Besorgnis da: indes, Sie sehen, wir sind geborgen …«

»Was wir Ihrer Geschicklichkeit zu verdanken haben. Die Art, wie Sie uns eben aus der Gefahr befreiten, widerspricht geradezu allem, was Sie von dem uns Bevorstehenden vorauszusagen beliebten.«

»Ich weiß wohl, Madame, daß mein Betragen ungünstig ausgelegt werden kann, jedoch …«

»Dachten Sie, es könne nicht schaden, sich über die Schwachheit leichtgläubiger Frauen zu belustigen«, vollendete lächelnd Frau Wyllys. »Gut, Sie haben Ihren Scherz genossen, und werden jetzt hoffentlich geneigter sein, das, was eine natürliche Schwäche in dem weiblichen Gemüt sein soll, zu bemitleiden.«

Bei diesen letzteren Worten richtete sie den Blick auf Gertraud, mit einem Ausdruck, der zu sagen schien: Es würde grausam sein, wenn er noch jetzt mit der Furcht eines so jungen, unschuldigen Wesens sein Spiel forttreiben wollte. Sein Blick folgte dem ihrigen, und als er antwortete, geschah es mit einer Aufrichtigkeit, die wohl geeignet war, Überzeugung einzuflößen.

»Bei der Wahrhaftigkeit, die ein Mann von Erziehung Ihrem ganzen Geschlechte schuldig ist, Madame, was ich Ihnen gesagt habe, ist noch immer mein Glaube.«

»Wie, die Wuhlingen und die großen Brammasten!«

»Nein, nein,« unterbrach der junge Seemann lachend und stark errötend zugleich, »vielleicht das alles nicht. Aber hätte ich Mutter, Weib oder Schwester, sie sollten diese Fahrt in der Royal Carolina mit meiner Zustimmung nicht machen.«

»Ihr Blick, Ihre Stimme und Ihre treuherzige Miene stehen in seltsamem Widerspruch mit dem, was Sie sagen, junger Mann; denn während die ersteren mich versuchen, Sie für aufrichtig zu halten, finde ich in ihrer Aussage doch auch keinen Schatten von Grund oder Haltbarkeit. Ich gestehe, obgleich ich mich der Schwäche schämen sollte, die geheimnisvolle ewige Unbedenklichkeit, die in dem Schiffe dort herrscht, hat mich mit einer unerklärlichen Unruhe erfüllt, was wohl mit dem Treiben darin irgendwie zusammenhängen mag. Wissen Sie denn gewiß, daß es ein Sklavenhändler ist?«

»Wenigstens ist es gewiß ein schönes Schiff!« rief Gertraud.

»Ein sehr schönes!« stimmte Wilder mit Ernst ein.

»Auf einer der Rahen sitzt ein Mann, dem seine Beschäftigung für alles andere das Bewußtsein geraubt zu haben scheint«, fuhr Mistreß Wyllys fort, indem sie gedankenvoll das Kinn auf die Hand stützte und auf den Matrosen hinschaute. »Auch nicht ein einziges Mal während der ganzen Zeit, wo wir in so großer Gefahr waren, aufeinanderzutreiben, würdigte uns dieser Matrose auch nur eines verstohlenen Blickes.«

»Seine Kameraden schlafen vielleicht«, sagte Gertraud.

»Schlafen! Matrosen schlafen nicht zu einer solchen Stunde, an einem solchen Tage! Sagen Sie uns, Herr Wilder (Sie als Seemann müssen es ja wissen), pflegt eine Schiffsmannschaft zu schlafen, wenn ein fremdes Fahrzeug bis zur Berührung nahe ist?«

»Nein.«

»Ich konnte es mir wohl denken; denn ganz uneingeweiht in Gegenstände Ihres verwegenen, Ihres kühnen, Ihres edeln Gewerbes bin ich eben nicht!« erwiderte die Gouvernante mit vielem Nachdruck. »Und wie, wenn wir wirklich auf das Sklavenschiff gestoßen hätten, glauben Sie, die Mannschaft dort würde in ihrer Regungslosigkeit verharrt sein?«

»Ich glaube nicht, Madame.«

»In dieser ganzen angenommenen Ruhe ist ein Etwas, was einen wohl verleiten könnte, den ärgsten Verdacht von dem Treiben dieses Schiffes zu fassen. Weiß man, ob einige von der Mannschaft mit der Stadt verkehrten, während es dort vor Anker lag?«

»Ja.«

»Ich habe mir sagen lassen, daß falsche Flaggen von der Küste gesehen, und daß im letzten Sommer Schiffe geplündert und ihre Mannschaft und Passagiere mißhandelt wurden. Man glaubt sogar, der berühmte Rover sei seiner Exzesse in der spanischen See müde geworden: man hält ein Schiff, das vor kurzem in der Karaibischen See gesehen wurde, für den Kreuzer jenes verzweifelten Freibeuters.« Wilder erwiderte nichts hierauf. Er hatte bis jetzt die Sprechende fest, obgleich ehrerbietig angesehen, allein nun ließ er den Blick aufs Verdeck sinken und schien ruhig zu warten, bis es ihr gefallen würde, ihre Rede fortzusetzen. Die Gouvernante sann eine Sekunde, und mit verändertem Ausdruck im Gesichte, der zu erkennen gab, daß ihre Vermutung von der Wahrheit doch zu leicht war, um sich ohne weitere Bestätigung in ihr festzusetzen, fuhr sie fort:

»Genau genommen ist das Geschäft eines Sklavenhändlers arg genug und unglücklicherweise jenem Schiffe nur zu ähnlich, um ihm einen noch schlimmern Charakter beizulegen. – Könnte ich doch den Grund Ihrer befremdenden Behauptungen erfahren, Herr Wilder?«

»Ich bin nicht imstande, ihn deutlich zu machen, Madame; wenn mein Wesen Sie nicht überzeugt, so schlagen meine Absichten, die wenigstens das Verdienst der Aufrichtigkeit haben, durchaus fehl.«

»Ist denn das Wagnis durch Ihre Gegenwart nicht verringert?«

»Verringert wohl, aber immer ein Wagnis.«

Bis jetzt schien Gertraud eher eine willkürliche Zuhörerin als eine Teilnehmerin des Gespräches gewesen zu sein, doch jetzt wandte sie sich rasch und nicht ganz ohne Ungeduld gegen Wilder und fragte mit glühender Wange und einem Lächeln, das wohl einen eigensinnigeren Mann zum Geständnis hätte bewegen können: » Dürfen Sie denn nicht ausführlicher sprechen?«

Der junge Befehlshaber zauderte, vielleicht ebensosehr, um den Blick auf den treuherzigen Zügen der Sprecherin weilen zu lassen, als um sich zu einer Antwort zu entschließen. Seine gebräunte Wange wurde röter und röter, und sein Auge verriet inneres Wohlbehagen: endlich, als ob er sich plötzlich besänne, daß er eine zu lange Pause gemacht habe, sagte er:

»Ich bin gewiß, daß ich nichts wage, indem ich mich auf Ihre Verschwiegenheit verlasse.«

»Zweifeln Sie nicht daran,« erwiderte Frau Wyllys, »Sie sollen nicht verraten werden, es mag kommen, was da will.«

»Verraten? Für meine Person, Madame, befürchte ich wenig. Wenn Sie glauben, daß mich persönliche Rücksicht bestimmt, so tun Sie mir sehr großes Unrecht.«

»Wir trauen Ihnen nichts zu, was Ihrer unwürdig wäre,« sagte Gertraud hastig, »allein wir stehen unsertwegen in großer Besorgnis.«

»So will ich Sie denn davon befreien, wenn auch auf Kosten mei …«

Hier unterbrach ihn der Ruf eines Schiffsgehilfen an einen andern und leitete seine Aufmerksamkeit auf das naheliegende Schiff. »Die Leute im Sklavenschiff haben just ausfindig gemacht, daß ihr Schiff nicht gemacht sei, um unter Glas gestellt und von Weibern und Kindern begafft zu werden«, rief der eine, laut genug, daß ihn der andere, der im Vormars beschäftigt war, deutlich verstehen konnte.

»Ganz recht,« war die Antwort, »er sieht, daß wir munter sind, der Kerl dort, und das erinnert ihn, daß er sich selber auf die Beine machen muß. Halten sie nicht Wache am Bord des Wichtes, wie die Sonne in Grönland; sechs Monate über dem Verdeck und sechs Monate drunter?«

Der komische Vergleich erregte, wie gewöhnlich, ein helles Gelächter unter den Matrosen, die in diesem Tone, doch aus Respekt gegen ihre Oberen, etwas leiser ihre witzigen Ausfälle fortsetzten.

Wilders Augen aber hatten sich an das andere Schiff geheftet. Der Mann, der solange auf der Kante der großen Rahe gesessen hatte, war verschwunden, und ein anderer Matrose schritt bedachtsam längs der entgegengesetzten Seite derselben Spiere, mit der einen Hand sich am Baum festhaltend, während er in der andern das Ende eines Taues hielt, das er im Begriff schien, da, wo es hingehörte, einzureffen. Gleich beim ersten Blick erkannte Wilder seinen Fid in ihm, der sich von seinem Rausch erholt hatte, so daß er auf der schwindeligen Höhe mit ebenso großer, vielleicht mit noch größerer Sicherheit ging, als er auf festem Boden, wenn ihn seine Pflicht herabgerufen hätte, nur immer hätte einherschlendern können. Das Antlitz des Jünglings, das vor einem Augenblick noch voll freudiger Erregung glühte, und dessen Glanz auf die Freude zurückschließen ließ, die ihm das sich erschließende Vertrauen machte, dies Antlitz umwölkte nun düsterer Verdruß und Zurückhaltung. Mistreß Wyllys, der die geringste Schattierung in dem wechselnden Ausdruck seines Gesichtes nicht entgangen war, nahm das Gespräch mit einer gewissen Angelegentlichkeit wieder auf, da wo er es so kurz abgebrochen hatte.

»Sie wollten uns von unserer Unruhe befreien,« sagte sie, »auf Kosten Ihres …«

»Lebens, Madame, aber nicht auf Kosten der Ehre.«

»Gertraud, lassen Sie uns in die Kajüte gehen«, sagte Mistreß Wyllys mit einer Miene kalten, aus getäuschter Hoffnung und aus Empfindlichkeit gemischten Mißfallens über das Spiel, das, wie sie glaubte, mit ihr getrieben wurde. Gertrauds Auge war ebenfalls abgewendet und drückte nicht weniger Kälte aus, als das ihrer Gouvernante, während der glänzendere Blick fast ebensoviel Empfindlichkeit verriet. Wie sie bei dem stummen Wilder vorübergingen, machten sie eine vornehme Verbeugung und ließen dann unseren Abenteurer allein auf der Schanze stehen.

Während die Mannschaft geschäftig die Taue aufschoß und die sonstigen, auf dem Deck zerstreut umherliegenden Gegenstände aus dem Wege räumte, lehnte ihr junger Befehlshaber sein Haupt auf die Galerie des Spiegels (jenen Teil des Schiffes, den die gute Witwe des Konteradmirals so seltsamerweise mit einem sehr verschiedenen Gegenstand am andern Ende des Schiffes verwechselt hatte), und blieb mehrere Minuten lang in einer Stellung gänzlicher Abwesenheit. Aus diesen Träumen wurde er endlich aufgeschreckt durch einen Ton, dem ähnlich, den das Heben und Fallen eines leichten Ruders hervorbringt. Er glaubte, neue Besuche von der Küste wären im Begriff, ihn zu belästigen, und schaute mürrischen Blickes aus und über die Schiffsseite weg, um zu sehen, wer sich denn nähere.

Ein leichtes Boot von der Gattung, deren sich die Fischerleute in den Baien und seichten Gewässern Amerikas zu bedienen pflegen, lag innerhalb zehn Fuß vom Schiff, und zwar so, daß es einige Mühe kostete, dessen ansichtig zu werden. Nur ein einziger Mann befand sich darin, den Rücken dem Schiffe zugekehrt, und scheinbar das dem Eigentümer eines solchen Fahrzeugs eigentümliche Geschäft treibend.

»Sucht Ihr Ruderfische, mein Freund, daß Ihr so dicht unter meinem Spiegel treibt?«« fragte Wilder. »Die Bai soll ja voll köstlicher Barse und anderer schuppiger Herren sein, die Eure Mühe weit besser lohnen würden.«

»Der ist hinlänglich belohnt, der gerade den Fisch bekommt, nach dem er angelt««, erwiderte der andere, indem er den Kopf umwandle, und das verschmitzte Auge und selbstzufriedene Gesicht des alten Robert Bunt zeigte.

»Wie wagst du es, dich mir in fünf Faden tiefes Wasser anzuvertrauen, nach dem Schurkenstreich, den du für gut fandest …

»St! edler Kapitän, st!« unterbrach ihn Robert, einen Finger in die Höhe hebend, um des andern Lebhaftigkeit zu dämpfen und anzudeuten, daß ihre Unterredung keine so laute sein dürfe: »mißbraucht nicht den Kommandoruf: ›Überall! Alle zu Hauf!‹ als ob uns die Leute bei unserm Geplauder helfen müßten. Aus welche Weise bin ich auf die Leeseite Eurer Gunst geraten, Kapitän?«

»Auf welche Weise, Kerl! Hast du nicht Geld empfangen, um den Damen eine solche Schilderung von dem Schiffe zu machen, daß sie, ich gebrauche deine eigenen Worte, lieber in einem Kirchhof übernachten würden, als nur einen Fuß an Bord setzen?«

»Es hat sich freilich so was Ähnliches zwischen uns zugetragen, Kapitän; doch Ihr habt die eine Hälfte der Bedingung vergessen, und so hab‘ ich an die andere Hälfte nicht gedacht, und ich darf einem so erfahrenen Schiffahrer wohl nicht erst sagen, daß zwei Halbe ein Ganzes machen. Es ist also ganz natürlich, daß die Sache zwischen uns mitten durchgefallen ist.«

»Was? Ist es nicht genug, daß du treulos bist, mußt du auch noch lügen! Welchen Teil meines Versprechens hätte ich nicht gehalten?«

»Welchen Teil?« erwiderte der vermeintliche Fischer, indem er gemächlich eine Leine einzog, die wohl, wie der schnelle Blick Wilders leicht entdeckte, reichlich mit Lot versehen war, aber nicht mit dem ebenso wesentlichen Werkzeuge, dem Widerhaken; »welchen Teil, Kapitän? Keine geringere Kleinigkeit als die zweite Guinee.«

»Sie sollte die Belohnung eines ausgerichteten Dienstes sein, aber nicht, wie ihr Gefährte, ein Aufgeld, um dich zur ernstlichen Übernahme des Geschäftes zu bewegen.«

»Ha! Sie haben mir aufs rechte Wort geholfen. Ich dachte die Guinee wäre nicht ernstlich gemeint, wie die erste, die ich bekam, und so ließ ich denn den Handel halb beendigt.«

»Halb beendigt, Schuft! Du hast nie begonnen, was du zu vollenden so hoch und teuer beschworen hast.«

»Da seid Ihr auf falscher Fahrt, mein Schiffspatron, gerade als wenn Ihr Ostost steuern wolltet, um den Nordpol zu erreichen. Ich habe gewissenhaft die eine Hälfte unseres Übereinkommens ausgeführt; und für eine Hälfte haben Sie nur bezahlt, wie Sie wissen.«

»Es soll dir schwer werden, zu beweisen, daß du auch nur dieses Wenige getan hast.«

»Wollen einmal unser Logbuch darüber zu Rate ziehen. Ich ließ mich dazu anwerben, den Hügel hinaufzugehen bis zum Hause der guten Admiralswitwe und daselbst gewisse Abänderungen, die wir jetzt nicht erst zu nennen brauchen, in meinen Behauptungen zu machen.«

»Und die du nicht gemacht, sondern im Gegenteil dadurch vereitelt hast, daß du eine schnurstracks entgegengesetzte Geschichte erzähltest.«

»Wahr.«

»Wahr, Halunke? Wenn nach Recht mit dir verfahren würde, so sollte die vertrautere Bekanntschaft mit einem Strick deine wohlverdiente Belohnung ausmachen.«

»Hu, welch ein Windstoß von Worten! – Wenn Euer Schiff ebenso in die Kreuz und Quer steuert wie Eure Gedanken, Kapitän, so wird Eure Fahrt nach Süden ziemlich zickzack gehen. Haltet Ihr es für einen alten Mann, wie ich bin, nicht für leichter, ein paar Lügen zu sagen, als jene lange und steile Anhöhe hinanzuklimmen? Streng genommen, hatte ich bereits mehr als meine halbe Obliegenheit erfüllt, als ich bei der gläubigen Witfrau anlangte; und dann beschloß ich, den halben Lohn, den ich noch bekommen sollte, auszuschlagen, um mich lieber von der andern Partei beschenken zu lassen.«

»Niederträchtiger!« schrie Wilder, den der heftige Unwille etwas verblendete, »selbst deine Jahre sollen dich nicht länger vor Strafe schützen. He, da vorne! Bemannt die Schute, Maat, und bringt mir den alten Kerl dort in dem kleinen Boot an Bord des Schiffes. Achtet auf sein Geschrei nicht; das Geschäft, das ich mit ihm abzumachen habe, kann nicht ganz ohne Geräusch ins reine gebracht werden.« Der Schiffsgehilfe, an den dieser Zuruf gerichtet war, und der ihn erwiderte, sprang nun auf die Galerie, wo er das kleine Fahrzeug gewahrte, auf das er Jagd machen sollte. In weniger als einer Minute war er mit noch vier Mann in der Schute und ruderte um das Schiff herum, um auf die Seite zu kommen, wo die Erreichung seines Zweckes möglich war. Der selbstgetaufte Robert Bunt tat einen oder zwei Ruderschläge, und setzte federleicht über die Wogen zwanzig bis dreißig Klafter weg, von wo er gehalten hatte, lachte in sich hinein wie einer, der sich über das Gelingen seiner List freut, ohne im mindesten über die Folgen besorgt zu scheinen. Sobald jedoch nun die Schute hervorkam und sichtbar wurde, legte er sich mit kräftigen Armen ein und überzeugte bald die Zuschauer im Schiffe, daß es einige Mühe kosten würde, ihn einzuholen.

Eine Zeitlang war es zweifelhaft, was für einen Lauf der Flüchtling zu nehmen gedächte; denn er tat nichts, als daß er in schnellen und plötzlichen Wendungen und Kreisen eine geraume Zeit seine Verfolger verwirrte und durch seine geschickten und leichten Evolutionen ihre Anstrengung vereitelte. Doch endlich war er dieser höhnenden Belustigung müde, oder vielleicht auch besorgt, seine Kräfte zu erschöpfen, und im Nu schoß er wie ein Pfeil in gerade Linie dahin, auf den Rover los.

Die Jagd wurde nun heiß und ernst und erregte das Beifallsgeschrei der meisten von den zuschauenden Matrosen. Anfangs schien der Ausgang zweifelhaft; doch gewann endlich die Schute, nachdem sie den Widerstand des Stroms besiegt hatte, dem Boote mehr und mehr Seeraum ab, obgleich sie noch immer eine Strecke dahinter zurückblieb. Allein es dauerte keine drei Minuten, so schoß Robert unter den Spiegel des andern Schiffes, und da der Rumpf des Sklavenschiffes mit dem Laufe der Carolina in einer Linie lag, so verschwand es den Augen der Zuschauer sowohl als seiner Verfolger. Diese säumten nun nicht, dieselbe Richtung zu nehmen: und die Matrosen der Carolina fingen nun an, lachend an der Takelage hinaufzuklimmen, um über den dazwischenliegenden Rumpf des Sklavenschiffes wegsehen zu können.

Indessen war auf der Meeresfläche jenseits durchaus kein Boot zu sehen, nichts bewegte sich auf der See bis an die fernliegende Insel mit ihrem kleinen Fort. In ein paar Minuten sah man die Mannschaft der Schute langsam ihren Weg zurückrudern, wie Leute, die in ihrer Erwartung getäuscht worden. Alles lief nun an die Seite des Schiffes, um den Ausgang des Abenteuers zu hören; der Lärm der sich auf einen Punkt hindrängenden Menge zog selbst die beiden Damen aus der Kajüte aufs Verdeck. Statt jedoch den Fragen ihrer Kameraden mit dem Seeleuten so gewöhnlichen Wortreichtum entgegenzukommen, sahen die Leute in der Schute ganz verdutzt und erschrocken aus. Ihr Offizier sprang aufs Deck, ohne einen Laut von sich zu geben, und suchte seinen Kommandeur.

»Das Boot war zu behende für Sie, Herr Nighthead«, bemerkte gelassen Wilder, der sich während des ganzen Austritts nicht von seinem Platze bewegt hatte.

»Zu behende, Herr! Kennen Sie den Menschen, der darin ruderte?«

»Nicht ganz genau; aber ein Spitzbube ist’s, soviel weiß ich.«

»Das kann freilich nicht anders sein, da er mit dem Teufel verwandt ist.«

»Ich getraue mir zwar nicht zu sagen, daß es so arg mit ihm stehe, wie Sie zu glauben scheinen, wenn ich auch eben nicht viel Ursache habe, zu denken, er besitze so viel überflüssige Ehrlichkeit, daß er einiges davon über Bord werfen könnte. Was ist aus ihm geworden?«

»Das ist leicht gefragt, aber schwer zu beantworten. Erstlich kniff der alte Graukopf sein Schiffchen vorwärts, daß es Euch aussah, als schwämm‘ es in der Luft. Wir waren nicht eine Minute, höchstens zwei, hinter ihm; als wir aber das Sklavenschiff umsegelt hatten, waren Boot und Bootsmann verschwunden!«

»Sehr natürlich, er steuerte dicht an der Schiffsseite herum, während Ihr dicht bei dem Spiegel vorbeikreuztet.«

»Sie haben ihn also gesehen?«

»Ich gestehe, nein.«

»Das konnte er nicht, mein Herr, wir ruderten weit genug vom Schiffe ab, um nach beiden Seiten hinsehen zu können; überdies wußten die Leute auf dem Sklavenhändler nichts von ihm.«

»Saht Ihr die Mannschaft des Sklavenschiffs?«

»Ich hätte sagen sollen, der Mann darauf; denn dem Anscheine nach ist nur einer am Bord.«

»Und wie war der beschäftigt!«

»Er saß auf einem der Wandtaue und schien eben vom Schlafe aufzuwachen. Es ist ein träges Schiff, Herr, das sich von seinem Eigentümer wahrscheinlich mehr geben läßt, als es verdient!«

»Kann sein. Gut, laß ihn laufen, den Spitzbuben. Master Earing, es scheint ein Seewind im Anzuge, wir wollen doch unsere Bramsegel wieder aufziehen, damit er uns zum Empfang bereit finde. Noch geb‘ ich die Hoffnung nicht auf, so weit zu kommen, daß wir die Sonne im Meere untergehen sehen.«

Die Schiffsgehilfen und die übrige Mannschaft gingen nun munter an ihre Arbeit. Jedoch konnten die verwunderten Matrosen selbst beim Aufziehen der Segel, um den Wind einzuladen, ihre Neugier nicht unterdrücken und richteten an die, die in der Schute gewesen waren, mannigfaltige Fragen, wofür sie gar feierliche Antworten erhielten. Währenddessen wendete sich Wilder zu Mistreß Wyllys, die seinem kurzen Gespräch mit dem Maat zugehört hatte.

»Sie sehen, Madame,« sagte er, »daß wir unsere Reise nicht ohne bedeutsame Vorzeichen antreten.«

»Wenn Sie, rätselhafter Mensch, mir mit jener Ihnen oft eigenen aufrichtigen Miene darzutun suchten, daß wir nicht weise handeln, uns der See anzuvertrauen, so bin ich fast geneigt, Ihren Worten Glauben beizumessen; allein der Versuch, die Zauberei in Ihr Interesse zu ziehen, um Ihrer Zumutung Eingang zu verschaffen, kann nur die entgegengesetzte Wirkung haben.«

»Anker gelichtet!« schrie Wilder mit einem Blick, der seinen Reisegefährtinnen zu sagen schien: Wenn ihr denn so kühnen Mutes seid, an Gelegenheit, ihn zu zeigen, soll es euch nicht fehlen. »Heda, Mannschaft, ans Gangspill! Wir wollen noch einmal versuchen, mit dem Winde in die freie See zu kommen, solang‘ es noch hell ist.«

Nun das Geklapper der Handspeichen, nun der Gesang der Matrosen, wie sie sich schweren, abgemessenen Trittes um das Gangspill drehten. So wurde die Eisenwucht in ein paar Minuten dem Boden entrissen und das Schiff zum zweitenmal von den Banden, die es festhielten, entfesselt.

Der Wind kam bald frisch vom Meere her, klamm und mit salzigen Teilen des Elementes geschwängert. Sowie er in die schwellenden, gleichmäßig ausgebreiteten Segel fiel, beugte sich das Schiff tief vor dem willkommenen Gast, und als es sich ebenso zierlich wieder erhob, ertönte in dem Labyrinth des Tauwerks das Spiel des Windes, die lieblichste Musik für Matrosenohren. Die willkommenen Töne und die Frische der ganz eigentümlichen Luft erhöhten das Kräftige in den Bewegungen der Leute. Der Anker wurde eingestaut, die leichteren Segel bei-, das Schiff in Gang gesetzt, die unteren großen Tücher von ihren Rahen losgelassen, und ehe wieder zehn Minuten vorüber waren, sprühte der Wasserstaub zu beiden Seiten der Carolina, wie sie vor dem Winde dahinrauschte.

Wilder hatte nun die Lösung der Aufgabe, das Schiff zwischen den Inseln Rhode und Connannicut hindurchzuführen, selbst übernommen. Bei der großen Verantwortlichkeit, der er sich dadurch unterzogen, war es ein glücklicher Umstand, daß die Durchfahrt durch die Meerenge nicht schwierig war und der Wind sich hinlänglich nach Osten gedreht hatte, um es ihm, nach einigem Segeln dicht beim Wind, leicht zu machen, den Kanal in einem einzigen Zuge zurückzulegen. Allein wenn er einen großen Teil seines vorteilhaften Pfades nicht verlieren wollte, so mußte er in seinem Zuge hart am Rover vorbei. Er war nicht unschlüssig. Sobald das Fahrzeug luvwärts der Küste so nahe war, als nach seinem geschäftigen Senkblei für ratsam erachtet werden konnte, ließ er durch den Wind wenden, so daß das Schiff mit seinem Vorderteil auf den noch immer bewegungs- und scheinbar achtlosen Sklavenhändler zu liegen kam.

Die zweite Annäherung der Carolina fand unter weit günstigeren Umständen statt als die frühere. Der Wind blies nicht in Flagen wie vorher, sondern stetig, und die Mannschaft hielt das Schiff im Zügel, wie ein gewandter Reiter das Feuer seines schnaubenden Hengstes bändigt. Bei alledem war keine Seele auf dem Bristoler Kauffahrer, die die Vorüberfahrt nicht in atemlose Erwartung dessen, was da kommen sollte, gesetzt hätte. Ein jeder war aus einer verschiedenen Ursache äußerst gespannt. Für die Seeleute hatte das Schiff nachgerade den Charakter des Wunderbaren angenommen; die Gouvernante und ihr Zögling waren bewegt – sie wußten selbst kaum warum – indes Wilder nur zu gut unterrichtet war von der Art der Gefahr, in der alle, er selbst ausgenommen, schwebten. Schon war der Steuermann im Begriff, seinem Matrosenstolz huldigend, das Steuerrad wie vorher zu drehen, daß sie luvwärts vorbeikämen, und allerdings war der Versuch jetzt nicht so gefährlich; allein er erhielt die entgegengesetzte Weisung.

»Bei der Leeseite des Sklavenhändlers vorbeifahren, Herr!« sagte Wilder zu ihm mit gebieterischer Gebärde, und ging dann selbst nach der Galerie der Luvseite, um, wie jeder andere müßige Zuschauer auf dem Verdeck, den Gegenstand, dem sie sich nun so schnell näherten, mit prüfenden Blicken anzuschauen. Wie sich die Carolina kühn nahte, den Wind gleichsam vor sich hertragend, war aus dem fremden Schiffe kein anderer Ton zu vernehmen, als das Geseufze des Windes durch das leise bewegte Tauwerk. Kein einziges menschliches Antlitz, nicht einmal ein heimliches, neugieriges Auge war zu erspähen. Die Vorüberfahrt war natürlich sehr rasch, nur eine Sekunde, und kaum lagen Vorderteil und Spiegel beider Schiffe parallel, da glaubte Wilder, der vermeintliche Sklavenhändler würde tun, als bemerkte er gar nicht, daß sie vorübersegelten, allein er irrte sich. Eine leichte, behende Gestalt, in der Unteruniform eines Flottenoffiziers, sprang aus den obern Teil des Spiegels und schwenkte die Mütze zum Gruß. Sobald die blonden Locken das Gesicht des Grüßenden umwehten, erkannte Wilder das feurige Auge und die sprechenden Gesichtszüge des roten Freibeuters.

»Glauben Sie, daß sich der Wind so halten wird, mein Herr?« rief dieser, so laut er konnte.

»Wohl möglich, da er so steif angefangen hat.«

»Ein kluger Seemann würde seinen Ostwind ganz und beizeit benutzen: mir riecht der Wind ziemlich westindisch.«

»Sie sind der Meinung, er wird sich mehr nach Süden drehen?«

»Ja; doch die Segel nur straff beim Winde gehalten, so gewinnt Ihr schon das Weite.«

Jetzt war die Carolina vorüber, und jetzt wandte sie sich schon mit dem Winde, quer vor dem Sklavenhändler, wieder in ihr erstes Kielwasser; da schwenkte die Gestalt auf dem Hackebord noch einmal die Mütze zum Lebewohl hoch in die Luft und verschwand.

»Ist es möglich, daß ein solcher Mann Handel mit menschlichen Wesen treiben kann!« rief Gertraud aus, als beider Stimmen nicht mehr ertönten.

Da sie keine Antwort erhielt, drehte sie sich um, ihre Gefährtin anzusehen. Die Gouvernante stand da, wie ein Wesen im Zustand der Verzückung. Ihre Augen blickten in das Leere, denn sie hatten immer noch dieselbe Richtung, obgleich sie das Schiff schon längst so weit getragen hatte, um das Gesicht des Fremden noch erreichen zu können. Gertraud faßte ihre Hand und wiederholte die Frage, da kehrte ihr erst die Besinnung wieder, und mit der Hand über die Stirn hinfahrend, unsteten Blickes und ein Lächeln erzwingend, sagte sie:

»Liebe, wenn sich Schiffe begegnen, oder sich irgendein Ereignis zur See vor meinen Augen erneut, so beleben sich immer meine frühesten Erinnerungen. Gewiß, das war kein gewöhnliches Wesen, was sich endlich blicken ließ in dem Sklavenschiffe dort.«

»Ein höchst ungewöhnliches, in der Tat, für einen Sklavenhändler!«

Die Wyllys stützte ihr Haupt einen Augenblick auf die eine Hand und wandte sich dann zurück, um Wilder zu suchen. Der junge Seemann stand ihr nah, und prüfend ruhte sein Auge auf ihrem Gesichte mit einer Teilnahme, die fast ebenso auffallend war, als ihre eigene gedankenvolle Miene.

»Sagen Sie mir, junger Mann, ist jenes Individuum der Kommandeur des Sklavenschiffes?«

»Das ist er.«

»Sie kennen ihn?«

»Wir begegneten schon einander.«

»Und er heißt?«

»Befehlshaber jenes Schiffes. Weiter weiß ich keinen Namen von ihm.«

»Gertraud, suchen wir unsre Kajüte. Herr Wilder wird schon so gut sein, uns sagen zu lassen, wenn das Land zu verschwinden anfängt.«

Dieser machte eine bejahende Verbeugung, und die Damen verließen das Verdeck. Die Carolina hatte nun die Aussicht, ungesäumt die offene See zu gewinnen. Um dieses Ziel zu erreichen, hatte Wilder alles, was weiter bringen konnte, so vorteilhaft als möglich beigesetzt. Dennoch wandte er wohl hundertmal den Kopf, um einen verstohlenen Blick nach dem überholten Schiff zu werfen. Es lag in der Bai noch so, als wie sie vorüberfuhren, ein symmetrischer, schöner, aber unbewegter Gegenstand. Nach jeder dieser heimlichen Untersuchungen blickte unser Abenteurer unabänderlich auf die Segel seines eigenen Schiffes, wobei eine gewisse Aufgeregtheit und Ungeduld unverkennbar waren, indem er bald das eine Segel straffer an die Spiere anzuziehen, bald das andere an seiner Stenge geräumiger auszureffen befahl.

Diese Besorglichkeit, verbunden mit ungemeiner Sachkenntnis, hatte die Wirkung, daß der Bristoler Kauffahrteifahrer durchs Element dahinschoß mit einer Schnelle, die er selten oder niemals übertroffen hatte. Es dauerte nicht lange, so hörte das Land auf von den Schiffsseiten aus sichtbar zu sein; nur eine leiser und leiser werdende Spur davon war noch zu erkennen in den blauen Inseln hinter ihnen und in dem blassen Streif am Horizont nach Norden und Westen hin, wo sich das unermeßliche Festland zahllose Meilen lang ausstreckt. Nun wurden die beiden weiblichen Reisenden aufgefordert, vom Lande Abschied zu nehmen, und man sah die Offiziere mit der Aufzeichnung der Abreise beschäftigt. Wie es zu dunkeln begann und die Inseln eben ganz in den Wogen versanken, stieg Wilder auf eine der oberen Rahen mit einem Fernglase in der Hand. Er blickte lange, angelegentlich und ganz im Anstaunen versunken, in die Ferne, doch stieg er mit einem beruhigteren Auge und gelassenerer Miene wieder herunter. Ein Lächeln, das einen guten Erfolg zu begleiten pflegt, spielte um seine Lippen; und in einer heitern, Mut einflößenden Stimme erteilte er seine Befehle, denen ebenso munter gehorcht wurde. Die ältlicheren unter den Matrosen wiesen auf die See hinter dem Schiffe hin und behaupteten, daß die Carolina niemals in solchem Grade Fahrt gemacht habe. Die Gehilfen ließen die Loglinie schießen und nickten sich Beifall zu, als sie sich von dem ungewohnten Fluge des Schiffes überzeugten. Mit einem Worte, Zufriedenheit und Heiterkeit herrschte am Bord; denn die Zeichen, unter denen man die Reise begann, schienen so glückbedeutend, daß man einer baldigen und erwünschten Beendigung entgegensah. Mitten unter diesen ermutigenden Vorbedeutungen tauchte die Sonne in den Ozean, im Sinken einen weiten Streif des kalten und düsteren Elementes bedeckend. Darauf fingen die Schatten der abendlichen Stunde an sich zu sammeln über der unabsehbaren Oberfläche der grenzenlosen See.

Vierzehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Die erste Wache der Nacht war durch keinen Wechsel bezeichnet. Wilder hatte sich zu seinen Reisegefährtinnen begeben, heiter und mit jenem freudigen Wesen, das kein Seeoffizier ganz verbergen kann, wenn es ihm gelungen ist, sein Fahrzeug durch die Gefahren unbeschädigt hindurchzuführen, die ihm in der Nähe von Land in Menge drohen, und wenn kein Zweifel mehr ist, daß es sich nun auf der weiten, pfadlosen, unergründlichen Tiefe des Ozeans befinde. Keine Anspielung mehr auf das Gewagte der Fahrt, nein, er bemühte sich durch die tausend namenlosen Aufmerksamkeiten, die ihm vermöge seiner Stellung zu Gebote standen, alle Erinnerungen an das Vergangene wegzuscheuchen. Mistreß Wyllys gab sich auch seinem nicht zu verkennenden Bestreben, ihre Besorgnisse zu beschwichtigen, willig hin, und wer nicht wußte, was sich früher zwischen beiden zugetragen hatte, würde den kleinen, um die Abendmahlzeit versammelten Kreis für eine Gruppe zufriedener Reisenden gehalten haben, die, einander vollkommen verstehend und trauend, ihr Unternehmen unter den glücklichsten Vorbedeutungen beginnen.

Es war indessen ein Etwas in dem gedankenvollen Auge und der umwölkten Stirne der Gouvernante, wenn sie von Zeit zu Zeit den Blick auf unsern Abenteurer richtete, was nichts weniger als ein ruhiges Gemüt bezeichnete. Sie hörte seine munteren und, wegen der vielen Seeausdrücke, eigentümlichen Scherze mit einem zugleich nachsichtigen und traurigen Lächeln an, als riefe ihr seine jugendliche Heiterkeit, die sich in einem besonders drolligen, Seemännern eigenen Humor äußerte, wohlbekannte aber traurige Bilder vor die Seele. In Gertrauds Vergnügen war weniger bittere Mischung; ihr lachte die schöne Aussicht einer Heimat, mit einem geliebten und liebenden Vater, und bei jedem neuen Ruck des Schiffes kam es ihr vor, als sei nun wieder eine von den langweiligen Meilen, die sie solange von ihrem Vater getrennt hatten, glücklich besiegt.

Während dieser kurzen aber angenehmen Stunden erschien der Abenteurer, der auf eine so seltsame Weise den Beruf zum Kommando des Bristolers bekommen hatte, in einem neuen Lichte. War auch männliche Offenheit eines Matrosen der Hauptzug in seiner Unterhaltung, so war sie doch gemildert durch ein Zartgefühl, das aus eine höchst sorgfältige Erziehung schließen ließ.

Gar manchmal kämpfte Gertrauds schöner Mund vergebens gegen ein Lächeln an, das, von den weichen Lippen ausgehend, in den Grübchen ihrer Wangen spielte, und ein- oder zweimal, als der Humor Wilders plötzlich ihre junge Einbildungskraft durchkreuzte, durchbrach die Natur allen Zwang der Etikette, und das Mädchen überließ sich der unwiderstehlichen Neigung zur Fröhlichkeit.

Eine Stunde zwanglosen Umgangs auf einem Schiffe erweicht eher die starre, äußere Kruste, die die Welt um die besten menschlichen Gefühle zieht, als ganze Wochen der nichtssagenden, nichtsbedeutenden Zeremonien auf festem Lande. Wer zur See gewesen ist und diese Wahrheit nicht an sich erfahren hat, der tut wohl, in seine geselligen Eigenschaften einiges Mißtrauen zu setzen. Wenn sich der Mensch einsam auf dem Meere sieht, dann fühlt er am tiefsten und wahrsten, wie sehr sein Glück von seinen Mitgeschöpfen abhängig ist, dann werden ihm Gefühle heilig, mit denen er im Übermut des Überflusses freventlich spielte, dann gewährt ihm nichts erhebenderen Trost als das Mitgefühl menschlicher Wesen. Gemeinschaftliche Gefahr erzeugt gemeinschaftliche Teilnahme, mag es nun Personen oder Vermögen betreffen. Ein Psychologe dürfte vielleicht noch hinzufügen, daß auf der See ein jeder die Lage und das Schicksal des andern als den bloßen Anzeiger seiner eigenen Lage, seines eigenen Schicksals betrachte, und deswegen mehr Wert darauf zu legen scheine. Wenn dieser Schluß Wahrheit enthält, so müssen wir der Vorsehung danken, die Besseren unter den Menschen so geschaffen zu haben, daß dieses niedrige Gefühl in ihnen zu tief verborgen liegt, um entdeckt, um von der Person selbst bemerkt zu werden. Wenigstens gehörte niemand von den dreien, die die ersten Stunden des Abends um den Tisch in der Kajüte der Royal Carolina zubrachten, zu einer so selbstsüchtigen Klasse. Die Freiherzigkeit des Augenblicks schien die so ausgezeichnet zweideutige Art ihres früheren Umgangs ganz in Vergessenheit gebracht zu haben; oder vielmehr die Erinnerung an das Geheimnisvolle der Umstände und an die Teilnahme des jungen Mannes an ihrem Schicksal diente nur dazu, ihn den Damen noch interessanter zu machen.

Die Schiffsglocke hatte eben acht Uhr geschlagen, und der heisere, langanhaltende Ruf, der die schläfrigen Matrosen aufs Verdeck rief, erschallte, ehe die kleine Gesellschaft gewahr wurde, daß die Zeit schon so vorgerückt sei.

»Es ist die mittlere Wache«, sagte Wilder und lächelte über Gertraud, wie sie bei dem unbekannten Ton zusammenschreckte und aufhorchend dasaß, einem furchtsamen Reh ähnlich, wenn der Schall des Jägerhorns sein Ohr trifft. »Wir Seeleute sind nicht immer musikalisch, wie Sie hören können, meine Damen. Bei alledem aber klangen Ihnen die Töne des Rufenden bei weitem nicht so unmelodisch als gewissen Ohren auf diesem Schiffe.«

»Sie meinen die Schlafenden?« sagte Mistreß Wyllys.

»Ich meine die Wache unten, die zum Dienst gerufen wird. Der Matrose des Fockmasts kennt in dieser Welt nichts Süßeres als den Schlaf, weil er eben der ungewisseste aller seiner Genüsse ist. Der Kommandeur hingegen kennt keinen Gefährten, der verräterischer wäre.«

»Und warum ist dem Obern der Schlaf minder süß als dem gemeinen Matrosen?«

»Weil das Kissen, worauf sein Haupt ruht, Verantwortlichkeit heißt.«

»Sie sind sehr jung, Herr Wilder, für das Ihnen anvertraute Kommando.«

»Im Dienste zur See wird man früher alt als sonst.«

»So sollte man ihn lieber aufgeben!« – sagte Gertraud etwas hastig.

»Aufgeben!« erwiderte er und blickte sie, einen Augenblick innehaltend, fest an. »Ich kann ebenso leicht die Luft, die ich atme, aufgeben.«

»Gehören Sie Ihrem jetzigen Stande schon solange an?« nahm Mistreß Wyllys das Gespräch wieder auf, indem sich ihr Auge, das bisher sinnend auf Gertraud geruht hatte, auf Wilder wendete.

»Ich habe Ursache zu glauben, daß ich zur See geboren wurde.«

»Glauben! Wissen Sie denn nicht, wo Sie geboren sind?«

»Was dieses wichtige Ereignis im menschlichen Leben betrifft, so muß wohl ein jeder dem glauben, was ihm andere davon sagen, wissen kann er’s nicht«, sagte Wilder lächelnd. »Meine frühesten Erinnerungen verschmelzen sich mit dem Anblick des Meeres, so daß ich mich wirklich kaum zu den Landgeschöpfen zu rechnen wage.«

»Wenigstens sind Sie dann glücklich gewesen in Beziehung auf die, die über Ihre Erziehung und die Tage Ihrer Kindheit wachten.«

»Das bin ich!« antwortete er mit vielem Nachdruck, fuhr mit der flachen Hand flüchtig über die Stirn, stand dann auf und fügte traurig lächelnd hinzu: »Und nun zu meiner letzten Pflicht in den ersten vierundzwanzig Stunden. Fühlen Sie sich geneigt, einen Blick in die Nacht zu tun? Eine so erfahrene und mutige Seefahrerin sollte ihre Hängematte nicht eher aufsuchen, als bis sie sich vom Zustand des Wetters unterrichtet hat.«

Sie nahm seinen dargebotenen Arm an, und schweigend stiegen sie die Treppe der Kajüte hinan, beide scheinbar in Betrachtungen versunken. Die regsamere Gertraud folgte, und alle begaben sich auf die Schanze des Schiffes.

Die Nacht war weniger finster als nebelig. Der volle und glänzende Mond war zwar aufgegangen, allein er verfolgte am Abendhimmel seinen Pfad hinter düsteren Wolkenmassen, die viel zu dicht waren, als daß sie seine erborgten Strahlen hätten durchdringen können. Hier und dort nur brach sich ein einsamer Strahl Bahn durch einen minder dichten Dunstkörper und schimmerte auf dem Wasser gleich der bleichen Erleuchtung eines fernen Kerzenlichtes. Da der Wind straff von Osten blies, so schien der bewegte Spiegel der See mehr Licht auszustrahlen, als er erhielt; es folgten einander lange Linien weißen, gleißenden Schaumes, die, freilich nur auf Augenblicke der Oberfläche der Gewässer eine Helle gaben, die dem Himmel oben abging. Das Schiff neigte sich stark auf eine Seite hin, und jedesmal, wie es eine frische Woge durchschnitt, bildete sich ein weiter Halbkreis von Schaum vor ihm her, gleichsam als tanzte das Element vor seinem Pfade daher. Allein wenn auch die Zeit günstig war, der Wind nicht entschieden konträr, und der Himmel wohl düster, aber nicht drohend aussah, so lieh ein gewisses irres, »für den Blick eines Nichtmatrosen unnatürliches«, Licht der ganzen Szene das Ansehen der ödesten Verlassenheit.

Gertraud fuhr etwas in sich zusammen, als sie aufs Verdeck kam, ein Ton schauerlichen Entzückens entschlüpfte ihr unwillkürlich. Auf die dunkel wallenden Wogen am Horizont, wo jenes übernatürliche Leuchten am stärksten zu bemerken war, schaute auch Frau Wyllys hin und fühlte tief, wie sie sich so ganz in den Händen des Wesens befände, das die Wasser wie das Land erschaffen hat. Für Wilder hatte das Schauspiel nicht mehr Erregendes, als ein heiteres Himmelsgewölk für die auf dem Lande: er war des Anblicks zu gewohnt, um noch dadurch zur Andacht oder zum Entzücken hingerissen werden zu können. Aber anders war es mit seiner jungen und ein wenig zur Schwärmerei geneigten Reisegefährtin. Der Schauer des ersten Anblicks ging in die Flut der Bewunderung über, und sie rief:

»Eine monatlange Gefangenschaft in einem Schiffe wird überschwenglich belohnt durch einen einzigen solchen Anblick! Ach, Herr Wilder, Sie sind ein glücklicher Mensch, Sie können dieses Schauspiel genießen, so oft Sie wollen.«

»Ach ja, es ist recht angenehm, gewiß. Ich wollte, der Wind räumte um einen oder zwei Punkte! Dieser Himmel will mir nicht gefallen, jener nebelige Horizont auch nicht, und am allerwenigsten diese so schlaffe Kühlde nach Osten zu.«

»Das Schiff segelt sehr schnell«, erwiderte ruhig Mistreß Wyllys, als sie bemerkte, daß der junge Mann seine Gedanken unüberlegt laut werden ließ, und sich keine gute Wirkung davon auf ihre Pflegebefohlene versprach. »Wenn es so fort geht, so steht uns eine schnelle und glückliche Fahrt bevor.«

»Wahr!« rief Wilder, als wenn er erst jetzt ihre Gegenwart bemerkte, »wahr, sehr wahr, höchstwahrscheinlich! Earing, die Luft wird zu stark für die Segeltücher, beschlagt alle Bramsegel und braßt sie dichter beim Winde. Wenn der Wind so fortfährt Ost bei Süd, so können wir nicht schnell genug weiter hinaus ins Freie.«

Die Antwort des Offiziers drückte die Bereitwilligkeit und den Gehorsam aus, der Seeleuten gegen ihre Vorgesetzten eigen ist; einen Augenblick prüfte er, umherschauend, die Wetterzeichen und schritt alsdann zur Ausführung des Befehls. Während die Leute auf den Rahen die leichteren Segel zusammenschnürten, nahmen die Damen einen andern Platz ein, um dem jungen Kommandeur bei der Verrichtung seines Amtes nicht hinderlich zu sein. Allein diese Verrichtung war Wildern eine so gewöhnliche, daß sie seine Aufmerksamkeit nicht fesselte, und kaum hatte er den Befehl erteilt, so schien er sich dessen auch nicht mehr bewußt. Noch stand er auf demselben Fleck, wo er beim Heraufsteigen aus der Kajüte zuerst den Ozean und den Himmel erblickt hatte; noch war sein Blick wie angeheftet an den beiden Elementen, obgleich er den wechselnden Richtungen des Windes folgte, der zwar nicht stürmisch war, doch in heftigen und mürrischen Stößen auf die Segel eindrang. Nach langer ängstlicher Untersuchung murmelte er seine Gedanken vor sich hin und begann raschen Schrittes auf dem Verdeck auf und ab zu gehen, doch nicht ohne zuweilen plötzlich auf eine Sekunde innezuhalten, während er nach dem Punkte des Kompasses hinschaute, von woher die Windstöße kamen, als wenn er dem Wetter nicht ganz traute und gerne mir dem scharfen Blick die Hülle der Nacht durchdringen möchte, um irgendeine schmerzliche Ungewißheit los zu werden. Endlich hielt er bei einer jener raschen Wendungen, die er jedesmal am Ende seiner kurzen Spazierbahn zu machen pflegte, seine Schritte an. Mistreß Wyllys und Gertraud standen nahe genug, um in seinem ängstlich forschenden Gesicht lesen zu können. Sein Auge wandte sich plötzlich nach der entgegengesetzten Seite und weilte auf einem entfernten Punkt im Meere.

»Trauen Sie dem Wetter nicht?« fragte endlich die Gouvernante, als ihr sein langes, zögerndes Forschen von schlimmer Vorbedeutung schien.

»Wenn der Wind so wie jetzt steht, muß man sich nicht leewärts nach den Wetterzeichen umsehen«, war die Antwort.

»Was sehen Sie denn dort, das Ihre Blicke so sehr fesselt?«

Wilder erhob seinen Arm und wollte eben sprechen: dann ließ er ihn wieder sinken, drehte sich auf dem Absatz herum, murmelte etwas von »Täuschung« vor sich hin, und ging noch rascheren Schrittes als vorher auf und ab.

Seine Gefährtinnen beobachteten seine ungewöhnlichen, scheinbar unwillkürlichen Bewegungen mit Erstaunen und nicht ohne ein heimliches Regen des Entsetzens. Sie richteten nun die Blicke leewärts über die Ausdehnung des bewegten Meeres hin, konnten aber weiter nichts entdecken, als die sich überstürzenden Wogen, deren obere Umrisse von weißem Schaume der erstarrenden Wasserwüste ein noch öderes und schauerlicheres Ansehen gaben.

»Wir können nichts sehen«, sagte Gertraud, als Wilder wieder im Gehen innehielt und wie vorher ins Leere hineinstarrte.

»Schaut!« antwortete er, ihre Blicke mit dem Finger leitend. »Ist dort nichts?«

»Nichts.«

»Sie sehen aufs Meer. Hier, just wo das Himmelsgewölbe die Wasser berührt, längs jenem Streifen nebeligen Lichtes, wo sich die Wogen heben wie kleine Landhügel. Dort – jetzt fällt die Woge wieder, und mein Auge täuschte mich nicht. Beim Himmel! Es ist ein Schiff!«

»Ein Segel, ahoi!« rief eine Stimme aus dem Mastkorb, die in den Ohren unsers Abenteurers wie das Kreischen eines bösen über die See hinschwebenden Geistes tönte.

»Wes Weges?« wurde rasch gefragt.

»Hier auf unserer Leeseite, Sir«, schrie der Matrose oben, so laut er konnte. »Soviel ich erkenne, ist’s dicht beim Winde, das Schiff; eine ganze Stunde hat’s mehr einem Nebel als einem Schiffe gleich gesehen.«

»Jawohl, er hat recht,« brummte Wilder vor sich hin; »und doch ist’s seltsam, daß ein Schiff gerade dort sein sollte.«

»Und warum seltsamer, als daß wir hier sind?« fragte Frau Wyllys.

»Warum!« sagte der Jüngling, sie mit bewußtlosen Blicken anstarrend. »Es ist seltsam, daß es dort steht. Wollte Gott, es steuerte nordwärts.«

»Allein Sie erklären sich nicht. Sollen wir immer«, fuhr sie mit einem Lächeln fort, »nur Warnungen von Ihnen bekommen, ohne Gründe? Halten Sie uns eines Grundes so ganz unwürdig, oder jedes Verstehens über Seegegenstände für unfähig? Der Versuch ist Ihnen nicht gelungen, und Sie sind zu rasch in Ihrem Urteil. Stellen Sie uns einmal auf die Probe, vielleicht halten wir uns besser als Sie erwarten.«

Wilder lächelte leise und machte eine Verbeugung, als wenn er jetzt erst zur Besinnung käme, ließ sich aber auf keine Erklärung ein, sondern richtete wieder den Blick nach der Seite des Meeres, wo das fremde Segel sein sollte. Die Damen folgten seinem Beispiel, doch immer mit demselben schlechten Erfolge. Gertraud drückte ihren Verdruß darüber aus, und die weichen Töne der Klagenden sanken den Weg zum Gehör unseres Abenteurers.

»Sie sehen den Streifen bleichen Lichtes«, sagte er, den Finger über die See ausstreckend. »Die Wolken haben sich etwas gehoben dort, nun versperrt uns der Wasserstaub den Anblick. Sehen nicht die Spieren im Widerschein des Gewölks wie ein zartes Spinngewebe aus, und doch sehen Sie alle Verhältnisse und die drei Masten eines stattlichen Fahrzeuges.«

Unterstützt durch diese Leitung erschaute Gertraud endlich den kaum bemerkbaren Gegenstand, und es gelang ihr dann auch, den Blick ihrer Erzieherin auf den rechten Punkt hinzuleiten. Nichts als schillernde Umrisse waren noch sichtbar, von Wilder passend genug mit einem Spinngewebe verglichen.

»Es ist ganz gewiß ein Schiff!« sagte Frau Wyllys, »aber in sehr großer Ferne.«

»Hm! Wünschte wohl, sie wäre größer. Irgendwo, nur dort möchte ich das Schiff nicht sehen.«

»Und warum nicht dort? Haben Sie Ursache, zu befürchten, daß ein Feind an jenem Fleck auf uns lauert?«

»Nein, aber doch will mir seine Lage nicht gefallen. Wollte Gott, es liefe nordwärts!«

»Es ist irgendein Fahrzeug aus dem Hafen von Newport und steuert einer der königlichen Inseln in der Karaibischen See zu.«

»Nein,« sagte Wilder kopfschüttelnd; »kein Schiff von der Höhe von Neversink konnte mit dem jetzigen Winde jenen Punkt in der offenen See erreichen.«

»Ist’s vielleicht ein Schiff, das mit uns dieselbe Reise macht oder nach einer Bai der mittleren Kolonien geht?«

»Wäre das, so würde sein Pfad nicht so rätselhaft sein. Sieh! Der Fremde treibt im Winde.«

»Es ist vielleicht ein Kauffahrer oder Kreuzer, der von einem der genannten Orte herkommt.«

»Auch nicht. Dazu blies der Wind während der letzten achtundvierzig Stunden viel zuviel Nord.«

»Es ist ein Fahrzeug, das wir eingeholt haben und aus den Gewässern des Sundes von Long-Island kommt.«

»Das ist noch das einzige, was wir hoffen können«, murmelte Wilder mit halbunterdrückter Stimme.

Die Erzieherin hatte die obigen Vermutungen nur aufgestellt, um dem Befehlshaber der Carolina einige Auskunft zu entlocken, mit der er so hartnäckig an sich hielt. Allein jetzt hatte sie ihre ganze Sachkenntnis erschöpft und mußte entweder gerade herausrücken mit der Frage oder abwarten, bis es ihm beliebte, sich freiwillig näher zu erklären. Indes war Wilder in einem viel zu aufgeregten Gedankenzustande, um ihr zu erlauben, den Gegenstand überhaupt für jetzt zu verfolgen. Er berief nach einer kleinen Weile den Ersten der Wache zu sich, und sie berieten sich heimlich mehrere Minuten lang. Der unerschrockene, aber nichts weniger als scharfsichtige Seemann, der den zweiten Rang im Schiffe führte, konnte in der Erscheinung eines fremden Segels gerade an dem Orte, wo die blasse Luftgestalt des unbekannten Schiffes noch immer sichtbar blieb, nichts sonderlich Merkwürdiges finden und erklärte es ohne Anstand für einen ehrlichen Kauffahrer, der, wie sie, eine rechtmäßige Handelsreise mache. Sein Oberer schien indessen nicht derselben Ansicht zu sein, wie aus dem kurzen Gespräch, das sie wechselten, hervorging.

»Ist’s nicht ungewöhnlich, daß es gerade dort steht?« fragte Wilder, nachdem sie abwechselnd den schwachbemerkten Gegenstand mit einem vortrefflichen Nachtweiser näher erforscht hatten.

»Es wünscht offenbar mehr ins Freie, hierherzu,« erwiderte der nach seinem Buchstaben gehende Seemann, der für nichts als die bloße nautische Lage des Fremden Auge hatte: »und ein Dutzend Meilen weiter Ost, könnte in der Tat uns selbst nicht schaden. Hält der Wind so fort, Ostsüd, halb Süd, so tut uns das Freie, so weit es nur zu sehen ist, sehr not. Zwischen Hatteras und dem Golf blieb ich auch einmal festsitzen …«

»Aber sehen Sie denn nicht, daß es da steht, wo kein Fahrzeug stehen könnte oder sollte, es müßte denn mit uns genau von einem und demselben Ort herkommen?« unterbrach ihn Wilder. »Nichts, was aus irgendeinem Hafen, südlich von Newport, segelte, konnte so weit nordwärts bei solchem Winde; von der Kolonie York aber kann nichts, was nach Osten segeln will, so mit dem Vorderteil stehen, und will es südlich segeln, vollends nicht an jenem Punkte.«

Dem langsamen, aber gesunden Ideengang des ehrlichen Maaten war dieses Räsonnement, das dem Leser etwas unklar sein dürfte, deutlich genug; denn sein Kopf enthielt eine Art Seekarte, die er zu jeder Zeit mit klarer Unterscheidung zwischen den zweiunddreißig Winden und allen verschiedenen Punkten des Kompasses zu Rate ziehen konnte. Daher leuchtete nun, nach der erhaltenen Anleitung, seinem seemännischen Verstände bald ein, daß es mit den Folgerungen seines jungen Vorgesetzten doch wohl seine Richtigkeit haben könnte; und nicht lange, so ging er weiter noch als dieser, indem sich Verwunderung seiner stumpferen Urteilskraft bemächtigte.

»Ja wahrhaftig, ’s ist geradezu unnatürlich, daß der Wicht just dort stehen sollte!« erwiderte er mit bedächtigem Kopfschütteln; wollte aber damit weiter nichts sagen, als daß er es mit seinen Ideen von Seefahrerkunst nicht zusammenreimen konnte. »Ich sehe die Weisheit dessen, was Sie sagen, wohl ein, Herr Kapitän, und der Verstand steht mir dabei still. Es ist aber doch, aller moralischen Gewißheit nach, ein Schiff!«

»Das unterliegt keinem Zweifel; aber ein höchst sonderbar stationiertes Schiff!«

»Ich dublierte das Kap der Guten Hoffnung im Jahre 46,« fuhr der andere fort, »und sah ein Schiff liegen, da, auf unserer Windseite (dem Wicht dort just entgegengesetzt, da er leewärts von uns steht), aber dort sah ich ein Schiff eine ganze Stunde lang uns quer vor dem Kiel stehen, und ungeachtet, daß wir den Azimutalkompaß richteten, regte es sich nicht einen Schritt während der ganzen Zeit, Steuerbord oder Backbord, was bei dem schlechten Wetter, das wir hatten, wenigstens etwas Außergewöhnliches genannt werden konnte.«

»Es war merkwürdig!« erwiderte Wilder mit einem stieren Blick, der zur Genüge bewies, daß er sich mehr mit sich selbst unterhielt, als auf die Rede seines Gefährten acht gab.

»Matrosen erzählen, daß der fliegende Holländer auf der Höhe des Vorgebirges zu kreuzen pflege und oft von der Windseite her auf Fremde lossteure, als wolle er sie entern. Gar mancher königliche Kreuzer war, wie das Sprichwort geht, kaum vom süßen Schlafe aufgewacht, da sahen die Toppgasten oben einen Zweidecker, die Pfortgaten offen, die Batterien aufgepflanzt, in der Nacht auf sie zusegeln; indessen, dieses dort kann doch kein dem Holländer ähnliches Fahrzeug sein, indem es höchstens, wenn überhaupt ein Kreuzer, eine große Kriegsschaluppe ist.«

»Nein, nein,« sagte Wilder, »dieses ist auf keinen Fall der Holländer.«

»Das Fahrzeug zeigt gar keine Lichter, und was das anbetrifft, so hat es mir ein so nebeliges Aussehen, daß noch die Frage ist, ob es überhaupt ein Schiff sei. Fürs andere läßt sich der Holländer nur immer luvab sehen, hingegen liegt das seltsame Segel dort ganz auf unserer Leeseite!«

»Es ist kein Holländer«, sagte Wilder mir einem tiefen Atemzuge, wie einer, der sich von einer Geistesabwesenheit erholt. »Heda, im Mastkorb oben, hoi!«

Der angerufene Matrose erwiderte den Gruß auf die übliche Weise, wie denn überhaupt das kurze Gespräch, das folgte, eher aus einem Geschrei als aus artikulierten Worten bestand.

»Wie lange schon siehst du das fremde Segel?« war Wilders erste Frage.

»Ich komm‘ eben erst rauf; aber der Kamerad, den ich ablöste, sagte, schon über eine Stunde.«

»Und ist der andere, den du abgelöst hast, nicht runtergekommen? Oder was seh‘ ich dort leewärts auf dem Mast sitzen?«

»’s ist Robert Brace, Sir; er sagt, er könne nicht schlafen und wolle auf der Rahe sitzen bleiben und mir Gesellschaft leisten.«

»Schick‘ ihn herab, ich will ihn sprechen.«

Während der Zeit, daß der schlaflose Matrose am Tauwerk herunterstieg, verharrten die beiden Offiziere im Schweigen, und jeder schien ganz mit dem Nachdenken über das Vorgefallene beschäftigt.

»Und warum bist du nicht in deiner Hängematte«, sagte Wilder etwas rauh zu dem Matrosen, der eben infolge seiner Order auf die Schanze herabkam.

»Ich steuerte gerade nicht schlafwärts, Euer Gnaden, und da wollt‘ ich denn noch ein Stündchen droben zubringen.«

»Und warum bist du, der du so schon zwei Nachtwachen hast, so bereit, eine dritte freiwilligerweise zu tun?«

»Die Wahrheit zu gestehen, Herr, ich hab‘ einige schlimme Ahnungen, was diese Fahrt anbelangt, schon von dem Augenblick an, wo wir die Anker lichteten.«

Mistreß Wyllys und Gertraud, die dies Gespräch mit anhörten, traten bei den letzten Worten unwillkürlich näher, und lauschten mit ängstlicher Aufmerksamkeit.

»Hast auch deine Zweifel, Kerl?« rief der Kapitän etwas verächtlich. »Darf man fragen, was du hier an Bord gesehen hast, um dem Schiff nicht zu trauen?«

»Fragen ist erlaubt, Euer Gnaden,« erwiderte der Seemann und zerknitterte den Hut zwischen seinen Händen, die einen Griff hatten, so fest wie zwei eiserne Schrauben, »drum hoff‘ ich, Antworten auch. Seht, ich schlug ein Ruder in der Schute heut früh, die auf den Graubart Jagd machte, und ich müßte lügen, wenn ich sagte, daß mir die Art gefallen hätte, wie er uns entwischt ist. Zum andern hat das Schiff dort auf der Leeseite was, das mir den Kopf durchkreuzt wie ein Wurfanker, und ich gestehe, Euer Gnaden, ich würde wenig Fahrwasser zurücklegen im Schlafe, wenn ich’s auch in einer Hängematte versuchen wollt‘.«

»Wie lang ist’s her, daß du das Schiff entdecktest?« fragte Wilder streng.

»Ich will nicht schwören, daß es überhaupt ein wirkliches lebendiges Schiff ist, was ich entdeckt habe, Herr. Etwas hab‘ ich gesehen, vor Schlag sieben, und dort ist’s noch zu sehen, von jedermann, der Augen hat, geradeso hell und just so trüb wie vorher.«

»Und wie hat es gestanden, als du es zuerst sahest?«

»Mochte zwei oder drei Punkte mehr dwars abstehen als jetzt.«

»Dann segeln wir ihm vorüber!« schrie Wilder mit einer nicht zu verbergenden Freude.

»Nein, Euer Gnaden, nein. Sie vergessen, daß das Schiff dichter in den Wind hält, seit die Mitternachtswache abgelöst ist.«

»Wahr,« erwiderte sein junger Befehlshaber mit einem Tone getäuschter Hoffnung! »wahr, sehr wahr. Und hat es seine Richtung nicht geändert, seit du es entdecktest?«

»Nicht nach dem Kompaß, Herr. Jenes ist ein schnelles Boot, sonst könnt‘ es nimmermehr mit der Royal Carolina aushalten, noch dazu bei straffen Segeln, wo ein Schiff erst recht zeigt, was es kann, wie jedermann weiß.«

»Geh, mach, daß du in deine Hängematte kommst. Am Morgen können wir den Wicht vielleicht besser beobachten.«

»Und hör, Kerl!« schärfte ihm der zweite Offizier noch ein, der aufmerksam zugehört hatte, »daß du die Leute unten nicht wach hältst mit einer Erzählung so lang wie das kurze Kabeltau! Leg‘ dich schlafen, und laß die übrigen in Ruhe, die ein reines Gewissen haben.«

»Herr Earing,« sagte Wilder, als sich der Matrose zögernd nach seiner Hängematte zurückgezogen hatte, »wir wollen dem Schiffe eine andere Wendung geben und mehr Ostwind zu bekommen suchen, solange wir noch landfrei genug sind. Bleiben wir so, so steuern wir auf Hatteras zu. Überdies …«

»Ganz recht, Herr,« erwiderte der Maat, als sein Oberer stockte, »was Sie sagen: … Überdies, niemand kann voraussagen, wie lange eine Kühlde anhalten, oder von woher sie blasen mag.«

»Das ist’s, niemand kann für Wetter stehen. Die Leute sind noch kaum in ihren Hängematten; rufen Sie lieber alle auf einmal raus, ehe ihre Augen vom Schlafe schwer sind, und lassen Sie uns dann das Schiff umdrehen.«

Sogleich ließ der Gehilfe den wohlbekannten Ruf ertönen, der die Wache unten aufforderte, ihren Gefährten auf dem Verdeck zur Hilfe zu eilen; es geschah ohne Verzug. Nun kein vernehmbarer Laut, als die kurzen, gehorsamerregenden Kommandoworte aus Wilders Mund. Nicht länger nach dem Winde hin gedrückt, begann das Schiff ziemlich das Vorderteil aus den Wogen zu heben und so den Wind recht von der Seite zu bringen. Darauf, statt wie bisher, gegen die zahllosen Wogen anstemmend, und sie wie ein Wesen erklimmend, das sich schwer auf seinem Pfade fortarbeitet, fiel das Schiff in eine hohle See, und flog nun wie ein Renner, der, nachdem er eine Anhöhe überwunden, mit verdoppeltem Fluge den Weg dahinschießt. Einen Augenblick lang schien es, als wollte der Wind lunen, obgleich die langen Schaumräder der Wellen, die von beiden Seiten des Schiffes herabrollten, hinlänglich bewiesen, daß es leicht vor dem Winde einherschwamm. Noch einen Augenblick, so fingen die höchsten Spieren an, sich wieder nach Westen zu neigen, und das Schiff stieß gegen den Wind an, bis es wieder ebenso heftig wie zuvor, bald gegen die Wogen kämpfte, bald von ihnen herabstürzte. Als jede Rahe und jedes Segel gehörig gesetzt war, um der neuen Lage des Schiffes zu entsprechen, schaute sich Wilder ängstlich nach dem Fremden um. Eine Minute verging, ehe er genau den Punkt, wo er nun stehen mußte, ausfindig machen konnte; denn in einem solchen Chaos von Wasser, mit keinem andern Wegweiser als Urteilskraft, täuscht sich das Auge leicht, indem es an den näheren, ihm vertrauteren Gegenständen hängen bleibt.

»Der Fremde ist verschwunden!« sagte Earing mit einer Stimme, von der sich nicht leicht sagen ließ, was in ihr vorherrschte, das Befreitsein von einer Besorgnis oder zages Mißtrauen, daß doch nicht alles richtig sein möchte.

»Er muß doch auf dieser Seite sein; allein ich gestehe, ich kann ihn nicht sehen!«

»Ja, ja, Herr; gerade so soll der mitternächtliche Kreuzer am Vorgebirge der guten Hoffnung kommen und gehen. Es gibt Leute, die ihn in einen Nebel gehüllt gesehen haben, während rund umher der schönste Sternenhimmel glänzte, den sie je in einer südlichen Breite bemerkten. Aber das kann doch bei alledem der Holländer nicht sein, da es so viele lange Meilen von der Küste Nordamerikas bis zur Höhe des Kaps hin ist.«

»Hier liegt er; und beim Himmel, er hat schon gewendet!« schrie Wilder.

Die Wahrheit der eben von unserm jungen Abenteurer gemachten Behauptung fiel in der Tat jetzt jedem Seemanne in die Augen. Dieselben nebeligen, verjüngten Umrisse waren wie vorher auf dem hellen Hintergrunde des drohenden Horizontes zu bemerken und sahen den schwächeren Schatten nicht unähnlich, die die Täuschung einer Laterna magica auf eine lichtere Fläche hinzuzaubern pflegt. Aber den Matrosen, die die verschiedenen Linien an den Masten so genau unterscheiden können, war es klar genug, daß das fremde Schiff plötzlich und gewandt seinen Lauf geändert habe, und nun nicht mehr wie vorher, Südwest, sondern, wie sie selbst, seine Fahrt Nordost machte. Die Tatsache machte offenbar einen großen Eindruck auf alle; obgleich sich aus einer Prüfung der Ursachen eines jedweden ergeben hätte, daß diese von sehr verschiedener Gattung waren.

»Das Schiff hat wirklich gewendet!« rief Earing nach einer langen Pause voll Nachdenkens und mir einer Stimme, in der das Mißtrauen mit der Furcht um die Herrschaft stritt. »Solange ich die See befahre, habe ich noch nie ein Fahrzeug, einer solchen See von vorne trotzend, wenden gesehen. Der Wind muß es bei unserem letzten Hinschauen fürchterlich hin und her gerüttelt haben, sonst hätten wir es nicht aus den Augen verloren.«

»Einem muntern und leicht gehandhabten Schiff ist so was schon möglich,« sagte Wilder, »zumal wenn viele starke Hände darauf sind.«

»Fürwahr, die Hand Beelzebubs ist immer stark; ihm ist’s ein leichtes, das schwerfälligste Fahrzeug zum Segeln zu zwingen.«

»Herr Earing,« unterbrach ihn Wilder, »wir wollen vorspannen, soviel wir können, und versuchen, ob unsere Carolina diesen höhnenden Fremden nicht totsegeln kann. Setzen Sie das große Halstau zu und lassen Sie das Bramsegel los.«

Gern hätte der Gehilfe, dem dies nicht einleuchten wollte, Gegenvorstellungen gemacht, allein ihm fehlte der Mut dazu; in dem ruhigen, gemäßigten, dabei aber doch tiefen Ton des jungen Befehlshabers war ein gewisses Etwas, das ihm sagte, es sei zu gewagt, ihm zu widersprechen. Unrecht hatte er keineswegs, wenn er den eben erhaltenen Auftrag als einen solchen betrachtete, der nicht ohne Gefahr wäre. Schon bewegte sich das Schiff unter so vielen Segeln, als sich seiner Ansicht nach kaum mit der Klugheit vertrug, zumal bei einer solchen Stunde und so vielen am Horizont umher erscheinenden Vorzeichen von noch ungünstigerem Wetter. Die nötigen Orders wurden jedoch mit derselben Saumlosigkeit, wie sie Wilder erteilte, weiter befördert. Auch die Matrosen hatten schon angefangen, den Fremden näher ins Auge zu fassen und untereinander über dessen Erscheinung und Stellung dies und das zu schwatzen; sie vollzogen die Befehle mit einer Lebendigkeit, deren Ursprung wohl kein anderer war, als der geheime, von jedem einzelnen gehegte Wunsch, aus der gefährlichen Nachbarschaft loszukommen. Die Segel waren rasch eines nach dem andern beigesetzt; und nun stand ein jeder mit verschränkten Armen da und schaute fest und unverrückt hin auf den schattigen Punkt auf der Leeseite, um zu erspähen, was für Wirkung das Manöver haben würde.

Die Royal Carolina schien, wie die Mannschaft auf ihr, ein Gefühl zu haben, daß größere Schnelligkeit not tue. Beim Druck der großen Masse Leinwand, die eben ausgebreitet wurde, beugte sich das Schiff tiefer, so daß es auf dem Wasser, das auf der Leeseite fast bis zu den Speigaten ging, mehr zu liegen als zu segeln schien, während auf der andern Seite die schwarzen Planken und das polierte Kupfer mehrere Fuß breit entblößt lagen, obgleich oft bespült von den Wellen, die längs dem Schiff pfeilschnell und zürnend daherwogten, noch immer wie gewöhnlich mit leuchtendem Schaum behelmt. Die Stöße, wie das Fahrzeug gegen die Wogen ankämpfte, wurden von Augenblick zu Augenblick heftiger, und nach jedem Aufeinanderstoßen erhob sich eine durchsichtige Wolke Wasserstaubs, die endlich schimmernd aufs Verdeck herniederfiel, oder als glänzender Nebel vom Winde quer über die rollenden Gewässer leewärts gejagt wurde.

Mit aufgeregter Miene, dabei aber mit der ganzen Besonnenheit eines Seemanns beobachtete Wilder das Schiff. Ein- oder zweimal, als es bebte und in seinem fürchterlichen Anlauf gegen eine Woge so plötzlich innezuhalten schien, als wenn es gegen einen Felsen angelaufen wäre, öffnete er den Mund, um den Befehl zu geben, die Segel zu vermindern: doch immer schien der Blick auf das Nebelbild am westlichen Horizont seinen Vorsatz zu ändern. Gleich einem verzweifelten Abenteurer, der auf eine einzige Karte sein ganzes Vermögen gesetzt hat, schien er den Ausgang mit einer ebenso stolzen als unbesiegbaren Entschlossenheit abwarten zu wollen.

»Die Stenge dort biegt sich wie eine Peitsche«, murrte der besorgte Earing dicht an Wilders Seite.

»Mag sie doch brechen: wir haben genug Vorrat an Spieren, um ihre Stelle zu ersetzen«, war die Antwort.

»Ich habe noch immer gefunden, daß die Carolina Wasser zog, wenn sie über ihre Kräfte angestrengt wurde, durch schnelles Segeln gegen den Strom.«

»Wir haben Pumpen.«

»Sehr wahr; allein meiner geringen Meinung nach ist die Hoffnung eine vergebliche, ein Fahrzeug totzusegeln, worin der Teufel in Person kommandiert, wenn er es nicht ganz und gar allein handhabt.«

»Um dies zu wissen, Herr Earing, muß man erst den Versuch machen.«

»Wir hatten es mit dem Holländer auch versucht; und zwar nicht bloß, indem wir alle Segel ausbreiteten, sondern auch beim günstigsten Wind. Und was hat es geholfen? Da lag er bloß mit aufgespannten Treiber-, Klüver- und drei Bramsegeln; und wir, mit Leesegeln von unten bis oben bepackt, konnten seine Richtung nicht um einen Fuß ändern.«

»Man sieht den Holländer nie in einer nördlichen Breite.«

»Ich kann freilich das Gegenteil nicht behaupten,« erwiderte Earing mit einer Art von erzwungener Ergebung; »allein der, der jenen Vogel auf die Höhe des Kaps gesetzt hat, kann die Küstenfahrt leicht so vorteilbringend gefunden haben, daß ihn die Lust anwandelte, ein zweites Schiff in diese Gewässer zu schicken.«

Wilder gab keine Antwort. Entweder war er es müde, der abergläubischen Furcht seines Gehilfen zu Gefallen zu reden, oder sein Geist war mit dem Hauptgegenstand zu sehr beschäftigt, um bei etwas anderm verweilen zu können.

Wenn auch die Wogen, die sich dem Lauf des Bristoler Kauffahrteischiffes entgegensetzten, zahllos aufeinander folgten, und daher dessen Fortschritt sehr verzögerten, so hatte es sich doch eine Stunde Wegs durch das bewegte Element vorwärts gekämpft. Beim Herabstürzen von einer Woge zerteilte der Bug jedesmal eine Wassermasse, die mit jeglichem Augenblick an Größe und Heftigkeit zuzunehmen schien; und mehr als einmal war der kämpfende Rumpf des Schiffes nach vorn zu ganz begraben in einer Woge, die hinanzuklimmen oder zu zerteilen es gleich wenig imstande war.

Die Matrosen beobachteten genau die geringste Bewegung ihres Fahrzeugs. Stundenlang verließ auch nicht einer von ihnen das Verdeck. Die abergläubische Furcht, die den unaufgeklärten Geist des ersten Schiffsgehilfen gefangen hielt, hatte sich bald bis zu dem untersten Schiffsjungen hinab verbreitet. Sogar der Unfall, der ihren früheren Kommandeur betroffen, und die plötzliche und geheimnisvolle Art, wie der junge Offizier zuerst unter sie kam, der jetzt unter so schreckenerregenden Umständen mit einer auffallenden Festigkeit und Ruhe auf der Schanze auf und ab ging, trugen jetzt dazu bei, den fanatischen Eindruck zu steigern. Daß die Carolina so großen Druck der Segel in ihrer gegenwärtigen Lage ohne Schaden ertragen konnte, erhöhte die schon entflammte Verwunderung der Matrosen, und ehe noch Wilder mit sich ins reine gekommen war, welches Schiff wohl am meisten aushalten könne, seines oder jenes, das so unerklärlich am Horizont hing, war er selbst für seine eigene Mannschaft der Gegenstand unnatürlicher und empörender Vermutungen geworden.

Fünfzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Der Aberglaube ist eine Eigenschaft, die auf dem Meere heimisch zu sein scheint. Wenig gemeine Matrosen sind von seinem größern oder geringern Einfluß frei; nur die Formen, in denen er sich äußert, sind verschieden, je nach den verschiedenen Eigentümlichkeiten und Ansichten der Nationen, denen die Seeleute angehören. Der Matrose des Baltischen Meeres hat seine geheimen Zeremonien und eigene Weise, um die Götter des Windes zu versöhnen; der Schiffahrer des Mittelmeeres zerzaust sich das Haar und wirft sich vor das Bild irgendeines ohnmächtigen Heiligen nieder, nicht ahnend, daß seine eigene Hand den Dienst tun könnte, um den er fleht, während der erfahrene Brite die Geister der Toten im Sturme zu sehen, und in den Windstößen, die über die See dahersausen, das Kreischen eines ertrunkenen Schiffsgefährten zu hören glaubt. Selbst der mehr unterrichtete und noch mehr klügelnde Amerikaner hat den geheimen Einfluß einer Sinnesweise nicht von sich abschütteln können, die mit seinem Stande untrennbar verwebt zu sein scheint. Es liegt eine Majestät in der Macht der gewaltigen See, wodurch die Zugänge zu jener Leichtgläubigkeit stets offen gehalten werden, die mehr oder weniger den Geist eines jeden bewältigt, wie sehr er auch durch den Gedanken gekräftigt und aufgeklärt sein mag. Das Himmelsgewölbe über sich, eine unabsehbare Wasserwüste um seinen Pfad her, ist der weniger begabte Seemann bei jedem Schritt seiner Pilgerschaft der Versuchung ausgesetzt, Beruhigung in irgendeinem glückverkündenden Vorzeichen zu suchen, und da einige dieser Vorzeichen wegen ihrer Begründung in Natur und Wissenschaft zuverlässig sind, so dienen sie nur dazu, den Glauben an die vielen anderen zu erhalten, die nur aus erregter Einbildungskraft oder zaghafter Stimmung entspringen. Die Sprünge des Delphins, das ernsthafte und geschäftige Vorüberziehen des Meerschweines, das schwerfällige Spiel des ungeschlachten Walfisches, und das Gekreisch der Seevögel haben alle, gleich den Zeichen der Wahrsager des Altertums, gewisse entsprechende gute oder schlimme Folgen. Die Verwirrung zwischen Dingen, die erklärt, und Dingen, die nicht erklärt werden können, bringt das Gemüt des Seemanns endlich in einen Zustand, wo jedes aufregende und nichtsinnliche Gefühl willkommene Aufnahme findet, und wäre es auch nur, weil es gleich dem Element, auf dem er sein Leben zubringt, das Gepräge einer übernatürlichen, das heißt, einer ihm unbegreiflichen Macht an sich trägt.

Die Schiffsmannschaft auf der Royal Carolina bestand insgesamt aus Kindern jener entfernten Insel, aus der Schwärme von Nationen ausgegangen sind und noch immer ausgehen, und deren Geschick es wahrscheinlich sein wird, ihren Namen einer Zeit zu überliefern, wo der Ursitz ihrer verfallenen Macht und Herrlichkeit als ein Gegenstand der Neugier besucht werden wird, gleich den Ruinen einer Stadt in einer Wüste.

Die Gesamtereignisse jenes Tages waren geeignet genug, den verborgenen Aberglauben dieser Leute hervorzurufen. Daß der, ihrem frühern Befehlshaber begegnete Unfall, und die Art, wie ein Fremder dessen Nachfolger in der Macht geworden war, ihre zweifelsüchtige Stimmung bedeutend vermehrt hatte, ist bereits erwähnt worden. Das Fahrzeug leewärts erschien nun für die Beglaubigung des Charakters unseres Abenteurers sehr zur Unzeit, da er noch keine passende Gelegenheit gefunden hatte, um sich in dem Vertrauen seiner Untergebenen festzusetzen, als sich diese unerwünschten Umstände vereinigten, um ihn mit dem plötzlichen Verlust seiner kaum erlangten Autorität zu bedrohen.

Nur einmal erst hat sich Gelegenheit geboten, den Leser die Bekanntschaft des Maats machen zu lassen, der in der Rangordnung auf dem Schiffe gleich auf Earing folgte. Er hieß Nighthead, ein Name, der einigermaßen auf eine gewisse Umnebelung seines Kapitoliums hinwies. Von seinen geistigen Eigenschaften kann man einen Begriff erhalten durch die paar Bemerkungen, die er zu machen für gut fand, als der alte Matrose, den Wilder seinen Unwillen fühlen lassen wollte, der nachsehenden Schute entwischt war. Nur einen Grad über dem gemeinen Matrosen stehend, war dieses Individuum auch weit mehr mit ihren Gewohnheiten und Ansichten vertraut, als Earing und übte deshalb einen weit größeren Einfluß auf sie, denn obgleich er seinem Gefährten untergeordnet war, so galten doch seine Aussprüche in allen Dingen, bei denen es sich nicht um eine bloße Ausführung unbedingter Befehle handelte, als maßgebende Norm.

Nachdem das Schiff gewendet war, und während der Zeit, wo Wilder alles aufbot, um seinen unwillkommenen Nachbar aus dem Auge zu verlieren, hatte sich dieser eigensinnige und abergläubische Matrose auf die Kuhl gepflanzt, wo sich einige der älteren und erfahreneren Seeleute um ihn herumstellten. Diese besprachen sich mit ihm über die merkwürdige Erscheinung des Phantoms auf der Leeseite, dann auch über die außerordentliche Art, wie ihr ungekannter Befehlshaber die ausdauernden Kräfte ihres eigenen Fahrzeuges auf die Probe zu stellen beliebte.

»Ich hab‘ mir von älteren seefahrenden Leuten, als irgendwelche, die auf diesem Schiffe sind, erzählen lassen,« sagte Nighthead, »es sei bekannt, wie der Teufel manchmal einen seiner Maaten an Bord eines ehrlichen Kauffahrers schicke, um ihn auf Untiefen und Sandgetriebe zu führen und ein Wrack draus zu machen, damit ihm die Seelen der Leute als sein Anteil zufallen mögen. Wer kann dafür stehen, was für einer in die Kajüte kommt, wenn ein Unbekannter an der Spitze der Namensliste eines Schiffes steht?«

»Das fremde Fahrzeug ist in einer Wolke eingehüllt!« rief einer der Seeleute, der auf die Philosophie seines Oberen lauschte und zugleich ein Auge fest auf den geheimnisvollen Gegenstand zur Leeseite gerichtet hielt.

»Schon gut; mich sollte es nicht wundernehmen, wenn es in den Mond hineinsegelte, das Schiff dort! Das Glück gleicht einem Drehreffsblock und seiner Rahe: wenn der eine aufsteigt, steigt die andere nieder. Es heißt, die Rotröcke zu Land seien siegreich gewesen, da ist’s denn freilich Zeit, daß wir ehrlichen Seeleule uns auf Sturm und Unheil gefaßt halten. Ich habe Kap Horn in einem königlichen Schiffe dubliert, Brüder, und ich habe die Glanzwolke gesehen, die nie untergeht, und habe ein lebendiges Dverlicht in meiner leiblichen Hand gehalten. Aber das sind Dinge, die jeder sehen kann, der bei starkem Wind auf eine Rahe steigen oder an Bord eines Südseefahrers gehen will. Bei alledem aber behaupt‘ ich, daß es was Ungewöhnliches ist, wenn ein Schiff seinen eigenen Schatten im Nebel sehen kann, wie wir das jetzt können seht, dort kommt’s wieder! – da, zwischen der Hintersegelstange und den Pardunen, oder, wenn ein Kauffahrer Segel trägt auf eine Manier, die jedes Krummholz in einer Bombenkiste sollte arbeiten machen, wie die Zahnbürsten, womit die Passagiers in ihren Mäulern hin und her fiedeln, nachdem sie ein Sträußchen mit der Seekrankheit bestanden haben.«

»Und doch hält der Junge das Schiff im Zügel,« sagte der Allerälteste unter den Matrosen, der das Auge von Wilders Bewegungen nicht abwendete; »er jagt die Carolina toll genug vorwärts, das geb‘ ich zu, aber doch, bis jetzt hat er noch keinen Faden Hanf verloren.«

»Faden!« wiederholte Nighthead in einem höchst verächtlichen Tone; »was wollen Faden sagen, wenn das ganze Tau reißen soll, und auf eine Manier, daß für den Anker keine Hoffnung übrig bleibt, außer am Bojereep? Laß dir was sagen, alter Bill, der Teufel läßt seine Geschäfte niemals halbgetan. Was kommen soll, das kommt leiblich; da gilt kein Fortschaffen, als wenn du die Kapitänsfrau ins Boot runterläßt, während er auf ‚m Verdeck bleibt, um zuzusehen, daß alles geht, wie’s soll.«

»Herr Nighthead versteht’s, wie man ein Schiff zu handhaben hat, das Wetter mag sein, wie’s wolle!« sagte ein anderer, dessen ganzes Wesen hinlänglich das Vertrauen verriet, das er auf die Geschicklichkeit des zweiten Schiffsgehilfen setzte.

»Dafür ist mir niemand Dank schuldig. Ich hab‘ den Dienst von der Pike an durchgemacht und jedes Seil gehandhabt vom Logger bis zum Zweidecker rauf. Wenig Leute können mehr Empfehlendes von sich anführen, als ich; denn mein bißchen Wissen hab‘ ich mir nicht in der Schule sondern durch viel harte Arbeit erworben. Aber was will Wissen oder selbst Seefahrerkunst sagen gegen Zauberei, oder gegen das Tun eines gewissen jemand, den ich nicht nennen mag, da man nu mal keinen Herrn unnötigerweise beleidigen soll? Ich sage, Brüder, dieses Schiff ist auf eine Manier bespannt, die kein Seemann zugeben würde oder sollte, wenn er weiß, was er will.«

Ein allgemeines Murren verkündigte, daß, wo nicht alle, doch die meisten einerlei Meinung mit ihm waren.

»Laßt uns vernünftig, wie es aufgeklärten Engländern gebührt, den ganzen Tatbestand untersuchen«, fuhr der Maat fort, indem er quer über seine Schulter zurückblickte, wahrscheinlich um sich zu vergewissern, daß die Person, vor deren Mißfallen er eine so heilsame Furcht hatte, auch nicht gerade bei seinem Ellbogen stände. »Wir alle, ohne Ausnahme, sind auf die Welt gekommen als Insulaner, da ist nicht ein Tropfen ausländischen Bluts unter uns, nicht mal ein Schottländer oder Irrländer auf dem Schiff. Erstlich also, muß euch da der ehrliche Nikolaus Nichols vom Wasserfaß abglitschen und ein Bein brechen! Nu weiß ich aber, Kameraden, daß Leute schon von Stengenspitzen und Rahen heruntergefallen sind, und doch kein Bein gebrochen haben. Aber was kommt’s einer gewissen Person drauf an, wie weit sie ihren Mann wirft, da sie bloß einen Finger in die Höhe zu heben braucht, um uns alle baumeln zu machen. Ferner und zweitens kommt euch da am Bord hier ein Fremder mit einem Koloniegesicht, und nicht mit einem geradezuen, glatten Engländergesicht, was einer mit der flachen Hand bedecken kann.«

»Der Junge sieht nicht übel aus«, unterbrach ihn der alte Matrose.

»I, darin liegt ja eben die ganze Teufelei dieser Affäre! Er sieht gut aus, zugegeben: aber es ist nicht das gute Aussehen, das einem Engländer zusagt. Er hat so was Sprechendes an sich, das mir nicht gefallen will; denn mir gefällt niemals zuviel Sprechendes an einem, weil man da nicht immer wissen kann, was er eigentlich vorhat. Weiter, drittens, dieser Fremde nu weiß, Schiffpatronsrang hier am Bord zu erlangen, während der, der hier auf dem Verdeck sein sollte, unten in seiner Hängematte liegt, unfähig, sich selbst umzudrehen, geschweige das Schiff; und doch weiß kein Mensch, wie es eigentlich zugegangen ist.«

»Er handelte mit dem Kommissionär um die Stelle, und der schlaue Kaufmann schien sich nicht schlecht zu freuen, daß er so ’n schmucken Jungen zur Führung der Carolina gefunden hatte.«

»Ach, ein Kaufmann ist, wie alle übrigen, nur aus Ton gemacht; und, was noch schlimmer ist, aus Ton, der nicht mit Salzwasser zersetzt ist. Schon manch Handelsmann hat die Brille von der Nase genommen, seine Bücher geschlossen und sich ins Fäustchen gelacht, weil er meinte, er hätte seinen Nächsten übervorteilt, als er aber seine Bücher wieder aufmachte, ja, da fand sich ’s, daß er nur sich selbst übervorteilt hatte. Herr Bale glaubte gewiß Wunder was für ’n gescheiten Streich er für die Eigentümer ausführte, als er diesen Herr Wilder so spottwohlfeil bekam. Er hat wahrscheinlich nicht gewußt, daß er das Schiff verkaufte an den … es geziemt einem einfältigen Seemann nicht, irgend jemand, unter dessen Befehl er nu mal segelt, zu verachten; darum will ich ohne Not die Person nicht nennen, die meines Dafürhaltens kein geringes Anrecht auf dieses Fahrzeug erlangt hat, sie mag nu ehrlich oder anderswie dazu gekommen sein.«

»Ich hab‘ noch nie ’n Schiff hübscher aus der Klemme bringen sehen, wie diesen Morgen, als er die Führung der Carolina dem Lotsen entriß und selbst übernahm.«

Hier brach Nighthead in ein gemeines Gelächter aus, was aber seine Zuhörer voller Bedeutsamkeit fanden.

»Wenn ein Schiff einen Kapitän von einer gewissen Gattung hat, muß einen nichts wundernehmen«, antwortete er, von seinem bedeutsamen Lachen zurückkommend. »Für meine Person, ich hab‘ mich zu Bristol eingeschifft, um nach den Carolinas und Jamaika zu gehen, und unterwegs hin und zurück in Newport anzulegen; und ich gestehe, ich hab‘ gar keine Lust anderswohin zu gehen. Nu ja, er hat die Carolina aus ihrem schlechten Kielwasser raus- und bei dem Sklavenhändler geschickt genug vorbeigebracht; nur zu geschickt für einen so jungen Seemann. Hätte ich’s selber getan, es hätte fast nicht besser ausfallen können. Aber, was haltet Ihr von dem Graubart in dem Boot, Brüder? So eine Jagd und ein solches Entwischen mit anzusehen, das Glück wird wenig alten Seehunden zuteil! Ich hab‘ von einem Schmuggler erzählen hören, den die königlichen Zollschiffe wohl hundertmal bis in eine Bucht des Kanals verfolgt hatten, und wenn sie nu glaubten: Jetzt haben wir ihn, den Schuft aus Guernsey, risch! segelte er euch in einen dienstfertigen Nebel rein, aus dem ihn kein Mensch wieder rauskommen sah! Dies Boot mag meines Wissens zwischen dem Guernseyfahrer und der Küste Dienste getan haben, ich aber hab‘ keine Lust, in einem solchen Boote ein Ruder zu führen.«

»Merkwürdig war jene Flucht allerdings!« rief der alte Seemann, dessen Glaube an den guten Charakter unseres Abenteurers nach und nach durch diese Anhäufung von Beweisen zum Wanken gebracht war.

»Das denk‘ ich auch,« fuhr Nighthead fort, »andere verstehen’s vielleicht besser als ich, der ich erst fünfunddreißig Jahre zur See bin. Dazu kommt nu noch, daß das Meer nu auf einmal in Aufstand gerät, kein Mensch weiß wie? Und dann schaut mal diese Haufen von Wolken an, die den Himmel verdunkeln, und trotzdem kommt Euch soviel Licht aus dem Meere hervor, daß einer dabei lesen könnte, wenn er sonst ein tüchtiger Gelehrter ist.«

»Ich hab‘ doch aber schon oft Wetter wie das jetzige gesehen.«

»Das hat wohl jeder. Es geschieht selten, daß einer, er mag kommen woher er will, schon die erste Seereise als Kapitän mitmachte. Wer diese Nacht zur See ist, er sei, wer er wolle, ich stehe dafür, der ist nicht das erstemal da. Hab‘ auch schon schlimmer aussehenden Himmel, ja sogar schlimmer aussehendes Wasser über und unter mir gehabt; aber was Gutes ist meines Wissens weder aus dem einen noch aus dem anderen jemals geworden. In der Nacht, wo ich schiffbrüchig wurde in der Bai …«

»He, ihr auf der Kuhl dort!« erschallte der ruhige Gebieterton Wilders.

Wäre eine warnende Stimme dem stürmisch einherrauschenden Ozean entstiegen, nicht schrecklicher würde sie den Ohren der schuldbewußten Matrosen geklungen haben, als dieser plötzliche Ruf. Der junge Befehlshaber sah sich genötigt, ihn zu wiederholen; denn Nighthead, dem es von Amts wegen zukam, zu antworten, konnte dazu nicht gleich Entschlossenheit genug aufbieten.

»Setzt das Voroberbramsegel bei!« fuhr Wilder fort, als ihm endlich der gewöhnliche Erwiderungsruf sagte, daß er gehört werde.

Der Maat und seine Gefährten sahen einander einen Augenblick mit dumpfer Verwunderung an, und manches melancholische Kopfschütteln wechselten sie, ehe sich einer von ihnen endlich in das Tauwerk der Luvseite warf und, voller Zweifel im Herzen, hinankletterte, um das genannte Segel von den Reffen loszumachen.

Wilder ließ allerdings so verzweifelt viele Segel aufspannen, daß selbst Leute, die weniger abergläubisch gewesen wären, als seine Untergebenen, dadurch zum Mißtrauen in seine Absichten oder in sein Urteil hätten veranlaßt werden können. Earing sowohl als sein weniger einsichtsvoller und daher um so mehr eigensinniger Kollege hatten längst eingesehen, daß ihr junger Vorgesetzter die gleichen Wünsche mit ihnen hegte, nämlich: dem gespenstischen Schiffe zu entkommen, das so unbegreiflicherweise ihren Bewegungen folgte. Nur in der Art und Weise, dies auszuführen, waren ihre Ansichten von den seinigen verschieden; aber so wesentlich verschieden, daß beide Gehilfen beiseite gingen, um sich miteinander zu beraten, woraus Earing durch die dreistgeäußerte Meinung seines Zugesellten selber etwas angespornt, auf seinen Kommandeur losging, entschlossen, das Resultat ihrer gemeinschaftlichen Beratung mit der Unumwundenheit vorzutragen, die ihm der Drang des Augenblicks zu erfordern schien. Allein in dem festen Blick und in der gebieterischen Miene Wilders war etwas, das seinen Entschluß wanken machte, und er berührte den bedenklichen Gegenstand mir einer Bescheidenheit und auf Umwegen, die mit seinem Wesen in ganz eigenem Kontrast standen. Er beobachtete die Wirkung des erst beigesetzten Segels mehrere Minuten lang, ehe er sich nur getraute, den Mund zu öffnen. Doch ein schreckliches Aufeinandertreffen des Schiffes und einer Woge, die ihr zürnendes Haupt mehrere Dutzend Fuß über das herankommende Vorderdeck erhob, ermutigte ihn in seinem Vorsatz, indem ihm die Gefahr längeren Schweigens von neuem vor die Augen trat.

»Ich sehe nicht, daß wir den Fremden aus den Augen verlieren, obgleich sich das Schiff so schwer durchs Wasser vorwärts wälzt«, fing er an, sich endlich äußerst behutsam und umsichtig mit einer Vorstellung herauswagend.

Wilder blickte noch einmal auf den Nebelpunkt am Horizont, der schon solange sein Auge fesselte, dann zürnend nach dem Punkte hin, wo der Wind stand, gleichsam als wollte er dessen ganze Gewalt herausfordern: Earing wartete vergebens aus Antwort.

»Wir haben die Leute immer unzufrieden gesehen, Sir, wenn’s ans Pumpen gehen sollte,« nahm er seine Worte wieder auf, als er fand, daß seine Pause keine Antwort hervorlockte; »ich darf einem Offizier, der seinen Dienst so gut versteht, wohl nicht erst sagen, daß Matrosen selten Freunde von Pumpen sind.«

»Die Befehle, Herr Earing, die ich zu geben für notwendig erachten werde, wird die Bemannung dieses Schiffes ebenso notwendig vollziehen müssen.«

Die gestrenge, gesetzte Herrschermiene, von der diese abgedrungene Antwort begleitet war, verfehlte ihren Eindruck nicht. Earing wich auf eine ehrerbietige Weise einen Schritt zurück und tat, als wenn er im Anschauen der vorbeitreibenden kolossalen Wolken verloren wäre; sich endlich ganz zusammennehmend, versuchte er den Angriff von einer anderen Seite.

»Ist es Ihre reiflich erwogene Meinung, Herr Kapitän,« sagte er, indem er sich begütigend eines Titels bediente, worauf unseres Abenteurers Ansprüche freilich sehr problematisch waren, »ist’s Ihre wirkliche Meinung, daß menschliche Mittel imstande seien, die Royal Carolina dem Gesichtskreis des Fahrzeuges dort zu entführen?«

»Ich fürchte, nein«, versetzte der Jüngling, dabei so tief Atem holend, als ob die geheimen Besorgnisse in seiner Brust um einen entsprechenden Ausdruck kämpften.

»Und ich – mit gebührender Rücksicht auf Ihre bessere Einsicht und Autorität, mein Herr, sag‘ ich es – ich weiß, daß es unmöglich ist. Ich hab‘ zu meiner Zeit viel dergleichen Partien gesehen; und weiß nur zu gewiß, daß alle Anstrengung, einem solchen Vogel den Wind abzugewinnen, so gut wie vergeblich ist.«

»Hier Earing, nehmen Sie selber das Fernglas, und sagen Sie mir, unter wievielen Segeln der Fremde steuert, und wie weit er ungefähr von uns ab sein mag«, sagte Wilder gedankenvoll, ohne im mindesten auf die eben gemachte Bemerkung des anderen geachtet zu haben.

Der ehrliche und wohlmeinende Gehilfe legte den Hut aufs Deck und tat, wie ihm befohlen war. Er blickte lange, ernst und unverrückt durch das Glas, drückte dann die Glieder des Fernrohres mit seiner gewaltigen flachen Hand zusammen und antwortete endlich wie einer, der nach vieler Überlegung mit sich aufs reine gekommen ist.

»Wenn das Segel dort wie jedes andere sterbliche Schiff gebaut und ausgerüstet wäre, so würde ich nicht anstehen, es für ein wohlbetakeltes, mit seinen drei einfach gerefften Bramsegeln, großen Untersegeln und Treiber und Klüver versehenes Fahrzeug zu erklären.«

»Und hat es nicht mehr?«

»Dafür wollte ich mich verbürgen, wohlverstanden, wenn ich mich erst vergewissern könnte, daß es in jedem Betracht anderen Fahrzeugen gleicht.«

»Und doch, Earing, haben wir mit diesem ganzen Segeldruck, wenn überhaupt der Kompaß richtig zeigt, jenem Schiff keinen Fuß Weges abgenommen.«

»Mein Gott,« erwiderte der Gehilfe, mit dem Kopf nickend, wie jemand, der von der Torheit eines solchen Beginnens vollkommen überzeugt ist, »und wenn Sie soviel beisetzen, daß jedes Tuch im großen Segel platzt, durchs Schnellfahren verändern Sie die Stellung jenes Segels dort um keinen Zoll bis zu Sonnenaufgang! Dann freilich dürften es gute Augen in die Wolken hineinsteuern sehen; obgleich ich für meine Person niemals das Glück oder das Unglück gehabt habe, daß mir einer dieser Kreuzer bei hellem Tage ausgestoßen wäre.«

»Und wie weit ist es ab?« sagte Wilder: »Sie haben immer noch nicht gesagt, wie weit es entfernt ist.«

»Das kommt auf die Art an, wie man mißt. Kann sein, daß es in diesem Augenblicke hier liegt, nahe genug, um uns einen Zwieback in die Topps werfen zu können; kann aber auch sein, daß es dort liegt, wo wir es zu sehen scheinen, mit dem Rumpf ganz in den Horizont getaucht.«

» Wenn es auch wirklich dort liegt, wie weit ist’s ab?«

»Je nun, dem Scheine nach ist’s ein Schiff von ungefähr sechshundert Tonnen, und nach dem äußeren Blick zu urteilen, möchte man sagen, es liege ein paar Stunden, drüber oder drunter, leewärts ab von uns.«

»Das stimmt mit meiner Berechnung! Sechs Meilen windab ist bei einer scharfen Jagd kein unbedeutender Vorsprung. Beim Himmel, Earing, ich will den Kerl hinter mir lassen, und sollte ich die Carolina bis aufs Trockene treiben!«

»Das wäre tunlich, wenn das Schiff Flügel hätte wie eine Seemöwe; so aber glaub‘ ich, treiben wir’s auf den Grund.«

»Es hält sich noch immer gut unter der vielen Leinwand; Sie wissen nicht, was das Boot aushalten kann, wenn’s angetrieben wird.«

»Ich hab‘ es bei allen Gattungen von Wetter segeln sehen, aber, Herr Kap …«

Sein Mund verschloß sich plötzlich. Eine ungeheure schwarze Woge erhob sich zwischen dem Schiffe und dem östlichen Horizont, im Heranrollen alles ihr in den Weg Kommende zu verschlingen drohend. Selbst Wilder sah dem Stoß mit atemloser Angst entgegen, und für den Augenblick drängte sich ihm das Gefühl auf, daß die Klugheit doch wohl nicht rechtfertige, das Schiff mit so großem Ungestüm gegen eine solche Wassermasse angetrieben zu haben. Einige Klafter vor dem Bug der Carolina überstürzte sich die Woge und eine Flut von Schaum verhüllte das Verdeck. Eine halbe Minute lang verschwand das Vorderteil des Schiffes, gleichsam als wollte es unter der Woge, die es nicht erklimmen konnte, hinwegtauchen, dann hob es sich langsam wieder, mit Millionen funkelnder Infusionstierchen des Ozeans wie mit ebenso vielen Brillanten überdeckt. Das Schiff hatte inne gehalten, indes jede Fuge seines starken und kolossalen Baues bebte, und der Wiederantritt seines Laufes geschah mit einer Langsamkeit, die warnend seine Leiter der Unbesonnenheit zu bezichtigen schien.

Schweigend sah Earing seinen Obern an, überzeugt, daß nichts, was er vorzubringen vermöchte, einen schlagenderen Beweis enthalten könnte. Nun standen die Matrosen nicht länger an, ihre Unzufriedenheit laut werden zu lassen; sie erkühnten sich, über die Folgen solches schonungslosen, tollkühnen Wagnisses ihre Prophezeiungen zu machen. Wilder hörte nichts oder wollte nichts hören. Unerschütterlich in seinem geheim gefaßten Entschlusse, würde er, um ihn auszuführen, noch größerer Gefahr die Stirne geboten haben. Allein ein durchdringender, obgleich halb zurückgehaltener Schrei vom Spiegel des Schiffes her, erinnerte ihn an das Zagen anderer. Sich rasch auf dem Absätze umdrehend, näherte er sich der noch bebenden Gertraud und ihrer Erzieherin, die sich beide während der letzten unsäglich bangen Stunden zwar fern von ihm gehalten, aber mit schmerzlicher Spannung die geringste seiner Bewegungen beobachtet hatten.

»Das Schiff hat diesen Stoß so gut ausgehalten, daß ich mich auf seine Stärke vollkommen verlasse«, sagte er besänftigend, um sie in blinde Sicherheit einzulullen. »Mit einem festen Schiff ist ein tüchtiger Matrose nie in Verlegenheit.«

»Herr Wilder,« versetzte die Gouvernante, »ich habe das fürchterliche Element, auf dem Sie Ihr Leben zubringen, in vielen Gestalten gesehen; vergebens bestreben Sie sich, mich zu täuschen. Ich weiß, daß Sie das Schiff auf eine ungewöhnliche Weise antreiben; haben Sie auch hinlänglichen Beweggrund zu diesem verwegenen Unterfangen?«

»Den hab‘ ich, Madame!«

»Und soll er, wie so viele andere von Ihren Beweggründen, ewig in Ihrer Brust verschlossen bleiben, oder dürfen wir, gleich betroffen von dessen Folgen, nicht auf einen gleichen Teil der Kenntnis davon Anspruch machen?«

»Da Sie so viele Sachkunde besitzen,« erwiderte der Jüngling mit einem erzwungenen Lachen, das ihm etwas Schreckenerregendes gab, »so ist es ja überflüssig, Ihnen zu sagen, das man, um windwärts zu steuern, dem Schiffe Segel aufsetzen müsse.«

»Eine von meinen Fragen werden Sie wenigstens unverhohlener beantworten können: Ist dieser Wind günstig genug, um uns über die gefährlichen Untiefen des Hatteras zu führen?«

»Ich zweifle.«

»Warum denn nicht lieber dahin umkehren, woher wir kommen?«

»Sie sind es zufrieden, wieder umzukehren?« fragte der Jüngling mit der Blitzesschnelle des Gedankens.

»Zu meinem Vater will ich«, sagte die vor Sehnsucht glühende Gertraud mit einer der seinigen so nahekommenden Schnelligkeit, daß ihr die wenigen Worte fast den Atem versetzten.

»Und ich, Herr Wilder,« nahm ruhig die Gouvernante wieder das Wort, »wünsche, überhaupt dieses Schiff zu verlassen. Ich verlange keine Erklärung aller Ihrer geheimnisvollen Warnungen; keine Frage soll Sie je wieder belästigen, nur geben Sie uns unseren Freunden in Newport zurück.«

»Es könnte geschehen!« murmelte unser Abenteurer, »es könnte geschehen! Ein paar tüchtige Stunden bei diesem Winde wären hinreichend – Herr Earing!«

Der Gehilfe stand augenblicklich neben ihm. Wilder wies mit dem Finger auf den trüben Punkt leewärts und reichte ihm das Glas, um eine zweite Untersuchung anzustellen. Sie blickten abwechselnd beide lang und scharf dahin.

»Es zeigt keine Segel mehr!« sagte ungeduldig der Kommandeur, als er einige Minuten lang stumm hingeschaut hatte.

»Nicht einen Faden, Herr. Aber was liegt auch einem Fahrzeug dieser Art daran, ob viel oder wenig Leinwand flattert, ob der Wind Ost oder West steht?«

»Hören Sie, Earing, der Wind hat zuviel von Süden in sich; und dort der düstere Wolkenstreifen auf unserer Windseite verkündet eine Wettergall. Lassen Sie das Schiff zwei Punkte oder etwas mehr vom Wind abfallen, und vermindern Sie den Druck an den Spieren durch das Anziehen der Luvbrassen.«

Der arglose Maat vernahm die Order mit einem Erstaunen, das er sich gar nicht zu verbergen bestrebte. Denn der erfahrene Seemann sah ohne Schwierigkeit, daß auf die Ausführung dieser Order nichts anderes erfolgen könnte, als daß sie denselben Weg, den sie bereits hinter sich hatten, wieder zurück gingen, was also wesentlich den Zweck der Fahrt aufgeben hieße. Er wagte es daher, mit der Ausführung zu zögern, um Gegenvorstellungen zu machen.

»Nehmen Sie es einem bejahrten Seemann wie mir nicht übel, Herr Kapitän, daß er sich über das Wetter ein Urteil erlaubt. Wenn es der Vorteil des Eigentümers verlangte, so hätte ich nichts dawider, umzukehren, denn ich mag nicht Land, auf das der Wind zu-, statt abtreibt. Ich dächte aber, wir könnten wohl das Meer behalten, wenn wir die Segel nur ein wenig anreffen; jeder Schritt von den Hatteras weg wäre schon barer Gewinn. Zudem kann sich ja der Wind zwischen heut und morgen nach Nordwest drehen.«

»Ein paar Punkte abgefallen! Und die Luvbrassen angeholt! sage ich!« rief Wilder aufgebracht.

Längerer Verzug unter solchen Umständen war nicht des ehrlichen Earing Sache; er hatte ein zu friedfertiges, unterwürfiges Gemüt dazu. Daher förderte er die Orders an die Subalternen, die zwar gehorchten, wie sich von selbst versteht, allein Nighthead und noch einige Veteranen von der Schiffsmannschaft ließen doch über die unschlüssige und scheinbar unvernünftige Schwankung im Willen ihres Kommandeurs halb unterdrückte und bedeutungsschwere Töne hören.

Bei allen diesen Zeichen der Unzufriedenheit blieb Wilder, wie vorher, gleichgültig. Wenn er sie überhaupt bemerkte, so verschmähte er es entweder, die geringste Notiz davon zu nehmen, oder tat, sich dem Drange des Augenblicks fügend, als merkte er nicht, worum es sich handle. Inzwischen glitt das Schiff gleich einem Vogel, der, durch langes Ankämpfen gegen den Luftstrom ermüdet, seinem Fluge eine andere, minder schwierige Richtung gibt, über die Wellenspitzen, oder durch die hohle See leicht einher, weil es nunmehr mit einem günstigeren Winde segeln durfte, und der Lauf des Stroms dem Seinigen nicht länger entgegengesetzt war. In demselben Grade, als es vom Winde abfiel, stellte sich das Gleichgewicht seiner Kraft und des Segeldruckes wieder her. Doch war die ganze Mannschaft der Meinung, daß bei einer so bedrohlichen Nacht noch immer des Segeltuches mehr als genug beigesetzt wäre. Nicht so urteilte der Fremdling, dem das Schicksal des Schiffes anvertraut worden war. Mit einer Stimme, die noch immer die Subalternen an die Gefahr des Ungehorsams erinnerte, befahl er, mehrere große Leesegeltücher rasch nacheinander beizusetzen. Auf diese Weise von neuem angetrieben, lief das Schiff in voller Karriere über die Wellen, seine Spur mit einer Masse Schaums bezeichnend, die der Größe und dem Glanze nach mit dem überstürzenden Gipfel der ungeheuersten Wogen hätte wetteifern können.

Als Segel auf Segel beigesetzt war, bis sich selbst Wilder gestehen mußte, daß die Royal Carolina, so dauerhaft sie war, doch nicht mehr tragen könne, begann er von neuem auf dem Deck rasch auf und ab zu gehen, und dabei umherzuschauen, um den Erfolg seines neuen Versuches zu beobachten. Die Veränderung im Laufe des Bristoler Kauffahrers hatte eine entsprechende Veränderung in der Fahrt des fremden Schiffes zur Folge, das noch immer wie ein kleiner Nebelpunkt am Horizont dahinschwebte, noch immer, wie der unfehlbare Kompaß den wachsamen Abenteurer lehrte, dieselbe gleiche Richtung mit ihm behielt, wie damals, als er es zuerst entdeckte. Seine verzweifeltsten Anstrengungen schienen dem Fremden keinen Zoll abgewinnen zu können. Nach einer schnell dahin geflogenen Stunde sah er am Geschwindigkeitsmesser, daß das Schiff drei Stunden Weges zurückgelegt hatte, und dennoch, dennoch lag das fremde Schiff dort im Westen, gleichsam als wäre es der Schatten der Carolina, den die fernen düsteren Wolken zurückgäben. Die einzige am Fremden zu gewahrende Veränderung bestand darin, daß das Auge nunmehr eine größere Fläche seiner Segel bestreichen konnte, eine Folge der neuen Richtung beider Schiffe. Es war aber bei der Entfernung und der Finsternis selbst dem erfahrenen Earing nicht möglich, zu entdecken, ob der Fremde neue Segel zugesetzt habe. Wir wollen es nicht leugnen, die erregte Gemütsstimmung des guten Earing hatte ihn so sehr zum Glauben an die Wunderkräfte des rätselhaften Nachbars gestimmt, daß ihm seine geübten Sinne diesmal die gewöhnlichen guten Dienste versagten. Allein Wilder selbst, der sein scharfes Auge durch oft wiederholtes Spähen aufs Äußerste anstrengte, konnte sich nicht verbergen, daß das fremde Schiff durch die Meereswogen dahinglitt, mehr wie ein in der Luft schwebender Körper, als wie ein auf die gewöhnlichen Hilfsmittel der Schiffahrt angewiesenes Fahrzeug.

Was Mistreß Wyllys und ihre Pflegebefohlene betrifft, so hatten sich beide bereits in ihre Kajüte zurückgezogen; die erstere sich innerlich über die Aussicht Glück wünschend, recht bald ein Schiff verlassen zu können, das seine Fahrt unter so unglückweissagenden Umständen angetreten hatte, daß selbst ihr durchgebildeter und ruhiger Geist dadurch die Fassung verlor. Gertraud ließ sie von dem veränderten Laufe nichts merken; ihrem ungeübten Auge bot die öde See nichts dar, als eine unterscheidungslose Fläche, und Wilder hätte die Richtung des Schiffes zwanzigmal verändern können, ohne daß sie das mindeste gemerkt hätte.

Ihm, dem wohlunterrichteten Seemanne, ging es freilich anders. Für ihn gab es auf seinem mitternächtlichen Meerespfade weder äußerste Finsternis noch inneren Zweifel. Kein Stern hob sich aus dem wogenden Bette der See, um an einem anderen dunkeln und unbestimmten Umriß des Wassers wieder zu verschwinden, der seinem Auge nicht längst vertraut gewesen wäre; kein Wind auf dem Ozean berührte seine brennende Wange, von dem er nicht wußte, aus welcher Himmelsgegend er käme. Nicht die geringste Neigung des Schiffes luv- und leewärts, deren Ursache er nicht begriffen hätte, sein Geist vermochte die zahllosen Wendungen und Krümmungen auf dem spurlosen Pfade mit der größten Klarheit und Bestimmtheit festzuhalten, und nur selten fühlte er bei der Lenkung seiner Fahrt, bei der Art und Weise, wie die Bewegungen seines künstlich gebauten Schiffes geleitet werden müßten, das Bedürfnis, zu den äußeren Hilfsmitteln der Schiffahrtskunde seine Zuflucht zu nehmen. Aber all sein Wissen reichte nicht hin, ihm die außerordentlichen Evolutionen des Fremden zu erklären. Nahm er auch die unbedeutendste Veränderung vor, so war es, als hätte sie der Fremde vorausgesehen, so schnell wurde ihr entsprochen, und des Fremden Behendigkeit im Manöverieren und Überlegenheit im Segeln raubte ihm endlich die Hoffnung, der unermüdlichen Wachsamkeit noch entgehen zu können, ja alle feine Bildung konnte nicht verhindern, daß sich ihm die Idee aufdrängte, hier seien mehr als natürliche Kräfte im Spiele.

Während er sich dergleichen niederschlagenden Gedanken überließ, gewann der Himmel und die See ein anderes Aussehen. Die lichte Linie, die solange über dem östlichen Horizont geweilt und ausgesehen hatte, als wenn sich der Vorhang des Firmaments nur gelüftet hätte, um den Winden einen Durchgang zu gewähren, war plötzlich gefallen; schwere Massen schwarzer Wolken ballten sich an jener Stelle, bis sich die ungeheuern Dunstsäulen so aufeinander gehäuft hatten, daß keine Grenzlinie zwischen beiden Elementen mehr zu unterscheiden war. Auf der anderen Seite, im Westen, hob sich das dunkle Gewölbe, umgürtet von einem grausenerregenden Lichtstreifen, und in dem glänzenden, unheilverkündenden Nebel sah man noch immer das fremde Schiff schweben, wenn auch dann und wann dessen matte, phantastische Umrisse in Luft zu zerfließen schienen.