Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Das fremde Segel kam so rasch näher, daß es von Augenblick zu Augenblick dem nackten Auge erkennbar wurde. Der kleine, weiße Punkt, der zuerst am entfernten Rande der See, gleich einer auf den Gipfel einer Woge schwimmenden Möwe erschien, war während der letzten halben Stunde allmählich in die Höhe gestiegen, bis sich eine erhabene Pyramide von Segeln aus dem Wasser emporhob. Als Wilder nochmals das Auge auf diesen immer wachsenden Gegenstand heftete, gab ihm der Rover das Glas zurück, und in dem Ausdruck seiner Züge konnte unser Abenteurer deutlich die Worte lesen: Die Nachlässigkeit Ihres Dieners hat uns, wie Sie sehen können, bereits verraten! Doch lag mehr Bedauern als Vorwurf in dem Blick; auch entfuhr dem Munde nicht ein Wörtchen, das den sprechenden Sinn des Auges bestätigt hätte. Im Gegenteil, aller Anschein war dafür, daß der Kommandeur eifrig den Wunsch hegte, den neuen Freundschaftsvertrag zwischen ihnen unverletzt zu erhalten; denn als der junge Seemann eine etwas unbeholfene Erklärung der wahrscheinlichen Ursachen von Fids Versehen zu machen versuchte, wurde ihm mit einer gelassenen Gebärde entgegnet, die ihm verständlich genug die Versicherung gab, daß dem Delinquenten verziehen sei.

»Unser Nachbar hält einen guten Ausguck, wie Sie sehen. Er hat gewendet und legt sich uns kühn gerade vor den Vorsteven. Wohlan, er mag sich nahen; wir werden bald seine Batterien zu Gesicht bekommen, und dann können wir ja bestimmen, von welcher Art die Zusammenkunft sein soll.«

»Wenn Sie dem Fremden eine so große Annäherung erlauben, so dürfte es schwer sein, ihn bei der Jagd aus der Fahrt zu werfen, im Falle es wünschenswert sein sollte, ihn vom Halse zu haben.«

»Das Fahrzeug muß schnell segeln, dem der Delphin nicht ein Bramsegel vorausgeben kann.«

»Ich weiß nicht, Sir. Das Segel dort kann munter bei dem Wind segeln, es ist also nicht unwahrscheinlich, daß es vor dem Winde nicht träger sein wird. Mir ist selten ein Schiff vorgekommen, das so rasch zu Gesichte stieg wie dieses, seit wir es zuerst entdeckten.«

Der Jüngling sprach mit so vieler Angelegentlichkeit, daß er die Aufmerksamkeit seines Kommandeurs von dem gemeinsamen Gegenstand ab und auf sein Gesicht zog.

»Herr Wilder,« sagte er rasch und entschieden, »Sie kennen das fremde Schiff!«

»Ich will es nicht leugnen. Meiner Meinung nach wird es sich als ein Schiff ausweisen, das dem Delphin zu schwierig ist, und das wenig hat, was uns zu dem Versuch einladen könnte, es aufzubringen.«

»Seine Größe?«

»Sie wissen sie bereits vom Schwarzen.«

»Also auch Ihre Begleiter kennen es?«

»Ein Toppgast verkennt nicht leicht den Zuschnitt und die Haltung der Segeltücher, zwischen denen er Monate, ja mehrere Jahre zugebracht hat.«

»Ich verstehe nun die drei neuen Tücher in dessen Bramsegel! Herr Wilder, es ist noch nicht lange her, daß Sie jenes Schiff verlassen haben?«

»Nicht länger als meine Ankunft in diesem.«

Der Rover schwieg, mehrere Minuten mit sich selbst zu Rate gehend. Sein Gesellschafter machte zwar keinen Versuch, ihn zu stören, doch verriet er durch oftmalige, verstohlene Blicke, daß ihm das Resultat dieser Selbstberatung nichts weniger als gleichgültig war.

»Und seine Kanonenzahl«, fragte endlich abgebrochen sein Kommandeur.

»Es zählt vier mehr als der Delphin.«

»Das Kaliber?«

»Ist verhältnismäßig noch stärker. In jeder Hinsicht ist das Schiff dem Ihrigen überlegen.«

»Es gehört doch auch ganz gewiß dem König an?«

»Ganz gewiß.«

»Dann soll es seinen Herrn wechseln, beim Himmel, es soll mein werden!«

Wilder schüttelte den Kopf, mit einem bloßen ungläubigen Lächeln antwortend.

»Sie zweifeln. Kommen Sie hierher und schauen Sie aufs Verdeck hinab. Kann der, den Sie so kürzlich verließen, Kerle wie diese mustern, die seinem Wink gehorchen?«

Die Bande auf dem Delphin, gewählt von einem Manne, der sich meisterhaft auf das verstand, was zum Charakter eines Matrosen gehört, bestand aus Leuten von allen Völkern der christlichen Welt. In ganz Europa gab es keine schiffahrttreibende Nation, die unter dieser Truppe unruhiger Waghälse nicht ihren Repräsentanten gehabt hatte. Selbst der Abkömmling der ursprünglichen Besitzer von Amerika war bewogen worden, die Gewohnheiten und Ansichten seiner Vorfahren aufzugeben und auf einem Element herumzuschweifen, das Jahrhunderte die Küsten seines Geburtslandes bespülte, ohne in der Brust seiner einfach gesinnten Väter den Wunsch zu erregen, in dessen Geheimnisse einzudringen. Ein wildes Abenteuerleben zu Lande und zu Wasser hatte alle zu ihrem jetzigen, rechtlosen Treiben geeignet gemacht; nimmt man nun hinzu, daß sie von einem Geist geleitet wurden, der es verstand, ihr Tun und Lassen seiner despotischen Gewalt zu unterwerfen, und in dieser Unterwerfung stets zu erhalten, so kann man nicht leugnen, daß sie eine höchst gefährliche und durch ihre Anzahl unwiderstehliche Bande bildeten. Ihr Kommandeur lächelte triumphierend, wie er den tiefen Ernst bemerkte, womit Wildern die Beobachtung erfüllte, daß der Anschein eines herannahenden Kampfes einige in vollkommenem Gleichmut ließ, viele mit wilder Freude begeisterte. Selbst die Neulinge darunter, die armen Kuhlgasten und Hinterwachmänner, waren offenbar ebenso voller Zuversicht, daß ihnen der Sieg gewiß sei, als die, deren Verwegenheit durch häufigen Erfolg und nie erfahrene Niederlage einigermaßen entschuldigt war.

»Rechnen Sie diese für nichts?« fragte der dicht an der Seite seines Leutnants stehende Rover, nachdem er ihm Zeit gelassen hatte, einen Überblick über die ganze schreckliche Truppe zu tun. »Sehen Sie nur! Hier ist ein Däne; er hat Wucht und Ausdauer wie die Kanone, an der ich ihm bald seine Stelle anweisen werde. Glied vor Glied läßt er sich abhauen, doch steht er wie ein Turm, bis der letzte Stein des Fundaments untergraben ist. Und hier, seine Nachbarn und würdigen Kameraden an demselben Stück Geschütz, der Schwede und der Russe; ich verbürge mich dafür, sie bleiben rührig, solange ein Mann von ihnen übrig ist, der eine Kanone mit der Lunte anzünden oder einen Wischer handhaben kann. Dort sehen Sie einen vierschrötigen, athletischen Kerl aus einer der Hansastädte. Ihm ist unsere Freiheit lieber als die seiner Geburtsstadt; und Sie werden finden, daß die ehrwürdigen Institutionen des Hansabundes eher weichen, als er von dem Fleck, den ich ihm zu verteidigen befehle. Dort links sehen Sie ein paar Engländer; bessere Leute in der Not findet man nicht leicht, obgleich sie von dem Eilande sind, das ich so wenig liebe. Geben Sie ihnen Futter und Prügel, so stehe ich dafür, sie sind ebenso tapfer als prahlsüchtig. Können Sie den bedächtigen, starkknochigen Schurken dort in der Ecke sehen, der selbst mitten in aller seiner Spitzbüberei die Miene von Gottseligkeit nicht ablegt? Der Wicht war ein Heringsfänger, bis er einmal Rindfleisch zu kosten bekam; seitdem empörte sich sein Magen gegen die frühere Speise, und endlich gewann die Sucht, reich zu werden, die Übermacht in ihm. Er ist ein Schotte, aus einer der Buchten des Nordens.«

»Und ist er zum Schlagen zu bringen?«

»O ja, wenn Geld – die Ehre der Macs – und seine Religion die Losungsworte sind. Bei alledem ist er ein durchtriebener, verschmitzter Kopf, und ich habe ihn bei einem Streit gern auf meiner Seite. Aha! Das dort ist ein Bursch, wenn’s heißt: Greift an! Ich hieß ihn einst ein Tau in der Geschwindigkeit kappen; statt es unter seinen Füßen zu tun, kappte er’s über seinem Kopfe und machte zur Belohnung für die Tat einen Flug von einer Unterrahe in die See hinab. Seit jener Zeit hört er nicht auf, seine Geistesgegenwart zu rühmen, die ihn vom Ertrinken gerettet habe! In diesem Augenblick sind gewiß alle seine Ideen in heftiger Gärung; und könnte man nur dahinterkommen, ich wäre bereit, eine große Wette zu tun, daß das fremde Fahrzeug sich durch irgendeinen geheimnisvollen Prozeß in seiner furchtbaren Einbildungskraft in ein halbes Dutzend Linienschiffe verwandelt hat.«

»Dann denkt er wohl an die Flucht?«

»Nichts weniger; er entwirft viel wahrscheinlicher Pläne, wie er mit dem Delphin die sechs feindlichen Schiffe umzingeln könne. Flucht ist die letzte Idee, die dem echten Irländer einen unruhigen Augenblick verursacht. Betrachten Sie den nachdenklichen, blassen Sterblichen dicht bei dem Hibernier. . Dies ist ein Mensch, der mit einer Art von Sentimentalität in den Kampf geht. Er hat eine Anlage für das Ritterliche, die man in ihm zum Heroismus steigern könnte, hätte man Gelegenheit und Neigung dazu. Doch wird er auch so niemals verfehlen, einen Funken echt kastilischen Feuers zu zeigen. Sein Kamerad kommt vom Felsen Lissabons; nicht gern würde ich ihm trauen, böte sich bei uns viel Gelegenheit dar, vom Feinde bestochen zu werden. Ach! Hier ist ein Junge, wie man sich ihn zu einem Sonntagstanz nur wünschen kann. Alles an ihm ist in Bewegung in diesem Augenblick, Fuß und Zunge. Es ist ein Geschöpf, das aus lauter Widersprüchen zusammengesetzt ist. Ihm gebricht es ebensowenig an Gutmütigkeit als an Witz; demungeachtet würde es ihn bei Gelegenheit nichts kosten, einem Menschen den Hals abzuschneiden, so seltsam ist in dieser Bestie die Mischung von Bonhomie und von Grausamkeit. Ich beabsichtige, ihm einen Enterhaken zu geben; denn wir würden kaum handgemein geworden sein, so wird seine Ungeduld auch schon den Sieg mit einem einzigen coup-de-main davontragen wollen.«

»Und was ist der Matrose dicht bei ihm für ein Landsmann?« fragte Wilder, für den die Weise, wie der Rover seine Leute schilderte, sehr viel Anziehendes gewann; »er scheint jetzt damit beschäftigt, einige überflüssige Kleidungsstücke von sich abzulegen.«

»Ein haushälterischer Holländer. Der hat ausgerechnet, daß es just ebenso weise wäre, sich in einer alten Jacke totschlagen zu lassen, als in einer neuen; höchstwahrscheinlich hat er auch seinem Nachbar, dem Gascogner, diesen ersprießlichen Rat gegeben, der ihn aber verschmäht hat, weil er entschlossen ist, mit Anstand zu sterben, wenn’s gestorben sein muß. Glücklicherweise hat der erstere seine Vorkehrungen zum Kampfe noch zeitig genug angefangen, sonst könnte sich’s leicht treffen, daß der Feind uns schon geschlagen, ehe er noch halb fertig wäre. Hätten diese zwei Ehrenmänner diesen Streit gegeneinander auszufechten, so würde der linke, merkurialische Franzose seinem flamändischen Nachbar eine Niederlage beibringen, ehe dieser kaum gewahr würde, daß der Kampf ordentlich begonnen habe; ließe jener aber den glücklichen Moment unbenutzt, so würde der Holländer, glauben Sie mir, ihm nicht wenig zu schaffen machen. Haben Sie vergessen, Wilder, daß es eine Zeit gab, wo die Landsleute dieses langsam sich bewegenden, schwerfälligen Lümmels die Meerengen befuhren, mit einem Besen am Topp ihrer Masten?«

Wild lachte der Rover bei diesen Worten, und mit Bitterkeit sprach er sie aus. Sein Gefährte konnte jedoch nicht sehen, was für Grund zum Triumphieren in der Erinnerung des Sieges eines auswärtigen Feindes liegen könne; daher begnügte er sich damit, durch ein bloßes Kopfnicken anzuzeigen, daß er die Wahrheit der geschichtlichen Tatsache zugebe. Darauf versetzte er etwas hastig, gleichsam als ob er sich die demütigende Beachtung, zu der jenes schmerzliche Eingeständnis führte, so bald als möglich aus dem Sinn schlagen wolle:

»Sie haben die beiden derben Matrosen vergessen, die dort mit so viel ernster Beobachtung die Größe des fremden Schiffes an seinem Tauwerk ausfindig machen wollen.«

»Ja, ja; die Kerle kommen aus einem Lande, an dem wir beide einigen Teil nehmen. Die See ist nicht unbeständiger als jene Schelme in ihrer Spitzbüberei. ›Nur halb entschlossen sind sie zum Seeraub‹ – ein rauhes Wort, Herr Wilder, allein ich fürchte, ein passendes für unser Treiben. Diese Schurken jedoch machen sich einen Gnadenvorbehalt inmitten aller ihrer Verworfenheit.«

»Ihre Blicke auf den Fremden scheinen anzudeuten, als sähen sie Grund, die Klugheit, ihn so nahe herankommen zu lassen, in einigen Zweifel zu ziehen.«

»O, es sind bekannte Rechenmeister. Am Ende haben sie gar die vier von Ihnen erwähnten Kanonen entdeckt, die der Fremde mehr zählt als wir; denn bei Sachen, wo sie sich beteiligt fühlen, scheinen ihre Gesichtsorgane eine mehr als natürliche Schärfe zu haben. Aber Sie sehen, die Kerle haben Mark in den Knochen; und was mehr sagen will, es gibt Köpfe, die sie lehren, aus diesen Vorzügen soviel Vorteil als möglich zu ziehen.«

»Sie trauen ihnen wohl nicht zuviel Mut zu?«

»Fürwahr! Wenn sie erst einen Punkt für wesentlich erachten, so stellt man ihren Mut gewiß nicht ungestraft auf die Probe. Sie streiten nicht leicht bloßer Worte wegen und verlieren selten gewisse abgedankte Grundsätze aus den Augen, die, nach ihnen, in einem Buche stehen, dem Sie und ich, wie zu befürchten steht, gerade kein sehr angestrengtes Studium gewidmet haben. Nicht oft tun sie einen Schlag, wenn weiter nichts als bloßer Ritterruhm dabei zu gewinnen steht; und hätten sie auch die Neigung dazu, so verstehen sich die Schufte zu gut auf die Logik, um, wie Ihr Schwarzer, ein Schiff für eine Kirche anzusehen. Sehen sie erst in ihrem wichtigen Dafürhalten Grund vorhanden, sich in den Kampf einzulassen, wahrlich! so tun sie beiden Kanonen, die sie regieren, bessere Dienste als alle andere Batterien; falls sie aber andrer Meinung sind, so würde es mich nicht wundernehmen, von ihnen den Vorschlag zu hören: doch lieber das Pulver auf eine profitablere Gelegenheit zu versparen. Ehre, fürwahr! – Die Hunde sind viel zu verschmitzt bei streitigen Fällen, um nicht zu wissen, welchen Rang der Ehrenpunkt in unserm Gewerbe einnimmt. Doch wir plaudern über Kleinigkeiten, es ist Zeit, an wichtigere Dinge zu denken. Herr Wilder, jetzt unsere Segel gezeigt!«

Plötzlich, wie seine Sprache, veränderte sich auch die ganze Weise des Rover. Den tändelnden Scherz, dem er sich hingegeben hatte, abbrechend, nahm er eine seinem Ansehen passendere Miene an und entfernte sich, während der Subalterne zur Ausführung seiner Befehle die nötigen Orders ausgab. – Nightingale blies das gewöhnliche Signal und rief dann mit rauher Stimme: »Zu Hauf! Setzt Segel bei, ahoi!«

Die Betrachtungen, die die Mannschaft des Delphin mittlerweile über das so rasch herankommende Segel angestellt hatte, entsprachen der besonderen Denkweise eines jeden. Einige triumphierten bei der Aussicht auf eine Prise: andere, besser mir der Handlungsweise ihres Kommandeurs vertraut, hielten es für noch gar nicht ausgemacht, daß sie überhaupt mit dem Fremden zum Handgemenge kommen würden. Die Wenigen, an das Nachdenken Gewöhnteren, schüttelten beim Herannahen des Fremden die Köpfe; sie schienen die Nachbarschaft für etwas bedenklich zu halten. Unbekannt jedoch mit jenen geheimen Mitteln, sich von der Lage des Feindes zu unterrichten, Mittel, die ihrem Befehlshaber oft bis zu dem Grad des Wunderbaren zu Gebote standen, hatten alle geduldig seine Entscheidung abgewartet. Als nun aber der obengenannte Aufruf erscholl, bewies die allgemeine lebendige Tätigkeit, womit ihm entsprochen wurde, daß der Mannschaft nichts willkommener sein konnte. Nun hatte Wilder, kraft seines Ranges im Schiffe, in rascher Aufeinanderfolge die Orders auszuteilen. Es schien ein und derselbe Geist zu sein, der den Schiffsleutnant und die Mannschaft beseelte, denn sämtliche nackte Spieren des Delphin waren nach wenigen Minuten mit ungeheuern faltigen Massen schneeweißer Leinwand bekleidet. Ein Segeltuch nach dem andern fiel, eine Rahe nach der andern hob sich zum Topp ihres Mastes, bis sich das Fahrzeug sowohl vor dem Winde beugte, als auch nach den Seiten zu in Schwung kam, obgleich die Rahen so geordnet waren, daß sie es an seinem Posten festhielten. – Jetzt waren alle Vorkehrungen zur Vollendung gediehen, das Schiff lag bereit, jeden Pfad, der für notwendig erachtet würde, einzuschlagen. Seinem Obern hierüber Rapport abzustatten, stieg Wilder hinauf zur Hütte. Er fand den Rover aufmerksam das fremde Schiff betrachtend, dessen Rumpf soeben zum Vorschein kam, und an dem, der ganzen Länge nach, eine gelbe, mit schwarzen Punkten bezeichnete Linie zu sehen war. Kein Auge auf dem Delphin bedurfte der Belehrung, daß diese Punkte die Pforten der Kanonen waren, die des Schiffes Stärke bestimmten. Mistreß Wyllys und Gertraud standen nahe beim Rover, erstere tiefsinnig wie gewöhnlich, aber doch aufmerksam auf jeden noch so kleinen Vorfall.

»Es ist fertig, dem Schiffe den Wind abzugewinnen,« sagte Wilder: »wir warten bloß, bis Sie den Strich angeben.«

Der Rover schrak zusammen und trat näher aus seinen Leutnant zu, ehe er, ihm gerade und scharf ins Gesicht schauend, folgende Frage tat:

»Wissen Sie auch gewiß, Herr Wilder, daß Sie jenes Schiff kennen?«

»Gewiß«, war die ruhige Antwort.

»Ist es nicht«, unterbrach mit großer Hast die Gouvernante, »ein königlicher Kreuzer?«

»Allerdings: dafür hab‘ ich es bereits erklärt.«

»Herr Wilder, wir wollen seine Schnelligkeit auf die Probe setzen. Lassen Sie die großen Segel losschnüren und richten Sie die Focksegel in den Wind.«

Der junge Seemann verbeugte sich gehorchend und setzte die Befehle seines Kommandeurs in Vollzug. Doch war, als er die nötigen Befehle austeilte, eine Befangenheit, wo nicht gar ein Zittern zu bemerken, das in auffallendem Kontraste stand mir der Ruhe und Gelassenheit, wie sie die Rede des Rover bezeichneten. Selbst der Bemerkung einiger älteren Matrosen entging Wilders bebende Stimme nicht: und während der Pausen, wo sie auf seine Worte hören mußten, warfen sie einander Blicke von ganz eigentümlicher Bedeutung zu. Wie wenig sie jedoch an solche Stimme gewöhnt sein mochten, so leisteten sie ihr doch denselben Gehorsam, wie dem unbefangenen gebieterischen Ruf des gefürchteten Häuptlings selbst. Die Vorderrahen waren nunmehr dem Winde zugekehrt, die Segel schwollen an, und der ganze Bau, der solange leblos auf dem Wasser gestanden, geriet langsam in Bewegung und fing an, die Wellen zu durchschneiden. Nach und nach gewann das Schiff seine eigentümliche Schnelligkeit wieder, und nun war ein jeder auf den beginnenden Wettlauf aufs Äußerste gespannt.

Der Fremde war in diesem Augenblick innerhalb einer halben Seestunde leewärts von dem Delphin. Jedes geübte Auge in dem letztern Schiffe hatte sich durch anhaltendere und genauere Beobachtungen bereits von der Beschaffenheit und Stärke des fremden Fahrzeuges einen richtigen Begriff gebildet. Eine wolkenlose Sonne sandte ihre Strahlen aus dessen Batterieseite, und der Schatten seiner Segel malte sich weit hin über die Meereswellen in einer dem Delphin entgegengesetzten Richtung. Dann und wann konnte man mit dem Fernglase durch die Pfortgaten ins Innere des Schiffes dringen, noch aber schillerten die Bewegungen, die man sah, zu sehr ineinander. Auf verschiedenen Teilen des Tauwerks hingegen waren einige menschliche Gestalten deutlich zu sehen; sonst bot das Ganze einen Anblick jener Ruhe dar, die die Begleiterin strenger Ordnung und vollkommener Disziplin zu sein pflegt.

Als der Freibeuter das Geräusch der durchschnittenen Wagen hörte und die kleinen Wasserstaubsäulen sah, die sein wackeres Fahrzeug vor sich her in die Höhe sandte, gab er seinem Leutnant einen Wink, sich zu ihm herauf auf das Deck der Hütte zu verfügen. Lange richtete er sein Kennerauge auf das fremde Segel, genau dessen Stärke erwägend, endlich schien sein Zweifel über einen gewissen Punkt gelöst.

»Herr Wilder,« sagte er, »den Kreuzer da muß ich schon einmal gesehen haben.«

»Nicht unwahrscheinlich; er hat schon die meisten Teile des Atlantischen Meeres beschifft.«

»Ja, ja, dies ist gewiß nicht das erstemal, daß wir aufeinander treffen! Ein bißchen Farbe hat dem Schiffe äußerlich ein anderes Aussehen gegeben; allein mich dünkt, ich kenne die Art, wie seine Masten gesetzt sind.«

»Sie haben den Ruf dafür, daß ihr Ausschuß kein gewöhnlicher ist.«

»Sie besitzen diesen Ruf nicht ohne guten Grund. Haben Sie lange an seinem Bord gedient?«

»Jahrelang.«

»Und Sie verließen es …«

»Um zu Ihnen zu gehen.«

»Sagen Sie, Wilder, hat man Sie auch behandelt wie ein Wesen geringerer Klasse? Wie, sagte man bei allen Ihren Verdiensten nicht auch: Er ist doch nur aus einer Kolonie? Las man nicht Amerika in allem, was Sie taten?«

»Genug, ich habe das Schiff verlassen, Kapitän Heidegger.«

»Gut, man hat Ihnen ohne Zweifel Ursache dazu gegeben. Dies eine Mal wenigstens haben Sie mir einen Freundschaftsdienst erwiesen. Aber Sie waren noch dort während der Frühlingsnachtgleichen, nicht wahr?«

Wilder machte eine kleine bejahende Verbeugung.

»Ich konnt‘ es mir denken. Und kämpften Sie nicht mit einem Fremden bei einem Sturme? – Winde, See und Menschen, alles war vollauf in Arbeit.«

»So ist es. Wir hatten Sie erkannt und glaubten schon, Ihre Stunde hätte geschlagen.«

»Ihre Offenherzigkeit gefällt mir. Wir trachteten einander nach dem Leben, aber wie es Männern geziemt: jetzt, da wir Freunde geworden sind, werden wir um so fester aneinander halten. Ich will über jene Affäre keine weiteren Fragen an Sie tun, Wilder. Verrat gegen einen früheren Herrn ist nicht die Art, wie man sich in meinem Dienste Gunst erwerben kann. Es genügt mir, daß Sie jetzt unter meiner Flagge segeln.«

»Und was für eine ist das?« fragte dicht bei ihm eine milde, aber feste Stimme.

Der Pirat wandte sich hastig um und begegnete abermals dem auf ihn gehefteten, ruhigen, prüfenden Auge der Gouvernante. Einige in Widerstreit miteinander stehende Regungen schimmerten, seltsam vermischt, durch seine Gesichtszüge hindurch, die sich aber nach und nach in einen Ausdruck von einschmeichelnder Höflichkeit aufhellten, ein Ausdruck, den er im Gespräche mit seinen Gefangenen am häufigsten anzunehmen pflegte.

»Eine Dame muß zwei Matrosen an ihre Pflicht erinnern!« rief er. »Wir haben die Galanterie vergessen, dem Fremden unsere Farben zu zeigen! Lassen Sie sie aufziehen, Herr Wilder, damit wir keine Förmlichkeit unterlassen, die der Schiffsgebrauch mit sich bringt.«

»Aber das Schiff vor uns führt ja auch nur eine nackte Gaffel.«

»Wenn auch, so kommen wir ihm in der Höflichkeit zuvor. Die Farben gewiesen!«

Wilder öffnete das Kistchen, in dem wohl ein Dutzend von den am meisten gebrauchten Flaggen zusammengerollt in verschiedenen Fächern lagen. Zweifelhaft bei der Wahl unter so vielen, sagte Wilder halb fragend:

»Ich weiß kaum, welche von diesen Fahnen Sie aufzuziehen befehlen.«

»Necken Sie ihn mit dem schwerfälligen Holländer. Der Kommandeur eines so stattlichen Schiffes muß in allen Zungen der christlichen Welt bewandert sein.«

Der Leutnant gab dem diensttuenden Quartiermeister ein Zeichen, und nach einer Minute wehten über dem Delphin die Wimpel der Generalstaaten. Die beiden Offiziere beobachteten genau, welche Wirkung es auf den Fremden machen würde; dieser weigerte sich indessen, auf das falsche Signal, das sie wiesen, ein erwiderndes Zeichen zu geben.

»Er sieht recht gut, daß unser Kiel nicht für die Untiefen Hollands gebaut ist. Wer weiß, vielleicht kennt er uns gar?« sagte der Rover, einen forschenden Blick auf seinen Gefährten schießend.

»Ich glaube es nicht. Man ist am Delphin zu freigebig mit dem Antünchen gewesen, als daß ihn selbst seine Freunde an der Außenseite wieder erkennen sollten.«

»Das Schiff hat viel von einer Kokette, allerdings«, erwiderte lächelnd der Rover. »Versuchen wir, wie der Portugiese auf ihn wirkt; vielleicht finden brasilianische Diamanten mehr Gunst bei ihm.«

Die eben aufgezogenen Farben wurden herabgelassen, und statt ihrer das Zinnbild des Hauses Braganza dem Winde preisgegeben. Noch immer verharrte der Fremde, seinen Pfad verfolgend, in mürrischer Achtlosigkeit und schien einzig darauf bedacht, sich dichter an den Wind zu bringen, um die Entfernung zwischen sich und dem Gegenstande seiner Jagd so gering als möglich zu machen.

»Ein verbündetes Land kann ihn nicht zum Zorne reizen«, sagte der Rover. »Wohlan! So mag er sich dann die hohnsprechende weiße Flagge, den Drapeau blanc, ansehen.«

Wilder gehorchte schweigend. Portugals Wimpel flatterte aufs Deck herunter, und das weiße Feld Frankreichs wurde in die Höhe gezogen. Kaum hatte diese Fahne noch die Gaffelspitze erreicht, so hob sich vom Verdeck des Fremden, gleich einem ungeheuern aufsteigenden Vogel, ein breites, glänzend bemaltes Tuch, und breitete oben zierlich feine Falten dem Winde auf. In demselben Augenblick prallte eine Rauchsäule aus seiner Seite hervor und trieb schon rückwärts durch seine Takelage, ehe der Knall des herausfordernden Schusses, der sich gegen die Richtung des starken Passatwindes den Weg bahnen mußte, von der Mannschaft auf dem Delphin gehört werden konnte.

»Das kommt von der freundschaftlichen Gesinnung zwischen den beiden Völkern her!« bemerkte trocken der Seeräuber. »Der Holländer läßt ihn stumm, die Krone von Braganza rührt ihn nicht; aber zeigt ihm nur ein Tafeltuch, so regt sich die Galle in ihm! Mag er sich die Farbe, die ihm so wenig zusagt, noch eine Weile betrachten, Herr Wilder; wenn wir müde sind, sie zu zeigen, so finden wir wohl noch eine andere in unserer Flaggenkiste.«

Wirklich schien es, als ob der Anblick der Flagge, die der Rover zu zeigen für gut hielt, auf den Fremden ungefähr denselben Eindruck machte, wie das Stückchen Scharlachtuch des flinken Matadors auf den wütenden Stier. Rasch wurden noch verschiedene kleinere Segel am Fremden beigesetzt, die von keinem wesentlichen Nutzen sein konnten, aber zu erkennen geben sollten, daß er den Augenblick nicht erwarten könne, wo er auf seinen Feind stieße; jede Brasse, jede Buglinie sogar wurde noch mit einem Stück Segeltuch beschwert. Kurz, der Fremde sah ganz aus wie ein Rennpferd, das, obgleich schon mit der äußersten Schnelligkeit die Bahn daherfliegend, noch die Peitsche des Jockei zu fühlen bekommt, ungeachtet kein Anspornen von außen, kein eigenes Feuer einen Flug beschleunigen kann, der ohnedies schon den höchsten Grad erreicht hat. Auch schien das fremde Schiff keineswegs dieser außerordentlichen Anstrengung zu bedürfen. Der Wettlauf, der zeigen sollte, welches von den Fahrzeugen das andere totsegeln würde, war nun in vollem Gange. Wie berühmt aber auch der Delphin als Schnellsegler war, so konnte doch auch das stärkste Auge nicht entdecken, daß er dem fremden Schiffe überlegen wäre; keines konnte dem andern einen sichtbaren Vorsprung abgewinnen. – Schon gehorchte des Freibeuters Schiff dem Winde, schon zerstoben die Wogen vor ihm her in höheren und weiter hinschießenden Strahlen; allein der Fremde schwamm ebenso schnell und zierlich wie sein Nebenbuhler über die wogenden Wasser, denn jeder Windstoß füllte die Segel des einen wie des andern Schiffes.

»Der Bau dort durchschneidet das Wasser wie eine Schwalbe die Lüfte«, bemerkte der Korsarenhäuptling gegen den Jüngling an seiner Seite, der sich bemühte, eine mit jedem Augenblicke wachsende Gemütsbewegung zu unterdrücken. »Hat es denn einen Ruf als Schnellsegler?«

»Der Brachvogel fliegt kaum schneller. Meinen Sie nicht, daß sich nicht Leute wie wir, die unter keinem bessern Patent segeln als ihr eigenes Belieben, näher heranwagen sollten?«

Der Blick des Rovers auf seinen Gefährten drückte unwilligen Verdacht aus, verwandelte sich aber in ein Lächeln stolzer Verwegenheit, ehe er antwortete:

»Mag er dem Aar in seinem höchsten und raschesten Fluge gleichen, er soll an uns keine Nachflügler finden! Woher dieser Ihr Widerwillen, einem der Krone angehörigen Schiffe eine Viertelmeile nahe zu sein.«

»Weil ich seine Stärke kenne und die Hoffnungslosigkeit eines Kampfes mit einem so überlegenen Feinde«, erwiderte Wilder mit Festigkeit. »Kapitän Heidegger, Sie können sich mit keiner Aussicht von Erfolg ins Gefecht mit jenem Schiffe einlassen; und wenn wir uns die noch bestehende Entfernung nicht auf der Stelle zunutze machen, so können Sie ihm nicht einmal mehr entfliehen. Ja, ich weiß nicht, ob es nicht jetzt schon zu spät sei, Flucht zu versuchen.«

»Das, Sir, ist die Meinung eines Menschen, der die Macht seines Feindes überschätzt, weil ihm Gewohnheit und Großsprecherei eine Ehrfurcht davor, wie vor etwas Übermenschlichem beigebracht haben. Niemand, Herr Wilder, ist verwegener, und niemand bescheidener, als wer längst auf seine eigene Kraft als seine einzige Zuflucht angewiesen ist. Ich war einer königlichen Flagge schon näher, und dennoch führe ich, wie Sie sehen, diesen Krieg auf Tod und Leben noch in diesem Augenblicke fort.«

»Horch! Eine Trommel. Der Fremde macht sich an seine Kanonen.«

Der Rover konnte nach einem Augenblick Lauschens das wohlbekannte Signal unterscheiden, das die Bemannung eines Linienschiffes an ihre Posten ruft. Nachdem er zunächst einen Blick aufwärts auf sein Segelwerk getan, und einen zweiten, gleich raschen prüfenden Überblick auf alles Einzelne, seinem Befehle Unterworfene, antwortete er gelassen:

»Wir wollen seinem Beispiele folgen, Herr Wilder. Geben Sie die Order.«

Bis jetzt waren die Leute auf dem Delphin teils beschäftigt mit der Ausführung der nötigen, ihnen angewiesenen Dienstpflichten, teils verloren in der neugierigen Anschauung des Schiffes, das so eifrig zu wünschen schien, ihrem eigenen gefährlichen Fahrzeuge so nahe als möglich zu kommen. Ein tiefes, aber fortwährendes Gesumme von Stimmen – lautere Töne verbot die Disziplin – war das einzige, woran bis jetzt ihre Teilnahme an der Szene zu erkennen war; doch kaum wurde der erste Trommelschlag vernommen, so fuhr jede Gruppe auseinander, und jedermann begab sich geschäftig und regsam an seinen ihm bekannten Posten. Das Geräusch unter der Mannschaft dauerte nur einen einzigen Moment; ihm folgte jene tiefe Stille, deren in diesen Blättern früher bei einer ähnlichen Gelegenheit schon Erwähnung geschah. Jedoch sah man die Offiziere, wie sie durch rasches und bündiges Fragen bei den Leuten unter ihrem respektiven Kommando sich unterrichteten, daß sich alles in gehöriger Ordnung befinde. – Die Kriegsmunition, die nun schnell aus den Magazinen hervorgeschafft wurde, verkündete eine mehr als gewöhnlich ernstgemeinte Vorbereitung. Der Rover selbst war verschwunden; allein nicht lange, so erschien er wieder auf seinem erhabenen Platze, gewaffnet zum Kampfe, der bevorzustehen schien, und, wie immer, damit beschäftigt, die Eigenschaften, Kräfte und Manöver des herannahenden Feindes zu untersuchen. Die indessen, die ihren Chef am besten kannten, waren der Meinung, daß er über die Frage: ob geschlagen werden solle? noch gar keinen festen Entschluß gefaßt habe. Hundert neugierige Blicke waren auf sein sich zusammenziehendes Auge gerichtet, als wollten sie das Geheimnis durchschauen, in das er sein wahres Vorhaben noch immer einhüllte. Da stand er, die Seemannsmütze abgenommen, das blonde Haar eine Stirne umwallend, die geschaffen schien, weit edlere Gedanken zu bergen als die, die er während seines ganzen Lebens gepflogen zu haben schien. Vor seinen Füßen lag eine Art von ledernem Helm, dessen Besatz so beschaffen war, daß er dem Gesicht des Tragenden ein gräßliches, unnatürliches, grausames Aussehen gab. Sobald er diese Entermütze auf hatte, wußten alle im Schiffe, daß der Augenblick ernsten Kampfes gekommen sei; noch aber ließ ihr Anführer dieses untrügliche Zeichen feindlicher Absicht unbemerkt liegen.

Inzwischen war jeder Offizier mit Untersuchung seines Dienstzweiges fertig und erstattete Bericht über dessen Zustand, worauf die totenähnliche Stille, die bis jetzt unter der Mannschaft geherrscht hatte, durch eine Art von stillschweigender Erlaubnis der Oberen sich in dumpfe, aber angelegentliche Unterhaltung der Leute untereinander auflöste, eine Abweichung von den gewöhnlichen Vorschriften auf regelmäßigeren Schiffen, die der berechnende Häuptling deswegen zugab, um die Stimmung seiner Mannschaft, auf die bei seinen verzweifelten Unternehmungen oft und viel ankam, vorher genauer kennen zu lernen.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Es war dies ein Augenblick hoher und ernster Spannung. Die Befehlenden der verschiedenen Abteilungen des Schiffes hatten ein jeder den Zustand seines Departements mit einer Aufmerksamkeit untersucht, die stets ungeteilter zu werden pflegt, wie der Zeitpunkt heranrückt, wo die Tat beweisen muß, wiefern man seinem Amt und dessen Verantwortlichkeit gewachsen sei. Schon hatte sich der Quartiermeister nach der Ordnung aller der verschiedenartigen Taue und Ketten, die zur Sicherheit des Schiffes wesentlich waren, erkundigt, und man hörte nicht mehr seine barsche Stimme; aber- und abermals hatte sich jeder Chef einer Batterie versichert, daß sein Geschütz zum augenblicklichen und wirksamen Dienst in Bereitschaft stehe. Selbst die Extrakriegsmunitionen waren schon aus ihren dunkeln, geheimen Behältnissen herbeigeholt, und das Bevorstehende nahm so ausschließlich die Teilnahme in Anspruch, daß nun auch das leisere Gesumme der Sprechenden verstummte. Der lebendige, überall hinschweifende Blick des Rovers konnte nirgends den geringsten Grund entdecken, der Festigkeit seiner Leute zu mißtrauen. Ernsthaft waren sie, wie es die Tapfersten und Ausdauerndsten in der Stunde der Prüfung immer zu sein pflegen; allein dieser Ernst war mit keinem Zeichen von Furcht vermischt, vielmehr schien er die Wirkung des auf einen einzigen Punkt gesammelten, aufs Äußerste gefaßten Entschlusses, der den menschlichen Geist zu Taten stärkt, die mehr Mut erfordern, als die gewöhnlichen Wagnisse kriegerischer Unternehmungen. In diesem allgemein aufmunternden Ausdruck der Kampflust entdeckte der umsichtige Anführer nur drei Ausnahmen, und zwar in seinem Leutnant und dessen beiden merkwürdigen Gefährten.

Wir haben bereits erwähnt, daß Wilders Benehmen nicht ganz so beschaffen war, wie es einem Manne seines Ranges in einer Stunde von hoher Wichtigkeit geziemt. – Wiederholt hatte der scharfe, unwillige Blick des Rovers dies Benehmen wahrgenommen, allein trotz allem Sinnen konnte er sich über den wirklichen Grund keine genügende Rechenschaft geben. Die Gesichtsfarbe des Jünglings war ebenso frisch, die Haltung seines Körpers ebenso fest als in den Stunden gänzlicher Sicherheit, um so mehr mußte das unstete Herumschweifen seines Auges, das zweifelvolle, unentschiedene Aussehen auf Zügen, die nur für entgegengesetzte Eigenschaften geschaffen schienen, den Anführer nachdenklich machen. Gleichsam als hoffte er in dem Benehmen der Gefährten Wilders eine Auflösung dieses Rätsels zu finden, suchte sein Auge Fid und den Neger auf. Sie hatten beide ihre Stellung an einer Kanone angewiesen bekommen, die dem Platze, den er selbst einnahm, zunächst stand, und bei der Fid den Kanonierdienst hatte.

Fest und unbeweglich gleich den Rippen des Schiffes war die Haltung des Toppgastes, wie er von Zeit zu Zeit einen Zeitenblick längs des Schaftes seiner Kanone tat. Auch war in seinem Wesen jene trauliche, fast väterliche Sorgfalt nicht zu verkennen, die des Seemanns Teilnahme an dem ihm anvertrauten Kommando so vorteilhaft auszeichnet. Und dennoch saß hohes verwirrtes Befremden in seinen rauhen Gesichtszügen, und es war nicht schwer zu entdecken, daß, jedesmal wenn sein Blick vom Antlitze Wilders auf den Feind hinüberschweifte, er darüber erstaunte, beide einander gegenüber zu sehen. Wie außerordentlich ihm aber auch offenbar ein solches Ereignis vorkam, so erlaubte er sich doch keine Bemerkung oder Klage, sondern schien ganz im Geiste jenes wohlbekannten Seegrundsatzes zu handeln, der den disziplinierten Matrosen einschärft: »Dem Schiffsbefehl werde pariert, wenn auch der Schiffsherr dabei krepiert!« Jeder Teil der athletischen Gestalt des Negers war ausdruckslos, ausgenommen seine Augen. Diese großen, kohlschwarzen Augäpfel rollten wie die des Toppmannes unablässig, nur schülerhafter, zwischen Wilder und dem fremden Segel hin und her, und bei jedem frischen Blicke schien sein Erstaunen zu wachsen.

Überrascht durch diese klaren Beweise eines außerordentlichen und doch gemeinschaftlichen Gefühls zwischen beiden, benutzte der Rover seine Stellung und die Entfernung seines Leutnants, um sie anzureden. Mit jenem vertraulichen Tone, den der Befehlshaber gegen seine Untergebenen anzunehmen pflegt, wenn der Moment ihrem Dienste hohe Wichtigkeit verleiht, sagte er, indem er sich über das dünne, den Abhang der Hütte von der Schanze abteilende Geländer hinüberlehnte:

»Ich hoffe, Master Fid, man hat Euch an eine Kanone gestellt, die zu sprechen versteht.«

»Es gibt auf dem ganzen Schiffe keinen glatteren Lauf, noch geräumigeres Maul, als die von meinem Blitz-Wilhelm hier«, erwiderte der Toppgast und streichelte dabei liebkosend den Gegenstand seiner Lobeserhebung. »Ich verlange nichts weiter als einen reinen Wischer und einen festen Kabelgarnpfropfen, Guinea, leg‘ mir mal ein halbes Dutzend Kugeln zurecht, nach deiner eigenen Manier, als wenn du mit einem paar Kugeln das Anker vom Tau losmachen wolltest; wenn die Affäre vorüber ist, so mögen die, die sie überleben, an Bord des Feindes gehen und schauen, wie Richard Fid seine Körner gepflanzt hat.«

»Ihr seid kein Neuling im Treffen, Master Fid?«

»Behüte Gott, was denken Ew. Gnaden? Ich mache mir aus Schießpulver nicht mehr, wie aus einer Priese trockenen Schnupftabaks! – Obzwar ich gestehen muß …«

»Was wolltet Ihr sagen?«

»Daß ich mich zuweilen bei dergleichen Geschichten ganz am unrechten Orte finde,« erwiderte der Toppmann, indem er zuerst einen Blick auf die Flagge Frankreichs und dann auf das ferne Sinnbild Englands tat, »ungefähr wie ein rückwärts gebogener Klüverbaum zuweilen einem Hintersegel zum Stump dienen muß. Na, ich denke; der junge Herr, der Harry, hat es alles schwarz auf weiß in der Tasche; aber soviel muß ich sagen, daß, wenn mal mit Steinen geworfen sein muß, so sähe ich’s doch lieber, daß Sie des Nachbars Geschirr entzwei schmissen, als meiner eigenen Mutter ihres – Guinea, hör‘ doch, noch ein paar Kugeln leg‘ her, sag‘ ich; denn solls Spiel doch einmal losgehen, i nu, so solls nicht an mir liegen, wenn der Blitz-Wilhelm seinem Namen nicht Ehre macht.«

Der Rover zog sich gedankenvoll und schweigend zurück und begegnete dem Blicke Wilders, dem er nochmals winkte, näherzutreten.

»Herr Wilder,« sagte er mit weicher Stimme, »nun begreife ich, was in Ihnen vorgeht. Da nicht alle in jenem Fahrzeuge Sie beleidigt haben, so würden Sie es lieber sehen, wenn Ihr Dienst gegen jene übermütige Flagge bei einem andern Schiffe anfangen könnte. Überdies ist wenig weiter als hohle Ehre in diesem Kampfe zu gewinnen – aus Schonung Ihrer Gefühle werde er vermieden.«

»Es ist zu spät«, sagte Wilder, traurig den Kopf schüttelnd.

»Sie sollen sehen, daß Sie sich irren. Der Versuch kostet uns vielleicht nur eine volle Lage, aber gelingen soll er. Gehen Sie, führen Sie unsere Gäste hinab an einen sicherern Ort, als die Kajüte ist, und wenn Sie wieder zurückkehren, soll sich die Szene verwandelt haben.«

Mit Vergnügen eilte Wilder in die Kajüte, wohin sich Mistreß Wyllys bereits zurückgezogen hatte; dort entdeckte er beiden Damen die Absicht seines Kommandeurs, ein Gefecht zu vermeiden, und geleitete sie tiefer in die Schiffsräume hinab, damit ihnen kein zufälliges Ereignis einst das Andenken an diese Stunde noch mehr verbittere. Nachdem sich unser Abenteurer dieser angenehmen Pflicht schleunig und sorgfältig entledigt hatte, eilte er mit Blitzesschnelle wieder aufs Verdeck hinauf.

Ungeachtet seine Abwesenheit ihm nur einen Augenblick gedauert zu haben schien, so war doch die Szene, wie der Rover versprochen hatte, vollkommen verwandelt; alle feindselige Zeichen waren verschwunden. Statt der Flagge Frankreichs sah er Englands Fahne an der Gaffel des Delphin flattern, während zwischen beiden Fahrzeugen ein rascher Austausch von wohlverstandenen Signalen tätig im Gange war. Von dem ganzen Gewölk von Leinwand, unter dem sich das Schiff des Rover noch vor wenigen Minuten beugte, waren die Bramsegel die einzigen, die der Wind noch füllte; die übrigen hingen in Festons, und flatterten lose vor einer günstigen Kühlde. Das Schiff selbst lief schnurgerade auf den Fremden zu, der seinerseits, offenbar ungern, wie jemand, dem eine wertvolle, schon erbeutet geglaubte Prise entwischt ist, mürrisch die leichteren Obersegel einholte.

»Klar ist’s, dem Kerl dort tut’s leid, daß er den, den er so kürzlich erst für seinen Feind hielt, jetzt als Freund betrachten muß«, sagte der Rover und machte seinen Leutnant auf die Zuversicht aufmerksam, mit der sich das nahe Schiff durch die falschen Signale berücken ließ. »Es ist eine lockende Versuchung; allein ich widerstehe ihr, Wilder, Ihretwegen.«

Der Blick des Leutnants schien verwirrt, er antwortete nicht. Auch war in der Tat nur wenig Zeit zum Gespräch oder zum Nachdenken übrig. Schnell schoß der Delphin auf seinem Pfade hin, und jeden Augenblick zerfloß der Nebel mehr und mehr, in dem die kleineren Gegenstände an Bord des Fremden durch die Ferne eingehüllt waren. – Kanonen, Blöcke, Taue, Bolzen, Menschen, sogar Gesichtszüge, wurden in rascher Aufeinanderfolge, in dem Verhältnisse, wie der Kiel des Freibeuters vorwärts durch die noch zwischenliegenden Wogen drang, deutlich sichtbar. Noch wenige Minuten, so fuhr der Fremde, nachdem er den größten Teil seiner kleinen Segel angeschnürt hatte, mit dem Winde heran; und bald darauf kam er mit dem Rumpf zum Stillestehen, indem zu diesem Zwecke die Hintersegel breitgebraßt waren, so daß sie der Wind von der Außenseite treffen mußte.

Die Leute auf dem Delphin hatten insofern die zuversichtliche Leichtgläubigkeit des königlichen Kreuzers nachgeahmt, daß auch sie ihre sämtlichen höheren Segel einholten; denn es gab keinen unter ihnen, der nicht, selbst bei einer so bedenklichen Nähe, bis zu der es seinem rätselhaften Anführer beliebte, einen so mächtigen Feind herankommen zu lassen, das unbedingte Zutrauen in dessen Klugheit und Mut gesetzt hätte – Eigenschaften, die ihnen, wie die Leute aus Erfahrung wußten, schon in viel schwierigern Umständen als die gegenwärtigen zustatten kamen. – Mit dieser Miene vermessener Zuversicht glitt der furchtbare Pirat seinem arglosen Nachbar entgegen, bis auf einige hundert Fuß von dessen Luvseite, wo er, einen zierlichen Halbkreis im Drehen beschreibend, vom Winde abfiel und zum stehen kam. Indessen konnte Wilder, den sämtliche Bewegungen seines Vorgesetzten mit stummem Staunen erfüllten, bald bemerken, daß der Vorsteven des Delphin eine von dem andern Schiffe verschiedene Richtung bekam, und daß die Hemmung im Laufe nur durch eine entgegenwirkende Verteilung der Vorderrahen hergestellt wurde; ein Umstand, der, bei der etwaigen Notwendigkeit einer Zuflucht zu den Kanonen, den Vorteil darbot, daß man das Schiff besser in der Gewalt behielt.

Noch dauerten die von der soeben beendigten Bewegung herrührenden Schwankungen des Schiffes fort, als rauh und beinahe unverständlich die gebräuchliche Aufforderung: Namen und Geschäft anzugeben, über das Wasser herüberschallte. Mit einem vielsagenden Blick auf seinen Leutnant setzte der Rover das Sprachrohr an den Mund und nannte zur Antwort den Namen eines bekannten königlichen Schiffes, dessen Größe und Stärke genau denen des seinigen entsprachen.

»Richtig,« rief eine Stimme im andern Fahrzeug, »ich hab‘ mir’s schon bei Euern Signalen gedacht, daß Ihr kein anderer wäret.«

Nun erfolgte der Gegengruß mit Nennung des Namens vom königlichen Kreuzer, und zugleich eine Einladung von seiten des Befehlshabers an seinen Herrn Amtsbruder, seinen Vorgesetzten zu besuchen.

Bis jetzt war nichts weiter vorgefallen, als was zwischen Seeleuten, die unter einer und derselben Flagge dienen, die herkömmliche Sitte mit sich bringt; allein der Zeitpunkt nahte mit raschen Schritten, wo es die meisten Menschen schwierig gefunden haben würden, die Täuschung länger aufrecht zu halten. – Doch weder Zaudern noch Zweifel konnte Wilders beobachtendes Auge in der Haltung seines Obern entdecken. Man hörte im Kreuzer die Trommel: Zum Rückzug von den Posten, rühren; mit der unbefangensten Gelassenheit befahl auch er dasselbe Zeichen, wodurch seine Leute von ihren Kanonen abgerufen wurden. Mit einem Worte, in fünf Minuten war zwischen beiden Schiffen, die bald im tödlichsten Kampfe gegeneinander begriffen gewesen wären, hätte das eine den Charakter des andern geahnt, jeder Anschein von Freundschaft und unbedingtem Vertrauen hergestellt. Als des Rovers zweifelhaftes Spiel diese Stufe erreicht hatte, und die Einladung Wilders Ohren noch nicht verklungen war, winkte jener ihn an seine Seite:

»Sie hören die Aufforderung, daß ich meinem Senior im königlichen Dienste einen Besuch abstatten soll«, sagte er, indem ein ironisches Lächeln um seine höhnende Lippe spielte. »Wünschen Sie nicht, von der Partie zu sein?«

Die Verwunderung, die dieser verwegene Vorschlag in Wilder erregte, war nichts weniger als erkünstelt. Kaum konnte er Worte finden, sich auszudrücken, endlich rief er:

»Sie werden doch nicht so tollkühn sein, diese Gefahr zu laufen!«

»Wenn Sie für ihre Person etwas befürchten, so kann ich auch allein gehen.«

»Befürchten!« gab der Jüngling mit erglühender Wange und blitzendem Auge zurück, »nicht Furcht, Kapitän Heidegger, sondern Klugheit rät mir, mich nicht zu zeigen. Meine Gegenwart würde das Geschäft dieses Schiffes verraten. Sie scheinen zu vergessen, daß in jenem Kreuzer niemand ist, der mich nicht kennt.«

»In der Tat, diesen Teil des Dramas hatte ich ganz außer acht gelassen. Wohlan, so bleiben Sie, und lassen Sie mich allein mit Sr. Majestät Kapitän die Komödie spielen.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er voran und winkte seinem Leutnant, ihm hinabzufolgen. Wenige Augenblicke reichten hin, seine blonden, goldenen Locken, die seinem Gesichte ein so jugendliches, munteres Aussehen gaben, in Ordnung zu bringen. Das phantastische Negligéhabit, das er gewöhnlich trug, wurde nun ersetzt durch einen, seinem angenommenen Range und Amte entsprechenden Anzug, der seiner Person auf das sorgfältigste fast mir einer stutzerhaften Aufmerksamkeit auf das in der Tat schöne Ebenmaß seiner Gestalt angepaßt war. Alles übrige, was zu der Maske gehörte, die ihm anzunehmen beliebte, war eben so rasch beendigt, so daß man notwendig auf den Gedanken kam, dergleichen Vermummungen pflegten nichts Seltenes bei ihm zu sein. Kaum war diese Veränderung in seinem Äußern bewirkt, so schickte er sich auch zur Ausführung seines Vorhabens an.

»Es sind schon viel sicherere und schärfere Augen getäuscht worden,« bemerkte er gelassen, indem er sich beim Sprechen vom Spiegel weg zu seinem Leutnant wendete, »als die, welche das Gesicht des Kapitäns Bignall zieren.«

»Sie kennen ihn also?«

»Herr Wilder, mein Treiben bringt es mit sich, daß ich manches wissen muß, was andere nicht wissen. Ha, ha, ich sehe es Ihnen am Gesichte an, Sie halten dieses Abenteuer für entsetzlich hoffnungslos und verzweifelt, und doch ist keines leichter zu bestehen. Am Bord des Pfeils, davon bin ich überzeugt, ist weder ein Offizier noch ein Gemeiner, der das Schiff, dessen Namen ich für gut fand, anzugeben, jemals gesehen hätte. Es ist zu jung von den Werften, als daß ich in dieser Hinsicht eine Gefahr liefe. Zweitens ist es nicht wahrscheinlich, daß ich in meinem angenommenen Charakter mit irgendeinem der Offiziere bekannt zu sein brauche; denn Sie wissen wohl, dies, Ihr ehemaliges Schiff, ist seit vielen Jahren nicht in Europa gewesen, und wenn Sie sich bemühen wollen, in dem genealogischen Verzeichnisse hier nachzulesen, so wird Ihnen einleuchten, daß ich kein anderer bin als der Sohn eines Lords, ein privilegierter Sterblicher, und daß das Schiff dort von England abwesend war, lange ehe ich noch zum Kommando, ja, ehe ich zum männlichen Alter heranreifte.«

»Diese günstigen Umstände habe ich freilich aus Mangel an Scharfsinn übersehen. Aber wozu wollen Sie überhaupt dieses Wagestück unternehmen?«

»Wozu? … Vielleicht habe ich den tief angelegten Plan: in Erfahrung zu bringen, ob die Prise die Mühe, sie zu nehmen, lohne; vielleicht … ist’s meine Laune so. Das Abenteuer hat einen furchtbar starken Reiz für mich.«

»Nicht minder furchtbar ist die Gefahr.«

»Gilt es solchen Genuß, zähle ich nicht erst die Kosten! – Wilder,« fuhr er fort, mit einem Blicke offenen, gutmütigen Vertrauens näher auf ihn zutretend, »ich gebe in Ihre Bewahrung mein Leben, meine Ehre; denn mir wenigstens gilt es als Entehrung, meine Leute im Stich zu lassen.«

»Ich werde das Pfand zu achten wissen«, erwiderte unser Abenteurer in einem so tiefen, unterdrückten Tone, daß seine Worte kaum vernehmbar waren. Der Rover tat noch einen festen Blick auf das ehrliche Gesicht seines Gefährten, lächelte dann, gleichsam als wollte er seine Zufriedenheit mit der gegebenen Versicherung ausdrücken, machte mit der Hand eine Abschiedsbewegung und wendete sich, um die Kajüte zu verlassen; da begegnete sein Auge einer dritten Gestalt. Die Hand leise auf die Schulter des sich ihm in den Weg drängenden Knaben gelegt, fragte er etwas streng:

»Was willst du mit dieser Reisefertigkeit, Roderich?«

»Meinem Herrn in das Boot folgen.«

»Knabe, man verlangt deine Dienste nicht.«

»Ach, selten verlangt man die seit einiger Zeit.«

»Wozu unnötigerweise noch mehr als ein Leben in Gefahr bringen, wo alles zu verlieren ist und nichts zu gewinnen?«

»Wagst du dein eigenes Leben, so wagst du mein alles«, antwortete er mit unendlicher Hingebung und in einer so leise bebenden Stimme, daß die halberstickten Töne nur von dem gehört wurden, für den sie gesprochen waren.

Der Rover hielt inne, seine Hand ruhte noch immer auf des Knaben Schulter. Sein fest auf ihn gerichtetes Auge, dessen Strahl die Menschen oft bis in das tiefverborgene Geheimnis des fremden Herzens dringen läßt, las des Knaben bewegte Züge. Endlich sagte er, mir weit mehr Milde und Güte in der Stimme:

»Roderich, dein Los ist das meine; wir gehen zusammen.«

Hastig fuhr er mir der Hand über die Stirn und stieg dann mit dem Knaben die Leiter hinauf; ihm folgte das Individuum, in dessen Treue er so großes Vertrauen setzte. Fest war der Tritt des Rover auf seinem Verdeck, und die Haltung seiner Gestalt so unerschrocken, als sähe er nicht das geringste Wagnis in seinem Vorhaben. – Mit der Genauigkeit eines Seemanns weilte sein Blick auf jedem Segel; keine Brasse, Rahe noch Bulinie entging seinen prüfenden Kenneraugen. Dann erst schritt er an die Seite, wo das Boot, das er zu besteigen im Begriff war, längst für ihn bereitgehalten wurde. Jetzt zum ersten Male brach ein matter Schein des Mißtrauens und des Zweifels durch die stolze, kühne Entschlossenheit seiner Züge, einen Augenblick zauderte sein Fuß, als er schon auf der Leiter stand. »Davis,« rief er rauh dem Menschen zu, von dem er durch eigene Erfahrung wußte, daß er im Verrat hinreichend geübt sei, »verlasse das Boot! – Ruft mir statt seiner den barschen Vormann des Vorkastells; wer gewöhnlich so groß tut im Sprechen, wird wohl, wo es sein muß, auch zu schweigen verstehen.«

Die Abänderung wurde auf der Stelle getroffen; denn dem Herrscherblick, den er angenommen hatte, war noch keiner im Schiffe jemals vermessen genug, nicht den augenblicklichsten Gehorsam zu leisten. Noch einen Augenblick stand er in tiefsinniger Stellung da, und dann verschwand der letzte Schatten von Sorge von seiner Stirn, und mit hochherzigem Vertrauen sprach er:

»Wilder, leben Sie wohl! Ich lasse Sie zurück als Anführer meiner Leute, als Herrn meines Schicksals, fest überzeugt, daß ich in beiden Beziehungen einem Würdigen vertraue.«

Gleichsam als verschmähte er die leere Förmlichkeit überflüssiger Versicherungen, stieg er schnell, ohne auf eine Antwort zu warten, ins Boot, das man auch schon im nächsten Augenblick unerschrocken auf den königlichen Kreuzer losrudern sah. Während der darauffolgenden kurzen Zwischenzeit, von dem Moment an, wo die Abenteurer abstießen, bis zu ihrer Ankunft auf dem feindlichen Schiffe, blieben die Zurückgelassenen in einer schmerzlichen Spannung. Der indessen, den der Ausgang zunächst und am meisten anging, verriet weder durch Blick noch Bewegung etwas von der Ängstlichkeit, die die Gemüter seiner Untergebenen erfüllte. Unter den, seinem angeblichen Range gebührenden Ehrenbezeugungen stieg er an der Schiffsseite seines Feindes hinan, mit einer freien Unbefangenheit, die denen, die da wähnen, daß vornehmes Leben und hohe Geburt Grazie und Würde verleihen, offenbar als Ausdruck dieser Eigenschaften erscheinen mußte. Frei, männlich, und der Seemannssitte gemäß, empfing ihn der ehrliche Veteran, dessen gegenwärtiges Kommando für seine lange und schwere Dienstzeit nur eine magere Belohnung abgab. Dieser nun führte gleich nach den ersten üblichen Begrüßungen seinen Gast in seine eigenen Gemächer.

»Nehmen Sie den Schiffsraum ein, Kapitän Howard, der Ihnen am besten behagt«, sagte der wenig Umstände machende, alte Teer und nahm dabei, um der treuherzigen Einladung mir eigenem Beispiele voranzugehen, ohne weitere Zeremonien selber Platz. »Ein Herr von Ihren außerordentlichen Verdiensten verschleudert gewiß nicht gerne seine Zeit mir leerem Wortschwall, obgleich Sie noch so jung sind – das heißt, jung, hinsichts des scharmanten Ranges, den Sie zu bekleiden so glücklich sind.«

»Im Gegenteil, ich versichere Ihnen, nachgerade komme ich mir vor, als wäre ich schon vor der Sündflut geboren,« erwiderte der Seeräuber, indem er sich ruhig an der entgegengesetzten Seite des Tisches niederließ, um seinem halbverdrießlichen Gesellschafter dann und wann besser ins Gesicht schauen zu können: »Werden Sie es mir glauben, Sir, wenn ich diesen Tag auslebe, so habe ich kein geringeres Alter, als mein dreiundzwanzigstes Jahr, erreicht.«

»Ich hatte Ihnen ein paar Jahre mehr zugetraut, mein junger Herr; doch zu London kommen die menschlichen Gesichter ebenso schnell zur Reife als unter der Linie.«

»Sie haben niemals ein wahreres Wort gesprochen, Sir. Jedes Fahrwasser, nur behüt‘ mich der Himmel vor dem von St. James. Auf Ehre, Bignall, der Dienst dort ruiniert Ihnen die derbste Konstitution. Es hat Augenblicke gegeben, wo ich wahr und wahrhaftig glaubte, ich würde jener demütige, ennuyante Sterbliche – ein Leutnant, bis zu meinem seligen Ende verharren.«

»Dann wären Sie freilich an einer galoppierenden Schwindsucht gestorben!« murmelte der verdrießliche Alte. »Nun, man hat Ihnen doch endlich ein ganz artiges Boot gegeben, Kapitän Howard.«

»Erträglich, lieber Bignall, aber klein, entsetzlich klein. Ich habe es meinem Vater frank heraus gesagt, daß, wenn der Seeminister keine Reform in den Dienst einführte, indem er bequemere Schiffe baute, die Flotte mit nächstem ganz und gar vom Bürgerpack besetzt sein würde. Finden Sie die Motion in Ihrem Eindecker nicht ungeheuer langweilig, Bignall?«

»Wenn sich ein Mann erst fünfundvierzig Jahre lang von der See hat hin und her schleudern lassen, Kapitän Howard,« versetzte sein Wirt, indem er sich, in Ermangelung eines andern Mittels, seinen Zorn zurückzuhalten, die grauen Locken strich, »so kümmert er sich wenig mehr darum, ob sein Schiff einen Fuß höher stampft, oder einen Fuß niedriger.«

»Aha! Dergleichen pflegt man philosophischen Gleichmut zu nennen; mein Humor ist es aber nicht. Geduld indessen! Nach dieser Reise soll ich plaziert werden; ich will mir dann schon Gönner sichern, damit man mir ein Wachtschiff in der Temse anvertraue; Sie wissen, Bignall, heutzutage braucht man weiter nichts als Gönner.«

Der ehrliche, alte Teer verschluckte seinen Unwillen, so gut es gehen wollte; und, als das wirksamste Mittel, die nötige Fassung zu behalten, um seiner Gastfreundschaft Ehre zu machen, beeilte er sich, das Gespräch auf einen andern Gegenstand hinzuleiten.

»Ich hoffe, Kapitän Howard, es ist noch nicht mit so vielem andern aus der Mode gekommen, die Flagge von Alt-England über dem Admiralitätspalast flattern zu sehen. Sie trugen diesen Morgen so lange die Farben von Louis, daß die nächste halbe Stunde uns wahrscheinlich im Handgemenge gefunden hätte.«

»Ha, ha, ha! Das war eine exzellente Kriegslist! Ganz gewiß, von dieser Maskerade werde ich eine ausführliche Beschreibung nach Hause schicken.«

»Tun Sie das, tun Sie das, Sir; man schlägt Sie vielleicht zum Ritter wegen dieser martialischen Tat.«

»Abscheulich, Bignall, Ritter! Ihre Herrlichkeit, meine Mutter, würde, bei der bloßen Idee davon, in Ohnmacht sinken. Seit der Zeit, wo Rittersein noch für vornehm galt, ist niemand in der Familie so was Gemeines gewesen als bloßer Ritter!«

»Lassen wir das, Kapitän Howard; aber glücklich war’s doch für uns beide, daß Sie Ihr französischer Humor so bald verließ, denn das geringste längere Zaudern hätte mir eine volle Lage abgeärgert. Beim Himmel, Sir, noch fünf Minuten, so gingen die Kanonen dieses Schiffes von selber los!«

»Besser so, besser so. Womit amüsieren Sie sich denn, Bignall (gähnend), in dieser langweiligen Weltgegend?«

»Ei nun, Sir, die Zeit, die ich nicht brauche, um dem Feinde Sr. Majestät auf dem Nacken zu sitzen, oder für mein eigenes Schiff zu sorgen, die vertreibe ich mir in Gesellschaft meiner Offiziere, da gibt’s also wenig Langweile.«

»Ach! Ihre Offiziere. Wahr, Offiziere müssen Sie ja wohl am Bord haben, wenn sie auch wahrscheinlich etwas altmodisch sein mögen, da sie Ihnen Kurzweil machen können. Wollen Sie mir gefälligst die Liste einmal zeigen?«

Der Befehlshaber des Pfeils erfüllte dies Verlangen und reichte seinem unbekannten Feinde die Schlachtrolle seines Schiffes hinüber, ohne daß es seine Aufrichtigkeit übers Herz bringen konnte, einem so verächtlichen Wesen auch nur einen Blick zu gönnen.

»Welch‘ eine Liste von Mouth-Städtern! Da sind, auf Ehre, nichts als Namen von Nar mouth und Ply mouth, und Ports mouth und Er mouth. Hier sind ja so viel Schmidts, daß sie allein die ganze Schmiedearbeit im Schiffe verrichten könnten. Aha! Hier ist ein Kerl, der in einer Sündflut von guten Diensten sein würde, Heinrich Arche! Wer ist denn dieser Heinrich Arche, den ich als Ihren ersten Leutnant hier aufgeführt sehe?«

»Ein Jüngling, dem nur ein paar Tropfen Ihres adeligen Blutes fehlen, Kapitän Howard, um einst an der Spitze der königlichen Flotte zu stehen.«

»Nu, wenn er denn von so außerordentlichem Verdienste ist, Kapitän Bignall, so ersuche ich Sie höflichst, ihn zu bitten, daß er uns mit seiner Gesellschaft beehre. Ich pflege meinem Leutnant jeden Morgen eine halbe Stunde zu widmen – wenn er von Adel ist, versteht sich.«

»Der arme Junge! Gott weiß, wo er in diesem Augenblick sein mag. Der wackere Bursche hat aus freiem Willen einen höchst gefährlichen Dienst übernommen, und ich weiß von seinem Erfolg nicht eine Silbe mehr als Sie. Nichts wollte helfen, weder Gegenvorstellungen noch Bitten. Der Admiral brauchte sehr dringend ein passendes Subjekt, und das Wohl der Nation forderte das kühne Unternehmen, und dann wissen Sie ja, daß sich Leute von niedriger Geburt in ganz anderem Fahrwasser als dem zu St. James ihre Beförderung erwerben müssen; denn der tapfere Junge verdankt sogar seinen Namen, der Ihnen so sonderbar vorzukommen scheint, einem Schiffswrack, wo er als Kind gefunden wurde.«

»Und doch ist er in Ihrer Schlachtrolle noch als erster Leutnant mitaufgeführt?«

»Und wird’s hoffentlich bleiben, bis er, wie er es so wohl verdient, ein eigenes Kommando bekommt. – Aber gütiger Himmel, ist Ihnen unwohl, Kapitän Howard? Knabe, he, ein Glas Grog!«

»Ich danke Ihnen, Sir«, erwiderte ruhig lächelnd der Rover, indem er das angebotene Getränk ablehnte. Das Blut strömte jetzt in sein Gesicht zurück mit einer Heftigkeit, die drohte, die Adern zu durchbrechen. – »Es ist weiter nichts als ein Übel, das ich von meiner Mutter erbte. Wir nennen es in der Familie: das Elfenbein der De Beres, was, soviel ich darüber erfahren konnte, keinen andern Grund hat, als daß eine meiner weiblichen Ahnen in gewissen Umständen durch einen Elefantenzahn gar sehr erschreckt wurde. Man sagt, es gebe uns ein liebenswürdiges Aussehen, solange es anhält.«

»Es gibt einem das Aussehen, als gehöre man mehr in die Ammenstube seiner Mama als auf die stürmische See. Mich freut’s indessen, daß es so bald vorüber gegangen ist.«

»Heutzutage behält niemand lange ein und dasselbe Gesicht, Bignall. – Dieser Herr Arche ist also am Ende denn doch eigentlich niemand.«

»Ich weiß nicht Sir, was Sie jemand nennen mögen; allein, wenn echter Mut, große Verdienste um sein Fach und unerschütterliche Anhänglichkeit an seinen König auf Ihrem kürzlich verlassenen Boden etwas gelten, Kapitän Howard, so wird Heinrich Arche bald eine Fregatte kommandieren.«

»Wenn man wüßte, worauf sich eigentlich seine Ansprüche gründen,« fuhr der Rover fort, mit einem so freundlichen Lächeln und einer so einschmeichelnden Stimme, daß die Wirkung seiner angenommenen Manier dadurch halb geschwächt wurde, »so könnte man vielleicht in einem Brief nach Hause ein Wörtchen fallen lassen, das dem jungen Manne nicht nachteilig sein würde.«

»Wollte Gott, ich dürfte nur von der Beschaffenheit des Dienstes, den er jetzt ausführt, ein Wort sagen«, erwiderte eifrig der warmherzige alte Seemann, der ebenso schnell von seinem Unwillen zurück-, als hineinzukommen pflegte. »So viel können Sie indessen bestimmt von seinem allgemeinen Charakter sagen, daß er voller Ehre, ohne Scheu vor Gefahr ist, und nichts anders als das Wohl der Untertanen Sr. Majestät im Auge hat. Ich leugne nicht, es ist noch kaum eine Stunde her, daß ich glaubte, sein Unternehmen sei ihm vollkommen geglückt. – Pflegen Sie oft Ihre oberen Segel beizusetzen, Kapitän Howard, während die größeren Untersegel angeschnürt bleiben? Für mich hat ein Schiff in solchem Aufzuge ungefähr das Aussehen eines Menschen, der seinen Rock anzieht, ehe er seine Beine in das Futteral seiner Hosen gesteckt hat.«

»Sie sprechen von dem Umstand, daß mein großes Bramsegel flatterte, als Sie mich zuerst gewahr wurden?«

»Von nichts anderem. Wir hatten wohl Eure Spieren mit Mühe durch die Ferngläser gesehen; dann aber verloren wir Euch wieder gänzlich aus dem Gesichte, als auf einmal ein Ausguck die wehende Leinwand entdeckte. Es war auffallend, um mich am mildesten darüber auszudrücken, und hätte kurios genug ausfallen können.«

»Ach! ich mache oft solche Streiche, bloß um drollig zu sein. Drollig sein, wie Sie wissen, ist ein Beweis von Geschicklichkeit. Doch, auch ich komme mit einem besondern Auftrage in diese Meeresgegenden.«

»Und der wäre?« fragte barsch sein Gesellschafter, mit einer Unruhe auf seiner sich furchenden Stirn, die zu verbergen er zuviel Einfalt besaß.

»Mich nach einem gewissen Schiffe umzusehen, das mir allerdings ungeheure Beförderung verschaffen wird, sollte ich so glücklich sein, ihm zu begegnen. Eine Zeitlang glaubte ich, Sie wären kein anderer als der Herr, dem ich nachspüre, und wenn Ihre Signale nicht so sehr alle Zweifel beseitigten, auf Ehre, so hätte es zwischen uns zu was Ernstlichem kommen können.«

»Und für wen hielten Sie mich, wenn man so frei sein darf?«

»Für niemand anders, als jenen berüchtigten Schelm, den roten Freibeuter.«

»Was zum Teufel dachten Sie! Glauben Sie denn, Kapitän Howard, daß irgendein Freibeuter auf der See schwimmt, der solches Tau- und Segelwerk über sich führt, wie an Bord des Pfeils anzutreffen? So einen Beisatz der Segel – so einen Ausschuß der Masten – und so einen Schritt des Kiels? Zur Ehre Ihres Schiffes, Sir, will ich hoffen, daß sich der Irrtum nur auf dessen Kapitän beschränkte?«

»Bis wir nahe genug kamen, um die Signale lesen zu können, war wenigstens die Hälfte der wichtigeren Urteile auf meinem Schiffe gegen Sie, Bignall, ich erkläre es auf Ehre. In der Tat, Ihr seid so lange von Hause weg, daß der Pfeil ordentlich ein seeräuberisches Aussehen bekommt. Es mag Sie vielleicht etwas empfindlich machen, allein ich sage Ihnen nur als Freund: so ist die Sache.«

»Und, da Sie mir die Ehre erzeigten, mein Fahrzeug für einen Korsaren anzusehen,« erwiderte der alte Teer, seinen Zorn durch erzwungene ironische Heiterkeit unterdrückend, wodurch sein Mund in ein grimmiges Lächeln verzogen wurde, »so haben Sie am Ende diesen ehrbaren Herrn hier gar für den Gott-sei-bei-uns gehalten? Wie?«

Der Kommandeur des Schiffes, dem so ein gehässiges Gewerbe zugetraut wurde, leitete bei diesen Worten das Auge seines Gesellschafters auf die Gestalt eines dritten Individuums, das mit der Freiheit einer bevorrechteten Person in die Kajüte getreten war, allein so leisen Schrittes, daß man es nicht hörte. Als diese unerwartete Gestalt dem scharfen, ungeduldigen Blick des angeblichen königlichen Offiziers begegnete, erhob sich dieser unwillkürlich rasch von seinem Sitze, und eine halbe Minute lang verließ ihn offenbar jene bewunderungswürdige Gewalt, die er über seine Muskeln und Nerven zu üben pflegte, und die ihm so trefflich in der Fortsetzung seines Spiels zustatten kam. Doch war er nur eine zu kurze Zeit außer Fassung, um aufzufallen, und nun erwiderte er die Begrüßung eines alten Mannes, dessen Blick Milde und Demut ausdrückte, ruhig und mit jenem freundlichen, höflichen Wesen, das ihm so natürlich stand.

Nachdem die gegenseitigen Verbeugungen zwischen ihm und dem Fremden vorüber waren, sagte er: »Dieser Herr ist Ihr Kaplan, Sir, wie ich aus seinem geistlichen Anzuge schließe?«

»Ja, Sir – ein würdiger und ehrlicher Mann, den ich mich nicht schäme, Freund zu nennen. Der Admiral hat die Güte gehabt, mir ihn, nach einer dreißigjährigen Trennung, für diese Reise zu überlassen; und wenn auch mein Fahrzeug keines von den größten ist, so fühlt er sich doch hier ebenso glücklich als auf dem Admiralschiffe. – Dieser Herr, lieber Doktor, ist der ehrenwerte Herr Howard, Kapitän des königlichen Schiffes die Gazelle. Über seine Verdienste darf ich nicht erst viel sagen, da das Kommando, das er in seinen Jahren führt, ein hinlänglicher Beweis davon ist.«

Im Anschauen des Geistlichen, als sein Blick zuerst auf die Züge des vermeinten Ahnensprößlings fiel, war eine Art von verwirrter Überraschung nicht zu verkennen; doch war sie minder sichtbar und von weit geringerer Dauer, als die des Angeschauten. Er verbeugte sich nochmals mit mildem Anstande und jener tiefen Ehrfurcht, die lange Gewohnheit selbst den bestgesinnten Menschen einflößt, wenn sie mit der eingebildeten Erhabenheit erblicher Größe in nähere Berührung gebracht werden; er schien indes nicht zu glauben, daß die Gelegenheit mehr als die gewöhnlichen Begrüßungsworte von ihm verlangte. Daher wendete sich der Rover ruhig wieder zu seinem Gesellschafter, dem Veteran, und setzte das Gespräch mit der ihm so natürlichen Würde fort:

»Kapitän Bignall, es ist meine Pflicht, bei gegenwärtigem Vorhaben Ihren Bewegungen gehorchend zu folgen. Ich will jetzt in mein Schiff zurückkehren; und wenn wir beide, wie ich zu vermuten beginne, in dieser Seegegend gleichen Auftrag haben, so können wir bei größerer Muße einen durch Ihre Erfahrung vollkommen durchdachten Kooperationsplan entwerfen, der uns zur Erreichung unseres gemeinschaftlichen Zieles führen wird.«

Durch diese Einräumung seiner reifern Erfahrung und seines höhern Ranges sehr besänftigt, nötigte der Befehlshaber des Pfeils mit Herzlichkeit seinen Gast zu diesem und jenem, und schloß seine Höflichkeiten mit der Einladung zu einem Schiffsgastmahl auf den Nachmittag. Den ersteren gastfreundschaftlichen Nötigungen setzte der Rover eine höfliche Ablehnung entgegen, die letzte aber nahm er an und benutzte die Einladung selbst zu einer Entschuldigung, daß er schleunig in sein Schiff zurück müsse, um die seiner Offiziere auszuwählen, die er für die Würdigsten erachten würde, an dem versprochenen Gastmahl teilzunehmen. – Der alte und wirklich höchst verdiente Bignall hatte, ungeachtet seines in der Regel derben, barschen Charakters, zu lange in Dürftigkeit und verhältnismäßiger Dunkelheit gedient, als daß ihm die Sehnsucht nach Beförderung fremd geblieben wäre, die nach schwerem Dienst und langer Zögerung dem Menschen so natürlich ist. Daher behielt er bei aller seiner angebornen männlichen Redlichkeit dennoch ein wachsames Auge auf die Mittel, die ihm zur Erreichung seines ersehnten Ziels verhelfen könnten, und es darf also nicht wundernehmen, daß sein Abschied von dem geglaubten Sohn eines mächtigen Mannes bei Hofe freundlicher war als die Unterredung selbst. Mit beständigen Verbeugungen begleitete er den Piraten aus der Kajüte auf das Verdeck zurück, so daß es wenigstens den Schein hatte, als erwiderte er das bezeigte Wohlwollen. Hier angelangt, warfen die unruhigen Augen des sogenannten Kapitäns Howard einen raschen, argwöhnischen und vielleicht unruhigen Blick auf die Gesichter aller, die sich um die Fallreepstreppe, an der er im Begriff war, hinabzusteigen, gruppiert hatten; indes nahm er bald wieder seinen nachlässigen und zugleich etwas wegwerfenden Ausdruck an, um der Rolle, die seiner Laune nun einmal zu spielen beliebte, ganz zu genügen. Hierauf schüttelte er dem würdigen und vollkommen getäuschten alten Seemanne herzlich die Hand, und mit einer halb hochmütigen, halb herablassenden Miene berührte er den Hut zum Abschied von den Subalternen. – Er war schon im Hinabsteigen in sein Boot begriffen, als der Kaplan oben seinem Kapitän mit großer Angelegentlichkeit etwas ins Ohr flüsterte. Eilig rief hierauf dieser seinen scheidenden Gast zurück, ihn mit auffallendem Ernst ersuchend, ein Wort allein mit ihm und dem Geistlichen zu sprechen. Der Seeräuber ließ sich von beiden beiseite führen, und die Ruhe in seiner Haltung, als er dastand und ihre Eröffnung erwartete, machte seinen Nerven nicht wenig Ehre.

»Kapitän Howard,« fing nun der warmherzige Bignall an, »haben Sie einen Geistlichen auf Ihrem Schiffe?«

»Zwei, Sir«, war die schnellfertige Antwort.

»Zwei! Es ist eine Seltenheit, in einem Kriegsschiff einen überzähligen Geistlichen zu finden. Doch,« murmelte er vor sich hin, »der Kerl bekäme selbst einen Bischof durch seinen Einfluß bei Hofe. – Sie sind in dieser Hinsicht glücklich, junger Herr, denn ich verdanke die Gesellschaft meines würdigen Freundes hier mehr der Neigung als dem Gebrauche. Er hat mich aber ausdrücklich gebeten, daß ich den geistlichen … ich wollte sagen, die geistlichen Herren in Ihrem Schiffe in der Einladung mit einschließe.«

»Sie sollen sie haben, die ganze Theologie, die in meinem Schiffe ist, Bignall, ich schwöre es.«

»Ich glaube doch, Ihren ersten Schiffsleutnant ebenfalls ausdrücklich genannt zu haben?«

»O, der soll, tot oder lebendig, von Ihrer Partie sein, verlassen Sie sich drauf«, erwiderte der Rover mit einer Hast und Heftigkeit in der Aussprache, die seinen beiden Zuhörern bis zum Erschrecken auffiel. – »Er ist vielleicht nicht gerade eine Arche, auf die Sie den müden Fuß setzen können; doch, so wie er einmal ist, steht er zu Ihren Diensten. Und nun, noch einmal, leben Sie wohl.«

Sich abermals verbeugend, schritt er mit seinem vorherigen gemessenen Wesen auf die Fallreepstreppe zu und blickte beim Hinabsteigen das erhabene Kardeelenwerk des Pfeils fest und ungefähr so an, wie ein Stutzer den Anzug eines erst kürzlich aus der Provinz Angekommenen zu betrachten pflegt. – Sein Vorgesetzter wiederholte die Einladung mit Wärme und winkte ihm gutmütig ein: Lebewohl! Auf Wiedersehen! zu, nicht wissend, daß er so den Mann entwischen ließ, dessen Gefangennehmung ihm die lange verschobenen und noch immer erwarteten Vorteile verschafft haben würde, nach deren Besitz er mit der ganzen Sehnsucht einer grausam hingehaltenen Hoffnung schmachtete.

Vierzehntes Kapitel.

Vierzehntes Kapitel.

Die erste Wache der Nacht war durch keinen Wechsel bezeichnet. Wilder hatte sich zu seinen Reisegefährtinnen begeben, heiter und mit jenem freudigen Wesen, das kein Seeoffizier ganz verbergen kann, wenn es ihm gelungen ist, sein Fahrzeug durch die Gefahren unbeschädigt hindurchzuführen, die ihm in der Nähe von Land in Menge drohen, und wenn kein Zweifel mehr ist, daß es sich nun auf der weiten, pfadlosen, unergründlichen Tiefe des Ozeans befinde. Keine Anspielung mehr auf das Gewagte der Fahrt, nein, er bemühte sich durch die tausend namenlosen Aufmerksamkeiten, die ihm vermöge seiner Stellung zu Gebote standen, alle Erinnerungen an das Vergangene wegzuscheuchen. Mistreß Wyllys gab sich auch seinem nicht zu verkennenden Bestreben, ihre Besorgnisse zu beschwichtigen, willig hin, und wer nicht wußte, was sich früher zwischen beiden zugetragen hatte, würde den kleinen, um die Abendmahlzeit versammelten Kreis für eine Gruppe zufriedener Reisenden gehalten haben, die, einander vollkommen verstehend und trauend, ihr Unternehmen unter den glücklichsten Vorbedeutungen beginnen.

Es war indessen ein Etwas in dem gedankenvollen Auge und der umwölkten Stirne der Gouvernante, wenn sie von Zeit zu Zeit den Blick auf unsern Abenteurer richtete, was nichts weniger als ein ruhiges Gemüt bezeichnete. Sie hörte seine munteren und, wegen der vielen Seeausdrücke, eigentümlichen Scherze mit einem zugleich nachsichtigen und traurigen Lächeln an, als riefe ihr seine jugendliche Heiterkeit, die sich in einem besonders drolligen, Seemännern eigenen Humor äußerte, wohlbekannte aber traurige Bilder vor die Seele. In Gertrauds Vergnügen war weniger bittere Mischung; ihr lachte die schöne Aussicht einer Heimat, mit einem geliebten und liebenden Vater, und bei jedem neuen Ruck des Schiffes kam es ihr vor, als sei nun wieder eine von den langweiligen Meilen, die sie solange von ihrem Vater getrennt hatten, glücklich besiegt.

Während dieser kurzen aber angenehmen Stunden erschien der Abenteurer, der auf eine so seltsame Weise den Beruf zum Kommando des Bristolers bekommen hatte, in einem neuen Lichte. War auch männliche Offenheit eines Matrosen der Hauptzug in seiner Unterhaltung, so war sie doch gemildert durch ein Zartgefühl, das aus eine höchst sorgfältige Erziehung schließen ließ.

Gar manchmal kämpfte Gertrauds schöner Mund vergebens gegen ein Lächeln an, das, von den weichen Lippen ausgehend, in den Grübchen ihrer Wangen spielte, und ein- oder zweimal, als der Humor Wilders plötzlich ihre junge Einbildungskraft durchkreuzte, durchbrach die Natur allen Zwang der Etikette, und das Mädchen überließ sich der unwiderstehlichen Neigung zur Fröhlichkeit.

Eine Stunde zwanglosen Umgangs auf einem Schiffe erweicht eher die starre, äußere Kruste, die die Welt um die besten menschlichen Gefühle zieht, als ganze Wochen der nichtssagenden, nichtsbedeutenden Zeremonien auf festem Lande. Wer zur See gewesen ist und diese Wahrheit nicht an sich erfahren hat, der tut wohl, in seine geselligen Eigenschaften einiges Mißtrauen zu setzen. Wenn sich der Mensch einsam auf dem Meere sieht, dann fühlt er am tiefsten und wahrsten, wie sehr sein Glück von seinen Mitgeschöpfen abhängig ist, dann werden ihm Gefühle heilig, mit denen er im Übermut des Überflusses freventlich spielte, dann gewährt ihm nichts erhebenderen Trost als das Mitgefühl menschlicher Wesen. Gemeinschaftliche Gefahr erzeugt gemeinschaftliche Teilnahme, mag es nun Personen oder Vermögen betreffen. Ein Psychologe dürfte vielleicht noch hinzufügen, daß auf der See ein jeder die Lage und das Schicksal des andern als den bloßen Anzeiger seiner eigenen Lage, seines eigenen Schicksals betrachte, und deswegen mehr Wert darauf zu legen scheine. Wenn dieser Schluß Wahrheit enthält, so müssen wir der Vorsehung danken, die Besseren unter den Menschen so geschaffen zu haben, daß dieses niedrige Gefühl in ihnen zu tief verborgen liegt, um entdeckt, um von der Person selbst bemerkt zu werden. Wenigstens gehörte niemand von den dreien, die die ersten Stunden des Abends um den Tisch in der Kajüte der Royal Carolina zubrachten, zu einer so selbstsüchtigen Klasse. Die Freiherzigkeit des Augenblicks schien die so ausgezeichnet zweideutige Art ihres früheren Umgangs ganz in Vergessenheit gebracht zu haben; oder vielmehr die Erinnerung an das Geheimnisvolle der Umstände und an die Teilnahme des jungen Mannes an ihrem Schicksal diente nur dazu, ihn den Damen noch interessanter zu machen.

Die Schiffsglocke hatte eben acht Uhr geschlagen, und der heisere, langanhaltende Ruf, der die schläfrigen Matrosen aufs Verdeck rief, erschallte, ehe die kleine Gesellschaft gewahr wurde, daß die Zeit schon so vorgerückt sei.

»Es ist die mittlere Wache«, sagte Wilder und lächelte über Gertraud, wie sie bei dem unbekannten Ton zusammenschreckte und aufhorchend dasaß, einem furchtsamen Reh ähnlich, wenn der Schall des Jägerhorns sein Ohr trifft. »Wir Seeleute sind nicht immer musikalisch, wie Sie hören können, meine Damen. Bei alledem aber klangen Ihnen die Töne des Rufenden bei weitem nicht so unmelodisch als gewissen Ohren auf diesem Schiffe.«

»Sie meinen die Schlafenden?« sagte Mistreß Wyllys.

»Ich meine die Wache unten, die zum Dienst gerufen wird. Der Matrose des Fockmasts kennt in dieser Welt nichts Süßeres als den Schlaf, weil er eben der ungewisseste aller seiner Genüsse ist. Der Kommandeur hingegen kennt keinen Gefährten, der verräterischer wäre.«

»Und warum ist dem Obern der Schlaf minder süß als dem gemeinen Matrosen?«

»Weil das Kissen, worauf sein Haupt ruht, Verantwortlichkeit heißt.«

»Sie sind sehr jung, Herr Wilder, für das Ihnen anvertraute Kommando.«

»Im Dienste zur See wird man früher alt als sonst.«

»So sollte man ihn lieber aufgeben!« – sagte Gertraud etwas hastig.

»Aufgeben!« erwiderte er und blickte sie, einen Augenblick innehaltend, fest an. »Ich kann ebenso leicht die Luft, die ich atme, aufgeben.«

»Gehören Sie Ihrem jetzigen Stande schon solange an?« nahm Mistreß Wyllys das Gespräch wieder auf, indem sich ihr Auge, das bisher sinnend auf Gertraud geruht hatte, auf Wilder wendete.

»Ich habe Ursache zu glauben, daß ich zur See geboren wurde.«

»Glauben! Wissen Sie denn nicht, wo Sie geboren sind?«

»Was dieses wichtige Ereignis im menschlichen Leben betrifft, so muß wohl ein jeder dem glauben, was ihm andere davon sagen, wissen kann er’s nicht«, sagte Wilder lächelnd. »Meine frühesten Erinnerungen verschmelzen sich mit dem Anblick des Meeres, so daß ich mich wirklich kaum zu den Landgeschöpfen zu rechnen wage.«

»Wenigstens sind Sie dann glücklich gewesen in Beziehung auf die, die über Ihre Erziehung und die Tage Ihrer Kindheit wachten.«

»Das bin ich!« antwortete er mit vielem Nachdruck, fuhr mit der flachen Hand flüchtig über die Stirn, stand dann auf und fügte traurig lächelnd hinzu: »Und nun zu meiner letzten Pflicht in den ersten vierundzwanzig Stunden. Fühlen Sie sich geneigt, einen Blick in die Nacht zu tun? Eine so erfahrene und mutige Seefahrerin sollte ihre Hängematte nicht eher aufsuchen, als bis sie sich vom Zustand des Wetters unterrichtet hat.«

Sie nahm seinen dargebotenen Arm an, und schweigend stiegen sie die Treppe der Kajüte hinan, beide scheinbar in Betrachtungen versunken. Die regsamere Gertraud folgte, und alle begaben sich auf die Schanze des Schiffes.

Die Nacht war weniger finster als nebelig. Der volle und glänzende Mond war zwar aufgegangen, allein er verfolgte am Abendhimmel seinen Pfad hinter düsteren Wolkenmassen, die viel zu dicht waren, als daß sie seine erborgten Strahlen hätten durchdringen können. Hier und dort nur brach sich ein einsamer Strahl Bahn durch einen minder dichten Dunstkörper und schimmerte auf dem Wasser gleich der bleichen Erleuchtung eines fernen Kerzenlichtes. Da der Wind straff von Osten blies, so schien der bewegte Spiegel der See mehr Licht auszustrahlen, als er erhielt; es folgten einander lange Linien weißen, gleißenden Schaumes, die, freilich nur auf Augenblicke der Oberfläche der Gewässer eine Helle gaben, die dem Himmel oben abging. Das Schiff neigte sich stark auf eine Seite hin, und jedesmal, wie es eine frische Woge durchschnitt, bildete sich ein weiter Halbkreis von Schaum vor ihm her, gleichsam als tanzte das Element vor seinem Pfade daher. Allein wenn auch die Zeit günstig war, der Wind nicht entschieden konträr, und der Himmel wohl düster, aber nicht drohend aussah, so lieh ein gewisses irres, »für den Blick eines Nichtmatrosen unnatürliches«, Licht der ganzen Szene das Ansehen der ödesten Verlassenheit.

Gertraud fuhr etwas in sich zusammen, als sie aufs Verdeck kam, ein Ton schauerlichen Entzückens entschlüpfte ihr unwillkürlich. Auf die dunkel wallenden Wogen am Horizont, wo jenes übernatürliche Leuchten am stärksten zu bemerken war, schaute auch Frau Wyllys hin und fühlte tief, wie sie sich so ganz in den Händen des Wesens befände, das die Wasser wie das Land erschaffen hat. Für Wilder hatte das Schauspiel nicht mehr Erregendes, als ein heiteres Himmelsgewölk für die auf dem Lande: er war des Anblicks zu gewohnt, um noch dadurch zur Andacht oder zum Entzücken hingerissen werden zu können. Aber anders war es mit seiner jungen und ein wenig zur Schwärmerei geneigten Reisegefährtin. Der Schauer des ersten Anblicks ging in die Flut der Bewunderung über, und sie rief:

»Eine monatlange Gefangenschaft in einem Schiffe wird überschwenglich belohnt durch einen einzigen solchen Anblick! Ach, Herr Wilder, Sie sind ein glücklicher Mensch, Sie können dieses Schauspiel genießen, so oft Sie wollen.«

»Ach ja, es ist recht angenehm, gewiß. Ich wollte, der Wind räumte um einen oder zwei Punkte! Dieser Himmel will mir nicht gefallen, jener nebelige Horizont auch nicht, und am allerwenigsten diese so schlaffe Kühlde nach Osten zu.«

»Das Schiff segelt sehr schnell«, erwiderte ruhig Mistreß Wyllys, als sie bemerkte, daß der junge Mann seine Gedanken unüberlegt laut werden ließ, und sich keine gute Wirkung davon auf ihre Pflegebefohlene versprach. »Wenn es so fort geht, so steht uns eine schnelle und glückliche Fahrt bevor.«

»Wahr!« rief Wilder, als wenn er erst jetzt ihre Gegenwart bemerkte, »wahr, sehr wahr, höchstwahrscheinlich! Earing, die Luft wird zu stark für die Segeltücher, beschlagt alle Bramsegel und braßt sie dichter beim Winde. Wenn der Wind so fortfährt Ost bei Süd, so können wir nicht schnell genug weiter hinaus ins Freie.«

Die Antwort des Offiziers drückte die Bereitwilligkeit und den Gehorsam aus, der Seeleuten gegen ihre Vorgesetzten eigen ist; einen Augenblick prüfte er, umherschauend, die Wetterzeichen und schritt alsdann zur Ausführung des Befehls. Während die Leute auf den Rahen die leichteren Segel zusammenschnürten, nahmen die Damen einen andern Platz ein, um dem jungen Kommandeur bei der Verrichtung seines Amtes nicht hinderlich zu sein. Allein diese Verrichtung war Wildern eine so gewöhnliche, daß sie seine Aufmerksamkeit nicht fesselte, und kaum hatte er den Befehl erteilt, so schien er sich dessen auch nicht mehr bewußt. Noch stand er auf demselben Fleck, wo er beim Heraufsteigen aus der Kajüte zuerst den Ozean und den Himmel erblickt hatte; noch war sein Blick wie angeheftet an den beiden Elementen, obgleich er den wechselnden Richtungen des Windes folgte, der zwar nicht stürmisch war, doch in heftigen und mürrischen Stößen auf die Segel eindrang. Nach langer ängstlicher Untersuchung murmelte er seine Gedanken vor sich hin und begann raschen Schrittes auf dem Verdeck auf und ab zu gehen, doch nicht ohne zuweilen plötzlich auf eine Sekunde innezuhalten, während er nach dem Punkte des Kompasses hinschaute, von woher die Windstöße kamen, als wenn er dem Wetter nicht ganz traute und gerne mir dem scharfen Blick die Hülle der Nacht durchdringen möchte, um irgendeine schmerzliche Ungewißheit los zu werden. Endlich hielt er bei einer jener raschen Wendungen, die er jedesmal am Ende seiner kurzen Spazierbahn zu machen pflegte, seine Schritte an. Mistreß Wyllys und Gertraud standen nahe genug, um in seinem ängstlich forschenden Gesicht lesen zu können. Sein Auge wandte sich plötzlich nach der entgegengesetzten Seite und weilte auf einem entfernten Punkt im Meere.

»Trauen Sie dem Wetter nicht?« fragte endlich die Gouvernante, als ihr sein langes, zögerndes Forschen von schlimmer Vorbedeutung schien.

»Wenn der Wind so wie jetzt steht, muß man sich nicht leewärts nach den Wetterzeichen umsehen«, war die Antwort.

»Was sehen Sie denn dort, das Ihre Blicke so sehr fesselt?«

Wilder erhob seinen Arm und wollte eben sprechen: dann ließ er ihn wieder sinken, drehte sich auf dem Absatz herum, murmelte etwas von »Täuschung« vor sich hin, und ging noch rascheren Schrittes als vorher auf und ab.

Seine Gefährtinnen beobachteten seine ungewöhnlichen, scheinbar unwillkürlichen Bewegungen mit Erstaunen und nicht ohne ein heimliches Regen des Entsetzens. Sie richteten nun die Blicke leewärts über die Ausdehnung des bewegten Meeres hin, konnten aber weiter nichts entdecken, als die sich überstürzenden Wogen, deren obere Umrisse von weißem Schaume der erstarrenden Wasserwüste ein noch öderes und schauerlicheres Ansehen gaben.

»Wir können nichts sehen«, sagte Gertraud, als Wilder wieder im Gehen innehielt und wie vorher ins Leere hineinstarrte.

»Schaut!« antwortete er, ihre Blicke mit dem Finger leitend. »Ist dort nichts?«

»Nichts.«

»Sie sehen aufs Meer. Hier, just wo das Himmelsgewölbe die Wasser berührt, längs jenem Streifen nebeligen Lichtes, wo sich die Wogen heben wie kleine Landhügel. Dort – jetzt fällt die Woge wieder, und mein Auge täuschte mich nicht. Beim Himmel! Es ist ein Schiff!«

»Ein Segel, ahoi!« rief eine Stimme aus dem Mastkorb, die in den Ohren unsers Abenteurers wie das Kreischen eines bösen über die See hinschwebenden Geistes tönte.

»Wes Weges?« wurde rasch gefragt.

»Hier auf unserer Leeseite, Sir«, schrie der Matrose oben, so laut er konnte. »Soviel ich erkenne, ist’s dicht beim Winde, das Schiff; eine ganze Stunde hat’s mehr einem Nebel als einem Schiffe gleich gesehen.«

»Jawohl, er hat recht,« brummte Wilder vor sich hin; »und doch ist’s seltsam, daß ein Schiff gerade dort sein sollte.«

»Und warum seltsamer, als daß wir hier sind?« fragte Frau Wyllys.

»Warum!« sagte der Jüngling, sie mit bewußtlosen Blicken anstarrend. »Es ist seltsam, daß es dort steht. Wollte Gott, es steuerte nordwärts.«

»Allein Sie erklären sich nicht. Sollen wir immer«, fuhr sie mit einem Lächeln fort, »nur Warnungen von Ihnen bekommen, ohne Gründe? Halten Sie uns eines Grundes so ganz unwürdig, oder jedes Verstehens über Seegegenstände für unfähig? Der Versuch ist Ihnen nicht gelungen, und Sie sind zu rasch in Ihrem Urteil. Stellen Sie uns einmal auf die Probe, vielleicht halten wir uns besser als Sie erwarten.«

Wilder lächelte leise und machte eine Verbeugung, als wenn er jetzt erst zur Besinnung käme, ließ sich aber auf keine Erklärung ein, sondern richtete wieder den Blick nach der Seite des Meeres, wo das fremde Segel sein sollte. Die Damen folgten seinem Beispiel, doch immer mit demselben schlechten Erfolge. Gertraud drückte ihren Verdruß darüber aus, und die weichen Töne der Klagenden sanken den Weg zum Gehör unseres Abenteurers.

»Sie sehen den Streifen bleichen Lichtes«, sagte er, den Finger über die See ausstreckend. »Die Wolken haben sich etwas gehoben dort, nun versperrt uns der Wasserstaub den Anblick. Sehen nicht die Spieren im Widerschein des Gewölks wie ein zartes Spinngewebe aus, und doch sehen Sie alle Verhältnisse und die drei Masten eines stattlichen Fahrzeuges.«

Unterstützt durch diese Leitung erschaute Gertraud endlich den kaum bemerkbaren Gegenstand, und es gelang ihr dann auch, den Blick ihrer Erzieherin auf den rechten Punkt hinzuleiten. Nichts als schillernde Umrisse waren noch sichtbar, von Wilder passend genug mit einem Spinngewebe verglichen.

»Es ist ganz gewiß ein Schiff!« sagte Frau Wyllys, »aber in sehr großer Ferne.«

»Hm! Wünschte wohl, sie wäre größer. Irgendwo, nur dort möchte ich das Schiff nicht sehen.«

»Und warum nicht dort? Haben Sie Ursache, zu befürchten, daß ein Feind an jenem Fleck auf uns lauert?«

»Nein, aber doch will mir seine Lage nicht gefallen. Wollte Gott, es liefe nordwärts!«

»Es ist irgendein Fahrzeug aus dem Hafen von Newport und steuert einer der königlichen Inseln in der Karaibischen See zu.«

»Nein,« sagte Wilder kopfschüttelnd; »kein Schiff von der Höhe von Neversink konnte mit dem jetzigen Winde jenen Punkt in der offenen See erreichen.«

»Ist’s vielleicht ein Schiff, das mit uns dieselbe Reise macht oder nach einer Bai der mittleren Kolonien geht?«

»Wäre das, so würde sein Pfad nicht so rätselhaft sein. Sieh! Der Fremde treibt im Winde.«

»Es ist vielleicht ein Kauffahrer oder Kreuzer, der von einem der genannten Orte herkommt.«

»Auch nicht. Dazu blies der Wind während der letzten achtundvierzig Stunden viel zuviel Nord.«

»Es ist ein Fahrzeug, das wir eingeholt haben und aus den Gewässern des Sundes von Long-Island kommt.«

»Das ist noch das einzige, was wir hoffen können«, murmelte Wilder mit halbunterdrückter Stimme.

Die Erzieherin hatte die obigen Vermutungen nur aufgestellt, um dem Befehlshaber der Carolina einige Auskunft zu entlocken, mit der er so hartnäckig an sich hielt. Allein jetzt hatte sie ihre ganze Sachkenntnis erschöpft und mußte entweder gerade herausrücken mit der Frage oder abwarten, bis es ihm beliebte, sich freiwillig näher zu erklären. Indes war Wilder in einem viel zu aufgeregten Gedankenzustande, um ihr zu erlauben, den Gegenstand überhaupt für jetzt zu verfolgen. Er berief nach einer kleinen Weile den Ersten der Wache zu sich, und sie berieten sich heimlich mehrere Minuten lang. Der unerschrockene, aber nichts weniger als scharfsichtige Seemann, der den zweiten Rang im Schiffe führte, konnte in der Erscheinung eines fremden Segels gerade an dem Orte, wo die blasse Luftgestalt des unbekannten Schiffes noch immer sichtbar blieb, nichts sonderlich Merkwürdiges finden und erklärte es ohne Anstand für einen ehrlichen Kauffahrer, der, wie sie, eine rechtmäßige Handelsreise mache. Sein Oberer schien indessen nicht derselben Ansicht zu sein, wie aus dem kurzen Gespräch, das sie wechselten, hervorging.

»Ist’s nicht ungewöhnlich, daß es gerade dort steht?« fragte Wilder, nachdem sie abwechselnd den schwachbemerkten Gegenstand mit einem vortrefflichen Nachtweiser näher erforscht hatten.

»Es wünscht offenbar mehr ins Freie, hierherzu,« erwiderte der nach seinem Buchstaben gehende Seemann, der für nichts als die bloße nautische Lage des Fremden Auge hatte: »und ein Dutzend Meilen weiter Ost, könnte in der Tat uns selbst nicht schaden. Hält der Wind so fort, Ostsüd, halb Süd, so tut uns das Freie, so weit es nur zu sehen ist, sehr not. Zwischen Hatteras und dem Golf blieb ich auch einmal festsitzen …«

»Aber sehen Sie denn nicht, daß es da steht, wo kein Fahrzeug stehen könnte oder sollte, es müßte denn mit uns genau von einem und demselben Ort herkommen?« unterbrach ihn Wilder. »Nichts, was aus irgendeinem Hafen, südlich von Newport, segelte, konnte so weit nordwärts bei solchem Winde; von der Kolonie York aber kann nichts, was nach Osten segeln will, so mit dem Vorderteil stehen, und will es südlich segeln, vollends nicht an jenem Punkte.«

Dem langsamen, aber gesunden Ideengang des ehrlichen Maaten war dieses Räsonnement, das dem Leser etwas unklar sein dürfte, deutlich genug; denn sein Kopf enthielt eine Art Seekarte, die er zu jeder Zeit mit klarer Unterscheidung zwischen den zweiunddreißig Winden und allen verschiedenen Punkten des Kompasses zu Rate ziehen konnte. Daher leuchtete nun, nach der erhaltenen Anleitung, seinem seemännischen Verstände bald ein, daß es mit den Folgerungen seines jungen Vorgesetzten doch wohl seine Richtigkeit haben könnte; und nicht lange, so ging er weiter noch als dieser, indem sich Verwunderung seiner stumpferen Urteilskraft bemächtigte.

»Ja wahrhaftig, ’s ist geradezu unnatürlich, daß der Wicht just dort stehen sollte!« erwiderte er mit bedächtigem Kopfschütteln; wollte aber damit weiter nichts sagen, als daß er es mit seinen Ideen von Seefahrerkunst nicht zusammenreimen konnte. »Ich sehe die Weisheit dessen, was Sie sagen, wohl ein, Herr Kapitän, und der Verstand steht mir dabei still. Es ist aber doch, aller moralischen Gewißheit nach, ein Schiff!«

»Das unterliegt keinem Zweifel; aber ein höchst sonderbar stationiertes Schiff!«

»Ich dublierte das Kap der Guten Hoffnung im Jahre 46,« fuhr der andere fort, »und sah ein Schiff liegen, da, auf unserer Windseite (dem Wicht dort just entgegengesetzt, da er leewärts von uns steht), aber dort sah ich ein Schiff eine ganze Stunde lang uns quer vor dem Kiel stehen, und ungeachtet, daß wir den Azimutalkompaß richteten, regte es sich nicht einen Schritt während der ganzen Zeit, Steuerbord oder Backbord, was bei dem schlechten Wetter, das wir hatten, wenigstens etwas Außergewöhnliches genannt werden konnte.«

»Es war merkwürdig!« erwiderte Wilder mit einem stieren Blick, der zur Genüge bewies, daß er sich mehr mit sich selbst unterhielt, als auf die Rede seines Gefährten acht gab.

»Matrosen erzählen, daß der fliegende Holländer auf der Höhe des Vorgebirges zu kreuzen pflege und oft von der Windseite her auf Fremde lossteure, als wolle er sie entern. Gar mancher königliche Kreuzer war, wie das Sprichwort geht, kaum vom süßen Schlafe aufgewacht, da sahen die Toppgasten oben einen Zweidecker, die Pfortgaten offen, die Batterien aufgepflanzt, in der Nacht auf sie zusegeln; indessen, dieses dort kann doch kein dem Holländer ähnliches Fahrzeug sein, indem es höchstens, wenn überhaupt ein Kreuzer, eine große Kriegsschaluppe ist.«

»Nein, nein,« sagte Wilder, »dieses ist auf keinen Fall der Holländer.«

»Das Fahrzeug zeigt gar keine Lichter, und was das anbetrifft, so hat es mir ein so nebeliges Aussehen, daß noch die Frage ist, ob es überhaupt ein Schiff sei. Fürs andere läßt sich der Holländer nur immer luvab sehen, hingegen liegt das seltsame Segel dort ganz auf unserer Leeseite!«

»Es ist kein Holländer«, sagte Wilder mir einem tiefen Atemzuge, wie einer, der sich von einer Geistesabwesenheit erholt. »Heda, im Mastkorb oben, hoi!«

Der angerufene Matrose erwiderte den Gruß auf die übliche Weise, wie denn überhaupt das kurze Gespräch, das folgte, eher aus einem Geschrei als aus artikulierten Worten bestand.

»Wie lange schon siehst du das fremde Segel?« war Wilders erste Frage.

»Ich komm‘ eben erst rauf; aber der Kamerad, den ich ablöste, sagte, schon über eine Stunde.«

»Und ist der andere, den du abgelöst hast, nicht runtergekommen? Oder was seh‘ ich dort leewärts auf dem Mast sitzen?«

»’s ist Robert Brace, Sir; er sagt, er könne nicht schlafen und wolle auf der Rahe sitzen bleiben und mir Gesellschaft leisten.«

»Schick‘ ihn herab, ich will ihn sprechen.«

Während der Zeit, daß der schlaflose Matrose am Tauwerk herunterstieg, verharrten die beiden Offiziere im Schweigen, und jeder schien ganz mit dem Nachdenken über das Vorgefallene beschäftigt.

»Und warum bist du nicht in deiner Hängematte«, sagte Wilder etwas rauh zu dem Matrosen, der eben infolge seiner Order auf die Schanze herabkam.

»Ich steuerte gerade nicht schlafwärts, Euer Gnaden, und da wollt‘ ich denn noch ein Stündchen droben zubringen.«

»Und warum bist du, der du so schon zwei Nachtwachen hast, so bereit, eine dritte freiwilligerweise zu tun?«

»Die Wahrheit zu gestehen, Herr, ich hab‘ einige schlimme Ahnungen, was diese Fahrt anbelangt, schon von dem Augenblick an, wo wir die Anker lichteten.«

Mistreß Wyllys und Gertraud, die dies Gespräch mit anhörten, traten bei den letzten Worten unwillkürlich näher, und lauschten mit ängstlicher Aufmerksamkeit.

»Hast auch deine Zweifel, Kerl?« rief der Kapitän etwas verächtlich. »Darf man fragen, was du hier an Bord gesehen hast, um dem Schiff nicht zu trauen?«

»Fragen ist erlaubt, Euer Gnaden,« erwiderte der Seemann und zerknitterte den Hut zwischen seinen Händen, die einen Griff hatten, so fest wie zwei eiserne Schrauben, »drum hoff‘ ich, Antworten auch. Seht, ich schlug ein Ruder in der Schute heut früh, die auf den Graubart Jagd machte, und ich müßte lügen, wenn ich sagte, daß mir die Art gefallen hätte, wie er uns entwischt ist. Zum andern hat das Schiff dort auf der Leeseite was, das mir den Kopf durchkreuzt wie ein Wurfanker, und ich gestehe, Euer Gnaden, ich würde wenig Fahrwasser zurücklegen im Schlafe, wenn ich’s auch in einer Hängematte versuchen wollt‘.«

»Wie lang ist’s her, daß du das Schiff entdecktest?« fragte Wilder streng.

»Ich will nicht schwören, daß es überhaupt ein wirkliches lebendiges Schiff ist, was ich entdeckt habe, Herr. Etwas hab‘ ich gesehen, vor Schlag sieben, und dort ist’s noch zu sehen, von jedermann, der Augen hat, geradeso hell und just so trüb wie vorher.«

»Und wie hat es gestanden, als du es zuerst sahest?«

»Mochte zwei oder drei Punkte mehr dwars abstehen als jetzt.«

»Dann segeln wir ihm vorüber!« schrie Wilder mit einer nicht zu verbergenden Freude.

»Nein, Euer Gnaden, nein. Sie vergessen, daß das Schiff dichter in den Wind hält, seit die Mitternachtswache abgelöst ist.«

»Wahr,« erwiderte sein junger Befehlshaber mit einem Tone getäuschter Hoffnung! »wahr, sehr wahr. Und hat es seine Richtung nicht geändert, seit du es entdecktest?«

»Nicht nach dem Kompaß, Herr. Jenes ist ein schnelles Boot, sonst könnt‘ es nimmermehr mit der Royal Carolina aushalten, noch dazu bei straffen Segeln, wo ein Schiff erst recht zeigt, was es kann, wie jedermann weiß.«

»Geh, mach, daß du in deine Hängematte kommst. Am Morgen können wir den Wicht vielleicht besser beobachten.«

»Und hör, Kerl!« schärfte ihm der zweite Offizier noch ein, der aufmerksam zugehört hatte, »daß du die Leute unten nicht wach hältst mit einer Erzählung so lang wie das kurze Kabeltau! Leg‘ dich schlafen, und laß die übrigen in Ruhe, die ein reines Gewissen haben.«

»Herr Earing,« sagte Wilder, als sich der Matrose zögernd nach seiner Hängematte zurückgezogen hatte, »wir wollen dem Schiffe eine andere Wendung geben und mehr Ostwind zu bekommen suchen, solange wir noch landfrei genug sind. Bleiben wir so, so steuern wir auf Hatteras zu. Überdies …«

»Ganz recht, Herr,« erwiderte der Maat, als sein Oberer stockte, »was Sie sagen: … Überdies, niemand kann voraussagen, wie lange eine Kühlde anhalten, oder von woher sie blasen mag.«

»Das ist’s, niemand kann für Wetter stehen. Die Leute sind noch kaum in ihren Hängematten; rufen Sie lieber alle auf einmal raus, ehe ihre Augen vom Schlafe schwer sind, und lassen Sie uns dann das Schiff umdrehen.«

Sogleich ließ der Gehilfe den wohlbekannten Ruf ertönen, der die Wache unten aufforderte, ihren Gefährten auf dem Verdeck zur Hilfe zu eilen; es geschah ohne Verzug. Nun kein vernehmbarer Laut, als die kurzen, gehorsamerregenden Kommandoworte aus Wilders Mund. Nicht länger nach dem Winde hin gedrückt, begann das Schiff ziemlich das Vorderteil aus den Wogen zu heben und so den Wind recht von der Seite zu bringen. Darauf, statt wie bisher, gegen die zahllosen Wogen anstemmend, und sie wie ein Wesen erklimmend, das sich schwer auf seinem Pfade fortarbeitet, fiel das Schiff in eine hohle See, und flog nun wie ein Renner, der, nachdem er eine Anhöhe überwunden, mit verdoppeltem Fluge den Weg dahinschießt. Einen Augenblick lang schien es, als wollte der Wind lunen, obgleich die langen Schaumräder der Wellen, die von beiden Seiten des Schiffes herabrollten, hinlänglich bewiesen, daß es leicht vor dem Winde einherschwamm. Noch einen Augenblick, so fingen die höchsten Spieren an, sich wieder nach Westen zu neigen, und das Schiff stieß gegen den Wind an, bis es wieder ebenso heftig wie zuvor, bald gegen die Wogen kämpfte, bald von ihnen herabstürzte. Als jede Rahe und jedes Segel gehörig gesetzt war, um der neuen Lage des Schiffes zu entsprechen, schaute sich Wilder ängstlich nach dem Fremden um. Eine Minute verging, ehe er genau den Punkt, wo er nun stehen mußte, ausfindig machen konnte; denn in einem solchen Chaos von Wasser, mit keinem andern Wegweiser als Urteilskraft, täuscht sich das Auge leicht, indem es an den näheren, ihm vertrauteren Gegenständen hängen bleibt.

»Der Fremde ist verschwunden!« sagte Earing mit einer Stimme, von der sich nicht leicht sagen ließ, was in ihr vorherrschte, das Befreitsein von einer Besorgnis oder zages Mißtrauen, daß doch nicht alles richtig sein möchte.

»Er muß doch auf dieser Seite sein; allein ich gestehe, ich kann ihn nicht sehen!«

»Ja, ja, Herr; gerade so soll der mitternächtliche Kreuzer am Vorgebirge der guten Hoffnung kommen und gehen. Es gibt Leute, die ihn in einen Nebel gehüllt gesehen haben, während rund umher der schönste Sternenhimmel glänzte, den sie je in einer südlichen Breite bemerkten. Aber das kann doch bei alledem der Holländer nicht sein, da es so viele lange Meilen von der Küste Nordamerikas bis zur Höhe des Kaps hin ist.«

»Hier liegt er; und beim Himmel, er hat schon gewendet!« schrie Wilder.

Die Wahrheit der eben von unserm jungen Abenteurer gemachten Behauptung fiel in der Tat jetzt jedem Seemanne in die Augen. Dieselben nebeligen, verjüngten Umrisse waren wie vorher auf dem hellen Hintergrunde des drohenden Horizontes zu bemerken und sahen den schwächeren Schatten nicht unähnlich, die die Täuschung einer Laterna magica auf eine lichtere Fläche hinzuzaubern pflegt. Aber den Matrosen, die die verschiedenen Linien an den Masten so genau unterscheiden können, war es klar genug, daß das fremde Schiff plötzlich und gewandt seinen Lauf geändert habe, und nun nicht mehr wie vorher, Südwest, sondern, wie sie selbst, seine Fahrt Nordost machte. Die Tatsache machte offenbar einen großen Eindruck auf alle; obgleich sich aus einer Prüfung der Ursachen eines jedweden ergeben hätte, daß diese von sehr verschiedener Gattung waren.

»Das Schiff hat wirklich gewendet!« rief Earing nach einer langen Pause voll Nachdenkens und mir einer Stimme, in der das Mißtrauen mit der Furcht um die Herrschaft stritt. »Solange ich die See befahre, habe ich noch nie ein Fahrzeug, einer solchen See von vorne trotzend, wenden gesehen. Der Wind muß es bei unserem letzten Hinschauen fürchterlich hin und her gerüttelt haben, sonst hätten wir es nicht aus den Augen verloren.«

»Einem muntern und leicht gehandhabten Schiff ist so was schon möglich,« sagte Wilder, »zumal wenn viele starke Hände darauf sind.«

»Fürwahr, die Hand Beelzebubs ist immer stark; ihm ist’s ein leichtes, das schwerfälligste Fahrzeug zum Segeln zu zwingen.«

»Herr Earing,« unterbrach ihn Wilder, »wir wollen vorspannen, soviel wir können, und versuchen, ob unsere Carolina diesen höhnenden Fremden nicht totsegeln kann. Setzen Sie das große Halstau zu und lassen Sie das Bramsegel los.«

Gern hätte der Gehilfe, dem dies nicht einleuchten wollte, Gegenvorstellungen gemacht, allein ihm fehlte der Mut dazu; in dem ruhigen, gemäßigten, dabei aber doch tiefen Ton des jungen Befehlshabers war ein gewisses Etwas, das ihm sagte, es sei zu gewagt, ihm zu widersprechen. Unrecht hatte er keineswegs, wenn er den eben erhaltenen Auftrag als einen solchen betrachtete, der nicht ohne Gefahr wäre. Schon bewegte sich das Schiff unter so vielen Segeln, als sich seiner Ansicht nach kaum mit der Klugheit vertrug, zumal bei einer solchen Stunde und so vielen am Horizont umher erscheinenden Vorzeichen von noch ungünstigerem Wetter. Die nötigen Orders wurden jedoch mit derselben Saumlosigkeit, wie sie Wilder erteilte, weiter befördert. Auch die Matrosen hatten schon angefangen, den Fremden näher ins Auge zu fassen und untereinander über dessen Erscheinung und Stellung dies und das zu schwatzen; sie vollzogen die Befehle mit einer Lebendigkeit, deren Ursprung wohl kein anderer war, als der geheime, von jedem einzelnen gehegte Wunsch, aus der gefährlichen Nachbarschaft loszukommen. Die Segel waren rasch eines nach dem andern beigesetzt; und nun stand ein jeder mit verschränkten Armen da und schaute fest und unverrückt hin auf den schattigen Punkt auf der Leeseite, um zu erspähen, was für Wirkung das Manöver haben würde.

Die Royal Carolina schien, wie die Mannschaft auf ihr, ein Gefühl zu haben, daß größere Schnelligkeit not tue. Beim Druck der großen Masse Leinwand, die eben ausgebreitet wurde, beugte sich das Schiff tiefer, so daß es auf dem Wasser, das auf der Leeseite fast bis zu den Speigaten ging, mehr zu liegen als zu segeln schien, während auf der andern Seite die schwarzen Planken und das polierte Kupfer mehrere Fuß breit entblößt lagen, obgleich oft bespült von den Wellen, die längs dem Schiff pfeilschnell und zürnend daherwogten, noch immer wie gewöhnlich mit leuchtendem Schaum behelmt. Die Stöße, wie das Fahrzeug gegen die Wogen ankämpfte, wurden von Augenblick zu Augenblick heftiger, und nach jedem Aufeinanderstoßen erhob sich eine durchsichtige Wolke Wasserstaubs, die endlich schimmernd aufs Verdeck herniederfiel, oder als glänzender Nebel vom Winde quer über die rollenden Gewässer leewärts gejagt wurde.

Mit aufgeregter Miene, dabei aber mit der ganzen Besonnenheit eines Seemanns beobachtete Wilder das Schiff. Ein- oder zweimal, als es bebte und in seinem fürchterlichen Anlauf gegen eine Woge so plötzlich innezuhalten schien, als wenn es gegen einen Felsen angelaufen wäre, öffnete er den Mund, um den Befehl zu geben, die Segel zu vermindern: doch immer schien der Blick auf das Nebelbild am westlichen Horizont seinen Vorsatz zu ändern. Gleich einem verzweifelten Abenteurer, der auf eine einzige Karte sein ganzes Vermögen gesetzt hat, schien er den Ausgang mit einer ebenso stolzen als unbesiegbaren Entschlossenheit abwarten zu wollen.

»Die Stenge dort biegt sich wie eine Peitsche«, murrte der besorgte Earing dicht an Wilders Seite.

»Mag sie doch brechen: wir haben genug Vorrat an Spieren, um ihre Stelle zu ersetzen«, war die Antwort.

»Ich habe noch immer gefunden, daß die Carolina Wasser zog, wenn sie über ihre Kräfte angestrengt wurde, durch schnelles Segeln gegen den Strom.«

»Wir haben Pumpen.«

»Sehr wahr; allein meiner geringen Meinung nach ist die Hoffnung eine vergebliche, ein Fahrzeug totzusegeln, worin der Teufel in Person kommandiert, wenn er es nicht ganz und gar allein handhabt.«

»Um dies zu wissen, Herr Earing, muß man erst den Versuch machen.«

»Wir hatten es mit dem Holländer auch versucht; und zwar nicht bloß, indem wir alle Segel ausbreiteten, sondern auch beim günstigsten Wind. Und was hat es geholfen? Da lag er bloß mit aufgespannten Treiber-, Klüver- und drei Bramsegeln; und wir, mit Leesegeln von unten bis oben bepackt, konnten seine Richtung nicht um einen Fuß ändern.«

»Man sieht den Holländer nie in einer nördlichen Breite.«

»Ich kann freilich das Gegenteil nicht behaupten,« erwiderte Earing mit einer Art von erzwungener Ergebung; »allein der, der jenen Vogel auf die Höhe des Kaps gesetzt hat, kann die Küstenfahrt leicht so vorteilbringend gefunden haben, daß ihn die Lust anwandelte, ein zweites Schiff in diese Gewässer zu schicken.«

Wilder gab keine Antwort. Entweder war er es müde, der abergläubischen Furcht seines Gehilfen zu Gefallen zu reden, oder sein Geist war mit dem Hauptgegenstand zu sehr beschäftigt, um bei etwas anderm verweilen zu können.

Wenn auch die Wogen, die sich dem Lauf des Bristoler Kauffahrteischiffes entgegensetzten, zahllos aufeinander folgten, und daher dessen Fortschritt sehr verzögerten, so hatte es sich doch eine Stunde Wegs durch das bewegte Element vorwärts gekämpft. Beim Herabstürzen von einer Woge zerteilte der Bug jedesmal eine Wassermasse, die mit jeglichem Augenblick an Größe und Heftigkeit zuzunehmen schien; und mehr als einmal war der kämpfende Rumpf des Schiffes nach vorn zu ganz begraben in einer Woge, die hinanzuklimmen oder zu zerteilen es gleich wenig imstande war.

Die Matrosen beobachteten genau die geringste Bewegung ihres Fahrzeugs. Stundenlang verließ auch nicht einer von ihnen das Verdeck. Die abergläubische Furcht, die den unaufgeklärten Geist des ersten Schiffsgehilfen gefangen hielt, hatte sich bald bis zu dem untersten Schiffsjungen hinab verbreitet. Sogar der Unfall, der ihren früheren Kommandeur betroffen, und die plötzliche und geheimnisvolle Art, wie der junge Offizier zuerst unter sie kam, der jetzt unter so schreckenerregenden Umständen mit einer auffallenden Festigkeit und Ruhe auf der Schanze auf und ab ging, trugen jetzt dazu bei, den fanatischen Eindruck zu steigern. Daß die Carolina so großen Druck der Segel in ihrer gegenwärtigen Lage ohne Schaden ertragen konnte, erhöhte die schon entflammte Verwunderung der Matrosen, und ehe noch Wilder mit sich ins reine gekommen war, welches Schiff wohl am meisten aushalten könne, seines oder jenes, das so unerklärlich am Horizont hing, war er selbst für seine eigene Mannschaft der Gegenstand unnatürlicher und empörender Vermutungen geworden.

Fünfzehntes Kapitel.

Fünfzehntes Kapitel.

Der Aberglaube ist eine Eigenschaft, die auf dem Meere heimisch zu sein scheint. Wenig gemeine Matrosen sind von seinem größern oder geringern Einfluß frei; nur die Formen, in denen er sich äußert, sind verschieden, je nach den verschiedenen Eigentümlichkeiten und Ansichten der Nationen, denen die Seeleute angehören. Der Matrose des Baltischen Meeres hat seine geheimen Zeremonien und eigene Weise, um die Götter des Windes zu versöhnen; der Schiffahrer des Mittelmeeres zerzaust sich das Haar und wirft sich vor das Bild irgendeines ohnmächtigen Heiligen nieder, nicht ahnend, daß seine eigene Hand den Dienst tun könnte, um den er fleht, während der erfahrene Brite die Geister der Toten im Sturme zu sehen, und in den Windstößen, die über die See dahersausen, das Kreischen eines ertrunkenen Schiffsgefährten zu hören glaubt. Selbst der mehr unterrichtete und noch mehr klügelnde Amerikaner hat den geheimen Einfluß einer Sinnesweise nicht von sich abschütteln können, die mit seinem Stande untrennbar verwebt zu sein scheint. Es liegt eine Majestät in der Macht der gewaltigen See, wodurch die Zugänge zu jener Leichtgläubigkeit stets offen gehalten werden, die mehr oder weniger den Geist eines jeden bewältigt, wie sehr er auch durch den Gedanken gekräftigt und aufgeklärt sein mag. Das Himmelsgewölbe über sich, eine unabsehbare Wasserwüste um seinen Pfad her, ist der weniger begabte Seemann bei jedem Schritt seiner Pilgerschaft der Versuchung ausgesetzt, Beruhigung in irgendeinem glückverkündenden Vorzeichen zu suchen, und da einige dieser Vorzeichen wegen ihrer Begründung in Natur und Wissenschaft zuverlässig sind, so dienen sie nur dazu, den Glauben an die vielen anderen zu erhalten, die nur aus erregter Einbildungskraft oder zaghafter Stimmung entspringen. Die Sprünge des Delphins, das ernsthafte und geschäftige Vorüberziehen des Meerschweines, das schwerfällige Spiel des ungeschlachten Walfisches, und das Gekreisch der Seevögel haben alle, gleich den Zeichen der Wahrsager des Altertums, gewisse entsprechende gute oder schlimme Folgen. Die Verwirrung zwischen Dingen, die erklärt, und Dingen, die nicht erklärt werden können, bringt das Gemüt des Seemanns endlich in einen Zustand, wo jedes aufregende und nichtsinnliche Gefühl willkommene Aufnahme findet, und wäre es auch nur, weil es gleich dem Element, auf dem er sein Leben zubringt, das Gepräge einer übernatürlichen, das heißt, einer ihm unbegreiflichen Macht an sich trägt.

Die Schiffsmannschaft auf der Royal Carolina bestand insgesamt aus Kindern jener entfernten Insel, aus der Schwärme von Nationen ausgegangen sind und noch immer ausgehen, und deren Geschick es wahrscheinlich sein wird, ihren Namen einer Zeit zu überliefern, wo der Ursitz ihrer verfallenen Macht und Herrlichkeit als ein Gegenstand der Neugier besucht werden wird, gleich den Ruinen einer Stadt in einer Wüste.

Die Gesamtereignisse jenes Tages waren geeignet genug, den verborgenen Aberglauben dieser Leute hervorzurufen. Daß der, ihrem frühern Befehlshaber begegnete Unfall, und die Art, wie ein Fremder dessen Nachfolger in der Macht geworden war, ihre zweifelsüchtige Stimmung bedeutend vermehrt hatte, ist bereits erwähnt worden. Das Fahrzeug leewärts erschien nun für die Beglaubigung des Charakters unseres Abenteurers sehr zur Unzeit, da er noch keine passende Gelegenheit gefunden hatte, um sich in dem Vertrauen seiner Untergebenen festzusetzen, als sich diese unerwünschten Umstände vereinigten, um ihn mit dem plötzlichen Verlust seiner kaum erlangten Autorität zu bedrohen.

Nur einmal erst hat sich Gelegenheit geboten, den Leser die Bekanntschaft des Maats machen zu lassen, der in der Rangordnung auf dem Schiffe gleich auf Earing folgte. Er hieß Nighthead, ein Name, der einigermaßen auf eine gewisse Umnebelung seines Kapitoliums hinwies. Von seinen geistigen Eigenschaften kann man einen Begriff erhalten durch die paar Bemerkungen, die er zu machen für gut fand, als der alte Matrose, den Wilder seinen Unwillen fühlen lassen wollte, der nachsehenden Schute entwischt war. Nur einen Grad über dem gemeinen Matrosen stehend, war dieses Individuum auch weit mehr mit ihren Gewohnheiten und Ansichten vertraut, als Earing und übte deshalb einen weit größeren Einfluß auf sie, denn obgleich er seinem Gefährten untergeordnet war, so galten doch seine Aussprüche in allen Dingen, bei denen es sich nicht um eine bloße Ausführung unbedingter Befehle handelte, als maßgebende Norm.

Nachdem das Schiff gewendet war, und während der Zeit, wo Wilder alles aufbot, um seinen unwillkommenen Nachbar aus dem Auge zu verlieren, hatte sich dieser eigensinnige und abergläubische Matrose auf die Kuhl gepflanzt, wo sich einige der älteren und erfahreneren Seeleute um ihn herumstellten. Diese besprachen sich mit ihm über die merkwürdige Erscheinung des Phantoms auf der Leeseite, dann auch über die außerordentliche Art, wie ihr ungekannter Befehlshaber die ausdauernden Kräfte ihres eigenen Fahrzeuges auf die Probe zu stellen beliebte.

»Ich hab‘ mir von älteren seefahrenden Leuten, als irgendwelche, die auf diesem Schiffe sind, erzählen lassen,« sagte Nighthead, »es sei bekannt, wie der Teufel manchmal einen seiner Maaten an Bord eines ehrlichen Kauffahrers schicke, um ihn auf Untiefen und Sandgetriebe zu führen und ein Wrack draus zu machen, damit ihm die Seelen der Leute als sein Anteil zufallen mögen. Wer kann dafür stehen, was für einer in die Kajüte kommt, wenn ein Unbekannter an der Spitze der Namensliste eines Schiffes steht?«

»Das fremde Fahrzeug ist in einer Wolke eingehüllt!« rief einer der Seeleute, der auf die Philosophie seines Oberen lauschte und zugleich ein Auge fest auf den geheimnisvollen Gegenstand zur Leeseite gerichtet hielt.

»Schon gut; mich sollte es nicht wundernehmen, wenn es in den Mond hineinsegelte, das Schiff dort! Das Glück gleicht einem Drehreffsblock und seiner Rahe: wenn der eine aufsteigt, steigt die andere nieder. Es heißt, die Rotröcke zu Land seien siegreich gewesen, da ist’s denn freilich Zeit, daß wir ehrlichen Seeleule uns auf Sturm und Unheil gefaßt halten. Ich habe Kap Horn in einem königlichen Schiffe dubliert, Brüder, und ich habe die Glanzwolke gesehen, die nie untergeht, und habe ein lebendiges Dverlicht in meiner leiblichen Hand gehalten. Aber das sind Dinge, die jeder sehen kann, der bei starkem Wind auf eine Rahe steigen oder an Bord eines Südseefahrers gehen will. Bei alledem aber behaupt‘ ich, daß es was Ungewöhnliches ist, wenn ein Schiff seinen eigenen Schatten im Nebel sehen kann, wie wir das jetzt können seht, dort kommt’s wieder! – da, zwischen der Hintersegelstange und den Pardunen, oder, wenn ein Kauffahrer Segel trägt auf eine Manier, die jedes Krummholz in einer Bombenkiste sollte arbeiten machen, wie die Zahnbürsten, womit die Passagiers in ihren Mäulern hin und her fiedeln, nachdem sie ein Sträußchen mit der Seekrankheit bestanden haben.«

»Und doch hält der Junge das Schiff im Zügel,« sagte der Allerälteste unter den Matrosen, der das Auge von Wilders Bewegungen nicht abwendete; »er jagt die Carolina toll genug vorwärts, das geb‘ ich zu, aber doch, bis jetzt hat er noch keinen Faden Hanf verloren.«

»Faden!« wiederholte Nighthead in einem höchst verächtlichen Tone; »was wollen Faden sagen, wenn das ganze Tau reißen soll, und auf eine Manier, daß für den Anker keine Hoffnung übrig bleibt, außer am Bojereep? Laß dir was sagen, alter Bill, der Teufel läßt seine Geschäfte niemals halbgetan. Was kommen soll, das kommt leiblich; da gilt kein Fortschaffen, als wenn du die Kapitänsfrau ins Boot runterläßt, während er auf ‚m Verdeck bleibt, um zuzusehen, daß alles geht, wie’s soll.«

»Herr Nighthead versteht’s, wie man ein Schiff zu handhaben hat, das Wetter mag sein, wie’s wolle!« sagte ein anderer, dessen ganzes Wesen hinlänglich das Vertrauen verriet, das er auf die Geschicklichkeit des zweiten Schiffsgehilfen setzte.

»Dafür ist mir niemand Dank schuldig. Ich hab‘ den Dienst von der Pike an durchgemacht und jedes Seil gehandhabt vom Logger bis zum Zweidecker rauf. Wenig Leute können mehr Empfehlendes von sich anführen, als ich; denn mein bißchen Wissen hab‘ ich mir nicht in der Schule sondern durch viel harte Arbeit erworben. Aber was will Wissen oder selbst Seefahrerkunst sagen gegen Zauberei, oder gegen das Tun eines gewissen jemand, den ich nicht nennen mag, da man nu mal keinen Herrn unnötigerweise beleidigen soll? Ich sage, Brüder, dieses Schiff ist auf eine Manier bespannt, die kein Seemann zugeben würde oder sollte, wenn er weiß, was er will.«

Ein allgemeines Murren verkündigte, daß, wo nicht alle, doch die meisten einerlei Meinung mit ihm waren.

»Laßt uns vernünftig, wie es aufgeklärten Engländern gebührt, den ganzen Tatbestand untersuchen«, fuhr der Maat fort, indem er quer über seine Schulter zurückblickte, wahrscheinlich um sich zu vergewissern, daß die Person, vor deren Mißfallen er eine so heilsame Furcht hatte, auch nicht gerade bei seinem Ellbogen stände. »Wir alle, ohne Ausnahme, sind auf die Welt gekommen als Insulaner, da ist nicht ein Tropfen ausländischen Bluts unter uns, nicht mal ein Schottländer oder Irrländer auf dem Schiff. Erstlich also, muß euch da der ehrliche Nikolaus Nichols vom Wasserfaß abglitschen und ein Bein brechen! Nu weiß ich aber, Kameraden, daß Leute schon von Stengenspitzen und Rahen heruntergefallen sind, und doch kein Bein gebrochen haben. Aber was kommt’s einer gewissen Person drauf an, wie weit sie ihren Mann wirft, da sie bloß einen Finger in die Höhe zu heben braucht, um uns alle baumeln zu machen. Ferner und zweitens kommt euch da am Bord hier ein Fremder mit einem Koloniegesicht, und nicht mit einem geradezuen, glatten Engländergesicht, was einer mit der flachen Hand bedecken kann.«

»Der Junge sieht nicht übel aus«, unterbrach ihn der alte Matrose.

»I, darin liegt ja eben die ganze Teufelei dieser Affäre! Er sieht gut aus, zugegeben: aber es ist nicht das gute Aussehen, das einem Engländer zusagt. Er hat so was Sprechendes an sich, das mir nicht gefallen will; denn mir gefällt niemals zuviel Sprechendes an einem, weil man da nicht immer wissen kann, was er eigentlich vorhat. Weiter, drittens, dieser Fremde nu weiß, Schiffpatronsrang hier am Bord zu erlangen, während der, der hier auf dem Verdeck sein sollte, unten in seiner Hängematte liegt, unfähig, sich selbst umzudrehen, geschweige das Schiff; und doch weiß kein Mensch, wie es eigentlich zugegangen ist.«

»Er handelte mit dem Kommissionär um die Stelle, und der schlaue Kaufmann schien sich nicht schlecht zu freuen, daß er so ’n schmucken Jungen zur Führung der Carolina gefunden hatte.«

»Ach, ein Kaufmann ist, wie alle übrigen, nur aus Ton gemacht; und, was noch schlimmer ist, aus Ton, der nicht mit Salzwasser zersetzt ist. Schon manch Handelsmann hat die Brille von der Nase genommen, seine Bücher geschlossen und sich ins Fäustchen gelacht, weil er meinte, er hätte seinen Nächsten übervorteilt, als er aber seine Bücher wieder aufmachte, ja, da fand sich ’s, daß er nur sich selbst übervorteilt hatte. Herr Bale glaubte gewiß Wunder was für ’n gescheiten Streich er für die Eigentümer ausführte, als er diesen Herr Wilder so spottwohlfeil bekam. Er hat wahrscheinlich nicht gewußt, daß er das Schiff verkaufte an den … es geziemt einem einfältigen Seemann nicht, irgend jemand, unter dessen Befehl er nu mal segelt, zu verachten; darum will ich ohne Not die Person nicht nennen, die meines Dafürhaltens kein geringes Anrecht auf dieses Fahrzeug erlangt hat, sie mag nu ehrlich oder anderswie dazu gekommen sein.«

»Ich hab‘ noch nie ’n Schiff hübscher aus der Klemme bringen sehen, wie diesen Morgen, als er die Führung der Carolina dem Lotsen entriß und selbst übernahm.«

Hier brach Nighthead in ein gemeines Gelächter aus, was aber seine Zuhörer voller Bedeutsamkeit fanden.

»Wenn ein Schiff einen Kapitän von einer gewissen Gattung hat, muß einen nichts wundernehmen«, antwortete er, von seinem bedeutsamen Lachen zurückkommend. »Für meine Person, ich hab‘ mich zu Bristol eingeschifft, um nach den Carolinas und Jamaika zu gehen, und unterwegs hin und zurück in Newport anzulegen; und ich gestehe, ich hab‘ gar keine Lust anderswohin zu gehen. Nu ja, er hat die Carolina aus ihrem schlechten Kielwasser raus- und bei dem Sklavenhändler geschickt genug vorbeigebracht; nur zu geschickt für einen so jungen Seemann. Hätte ich’s selber getan, es hätte fast nicht besser ausfallen können. Aber, was haltet Ihr von dem Graubart in dem Boot, Brüder? So eine Jagd und ein solches Entwischen mit anzusehen, das Glück wird wenig alten Seehunden zuteil! Ich hab‘ von einem Schmuggler erzählen hören, den die königlichen Zollschiffe wohl hundertmal bis in eine Bucht des Kanals verfolgt hatten, und wenn sie nu glaubten: Jetzt haben wir ihn, den Schuft aus Guernsey, risch! segelte er euch in einen dienstfertigen Nebel rein, aus dem ihn kein Mensch wieder rauskommen sah! Dies Boot mag meines Wissens zwischen dem Guernseyfahrer und der Küste Dienste getan haben, ich aber hab‘ keine Lust, in einem solchen Boote ein Ruder zu führen.«

»Merkwürdig war jene Flucht allerdings!« rief der alte Seemann, dessen Glaube an den guten Charakter unseres Abenteurers nach und nach durch diese Anhäufung von Beweisen zum Wanken gebracht war.

»Das denk‘ ich auch,« fuhr Nighthead fort, »andere verstehen’s vielleicht besser als ich, der ich erst fünfunddreißig Jahre zur See bin. Dazu kommt nu noch, daß das Meer nu auf einmal in Aufstand gerät, kein Mensch weiß wie? Und dann schaut mal diese Haufen von Wolken an, die den Himmel verdunkeln, und trotzdem kommt Euch soviel Licht aus dem Meere hervor, daß einer dabei lesen könnte, wenn er sonst ein tüchtiger Gelehrter ist.«

»Ich hab‘ doch aber schon oft Wetter wie das jetzige gesehen.«

»Das hat wohl jeder. Es geschieht selten, daß einer, er mag kommen woher er will, schon die erste Seereise als Kapitän mitmachte. Wer diese Nacht zur See ist, er sei, wer er wolle, ich stehe dafür, der ist nicht das erstemal da. Hab‘ auch schon schlimmer aussehenden Himmel, ja sogar schlimmer aussehendes Wasser über und unter mir gehabt; aber was Gutes ist meines Wissens weder aus dem einen noch aus dem anderen jemals geworden. In der Nacht, wo ich schiffbrüchig wurde in der Bai …«

»He, ihr auf der Kuhl dort!« erschallte der ruhige Gebieterton Wilders.

Wäre eine warnende Stimme dem stürmisch einherrauschenden Ozean entstiegen, nicht schrecklicher würde sie den Ohren der schuldbewußten Matrosen geklungen haben, als dieser plötzliche Ruf. Der junge Befehlshaber sah sich genötigt, ihn zu wiederholen; denn Nighthead, dem es von Amts wegen zukam, zu antworten, konnte dazu nicht gleich Entschlossenheit genug aufbieten.

»Setzt das Voroberbramsegel bei!« fuhr Wilder fort, als ihm endlich der gewöhnliche Erwiderungsruf sagte, daß er gehört werde.

Der Maat und seine Gefährten sahen einander einen Augenblick mit dumpfer Verwunderung an, und manches melancholische Kopfschütteln wechselten sie, ehe sich einer von ihnen endlich in das Tauwerk der Luvseite warf und, voller Zweifel im Herzen, hinankletterte, um das genannte Segel von den Reffen loszumachen.

Wilder ließ allerdings so verzweifelt viele Segel aufspannen, daß selbst Leute, die weniger abergläubisch gewesen wären, als seine Untergebenen, dadurch zum Mißtrauen in seine Absichten oder in sein Urteil hätten veranlaßt werden können. Earing sowohl als sein weniger einsichtsvoller und daher um so mehr eigensinniger Kollege hatten längst eingesehen, daß ihr junger Vorgesetzter die gleichen Wünsche mit ihnen hegte, nämlich: dem gespenstischen Schiffe zu entkommen, das so unbegreiflicherweise ihren Bewegungen folgte. Nur in der Art und Weise, dies auszuführen, waren ihre Ansichten von den seinigen verschieden; aber so wesentlich verschieden, daß beide Gehilfen beiseite gingen, um sich miteinander zu beraten, woraus Earing durch die dreistgeäußerte Meinung seines Zugesellten selber etwas angespornt, auf seinen Kommandeur losging, entschlossen, das Resultat ihrer gemeinschaftlichen Beratung mit der Unumwundenheit vorzutragen, die ihm der Drang des Augenblicks zu erfordern schien. Allein in dem festen Blick und in der gebieterischen Miene Wilders war etwas, das seinen Entschluß wanken machte, und er berührte den bedenklichen Gegenstand mir einer Bescheidenheit und auf Umwegen, die mit seinem Wesen in ganz eigenem Kontrast standen. Er beobachtete die Wirkung des erst beigesetzten Segels mehrere Minuten lang, ehe er sich nur getraute, den Mund zu öffnen. Doch ein schreckliches Aufeinandertreffen des Schiffes und einer Woge, die ihr zürnendes Haupt mehrere Dutzend Fuß über das herankommende Vorderdeck erhob, ermutigte ihn in seinem Vorsatz, indem ihm die Gefahr längeren Schweigens von neuem vor die Augen trat.

»Ich sehe nicht, daß wir den Fremden aus den Augen verlieren, obgleich sich das Schiff so schwer durchs Wasser vorwärts wälzt«, fing er an, sich endlich äußerst behutsam und umsichtig mit einer Vorstellung herauswagend.

Wilder blickte noch einmal auf den Nebelpunkt am Horizont, der schon solange sein Auge fesselte, dann zürnend nach dem Punkte hin, wo der Wind stand, gleichsam als wollte er dessen ganze Gewalt herausfordern: Earing wartete vergebens aus Antwort.

»Wir haben die Leute immer unzufrieden gesehen, Sir, wenn’s ans Pumpen gehen sollte,« nahm er seine Worte wieder auf, als er fand, daß seine Pause keine Antwort hervorlockte; »ich darf einem Offizier, der seinen Dienst so gut versteht, wohl nicht erst sagen, daß Matrosen selten Freunde von Pumpen sind.«

»Die Befehle, Herr Earing, die ich zu geben für notwendig erachten werde, wird die Bemannung dieses Schiffes ebenso notwendig vollziehen müssen.«

Die gestrenge, gesetzte Herrschermiene, von der diese abgedrungene Antwort begleitet war, verfehlte ihren Eindruck nicht. Earing wich auf eine ehrerbietige Weise einen Schritt zurück und tat, als wenn er im Anschauen der vorbeitreibenden kolossalen Wolken verloren wäre; sich endlich ganz zusammennehmend, versuchte er den Angriff von einer anderen Seite.

»Ist es Ihre reiflich erwogene Meinung, Herr Kapitän,« sagte er, indem er sich begütigend eines Titels bediente, worauf unseres Abenteurers Ansprüche freilich sehr problematisch waren, »ist’s Ihre wirkliche Meinung, daß menschliche Mittel imstande seien, die Royal Carolina dem Gesichtskreis des Fahrzeuges dort zu entführen?«

»Ich fürchte, nein«, versetzte der Jüngling, dabei so tief Atem holend, als ob die geheimen Besorgnisse in seiner Brust um einen entsprechenden Ausdruck kämpften.

»Und ich – mit gebührender Rücksicht auf Ihre bessere Einsicht und Autorität, mein Herr, sag‘ ich es – ich weiß, daß es unmöglich ist. Ich hab‘ zu meiner Zeit viel dergleichen Partien gesehen; und weiß nur zu gewiß, daß alle Anstrengung, einem solchen Vogel den Wind abzugewinnen, so gut wie vergeblich ist.«

»Hier Earing, nehmen Sie selber das Fernglas, und sagen Sie mir, unter wievielen Segeln der Fremde steuert, und wie weit er ungefähr von uns ab sein mag«, sagte Wilder gedankenvoll, ohne im mindesten auf die eben gemachte Bemerkung des anderen geachtet zu haben.

Der ehrliche und wohlmeinende Gehilfe legte den Hut aufs Deck und tat, wie ihm befohlen war. Er blickte lange, ernst und unverrückt durch das Glas, drückte dann die Glieder des Fernrohres mit seiner gewaltigen flachen Hand zusammen und antwortete endlich wie einer, der nach vieler Überlegung mit sich aufs reine gekommen ist.

»Wenn das Segel dort wie jedes andere sterbliche Schiff gebaut und ausgerüstet wäre, so würde ich nicht anstehen, es für ein wohlbetakeltes, mit seinen drei einfach gerefften Bramsegeln, großen Untersegeln und Treiber und Klüver versehenes Fahrzeug zu erklären.«

»Und hat es nicht mehr?«

»Dafür wollte ich mich verbürgen, wohlverstanden, wenn ich mich erst vergewissern könnte, daß es in jedem Betracht anderen Fahrzeugen gleicht.«

»Und doch, Earing, haben wir mit diesem ganzen Segeldruck, wenn überhaupt der Kompaß richtig zeigt, jenem Schiff keinen Fuß Weges abgenommen.«

»Mein Gott,« erwiderte der Gehilfe, mit dem Kopf nickend, wie jemand, der von der Torheit eines solchen Beginnens vollkommen überzeugt ist, »und wenn Sie soviel beisetzen, daß jedes Tuch im großen Segel platzt, durchs Schnellfahren verändern Sie die Stellung jenes Segels dort um keinen Zoll bis zu Sonnenaufgang! Dann freilich dürften es gute Augen in die Wolken hineinsteuern sehen; obgleich ich für meine Person niemals das Glück oder das Unglück gehabt habe, daß mir einer dieser Kreuzer bei hellem Tage ausgestoßen wäre.«

»Und wie weit ist es ab?« sagte Wilder: »Sie haben immer noch nicht gesagt, wie weit es entfernt ist.«

»Das kommt auf die Art an, wie man mißt. Kann sein, daß es in diesem Augenblicke hier liegt, nahe genug, um uns einen Zwieback in die Topps werfen zu können; kann aber auch sein, daß es dort liegt, wo wir es zu sehen scheinen, mit dem Rumpf ganz in den Horizont getaucht.«

» Wenn es auch wirklich dort liegt, wie weit ist’s ab?«

»Je nun, dem Scheine nach ist’s ein Schiff von ungefähr sechshundert Tonnen, und nach dem äußeren Blick zu urteilen, möchte man sagen, es liege ein paar Stunden, drüber oder drunter, leewärts ab von uns.«

»Das stimmt mit meiner Berechnung! Sechs Meilen windab ist bei einer scharfen Jagd kein unbedeutender Vorsprung. Beim Himmel, Earing, ich will den Kerl hinter mir lassen, und sollte ich die Carolina bis aufs Trockene treiben!«

»Das wäre tunlich, wenn das Schiff Flügel hätte wie eine Seemöwe; so aber glaub‘ ich, treiben wir’s auf den Grund.«

»Es hält sich noch immer gut unter der vielen Leinwand; Sie wissen nicht, was das Boot aushalten kann, wenn’s angetrieben wird.«

»Ich hab‘ es bei allen Gattungen von Wetter segeln sehen, aber, Herr Kap …«

Sein Mund verschloß sich plötzlich. Eine ungeheure schwarze Woge erhob sich zwischen dem Schiffe und dem östlichen Horizont, im Heranrollen alles ihr in den Weg Kommende zu verschlingen drohend. Selbst Wilder sah dem Stoß mit atemloser Angst entgegen, und für den Augenblick drängte sich ihm das Gefühl auf, daß die Klugheit doch wohl nicht rechtfertige, das Schiff mit so großem Ungestüm gegen eine solche Wassermasse angetrieben zu haben. Einige Klafter vor dem Bug der Carolina überstürzte sich die Woge und eine Flut von Schaum verhüllte das Verdeck. Eine halbe Minute lang verschwand das Vorderteil des Schiffes, gleichsam als wollte es unter der Woge, die es nicht erklimmen konnte, hinwegtauchen, dann hob es sich langsam wieder, mit Millionen funkelnder Infusionstierchen des Ozeans wie mit ebenso vielen Brillanten überdeckt. Das Schiff hatte inne gehalten, indes jede Fuge seines starken und kolossalen Baues bebte, und der Wiederantritt seines Laufes geschah mit einer Langsamkeit, die warnend seine Leiter der Unbesonnenheit zu bezichtigen schien.

Schweigend sah Earing seinen Obern an, überzeugt, daß nichts, was er vorzubringen vermöchte, einen schlagenderen Beweis enthalten könnte. Nun standen die Matrosen nicht länger an, ihre Unzufriedenheit laut werden zu lassen; sie erkühnten sich, über die Folgen solches schonungslosen, tollkühnen Wagnisses ihre Prophezeiungen zu machen. Wilder hörte nichts oder wollte nichts hören. Unerschütterlich in seinem geheim gefaßten Entschlusse, würde er, um ihn auszuführen, noch größerer Gefahr die Stirne geboten haben. Allein ein durchdringender, obgleich halb zurückgehaltener Schrei vom Spiegel des Schiffes her, erinnerte ihn an das Zagen anderer. Sich rasch auf dem Absätze umdrehend, näherte er sich der noch bebenden Gertraud und ihrer Erzieherin, die sich beide während der letzten unsäglich bangen Stunden zwar fern von ihm gehalten, aber mit schmerzlicher Spannung die geringste seiner Bewegungen beobachtet hatten.

»Das Schiff hat diesen Stoß so gut ausgehalten, daß ich mich auf seine Stärke vollkommen verlasse«, sagte er besänftigend, um sie in blinde Sicherheit einzulullen. »Mit einem festen Schiff ist ein tüchtiger Matrose nie in Verlegenheit.«

»Herr Wilder,« versetzte die Gouvernante, »ich habe das fürchterliche Element, auf dem Sie Ihr Leben zubringen, in vielen Gestalten gesehen; vergebens bestreben Sie sich, mich zu täuschen. Ich weiß, daß Sie das Schiff auf eine ungewöhnliche Weise antreiben; haben Sie auch hinlänglichen Beweggrund zu diesem verwegenen Unterfangen?«

»Den hab‘ ich, Madame!«

»Und soll er, wie so viele andere von Ihren Beweggründen, ewig in Ihrer Brust verschlossen bleiben, oder dürfen wir, gleich betroffen von dessen Folgen, nicht auf einen gleichen Teil der Kenntnis davon Anspruch machen?«

»Da Sie so viele Sachkunde besitzen,« erwiderte der Jüngling mit einem erzwungenen Lachen, das ihm etwas Schreckenerregendes gab, »so ist es ja überflüssig, Ihnen zu sagen, das man, um windwärts zu steuern, dem Schiffe Segel aufsetzen müsse.«

»Eine von meinen Fragen werden Sie wenigstens unverhohlener beantworten können: Ist dieser Wind günstig genug, um uns über die gefährlichen Untiefen des Hatteras zu führen?«

»Ich zweifle.«

»Warum denn nicht lieber dahin umkehren, woher wir kommen?«

»Sie sind es zufrieden, wieder umzukehren?« fragte der Jüngling mit der Blitzesschnelle des Gedankens.

»Zu meinem Vater will ich«, sagte die vor Sehnsucht glühende Gertraud mit einer der seinigen so nahekommenden Schnelligkeit, daß ihr die wenigen Worte fast den Atem versetzten.

»Und ich, Herr Wilder,« nahm ruhig die Gouvernante wieder das Wort, »wünsche, überhaupt dieses Schiff zu verlassen. Ich verlange keine Erklärung aller Ihrer geheimnisvollen Warnungen; keine Frage soll Sie je wieder belästigen, nur geben Sie uns unseren Freunden in Newport zurück.«

»Es könnte geschehen!« murmelte unser Abenteurer, »es könnte geschehen! Ein paar tüchtige Stunden bei diesem Winde wären hinreichend – Herr Earing!«

Der Gehilfe stand augenblicklich neben ihm. Wilder wies mit dem Finger auf den trüben Punkt leewärts und reichte ihm das Glas, um eine zweite Untersuchung anzustellen. Sie blickten abwechselnd beide lang und scharf dahin.

»Es zeigt keine Segel mehr!« sagte ungeduldig der Kommandeur, als er einige Minuten lang stumm hingeschaut hatte.

»Nicht einen Faden, Herr. Aber was liegt auch einem Fahrzeug dieser Art daran, ob viel oder wenig Leinwand flattert, ob der Wind Ost oder West steht?«

»Hören Sie, Earing, der Wind hat zuviel von Süden in sich; und dort der düstere Wolkenstreifen auf unserer Windseite verkündet eine Wettergall. Lassen Sie das Schiff zwei Punkte oder etwas mehr vom Wind abfallen, und vermindern Sie den Druck an den Spieren durch das Anziehen der Luvbrassen.«

Der arglose Maat vernahm die Order mit einem Erstaunen, das er sich gar nicht zu verbergen bestrebte. Denn der erfahrene Seemann sah ohne Schwierigkeit, daß auf die Ausführung dieser Order nichts anderes erfolgen könnte, als daß sie denselben Weg, den sie bereits hinter sich hatten, wieder zurück gingen, was also wesentlich den Zweck der Fahrt aufgeben hieße. Er wagte es daher, mit der Ausführung zu zögern, um Gegenvorstellungen zu machen.

»Nehmen Sie es einem bejahrten Seemann wie mir nicht übel, Herr Kapitän, daß er sich über das Wetter ein Urteil erlaubt. Wenn es der Vorteil des Eigentümers verlangte, so hätte ich nichts dawider, umzukehren, denn ich mag nicht Land, auf das der Wind zu-, statt abtreibt. Ich dächte aber, wir könnten wohl das Meer behalten, wenn wir die Segel nur ein wenig anreffen; jeder Schritt von den Hatteras weg wäre schon barer Gewinn. Zudem kann sich ja der Wind zwischen heut und morgen nach Nordwest drehen.«

»Ein paar Punkte abgefallen! Und die Luvbrassen angeholt! sage ich!« rief Wilder aufgebracht.

Längerer Verzug unter solchen Umständen war nicht des ehrlichen Earing Sache; er hatte ein zu friedfertiges, unterwürfiges Gemüt dazu. Daher förderte er die Orders an die Subalternen, die zwar gehorchten, wie sich von selbst versteht, allein Nighthead und noch einige Veteranen von der Schiffsmannschaft ließen doch über die unschlüssige und scheinbar unvernünftige Schwankung im Willen ihres Kommandeurs halb unterdrückte und bedeutungsschwere Töne hören.

Bei allen diesen Zeichen der Unzufriedenheit blieb Wilder, wie vorher, gleichgültig. Wenn er sie überhaupt bemerkte, so verschmähte er es entweder, die geringste Notiz davon zu nehmen, oder tat, sich dem Drange des Augenblicks fügend, als merkte er nicht, worum es sich handle. Inzwischen glitt das Schiff gleich einem Vogel, der, durch langes Ankämpfen gegen den Luftstrom ermüdet, seinem Fluge eine andere, minder schwierige Richtung gibt, über die Wellenspitzen, oder durch die hohle See leicht einher, weil es nunmehr mit einem günstigeren Winde segeln durfte, und der Lauf des Stroms dem Seinigen nicht länger entgegengesetzt war. In demselben Grade, als es vom Winde abfiel, stellte sich das Gleichgewicht seiner Kraft und des Segeldruckes wieder her. Doch war die ganze Mannschaft der Meinung, daß bei einer so bedrohlichen Nacht noch immer des Segeltuches mehr als genug beigesetzt wäre. Nicht so urteilte der Fremdling, dem das Schicksal des Schiffes anvertraut worden war. Mit einer Stimme, die noch immer die Subalternen an die Gefahr des Ungehorsams erinnerte, befahl er, mehrere große Leesegeltücher rasch nacheinander beizusetzen. Auf diese Weise von neuem angetrieben, lief das Schiff in voller Karriere über die Wellen, seine Spur mit einer Masse Schaums bezeichnend, die der Größe und dem Glanze nach mit dem überstürzenden Gipfel der ungeheuersten Wogen hätte wetteifern können.

Als Segel auf Segel beigesetzt war, bis sich selbst Wilder gestehen mußte, daß die Royal Carolina, so dauerhaft sie war, doch nicht mehr tragen könne, begann er von neuem auf dem Deck rasch auf und ab zu gehen, und dabei umherzuschauen, um den Erfolg seines neuen Versuches zu beobachten. Die Veränderung im Laufe des Bristoler Kauffahrers hatte eine entsprechende Veränderung in der Fahrt des fremden Schiffes zur Folge, das noch immer wie ein kleiner Nebelpunkt am Horizont dahinschwebte, noch immer, wie der unfehlbare Kompaß den wachsamen Abenteurer lehrte, dieselbe gleiche Richtung mit ihm behielt, wie damals, als er es zuerst entdeckte. Seine verzweifeltsten Anstrengungen schienen dem Fremden keinen Zoll abgewinnen zu können. Nach einer schnell dahin geflogenen Stunde sah er am Geschwindigkeitsmesser, daß das Schiff drei Stunden Weges zurückgelegt hatte, und dennoch, dennoch lag das fremde Schiff dort im Westen, gleichsam als wäre es der Schatten der Carolina, den die fernen düsteren Wolken zurückgäben. Die einzige am Fremden zu gewahrende Veränderung bestand darin, daß das Auge nunmehr eine größere Fläche seiner Segel bestreichen konnte, eine Folge der neuen Richtung beider Schiffe. Es war aber bei der Entfernung und der Finsternis selbst dem erfahrenen Earing nicht möglich, zu entdecken, ob der Fremde neue Segel zugesetzt habe. Wir wollen es nicht leugnen, die erregte Gemütsstimmung des guten Earing hatte ihn so sehr zum Glauben an die Wunderkräfte des rätselhaften Nachbars gestimmt, daß ihm seine geübten Sinne diesmal die gewöhnlichen guten Dienste versagten. Allein Wilder selbst, der sein scharfes Auge durch oft wiederholtes Spähen aufs Äußerste anstrengte, konnte sich nicht verbergen, daß das fremde Schiff durch die Meereswogen dahinglitt, mehr wie ein in der Luft schwebender Körper, als wie ein auf die gewöhnlichen Hilfsmittel der Schiffahrt angewiesenes Fahrzeug.

Was Mistreß Wyllys und ihre Pflegebefohlene betrifft, so hatten sich beide bereits in ihre Kajüte zurückgezogen; die erstere sich innerlich über die Aussicht Glück wünschend, recht bald ein Schiff verlassen zu können, das seine Fahrt unter so unglückweissagenden Umständen angetreten hatte, daß selbst ihr durchgebildeter und ruhiger Geist dadurch die Fassung verlor. Gertraud ließ sie von dem veränderten Laufe nichts merken; ihrem ungeübten Auge bot die öde See nichts dar, als eine unterscheidungslose Fläche, und Wilder hätte die Richtung des Schiffes zwanzigmal verändern können, ohne daß sie das mindeste gemerkt hätte.

Ihm, dem wohlunterrichteten Seemanne, ging es freilich anders. Für ihn gab es auf seinem mitternächtlichen Meerespfade weder äußerste Finsternis noch inneren Zweifel. Kein Stern hob sich aus dem wogenden Bette der See, um an einem anderen dunkeln und unbestimmten Umriß des Wassers wieder zu verschwinden, der seinem Auge nicht längst vertraut gewesen wäre; kein Wind auf dem Ozean berührte seine brennende Wange, von dem er nicht wußte, aus welcher Himmelsgegend er käme. Nicht die geringste Neigung des Schiffes luv- und leewärts, deren Ursache er nicht begriffen hätte, sein Geist vermochte die zahllosen Wendungen und Krümmungen auf dem spurlosen Pfade mit der größten Klarheit und Bestimmtheit festzuhalten, und nur selten fühlte er bei der Lenkung seiner Fahrt, bei der Art und Weise, wie die Bewegungen seines künstlich gebauten Schiffes geleitet werden müßten, das Bedürfnis, zu den äußeren Hilfsmitteln der Schiffahrtskunde seine Zuflucht zu nehmen. Aber all sein Wissen reichte nicht hin, ihm die außerordentlichen Evolutionen des Fremden zu erklären. Nahm er auch die unbedeutendste Veränderung vor, so war es, als hätte sie der Fremde vorausgesehen, so schnell wurde ihr entsprochen, und des Fremden Behendigkeit im Manöverieren und Überlegenheit im Segeln raubte ihm endlich die Hoffnung, der unermüdlichen Wachsamkeit noch entgehen zu können, ja alle feine Bildung konnte nicht verhindern, daß sich ihm die Idee aufdrängte, hier seien mehr als natürliche Kräfte im Spiele.

Während er sich dergleichen niederschlagenden Gedanken überließ, gewann der Himmel und die See ein anderes Aussehen. Die lichte Linie, die solange über dem östlichen Horizont geweilt und ausgesehen hatte, als wenn sich der Vorhang des Firmaments nur gelüftet hätte, um den Winden einen Durchgang zu gewähren, war plötzlich gefallen; schwere Massen schwarzer Wolken ballten sich an jener Stelle, bis sich die ungeheuern Dunstsäulen so aufeinander gehäuft hatten, daß keine Grenzlinie zwischen beiden Elementen mehr zu unterscheiden war. Auf der anderen Seite, im Westen, hob sich das dunkle Gewölbe, umgürtet von einem grausenerregenden Lichtstreifen, und in dem glänzenden, unheilverkündenden Nebel sah man noch immer das fremde Schiff schweben, wenn auch dann und wann dessen matte, phantastische Umrisse in Luft zu zerfließen schienen.

Sechzehntes Kapitel.

Sechzehntes Kapitel.

Unserem wachsamen Abenteurer entgingen diese schlimmen, wohlbekannten Vorzeichen nicht. Kaum erblickte er die eigentümliche Atmosphäre, die plötzlich das geheimnisvolle Bild, den Gegenstand seines ängstlichen, lang vergeblichen Forschens, umgab, so ertönte warnend seine klare und kräftige Stimme:

»Zu Hauf! Die Leesegel runter! Runter damit!« schrie er so rasch hintereinander, daß seine Untergebenen fast die ersten Worte nicht hören konnten. »Runter bis auf den letzten Lappen, vorn und hinten! Bemannt die Geitaue der Bramsegel, Earing. Geitaue auf und nieder! Herab mit allem, ihr Leute, munter! munter! Herab damit!«

Das war der Mannschaft der Carolina eine ebenso bekannte als willkommene Sprache, denn der gemeinste Matrose darunter hatte schon lange seine eigenen Gedanken über die leichtsinnige Art, wie sein Kommandeur mit der Sicherheit des Schiffes sein Spiel trieb und frech den unglückverkündenden Symptomen des Wetters Trotz bot. Allein sie verkannten den Scharfblick und die Beobachtungsgabe Wilders. Er hatte allerdings das Bristoler Handelsschiff zu einer bisher noch nicht erreichten Schnelligkeit angetrieben; allein noch sprach die Tatsache zu seinen Gunsten, daß seine vermeintliche Verwegenheit bis jetzt dem Schiffe keinen Schaden zugezogen hatte. Als indessen der rasche, plötzliche Befehl ertönte, war das ganze Schiff augenblicklich in einem Aufruhr. Ein Dutzend Matrosen riefen aus verschiedenen Teilen des Schiffes einander zu, mit Stimmen, die es dem brüllenden Ozean zuvorzutun suchten; es sah aus, als wenn sich alles in einen allgemeinen Wirrwarr auflösen wollte, allein der nämliche Herrschergeist, der so unerwartet ihre regste Tätigkeit hervorzurufen wußte, verstand es auch, ihre kräftigen, aber verwirrenden Anstrengungen zur Ordnung zurückzuführen. Seine bisherigen Alarmrufe hatten zum Zweck, die Schläfrigen munter und die Trägen regsam zu machen; sobald er aber diesen Zweck erreicht und jeden in voller Tätigkeit sah, erteilte er seine Befehle, zwar nicht ohne den Nachdruck, den der Drang des Augenblickes gebot, aber doch mit einer Ruhe, wodurch die Kräfte jedes einzelnen erst dahin geleitet wurden, wo sie nützen konnten.

Die zahllose Masse von Segeln, die am düstern, drohenden Himmel wie ebenso viele lichte Wölkchen ausgesehen hatten, flatterten wild im Winde, als sie von ihren hohen Stangen herabgelassen wurden, und nach einigen Minuten war das Schiff ausschließlich auf die Wirkung der schweren, größere Sicherheit darbietenden Segel beschränkt. Die Herstellung dieses Zweckes hatte nicht nur eine feste und entschlossene Leitung von seiten des Kommandeurs erfordert, sondern auch alle Kräfte sämtlicher Mannschaft bis aufs Äußerste in Anspruch genommen. Darauf folgte eine kurze, angstvolle Pause der Erholung, während der jedes Auge nach der Gegend hin gerichtet war, wo die schlimmen Vorzeichen zuerst entdeckt worden waren, und ein jeglicher versuchte die Bedeutung zu entziffern, mit einer mehr oder minder richtigen Einsicht, je nach dem Grade der gesammelten Erfahrung während seiner kürzeren und längeren Dienstzeit auf dem verräterischen, zu seiner Heimat gewordenen Elemente.

Die matte Spur der Gestalt des fremden Schiffes war in der lichten Nebelflut zerschmolzen, die sich jetzt die See entlang wälzte wie fliegender Dampf, halb durchsichtig, gespenstisch, und dem Scheine nach fühlbar. Der Ozean selbst schien gewarnt vor einem bevorstehenden schnellen und heftigen Wechsel. Nicht mehr brachen sich die Wellen mit schäumenden und schimmernden Spitzen, nein, schwarze Wassermassen sah man ihre zürnenden Häupter gegen den östlichen Horizont erheben, die aber nun nicht wie vorhin jenes eigentümliche funkelnde Geflimmer von sich gaben. Auch der bisher straffe Wind, der sich zuweilen zu einer kleinen Bö gesteigert hatte, begann zu lunen und unsicher zu werden, gleichsam eingeschüchtert von der höheren Macht, die sich an der vom Horizont begrenzten Seelinie, nach der Richtung des nächsten Festlandes hin, zu sammeln anfing. Mit jedem Moment verloren die östlichen Windstöße an Kraft und wurden schwächer und schwächer, bis man nach wenigen Augenblicken die schweren Segel gegen die Masten anschlagen hörte: – drauf eine schreckliche, ahnungsvolle Stille! In diesem Augenblick erleuchtete ein flüchtiger Blitz die Finsternis des Ozeans, und dann rollte ein Knall, wie der einer plötzlichen Entladung des Donners, auf dem Gewässer daher. Die Matrosen sahen sich erschrocken an und standen verblüfft, als wenn sie vom Himmel eine Warnung vernommen hätten, von dem, was bevorstehe. Allein der mehr besonnene und scharfsichtige Kommandeur legte das Signal ganz anders aus. Im vollen Kennerstolz die Lippen aufwerfend, murmelte er rasch und mit einer Art von Verachtung vor sich hin:

»Er glaubt wohl, wir schlafen hier? Ha, er ist selbst mitten drin und will uns gegen das Herannahende warnen? Wunderlich! Er bildet sich ein, wir seien müßig gewesen, seit die Mitternachtswache abgelöst ist!«

Dann drehte er sich auf der Schanze einigemal um, den Blick unaufhörlich von einer Himmelsgegend nach der anderen wendend, von dem schwarzen stillen Wasser, auf dem sein Schiff schlingerte, zu den Segeln, und von seinen stummen, in tiefer Erwartung versunkenen Matrosen hinauf zu den matten Linien der Spieren, die sich über seinem Haupt hin- und her bogen und sich in dem düstern Getriebe der Wolken wie ebenso viele kleine gekrümmte Stäbchen ausnahmen.

»Braßt die Hinterrahen ans Kreuz!« rief er mit einer Stimme, die nur einen Ton über die gewöhnliche Sprechstimme erhoben, aber doch einem jeden auf dem Verdeck vollkommen vernehmlich war. Selbst das Schwirren der Blöcke, als die Spieren langsam und schwerfällig in die genannte Lage gedreht wurden, steigerte das Erhabene des Augenblicks und tönte in den Ohren der Erfahreneren wie Signale furchtbarer Vorbereitung.

»Holt die großen Segel an!« fuhr Wilder nach einem kurzen Augenblick der Überlegung mit derselben beredten Ruhe in seinen Befehlen fort. Darauf sah er noch einmal nach dem drohenden Horizont hin und fügte dann mit Nachdruck hinzu: »Rollt sie zusammen, rollt sie beide zusammen. – Nehmt die Segel oben weg! Beschlagt die großen Untersegel!« schrie er hinauf; »rollt sie zusammen, rasch! Zusammen damit, Jungens! frisch, sag‘ ich!«

Die Matrosen fühlten wohl, daß der Drang des Augenblicks groß war, und die Töne ihres Kommandeurs beseelten sie alle zur äußersten Anstrengung. In einem Augenblick sah man zwanzig dunkle Gestalten wie Vierfüßler munter die Takelage hinaufklettern, und einen Augenblick darauf waren auch schon die ungeheuern gewaltigen Segeltücher unschädlich gemacht und dicht zusammengerollt an ihren verschiedenen Spieren befestigt.

Die Leute stiegen von den Rahen ebenso schnell wieder herab, als sie hinaufgestiegen waren, dann folgte noch eine kurze Erholungspause. In diesem Augenblick würde die Flamme eines Lichtes kerzengerade gen Himmel gestiegen sein, so windstill war es. Der regelmäßig antreibenden Gewalt des Windes beraubt schwankte das Schiff in den Vertiefungen zwischen den zunehmend kleiner werdenden Wellen. Es schien, als ob das aufgeschreckte Element jetzt alle die Teilchen, die es kurz vorher in der Gestalt zahlloser Wogen auf seiner Oberfläche wild herum tanzen ließ, in den sicheren Hort seines ungeheuern Schoßes zurückriefe. Bald bespülte das Wasser mürrisch den unteren Rand des Schiffes, bald schoß es in unzähligen kleinen schimmernden Kaskaden vom Verdeck, wenn das arbeitende Fahrzeug von der einen Seite einer Woge hinabstürzte und sich erhob, um eine neue zu erklimmen. Jede Schattierung am Himmel, jedes Rauschen des Wassers, jedes trübe und niederschlagende Gesicht, das bei einem vorübergehenden Schimmer sichtbar wurde, erhöhte die schmerzliche Spannung des Augenblicks. In diesem kurzen Zwischenraum des Erwartens und Ausruhens näherten sich die beiden Subalternoffiziere nochmals ihrem Kommandeur.

»Es ist eine entsetzenerregende Nacht, Herr Kapitän«, sagte Earing, der seines höheren Ranges halber das Gespräch einleitete.

»Ich kenne manche Beispiele, wo das Umsetzen des Windes weit plötzlicher eintrat«, war die Antwort.

»Es ist freilich wahr, Sir, wir hatten noch Zeit genug, unsere Drachen einzuziehen; aber bei alledem ist dieses Umsetzen von Warnungszeichen begleitet, vor denen wohl der älteste Seemann Respekt hat!«

»Ja,« fuhr Nighthead fort, mit einer Stimme, die an Rauheit und Gewalt das Grausenhafte der umgebenden Szene noch überbot; »jawohl, eine Kleinigkeit ist’s nicht, die gewisse Leute, die ich nicht nennen will, in einer Nacht wie dieser zur See ruft. Es war gerade ein solches Wetter, als ich die Bombenkiste Vesuv an einen Ort gehen sah, der so tief war, daß keine Bombe aus ihrem Mörser bis in die freie Luft hätte reichen können, wär’s auch angegangen, da eine abzudrücken, wo sie lag.«

»Ganz recht, solches Wetter war es auch, als der Grönländer an den Orkneyinseln strandete: die toteste Windstille, die je auf See gelegen.«

»Meine Herren,« sagte Wilder, mit einem eigentümlichen und etwas ironischen Druck auf dieses Wort; »was ist eigentlich Ihr Verlangen? Kein Lüftchen rührt sich, und das Schiff ist bis zu den Topps von Segeln entblößt!«

Diese Frage genügend zu beantworten, würde beiden Unzufriedenen schwer geworden sein. Der innere Sporn, der sie antrieb, war die unbestimmte, abergläubische Furcht vor etwas Geheimnisvollem, eine Furcht, die das bestimmtere und unzweideutigere Aussehen der Nacht freilich nicht wenig steigerte; doch hatte keiner von beiden seinen Mut und seemännischen Stolz so gänzlich verloren, daß er sich getraut hätte, die Blöße seiner ganzen Schwäche aufzudecken, zumal in einer Stunde, wo sie jeden Moment aufgefordert werden konnten, ihre Entschlossenheit und Unerschrockenheit durch die Tat zu beweisen. Demungeachtet aber verriet Earings Antwort, wie unumwunden sie auch war, was für ein Gefühl ihn am meisten beherrschte.

»Nu ja, das Fahrzeug ist in ziemlich gutem Stande,« sagte er, »obgleich der Augenschein uns allen die Lehre gegeben hat, daß es in einem schwer befrachteten Schiffe keine leichte Sache ist, mit einem Fahrzeug um die Wette zu segeln, von dem man nicht weiß, wer sein Steuer regieren, oder nach welchem Kompaß es segeln, oder wie tief es Wasser ziehen mag.«

»Das sag‘ ich auch,« setzte Nighthead hinzu; »für ein ehrliches Kauffahrteischiff ist die Carolina schnell genug, und wenig Rahesegelschiffe gibt’s unter denen, die nicht die königliche Flagge führen, die der Carolina den Wind abgewinnen, oder sie aus ihrem Fahrwasser bringen könnten, wenn sie ihre Leesegel beigesetzt hat. Aber bei solchem Wetter und zu solcher Stunde mag sich ein Seemann in acht nehmen! Seht dort jenes Nebellicht nach der Landseite zu, das so schnell auf uns zukommt, und dann sagt mir, ob es von der Küste von Amerika herkommt, oder nicht vielmehr aus dem fremden Schiff. Glaubt mir, das Schiff ist zwar lange unter unserer Leeseite gewesen; allein es gewinnt uns, ohne daß wir uns dessen versehen, endlich doch den Wind ab, wenn’s nicht schon geschehen ist. Ich lobe mir zum Nachbar ein Schiff, dessen Kapitän ich kenne, oder lieber gar keins – mehr sag‘ ich nicht!«

»Das ist Ihr Geschmack, Herr Nighthead,« sagte Wilder kalt: »meiner ist zufällig von ganz anderer Art.«

»Nu ja,« fiel der vorsichtigere und klügere Earing ein, »in Kriegszeiten und mit Kaperbriefen versehen, kann man in allen Ehren wünschen, mal einem Schiff zu begegnen, dessen Befehlshaber ein Fremder ist, sonst würde man niemals aus den Feind stoßen. Aber unter den jetzigen Umständen gesteh‘ ich, obgleich ein geborener Engländer, ich würde das Schiff in dem Nebel dort von Herzen gern laufen lassen, da man weder weiß, was für einer Nation es angehört, noch auf was für einer Fahrt es begriffen ist. Ach, Herr Kapitän, was wir jetzt, zur Zeit der Morgenwache, dort erblicken, das ist wahrlich nichts Tröstliches! Gar manch liebes Mal hab‘ ich die Sonne im Osten aufsteigen sehen, ohne daß es was geschadet hätte; aber nimmermehr kann ein Tag gut endigen, wenn das Licht zuerst in Westen anbricht. Herzlich gern schenkte ich dem Prinzipal die Gage eines ganzen Monats, wie blutsauer ich sie auch verdient habe, wüßte ich nur, unter welcher Flagge der Fremde dort segelt.«

»Franzose, Spanier oder Satan, dort kommt er!« schrie Wilder.

Dann, sich zu den stummen, aufpassenden Matrosen wendend, rief er mit einer Stimme, die durch das Heftige und Bedeutungsschwere darin entsetzlich klang: »Laßt die Hinterfalltaue schießen! Herum mit der Fockrahe! Herum damit, ihr Leute, den Augenblick!«

Gar wohl verstand die aufgeschreckte Mannschaft dies Kommando. Jeder Nerv, jeder Muskel wurde angestrengt, den Orders zeitig genug nachzukommen, um auf den Empfang des nahenden Sturmes bereit zu sein. Kein einziger gab einen Laut von sich; sondern jeder verwandte seine Kräfte und Geschicklichkeit, um der ernsten Stunde zu genügen. Auch war kein einziger Augenblick zu verlieren, noch der geringste Teil menschlicher Kräfte ohne mehr als hinreichenden Grund in Anspruch zu nehmen.

Der lichte und furchtbar drohende Nebel, der sich während der letzten Viertelstunde in Nordwest anballte, trieb nun auf sie zu, mit der Geschwindigkeit eines Rennpferdes. Schon hatte die Luft das eigentümlich Klamme des Ostwinds verloren; und zwischen den Mastbäumen fing der Wind an in kleinen Kreisen zu wirbeln – alles Vorboten des kommenden Sturmwinds. Jetzt sauste ein heulender Ton über den Ozean dahin, dessen Glätte stufenweise zu einer gekräuselten Glanzfläche weißen, fleckenlosen Schaums verwandelt wurde. Im nächsten Augenblick traf die Gewalt des Windes in vollster Wut das arbeitende Schiff.

Wilder hatte; als er den herannahenden Sturm bemerkte, den geringen Vorteil, den ihm das Abwechseln der Windstöße darbot, benutzen wollen, um das Schiff vor den Wind zu bringen; allein die träge Bewegung des Schiffes entsprach weder seiner eigenen Ungeduld, noch dem Drange des Augenblicks. Langsam und schwerfällig, mit der Seite von Norden abfallend, war es seiner Stellung nach der vollen Lage des Windes ausgesetzt. Glücklicherweise für alle, die in diesem wehrlosen Schiffe ein Leben zu verlieren hatten, wollte das Geschick nicht, daß die ganze Wucht des Sturms mit einem Male darauf fiele. Die Segel flatterten und zitterten an ihren starken Rahen, indem sie eine Minute lang abwechselnd voll wurden und wieder zusammenschrumpften; dann fuhr der jähe Orkan über ihre Spitzen weg.

Die Carolina bewährte sich in der Eigenschaft eines starken und doch leicht schwimmenden Schiffes, dem furchtbaren Druck des Sturmes nachgebend, bis sie einem auf dem Wasser liegenden Körper ähnlicher sah, als einem darauf schwimmenden. Sodann, als ob das Schiff ein Bewußtsein von der Gefahr hätte, tauchten seine Masten von ihrer tiefen Neigung wieder in die Höhe, und nun mußte sich das Schiff jeden Schritt vorwärts durch den heißesten Kampf erringen.

»Haltet das Steuer windwärts! So lieb euch euer Leben ist, klemmt es luv!« schrie Wilder mitten im Geheul des Sturms.

Der Veteran am Steuerrad gehorchte der Order mit vieler Festigkeit; allein vergebens haftete sein Blick an den Rand seines Vorsegels, um zu beobachten, wie das Schiff dem Manöver gehorchen würde. Noch zweimal, in ebenso vielen Augenblicken, neigten sich die hohen Masten gegen den Horizont, tauchten ebensooft zierlich wieder auf, bis sie, dem ungeheuern Druck unterliegend, den ganzen Bau flach aufs Wasser legten.

»Besinnung!« schrie Wilder, indem er Earing, der fassungslos und wie wahnsinnig am steilen Deck hinan rannte, beim Arm ergriff; »Besinnung! Es ist unsere Pflicht, gefaßt zu bleiben. Eine Axt her!«

Schnell, wie der Gedanke, der die Order eingab, gehorchte der Maat, sprang an das Besansegel, um den Befehl, der jetzt, wie er wohl wußte, folgen würde, mit eigenen Händen zu vollstrecken.

»Soll ich zuhauen?« fragte er mit aufgehobenen Armen und kräftiger gehaltener Stimme, die seine augenblickliche Verwirrung leicht vergessen machte.

»Noch nicht! Gehorcht das Schiff im geringsten seinem Steuer?«

»Nicht einen Zoll, Herr!«

»Dann zugehauen!« schloß Wilder ruhig das Kommando.

Ein einziger Hieb reichte hin. Das Reep, ohnedies schon durch die ungeheure Wucht, die es aufrecht hielt, bis zum Reißen gespannt, war kaum abgehauen, als die übrigen alle, eines rasch nach dem anderen, von selber abrissen und es nunmehr dem Mast allein überließen, das schwere und verwickelte Tauwerk zu tragen. Nun krachte das Holz, und nun fiel, gleich einem Baum mit längst angefressenen Wurzeln, das ganze Tauwerk vollends in die See, die es, noch am Mast, auch schon beinahe berührt hatte.

»Fällt das Schiff jetzt ab?« rief Wilder sogleich dem aufmerksamen Steuermann zu.

»Es gab ein bißchen nach, Herr; aber dieser frische Stoß legt’s wieder um.«

»Soll ich zuhauen?« schrie Earing vom Haupttauwerk, wohin er wie ein Tiger auf seine Beute gesprungen war.

»Haut zu!« war die Antwort.

Ein lautes und fürchterliches Krachen folgte diesem Befehl, obgleich erst verschiedene Male in den Hauptmast selbst eingehauen werden mußte. Die See verschlang wie vorher das ganze hineinstürzende Labyrinth von Rahen, Tauen und Segeln, und das Schiff, sich augenblicklich von seiner seitwärts geneigten Lage aufhebend, rollte langsam windwärts.

»Es richtet sich auf! Es richtet sich auf!« schrien zwanzig Stimmen, die bisher in einer Leben und Tod in sich schließenden Erwartung verstummt waren.

»Laßt es gemach abfallen!« fügte die gebieterische, aber fortwährend ruhige Stimme des jungen Kommandeurs hinzu. »Her! Rasch! Das Vormarssegel einschnüren! – Laßt’s einen Augenblick hängen, damit’s das Schiff aus der Nähe des Wracks kriegt! – Nun kappt, flink, ihr Leute, kappt zu, mit Äxten und Messern, was ihr könnt!«

Da die Matrosen jetzt durch die wiederkehrende Hoffnung mit frischer Kraft arbeiteten, so waren die Taue, durch die die gefallenen Spieren noch mit dem Schiffe verwickelt blieben, gar bald gekappt, und die Carolina, jetzt tot vor dem Winde hertreibend, schien den Schaum, der die See über und über bedeckte, kaum zu berühren. Der Wind kam das Meer entlang, heulend wie ferner Donner, und mit einer Wut, die das Schiff samt allem, was drin war, aus seinem eigenen Element zu heben drohte. In dem Augenblick, wo der Sturm herannahte, hatte einer der Matrosen die Falltaue des einzigen Segels, das noch übrig war, sehr weislich und vorsichtig fahren lassen: dadurch wurde das Bramsegel geräumiger, fiel aber auch tiefer am Mast herunter, daher der Wind es jetzt so sehr anfüllte, daß es den einzigen noch stehenden Mast umzubrechen drohte. Wilder sah die Notwendigkeit ein, dieses Segel aus dem Wege zu schaffen, aber auch zugleich die Unmöglichkeit, es zu beschlagen. Daher rief er Earing zu sich, wies auf den Gegenstand der Gefahr hin und gab den nötigen Befehl.

»Die Spiere dort kann solche Stöße unmöglich lange mehr aushalten,« schloß er, »und warten wir, bis sie von selber bricht, so fällt sie über die Seite, und bei der Schnelligkeit, mit der sich das Schiff bewegt, versetzt sie ihm höchstwahrscheinlich einen verderbenbringenden Schlag. Es müssen ein paar Leute hinaufgeschickt werden, um die Segel von den Rahen zu kappen.«

»Die Stange biegt sich wie ’ne Weidengerte,« erwiderte der Maat, »überdies ist das Unterteil des Mastes schon gesprungen. Bei diesem unbändigen Sturm kommt jeder in augenscheinlichste Lebensgefahr, wer sich auf das Topp raufwagt!«

»Sie können recht haben«, versetzte Wilder, plötzlich von der Wahrheit dieser Bemerkung überzeugt. »Bleiben Sie also hier; widerfährt mir was Menschliches, so versuchen Sie das Fahrzeug in Hafen zu bringen, wenigstens so weit nach Norden zu als die Vorgebirge von Virginien; auf keinen Fall steuern Sie auf Hatteras, in der gegenwärtigen Verfassung des …«

»Was haben Sie vor, Herr Kapitän?« unterbrach der Gehilfe seinen Kommandeur, der bereits seine Matrosenmütze aufs Verdeck geworfen hatte und im Begriff stand, noch einige hinderliche Kleidungsstücke auszuziehen, kräftig bei der Schulter fassend.

»Ich steig‘ rauf, um den Mast vom Bramsegel zu befreien, sonst verlieren wir die Spiere und wahrscheinlich das Schiff obendrein.«

»Sehr richtig, ich seh‘ das nur zu gut ein; soll man aber dem Eduard Earing nachsagen, ein anderer habe den Dienst getan, den er tun sollte? Es ist an Ihnen, das Fahrzeug bis zum Vorgebirge Virginiens zu führen, und an mir, das Bramsegel abzukappen. Geschieht mir Leides, je nu, so tragen Sie es ins Logbuch ein, mit einem oder zwei Worten über die Art, wie ich meine Rolle ausgespielt habe. Das ist immer die beste und passendste Grabschrift für einen Matrosen.«

Wilder widersetzte sich ihm nicht, und unbefangen nahm er seine beobachtende und nachdenkende Stellung wieder an, denn er war zu lange selbst zur Erfüllung der Dienstpflicht angehalten worden, um es auffallend zu finden, daß einem anderen das Gebot der Pflicht einleuchtete. Inzwischen schickte sich Earing standhaft an, das eben Versprochene auszuführen. Auf der Kuhl des Schiffes versah er sich mit einer zweckmäßigen Axt, worauf er, ohne zu den in sprachloser Aufmerksamkeit dastehenden Leuten ein Wörtchen zu sprechen, in das Vordertauwerk hineinsprang, wo der Sturm jede Ducht, jeden Schaft bis zum Reißen straff spannte. Die erfahrenen Blicke seiner Beobachter begriffen bald seine Absicht; und von demselben Kennerstolze bewegt, der ihn zu dem gefährlichen Unternehmen angespornt hatte, warfen auch sie sich auf die Linien, um sich mit ihm in eine Höhe zu schwingen, wo die Luft von hundert Orkanen wimmelte.

»Runter aus dem Vordertauwerk«, schrie Wilder durch einen Rufer. »Runter! Alle außer dem Maat herab!«

Seine Worte reichten wohl noch weiter als bis zu den Ohren der aufgeregten und pikierten Matrosen, die Earing nachkletterten; allein eben diese Aufgeregtheit vereitelte die Wirkung seines Befehls. Sie waren jeder viel zu sehr mit dem eigenen festen Vorsatz beschäftigt, um auf die Töne des Rückrufs zu achten. Es dauerte keine Minute, so sah man sie, den einen da, den anderen dort auf den Rahen verteilt, bereit, dem Signal ihres Befehlshabers zu gehorchen. Der Maat warf einen Blick um sich her, ergriff einen verhältnismäßig günstigen Moment des Wetters und tat einen Hieb auf das große Tau, das eine der Ecken des gespannten und fast platzenden Segeltuchs an der Unterrahe festhielt. Die Wirkung war beinahe dieselbe, als wenn man den Schlußstein eines schlecht zusammengekitteten Gewölbes heraushiebe. Mit einer lauten Explosion riß sich die Leinwand von allen Befestigungen los, und einen Augenblick lang sah man sie in der Luft, gleichsam von Adlerschwingen getragen, vor dem Schiffe vorbeisegeln. Das Fahrzeug hob sich auf einer trägen Welle, der zaudernden Nachzüglerin des früheren Windes, und schoß dann von der anderen Seite der rollenden Woge wieder herab, gleich sehr von seiner eigenen Wucht und der sich erneuernden Heftigkeit des Sturms getrieben. In diesem kritischen Augenblick, während die Matrosen oben noch immer nach der Richtung hinschauten, wo die kleine Wolke Leinwand verschwunden war, riß ein Taljereep des unteren Tauwerks mit einem solchen Geräusch, daß es selbst Wilder auf dem Deck hören konnte.

»Runter!« schrie er fürchterlich durch seine Trompete, »laßt euch an den Pardunen runter! Herab, wenn euch das Leben lieb ist, sag‘ ich! Alle runter!«

Nur ein einziger von ihnen allen ließ sich warnen, und man sah ihn mit der Schnelligkeit des Windes nach dem Verdeck zu gleiten. Allein ein Tau nach dem anderen ging los, und das verhängnisvolle Abbrechen des Mastes erfolgte ohne den geringsten Zwischenraum. Eine Sekunde schwankte das turmhohe Labyrinth und schien sich nach jeder Himmelsgegend hinzuneigen; dann aber, der Bewegung des Schiffsrumpfes nachgebend, fiel das Ganze mit einem Krach in die See. Stagen, Taljereepen, kurz, jedes Tau riß der fallende Mast wie einen Zwirnsfaden los, und der nackte und entblößte Rumpf des Fahrzeuges trieb weiter vor dem Sturm, als wenn sich nichts Hemmendes zugetragen hätte.

Eine sprachlose und doch beredte Pause folgte auf diesen Unfall. Es hatte den Anschein, als ob die Elemente durch das, was sie angerichtet hatten, nunmehr versöhnt wären; eingelullt schien das furchtbare Brüllen des Sturms auf einen Moment. Wilder sprang auf die Seite des Schiffs und konnte deutlich die Opfer unterscheiden, wie sie sich noch immer an ihren schwachen Stützen festhielten, konnte sehen, wie Earing mit der Hand Lebewohl winkte, mit einem echten Matrosenherzen, und wie einer, der nicht nur das Verzweiflungsvolle seiner Lage fühlte, sondern sich auch mit Ergebung in sein Schicksal zu fügen wußte. Darauf verschwand das Wrack von Spieren mit allen, die sich daran festhielten, in dem entsetzlichen, übernatürlich aussehenden Nebel, der sich von allen Seiten und vom Ozean bis zu den Wolken hinauf ausdehnte.

»Laßt ein Boot hinab!« schrie Wilder, ohne zu überlegen, daß bei einem solchen Küselwinde an Schwimmen oder sonstige Hilfe nicht zu denken war. Allein die verblüfften und verwirrten Seeleute, die noch am Bord waren, durften hierüber auch nicht erst belehrt werden. Keiner rührte sich, keiner gab auch das geringste Zeichen des Gehorsams. Wild um sich her schauend, suchte jeder in dem trüben Angesicht des andern dessen Meinung von dem Umfange des Übels zu erfahren; aber kein Mund öffnete sich.

»Es ist zu spät – es ist zu spät!« murmelte Wilder vor sich hin; »menschliche Geschicklichkeit, menschliche Anstrengung konnte sie nicht retten!«

»Segel, ahoi!« brüllte Nighthead mit einer Stimme voll abergläubischen Entsetzens.

»Mag’s doch nun herankommen,« erwiderte bitter sein junger Kommandeur; »der Sturm hat ihm die Arbeit erspart, das Unheil ist geschehen!«

»Sollt‘ es aber am Ende doch ein sterbliches Schiff sein, so ist es unsere Pflicht gegen die Eigentümer und die Reisenden, es anzusprechen, wenn man sich in diesem Orkan noch vernehmlich machen kann«, fuhr der zweite Gehilfe fort, indem er den Finger in den Nebel hinein ausstreckte, auf den matten, aber allerdings wirklich nahen Punkt hinzeigend.

»Es ansprechen! – Reisende!« murrte Wilder, des andern Worte unwillkürlich wiederholend. »Nein; lieber das Ärgste, als es ansprechen. Könnt Ihr das Fahrzeug sehen, das so schnell auf uns lostreibt?« fragte er rauh den achtsamen Seemann, der das Steuerrad der Carolina noch immer nicht aufgegeben hatte.

»Jawohl, Sir«, war die kurze, matrosenmäßige Antwort.

»Dann umgeschwait mit dem Schiffe, streicht das Steuer ganz an Backbord – vielleicht segelt er in der Dunkelheit bei uns vorbei, da wir mit dem Verdeck beinahe das Wasser berühren. Weit auf Backbord gestrichen, sag‘ ich!«

Die nämliche lakonische Antwort wie zuvor erfolgte, und das Bristoler Kauffahrteischiff strich einige Augenblicke lang ein wenig aus der Linie, in der der Fremde herannahte; allein ein zweiter Blick versicherte Wilder von der Vergeblichkeit des Versuches. Das fremde Schiff (und ein jeglicher am Bord hatte die innere Überzeugung, daß es kein anderes war als das, das man solange am nordwestlichen Horizont schweben sah) es fuhr, den Nebel durchschneidend, mit einer Geschwindigkeit heran, die der Blitzesschnelle des Sturmwindes fast gleichkam. Nicht ein Faden Leinwand war am Bord zu sehen, dagegen war jede Spierlinie hinauf bis zu den ins kleine verschwindenden und zart aussehenden Oberbramstengen an ihrem gehörigen Ort; kurz, die Schönheit und das Ebenmaß des ganzen Baues war erhalten, aber an keiner Stange war auch nur die Spur von einem dem Winde dargebotenen Segel zu erblicken. Vor seinem Buge her wälzte sich eine Schaummasse, die trotz der allgemeinen Aufregung des Ozeans deutlich zu unterscheiden war; und als es in den Bereich des Gehörs kam, glich das mürrische Rauschen dem Lärm eines Wasserfalls. Anfangs glaubten die Zuschauer auf dem Verdeck der Carolina, man sähe sie nicht, und einige der Matrosen riefen wahnsinnig nach Lichtern, damit die Schrecken der Nacht nicht mit einem gefürchteten Aufeinanderprall endigen möchten.

»Nein,« schrie Wilder; »schon sehen uns nur zuviele!«

»Ja, ja,« murrte Nighthead; »braucht nicht zu fürchten, man sieht uns nur zu gut, und zwar mit Augen, die nie aus einem sterblichen Kopfe stierten.«

Die Matrosen hielten inne. Noch einen Augenblick, und das lang gesehene, geheimnisvolle Schiff war schon innerhalb hundert Fuß Weges vor ihnen. Die Gewalt des Windes, der die Wogen sonst zu erheben pflegte, drückte jetzt mit der Wucht von Gebirgen das Element in sein Bett zurück: eine unendliche Fläche Schaums, aber keine, auch nicht die geringste Erhebung über den Wasserspiegel; und hob sich hier und da noch eine unachtsame Welle aus der Sicherheit des Meeresschoßes, so folgte die Strafe augenblicklich, der Küselwind jagte sie als glänzenden Wasserstaub weit, weit vor sich her. Diese schäumende und doch verhältnismäßig bewegungslose Fläche entlang kam nun der Fremde heran, alle Spieren ausgestreckt, stetig und erhaben, wie eine schwarze Wolke vor dem Winde treibt. Nirgendswo ein Lebenszeichen! Wenn ja Menschen darauf waren, die aus Luglöchern auf das bedrängte Wrack des Bristolers hinschauten, so taten sie es mit der sorgfältigsten Heimlichkeit und in einer Finsternis, gleich der des Sturmes hinter ihnen. Wilder hielt, solange der Fremde in der größten Nähe zu ihm war, in unsäglicher Spannung den Atem an sich. Da er aber kein Signal des Erkennens, keine menschliche Gestalt, noch die geringste Absicht gewahrte, die wütende Karriere womöglich aufzugeben, so überflog sein Antlitz ein Lächeln des Entzückens, und seine Lippen bewegten sich, als wenn ihm nichts mehr Freude machen könnte, als in seiner schlimmen Lage vom Fremden unberücksichtigt zu bleiben. Dieser jagte vorüber wie ein finsteres Gespenst: und nach einer Minute fing seine Gestalt schon an, in einer dichten Wasserstaubwolke immer weniger deutlich zu werden.

»Es verschwindet im Nebel!« brach Wilder, atemholend nach der fürchterlichen Pause der letzten Augenblicke, los.

»Jawohl im Nebel, oder in Wolken«, erwiderte Nighthead, der jetzt seinem unbekannten Befehlshaber nicht von der Seite wich und mit dem heftigsten Mißtrauen die geringste seiner Bewegungen beobachtete.

»In den Wolken oder in der See, mir gleich, wenn es nur fort ist.«

»Die meisten Seefahrer würden sich aber freuen, wenn sie sich, wie wir, auf einem bis aufs Verdeck geschorenen Rumpf befänden und ihnen ein fremdes Segel zu Gesichte käme.«

»Die Menschen laden aus Unwissenheit ihres wahren Wohles oft das zu sich ein, was ihnen den Untergang bereitet. Mag es weitersegeln, das ist mein Losungswort, mein Gebet! Es gehe vier Fuß, wenn wir einen gehen; und nun wünsch‘ ich nichts sehnlicher, als daß dieser Orkan fortblasen möge bis zum Sonnenaufgang.«

Nighthead schrak zusammen und warf einen anklagenden Seitenblick auf seinen Gefährten. Seine stumpfen Seelenkräfte, sein vom Aberglauben umdüstertes Gemüt konnten in einem solchen Aufruf an den Sturm nichts als die äußerste Gottlosigkeit erkennen, zumal in einem Augenblick, wo die Winde ohnedies schon ihre wildeste Wut zu erschöpfen schienen.

»Dies ist eine schwere Bö, ich geb‘ es zu,« sagte er, »und eine solche, wie sie viele Seefahrer ihr ganzes Lebenlang nicht zu sehen bekommen. Der aber weiß doch nur wenig von der See, wenn er glaubt, da, wo dieser Wind herkommt, gebe es nicht noch mehr.«

»Mag er doch blasen!« schrie der andere und rieb sich nicht ohne ein klein wenig Schwärmerei die Hände; »mein einziges Gebet ist, daß er fortdaure!«

Wenn Nighthead, in Hinsicht des Charakters des jungen Fremdlings, der so unbegreiflicherweise zum Besitz von Nikolas Nichols Amt gekommen war, überhaupt noch Zweifel hatte, so verschwanden sie jetzt mit einem Male. Mit der Miene eines Menschen, der soeben über etwas eine entschiedene Meinung gewonnen hat, ging er vorwärts, der stummen und gedankenvollen Mannschaft entgegen. Wilder widmete indessen den Bewegungen seines Untergeordneten keine Aufmerksamkeit, sondern fuhr stundenlang damit fort, auf und ab zu gehen, bald aufwärts nach dem Himmel schauend, bald ängstlich hin und her am Horizont herumspähend, während die Royal Carolina noch immer irrend vor dem Wind trieb, ein nacktes und geschorenes Wrack.

Siebzehntes Kapitel.

Siebzehntes Kapitel.

Mit dem Augenblick, wo Earing und seine unglücklichen Gefährten von ihrer schwindelerregenden Höhe in die See gestürzt wurden, hatte auch der Sturm den Gipfelpunkt seiner Stärke erreicht. Obgleich der Wind noch lange nach diesem verhängnisvollen Ereignisse zu wehen fortfuhr, so geschah dies doch mit immer abnehmender Heftigkeit. Sowie aber die Bö abnahm, fing die See an, sich zu heben, und das Schiff in demselben Grade zu arbeiten. Nun folgten zwei Stunden der angestrengtesten, umsichtigsten Sorgfalt von seiten Wilders, indem es seine ganze Sachkunde in Anspruch nahm, zu verhüten, daß der entblößte Rumpf des Bristoler Kauffahrteischiffes eine Beute der gierigen Wellen werde. Seine vollendete Geschicklichkeit war indessen der zu lösenden Aufgabe ganz gewachsen, und mit dem ersten Anzeichen des Tagesanbruchs längs dem Osten fingen Wind und Wogen an sich zu legen. Während dieses ganzen Zeitraums waren zwei erfahrene Matrosen, die er vorher an das Steuerrad beordert hatte, die einzigen von der sämtlichen Bemannung, die ihm in seinen Anstrengungen Beistand leisteten. Allein er war gegen die Vernachlässigung der übrigen um so gleichgültiger, als wirklich nicht viel mehr erforderlich war, als sein eigenes Urteil und die pünktliche Befolgung seiner Befehle durch die beiden genannten, unter seiner unmittelbaren Leitung handelnden Matrosen. Der Morgen rötete sich über einer Szene, die gar sehr verschieden war von der, die von der stürmischen Gräßlichkeit der Nacht bezeichnet worden war. Es war, als ob die Winde in ihrem unzeitigen Eifer ihre ganze Wut erschöpft hätten; von der mäßigen Bö, in die sich der Orkan gegen das Ende der Mitternachtwache verwandelt hatte, fielen sie in eine schlaffe, unstetige Kühlde, und ehe noch die Sonne aufging, hatte selbst dieses leise Schwanken einer toten Windstille Platz gemacht. Die See sank gleichzeitig mit dem Erlöschen der Macht, die sie aufgeregt hatte, und wie nun der goldene Sonnenstrahl das unbeständige Element mit seinem vollen Glanze übergoß, lag der Ozean mild und heiter da, und die langen, langsamen Bewegungen seiner Wellen glichen dem ruhigen Atemholen eines schlafenden Säuglings.

Es war noch früh, und die Heiterkeit des Himmels und der See verhießen einen Tag, der Ruhe genug darbieten dürfte zur Erfindung der nötigen Mittel, um das Schiff einigermaßen wieder unter die Gewalt seiner Mannschaft zu bringen.

»Untersucht die Pumpen«, sagte Wilder, als er sah, wie von der Mannschaft einer nach dem andern aus seinem Schlupfwinkel hervorzukommen begann, wo er sich mit seinen Sorgen während des letzten Teils der Nacht verkrochen hatte. »Habt Ihr mich gehört, Herr?« fügte er streng hinzu, als sich niemand anschickte, seinem Kommando Folge zu leisten. »Peilt die Pumpen, und schafft das Wasser bis auf den letzten Zoll aus dem Schiffe.«

Nighthead, an den Wilder diese Worte gerichtet hatte, sah düster und von der Seite auf seinen Kommandeur, dann wechselte er ganz eigene Blicke des Einverständnisses mit seinen Kameraden, ehe er es für gut befand, auch nur die geringste Bewegung zur Ausführung der erhaltenen Order zu machen. Allein es war etwas Zwingendes in der Gebietermiene seines Obern, das ihn endlich doch zum Gehorsam bewegte. Anfangs gingen die Matrosen zaudernd und mit einem gewissen fahrlässigen Wesen an den erwähnten Dienst, allein als der Peilstock in die Höhe stieg und sich die wohlbekannten Kennzeichen eines furchtbaren Lecks zeigten, da wurde der Versuch schneller und mit größerer Genauigkeit wiederholt.

»Wenn Zauberei das Wasser aus einem Schiffe rausschaffen kann, das schon halb angefüllt ist,« sagte Nighthead, indem er dem beobachtenden Wilder wieder einen seiner düsteren Blicke zuwarf, »so täte sie wohl dran, sich bald ans Werk zu machen; denn es erfordert die ganze Kunst eines Zauberers, und zwar eines solchen, der mehr als ein bloßer Pfuscher in der Zauberei ist, um die Pumpen der Royal Carolina nur zum Ansaugen zu bringen!«

»Ist das Schiff leck?« fragte sein Vorgesetzter mit einer Schnelligkeit in der Aussprache, die hinlänglich anzeigte, wie wichtig ihm die Nachricht schien.

»Noch gestern würde ich meinen Namen unerschrocken unter die Schiffsliste irgendeines Fahrzeuges gesetzt haben, das auf dem Ozean schwimmt; und hätte mich der Kapitän gefragt, ob ich mich auf die Beschaffenheit und Eigenschaften eines Schiffes verstände, so wahr ich Franz Nighthead heiße, meine Antwort wäre gewesen: Ja! Allein ich finde, der älteste Seemann kann vom Wasser noch Lektionen nehmen, und wär’s auch, indem er auf einem Schiffsbrett über eine Fähre setzt.«

»Wie ist das gemeint, Herr?« fragte Wilder, der nun erst das Meuterische in den Blicken seines Maaten und die drohende Weise, wie er von der Mannschaft unterstützt wurde, zu gewahren anfing. »Unverzüglich das Tau an die Pumpen angebracht, sag‘ ich, und das Wasser aus dem Schiff geschafft!«

Nighthead vollzog, obgleich mit Widerwillen, den ersten Teil der Order; und nach wenigen Augenblicken war alles instand, um den notwendigen, ja, wie es schien, dringenden Dienst des Pumpens anzufangen. Allein keiner legte Hand an das mühsame Werk. Wilder, der jetzt freilich Verdacht geschöpft hatte, entdeckte bald mit scharfem Blicke diese Widersetzlichkeit; strengeren Tones wiederholte er die Order und rief zwei der Matrosen beim Namen, sie auffordernd, den andern im Gehorsam voranzugehen. Allein sie zauderten, und das gab dem Maat Gelegenheit, sie durch seine Rede in ihrem meuterischen Vorhaben noch mehr zu bestärken.

»Wozu braucht’s der Hände, um an den Pumpen zu arbeiten, in einem Schiffe wie diesem?« sagte er und schlug dabei eine rohe Lache auf, in der sich zurückgehaltene Furcht und hervorbrechende Bosheit den Vorrang streitig machten. »Nach allem, was wir heut‘ nacht mit angesehen haben, würde sich keiner verwundern, wenn das Schiff auf einmal wie ein schnaubender Walfisch das Salzwasser herauszublasen anfinge.«

»Wie soll ich dieses Zaudern, diese Redensarten verstehen?« sagte Wilder, sich festen Trittes Nighthead nähernd, mit einem Auge, das zu stolz war, um selbst bei den unumwundensten Zeichen der Insubordination nicht gerade und ohne Blinzeln dreinzuschauen. »Seid Ihr es, Ihr, der in solchem Augenblicke der vorderste in der Pflichterfüllung sein sollte, und der es wagt, ein Beispiel des Ungehorsams zu geben?«

Der Gehilfe trat erschrocken einen Schritt zurück, seine Lippen bewegten sich, doch kein vernehmbarer Laut entkam ihnen. Mit einem ruhigen, gebietenden Tone hieß ihn Wilder nochmals selber Hand an den Pumpstock legen. Nun kam Nighthead die Stimme wieder, um rund heraus eine Weigerung auszusprechen. Im nächsten Augenblick war er auch schon von seinem entbrannten Kommandeur, dessen Schlag sich zu widersetzen, er weder Geschicklichkeit noch Kraft genug besaß, auf die Erde geworfen. Dieser entscheidenden Tat folgte ein einziger Moment atemlosen, ungewissen Schweigens unter der Mannschaft, darauf ein gräßlicher Laut gleichzeitig aus jeder Kehle und ein ebenso allgemeines Eindringen auf unsern wehrlosen und alleinstehenden Abenteurer – die unzweideutigen Signale erklärter Feindseligkeit. Mitten in ihrem Vorhaben, als schon ein Dutzend Hände die Person Wilders ergriffen hatte, lähmte sie ein Schrei von der Schanze her und veranlaßte einen augenblicklichen Waffenstillstand. Es war der Angstruf Gertrauds, der selbst auf das unmenschliche Vorhaben solcher Wesen einen Einfluß ausübte, und zwar in einem Moment, wo ihre rohe und unbändige Leidenschaften den höchsten Grad der Aufregung erreicht hatten. Wilder war befreit, ein und derselbe Impuls hatte aller Augen dahin gerichtet, woher der Ton gekommen war.

Während der letzten ereignisvollen Stunden der Nacht hatten die meisten derer, die ihre Pflicht auf dem Verdeck gehalten hatte, selbst das Dasein von Passagieren in der Kajüte vergessen. Dachte ja irgend jemand noch an sie, so war es der junge Seemann, der das Schiff leitete, in jenen flüchtigen Sekunden, wo sein Gemüt Muße fand, verstohlen in der Erinnerung auf sanftere Szenen hinzublicken, als den wilden Krieg der Elemente, der um ihn her wütete. Nighthead hatte ihrer erwähnt, wie er irgendeines andern Teils des Kargos erwähnt haben würde; ihr Geschick konnte seine abgehärtete Natur nicht rühren. Mistreß Wyllys hatte sich mit ihrer Pflegebefohlenen die ganze Zeit hindurch unten gehalten, sie blieb mithin von allem, was sich unterdessen zugetragen, vollkommen ununterrichtet. In ihren Hängematten vergraben, hatten sie wohl das Gebrüll der Winde und das unablässige Anschlagen des Wassers gehört; allein eben diese gewöhnlichen Begleiter eines Sturms hatten verhindert, daß sie das Krachen der abbrechenden Mastbäume und die rauhen Schreie der Matrosen vernahmen. Während der paar Momente entsetzlicher Ungewißheit, wo das Bristoler Schiff auf der Seite lag, blitzte freilich im Gemüt der erfahrenen Gouvernante eine Ahnung von dem wahren Zustand der Dinge auf, allein da sie fühlte, daß sie doch nichts nützen könnte, und ihre minder erfahrene Reisegefährtin nicht entsetzen wollte, so gewann sie es über sich zu schweigen. Die nun folgende Stille und verhältnismäßige Ruhe verleitete sie, ihre Besorgnisse für unbegründet zu halten; so daß sie ebensowohl als Gertraud, lange ehe der Morgen anbrach, in einen süßen und erfrischenden Schlummer versank. Beide waren endlich aufgestanden und zusammen aufs Verdeck gestiegen, und noch im ersten Ausbruch ihres Erstaunens über die Verheerung begriffen, die ihre Blicke traf, als der geschilderte, lange vorher beschlossene Angriff der Matrosen auf Wilder stattfand.

»Was bedeutet dieser entsetzliche Wechsel?« fragte Mistreß Wyllys mit zitternden Lippen und einer Wange, die trotz ihrer Selbstbeherrschung von Totenblässe überzogen war.

Tiefe Glut in den Augen, mit einer Stirn, finster wie der eben überstandene Sturm, antwortete Wilder, drohend den Arm nach den Angreifenden ausstreckend: »Meuterei bedeutet es, Madame, niederträchtige, feige Meuterei!«

»Konnte Meuterei die Masten vom Schiffe wegscheren und es als unbeholfenen Klotz auf der See lassen?«

»Hören Sie, Madame!« unterbrach sie der rohe Gehilfe, »mit Ihnen will ich offen reden, denn Sie kamen an Bord der Carolina als ein ehrlich zahlender Passagier, und jedermann weiß, wer Sie sind. Heut‘ nacht hab‘ ich Himmel und See sich benehmen sehen, wie ich es bisher niemals sah. Schiffe liefen vor dem Wind her, leicht und auftauchend wie Korkpfröpfe, die Spieren fest und unbeweglich ausgereckt, da doch dem unsrigen jeder Mast so glatt weggeschoren wurde, wie Barthaar durchs Rasiermesser. Auf Kreuzer ist man gestoßen, die einhersegelten, ohne daß lebendige Hände drauf gewesen wären, sie zu handhaben: kurz, kein Mann hier am Bord hat jemals so eine Mitternachtswache erlebt, wie die vergangene.«

»Und was hat das mit dem heftigen Auftritt zu schaffen, von dem ich eben Zeuge war? Hat denn das Geschick jede Art von Unfall über dies Schiff verhängt! – Können Sie mir Aufklärung geben, Herr Wilder?«

»Wenigstens können Sie nicht sagen, daß Sie ohne vorhergehende Warnung vor Gefahr das Schiff betraten«, erwiderte Wilder mit einem bittern Lächeln.

»Ja, ja,« fing der Gehilfe wieder an, »der Teufel selbst muß redlich sein, weil er dazu gezwungen ist, und seine Helfershelfer, die unter seinem Oberbefehl segeln, die haben, dem Himmel sei Dank, weder Mut noch Gewalt, anders zu handeln, wie sehr sie auch Lust dazu fühlen! Sonst wär‘ eine friedliche Seereise in diesen unruhigen Zeiten eine solche Seltenheit, daß man nicht viele treffen würde, kühn genug, sich ums liebe Brot aufs Wasser zu wagen. Ohne Warnung! Nein, nein, das müssen wir Euch lassen, Ihr habt oft und offen genug gewarnt. Als Nikolas Nichols beim Einwinden des Ankers der Unfall traf – die Warnung hätte der Kommissionär nicht übersehen sollen, denn es ist mir noch niemals vorgekommen, daß so ein Zufall zu so einer Zeit ohne das größte Unheil abgelaufen wäre. Dann hatten wir eine Warnung an dem Alten im Boot. Davon will ich gar nicht erst sprechen, daß es immer Unglück bringen muß, wenn man den Lotsen mit Gewalt aus dem Schiffe schickt. Als wäre das alles aber noch nicht genug, statt die Warnung anzunehmen und ruhig vor Anker liegen zu bleiben, müssen wir die Anker lichten, und einen sichern, freundlichen Hafen an einem Freitag, von allen Tagen der Woche gerade an einem Freitag, verlassen. Ich wundre mich nicht über das, was geschehen ist, im Gegenteil, ich wundre mich nur, daß ich mich noch unter den Lebendigen befinde; die Ursache hiervon ist aber die, daß ich meinen Glauben dem geschenkt habe, dem Glaube gebührt, nicht aber unbekannten Matrosen und fremden Kommandeurs. Hätte der Eduard Earing es ebenso gehalten, so würde er jetzt noch ein Brett zwischen sich und dem Meeresboden haben; allein er war nur halb willig, die Wahrheit zu glauben, und neigte sich im ganzen zu sehr auf die Seite des Aberglaubens und der Leichtgläubigkeit.«

Dieses ausgearbeitete und charakteristische Glaubensbekenntnis des Maaten war Wildern vollkommen verständlich, den weiblichen Zuhörern aber ein unauflösliches Rätsel. Nighthead hatte indessen keinen halben Entschluß genommen; er lag ihm fern, nachdem er so weit gegangen war, halb verrichteter Sache aufzuhören. Ohne viele Umschweife erklärte er der Frau Wyllys die verzweifelte Lage des Schiffes, und wie es höchst unwahrscheinlich sei, daß es sich noch viele Stunden über Wasser halten könne, indem ihn persönliche Untersuchungen überzeugt hätten, daß der untere Raum schon halb mit Wasser angefüllt sei.

»Was ist aber zu tun?« fragte die Erzieherin, einen Blick bitteren Schmerzes auf die blasse, zuhörende Gertraud werfend. »Ist kein Segel nahe, das uns von dem Wrack aufnehmen kann? Oder müssen wir hilflos untergehen?«

»Gott schütze uns gegen noch mehr fremde Segel!« rief der mürrische Nighthead. »Dort auf dem Spiegel hängt unsere Pinasse, und Land muß Nordwest innerhalb einiger vierzig Seemeilen liegen. Trinkwasser und Mundvorrat ist genug da, und zwölf starke Hände können schon ohne Mühe ein Boot nach dem Kontinent von Amerika rudern! Das heißt, wohlverstanden, wenn Amerika da noch ist, wo es gestern bei Sonnenuntergang zu sehen war.«

»Sie haben also vor, das Fahrzeug im Stich zu lassen?«

»Ja. Zwar ist der Nutzen des Prinzipals allen braven Matrosen teuer, doch das Leben ist süßer als Gold.«

»Der Wille des Himmels geschehe! Aber Sie haben doch nichts Arges im Sinn gegen diesen Herrn? Er hat, wie ich gewiß überzeugt bin, das Schiff unter höchst kritischen Umständen mit einer Geschicklichkeit geleitet, die weit über seine Jahre geht.«

Nighthead murmelte seine Ansicht unverständlich vor sich hin; dann ging er beiseite, offenbar um sich mit den Leuten zu besprechen, die bereits nur zu sehr geneigt waren, seine Pläne zu unterstützen, sie mochten noch so irrig, noch so gesetzlos sein. Es folgten nun ein paar Augenblicke der Ungewißheit, während Wilder ruhig und gelassen dastand, kaum imstande, ein Lächeln der Verachtung zu unterdrücken, das um seine Lippen spielte, kurz, mehr mit der Miene eines Menschen, der Gewalt hat, über das Schicksal anderer zu entscheiden, als eines solchen, über dessen Schicksal höchstwahrscheinlich in demselben Augenblicke entschieden wurde. Als die langsamen Willensmeinungen der Seeleute endlich zu einem Beschluß gediehen waren, schritt der Maat vorwärts, um das Ergebnis zu verkündigen. Doch waren seine Worte zur Mitteilung des wesentlichen Teils ihres Beschlusses überflüssig; denn eine Gruppe sammelte sich sofort um das Hinterboot, und schickte sich an, es in See zu lassen, während die übrigen sich damit beschäftigten, den nötigen Mundvorrat herbeizuholen. »Es ist Raum genug in der Pinasse für alle Christen hier im Schiff,« fing Nighthead wieder an; »und was die betrifft, die ihr Vertrauen auf eine gewisse Personage setzen, je nu, die mögen sich da nach Hilfe umsehen, wo sie sie bisher gefunden haben.«

»Soll ich aus alledem entnehmen,« sagte Wilder ruhig, »daß Eure Absicht sei, das Wrack und Eure Pflicht aufzugeben?«

Der halb zurückgeschüchterte, aber rachgierige Gehilfe begleitete seine Antwort mit einem Blicke, von dem es schwer war zu sagen, ob Triumph, ob Furcht darin die Oberhand hatten.

»Sie verstehen sich drauf, ein Schiff ohne Mannschaft fortzuschaffen, Sie werden daher wohl nie wegen eines Boots in Verlegenheit sein. Sie sollen sich indessen bei Ihren Freunden, wer sie auch sein mögen, nie darüber zu beklagen haben, daß wir Sie ohne die Mittel, das Land zu erreichen, gelassen haben, wenn Sie anders wirklich ein Landvogel sind. Dort ist die Barkasse!«

»Dort ist die Barkasse! Ihr wißt ja recht gut, daß ohne Stengen alle eure vereinigten Kräfte nicht hinreichen, sie nur vom Deck zu lüften; sonst würdet ihr sie auch wohl nicht stehen lassen.«

»Das Gesindel, das die Stengen von der Carolina weggenommen hat, kann sie auch wieder einsetzen,« rief ein Matrose mit grinsendem Lachen; »es dauert gewiß keine Stunde, nachdem wir fort sind, so kommt ein Kiellichter heran, der wird Euch die Spieren schon wieder einsetzen, und dann könnt Ihr die Küstenfahrt in Gesellschaft machen.«

Wilder schien jede Antwort zu verschmähen. Er fing an, auf und ab zu gehen, tiefsinnig, dabei aber doch gelassen und mit vollkommener Selbstbeherrschung. Inzwischen bewirkte es der allgemeine Wunsch der Mannschaft, das Wrack sobald als möglich zu verlassen, daß ihre Vorbereitungen unglaublich schnell zustande kamen. Die erstaunten und erschreckten Damen hatten kaum Zeit, sich über das Außerordentliche ihrer Lage einen klaren Begriff zu bilden, als die Gestalt des hilflosen Schiffspatrons an ihnen vorüber getragen wurde, und gleich darauf erging die Aufforderung an sie, ihren Platz an dessen Seite im Boot einzunehmen.

Dringend auf diese Weise zum Handeln aufgefordert, fühlten sie die Notwendigkeit, endlich einen Entschluß zu fassen. Vorstellungen, befürchteten sie, würden vergeblich sein; die wilden, boshaften Blicke, die unter der Arbeit von Zeit zu Zeit auf Wilder geworfen wurden, ließen die Gefahr ahnen, wenn diese halsstarrigen und unwissenden Gemüter zu neuen Tätlichkeiten wieder aufgeregt würden. Die Gouvernante beabsichtigte anfangs, sich an den verwundeten Schiffspatron zu wenden; allein der zerstreute, kummervolle Blick, den dieser um sich her tat, als er aufs Verdeck gehoben ward, und der Ausdruck von körperlichen sowohl als geistigen Schmerzen auf seinen rauhen Gesichtszügen, als er sie unter den Decken, in denen er getragen wurde, wieder vergrub, kündigte nur zu deutlich an, daß in seiner gegenwärtigen Lage nur wenig Hilfe von ihm zu erwarten war.

»Was bleibt uns zu tun übrig?« fragte sie endlich den scheinbar empfindungslosen Gegenstand ihres Kummers.

»Das wünschte ich selber zu wissen«, antwortete er hastig, indem er schnell und angestrengten Blickes den Horizont umher anschaute. »Es ist nicht unwahrscheinlich, daß sie die Küste erreichen, ja, dauert die Windstille vierundzwanzig Stunden, so erreichen sie sie gewiß.«

»Und wo nicht?«

»Bläst der Wind Nordwest, oder irgendwoher von der Küste, so ist’s um sie geschehen.«

»Aber das Schiff?«

»Muß untergehen, wenn es verlassen wird.«

»Dann will ich noch einmal versuchen, diese Herzen von Stein zu Ihren Gunsten zu bewegen! Ich weiß nicht, warum ich an Ihrem Wohl so sehr teilnehme, unbegreiflicher, junger Mensch! Doch die herbsten Leiden würde ich nicht scheuen, um nicht glauben zu müssen, daß Sie einem solchen Geschick unterlegen seien.«

»Halten Sie ein, teuerste Frau«, sagte Wilder, indem er die Fortgehende bei der Hand hielt. »Ich kann das Fahrzeug nicht verlassen.«

»Das wissen wir noch nicht. Die hartnäckigsten Naturen können zum Nachgeben gebracht, ja, der Stumpfsinn – taub gegen die Stimme der Belehrung – kann endlich bewogen werden, der des Flehens Gehör zu geben. Vielleicht gelingt es mir.«

»Sie haben ein Gemüt zu überwinden, ein Urteil zu überzeugen, ein Vorurteil zu besiegen, über das Sie keine Gewalt haben.«

»Wessen?«

»Mein eigenes.«

»Was haben Sie vor, Sir? Sie sind doch nicht schwach genug, der Empfindlichkeit gegen solche Wesen zu erlauben, Sie zu einer wahnsinnigen Handlung hinzureißen?«

»Habe ich das Ansehen eines Wahnsinnigen?« fragte Wilder. »Das Gefühl, das mich leitet, kann irrig sein, allein es ist nun einmal mit meinen Gewohnheiten, meinen Ansichten, ja ich darf wohl sagen mit meinen Grundsätzen, unzertrennlich verwebt. Die Ehre ist es, die mir verbietet, ein Schiff, das ich befehlige, zu verlassen, solang‘ noch eine Planke davon schwimmt.«

»Was kann ein einzelner Arm in einer solchen Krise nützen?«

»Nichts«, antwortete er mit einem traurigen Lächeln. »Ich muß aber sterben, damit andere, die in Zukunft nützlich sein könnten, ihre Pflicht, ihre ganze Pflicht erfüllen.«

Tief, fast bis zum Entsetzen ergriffen, sahen sowohl Mistreß Wyllys als Gertraud in sein ruhiges Antlitz mit dem Flammenauge. Die erstere las in der Gelassenheit seiner Miene das Unwiderrufliche einer Entscheidung. Die letztere schauderte sichtbar zusammen, wie sich das Bild des grausamen, seiner harrenden Geschickes, ihrem Geiste aufdrängte, und das Glutgefühl in ihrem jungen Herzen ließ sie seine Selbstaufopferung sogar für etwas Verdienstliches halten. Allein die Gouvernante sah aus dem Entschlusse Wilders neue Gründe zu Besorgnissen entspringen. Hatte sie von Anfang an Widerwillen dagegen gefühlt, sich und ihre Pflegebefohlene einer Bande anzuvertrauen, wie die war, die jetzt die oberste Gewalt besaß, so wurde dieser Widerwille jetzt mehr als verdoppelt durch den rauhen und lärmenden Ruf, zu eilen und bei ihnen Platz zu nehmen.

»Wollte Gott, ich wüßte, was ich wählen soll!« rief sie aus. »O sprechen Sie, raten Sie uns, junger Mann, wie Sie einer Mutter und Schwester raten würden.«

»Wäre ich so glücklich, so nahe und teure Verwandte zu besitzen,« erwiderte er mit Nachdruck, »so sollte, in einer Stunde, wie der gegenwärtigen, nichts auf der Welt uns trennen.«

»Ist denn Hoffnung für die auf dem Wrack Zurückbleibenden?«

»Nur geringe.«

»Und im Boot?«

Wilder machte beinahe eine minutenlange Pause. Noch einmal wendete er den Blick rund am glänzenden Horizont umher und ließ ihn besonders an der Himmelsgegend nach der Richtung des fernen Festlandes zu mit unendlicher Anstrengung forschend weilen. Kein Zeichen, das die wahrscheinliche Beschaffenheit des Wetters andeuten konnte, entging seiner Beobachtung, während auf seinem sprechenden Gesicht alle die verschiedenen Bewegungen deutlich zu lesen waren, die in seinem prüfenden Geiste aufeinander folgten. »So wahr ich ein Mann bin, Madame,« antwortete er innig, »dessen Pflicht es ist, Ihrem Geschlecht ratend und schützend beizustehen, ich traue dem Wetter nicht. Ich glaube vielmehr, es ist ebenso wahrscheinlich, daß uns irgendein vorübersegelndes Schiff erspäht und aufnimmt, als daß die, die sich in die Pinasse wagen, je das Land erreichen.«

»So lassen Sie uns bleiben«, sagte Gertraud, indem ihr das Blut, zum erstenmal, seit sie wieder auf dem Verdeck erschienen war, mit Macht in die blassen Wangen strömte. »Ich kann den Gedanken nicht ertragen, mit den Elenden dort in einem Boote zu sein.«

»Rasch, rasch!« rief Nighthead ungeduldig. »Jede Minute Tageslicht ist für uns alle eine Minute Leben, und jede Sekunde Windstille ein Jahr. Rasch, rasch, sonst lassen wir euch zurück!«

Mistreß Wyllys antwortete nicht, sondern stand da, ein Bild des Zweifels und der schmerzlichsten Unentschiedenheit. Sie hörten bald das Plätschern des Wassers und sahen im nächsten Augenblick die Pinasse über das Element gleiten, von den starken Armen sechs rüstiger Ruderer getrieben.

»Halt!« kreischte die Gouvernante, die nun nicht mehr unentschieden war: »Nehmt mein Kind auf und laßt mich zurück!«

Ein verneinendes Winken mit der Hand und ein undeutliches Gebrumme der rauhen Stimme des Maaten war die einzige Antwort auf ihren Ruf. Nun eine lange, tiefe, atemlose Stille unter den Verlassenen! Das Schroffe in den Gesichtern der Matrosen in der Pinasse zerfloß bald in der Ferne, dann fing das Boot an, den Augen immer kleiner und kleiner zu erscheinen, bis nur noch ein dunkler, ferner Punkt zu sehen war, der mit den blauen Wogen stieg und fiel. Während dieser ganzen Zeit entschlüpfte keinem auch nur das leiseste Wörtchen. Ein jeder schaute bis zum Ermüden der Sehnerven hin auf den sich entfernenden Punkt! Erst als ihm das Auge das winzige Bild nicht mehr zur Vorstellung zu bringen vermochte, raffte sich Wilder aus der starren Betäubung wieder auf, in die er versunken war. Nun heftete er den Blick auf seine Gefährtinnen, die Hand gegen die Stirn drückend, gleichsam als ob ihn die schwere Verantwortlichkeit verwirrt hätte, die er durch den Rat, daß sie bleiben sollten, übernommen hatte. Doch dauerte diese tödliche Furcht nicht lange, und an ihre Stelle trat Festigkeit, Entschlossenheit. Seine Seele war in Szenen zweifelhaften Ausgangs zu oft erprobt worden, um lange der Fassung und Selbstbeherrschung beraubt werden zu können.

»Sie sind fort!« rief er, indem er einen langen und tiefen Atemzug tat, wie einer, der den Atem mit Gewalt an sich gehalten hatte.

»Sie sind fort!« wiederholte die Erzieherin, indem sie das vor innigstem Gram zusammengezogene Auge aus die marmorgleiche, regungslose Gestalt ihrer Schülerin wendete. »Alle Hoffnung ist dahin!«

Auch Wilders Blick ruhte auf diesem stummen, lieblichen Bildnis, und zwar mit nicht geringerem Ausdrucke als der Blick derer, die die Kindheit dieser reichen Erbin aus dem Süden in Unschuld und Liebe gepflegt hatte. Mit gedankenvoller Stirn, fest verschlossenem Mund saß er da und musterte mit angestrengter, gründlicher Prüfung alle Hilfsmittel, die seine fruchtbare Einbildungskraft und lang gesammelte Erfahrung nur darboten.

»Ist noch Hoffnung vorhanden?« fragte die Erzieherin, die den wechselnden Ausdruck seines Gesichtes mit unablässiger Aufmerksamkeit bewachte. Die Düsterkeit entfloh aus seinen braunen Gesichtszügen, und das Lächeln, das sie nun überglänzte, glich dem Sonnenstrahl, der die schwärzeste Wolke des treibenden Sturmwindes durchbricht.

»Ja, es ist noch Hoffnung!« sagte er mit Zuversicht; »unsere Lage ist keineswegs eine hoffnungslose.«

»Gelobet sei Er, der über das Meer und das Land regiert!« rief die dankbare Gouvernante, ihrem enggepreßten Herzen in einem Tränenstrom Luft machend. Gertraud warf sich ihrer Wyllys an den Hals, und beide gaben sich einen Augenblick ganz ihren hervorbrechenden Gefühlen hin.

»Und nun, meine Teuerste,« sagte Gertraud, sich aus der Umarmung ihrer mütterlichen Erzieherin windend, »lassen Sie uns der Geschicklichkeit des Herrn Wilder vertrauen; er hat diese Gefahr vorausgesehen und vorausgesagt, warum sollte er nicht mit gleicher Gewißheit unsere Rettung voraussagen können?«

»Vorausgesehen! Vorausgesagt!« versetzte die andere auf eine Weise, die wohl zeigte, daß ihr eigener Glaube an die sachkundige Voraussicht des Fremdlings nicht so ganz unbedingt war, wie der ihrer jungen und lebhaften Gefährtin. »Kein Sterblicher konnte dieses schreckliche Unglück voraussehen, und am allerwenigsten würde einer, der es wirklich voraussehen konnte, sich der Gefahr aufgedrängt haben! Herr Wilder, ich will Sie nicht mit Bitten um Erklärungen belästigen, die jetzt von keinem Nutzen sein würden, aber Sie werden uns gewiß nicht Ihre Gründe vorenthalten, die Sie zur Hoffnung ermutigen.«

Wilder wußte wohl, eine solche Neugierde sei ebenso peinlich als natürlich, und beeilte sich daher, sie zu befriedigen. Die Meuterer hatten nämlich das größte und bei weitem sicherste Boot auf dem Wrack zurückgelassen, weil sie die Windstille benützen wollten, und es ihnen stundenlange, schwere Arbeit gekostet hätte, um es aus den Einschnitten zwischen den beiden Hauptmasten zu heben und über die Seite des Schiffes in den Ozean hinabzuschwingen. Diese Arbeit, die mit Hilfe der gewöhnlichen Maschinerie eines Schiffes das Werk einiger Augenblicke gewesen wäre, würde alle ihre vereinigten, mit der äußersten Achtsamkeit und Umsicht gebrauchten Kräfte erfordert haben, so daß allerdings zuviele der Augenblicke drauf gegangen wären, die sie mit Recht der stürmischen und unsteten Jahreszeit wegen für so kostbar hielten. Wilders Vorschlag ging nun dahin, soviel Lebensbedürfnisse und Bequemlichkeitsgegenstände in diese kleine Arche zu schaffen, als sie eilig aus dem verlassenen Schiff zusammenraffen könnten, dann mit seinen Gefährtinnen hineinzusteigen, und den kritischen Augenblick abzuwarten, wo das Wrack unter ihnen wegsinken würde.

»Und das nennen Sie Hoffnung?« rief die von neuem wegen getäuschter Erwartung erblassende Wyllys, als er mit seiner Erklärung geendigt hatte. »Ich habe mir sagen lassen, daß der Strudel, den untergehende Schiffe auf der Meeresfläche verursachen, alle geringeren Gegenstände in der Nähe an sich ziehe und verschlinge!«

»Das ist zuweilen der Fall. Nicht um Welten möchte ich Sie hintergehen; doch sage ich noch immer: es ist ebenso wahrscheinlich, daß wir entkommen, als daß wir samt dem Schiff im Strudel versinken.«

»Das ist fürchterlich!« sprach die Gouvernante leise, »doch der Wille des Himmels geschehe! Kann denn Scharfsinn die Stelle der Kraft nicht ersetzen, um das Boot vom Verdeck zu werfen, ehe der verhängnisvolle Augenblick da ist?«

Wilder schüttelte den Kopf, entschieden verneinend.

»Wir sind nicht so schwach, wie Sie vielleicht glauben«, sagte Gertraud. »Leiten Sie nur unsere Bemühungen, und lassen Sie uns versuchen, was wir ausrichten können. Hier ist Kassandra,« fügte sie hinzu, sich nach dem Negermädchen umdrehend, die jetzt hinter ihrer jungen und eifrigen Gebieterin stand, den Mantel und den Schal über den Arm geworfen, als sollte sie sie eben auf eine Morgenpromenade begleiten, »hier ist Kassandra, die allein fast so stark ist wie ein Mann.«

»Und wenn sie so stark wie zwanzig Männer wäre, so würde ich doch verzweifeln, ohne Maschinerie das Boot über Bord zu schwingen. Doch wir verplaudern die Zeit; ich steige hinab, um über die wahrscheinliche Dauer unserer Zweifel ein Urteil zu fällen, und dann zu unseren Vorbereitungen! Selbst Sie, schön und schwach wie Sie sind, liebenswürdiges Wesen, werden dabei helfen können.«

Alsdann wies er auf verschiedene nicht schwere Gegenstände hin, die zu ihrer Bequemlichkeit dienen würden, sollten sie so glücklich sein, vom Wrack gehoben zu werden, und riet ihnen, diese ungesäumt ins Boot zu bringen. Während die drei Frauen auf diese Weise nützlich beschäftigt waren, stieg er in den Schiffsraum hinab, um von der Zunahme des Wassers zu berechnen, wie lange es noch dauern würde, bis der sinkende Bau ganz verschwände. Der Tatbestand bewies, daß ihre Lage bei weitem bedenklicher war, als selbst Wilder erwartet hatte. Seiner Masten entblößt, hatte das Schiff so stark geschlingert, daß viele der Nahten zwischen den Planken gesprungen waren, und in dem Grade, wie sich die Oberteile des Schiffes unter die Meeresfläche senkten, nahm die Schnelligkeit des Hereinströmens des Wassers zu. Als der junge Seemann den sachkundigen Blick überall umherwarf, konnte er nicht umhin, mit bitterem Herzen die Unwissenheit und den Aberglauben zu verwünschen, der die Desertion der überlebenden Mannschaft verursacht hatte. Denn in der Tat war kein Unglück geschehen, das nicht Anstrengung und Geschicklichkeit hätten wieder gut machen können. Doch so, alles Beistandes beraubt, sah er ohne Mühe ein, daß der Versuch, die nun unvermeidlich gewordene Katastrophe auch nur einen Augenblick aufhalten zu wollen, der Gipfelpunkt aller Torheit sein würde. Schweren Herzens aufs Verdeck zurückkehrend, machte er sich gleich an die Vorkehrungen, die nötig waren, um die entfernteste Aussicht zur Rettung zu eröffnen.

Während seine weiblichen Gefährten das Gefühl der Furcht durch ihre leichte, obgleich ebenso notwendige Beschäftigung betäubten, setzte Wilder die beiden Bootmaste ein, brachte die Segel in Ordnung und legte alle übrigen Werkzeuge zurecht, die im Rettungsfall nützlich sein konnten. Also beschäftigt, verflogen ein paar Stunden, als wären die Minuten zu Sekunden zusammengedrängt. Mit dem Ablauf dieser Zeit war seine Arbeit fertig. Er kappte nun die beiden Krabber, die dazu dienten, die Barkasse während der Bewegung des Schiffes festzuhalten, so daß sie, auf ihrer hölzernen Bettung stehend, außer aller sonstigen Verbindung mit dem Rumpfe gebracht wurde, der sich jetzt schon so rief hinabließ, daß in jedem Augenblick zu erwarten stand, er werde unter ihnen wegsinken. Nachdem diese Vorsichtsmaßregel genommen war, lud er die Frauen ein, ins Boot zu steigen, aus Furcht, die Krise könnte näher sein, als er es sich dachte; denn er wußte recht gut, daß ein untergehendes Schiff, einer wankenden Mauer gleich, jeden Moment dem Truck nach unten folgen kann. Hierauf machte er sich an die kaum minder notwendige Arbeit einer Auswahl unter dem Chaos von Gegenständen, womit der einsichtslose Eifer seiner Gefährtinnen das Boot so überfüllt hatte, daß kaum Platz für ihre unendlich kostbaren Personen übrig blieb. Nun flogen, trotz der vielen Gegenvorstellungen der Negerin, Schachteln, Koffer, Pakete aller Art rechts und links von der Barkasse nach allen Richtungen, als ob er nicht die geringste Rücksicht habe für die Bequemlichkeit und Pflege jenes liebenswürdigen Wesens, zu dessen Gunsten Kassandra unbeachtet und so heftig remonstrierte, wie ihre alte Namensbase von Troja. Das Boot war bald von allem gereinigt, was unter diesen Umständen buchstäblich in die Rumpelkammer gehörte, weil es nur im Wege stand. Es blieben indessen der Gegenstände weit mehr als genug für alle Bedürfnisse und für viele Bequemlichkeiten auf den Fall, daß die Elemente ihnen den Gebrauch erlaubten.

Jetzt, und nicht eher, ruhte Wilder von der Arbeit aus. Er hatte seine Segel so geordnet, daß er sie augenblicklich aufhissen konnte, hatte sorgfältigst untersucht, daß auch kein heraushängendes Seil das Boot noch mit dem Wrack verbinde und es dem untergehenden Kolosse nachziehe; endlich hatte er sich darüber vergewissert, daß alles an seiner gehörigen Stelle und zur Hand liege, Speisen, Wasser, Kompaß und die unvollkommenen Instrumente, die man damals noch hatte, um auszumitteln, in welcher Breite sich das Schiff befinde. Als alle Vorbereitungen endlich soweit gediehen waren, nahm er seine Stellung im Spiegel des Bootes ein und bemühte sich durch die Gelassenheit seines Wesens, den minder mutigen Gefährtinnen einen Teil seiner Unerschrockenheit mitzuteilen.

Der milde Sonnenschein ruhte auf tausend Stellen rechts und links vom stillen, verlassenen Wrack. So tot war die Stille, die auf der See herrschte, daß die riesige, unbeholfene Masse, auf der sich die Arche unserer Erwartungsvollen befand, regungslos dalag; nur nach langen Pausen schlingerte sie einen Augenblick heftig und senkte sich dann etwas tiefer in das gierig verschlingende Element. Bei alledem war das Verschwinden des Rumpfes nur langsam, und das Allmähliche hatte für die sogar etwas Langweiliges, die mit Sehnsucht dem Augenblick des gänzlichen Eintauchens entgegenharrten, als dem Wendepunkt ihres eigenen Geschickes.

Während dieser Stunden schrecklicher, ermüdender Ungewißheit wurde die Unterredung zwischen den ängstlich Wachenden in Tönen des Vertrauens, ja oft der Zärtlichkeit, geführt, aber ach! oft unterbrochen durch lange Zwischenräume tief sinnenden Schweigens. Ein jeder schlüpfte über die Erwähnung der gefährlichen Lage hinweg, um die Gefühle des andern zu schonen; aber jene ewigwachende Liebe zum Leben, die allen gemeinsam war, gab ihnen ein um so lebendigeres inneres Bewußtsein der Gefahr, die sie liefen. So flossen Minuten, Stunden, der ganze Tag dahin; schon konnte man sehen, wie sich die Finsternis längs des Ozeans heranzuschleichen begann, immer enger nach Osten hin den Umkreis ihrer Aussicht zusammenziehend, bis endlich das Ganze der öden Szene beschränkt war auf einen kleinen, düstern Kreis, unmittelbar um den Fleck her, wo sie sich befanden. Diesem Wechsel folgte noch eine bange Stunde, während der es den Anschein bekam, als wolle sie der Tod in der Umgebung seiner grauenvollsten Schrecken besuchen. Ein schwerer Schlag aufs Wasser dröhnte durch die Luft, es war ein sich heranwälzender Walfisch, der seine ungeschlachte Gestalt auf der Oberfläche hin und her warf. Das mimische Blasen von hundert Nachahmern in der Suite des Monarchen der Gewässer vermehrte das Gräßliche. Der entzündeten, fieberhaften Einbildungskraft Gertrauds kam es vor, als ob das Salzwasser alle seine Ungeheuer herbeisende; umsonst versuchte Wilder sie mit der Versicherung zu beruhigen: diese gewohnten Töne seien eher Vorboten des Friedens, als irgendeiner frischen Gefahr – in ihrem Geist sah sie die verborgenen Meeresabgründe klaffen, über denen sie, nur von einem Faden gehalten, schwebte, und es wimmelte darin von den ekelhaften Bewohnern der großen Tiefe. Doch blieb der aufgeklärte Seemann selbst nicht ohne Schrecken, als er die Finnen des gefräßigen Hai über die Oberfläche des Wassers dunkel hervorragen und das Ungeheuer sich in abgesetzten Schüssen rund um das Wrack stehlen sah, wobei der Instinkt es zu lehren schien, daß der Inhalt des dem Untergang geweihten Schiffes nun bald seine Beute werden müsse. Nun ging der Mond auf mit seinem milden, täuschenden Zauberlicht über die stets wechselnde, aber stets schreckenvolle Szene.

»Sehen Sie, meine Damen,« sagte Wilder, als der Himmelskörper sein blasses, trauriges Rund aus dem Meeresbette hob, »wir werden Licht haben zu unserem gewagten Schwung!«

»Ist es schon soweit?« fragte Mistreß Wyllys, mit soviel Ausdruck von Entschlossenheit, als sie nur immer in einer so herben Lage sammeln konnte.

»Ja – schon steht das Schiff mit den Speigaten unter Wasser. Ein Fahrzeug hält es zuweilen aus, bis es von Salzwasser ganz gesättigt ist. Wenn unseres überhaupt sinkt, so sinkt es bald.«

»Überhaupt sinkt! Ist denn Hoffnung da, daß es noch schwimmen könne?«

»Keine!« sagte Wilder und hielt inne, den hohlen, drohenden Tönen zu lauschen, die, während das Wasser durch die Schotten eindrang und sich von einer Seite zur andern schon freie Bahn brach, aus dem Boden des Schiffes hervordröhnten, gleich dem Gestöhne eines gewaltigen Ungeheuers im letzten Kampfe der Natur. »Keine; schon verliert es seine wasserrechte Linie.«

Auch seinen Gefährtinnen entging die Veränderung nicht, doch war keine von ihnen imstande, eine Silbe hervorzubringen, und wenn es den Besitz einer Welt gegolten hätte. Noch ein dumpfer, drohender, kollernder Ton, und von der im Räume eingeschlossenen Luft getrieben, flog das Vorderteil des Verdecks in die Höhe, mit der Explosion einer Kanone.

»Jetzt die Seile angefaßt, die ich Ihnen gegeben habe!« schrie Wilder mit atemloser Hast.

Seine Worte ersäufte das Rauschen und Gurgeln des Strudels. Der Schiffskoloß tat einen Fall wie ein sterbender Walfisch, er hob seinen Spiegel hoch in die Luft, dann glitt er in die Tiefe wie der Leviathan, wenn er in seine verborgenen Abgründe hinabschießt. Die festliegende Barkasse hob sich natürlich mit dem Schiffe, so daß sie endlich – eine fürchterliche Lage – beinahe einen rechten Winkel mit der Wasserfläche bildete. So wie das Wrack hinabsank, kamen die Seiten der Barkasse ins Wasser und vergruben sich so tief, daß die Wellen fast darüber zusammenschlugen; doch leicht gebaut, tauchte sie elastisch wieder empor, und von dem sinkenden Schiffe einen gewaltigen Stoß gegen den Spiegel empfangend, schoß die kleine Arche vorwärts, als wäre sie von einer Menschenhand fortgestoßen. Allein, da das Wasser eine geraume Strecke ringsumher nach dem Strudel strömte, so wurde alles unwiderstehlich mir fortgerissen, und kaum war die Barkasse aufgetaucht, so schoß sie auch schon wieder pfeilschnell mit dem Gefälle, als könnte sie nicht ablassen von dem größern Körper, dessen Satellit sie solange gewesen war, als müsse sie ihm durch die Kluft des wirbelnden Strudels in den Abgrund hinab folgen. Drauf stieg sie wieder schaukelnd an die Oberfläche, und einen Augenblick lang wurde sie umhergeworfen und gedreht wie eine Wasserblase in den Kreiswellen eines Teiches. Dann ächzte das Meer tief auf, und alles wurde wieder ruhig.

Achtzehntes Kapitel.

Achtzehntes Kapitel.

»Wir sind gerettet!« rief Wilder, der während des heftigen Kampfes, fest gegen einen Mast gelehnt, dagestanden und mit der gespanntesten Aufmerksamkeit die Art ihrer Rettung beobachtet hatte. »Soweit wenigstens sind wir gerettet; dem Himmel allein sei Dank dafür, da der größten Kunst von meiner Seite hier auch die geringste Änderung unmöglich gewesen wäre.«

Die Frauen hatten das Gesicht in die Gewänder und Tücher, auf denen sie saßen, tief vergraben, und selbst der Gouvernante mußte ihr Reisegefährte zweimal die Versicherung geben, daß die höchste Gefahr vorüber sei, ehe sie den Kopf in die Höhe hob. Sie und Gertraud brachten auf der Stelle dem höchsten Wesen ihren Dank auf eine Weise und mit Worten dar, weit unzweideutiger als der Ausdruck, der soeben von den Lippen des jungen Seemanns gekommen war. Nach Verrichtung dieser wohltuenden Pflicht, gleichsam durch das Dankopfer gestärkt, standen sie auf, um ihrer jetzigen Lage fester ins Antlitz zu schauen.

Nach jeder Seite hin dehnte sich die scheinbar grenzenlose Wasserwüste aus. Für sie war ihr kleines, gebrechliches Zimmerwerk nun die Welt. Solange sich das Schiff noch unter ihren Füßen befand, obgleich im Untergehen begriffen und verderbendrohend, war eine Zwischenlinie zwischen ihrem Dasein und dem verschlingenden Ozean, wenigstens dem Scheine nach, vorhanden. Allein eine einzige Minute hatte sie dieser letzten, trügerischen Hoffnung beraubt, und sie sahen sich jetzt in einem Fahrzeuge, das nicht unpassend mit einer Wasserblase verglichen werden konnte, der See preisgegeben. Gertraud fühlte in diesem Augenblick eine solche Sehnsucht, daß ihr die Hälfte ihrer Lebenshoffnungen kein zu großes Opfer geschienen hätte, um jenes ungeheure und fast unbewohnte Festland nur sehen zu können, das sich so viele hundert Meilen dem Westen entlang ausdehnte und der Wasserwelt Grenzen setzte.

Der Andrang von Gefühlen, deren Heftigkeit in ihrer verlassenen Lage sehr natürlich war, nahm indes bald ab, und nun war der nächste, ebenso natürliche Gedanke der an die Mittel ihrer Rettung. Dies hatte Wilder jedoch geahnt, und noch waren Mistreß Wyllys und Gertraud kaum recht zu sich selbst gekommen, als es ihm, unterstützt von der dienstfertigen, erschrockenen, aber dabei immer redseligen Kassandra, schon gelungen war, die im Boote umherliegenden Sachen so anzuordnen, daß sie der Bewegung den geringstmöglichen Widerstand entgegensetzten.

»Mit einem wohlgeordneten Schiffchen und vernünftigem Winde«, rief unser Abenteurer freudig, nachdem seine kleine Arbeit vollendet war, »dürfen wir immer hoffen, in einem Tag und einer Nacht das Land zu erreichen. Es gab schon Stunden in meinem Leben, wo ich nicht angestanden hätte, in dieser trauten Barkasse die ganze Küstenlänge Amerikas zu messen, wenn …«

»Ach, das Wenn! Sie hatten das Wenn vergessen«, sagte Gertraud, als sie sah, daß er sich selbst unterbrach, wahrscheinlich weil er die Besorgnisse seiner Reisegefährtinnen durch eine Bedingtheit seiner Zuversicht nicht vermehren wollte.

»Wenn das Jahr um zwei Monate weniger vorgerückt wäre«, setzte er nun etwas weniger zuversichtlich hinzu,

»Die Jahreszeit ist also gegen uns; dies fordert nur um so größere Entschlossenheit von unserer Seite.«

Wilder wendete den Blick nach der schönen Sprecherin hin, deren bleiches und ergebenes Antlitz in den versilbernden Strahlen des Mondes nichts weniger als den Mut ausdrückte, die Mühseligkeiten zu ertragen, die sie, wie er nur zu gut wußte, noch zu erdulden hatte, ehe sie hoffen durfte, das Festland zu erreichen. Er sann eine kleine Weile nach, hob dann den Arm nach Südwest und fing mit der flachen Hand die Nachtluft auf.

»Für Personen in unserer Lage ist nichts nachteiliger als Müßiggehen«, sagte er. »Es hat den Anschein, daß der Luftzug von dieser Seite herkommt: ich will mich zu seinem Empfange bereit halten.«

Hierauf breitere er seine beiden Eversegel aus, setzte sie back und nahm seine Stellung am Steuer ein, wohl wissend, daß seine Dienste in kurzem vonnöten sein würden. Der Erfolg rechtfertigte seine Erwartungen. Nicht lange, so fing die leichte Leinwand des Bootes an, hin und her zu flattern, und nachdem er die Seiten in die gehörige Richtung gesteuert hatte, begann sich das kleine Fahrzeug langsam auf seinem irren Wasserpfade vorwärts zu bewegen.

Bald fühlten die Segel den Druck eines frischeren, von der klammen Nachtluft durchdrungenen Windes. Das gab Wildern einen Vorwand, die Frauen zu ermahnen, unter dem kleinen Obdach von Teertüchern, das seine Vorsicht ausgebreitet hatte, einige Ruhe auf den aus dem Schiffe mitgenommenen Matratzen zu suchen. Frau Wyllys und ihre Pflegebefohlene merkten, daß ihr Beschützer allein zu sein wünschte, und folgten daher dessen Aufforderung. Wenn sie auch nicht schliefen, so hätte doch nach einigen Augenblicken niemand sagen können, ob sich außer unserem Abenteurer noch ein anderes lebendiges Geschöpf in der einsamen Barkasse befinde.

Die Mitternachtstunde ging vorüber, ohne daß sich die Aussichten derer, deren Schicksal so sehr von dem unzuverlässigen Einflusse des Wetters abhing, wesentlich verändert hätten. Der Wind war bis zu einer tüchtigen Kühlde angefrischt; nach Wilders Berechnung hatte das Boot schon viele Seemeilen quer durch den Ozean zurückgelegt, und zwar geradeswegs nach dem östlichen Ende jenes langen und schmalen Eilandes zu, das die Gewässer, die die Küsten von Konnektikut bespülen, von denen der offenen See abschneidet. Flüchtig flogen die Minuten vorbei; denn das Wetter war günstig, und des jungen Seefahrers Gedanken verloren sich in der Erinnerung eines kurzen, aber an Abenteuern reichen Lebens. Oft beugte er sich rückwärts, um das leise Atemholen der einzigen aufzufangen, die unter dem dunkeln und kunstlosen Obdach schlief, als ob er den sanften Hauch ihres Schlummers von dem ihrer Gefährtinnen hätte unterscheiden können. Dann fiel er wieder in seinen Sitz zurück, und seine Lippe wölbte, ja bewegte sich, wie sich die phantastischen Gebilden seines Hirns unwillkürlich in leise Töne auslösten. Doch niemals, selbst als er sich seinen Träumen und Gedanken am meisten hingab, vergaß er die unablässige, fast instinktmäßige Pflicht, die ihm seine Lage auferlegte. Ein flüchtiger Blick nach den Wolken, ein anderer seitwärts auf seinen Kompaß, dann wieder von Zeit zu Zeit ein langes Forschen in das bleiche Antlitz des traurigen Mondes, dies waren die gewöhnlichen Richtungen, die seine geübten Augen nahmen. Noch immer stand der Mond im Zenit, und Wilders Stirn zog sich in besorgliche Furchen zusammen, als er bemerkte, daß seine Strahlen in einer nebellosen Atmosphäre glänzten. Ihm würden selbst jene drohenden wässerigen Kreise, von denen der Mond so oft umgeben ist, und die gewöhnlich als Vorboten des Sturmes gelten, viel besser gefallen haben, als die durchsichtige, trockene Luft, durch die jetzt die Mondstrahlen so hell auf die Wasserfläche fielen. Jetzt hatte die Kühlde auch nichts mehr von der Feuchtigkeit an sich, mit der sie anfangs geschwängert war; und statt ihrer entdeckten die scharfen, empfindlichen Sinnesorgane des Seemanns den Landgeruch, der zwar oft den Matrosen angenehm ist, doch in diesem Augenblick nichts weniger als willkommen war. Dies alles waren Anzeichen, daß die Winde vom Festlande her bald herrschen würden, und zwar mit einer der stürmischen Jahreszeit entsprechenden Gewalt, wie es ihm die grotesken, langen, schmalen Wolken verkündeten, die sich über dem westlichen Horizonte zusammenzogen.

Hätte Wilder in seinem Innern über die Genauigkeit dieser Vorzeichen noch den geringsten Zweifel gehegt, so würde er gegen Anfang der Tagwache verschwunden sein. Denn in dieser Stunde fing die schwankende Kühlde gänzlich hinzusterben an; und noch ehe die anschlagende Leinwand den letzten Stoß fühlte, kamen schon die Gegenwinde von Westen her. Es bedurfte keines langen Sinnens von seiten unseres Abenteurers, um einzusehen, daß der rechte Kampf jetzt erst beginnen würde, und demzufolge traf er seine Vorkehrungen. Durch doppelte Reffe holte er jetzt die viereckigen Segeltücher zusammen, die solange ausgebreitet waren, um die milden Südlüfte aufzufangen, damit sie nun dem Winde nur ein Drittel der vorigen Fläche darboten, und verschiedene der zuvielen Raum einnehmenden übrigen Artikel, deren Nutzen unter gegenwärtigen Umständen fraglich wurde, warf er, ohne sich einen Augenblick zu bedenken, über Bord. Auch war diese Vorsicht nicht ohne hinlänglichen Grund, denn bald ließ sich von Nordwest das dumpfe Gestöhn des Windes über der Tiefe vernehmen, verbunden mit der erstarrenden Rauhigkeit der unwirtlichen Regionen der Kanadas.

»Ach, ich kenne dich recht gut,« murmelte Wilder, als der erste Stoß dieses unwillkommenen Gastes seine Segel traf und das kleine Boot nötigte, sich unter seiner daherfahrenden Gewalt zu beugen; »ich kenne dich recht gut mit deinem Süßwassergeschmack und deinem Landgeruch! Wollte Gott, du kühltest dein Mütchen auf den Landseen und kämest nicht herab, um gar manchen müden Seemann in sein früheres Kielwasser zurückzutreiben, und ihn zu zwingen, seine schon zu lange Fahrt unter deiner beißenden Kälte und ausdauernden Halsstarrigkeit mit unablässigem Lavieren fortzusetzen!«

»Sagten Sie etwas?« sprach Gertraud, halb aus dem Teertuchzelt hervorguckend, aber ebenso schnell mit einem Schauder wieder zurückschreckend, als sie den Einfluß der veränderten Luft fühlte.

»Schlafen Sie, Fräulein, schlafen Sie!« antwortete er, als ob er in einem solchen Augenblicke selbst von ihrer sanften Silberstimme nur ungern unterbrochen würde.

»Ist neue Gefahr da?« fragte das Mädchen und erhob sich leise von der Matratze, um die Ruhe ihrer Gouvernante nicht zu unterbrechen. »Fürchten Sie nicht, mir das Ärgste mitzuteilen: ich bin ja ein Soldatenkind!«

Er zeigte mit dem Finger auf die von ihm so wohl verstandenen Vorboten hin, verharrte aber im Schweigen.

»Ich fühle wohl, daß der Wind kälter ist als vorher,« sagte sie, »aber weiter sehe ich keine Veränderung.«

»Und wissen Sie, welchen Weg das Boot jetzt nimmt?«

»Nach dem Lande zu, denk‘ ich. Sie haben uns ja die Versicherung gegeben, und gewiß, Sie wollen uns nicht hintergehen.«

»Sie lassen mir Gerechtigkeit widerfahren; und zum Beweis will ich Ihnen jetzt sagen, daß Sie sich irren. Wohl weiß ich, daß Ihr Auge auf dieser öden Fläche die Richtungen des Kompasses nicht voneinander unterscheiden kann: allein so leicht kann ich mich nicht betrügen.«

»Wir segeln also nicht der Heimat zu?«

»So wenig, daß, wenn diese Richtung fortdauert, wir erst das ganze Atlantische Meer hinüber müssen, ehe wir Land erblicken können.«

Gertraud antwortete nicht, sondern begab sich traurig an die Seite ihrer Erzieherin zurück. Inzwischen zog der nun wieder allein gelassene Wilder seinen Kompaß und die Richtung des Windes zu Rate. Er bemerkte, daß er sich durch eine veränderte Stellung des Bootes dem Festlande von Amerika mehr würde nähern können, fierte daher herum und brachte das Vorderteil so nahe an Südwest, als der Wind nur zulassen wollte.

Allein dieser unbedeutende Wechsel gab nicht viel Hoffnung. Mit jeder Minute wuchs die Gewalt des Windes, bis sie einen so hohen Grad erreicht hatte, daß er seine Hintersegel ganz einholen mußte. Der schlafende Ozean zögerte nicht, aufzuwachen; und kaum war die Barkasse bequem unter einem enggerefften Stagfock geborgen, so begann sie sich auch schon auf den schwarzen, wachsenden Wogen zu heben und dann hinabzustürzen in eine hohle See, um nach einer augenblicklichen Ruhe wieder in die Höhe zu steigen, wo ihrer die immer zunehmende Gewalt der Windstöße warteten. Das Anschlagen des Wassers und das Heulen des Windes, der jetzt voll und schwer über die blaue Wasserwüste einherstürmte, zog die Frauen bald an die Seite ihres Beschützers. Auf ihre vielen und ängstlichen Fragen gab er besonnene, aber kurze Antworten, wohl fühlend, daß die Stunde weit mehr zu Handlungen als zu Worten aufforderte.

Auf diese Weise verflossen die letzten zögernden Minuten der Nacht, schwer durch eine mit den Augenblicken wachsende Angst, die jedes frische Anschwellen des Windes geeignet war, doppelt qualvoll zu machen. Es kam der Tag, aber nur um die trostlose Aussicht deutlicher vor Augen zu führen. Die Wogen sahen jetzt grün und mürrisch aus, und hier und da stürzte schon von ihren Gipfeln der weiße Schaum herunter – der untrügliche Beweis, daß ein Kampf zwischen den Elementen bevorstehe. – Drauf erschien die Sonne über dem schroffen, ungleichen Saum des östlichen Horizonts, langsam hinanklimmend am blauen Himmelsgewölbe, das kalt, durchsichtig und wolkenlos herabstarrte.

Wilder beobachtete alle diese Wechsel der Stunde mit einer Angelegentlichkeit, die bewies, wie bedenklich ihm ihre Lage vorkam. Ihm schien es mehr darum zu tun, sich über die Zeichen der oberen Regionen zu unterrichten; denn wenig beachtete er das wilde Taumeln und Strömen des Wassers, das gegen die Seiten des kleinen Fahrzeuges so fürchterlich anschlug, daß seine Schicksalsgenossen ihren unvermeidlichen Untergang vor sich zu sehen glaubten. Allein, wie gefährlich dieses letztere dem minder unterrichteten Sinne auch scheinen mußte, so war doch Wilder viel zu sehr daran gewöhnt, um daraus über den eigentlichen Moment der Gefahr einen Schluß ziehen zu wollen. Ihm war es, was der Donner in seinem Verhältnis zu dem vorangehenden Blitz dem Naturforscher ist; er wußte, daß das Element, auf dem er schwamm, nur erst dann Unglück bringen könne, wenn dessen Kraft zu schaden durch die Macht eines verwandten Elementes in Tätigkeit gesetzt werde.

»Was denken Sie jetzt von unserer Lage?« fragte Mistreß Wyllys, ihn fest anschauend, gleichsam als traue sie dem Ausdruck seiner Züge bei der Antwort mehr als dieser selber.

»Solange der Wind diese Richtung behält, dürfen wir der Hoffnung immer Raum geben, uns in dem Pfade der von und nach den großen nördlichen Häfen segelnden Schiffe zu halten; wird aber eine schwere Bö daraus, und fangen die Wogen an, sich heftiger zu brechen, so zweifle ich, daß das Boot stark genug sein dürfte, um nicht aus dem Wege verschlagen zu werden.«

»Dann bleibt uns wohl nur übrig, vor dem Winde zu laufen?«

»Freilich, wir müssen dann lenzen.«

»Welche Richtung nehmen wir in diesem Fall?« fragte Gertraud, deren Sinn für Örtlichkeit und Entfernungen durch die starke Bewegung des Ozeans und die kahle Aussicht nach jeder Seite hin in der unentwirrbarsten Verworrenheit befangen war.

»In solchem Falle,« erwiderte unser Abenteurer, sie mit einem Blicke anschauend, in dem Mitleiden und grenzenlose Teilnahme so seltsam verschmolzen waren, daß Gertrauds ruhiges, gerades Anschauen zu einem verstohlenen, furchtsamen Blinzeln eingeschüchtert wurde, »in einem solchen Falle würden wir uns von dem Lande entfernen, das zu erreichen uns so wichtig ist.«

»Dort, was dort?« schrie Kassandra, deren große, dunkle Augen nach jeder Richtung mit einer Neugier umherglotzten, die keine Sorge oder Gefühl von Gefahr zu unterdrücken vermochte: »ist groß, sehr groß Fisch auf die Wasser.«

»Es ist ein Boot!« rief Wilder, auf ein Querbrett springend, um den dunkeln Gegenstand genau zu betrachten, der den glänzenden Gipfel einer Woge durchschnitt, innerhalb hundert Fuß von da, wo die Barkasse mit dem Wasser kämpfte. »Heda, ho! – Boot, ahoi! – Hallo dort! – Boot ahoi!«

Der dumpfe Ton des Windes fuhr an ihnen vorüber, aber keine menschliche Stimme antwortete seinem Rufe. Sie waren nun wieder zwischen zwei Wogen in ein hohles Wassertal hinabgefallen, das die Aussicht durch zwei dunkle, wogende Schranken von beiden Seiten beengte.

»Gnädiger Himmel!« rief die Gouvernante aus, »können noch andere Fahrzeuge so unglücklich sein wie wir?«

»Wenn mich mein richtiger Blick nicht verlassen hat, so war es ein Boot«, erwiderte Wilder, indem er auf dem Brett stehen blieb, um den Moment, wo er einen zweiten Blick erhaschen könnte, nicht zu verfehlen. Sein Wunsch wurde bald erfüllt. Er hatte während dieser Zeit das Steuer den Händen Kassandras anvertraut, die die Barkasse ein klein wenig aus ihrer Richtung gehen ließ. Noch waren die Worte auf seinen Lippen, als der nämliche schwarze Gegenstand von der Windseite der Woge herabfuhr, und eine umgestürzte Pinasse floß in der hohlen See dicht bei ihnen vorbei. Plötzlich kreischte die Negerin auf, ließ die Ruderpinne fahren, fiel auf die Knie und hielt sich die Hände vors Gesicht. Wilder erhaschte instinktmäßig das Steuer, indem er sich dabei nach der Gegend hinbog, wo der Gegenstand sein mußte, der den Blick Kassandras empört und zurückgescheucht hatte. Eine Menschengestalt war es, die, bis zur Hälfte über dem Wasser hervorragend, herangeschwommen kam, mitten in einer überstürzenden Wogenspitze, die den dunkeln Abhang windwärts mit Schaum bedeckte. Eine Sekunde lang stand die Gestalt aufrecht, von deren eingeweichten Haaren das Salzwasser heruntertroff, wie ein Wesen aus der Tiefe, das gekommen war, um mit seinen scheußlichen Zügen die Anschauenden wahnsinnig zu machen – in der nächsten Sekunde trieb der leblose Körper des Ertrunkenen bei der Barkasse vorbei. Es dauerte keine Minute, so schwang sich das Boot über eine Woge in ein zweites Tal, wo nichts mehr zu sehen und alles vorüber war wie ein Traum.

Nicht bloß Wilder, sondern auch Gertraud und Mistreß Wyllys hatten das grausenvolle Schauspiel nahe genug gesehen, um das rauhe Gesicht Nightheads zu erkennen, durch den vom Tode zurückgelassenen Eindruck nur noch rauher und abschreckender gemacht. Doch niemand sprach oder gab sonst sein Erkennen durch Zeichen zu verstehen; nicht Wilder, weil er hoffte, daß seine Gefährtinnen von dem empörenden Wiedererkennen des Opfers verschont geblieben wären, nicht die Frauen, weil sie in dem unglücklichen Schicksal des Meuterers zu sehr ein Vorspiel ihres eigenen, obgleich mehr hinausgeschobenen Geschickes zu sehen glaubten, um fähig zu sein, dem tiefgefühlten Abscheu Worte zu geben. Eine Zeitlang war nichts zu vernehmen, als das Geseufze der Elemente, gleichsam das heisere Requiem über die Opfer ihrer Kriegswut.

»Die Pinasse hat sich gefüllt!« war Wilders Bemerkung, als er endlich an den blassen Zügen und sprechenden Augen seiner Gefährtinnen sehen konnte, daß längere Zurückhaltung ein vergebliches Beginnen wäre. »Ihr Boot war zu gebrechlich, und bis an den Wasserrand überladen.«

»Glauben Sie, daß alle verunglückt sind?« fragte Mistreß Wyllys mit leiser, flüsternder Stimme.

»Es ist keine Hoffnung für irgendeinen! Freudig wollte ich einen Arm verlieren, könnte ich dem Ärmsten dieser verblendeten Matrosen helfen, die ihr unglückliches Geschick durch Ungehorsam und Unwissenheit beschleunigt haben.«

»Und von allen den menschlichen Wesen, die so kürzlich den Hafen von Newport glücklich und leichten Sinnes verlassen haben, in einem Fahrzeug, das lange der stolz der Seeleute war, von allen sind wir die einzigen, die noch leben!«

»Die einzigen: dieses Boot und sein Inhalt ist alles, was noch an die Royal Carolina erinnert.«

»Es lag nicht im Bereich menschlichen Wissens, dieses Unglück vorherzusehen«, fuhr die Erzieherin fort und blickte Wildern dabei an, als wollte sie eine Frage tun, von der ihr jedoch das Gewissen sagte, daß sie aus demselben Aberglauben entsprungen sei, der den Untergang des soeben vorübergeschwommenen rohen Menschen herbeigerufen hatte.

»Nein.«

»Und die Gefahr, auf die Sie so oft und so geheimnisvoll anspielten, stand in keiner Verbindung mit der wirklich eingetretenen?«

»Nein.«

»Ist sie denn nun durch die Veränderung unserer Lage vorüber?«

»Ich hoffe es.«

»Sieh!« unterbrach Gertraud, die Hand in ihrer Hast auf Wilders Arm legend. »Gott sei gelobt, dort ist endlich etwas Erfrischendes für den Blick.«

»Es ist ein Schiff!« rief ihre Erzieherin, aber ach, eine neidische Woge erhob ihre grüne Mauer zwischen ihnen und dem Gegenstand, und sie sanken in die Hohlsee hinab, als ob sich die Erscheinung auf einen Augenblick ihnen gezeigt hätte, um sie mit ihrem Bilde zu verhöhnen. Doch hatte Wilder im Hinabsinken die sich an den Horizont malenden Spierenlinien flüchtig sehen können, und als das Boot nun wieder aufstieg, richtete er den geübten Blick so, daß er sich auch im Nu überzeugte, es sei ein Fahrzeug. Eine Woge kam nach der andern, ein Augenblick folgte dem andern, wo der Fremde abwechselnd mit dem Steigen der Barkasse erschien und mit ihrem Sinken wieder verschwand. Aber dieses kurze und flüchtige Erblicken war auch hinreichend, um das Auge dessen über alles Nötige zu belehren, der auf dem Elemente erzogen worden war, wo die Umstände jetzt so ausdauernde und unzweideutige Proben seiner Erfahrung heischten.

In der Entfernung einer Viertelmeile war allerdings ein Schiff zu sehen, das sich auf denselben Wogen, die der Barkasse jeden Fuß Weges streitig machten, mit Grazie und nur geringem Seitenschwanken, ohne scheinbare Anstrengung, vorwärts bewegte. Nur ein einsames Segel war beigesetzt, um der Bewegung des Schiffes mehr Stetigkeit zu geben; aber auch dieses eine war so zusammengerefft, daß es sich zwischen den schwarzen, verworrenen Linien der Taue und Spieren wie ein kleines weißes Wölkchen ausnahm. Zuweilen wies die Spitze der hohen, schlanken Masten nach dem Zenit, nicht selten schienen sie sich sogar vom Winde wegzuwenden, dann neigten sie sich wieder in langsamen und zierlichen Schwingungen nach der gekräuselten Meeresoberfläche hin, als wollten sie im Schoße des bewegten Elementes einen Zufluchtsort für ihre eigene endlose Bewegung suchen. Es gab Augenblicke, wo der lange, niedrige und schwarze Rumpf des Schiffes deutlich zu sehen war, auf einem Wogengipfel ruhend, und im Sonnenstrahle glänzend, wenn das Wasser seine Seiten umspielte; dann wieder sanken beide in eine Hohlsee nieder, Barkasse und Schiff, und alles verschwand dem Blick, selbst bis zu den feinen Linien, die die allerobersten Spieren in die Luft malten.

Sowohl Frau Wyllys als Gertraud beugten das Antlitz tief, in stille Anbetung und Dank zerflossen, als sie sich von der Erfüllung ihrer Hoffnungen versichert hatten. Dagegen war Kassandras Freude weniger zurückgehalten und geräuschvoller. Das einfältige Negermädchen lachte, weinte und jauchzte auf eine höchst rührende Weise, bei der sich eröffnenden Aussicht, ihre junge Gebieterin und sich selber nun einem Tode entrissen zu sehen, den der entsetzliche Anblick vor einigen Augenblicken ihrer Einbildungskraft unter einer so furchtbaren Gestalt vorgeführt hatte. Aber in dem trüben Auge Wilders war nichts zu spüren, was eine Teilnahme an der Freude der übrigen zu erkennen gegeben hätte.

»Jetzt,« sagte Mistreß Wyllys, seine Hand in ihre beiden schließend, »dürfen wir Rettung hoffen; und dann wird uns schon die Gelegenheit vergönnt sein, tapferer, trefflicher Jüngling, Ihnen zu beweisen, wie sehr wir Ihre Dienste zu schätzen wissen.«

Wilder litt den Ausbruch ihrer Gefühle, sprach aber nicht, noch äußerte er auf irgendeine andere Weise das geringste freudige Mitgefühl. Im Gegenteil, sein Wesen drückte eine Art von befangener Besorglichkeit aus.

»Es schmerzt Sie doch nicht, Herr Wilder,« setzte die verwunderte Gertraud die Rede ihrer Erzieherin fort, »daß sich uns endlich durch Gottes Barmherzigkeit eine Aussicht erschließt, aus diesen schrecklichen Wellen gerettet zu werden?«

»Mit Freuden ginge ich in den Tod, um Sie vor Leid zu schützen,« erwiderte der junge Seemann, »aber …«

»Jetzt ist keine Zeit für was anderes, als für Dank und Freude!« unterbrach ihn die Gouvernante. »Ich kann jetzt keinen kalten Ausnahmen Gehör gestatten; was soll Ihr freudedämpfendes Aber?«

»Vielleicht ist die Erreichung jenes Schiffes nicht so leicht als Sie glauben … der Wind kann es verhindern … kurz, der Blick erreicht wohl manches Schiff zur See, was deswegen doch nicht angesprochen werden kann.«

»Glücklicherweise ist das nicht unser grausames Los. Ich verstehe übrigens – Sie wünschen nicht Hoffnungen zu sehr zu ermuntern, die noch getäuscht werden könnten; allein zu lange und zu oft habe ich mich diesem gefährlichen Elemente anvertraut, um nicht zu wissen, daß, wer den Wind hat, sprechen kann oder nicht, nach Belieben.«

»Sie bemerken ganz richtig, Madame, daß wir die Windseite haben; und befände ich mich in einem größeren Fahrzeuge, so wäre nichts leichter, als dem Fremden nahe genug zu kommen, um ihn sprechen zu können. Das Schiff dort liegt freilich beim Winde, allein der Wind ist doch nicht stark genug, um ein so großes Fahrzeug einem so kleinen Segel nahe zu bringen.«

»Nun, so wird man uns sehen und warten, bis wir herankommen.«

»Nein, nein. Gottlob! noch sieht man uns nicht! Dieser kleine Lappen Segel zerfließt im Wasserstaube für den Blick der Leute in jenem Schiff, oder sie halten ihn für eine Seemöwe.«

»Und dafür danken Sie dem Himmel?« rief Gertraud aus, den ängstlichen Wilder mit einem Erstaunen ansehend, das sie nicht, wie ihre Erzieherin, Kraft genug zu unterdrücken besaß.

»Hab‘ ich dem Himmel gedankt, daß wir nicht gesehen werden? Kann sein, daß ich nicht um das Rechte dankte: es ist ein bewaffnetes Schiff.«

»Vielleicht ein königlicher Kreuzer. Um so wahrscheinlicher harrt unser eine willkommene Aufnahme! Darum zögern Sie nicht, ziehen Sie eine Notflagge in die Höhe, sonst setzt man vielleicht mehr Segel bei und läßt uns zurück.«

»Sie vergessen, daß der Feind oft an unseren Küsten kreuzt. Es könnte ein Franzose sein!«

»Ich fürchte einen großmütigen Feind nicht. Selbst ein Korsar würde Frauen in unserer Not Obdach und Willkommen geben.«

Hier folgte eine lange, tiefe Stille. Wilder stand auf dem Querbrett, sich anstrengend, jedes Seeleuten verständliche Zeichen zu lesen, eine Beschäftigung, die ihm wenig Freude zu machen schien.

»Wir wollen mir unserem Boot nach vorn steuern,« sagte er, »und da das Schiff anders beiliegt, so gelingt es vielleicht, uns noch so zu stellen, daß wir über unsere künftigen Bewegungen gebieten können.«

Seine Gefährtinnen wußten nicht recht, was sie gegen einen Vorschlag, den sie vielleicht nur halb verstanden, einwenden sollten. Mistreß Wyllys war so befremdet durch die sonderbare Kälte, mit der er diese Aussicht einer Zuflucht aus ihrer Lage aufnahm, einer Lage, die, nach seinem eigenen unmittelbar vorhergehenden Geständnis, hilflos war, so daß sie sich viel geneigter fühlte, über die Ursache dieser Kälte nachzudenken, als ihn mit Fragen zu belästigen, die, wie sie wohl einsah, zu nichts führen würden. Gertraud ihrerseits verwunderte sich, ja hatte fast Lust zu glauben, er könne doch recht haben, wenn sie auch nicht wußte warum. Nur Kassandra war aufrührerisch gesinnt. – Sie nahm wieder ihre Zuflucht zum lauten Remonstrieren gegen den geringsten Verzug und versicherte dem zerstreuten, nicht auf sie achtenden, jungen Seemann, daß, wenn ihre junge Gebieterin durch seinen Eigensinn ein Leid treffen sollte, der Herr General Grayson sehr böse sein würde; und dann überließ sie es ihm, über die Folgen eines Unwillens selbst nachzudenken, der in dem Sinne des naiven Negermädchens so voller Gefahren war, als der Zorn eines Monarchen nur immer sein kann. Durch sein übermütiges Nichtachten auf ihre Gegenvorstellungen gereizt, vergaß die Negerin, geblendet durch Liebe und Ehrerbietung für ihre Herrin, alle Achtung, erhaschte den Bootshaken, befestigte, ohne daß es Wilder bemerkte, mit großer Geschicklichkeit eines der aus dem Wrack mitgenommenen linnenen Tücher daran und hob es einige Minuten lang hoch über das eingereffte Segel hinweg, ehe noch ihr erfindungsreicher Streich von irgendeinem ihrer Reisegefährten entdeckt wurde. Dann freilich, als sie Wilders zürnender Blick traf, beeilte sie sich, das Signal fallen zu lassen. Allein ob auch der Triumph der Treue nur kurz war, so krönte ihn doch der unbedingteste Erfolg.

Noch herrschte in der Barkasse jene stumme Zurückhaltung, die gewöhnlich nach einem plötzlichen Hervorbrechen des Unwillens stattfindet, als eine Rauchwolke aus der Seite des Schiffes, gerade als es auf der Spitze einer Woge lag, hervordrang; und gleich darauf erdröhnte der dumpfe Knall einer Kanone, mühsam gegen den Wind ankämpfend.

»Jetzt ist Besinnen zu spät,« sagte Mistreß Wyllys; »wir werden gesehen, mag der Fremde Freund oder Feind sein.«

Wilder antwortete nicht, sondern fuhr fort, jede Gelegenheit zu benutzen, um die Bewegungen des Fremden zu beobachten. Im nächsten Augenblick sah er, wie die Spieren vom Winde abfielen, und nach noch einigen Minuten, wie das Vorderteil des Schiffes eine veränderte Richtung, gerade auf sie zu, erhielt. Nun erschienen vier oder fünf breitere Segeltücher an verschiedenen Teilen des zusammengesetzten Baues, während das Fahrzeug dem Winde nachgab, als ob es sich noch tiefer unter seiner Gewalt beugte. – Zuweilen, wenn es eine Woge bestieg, schien sein Kiel ganz und gar vom Elemente entblößt, und hohe Wasserstaubstrahlen schossen auf, die, wie sie in der Luft zerstoben, von der Sonne erglänzten, oder die Segel und das Tauwerk wie mit ebenso vielen Brillanten bedeckten.

»Jawohl, jetzt ist es zu spät«, brummte unser Abenteurer, indem er das Steuer aufhielt und das Segel durch die Hände laufen ließ, so daß es der Wind fast bis zum Bersten anfüllte.

Nun flog das Boot, das sich solange zwischen den Wogen herumarbeitete, um dem Festlande so nahe als möglich zu bleiben, hinweg über die See, eine lange Spur von Schaum hinter sich lassend; und ehe noch die Damen ihre Fassung ganz wieder erlangt hatten, schwamm es schon in der verhältnismäßigen Windstille, die der dazwischenliegende Rumpf eines großen Fahrzeugs zu verursachen pflegt.

Auf dem Tauwerk stand eine leichte, behende Gestalt, einem Hundert Matrosen die nötigen Befehle erteilend; und unter der Verwirrung und Erschrockenheit, die eine solche Szene in einem weiblichen Busen aufzuregen geeignet ist, wurden Gertraud und Mistreß Wyllys nebst ihren beiden Begleitern wohlbehalten aufs Verdeck des Fremden gebracht. Sobald sie und ihre Sachen in Sicherheit waren, überließ man die Barkasse wie ein unnützes Stück Gerät dem Spiel der Wogen. – Nun kletterten zwanzig Matrosen auf den Seilen herum, Segel nach Segel öffnete sich geräumiger, bis das Fahrzeug, die ungeheuern Falten aller seiner Leinwand ausgebreitet, auf seinem spurlosen Lauf dahingetrieben wurde, gleich einer schnellen Wolke in der dünnen Luft der höheren Regionen.

Einleitung Coopers

Einleitung Coopers

Seit die vorliegende Erzählung zum ersten Male erschienen ist, wurde sie von dem Verfasser nicht wieder gelesen, und jetzt erst hat er sich entschlossen, sie behufs des Wiederabdrucks in einer größeren Sammlung einer nochmaligen Durchsicht zu unterwerfen. Diese Arbeit hat ihn eine gute Anzahl von Verstößen darin entdecken lassen: sowohl in Beziehung auf Stil und Korrektheit, als hauptsächlich auf Geschmack. Sie nach Möglichkeit zu vermindern, war der Verfasser eifrig bemüht, und das Buch möchte jetzt der Gunst, die ihm zuteil geworden ist, weit eher wert sein als zuvor.

Was den Gegenstand der Erzählung betrifft, so hat der Verfasser wenig zu erinnern. Amerika ist ein Land beinahe ohne Überlieferungen: die wenigen, die es aufzuweisen hat, sind größtenteils zu bekannt, um der Dichtkunst anheimfallen zu können. Der Zweck unseres Buches ist, Schilderungen des Meeres zu geben, Seemannsgebräuche und Charaktere zu zeichnen, ohne irgend Begebnisse der Wirklichkeit einschließen zu wollen. Nie gab es einen Freibeuter wie den Helden dieser Geschichte; sogar die ihm geliehene Benennung hat der Autor nirgend je gehört, und der Name Red-Rover ist so gut seine Erfindung als alles übrige. Die einzige dem Verfasser vorschwebende sittliche Tendenz war, darzutun, wie Menschen von der edelsten Anlage durch arge Leidenschaften irregeführt werden können: zu erweisen, wie nahe Laster und Tugend aneinander grenzen, wenn Erziehung oder Mißgunst der Verhältnisse edleren Geistern eine verkehrte Richtung geben. Auch sollte gezeigt werden, und, wie wir hoffen, nicht ohne Nutzen, daß sogar das Verbrechen eine glänzende Außenseite haben kann, und daß der Mangel irgendeiner wichtigen sittlichen Eigenschaft, der einem Manne gerechterweise die Achtung anderer entzogen hat, ihn darum noch nicht zum Ungeheuer stempelt; denn wahrlich die schonungslosen Anklagen solcher, die, vom Geschicke begünstigt, vor den Gefahren der Versuchung selbst geschützt bleiben, sind so verwerflich, als das böse Beispiel eines Übeltäters.

Neuntes Kapitel.

Neuntes Kapitel.

Wilder war aus dem Felde geschlagen und nahm seinen Rückzug. Der Zufall oder wie er es selbst geneigt war zu nennen, die Speichelleckerei des alten Seefahrers, hatte seiner kleinen Kriegslist entgegengearbeitet, und ihm alle Hoffnung benommen, sich auf irgendeine Weise wieder in Vorteil zu setzen und seinen Plan auszuführen.

Der junge Seemann ging langsam und mürrisch zur Stadt zurück. Mehr als einmal stand er auf dem Abhange still und heftete seine Augen minutenlang auf die verschiedenen Schiffe im Hafen. So oft er haltmachte, fand er Gelegenheit, dem Interesse, das er an jedem fand, neue Nahrung zu geben. Doch schien es, als mache das für Karolina bestimmte Schiff einen längern und tiefern Eindruck auf ihn; nur daß sich sein Blick ab und zu, auch neugierig und sogar ängstlich über die andern Fahrzeuge erstreckte.

Die Stunde, die zur Morgenarbeit rief, hatte geschlagen; alles kam in Bewegung, in jedem Viertel der Stadt rührten sich fleißige Handwerker. Matrosenlieder schallten in die Morgenstille hinein und wechselten mit ihren gewohnten, langgedehnten, eigentümlichen Jodeltönen ab. Das Schiff im innern Hafen war eines der ersten, aus dem sich das Geräusch und die Laute der Tätigkeit hören ließen und dessen nahe Abfahrt ankündigten. Tiefe Bewegungen und Vorkehrungen trafen zugleich Wilders Auge und Ohr, weckten ihn aus seinen tiefen Gedanken und fesselten bald seine ganze Aufmerksamkeit. – Er richtete sie einzig auf das Schiff, sah die Matrosen die Takelage ebenso langsam und gemächlich hinaufklettern, als dies schnell und eilig geschieht, wenn Not oder Sturm vorhanden ist; er sah hier und da eine Menschengestalt auf den schwarzen, schweren Rahen reiten. Dann, nach einigen Minuten, sah er das fest zusammengerollte Vormarssegel sich von den Rahen lösen, in nachlässig lieblichen Festons hängen; dann, wieder nach einigen Minuten, sah er die unteren Ecken des ungeheuern Segels sich den Enden der damit in Verbindung gesetzten Spieren anschließen, und dann endlich die schwere Rahe langsam den Mast hinaufgewunden werden, die flatternden Falten des Segels nach sich ziehend, bis sich dieses, an allen Ecken angezogen, wie eine breite, schneeweiße Zeltfläche ausbreitete. Gleichzeitig spielten die leichten Luftströme mit ihnen, fielen ein, ließen nach; das Segel schien seinerseits mit dem schwachen Morgenwind zu spielen, blähte sich auf, schlug sich zusammen, als wolle es die Ohnmacht des Angriffs zugleich anzeigen und ihm nur leicht begegnen. Jetzt wurde mit den Vorkehrungen innegehalten: die Matrosen schienen die Kühlde gelockt zu haben und nun abzuwarten, inwiefern ihre Einladung von Erfolg sein würde.

Durch einen vielleicht nur zufälligen und natürlichen Übergang schweiften Wilders Augen von dem Schiffe, auf dem die Vorkehrungen der Abfahrt für ihn so interessant waren, zu dem über, das im äußern Hafen lag; vielleicht geschah es aber auch, um zu sehen, ob jede Bewegung dort Eindruck gemacht und irgendeine Wirkung hervorgebracht hätte. Doch die genaueste und strengste Untersuchung würde hier zu keinem Resultat geführt haben, woraus man irgendeine Verbindung zwischen den Interessen beider Schiffe hätte abnehmen können. Während im ersten Schiffe alles in der größten Tätigkeit war, lag im zweiten alles in der tiefsten Ruhe. Der Anker blieb ausgeworfen, das Schiff unbeweglich; und keine Spur gab zu erkennen, daß die schwarze, leblose Masse bewohnt sei. So still und regungslos schien sie, daß jemand, der in diesem Fache ganz unbewandert gewesen wäre, hätte glauben sollen, es sei ein Felsen im Meere oder irgendein ungeheures symmetrisches, von den Fluten herbeigewälztes Naturspiel, oder gar eines von den fabelhaften, phantastischen Seeungetümen, an deren Dasein das Schiffsvolk glaubt, und das der Boden des Ozeans unter Nebel und Stürmen ausgespien, nachdem es jahrhundertelang in seinem Schoß verborgen gelegen. Dem unterrichteten Auge Wilders gab diese schwarze Masse einen ganz andern Aufschluß. Er durchschaute die anscheinend schlafende Gestalt und fand in ihrer Unbeweglichkeit selbst Zeichen des nahen Aufbruchs. Anstatt in langer, gedehnter Linie ins Wasser zu laufen, war das Ankertau kurz, fast senkrecht, und hatte gerade nur so viel Spielraum außer Bord, als erforderlich war, der Flut zu widerstehen, die den Kiel unterhalb in Bewegung setzte. Alle Boote waren ausgesetzt und in Bereitschaft, so daß es Wildern deutlich war, ihre Bestimmung sei, in der schnellstmöglichen Zeit das Schiff zu bugsieren. Kein Segel, keine Rahe war aus der Stelle, wie es sonst immer zu sein pflegt, wenn ein Schiff im sichern Hafen still liegt, weil alsdann das Volk gewöhnlich mit Untersuchen und Ausbessern beschäftigt ist. Auch fehlte kein einziges Tau von den Hunderten, die sich in den obern Teilen des Schiffs kreuzen und der blauen Himmelsdecke zu Vorhängen dienen. Alles war an seinem Platz und schien auf den Augenblick zu warten, wo es selbst in Gang gebracht werden solle. So wenig sich das Schiff zur geringsten Bewegung anzuschicken schien, war es doch in solcher Lage, daß es augenblicklich die Anker lichten, oder sich, wenn es not täte, seiner Angriffs- und Verteidigungsmittel bedienen konnte. Die Finkenetten waren zwar wie tags vorher zwischen den Regelingen ausgespannt: dies ließ sich aber als reine Vorsicht erklären. Es war Krieg; französische Kreuzer konnten in der Nähe sein. Man wußte, daß sie von den westindischen Inseln aus, längs den Küsten des Festlandes, schwärmten. Das Schiff war im äußern Hafen ihrem Angriff ausgesetzt und mußte auf seiner Hut sein. Es glich in seiner Lage und bei seinen Anstalten einem wilden Tiere oder einem giftigen Reptil, in anscheinend tiefem Schlafe, und so das keine Gefahr ahnende Opfer in seine Nähe lockend, damit es sich desto sicherer darauf stürze und ihm den tödlichen Fang oder Stich versetze.

Wilder schüttelte sein Haupt auf eine Weise, die sattsam zu erkennen gab, wie sehr er die verräterische Ruhe durchschaue. Dann setzte er seinen Weg nach der Stadt fort. So ging’s eine Zeit weiter. Er schlenderte, vertiefte sich schon wieder in Gedanken, und würde sich noch mehr vertieft haben, hätte ihn nicht ein Schlag auf die Schulter geweckt. Er kehrte sich um und erblickte hinter sich den alten Seemann, der ihn eingeholt, und den er in jener Gesellschaft verlassen hatte, in die er selbst so gern aufgenommen worden wäre.

»Master,« redete jener ihn an. »Eure jungen Beine hätten Euch, wie mich dünkt, schneller vorwärts bringen sollen; Ihr segeltet ja dort ab, wie ein vorn scharf und voll gebauter Bermuder, und seht, jetzt hab‘ ich Euch mit meinen alten Knochen ein- und ausgeholt und praie Euch an.«

»Es mag Euch eine außerordentliche Freude machen,« erwiderte Wilder mit Hohnlächeln, »die Wellen mit Euerm Hackebord zu durchschneiden. Wer so segelt, kommt vorwärts, er weiß oft selbst nicht wie.«

»Bruder, ich merke, Ihr seid empfindlich, daß ich es gemacht habe wie Ihr; denn, unter uns gesagt, ich bin bloß Euerm Beispiel gefolgt. Wie konntet Ihr Euch einbilden, daß ein alter Seehund wie ich, der solange auf einem Flaggenschiffe gedient hat, in irgendeiner Sache, die das blaue Wasser betrifft, seine Unwissenheit kundgeben oder eingestehen würde? Wie, zum Henker! Konnte ich wissen, ob es unter den tausend Weisen, ein Schiff zu lenken, nicht auch eine gibt, es rückwärts segeln zu lassen, hätt‘ ich’s nicht von Euch gelernt? Man pflegt zu sagen, ein Schiff sei gebaut wie ein Fisch; und wenn dies der Fall ist, so kann es ja wohl auch ein Krebs, eine Auster sein, nicht wahr? Nenn‘ ich das Ding nicht beim rechten Namen?«

»Schon gut, Alter. Ihr habt Euern Lohn eingestrichen, wie ich vermute. Ein hübsches Präsent von der Admiralswitwe, so daß Ihr nun eine geraume Zeit ruhig beilegen könnt, ohne Euch um die Art und Weise zu bekümmern, wie man nach Eurer Zeit die Schiffe baut. Sagt mir nur, ob Euch Euer Weg den Hügel hinabführt?«

»Bis ganz unten.«

»Das ist mir lieb, Freund, denn meine Absicht ist, ihn wieder hinaufzugehen. Und da nun unser Gespräch ein Ende hat, so sag‘ ich Euch auf Schiffermanier: ›Schmuck Wetter auf die Fahrt!‹«

Der alte Schlaukopf lachte und schüttelte sich auf die gewohnte Weise, als er den jungen Mann linksum machen und die Höhe wieder hinanlaufen sah.

»Nein, Ihr seid mir nie mit einem Konteradmiral auf einem Schiffe gewesen«, sagte er, setzte seinen Stab weiter und schlich langsam fort, wie einer, der die Last der Jahre mit sich schleppt. »Nein, man wird mit den Seekniffen nicht eher fertig, bis man ein paar Kampagnen auf einem Flaggenschiffe gemacht hat, und das am Besanmast!« Dies murmelte er dem jungen Manne nach.

Der junge Mann murmelte seinerseits zwischen den Zähnen: »O des unleidlichen Heuchlers und Schmeichlers. Der Schurke hat sich ein gut Teil in der Welt umgesehen und benutzt nun seine Erfahrungen dazu, ein närrisches Weib zu seinem Vorteil zu ködern. Ich bin froh, daß ich den Kerl los bin, der sich aufs Lügen legt, weil er sieht, daß es mit der Arbeit nicht mehr fort will … Nun wieder zurück. Die Küste ist klar: wer weiß, was sich zutragen kann!«

Den Anfang der Rede hatte er, wie gesagt, unvernehmlich gemurmelt, das Ende dachte er jetzt mehr, als er sprach: da es ihm aber an Zuhörern fehlte, war es ebensogut, als wenn er sich eines Sprachrohrs bedient hätte. Nur sollte es ihm nicht gelingen, die Hoffnung, die er sich gemacht, so bald in Erfüllung gehen zu sehen. Er hatte schon den Hügel erstiegen und sich vorgenommen, wenn man ihn bemerken sollte, ein gleichgültiges, nachlässiges Wesen anzunehmen, um sich nicht zu verraten. Allein dies war nicht einmal nötig, denn obschon er eine ganze Weile nach den Fenstern der Frau von Lacey schielte, wollte es ihm nicht glücken, nur die Nasenspitze einer der Bewohnerinnen zu entdecken. Lärmen und Geräusch genug im Hause: es wurden Koffer und Gepäck von Bedienten nach der Stadt getragen, aber die Hauptpersonen mußten seiner Meinung nach im Innern verborgen sein, um die wenigen Augenblicke noch im häuslichen Gespräch zuzubringen und sich auf den langen Abschied vorzubereiten. Schon wollte er sich getäuscht und verdrießlich auf den Rückweg machen, schon schlich er sich traurig längs der Gartenmauer hin, als er dahinter weibliche Stimmen hörte. – Er lauschte; die Stimmen kamen näher, und bald erkannte sein horchendes Ohr die Musik der jungen Gertraud.

»Wir quälen uns selbst, liebste Madame,« sagte sie, als Wilder die Töne unterscheiden konnte, »wenn wir dem, was solch ein … Individuum gesagt hat, den geringsten Eindruck auf uns zu machen gestatten wollten.«

»Ich fühle vollkommen, liebstes Kind, daß Sie recht haben,« erwiderte die Gouvernante mit schwermütigem Tone, »und doch bin ich so schwach, daß ich eine Art von Aberglauben … von Ahnung … nicht überwinden kann. Liebe Gertraud, wünschten Sie nicht wie ich, den jungen Mann nochmals zu sprechen?«

»Ich, Madame?« rief die junge Person mit einiger Unruhe aus. »Wie können Sie, und wie sollte ich wünschen, den Fremden wiederzusehen? Aus einem so niedrigen … vielleicht auch nicht niedrigen Stande …, aber gewiß einen Menschen, der sich nicht für die Gesellschaft …«

»Wohlerzogener Ladys eignet, wollten Sie sagen. Und woraus schließen Sie, daß der junge Mann so tief unter uns steht?«

Wilder fand in der Stimme der jungen Lady so viel Melodie und Wohlklang, daß er das Persönliche, das ihre Antwort enthielt, verschmerzte oder wohl gar überhörte.

»Weit entfernt,« sagte sie lachend, »daß ich in meinen Begriffen von Stand und Geburt so ekel und vornehm sein sollte als Tante Lacey; müßte ich doch, liebe Wyllys, Ihre eigenen Lehren und Unterweisungen vergessen, wenn ich nicht fühlen sollte, daß Erziehung und Sitten auf Meinungen und Charaktere der Menschen einen starken Einfluß haben.«

»Sehr wahr, mein Kind. Aber ich muß Ihnen gestehen, daß ich von dem jungen Manne nichts gesehen oder gehört habe, was mich glauben machen könnte, er sei ohne Erziehung und von gemeiner Abkunft. Im Gegenteil ist seine Sprache und sogar seine Aussprache die eines Gentleman, und sein Äußeres stimmt mit dem übrigen zusammen. Er hat die freien, einfachen Sitten seines Gewerbes; ich darf Ihnen aber nicht erst sagen, liebste Gertraud, daß junge Leute aus den besten Häusern hierzulande, in den Provinzen, sowie in England, oft unter der Marine dienen.«

»Als Offiziere, liebe Madame; dieser … Mensch trug aber Matrosenkleidung.«

»Nicht so ganz. Das Zeug war feiner, der Zuschnitt modischer als gewöhnlich. Ich habe Admirale gekannt, die in den Erholungsstunden ebenso einhergingen. Seefahrer von Rang lieben die Tracht ihres gewählten Standes, und verschmähen die läppischen Abzeichen.«

»Also sind Sie der Meinung, daß es ein Offizier war? Vielleicht in königlichen Diensten?«

»Kann wohl sein, obschon der Umstand, daß gegenwärtig kein Kreuzer im Hafen liegt, mit der Vermutung nicht übereinstimmt. Nicht aber diese Kleinigkeit ist es, die in mir das unaussprechliche Interesse rege macht, das mich zu ihm zieht. Nein, liebste Gertraud, es ist ganz was anders. Mein Verhängnis hat es gewollt, daß ich in früheren Jahren viel unter Seeleuten gelebt habe, so daß ich selten einen Mann von dieser Klasse in dem Alter und von dem geistreichen, männlichen Wesen sehe, wie diesen, ohne bedeutend aufgeregt zu werden. Doch ich mache Ihnen Langeweile; sprechen wir von etwas anderm.«

»Nicht im geringsten, liebste Madame«, unterbrach Gertraud. »Da Sie den Fremden für einen Gentleman halten, so hat’s nichts zu sagen … So ist es, dünkt mich, nicht so unschicklich, wenn wir von ihm reden. Ob er denn wirklich selbst glauben mag, was er uns glauben machen wollte, daß wir Gefahr liefen, wenn wir uns dem Schiffe anvertrauten, von dem man uns so viel Gutes gesagt hat?«

»Möglich! Wenigstens war ein unerklärbares Gemisch von seltsamer, ich möchte fast sagen, wilder Ironie und inniger Teilnahme in seinem Wesen bemerkbar! Überdies lag in einem Teile seiner Rede barer Unsinn; doch schien er ihn nicht ohne sichtbar ernsthafte Absicht zu sprechen. Liebe Gertraud, Sie sind mit der Seesprache nicht so vertraut als ich; vielleicht wissen Sie nicht mal, daß Ihre gute Tante, die eine so große Bewunderin des edlen Seehandwerks ist, das ihr in so vieler Hinsicht teuer sein muß, bisweilen Ausdrücke gebraucht, die …«

»O ja, gewiß, das weiß ich längst … wenigstens glaube ich es bemerkt zu haben«, unterbrach die junge Lady auf eine Weise, die zu erkennen gab, es werde hier eine für sie unangenehme Saite berührt, und sie wünsche davon abzubrechen. »Es war gewiß sehr anmaßend und unartig von dem Fremden, wenn er wirklich die Absicht hatte, mit einer so harmlosen und allgemeinen Schwäche, die wir überhaupt kaum eine Schwäche nennen können, seinen Scherz zu treiben.«

»Ganz gewiß,« fuhr Frau Wyllys mit einem bestimmteren Tone fort, »und doch schien er mir nicht zu der Klasse hirnloser Spötter zu gehören, die Vergnügen daran finden, die Torheiten anderer aufzudecken. Erinnern Sie sich noch, Gertraud, daß sich gestern, bei der Ruine, Ihre Tante gewisser Ausdrücke bediente, als sie ihre Bewunderung über ein Schiff mit vollen Segeln schildern wollte?«

»Ja doch, ja, ich entsinne mich«, sagte die Nichte mit etwas Ungeduld.

»Einer ihrer Ausdrücke war besonders unrichtig, so weit mich nämlich mein ehemaliger Umgang mit Seefahrern mit ihrer Sprache bekannt gemacht hat.«

»Ich dachte mir’s gleich«, unterbrach Gertraud, »und konnte es Ihren Augen ansehen, aber …«

»Merken Sie auf, Liebe! Es ist gar nichts Außerordentliches, daß eine Dame, wenn sie sich der Seesprache bedient, sich in den Redensarten vergreift und ein Wort fürs andere nimmt: daß aber ein Seekundiger, ein Seemann, in denselben Fehler fällt, ist allerdings merkwürdig. Und dies tat der junge Mann, von dem wir sprechen: und, was noch ausfallender ist, der alte Mann wiederholte den Mißgriff, gerade als wären die Benennungen richtig.«

»Vielleicht«, sagte Gertraud etwas leiser, »haben sie erfahren, daß Tante Lacey die kleine Schwäche hat, sich gern in Unterhaltungen dieser Art einzulassen. Soviel aber ist gewiß, liebste Madame, wenn wir dies genauer bedenken, können wir den Fremden nicht für einen wohlerzogenen Gentleman halten.«

»Ich würde gar nicht mehr an ihn denken, Liebe, wäre es nicht ein geheimes Gefühl, das mich zu ihm zieht, ein Gefühl, das ich nicht beschreiben kann. Ich wünschte, ihn noch einmal sprechen zu können.«

Ein leichter Schrei der jungen Lady unterbrach sie; es fiel etwas in den Garten, und im nächsten Augenblick sprang der Gegenstand ihres Gesprächs über die Mauer, anscheinend den Rohrstock wiederzuholen, womit er die junge Lady erschreckt hatte. Er stellte sich bestürzt, machte viele Entschuldigungen, einen fremden Grund betreten zu haben, hob den Stock auf und schien im Begriff, sich langsam zurückzubegeben. als sei alles das Werk des Zufalls gewesen. Er legte aber in den ganzen Auftritt soviel Artigkeit, Anstand und gute Sitte, daß man mit ziemlichem Grund daraus seine Absicht hätte erraten können, der jungen Dame einen bessern Begriff von seiner Erziehung beizubringen, und ihr den Irrtum zu benehmen, als gehöre er nicht zu einer gebildeten Klasse. Auch verfehlte er seinen Zweck nicht bei ihr. Frau Wyllys war ebenfalls, allein auf eine andere Art, ergriffen worden; sie erblaßte, ihre Lippen bebten, obschon was sie sprach und wie sie es sprach, bewies, daß sie nicht erschrocken war.

»Bleiben Sie noch einen Augenblick, Sir,« sagte sie hastig, »wenn es Ihnen die Zeit erlaubt, und Sie nicht anderswo erwartet werden. Ihre Erscheinung hat so etwas Außerordentliches, daß es mir lieb sein würde, sie zu benützen.«

Wilder verneigte sich und näherte sich den Damen wieder, von denen er sich nur insoweit entfernt hatte, als es nötig war, sie auf den Gedanken zu bringen, er habe nur das zufällig oder ungeschickterweise Verlorene wieder aufheben wollen. Als Frau Wyllys seine Bewegung bemerkte, und daß er sich so bereit zeigte, ihrem Wunsche zu willfahren, geriet sie in einige Verlegenheit, wie sie den Faden des Gesprächs anknüpfen sollte.

»Ich habe mir die Freiheit nehmen wollen,« stammelte sie mehr, als sie es sprach, »mich mit Ihnen wegen des segelfertigen Schiffes im Hafen, und der von Ihnen vorhin darüber geäußerten Meinung nochmals zu besprechen.«

»Die Royal Carolina?« fragte Wilder nachlässig.

»So heißt es, glaub‘ ich.«

»Ich will hoffen, Madame,« setzte er mit Feuer hinzu, »nichts von dem, was ich davon gesagt habe, werde Sie gegen das Schiff selbst einnehmen. Ich verbürge mich dafür, daß es vortrefflich gezimmert ist, und zweifle keineswegs, daß es einen geschickten Kommandeur hat.«

»Und doch haben Sie keinen Anstand genommen, zu behaupten, daß Sie eine Reise auf eben diesem Schiffe für gefährlicher hielten als auf jedem andern, was binnen einigen Monaten aus diesem oder sonst einem Hafen unserer Provinzen auslaufen möchte.«

»Ja, Madame, das habe ich gesagt und behauptet«, sagte Wilder, und legte den größten Nachdruck auf jedes Wort.

»Wollen Sie die Güte haben, Ihre Gründe anzugeben?«

»Irre ich nicht, so habe ich sie der Dame auseinandergesetzt, die ich die Ehre hatte, vor einer Stunde zu sehen.«

»Diese Dame, Sir, ist nicht mehr hier, und gehört überhaupt nicht zu denen, die absegeln sollen. Diese junge Lady und ich sind bestimmt, das Schiff als Passagiere zu besteigen.«

»So hatt‘ ich’s auch verstanden«, erwiderte Wilder, seinen nachdenkenden Blick aus die sprechende Miene der tief erregten Gertraud gerichtet.

»Und nun, da kein Irrtum vorwaltet, und Sie wissen, wer die beteiligten Personen sind, muß ich Sie ersuchen, mir nochmals die Gründe anzugeben, weswegen Sie es für gefährlich halten, sich auf die Carolina zu wagen?«

Wilder stockte, errötete, schwieg, als sein Blick dem ruhigen, aber forschenden Blick der Frau Wyllys begegnete: endlich stammelte er:

»Sie verlangen doch nicht, Madame, daß ich Ihnen wörtlich wiederhole, was ich schon gesagt habe?«

»Nein, das verlang‘ ich gewiß nicht: nur ein paar Worte zur Aufklärung der Sache, denn ich bin versichert, daß Sie … Ihre Ursachen gehabt haben, zu sprechen, wie Sie gesprochen.«

»Es ist für einen Seemann äußerst schwer, über ein Schiff zu reden, ohne sich dabei der ihm geläufigen Kunstsprache zu bedienen, und diese Sprache muß Personen Ihres Geschlechts und Ranges durchaus unverständlich sein. Sie waren nie zur See, Madame?«

»Ich? Sehr oft, Sir.«

»Dann will ich versuchen, und zugleich hoffen, mich Ihnen verständlich zu machen. Es wird Ihnen nicht unbewußt sein, daß die Hauptsache beim Schiff ist, daß es im Gleichgewicht bleibe; wir Segler nennen das ›gerade aufstehen‹. Nun darf ich einer so verständigen Dame nicht erst bedenken geben, daß wenn die Carolina von der Richtung des mittelsten Balkens abfällt, für alle an Bord augenscheinliche Gefahr ist.«

»Ich verstehe vollkommen; nur wünschte ich zu wissen, ob gleiche Gefahr nicht überhaupt jedem Schiffe droht?«

»Ohne Zweifel, wenn ein anderes anfährt. Doch ich habe schon manches Jahr mein Geschäft betrieben, ohne mehr als einmal dieses Unglück erlebt zu haben … Dann sind, zweitens, die Hältnisse des Bugspriets …«

»So gut, als sie aus der Hand des besten Takelmeisters kommen können«, ließ sich eine Stimme hinter ihnen vernehmen.

Das Kleeblatt drehte sich um und sah in einer kleinen Entfernung den alten Seefahrer draußen stehen und mit dem Kopf über die Mauer wegsehen.

»Ich bin«, sagte er, »auf den Wunsch der Frau von Lacey, der Witwe meines edeln Kommandeurs und Admirals, hingegangen und habe mir das Schiff angesehen. Mögen nun andere denken, was sie wollen, ich für meinen Teil bin bereit und erbötig, einen körperlichen Eid abzulegen, daß die Royal Carolina ihr Bugspriet auf eine ebenso gute Art befestigt hat, als das beste Schiff, das die britische Flagge führt. Und das ist noch nicht alles, was ich zum Vorteil der Carolina sagen kann; das Fahrzeug ist nett und leicht gespieret und weicht so wenig nach einer Seite hin, als jener Kirche der Einsturz droht. Ich bin ein alter Mann, und meine Rechnung steht auf dem letzten Blatt des Tagebuchs; auch hab‘ ich an jenem Schoner oder jener Brigg nicht das mindeste Interesse, kann auch keines daran haben, aber soviel sag‘ ich und werd‘ ich immer sagen, schändlich ist es, von einem wohlgebauten, gesunden Schiffe Böses zu sprechen, und ebenso unverzeihlich, als es von einem guten Christen zu tun.«

Der alte Mann sprach so nachdrücklich und zeigte dabei einen so natürlichen, ehrlichen Unwillen, daß seine Rede Eindruck aus die Damen machte und zugleich in Wilders Gewissen ein unangenehmes Gefühl erregte.

»Sie sehen, Sir,« sagte Frau Wyllys, nachdem sie vergebens aus des jungen Mannes Antwort geharrt hatte, »wie es möglich ist, daß zwei Männer, die dasselbe Gewerbe treiben, unter sonst gleichen Umständen und bei gleichen Kenntnissen, verschiedener Meinung sein können. Wem von beiden ist nun zu glauben?«

»Dem, den Ihr vortreffliches, untrügliches Gefühl für den Glaubhaftesten hält. Ich wiederhole es, und bei dieser meiner Beteuerung rufe ich den Himmel zum Zeugen meiner Aufrichtigkeit an – ich würde nie meine Einwilligung geben, wenn sich Mutter oder Schwester in der Carolina einschiffen wollten.«

»Unbegreiflich!« sagte Frau Wyllys, sich zu Gertraud wendend, und leise, für sie allein verständlich, sprechend: »Meine Vernunft sagt mir, daß der junge Mann sein Spiel mit uns treibt; und doch ist es ihm mit seinen Beteuerungen so sehr Ernst, und er scheint es so aufrichtig zu meinen, daß ich mich nicht von ihm losmachen kann. Zu welchem von den beiden finden Sie sich, liebste Gertraud, am stärksten hingezogen? Wem glauben Sie am meisten Ihr Vertrauen schenken zu können?«

»Sie wissen, liebste Madame,« erwiderte Gertraud, einen welkenden Strauß zerpflückend und ihre Augen fest darauf heftend, »Sie wissen, meine Liebe, daß ich in dergleichen Dingen ganz unerfahren bin; nur so viel kommt mir vor, der alte Mann hat einen anmaßenden, widerwärtigen Blick.«

»Also scheint Ihnen der jüngere ehrlicher und glaubwürdiger?«

»Nun ja; haben Sie mir nicht selbst gesagt, daß Sie ihn für einen Gentleman halten?«

»Ich sehe nicht ab, wie ihm ein höherer Stand zu größerer Beglaubigung dienen kann. Wie mancher hat diese Vorzüge erhalten, um sie zu mißbrauchen! … Es tut mir leid, Sir,« sich zu Wildern wendend, »daß bei aller Veranlassung offenherziger zu sein, Sie uns einigermaßen zwingen, Mißtrauen in Sie zu setzen, so daß wir Ihrem Rate nicht folgen können, und bei unserm Entschluß verharren müssen, mit der Royal Carolina abzusegeln.«

»Aus dem Grunde meines Herzens, Madame, muß ich den Entschluß bedauern.«

»Es stände ja nur bei Ihnen, sich näher und deutlicher zu erklären.«

Wilder schwieg, dachte nach, stritt mit sich selbst; ein paarmal schienen seine Lippen sich zu bewegen, sich zum Sprechen öffnen zu wollen. Frau Wyllys und Gertraud harrten mit ängstlicher Ungeduld auf seine Antwort; aber nach einer langen und zögernden Pause, im innern Kampfe begriffen, täuschte er beider Erwartung, indem er sagte:

»Es tut mir unendlich leid, mich nicht verständlicher machen zu können; die Schuld liegt lediglich an mir und an meinem Ungeschick. Ich kann nichts weiter tun, als nochmals beteuern, daß in meinen Augen die Gefahr ebenso hell und klar ist, wie die Sonne am Himmel.«

»So bleibt uns nichts weiter übrig, als in unserer Blindheit zu verbleiben«, sagte Frau Wyllys mit einer kalten Verneigung. »Ich danke Ihnen für Ihre guten wohlwollenden Absichten; nur können Sie es uns nicht verdenken, wenn wir einem Rate nicht folgen, der sich in soviel Dunkelheit einhüllt. Schließlich müssen wir um Verzeihung bitten, daß wir so unhöflich sind, Sie auf unserem Grund und Boden zuerst zu verlassen. Die Stunde der Abreise hat für uns geschlagen.«

Wilder erwiderte den ernsten Gruß der Frau Wyllys mit einem ebenso förmlichen; dann verneigte er sich mit mehr Grazie und Herzlichkeit gegen die tiefe, aber kurze Verbeugung der Lady Gertraud Grayson. Er blieb auf derselben Stelle stehen, wo sie ihn verlassen hatten, bis er sie in das Haus eintreten sah; es kam ihm vor, als werfe noch in der Tür die junge Dame ihm, oder der Richtung, in der er stand, einen scheuen, ängstlichen Blick gerade in dem Augenblick zu, als ihre leichte, ätherische Gestalt verschwand. Er drückte nun die rechte Hand auf den Mauerrand und schwang sich mit einem Sprung hinüber. Sowie er den Boden jenseits berührt:, sah er zu seinem Befremden, daß er nur sechs Fuß von dem alten Seemann ab war, der sich zwischen ihm und dem Gegenstand, der ihm so sehr am Herzen lag, zweimal in den Weg gestellt hatte. Doch ließ ihm der Alte nicht Zeit, seinem Mißmut Luft zu machen: er kam ihm mit folgenden Worten zuvor:

»Bruder,« sagte er in vertraulichem, freundschaftlichem Tone, ihm die Hand schüttelnd wie einer, der seinem Gefährten zu erkennen geben wollte, ihm sei der Betrug nicht entgangen, den dieser im Sinne gehabt, »kommt, Bruder, Ihr habt lange genug am Geitau gestanden, es ist Zeit, eine andere Stellung einzunehmen. Ei, ich bin zu meiner Zeit auch jung gewesen, und weiß, was es bedeutet, dem Teufel mehr als nötig einzuräumen, wenn es einem Spaß macht, in seiner Gesellschaft zu segeln. Aber das Alter macht uns bedächtig, und wenn die Zeit kommt, wo man seine Rechnung abschließen soll, und ein armer Schelm bald am Ende seines Lebenstaues ist, so beginnt er mir seinen Schelmstückchen rätlicher umzugehen, gerade wie man aus dem Schiffe, wenn Windstille eintritt, mir dem Wasser haushält, und es nicht Wochen- und monatelang wie Regen über das Deck strömen läßt. Nachdenken kommt mit den Jahren, und der Mensch tut nicht übel, der sich ein wenig von diesem Proviant beizeiten zurücklegt.«

»Ich hoffte, als ich Euch am Fuße der Anhöhe verließ und den Hügel selbst wieder hinaufstieg,« erwiderte Wilder, ohne den unleidlichen Begleiter nur eines Blickes zu würdigen, »ich hoffte, wir würden uns nie wiedersehen. Da es aber das Ansehen hat, Ihr liebt die Höhe, so lasse ich Euch Euer Gelüste befriedigen und kehre in die Stadt zurück.«

Der alte Mann schusselte aber dem stark vorschreitenden Wilder so raschen Ganges nach, daß dieser sich hätte in Lauf setzen müssen, was er aber unter seiner Würde hielt. Einen Augenblick stand er mit sich an, ob er seinen Verfolger und Peiniger nicht gewaltsam von sich abhielte, aber auch diesen Gedanken verwarf er, und nun entschloß er sich, mir nichts dir nichts seinen Weg langsamer fortzusetzen, sich um den andern nicht zu bekümmern, und den Lästigen zu verachten.

Dieser folgte immer in der Entfernung von ein paar Schritten und rief ihm nach: »Master, vorhin setztet Ihr alle Eure Segel bei, so daß ich Mühe hatte, Euch nachzukommen; jetzt scheint Ihr vernünftiger, und ich kann schon eine freundschaftliche Unterhaltung mit Euch anknüpfen. Wart Ihr im Garten dort nicht nahe daran, der alten Lady aufzubinden, die Royal Carolina sei ebenso ’n Schiff wie der fliegende Holländer?«

»Und was brauchtet Ihr der Alten den Irrtum zu benehmen?« fragte stolz Wilder.

»Nicht wahr? Ihr hättet mir’s wohl zugemutet, nach fünfzigjährigen Seereisen zu dulden, daß man in meiner Gegenwart von Holz und Eisen auf eine so unehrbare Weise spreche! – Die Ehre eines Schiffes liegt einem alten Seehunde ebensosehr am Herzen, als die Ehre seines Weibes oder seiner Liebsten.«

»Hört mich an, Freund; Ihr lebt, denke ich, wie andere Euresgleichen, von Essen und Trinken?«

»Ein wenig von jenem, ein gut Teil von diesem«, erwiderte der Alte, sich vor Lachen ausschüttend.

»Und um Euch beides zu verschaffen, macht Ihr’s wie die meisten vom Seevolk: schwere Arbeit, saurer Schweiß und beständige Lebensgefahr?«

»Hm! Das Sprichwort sagt: ›Pferdearbeit, Eselskost‹; so geht’s uns allen!«

»Nu, so will ich Euch ein Mittel an die Hand geben, mal leichter davonzukommen, Geld zu verdienen ohne Müh‘, und es zu vertun nach Gefallen. Wollt Ihr Euch auf ein paar Stunden bei mir verdingen? Seht, da habt Ihr ein Handgeld, und für guten Lohn seid nicht besorgt, wofern Ihr’s ehrlich mit mir meint.«

Der alte Mann streckte die Hand aus und griff nach der Guinee, die ihm Wilder über die Schulter hinhielt, ohne es einmal für nötig zu halten, sich nach seinem Rekruten umzusehen.

»’s ist doch keine falsche?« sagte er, und klopfte damit auf einen Stein.

»Echt Gold, rein Gold, wie es nur aus der Münze kommen kann.«

Der Alte steckte das Stück ruhig ein und fragte dann mit roher, entschiedener Stimme, wie einer, der zu allem bereit wäre:

»Was für eine Hühnerlatte hab‘ ich für das Geld zu stehlen?«

»Nichts so Erbärmliches und Niedriges. Ihr habt nichts weiter zu tun, als was, wie mich dünkt, nichts Neues für Euch ist: Könnt Ihr ein falsches Log angeben?«

»Ja, und im Notfall darauf schwören. Ich versteh‘ Euch; Ihr seid es müde, an der Wahrheit wie an einem neuangesponnenen Seile zu drehen, und möchtet gern, daß ich Euch die Arbeit abnähme.«

»So was Ähnliches. Ihr sollt alles, was Ihr von dem Schiffe gesagt habt, zurücknehmen, und da Ihr verschmitzt genug gewesen seid, der Frau von Lacey die Windseite abzugewinnen, so sollt Ihr Euch dieses Vorteils bedienen und die Sache noch etwas schlimmer machen, als es von mir geschehen ist. Sagt mir aber vor allem, damit ich Euch ganz kennen lerne, seid Ihr jemals mit dem preiswürdigen Admiral gefahren?«

»So wahr ich ein frommer, ehrlicher Christ bin, habe ich von dem preiswürdigen Herrn vor gestern früh kein Sterbenswort gehört. O, Ihr müßt mich von dieser Seite erst recht kennen lernen. Ich bin der Mann nicht, der in einer Historie stecken bleibt, wenn es ihm an Tatsachen fehlt.«

»Das will ich glauben. Nun aber hört meinen Plan.«

»Halt, würdiger Kamerad!« unterbrach ihn jener. » Steine haben Ohren, pflegt man zu Lande zu sagen, weil es zu Lande Steine gibt. Wir Seeleute sagen: Schiffspumpen haben Ohren. Kennt Ihr in der Stadt eine gewisse Taverne, zum ›Unklaren Anker?‹«

»Ich bin dagewesen.«

»Ich will hoffen, Ihr habt sie gut genug befunden, um wieder hinzugehen, denn hier müssen wir uns trennen. Ihr braßt die Segel ein wenig, da Ihr von uns beiden der beste Segler seid, und geht ein paar Straßen auf und nieder, bis Ihr der Kirche dort windwärts gekommen seid. Von da aus steuert Ihr geradezu auf die Bucht des ehrlichen Joseph Joram; hier findet Ihr einen schmucken Ankerplatz, wie ihn sich kein Handelsmann besser in den Kolonien wünschen kann. Ich werde indessen den kürzern Weg nehmen, den Hügel vollends hinabgehen, und dann so ziemlich mit Euch zugleich einlaufen.«

»Wozu die vielen Manöver, das Lavieren, die Querzüge? Könnt Ihr denn kein vernünftig Wort vorbringen oder anhören, wenn die Rumflasche nicht ihre Dienste tut?«

»Keine Beleidigung, Bruder! Ich bin nicht der Mann, wofür Ihr mich anseht. Ihr sollt mich mit der Zeit besser kennen lernen. Einen so nüchternen Menschen wie ich, findet Ihr schwerlich zu Euerm Auftrag. Nein, Bruder, ich habe zu unserer Trennung hier ganz andere Gründe. Gesetzt, jemand merkte, daß wir die Straße zusammengehen und uns unterhalten, Ihr, der in keinem guten Rufe bei der Lady steht, und ich, der soviel bei ihr gelte – würde ich meine Glaubwürdigkeit nicht verlieren?«

»Ihr habt recht. Macht, daß Ihr fortkommt, und dann laßt mich Euch bald wieder treffen, denn da sie im Begriff sind, sich einzuschiffen, ist keine Minute zu verlieren.«

»Seid ohne Sorgen: mit dem Einschiffen hat’s so bald keine Not«, sagte der Alte, die flache Hand über den Kopf ausstreckend, um den Wind aufzufassen. »Da ist noch nicht mal Luft genug, die roten Wangen der jungen Lady dort oben abzukühlen. Ihr könnt gewiß sein, daß ihnen das Zeichen nicht eher gegeben wird, bis sich der Abfahrtwind eingefunden hat.«

Wilder winkte ihm zum Abschiede mit der Hand und trat den Weg an, den ihm jener vorgezeichnet hatte. Im Gehen dachte er dem Eindruck nach, den die frischen und jungen Reize Gertrauds sogar auf den alten herzlosen Mann gemacht, der sich in diesem Augenblick ihrer bildlich erinnert hatte, und sie in seine Windprobe dichterisch einwob. Der Eindruck war nicht tief, denn als er dem abgehenden Wilder eine kleine Weile mit pfiffigem Wesen und ironischem Blicke nachgesehen hatte, machte er sich auf, verdoppelte seine Schritte und eilte, um noch vor ihm den verabredeten Ort ihrer Bestimmung zu erreichen.

Zehntes Kapitel.

Zehntes Kapitel.

Als Wilder sich dem »Unklaren Anker« näherte, traf sein Auge und Ohr ein Schauspiel, das mit dem bisher so friedlichen Orte in vollem Widerspruch stand, und in irgendeiner außerordentlichen Aufregung seinen Grund zu haben schien. – Über die Hälfte der Frauen in der Nachbarschaft und ein gutes Viertel der Männer hatten sich vor der Tür des Schenkhauses versammelt und hörten auf die scharfen, schrillenden, durchdringenden Töne einer weiblichen Stimme, deren Deklamation, Klage und Beschwerde von der Art waren, daß es den Zuhörern in dem weiten Kreise, der sie umgab, ebenso unmöglich war, die Rednerin für kalt und unparteiisch zu halten, als selbst kalt und unparteiisch zu bleiben. Bei dem Bewußtsein, daß er sich selbst neuerdings in Verbindungen eingelassen hatte, deren Erfolg er nicht voraussehen konnte, und bei dem innern Gefühl seines Wagstücks, nahm unser junger Abenteurer Anstand, sich in den Haufen zu mischen, und hielt sich abwärts. Es bedurfte eines aufmunternden Blickes, den der alte Seemann auf ihn warf, der inzwischen ebenfalls angekommen war, sich mit Hilfe seiner Ellbogen durch die Menge Raum machte, und so der Gestalt, aus der die Wehklagen ertönten, bald nahe und gegenüber stand. Seinem Beispiele folgend, rückte der junge Mann nun auch vor, begnügte sich aber mit einer Stellung außer dem Gedränge, wo er sehen und hören und auf den schlimmsten Fall sich zurückziehen konnte, ohne von dem Strom aufgehalten oder fortgerissen zu werden.

»Ich rufe euch alle, die ihr hier seid, zu Zeugen, dich, Earthly Potter, und dich, Preserved Green, und dich, Faithsuhl Wantou« (so hörte Wilder die entrüstete Desideria schreien, dann einen Augenblick innehaltend, um Atem zu schöpfen, dann die ganze Nachbarschaft weiter namentlich aufrufend) – »und dich, Upright Crook, und dich, Relent Flint, und dich, Wealthy Poor! Ich rufe euch zu Zeugen auf in meiner Sache. Ihr alle, samt und sonders, alle für einen, und einer für alle, gebt mir Zeugnis, wenn es nottut, daß ich von jeher und immerfort die sklavische, nachgebende Lebensgefährtin und Ehehälfte dieses Mannes gewesen bin, der mich in meinem Alter so schändlich verlassen und mir noch obenein seine vielen Kinder auf den Hals gebürdet hat!«

»Aber«, unterbrach sie der Wirt zum »Unklaren Anker« sehr zur Unzeit, »was habt Ihr denn für Gewißheit, daß er Euch verlassen und sich aus dem Staube gemacht hat? Der gestrige Tag war ein Tag der Freude, ein Siegestag, ein Feiertag; und so ist es denn ganz natürlich, daß Euer Mann, wie so viele andere, die ich nennen könnte – die ich aber nicht so dumm bin zu nennen – ein bißchen, wie soll ich sagen? über die Schnur gehauen hat, und nur etwas später als die übrigen ausschläft. Ich gehe die Wette ein, daß der ehrliche Schneidermeister in wenig Minuten aus irgendeiner Scheune hervorkriecht und sich seinen Morgenschluck Bitters bei mir holt, so frisch und nüchtern, als hätte er am gestrigen Feste seine Kehle nur mit Wasser benetzt.«

Ein allgemeines, halbunterdrücktes Lachen folgte dem Branntweinwitze des Schenkwirts. Nur auf die verzerrten Gesichtszüge der jammernden Desideria brachte er keine Veränderung, noch weniger ein Lächeln hervor: ihre Züge schienen im Gegenteil auf immer die Fähigkeit dazu verloren zu haben.

»Nicht doch,« rief sie, »nicht doch, der Mann hat nicht mal die Courage, sich als ein loyaler Patriot und Vaterlandsfreund an einem Fest- und Freudentage auf die Gesundheit und den Ruhm Sr. Majestät zu betrinken; er kann weiter nichts, der erbärmliche Mann, als nähen und flicken. Ich hab‘ ihn bloß der Arbeit wegen genommen; und nur, weil mir sein Arm und seine Nadel fehlen, vermiss‘ ich ihn, sonst um gar nichts. Ist es nicht ein Elend für mich armes, unterdrücktes Weib, nachdem ich den Mann solange für mich habe arbeiten und Brot schaffen lassen, daß ich mich nun mir nichts, dir nichts hinsetzen und selbst für mich sorgen soll? Aber ich will mich an ihm rächen, solange noch in Rhode-Island oder in Providence Recht und Gerechtigkeit zu finden ist. Laß ihn nur über die Zeit des gesetzlichen Termins wegbleiben! Laß ihn dann nur kommen und mir sein O-Jeminesgesicht zeigen! Er soll schön anlaufen, der Vagabund; er soll sein Weib und seine Tür verschlossen finden, und nichts haben, wo er sein hundsföttisches Haupt hinlege!«

Hier gewahrte sie das aufmerksame Gesicht des alten Seemanns, der sich bis zu ihr hingedrängt hatte. Sie unterbrach sich plötzlich und setzte hinzu: »Hier steht ein Fremder, ein eben eintreffender … Sagt mir, Freund, ist Euch auf Euerm Wege hierher ein Landläufer, ein Deserteur aufgestoßen?«

»Liebe Frau,« erwiderte dieser mit ungemeiner Fassung, »ich habe, während ich mit meinem alten Rumpfe hierzulande segelte, soviel mit mir zu tun gehabt, daß ich Namen und Rang derer, die mir begegnet sind, unmöglich habe in mein Logbuch eintragen können … Doch mir fällt ein, zu Anfang der Tagwache einen armen Teufel auf dem Wege hierher im Gebüsch zwischen der Stadt und dem Stück Fähre an der See angeprait zu haben.«

»Wie sah der Mann aus?« fragten fünf bis sechs Stimmen, ängstlich und in einem Atem, unter denen aber die der Frau Desideria das Übergewicht an Lungenkraft behauptete, ungefähr wie die Kadenzen einer Bravoursängerin über die schwächeren Triller der Choristinnen vorherrschen.

»Wie er aussah, der Mann? Ei nu, wie ein Mann aussieht, der die Armtakelage quer verschränkt hat, und die Schenkelklampen trägt, wie jeder andere Christenmensch. Wie soll er sonst aussehen? … Doch, halt, ich besinne mich: er schleppte ein Bein nach, wie ein lahmes Schaf, und schlenkerte ein gut Teil hin und her im Gehen.«

»Er ist’s! Er ist’s!« rief alles im Chor, sogleich stahlen sich fünf oder sechs eilig davon, in der heimlichen Absicht, dem Ausreißer nachzueilen, um sich wegen einiger kleinen Reste in der Rechnungsbilanz mit dem armen, verschrienen Schuldner abzufinden.

Desideria, die in der Form Rechtens von ihrem Tagedieb nichts zu fordern und in anderer Hinsicht nichts von ihm zu erwarten hatte, war stehen geblieben und fuhr fort, sich bei dem Fremden nach ihm zu erkundigen.

»Hatte der Mann einen Diebesblick?« fragte sie, ohne den Abgang derer bemerkt zu haben, die sich so schnell hintereinander fortgeschlichen hatten und noch eben in ihrem gerechten Schmerze so sympathetisch einstimmten. »Sah er aus wie eine Schlange, wie eine Blindschleiche?«

»Was sein Kopfstück betrifft,« sagte der Alte, »so würdet Ihr zuviel von mir verlangen, wenn ich Euch eine genaue Beschreibung davon machen sollte: doch beim Lichte betrachtet, sah er ziemlich so aus wie einer, der eine geraume Zeit in den Speigaten gelegen hat. Soll ich Euch meine wahre Meinung sagen? Er kam mir vor, als trüge er schwer an einer guten Ladung …«

»Von Müßiggang, wollt Ihr sagen. Ja, ja, Müßiggang ist aller Laster Anfang. Der Mann ist ganzer acht Tage fast ohne Arbeit gewesen; das hat er sich zu Gemüt gezogen, und weil er nichts Besseres zu tun und zu denken hatte, so ist er davongegangen. So ist’s … Er trug schwer …«

»An seinem Weibe«, unterbrach sie der Alte mit pathetischem Nachdruck. Hier entstand ein zweites Gelächter, weit mehr und deutlicher auf Kosten der Dame Desideria, als das erste. Sie aber, nicht im geringsten dadurch aus der Fassung gebracht, und sowohl den groben Scherz des alten Seemanns, als den schallenden Beifall der Umstehenden tapfer und als ein echtes Mannweib verschmähend, fuhr fort:

»O, Ihr könnt nicht wissen, was und wieviel ich so lange Jahre mit dem Manne ausgestanden habe … Sah er aus wie einer, der eben eine beleidigte, gekränkte Frau verlassen hat?«

»Ich will eben nicht behaupten, daß er gerade zu mir gesagt hätte, inwiefern er seine Frau gekränkt und beleidigt, als er sie vor Anker gelassen; soviel aber ist gewiß, wo er sie auch gestauet haben mag, sein Weib, oder auch nicht sein Weib, viel Schiffsgut und Ladung hat er ihr nicht zurückgelassen. Der Mann hatte sich den Hals mit weiblichen Flittern ausstaffiert, so daß ich glauben mußte, er trage um den Nacken lieber ihren Schmuck als ihre Arme.«

»Was!« rief Desideria mit wildem Blick, »hat er meine goldenen Bommeln gestohlen? Was trug er von mir? Meine goldenen Bommeln?«

»Echt oder unecht, will ich nicht schwören.«

»Der Bösewicht!« fuhr sie wütend fort wie eine, die länger im Wasser geblieben, als ihr lieb war, und nach dieser unangenehmen Unterbrechung wieder zu Atem kommt. Zugleich drängte sie sich mit aller Gewalt durch die Menge, um die Größe des Raubes und ihres Verlustes zu übersehen, und rief im Laufen: »Der Bösewicht! Der Räuber! Der Kirchenräuber! Sein Weib bestehlen, an deren Busen er geruht! Die Mutter seiner Kinder bestehlen, und … und …«

»Da höre mir einer ganz was Neues!« sagte der Wirt zum »Unklaren Anker«. »Hab‘ ich doch mein Lebtag nicht gehört, daß man den guten Nachbar Homespun für einen Dieb gehalten: sein Spitzname war Hasenherz, weil er unter dem Pantoffel stand.«

Der alte Seemann schaute dem Wirt starr in die Augen und sagte mit Bedeutung:

»Hätte der ehrliche Schneider sonst niemand bestohlen, als seine Ehehälfte, so würde keine große Diebssünde auf ihm haften; denn mit den Bommeln und Goldperlen, die er um den Hals trug, würde ich nicht mal das Fährgeld bezahlt haben. Alles Gold, was er bei und auf sich trug, könnte in meinem Augenwinkel Platz finden, ohne mich im geringsten am Sehen zu hindern. Weil es aber eine Schande und Sünde ist, die Tür einer ehrlichen Taverne so zu belagern wie einen Hafen, auf dessen Schiffe man ein Embargo gelegt hat, so hab‘ ich, wie Ihr seht, das Weib fortgeschickt, nach ihren Bommeln zu suchen, und den ganzen Haufen hinterdrein, seine Neugier zu stillen.«

Joseph Joram starrte den Fremden mir einem Paar Augen an, die ihm wie bezaubert im Kopfe standen. Augen, Zunge, Hände und Füße blieben eine Minute lang unbeweglich. Endlich brach er in ein heftiges, mächtiges Gelächter aus, denn jetzt roch er Lunte, merkte den Pfiff, der die Menge von seiner Tür nach dem Schneiderhause weggefegt hatte, erkannte den schlauen Fuchs, breitete die Arme nach ihm aus und sagte:

»Willkommen, ehrlicher Jan, ehrlicher Bob! Willkommen, alter Knabe, willkommen! Aus welcher Wolke seid Ihr geregnet? Welcher Wind hat Euch hergeweht? Woher des Wegs? Wie und wann seid Ihr in Newport eingelaufen?«

»Zuviel Fragen auf einmal, um sie in offener Reede zu beantworten; und überhaupt ist’s hier zu trocken für eine geheime Unterredung. Quartiert mich in eine von Euern innern Kajüten ein; setzt mir eine Kanne Flip und ein Stück gut Rhode-Island Rindfleisch in Enterweite hin – und dann soviel Fragen, als Euch beliebt, und soviel Antworten, als sich mit meinen Kauwerkzeugen vertragen.«

»Wer bezahlt mir aber die Musikanten, Bob? Welcher Schiffskassierer steht mir für den Tanz?« sagte der Wirt, indem er den ehrlichen Bob mit einer Bereitwilligkeit ins Haus ließ, die diese Zweifel Lügen strafen, oder die wenigstens durch zuvorkommende Artigkeit die Pille verzuckern sollte.

»Wer?« unterbrach jener, das Goldstück hervorholend, das er von Wilder bekommen hatte, und es auf eine Weise zwischen den Fingern haltend, daß es auch von den paar Leuten gesehen werden konnte, die noch vor der Türe standen, damit sie in diesem kleinen runden Dinge die beste Schutzrede für dessen Eigner lesen möchten: »Wer sonst, als dieser Gentleman! Ich bin stolz, in der Person Seiner Allerhöchsten Majestät des Königs, den Gott erhalte! einen Bürgen für mich aufstellen zu können.«

»Den Gott erhalte!« schallte es von allen loyalen Untertanen wieder, die sich auf der Straße befanden, und in einer Stadt, wo jetzt dieser Ausruf gewiß ebensoviel Staunen, nur weniger Bestürzung verursachen würde, als ein Erdbeben.

»Den Gott erhalte!« wiederholte Joram nochmals, als er eine innere Tür öffnete und seinen Gast hineinließ. »Ihn, und alle, die sein Bild im Beutel führen! Tritt ein, alter Bob, und du sollst bald einen halben Ochsen entern.«

Inzwischen war Wilder in die Gaststube getreten, gerade als sich die Leute vor der Tür zerstreut hatten und das verehrliche Paar, nämlich der Wirt mit dem Alten, tiefer ins Haus gegangen war. Er dachte eben nach, wie er sich mit seinem Verbündeten in Rapport setzen sollte, ohne zuviel Aufsehen zu erregen, als der Wirt zurückkam und ihm die Mühe des weitern Nachsinnens ersparte. Joram sah sich erst schnell im Zimmer um, warf dann einen Blick auf den jungen Abenteurer und näherte sich ihm halb zweifelhaft, mit einem Gesicht, das zu sagen schien: »Kenn‘ ich ihn, oder kenn‘ ich ihn nicht?«

Endlich, als er den Fremden wiedererkannte, der am Morgen bei ihm eingesprochen hatte, fragte er:

»Wie steht’s, Sir? Ein Schiff gefunden? Schwerlich; es gibt mehr Nachfrager als Stellen.«

»Weiß nicht, ob es mit mir was wird. Als ich den Hügel hinaufging, begegnete ich einem alten Seemann …«

»Hm!« unterbrach ihn der Wirt, mit einem verstohlenen bedeutsamen Zeichen, ihm zu folgen. »Ich will Euch ein anderes Zimmer weisen, wo Euch das Frühstück besser schmecken soll.«

Wilder folgte dem Wirt, der ihn einen andern Weg aus der Gaststube führte, als er den ehrlichen Bob geführt hatte, und dabei ein geheimes Wesen annahm, das dem jungen Fremden auffiel. Er brachte ihn, tiefes Schweigen beobachtend, durch winkelige Umwege eine Hintertreppe hinauf, bis auf den Hausboden. Hier klopfte er leise an eine Tür. Mit hohler, schwerer Stimme, die Wildern stutzig machte, wurde Herein! gerufen. Er trat ein, fand sich in einer niedern, engen Dachkammer, und niemand darin als den ehrlichen Bob, die alte Bekanntschaft des Wirts, der ihm beim Wiedererkennen diesen Ehrentitel gegeben hatte. Während sich Wilder mit einigem Befremden nach der Stimme, die er gehört zu haben glaubte, umsah, begab sich der Wirt zurück und ließ die beiden allein. Der ehrliche Bob war bei einem wichtigen Geschäft begriffen. Er zerlegte die halbe Ochsenkeule und begoß sie reichlich mit einem Bier, das, in Erwartung des bestellten Flips, ebensosehr nach seinem Geschmack war, als die Knochen- und Fleischmasse. Ohne seinem Besucher Zeit zum Nachdenken zu lassen, lud er ihn ein, den einzigen Stuhl im Kämmerchen einzunehmen, und setzte seine Sektion des Lendenstückes so emsig fort, als sei keine Unterbrechung vorgefallen.

»Der ehrliche Joseph Joram«, sagte er, nachdem er einen Zug getan, der die Kanne fast bis auf den Boden leerte, »muß beim Metzgergewerk gute Freunde haben. Dies Rindvieh schmeckt so gut, daß man es für ein Stück Hellbutte halten sollte. Ihr seid weit gewesen, Landsmann; doch ich sollte sagen ›Seemann‹ oder noch lieber ›Tischkamerad‹, da wir beide an einem Tische ankern – nicht wahr, Ihr seid weit gereist?«

»Ein gutes Teil; müßte sonst ein schlechter Seefahrer sein.«

»Nu dann, so sagt mir frei raus, seid Ihr jemals in einem Lande gewesen, das, wie unser edles Amerika, wo wir beide vor Anker liegen, und wo wir beide, wie ich hoffe, geboren sind, soviel Herrliches an Fisch, Fleisch, Geflügel und Obst hervorbringt?«

Wilder, der seine Ursachen hatte, das Gespräch noch nicht auf den beabsichtigten Gegenstand zu bringen, weil er seine Gedanken erst sammeln und ordnen, und dabei gewiß sein wollte, ob ihn niemand behorche, sagte:

»Es hieße die Vaterlandsliebe zu weit treiben, wenn man dem Lande, das uns geboren, den Vorzug vor allen andern gäbe, England, wie es allgemein angenommen wird, übertrifft uns in allen diesen Gegenständen.«

»Allgemein angenommen? Angenommen? Von wem? Von unseren Nichtswissern, von unseren Alleswissern, von unseren sieben Jungenweisen! Ich, ein Mann, der die vier Erdteile gesehen, und die vier Wasserteile dazu, ich stehe auf und strafe die Großmäuler Lügen. Wer wir sind Kolonien, mein Freund: wir sind Kolonien, und in einer Kolonie ist es ebenso keck, der Mutter zu sagen, daß die Tochter diesen oder jenen Vorzug hat, als es sich für Jack beim Fockmast schicken würde, seinem Offizier unrecht zu geben, auch wenn er unrecht hätte. Ich bin nur ein armer Wicht, Master. Wie nenn‘ ich Ew. Ehren?«

»Mich? Mein Name ist … Harris.«

»Ich bin, wie gesagt, nur ein armer Mann, Master Harris; aber ich habe zu meiner Zeit manchen Wachtposten kommandiert, und so alt und rostig als ich Euch scheinen mag, bin ich manche lange Nacht auf dem Verdeck gewesen, ohne andere Beschäftigung als meinen Gedanken nachzuhängen. – Freilich hab‘ ich dabei nicht soviel von der Philosophie abgekriegt, als ein besoldeter Herr Pfarrer, oder ein bezahlter Herr Richter. Laßt Euch’s aber dennoch von mir sagen, es ist ein dumm Ding um einen, der weiter nichts ist, als der Bewohner einer Kolonie. Es benimmt einem allen Stolz und allen Mut, und hilft einen zu dem machen, wozu ihn das Mutterland – sein Herr und Meister – gern gemacht haben will. Ich will nichts mehr sagen vom Obst, von seinen Gerichten, von dem, was Leckerei heißt und aus dem Lande zu uns kommt, von dem Ihr und ich nur zuviel gehört haben: ich will nur mit dem Finger nach jener Sonne hinzeigen und fragen: Denkt Ihr, daß König Georg die Macht hat, sie auf das Stück Insel, wo er lebt, ebenso wohltätig scheinen zu lassen, als sie hier in seinen unermeßlichen Provinzen von Amerika scheint?«

»Gewiß, nein: aber Ihr müßt doch zugeben, was jeder behauptet, nämlich: daß Englands Erzeugnisse den Vorzug haben vor …«

»Ei was? Eine Kolonie segelt immer an der Leeseite des Mutterlandes. So sagt man und so ist’s; warum? Weil man’s sagt. Ja, sagen läßt sich vieles, Freund Harris. Mit Worten wird’s abgetan. Worte – Worte – Worte! Mit Worten kann man sich selbst ein Fieber an den Hals reden. Mit Worten eine ganze Schiffskompagnie bei den Ohren festhalten. Mit Worten macht man Kirschen zu Pfirsichen, eine Butte zum Walfisch. – Wimmelt nicht die unendliche Seeküste von Amerika, wimmeln nicht alle unsere Flüsse, Seen, Bäche von Fischen, vom Reichtum und Fett unseres Landes? Und doch muß man mit anhören, daß die Diener Sr. Majestät, die von jenseits des Ozeans kommen, von ihren Steinbutten, ihren Schollen, ihren Karpfen schwatzen, als habe Gott der Herr nur Steinbutten, Schollen und Karpfen erschaffen, und als hätte der Teufel, ohne dessen Erlaubnis einzuholen, alle übrigen Fische zwischen den Fingern durchwitschen lassen.«

Bei diesen Worten wendete sich Wilder rasch nach dem Alten und blickte ihn mit einigem Befremden an, während dieser ruhig sein Rindfleisch verschlang, unbekümmert über das, was er gesprochen hatte, weil er es als eine Meinung ansah, wie man sie in der gewöhnlichen Unterhaltung aufzustellen pflegt. Wilder, dem sie mehr aufgefallen war, gab es durch ernste Mienen und ernste Worte zu erkennen.

»Freund,« sagte er, »Ihr scheint mehr von Euerm Geburtslande, als von Loyalität zu halten.«

»Wenigstens bin ich nicht fisch-loyal, das heißt nicht stumm wie ein Fisch. Was Gott erschaffen hat, darüber läßt sich’s, wie ich hoffe, vor Menschen sprechen, ohne jemand zu beleidigen. Was aber die Regierung anbelangt, die ist ein von Menschenhand gedrehtes Seil, und …«

»Und was weiter?« fragte Wilder, als er sah, daß der andere innehielt.

»Hm! Nu, ich denke, der Mensch kann sein eigenes Werk umstoßen, wenn er nichts Besseres zu tun hat. Damit will ich aber nichts gesagt haben, und niemand zu nahe treten, hoff‘ ich.«

»Das habt Ihr so sehr getan, daß es mich mahnt, zu dem Geschäft überzugehen, was uns hierher gebracht hat. Ihr habt doch Euern Mietspfennig nicht vergessen?«

Der alte Segler schob den Tisch ein wenig von sich ab, kreuzte die Arme, schaute seinem Gefährten voll ins Gesicht und antwortete mit Ruhe:

»Wenn ich mal in jemandes Dienste getreten bin, so läßt sich’s auf mich bauen wie auf Felsengrund. Ich hoffe, Ihr segelt denselben Kurs, Freund Harris!«

»Ich wäre sonst kein rechtschaffener Mensch. Vor allen Dingen erlaubt mir aber, ehe ich Euch mit meinen Wünschen und Entwürfen näher bekannt mache, das Nebenkämmerchen zu untersuchen, um vollkommen gewiß zu sein, daß wir allein sind.«

»Ihr werdet nichts weiter darin finden, als das bißchen Staat von Jorams Schwiegertochter. Und da die Türe nicht mal gehörig schließ, so wird Eure Runde bald gemacht sein. Sehen ist besser als glauben.«

Wilder schien die Erlaubnis des Alten nicht abwarten zu wollen, denn er hatte schon die Tür aufgestoßen, als jener noch sprach, und nachdem er sich nun auch überzeugt hatte, daß dieser Raum nur die angegebenen weiblichen Fähnchen enthielt, kam er mit der Miene eines Mannes zurück, der sich verrechnet hat.

»Wart Ihr allein, als ich eintrat?« fragte er nach einer nachdenkenden Pause.

»Nur der ehrliche Joram und Ihr …«

»Sonst niemand?«

»Ich habe niemand gesehen«, versetzte der Alte, aber auf eine Weise, die ein wenig Verlegenheit verriet. »Seid Ihr anderer Meinung, so laßt uns das Zimmer visitieren. Wehe dem Horcher hier im Versteck; er sollte meine Fäuste fühlen.«

»Halt! Antwortet mir auf eines; wer rief vorhin: Herein?«

Bob, der schon aufgesprungen war, die Winkel zu durchsuchen, verlor mit einem Male seine Lebhaftigkeit, dachte einen Augenblick nach, und sich dann plötzlich besinnend, brach er in ein lautes Auflachen aus.

»Aha! Nun merk‘ ich, wo Euch der Floh sitzt. Was man doch für Gedanken aushecken kann! Nicht wahr, wenn geklopft wird und jemand Herein! ruft, der ein Pfund Rindfleisch im Maule hat, so soll er eben die Stimme haben, als wenn seine Zunge im ledigen Schiffsraume spazieren ginge?«

»Also Ihr waret es, der sprach?«

»Ich will darauf schwören«, erwiderte Bob und setzte sich wieder hin, wie jemand, der sich ganz zu seinem Vorteil aus einem bösen Handel gezogen hat. Dann fuhr er fort: »Nu, Freund Harris, habt Ihr Lust, mir Euer Inneres aufzuschließen, so bin ich bereit, Euch anzuhören.«

Wilder schien zwar nicht ganz durch diese Erklärung befriedigt. Gleichwohl rückte er den Stuhl näher an den andern und schickte sich an, den Gegenstand ihres Zusammentreffens ins Licht zu setzen.

»Nach dem, was Ihr gesehen und gehört habt, Freund, brauch‘ ich Euch nicht erst zu sagen, daß ich nicht eben wünsche, die Dame, mit der wir diesen Morgen gesprochen haben, und ihre Gefährtin in der Royal Carolina absegeln zu sehen. Ich nehme es bei unserer Verabredung für hinreichend an, diese Tatsache zugrunde zu legen und es dabei bewenden zu lassen; meine besonderen Ursachen, weswegen ich es gern sähe, wenn die Damen dort blieben, wo sie sind, können dem, was Ihr in der Sache zu tun habt, kein neues Gewicht geben.«

»Ihr habt ganz und gar nicht nötig, einem alten Seebären zu sagen, wie er das Schlappsegel eines vorübereilenden Gedankens fassen und zusammenhalten soll,« sagte Bob, seinem Gefährten einen pfiffigen Wink zuwerfend und sich dabei vertraulich schüttelnd, was Wilder mißfiel; »ich habe keine fünfzig Jahre im blauen Wasser zugebracht, ohne gelernt zu haben, es vom blauen Himmel zu unterscheiden.«

»Ihr glaubt also, Freund, meinen Beweggrund durchschaut zu haben?«

»Es bedarf keines Fernglases zu dieser Entdeckung. Wenn die Alten sagen: Geht! sagen die Jungen: Bleibt! oder denken es wenigstens.«

»Ihr habt hier unrecht, und tut beiden Teilen der Jungen unrecht; denn, auf Ehre, eher als gestern hab‘ ich die junge Person, die Ihr meint, nicht mit Augen gesehen.«

»Ah! Nu bin ich darauf gekommen. Die Eigner der Carolina haben sich gegen Euch nicht so artig betragen, wie sie gesollt, und deshalb erhalten sie nun auch Euern Dank.«

»Dies wäre freilich eine Wiedervergeltung in Euerm Sinne und nach Euern Grundsätzen«, sagte Wilder sehr ernst. »Mit den meinen ist sie nicht übereinstimmend. Auf dem ganzen Schiffe kenn‘ ich keine Seele.«

»Hm! So bleibt mir nichts weiter übrig, als der Gedanke, daß Ihr mit dem Schiff im äußeren Hafen in Verbindung stehen müßt. Nu, nu, wenn Ihr auch Eure Feinde nicht haßt, so liebt Ihr doch Eure Freunde. Das ist doppelt christlich. Wir müssen folglich auf Mittel bedacht sein, die Ladys in das Schiff hinein zu manövrieren.«

»Gott bewahre!«

»Gott bewahre, sagt Ihr? Freund Harris, jetzt kommt mir’s beinahe vor, als ob Ihr die Pardunen Euers Gewissens etwas zu steif anzieht. Obschon ich mit Euch in dem, was Ihr von der Royal Carolina gesagt habt, weder übereinstimme, noch übereinstimmen kann, so ist doch wohl unter uns kein Meinungsunterschied in betreff jenes Schiffes. Ich halte es für einen vollständigen Bau von dem schönsten Ebenmaß in allen Teilen, kurz für ein Fahrzeug, das ein König mit voller Sicherheit besteigen könnte.«

»Ich stell’s nicht in Abrede, aber … ich liebe es nicht.«

»Nicht? Nu, das hör‘ ich gern; und da die Rede eben auf diesen Gegenstand fällt, so muß ich Euch sagen, Master Harris, daß ich noch über dieses Schiff ein paar Worte zu verlieren habe. – Ich bin ein alter Seehund, dem was Außerordentliches in unserem Fache nicht so leicht entgeht. Sagt mir, findet Ihr nicht, daß es sich nicht mit einer ehrlichen Gewerbs- und Handelsweise verträgt, sich wie jenes Schiff vor Anker zu legen, außerhalb des Forts, in einer so schläfrigen, untätigen Lage, wie eine unbewegliche Masse, zumal da es ihr bei alledem anzusehen ist, daß sie eine andere Bestimmung hat, und eine andere Absicht haben muß, als Austern zu fangen oder Schlachtvieh nach den Inseln zu bringen?«

»Ich bin ganz Eurer Meinung und halte es für ein vollkommen gutes, fest- und steifgebautes Schiff. Ihr scheint ihm aber ein faules Gewerbe zuzutrauen? Welches? Etwa fremde Waren einzuschwärzen?«

»Hm! Ich sollte nicht glauben, daß man sich eines solchen Schiffes zum Schmuggeln bedienen würde, obschon der Konterbandehandel ganz und gar kein unebner sein soll. Seht nur, was für eine schöne Batterie das Schiff hat, insofern man sie von hier aus beurteilen kann.«

»Es kommt mir vor, als wollte sie sagen: Unsere Eigner sind des Schiffes noch nicht überdrüssig, und wir wollen schon dafür sorgen, daß es nicht in die Hände der Franzosen falle.«

»Wohl möglich! Kann sein, daß ich mich irre; aber wenn mich meine alten Augen nicht ganz trügen, so lese ich auf der Stirn des Sklavenhändlers, daß, selbst wenn er gültige Papiere führt, und es mit seinen Kaperbriefen seine Richtigkeit hat, nicht alles darauf ist, wie es sein sollte. Was meint Ihr dazu, ehrlicher Joseph Joram?«

Wilder wandte sich unwillig um und erblickte den Wirt, der mit so leisen Schritten eingetreten war, daß er, der seine ganze Aufmerksamkeit auf die Rede des Alten gerichtet hatte, nichts davon gewahr geworden. Jorams Bestürzung über die Frage war weder Spiel noch Verstellung; denn schon hatte sie der Fragende in noch deutlicheren Worten wiederholt, ehe sich der Wirt imstande sah, sie zu beantworten.

»Ich frage Euch noch mal, ehrlicher Joseph, ob Ihr den Sklavenhändler dort im äußern Hafen für ein ehrliches Schiff haltet?«

»Bob, Ihr fallt einem immer so plump mit der Türe ins Haus,« erwiderte der Wirt, die Augen in schiefer Richtung um sich werfend, als wolle er sich überzeugen, ob er auch alle seine Zuhörer um sich sähe, »mit Euern verwünschten Fragen, mit Euern verdammten Vermutungen, so daß ich oft in der Klemme bin, und nicht weiß, wie ich meine fünf Sinne zusammennehmen soll, Euch eine vernünftige Antwort zu geben.«

»Ist es nicht possierlich,« sagte der alte Mann bedächtig und ruhig, »den Wirt zum ›Unklaren Anker‹ verdutzt und duschig zu sehen? Ich frage Euch, ob Ihr nicht auch über das Sklavenschiff Eure Vermutung habt? Ob Ihr nichts argwöhnet? Nichts? Gar nichts?«

»Ich, argwöhnen? Guter Gott im Himmel, bedenkt, Master Robert, was Ihr sprecht. Ich möchte nicht, und gälte es die Kundschaft des Lord-Großadmirals Sr. Majestät, daß in meinem Hause ein einziges ehrenrühriges Wort gegen den Ruf irgendeines makellosen, rechtlichen Sklavenhändlers gesprochen wurde. Gott wolle mich vor der Sünde bewahren, den Charakter irgendeines ehrlichen Untertans Sr. Majestät des Königs anzuschwärzen!«

»Seht Ihr, würdiger, zartsinniger Joram, an dem Schiffe dort draußen im Vorhafen nichts Unrichtiges?« wiederholte Master Robert zum dritten Male, ohne ein Auge, ein Glied, eine Muskel zu verziehen.

»Nu, da Ihr mir so nahe auf den Leib rückt und durchaus wissen wollt, was ich meine, da Ihr überdies ein Kunde seid, der bar bezahlt, so will ich es denn von mir geben, daß, wenn sich was Unregelmäßiges, was Vernunftwidriges, was selbst Ungesetzliches im Betragen des Gentleman zu erkennen gibt …«

»Ihr segelt so nahe beim Winde weg, Freund Joram,« unterbrach der Seemann kalt, »daß man sieht, Ihr möchtet es mit niemand verderben. Ich bestehe also zum viertenmal auf eine gerade, einfache Antwort: Habt Ihr an dem Schiff was Unrichtiges bemerkt?«

»Na, wenn’s denn so sein muß, nichts, auf mein Gewissen nichts,« platzte der Wirt heraus wie ein Walfisch, der aus dem Wasser steigt, um Atem zu schöpfen, »nichts, so wahr ich ein armer Sünder bin, ein unwürdiger Zuhörer und Beichtiger des guten, ehrwürdigen Doktor Dogma … nichts, nichts … gar nichts!«

»Gut, dann seid Ihr ein größerer Schafskopf, als ich mir von Euch eingebildet habe. Weiter im Text: Habt Ihr auch nichts geargwohnt?«

»Bewahre mich der Himmel vor Argwohn! Der böse Feind gibt uns allen Zweifel ein, das ist mal wahr; aber schwach und zum Bösen geneigt ist der, der ihm nicht wiedersteht. Die Offiziere und die übrige Mannschaft des Schiffes sind tapfere Zecher und freigebig wie die Prinzen; und da sie obenein nie vergessen, die Rechnung zu berichtigen, ehe sie das Haus verlassen, so nenn‘ ich sie mit Recht – ehrliche Leute.«

»Aber ich nenne sie Piraten!«

»Piraten?« hallte Joram wider und warf mit offenbarem Mißtrauen den Blick auf Wilder. »Pirat ist ein hartes Wort, Master Robert, und sollte keinem Gentleman an den Kopf geworfen werden, solange es an Beweisen zu einem Injurienprozeß fehlt, der die Sache, wie sich’s schickt, vor zwölf geschworene, gewissenhafte Männer bringt. Aber ich will hoffen, Ihr wißt, was Ihr sagt, und vor wem Ihr’s sagt.«

»Das weiß ich; und nu, da es scheint, daß Eure Meinung über diesen Punkt gerade auf Null hinausläuft, so werdet Ihr wohl die Güte haben …«

»Alles zu tun, was Ihr befehlt«, rief Joram, voller Freude, daß er der Unterhaltung eine andere Wendung geben konnte.

»Hinzugehen und Eure Gäste unten zu fragen, ob sie nicht durstig sind«, fuhr der Alte fort und winkte dem Wirte zu, des Weges, den er gekommen, wieder zurückzugehen. Dabei sah er aus, wie jemand, der gehört sein will, und voraus weiß, daß man ihm gehorchen wird.

Sobald der Wirt die Tür hinter sich zugemacht hatte, wendete sich jener zu seinem Kompagnon und fuhr fort:

»Ihr scheint mir ebenso backliegend wie der ungläubige Joseph, über das, was ich eben gesagt habe?«

»Ei was, alter Mann, Ihr erlaubt Euch da einen harten Argwohn und tätet wohl, zu überlegen, ob Ihr ihn beweisen könnt, eh‘ Ihr ihn wiederholt. Von welchem Piraten hat man hier auf der Küste was gehört?«

»Da ist der wohlbekannte Red-Rover«, erwiderte der andere, die Stimme senkend und einen verstohlenen Blick um sich werfend, als hielt er es für notwendig, bei der bloßen Erwähnung des furchtbaren Namens Vorsicht zu gebrauchen.

»Von dem heißt es ja, er treibe sein Wesen vorzüglich im Karaibischen Meere.«

»Red-Rover ist einer, der überall und nirgends ist. Der König würde einen schönen Preis für den aussetzen, der den Schelm in die Hände der Gesetze lieferte.«

»Leichter gedacht als getan«, antwortete Wilder nachdenkend.

»Mag sein, mag auch nicht sein. Ich bin ein alter Knast, auf der Neige, und mehr berufen bergab als bergauf zu gehen. Mit Euch steht’s anders. Ihr seid ein neu ausgerüstetes Schiff, Eure Takelage steif, Eure Spieren gerade; nichts Geworfenes, Gebogenes an Euch. Wie wär’s, wenn Ihr Euer Glück machtet und das Gelichter dem Könige verhandeltet? Es heißt doch nur, dem Teufel ein paar Monate früher oder später sein Futter gegeben!«

Wilder erstarrte vor Entsetzen und wendete sich von seinem Mitgenossen ab, wie einer, der über die Art höchst unzufrieden war, auf die sich jener ausgedrückt hat. Doch da er wohl einsah, daß er Antwort geben müsse, verwandelte er sie in eine Frage:

»Noch einmal, was für einen Grund habt Ihr, Euern Verdacht für wahr zu halten? Oder was für Mittel habt Ihr, im Fall er wahr wäre, da es hier an königlichen Kreuzern fehlt, den Plan auszuführen?«

»Einen Eid kann ich nicht darauf schwören, daß ich recht habe; wenn wir aber auch das Segel links wenden sollten, so dürfen wir es ja nur wieder rechts wenden, sobald wir den Irrtum einsehen. Was die Mittel anbelangt, so sind sie freilich leichter angegeben, als herbeigeschafft.«

»Geht doch, geht; das ist eitler, leerer Schnickschnack, ein ausgehecktes Hirngespinst Euers alten Kopfes«, sagte Wilder kalt. »Je weniger davon geschwatzt wird, desto besser … Die ganze Zeit haben wir darüber unser eigenes Geschäft vergessen. Ich bin fast der Meinung, Master Robert, daß Ihr falsche Lichter aufsteckt, um der Verbindlichkeit zu entgehen, die Ihr schon halb bezahlt bekommen habt.«

Auf dem Gesichte des alten Matrosen zeigte sich, während Wilder sprach, ein solcher Zug von Zufriedenheit, daß ihn der junge Mann hätte bemerken und darüber stutzen müssen, wäre er nicht mitten in der Rede aufgestanden und schnell und nachdenkend das Kämmerchen auf und ab gegangen.

»Nu ja, nu ja,« nahm der Alte das Wort, und bemühte sich, seine Freude hinter den gewöhnlichen schroffen, selbstischen Ton und Ausdruck seiner Stimme zu verbergen; »ich bin ein alter Träumer, der sich einbildet, mitten im Meere zu schwimmen, wenn er sicher und ruhig am Ufer vor Anker liegt. Mir scheint, ich würde nicht unrecht tun, sobald als möglich mit dem Teufel meine Rechnung abzuschließen, damit jeder seinen Teil von meinem armen Gerippe erhalte, und ich in Zukunft mein eigener Herr und ungeschoren bliebe … Und nun, zu Euer Gnaden Befehl.«

Jetzt nahm Wilder seinen Sitz wieder ein und schickte sich an, seinem Mitverbündeten die nötigen Instruktionen zu geben, die darauf hinausliefen, daß er alles wieder zurücknehmen sollte, was er vorhin zugunsten der Carolina gesagt hatte.