Sechstes Kapitel.

Sechstes Kapitel.

Das Zimmer, in dem sich unser Abenteurer befand, gab keinen schlechten Begriff vom Charakter seines Bewohners. Es war an Raum und Form den gewöhnlichen Kajüten ähnlich, aber an Gerät und Einrichtung ein sonderbares Gemisch von Pracht- und Waffenliebe. Die Lampe, die an der Decke schwebte, war von massivem Silber, und obschon zu ihrer jetzigen Bestimmung künstlich eingerichtet, verriet sie durch Bau und Zieraten, daß sie zu einem heiligen Gebrauch – auf einem Altar – gedient hatte. Massive Kandelaber vom selben Metall, und deren Form ebenfalls einen früheren kirchlichen Dienst andeuteten, standen auf einem ehrwürdigen Tische von Mahagoni, glänzend von der Politur eines halben Jahrhunderts, getragen von vergoldeten Klauen und kannelierten Säulen, und dessen ursprüngliche Stelle sicher keine Schiffskajüte gewesen war. Längs dem Heckbalken stand das Bette mit einer Sammetdecke. Den Schotten gegenüber ein mit blauer Seide überzogener Diwan, dessen Gestalt, Material und Kissenwülste zu erkennen gaben, daß Asien zur Bequemlichkeit des jetzigen Besitzers hatte beitragen müssen. Das Ameublement vollständig zu machen, sah man Kupferstiche, geschliffene Gläser, Rahmen, Spiegel, Silberzeug, und sogar Tapeten und Gardinen. Jedes Stück schien aus einer andern Gegend zusammengebracht; keines glich an Fasson und Material dem Nachbar. Überhaupt war es einleuchtend, daß in der Wahl und Zusammenstellung mehr auf Pracht und Eleganz gesehen worden als auf Geschmack, und daß hier alles nur die Bestimmung hatte, der Laune oder der Bequemlichkeit des Besitzers zu dienen.

Mitten unter diesem Gemengsel von Reichtum und Luxus sah man eine zweite Gattung von Möbeln – drohendes, furchtbares Kriegsgerät. In der Kajüte standen vier schwarze Kanonen, deren Anzahl und Kaliber zuerst Wilders Augen auf sich zogen. Obschon von den vielen Prachtstücken halb versteckt, die wir soeben gemustert, bedurfte es nur eines Seemannsblicks, um herauszubringen, daß sie zum wirklichen und ernstlichen Gebrauch da waren, und daß fünf Minuten erforderlich wären, das Zimmer von allem Flitterstaat zu säubern, und es in eine heiße Batterie umzuschaffen. Pistolen, Säbel, Halbpiken, Streitäxte und das ganze Zeughaus kleiner Seewaffen war in der Kajüte auf eine Art aufgestellt und aufgehängt, die ihr zum Kriegsschmuck und im Notfall bei einem Angriff zur Wehr diente.

Rund um den Mast bildeten ebenfalls Musketen einen Kreis, und starke, hölzerne Riegel, offenbar dazu bestimmt, in Träger zu passen, und die Tür von beiden Seiten zu verrammeln, gaben den Beweis ab, daß die Schotten leicht in ein Bollwerk verwandelt werden konnten. Alles deutete darauf hin, daß man die Kajüte zur Zitadelle des Schiffs hatte machen wollen. Was diese Absicht vollends verriet, war eine Lukenklappe, die mit den Zimmern der Subalternoffiziere zusammenhing und zu den Vorräten führte. All diese Einrichtungen wichen von dem ab, was Wilder bisher in andern Schiffen gesehen hatte, und fielen ihm auf, obschon er nicht Muße genug hatte, reiflich darüber nachzudenken.

Der Fremde, der noch immer in Grün gekleidet war, zeigte, als er aufstand, seinen Gast zu bewillkommnen, auf seinem Gesichte eine geheime Selbstzufriedenheit, mit einem kleinen Zusatz von ironischer Freude.

Beide standen einen Augenblick einander gegenüber, ohne zu sprechen, bis es endlich dem vermeinten Anwalt gefiel, das lästige Schweigen zuerst zu brechen. Er fragte:

»Welchem glücklichen Umstande hab‘ ich die Ehre dieses Besuchs zu danken?«

Wilder antwortete mit eben der Festigkeit und Ruhe, die jener in seine Frage gelegt: »Ich glaube, sagen zu können, der Einladung des Schiffskapitäns.«

»Hat er Euch sein Patent gezeigt, als er sich diesen Titel gab? Es darf sich ja wohl kein königlicher Kreuzer zur See ohne Patent sehen lassen.«

»Was sagen die Herren von der Universität über diesen Punkt?«

»Nun, ich sehe, daß ich auf alle Fälle besser tue, meinen Advokatentalar abzuwerfen, und zum Marlpfriem zu greifen«, erwiderte der Grüne lächelnd. »Es liegt so was in unserm Handwerk – Gewerbe hört Ihr es lieber nennen – also in unserm Gewerbe, was uns einen dem andern verrät. Nun ja, Herr Wilder,« fuhr er fort, sich setzend, und dem andern mit Würde und Höflichkeit winkend, Platz zu nehmen, »ich bin wie Ihr, ein Seemann, und habe das Glück hinzusetzen zu können, der Kommandeur dieses braven Fahrzeugs.«

»So müßt Ihr auch zugeben, daß ich mich nicht ohne hinreichende Bürgschaft hier einfinde.«

»Ich gebe es zu. So wie Euch mein Schiff vorteilhaft ins Auge gefallen ist, so Ihr mir. Euer Wesen, Eure ganze Person hat mir gefallen, und ich wünschte, wir wären früher bekannt geworden. Sucht Ihr Anstellung?«

»In diesen aufgeregten, unfreundlichen Zeiten wär’s Schande, müßig zu gehen.«

»Ihr habt recht. Wir leben in einer wunderlichen, verkehrten Welt, Master Wilder. Jener denkt sich auf einer Grundlage in Gefahr, die so fest und unerschütterlich ist, wie die Terra firma; während andere zufrieden sind, wenn sie ihr Heil zur See versuchen können. So gibt es wieder manche, die sich einbilden, der Mensch müsse nichts tun als beten, und andere, die mit ihrem Atem wirtschaftlich umgehen, und sich nehmen, was ihnen ansteht, weil sie weder Lust noch Zeit haben, darum zu bitten. Nicht wahr, Ihr habt mit Euch selbst über die Art und Weise unsers Verkehrs nachgedacht, ehe Ihr hergekommen seid, eine Anstellung zu suchen?«

»Es wird allgemein in Newport von den Einwohnern gesagt, daß Ihr ein Sklavenschiff seid.«

»O, sie irren sich nie, Eure Kleinstädter und Dorfklatschen! Hat es jemals Hexen und Hexerei in der Welt gegeben, so war der erste Hexenmeister im Orte der Schenkwirt, der zweite der Doktor, der dritte der Priester. Um die vierte Stelle mögen sich Schneider und Bartscherer prügeln … Roderich!«

Der Kapitän unterbrach sich selbst ohne Umstände durch diesen Ausruf. Zugleich schlug er an einen Gong, der nebst andern Seltsamkeiten an einem Deckbalken des obern Verdecks aufgehängt war, so daß er ihn mit der Hand erreichen konnte.

»Roderich!« rief er, »schläfst du?«

Ein lebhafter, leichtfüßiger Bursche sprang aus einer der beiden Nebenkojen und meldete sich.

»Ist das Boot zurück?«

»Ja.«

»Ist alles gut gegangen?«

»Der General ist in seiner Kajüte, Sir, und kann Euch besser Antwort geben als ich.«

»So laß den General kommen und berichten, wie sein Feldzug abgelaufen.«

Wilder war viel zu sehr mit sich beschäftigt, um das plötzliche Nachsinnen zu stören, in das sein Gesellschafter gefallen war, der mehr zu schlafen als zu wachen schien. Der Junge glitt durch die Falltüre der Luke wie eine Schlange in ihr Loch, oder vielmehr wie ein Fuchs in seinen Bau. Jetzt herrschte eine Totenstille in der Kajüte. Der Schiffskapitän lehnte den Kopf auf die Hand und schien sich der Gegenwart eines zweiten ganz unbewußt. Das Schweigen würde leicht noch viel länger gedauert haben, wäre es nicht durch die Erscheinung eines dritten unterbrochen worden. Plötzlich aber hob sich durch die Luke eine lange, lange, gerade, steife Figur empor, zu vergleichen mit den Geistern auf der Bühne, die aus einer Falltür hervorkommen. Die Gestalt war erst halb sichtbar, als sie im Steigen innehielt und sich schulgerecht und rapportierend gegen den Kapitän kehrte.

»Ich erwarte Oder«, ließ sich eine murmelnde Stimme aus kaum bewegten Lippen vernehmen.

Wilder stutzte über das unerwartete Wesen, dem es in der Tat an nichts fehlte, was dieses Erstaunen hervorbringen und rechtfertigen konnte. – Das Gesicht war das eines Mannes in den Fünfzigern und von der Zeit mehr abgehärtet als abgenützt. Die Farbe war ein überall gleichmäßig verteiltes Rot, mit Ausnahme einer ausdrucksvollen, markierten Schmarre auf jeder Backe, den Krümmungen der Rebe nicht unähnlich, und die hier als Kommentar zu dem bekannten Sprichworte dienen konnte: »Guter Wein bedarf keines Aushängeschilds.« Der Scheitel war kahl; über dem Ohren hing ein Büschel grau werdenden Haars, stark pomadiert und in steife, militärische Locken ausgehend. Den langen, dünnen Hals umgab eine schwarzseidene Krause; Arme, Schultern und Brust verrieten einen starken Körperbau. Das Ganze steckte in einem Überrock, der, obschon er das Ansehen haben wollte, nach der Mode zu sein, nicht übel einem Domino glich. Kaum hatte sich die Stimme vernehmen lassen, als der Kapitän auffuhr, den Kopf in die Höhe hob und rief:

»Ha! General, seid Ihr auf Euerm Posten? Habt Ihr Land gefunden?«

»Ja.«

»Und die Stelle? Und den Mann?«

»Beide.«

»Und was habt Ihr weiter getan?«

»Order pariert.«

»So ist’s recht. Ihr seid ein Juwel, General, in der Ausführung; als solches trage ich Euch in meinem Herzen. Jammerte der Kerl?«

»Er war geknebelt.«

»Eine gute, heilsame Methode, die Klagen verstummen zu lassen. Alles ist, wie es sein sollte, General – wie immer. Ihr habt meinen Beifall verdient.«

»Aber auch meinen Lohn.«

»Worin besteht dieser? Steht Ihr nicht so hoch, als ich Euch stellen kann? Der nächste Schritt müßte die Ritterwürde sein.«

»Pshaw! Was kann mir das! Aber meine Leute! Sie sehen aus wie Landmiliz; sie haben keine Röcke.«

»Sie sollen sie haben. Die Garden Sr. Majestät sollen nicht halb so schmuck aussehen. General, ich wünsche Euch eine gute Nacht.«

Jetzt stieg die Gestalt mit eben der gespenstischen steifen Bewegung wieder hinunter, wie sie heraufgekommen war, und ließ Wilder mit dem Kapitän in der Kajüte allein. Der letzte schien einen Augenblick betroffen, daß die närrische Unterredung in Gegenwart eines dritten vorgefallen, der nicht viel besser als ein Fremder war, und fand es daher für gut, ihm eine Art von Erklärung zum besten zu geben.

»Mein Freund«, sagte er mit zwar hohem, doch dabei erläuterndem Tone, »hat das Kommando über das, was man bei einem mehr in der Regel stehenden Kreuzer die ›Garde-Marine‹ nennen würde. Er ist stufenweise, vom Range eines Subalternen zu dem hohen Posten gestiegen, den er jetzt einnimmt. Ihr werdet bemerkt haben, daß er nach dem Lager riecht.«

»Mehr als nach dem Schiff. Ist es aber Gebrauch bei den Sklavenhändlern, so militärisch bemannt zu sein? Ich finde Euch mit allen Waffen vollständig ausgerüstet.«

»Ihr möchtet gern mehr von uns wissen, ehe wir unsern Handel schließen, nicht wahr?« antwortete der Kapitän mit einem Lächeln. Zugleich öffnete er ein Kästchen, das auf dem Tische stand, und zog ein Pergamentblatt heraus, das er Wildern kaltblütig einhändigte. Dann fuhr er fort, seine Rede mit einem der scharfen Blicke begleitend; die ihm eigen waren: »Ihr werdet hieraus ersehen, daß wir Kaperbriefe haben und bevollmächtigt sind, für den König zu streiten, auch wenn wir mitunter unsere eigenen friedlichen Geschäfte betreiben.«

»Dies ist ja die Vollmacht für eine Brigg!«

»Ah, wirklich? – Dann gab ich Euch das unrechte Papier. Leset dieses hier; Ihr werdet es genauer finden.«

»Ihr habt recht, das ist Eure Ausfertigung, für ›Das gute Schiff der sieben Schwestern‹. Aber wie ist’s mit dem Punkt der Kanonen? Ihr führt deren mehr als zehn: und diese hier in der Kajüte sind keine Vierpfünder – es sind Neunpfünder.«

»Ei, Ihr seid mit Euerm Punkte auch gar zu pünktlich; gerade, als wäret Ihr der Anwalt und ich der konfuse Seemann. Habt Ihr nie von einer gewissen Freiheit gehört, die man sich herausnimmt? Von so etwas, was man eine Ausfertigung ausdehnen, erweitern nennt?« fuhr der Kapitän trocken fort, das Papier wieder in das Kästchen unter eine Menge ähnlicher schiebend. – Hiermit stand er auf, schritt schnell auf und ab, und fuhr fort: »Ich brauche Euch nicht zu sagen, daß wir ein gewagtes Geschäft treiben. Einige nennen es gesetzwidrig. Da ich mich aber nicht gern mit theologischen Streitigkeiten abgebe, so wollen wir die Frage unentschieden lassen. Ihr seid jedoch nicht hergekommen, ohne unser Geschäft zu kennen?«

»Ich suche eine Anstellung.«

»Ohne Zweifel habt Ihr Euch die Sache reiflich überlegt, und Euch selbst über den Betrieb des Schiffs befragt, ob es nach Eurem Geschmack ist oder nicht. Um also keine Zeit zu verlieren, um frei und offen zu Werke zu gehen, wie es zwei ehrlichen Seefahrern geziemt, will ich Euch mit einem Worte gestehen, daß ich Eurer bedarf. Ein braver, geschickter Mann, ein älterer als Ihr, aber, wie ich mir schmeicheln darf, kein besserer, bewohnte vor einem Monat die Backbordkajüte. Aber der arme Teufel ist Futter für die Fische geworden.«

»Ist er ertrunken?«

»Nicht doch! Er starb mitten im Gefecht mit einem Schiffe Sr. Majestät.«

»Des Königs? Habt Ihr denn Eure Ausfertigung soweit ausgedehnt, daß Ihr darin eine Erlaubnis gefunden habt, Euch mit Sr. Majestät Kreuzern herumzuschlagen?«

»Als ob es keinen andern König gäbe als Georg den Zweiten! Vielleicht trug das Schiff die weiße Flagge, vielleicht eine dänische. Aber wieder auf meinen Leutnant zu kommen; er war wahrhaftig ein tapferer Kerl; und nun ist seine Stelle noch ebenso unbesetzt als an dem Tage, wo er in die See geworfen wurde. Er war der Mann, der bestimmt schien, mein Nachfolger zu sein, hätte mich ein feindliches Los betroffen. Ich glaube, ich würde ruhiger sterben, wüßte ich, daß dieses edle Schiff einem zufiele, der es zu leiten verstände.«

»Wir wollen hoffen, daß der Eigentümer dafür sorgen würde, wenn sich das Unglück ereignen sollte.«

»Meine Schiffseigentümer«, erwiderte der andere mit einem bedeutsamen Lächeln, während er auf Wilder einen forschenden Blick warf, der diesen nötigte, die Augen niederzuschlagen, »beunruhigen mich selten mit lästigen Aufträgen und Befehlen.«

»Sie sind sehr gütig … Doch, wie ich sehe, sind in Euerm Inventarium die Flaggen nicht vergessen. Geben Eure Eigentümer Euch ebenfalls die Erlaubnis, unter ihnen die zu wählen, die Euch gerade paßt?«

Bei dieser Frage begegneten sich die ausdrucksvollen, verständlichen Blicke der beiden Seemänner. Der Kapitän zog eine Flagge nach der andern aus einer Schieblade hervor, in der sie Wilder hatte liegen sehen, rollte sie auseinander und sagte bei jeder:

»Dies sind die Lilien, wie Ihr seht‘ kein schlechtes Sinnbild der fleck- und makellosen Franzosen. Ein Wappenschild, das Ansprüche ohne Tadel ausstellt, dabei aber doch etwas beschmutzt und durch vielen Gebrauch abgenutzt. – Hier habt Ihr den Rechner, den Holländer, schlicht, substantiell und bei dem wenig zu holen. Ich liebe die Flagge nicht. Ist das Schiff von Wert, so schlagen es die Eigentümer nur zu hohen Preisen los. – Hier ist unser Windmacher, der Hamburger. Er fühlt sich reich im Besitz seiner einzigen Stadt und prahlt mit dem Reichtum, der in seinen Wappentürmen steckt. Von seinen übrigen Besitzungen sagt die Allegorie weislich kein Wort. – Hier ist der türkische Halbmond: ein mondsüchtiges Volk, das sich für die Erben des Himmels hält. Laß es sein eingebildetes Recht der Erstgeburt in Frieden genießen; nur selten geht es dahin aus, sein Glück auf dem Meere zu machen. – Und hier sind die kleinen Trabanten, die um den mächtigen Mond spielen: die afrikanischen Staaten der Barbarei. Ich habe nicht viel Umgang mit diesem weitbehosten Volke, denn es ist nicht viel bei ihnen zu holen. Und doch –« hier glänzten seine Augen, indem er sie auf den seidenen Diwan warf, auf dem Wilder saß – »und doch hab‘ ich mit den Kujonen zu schaffen gehabt, und sie sind nicht davon gekommen, ohne Haare zu lassen! – Aha, hier kommt aber der Mussjöh, den ich lieb habe, der goldene, prächtige Spanier. Das gelbe Feld der Flagge erinnert an den Reichtum seiner Minen; und die Krone – man sollte sagen, sie sei von massivem Golde, und möchte gleich eine Hand ausstrecken, um nach dem Schatze zu greifen! Was für ein herrliches Wappen für eine Gallione! – Hier ist der schon demütigere Portugiese, und doch ist sein Blick der eines mächtigen Reichen. Ich hab‘ mir oft eingebildet, in diesem königlichen Kinderspiel wirkliche Diamanten aus Brasilien zu sehen. Jenes Kruzifix, das Ihr da nahe an der Tür der Kajüte links hängen seht, ist ein Pröbchen solcher echten Edelsteine, wie ich sie gern habe.«

Wilder drehte sich um und erblickte in der Tat das kostbare Emblem, wenige Zoll von der Stelle, die der andere bezeichnet hatte. Nach gestillter Neugierde wollte er seine Aufmerksamkeit schon wieder auf die Flagge richten, als ein zweiter Blick auf ihn fiel, wie sie sein Gesellschafter auf die zu werfen pflegte, durch deren Augen er in ihrer Seele lesen wollte. Es mochte dieses Mal seine Absicht sein, zu entdecken, welchen Eindruck das verschwenderische Auskramen seines Reichtums auf den Besucher machen würde. Dem sei wie ihm wolle, Wilder lächelte, denn er konnte sich des Gedankens nicht erwehren, alle diese Schätze und Verzierungen der Kajüte seien sorgfältig und absichtlich aufgestellt worden, weil man ihn erwartet habe, damit sie seine Sinne und sein Herz bestächen. Der andere las diesen Gedanken in seinen Augen; vielleicht aber las er auch unrecht, verfehlte den Sinn und glaubte in der Miene des Fremden eine Aufmunterung zu finden, mit dem Vorzeigen der Flaggen fortzufahren, das er jetzt noch gefälliger und emsiger tat als anfangs.

»Diese doppelköpfigen Ungeheuer sind Landvögel und wagen selten einen Flug über See. Sie sind nicht für mich. Der kühne, tapfere Däne, der mutige Trotzkopf, der Schwede: ein Nest kleinerer Fischbrut,« fuhr er fort, mit der Hand schnell über ein Dutzend Rollen wegeilend, die in engeren Fächern lagen, »lauter Duodezseestaaten, die ihr Tuch auch flaggen lassen; – und dann der üppige Neapolitaner, aber vor allem die Flagge mit den Himmelsschlüsseln! Das ist eine Flagge, unter der man sterben muß! Ich lag einst Rahenocken an Rahenocken mit einem schweren Korsar von Algier und hatte diesen Lappen aufgezogen …«

»Was? Ihr fandet für gut, unter dem Banner der Kirche zu fechten?«

»Aus lauter Andacht. Ich malte mir im Geiste die Überraschung des Heiden, wenn er finden würde, daß wir keine Litaneien sängen. Wir gaben ihm nur eine bis zwei Lagen, als er rief: Allah habe ihn prädestiniert, sich zu ergeben. Das war ein köstlicher Augenblick, als ich beim Winde an seiner Seite aufstach. Ich glaube, der Muselmann dachte nicht anders, als das ganze heilige Konklave sei flott und das Verderben Mohammeds und seiner Kinder hereingebrochen. Ich muß bekennen, daß ich ihm die friedlichen Schlüsseln absichtlich gezeigt hatte, um ihn zu locken. Der Narr mochte glauben, sie dienten nur dazu, der Christenheit den Himmel zu öffnen.«

»Als er aber seinen Irrtum einsah und eingestand, ließet Ihr ihn laufen?«

»Mit meinem Segen. Wir tauschten einige Artikel aus, deren wir gegenseitig benötigt waren, und dann setzte jeder seinen Weg fort. Ich verließ ihn, seine Pfeife schmauchend, bei schwerem Wetter, seine Vorstange seitwärts liegend, seinen Besanmast unter der Gilling, mit sechs bis sieben Löchern im Bauch, die gerade soviel Wasser einließen, als die Pumpe herausschaffen konnte. Ihr seht, daß er sich auf gutem Wege befand, zu seinem himmlischen Erbe zu gelangen. Aber der Himmel wollte es so, er war prädestiniert, und somit hatte er alle Ursache, zufrieden zu sein!«

»Ihr habt aber mehrere Flaggen übersprungen? Welche sind’s? Sie scheinen reich und mannigfaltig.«

»Hier diese ist England, aristokratisch wie das Land, das sie vorstellt, in Parteien geteilt, und guten Teils mit Humor und Laune gezeichnet. Die Flagge hat Raum genug, alle Stände und Klassen zu enthalten, und so sollte es auch sein; sind nicht alle Menschen vom selben Fleisch und Bein? Sollten nicht alle Bewohner eines Reichs mit den nämlichen Farben und Sinnbildern segeln? – Hier ist Mylord Groß-Admiralsflagge, ein Sankt Georg, mit den roten und blauen Streifen, je nachdem der Humor gestimmt ist. Hier die Streifen von Indien. Hier die königliche Standarte selbst.«

»Was? Die königliche Standarte?«

»Warum nicht? Ist der Schiffskommandeur nicht ein Monarch in seinem Schiff? Ja, ja, dies ist des Königs Standarte, und was noch mehr, ich habe sie in Gegenwart eines Admirals aufgezogen.«

»Das verdient eine Erklärung«, rief der Zuhörer aus, der die Art von Scheu und Abscheu zu fühlen schien, die einen Geistlichen bei Entdeckung eines Kirchenraubes anwandeln würde. »Wie? Die königliche Standarte vor einer andern Flagge aufzuziehen? Wir wissen alle, welchen Verdrießlichkeiten, welchen Gefahren sich der aussetzt, der nur zum Scherze eine bloße Wimpel flattern ließe, wenn ein königlicher Kreuzer im Anzuge ist.«

»Ei ja doch, aber mir macht es Spaß,« unterbrach der andere mit gedämpftem doch bitterem Lachen, »mich gegen die Schufte in die Brust zu werfen. O, es ist köstlich, sie herauszufordern! Um mich strafen zu können, müssen sie stark genug sein; sie haben es mehrmals versucht, aber immer auf ihre Kosten. Nichts macht so richtige Rechnung, als wenn man dem Landesgesetz ein tüchtiges Stück Segelzeug entgegenhalten kann. Mehr brauche ich nicht zu sagen.«

»Wer welcher von diesen Flaggen bedient Ihr Euch am häufigsten?« fragte Wilder nach einer Pause augenblicklichen Nachdenkens.

»Beim bloßen Segeln, muß ich Euch sagen, bin ich so wetterwendisch und wankelmütig wie ein Mädchen von zehn Jahren in der Wahl ihrer Bänder. Ich wechsle oft die Flagge ein dutzendmal des Tages. Wie mancher ehrliche Kauffahrer hat, wenn er einen Hafen verließ, versichert, er habe in offener See mit einem Holländer oder Dänen gesprochen? Wenn’s aber an ein Gefecht ging, wo ich freilich auch manchmal meiner Laune Gehör gab, und es war mir recht ernst dabei, so war es vor allem eine, von der ich mir den meisten Erfolg versprach.«

»Und diese ist?«

Hier ließ der Kapitän eine Zeitlang seine Hand auf der Rolle ruhen, zu der er gegriffen hatte, und schien tief in der Seele des andern lesen zu wollen, so eindringend und scharf war sein Blick die ganze Weile. Dann gab die Hand nach, der Lappen rollte sich langsam auf, und es wurde ein dunkelrotes, blutrotes Feld sichtbar, ohne irgendein Zusatz von Bild, Wappen oder anderweitigen Zierats. Zugleich sagte der Kapitän mit emphatischem Nachdruck:

»Diese!«

»Dies ist ja die Farbe eines Räubers!«

»Hm – sie ist rot, wie Ihr seht, und rot ist mir lieber als Eure dunkeln schwarzen Felder mit Totenköpfen und anderen kindischen Vogelscheuchen. Diese Flagge droht nicht, sie sagt nur: ›Dies ist der Preis, um den man mich erkauft!‹ – Herr Wilder,« setzte er hinzu, den gemischten Ton der Ironie und des Scherzes ablegend, mit dem er bis jetzt gesprochen hatte, und die Miene des Ansehens und des Übergewichtes annehmend: »Herr Wilder, mir scheint, wir verstehen einander. Es ist Zeit, daß jeder von uns seine Flagge aufziehe. Ich brauche Euch nicht zu sagen, wer ich bin.«

»Ich selbst halte es für unnötig«, versetzte Wilder. »Aus diesen handgreiflichen Beweisen zu schließen, stehe ich hier dem …«

» Red-Rover gegenüber«, fuhr der andere fort, als er sah, daß jener Bedenken trug, den Beinamen auszusprechen. »Ja, ich bin es, bin der rote Freibeuter, und ich hoffe, unser erstes Zusammentreffen werde der Anfang einer langen und dauerhaften Bekanntschaft sein. Ich kann den geheimen Drang nicht erklären; aber vom ersten Augenblick an, als ich Euch sah, hat mich ein unwiderstehliches, unaussprechliches Etwas zu Euch gezogen. Vielleicht war es das Gefühl der Leere, worin ich seit einiger Zeit lebe: – sei es nun aber auch, was es wolle, genug, ich empfange Euch mit offenem Herzen und offnen Armen.«

Es war wohl aus allem, was diesem freimütigen Geständnis vorausgegangen, nicht zu bezweifeln, daß Wilder Ahnung und Kenntnis von der Bestimmung und dem Charakter des Schiffes hatte, worauf er sich befand; gleichwohl konnte er sich bei diesen Worten einer gewissen Verwirrung nicht erwehren. Der Ruf des berüchtigten Freibeuters, seine Vermessenheit, sein Gemisch von Liberalität und Zügellosigkeit, seine bei allen Gelegenheiten gezeigte desperate Gleichgültigkeit gegen den Tod, mochte sich in diesem Augenblicke unserem jüngeren Abenteurer lebhaft vormalen und schuld an der Art von Gemütserschütterung sein, der wir alle mehr oder weniger unterworfen sind, wenn uns irgendein wichtiges Ereignis, worauf wir vorbereitet waren, wirklich aufstößt.

»Ihr habt Euch«, gab er endlich zur Antwort, »weder in meinen Absichten, noch darin geirrt, daß ich Euch für den halte, der Ihr seid. Ich gestehe offenherzig, daß ich Euch und Euer Schiff gesucht habe. Ich gehe in Euer Anerbieten ein, und von diesem Augenblicke an mögt Ihr mich hinstellen, wo Ihr wollt und wo Ihr glaubt, Euch meines Dienstes erfreuen zu können.«

»Ihr seid von nun an der erste nach mir. Morgen früh soll diese Erklärung auf dem Hinterdecke bekannt gemacht werden, und auf den Fall meines Todes – ich müßte mich denn in dem Manne geirrt haben – werdet Ihr mein Nachfolger … Dies kann Euch mit Recht befremden. Die zutrauliche Eröffnung scheint etwas schnell zu kommen, und kommt auch wirklich so, aber unsere Schiffsernennungen sind nicht wie die königlichen, werden nicht in den Hauptstraßen der Hauptstadt mit Trommelschlag angekündigt; und dann – ich müßte denn ein schlechter Kenner und Beurteiler des menschlichen Herzens sein, oder mein offenes, festes Vertrauen in Euch wird seinen Zweck nicht verfehlen und mir das Eurige nebst Eurem Wohlwollen gewinnen.«

»So ist’s!« rief Wilder plötzlich und mit tiefem Nachdruck. Der Freibeuter fuhr lächelnd und mit ruhiger Stimme fort:

»Junge Männer von Euerm Alter pflegen einen großen Teil ihres Herzens auf den Händen zu tragen. Aber trotz der anscheinenden Sympathie unter uns beiden muß ich Euch doch sagen, damit Ihr die gehörige Achtung vor der Behutsamkeit Eures Freundes und Führers bekommt, daß ich Euch schon früher gesehen habe. Ich war von Eurer Absicht mich aufzusuchen, und von Euerm Entschluß Euch mir anzubieten, unterrichtet.«

»Unmöglich,« rief Wilder, »kein menschliches Wesen …«

»Kann sicher sein, daß niemand um seine Geheimnisse wisse,« unterbrach ihn der andere, »wenn es ein so unverhülltes Gesicht trägt als Ihr. Es sind nur vierundzwanzig Stunden her, daß Ihr in Boston waret.«

»Ich geb‘ es zu; aber …«

»Ihr werdet auch das übrige zugeben. Ihr waret zu neugierig, zu eifrig bei Euren Erkundigungen über den Esel, der dort Klage führte, er sei von mir um Schiff und Ladung gebracht worden. Der falschzüngige Bube! Es steht ihm zu wünschen, daß ich ihn nicht auf meinem Wege betreffe, sonst würde ich ihm eine Lehre geben, daß seiner Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe die Augen übergehen sollten! Glaubt er, so ein armseliges Wild, wie er, könne mich veranlassen, auch nur einen Zoll Segel auszusetzen oder ein Boot ins Wasser zu lassen?«

»Ist denn sein Bericht erlogen?« fragte Wilder mit einer Bestürzung, die er nicht einmal zu verbergen versuchte.

»Sein Bericht? Bin ich denn wirklich, was der Ruf aus mir gemacht hat? Schaut mal dem Ungeheuer ins Gesicht, damit Euch keiner seiner Züge entgehe!« entgegnete der Rover, bitter auflachend, und hinter dem spöttischen Lachen das Gefühl des beleidigten Stolzes verbergend. »Wo sind die Hörner und der Pferdefuß? Zieht die Luft ein, Freund! Riecht; ist sie nicht mit Schwefel geschwängert? … Doch genug davon, und wieder auf Euch zurück. Ich wußte um Eure Erkundigungen, und mir gefiel Eure Person. Kurz, ich studierte Euch aus, und ob ich gleich dabei behutsam zu Werke ging, so kam ich Euch doch nahe genug, um einen Entschluß fassen zu können. Ihr gefielt mir, Wilder, und ich hoffe, wir werden gegenseitig miteinander zufrieden sein.«

Der neuangestellte Buccanier neigte sich bei dem Kompliment seines Obern und schien um die Antwort etwas verlegen. Als habe er Lust, den Punkt ganz abzubrechen, bemerkte er etwas hastig:

»Da wir nun unter uns einverstanden sind, so will ich nicht länger beschwerlich fallen, Euch noch für diese Nacht verlassen und mich morgen früh zu meiner Pflicht einstellen.«

»Mich verlassen!« erwiderte der Rover, so plötzlich stillstehend und den andern mit einem Blick durchbohrend. »Es ist nicht Gebrauch bei meinen Offizieren, mich so spät allein zu lassen. Ein Seemann muß sein Schiff liebhaben und nie die Nacht außerhalb zubringen, es sei denn aus Not oder Zwang.«

»Wir müssen uns vor allen Dingen recht verstehen«, versetzte Wilder rasch. »Ist es darauf abgesehen, daß ich Euer Sklave, oder wie einer von den Bolzen niet- und nagelfest am Schiffe sei, und könnt Ihr mich nur auf diesem Fuße brauchen, so ist unser Handel null und nichtig.«

»Hm! Ich bewundere Eure Entschlossenheit mehr als Eure Überlegung. Ihr werdet in mir einen anhängigen Freund finden, einen Freund, der sich ungern von Euch trennt, auch nur auf eine kurze Zeit. Ist hier aus meinem Schiffe nicht genug, was Euch zufriedenstellen kann? Ich rede nicht von dem, was niedrige Seelen, was sinnliche Menschen befriedigt. Ihr habt gelernt, den Wert der Vernunft einzusehen und zu würdigen, und hier sind Bücher, Ihr habt Geschmack, hier ist Eleganz; Ihr seid arm, hier ist Reichtum und Pracht.«

»Dies ist alles so viel als nichts, wo Freiheit fehlt«, erwiderte der andere kaltblütig.

»Und was versteht Ihr unter Freiheit? Ich will nicht hoffen, junger Mann, daß Ihr gesonnen seid, das Vertrauen, das ich Euch eben geschenkt habe, so bald zu verraten? Unsere Bekanntschaft ist blutjung, und ich bin vielleicht zu rasch in meinen Eröffnungen gegen Euch gewesen.«

»Ich muß ans Land,« wiederholte Wilder mit Nachdruck, »wäre es auch nur, um zu erproben, daß Ihr mir trauet und ich nicht Euer Gefangener bin.«

»Darin liegt entweder eine sehr edle Gesinnung oder ein tief angelegter Bubenstreich«, erwiderte der Rover nach einer Minute ernsten Nachsinnens. »Ich will hoffen, das erste. Gebt mir also die Versicherung, daß, während Ihr Euch in Newport aufhalten werdet, keine Seele durch Euch den wahren Charakter dieses Schiffs erfahren soll.«

»Mit einem Eid!« unterbrach ihn Wilder mit Feuer.

»Auf dieses Kreuz,« fuhr der Rover mit sarkastischem Lachen fort, »auf dieses mit Brillanten besetzte Kreuz? … Nein, Sir,« setzte er mit stolz aufgeworfener Lippe hinzu, das Kreuz verächtlich wieder auf die Seite legend, »Eide sind für die, die des Zwanges der Gesetze bedürfen, um ihr gegebenes Versprechen zu halten; ich brauche nichts weiter, als das klare, unzweideutige Wort eines Ehrenmannes.«

»Nun dann, klar und unzweideutig erkläre ich hiermit, daß ich, solange ich noch in Newport verweile, wider Euern Willen, oder ohne Euern Befehl, niemanden den Charakter dieses Schiffs entdecken will. Ja noch mehr …«

»Nichts weiter. Es ist der Klugheit gemäß, mit Euren Beteurungen wirtschaftlich umzugehen und nicht mehr zu versprechen, als was gefordert wird. Es mag vielleicht eine Zeit kommen, wo es Euch helfen kann, ohne mir zu schaden, daß Ihr nicht durch Euer Wort gefesselt seid … In einer Stunde sollt Ihr ans Land gehen; die Zwischenzeit braucht Ihr dazu, Euch mit den Bedingungen Eurer Anstellung bekannt zu machen, und meine Schiffsliste mit Eurem Namen zu beehren … Roderich!« rief er, indem er wieder an den Gong schlug, »Roderich, komm herauf!«

Eben der flinke Bursche, der sich schon einmal gezeigt, fand sich wieder ein, die kleine Treppe im Fluge heraufeilend, und meldete sich durch sein: »Hier bin ich!«

»Roderich,« fuhr der Rover fort, »du siehst hier meinen künftigen Leutnant, deinen künftigen Offizier, und meinen Freund. Wünscht Ihr eine kleine Erfrischung, Sir? Da ist der Roderich; der wird Euch so ziemlich alles geben, was Ihr begehren könnt.«

»Ich danke, Sir; ich bedarf nichts.«

»Nun, so habt die Güte, dem Knaben zu folgen. Er wird Euch in die große Kajüte führen und Euch die geschriebenen Schiffsartikel zustellen. In einer Stunde könnt Ihr den Aufsatz durchgelesen haben, dann bin ich wieder bei Euch. Leuchte besser auf die Leiter, Junge … doch, ich müßte mich sehr irren, oder Ihr könnt der Leiter entbehren, um hinunterzukommen, sonst würde ich ja in diesem Augenblicke schwerlich das Vergnügen haben. Euch bei mir zu sehen.«

Das vielsagende Lächeln des Rover blieb von dem Manne unbeantwortet, dem der Scherz galt, und dem es nicht entging, daß jener schalkhaft den Streich in Erinnerung brachte, den er ihm im Turme gespielt hatte.

Er drückte sein Mißfallen über die unzeitige Erwähnung dadurch aus, daß er sich ernst und schweigend anschickte, dem Knaben zu folgen, der, das Licht in der Hand, die Treppe schon halb hinabgestiegen war.

Der Kapitän trat Wildern mit einem Schritte entgegen, und teils um das Geschehene wieder gutzumachen, teils um zu zeigen, daß es ihm nicht an Takt und seiner Erziehung fehle, sprach er mit Grazie und einiger Raschheit:

»Master Wilder, ich habe Euch noch meine Entschuldigung zu machen, daß ich Euch dort im Turme so unartig und unhöflich verlassen habe. Ich sah Euch zwar schon für den Meinigen an, war aber doch der Sache noch nicht ganz gewiß. Ihr werdet begreifen, wie notwendig es für einen in meiner Lage war, sich damals einen … Begleiter vom Halse zu schaffen.«

Wilder kehrte sich um, zeigte ein Gesicht, worauf sich keine Spur von Mißfallen befand, und winkte ihm zu, nicht weiter davon zu reden. Er selbst sagte:

»Es war mir freilich nicht wohl zumute, als ich mich in dem Mäuseturm wie in einem Gefängnis eingesperrt sah; aber ich sehe vollkommen ein, was Euch so handeln ließ. Ich würde vielleicht das nämliche getan haben, mir zu helfen, wenn ich gerade soviel Geistesgegenwart gehabt hätte.«

»Der Spukgeist, der in der Newportsruine hauset und verkehrt, ist wirklich zu bedauern, denn alle Ratten sind ihm davongelaufen«, sagte der Rover in lustigem Tone, als sein Leutnant dem Vorleuchter folgte. Wilder stimmte abgehend in die Laune des Freibeuters ein und ließ ihn allein.

Siebentes Kapitel.

Siebentes Kapitel.

Der Rover blieb zurück und sah dem Abgehenden nach. Eine Minute stand er da, in der Stellung eines Mannes, der sich zu einem hohen Triumphe Glück wünscht, der über seinen glücklichen Erfolg nicht nur stolz, sondern entzückt ist. Verriet aber auch der lebhafte Ausdruck seines geistreichen Gesichts die innere Freude, so machte sie sich doch durch kein äußeres Zeichen eines wilden Ausbruchs kund. Man hätte allenfalls an ihm das frohe Gefühl bemerken können, daß ihm ein Stein vom Herzen gefallen sei, nicht die eigennützige, gierige Freude über den neuangeworbenen Diener. Ja noch mehr, ein tieferer Menschenkenner würde vielleicht in seinen unsteten Augen, auf seinen zuckenden Lippen den geheimen Vorwurf und eine Art von Reue über den eben errungenen Sieg gelesen haben. Doch diese streitenden Gefühle gingen schnell vorüber, und seine Züge nahmen bald wieder die Lage ein, die er ihnen in den Stunden der Einsamkeit zu geben gewohnt war.

Er ließ dem Knaben die gehörige Zeit, den Fremden an den Ort seiner Bestimmung führen und ihm die Disziplinargesetze einhändigen zu können. Dann schlug er an den Gong, erwartete seine Rückkehr, verfiel aber zugleich in so tiefe Gedanken, daß der Knabe Zeit hatte, heraufzukommen, sich neben ihn zu stellen, sich dreimal zu melden, ehe ihn sein Herr bemerkt hatte. »Roderich!« rief er endlich, »bist du da?«

»Ich bin da«, antwortete der Kleine mit leiser, und wie es schien, kleinlauter Stimme.

»Aha! Du gabst ihm das Regulativ?«

»Ja, Herr.«

»Und er liest es durch?«

»Ja, Herr.«

»’s ist gut. Ich muß den General sprechen – sag’s ihm! Roderich, du bedarfst der Ruhe. Bestell den General zu mir, und dann gute Nacht, gute Nacht, Roderich.«

Der Knabe sprach sein: »Ja, Sir«, aber anstatt schnell abzugehen und mit gewohntem Feuer den Befehl auszurichten, verweilte er noch immer am Stuhle seines Herrn. Als er aber sah, daß der Versuch, ihm ins Auge zu schauen, nicht gelingen wollte, ging er langsam und wider Willen die Stiege nach den unteren Kojen hinab und verschwand.

Wir haben nicht nötig, die zweite Erscheinung des Generals umständlich zu beschreiben. Sie war fast ganz dieselbe, wie bei seinem ersten Auftreten, nur daß er dieses Mal gleich ganz dastand; eine lange, gerade Figur, mit natürlichem Anstand und richtigen Verhältnissen, dabei so ganz militärisch zugestutzt, daß jedes Glied seine einzelne Bewegung verloren hatte, und sich keines regte, ohne daß sich die übrigen wie im Tempo mitregten. Der lebende, eingeübte Gliedermann trat auf, verbeugte sich, ging auf einen Stuhl zu, blieb eine Weile davor stehen, rückte daran, setzte sich darauf und schwieg. Der Rover schien ihn nicht sogleich zu bemerken, begrüßte ihn dann mit einem freundlichen Kopfnicken, ließ sich aber nicht im Nachsinnen stören, so wenig brachte ihn die Erscheinung aus seinem wachen Traum. Endlich, nachdem er die Audienz mit seinen Gedanken aufgehoben hatte, gab er dem Manne Gehör und redete ihn an:

»General, der Feldzug ist noch nicht geschlossen.«

»Was bleibt übrig? Das Schlachtfeld ist behauptet, der Feind gefangen.«

»Ei, Ihr habt das Eure getan und gesiegt. Ich aber bin noch nicht fertig. Habt Ihr den jungen Mann in der großen Kajüte gesehen?«

»Ja.«

»Wie findet Ihr ihn? Sein Äußeres? …«

»Seemännisch.«

»Das will soviel sagen als, er gefällt Euch nicht.«

»Ich liebe das Militärische.«

»Ich müßte mich sehr irren, oder Ihr werdet ihn auf dem Hinterdeck nach Euerm Geschmack finden. Doch, das beiseite! Ich habe Euch um eine Gefälligkeit zu bitten.«

»Um eine Gefälligkeit? Es ist spät.«

»Sagte ich Gefälligkeit? Es ist eine Dienstsache.«

»Ich warte auf Order.«

»Es muß behutsam zu Werke gegangen werden; denn wie Ihr wißt …«

»Ich warte auf Order«, wiederholte der andere lakonisch.

Der Freibeuter zog den Mund zusammen; ein Lächeln wollte sich von seinen Lippen schleichen, er verbiß es aber, und halb mit freundlicher, halb mit befehlender Miene fuhr er fort:

»Ihr werdet zwei Matrosen in einem Boot hart am Schiffe finden; der eine ist weiß, der andere schwarz. Beide müßt Ihr auf das Schiff bringen, in eine der Vorderkojen; da müßt Ihr sorgen, daß sie über und über betrunken werden.«

»Soll geschehen!« erwiderte der Mann mit dem Generalstitel, stand auf und ging mit langen Schritten der Tür zu.

»Noch einen Augenblick!« rief der Rover. »Wessen wollt Ihr Euch dabei bedienen?«

»Nightingale ist der Mann, einen unter den Tisch zu trinken.«

» Der hat heute schon seine Ladung weg. Ich schickte ihn diesen Morgen ans Land, um zu sehen, ob er ein paar dienstlose Leute für das Schiff werben könnte. Dort fand ich ihn in einer Taverne, mit schwerer Zunge lallend und wie ein Advokat deklamierend, der sich von beiden Parteien hat bezahlen lassen. Überdies geriet er mit einem der beiden im Boote in Streit, und es wäre leicht möglich, daß sie wieder anbänden und sich die Gläser an den Kopf schmissen.«

»Nu, so will ich’s selbst übernehmen. Ohnehin wartet meine Schlafmütze auf mich, und ich habe weiter nichts zu tun, als sie etwas fester zu schnüren.«

Der Rover schien mit dem Anerbieten zufrieden und gab seinen Beifall mit vertraulichem Kopfnicken zu erkennen. Nun wollte der Krieger abgehen, wurde aber zum zweiten Male aufgehalten.

»Noch eines, General! Da ist Euer Gefangener …«

»Soll ich ihn auch betrunken machen?«

»Bewahre! Laßt ihn herbringen.«

»Gut«, sagte der General und ging.

»Es wäre unbesonnen von mir,« dachte der Freibeuter, die Kajüte wieder auf und ab gehend, »wenn ich einem offenen Gefühl und einem jugendlichen Enthusiasmus zu sehr vertraute. Ich müßte mich sehr irren, wenn der junge Mann nicht Gründe hätte, mit der Welt unzufrieden zu sein, und sich nicht in der Absicht einschiffte, irgendeinen Roman zu spielen. Mich von ihm betrügen lassen, könnte schlimme Folgen haben; und auf jeden Fall kann man nicht behutsam genug zu Werke gehen. Er ist mit den beiden Matrosen genau bekannt und eng verbunden. Ich muß tiefer in seine Geschichte eindringen. Das alles muß mir mit der Zeit klar werden. Ich behalte fürs erste die beiden als Bürgen für seine Rückkehr und seine Treue. – Kommt es heraus, daß er ein Betrüger ist – ei nun! Die beiden Männer sind ja ein Paar Schiffer, und wieviel ihresgleichen sind schon im wilden Seedienst daraufgegangen! Ja, so ist’s am besten; und überdies kann der junge Mann keinen angelegten Plan von meiner Seite ahnen, wenn er es selbst, wie ich hoffe und wünsche, ehrlich meint.«

So, oder ungefähr so, dachte der Rover über diese Angelegenheit, und beschäftigte sich damit einige Minuten nach dem Abgange des Generals. Seine Lippen bewegten sich beim Denken; bald lächelte er, bald war sein Blick ernster und finster, während seine Züge zu sprechen schienen. Alles an ihm gab Zeugnis, daß sein Geist tief und heftig arbeitete. So wie er abwechselnd dachte, so wechselten auch Gang und Schritt und Gebärde; sie waren bald schneller, bald langsamer, bald exzentrischer. Plötzlich aber und mit einem Male hielt er inne, als sich ihm gegenüber eine Gestalt zeigte, oder vielmehr eine Erscheinung.

Denn indessen er sich allein glaubte und sich ganz sich selbst überließ, waren zwei handfeste Matrosen eingetreten, hatten sich, nachdem sie ein menschliches Wesen hereingetragen und abgesetzt, in aller Stille wegbegeben. Vor dieser Masse stand nun der Rover. Das Staunen war gegenseitig und wurde lange von keinem Teil unterbrochen. Befremden und Unentschlossenheit hielten den Rover stumm; Bestürzung und Schrecken schienen alle Leibes- und Seelenkräfte des andern zugleich versteinert zu haben. Endlich ermannte sich jener, rief ein erkünsteltes Lächeln zu Hilfe, nahm eine ruhigere Miene an und rief aus:

»Sir Hektor Homespun, seid mir willkommen.«

Der außer sich gesetzte Schneider – denn es war kein anderer, als das schwatzhafte Männchen, das in die Netze des grünen Mannes gefallen war – rollte sein Augenpaar von der Rechten zur Linken, ließ es auf das Gemisch der Eleganz eines Prunkzimmers und der Kriegsgeräte eines Zeughauses umherschweifen, von denen es aber immer wieder auf die vor ihm stehende Gestalt zurückfiel und sie zu verschlingen schien.

»Ich heiße Euch nochmals willkommen, Sir Hektor Homespun!« sagte der Rover.

»Der Herr sei den Sünden eines miserabeln Vaters von sieben kleinen Würmern gnädig!« heulte der Schneider. »Ach Gott! Ach Gott! Tapferer Pirat, was kann ein armer Handwerksmann, wenn er auch von morgens früh bis abends spät aufsitzt, durch sein bißchen Arbeit und seinen sauern Schweiß erschwingen?«

»Ei, was sind das für schlechte Redensarten im Munde eines Ritters, Sir Hektor!« unterbrach ihn der Rover, griff nach der kleinen Reitgerte, die zufällig auf dem Tisch lag und klopfte damit wie ein zweiter Merlin dem »verwunschenen Schneider« auf die Schulter, um ihn zu entzaubern. »Munter, du ehrlicher, loyaler Untertan; Fortuna hat endlich aufgehört, dir zu schmollen! Noch vor kurzem, vor wenigen Stunden, beschwertest du dich, daß dir keine einzige Jacke von diesem Schiffe zukäme; jetzt bist du auf dem Wege, die ganze Kundschaft zu erhalten.«

»Ach, ehrwürdigster, großmütigster Herr Seeräuber,« versetzte Homespun, dessen Redseligkeit mit seiner Besinnung zurückgekehrt war, »ich bin ein ganz verarmter, zugrunde gerichteter Mann. Mein Leben ist eine Folge von schweren Leiden und harten Prüfungen. Fünf blutige, grausame Kriege …«

»Genug. Ihr habt’s gehört. Das Glück fängt an Euch zu lächeln. Kleider sind Leuten unseres Gewerbes ebenso nötig als dem Pfarrherrn Eurer Stadt. Ihr sollt ohne bare Bezahlung keine Naht bügeln. Seht!« setzte der Rover hinzu, auf die Feder eines geheimen Schiebfachs drückend, das aufsprang und einen großen, gemischten Haufen Goldes von fast allen Geprägen der Christenheit zeigte, »wir sind imstande, treue Dienste zu bezahlen.«

Dieser Anblick des glänzenden Goldberges, der bei weitem alles überstieg, nicht nur was dem Schneider bisher von Schätzen vorerzählt worden war, sondern was sich seine eigene Einbildungskraft nur denken konnte, verfehlte seine Wirkung auf die Sinne und Empfindungen des guten Mannes nicht. Seine Augen wühlten in dem Goldklumpen, solange es dem Rover gefiel, ihm den Schmaus zu gönnen; als dieser ihn aber bald nachher seinen Blicken entzog, fragte er den beneideten Besitzer so großer Reichtümer mit einem Tone, der in eben dem Grade vertraulicher und zuversichtlicher wurde, als sich sein Inneres durch die Entdeckung dieser Goldgrube gestärkt und ermutigt fühlte:

»Und was hab‘ ich zu tun, mächtiger Seeherr, um an diesem Peru einen kleinen Anteil zu bekommen?«

»Was Euresgleichen täglich zu Lande tun – zuschneiden, nähen, bügeln, Kleider machen. Vielleicht werdet Ihr auch bei mir Gelegenheit finden, von Zeit zu Zeit an Maskenanzügen Euer Talent zu versuchen.«

»Masken und Larven sind gesetz- und religionswidrige Erfindungen des leidigen Satans, um die Menschen zu Sünden und weltlichen Greueln zu verleiten. Aber, würdigster Seeheld, da ist noch meine trostlose – bald hätte ich gesagt, Witwe – meine Desideria; das gute Weib ist zwar weit in Jahren vorgerückt und eine Widerbellerin, eine Zunge, wie’s keine gibt; aber doch bei dem allen ist sie meine eheliche, gesetzliche Hälfte und die Mutter meiner zahlreichen Kinder.«

»Sie soll keinen Mangel leiden. Mein Schiff ist überhaupt ein Asyl für unglückliche Ehemänner. Ihr alle, denen es an Herz und Kraft gebricht, zu Hause das Kommando zu führen, kommt in mein Schiff, als zu einem Zufluchtsorte! Du wirst der siebente sein, der seine verlorene Hausruhe in diesem Heiligtume wiedergefunden hat. – Die andern sechse sind glücklich; ihre Familien sind durch Mittel geborgen, die mir am besten bekannt sind. Beide Teile sind zufrieden, und dies ist nicht die kleinste meiner wohltätigen Handlungen.«

»O wie preiswürdig und gerecht, hochverehrter Herr Kapitän! Ich hoffe, meine Desideria und ihre Kindlein sollen nicht vergessen werden. Der Arbeiter ist seines Lohnes wert; und sollte es sich ereignen, daß ich in Euren Diensten abmagern – wie soll ich sagen? – in Zwang und Not mich placken und arbeiten muß, so hoffe ich, edelster Sir, Eure Freigebigkeit wird dafür Weib und Kinder mästen und fett machen.«

»Ihr habt mein Wort; es soll ihnen an nichts fehlen.«

»Vielleicht, allverehrtester Herr Freibeuter, ließe sich von diesem Goldberge etwas zu einem Vorschuß für mein geängstetes Weib trennen, damit sie sich nicht zu sehr über meinen Verlust gräme und ihn desto leichter ertrüge. Ich bin so ziemlich mit dem Temperament meiner Desideria vertraut und weiß sicherlich, daß, solange sie sich mit dem Gedanken an Mangel und Not quälen wird, kein Augenblick Ruhe in ganz Newport zu erwarten ist. Nun aber, da der Himmel so gnädig ist, mir etwas Ruhe zu gönnen, so ist ja der Wunsch, daß sie von Dauer sein möge, gewiß keine Sünde.«

Obschon der Rover keinen Grund hatte, wie sein Gefangener, zu fürchten, daß die Stimme der Frau Desideria den Frieden und die Harmonie des Schiffes stören möchte, so war er doch gerade einmal in dieser Stunde zur Gefälligkeit gestimmt, drückte wieder an die Feder, nahm eine Handvoll Gold aus der Lade, hielt sie Homespun hin und sagte:

»Wollt Ihr Handgeld nehmen und mir Treue schwören, so ist das Gold Euer.«

»Der Herr führe mich nicht in Versuchung, sondern erlöse mich vom Bösen!« schrie der erschrockene Schneider und sprach dann weiter: »Heldenmütiger Rover, ich habe Furcht vor dem Gesetze. Sollte Böses über Euch kommen, in der Gestalt eines königlichen Kreuzers, oder ein Sturm Euch auf den Strand jagen, so dürfte ich Gefahr laufen, mit Eurer Mannschaft einerlei Schicksal zu haben. Es würde leicht heißen: mitgefangen, mitgeh … Die kleine Dienste, die ich Euch aus Zwang geleistet hätte, würde man wahrscheinlich übersehen … dagegen, großmütiger, würdiger, vortrefflicher Kommandeur, darf ich wohl hoffen, daß Ihr sie nicht vergessen werdet, so oft sich Gelegenheit zeigen wird, Euern rechtschaffenen Erwerb mit mir zu teilen?«

»Das nenn‘ ich mir, was man bei Schneidern den Abfall nennt, oder ein Mäntelchen umhängen. Die Katze läßt vom Mausen nicht, der Schneider nicht vom Stehlen«, murmelte der Rover für sich, drehte sich um den Hacken und klopfte an den Gong mit einer Gewalt, daß der Schall durch jede Ritze des Schiffes drang. Vier bis fünf Köpfe zeigten sich durch ebensoviel Öffnungen; es wurde gefragt, was der Kapitän befehle?

»Bringt ihn in seine Hängematte!« war die schnelle Antwort.

Der gute Homespun, der aus Furcht oder Verstellung außerstande schien, sich zu rühren, wurde von rüstigen Armen in die Höhe gehoben, um in die Schanze transportiert zu werden.

Schon waren sie mit ihm halb zur Türe hinaus, als er rief: »Halt! Ich habe noch ein Wort zu sagen. Achtbarer, loyaler Rebell, ich nehme zwar eigentlich keine Dienste bei Euch, indessen weise ich sie keineswegs auf eine unziemende, beleidigende Weise von mir. Ich widerstehe nur einer gefährlichen Versuchung und möchte gern mit allen Fingerspitzen danach greifen, wenn sie nur nicht gar zu gefährlich wäre. Laßt uns einen Vertrag miteinander schließen, worunter kein Teil leiden soll, und womit hoffentlich beide Teile zufrieden sein werden; denn mein sehnlichster Wunsch ist, mächtiger Commodore, einen ehrlichen Namen mit mir ins Grab zu nehmen; ferner ist es auch mein sehnlichster Wunsch, bis an das Ende der mir von Gott bestimmten Tage – zu leben, das ist, eines natürlichen Todes zu sterben, denn, da ich mit Ehren, bei gutem Ruf und ohne Wunde durch fünf blutige, grausame Kriege …«

Hier wurde er mir Heftigkeit unterbrochen. »Fort mit ihm!«

Und verschwunden war mit einem Male und wie durch Zauber Homespun. Keine Spur von ihm; der Rover wieder allein und seinen Betrachtungen überlassen. Es rührte sich kein Fuß, es erfolgte kein Laut. Im ganzen Schiffe kein hörbarer Atemzug, überall die Stille des Grabes; eine Folge der strengen Seedisziplin. Alles im Schiffe still und stumm, wie in einer einsamen Kirche, die wilde, ungezügelte Mannschaft wie in eine Wüste gebannt, selbst die notwendigsten Diensttöne leise und erstickt, wie abgestorben. Ab und zu gröhlte ein unmusikalischer Bruder Lustig im Bauche des Schiffs ein paar Strophen aus einem Schifferliedchen, die den Waldhornklängen eines Anfängers nicht unähnlich waren; aber auch diese Harmonie nahm ab und verhallte endlich ganz. Aber jetzt raschelte, bei der allgemeinen Stille, eine Hand an der Türklinke der Kajüte. Der Rover blickte auf und der General trat ein, um zu rapportieren.

In seinem Gange, seinen Augen, seinem Wesen zeigte sich etwas, das zugleich zu erkennen gab, daß er seinen letzten Auftrag zwar erfüllt habe, dabei aber für seine Person nicht ganz leer ausgegangen sei. Was er die beiden machen sollte, war er zum Teil selbst geworden – berauscht. Der Rover, der beim Eintreten seines Freundes ein wenig aufgeschreckt und vom Stuhl aufgesprungen war, ließ ihn erzählen.

»Der Weiße ist soweit, daß er nicht mal liegen kann, ohne sich an dem Mast zu halten; aber der Neger ist entweder ein Gauner, oder sein Kopf ist ein Kiesel.«

»Ich will nicht hoffen, daß Ihr zu früh von ihm abgelassen habt?«

»Ich? von ihm ablassen? Eher hätte ich ein ganzes Gebirge eingeschossen! Nein, ich nahm meinen Abzug keine Minute zu früh. Alles ist … wie es sein soll.«

Der Rover heftete bei den Worten, »wie es sein soll«, seinen Blick auf den General, um seiner Sache gewiß zu sein, ob alles auch wirklich so sei. Nachdem er den Zustand des Mannes genau untersucht, begnügte er sich zu sagen:

»Gut; wir wollen uns schlafen legen.«

Bei diesen Worten rückte der General seine lange Person bedächtig in die Höhe, kehrte sich um und brachte sein Gesicht mit der Lukentreppe, so gut es sich tun ließ, in eine Linie. Dann ermannte er sich mit einem Male desperat, und versuchte mit gewohntem militärischem Schritt und gerader Haltung einherzuschreiten. Er machte zwar im Gehen ein paar kleine Abweichungen von der kürzesten Linie, was der Kapitän nicht zu bemerken schien, schlug ein paarmal ein Bein übers andere und segelte dann, seiner Meinung nach, schnurgerade, ohne zu stolpern, der Stiege zu; nur war der moralische Mensch in ihm nicht ganz imstande, die kleinen Unregelmäßigkeiten und Krümmungen seines physischen Mitmenschen richtig zu beurteilen. Der Rover sah nach seiner Uhr, und als er vermuten konnte, daß er dem General so viel Zeit gelassen, als nötig, mit seinem »festen, abgemessenen« Schritt sein Ziel zu erreichen, machte er sich selbst auf den Weg und stieg die Treppe hinab.

Die unteren Kajüten des Schiffes waren zwar nicht so elegant möbliert, aber doch so eingerichtet, daß es ihnen weder an Reinlichkeit noch an Bequemlichkeit fehlte. – Ein paar Kojen für die Aufwärter nahmen das äußerste Ende ein und standen mit dem Speisezimmer der Offiziere zweiten Ranges, aber wie man es nach Schiffsgebrauch zu nennen pflegt, der großen untern Schanzenkajüte, in Verbindung. Auf beiden Seiten lagen die sogenannten Staatskajüten, ein imposanter Name für die Schlafkammern derer, denen die Ehre zuteil wird, die Schanze zu betreten. Weiter vorwärts, und an die große Kajüte anstoßend, lag das Zimmer für die untersten Offiziere, und diesem gerade gegenüber war die kleine Wohnung des langen Generals, die eine Art von Scheidewand zwischen der gemeinen Mannschaft und ihrem Vorgesetzten ausmachte.

Diese Einrichtung der verschiedenen Abteilungen wich nur von der ab, die auf Kriegsschiffen von der Größe und Dimension des hier beschriebenen stattfand; nur war es dem scharfen Blick Wilders nicht entgangen, daß die Querwand, die die Kajüten und Offizierzimmer von der übrigen Mannschaft trennte, weil stärker und fester gebaut war, als gewöhnlich, und daß eine kleine Haubitze bereit stand, ein Wort mit zu sprechen, wenn sich, wie sich ein Arzt ausdrücken würde, eine kleine innerliche Unordnung einstellen sollte. Die Türen waren ebenfalls von ungewöhnlicher Dicke, und die Mittel, sie zu verrammeln, glichen mehr der Vorkehrung zu einer Belagerung, als den gewöhnlichen Maßregeln gegen Zimmereinbruch. – Musketen, Doppelhaken, Pistolen, Säbel, Halbpiken usw. waren an Deckbalken und Scherschocken befestigt, und dienten nur scheinbar zur Verzierung der Schanze, denn ihre Anzahl war so bedeutend, daß man es beim ersten Blick weg hatte, sie seien zum Gebrauch, keineswegs zur Ausschmückung da. Dem Auge des Seemanns verriet die ganze Einrichtung einen Zustand der Dinge, wobei es von seiten der Oberen abgesehen war, sich gegen die Versuche von Insubordination und Gewalt sicherzustellen, mit dem Übergewicht ihres Ansehens jedes Verteidigungsmittel zu verbinden, und durch Wachsamkeit und Vorsichtsmaßregeln das zu ersetzen, was ihnen, im Verhältnis mit dem größern Haufen, an physischer Kraft abging.

Im größten der unteren Zimmer, in der Schanzenkajüte, fand der rote Freibeuter seinen neuen Leutnant, anscheinend beschäftigt, das Dienstreglement des Schiffs durchzulesen, womit er sich bekannt machen sollte. Wilder saß in einem Winkel, im Lesen vertieft, als ihn der Rover anredete:

»Ich will hoffen, Master Wilder, Ihr findet unsere Gesetze hinreichend fest und bestimmt.«

»Mangel an Festigkeit und Bestimmtheit ist gewiß kein Vorwurf, den man ihnen machen kann«, erwiderte dieser, indem er aufstand und den Kapitän grüßte. »Und wenn bei ihrer Anwendung ebenso fest und bestimmt zu Werke gegangen werden kann, so ist alles, wie es sein soll. Ich wenigstens habe niemals so strenge Regeln gefunden, selbst nicht in …«

»In? Worin, Sir?« fragte der Rover, als er merkte, daß sein Kompagnon stockte.

»Ich wollte sagen … selbst in Sr. Majestät Diensten«, versetzte Wilder, leicht errötend. »Ich weiß übrigens nicht, ob es ein Unrecht oder eine Empfehlung ist, auf einem königlichen Schiffe gedient zu haben.«

»Das letzte; und ich muß dies um so mehr denken, da ich selbst mein Handwerk in einem solchen Dienste gelernt habe.«

»Auf welchem Schiff?« unterbrach ihn Wilder mit Feuer.

»Auf mehreren«, war die kalte Antwort. »Doch, Ihr findet unsere Vorschriften streng. Ihr werdet bald einsehen lernen, daß in einem Dienste, wo es weder Gerichtshöfe, zu Lande gibt, um uns zu beschützen, noch Kreuzer zur See, um unser Wohl wahrzunehmen, nichts übrig bleibt, als dem Kommandeur eine große Portion Gewalt einzuräumen. Ihr seht, mein Ansehen ist ein gut Teil ausgedehnt.«

»Sagt lieber, unbeschränkt«, erwiderte Wilder mir einem Lächeln, das für ironisch hätte gelten können.

»Ich will nicht hoffen, daß Ihr je Anlaß finden werdet, zu sagen, daß ich es willkürlich ausübe«, entgegnete der Rover, ohne dies Lächeln bemerkt zu haben, oder vielleicht sich das Ansehen gebend, als hätte er es nicht bemerkt. »Doch, die Stunde ist abgelaufen; Eure Zeit ist da, Ihr habt die Freiheit, ans Land zu gehen.«

Der junge Mann verneigte sich dankbar und schien bereit. Als beide wieder oben in der Kajüte waren, drückte der Kapitän sein Bedauern aus, daß die späte Stunde und die Notwendigkeit, das Inkognito seines Schiffes beizubehalten, ihm nicht erlaubten, einen Offizier von seinem Range aus die seiner Ehre zukommende Weise ans Land zu schicken.

»Doch,« setzte er hinzu, »da liegt ja immer noch das Boot, woraus Ihr angekommen seid, dem Schiffe zur Seite; Eure beiden kräftigen Begleiter werden Euch bald hingerutscht haben. Apropos, die beiden Leute sind doch mit in unsern Vertrag einbegriffen?«

»Sie haben mich seit meiner Kindheit nicht verlassen, und würden es gewiß auch jetzt nicht tun wollen.«

»Es ist bei alledem ein besonderes Band, das zwei Männer wie sie mit einem Manne wie Ihr zusammenbringt, der an Erziehung und Sittlichkeit so sehr von ihnen abweicht.« Bei dieser Bemerkung sah der Rover dem andern dreist ins Gesicht, zog aber den Blick sogleich wieder ab, als jener zu bemerken schien, wieviel ihm an seiner Antwort gelegen war.

»Ihr habt recht,« erwiderte Wilder mit Ruhe, »doch bei Seeleuten ist der Unterschied nicht so groß, als man’s wohl anfangs glauben sollte. Ich will jetzt zu ihnen und auf die Art und Weise denken, wie ich es ihnen beibringe, daß ich gesonnen bin, in Eure Dienste zu treten.«

Der Rover entließ ihn nun und folgte ihm auf die Schanze mit langsamen, nachlässigen Schritten, als sei es ihm nur um die frische Nachtluft zu tun.

Das Wetter hatte sich nicht geändert; der Himmel war trübe, aber die Luft mild. Auf dem Verdeck herrschte immer noch die vorige Stille, und mit einer einzigen Ausnahme ließ sich keine Menschengestalt unter all den dunkeln Massen sehen, die Wilder schon früher bemerkt hatte und für notwendige Schiffsbedürfnisse zu halten schien. Jene Ausnahme war eben die Person, die den jungen Abenteurer bei seinem ersten Eintritt in Empfang genommen hatte, und die jetzt wie vorher in den Nachtmantel gehüllt, das Verdeck auf und ab ging. Wilder wendete sich wieder an sie, und machte sie mit seinem Vorhaben, das Schiff zu verlassen, bekannt. Der eingehüllte Mann hörte die Mitteilung mit Zeichen der Ehrerbietung an, die Wildern deutlich zu erkennen gaben, seine Anstellung und sein Rang sei kein Geheimnis, und er selbst nur dem einzigen Rover im Ansehen untergeordnet.

»Ihr wißt, Sir,« war die höfliche, aber feste Antwort, »daß ohne Befehl des Kapitäns niemand zu dieser Stunde das Schiff verlassen darf.«

»So vermute ich: allein ich habe diesen Befehl und teile ihn Euch mit. Ich soll auf meinem eigenen Boote landen.«

Der andere hatte schon die Gestalt erblickt und sie für die des Kapitäns erkannt; sie stand nahe genug, das Gespräch mitanhören zu können. Er wartete ein Weilchen, ob sie reden würde: als sie aber schwieg und kein Zeichen gab, so hielt er es für eine Einwilligung und zeigte Wildern die Stelle, wo das Boot lag.

Dieser, im Begriff hinabzusteigen, trat verwundert ein paar Schritte zurück und rief aus:

»Die Männer haben das Boot verlassen! Wo sind die Schufte hin?«

»Sir, sie sind nicht fort und sind keine Schufte. Sie sind im Schiffe und müssen aufgefunden werden.«

Zugleich mit dieser entschiedenen Antwort wartete er ab, wie sie von der Gestalt, die sich noch immer in der nämlichen Entfernung im Schatten des Mastes hielt, aufgenommen werden würde. Als wieder kein Zeichen und keine Bewegung von dort erfolgte, so hielt er dies Zeichen für einen Befehl zu gehorchen, erbot sich, demzufolge, die Leute aufzusuchen, fing das Visitieren mit dem vordern Teile des Schiffes an, und ließ Wildern – wie dieser es wenigstens glaubte – im alleinigen Besitz der Schanze. Doch blieb er nicht lange in dem Wahn, denn als der Rover merkte, daß sein neuer Leutnant das Verdeck mir starken Schritten auf und nieder ging und anfing, sich seinen Grillen auf eine unangenehme Weise zu überlassen, schlenderte er an ihn heran, das Gespräch auf das Schiff lenkend, um ihnen eine andere Richtung zu geben.

»Ein treffliches Seeboot, Master Wilder, nicht wahr? Ein Schiffchen, das niemals einen Tropfen Flugwasser hinter seinem großen Mast schäumen läßt. Es ist gerade solch ein Gefäß, wie es der Seemann liebt und lobt: stark gebaut, leicht in der Takelage, beweglich in der Welle. Ich nenne es ›der Delphin‹, weil es wie der Delphin die Fluten durchschneidet; vielleicht auch, werdet Ihr sagen, oder wenigstens denken, weil es wie der Delphin vielfarbig ist. – Nun, Ihr wißt ja, das Matrosenvolk muß einen Namen für das Schiff haben, und ich kann nun mal Eure Mord- und Brandbenennungen, Eure Feuerspeier oder Blutige Mörder für den Tod nicht ausstehen.«

»Ihr habt von Glück zu sagen, solch ein Schiff zu besitzen. Habt Ihr es selbst bauen lassen?«

»Die meisten Schiffe unter sechshundert Tonnen, die aus den Häfen der Kolonien segeln, sind für mich gebaut«, entgegnete der Rover mit Lächeln; er wollte, wie es schien, seinem Neugeworbenen Mut und Lust machen, indem er ihm die Vorteile und Goldminen ihrer Verbindung vor Augen legte. »Dieses Schiff,« fuhr er fort, »ist ursprünglich für Se. allergläubigste Majestät gezimmert worden, und, wie mich dünkt, bestimmt, entweder ein Geschenk oder eine Geißel für Algier zu sein; allein … allein, es hat, wie Ihr seht, den Eigner gewechselt, und ist von seiner ersten Bestimmung etwas abgewichen; wie? und warum? ist eine Kleinigkeit, um die wir uns in diesem Augenblick nicht kümmern. Ich hab’s in den Hafen gezogen, habe einige Verbesserungen damit vorgenommen, und jetzt ist es zu einer langen … Tour bestimmt und eingerichtet.«

»Wagt Ihr Euch bisweilen innerhalb der Forts?«

Des Rovers Antwort war ausweichend. »Ich will Euch mein Privattagebuch mitteilen; da werdet Ihr, bei Muße, manches Interessante finden … Nicht wahr, Herr Wilder, mein Schiff ist so beschaffen, daß sich kein Seemann dessen schämen darf?«

»Im Gegenteil, Sir. Eben das schöne, nette Aussehen zog mein Auge und meine Aufmerksamkeit auf sich und bewog mich, es näher kennen zu lernen.«

»Ihr machtet schnell die Entdeckung, daß es nur an einem Anker lag«, erwiderte der Rover lachend. »Aber ich wage nichts ohne Grund, nicht einmal den Verlust meines Ankertaues. Es würde mir zwar ein kleines sein, bei den tüchtigen Batterien des Schiffs jedes Fort zum Schweigen zu bringen, aber es könnte sich doch unversehens ein Zufall ereignen, und deswegen will ich alles zu einer schnellen Abfahrt bereit haben.«

»Es muß doch bei alledem unangenehm sein, sich in Gefechte einzulassen, wo man im äußersten Fall seine Flagge nicht streichen darf«, sagte Wilder halblaut und mehr zu sich selbst, als zum andern.

»Geht’s nicht so, so geht’s so«, war die lakonische Antwort. »Und dann, im Vertrauen zu Euch gesprochen, ich halte, meinem Grundsatze getreu, gewaltig viel auf meine Spieren. – Ich lasse sie täglich untersuchen, wie die Hufe eines Pferdes; denn es trifft oft der Fall ein, daß Tapferkeit der Klugheit weichen muß.«

»Und wie und wo bessert Ihr Euch aus, wenn das Schiff im Sturm oder im Gefecht gelitten hat?«

»Hm! wir finden Mittel, und halten bis dahin die See, wie und so lange wir können.«

Er schwieg, und Wilder schwieg ebenfalls, als er sah, daß sich jener ihm nicht ganz entdecken wollte. Während der Pause kam der Offizier zurück, brachte aber nur einen mit sich, den Schwarzen. Ein paar Worte waren hinreichend, über den Zustand, worin Fid angetroffen worden, Auskunft zu geben. Dem jungen Mann war es anzusehen, daß er nicht nur zur Unzeit aufgehalten, sondern tief gekränkt war. Er ahnte aber so wenig List und Betrug bei der Sache, daß er es für Pflicht hielt, den Rover wegen des Umstandes um Verzeihung zu bitten, um den Mann, so gut sich’s tun ließ, zu entschuldigen. Die Art, wie er es tat, war so offen und aufrichtig, daß sich nicht der geringste Argwohn verriet, als habe sonst jemand, als Fid selbst, dazu beigetragen, ihn in diese unwürdige Lage zu versetzen.

»Ihr wißt,« sagte Wilder, »wie das Schiffsvolk ist: Ihr kennt es zu gut, um meinem Manne sein Vergehen als ein Verbrechen auszulegen, das Euern Haß verdient. Kein besserer Seemann lag je auf einer Rahe und bestieg eine Strickleiter, als Richard Fid; aber leider muß ich zugeben, daß er sich vergißt und in guter Gesellschaft des Guten zuviel tut.«

»Ihr könnt von Glück sagen, wenigstens noch einen zu haben, der Euch an den Strand rudern kann«, warf der Rover nachlässig hin.

»Das kleine Geschäft kann ich ganz allein besorgen; überdies möchte ich nicht gern die beiden voneinander trennen. Mit Eurer Erlaubnis wird der Schwarze wohl diese Nacht im Schiffe beherbergt werden können.

»Wie es Euch beliebt. An ledigen Hängematten fehlt es uns seit dem letzten Strauße nicht.«

Wilder ließ hierauf den Neger zu seinem Kameraden zurückgehen, um so lange über ihn zu wachen, als er selbst abwesend sein würde. Der Schwarze, in dessen eigenem Kopf es nichts weniger als klar war, versprach alles. Hierauf nahm der junge Mann Abschied und stieg in das Boot. Während er mit kräftigem Arme vom dunkeln Schiffe abstieß, waren seine Augen mit wahrem Seemannsvergnügen über das schöne, nette Gebäude, erst auf die Kardeelen, dann auf den Rumpf geheftet. Eine leichtgliedrige, zusammengeduckte Gestalt war am Fuße des Bugspriets sichtbar, und schien auf seine Bewegungen achtzugeben. Der Himmel war bewölkt, das Sternenlicht schien trübe durch das Gewölk; gleichwohl entging es seinen scharfen Blicken nicht, daß die Person, die so vielen Anteil an ihm und seiner Abfahrt nahm, niemand anders war, als der rote Freibeuter selbst.

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Wohl hätte man den »Delphin« während jener Augenblicke trügerischer Stille mit einem schlafenden Raubtiere vergleichen können. Aber gleichwie der Ruhezeit der Geschöpfe aus der Tierwelt von der Natur gewisse Grenzen gesetzt sind, so war auch, allem Anscheine nach, die Untätigkeit der Piraten nicht bestimmt, von anhaltender Dauer zu sein. Mit der Morgensonne blies ein frischer, Landgeruch mit sich führender Wind über das Wasser und setzte das träge Schiff abermals in Bewegung. – Mit breiter, längs allen Segelbäumen ausgespannter Leinwandfläche war sein Lauf diesen ganzen Tag hindurch südwärts gerichtet. Wachen folgten Wachen, Nächte Tagen, immer eine und dieselbe Richtung. Dann hoben sich die blauen Inseln, eine nach der andern, über die Meeresflächen empor. Die Gefangenen des Rover, denn für solche mußten die Damen sich nun halten, beobachteten schweigsam jeden grünen Hügel, bei dem das Fahrzeug vorbeiglitt, jede kahle, sandige Kaje, jeden Abhang, bis sie, nach der Berechnung der Gouvernante, schon mitten im westlichen Archipelagus steuerten.

Während dieser ganzen Zeit fiel keine Frage vor, die auch nur auf die entfernteste Weise dem Rover verraten konnte, daß seine Gäste recht wohl wüßten, er führe sie nicht in den versprochenen Hafen des Festlandes. Gertraud weinte bei dem Gedanken an den Schmerz ihres Vaters, der auf die Nachricht von dem verunglückten Bristoler Kauffahrteischiffe notwendig vermuten mußte, ihr sei ein gleiches Schicksal zuteil geworden; doch flossen ihre Tränen nur heimlich, oder an dem mitfühlenden Busen ihrer Erzieherin. Wildern vermied sie, denn sie hatte nun das bis zur Anschauung klare Bewußtsein, daß er nicht das sei, wofür sie ihn gehalten; gegen alle übrigen im Schiffe aber bemühte sie sich, in Blick und Mienen stets gleich heiter zu erscheinen. In diesem Benehmen, das freilich weit ratsamer war, als ohnmächtige Bitten, ward sie von ihrer Gouvernante kräftig unterstützt, deren Menschenkenntnis sie gelehrt hatte, daß die Tugend in Zeiten der Not am meisten Achtung gebiete, wenn sie es versteht, ihren Gleichmut zu behaupten. Auf der anderen Seite suchte weder der Befehlshaber des Schiffes, noch sein Leutnant ferneren Umgang mit den Bewohnerinnen der Hauptkajüte, als die Gesetze der Höflichkeit durchaus nötig machten.

Der Freibeuter, dem es bereits leid tat, daß er die Launen und Kapricen seines Gemüts so bloßgestellt hatte, zog sich allmählich in sich selbst zurück, indem er Vertraulichkeit bei keinem suchte und von keinem zuließ; während Wilder zeigte, daß er die gezwungene Miene der Gouvernante und den veränderten, obgleich mitleidsvollen Blick ihrer Schülerin vollkommen verstehe; auch bedurfte es der Erklärung keineswegs, um ihn mit der Ursache dieses Wechsels bekannt zu machen. Statt aber eine Gelegenheit zu suchen, seinen Charakter zu reinigen, zog er es vor, ihre Zurückhaltung nachzuahmen. – Mehr brauchte es nicht, um seine ehemaligen Freundinnen von der Beschaffenheit seines Gewerbes zu überzeugen; bis jetzt hatte selbst Mistreß Wyllys ihrer Pflegebefohlenen noch zugegeben, daß seine Handlungsweise die eines Menschen wäre, in dem die Verworfenheit noch nicht jenen Grad erstiegen hatte, wo das Gewissen, jenes untrüglichste Merkmal der Schuldlosigkeit, gänzlich schweigt.

Gertraud indessen empfand ein natürliches Bedauern, als sich diese traurige Überzeugung ihrem Verstande aufdrängte, und sie hegte innige Wünsche, daß der Besitzer so vieler männlicher, großartiger Eigenschaften den Irrtum, in dem sein Leben befangen war, bald einsehen und zu einer Laufbahn zurückkehren möchte, für die er, selbst nach dem Eingeständnis ihrer kalt und scharf urteilenden Erzieherin, von der Natur auf eine so ausgezeichnete Weise ausgestattet war. Ja, vielleicht riefen die Ereignisse der letzten zwei Wochen nicht nur Wünsche allgemeinen Wohlwollens in ihrem Busen wach, vielleicht flocht sie in ihre stille Andacht heiße Gebete, die eine persönlichere Beziehung hatten.

Mehrere Tage lang hatte das Schiff gegen die stehenden Winde jener Regionen anzukämpfen. Statt sich aber wie ein beladenes Kauffahrteischiff zu bemühen, irgendeinen bestimmten Hafen zu erreichen, gab der Rover seinem Schiffe plötzlich eine neue Richtung und glitt durch eine der vielen sich darbietenden Meeresengen hindurch, mit der Leichtigkeit des seinem Neste zueilenden Vogels. Hundert Segel verschiedener Größe hatte man zwischen den Inseln steuern sehen, allen wurde ausgewichen; denn Klugheit riet dem Freibeuter die Notwendigkeit der Mäßigung in einer von Kriegsschiffen so überfüllten See. Nachdem das Fahrzeug durch eine der Meeresengen hindurchgesteuert war, die die Ketten der Antillen durchschneiden, kam es in Sicherheit auf die offenere See, die jene Inseln von dem spanischen Ozean trennt. Kaum war die Durchfahrt glücklich bewerkstelligt, kaum streckte sich nach allen Seiten hin ein helles, landfreies Meer, so zeigte sich in der Miene eines jeden Individuums der Mannschaft eine nicht zu verkennende Veränderung. Jetzt glättete sich die gefurchte Stirn des Rover, jetzt verschwand der ängstliche Blick, der über den ganzen Menschen die Hülle der Zurückhaltung geworfen hatte; das eigentümliche Wesen dieses Mannes stand nun wieder in seinem ganzen Eigensinn da, in seiner ganzen Sorglosigkeit. Selbst die Bemannung, die, als sie noch in den engeren Seen, zwischen den daselbst in ganzen Schwärmen segelnden Kreuzern durch die Daggen liefen, keines fremden Antriebs zur Behutsamkeit bedurft hatte, selbst sie schien jetzt freier Atem zu schöpfen – kurz, Töne sorgloser, leichtsinniger Fröhlichkeit durchhallten wieder einmal einen Ort, den die Wolke des Mißtrauens solange umdüstert hatte.

Allein der Betrachtung der Erzieherin entstanden durch die Richtung, die das Fahrzeug nunmehr nahm, neue Gründe zur Besorgnis. – Solange die Inseln noch im Gesichtskreis blieben, gab sie, und zwar nicht ohne Grund, der Hoffnung Raum, ihr Gefangennehmer warte nur eine günstige Gelegenheit ab, um sie dem Schutze der Gesetze irgendeiner der Kolonialregierungen wieder zurückzugeben. Ihre Beobachtungsgabe lehrte sie, daß die Grundsatzlosigkeit der beiden vornehmsten Personen im Schiffe mit so vielem vermischt war, was einst gut, ja edel genannt werden konnte, daß sie in solcher Erwartung nichts Übertriebenes finden konnte. Selbst in den Sagen der Zeitgenossen, die die verwegenen Taten des Freibeuters schilderten, wenn auch eine erhitzte und übertreibende Einbildungskraft die Farben aufgetragen hatte, fehlte es nicht an zahllosen, merkwürdigen Beispielen von entschiedener, ja ritterlicher Großsinnigkeit. Mit einem Worte, sein Charakter war der eines Mannes, der, in erklärter Feindseligkeit mit allen lebend, dennoch einen Unterschied zwischen den Schwachen und den Starken zu machen verstand, und dem es oft ebenso viele Freude gewährte, sich der ersteren anzunehmen, als den Stolz der letzteren zu demütigen.

Als aber nun die letzte Spitze der ganzen Inselgruppe hinter ihnen ins Meer sank, und außer dem Schiffe sich weit und breit kein anderer Gegenstand auf der Wasserfläche zeigte, da sank auch ihr die letzte Hoffnung auf die Großmut des Korsaren. Der Rover, gleichsam unbekümmert, länger die Maske vorzuhalten, befahl, die Segel zu vermindern, und trotz der günstigen Kühlde das Schiff nahe beim Wind anzulegen. Kurz, der »Delphin« wurde mitten im Wasser angehalten, und, als sei nun das Hauptziel erreicht, und die unmittelbare Aufmerksamkeit der Mannschaft nicht weiter in Anspruch genommen, überließen sich die Offiziere sowohl als die Leute ihren Vergnügungen oder dem Müßiggang, je nachdem sie Laune oder Neigung bestimmte.

Wie lange auch der Verdacht der Gouvernante, daß man ihnen nicht erlauben würde, das Schiff zu verlassen, schon rege sein mochte, in Worten hatte sie ihn noch nicht geäußert; als aber jetzt dem Kommando, das Schiff beizulegen, gehorcht wurde, redete sie den Kapitän Heidegger, wie er sich nennen ließ, zum ersten Male wieder an:

»Ich hatte gehofft, Sie würden uns, sobald es sich mit Ihrer Bequemlichkeit vertrüge, an einer der Seiner Majestät gehörenden Inseln zu landen erlauben. Ich fürchte, Sie finden es beschwerlich, Ihre eigene Kajüte solange von Fremden besetzt zu sehen.«

»Sie kann nicht besser besetzt sein«, antwortete er, fein ausweichend, obgleich die ängstliche Dame zu entdecken glaubte, daß sein Blick mehr Kühnheit und sein ganzes Wesen weniger Zurückhaltung verrate, als bei einer früheren Gelegenheit, wo derselbe Gegenstand zur Sprache kam. »Verlangte es das Herkommen nicht, daß ein Schiff die Farbe einer oder der anderen Nation führte, so sollte über dem meinigen stets eine Flagge spielen, die die Farbe der Schönen trüge.«

»Und jetzt?«

»Jetzt ziehe ich die Zeichen des Dienstes auf, in dem ich mich befinde.«

»Während der fünfzehn Tage, seit ich Ihnen mit meiner Gegenwart lästig fallen muß, bin ich noch nicht so glücklich gewesen, die Farbe aufgezogen zu sehen, die Ihren Dienst bezeichnete.«

»Nicht!« rief der Rover und schoß einen Blick auf sie, als wollte er ihre innersten Gedanken durchdringen: »Nun, dann sollen Sie am sechzehnten Tage von dieser Ungewißheit befreit werden. Heda, wer ist im Schiffe hinten?«

»Kein besserer und kein schlechterer Mann als Richard Fid,« erwiderte der Matrose, den Kopf aus einem großen Wandkorbe hervorhebend, in den er ihn gesteckt hatte, als suchte er irgendein verlegtes Stück Werkzeug, und als er entdeckte, wer der Fragende war, mit Hast hinzufügend: »Stets zu Ew. Gnaden Befehl.«

»Aha! Es ist der Freund unseres Freundes,« erwiderte der Rover mit einem Nachdruck, der den anderen verständlich genug war; »der soll mein Dolmetscher sein. Komm her, Bursch; ich habe ein Wort mit dir zu sprechen.«

»Tausend zu Ihren Diensten, Sir,« erwiderte Richard, indem er bereitwillig näher trat; »denn wenn ich auch kein großer Redner bin, so hab‘ ich doch stets was in meinen Gedanken zur Hand, was zur Not unterhalten kann, sehen Sie.«

»Ich hoffe; deine Hängematte in meinem Schiff wiegt sanft in Schlaf?«

»Ich kann’s nicht leugnen, Ew. Gnaden; denn ein leichter segelndes Fahrzeug, sonderlich wenn es aufs Handhaben seiner Rahesegeltaue ankommt, findet sich nicht leicht.«

»Und die Fahrt selbst? Ich hoffe doch, du findest auch die so, wie sie ein Seemann gerne mag.«

»Schauen Sie, Sir, ich bin früh aus der Schule genommen und in die Fremde geschickt worden; da nehme ich mir denn selten heraus, das Schiffspatent des Kapitäns lesen zu wollen.«

»Aber demungeachtet, guter Mann, seid Ihr nicht ohne Eure Neigungen«, sagte Mistreß Wyllys mit Festigkeit, entschlossen, die Untersuchung weiter zu treiben, als ihr Gesellschafter beabsichtigen mochte.

»Kann nicht sagen, daß es mir an natürlichen Gefühlen gebricht, gnädige Frau,« erwiderte Fid, indem er sich bemühte, eine Probe von seiner Bewunderung des schönen Geschlechts in einem Kratzfuß gegen die Dame als deren Repräsentantin abzulegen, »ob mir zwar Durchkreuzungen und Unfälle quer über den Weg gekommen sind, was schon Vornehmern als mir geschehen ist. Ich hatte geglaubt, ein Notankertau könne nicht stärker angesplißt sein, als ich an Käthe Whiffle und sie an mich; aber ja, da kam’s Gesetz mit seinen Ordonnanzen und Schiffsreglements, das hat dicht bei meinem Glück vorbei querüber aufgestochen und ohne weiteres alle Hoffnungen der Dirne in ein Wrack verwandelt, und mit den meinigen eine flämische Rechnung gemacht.«

»So? Es wurde bewiesen, daß sie schon einen Mann hatte, nicht wahr?« sagte der Rover, schlau mit dem Kopfe nickend.

»Vier, Ew. Gnaden. Die Dirne hatte Geschmack an Gesellschaft, und sie kannte keinen größeren Schmerz als ein leeres Haus. Aber was tat das? Mehr als einer von uns konnte doch nicht zu gleicher Zeit im Hafen sein; da hätte man keinen solchen Lärm um die Affäre machen sollen, als man gemacht hat. Aber es war nichts als Neid, Sir; Neid und die Habsucht der Landhaifische. Wenn sich ein jedes Weib in der Gemeinde so vieler Männer zu rühmen gehabt hätte, wie die Käthe, den Teufel auch würden sie den Richtern und Geschworenen die kostbare Zeit damit verdorben haben, daß sie sich drum kümmern mußten, auf welche Weise so eine Dirne ihre ruhige Haushaltung führte.«

»Und seit jener unglücklichen Zurückweisung hast du dich dem Heiraten ganz aus dem Wege gehalten?«

»Ja, ja; seitdem, Ew. Gnaden,« erwiderte Fid und sah seinen Obern wieder mit einem jener drolligen Blicke an, in denen eine ganz eigene Schlauheit mit der schlichteren, geradezu gehenden Ehrlichkeit um die Herrschaft kämpfte; » seitdem, wie Sie ganz richtig bemerken, Sir. Die Leute hatten freilich ihr Gerede von einer Kleinigkeit, die zwischen mir und einer anderen Weibsperson im Handel war, wie sie aber die Sache näher untersuchten, na, da fanden sie, daß es nicht viel anders war, als mit der armen Käthe; die Schiffsartikel wollten nicht stimmen, und sie konnten halter, sehen Sie, nichts aus mir machen. Da hat man mich denn durch und durch reingesprochen und, weißgetüncht wie das Zimmer einer Königin, laufen lassen.«

»Und das hat sich alles nach deiner Bekanntschaft mit Herrn Wilder zugetragen?«

»Vorher, halten zu Gnaden, vorher. War ja zu der Zeit noch weiter nichts als so ein Auflaufer, sintemalen es vierundzwanzig Jahre her ist, wenn der Mai wiederkommt, seit mich der junge Herr Harry an sein Schlepptau genommen hat. Da ich nun aber seit jenen Tagen eine Art von eigener Familie besitze, ei, wozu soll ich da einem anderen in die Hängematte kommen?«

»Wie, wolltet Ihr wirklich sagen, es sei schon vierundzwanzig Jahre, seit Ihr Herrn Wilders Bekanntschaft machtet?« unterbrach Mistreß Wyllys.

»Bekanntschaft! Du lieber Gott, gnädige Frau, der wußte zu jener Zeit wenig von Bekanntschaften; obgleich der liebe, gute Junge seitdem oft genug Gelegenheit gehabt hat, sich dran zu erinnern.«

»Das Zusammentreffen zweier Männer von so seltenem Verdienste muß gar nicht uninteressant gewesen sein«, bemerkte der Rover.

»Was das anbelangen tut, so war’s hinlänglich interessant, Ew. Gnaden; aber das Verdienst dabei, sehen Sie, der junge Herr, der Harry, der will das immer mit in die Rechnung setzen, aber bei mir ist’s ausgemacht, ’s ist ganz und gar kein Verdienst dabei.«

»Ich gestehe, in einem Falle, wo zwei Männer, die beide ein so gutes Urteil haben, verschiedener Meinung sind, da fühle ich mich in Verlegenheit, wem ich recht geben soll. Freilich, wenn ich wüßte, wie alles hergegangen ist, so wär‘ ich vielleicht imstande, ein richtiges Urteil zu fällen.«

»Ew. Gnaden vergessen den Guinea, der ganz meiner Meinung in der Sache ist; der kann ebenfalls nicht sehen, wo das Verdienst im Dinge eigentlich stecken soll. Aber, wie Sie sagten, der einzige wahre Weg, zu wissen, wie geschwind ein Schiff geht, ist, das Log zu lesen; wenn also diese Dame und Ew. Gnaden gern hinter die Wahrheit der Sache kommen wollen, je nu, dann brauchen Sie’s bloß zu sagen, so leg‘ ich’s Ihnen alles vor in glaubwürdiger Sprache.«

»Aha! Dieser Vorschlag läßt sich hören«, versetzte der Rover und winkte seiner Gefährtin, daß sie ihm nach einem Platz auf der Hütte folgen möchte, wo sie den neugierigen Blicken der Leute weniger ausgesetzt wären. »Wohlan, wenn du uns jetzt das Ganze klar vor Augen legst, so sollst du endlich Entscheidung bekommen, wie sich die Sache eigentlich und von Rechts wegen verhält.«

Fid war weit entfernt, die geringste Abneigung gegen die verlangte ausführliche Erzählung zu zeigen, und bis er sich hinlänglich geräuspert, den Mund mit frischen Tabaksblättern versehen und alle anderweitigen Vorkehrungen getroffen hatte, war es der Gouvernante gelungen, ihre Skrupel darüber zu beseitigen, inwiefern es recht sei, sich in die Geheimnisse anderer auf diese Weise einzustehlen, indem sie einer unwiderstehlichen Neugierde nachgab; sie nahm daher den Sitz ein, den ihr der Kapitän mit einer Handbewegung angeboten hatte.

Nachdem nun also alle Punkte in Richtigkeit gebracht waren, fing Fid folgendermaßen an: »Ich bin früh von meinem Vater zur See geschickt worden; er war ein Mann, der gleich mir mehr von seiner Zeit auf dem Wasser zubrachte als auf trockenem Boden, obgleich er, als ein bloßer Fischermann, das Land immer im Gesicht behielt, was freilich nicht vielmehr sagen will, als ganz und gar drauf zu leben. Jedennoch aber, als ich ging, machte ich ohne weiteres eine Reise in die weite, offene See, denn ich dublierte das Horn gleich in meinem allerersten Ausflug, was für einen neuen Anfängling, sehen Sie, keine kleine Reise ist; aber, sehen Sie, da ich nur erst acht Jahre alt war …«

»Acht! Sprecht Ihr jetzt von Euch selber?« unterbrach die ungeduldige Gouvernante.

»Versteht sich, Madame; zwar könnte von Leuten gesprochen werden, die vornehmer sind, aber schwer wäre es, die Unterhaltung auf einen zu richten, der besser verstände, wie man ein Schiff auf- und abtakeln muß. Ich hätte beim rechten Ende meiner Geschichte angefangen, weil ich aber glaubte, die gnädige Frau verderbe sich nicht gern die Zeit mit Anhören von Dingen, die meinen Vater und meine Mutter betreffen, so machte ich’s kurz und sprang gleich ins achte Jahr, ohne mich erst aufzuhalten bei meiner Geburt, Namen und dergleichen mehr, was gewöhnlich in den Alltagsgeschichten auf eine ganz ungebührliche Weise im Logbuch mir aufgeführt wird.«

»Fahret nur fort«, versetzte sie, als sie sah, daß nichts übrig blieb als geduldige Ergebung.

»Mir geht’s ziemlich so wie einem Schiff, das eben vom Stapel laufen soll«; nahm Fid wieder auf. »Wenn’s einen hübschen Anlauf tut und sich’s nicht einklemmt noch reibt, rutsch! geht es ins Wasser, wie ein Segel, das man in einer Windstille losläßt; bleibt es aber erst einmal hängen, so gehört keine geringe Arbeit dazu, es wieder flott zu kriegen. Um nun meine Gedanken gehörig einzudämmen und die Geschichte geschmeidig zu machen, so daß ich glatt durchfahren kann, muß ich notwendig noch einmal das Tau durchlaufen, das ich soeben fahren ließ; das war also, wie mein Vater ein Fischermann war, und wie ich das Horn dublierte. – Halt! Nu hab‘ ich’s wieder! Gut also, ich dublierte, wie gesagt, das Horn und mochte ungefähr, so drüber und drunter, vier Jahre zwischen den Inseln und Seen jener Gegenden gekreuzt haben, die, beiläufig gesagt, zu der Zeit keine von den besten waren, und was das anbelangen tut, es auch jetzt noch nicht sind. Hierauf machte ich in der königlichen Flotte den ganzen Krieg mit, wurde dreimal blessiert und erfocht soviel Ehre, als ich nur immer bequem unter die Luken packen konnte. Gut, damals traf ich mit dem Guinea zusammen – das ist der Schwarze, gnädige Frau, den sie dort einen neuen Geitaublock eindrehen sehen für das Steuerbord-Schotthorn des Focksegels.«

»Schon gut; da kamst du also mit dem Afrikaner zusammen«, sagte der Rover.

»Da war’s, wo wir uns kennen lernten; und obgleich seine Farbe nicht weißer ist als der Rücken eines Walfisches, meinetwegen mag’s hören, wer will, nächst dem jungen Herrn Harry, lebt keine ehrlichere Haut auf der See, und keiner, an dessen Gesellschaft ich mehr Vergnügen fände. Allerdings, Ew. Gnaden, der Kerl ist etwas rechthaberisch, hat eine große Meinung von seiner Stärke und glaubt, seinesgleichen sei in keiner Nocke auf ’ner Windseite oder in ’nem Bramsegeltuch zu finden, aber dafür ist’s auch ein bloßer Schwarzer, und man muß nicht zu genau sein mit den Fehlern von Menschen, die nu mal nichts dafür können, daß sie unsere eigentliche Nebengeschöpfe nicht sind.«

»Nein, nein; das würde äußerst lieblos sein.«

»Just die Worte, die der Schiffskaplan an Bord der Fregatte ›Braunschweig‹ loszulassen pflegte. ’s ist doch ganz was anderes, wenn man was in der Schule gelernt hat, Ew. Gnaden; denn wenn’s auch zu weiter nichts taugt, so macht es einen doch geschickt, ein Bootsmann zu werden, und da ist man im besten Fahrwasser, um ohne alles Lavieren dem kürzesten Weg nach dem Himmel zuzusteuern. Aber wie gesagt, da wurde Guinea mein Schiffsgenosse und Freund, versteht sich, soweit sich’s mit der Vernunft vertrug, für die nächsten fünf Jahre, und dann kam die Zeit, wo uns der Unfall des Schiffbruchs in Westindien begegnete.«

»Was für ein Schiffbruch?« fragte hier sein Oberer.

»Verzeihen Ew. Gnaden; ich schwenke niemals meine Vorderrahen, als bis ich gewiß weiß, daß das Schiff nicht wieder in den Wind hineinluvt. Ehe ich mich also auf das Nähere des Schiffbruchs einlasse, muß ich abermals meine Gedanken übersehen, ob auch nichts vergessen ist, was von Rechts wegen vorher erwähnt werden müßte.«

Als der Rover an den ungeduldigen Seitenblicken seiner Gesellschafterin und am ganzen Ausdruck ihres Gesichtes sah, wie sehr sie sich sehnte nach dem Erfolg der Erzählung, die mit so langsamen Schritten vorwärts rückte, und wie unangenehm ihr eine Unterbrechung sein würde, so gab er ihr einen bedeutsamen Wink, daß sie den schlichten Teer seinen eigenen Weg gehen lassen möchte, als das beste Mittel, endlich in den Besitz der Tatsachen zu kommen, die sie beide so sehnlich zu wissen wünschten. Fid, als man ihn nun nicht mehr unterbrach, wiederholte noch einmal alles Erzählte auf die ihm eigene, drollige Weise, und wie er nun zum Glücke fand, daß er nichts ausgelassen hätte, was nach seinem Ermessen mit der gegenwärtigen Geschichte in Verbindung stand, so ging er endlich zu dem wesentlicheren und dem, seinen Zuhörern wenigstens, bei weitem interessantesten Teil seiner Erzählung über.

»Gut,« fuhr er fort, »Guinea war damals, wie ich Ew. Gnaden schon sagte, an Bord der ›Proserpina‹, ein schnellsegelnder Zweiunddreißiger, an der Marsrahe angestellt, und ich gleichfalls; da stießen wir zwischen den Inseln und der spanischen See auf einen winzigen Schmuggler, aus dem der Kapitän ohne weiteres Prise machte und uns befahl, ihn in den Hafen zu schleppen, wozu er, wie ich nicht anders glauben kann, seine Order hatte, denn er war ein gescheiter Mann. Aber dem mag nu gewesen sein, wie ihm wolle, das Fahrzeug hatte seine längste Fahrt gemacht und strandete, als wir ungefähr ein paar Tagefahrten leewärts von unserem Hafen gekommen sein mochten, in einem schweren Orkan, der uns eingeholt hatte. Gut, ’s war nur ein kleines Ding; und da es den Einfall bekam, sich erst auf die Seite zu legen, ehe es vollends schlafen ging, so glitten der Gehilfe, der des Schiffspatrons Stelle versah, und noch drei andere vom Verdeck runter in den Meeresboden. Hier war’s, wo Guinea mir den ersten guten Dienst leistete; denn, obgleich wir früher schon oft Hunger und Durst mit ’nander gelitten hatten, so war doch dies das erstemal, wo er über Bord sprang, um zu verhüten, daß ich Salzwasser schluckte wie ein Fisch.«

»Das heißt, wenn er nicht gewesen wäre, wärst du mit den übrigen ertrunken.«

»Das will ich nu gerade nicht sagen, Ew. Gnaden; denn man kann nicht wissen, welcher glückliche Zufall mir denselben guten Dienst hätte leisten können. Nichtsdestoweniger, sintemalen ich nicht besser und nicht schlechter als eine Stangenkugel schwimmen kann, so bin ich immer geneigt gewesen, dem Schwarzen meine Rettung zuzuschreiben, obgleich wir niemals viel über die Sache gesprochen haben, und zwar aus keinem anderen Grunde, soviel ich absehen kann, als weil eben der Abrechnungstag bis jetzt noch nicht rangekommen ist. Gut, wir machten, daß wir das Boot vom Schmugglerschiff flott kriegten, und genug hinein, um die Seele im Leibe zu halten, dann steuerten wir, so schnell wir konnten, landwärts, da es doch nu mal mit dem Schmugglerschiffe aus und an keine weitere Fahrt darin zu denken war. Eine ausführliche Beschreibung von dem, was zum Dienst in einem Boote gehört, brauche ich der Dame hier wohl nicht zu geben, da es noch nicht lange her ist, daß sie selbst einige Erfahrung hierin machte; aber soviel kann ich ihr sagen: Ohne jenes Boot, in dem der Schwarze und ich an zehn Tage zubrachten, würde es ihr in ihrer neulichen Fahrt nicht sonderlich ergangen sein.«

»Erkläre dich deutlicher.«

»Mein Sinn ist deutlich genug, Ew. Gnaden; nämlich, daß wenig anderes, als die nette Manier, womit der junge Herr, der Harry, ein Boot regiert, die Barkasse des Bristoler Kauffahrers an dem Tage, wo wir Sie trafen, über Wasser hätte halten können.«

»Aber was hat Euer Schiffbruch für Zusammenhang mit der Erhaltung des Herrn Wilder?« fragte die Gouvernante, unfähig, die breite Erklärung des weitschweifigen Seemanns länger abzuwarten.

»Aber was hat Euer Schiffbruch für Zusammenhang meine gnädige Frau, wie Sie selbst sagen werden, wenn Sie erst den tragischen Teil meiner Erzählung werden gehört haben. Gut also, ich und Guinea, wir ruderten im Meere rum, hatten Mangel an allem, nur nicht an Arbeit, aber immer steuerten wir doch, quer durch, nach den Inseln zu; denn, sehen Sie, wenn wir uns auch nicht sonderlich auf den Kompaß verstanden, so konnten wir doch das Land riechen, und da holten wir denn wacker aus, wenn Sie bedenken, daß die Wette in diesem Rennen nichts Geringeres galt als das Leben, bis wir bei Morgenanbruch, als wär’s ungefähr hier Ost zu Süden, ein kahlgeschorenes Schiff gewahr wurden, wenn anders ein Schiff kahl zu nennen ist, das nichts Besseres mehr aufrecht stehen hat, als die Stümpfe seiner drei Masten, und diese noch dazu ohne ein Stück Tau oder einen Fetzen Segel, woran man hätte sehen können, was für Takelage es führte, oder welcher Nation es angehörte. Aber nichtsdestoweniger ließ ich’s mir von dem Guinea nicht nehmen, daß es ein wohlbetakeltes Schiff müsse gewesen sein, wegen der drei Stümpfe, und wie wir nahe genug rangekommen waren, um den Rumpf sehen zu können, erklärte ich geradezu, daß es in England gezimmert sei.«

»Ihr entertet es«, bemerkte der Rover.

»Das war keine schwere Arbeit, gnädiger Herr, sintemalen ein halbverhungerter Hund die ganze Bemannung war, die es aufstellen konnte, um uns davon abzuhalten. Es war ein feierlicher Anblick, als wir aufs Verdeck kamen, und so oft ich das Logbuch meines Gedächtnisses aufschlage,« fuhr Fid mit einer immer ernster werdenden Weise fort, »erschüttert es meine Männlichkeit.«

»Ihr fandet die Mannschaft in bitterem Mangel.«

»Wir fanden ein edles Schiff, so hilflos wie eine Heilbutte in einem Zuber. Da lag es, ein Zimmerwerk von vierhundert Tonnen Last oder drüber, von Wasser angefüllt, und unbeweglich wie ’ne Kirche. Es macht mich immer niedergeschlagen, Sir, wenn ich ein stattliches Schiff sehe, mit dem es mal soweit gekommen ist; denn, sehen Sie, man kann es vergleichen mit einem Mann, dem die Floßfedern abgeschoren sind, und der nachgerade für weiter nichts mehr taugt, als auf einen Krahnbalken gesetzt zu werden, um aufzupassen, wo ’ne Bö herkommt.«

»Das Schiff war also verlassen?«

»So war’s; die Leute hatten sich entweder davon gemacht oder wurden in dem Sturme, der das Schiff umgelegt hatte, von den Wellen fortgespült; hab’s niemals zur Gewißheit hierin bringen können. Der Hund mußte sich wohl auf dem Verdeck unnütz gemacht haben, weswegen man ihn wahrscheinlich auf ein Inholz trieb, und das hat ihn gerettet, da er zum Glücke auf der Windseite war, als der Rumpf sich wieder etwas in die Höhe hob, nachdem die Masten schon abgebrochen waren. Gut, Sir, da war also der Hund; sonstiges bekamen wir nicht viel zu sehen, obgleich wir einen halben Tag im Schiffe umherstöberten, in der Hoffnung, irgendeine Kleinigkeit zu finden, die uns von Nutzen sein könnte. Aber da der Raum und die Kajüte mit Wasser angefüllt waren, i nu, so mußte freilich unser Bergelohn spärlich genug ausfallen.«

»Und dann verließet Ihr das Wrack.«

»Noch nicht, gnädiger Herr. Wie wir so unter den Enden von Stricken und sonstigem Plunder, der das Deck belemmerte, rumsuchten, sagte Guinea, sagte er: ›Herr Dick, ich höre, wie jemand ihr miserables Geschrei drunten erheben.‹ Nu, Sir, sollen Sie wissen, daß ich das Kreischen wohl auch gehört hatte; aber ich nahm es für ausgemacht an, es seien die Geister der Mannschaft, die über ihren Verlust heulten, und schwieg aber still davon, um den Aberglauben des Schwarzen nicht aufzuregen; denn, sehen Sie, gnädige Frau, die Besten von ihnen bleiben am Ende doch nur abergläubische, unwissende Neger. Drum sagte ich nichts von dem, was ich hörte, bis er selbst davon anzufangen für gut dachte. Hierauf legten wir uns beide mit allem Fleiß aufs Lauschen; und wahrhaftig, das Gestöhn wurde immermehr menschengleich. Es dauerte jedoch eine geraume Zeit, ehe ich darüber mit mir einig werden konnte, ob es weiter was wäre als das Klagen des Schiffswracks selber; denn sie wissen, gnädige Frau, daß ein Schiff, ehe es untergeht, sein Wehklagen erhebt, so gut wie jedes andere lebendige Geschöpf.«

»Ich weiß es, ich weiß es«, erwiderte schaudernd die Gouvernante. »Ich habe sie gehört, und die Töne werden nie aus meinem Gedächtnis schwinden.«

»Jawohl, ich konnte mir denken, daß Sie von den Tönen auch eine Geschichte zu erzählen hätten; sie haben was Feierliches an sich, diese Töne. Doch da der Schiffsrumpf noch immer auf der Meeresoberfläche zu schlingern fortfuhr und keine weitere Zeichen gab, daß er sinken wolle, so dachte ich, es könnte nicht schaden, im Hinterteil ein Loch einzuhauen, um uns von da aus zu versichern, daß kein Unglücklicher etwa in seiner Matte hängen geblieben, als das Schiff sich auf die Seite legte. Ei nun, guter Wille und eine Axt halfen uns bald hinter das Geheimnis, von wem das Gejammer herkam.«

»Ihr fandet ein Kind?«

»Mit seiner Mutter, gnädige Frau. Der glückliche Zufall fügte es, daß sie sich in einer Kajüte auf der Windseite befanden, und das Wasser war noch nicht bis zu ihnen gedrungen. Verschlossene Luft und Hunger hatten jedoch fast denselben schlechten Dienst getan wie das Salzwasser. Die Frau war in den letzten Zügen, als wir sie rausbrachten, und was den Knaben anbetreffen tut, stattlich und kräftig, wie Sie ihn dort auf der Kanone sehen, gnädige Frau, so war er Ihnen so miserabel, daß es nicht wenig Mühe kostete, bis er einen Tropfen Wein und Wasser schlucken lernte, was der liebe Gott uns übrig gelassen hatte, damit, wie ich seitdem steif und fest glaube, der Junge einmal der Stolz des Ozeans werden möchte, was er denn in diesem Augenblick auch wirklich ist.«

»Aber die Mutter?«

»Die Mutter! Die hatte den einzigen Bissen Zwieback, den sie noch hatte, dem Kinde gegeben, und starb, damit der Kiekindiewelt am Leben bliebe. Ich hab‘ niemals ganz klug draus werden können, gnädige Frau, wie ein Weib, das doch, wenn’s auf Stärke ankommt, nicht viel besser ist wie ein Laskar, und wenn es Mut gilt, nicht besser wie ein verhätscheltes Muttersöhnchen, bei dergleichen Gelegenheiten imstande sein kann, so ruhig das Leben fahren zu lassen, wo doch mancher rüstige Seemann um jeden Mundvoll Luft, den der liebe Gott aus Gnaden schenkt, bis aufs Blut fechten würde. Aber da saß sie, weiß wie das Segeltuch, das der Sturm zerzauste, und alle Glieder hängen lassend, wie eine Flagge in einer Windstille, den abgemagerten, schwachen Arm um das Kind geschlungen, und in der Hand den einzigen Bissen, der ihr die Seele noch eine Weile im Leibe hätte halten können.«

»Womit war sie beschäftigt, als Ihr sie heraus an das Tageslicht gebracht?«

»Womit sie beschäftigt war?« wiederholte Fid, dessen Stimme hier rauh und heiser wurde, »i nu, es war ein verzweifelt ehrliches Stück Beschäftigung; sie gab dem Knaben die Krume und winkte, so gut wie es eine Frau in den letzten Zügen vermochte, daß wir ein Auge auf ihn haben möchten … bis die Fahrt des Lebens vorüber war.«

»Und das war alles?«

»Ich hab‘ immer geglaubt, daß sie noch betete; denn was muß zwischen ihr und Einem, der nicht zu sehen war, vorgegangen sein, nach der Manier zu urteilen, wie ihre Augen aufwärts gerichtet waren, und wie sich ihre Lippen bewegten. Ich hoffe, sie hat unter andern auch für einen gewissen Richard Fid ein gutes Wort eingelegt; denn das ist gewiß, wenn irgendeiner nicht nötig hat, für sich selbst zu bitten, so war’s sie’s. Aber was sie sprach, wird wohl niemand erfahren, sintemalen ihr Mund sich von der Zeit an auf immer geschlossen.«

»Sie starb!«

»Es tut mir leid, daß ich’s sagen muß, ja. – Aber die arme Frau konnte nichts mehr zu sich nehmen, als sie in unsere Hände kam, und überdies hätten wir ihr auch nur wenig geben können. Ein Quart Wasser, mit ungefähr einer Viertelpinte Wein, ein Zwieback und eine Handvoll Reis, war keine übergroße Portion für zwei gesunde Kerle, die ein Boot etliche und siebenzig Seestunden innerhalb der Wendepunkte fortrudern sollten. Als wir nun sahen, daß nichts weiter auf dem Wrack zu suchen war, und daß es, nu rasch zu sinken anfing, da die Luft durch das Loch, das wir eingehauen hatten, rausgelassen war, so hielten wir’s für geraten, uns davon zu machen. Und, meiner Treu! Es war nicht im geringsten zu früh, denn es ging unter, just als wir unser Boot soweit gerudert hatten, daß der Strudel es nicht mehr anziehen konnte.«

»Und der Knabe, das arme, verlassene Kind!« rief die Gouvernante, deren tränenvollen Augen jetzt zwei große Tropfen entquollen.

»Da steuern Sie auf ganz unrichtigem Pfade, gnädige Frau. Weit entfernt davon ihn zu verlassen, nahmen wir ihn mit, wie auch das einzige, andere lebendige Geschöpf, das auf dem Wrack zu finden war. Allein, wir hatten noch eine lange Reise vor uns, und, was das Übel ärger machte, das Kielwasser der Kauffahrer verloren. Ich erklärte also, unser Fall mache einen allgemeinen Schiffsrat notwendig; der bestand nu freilich bloß aus mir und dem Schwarzen, sintemalen der Junge zum Sprechen zu schwach war, und auch in unserer Lage nicht viel anderes hätte vorbringen können. So fing ich denn selber an: Guinea, sagte ich, wir müssen entweder den Hund hier oder den Knaben hier essen. Essen wir den Knaben, so sind wir nicht besser, als das Volk bei dir zu Hause, das, wie Sie wissen, gnädige Frau, lauter Kannibalen sind; essen wir den Hund, mager wie er ist, so kriegen wir vielleicht so viel raus, daß wir Seele und Leib zusammenhalten und dem Knaben das übrige geben können. So sagte der Guinea, sagt er: Ich gar nichts essen brauchen, dem Knaben die Speise lieber geben, sagt er, denn er klein ist und fehlt ihm an Kräfte. – Indessen, dem jungen Herrn, dem Harry, wollte der Hund nicht sonderlich behagen, der bald zwischen uns alle wurde, denn warum, er war gar zu dünn. Wie das vorbei war, gab’s für uns beide eine hungrige Zeit; denn wenn wir das Leben in dem Jungen nicht festgehalten hätten, so wär’s uns durch die Finger geschlüpft, sehen Sie.«

»Und Ihr nährtet also das Kind, indem Ihr selbst fastetet?«

»Nein, ganz müßig waren wir gerade nicht, gnädige Frau; unsere Zähne übten sich wacker an der Haut des Hundes, obgleich ich nicht behaupten will, daß die Kost zu schmackhaft gewesen wäre. Fürs zweite, da uns das Essen nicht viel Zeit wegnahm, so hielten wir uns um so lebhafter ans Rudern. Gut, nach einiger Zeit erreichten wir eine der Inseln, aber freilich konnte weder der Neger noch ich uns auf Stärke oder Gewicht viel zugute tun, als wir die erste Küche, auf die wir stießen, zu Gesicht bekamen.«

»Und das Kind?«

»O, der Junge befand sich ziemlich wohl; denn, wie uns nachher die Doktors sagten, die kleine Portion, die auf sein Teil fiel, hatte ihm nicht geschadet.«

»Suchtet Ihr seine natürlichen Freunde nicht auf?«

»Ei nu, was das anbetrifft, gnädige Frau, soweit ich wenigstens entdecken konnte, so war er eigentlich schon bei seinen besten Freunden. Wir hatten weder Seekarten, noch eine Liste der Landungsplätze bei uns, wonach wir hätten steuern können, um seine Familie ausfindig zu machen. Er nannte sich Master Harry, ein Beweis, daß er von vornehmer Geburt sein mußte, wie man ihn denn auch nur anzusehen braucht, um davon überzeugt zu sein; sonst aber konnte ich über seine Verwandten, Vaterland und dergleichen kein Wort mehr erfahren. Da er indessen Englisch sprach und in einem englischen Schiffe gefunden wurde, so steht, aller natürlichen Ursache nach zu vermuten, daß er in England gezimmert ist.«

»Habt Ihr den Namen des Schiffes nicht erfahren können?« fragte der aufmerksame Rover, in dessen Gesicht der Zug der lebendigsten Teilnahme auf das Deutlichste zu unterscheiden war.

»Schauen Ew. Gnaden, was das anbelangen tut, so waren Schulen in meiner Gegend nicht sehr häufig; und in Afrika ist, wie Sie wissen, auch nicht viel Erhebliches von Gelehrsamkeit anzutreffen, so daß, wenn der Name des Schiffes auch noch über Wasser gewesen wäre, was er aber nicht war, wir mit dem Lesen doch nicht hätten zurecht kommen können. Dafür aber war ein Schlageimer, der wahrscheinlich auf dem Verdeck herumfuhr, glücklicherweise in den Pumplöchern festsitzen geblieben und ging also nicht über Bord, als bis wir ihn mitnahmen. Gut, auf dieser Putse war ein Name gemalt; und wie wir Zeit dazu hatten, ließ ich den Guinea, der ein natürliches Talent zum Tätowieren besitzt, mir den Namen mit Schießpulver in den Arm einreiben, als den kürzesten Weg, dergleichen Kleinigkeiten ins Logbuch einzutragen. Ew. Gnaden sollen sehen, wie der Schwarze mit dem Abschreiben fertig geworden ist.«

Hierbei zog Fid ganz ruhig seine Schiffsjacke aus und entblößte bis zum Ellbogen hinauf einen seiner stämmigen Arme, auf dem die bläuliche Inschrift noch sehr deutlich stand. Obgleich die Buchstaben nur sehr roh auf dem Fleische nachgeahmt waren, so war es doch nicht schwer, die Worte zu lesen: » Arche von Lynnhaven.«

»Hier hattet Ihr also gleich einen Schlüssel zur Auffindung der Verwandten des Knaben«, bemerkte der Rover, nachdem er die Schrift entziffert hatte.

»Es scheint doch nicht, Ew. Gnaden, denn wir nahmen das Kind mit uns an Bord der Proserpina, und unser würdiger Kapitän spannte alle Segel nach den Leuten aus; allein niemand konnte uns irgendeine Nachricht geben von so einem Fahrzeuge, wie die Arche von Lynnhaven, und nach einem Zwölfmond oder drüber mußten wir die Jagd aufgeben.«

»Konnte das Kind selbst nichts über seine Verwandten berichten?« fragte die Erzieherin.

»Nur weniges, gnädige Frau; aus dem einfachen Grunde, weil es nur wenig über sich selbst wußte. Daher gaben wir denn die Sache endlich ganz auf und machten uns selbst, das heißt, ich, der Guinea, der Kapitän samt allen übrigen, daran, dem Knaben Erziehung zu geben. Sein Seemannshandwerk hat er vom Schwarzen und mir gelernt, vielleicht auch etwas von seinen guten Sitten. Seine Schiffahrerkunst und Lateinisch aber, das hat er vom Kapitän, der sein Freund geworden ist, bis zu der Zeit, wo er für sich selber sorgen konnte, und, kann wohl sein, auch noch einige Jahre nachher.«

»Und wie lange blieb Herr Wilder in einem königlichen Schiff?« fragte der Rover nachlässig und scheinbar auf eine gleichgültige Weise.

»Lange genug, um alles zu lernen, was dort gelehrt wird, Ew. Gnaden«, war die ausweichende Erwiderung.

»Er hat es wohl bis zum Offizier gebracht?«

»Wenn das nicht ist, so verliert der König am meisten bei dem Handel. – Doch was seh‘ ich da von der Seite, zwischen der Pardune und dem Geerdentau; es sieht aus wie ein Segel, oder ist’s nur eine Möwe, die die Flügel schwingt, ehe sie aufsteigt?«

»Segel, ho!« rief der Matrose im Mastkorbe.

»Segel, ho!« ging’s wie ein Echo vom Topp bis zum Deck herunter, indem der schimmernde, obgleich entfernte Gegenstand von einem Dutzend spähender Augen in einem und demselben Moment erblickt wurde. Einem so oft wiederholten Rufe konnte der Rover seine Aufmerksamkeit nicht vorenthalten, und Fid benutzte den Umstand, um von der Hütte zu springen, was er mit einer Hast tat, die wohl bewies, daß ihm die Unterbrechung gar nicht unangenehm war. Hier erhob sich auch die Gouvernante und suchte, gedankenvoll und traurig, die Einsamkeit ihrer Kajüte.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

»Segel ho!« war in der wenig besuchten See, wo der Korsar lag, ein Ruf, der im Busen seiner Mannschaft jeden langsamern Herzensschlag belebte. Viele Wochen waren nun, nach ihrer Berechnungsweise, mit den schwärmerischen und profitlosen Plänen ihres Obern vollkommen nutzlos zugebracht worden. Sie waren keineswegs in einer Laune, um die unabänderlichen Bestimmungen des Geschickes, die das Bristoler Kauffahrteischiff ihrem Netze entführte, mit in Anschlag zu bringen; für diese rohen Naturen war es genug, daß ihnen der reiche Fang einmal entgangen war. Ohne sich erst auf Untersuchung der Ursachen dieses Verlustes einzulassen, suhlten sie sich nur zu sehr geneigt, den unschuldigen Offizier, dem ein Fahrzeug anvertraut war, daß sie schon als ihre Prise betrachteten, ihre getäuschten Erwartungen schwer entgelten zu lassen. Jetzt also zeigte sich endlich eine Gelegenheit, den Verlust zu vergüten. Das fremde Segel war im Begriff, in einer Gegend der See mit ihnen handgemein zu werden, wo Hilfe eine so gut wie vergebliche Hoffnung war, und wo die Freibeuter Zeit genug hatten, jeden errungenen Sieg bis zum Äußersten zu benutzen. Jeder von den Schiffsgenossen schien eine Idee von diesen Vorteilen zu haben; und wie die Worte vom Maste bis zu den Rahen, von den Rahen bis aufs Verdeck hinabtönten, wurden sie von mehr als fünfzig Stimmen wiederholt, bis sie wie ein heiteres, vieltöniges Echo in den abgelegensten, innersten Teilen des Schiffes widerhallten.

Der rote Freibeuter selbst bezeugte mehr als gewöhnliches Vergnügen bei dieser Aussicht auf eine Prise. Ihm entging keineswegs, daß irgendeine glänzende oder gewinnbringende Tat auszuführen unumgänglich notwendig sei, um die erregten Gemüter seiner Leute zu beschwichtigen; und lange Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß er die Zügel der Mannszucht niemals straffer spannen durfte, als in solchen Augenblicken, die offenbar die Ausübung seines persönlichen hohen Mutes und die Anwendung seiner vollendeten Kenntnisse erforderten. Er schritt daher zu den Leuten in den Vorderraum mit einem nicht mehr von Zurückhaltung umwölkten Gesicht, sprach mit mehreren, indem er sie beim Namen anredete, ja, verschmähte es nicht, sie um ihre Meinungen über das Segel in der Ferne zu befragen. Auf diese Weise wußte er ihnen stillschweigend die Versicherung beizubringen, daß ihr neuliches meuterisches Betragen nicht gerügt werden sollte; und nun ließ er Wildern, den General und einen oder zwei von den anderen höheren Offizieren zu sich aufs Verdeck der Hütte entbieten, wo sie sich alle anschickten, mit Hilfe eines halben Dutzends vortrefflicher Ferngläser genauere und zuverlässigere Beobachtungen anzustellen.

Eine geraume Weile wurde jetzt in stiller, angestrengter Untersuchung zugebracht. Der Himmel war frei von Wolken, der Wind frisch, ohne stürmisch zu sein, die See ging in langen, gleichmäßigen und keineswegs hohen Wellen, kurz, alle Umstände vereinigten sich, sofern eine solche Vereinigung auf dem rastlosen Ozean nur möglich ist, nicht nur, um ihr Spähen zu unterstützen, sondern auch die Evolutionen zu begünstigen, von denen es mit jedem Augenblicke wahrscheinlicher wurde, daß sie unumgänglich nötig sein und bald erfolgen würden.

»Es ist ein Schiff!« rief der Rover, der erste, der das Fernrohr vom Auge nahm und das Ergebnis seines langen und genauen Forschens verkündete.

»Es ist ein Schiff!« widerhallte es von dem Munde des Generals, der, trotz der Gewalt, die er gewöhnlich über seine Gesichtszüge besaß, ein lebendiges Aufglänzen der Freude nicht ganz unterdrücken konnte.

»Ein vollständig aufgetakeltes Schiff!« setzte ein dritter hinzu, indem er ebenfalls das Glas vom Auge nahm und das grimmige Lächeln des Soldaten erwiderte.

»So viele stolze Segelbäume führen gewiß keine Kleinigkeit«, nahm ihr Kommandeur das Wort wieder auf. »Sie haben ein Schiff von Wert unter sich. – Doch Sie sagen ja nichts, Herr Wilder! Wofür halten Sie es?«

»Für ein Schiff von mehr als gewöhnlicher Größe«, erwiderte unser Abenteurer, der, obgleich er bis jetzt geschwiegen hatte, weit davon entfernt war, bei seiner Untersuchung geringeres Interesse als die übrigen zu fühlen – »Trügt mich mein Fernglas … oder …«

»Oder was, Sir?«

»Mir ist es schon bis zum Anfang seiner großen Untersegel sichtbar.«

»Sie sehen es wie ich. Es ist ein stattliches Schiff, das seine Rahesegeltaue leicht handhabt und aufgesetzt hat, was nur immer ziehen will. Und seine Richtung ist gerade auf uns zu. Seine unteren Segel sind innerhalb dieser letzten fünf Minuten aufgezogen worden.«

»Das dacht‘ ich mir auch. Aber …«

»Aber was, Sir? Es kann nur geringem Zweifel unterliegen, daß es Nord bei Ost einsetzt. Wohlan, da es so gütig ist, uns die Mühe des Jagdmachens zu ersparen, so brauchen wir uns um so weniger mit unseren Bewegungen zu beeilen. Mag es herankommen! Wie gefällt Ihnen das Avancieren des Fremden, General?«

»Nicht sehr militärisch, aber außerordentlich lockend! Man kann ihm die Goldbergwerke schon an den Bramsegeln ansehen.«

»Und Sie, meine Herren, sehen Sie ebenfalls die Manier einer Galione an seinen oberen Segeln?«

»Es ist nichts Unvernünftiges in der Annahme«, antwortete einer der Subalternen. »Es heißt, die Dons machen oft die Fahrt durch diese Gewässer, um uns Herren, die wir mit selbstausgestellten Kaperbriefen segeln, nicht sprechen zu müssen.«

»Ah! Ein Don ist Euch ein Fürst der Erde? Aus purer Liebe schon muß man ihm die goldene Bürde leichter machen, damit der Segler nicht drunter sinke, wie die römische Matrone unter der Wucht der Sabinerschilde. Nicht wahr, Herr Wilder, Sie können nichts von jener goldenen Schönheit an dem Fremden entdecken?«

»Es ist ein schweres Schiff!« »Um so wahrscheinlicher führt es eine edle Fracht. Sie sind neu, Sir, in diesem unserem lustigen Handwerk, sonst würden Sie wissen, daß Größe eine Eigenschaft ist, die wir immer an den uns Besuchenden vorzüglich schätzen. Führen sie königliche Flaggen, so überlassen wir ihnen nach geschehener Begrüßung Zeit, über den oft langen Weg zwischen Löffel und Mund ihre Betrachtungen anzustellen: und sind sie mit keinem gefährlicheren Metall angestaut, als dem aus den Minen von Potosi, so segeln sie in der Regel um so schneller, nachdem sie ein paar Stunden in unserer Gesellschaft zugebracht haben.«

»Hängt der Fremde nicht Signale aus?« – fragte Wilder gedankenvoll.

»Sieht er uns so bald schon? – Es gehört eine aufmerksame Wache dazu, ein Fahrzeug, das nur seine Stabsegel los hat, aus solcher Ferne zu entdecken. Wer so auf seiner Hut ist, der führt ganz gewiß eine kostbare Ladung.«

Es folgte eine Pause, während der alle, dem Beispiele Wilders folgend, die Fernrohre von neuem ansetzten und nach dem Fremden schauten. Die Meinungen fielen verschieden aus: einige bestätigten, andere bezweifelten den Umstand von ausgehängten Signalen. Der Rover selbst beobachtete scharf und anhaltend, äußerte aber keine Meinung.

»Wir haben uns die Augen abgemüdet, so daß uns die Gesichtsgegenstände ineinanderschillern«, sagte er endlich. »Ich habe es von Nutzen gefunden, frische Organe zu Hilfe zu rufen, wenn die meinigen mir den Dienst versagten. Komm her, Junge«, fuhr er fort, indem er einen Mann anredete, der auf der Hütte unweit des Flecks, wo die Gruppe von Offizieren stand, mit einem künstlichen Stück Matrosenarbeit beschäftigt war. »Komm her: sag‘ mir, was du an dem Segel hier, vom südwestlichen Bord aus, entdeckst?«

Der Mann, der wegen seiner Geschicklichkeit zur Ausführung dieses Auftrags gewählt wurde, war kein anderer als Scipio. Er legte seine Mütze aufs Verdeck mit einer Ehrfurcht, die noch tiefer war, als der Seemann in der Regel gegen seine Oberen bezeigt, dann hielt er mit der einen Hand das Glas vors rechte Auge, während er mit der anderen Hand das linke bedeckte. Aber kaum hatte er mit dem schwankenden Instrumente den fernen Gegenstand getroffen, so ließ er es sinken und heftete den Blick mit einer Art von verblüffter Verwunderung auf Wilder.

»Hast du das Segel gesehen?« fragte der Rover.

»Herr, ihn kann sehen mit dem Aug‘ nackt.«

»Gut, aber was entdeckst du daran mit Hilfe des Fernrohrs?«

»Er ein Schiff is, Sir.«

»Wahr. Welche Richtung?«

»Er die Steuerbordsegel auf hat, Sir.«

»Auch wahr. Hat er aber Signale aufgezogen?«

»Er die drei neue Stück Tücher in die große Bramsegel hat, Sir.«

»Um so besser für ihn, wenn seine Segel hübsch ausgebessert sind. Hast du aber seine Flaggen gesehen?«

»Er Flaggen keine zeigen tut, Herr.«

»Das dacht‘ ich mir auch. Geh‘ wieder in den Vorderraum, Junge – halt – man kommt oft auf die Wahrheit, indem man sie da sucht, wo man sie nicht vermutet. Welche Größe glaubst du, hat das fremde Schiff?«

»Er just siebenhundertundfünfzig Tonnen, Herr.«

»Was ist das, die Zunge Ihres Negers, Herr Wilder, ist genau wie das Winkelmaß eines Zimmermanns. Der Kerl gibt die Größe eines Schiffes, dessen Rumpf noch gar nicht zu sehen ist, gerade so absprechend und bestimmt an, wie es nur immer von einem königlichen Zolleinnehmer geschehen könnte, nachdem er das Schiff amtlich gemessen hätte.«

»Sie werden die Unwissenheit des Schwarzen berücksichtigen; Menschen in seinem unglücklichen Zustande sind selten geschickt, Fragen zu beantworten.«

»Unwissenheit!« wiederholte der Rover und schoß den unruhigen Blick mit einer ihm eigentümlichen Schnelligkeit bald auf den einen, bald auf den anderen und dann auf den am Horizont emporsteigenden Gegenstand: »Ich weiß nicht; der Mensch sieht nicht aus als ob er zweifelte. – Und du glaubst, seine Lastfähigkeit sei durchaus nicht größer und nicht geringer, als du angegeben hast?«

Die großen dunklen Augen Scipios rollten abwechselnd von seinem neuen Obern auf seinen früheren Herrn, während seine Seelenvermögen in eine unauflösbare Verwirrung geraten zu sein schienen. Doch diese Ungewißheit dauerte nur einen Augenblick. Kaum las er den finstern Zorn, der sich auf Wilders gefurchter Stirn zusammenzog, so trat an die Stelle der Zuversichtlichkeit, womit er seine vorige Meinung ausgesprochen hatte, ein Blick von so hartnäckiger Zurückhaltung, daß man alle Hoffnung aufgeben mußte, ihn durch gute oder böse Worte jemals wieder auch nur zu dem Schein eigenen Denkens zu vermögen.

»Ich verlange zu wissen, ob der Fremde nicht ein Dutzend Tonnen größer oder kleiner sein könne, als du genannt hast?« fuhr der Rover fort, als er fand, daß er auf seine erste Frage wahrscheinlich nicht sobald eine Antwort erhalten würde.

»Er just is, wie Herr wünscht«, erwiderte Scipio.

»Nun, dann wünsche ich, daß er tausend Tonnen groß sei; um so reicher wäre die Prise.«

»Ich ihn halte gerade für Dausent, Sir.«

»Ein nettes Schiff von dreihundert, mit Gold angefüllt, wäre zwar auch nicht zu verachten.«

»Er aussieht sehr wie ein Dreihunderter.«

»Mir scheint es eine Brigg zu sein.«

»Ich ihn auch für einen Brick halte, Sir.« »Kann am Ende auch sein, daß der Fremde ein Schoner ist, mit vielen hohen und leichten Segeln.«

»Ein Schuner oft ein Bramsegel führt«, erwiderte der Schwarze, entschlossen, sich durchaus in alles, was der andere sagte, zu fügen.

»Wer weiß, ob es überhaupt ein Segel ist! He, da vorne! Es kann nicht schaden, über einen so wichtigen Gegenstand mehr als eine Meinung anzuhören. Heda, im Vorderraume, Ihr, schickt einmal vom Vormars den Matrosen, namens Fid, aufs Hüttendeck herab. Ihre Begleiter, Herr Wilder, sind so verständig und so treu, daß es Sie nicht wundernehmen muß, wenn mich etwas mehr als gebührlich nach ihrer Belehrung verlangt.«

Wilder drückte die Lippen zusammen, und der Rest der Gruppe bezeigte nicht wenig Erstaunen. Diese waren indes schon zu lange an die Kapricen ihres Kommandeurs gewöhnt, und jener zu weise, als daß sie in einem Augenblicke, wo seine Reizbarkeit die höchste Spitze erstiegen zu haben schien, Einrede für ratsam erachtet hätten. Indessen dauerte es nicht lange, bis der Toppgast erschien, worauf der Kommandant das Schweigen brach und also fortfuhr:

»Du hältst es also für zweifelhaft, Scipio, ob’s überhaupt ein Segel ist?«

»Er g’wiß nichts is als so ’n Ding, das wegfliegt«, erwiderte der hartnäckige Schwarze.

»Ihr hört, was Euer Freund, der Neger sagte, Herr Fid; er glaubt, der Gegenstand dort, leewärts, der so schnell zu Gesicht steigt, sei gar kein Segel.«

Da der Toppgast keinen hinlänglichen Grund sah, sein Erstaunen über diese närrische Meinung zu verbergen, so legte er es mit allen den Verschönerungen an den Tag, die dem Individuum, von dem wir sprechen, bei jeder lebhaften Gemütsbewegung so natürlich waren. Nachdem er einen kurzen Blick nach der Richtung des fremden Schiffes hin getan hatte, um sich zu überzeugen, daß auch wirklich keine Täuschung vorhanden sei, wendete er die Augen mit großem Unwillen aus Scipio, als wollte er die Ehre der Kameradschaft durch einige Geringschätzung der Unwissenheit des Kameraden selbst retten.

»Und was zum Teufel ist es denn, du Guinea? Eine Kirche?«

»Ich glaube er ’ne Kirche is«, wiederholte der beifällige Schwarze wie ein Echo.

»Gott steh‘ dem schwarzhäutigen Narren bei! Ew. Gnaden ist bekannt, daß das Gewissen in Afrika ganz verflucht verwahrlost wird, und werden den Neger nicht zu hart beurteilen, wegen eines kleinen Schnitzers, den er vielleicht in bezug auf seine Religion machen tut. Aber der Kerl ist ein ausgemachter Seemann und sollte ein Bramsegel von einem Turmknopfe unterscheiden können. Sieh, Siv, zur Ehre deiner Freunde, wenn dich dein eigener Stolz nicht rührt, sag‘ Seiner…«

»Ist schon gut!« unterbrach ihn der Rover. »Nehmt Ihr das Fernglas, und gebt Euer eigenes Dafürhalten über das Segel vor uns.«

Fid machte einen langen Kratzfuß und tiefen Bückling zum Dank für das Kompliment; hierauf legte er seinen kleinen teerleinwandenen Hut aufs Hüttendeck und setzte gemächlich, und wie er sich schmeichelte, kennermäßig seine Person in Positur zu der verlangten Operation. Der Toppgast schaute weit anhaltender, wahrscheinlich also auch viel genauer als der ihm befreundete Schwarze. Statt jedoch gleich mit seinem Gutachten herauszuplatzen, senkte er, nachdem sein Auge müde war, das Glas und zugleich auch den Kopf und stand da in der Stellung eines Menschen, dem sich ein Gegenstand von großer Wichtigkeit zum Nachdenken plötzlich aufdrängt. Während dieses Denkprozesses passierte das Tabakskraut in seinem Munde mit ungewöhnlicher Schnelligkeit von Wange zu Wange; die eine Hand steckte er quer in die Weste, gleichsam als wolle er alle seine Seelenkräfte bei einer ganz außerordentlichen inneren Anstrengung zum Beistand aufrufen.

»Ich warte auf Eure Meinung«, nahm der ihm zusehende Kommandeur seine Rede wieder auf, als er glaubte, die Pause sei lang genug gewesen, um selbst das Urteil eines Richard Fid zur Reife zu bringen,

»Wollen Ew. Gnaden mir bloß sagen, was das heut wohl für ein Tag im Monat ist, und, wenn’s angeht, zugleich auch den Tag der Woche, wenn es Ihnen nicht zuviel Mühe macht.«

Seine beiden Fragen wurden ohne Verzug beantwortet.

»Wir hatten den Wind Ost zum Süd am ersten Tag der Fahrt, dann setzte er nachts um und blies schußweise Nordwest, wo er sich hielt, mag sein eine Woche lang. Drauf kam ein irländischer Orkan, gerade von oben herunter, einen Tag: dann sind wir in diese Passatwinde hier hineingeraten, die all die Zeit über so unabänderlich angehalten haben wie ein Schiffskaplan bei einer Bowle Punsch.«

Hier schloß der Toppgast seinen Monolog, um den Tabak wieder in Bewegung zu setzen, indem es ihm nicht gelingen wollte, den Kau- und Sprechprozeß zu vereinbaren.

»Nun, was hältst du von dem Fremden?« fragte der Rover etwas ungeduldig.

»’s ist keine Kirche, soviel ist gewiß, Ew. Gnaden«, sagte Fid mit großer Bestimmtheit.

»Läßt er Signale flattern?«

»Er spricht vielleicht durch seine Flaggen, aber zu wissen, was er eigentlich sagen wollen tut, dazu gehört ein größerer Gelehrter als Richard Fid. Soviel ich sehen kann, hat er drei neue Stücke Leinwand in seinem großen Oberbramsegel, aber kein Flaggentuch.«

»Das Schiff ist glücklich, daß sein Segeltuch so gut imstande ist. Herr Wilder, sehen auch Sie die dunkleren Stücke Leinwand, von denen die Rede ist?«

»Es ist allerdings Leinwand, die man versucht wird, für später aufgezogen zu halten, als die übrige. Ich glaube, ich habe sie vorher, als die Sonne auf das Segel schien, aus Irrtum für Signale genommen.«

»Dann sieht man uns noch nicht, und wir können noch eine Zeitlang ruhig vor Anker bleiben, obgleich wir den Vorteil voraushaben, daß wir dem Fremden Fuß vor Fuß, bis zu den neuen Tüchern in seinem Bramsegel hinauf messen können.«

Der Ton, in dem der Rover sprach, war seltsam zwischen Satire und Argwohn geteilt. Eine ungeduldige Bewegung, die er nun machte, zeigte den beiden Matrosen an, daß sie die Hütte verlassen sollten. Als er sich wieder allein mit seinen Offizieren sah, die sprachlos und voller Ehrfurcht da standen, wandte er sich zu ihnen und setzte seine Rede auf eine Weise fort, die zugleich ernst und begütigend war:

»Meine Herren, unsere Muße hat ein Ende; das Glück hat uns wieder in den Pfad regsamer Tätigkeit geführt. Ob das Schiff vor uns genau siebenhundertundfünfzig Tonnen groß sei, ist mehr als ich zu behaupten imstande bin, aber etwas gibt es, was jeder Seemann wissen kann. Aus der Art, wie dessen obere Rahen gebraßt sind, an ihrem Ebenmaß, endlich an der Wucht von Leinwand, die es im Winde führt, erkenne und erkläre ich, daß es ein Kriegsschiff ist. Ist irgend jemand anderer Meinung? Herr Wilder sprechen Sie.«

»Ich fühle die Wahrheit aller Ihrer Gründe und stimme Ihnen bei.«

Das finstere Mißtrauen, das sich während des vorhergehenden Auftritts auf der Stirn des Rover verbreitet hatte, hellte sich um einen Schatten auf, als er die unumwundene, offene Aussage seines ersten Leutnants hörte.

»Sie glauben also, daß es eine königliche Flagge führe! Diese männliche Festigkeit in Ihrer Antwort gefällt mir. Der nächste Punkt, den wir nun zu überlegen haben, ist: Sollen wir uns mit dem Schiff in ein Gefecht einlassen?«

Nicht so leicht war es, auch auf diese Frage eine bestimmte Antwort zu geben. Jeder Offizier wollte erst in den Augen seiner Kameraden deren Meinung lesen, ehe er selbst eine gab; daher hielt es der Kommandeur für gut, seine Anfrage persönlicher zu stellen:

»Wohlan, General, hier ist ein Punkt, der sich ganz besonders für Ihre Weisheit eignet. Sollen wir einer königlichen Flagge den Kampf anbieten? Oder die Flügel ausbreiten und uns davonmachen?«

»Auf die Retirade sind meine Hunde nicht einexerziert. Geben Sie ihnen jedes andere Stück Arbeit, und ich verbürge mich dafür, daß sie standhalten.«

»Sollen wir uns aber in ein Wagnis einlassen, ohne hinlänglichen Grund dazu?«

»Der Spanier schickt seine Goldbarren oft unter der Larve eines bewaffneten Kreuzers nach Hause«, bemerkte einer der Subalternen, dem selten ein Risiko behagte, das keine Aussicht auf eine verhältnismäßige Beute darbot. »Lassen Sie uns dem Fremden erst den Puls fühlen; führt er noch etwas außer seinen Kanonen, so wird er es verraten durch seine Abgeneigtheit, uns zu sprechen; ist er aber arm, so werden wir ihn kampflustig finden wie einen halbsatten Tiger.«

»Ihr Rat ist vernünftig, Brace, er soll berücksichtigt werden. So gehen Sie also, meine Herren, jeder an seinen Posten. Die halbe Stunde, die es noch dauern wird, ehe der Rumpf des fremden Schiffes zu Gesichte steigt, wollen wir dazu anwenden, daß wir unsere Kardeelen in Ordnung bringen und die Kanonen visitieren. Da kein Beschluß zur Schlacht gefaßt ist, so lassen Sie alles Nötige so ausführen, daß nichts von unserer Vorbereitung zu merken ist. Meine Leute dürfen nichts sehen, was sie auf den Gedanken bringen könnte, daß wir einen schon gefaßten Beschluß wieder fahren ließen.«

Er winkte, und die Gruppe zerstreute sich, indem sich ein jeder zur Besorgung eines Teils der Vorbereitung anschickte, der seinem Posten im Schiffe anheimfiel. Wilder war im Begriff, sich mit den übrigen zu entfernen, als ihn sein Oberer zu sich winkte, so daß beide allein auf der Hütte blieben.

»Die Eintönigkeit unserer Lebensweise, Herr Wilder, wird nun wahrscheinlich eine Unterbrechung erleiden«, fing der Rover an, nachdem er zuvor um sich geschaut hatte, ob sie allein wären. »Ich habe von Ihrem Mut und Ihrer Ausdauer genug gesehen, um überzeugt zu sein, sollte der Zufall mich außerstand setzen, die Schicksale dieser Menschen zu leiten, daß meine Autorität in feste und geschickte Hände fallen wird.«

»Wenn uns ein Unfall treffen sollte, so hoffe ich, der Ausgang werde Ihre Erwartungen nicht täuschen.«

»Ich habe Vertrauen, Sir: und wo ein tapferer Mann sein Vertrauen setzt, da ist er zur Hoffnung berechtigt, es werde nicht gemißbraucht werden. Hab‘ ich recht?«

»Ich sehe die Richtigkeit Ihrer Worte ein.«

»Ach, Wilder, ich wünschte, wir hätten uns früher gekannt. Doch was nützt fruchtloses Bedauern! Ihre Kerle da haben ein scharfes Gesicht, daß sie jene Segeltücher so bald unterscheiden konnten.«

»Die Bemerkung war von der Art, wie sie sich von Leuten dieser Klasse erwarten ließ: Sie aber waren der erste, der die feineren Unterscheidungen entdeckte, die das Schiff als einen königlichen Kreuzer bezeichnen.«

»Und dann die siebenhundertundfünfzig Tonnen des Schwarzen! – Das heißt doch wirklich seine Meinung mit großer Bestimmtheit geben!«

»Es ist die Eigenschaft der Unwissenheit, positiv zu sein.«

»Sehr wahr. Richten Sie doch einmal den Blick auf den Fremden, und sagen Sie mir, wie geschwind er herankommt.«

Wilder gehorchte, offenbar froh, von einem Gespräch befreit zu sein, das ihn vielleicht in Verlegenheit gesetzt hätte. Lange schaute er, bevor er das Glas senkte; während der Pause sprach sein Kommandeur keine Silbe. Als sich Wilder nun aber zu ihm wendete, um das Resultat seiner Beobachtung zu geben, begegnete er einem auf sein Gesicht gehefteten Blick, der bis in sein Innerstes dringen zu wollen schien. Hoch errötend, vielleicht wegen des Argwohns, den ein solcher Blick verriet, schloß Wilder die zum Sprechen schon halb geöffneten Lippen.

»Und das Schiff?« fragte Rover mit tiefer Betonung.

»Das Schiff zeigt schon seine unteren großen Segel; noch einige Minuten, so können wir den Rumpf sehen.«

»Ein schnelles Fahrzeug; es ist geradezu auf uns gerichtet.«

»Ich glaube nicht. Es liegt mit dem Vorderteil mehr nach Osten zu.«

»Von diesem Umstand muß ich mir doch selbst Gewißheit verschaffen. Sie haben recht,« fuhr er fort, nachdem er auf das sich nähernde Segelgewölk hingeblickt hatte; »Sie haben ganz recht. Wir sind noch immer unentdeckt. Vorne da! Nehmt das Vorstagsegel dort herunter; wir wollen das Schiff mit bloßen Rahen im Gleichgewicht halten. Nun mag er alle seine Augen zusammennehmen und gucken; sie müssen scharf sein, wenn sie diese nackten Stangen aus solcher Ferne erblicken wollen.«

Ohne eine weitere Erwiderung zu machen, gab unser Abenteurer seinen Beifall zu dem Gesagten durch ein bloßes Kopfnicken zu erkennen. Drauf setzten sie ihr Auf- und Abgehen innerhalb des beschränkten Raumes des Hüttendecks fort, ohne daß einer oder der andere besondere Neigung zeigte, das Gespräch zu erneuern.

»Wir sind ganz gut auf die Alternative, zu fechten oder zu fliehen, gerüstet«, bemerkte endlich der Rover, indem er einen Überblick über die Vorbereitungen tat, die, ohne äußeres Aufsehen zu erregen, von dem Augenblicke an, wo sich die Offiziere an ihre Posten zurückbegeben hatten, in Gang gesetzt worden. »Ich will Ihnen nur gestehen, Wilder, daß es mir Freude macht, zu glauben, der verwegene Narr dort führe das stolze Patent des Deutschen, der die Krone Britanniens trägt. Ist er uns so sehr überlegen, daß es Tollkühnheit wäre, uns im Kampfe mit ihm messen zu wollen, so will ich ihm wenigstens Hohn sprechen; sollte sich’s aber zeigen, daß wir ihm gewachsen sind, wie schön, den heiligen Georg ins Wasser herabflattern zu sehen! Würde Ihnen der Anblick nicht Freude machen?«

»Ich hatte den Wahn, daß Leute unsres Handwerks die bloße Ehre Albernen überließen, und keinen Schlag täten, dessen Echo nicht von einem kostbarern Metall als bloßem Stahl zurücktönt.«

»So urteilt die Welt von uns: ich meinesteils aber möchte lieber den Stolz der Kreaturen des Königs Georg demütigen können, als die Schlüssel zu seinem Schatz erringen! – Habe ich recht, General?« setzte er hinzu, als sich dieser näherte. »Habe ich recht, wenn ich behaupte, daß es eine herrliche Freude ist, eine königliche Flagge dem Spiel der Wogen preiszugeben?«

»Wir kämpfen um den Sieg«, erwiderte der Haudegen. »Ich bin jede Minute schlagfertig.«

»Prompt und entschieden, wie’s einem Soldaten ziemt. Sagen Sie mir doch, angenommen, das Glück oder der Zufall, oder die Vorsehung – welcher von diesen Mächten Sie nun einmal als Führerin huldigen mögen – stellte Ihnen die Wahl unter den Lebensgenüssen frei, welchem Genuß würden Sie, als dem höchsten, den Vorzug geben, General?«

Der Soldat überlegte einen Augenblick, ehe er antwortete:

»Ich habe mir oft gedacht: Könntest du über die Dinge auf Erden gebieten, du würdest, unterstützt von einem Dutzend deiner wackersten Hunde, den Eingang der Höhle angreifen, in die der Schneiderbursch, der sogenannte Aladdin, eintrat.«

»Der Wunsch eines echten Freibeuters! An den bezauberten Bäumen würden dann nicht lange die goldenen Früchte prangen. Doch wäre der Sieg nicht sehr ruhmbringend, da die Waffen der Kämpfenden in nichts als Beschwörungen und Zauberformeln bestehen. Gilt Ihnen die Ehre nichts?«

»Hm! Um Ehre habe ich die Hälfte eines ziemlich langen Lebens gefochten; am Ende aller meiner Fährlichkeiten fand ich mich geradeso federleicht als beim Anfang. Nein, nein! Die Ehre und ich haben Abschied voneinander genommen; es müßte denn die sein, als Eroberer aus dem Kampfe hervorzugehen. Ich hasse allerdings eine Niederlage; aber die bloße Ehre des Sieges kann man zu jeder Zeit wohlfeil von mir haben.«

»Lassen Sie es gut sein. Der Dienst bleibt der Sache nach so ziemlich derselbe, mögen Sie Ihre Beweggründe hernehmen woher Sie wollen. – Was ist das! Wer hat sich unterstanden, das Bramsegel da oben loszulassen?«

Die heftige Veränderung in der Stimme des Rovers machte alle, die ihn hörten, zittern. Jeder einzelne Ton drückte tiefen, bittern und drohenden Unwillen aus, und jeglicher richtete den Blick hinauf, um zu sehen, auf wessen unglückliches Haupt das Gewicht des furchtbaren Zorns seines Befehlshabers fallen würde. Da nichts den Augen im Wege war, als entblößte Rahen und angestraffte Taue, so überzeugten sich alle in einem und demselben Moment von der Wahrheit der Sache. Fid stand auf der Spitze der Spiere, die zu dem ihm angewiesenen Gebiete im Schiffe gehörte, und das genannte Segel, an allen seinen Kardeelen los, flatterte hoch und weit in den Wind hinein. Das laute Rauschen der Leinwand mußte sein Ohr betäubt haben; denn statt auf jenen tiefen, mächtigen Ruf des Kommandeurs zu hören, stand er da, versunken in der Anschauung seines Werkes, und schien sich nicht im geringsten zu kümmern, was die unter ihm dazu sagen würden. Allein ein zweiter Ruf erschallte in viel zu fürchterlichen Tönen, als daß er selbst vom schwerhörenden Ohr des Delinquenten unbeachtet bleiben konnte.

»Auf wessen Befehl wagtest du dies Segel loszulassen?« schrie der Rover hinaus.

»Auf Befehl Sr. Majestät des Windes, Ew. Gnaden; der beste Seemann muß nachgeben, wenn eine Bö die Oberhand gewinnt.«

»Schnür‘ es an! hiß es auf, und schnür‘ es an!« rief der aufgebrachte Anführer. »Rollt mir’s zusammen, und schickt den Kerl herab, der sich erfrechte, in diesem Schiffe eine andere Macht anzuerkennen als meine, und wäre es auch die eines Orkans.«

Ein Dutzend behender Toppgasten stiegen in die Höhe, dem Fid zu helfen. Nach einer Minute war das stark bewegte Segeltuch eingeholt und Richard unterwegs nach der Hütte. Während dieses kurzen Zwischenraumes war die Stirn des Korsaren finster und zürnend, wie die schwarze Oberfläche des Elements, auf dem er hauste, unter dem einherbrausenden Sturm. Wildern, der seinen neuen Kommandeur noch nie in solcher Aufregung gesehen hatte, wurde bange um das Schicksal seines alten Gefährten, und wie dieser sich näherte, trat auch er dichter heran, um Fürbitte für ihn zu tun, sollten die Umstände eine solche Dazwischenkunft unumgänglich notwendig machen.

»Und wie kommt das?« fragte der strenge und zornige Anführer den Delinquenten. »Wie kommt’s, daß du, den ich erst so kürzlich zu beloben Ursache hatte, es wagen darfst, ein Segel in einem Moment loszulassen, wo es von Wichtigkeit ist, daß das Schiff vor Topp und Takel stehe?«

»Ew. Gnaden werden zugeben, daß dem gescheitesten Mann zuweilen der Verstand durch die Finger schlüpft, warum also nicht ein Stückchen Leinwand?« antwortete gelassen der Delinquent. »Wenn ich die Beschlagsseising etwas zu locker an die Rahe anholte, so ist’s ’n Vergehen, für das zu büßen ich bereit bin.«

»Wahr gesprochen, du sollst den Fehler teuer büßen. Bringt ihn nach der Laufplanke und laßt ihn mit der Peitsche Bekanntschaft machen.«

»Ist keine neue Bekanntschaft, Ew. Gnaden, sintemalen wir schon früher aufeinandergestoßen sind, und zwar bei Gelegenheiten, derentwegen ich Ursache hatte, mein Haupt zu verbergen; hier aber sind’s vielleicht bloß viel Hiebe und wenig Schande.«

»Darf ich eine Fürbitte für den Fehlenden tun?« unterbrach Wilder angelegentlich und hastig. »Er macht oft dumme Streiche, allein wenn es ihm ebensowenig an Kenntnissen als an gutem Willen gebräche, so würde er selten fehlen.«

»Verlieren Sie kein Wort darüber, Master Harry«, versetzte der Freibeuter mit einem sonderbaren Seitenblick. »Das Segel flatterte allerliebst, es ist zu spät, es leugnen zu wollen; und so muß das Faktum wahrscheinlich aus den Rücken von Richard Fid aufgetragen werden, wie man irgendeinen andern Unfall ins Logbuch einzutragen pflegt.«

»Ich wünschte, er könnte Pardon erhalten. Ich getraue mir, in seinem Namen das Versprechen zu tun, daß es sein letztes Vergehen sein soll.«

»Mag’s vergessen sein«, erwiderte Rover, mächtig gegen seinen Zorn ankämpfend. »Ich will in einem Augenblicke wie dem gegenwärtigen unsere Eintracht dadurch nicht stören, daß ich Ihnen, Herr Wilder, eine so kleine Bitte abschlage; indes darf ich Ihnen nicht erst sagen, was für üble Folgen eine solche Vernachlässigung herbeiführen konnte. Geben Sie mir das Fernglas; ich will doch sehen, ob das flatternde Segel den Augen des Fremden entgangen ist.«

Der Toppgast warf einen verstohlenen aber triumphierenden Blick auf Wilder, der ihm rasch zuwinkte, sich zu entfernen, und seinem Kommandeur wieder an die Seite trat, um gemeinschaftlich mit ihm die Untersuchung fortzusetzen.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Das fremde Segel kam so rasch näher, daß es von Augenblick zu Augenblick dem nackten Auge erkennbar wurde. Der kleine, weiße Punkt, der zuerst am entfernten Rande der See, gleich einer auf den Gipfel einer Woge schwimmenden Möwe erschien, war während der letzten halben Stunde allmählich in die Höhe gestiegen, bis sich eine erhabene Pyramide von Segeln aus dem Wasser emporhob. Als Wilder nochmals das Auge auf diesen immer wachsenden Gegenstand heftete, gab ihm der Rover das Glas zurück, und in dem Ausdruck seiner Züge konnte unser Abenteurer deutlich die Worte lesen: Die Nachlässigkeit Ihres Dieners hat uns, wie Sie sehen können, bereits verraten! Doch lag mehr Bedauern als Vorwurf in dem Blick; auch entfuhr dem Munde nicht ein Wörtchen, das den sprechenden Sinn des Auges bestätigt hätte. Im Gegenteil, aller Anschein war dafür, daß der Kommandeur eifrig den Wunsch hegte, den neuen Freundschaftsvertrag zwischen ihnen unverletzt zu erhalten; denn als der junge Seemann eine etwas unbeholfene Erklärung der wahrscheinlichen Ursachen von Fids Versehen zu machen versuchte, wurde ihm mit einer gelassenen Gebärde entgegnet, die ihm verständlich genug die Versicherung gab, daß dem Delinquenten verziehen sei.

»Unser Nachbar hält einen guten Ausguck, wie Sie sehen. Er hat gewendet und legt sich uns kühn gerade vor den Vorsteven. Wohlan, er mag sich nahen; wir werden bald seine Batterien zu Gesicht bekommen, und dann können wir ja bestimmen, von welcher Art die Zusammenkunft sein soll.«

»Wenn Sie dem Fremden eine so große Annäherung erlauben, so dürfte es schwer sein, ihn bei der Jagd aus der Fahrt zu werfen, im Falle es wünschenswert sein sollte, ihn vom Halse zu haben.«

»Das Fahrzeug muß schnell segeln, dem der Delphin nicht ein Bramsegel vorausgeben kann.«

»Ich weiß nicht, Sir. Das Segel dort kann munter bei dem Wind segeln, es ist also nicht unwahrscheinlich, daß es vor dem Winde nicht träger sein wird. Mir ist selten ein Schiff vorgekommen, das so rasch zu Gesichte stieg wie dieses, seit wir es zuerst entdeckten.«

Der Jüngling sprach mit so vieler Angelegentlichkeit, daß er die Aufmerksamkeit seines Kommandeurs von dem gemeinsamen Gegenstand ab und auf sein Gesicht zog.

»Herr Wilder,« sagte er rasch und entschieden, »Sie kennen das fremde Schiff!«

»Ich will es nicht leugnen. Meiner Meinung nach wird es sich als ein Schiff ausweisen, das dem Delphin zu schwierig ist, und das wenig hat, was uns zu dem Versuch einladen könnte, es aufzubringen.«

»Seine Größe?«

»Sie wissen sie bereits vom Schwarzen.«

»Also auch Ihre Begleiter kennen es?«

»Ein Toppgast verkennt nicht leicht den Zuschnitt und die Haltung der Segeltücher, zwischen denen er Monate, ja mehrere Jahre zugebracht hat.«

»Ich verstehe nun die drei neuen Tücher in dessen Bramsegel! Herr Wilder, es ist noch nicht lange her, daß Sie jenes Schiff verlassen haben?«

»Nicht länger als meine Ankunft in diesem.«

Der Rover schwieg, mehrere Minuten mit sich selbst zu Rate gehend. Sein Gesellschafter machte zwar keinen Versuch, ihn zu stören, doch verriet er durch oftmalige, verstohlene Blicke, daß ihm das Resultat dieser Selbstberatung nichts weniger als gleichgültig war.

»Und seine Kanonenzahl«, fragte endlich abgebrochen sein Kommandeur.

»Es zählt vier mehr als der Delphin.«

»Das Kaliber?«

»Ist verhältnismäßig noch stärker. In jeder Hinsicht ist das Schiff dem Ihrigen überlegen.«

»Es gehört doch auch ganz gewiß dem König an?«

»Ganz gewiß.«

»Dann soll es seinen Herrn wechseln, beim Himmel, es soll mein werden!«

Wilder schüttelte den Kopf, mit einem bloßen ungläubigen Lächeln antwortend.

»Sie zweifeln. Kommen Sie hierher und schauen Sie aufs Verdeck hinab. Kann der, den Sie so kürzlich verließen, Kerle wie diese mustern, die seinem Wink gehorchen?«

Die Bande auf dem Delphin, gewählt von einem Manne, der sich meisterhaft auf das verstand, was zum Charakter eines Matrosen gehört, bestand aus Leuten von allen Völkern der christlichen Welt. In ganz Europa gab es keine schiffahrttreibende Nation, die unter dieser Truppe unruhiger Waghälse nicht ihren Repräsentanten gehabt hatte. Selbst der Abkömmling der ursprünglichen Besitzer von Amerika war bewogen worden, die Gewohnheiten und Ansichten seiner Vorfahren aufzugeben und auf einem Element herumzuschweifen, das Jahrhunderte die Küsten seines Geburtslandes bespülte, ohne in der Brust seiner einfach gesinnten Väter den Wunsch zu erregen, in dessen Geheimnisse einzudringen. Ein wildes Abenteuerleben zu Lande und zu Wasser hatte alle zu ihrem jetzigen, rechtlosen Treiben geeignet gemacht; nimmt man nun hinzu, daß sie von einem Geist geleitet wurden, der es verstand, ihr Tun und Lassen seiner despotischen Gewalt zu unterwerfen, und in dieser Unterwerfung stets zu erhalten, so kann man nicht leugnen, daß sie eine höchst gefährliche und durch ihre Anzahl unwiderstehliche Bande bildeten. Ihr Kommandeur lächelte triumphierend, wie er den tiefen Ernst bemerkte, womit Wildern die Beobachtung erfüllte, daß der Anschein eines herannahenden Kampfes einige in vollkommenem Gleichmut ließ, viele mit wilder Freude begeisterte. Selbst die Neulinge darunter, die armen Kuhlgasten und Hinterwachmänner, waren offenbar ebenso voller Zuversicht, daß ihnen der Sieg gewiß sei, als die, deren Verwegenheit durch häufigen Erfolg und nie erfahrene Niederlage einigermaßen entschuldigt war.

»Rechnen Sie diese für nichts?« fragte der dicht an der Seite seines Leutnants stehende Rover, nachdem er ihm Zeit gelassen hatte, einen Überblick über die ganze schreckliche Truppe zu tun. »Sehen Sie nur! Hier ist ein Däne; er hat Wucht und Ausdauer wie die Kanone, an der ich ihm bald seine Stelle anweisen werde. Glied vor Glied läßt er sich abhauen, doch steht er wie ein Turm, bis der letzte Stein des Fundaments untergraben ist. Und hier, seine Nachbarn und würdigen Kameraden an demselben Stück Geschütz, der Schwede und der Russe; ich verbürge mich dafür, sie bleiben rührig, solange ein Mann von ihnen übrig ist, der eine Kanone mit der Lunte anzünden oder einen Wischer handhaben kann. Dort sehen Sie einen vierschrötigen, athletischen Kerl aus einer der Hansastädte. Ihm ist unsere Freiheit lieber als die seiner Geburtsstadt; und Sie werden finden, daß die ehrwürdigen Institutionen des Hansabundes eher weichen, als er von dem Fleck, den ich ihm zu verteidigen befehle. Dort links sehen Sie ein paar Engländer; bessere Leute in der Not findet man nicht leicht, obgleich sie von dem Eilande sind, das ich so wenig liebe. Geben Sie ihnen Futter und Prügel, so stehe ich dafür, sie sind ebenso tapfer als prahlsüchtig. Können Sie den bedächtigen, starkknochigen Schurken dort in der Ecke sehen, der selbst mitten in aller seiner Spitzbüberei die Miene von Gottseligkeit nicht ablegt? Der Wicht war ein Heringsfänger, bis er einmal Rindfleisch zu kosten bekam; seitdem empörte sich sein Magen gegen die frühere Speise, und endlich gewann die Sucht, reich zu werden, die Übermacht in ihm. Er ist ein Schotte, aus einer der Buchten des Nordens.«

»Und ist er zum Schlagen zu bringen?«

»O ja, wenn Geld – die Ehre der Macs – und seine Religion die Losungsworte sind. Bei alledem ist er ein durchtriebener, verschmitzter Kopf, und ich habe ihn bei einem Streit gern auf meiner Seite. Aha! Das dort ist ein Bursch, wenn’s heißt: Greift an! Ich hieß ihn einst ein Tau in der Geschwindigkeit kappen; statt es unter seinen Füßen zu tun, kappte er’s über seinem Kopfe und machte zur Belohnung für die Tat einen Flug von einer Unterrahe in die See hinab. Seit jener Zeit hört er nicht auf, seine Geistesgegenwart zu rühmen, die ihn vom Ertrinken gerettet habe! In diesem Augenblick sind gewiß alle seine Ideen in heftiger Gärung; und könnte man nur dahinterkommen, ich wäre bereit, eine große Wette zu tun, daß das fremde Fahrzeug sich durch irgendeinen geheimnisvollen Prozeß in seiner furchtbaren Einbildungskraft in ein halbes Dutzend Linienschiffe verwandelt hat.«

»Dann denkt er wohl an die Flucht?«

»Nichts weniger; er entwirft viel wahrscheinlicher Pläne, wie er mit dem Delphin die sechs feindlichen Schiffe umzingeln könne. Flucht ist die letzte Idee, die dem echten Irländer einen unruhigen Augenblick verursacht. Betrachten Sie den nachdenklichen, blassen Sterblichen dicht bei dem Hibernier. . Dies ist ein Mensch, der mit einer Art von Sentimentalität in den Kampf geht. Er hat eine Anlage für das Ritterliche, die man in ihm zum Heroismus steigern könnte, hätte man Gelegenheit und Neigung dazu. Doch wird er auch so niemals verfehlen, einen Funken echt kastilischen Feuers zu zeigen. Sein Kamerad kommt vom Felsen Lissabons; nicht gern würde ich ihm trauen, böte sich bei uns viel Gelegenheit dar, vom Feinde bestochen zu werden. Ach! Hier ist ein Junge, wie man sich ihn zu einem Sonntagstanz nur wünschen kann. Alles an ihm ist in Bewegung in diesem Augenblick, Fuß und Zunge. Es ist ein Geschöpf, das aus lauter Widersprüchen zusammengesetzt ist. Ihm gebricht es ebensowenig an Gutmütigkeit als an Witz; demungeachtet würde es ihn bei Gelegenheit nichts kosten, einem Menschen den Hals abzuschneiden, so seltsam ist in dieser Bestie die Mischung von Bonhomie und von Grausamkeit. Ich beabsichtige, ihm einen Enterhaken zu geben; denn wir würden kaum handgemein geworden sein, so wird seine Ungeduld auch schon den Sieg mit einem einzigen coup-de-main davontragen wollen.«

»Und was ist der Matrose dicht bei ihm für ein Landsmann?« fragte Wilder, für den die Weise, wie der Rover seine Leute schilderte, sehr viel Anziehendes gewann; »er scheint jetzt damit beschäftigt, einige überflüssige Kleidungsstücke von sich abzulegen.«

»Ein haushälterischer Holländer. Der hat ausgerechnet, daß es just ebenso weise wäre, sich in einer alten Jacke totschlagen zu lassen, als in einer neuen; höchstwahrscheinlich hat er auch seinem Nachbar, dem Gascogner, diesen ersprießlichen Rat gegeben, der ihn aber verschmäht hat, weil er entschlossen ist, mit Anstand zu sterben, wenn’s gestorben sein muß. Glücklicherweise hat der erstere seine Vorkehrungen zum Kampfe noch zeitig genug angefangen, sonst könnte sich’s leicht treffen, daß der Feind uns schon geschlagen, ehe er noch halb fertig wäre. Hätten diese zwei Ehrenmänner diesen Streit gegeneinander auszufechten, so würde der linke, merkurialische Franzose seinem flamändischen Nachbar eine Niederlage beibringen, ehe dieser kaum gewahr würde, daß der Kampf ordentlich begonnen habe; ließe jener aber den glücklichen Moment unbenutzt, so würde der Holländer, glauben Sie mir, ihm nicht wenig zu schaffen machen. Haben Sie vergessen, Wilder, daß es eine Zeit gab, wo die Landsleute dieses langsam sich bewegenden, schwerfälligen Lümmels die Meerengen befuhren, mit einem Besen am Topp ihrer Masten?«

Wild lachte der Rover bei diesen Worten, und mit Bitterkeit sprach er sie aus. Sein Gefährte konnte jedoch nicht sehen, was für Grund zum Triumphieren in der Erinnerung des Sieges eines auswärtigen Feindes liegen könne; daher begnügte er sich damit, durch ein bloßes Kopfnicken anzuzeigen, daß er die Wahrheit der geschichtlichen Tatsache zugebe. Darauf versetzte er etwas hastig, gleichsam als ob er sich die demütigende Beachtung, zu der jenes schmerzliche Eingeständnis führte, so bald als möglich aus dem Sinn schlagen wolle:

»Sie haben die beiden derben Matrosen vergessen, die dort mit so viel ernster Beobachtung die Größe des fremden Schiffes an seinem Tauwerk ausfindig machen wollen.«

»Ja, ja; die Kerle kommen aus einem Lande, an dem wir beide einigen Teil nehmen. Die See ist nicht unbeständiger als jene Schelme in ihrer Spitzbüberei. ›Nur halb entschlossen sind sie zum Seeraub‹ – ein rauhes Wort, Herr Wilder, allein ich fürchte, ein passendes für unser Treiben. Diese Schurken jedoch machen sich einen Gnadenvorbehalt inmitten aller ihrer Verworfenheit.«

»Ihre Blicke auf den Fremden scheinen anzudeuten, als sähen sie Grund, die Klugheit, ihn so nahe herankommen zu lassen, in einigen Zweifel zu ziehen.«

»O, es sind bekannte Rechenmeister. Am Ende haben sie gar die vier von Ihnen erwähnten Kanonen entdeckt, die der Fremde mehr zählt als wir; denn bei Sachen, wo sie sich beteiligt fühlen, scheinen ihre Gesichtsorgane eine mehr als natürliche Schärfe zu haben. Aber Sie sehen, die Kerle haben Mark in den Knochen; und was mehr sagen will, es gibt Köpfe, die sie lehren, aus diesen Vorzügen soviel Vorteil als möglich zu ziehen.«

»Sie trauen ihnen wohl nicht zuviel Mut zu?«

»Fürwahr! Wenn sie erst einen Punkt für wesentlich erachten, so stellt man ihren Mut gewiß nicht ungestraft auf die Probe. Sie streiten nicht leicht bloßer Worte wegen und verlieren selten gewisse abgedankte Grundsätze aus den Augen, die, nach ihnen, in einem Buche stehen, dem Sie und ich, wie zu befürchten steht, gerade kein sehr angestrengtes Studium gewidmet haben. Nicht oft tun sie einen Schlag, wenn weiter nichts als bloßer Ritterruhm dabei zu gewinnen steht; und hätten sie auch die Neigung dazu, so verstehen sich die Schufte zu gut auf die Logik, um, wie Ihr Schwarzer, ein Schiff für eine Kirche anzusehen. Sehen sie erst in ihrem wichtigen Dafürhalten Grund vorhanden, sich in den Kampf einzulassen, wahrlich! so tun sie beiden Kanonen, die sie regieren, bessere Dienste als alle andere Batterien; falls sie aber andrer Meinung sind, so würde es mich nicht wundernehmen, von ihnen den Vorschlag zu hören: doch lieber das Pulver auf eine profitablere Gelegenheit zu versparen. Ehre, fürwahr! – Die Hunde sind viel zu verschmitzt bei streitigen Fällen, um nicht zu wissen, welchen Rang der Ehrenpunkt in unserm Gewerbe einnimmt. Doch wir plaudern über Kleinigkeiten, es ist Zeit, an wichtigere Dinge zu denken. Herr Wilder, jetzt unsere Segel gezeigt!«

Plötzlich, wie seine Sprache, veränderte sich auch die ganze Weise des Rover. Den tändelnden Scherz, dem er sich hingegeben hatte, abbrechend, nahm er eine seinem Ansehen passendere Miene an und entfernte sich, während der Subalterne zur Ausführung seiner Befehle die nötigen Orders ausgab. – Nightingale blies das gewöhnliche Signal und rief dann mit rauher Stimme: »Zu Hauf! Setzt Segel bei, ahoi!«

Die Betrachtungen, die die Mannschaft des Delphin mittlerweile über das so rasch herankommende Segel angestellt hatte, entsprachen der besonderen Denkweise eines jeden. Einige triumphierten bei der Aussicht auf eine Prise: andere, besser mir der Handlungsweise ihres Kommandeurs vertraut, hielten es für noch gar nicht ausgemacht, daß sie überhaupt mit dem Fremden zum Handgemenge kommen würden. Die Wenigen, an das Nachdenken Gewöhnteren, schüttelten beim Herannahen des Fremden die Köpfe; sie schienen die Nachbarschaft für etwas bedenklich zu halten. Unbekannt jedoch mit jenen geheimen Mitteln, sich von der Lage des Feindes zu unterrichten, Mittel, die ihrem Befehlshaber oft bis zu dem Grad des Wunderbaren zu Gebote standen, hatten alle geduldig seine Entscheidung abgewartet. Als nun aber der obengenannte Aufruf erscholl, bewies die allgemeine lebendige Tätigkeit, womit ihm entsprochen wurde, daß der Mannschaft nichts willkommener sein konnte. Nun hatte Wilder, kraft seines Ranges im Schiffe, in rascher Aufeinanderfolge die Orders auszuteilen. Es schien ein und derselbe Geist zu sein, der den Schiffsleutnant und die Mannschaft beseelte, denn sämtliche nackte Spieren des Delphin waren nach wenigen Minuten mit ungeheuern faltigen Massen schneeweißer Leinwand bekleidet. Ein Segeltuch nach dem andern fiel, eine Rahe nach der andern hob sich zum Topp ihres Mastes, bis sich das Fahrzeug sowohl vor dem Winde beugte, als auch nach den Seiten zu in Schwung kam, obgleich die Rahen so geordnet waren, daß sie es an seinem Posten festhielten. – Jetzt waren alle Vorkehrungen zur Vollendung gediehen, das Schiff lag bereit, jeden Pfad, der für notwendig erachtet würde, einzuschlagen. Seinem Obern hierüber Rapport abzustatten, stieg Wilder hinauf zur Hütte. Er fand den Rover aufmerksam das fremde Schiff betrachtend, dessen Rumpf soeben zum Vorschein kam, und an dem, der ganzen Länge nach, eine gelbe, mit schwarzen Punkten bezeichnete Linie zu sehen war. Kein Auge auf dem Delphin bedurfte der Belehrung, daß diese Punkte die Pforten der Kanonen waren, die des Schiffes Stärke bestimmten. Mistreß Wyllys und Gertraud standen nahe beim Rover, erstere tiefsinnig wie gewöhnlich, aber doch aufmerksam auf jeden noch so kleinen Vorfall.

»Es ist fertig, dem Schiffe den Wind abzugewinnen,« sagte Wilder: »wir warten bloß, bis Sie den Strich angeben.«

Der Rover schrak zusammen und trat näher aus seinen Leutnant zu, ehe er, ihm gerade und scharf ins Gesicht schauend, folgende Frage tat:

»Wissen Sie auch gewiß, Herr Wilder, daß Sie jenes Schiff kennen?«

»Gewiß«, war die ruhige Antwort.

»Ist es nicht«, unterbrach mit großer Hast die Gouvernante, »ein königlicher Kreuzer?«

»Allerdings: dafür hab‘ ich es bereits erklärt.«

»Herr Wilder, wir wollen seine Schnelligkeit auf die Probe setzen. Lassen Sie die großen Segel losschnüren und richten Sie die Focksegel in den Wind.«

Der junge Seemann verbeugte sich gehorchend und setzte die Befehle seines Kommandeurs in Vollzug. Doch war, als er die nötigen Befehle austeilte, eine Befangenheit, wo nicht gar ein Zittern zu bemerken, das in auffallendem Kontraste stand mir der Ruhe und Gelassenheit, wie sie die Rede des Rover bezeichneten. Selbst der Bemerkung einiger älteren Matrosen entging Wilders bebende Stimme nicht: und während der Pausen, wo sie auf seine Worte hören mußten, warfen sie einander Blicke von ganz eigentümlicher Bedeutung zu. Wie wenig sie jedoch an solche Stimme gewöhnt sein mochten, so leisteten sie ihr doch denselben Gehorsam, wie dem unbefangenen gebieterischen Ruf des gefürchteten Häuptlings selbst. Die Vorderrahen waren nunmehr dem Winde zugekehrt, die Segel schwollen an, und der ganze Bau, der solange leblos auf dem Wasser gestanden, geriet langsam in Bewegung und fing an, die Wellen zu durchschneiden. Nach und nach gewann das Schiff seine eigentümliche Schnelligkeit wieder, und nun war ein jeder auf den beginnenden Wettlauf aufs Äußerste gespannt.

Der Fremde war in diesem Augenblick innerhalb einer halben Seestunde leewärts von dem Delphin. Jedes geübte Auge in dem letztern Schiffe hatte sich durch anhaltendere und genauere Beobachtungen bereits von der Beschaffenheit und Stärke des fremden Fahrzeuges einen richtigen Begriff gebildet. Eine wolkenlose Sonne sandte ihre Strahlen aus dessen Batterieseite, und der Schatten seiner Segel malte sich weit hin über die Meereswellen in einer dem Delphin entgegengesetzten Richtung. Dann und wann konnte man mit dem Fernglase durch die Pfortgaten ins Innere des Schiffes dringen, noch aber schillerten die Bewegungen, die man sah, zu sehr ineinander. Auf verschiedenen Teilen des Tauwerks hingegen waren einige menschliche Gestalten deutlich zu sehen; sonst bot das Ganze einen Anblick jener Ruhe dar, die die Begleiterin strenger Ordnung und vollkommener Disziplin zu sein pflegt.

Als der Freibeuter das Geräusch der durchschnittenen Wagen hörte und die kleinen Wasserstaubsäulen sah, die sein wackeres Fahrzeug vor sich her in die Höhe sandte, gab er seinem Leutnant einen Wink, sich zu ihm herauf auf das Deck der Hütte zu verfügen. Lange richtete er sein Kennerauge auf das fremde Segel, genau dessen Stärke erwägend, endlich schien sein Zweifel über einen gewissen Punkt gelöst.

»Herr Wilder,« sagte er, »den Kreuzer da muß ich schon einmal gesehen haben.«

»Nicht unwahrscheinlich; er hat schon die meisten Teile des Atlantischen Meeres beschifft.«

»Ja, ja, dies ist gewiß nicht das erstemal, daß wir aufeinander treffen! Ein bißchen Farbe hat dem Schiffe äußerlich ein anderes Aussehen gegeben; allein mich dünkt, ich kenne die Art, wie seine Masten gesetzt sind.«

»Sie haben den Ruf dafür, daß ihr Ausschuß kein gewöhnlicher ist.«

»Sie besitzen diesen Ruf nicht ohne guten Grund. Haben Sie lange an seinem Bord gedient?«

»Jahrelang.«

»Und Sie verließen es …«

»Um zu Ihnen zu gehen.«

»Sagen Sie, Wilder, hat man Sie auch behandelt wie ein Wesen geringerer Klasse? Wie, sagte man bei allen Ihren Verdiensten nicht auch: Er ist doch nur aus einer Kolonie? Las man nicht Amerika in allem, was Sie taten?«

»Genug, ich habe das Schiff verlassen, Kapitän Heidegger.«

»Gut, man hat Ihnen ohne Zweifel Ursache dazu gegeben. Dies eine Mal wenigstens haben Sie mir einen Freundschaftsdienst erwiesen. Aber Sie waren noch dort während der Frühlingsnachtgleichen, nicht wahr?«

Wilder machte eine kleine bejahende Verbeugung.

»Ich konnt‘ es mir denken. Und kämpften Sie nicht mit einem Fremden bei einem Sturme? – Winde, See und Menschen, alles war vollauf in Arbeit.«

»So ist es. Wir hatten Sie erkannt und glaubten schon, Ihre Stunde hätte geschlagen.«

»Ihre Offenherzigkeit gefällt mir. Wir trachteten einander nach dem Leben, aber wie es Männern geziemt: jetzt, da wir Freunde geworden sind, werden wir um so fester aneinander halten. Ich will über jene Affäre keine weiteren Fragen an Sie tun, Wilder. Verrat gegen einen früheren Herrn ist nicht die Art, wie man sich in meinem Dienste Gunst erwerben kann. Es genügt mir, daß Sie jetzt unter meiner Flagge segeln.«

»Und was für eine ist das?« fragte dicht bei ihm eine milde, aber feste Stimme.

Der Pirat wandte sich hastig um und begegnete abermals dem auf ihn gehefteten, ruhigen, prüfenden Auge der Gouvernante. Einige in Widerstreit miteinander stehende Regungen schimmerten, seltsam vermischt, durch seine Gesichtszüge hindurch, die sich aber nach und nach in einen Ausdruck von einschmeichelnder Höflichkeit aufhellten, ein Ausdruck, den er im Gespräche mit seinen Gefangenen am häufigsten anzunehmen pflegte.

»Eine Dame muß zwei Matrosen an ihre Pflicht erinnern!« rief er. »Wir haben die Galanterie vergessen, dem Fremden unsere Farben zu zeigen! Lassen Sie sie aufziehen, Herr Wilder, damit wir keine Förmlichkeit unterlassen, die der Schiffsgebrauch mit sich bringt.«

»Aber das Schiff vor uns führt ja auch nur eine nackte Gaffel.«

»Wenn auch, so kommen wir ihm in der Höflichkeit zuvor. Die Farben gewiesen!«

Wilder öffnete das Kistchen, in dem wohl ein Dutzend von den am meisten gebrauchten Flaggen zusammengerollt in verschiedenen Fächern lagen. Zweifelhaft bei der Wahl unter so vielen, sagte Wilder halb fragend:

»Ich weiß kaum, welche von diesen Fahnen Sie aufzuziehen befehlen.«

»Necken Sie ihn mit dem schwerfälligen Holländer. Der Kommandeur eines so stattlichen Schiffes muß in allen Zungen der christlichen Welt bewandert sein.«

Der Leutnant gab dem diensttuenden Quartiermeister ein Zeichen, und nach einer Minute wehten über dem Delphin die Wimpel der Generalstaaten. Die beiden Offiziere beobachteten genau, welche Wirkung es auf den Fremden machen würde; dieser weigerte sich indessen, auf das falsche Signal, das sie wiesen, ein erwiderndes Zeichen zu geben.

»Er sieht recht gut, daß unser Kiel nicht für die Untiefen Hollands gebaut ist. Wer weiß, vielleicht kennt er uns gar?« sagte der Rover, einen forschenden Blick auf seinen Gefährten schießend.

»Ich glaube es nicht. Man ist am Delphin zu freigebig mit dem Antünchen gewesen, als daß ihn selbst seine Freunde an der Außenseite wieder erkennen sollten.«

»Das Schiff hat viel von einer Kokette, allerdings«, erwiderte lächelnd der Rover. »Versuchen wir, wie der Portugiese auf ihn wirkt; vielleicht finden brasilianische Diamanten mehr Gunst bei ihm.«

Die eben aufgezogenen Farben wurden herabgelassen, und statt ihrer das Zinnbild des Hauses Braganza dem Winde preisgegeben. Noch immer verharrte der Fremde, seinen Pfad verfolgend, in mürrischer Achtlosigkeit und schien einzig darauf bedacht, sich dichter an den Wind zu bringen, um die Entfernung zwischen sich und dem Gegenstande seiner Jagd so gering als möglich zu machen.

»Ein verbündetes Land kann ihn nicht zum Zorne reizen«, sagte der Rover. »Wohlan! So mag er sich dann die hohnsprechende weiße Flagge, den Drapeau blanc, ansehen.«

Wilder gehorchte schweigend. Portugals Wimpel flatterte aufs Deck herunter, und das weiße Feld Frankreichs wurde in die Höhe gezogen. Kaum hatte diese Fahne noch die Gaffelspitze erreicht, so hob sich vom Verdeck des Fremden, gleich einem ungeheuern aufsteigenden Vogel, ein breites, glänzend bemaltes Tuch, und breitete oben zierlich feine Falten dem Winde auf. In demselben Augenblick prallte eine Rauchsäule aus seiner Seite hervor und trieb schon rückwärts durch seine Takelage, ehe der Knall des herausfordernden Schusses, der sich gegen die Richtung des starken Passatwindes den Weg bahnen mußte, von der Mannschaft auf dem Delphin gehört werden konnte.

»Das kommt von der freundschaftlichen Gesinnung zwischen den beiden Völkern her!« bemerkte trocken der Seeräuber. »Der Holländer läßt ihn stumm, die Krone von Braganza rührt ihn nicht; aber zeigt ihm nur ein Tafeltuch, so regt sich die Galle in ihm! Mag er sich die Farbe, die ihm so wenig zusagt, noch eine Weile betrachten, Herr Wilder; wenn wir müde sind, sie zu zeigen, so finden wir wohl noch eine andere in unserer Flaggenkiste.«

Wirklich schien es, als ob der Anblick der Flagge, die der Rover zu zeigen für gut hielt, auf den Fremden ungefähr denselben Eindruck machte, wie das Stückchen Scharlachtuch des flinken Matadors auf den wütenden Stier. Rasch wurden noch verschiedene kleinere Segel am Fremden beigesetzt, die von keinem wesentlichen Nutzen sein konnten, aber zu erkennen geben sollten, daß er den Augenblick nicht erwarten könne, wo er auf seinen Feind stieße; jede Brasse, jede Buglinie sogar wurde noch mit einem Stück Segeltuch beschwert. Kurz, der Fremde sah ganz aus wie ein Rennpferd, das, obgleich schon mit der äußersten Schnelligkeit die Bahn daherfliegend, noch die Peitsche des Jockei zu fühlen bekommt, ungeachtet kein Anspornen von außen, kein eigenes Feuer einen Flug beschleunigen kann, der ohnedies schon den höchsten Grad erreicht hat. Auch schien das fremde Schiff keineswegs dieser außerordentlichen Anstrengung zu bedürfen. Der Wettlauf, der zeigen sollte, welches von den Fahrzeugen das andere totsegeln würde, war nun in vollem Gange. Wie berühmt aber auch der Delphin als Schnellsegler war, so konnte doch auch das stärkste Auge nicht entdecken, daß er dem fremden Schiffe überlegen wäre; keines konnte dem andern einen sichtbaren Vorsprung abgewinnen. – Schon gehorchte des Freibeuters Schiff dem Winde, schon zerstoben die Wogen vor ihm her in höheren und weiter hinschießenden Strahlen; allein der Fremde schwamm ebenso schnell und zierlich wie sein Nebenbuhler über die wogenden Wasser, denn jeder Windstoß füllte die Segel des einen wie des andern Schiffes.

»Der Bau dort durchschneidet das Wasser wie eine Schwalbe die Lüfte«, bemerkte der Korsarenhäuptling gegen den Jüngling an seiner Seite, der sich bemühte, eine mit jedem Augenblicke wachsende Gemütsbewegung zu unterdrücken. »Hat es denn einen Ruf als Schnellsegler?«

»Der Brachvogel fliegt kaum schneller. Meinen Sie nicht, daß sich nicht Leute wie wir, die unter keinem bessern Patent segeln als ihr eigenes Belieben, näher heranwagen sollten?«

Der Blick des Rovers auf seinen Gefährten drückte unwilligen Verdacht aus, verwandelte sich aber in ein Lächeln stolzer Verwegenheit, ehe er antwortete:

»Mag er dem Aar in seinem höchsten und raschesten Fluge gleichen, er soll an uns keine Nachflügler finden! Woher dieser Ihr Widerwillen, einem der Krone angehörigen Schiffe eine Viertelmeile nahe zu sein.«

»Weil ich seine Stärke kenne und die Hoffnungslosigkeit eines Kampfes mit einem so überlegenen Feinde«, erwiderte Wilder mit Festigkeit. »Kapitän Heidegger, Sie können sich mit keiner Aussicht von Erfolg ins Gefecht mit jenem Schiffe einlassen; und wenn wir uns die noch bestehende Entfernung nicht auf der Stelle zunutze machen, so können Sie ihm nicht einmal mehr entfliehen. Ja, ich weiß nicht, ob es nicht jetzt schon zu spät sei, Flucht zu versuchen.«

»Das, Sir, ist die Meinung eines Menschen, der die Macht seines Feindes überschätzt, weil ihm Gewohnheit und Großsprecherei eine Ehrfurcht davor, wie vor etwas Übermenschlichem beigebracht haben. Niemand, Herr Wilder, ist verwegener, und niemand bescheidener, als wer längst auf seine eigene Kraft als seine einzige Zuflucht angewiesen ist. Ich war einer königlichen Flagge schon näher, und dennoch führe ich, wie Sie sehen, diesen Krieg auf Tod und Leben noch in diesem Augenblicke fort.«

»Horch! Eine Trommel. Der Fremde macht sich an seine Kanonen.«

Der Rover konnte nach einem Augenblick Lauschens das wohlbekannte Signal unterscheiden, das die Bemannung eines Linienschiffes an ihre Posten ruft. Nachdem er zunächst einen Blick aufwärts auf sein Segelwerk getan, und einen zweiten, gleich raschen prüfenden Überblick auf alles Einzelne, seinem Befehle Unterworfene, antwortete er gelassen:

»Wir wollen seinem Beispiele folgen, Herr Wilder. Geben Sie die Order.«

Bis jetzt waren die Leute auf dem Delphin teils beschäftigt mit der Ausführung der nötigen, ihnen angewiesenen Dienstpflichten, teils verloren in der neugierigen Anschauung des Schiffes, das so eifrig zu wünschen schien, ihrem eigenen gefährlichen Fahrzeuge so nahe als möglich zu kommen. Ein tiefes, aber fortwährendes Gesumme von Stimmen – lautere Töne verbot die Disziplin – war das einzige, woran bis jetzt ihre Teilnahme an der Szene zu erkennen war; doch kaum wurde der erste Trommelschlag vernommen, so fuhr jede Gruppe auseinander, und jedermann begab sich geschäftig und regsam an seinen ihm bekannten Posten. Das Geräusch unter der Mannschaft dauerte nur einen einzigen Moment; ihm folgte jene tiefe Stille, deren in diesen Blättern früher bei einer ähnlichen Gelegenheit schon Erwähnung geschah. Jedoch sah man die Offiziere, wie sie durch rasches und bündiges Fragen bei den Leuten unter ihrem respektiven Kommando sich unterrichteten, daß sich alles in gehöriger Ordnung befinde. – Die Kriegsmunition, die nun schnell aus den Magazinen hervorgeschafft wurde, verkündete eine mehr als gewöhnlich ernstgemeinte Vorbereitung. Der Rover selbst war verschwunden; allein nicht lange, so erschien er wieder auf seinem erhabenen Platze, gewaffnet zum Kampfe, der bevorzustehen schien, und, wie immer, damit beschäftigt, die Eigenschaften, Kräfte und Manöver des herannahenden Feindes zu untersuchen. Die indessen, die ihren Chef am besten kannten, waren der Meinung, daß er über die Frage: ob geschlagen werden solle? noch gar keinen festen Entschluß gefaßt habe. Hundert neugierige Blicke waren auf sein sich zusammenziehendes Auge gerichtet, als wollten sie das Geheimnis durchschauen, in das er sein wahres Vorhaben noch immer einhüllte. Da stand er, die Seemannsmütze abgenommen, das blonde Haar eine Stirne umwallend, die geschaffen schien, weit edlere Gedanken zu bergen als die, die er während seines ganzen Lebens gepflogen zu haben schien. Vor seinen Füßen lag eine Art von ledernem Helm, dessen Besatz so beschaffen war, daß er dem Gesicht des Tragenden ein gräßliches, unnatürliches, grausames Aussehen gab. Sobald er diese Entermütze auf hatte, wußten alle im Schiffe, daß der Augenblick ernsten Kampfes gekommen sei; noch aber ließ ihr Anführer dieses untrügliche Zeichen feindlicher Absicht unbemerkt liegen.

Inzwischen war jeder Offizier mit Untersuchung seines Dienstzweiges fertig und erstattete Bericht über dessen Zustand, worauf die totenähnliche Stille, die bis jetzt unter der Mannschaft geherrscht hatte, durch eine Art von stillschweigender Erlaubnis der Oberen sich in dumpfe, aber angelegentliche Unterhaltung der Leute untereinander auflöste, eine Abweichung von den gewöhnlichen Vorschriften auf regelmäßigeren Schiffen, die der berechnende Häuptling deswegen zugab, um die Stimmung seiner Mannschaft, auf die bei seinen verzweifelten Unternehmungen oft und viel ankam, vorher genauer kennen zu lernen.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Es war dies ein Augenblick hoher und ernster Spannung. Die Befehlenden der verschiedenen Abteilungen des Schiffes hatten ein jeder den Zustand seines Departements mit einer Aufmerksamkeit untersucht, die stets ungeteilter zu werden pflegt, wie der Zeitpunkt heranrückt, wo die Tat beweisen muß, wiefern man seinem Amt und dessen Verantwortlichkeit gewachsen sei. Schon hatte sich der Quartiermeister nach der Ordnung aller der verschiedenartigen Taue und Ketten, die zur Sicherheit des Schiffes wesentlich waren, erkundigt, und man hörte nicht mehr seine barsche Stimme; aber- und abermals hatte sich jeder Chef einer Batterie versichert, daß sein Geschütz zum augenblicklichen und wirksamen Dienst in Bereitschaft stehe. Selbst die Extrakriegsmunitionen waren schon aus ihren dunkeln, geheimen Behältnissen herbeigeholt, und das Bevorstehende nahm so ausschließlich die Teilnahme in Anspruch, daß nun auch das leisere Gesumme der Sprechenden verstummte. Der lebendige, überall hinschweifende Blick des Rovers konnte nirgends den geringsten Grund entdecken, der Festigkeit seiner Leute zu mißtrauen. Ernsthaft waren sie, wie es die Tapfersten und Ausdauerndsten in der Stunde der Prüfung immer zu sein pflegen; allein dieser Ernst war mit keinem Zeichen von Furcht vermischt, vielmehr schien er die Wirkung des auf einen einzigen Punkt gesammelten, aufs Äußerste gefaßten Entschlusses, der den menschlichen Geist zu Taten stärkt, die mehr Mut erfordern, als die gewöhnlichen Wagnisse kriegerischer Unternehmungen. In diesem allgemein aufmunternden Ausdruck der Kampflust entdeckte der umsichtige Anführer nur drei Ausnahmen, und zwar in seinem Leutnant und dessen beiden merkwürdigen Gefährten.

Wir haben bereits erwähnt, daß Wilders Benehmen nicht ganz so beschaffen war, wie es einem Manne seines Ranges in einer Stunde von hoher Wichtigkeit geziemt. – Wiederholt hatte der scharfe, unwillige Blick des Rovers dies Benehmen wahrgenommen, allein trotz allem Sinnen konnte er sich über den wirklichen Grund keine genügende Rechenschaft geben. Die Gesichtsfarbe des Jünglings war ebenso frisch, die Haltung seines Körpers ebenso fest als in den Stunden gänzlicher Sicherheit, um so mehr mußte das unstete Herumschweifen seines Auges, das zweifelvolle, unentschiedene Aussehen auf Zügen, die nur für entgegengesetzte Eigenschaften geschaffen schienen, den Anführer nachdenklich machen. Gleichsam als hoffte er in dem Benehmen der Gefährten Wilders eine Auflösung dieses Rätsels zu finden, suchte sein Auge Fid und den Neger auf. Sie hatten beide ihre Stellung an einer Kanone angewiesen bekommen, die dem Platze, den er selbst einnahm, zunächst stand, und bei der Fid den Kanonierdienst hatte.

Fest und unbeweglich gleich den Rippen des Schiffes war die Haltung des Toppgastes, wie er von Zeit zu Zeit einen Zeitenblick längs des Schaftes seiner Kanone tat. Auch war in seinem Wesen jene trauliche, fast väterliche Sorgfalt nicht zu verkennen, die des Seemanns Teilnahme an dem ihm anvertrauten Kommando so vorteilhaft auszeichnet. Und dennoch saß hohes verwirrtes Befremden in seinen rauhen Gesichtszügen, und es war nicht schwer zu entdecken, daß, jedesmal wenn sein Blick vom Antlitze Wilders auf den Feind hinüberschweifte, er darüber erstaunte, beide einander gegenüber zu sehen. Wie außerordentlich ihm aber auch offenbar ein solches Ereignis vorkam, so erlaubte er sich doch keine Bemerkung oder Klage, sondern schien ganz im Geiste jenes wohlbekannten Seegrundsatzes zu handeln, der den disziplinierten Matrosen einschärft: »Dem Schiffsbefehl werde pariert, wenn auch der Schiffsherr dabei krepiert!« Jeder Teil der athletischen Gestalt des Negers war ausdruckslos, ausgenommen seine Augen. Diese großen, kohlschwarzen Augäpfel rollten wie die des Toppmannes unablässig, nur schülerhafter, zwischen Wilder und dem fremden Segel hin und her, und bei jedem frischen Blicke schien sein Erstaunen zu wachsen.

Überrascht durch diese klaren Beweise eines außerordentlichen und doch gemeinschaftlichen Gefühls zwischen beiden, benutzte der Rover seine Stellung und die Entfernung seines Leutnants, um sie anzureden. Mit jenem vertraulichen Tone, den der Befehlshaber gegen seine Untergebenen anzunehmen pflegt, wenn der Moment ihrem Dienste hohe Wichtigkeit verleiht, sagte er, indem er sich über das dünne, den Abhang der Hütte von der Schanze abteilende Geländer hinüberlehnte:

»Ich hoffe, Master Fid, man hat Euch an eine Kanone gestellt, die zu sprechen versteht.«

»Es gibt auf dem ganzen Schiffe keinen glatteren Lauf, noch geräumigeres Maul, als die von meinem Blitz-Wilhelm hier«, erwiderte der Toppgast und streichelte dabei liebkosend den Gegenstand seiner Lobeserhebung. »Ich verlange nichts weiter als einen reinen Wischer und einen festen Kabelgarnpfropfen, Guinea, leg‘ mir mal ein halbes Dutzend Kugeln zurecht, nach deiner eigenen Manier, als wenn du mit einem paar Kugeln das Anker vom Tau losmachen wolltest; wenn die Affäre vorüber ist, so mögen die, die sie überleben, an Bord des Feindes gehen und schauen, wie Richard Fid seine Körner gepflanzt hat.«

»Ihr seid kein Neuling im Treffen, Master Fid?«

»Behüte Gott, was denken Ew. Gnaden? Ich mache mir aus Schießpulver nicht mehr, wie aus einer Priese trockenen Schnupftabaks! – Obzwar ich gestehen muß …«

»Was wolltet Ihr sagen?«

»Daß ich mich zuweilen bei dergleichen Geschichten ganz am unrechten Orte finde,« erwiderte der Toppmann, indem er zuerst einen Blick auf die Flagge Frankreichs und dann auf das ferne Sinnbild Englands tat, »ungefähr wie ein rückwärts gebogener Klüverbaum zuweilen einem Hintersegel zum Stump dienen muß. Na, ich denke; der junge Herr, der Harry, hat es alles schwarz auf weiß in der Tasche; aber soviel muß ich sagen, daß, wenn mal mit Steinen geworfen sein muß, so sähe ich’s doch lieber, daß Sie des Nachbars Geschirr entzwei schmissen, als meiner eigenen Mutter ihres – Guinea, hör‘ doch, noch ein paar Kugeln leg‘ her, sag‘ ich; denn solls Spiel doch einmal losgehen, i nu, so solls nicht an mir liegen, wenn der Blitz-Wilhelm seinem Namen nicht Ehre macht.«

Der Rover zog sich gedankenvoll und schweigend zurück und begegnete dem Blicke Wilders, dem er nochmals winkte, näherzutreten.

»Herr Wilder,« sagte er mit weicher Stimme, »nun begreife ich, was in Ihnen vorgeht. Da nicht alle in jenem Fahrzeuge Sie beleidigt haben, so würden Sie es lieber sehen, wenn Ihr Dienst gegen jene übermütige Flagge bei einem andern Schiffe anfangen könnte. Überdies ist wenig weiter als hohle Ehre in diesem Kampfe zu gewinnen – aus Schonung Ihrer Gefühle werde er vermieden.«

»Es ist zu spät«, sagte Wilder, traurig den Kopf schüttelnd.

»Sie sollen sehen, daß Sie sich irren. Der Versuch kostet uns vielleicht nur eine volle Lage, aber gelingen soll er. Gehen Sie, führen Sie unsere Gäste hinab an einen sicherern Ort, als die Kajüte ist, und wenn Sie wieder zurückkehren, soll sich die Szene verwandelt haben.«

Mit Vergnügen eilte Wilder in die Kajüte, wohin sich Mistreß Wyllys bereits zurückgezogen hatte; dort entdeckte er beiden Damen die Absicht seines Kommandeurs, ein Gefecht zu vermeiden, und geleitete sie tiefer in die Schiffsräume hinab, damit ihnen kein zufälliges Ereignis einst das Andenken an diese Stunde noch mehr verbittere. Nachdem sich unser Abenteurer dieser angenehmen Pflicht schleunig und sorgfältig entledigt hatte, eilte er mit Blitzesschnelle wieder aufs Verdeck hinauf.

Ungeachtet seine Abwesenheit ihm nur einen Augenblick gedauert zu haben schien, so war doch die Szene, wie der Rover versprochen hatte, vollkommen verwandelt; alle feindselige Zeichen waren verschwunden. Statt der Flagge Frankreichs sah er Englands Fahne an der Gaffel des Delphin flattern, während zwischen beiden Fahrzeugen ein rascher Austausch von wohlverstandenen Signalen tätig im Gange war. Von dem ganzen Gewölk von Leinwand, unter dem sich das Schiff des Rover noch vor wenigen Minuten beugte, waren die Bramsegel die einzigen, die der Wind noch füllte; die übrigen hingen in Festons, und flatterten lose vor einer günstigen Kühlde. Das Schiff selbst lief schnurgerade auf den Fremden zu, der seinerseits, offenbar ungern, wie jemand, dem eine wertvolle, schon erbeutet geglaubte Prise entwischt ist, mürrisch die leichteren Obersegel einholte.

»Klar ist’s, dem Kerl dort tut’s leid, daß er den, den er so kürzlich erst für seinen Feind hielt, jetzt als Freund betrachten muß«, sagte der Rover und machte seinen Leutnant auf die Zuversicht aufmerksam, mit der sich das nahe Schiff durch die falschen Signale berücken ließ. »Es ist eine lockende Versuchung; allein ich widerstehe ihr, Wilder, Ihretwegen.«

Der Blick des Leutnants schien verwirrt, er antwortete nicht. Auch war in der Tat nur wenig Zeit zum Gespräch oder zum Nachdenken übrig. Schnell schoß der Delphin auf seinem Pfade hin, und jeden Augenblick zerfloß der Nebel mehr und mehr, in dem die kleineren Gegenstände an Bord des Fremden durch die Ferne eingehüllt waren. – Kanonen, Blöcke, Taue, Bolzen, Menschen, sogar Gesichtszüge, wurden in rascher Aufeinanderfolge, in dem Verhältnisse, wie der Kiel des Freibeuters vorwärts durch die noch zwischenliegenden Wogen drang, deutlich sichtbar. Noch wenige Minuten, so fuhr der Fremde, nachdem er den größten Teil seiner kleinen Segel angeschnürt hatte, mit dem Winde heran; und bald darauf kam er mit dem Rumpf zum Stillestehen, indem zu diesem Zwecke die Hintersegel breitgebraßt waren, so daß sie der Wind von der Außenseite treffen mußte.

Die Leute auf dem Delphin hatten insofern die zuversichtliche Leichtgläubigkeit des königlichen Kreuzers nachgeahmt, daß auch sie ihre sämtlichen höheren Segel einholten; denn es gab keinen unter ihnen, der nicht, selbst bei einer so bedenklichen Nähe, bis zu der es seinem rätselhaften Anführer beliebte, einen so mächtigen Feind herankommen zu lassen, das unbedingte Zutrauen in dessen Klugheit und Mut gesetzt hätte – Eigenschaften, die ihnen, wie die Leute aus Erfahrung wußten, schon in viel schwierigern Umständen als die gegenwärtigen zustatten kamen. – Mit dieser Miene vermessener Zuversicht glitt der furchtbare Pirat seinem arglosen Nachbar entgegen, bis auf einige hundert Fuß von dessen Luvseite, wo er, einen zierlichen Halbkreis im Drehen beschreibend, vom Winde abfiel und zum stehen kam. Indessen konnte Wilder, den sämtliche Bewegungen seines Vorgesetzten mit stummem Staunen erfüllten, bald bemerken, daß der Vorsteven des Delphin eine von dem andern Schiffe verschiedene Richtung bekam, und daß die Hemmung im Laufe nur durch eine entgegenwirkende Verteilung der Vorderrahen hergestellt wurde; ein Umstand, der, bei der etwaigen Notwendigkeit einer Zuflucht zu den Kanonen, den Vorteil darbot, daß man das Schiff besser in der Gewalt behielt.

Noch dauerten die von der soeben beendigten Bewegung herrührenden Schwankungen des Schiffes fort, als rauh und beinahe unverständlich die gebräuchliche Aufforderung: Namen und Geschäft anzugeben, über das Wasser herüberschallte. Mit einem vielsagenden Blick auf seinen Leutnant setzte der Rover das Sprachrohr an den Mund und nannte zur Antwort den Namen eines bekannten königlichen Schiffes, dessen Größe und Stärke genau denen des seinigen entsprachen.

»Richtig,« rief eine Stimme im andern Fahrzeug, »ich hab‘ mir’s schon bei Euern Signalen gedacht, daß Ihr kein anderer wäret.«

Nun erfolgte der Gegengruß mit Nennung des Namens vom königlichen Kreuzer, und zugleich eine Einladung von seiten des Befehlshabers an seinen Herrn Amtsbruder, seinen Vorgesetzten zu besuchen.

Bis jetzt war nichts weiter vorgefallen, als was zwischen Seeleuten, die unter einer und derselben Flagge dienen, die herkömmliche Sitte mit sich bringt; allein der Zeitpunkt nahte mit raschen Schritten, wo es die meisten Menschen schwierig gefunden haben würden, die Täuschung länger aufrecht zu halten. – Doch weder Zaudern noch Zweifel konnte Wilders beobachtendes Auge in der Haltung seines Obern entdecken. Man hörte im Kreuzer die Trommel: Zum Rückzug von den Posten, rühren; mit der unbefangensten Gelassenheit befahl auch er dasselbe Zeichen, wodurch seine Leute von ihren Kanonen abgerufen wurden. Mit einem Worte, in fünf Minuten war zwischen beiden Schiffen, die bald im tödlichsten Kampfe gegeneinander begriffen gewesen wären, hätte das eine den Charakter des andern geahnt, jeder Anschein von Freundschaft und unbedingtem Vertrauen hergestellt. Als des Rovers zweifelhaftes Spiel diese Stufe erreicht hatte, und die Einladung Wilders Ohren noch nicht verklungen war, winkte jener ihn an seine Seite:

»Sie hören die Aufforderung, daß ich meinem Senior im königlichen Dienste einen Besuch abstatten soll«, sagte er, indem ein ironisches Lächeln um seine höhnende Lippe spielte. »Wünschen Sie nicht, von der Partie zu sein?«

Die Verwunderung, die dieser verwegene Vorschlag in Wilder erregte, war nichts weniger als erkünstelt. Kaum konnte er Worte finden, sich auszudrücken, endlich rief er:

»Sie werden doch nicht so tollkühn sein, diese Gefahr zu laufen!«

»Wenn Sie für ihre Person etwas befürchten, so kann ich auch allein gehen.«

»Befürchten!« gab der Jüngling mit erglühender Wange und blitzendem Auge zurück, »nicht Furcht, Kapitän Heidegger, sondern Klugheit rät mir, mich nicht zu zeigen. Meine Gegenwart würde das Geschäft dieses Schiffes verraten. Sie scheinen zu vergessen, daß in jenem Kreuzer niemand ist, der mich nicht kennt.«

»In der Tat, diesen Teil des Dramas hatte ich ganz außer acht gelassen. Wohlan, so bleiben Sie, und lassen Sie mich allein mit Sr. Majestät Kapitän die Komödie spielen.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er voran und winkte seinem Leutnant, ihm hinabzufolgen. Wenige Augenblicke reichten hin, seine blonden, goldenen Locken, die seinem Gesichte ein so jugendliches, munteres Aussehen gaben, in Ordnung zu bringen. Das phantastische Negligéhabit, das er gewöhnlich trug, wurde nun ersetzt durch einen, seinem angenommenen Range und Amte entsprechenden Anzug, der seiner Person auf das sorgfältigste fast mir einer stutzerhaften Aufmerksamkeit auf das in der Tat schöne Ebenmaß seiner Gestalt angepaßt war. Alles übrige, was zu der Maske gehörte, die ihm anzunehmen beliebte, war eben so rasch beendigt, so daß man notwendig auf den Gedanken kam, dergleichen Vermummungen pflegten nichts Seltenes bei ihm zu sein. Kaum war diese Veränderung in seinem Äußern bewirkt, so schickte er sich auch zur Ausführung seines Vorhabens an.

»Es sind schon viel sicherere und schärfere Augen getäuscht worden,« bemerkte er gelassen, indem er sich beim Sprechen vom Spiegel weg zu seinem Leutnant wendete, »als die, welche das Gesicht des Kapitäns Bignall zieren.«

»Sie kennen ihn also?«

»Herr Wilder, mein Treiben bringt es mit sich, daß ich manches wissen muß, was andere nicht wissen. Ha, ha, ich sehe es Ihnen am Gesichte an, Sie halten dieses Abenteuer für entsetzlich hoffnungslos und verzweifelt, und doch ist keines leichter zu bestehen. Am Bord des Pfeils, davon bin ich überzeugt, ist weder ein Offizier noch ein Gemeiner, der das Schiff, dessen Namen ich für gut fand, anzugeben, jemals gesehen hätte. Es ist zu jung von den Werften, als daß ich in dieser Hinsicht eine Gefahr liefe. Zweitens ist es nicht wahrscheinlich, daß ich in meinem angenommenen Charakter mit irgendeinem der Offiziere bekannt zu sein brauche; denn Sie wissen wohl, dies, Ihr ehemaliges Schiff, ist seit vielen Jahren nicht in Europa gewesen, und wenn Sie sich bemühen wollen, in dem genealogischen Verzeichnisse hier nachzulesen, so wird Ihnen einleuchten, daß ich kein anderer bin als der Sohn eines Lords, ein privilegierter Sterblicher, und daß das Schiff dort von England abwesend war, lange ehe ich noch zum Kommando, ja, ehe ich zum männlichen Alter heranreifte.«

»Diese günstigen Umstände habe ich freilich aus Mangel an Scharfsinn übersehen. Aber wozu wollen Sie überhaupt dieses Wagestück unternehmen?«

»Wozu? … Vielleicht habe ich den tief angelegten Plan: in Erfahrung zu bringen, ob die Prise die Mühe, sie zu nehmen, lohne; vielleicht … ist’s meine Laune so. Das Abenteuer hat einen furchtbar starken Reiz für mich.«

»Nicht minder furchtbar ist die Gefahr.«

»Gilt es solchen Genuß, zähle ich nicht erst die Kosten! – Wilder,« fuhr er fort, mit einem Blicke offenen, gutmütigen Vertrauens näher auf ihn zutretend, »ich gebe in Ihre Bewahrung mein Leben, meine Ehre; denn mir wenigstens gilt es als Entehrung, meine Leute im Stich zu lassen.«

»Ich werde das Pfand zu achten wissen«, erwiderte unser Abenteurer in einem so tiefen, unterdrückten Tone, daß seine Worte kaum vernehmbar waren. Der Rover tat noch einen festen Blick auf das ehrliche Gesicht seines Gefährten, lächelte dann, gleichsam als wollte er seine Zufriedenheit mit der gegebenen Versicherung ausdrücken, machte mit der Hand eine Abschiedsbewegung und wendete sich, um die Kajüte zu verlassen; da begegnete sein Auge einer dritten Gestalt. Die Hand leise auf die Schulter des sich ihm in den Weg drängenden Knaben gelegt, fragte er etwas streng:

»Was willst du mit dieser Reisefertigkeit, Roderich?«

»Meinem Herrn in das Boot folgen.«

»Knabe, man verlangt deine Dienste nicht.«

»Ach, selten verlangt man die seit einiger Zeit.«

»Wozu unnötigerweise noch mehr als ein Leben in Gefahr bringen, wo alles zu verlieren ist und nichts zu gewinnen?«

»Wagst du dein eigenes Leben, so wagst du mein alles«, antwortete er mit unendlicher Hingebung und in einer so leise bebenden Stimme, daß die halberstickten Töne nur von dem gehört wurden, für den sie gesprochen waren.

Der Rover hielt inne, seine Hand ruhte noch immer auf des Knaben Schulter. Sein fest auf ihn gerichtetes Auge, dessen Strahl die Menschen oft bis in das tiefverborgene Geheimnis des fremden Herzens dringen läßt, las des Knaben bewegte Züge. Endlich sagte er, mir weit mehr Milde und Güte in der Stimme:

»Roderich, dein Los ist das meine; wir gehen zusammen.«

Hastig fuhr er mir der Hand über die Stirn und stieg dann mit dem Knaben die Leiter hinauf; ihm folgte das Individuum, in dessen Treue er so großes Vertrauen setzte. Fest war der Tritt des Rover auf seinem Verdeck, und die Haltung seiner Gestalt so unerschrocken, als sähe er nicht das geringste Wagnis in seinem Vorhaben. – Mit der Genauigkeit eines Seemanns weilte sein Blick auf jedem Segel; keine Brasse, Rahe noch Bulinie entging seinen prüfenden Kenneraugen. Dann erst schritt er an die Seite, wo das Boot, das er zu besteigen im Begriff war, längst für ihn bereitgehalten wurde. Jetzt zum ersten Male brach ein matter Schein des Mißtrauens und des Zweifels durch die stolze, kühne Entschlossenheit seiner Züge, einen Augenblick zauderte sein Fuß, als er schon auf der Leiter stand. »Davis,« rief er rauh dem Menschen zu, von dem er durch eigene Erfahrung wußte, daß er im Verrat hinreichend geübt sei, »verlasse das Boot! – Ruft mir statt seiner den barschen Vormann des Vorkastells; wer gewöhnlich so groß tut im Sprechen, wird wohl, wo es sein muß, auch zu schweigen verstehen.«

Die Abänderung wurde auf der Stelle getroffen; denn dem Herrscherblick, den er angenommen hatte, war noch keiner im Schiffe jemals vermessen genug, nicht den augenblicklichsten Gehorsam zu leisten. Noch einen Augenblick stand er in tiefsinniger Stellung da, und dann verschwand der letzte Schatten von Sorge von seiner Stirn, und mit hochherzigem Vertrauen sprach er:

»Wilder, leben Sie wohl! Ich lasse Sie zurück als Anführer meiner Leute, als Herrn meines Schicksals, fest überzeugt, daß ich in beiden Beziehungen einem Würdigen vertraue.«

Gleichsam als verschmähte er die leere Förmlichkeit überflüssiger Versicherungen, stieg er schnell, ohne auf eine Antwort zu warten, ins Boot, das man auch schon im nächsten Augenblick unerschrocken auf den königlichen Kreuzer losrudern sah. Während der darauffolgenden kurzen Zwischenzeit, von dem Moment an, wo die Abenteurer abstießen, bis zu ihrer Ankunft auf dem feindlichen Schiffe, blieben die Zurückgelassenen in einer schmerzlichen Spannung. Der indessen, den der Ausgang zunächst und am meisten anging, verriet weder durch Blick noch Bewegung etwas von der Ängstlichkeit, die die Gemüter seiner Untergebenen erfüllte. Unter den, seinem angeblichen Range gebührenden Ehrenbezeugungen stieg er an der Schiffsseite seines Feindes hinan, mit einer freien Unbefangenheit, die denen, die da wähnen, daß vornehmes Leben und hohe Geburt Grazie und Würde verleihen, offenbar als Ausdruck dieser Eigenschaften erscheinen mußte. Frei, männlich, und der Seemannssitte gemäß, empfing ihn der ehrliche Veteran, dessen gegenwärtiges Kommando für seine lange und schwere Dienstzeit nur eine magere Belohnung abgab. Dieser nun führte gleich nach den ersten üblichen Begrüßungen seinen Gast in seine eigenen Gemächer.

»Nehmen Sie den Schiffsraum ein, Kapitän Howard, der Ihnen am besten behagt«, sagte der wenig Umstände machende, alte Teer und nahm dabei, um der treuherzigen Einladung mir eigenem Beispiele voranzugehen, ohne weitere Zeremonien selber Platz. »Ein Herr von Ihren außerordentlichen Verdiensten verschleudert gewiß nicht gerne seine Zeit mir leerem Wortschwall, obgleich Sie noch so jung sind – das heißt, jung, hinsichts des scharmanten Ranges, den Sie zu bekleiden so glücklich sind.«

»Im Gegenteil, ich versichere Ihnen, nachgerade komme ich mir vor, als wäre ich schon vor der Sündflut geboren,« erwiderte der Seeräuber, indem er sich ruhig an der entgegengesetzten Seite des Tisches niederließ, um seinem halbverdrießlichen Gesellschafter dann und wann besser ins Gesicht schauen zu können: »Werden Sie es mir glauben, Sir, wenn ich diesen Tag auslebe, so habe ich kein geringeres Alter, als mein dreiundzwanzigstes Jahr, erreicht.«

»Ich hatte Ihnen ein paar Jahre mehr zugetraut, mein junger Herr; doch zu London kommen die menschlichen Gesichter ebenso schnell zur Reife als unter der Linie.«

»Sie haben niemals ein wahreres Wort gesprochen, Sir. Jedes Fahrwasser, nur behüt‘ mich der Himmel vor dem von St. James. Auf Ehre, Bignall, der Dienst dort ruiniert Ihnen die derbste Konstitution. Es hat Augenblicke gegeben, wo ich wahr und wahrhaftig glaubte, ich würde jener demütige, ennuyante Sterbliche – ein Leutnant, bis zu meinem seligen Ende verharren.«

»Dann wären Sie freilich an einer galoppierenden Schwindsucht gestorben!« murmelte der verdrießliche Alte. »Nun, man hat Ihnen doch endlich ein ganz artiges Boot gegeben, Kapitän Howard.«

»Erträglich, lieber Bignall, aber klein, entsetzlich klein. Ich habe es meinem Vater frank heraus gesagt, daß, wenn der Seeminister keine Reform in den Dienst einführte, indem er bequemere Schiffe baute, die Flotte mit nächstem ganz und gar vom Bürgerpack besetzt sein würde. Finden Sie die Motion in Ihrem Eindecker nicht ungeheuer langweilig, Bignall?«

»Wenn sich ein Mann erst fünfundvierzig Jahre lang von der See hat hin und her schleudern lassen, Kapitän Howard,« versetzte sein Wirt, indem er sich, in Ermangelung eines andern Mittels, seinen Zorn zurückzuhalten, die grauen Locken strich, »so kümmert er sich wenig mehr darum, ob sein Schiff einen Fuß höher stampft, oder einen Fuß niedriger.«

»Aha! Dergleichen pflegt man philosophischen Gleichmut zu nennen; mein Humor ist es aber nicht. Geduld indessen! Nach dieser Reise soll ich plaziert werden; ich will mir dann schon Gönner sichern, damit man mir ein Wachtschiff in der Temse anvertraue; Sie wissen, Bignall, heutzutage braucht man weiter nichts als Gönner.«

Der ehrliche, alte Teer verschluckte seinen Unwillen, so gut es gehen wollte; und, als das wirksamste Mittel, die nötige Fassung zu behalten, um seiner Gastfreundschaft Ehre zu machen, beeilte er sich, das Gespräch auf einen andern Gegenstand hinzuleiten.

»Ich hoffe, Kapitän Howard, es ist noch nicht mit so vielem andern aus der Mode gekommen, die Flagge von Alt-England über dem Admiralitätspalast flattern zu sehen. Sie trugen diesen Morgen so lange die Farben von Louis, daß die nächste halbe Stunde uns wahrscheinlich im Handgemenge gefunden hätte.«

»Ha, ha, ha! Das war eine exzellente Kriegslist! Ganz gewiß, von dieser Maskerade werde ich eine ausführliche Beschreibung nach Hause schicken.«

»Tun Sie das, tun Sie das, Sir; man schlägt Sie vielleicht zum Ritter wegen dieser martialischen Tat.«

»Abscheulich, Bignall, Ritter! Ihre Herrlichkeit, meine Mutter, würde, bei der bloßen Idee davon, in Ohnmacht sinken. Seit der Zeit, wo Rittersein noch für vornehm galt, ist niemand in der Familie so was Gemeines gewesen als bloßer Ritter!«

»Lassen wir das, Kapitän Howard; aber glücklich war’s doch für uns beide, daß Sie Ihr französischer Humor so bald verließ, denn das geringste längere Zaudern hätte mir eine volle Lage abgeärgert. Beim Himmel, Sir, noch fünf Minuten, so gingen die Kanonen dieses Schiffes von selber los!«

»Besser so, besser so. Womit amüsieren Sie sich denn, Bignall (gähnend), in dieser langweiligen Weltgegend?«

»Ei nun, Sir, die Zeit, die ich nicht brauche, um dem Feinde Sr. Majestät auf dem Nacken zu sitzen, oder für mein eigenes Schiff zu sorgen, die vertreibe ich mir in Gesellschaft meiner Offiziere, da gibt’s also wenig Langweile.«

»Ach! Ihre Offiziere. Wahr, Offiziere müssen Sie ja wohl am Bord haben, wenn sie auch wahrscheinlich etwas altmodisch sein mögen, da sie Ihnen Kurzweil machen können. Wollen Sie mir gefälligst die Liste einmal zeigen?«

Der Befehlshaber des Pfeils erfüllte dies Verlangen und reichte seinem unbekannten Feinde die Schlachtrolle seines Schiffes hinüber, ohne daß es seine Aufrichtigkeit übers Herz bringen konnte, einem so verächtlichen Wesen auch nur einen Blick zu gönnen.

»Welch‘ eine Liste von Mouth-Städtern! Da sind, auf Ehre, nichts als Namen von Nar mouth und Ply mouth, und Ports mouth und Er mouth. Hier sind ja so viel Schmidts, daß sie allein die ganze Schmiedearbeit im Schiffe verrichten könnten. Aha! Hier ist ein Kerl, der in einer Sündflut von guten Diensten sein würde, Heinrich Arche! Wer ist denn dieser Heinrich Arche, den ich als Ihren ersten Leutnant hier aufgeführt sehe?«

»Ein Jüngling, dem nur ein paar Tropfen Ihres adeligen Blutes fehlen, Kapitän Howard, um einst an der Spitze der königlichen Flotte zu stehen.«

»Nu, wenn er denn von so außerordentlichem Verdienste ist, Kapitän Bignall, so ersuche ich Sie höflichst, ihn zu bitten, daß er uns mit seiner Gesellschaft beehre. Ich pflege meinem Leutnant jeden Morgen eine halbe Stunde zu widmen – wenn er von Adel ist, versteht sich.«

»Der arme Junge! Gott weiß, wo er in diesem Augenblick sein mag. Der wackere Bursche hat aus freiem Willen einen höchst gefährlichen Dienst übernommen, und ich weiß von seinem Erfolg nicht eine Silbe mehr als Sie. Nichts wollte helfen, weder Gegenvorstellungen noch Bitten. Der Admiral brauchte sehr dringend ein passendes Subjekt, und das Wohl der Nation forderte das kühne Unternehmen, und dann wissen Sie ja, daß sich Leute von niedriger Geburt in ganz anderem Fahrwasser als dem zu St. James ihre Beförderung erwerben müssen; denn der tapfere Junge verdankt sogar seinen Namen, der Ihnen so sonderbar vorzukommen scheint, einem Schiffswrack, wo er als Kind gefunden wurde.«

»Und doch ist er in Ihrer Schlachtrolle noch als erster Leutnant mitaufgeführt?«

»Und wird’s hoffentlich bleiben, bis er, wie er es so wohl verdient, ein eigenes Kommando bekommt. – Aber gütiger Himmel, ist Ihnen unwohl, Kapitän Howard? Knabe, he, ein Glas Grog!«

»Ich danke Ihnen, Sir«, erwiderte ruhig lächelnd der Rover, indem er das angebotene Getränk ablehnte. Das Blut strömte jetzt in sein Gesicht zurück mit einer Heftigkeit, die drohte, die Adern zu durchbrechen. – »Es ist weiter nichts als ein Übel, das ich von meiner Mutter erbte. Wir nennen es in der Familie: das Elfenbein der De Beres, was, soviel ich darüber erfahren konnte, keinen andern Grund hat, als daß eine meiner weiblichen Ahnen in gewissen Umständen durch einen Elefantenzahn gar sehr erschreckt wurde. Man sagt, es gebe uns ein liebenswürdiges Aussehen, solange es anhält.«

»Es gibt einem das Aussehen, als gehöre man mehr in die Ammenstube seiner Mama als auf die stürmische See. Mich freut’s indessen, daß es so bald vorüber gegangen ist.«

»Heutzutage behält niemand lange ein und dasselbe Gesicht, Bignall. – Dieser Herr Arche ist also am Ende denn doch eigentlich niemand.«

»Ich weiß nicht Sir, was Sie jemand nennen mögen; allein, wenn echter Mut, große Verdienste um sein Fach und unerschütterliche Anhänglichkeit an seinen König auf Ihrem kürzlich verlassenen Boden etwas gelten, Kapitän Howard, so wird Heinrich Arche bald eine Fregatte kommandieren.«

»Wenn man wüßte, worauf sich eigentlich seine Ansprüche gründen,« fuhr der Rover fort, mit einem so freundlichen Lächeln und einer so einschmeichelnden Stimme, daß die Wirkung seiner angenommenen Manier dadurch halb geschwächt wurde, »so könnte man vielleicht in einem Brief nach Hause ein Wörtchen fallen lassen, das dem jungen Manne nicht nachteilig sein würde.«

»Wollte Gott, ich dürfte nur von der Beschaffenheit des Dienstes, den er jetzt ausführt, ein Wort sagen«, erwiderte eifrig der warmherzige alte Seemann, der ebenso schnell von seinem Unwillen zurück-, als hineinzukommen pflegte. »So viel können Sie indessen bestimmt von seinem allgemeinen Charakter sagen, daß er voller Ehre, ohne Scheu vor Gefahr ist, und nichts anders als das Wohl der Untertanen Sr. Majestät im Auge hat. Ich leugne nicht, es ist noch kaum eine Stunde her, daß ich glaubte, sein Unternehmen sei ihm vollkommen geglückt. – Pflegen Sie oft Ihre oberen Segel beizusetzen, Kapitän Howard, während die größeren Untersegel angeschnürt bleiben? Für mich hat ein Schiff in solchem Aufzuge ungefähr das Aussehen eines Menschen, der seinen Rock anzieht, ehe er seine Beine in das Futteral seiner Hosen gesteckt hat.«

»Sie sprechen von dem Umstand, daß mein großes Bramsegel flatterte, als Sie mich zuerst gewahr wurden?«

»Von nichts anderem. Wir hatten wohl Eure Spieren mit Mühe durch die Ferngläser gesehen; dann aber verloren wir Euch wieder gänzlich aus dem Gesichte, als auf einmal ein Ausguck die wehende Leinwand entdeckte. Es war auffallend, um mich am mildesten darüber auszudrücken, und hätte kurios genug ausfallen können.«

»Ach! ich mache oft solche Streiche, bloß um drollig zu sein. Drollig sein, wie Sie wissen, ist ein Beweis von Geschicklichkeit. Doch, auch ich komme mit einem besondern Auftrage in diese Meeresgegenden.«

»Und der wäre?« fragte barsch sein Gesellschafter, mit einer Unruhe auf seiner sich furchenden Stirn, die zu verbergen er zuviel Einfalt besaß.

»Mich nach einem gewissen Schiffe umzusehen, das mir allerdings ungeheure Beförderung verschaffen wird, sollte ich so glücklich sein, ihm zu begegnen. Eine Zeitlang glaubte ich, Sie wären kein anderer als der Herr, dem ich nachspüre, und wenn Ihre Signale nicht so sehr alle Zweifel beseitigten, auf Ehre, so hätte es zwischen uns zu was Ernstlichem kommen können.«

»Und für wen hielten Sie mich, wenn man so frei sein darf?«

»Für niemand anders, als jenen berüchtigten Schelm, den roten Freibeuter.«

»Was zum Teufel dachten Sie! Glauben Sie denn, Kapitän Howard, daß irgendein Freibeuter auf der See schwimmt, der solches Tau- und Segelwerk über sich führt, wie an Bord des Pfeils anzutreffen? So einen Beisatz der Segel – so einen Ausschuß der Masten – und so einen Schritt des Kiels? Zur Ehre Ihres Schiffes, Sir, will ich hoffen, daß sich der Irrtum nur auf dessen Kapitän beschränkte?«

»Bis wir nahe genug kamen, um die Signale lesen zu können, war wenigstens die Hälfte der wichtigeren Urteile auf meinem Schiffe gegen Sie, Bignall, ich erkläre es auf Ehre. In der Tat, Ihr seid so lange von Hause weg, daß der Pfeil ordentlich ein seeräuberisches Aussehen bekommt. Es mag Sie vielleicht etwas empfindlich machen, allein ich sage Ihnen nur als Freund: so ist die Sache.«

»Und, da Sie mir die Ehre erzeigten, mein Fahrzeug für einen Korsaren anzusehen,« erwiderte der alte Teer, seinen Zorn durch erzwungene ironische Heiterkeit unterdrückend, wodurch sein Mund in ein grimmiges Lächeln verzogen wurde, »so haben Sie am Ende diesen ehrbaren Herrn hier gar für den Gott-sei-bei-uns gehalten? Wie?«

Der Kommandeur des Schiffes, dem so ein gehässiges Gewerbe zugetraut wurde, leitete bei diesen Worten das Auge seines Gesellschafters auf die Gestalt eines dritten Individuums, das mit der Freiheit einer bevorrechteten Person in die Kajüte getreten war, allein so leisen Schrittes, daß man es nicht hörte. Als diese unerwartete Gestalt dem scharfen, ungeduldigen Blick des angeblichen königlichen Offiziers begegnete, erhob sich dieser unwillkürlich rasch von seinem Sitze, und eine halbe Minute lang verließ ihn offenbar jene bewunderungswürdige Gewalt, die er über seine Muskeln und Nerven zu üben pflegte, und die ihm so trefflich in der Fortsetzung seines Spiels zustatten kam. Doch war er nur eine zu kurze Zeit außer Fassung, um aufzufallen, und nun erwiderte er die Begrüßung eines alten Mannes, dessen Blick Milde und Demut ausdrückte, ruhig und mit jenem freundlichen, höflichen Wesen, das ihm so natürlich stand.

Nachdem die gegenseitigen Verbeugungen zwischen ihm und dem Fremden vorüber waren, sagte er: »Dieser Herr ist Ihr Kaplan, Sir, wie ich aus seinem geistlichen Anzuge schließe?«

»Ja, Sir – ein würdiger und ehrlicher Mann, den ich mich nicht schäme, Freund zu nennen. Der Admiral hat die Güte gehabt, mir ihn, nach einer dreißigjährigen Trennung, für diese Reise zu überlassen; und wenn auch mein Fahrzeug keines von den größten ist, so fühlt er sich doch hier ebenso glücklich als auf dem Admiralschiffe. – Dieser Herr, lieber Doktor, ist der ehrenwerte Herr Howard, Kapitän des königlichen Schiffes die Gazelle. Über seine Verdienste darf ich nicht erst viel sagen, da das Kommando, das er in seinen Jahren führt, ein hinlänglicher Beweis davon ist.«

Im Anschauen des Geistlichen, als sein Blick zuerst auf die Züge des vermeinten Ahnensprößlings fiel, war eine Art von verwirrter Überraschung nicht zu verkennen; doch war sie minder sichtbar und von weit geringerer Dauer, als die des Angeschauten. Er verbeugte sich nochmals mit mildem Anstande und jener tiefen Ehrfurcht, die lange Gewohnheit selbst den bestgesinnten Menschen einflößt, wenn sie mit der eingebildeten Erhabenheit erblicher Größe in nähere Berührung gebracht werden; er schien indes nicht zu glauben, daß die Gelegenheit mehr als die gewöhnlichen Begrüßungsworte von ihm verlangte. Daher wendete sich der Rover ruhig wieder zu seinem Gesellschafter, dem Veteran, und setzte das Gespräch mit der ihm so natürlichen Würde fort:

»Kapitän Bignall, es ist meine Pflicht, bei gegenwärtigem Vorhaben Ihren Bewegungen gehorchend zu folgen. Ich will jetzt in mein Schiff zurückkehren; und wenn wir beide, wie ich zu vermuten beginne, in dieser Seegegend gleichen Auftrag haben, so können wir bei größerer Muße einen durch Ihre Erfahrung vollkommen durchdachten Kooperationsplan entwerfen, der uns zur Erreichung unseres gemeinschaftlichen Zieles führen wird.«

Durch diese Einräumung seiner reifern Erfahrung und seines höhern Ranges sehr besänftigt, nötigte der Befehlshaber des Pfeils mit Herzlichkeit seinen Gast zu diesem und jenem, und schloß seine Höflichkeiten mit der Einladung zu einem Schiffsgastmahl auf den Nachmittag. Den ersteren gastfreundschaftlichen Nötigungen setzte der Rover eine höfliche Ablehnung entgegen, die letzte aber nahm er an und benutzte die Einladung selbst zu einer Entschuldigung, daß er schleunig in sein Schiff zurück müsse, um die seiner Offiziere auszuwählen, die er für die Würdigsten erachten würde, an dem versprochenen Gastmahl teilzunehmen. – Der alte und wirklich höchst verdiente Bignall hatte, ungeachtet seines in der Regel derben, barschen Charakters, zu lange in Dürftigkeit und verhältnismäßiger Dunkelheit gedient, als daß ihm die Sehnsucht nach Beförderung fremd geblieben wäre, die nach schwerem Dienst und langer Zögerung dem Menschen so natürlich ist. Daher behielt er bei aller seiner angebornen männlichen Redlichkeit dennoch ein wachsames Auge auf die Mittel, die ihm zur Erreichung seines ersehnten Ziels verhelfen könnten, und es darf also nicht wundernehmen, daß sein Abschied von dem geglaubten Sohn eines mächtigen Mannes bei Hofe freundlicher war als die Unterredung selbst. Mit beständigen Verbeugungen begleitete er den Piraten aus der Kajüte auf das Verdeck zurück, so daß es wenigstens den Schein hatte, als erwiderte er das bezeigte Wohlwollen. Hier angelangt, warfen die unruhigen Augen des sogenannten Kapitäns Howard einen raschen, argwöhnischen und vielleicht unruhigen Blick auf die Gesichter aller, die sich um die Fallreepstreppe, an der er im Begriff war, hinabzusteigen, gruppiert hatten; indes nahm er bald wieder seinen nachlässigen und zugleich etwas wegwerfenden Ausdruck an, um der Rolle, die seiner Laune nun einmal zu spielen beliebte, ganz zu genügen. Hierauf schüttelte er dem würdigen und vollkommen getäuschten alten Seemanne herzlich die Hand, und mit einer halb hochmütigen, halb herablassenden Miene berührte er den Hut zum Abschied von den Subalternen. – Er war schon im Hinabsteigen in sein Boot begriffen, als der Kaplan oben seinem Kapitän mit großer Angelegentlichkeit etwas ins Ohr flüsterte. Eilig rief hierauf dieser seinen scheidenden Gast zurück, ihn mit auffallendem Ernst ersuchend, ein Wort allein mit ihm und dem Geistlichen zu sprechen. Der Seeräuber ließ sich von beiden beiseite führen, und die Ruhe in seiner Haltung, als er dastand und ihre Eröffnung erwartete, machte seinen Nerven nicht wenig Ehre.

»Kapitän Howard,« fing nun der warmherzige Bignall an, »haben Sie einen Geistlichen auf Ihrem Schiffe?«

»Zwei, Sir«, war die schnellfertige Antwort.

»Zwei! Es ist eine Seltenheit, in einem Kriegsschiff einen überzähligen Geistlichen zu finden. Doch,« murmelte er vor sich hin, »der Kerl bekäme selbst einen Bischof durch seinen Einfluß bei Hofe. – Sie sind in dieser Hinsicht glücklich, junger Herr, denn ich verdanke die Gesellschaft meines würdigen Freundes hier mehr der Neigung als dem Gebrauche. Er hat mich aber ausdrücklich gebeten, daß ich den geistlichen … ich wollte sagen, die geistlichen Herren in Ihrem Schiffe in der Einladung mit einschließe.«

»Sie sollen sie haben, die ganze Theologie, die in meinem Schiffe ist, Bignall, ich schwöre es.«

»Ich glaube doch, Ihren ersten Schiffsleutnant ebenfalls ausdrücklich genannt zu haben?«

»O, der soll, tot oder lebendig, von Ihrer Partie sein, verlassen Sie sich drauf«, erwiderte der Rover mit einer Hast und Heftigkeit in der Aussprache, die seinen beiden Zuhörern bis zum Erschrecken auffiel. – »Er ist vielleicht nicht gerade eine Arche, auf die Sie den müden Fuß setzen können; doch, so wie er einmal ist, steht er zu Ihren Diensten. Und nun, noch einmal, leben Sie wohl.«

Sich abermals verbeugend, schritt er mit seinem vorherigen gemessenen Wesen auf die Fallreepstreppe zu und blickte beim Hinabsteigen das erhabene Kardeelenwerk des Pfeils fest und ungefähr so an, wie ein Stutzer den Anzug eines erst kürzlich aus der Provinz Angekommenen zu betrachten pflegt. – Sein Vorgesetzter wiederholte die Einladung mit Wärme und winkte ihm gutmütig ein: Lebewohl! Auf Wiedersehen! zu, nicht wissend, daß er so den Mann entwischen ließ, dessen Gefangennehmung ihm die lange verschobenen und noch immer erwarteten Vorteile verschafft haben würde, nach deren Besitz er mit der ganzen Sehnsucht einer grausam hingehaltenen Hoffnung schmachtete.

Erstes Kapitel.

Erstes Kapitel.

Wer nur einigermaßen mit dem Gewühl und dem Leben einer Handelsstadt bekannt ist, wurde in dem stillen, geschäftslosen Newport den Platz nicht wiedererkennen, der in früheren Zeiten für einen der wichtigsten und besuchtesten Häfen an der ausgedehnten Küstenstrecke von Nordamerika galt. Newport auf Rhode-Island scheint beim ersten Blick der von der Natur begünstigte Ort, der alles in sich vereinigt, was den Bedürfnissen des Seemanns entgegenkommen und seine Wünsche verwirklichen kann. Ein bequemer Hafen, ein ruhiges Becken, ein sicherer Ankerplatz, eine gute Reede mit einer klaren Abfahrt in die offene See. Im Besitz dieser Vorzüge war in den Augen unserer europäischen Vorfahren Newport der Platz, den sie zur Aufnahme großer Flotten und zur Bildung eines Stammes kühner und geschickter Matrosen bestimmt hatten. Dies Bestreben ist nicht ganz ohne Erfolg geblieben; aber wie wenig ist die erste Erwartung in Erfüllung gegangen! In der Nähe des von der Natur anscheinend zu ihrem Liebling auserkorenen Ortes hat sich ein glücklicherer Rival eingefunden, der alle Berechnungen kaufmännischen Scharfsinns zuschanden gemacht und zu den neunhundertundneunundneunzig Beweisen, daß des Menschen Weisheit eitel Torheit sei, den tausendsten geliefert hat.

Es gibt nur wenig Städte von einigem Belang in unserem fast grenzenlosen Gebiet, in dem sich, seit einem halben Jahrhundert, alles so unverändert erhalten hätte, als in Newport. Bis zum Zeitpunkt, wo sich die ungeheuern Hilfsquellen des inneren Landes zu entwickeln anfingen, war die Provinz Rhode-Island der Sammel- und Ruheplatz, dem die südlichen Pflanzer zuströmten, um sich vor der Hitze und den übrigen Ungemächlichkeiten ihres brennenden Landstrichs zu bergen. Sie zogen scharenweise dahin, die stärkenden Hauche der Seeluft einzuatmen. Damals noch derselben Regierung Untertan, ließen sich die Einwohner beider Karolinas und Jamaikas freundschaftlich in Newport nieder, teilten sich gegenseitig Gewohnheiten und Verfassungen mit und überließen sich der süßen Täuschung, die ihre Nachkommen vom dritten Geschlecht sich zurückzuwünschen anfangen.

Die einfachen, unerfahrenen Kinder der Puritaner nahmen aus dieser Verbindung Gutes und Böses an. Während sie der Umgang mit den feineren und vornehmeren Bewohnern der südlichen Kolonien abgeschliffener machte, weckte er in ihnen neue Begriffe von dem Unterschiede der Stände, wovon sie vorher wenig oder nichts ahnten, und die ihnen jetzt von den Ankömmlingen eingeimpft wurden. So ward unter allen Provinzen Neu-Englands Rhode-Island die erste, die sich von den Sitten und Meinungen ihrer schlichten Altvordern entfernte. Dadurch wurde dem strengen, rauhen und unfreundlichen Benehmen der erste Stoß versetzt, das man früherhin als ein notwendiges Bindungsmittel der wahren Religion, als eine äußere Bürgschaft für die Gesundheit des innern Menschen ansah; dadurch wurde der erste merkbare Schritt veranlaßt, der von den puritanischen Grundsätzen abführte, die der abstoßenden Außenseite das Wort redeten. Ein seltsames Zusammentreffen und Gemisch von Umständen und Eigenschaften machte die Kaufleute von Newport zugleich zu Sklavenhändlern und zu Gentlemen.

Wie aber auch der moralische Zustand der Einwohner im Jahre 1759 beschaffen sein mochte, so war doch Rhode-Island nie reizender und verlockender als damals. Die schwellender Hügelrücken der Insel waren mit hundertjährigen Wäldern bekränzt, die kleinen Täler mit dem frischen, lebendigen Grün des Nordens überzogen, die anspruchslosen, dabei reinlichen und bequemen Landhäuser lagen von schattigen Gebüschen und bunten Blumenbeeten umgürtet. Die Schönheit und Fruchtbarkeit der Gegend hatte dem Eiland einen Namen erworben, der mehr ausdrückte, als man in früheren Zeiten darunter verstand. Die Einwohner nannten nämlich ihre Besitzungen den » Garten von Amerika«, und ihre Gäste, die Ankömmlinge aus den brennenden Ebenen des Südens, fanden sich nicht berufen, diese Benennung streitig zu machen. Der Name hat sich zum Teil fast bis auf unsere Zeiten erhalten und ist nicht eher verschwunden, bis der Reisende in den Stand gesetzt worden, die Tausende von weiten und lachenden Tälern zu durchwandeln, die vor fünfzig Jahren noch in dem undurchdringlichen Schatten der Wälder begraben lagen.

Das soeben von uns angeführte Datum bezeichnet eine Periode, die für die britischen Besitzungen in unserem Festlande vom höchsten Interesse war. Ein blutiger Rachekrieg, dessen Anfang Unglück und Niederlage gebracht hatte, war im Begriffe, glorreich zu enden. Frankreich hatte sein letztes Besitztum am Weltmeere eingebüßt, während die unermeßliche Länderstrecke zwischen der Hudsonsbai und den spanischen Provinzen der englischen Macht unterworfen war. Die Kolonien hatten einen großen Anteil an den Erfolgen des Mutterlandes gehabt. Stolz und Freude über den glücklichen Ausgang ließen vergessen, was die törichten Vorurteile europäischer Anführer für Fehler begangen, für Verluste und Schande herbeigeführt hatten. Braddocks grobe Verstöße gegen die Kriegskunst, Laudons Gleichgültigkeit, Abercrombies Schwäche waren durch die Kraft Amhersts und Wolfes Genie ersetzt worden. In allen vier Weltteilen siegten die Waffen der Briten. Die loyalen Bewohner der Provinzen stimmten am lautesten in die Triumphe des Mutterlandes ein, überließen sich der reinsten Freude und schlossen gutwillig die Augen bei den kargen Beifallsbrocken, die ihnen zugeworfen wurden – denn auch hier zeigte sich das gewöhnliche Verfahren großer Völker, die nur mit Widerstreben einen kleinen Teil ihres Ruhmes an die gelangen lassen, die sie als Abhängige ansehen; dem Geizigen gleich, der gern alles für sich allein behielte, und desto habsüchtiger wird, je mehr ihm die Nachsicht einräumt.

Das System von Unterdrückung und Regellosigkeit, das eine Losreißung zur Folge hatte, die früher oder später erfolgen mußte, hatte noch nicht angefangen. War das Mutterland auch nicht gerecht, so zeigte es sich doch gefällig. Gleich allen alten und großen Nationen, überließ es sich dem angenehmen, aber gefährlichen Genuß der Selbstbeschauung. Die Dienste und Verdienste eines Volksteils, der von ihm unterschätzt wurde, hatten das Schicksal, bald vergessen zu werden; oder wenn man sich ihrer hier und da erinnerte, so war es, sie zu mißdeuten, zu tadeln, zu schmähen. Die Herabsetzung nahm in dem Maße zu, als die Übereinstimmung der Gemüter abnahm; das Unrecht wurde immer fühlbarer, die eitle Torheit griff immer weiter um sich. Männer, deren Beobachtungsgeist sich hätte besser unterrichten können und sollen, waren die ersten, die, selbst in dem höchsten Rate der Nation, schamlos erklärten, ihnen sei der Charakter eines Volks unbekannt, das ihnen doch blutbefreundet war. Selbstschätzung gab der Meinung der Toren Gewicht. Von einschläferndem Dünkel eingenommen, machten graue Krieger ihrem edeln Handwerk Schande, Prahlereien sich erlaubend, die man einem Stutzer, der kein Pulver gerochen, nicht unbestraft hätte hingehen lassen. So gab z. B. ein Burgoyne in hochtrabendem Tone dem Unterhause das sinnlose Versprechen, mit einer Macht, die er zu bestimmen sich nicht scheute, von Quebeck nach Boston vorzudringen; ein Versprechen, das er in der Folge hielt, indem er mit einer doppelt so starken Macht, kriegsgefangen von Boston nach Quebeck zurückging. So hat England, vom Torheitsschwindel ergriffen, in der Folge seine hunderttausend Leben und seine hundert Millionen Pfund verschwendet.

Die Geschichte dieses denkwürdigen Kampfes ist jedem Amerikaner bis auf die kleinsten Umstände bekannt. Damit zufrieden, daß sein Land gesiegt, überläßt er es gern den Annalen der Welt, den ruhmvollen Ausgang in ihren Blättern aufzubewahren. Ihm genügt es, daß sein Land auf einer breiten, natürlichen Grundfeste ruht und nicht des Lobpreisens feiler Federn bedarf; für seinen innern Frieden, sowie für seinen Charakter ist es hinreichend, zu fühlen, daß der Wohlstand der Republik nicht in der Herabwürdigung angrenzender Nationen gesucht werden darf.

Der Faden unserer Geschichte führt uns in jene ruhige Periode zurück, die den Stürmen der Revolution vorausging. In den ersten Tagen des Oktobermonats 1759 war Newport, wie jede andere Stadt von Amerika, mit dem doppelten Gefühle der Freude und des Schmerzes erfüllt. Mitten unter den Triumphen über seinen Sieg beweinten die Einwohner Wolfes Tod. Quebeck, das Bollwerk von Kanada, der letzte feste Platz, den ein Volk noch inne hatte, das man seit der Kindheit gewohnt war, für den natürlichen Feind Englands anzusehen, war gefallen und hatte den Herrn gewechselt. Die loyale Anhänglichkeit an die Krone von England, die so lange an- und aushielt, bis das seltsame Prinzip, das ihr zum Grunde diente, nachgab und einstürzte, hatte den höchsten Punkt erreicht. Es gab in den Kolonien vielleicht nicht einen einzigen, der nicht seine eigene Ehre mit dem eingebildeten Ruhme des Oberhauptes aus dem Hause Braunschweig gewissermaßen verflochten und vereint hätte.

Der Tag, an dem die Handlung unserer Geschichte beginnt, war feierlich dazu angesetzt worden, die Gefühle der guten Stadtbewohner sowohl, als des umliegenden Landvolks, über den Sieg laut und lebendig werden zu lassen, den die königlichen Waffen erfochten hatten. Beim Anbruch dieses, wie in der Folge beim Anbruch vieler tausend ähnlicher Tage, wurde mit allen Glocken geläutet; der Kanonendonner rollte, die Volksmenge ergoß sich vom frühesten Morgen an durch die Straßen und legte in ihre Bewegungen den Eifer, der gewöhnlich die Freude begleitet, wenn sie zum allgemeinen Volksfeste wird. Der zur Feier des Tages bestellte Redner hatte in einer Art prosaischen Trauergedichts zum Preise des verblichenen Helden seine ganze Beredsamkeit aufgeboten und eine Probe grenzenloser Loyalität dadurch abgelegt, daß er den Ruhm, den das Todesopfer des Generals Wolfe und vieler Tausende seiner Mitstreiter so teuer erkauft hatte, auf das alleruntertänigste dem Throne zu Füßen legte.

Zufrieden mit diesen Äußerungen ihrer Treupflicht, fingen die Einwohner an, sich allmählich wieder nach Hause zu begeben, als die Sonne sich den unermeßlichen Gegenden zuneigte, die sich damals wie endlose, unbetretene Wildnisse im Westen erstreckten, jetzt aber mit den Erzeugnissen und dem Segen des Kunstfleißes üppig übersäet sind. Die Landleute der Umgegend und jenseits der Meerenge waren auf ihren zum Teil weiten Rückweg bedacht, und zwar aus jenen klugen Gründen der Sparsamkeit, die diese Klasse arbeitender Menschen mitten in ihren Vergnügungen nie verläßt. Sie eilten nach Haus, aus Furcht, daß sie der herannahende Abend zu Kosten verleiten möchte, die mit dem eigentlichen Zweck ihres Ausflugs in die Stadt nichts gemein hatten. Die Zeit, die sie auf das Fest verwendet, war abgelaufen; der Hausvater machte sich auf, mit den Seinen in die ruhig fließenden Kanäle der gewöhnlichen Geschäfte wieder einzutreten, damit die auf das außerordentliche Schauspiel verwandte Zeit eingeholt würde, die er sich schon halb und halb als verloren vorwarf.

Auch in der Stadt wurden Hammer, Axt und Säge schon wieder gehört und die Läden von mehr als einer Werkstatt halbgeöffnet, als wolle der Eigentümer zwischen seinem Gewissen und seinem Geschäft ein Abfinden treffen. Die Inhaber der drei, damals in ganz Newport befindlichen Wirtshäuser standen vor ihren Türen und sahen auf die abgehenden Landleute mit Augen hin, die deutlich zu erkennen gaben, daß sie unter dem Landvölkchen, das mehr vom Einnehmen als vom Ausgeben hält, doch auf Gäste lauerten. Eine gar kleine Anzahl lärmender, gedankenloser Seeleute, die zu den Schiffen im Hafen gehörten, zusamt einem halben Dutzend bekannter Zechkunden, war alles, was die Wirte mit ihren Winken erobern konnten, ihrem Anrufen und Anreden, ihren Erkundigungen nach dem Wohlsein der lieben Frauen und Kinder, und bei einigen geradezu mit ihren Einladungen, einzutreten und sich zu erfrischen.

Weltliche Sorge und ein steter, nur zuweilen schiefer Blick auf die Zukunft, bildete den Hauptcharakterzug des ganzen Volks, das damals auf dem Boden zerstreut lebte, der unter dem Namen von Neu-England bekannt war. Das große Ereignis des Tages blieb unvergessen, obschon man es für unnötig hielt, sich in der Wirtsstube bei der Flasche darüber zu besprechen und die edle Zeit im Müßiggange zu vergeuden. Die Abgehenden, die in verschiedenen Richtungen den Weg ins Innere einschlugen, schlossen sich in kleine Gruppen. Unter sich in freimütigen Gesprächen die Gegenstände der Tagespolitik abhandelnd, berührten sie die großen Staatsereignisse und die Art und Weise, wie sie von den Männern vorgetragen wurden, denen der Auftrag zugefallen war, sie zu entwickeln; doch setzten sie keineswegs dabei die Achtung aus den Augen, die sie dem Rufe der Hauptpersonen schuldig waren. Es wurde im Gegenteil allgemein zugegeben, daß die gehaltenen Gebete (zwar etwas im Konversationstone und historisch vorgetragen), durchaus fehlerfrei und eindringend gewesen waren. Es hatten wohl einige Lust, als Dissenters aufzutreten, unter andern die Klienten eines Advokaten, der einem der Redner entgegen war; allein das Resultat blieb, daß aus keines Mannes Munde eine so vortreffliche, kunstvolle Rede geflossen sei, als die heutige. In demselben Sinn und Geist fiel das Urteil der Zimmerleute aus, die an einem Schiffe arbeiteten, das im Hafen erbaut wurde und der Gegenstand der allgemeinen Bewunderung der Provinz war; ja, von dem mit voller Überzeugung behauptet wurde, daß es das seltenste Muster eines in allen Teilen und Verhältnissen durchaus vollkommenen Meisterwerks der Schiffsbaukunst sei.

Der Redner, von dem ich hier spreche, war das gewöhnliche Orakel der Nachbarschaft, so oft ihn irgendein großes Ereignis, wie z. B. das heutige, antrieb, sich zusammenzunehmen. Er galt im Vergleich mit anderen für den allertiefsten, kenntnisreichsten Geist: so daß sogar von ihm behauptet wurde, er habe mehr als einen europäischen Gelehrten in Erstaunen gesetzt, der es gewagt hätte, sich mit ihm im Felde der alten Literatur zu messen. Sein Ruf gewann gleich der Hitze an Intensität, je enger die Grenzen waren, die ihn umschlossen. Dabei verstand sich niemand besser als er darauf, seine hohen Gaben ausschließlich zu seinem Vorteil anzuwenden. Nur ein einziges Mal verließ ihn die Klugheit. Der Himmel weiß, wie es kam, genug, er war nicht auf seiner Hut und tat einen Schritt, der ihm einen Teil des erworbenen Rufes raubte; er ließ es nämlich zu, daß einer seiner beredsamen Aufflüge in Druck gegeben wurde, oder, wie sich sein witziger, aber nicht so hochstehender Nebenmann, der zweite Rechtsgelehrte des Orts, ausdrückte: er gab es zu, daß die Presse einen seiner flüchtigen Versuche festhielt. So wenig man aber weiß, welchen Eindruck die Schrift im Auslande gemacht hat, so sehr trug sie dazu bei, seinen Ruf in der Umgegend zu vergrößern. Von nun an stand er vor seinen Bewunderern in aller Pracht und Würde der »gegossenen Lettern«, und machte es der erbärmlichen Brut

Die Tierchen, die durch hungriges Benagen
Der körperlichen Teile des Genies
Ihr Leben fristen

unmöglich, einen Ruf zu untergraben, der in dem Glauben so manchen Sprengels so tief eingewurzelt war. Die kleine Schrift wurde fleißig in die benachbarten Provinzen verteilt, in Teegesellschaften gepriesen, in öffentlichen Blättern von einem geistverwandten Freunde hoch erhoben – die gleiche Schreibart verriet den Lobredner – und von einem frommen Gläubigen, vielleicht aus reinem Eifer, vielleicht aus näherer Teilnahme, dem nächsten Schiffe an Bord mitgegeben, das nach Hause segelte (denn so nannte man damals England). Sie lag in einem Umschlage, der keine schlechtere Überschrift führte, als: »An Se. Königliche Majestät von England«. Es ist nie bekannt worden, was sie auf den geraden Sinn des dogmatischen Deutschen, der damals den Thron des Konquestors einnahm, für eine Wirkung gemacht hat, obschon die in das Geheimnis der Übersendung Eingeweihten lange vergebens auf die ausgezeichnete Belohnung warteten, deren sich ein so seltenes Erzeugnis des menschlichen Verstandes gewärtigen konnte.

Dieser hohen, wohltätigen Geistesgaben ungeachtet, beschränkte sich der Mann nun wieder, als sei er seiner Talente unbewußt, auf die Arbeiten seines gewöhnlichen Berufs, die mit der Beschäftigung eines – Schreibers die schlagendste Ähnlichkeit hatten; so sehr war ihm von der Natur, die ihn so trefflich ausstattete, die Eigenschaft der Selbstschätzung versagt worden, was um so mehr wundernehmen mußte, da ihn außer diesen Kraftäußerungen seines Geistes, der Fleiß und die Pünktlichkeit, womit er seiner kostbaren und unwiederbringlichen Augenblicke wahrnahm, zu weit höheren Ansprüchen zu berechtigen schien. Nur ein kritischer Beobachter könnte vielleicht in der erzwungenen Demut seines Äußern Spuren seines Triumphs über Quebecks Fall gefunden haben.

Wir überlassen diesen Günstling der Natur, dieses Schoßkind des Glücks sich selbst und wenden uns von ihm zu einem ganz andern Individuum in einem sehr verschiedenen Stadtviertel. Der Schauplatz ist nichts mehr und nichts weniger, als eine Schneiderwerkstätte. Hier sehen wir den Mann, der nicht verschmäht, sich in höchsteigener geschäftiger Person den geringsten Forderungen seines Berufs zu unterziehen. Die demütige Hütte, die er seine Wohnung nannte, lag unweit des Wassers, ganz am Ende der Stadt, und setzte ihn in den Stand, das heitere innere Becken nicht nur zu überschauen, sondern durch eine Wasseröffnung zwischen zwei Inseln den Anblick des äußern Hafens zu genießen, der sich hier wie ein Landsee ausdehnte. Eine schmale, unbesuchte Kaje erstreckte sich vor dem Hause und bewies durch ihren Verfall sowohl, als durch den wenigen Verkehr, daß dieser Teil des Hafens nicht zu den lebhaftesten und betriebsamsten gehörte.

Der Nachmittag glich einem Frühlingsmorgen. Der Kühlwind riffelte leicht das Becken. Sein Gesäusel und seine Kühle machen bekanntlich den amerikanischen Herbst so angenehm. Der fleißige Nadelheld genoß den schönen Abend in seiner ganzen Fülle. Er saß auf seinem Werktisch am offenen Fenster, besser mit sich zufrieden, als mancher, der sein Glück darin sucht, im höchsten Staate unter einem Baldachin von Sammet und Gold zu sitzen. Draußen vor dem kleinen Hause stand in der Stellung eines Lungerers ein langer, tölpischer, dabei starker, wohlgewachsener Landmann; mit der Schulter lehnte er sich an die Wand, als wäre es für seine Beine eine zu schwere Last, allein die ganze Masse ohne fremde Hilfe zu tragen. Er wartete darauf, daß ein Kleidungsstück fertig würde, woran der Meister emsig nähte, und womit er am nächsten Sonntag in seinem Dorfe Staat machen wollte.

Um die Zeit zu verkürzen, und wohl auch zum Teil, weil der Mann mit der Nadel von Natur gern sprach, vergingen wenige Minuten, ohne daß ihm oder dem andern nicht ein Wort entfallen wäre. Der Schneider befand sich schon in den abnehmenden Lebensjahren, und seine Außenseite ließ erkennen, daß ihn Mangel an Geschick oder an Glück in die Notwendigkeit versetzt habe, sich kümmerlich durch die Welt zu winden, und daß er nur durch äußersten Fleiß und die strengsten Entbehrungen der bittern Armut entgangen sei. Sein müßiger Zuschauer hingegen war ein junger Mann und gehörte zu einer Klasse, bei der ein neuer Rock und ein Paar neue Beinkleider Epoche im Leben machen.

»Ja,« rief der unermüdete Kleidermacher aus, und begleitete dieses Ja mit einem Seufzer, der ebensogut für die Bestätigung seines innern Wohlgefühls, als für einen Beweis seines körperlichen Mißbehagens gelten konnte: »Ja, gewiß und wahrhaftig, Pardon, stärkere Worte sind selten einem Manne von den Lippen geflossen, als es die waren, die der Squire am heutigen Tage hören ließ. Als er von den Ebenen Vater Abrahams sprach und vom Rauch und dem Donner der Schlacht, ja Pardon, da regte sich so was in mir, da fühlte ich in meinem Innern, ich weiß nicht was, so daß ich wahrhaftig glaube, ich würde das Herz gehabt haben, Nadel und Fingerhut von mir zu werfen und mich aufzumachen, um ins Feld, in die Schlacht zu ziehen, Ruhm zu ernten und für des Königs Sache zu fechten.«

Der junge Mann, dem der Taufname oder, wie es jetzt allgemein in Neu-England heißt, die Zugabe (given name) Pardon von seinen frommen Paten beigelegt worden war, damit ihm seine künftigen Hoffnungen immer demütig vor Augen lägen, drehte in diesem Augenblicke den Kopf nach dem heldenmütigen Schneider mit einem Ausdruck drolliger Laune im Auge, der bewies, daß ihn die Natur in der Austeilung des Humors nicht stiefmütterlich bedacht habe, obschon sie dabei mehr auf Maß als Feinheit gesehen.

»Hört, Nachbar Homespun, da gibt’s für einen Mann, der Ambition hat, eine prächtige Gelegenheit, sich hervorzutun, seit Se. Majestät Dero besten General verloren hat.«

»Ja doch, ja,« erwiderte der Nadelfädler, der als Knabe oder Jüngling den Hauptfehler begangen hatte, zu einem ganz verkehrten Handwerk zu greifen, »eine herrliche Aussicht für einen, der fünfundzwanzig zählte; aber ach! der größte Teil meiner Tage ist dahin, und ich muß meine übrigen Paar Jahre hier wie Ihr seht zwischen Zeug und Futter zubringen … Wer hat Euch das Tuch gefärbt, Pardy? Schöne, echte Farbe! Ich hab‘ wer weiß wie lange kein solches unter der Nadel gehabt.«

»Glaub’s wohl! Ich lobe mir die Alte, die verstehts Färben wie’s Weben. Gewiß und wahrhaftig, Nachbar Homespun, wenn Ihr dem Zeuge nur das rechte Ansehen gebt, daß es sitzt wie angegossen, so soll auf der Insel keiner so glatt und drell einhergehen, als meiner Mutter Sohn!… Aber, um wieder drauf zu kommen, könnt Ihr auch eben kein General sein, Männchen, so könnt Ihr Euch wenigstens damit trösten, daß es mit dem Bataillieren aus ist, und es nicht mehr ohne Euch losgeht. Sagt man doch allgemein, daß sich die Franzmänner nicht länger halten können, und daß wir Friede bekommen müssen, weil wir keinen Feind mehr vor uns haben.«

»Desto besser, Freundchen, desto besser; denn wer so viel von Kriegen und Kriegsnöten erlebt hat wie ich, weiß den Segen des Friedens zu schätzen – ja, zu schätzen.«

»Also seid Ihr nicht so ganz unerfahren in der Lebensart, wozu Ihr soeben Lust hattet?««

»Ich? Nichts weniger. Ich bin, wie Ihr mich seht, durch fünf blutige Kriege gegangen und habe Gott zu danken, der mir aus allen fünfen geholfen hat ohne Wunde – nicht mal so groß, als ein Nadelstich. Fünf lange, blutige Kriege, sag‘ ich und setze hinzu: fünf glorreiche bin ich durchgegangen – frisch und gesund wie ein Fisch.«

»Das muß eine gefährliche Zeit für Euch gewesen sein, Nachbar. Doch erinnere ich mich nur zweier Kriege mit den Franzosen.«

»O, Ihr seid ja nur ein Kiekindiewelt im Vergleich zu einem wie ich, der über sein Schock Jahre hinaus ist. Zählt mir mal nach. Erstlich dieser Krieg, der gottlob! das Ansehen hat, bald beendet zu werden; der Himmel, der alles mit Weisheit regiert, sei dafür gedankt und gepriesen! Dann, zweitens, der Vorgang von Fünfundvierzig, als der unerschrockene Warren unsere Küsten auf und nieder fuhr; eine Geißel für die Feinde Sr. Majestät, und eine Salvegarde für alle loyale Untertanen. Dann, drittens, gab’s einen Strauß in Germanien, von dem wir in den Zeitungen lasen, und viele, viele blutige Schlachten, in denen die Menschen fielen und weggemäht wurden, wie das Wiesengras unter Eurer Sense. Das macht drei« – er schob seine Brille in die Höhe und zählte mit seinem Fingerhut an den Fingern der andern Hand. – »Numero vier war die Rebellion von Fünfzehn, von der ich eben nicht viel gesehen zu haben mich rühmen kann, da ich nur erst ein junger Knabe war, und zum fünften und letzten rechne ich das entsetzliche Gerücht, das durch alle Provinzen ging, daß sich die Schwarzen und Indianer in Masse aufgewiegelt und zusammengerottet hätten, um uns allen guten Christenseelen in einer Minute das Lebenslicht auszublasen.«

»Ei, seht doch, Nachbar!« versetzte der verwunderte Landmann; »ich habe Euch von jeher für einen eingezogenen, stillen und friedlichen Mann gehalten, und hätte es mir nie im Traume einfallen lassen, daß Ihr Euch in so vielen Kriegshändeln herumgetummelt.«

»Pardon, ich bin kein Prahler, sonst hätt‘ ich die Liste verlängern und noch andere, wichtige Händel reinbringen können. Da war z. B. nicht länger als Anno zweiunddreißig im Osten ein gefährlicher Krieg um den persischen Thron. Ihr habt ohne Zweifel von den Gesetzen und der Regierungsform der Perser und Meder gelesen. Nu gut, um den Besitz dieses Thrones, von dem jene unveräußerlichen Gesetze ausgingen, handelte es sich in einem furchtbaren Kampfe, worin Blut floß wie Wasser. Doch, da es kein Christenblut war, so mag ich diesen Krieg nicht zu meinen eigenen Erfahrungen zählen. Nur hätte ich wohl mit gutem Fug und Recht den Porteoustumult erwähnen können, weil er in einem Teile des Landes stattfand, das mein Vaterland ist.«

»Ihr müßt doch weit rumgekommen sein, guter Freund, und Euch überall genau umgesehen haben, da Ihr so manches erlebt und mitgemacht, und immer Eure heile Haut davongetragen habt.«

»Ja, ja, ich will’s gestehen, Pardy, ich hab‘ ein gut Stück der Welt mit meinen beiden Fußellen gemessen. Zweimal bin ich zu Lande nach Boston gewesen, und einmal gar zu Wasser durch den Great-Sound von Long-Island bis York gefahren. Das letzte besonders war ein schweres, gefährliches Stück Arbeit, wenn man die Länge des Weges betrachtet, und vollends, wenn man bedenkt, daß man durch eine Stelle muß, deren Namen an den Eingang ins Tal Tophet erinnert.«

»Wie oft hab‘ ich nicht von Hell-Gate dem Höllentor gehört? Ja noch mehr, ich hab‘ einen Mann von hier persönlich gekannt, der zweimal durch das Loch gemußt – stellt Euch vor! Einmal, wie er nach York ging, und das andere Mal, als er zurückkam.«

»Nu, der wird’s satt haben, des bin ich gewiß. Hat er Euch erzählt von dem großen Topf, der kocht und brodelt, als brennten alle tausend Beelzebubs Feuer unter ihm? Und von dem Schweinsrücken, über den das Wasser hinschießt, als stürzte es sich den großen Wasserfall im Westen herab? Zu unserem großen Glück hatten wir erfahrene Seeleute und waren lauter beherzte Passagiere; so kamen wir denn diesmal mit einem blauen Auge davon, denn soviel kann ich Euch sagen – und ich kümmere mich nichts drum, wer’s hört – es gehört eine tüchtige Portion Courage dazu, in so ’ne schreckliche Straße mit offenen Augen einzulaufen. Wir gebrauchten Vorsicht, warfen in einiger Entfernung bei ein paar Inseln diesseits der gefährlichen Stelle unsere Anker aus und schickten die Pinasse mit dem Kapitän und zwei stämmigen, mannhaften Matrosen zum Rekognoszieren aus, damit sie alles genau untersuchen und berichten möchten, ob der Schlund in friedlichem Stande sei oder nicht. Und da sich alles erwünscht befand, so ging’s nu mutig weiter; wir Passagiere wurden ans Land gesetzt, das Schiff ging zu Wasser durch, und mit Gottes Hilfe lief beides glücklich ab.

Wir hatten aber alle Ursache, uns zu freuen, daß wir uns vor der Abfahrt den Gebeten unserer Gemeine empfohlen hatten: sie waren, wie Ihr seht, höheren Orts gnädiglich erhört worden.«

»Wie? Ihr umginget das Höllentor zu Fuß?« fragte der aufhorchende Landmann.

»Freilich! Es wäre ja ein sündlicher, lästerlicher Trotz, ein unheiliges Versuchen der Vorsehung gewesen, wenn wir anders gehandelt hätten. Was hatten wir für Pflicht und Beruf, uns der Gefahr auszusetzen, und das Opfer unsers Lebens zu bringen? Doch jene Gefahr ist nun, wie gesagt, glücklich vorüber, und so vertraue ich denn auch zu Gott, dieser blutige Krieg, an dem wir beide teilgenommen haben, werde ebenfalls glücklich vorübergehen, und hoffe, Seine geheiligte Majestät werden Zeit und Raum gewinnen, sein königliches Augenmerk auf die Seeräuber zu richten, die die Küsten beunruhigen und verheeren, und werde einigen seiner besten Seekapitäns Befehl geben, die Schurken mit eben dem Maße zu messen, womit sie sich erfrechen, andere zu messen. Was würde es in meinen alten Tagen eine Freude für mich sein, wenn ich den berüchtigten, schon so lange vergeblich gehetzten Red-Rover in diesen Hafen einlaufen sähe, von einem königlichen Kreuzer ins Schlepptau genommen?«

»Ist denn der wirklich so ein abscheulicher Bube?«

»Er? O, sein Piratenschiff steckt voll lauter er’s. Bis zum letzten Schiffsjungen sind sie, einer wie der andere, blutdürstige heillose Räuber und Mörder. Lieber Pardy, es ist herzbrechend und eine Not, bloß mitanzuhören, was diese Canaillen auf der hohen See Sr. Majestät für Unheil und Greuel anrichten.«

»Ich habe oft von diesem Red-Rover erzählen hören,« versetzte der Landmann, »doch nur im allgemeinen; von den näheren Umständen hab‘ ich bis jetzt noch nichts erfahren.«

»Wie solltest du auch, junger Mann vom Lande? Woher kämen die Nachrichten von dem, was in offener See vorgeht, bis zu deinen Ohren. So was ist nur für unsereinen, der in einem so besuchten Hafen lebt… Aber mir ist bange, Pardon, du wirst spät nach Hause kommen« – setzte er hinzu, indem er zugleich auf gewisse Striche sah, die er auf das Fensterbrett gezogen, um mit deren Hilfe den Stand der Sonne bemerken zu können. – »Es geht stark auf fünfe, und Ihr habt doppelt so viel Meilen zu gehen, ehe Ihr an die nächste Grenze von Eures Vaters Meierei gelangt.«

»Ei was! Der Weg ist eben, und die Leute ehrlich«, erwiderte der Pachtersohn, dem es einerlei war, ob er erst um Mitternacht ankomme, wenn er nur der Überbringer von Nachrichten aus der Stadt sein und vor allem von einem bedeutenden Seeraub erzählen konnte; denn er wußte wohl, daß ein ganzer Haufe auf ihn mit der Frage einstürmen würde: was bringst du Neues? – »Und ist er wirklich so furchtbar als man sagt? Sucht man ihn wirklich auf?«

»Ihn aufsuchen? Ihn? Wird Tophet von einem betenden Christen aufgesucht? Glaubt mir, auf dem mächtigen See-Element gibt es wenige, sollten sie auch so tapfere Kriegsmänner sein als Josua gewesen, der große jüdische Feldhauptmann, die nicht tausendmal lieber Land, als die Bramsegel dieses verwünschten Piraten sehen! Menschen fechten des Ruhmes wegen. Das könnt Ihr mir glauben, Pardon, mir, der ich so viele Kriege erlebt habe; aber niemand findet Vergnügen daran, es mit einem Feinde aufzunehmen, der beim ersten Schuß eine blutige Flagge aufzieht, und fertig und bereit ist, beide Teile in die Luft zu sprengen, wenn er findet, daß Satans Hand nicht mehr stark genug ist, ihm zu helfen.«

»Ist der Kerl so desperat,« sagte der junge Mann, indem er sich stolz in die Brust warf und seine mächtigen Glieder reckte, »so begreif‘ ich nicht, warum die Insel und die Pflanzer nicht ein Küstenfahrzeug ausrüsten, ihn aufzubringen, damit er mal lerne, wie ein ehrlicher Galgen aussieht? Laßt nur heute oder morgen in unserer Nachbarschaft die Trommel rühren und die Botschaft ausrufen, und ich will meinen Hals verwetten, daß sie wenigstens einen Freiwilligen mitnehmen wird.«

»So sprecht Ihr, weil Ihr kein Pulver gerochen habt! Wozu würden aller Welt Dreschflegel und Heugabeln dienen, gegen Leute, die sich dem Teufel verschrieben haben? Wie oft ist der Räuber nicht von königlichen Kreuzern bei Nachtzeit oder bei Sonnenuntergang gesehen worden? Wie oft glaubten sie schon, ihn umzingelt und die Diebe im Netz zu haben? Wie oft hielten sie sie schon in Gedanken im Folterstock! – Wenn aber der Morgen graute, husch! war die Prise verschwunden, auf einem oder dem andern Wege.«

»Sind denn die Kerle solche Bluthunde, daß man sie die Roten nennt?«

»Den Namen haben sie von ihrem Anführer«, erwiderte mit wichtiger Miene der ehrwürdige Kleidermacher, dessen Kamm zu schwellen anfing, je weiter er in der Mitteilung seiner interessanten Legende vorrückte. »Es ist sein Name und auch seines Schiffes Name; wenigstens hat niemand, der mal einen Fuß darauf gesetzt hat, es wieder verlassen, um zu sagen, ob es einen bessern oder schlechtern führe; niemand, das will sagen, kein ehrlicher Seemann oder braver Passagier. Das Schiff hat übrigens, wie man sagt, die Größe einer Kriegsjacht, auch die Gestalt, auch die Ausrüstung; es ist wie durch Wunder mancher tapfern Fregatte entkommen, ja einmal, Pardon – so zischelt man sich ins Ohr, denn kein loyaler Untertan würde es wagen, den Skandal laut nachzusprechen – einmal lag es eine ganze Stunde unter den Batterien eines Linienschiffs von fünfzig Kanonen und schien dann vor aller Augen wie ein Klumpen Blei in den Grund zu sinken. Wer im Augenblick, wo alles voller Freude war, sich die Hand schüttelte, sich Glück wünschte, daß die Buben nun Wasser die Fülle zu trinken bekämen, lief ein Westindier in den Hafen ein, den der Seeräuber am Morgen nach der Nacht, wo jedermann glaubte, daß er mit der ganzen Equipage in die Ewigkeit übergegangen sei – rein ausgeplündert hatte. Und was das Tollste dabei war, Freund, ist, daß, während das durchschossene Kriegsschiff kielholen mußte, um sich auszubessern und die Lecke zu stopfen, das Raubschiff die Küste auf und nieder spazierte, so heil und ganz wie es war, als es die Werkleute vom Stapel lausen ließen.«

»Nu, das ist unerhört!« rief der Landmann, auf den die Geschichte anfing, einen tiefen Eindruck zu machen. »Wie sieht denn das Schiff sonst wohl aus? Hat’s ’ne gefällige Gestalt? Ein angenehmes Äußere? Oder ist es überhaupt ausgemacht, ob es ein – lebendes wirkliches Schiff sei?«

»Man ist verschiedener Meinung. Einige sagen ja; einige sagen nein. Aber ich bin mit jemandem bekannt, der eine Woche mit einem Matrosen gearbeitet hat, der mal bei einem Kühlwind nicht weiter als hundert Schritt weggesegelt ist. Sein und der Equipage Glück war’s, daß des Herrn Hand so mächtig auf dem Meere war, und daß der Rover alle Hände voll mit sich und seinem Schiff zu tun hatte, um nicht zu sinken. Der Bekannte meines Freundes konnte den günstigen Moment benutzen, Schiff und Kapitän in vollen Augenschein zu nehmen, ohne was dabei zu wagen. Er hat ausgesagt, der Pirat sei ein Mann, noch halbmal so dick, als der lange Prediger jenseits des Wassers; sein Haar habe die Farbe der Sonne im Nebel, und Augen habe er, in die kein Mensch ein zweites Mal gucken möchte. Er hat ihn so klar und deutlich gesehen, wie ich Euch in diesem Augenblick; denn der Schurke hing in der Takelage seines Schiffs und winkte mit einer Hand, so groß wie eine Rocktaschpatte, dem ehrlichen Kauffahrer zu, auszuweichen, damit beide Schiffe nicht aneinanderstoßen und sich übersegeln möchten.«

»Das nenn‘ ich mir einen verwegenen Segler, diesen Kauffahrer! Dem unbarmherzigen Schurken so nahe auf den Leib zu kommen.«

»Bedenkt doch nur, Pardon, es war wider seinen Willen; und die Nacht war so finster, daß man …«

»So finster, sagt Ihr?« unterbrach jener, der trotz seinem Hange zur Leichtgläubigkeit von der Neigung des Neu-Engländers, verfängliche Fragen zu stellen, nicht frei war. »Wie konnte er denn alles so deutlich sehen und es nachher beschreiben?«

»Das weiß kein Mensch,« sagte der Schneider, »’s schadet aber nicht; genug, er sah es, und sah es gerade so, wie er es beschrieb, alles haarklein, wie ich es Euch wiedererzählt habe. Noch mehr; er merkte sich das Schiff genau, damit er es wiedererkenne, wenn es ihm ein Ungefähr oder die göttliche Vorsehung wieder mal in den Weg führen sollte. Es war ein langes, schwarzes Schiff, ging flach im Wasser wie die Schnecke im Grase, hatte ein verzweifelt boshaftes Ansehen und eine ganz verrückte Bauart. Dann versichert auch noch die ganze Welt, es scheine die Wolken zu übersegeln und sich wenig um den Wind zu kümmern, so daß man hinsichtlich seiner Geschwindigkeit um kein Jota besser daran ist, als mit seiner Ehrlichkeit … Wenn ich es recht bedenke, alles zusammennehme, so hat das Schiff etwas von dem Fahrzeug dort, von dem Guineafahrer, der, weiß der Himmel warum? seit voriger Woche im äußern Hafen liegt.«

Das alte Weib von Schneider hatte beim Erzählen köstliche Augenblicke verloren; diese suchte er nun durch fleißigeres Nähen wieder einzuholen, und begleitete jeden Stich und jede Bewegung der Nadel mit korrespondierendem Rucken mit dem Kopfe und den Schultern. Währenddessen drehte sich der Bauer, der seinen dicken Kopf mit einer Last von wunderbaren Nachrichten dergestalt angefüllt hatte, daß er sie kaum nach Hause zu tragen vermochte, nach der Gegend, wohin jener mit dem Finger wies, um sich nun noch das einzige, was ihm fehle, das Bild des Schiffs, zu verschaffen, das er, als Kupferstich zu der Schneiderrelation, seinem Gedächtnisse einprägen wollte. Hierdurch, und durch die gleichzeitige Beschäftigung beider Parteien, entstand eine Pause. Der Schneider brach sie zuerst dadurch, daß er den Faden abknipste, denn das Kleidungsstück war soeben fertig geworden. Jetzt warf er alles von sich, Rock, Nadel, Fingerhut, schob seine Brille an die Stirn hinauf, stützte seine Arme auf die Knie, so daß er einer Pagode glich und seine Glieder untereinander ein wahres Labyrinth bildeten, und rückte den Vorderleib soweit zum Fenster hinaus, daß er ebenfalls das Schiff, worauf er seinen Kompagnon aufmerksam gemacht hatte, in vollen Augenschein nehmen konnte.

»Wißt Ihr wohl, Pardon,« sagte er zu gleicher Zeit, »daß sich über dieses Schiff da bei mir seltsame Gedanken und furchtbare Ahnungen entsponnen haben? Die Leute nennen es ein Sklavenschiff und sagen, es nehme Holz und Wasser ein; und da liegt es schon ganzer acht Tage, und in all dieser Zeit ist kein Stück Holz, dicker als ein Ruder, an Bord gebracht worden, und ich wollte wohl wetten, daß es zehn Tropfen Jamaikarum für einen Tropfen Quellwasser eingenommen hat. Und dann, seht nur nach, wo es vor Anker liegt; seht, wie es nur von einer einzigen Kanone der Batterie bestrichen werden kann. Wär‘ es ein gewöhnliches Handelsschiff, das Schutz sucht, es würde sich natürlich eine Stelle gewählt haben, wo ein Pirat, der sich in den Hafen hineinwagen und sich daranmachen möchte, es unter dem vollen Feuer der Batterie finden würde.«

»Lieber, guter Alter,« bemerkte der junge Landmann, »Ihr habt ein bewundernswürdiges Auge. Ich für mein Teil hätte mir dergleichen nicht ausgedacht, wenn auch das Schiff dicht vor der Batterieinsel läge.«

»So ist’s, Pardon. Gewohnheit und lange Erfahrung machen uns zu Menschen. Ich verstehe mich etwas auf Batterien, da ich so manchen Krieg gesehen und sogar einen Feldzug von acht Tagen im Fort selbst mitgemacht habe, als es hieß, die Franzosen wollten von Louisburg aus Kreuzer längs den Küsten senden. Da kam es denn, daß ich gerade vor jener Kanone Schildwache stand, und so hab‘ ich nicht ein- sondern wohl zwanzigmal ihren Lauf entlangvisiert, um den Fleck aufzufinden, den die Kugel treffen würde, wenn der Fall eintreten sollte, was Gott verhüte! daß die Kanone wirklich geladen und abgeschossen werden müßte.«

»Aber wer sind jene Leute dort?« fragte Pardon mit jener Art träger Neugierde, die durch die erzählten Wunder ein wenig aus ihrem Schlummer gebracht war. »Sind es Matrosen vom Sklavenschiff oder sind es Newporter, die nichts zu tun haben, als die Straßen auf und ab zu gehen?«

»Jene dort?« rief der Schneider aus: »Gewiß und wahrhaftig, das sind Fremde, und es tut in diesen unruhigen Zeiten not, ein wachsames Auge auf sie zu haben. Hier, Nab, nimm mir das Stück ab; bügle die Nähte, hörst du, faules Stück Fleisch! Nachbar Hopkins ist eilig, seine Zeit ist edel, er ist nicht wie du, deren Zunge geläufig ist wie die eines Advokaten in der Gerichtsstube. Nur die Ellbogen und die Armknochen nicht gespart, Dirne; du hast da ein seines Musselin aus Indien unter dem Bügeleisen, das ist ein Zeug, womit man Wände ausfüttern könnte. Ja, ja, Pardy, Eurer Mutter Gewebe bricht Nadel und Zwirn, und macht dem Nähter doppelte Arbeit.«

Mit diesen Worten übergab er das soweit vollendete Stück einem linkischen schmollenden Mädchen, das mit einer Nachbarsklatsche in lebhaftem Gespräch begriffen war und das angenehme Geschäft mit einem verdrießlichen vertauschen mußte. Er selbst schob seine kleine, hinkende Person – denn er hatte das Unglück gehabt, mit einem kürzeren Fuß auf die Welt zu kommen – vom Fenster weg, zur Tür hinaus, in die freie Luft.

Neunzehntes Kapitel.

Neunzehntes Kapitel.

Erwägt der Leser die Schnelligkeit, mit der das Fahrzeug vor dem Winde flog, so darf es ihn nicht befremden, daß wir imstande sind, die Szene des gegenwärtigen Kapitels in einer ganz verschiedenen Gegend zu eröffnen, wenn wir von dem Zeitpunkte an, wo sich die bisher erzählten Ereignisse schließen, eine Woche überspringen. Wir halten es für überflüssig, dem Rover in den Krümmungen jener irren und oft scheinbar ungewissen Fahrt zu folgen, während der sein Kiel weit mehr als tausend Seemeilen durchschnitten, mehr als einem königlichen Kreuzer geschickt die Spur verdorben und verschiedene minder gefahrvolle Tete-a-tetes ebensosehr aus Neigung als aus irgendeinem andern zu vermutenden Grunde vermieden hatte. Zu unserem Zwecke reicht es vollkommen hin, den Vorhang, der eine Zeitlang die Bewegungen des Fahrzeuges verhüllen mußte, zu lüften, um es in einem mildern Klima und, bedenkt man die Jahreszeit, in einer günstigern See wieder auftreten zu lassen.

Genau sieben Tage also, nachdem Gertraud und ihre Erzieherin Genossen des Freibeuterschiffes geworden waren, befand es sich, als die Sonne über seinen flatternden Segeln, symmetrischen Spieren und dunklem Rumpfe aufstieg, innerhalb des Gesichtskreises einiger niedrigen, kleinen, felsigen Eilande. Wenn man auch nicht das geringste Hügelchen blauen Landes sich aus der Welt von Gewässern hätte heben sehen, so würde doch die Farbe des Elementes schon jeden Seemann belehrt haben, daß sich der Boden des Meeres mehr als gewöhnlich der Oberfläche nähere und man folglich gegen die wohlbekannten, gefürchteten Gefahren der Küste auf der Hut sein müsse. Kein Wind regte sich; denn das schwankende, ungewisse Wehen, das von Zeit zu Zeit auf einen Augenblick die leichtere Leinwand des Fahrzeuges füllte, verdiente nur der Hauch eines Morgens genannt zu werden, der über dem Meere anbrach, sanft, mild, und mit einem scheinbar so weichen Lüftchen, daß es dem Ozean den stillen Charakter eines schlafenden Binnensees verlieh.

Alles im Schiffe, was Leben hatte, war schon auf und munter. Fünfzig kräftige und von Gesundheit strotzende Kerle hingen in verschiedenen Teilen der Takelage, einige lachend und sich leise mit Kameraden unterhaltend, die nachlässig auf den nächsten Spieren ausgestreckt lagen, andere gemächlich eine leichte und unbedeutende Arbeit verrichtend, mehr um nicht müßig zu gehen, als weil sie nötig gewesen wäre. Eine noch größere Anzahl von anderen schlenderte auf dieselbe Weise sorgenlos unten auf dem Verdeck umher. – Das Ganze trug das Gepräge von Leuten, die sich etwas, wenn auch noch so Unwesentliches zu tun machten, mehr um den Vorwurf der Trägheit zu vermeiden, als daß die Notwendigkeit das Werk geboten hätte. Die Schanze, der geheiligte Fleck eines Fahrzeuges, das auf Disziplin oder auch nur auf einen Schein darauf Anspruch macht, war von anderen Personen eingenommen, die freilich auch ebenso unbeschäftigt und nachlässig waren, als die übrigen. Kurz, die Stille auf dem Schiffe glich der auf dem Ozean und in der Luft, die beide eine gelegenere Zeit zur Entfaltung ihrer Macht abzuwarten schienen.

Drei oder vier Jünglinge, die nichts weniger als ein unangenehmes Äußeres hatten, besonders wenn man die Beschaffenheit ihres Gewerbes erwägt, erschienen in einer Art von halber Schiffsuniform, bei deren Schnitt und Farbe jedoch die Mode keiner besondern Nation vorzugsweise zu Rat gezogen war. Ungeachtet der offenbaren Ruhe, die rings um sie her herrschte, trug jeder von ihnen einen kurzen, geraden Dolch am Gürtel; und als sich einer von ihnen zufällig über die Galerie lehnte, konnte man den Schaft eines Terzerols durch eine offene Falte seiner Uniform entdecken. Da indessen keine anderen unmittelbaren Zeichen der Vorsicht zu bemerken waren, so konnte man nur schließen, daß dies die gewöhnliche Tracht auf dem Schiffe sein müsse. Ein paar grimmige und verhärtet aussehende Schildwachen, ganz wie Militär zu Lande uniformiert und bewaffnet, die, gegen den Gebrauch in Flotten, auf der Grenzlinie zwischen dem Sammelplatz der Offiziere und dem Vorderteil des Verdecks ihren Posten hatten, deuteten ebenfalls auf ungemeine Vorsicht hin. Allein alle diese Einrichtungen ließen die Matrosen in einer solchen Gleichgültigkeit, daß man wohl sehen konnte, die Gewohnheit habe sie längst schon damit vertraut gemacht.

Das Individuum, das dem Leser bereits unter dem hochtönenden Titel General bekannt ist, stand aufrecht und steif wie ein Schiffsmast da und studierte kritischen Blickes die Equipierung seiner beiden Söldlinge, augenscheinlich so achtlos auf alles, was um ihn her vorging, als wenn er sich buchstäblich zu den unbeweglichen architektonischen Teilen des Schiffes rechnete. Eine Gestalt aber zeichnete sich unter allen, die sich umherbewegten, durch ihre würdevolle Miene und das selbst in ruhiger Stellung nicht zu verkennende gebieterische Wesen aus. Es war der rote Freibeuter, der allein stand, indem es niemand wagte, dem Fleck nahe zu kommen, wo es ihm beliebte, seine gewandte, grazienvolle und imposante Person hinzupflanzen, seinen lebendigen, überall hin gerichteten Blick verließ nie der Ausdruck des strengen Prüfens, sowie er bald den einen, bald den andern Gegenstand der Schiffgeräte traf, und zuweilen, wenn sein Auge eine der durchsichtigen, gekräuselten Wolken, die in dem blauen Äther schwammen, betrachtete, umzog seine Brauen jene Düsterheit, die man gewöhnlich als die Begleiterin angestrengten Denkens anzusehen pflegt. In der Tat, so finster und bedrohlich wurde zuweilen das Zürnen seines Auges, daß selbst das blonde Haar, dessen Locken unter einer schwarzsamtenen, mit einer tief herabhängenden Goldquaste geschmückten Kapitänsmütze hervorquollen, seinem Gesicht jenen milden Zug nicht zu verleihen vermochte, den es zu anderen Zeiten hatte. Gleichsam als verschmähe er Verheimlichung und als gefalle er sich in der Verkündigung seiner Macht, trug er seine Pistolen offen in einem ledernen Gürtel, über einen blauen mit Gold zierlich eingefaßten Rock: außerdem trug er noch, mit derselben Verachtung des Geheimnisvollen, einen leichtgearbeiteten, krummen, türkischen Säbel und ein Stilett im Gürtel, das, nach der Verzierung des Handgriffes zu urteilen, wahrscheinlich von den Händen eines italienischen Künstlers verfertigt worden war.

Auf dem Deck der Hütte, erhaben über die anderen, und von der unten sich bewegenden Menge zurückgezogen, stand Mistreß Wyllys und das ihr anvertraute Mädchen. Weder in dem Blick, noch im Wesen irgendeiner von ihnen war jene Ängstlichkeit zu bemerken, die man als etwas Natürliches bei Frauen voraussetzen darf, die sich in einer so kritischen Lage, in der Gesellschaft gesetzloser Freibeuter befinden. Im Gegenteil, als die Gouvernante ihrer Anvertrauten den fernen mattblauen, über die Wasser wie eine dunkle, genau begrenzte Wolke hervorragenden Hügel zeigte, da war in dem gewöhnlich ruhigen Ausdruck ihres Gesichtes der rege Zug der Hoffnung nicht zu verkennen. Sie rief auch Wildern mit heiterer Stimme herbei, und der Jüngling, der lange mit einer gewissen Eifersucht auf der von der Schanze hinaufführenden Treppe gestanden und sie bewacht hatte, war im Nu an ihrer Seite.

»Ich versicherte Gertraud soeben,« sagte die Gouvernante mit jenem zutraulichen Tone, den gemeinschaftlich ausgestandene Gefahren zu erzeugen pflegen, »daß dort ihre Heimat läge, und wir hoffen dürften, sie bald zu erreichen, wenn erst der Wind eintrete; allein nachdem wir soviel Schrecknisse erlebt haben, will das eigensinnige, furchtsame Kind ihren Sinnen durchaus nicht eher trauen, als bis sie zum wenigsten die Wohnung ihrer Kindheit und das Antlitz ihres Vaters erblickt. Sie sind doch schon oft an dieser Küste gewesen, Herr Wilder?«

»Oft, Madame.«

»Dann können Sie uns ja sagen, was für Land das ist, das wir in der Ferne sehen.«

»Land!« wiederholte unser Abenteurer, sich verwundert stellend; »ist denn irgendwo Land zu sehen?«

»Irgendwo zu sehen! Es ist ja schon vor mehreren Stunden von dem Manne im Mastkorbe angekündigt worden.«

»Kann sein; wir Seeleute sind nach einer durchwachten Nacht etwas stumpf und hören oft wenig von dem, was um uns her vorgeht.«

Die Erzieherin warf, aus Furcht, sie wußte selbst nicht wovor, einen flüchtigen, verdachtvollen Blick auf ihn, ehe sie fortfuhr: »Hat der Anblick des freundlichen, teuern Bodens von Amerika seinen Zauber bei Ihnen so schnell verloren, daß Sie sich ihm so teilnahmlos nähern? Ich habe es mir noch immer vergebens zu enträtseln gesucht, wie die Leute Ihres Faches für ein so gefährliches, verratvolles Element so bis zur Betörung eingenommen sein können?«

»Sind die Seeleute denn wirklich ihrem Beruf mit einer so ungeteilten Liebe ergeben?« fragte Gertraud mit einer Hast, von der es ihr schwer gewesen wäre, den innersten Grund anzugeben.

»Es ist eine Schwäche, die man uns oft zur Last legt«, erwiderte Wilder, sie mir einem Lächeln anblickend, worin nicht der leiseste Schatten der frühern Zurückhaltung zu erkennen war.

»Und mir Recht?« fragte Gertraud.

»Ich fürchte, mir Recht.«

»Ach wohl!« rief Mistreß Wyllys mit einer bedeutsamen Emphase aus, die sanften und doch bittern Gram verriet; »sie lieben die See oft mehr, als ihre stille, friedliche Heimat!«

Gertraud setzte das Gespräch nicht weiter fort, allein ihr schönes, großes Auge senkte sich auf das Verdeck, als ob sie tief nachsinne über den verkehrten Geschmack, der es lieber mit den wilden Gefahren des Ozeans aufnimmt, als sich den Freuden der Häuslichkeit hingibt.

»Ich wenigstens fühle mich von der letzten Beschuldigung nicht getroffen«, rief Wilder. »Mir ist ein Schiff immer das gewesen, was anderen die Heimat.«

»Auch ein großer Teil meines Lebens floß in einem Schiffe dahin«, fuhr die Gouvernante fort, offenbar in ihrem tiefsten Innern Bilder langer Vergangenheit zurückrufend. »Glücklich und traurig zugleich waren die Stunden, die ich auf der See zugebracht habe! Auch ist dies nicht das erste königliche Schiff, in das mich mein Schicksal geworfen hat. Und doch scheinen sich die Gebräuche seit jenen Tagen sehr geändert zu haben, wenn anders mein Gedächtnis die Eindrücke eines Alters nicht zu verlieren beginnt, wo jenes Seelenvermögen am stärksten zu sein pflegt. Ist es gebräuchlich, Herr Wilder, einem Erzfremden, wie Sie hier sind, in einem Kriegsschiff ein Kommando anzuvertrauen?«

»Durchaus nicht!«

»Und doch führten Sie, wenn mein schwaches Urteil nicht trügt, von dem Augenblicke an, wo wir als Schiffbrüchige, Hilflose dies Fahrzeug betraten, das zweite Kommando darin.«

Unser Abenteurer wendete abermals den Blick ab und suchte augenscheinlich nach Worten, ehe er erwiderte: »Ein Patent gebietet überall Achtung; das meinige hat mir die Wichtigkeit verschafft, von der Sie Zeuge waren.«

»Sie sind also ein königlicher Offizier?«

»Würde man irgendeine andere Autorität in einem königlichen Schiffe gelten lassen? Durch den Tod wurde die zweite Stelle in diesem Kreuzer vakant. Zum Glück für das Bedürfnis des Dienstes, vielleicht auch für mich, war ich bei der Hand, die Stelle auszufüllen.«

»Aber sagen Sie mir doch noch,« fuhr die Gouvernante fort, entschlossen, die Gelegenheit nicht vorübergehen zu lassen, ohne sich noch mehr Aufklärung zu verschaffen, »ist es Sitte, daß die Offiziere eines Kriegsschiffs bewaffnet unter ihren Leuten erscheinen, wie es hier geschieht?«

»Es ist der Wille unseres Kommandeurs.«

»Dieser Kommandeur ist offenbar ein geschickter Seemann, allein seine Kapricen und seinen Geschmack finde ich ebenso außergewöhnlich wie seine Miene. Ich muß ihn schon einmal gesehen haben, und wo ich nicht irre, erst vor kurzem.«

Mistreß Wyllys verfiel in ein mehrere Minuten langes Stillschweigen. Während der ganzen Zeit blickte sie unverrückt hin auf die Gestalt des regungslosen Menschen, der noch immer in seiner ruhigen Haltung verharrte, entfernt von dem ganzen Haufen, den er so gewandt in unbedingter Abhängigkeit von seinem Befehl zu erhalten wußte. Die Gouvernante schien in diesen paar Augenblicken auch die flüchtigste Eigentümlichkeit seiner Person mit ihrem Auge einsaugen zu wollen, das sie nicht müde wurde, auf ihm ruhen zu lassen. Sie holte alsdann tief Atem und ließ vom Sinnen nach, indem sie sich erinnerte, daß sie nicht allein sei, und daß andere, schweigend und sie beobachtend, das Ergebnis ihres Nachdenkens abwarteten. Ohne Verwirrung jedoch wegen einer Geistesabwesenheit, an die ihre Schülerin schon zu sehr gewöhnt war, als daß sie ihr auffallen sollte, nahm sie, den Blick wie zuvor auf Wilder gerichtet, das Gespräch wieder da auf, wo sie selbst es unterbrochen hatte.

»Sind Sie denn schon lange mit dem Kapitän Heidegger bekannt?«

»Wir haben uns schon früher gesehen.«

»Dem Tone nach ist der Name deutschen Ursprungs, mir wenigstens ist er vollkommen neu. – Doch gab es eine Zeit, wo mir wenige im Dienste des Königs stehende Offiziere seines Ranges dem Namen nach unbekannt waren. Ist seine Familie in England eine alte?«

»Diese Frage kann er selbst wahrscheinlich besser beantworten«, sagte Wilder, froh, erlöst zu sein, denn der Gegenstand des Gesprächs näherte sich ihnen eben mir einer Miene, die das Bewußtsein ausdrückte, daß ihm niemand in dem Schiffe das Recht streitig machen durfte, an jedem ihm zusagenden Gespräch teilzunehmen. »Jetzt, Madame, ruft mich die Pflicht anderswohin.«

Wilder zog sich offenbar nur ungern zurück, und wenn seine Reisegefährtinnen überhaupt Verdacht gehegt hätten, so würde ihnen der mißtrauische Blick nicht entgangen sein, womit er die Art beobachtete, die sein Kommandeur annahm, als er den Damen einen guten Morgen wünschte; und doch war nichts im Wesen des Rovers, was ein solch eifersüchtiges Bewachen hätte veranlassen können, im Gegenteil, etwas Kaltes und Abweisendes darin gab den Anschein, daß er mehr aus Gastfreundlichkeit, als aus dem Wunsch sich zu unterhalten, an der Unterredung teilnehme. Indessen hatte sein Benehmen viel Gütiges, und seine Stimme war mild wie die Luft, die von dem herrlichen Klima der nahen Insel herüberwehte.

»Dort ist ein Anblick,« sagte er, indem er auf den blauen Rand des Kontinents hinzeigte, »der den Landbewohner mit Wonne und den Seemann mit Schrecken erfüllt.«

»Sind denn Seeleute dem Anblick von Regionen so abgeneigt, wo so viele Millionen ihrer Mitgeschöpfe mit Vergnügen wohnen?« fragte Gertraud, an die er seine Worte gerichtet hatte. Die Offenherzigkeit, mit der sie die Frage tat, bewies hinlänglich, daß ihre flecken- und arglose Seele von seinem wahren Charakter nicht die entfernteste Ahnung hatte.

»Zu denen auch Fräulein Grayson gehört«, erwiderte er, sich leise verbeugend, und mit einem Lächeln, hinter dessen Heiterkeit sich Ironie verbarg. »Nach den Gefahren, die Sie so kürzlich ausstehen mußten, kann selbst ich, ein so verstocktes und hartnäckiges Seeungeheuer, Ihnen die Abneigung gegen unser Element nicht verdenken. Doch ist es, wie Sie sehen, nicht ohne seine Reize. Kein See, von dem Festlande dort umkränzt, kann ruhiger und angenehmer sein, als dies Stückchen Meer. Befänden wir uns einige Grade südlicher, so wollte ich Ihnen Landschaften zeigen, zusammengesetzt aus Felsen, Gebirgen, Buchten, grüngetupften Hügelabhängen, spielenden Walfischen, nachlässig ausgestreckten Fischern, Bauernhütten in der Ferne und schlaffen Segeln – kurz, es würde sich selbst in einem Buche nicht übel ausnehmen, das die glänzenden Augen einer Dame mit Vergnügen lesen.«

»Und doch gehören die meisten Gegenstände, die Sie nannten, dem Festlande an. Zum Dank für dies Gemälde möchte ich Sie nach Norden fuhren, Ihnen dort finstere, drohende Wolken zeigen, ein grünes, verdrießliches Meer, Schiffstrümmer, Untiefen; auch Hütten, Hügelabhänge und Berge sind da, aber nur in der Sehnsucht der Ertrinkenden, endlich Segeltücher, gebleicht von Gewässern, die den gefräßigen Haifisch und den ekelhaften Polypen beherbergen.«

Gertraud hatte in seinem eignen, heitern Tone geantwortet; allein ihre blasse Wange und ein leises Zittern ihrer weichen, vollen Lippe verriet nur zu deutlich, daß die Erinnerung mit ihren entsetzlichen Bildern in ihr geschäftig war. Dieser Wechsel entging dem scharfforschenden Blicke des Rovers keineswegs, daher gab er, um jedes schmerzliche Andenken zu verbannen, auf eine ebenso gewandte als zarte Weise dem Gespräche eine andere Wendung.

»Es gibt Leute, die da glauben, die See habe nichts Unterhaltendes«, sagte er. »Für ein schwächliches, see- und heimwehkrankes Wesen mag das freilich wahr sein; allein der, dessen Geist kräftig genug ist, die Launen seines tierischen Teils zu unterdrücken, weiß ein anderes zu erzählen. So zum Beispiel haben wir regelmäßig unsere Bälle, und am Bord des Schiffes befinden sich Künstler, die vielleicht keinen so entschiedenen rechten Winkel mir ihren Beinen beschreiben können wie die Solotänzer in den Balletts, hingegen ihre Tanzfiguren im Sturmwind zu machen wissen, was mehr ist, als man von dem leichtfüßigsten Landhüpfer rühmen kann.«

»Ein Ball ohne Damen würde von ununterrichteten Leuten des Festlandes wenigstens für ein ungeselliges Vergnügen gehalten werden.«

»Hm! – es könnte freilich nicht schaden, wenn eine oder zwei Damen dabei wären. Dabei haben wir unser Theater, Posse, Lustspiel, spanischer Stiefel, alles kommt an die Reihe, um uns Kurzweil zu geben. Der Kerl, den Sie dort aus der Vormarssegelrahe ausgestreckt sehen wie eine träge Schlange, die sich auf einem Baumzweige sonnt, brüllt Ihnen so sanft wie eine Lachtaube! Und da drüben steht ein Verehrer des Momus, der selbst einen seekranken Mönch zum Lachen bringen würde: ich kann, glaube ich, nichts Empfehlenderes von ihm sagen.«

»Das nimmt sich in der Beschreibung recht gut aus,« erwiderte Mistreß Wyllys, »allein wieviel gehört davon dem – Dichter, oder soll ich Sie eher Maler nennen?«

»Keins von beiden, sondern einen ernst- und wahrhaften Chronisten. – Indes, da Sie Ihre Zweifel haben, und da Sie so seeneu sind …«

»Verzeihung!« unterbrach die Dame. »Ich bin im Gegenteil seealt, ich habe den Ozean schon oft gesehen.«

Der Rover, dessen unsteter Blick bis jetzt mehr das frische Antlitz Gertrauds als das ihrer Gefährtin getroffen hatte, richtete ihn hier auf die letztere, ja ließ ihn so lange auf ihr weilen, daß sie dadurch in einige Verlegenheit geriet.

»Es scheint Sie zu befremden, daß eine Dame ihre Zeit auf eine solche Weise zugebracht haben sollte«, bemerkte sie, nicht ohne die Absicht, ihn das Unschickliche seines stieren Blickes fühlen zu lassen.

»Wir sprachen von der See, wenn ich mich recht erinnere«, fuhr er fort, wie einer, der plötzlich von tiefem Nachdenken wieder zu sich kommt. »Ja, ja, von der See war es, denn ich war etwas prahlerisch in meiner Lobeserhebung geworden, hatte Ihnen gesagt, dies Schiff sei ein besserer Schnellsegler, als …«

»Nichts von alledem!« rief Gertraud, über seine Verwirrung herzlich lachend. »Sie spielten vielmehr den Zeremonienmeister in einem Schiffsball.«

»Wollen Sie ein Menuett tanzen? Wollen Sie meine Bretter mit den Grazien Ihrer Person beehren?«

»Ich, mein Herr? Mit wem? Vielleicht mit dem Herrn, der seine Tanzfiguren in einem Sturmwinde machen kann?« »Sie wollten unsere etwaigen Zweifel an den Vergnügungen der Seeleute beseitigen«, sagte die Erzieherin, mir einem ernsten Blick die Ausgelassenheit ihrer Schülerin verweisend.

»Jawohl, es war die Laune des Augenblicks, auch will ich ihren Lauf nicht hemmen.« Hierauf wandte er sich zu Wilder, der sich nahe genug postiert hatte, um das Gespräch mit anhören zu können, und fuhr fort: »Die Damen bezweifeln unsere Lustigkeit, Herr Wilder; der Bootsmann soll seinen Zauberruf ertönen lassen, verteilen Sie die Parole: zum Unheil unter die Leute.«

Unser Abenteurer verbeugte sich gehorchend und gab den erforderlichen Befehl.

Wenige Augenblicks danach erschien dasselbe Individuum, mit dem der Leser bereits im Schenkzimmer des Unklaren Ankers Bekanntschaft gemacht hat, in der Mitte des Schiffes, dicht bei der großen Luke, geschmückt wie damals, mir einer silbernen Kette, an der eine Pfeife befestigt war, und von zwei Gehilfen, geringeren Scholaren aus derselben rohen Schule, begleitet. Nun ließ Nightingale mit seinem Instrumente einen langen, grellen Pfiff erschallen, und als der Ton dem Ohre verhallt war, erhob er seine tiefe Baßstimme: »Alle zu Hauf, zum Unheil, ahoi!«

Wir haben bei einer frühern Gelegenheit diese Töne mir dem Brüllen eines Stieres verglichen; in gegenwärtigem Fall sinnen wir vergebens auf eine Vergleichung, die passender wäre, daher mag es bei der frühern sein Bewenden haben. Ein jeder der beiden Bootsmannsgehilfen wiederholte nun die gebrüllte Aufforderung, und damit war’s genug. Wie schroff und unverständlich auch der Ruf dem musikalischen Ohr Gertrauds klingen mochte, auf die Gehörorgane der Mehrzahl machte er einen absonderlich angenehmen Eindruck. – Schon als die Schwingungen des ersten schwellenden und anhaltenden Tones die obere stille Luftregion erreichten, hob sich hier der Kopf eines jungen Kerls, der auf einer Spiere ausgestreckt dalag, spitzte dort ein anderer das Ohr, der auf einem Tau hin und her schaukelte, jeder, um die Worte, die nun folgen würden, aufzufangen, wie ein wohldressierter Pudel aufpaßt, wenn er seinen Herrn sprechen hört. Aber kaum war das emphatische Wort, das unmittelbar dem langgezogenen »Ahoi!« folgte, womit Nightingale den Aufruf schloß, ausgesprochen, so entlud sich das dumpfe, bisherige Stimmengemurmel der Seeleute in einem gleichzeitigen und allgemeinen »Hurra!« Im Nu war jedes Zeichen von Lässigkeit verschwunden, und alles in der lebendigsten Regsamkeit. Die jungen, behenden Toppgasten schwangen sich wie hüpfende Tiere in das Tauwerk des jedem einzelnen angewiesenen Mastes, und erkletterten die sich hin und her schwingenden Strickleitern wie Eichhörnchen, die auf das Signal von Gefahr in ihre Schlupfwinkel flüchten. – Die ernsthafteren und schwerfälligeren Matrosen des Vorkastells, die noch wichtiger aussehenden Kanoniere und Quartiermeister, die minder schlauen und halb erschrockenen Kuhlgasten, endlich die ganz erschrockenen Rekruten der Hinterwache, alle eilten instinktmäßig auf ihre verschiedenen Posten; die Geübteren, um heillose Pläne gegen ihre Kameraden zu schmieden, die Einfältigeren, um sich über Verteidigungsmittel zu beraten.

Nun erschollen auf den Topps und Rahen Gelächter und geräuschvoller Witz, indem bald der eine übermütige Matrose droben seinen Einfall dem Kameraden verkündigte, bald ein anderer schadenfroh zankend darauf drang, seine Erfindung, Unheil anzustiften, sei die witzigere. Von der passiven Partei andererseits, nämlich von dem Haufen, der sich auf der Schanze und um den Fuß des großen Mastes immer dichter zusammenballte, wurden mißtrauische und oft wiederholte Blicke halb verstohlen in die Höhe geworfen, die genugsam die Zaghaftigkeit an den Tag legten, mit der die Neulinge auf dem Verdeck dem beginnenden Kampf gegen den handgreiflichen Witz ihrer Kameraden entgegensahen. Die solideren und ernsteren Seeleute aus der Back behaupteten jedoch ihren Posten mit einer Art von strenger Entschlossenheit, an der sich das Vertrauen, das sie in ihre physische Kraft setzten, und ihre genaue Bekanntschaft, sowohl mit den Gefahren, als auch mit den lustigen Launen des Seelebens, nicht verkennen ließ.

Außer diesen sah man noch einen Knäuel von Leuten, die sich, mitten im allgemeinen Wirrwarr und Getöse, so hastig und doch so taktmäßig versammelten, daß man bei ihnen einerseits ein Bewußtsein von der dringenden Notwendigkeit, unter obwaltenden Umständen vereint zu handeln, voraussetzen mußte, sowie andererseits die Gewohnheit, in Massen zu agieren. Dies waren die einexerzierten soldatischen Abhänglinge des »Generals«. Zwischen diesen und den minder taktfesten Seeleuten bestand nicht nur jene fast instinktmäßige, gegenseitige Antipathie von Marinesoldat und Matrose, sondern eine erhöhtere, die, aus leicht einzusehenden Ursachen, in dem Schiffe, von dem wir schreiben, so sehr genährt wurde, daß sie oft in unruhige und fast meuterische Zwiste ausbrach. Es waren in allem zwanzig Soldaten, die sich so schnell versammelten, und obgleich bei dergleichen Lustbarkeiten Feuergewehr verpönt war, so konnte man dem erpichten Grimm im Gesicht dieser schnurrbärtigen Helden leicht abfühlen, daß im Notfall keinem von ihnen der Appell an das Bajonett, das sie an den Schultern hängen hatten, schwer ankommen dürfte.

Ihr Kommandeur zog sich mit den übrigen Offizieren auf das Deck der Hütte zurück, um das Zwanglose der Lustbarkeiten, zu denen sie einmal das Fahrzeug hergegeben hatten, durch ihre Gegenwart nicht zu stören.

Es mochten wohl ein paar Minuten draufgegangen sein, bis die verschiedenen, soeben geschilderten Veränderungen zuwege gebracht waren. Sobald sich aber die Toppgasten überzeugt hatten, daß kein unglücklicher Nachzügler ihrer Partei irgendeiner der unten versammelten Gruppen nahe genug war, um ihrer wahrscheinlichen Wiedervergeltung ausgesetzt zu sein, so begannen sie, dem Ruf des Bootsmanns buchstäblich nachzukommen, indem sie Pläne zum »Unheil« schmiedeten.

Verschiedentliche Eimer, wovon der größte Teil die Bestimmung hatte, bei ausbrechendem Feuer Dienste zu tun, sah man bald an den Klappläufertauen von den äußeren Enden der Rahen in die See herabkommen. Trotz dem linkischen Widerstande der Untenstehenden waren die ledernen Gefäße bald gefüllt und in den Händen derer, die sie heruntergelassen hatten. Gar manch ein gaffender Kuhlgast und steifer Marine wurde jetzt mit dem Element, auf dem er schwamm, näher vertraut, als ihm lieb und bequem war. Solange indessen, als sich die Späße auf diese erst halb eingeweihten Individuen beschränkten, kühlten die Toppgasten ihr Mütchen ungestraft; kaum aber war die Würde eines Kanoniers verletzt, als die ganze Bande von Unteroffizieren und Backgasten in Masse aufstand, die Schmach zu rächen, wobei ihre Geschicklichkeit einen Beweis abgab, wie vertraut die ältern Matrosen mit allem waren, was in ihr Fach einschlug. Eine kleine Kanone wurde nun aufs Vorderteil heraufgeschafft und gleich einer genau zielenden Batterie, die zum beginnenden Kampfe Platz macht, auf den nächsten Topp gerichtet. Das laut lachende Gesindel droben machte sich aber bald aus der Schußweite, einige in die Höhe, andere auf den nächsten Topp, alle auf Seilen und über schwindlige Höhen hinweg, die für jedes Tier, minder behende als ein Eichhörnchen oder ein Affe, unerklimmbar schienen.

Nun forderten die siegreichen und boshaften Matrosen die Seesoldaten heraus, doch Gebrauch von ihrem Vorteil zu machen. Schon durch und durch naß, aber gierig, ihren Peinigern die Unbill wiederzuvergelten, rückte ein halb Dutzend Soldaten heran, von einem Korporal angeführt, dessen reich gepudertes Haupthaar durch eine zu innige Bekanntschaft mit einem Wassereimer in zusammengepappte Zotteln metamorphosiert war. Sie versuchten an der Takelage hinanzuklettern, ein Heldenstück, das ihnen schwerer ankam, als durch eine Bresche in die Festung zu stürmen. Die gottlosen Kanoniere und Quartiermeister, mit ihrem eigenen Erfolg zufrieden, feuerten sie zum Unternehmen noch mehr an; und Nightingale nebst seinen Gehilfen, die sich bald vor zurückgehaltenem Lachen die Zunge zerbissen, gaben mit ihren Flöten das Kommando: »Aufgehißt!« Der Anblick dieser waghalsigen Abenteurer, wie sie langsam und bedächtig die Strickleitern hinankletterten, hatte auf die zerstreuten Toppgasten ungefähr dieselbe Wirkung wie Fliegen, die sich einem Spinnengewebe nähern, auf ihre verborgene, blutdürstige Feindin. Die Matrosen in der Höhe bekamen von denen unten durch sprechende Blicke den Wink, daß Marinesoldaten erlaubtes Wild seien. Daher waren letztere noch kaum recht ins Netz gegangen, als schon zwanzig Toppgasten aus sie losstürzten, um ihre Prisen in Sicherheit zu bringen, ein Hauptstreich, der unglaublich schnell ausgeführt war. Zwei oder drei der aufstrebenden Ritter wurden da, wo der Feind auf sie stieß, mit einer Tracht Prügel bewillkommt, ohne sich verteidigen zu können, da sie sich an einem Orte befanden, wo der Instinkt selbst ihnen die unumgängliche Pflicht einzuschärfen schien, mit beiden Händen ja recht festzuhalten; andere von ihnen hatten ein verschiedenes, obgleich nicht besseres Los: man sah sie plötzlich vermittelst Klappläufertaue ihrem Orte enthoben und nach verschiedenen Spieren, wie ebenso viele leichte Segel oder Rahen hinschweben.

Mitten in der geräuschvollen Freude über diesen Sieg zeichnete sich ein Individuum durch die Ernsthaftigkeit und geschäftige Miene aus, mit der es seine Rolle in der Posse spielte. Auf dem äußern Ende einer der niederen Rahen sitzend, so sicher als befände es sich auf einer Ottomane, war es sorgfältigst damit beschäftigt, die Lage eines armen Gefangenen zu untersuchen, der, dicht vor seinen Füßen, weder vor- noch rückwärts konnte, während der lose Befehlshaber auf dem Topp herabschrie, ihn vollends aufzuhissen, einen »Juwelenblock« aus ihm zu machen; eine Benennung, die man den an gewissen Rahenenden herabhängenden Blöcken gibt, und die den Juwelenbommeln, die man so oft an den Ohren des schönen Geschlechtes glänzen sieht, entliehen zu sein scheint.

»Ja, ja,« brummte der bedächtige, ernsthafte Teer, der kein anderer war als Richard Fid, »das Bindsel, das der Kerl mitbringt, ist nicht vom haltbarsten; wenn er schon jetzt so quiekt, was wird er erst tun, wenn er, mit einem Tau durchrefft, in der Luft baumelt! Meiner Seel, Burschen, ihr hättet den Jungen besser ausreeden sollen, ehe ihr ihm die Ehre zudachtet, ihn in gute Gesellschaft raufzuschicken. Da sind ja mehr Löcher in seiner Jacke als Kajütenfenster in einer chinesischen Junke. Hilloa! – Du, da unten! – Du, Guinea, faß mir mal ein Schneiderlein und schick’s rauf, um diesem Kuhlgast die Windluken zu verstopfen.«

Der athletische Afrikaner, dem wegen seiner Riesenstärke ein Posten im Vorkastell angewiesen war, schaute einen Augenblick hinauf, dann schritt er im Trabe mit verschränkten Armen das Verdeck entlang, so ernsthaft, als wäre er in einem Dienste von höchster Wichtigkeit begriffen. Ein höchst kläglich und hilflos aussehendes Wesen, von dem Aufruhr über seinem Haupte aufgeschreckt, war von einem verborgenen Winkel des Bachdecks auf die Leiter der Vorluke herausgekrochen. Nur mit dem halben Körper über die Planken hervorragend, eine Strähne Kamelgarn um den Hals, ein Stück Wachs in der einen Hand und eine Nähnadel in der andern, stand es da und schaute stieren Blickes um sich her. Ein chinesischer Mandarin, der plötzlich in die Geheimnisse des Ballens eingeweiht werden soll, hätte nicht verdutzter aussehen können. Auf dies Subjekt fiel das Auge Scipios. Er streckte einen Arm aus, warf es sich auf die Schultern, und ehe noch der verblüffte Gegenstand seines Angriffs wußte, in wessen Händen er eigentlich gefallen, war auch schon ein Haken an den Gurt seiner Beinbekleidung angebracht und er selbst unterwegs zwischen dem Wasser und der Spiere, wo Fid, dem er eben Gesellschaft leisten sollte, thronte.

»Gib acht, daß der Mann nicht in die See fällt!« rief Wilder streng von seinem Stande auf dem Deck der Hütte her.

»Is Schneider, Messer Harry,« erwiderte der Schwarze, ohne eine Muskel zu verziehen; »wenn seine Hosen halten nicht fest, er nur sich selber mag schuld geben.«

Während dieses kurzen Zwiegesprächs hatte der gute Mann Homespun schon das Ziel seines erhabenen Aufschwungs erreicht. Hier wurde er von Fid standesgemäß empfangen; selbiger hob ihn an seine Seite, und nachdem er ihn bequem zwischen Rahe und Baum gesetzt, befestigte er ihn mit einem Riemen, damit das Schneiderlein den freien Gebrauch seiner nähefertigen Hände haben möge.

»Ziehe mal ’n bißchen mit der Hand auf und nieder auf diesen Kuhlgast da!« sagte Richard, nachdem er den guten Mann gehörig sichergesetzt hatte: »so, beleg‘ mir die ganze Stelle da.«

Hierauf umschloß er mit dem einen Kniegelenk den Hals seines Gefangenen, faßte diesen dann bei einem gewissen Teil des Körpers, der nun durch den Druck am Kopfgelenk in die Höhe geschwungen wurde, und legte diesen Teil ruhig dem erschrockenen Schneider in den Schoß.

»Hier, Freundlein,« sagte er, »hantiere jetzt mit deiner Nadel wie bei deiner gewöhnlichen Arbeit. Dein schlaues Metier fängt ohnedies immer bei dem Fundament an, damit die Oberkardeele auch halte.«

»Gott behüte mich und alle sterblichen Sünder vor einem unzeitigen Ende!« schrie Homespun, den der Blick in die leere Luft von seiner schwindligen Höhe mit einem Gefühl erfüllte, das wahrscheinlich viel Ähnlichkeit mit dem hatte, das ein Luftschiffer bei seiner ersten Fahrt haben mag, wenn er von oben herunterschaut.

»Laßt mir den Kuhlgast da wieder hinab,« rief Fid wieder; »er stört alle vernünftige Unterhaltung durch sein Geschrei; dieser Schneider hier hat über seine Kardeele das Verdammungsurteil gesprochen, drum mag der Schiffszahlmeister eine neue Ausstaffierung für ihn bestellen.«

Die wahre Ursache jedoch, daß er den hängenden Gesellen fortschaffen ließ, war ein Funken von Menschlichkeit, der noch in dem rohen Gemüte des Teer schimmerte, denn er wußte, daß sein Gefangener nur auf Kosten körperlichen Wohlbehagens in der hängenden Stellung verbleiben konnte. Sobald sein Wunsch erfüllt war, wendete er sich zur Wiederanknüpfung des Gesprächs gegen den guten Schneider, ebenso geruhig, als säßen sie beide auf dem Verdeck, und ohne sich im mindesten dadurch stören zu lassen, daß über, neben und unter ihm, ein Dutzend Streiche von derselben Art, wie der eben geschilderte, ausgeführt wurden.

»Warum glotzen denn Eure Augen so, Bruder, wie ein paar Pfortgaten?« fing der Toppgast an. »Das ist lauter Wasser, was Ihr da um Euch her seht, ausgenommen die blaue Hängematte dort nach Osten, was ein Stück Hochland in den Bahamas ist, seht Ihr?«

»Ach, was ist das für eine sündenvolle, übermütige Welt, in der wir leben«, erwiderte der Schneider. »Niemand kann sagen, in welchem Augenblick seine Tage abgeschnitten werden. Fünf blutige, grausame Kriege hab‘ ich erlebt und überstanden, und doch ist es nun mein beschiedenes Los, dieses schmachvolle und gottlose Ende zu nehmen.«

»Na, da du in den fünf blutigen und grausamen Kriegen mit einem blauen Auge davongekommen bist, so hast du ja um so weniger Ursache zu brummen, daß dir ein bißchen Seewasser zwischen die Kleider kam, wie sie dich auf die Rahenocke hier raufzogen. Kann dich versichern, Brüderlein, hab‘ schon gesehen, wie ganz andere, kräftigere Bengels als du bist, diesen Schwung taten, die nicht gewußt haben, wie oder wann sie wieder runtergekommen sind.«

Homespun, der Fids Anspielung nur zur Hälfte verstand, sah ihn jetzt mit einem Blicke an, der einerseits den Wunsch einer nähern Erklärung, andererseits aber starke Bewunderung ausdrückte über die Sorglosigkeit, mit der sich sein Gefährte, ohne die geringste Hilfe, nur durch seine equilibristische Fertigkeit, in seinem Sitze erhielt.

»Ich sage, Bruder,« nahm Fid wieder auf, »daß mancher kräftige Seemann schon mit dem Klappläufertau zum Ende einer Rahe hinaufgehißt wurde, der bei dem Signal eines Flintenschusses zusammenschreckte, oder der just so lange dort sitzen bleiben mußte, als der Präsident des Kriegsgerichts zur Besserung seiner Ehrlichkeit für nötig zu halten beliebte.«

»Daß sich Gott erbarm! Selbst der am wenigsten Schuldige, selbst der gewissenhafteste Seemann, der solche erschreckliche Strafe, bloß zum Spaß, im Spiele ausführen ließe, würde sich an der Vorsehung sowohl schrecklich als auch entsetzlich versündigen; aber doppelt schwer ist die Versündigung, sag‘ ich, in der Mannschaft eines Schiffes, das jede Stunde von der Wiedervergeltung und der Reue getroffen werden kann. Es scheint mir unweise, die Vorsehung durch dergleichen Schauspiele zu versuchen.«

Fid warf einen ganz ungewöhnlich bedeutsamen Blick auf den Schneider und schob sogar die Antwort auf, bis er seine Gedanken durch ein neues, großes Stück Tabak aufgefrischt hatte, das er dem, das seine Backen schon füllte, noch nachstieß. Hierauf schaute er sich um, ob sich auch keiner seiner lärmenden und zum Aufstand geneigten Kameraden innerhalb Gehöresweite befände, dann heftete er einen noch sprechenderen Blick auf den Schneider und sagte:

»Merk dir’s, Brüderlein, der Richard Fid kann wohl viele gute Eigenschaften an sich haben, die nicht jedermann bekannt sind, aber das wissen alle seine Freunde, daß er kein großer Gelehrter ist. Da aber nun dem so ist, so hat er es nicht für gutgehalten, als er an Bord dieses trauten Schiffes kam, erst nach dem Schiffspatent zu fragen. Ich glaube dennoch, daß es zum Vorschein kommen kann, wenn’s nottut, und daß kein ehrlicher Mann sich zu schämen braucht, unter seiner Flagge die Küste zu befahren.«

»Ach, wenn erst die Stunde dieses Kreuzers geschlagen hat, so sei der Himmel den Schuldlosen gnädig, die gezwungenerweise hier dienen!« erwiderte Homespun. »Aber ich sollte doch meinen, daß Ihr als ein seefahrender und gescheiter Mann Euch nicht habt zu dieser Fahrt einschreiben lassen, ohne das Handgeld zu empfangen und Euch zuerst über die Beschaffenheit des Dienstes zu unterrichten.«

»Dem Teufel auch ließ ich mich einschreiben, weder in der ›Entreprise‹ noch in dem ›Delphin‹, wie sie dieses Schiff benamsen. Seht Ihr dort unten auf der Hütte den jungen Herrn, den Harry, der Euch zu einem Toppgast heraufrufen kann, so lieblich, als wenn das Männchen vom Walfisch brüllte; dem seinem Signale folg‘ ich, seht Ihr. Mit Fragen, was für eine Richtung er heute oder morgen seinem Schiffchen geben wolle, laß ich ihn in der Regel ungeschoren, das ist seine Sache.«

»Wie! Wollt Ihr Eure Seele auf diese Art an Beelzebub verkaufen, und noch dazu ohne Kaufschilling?«

»Ich sage, Freundchen, es könnte nicht schaden, wenn Ihr Eure Gedanken erst etwas straff anholtet, ehe Ihr sie auf diese unmanierliche Art Eurer Zunge entfahren laßt. Nicht gern möcht‘ ich einen Herrn, der sich zu mir herausbemüht hat, um mir einen Besuch abzustatten, anders als mit der Höflichkeit behandeln, die meinem Topp Ehre macht, wenn auch die Mannschaft jetzt heillose Streiche ausführt, seht Ihr. Aber ein Offizier wie der, dem ich folge, besitzt selber einen Namen und braucht sich nicht erst einen von der Person zu borgen, die Ihr eben zu nennen beliebtet. Ich verachte jämmerliches Drohen: aber einem Mann von Euern Jahren darf ich nicht erst sagen, daß es just so leicht ist, von dieser Spiere hier hinabzuspazieren, als herauf, seht Ihr.«

Das Schneiderlein warf einen furchtsamen Blick auf das Salzwasser hinab und beeilte sich, den ungünstigen Eindruck zu verlöschen, den die letzte unglückliche Frage so offenbar auf seinen sonnverbrannten Gesellschafter gemacht hatte.

»Fern sei es von mir, daß ich irgend jemand einen andern als seinen Tauf- und Familiennamen beilege, wie es das Gesetz befiehlt,« sagte er; »ich wollte bloß fragen, ob Ihr dem Herrn, dem Ihr dient, zu so einem unanständigen und verderblichen Ort, wie ein Galgen ist, zu folgen Lust hättet?«

Fid sann eine Weile hin und her, ehe er für gut hielt, auf eine so hohe und gehaltvolle Frage zu antworten. Während des ihm ungewohnten Prozesses, des Nachdenkens, bewegte sich das Kraut, von dem sein Mund vollgestopft war, ungemein schnell, bald nach der einen, bald nach der andern Backe hin; drauf einen Strahl Tabakssaft fast bis zur Sprietsegelrahe hinspritzend, machte er seinen Betrachtungen und dem Kauen zugleich mit folgenden entschlossenen Worten ein Ende:

»Soll mich der Teufel holen, ich tät’s! Nach einem vierundzwanzigjährigen, gemeinschaftlichen Segeln mit dem Harry müßte ich ärger als der feigste Kriecher sein, wollte ich die Kameradschaft aufsagen, weil uns eine Kleinigkeit von Galgen auf der Fahrt zu Gesicht käme.«

»Der Lohn in so einem Dienste muß sowohl reichlich als pünktlich sein, und Speise und Trank von der besten Sorte«, bemerkte Gevatter Homespun angelegentlich, so daß man sehen konnte, eine Antwort würde ihm nicht unlieb sein. Fid war auch gar nicht gestimmt, seine Neugier unbefriedigt zu lassen, vielmehr hielt er sich, da er einmal den Punkt berührt hatte, dazu verpflichtet, ihn von allen Seiten hinlänglich zu beleuchten.

»Was den Lohn betreffen tut, seht Ihr, so ist’s just soviel, als einem Matrosen gebührt. Ich würde mich verachten, weniger zu nehmen, als der besten Fockmasthand in einem Schiffe zukommt, denn seht Ihr, das wär‘ gerade, als wenn ich eingestände, daß ich nicht mehr verdienen täte. – Aber der junge Herr, der Harry, hat seine eigene Manier, die Dienste von unsereinem zu berechnen; und wenn seine Gedanken in einer Sache dieser Art erst mal fest eingeklemmt sind, so kann ich sie mit dem größten Splißhorn nicht wieder flott kriegen. Ich spielte einst so von fern drauf an, es wäre doch nicht unschicklich, wenn er mir eine Quartiermeisterstelle verschaffen täte, aber den Teufel auch wollte er sich zu der Sache im geringsten verstehen, sintemal, wie er selber sagt, ich die Eigenheit an mir habe, von Zeit zu Zeit ein bißchen beduselt zu sein, was mich nur der Gefahr, beschimpft zu werden, aussetzen müßte; indem es männiglich bekannt ist, je höher ein Affe die Takelage hinaufklettert, desto leichter jeder auf dem Verdeck sehen kann, daß er einen Schwanz hat. Dann, was den Tisch anbelangen tut, es ist halt Matrosenkost; bald hat man eine Krume übrig für einen Freund, bald einen hungrigen Magen.«

»Aber da gibt’s doch oft Verteilung des hm … hm … des Prisengeldes in diesem siegreichen Kreuzer?« fragte der Gevatter, mit abgewendetem Gesicht, wahrscheinlich weil er wußte, daß es eine ungeziemende Gespanntheit auf die Antwort verraten würde. »Ihr bekommt gewiß alle Eure Mühseligkeit reichlich vergütet, wenn der Schatzmeister die Beute verteilt.«

»Hör‘ mal. Schneiderlein,« sagte Fid, indem er wieder eine bedeutsame Miene annahm, »kannst du mir sagen, wo die Seebehörde sitzt, die seine Prisen verteilt?«

Gevatter Homespun erwiderte den Blick nicht ohne Angelegentlichkeit: aber ein ungewöhnlicher Lärm in einem andern Teil des Schiffes machte dem Gespräch gerade da ein Ende, wo es aller vernünftigen Wahrscheinlichkeit nach zu einer tröstlichen Erklärung zwischen den beiden gekommen wäre.

Zwanzigstes Kapitel.

Zwanzigstes Kapitel.

Während die beiden aus der Nocke der Fockrahe des Korsaren diese kleine Zwischenhandlung spielten, wurden anderswo tragikomische Szenen ausgeführt. Der oft erwähnte Kampf zwischen den Inhabern des Verdecks und den regsamen Bewohnern der Höhe war noch lange nicht zum Schluß gediehen. Mehr als einmal kam es von zornigen Worten zu Prügeln: und da dieses letztere Ingrediens des Schauspiels von einer Art war, worin sich die Marinesoldaten und Kuhlgasten mit ihren erfindungsreichen Peinigern messen konnten, so fing der Krieg nachgerade an, einigen Anschein sehr zweifelhaften Ausganges zu gewinnen. Nightingale war indessen immer zur Hand, die streitenden Parteien mit seiner wohlbekannten Bootsmannsflöte und seiner tiefen Baßstimme zum Gefühl des Schicklichen zurückzurufen. Ein langer, greller Pfiff, mit den Worten: »Bei Laune geblieben, ahoi!« war bisher hinreichend, den entbrennenden Zorn der verschiedenen Beteiligten zu unterdrücken, wenn der Spaß dem aufbrausenden Soldaten oder den, zwar minder feurigen, aber doch ebenso rachelustigen Mitgliedern der Hinterwacht zu arg zu werden begann. Allein ein Versehen von seiten dessen, der sonst ein so wachsames Auge auf die Bewegungen aller unter seinem Befehle Stehenden zu haben pflegte, hätte beinahe weit ernstlichere Ereignisse herbeigeführt.

Bald nachdem die verschiedenen rohen Spiele, die wir soeben mitgeteilt haben, unter der Mannschaft ihren Anfang genommen hatten, ließ die Laune, die den Rufer verleitet hatte, die Zügel der Disziplin auf einen Augenblick schlaffer zu halten, plötzlich nach. Das muntere, heitere Aussehen, das er während des Gespräches mit seinen weiblichen Gästen (oder Gefangenen, wir wissen nicht, ob er sie für das eine oder das andere zu halten geneigt war) behauptet hatte, war verschwunden. Unter einer gedankenvollen und umwölkten Stirn glänzte sein Auge jetzt nicht mehr von jenem Strahl spielender, sarkastischer Laune, der er sich so gerne überließ, sondern gewann einen schmerzlich regungslosen, abschreckenden Ausdruck. Sein Geist war offenbar in das träumende Hinbrüten zurückgesunken, das so oft seine munteren und lebendigen Mienen verfinsterte, wie die Schatten eines vorüberziehenden Gewölks die goldenen Tinten eines reifen, wogenden Ährenfeldes.

Während die meisten derer, die nicht selber eine Rolle in den tosenden und lustigen Streichen der Mannschaft zu spielen hatten, aufmerksame Zuschauer abgaben, einige mit Überraschung, andere mit Besorglichkeit, doch alle mehr oder weniger von der allgemein herrschenden Laune beseelt, stand der Freibeuter da, augenscheinlich ohne alles Bewußtsein von dem, was in seiner Gegenwart vorging. Zwar hob er dann und wann die Augen in die Höhe auf die behenden Wesen, die wie Eichhörnchen an den Tauen hingen, oder senkte sie auf die trägeren Bewegungen der Leute unterhalb seines Standpunktes; allein es war immer etwas Stieres in dem Blick, was bewies, daß das Bild für seinen Geist trüb und wesenlos war. Die Blicke, die er hin und wieder auf Mistreß Wyllys und ihre schöne von den Spielen ganz in Anspruch genommene Schülerin warf, verrieten, was in seinem innern Menschen vorging. Nur in diesem kurzen, aber bedeutsamen Anschauen konnte man dem Ursprung der Gefühle, die ihn beherrschten, einigermaßen auf die Spur kommen. – Jedoch würde der Versuch, ein Urteil über den ganzen Charakter der in seinem Gemüte herrschenden Bewegungen zu fällen, auch für den feinsten Beobachter eine schwere, wo nicht unauflösliche, Aufgabe gewesen sein. Zuweilen war man zu glauben versucht, daß eine unheilige, wollüstige Leidenschaft in ihm die Oberhand erhielte, doch nur eine Sekunde; dann überflog er mit dem Auge das keusche Matronengesicht der noch immer anziehenden Gouvernante, und es bedurfte nicht vieler Einbildungskraft, um Zweifel und tiefe Achtung zugleich in diesem Blicke zu lesen.

Inzwischen wurden die Spiele zuweilen mit so vieler Laune fortgesetzt, daß sie selbst der halb erschreckten Gertraud ein Lächeln abzwangen, allein immer mit einer Hinneigung zu jener Heftigkeit, jenem Hervorbrechen des Zorns, das in jedem gegebenen Augenblicke die Mannszucht in einem Schiffe mit Fußen treten konnte, wo es keine andere Mittel gab, Gehorsam einzuschärfen, als nur jene, die die Offiziere unmittelbar aufzubieten vermochten. Mit dem Wasser war man so verschwenderisch umgegangen, daß das Verdeck überall davon überschwemmt war, und mehr als einmal wurde selbst das privilegierte Deck der Hütte tüchtig bespritzt. Keinen bei dergleichen Auftritten üblichen Schabernack ließen die droben unbenutzt, um ihre minder günstig auf dem Verdeck postierten Kameraden herzlich zu necken, sowie sich diese ihrerseits aller Mittel, die ihnen durch Übung und Fertigkeit zu Gebote standen, zur Wiedervergeltung bedienten. Hier sah man ein großes Schwein und einen Kuhlgast unter einem Topp an zwei Tauen baumeln und sich beim Zusammenschlagen unsanft begrüßen; dort steckte ein Marine in der hin und her geschwungenen Takelage und mußte sich die Manipulationen eines kecken, abgerichteten kleinen Affen gefallen lassen, der, auf den Schultern des armen Teufels postiert, seinen Kamm so ernsthaft und aufmerksam handhabte, als wenn er bei einem Friseur in die Lehre gegangen wäre. Kurz, überall verkündigte ein oder der andere rohe, derbe Scherz, daß für den Augenblick die ungebundenste Freiheit einer Klasse von Wesen gestattet war, die, soll in einem bewaffneten Schiffe Disziplin, Bequemlichkeit und Sicherheit walten, in der Regel mit strengem Zügel regiert werden muß.

Mitten in diesem wilden Lärmen drang eine gleichsam dem Ozean entsteigende Stimme herauf, das Schiff mittelst einer an dem äußern Rand einer Klüsgate angebrachten Ruftrompete beim Namen begrüßend.

»Wer spricht den Delphin an?« erwiderte Wilder fragend, als er sah, daß der Gruß das Ohr seines Kommandeurs zwar traf, ohne ihn aber von seinem Brüten zu der bevorstehenden Handlung zurückzuführen.

»Vater Neptun befindet sich unter Euerm Vorderkiel.«

»Was will der Gott?«

»Er hat vernommen, daß gewisse Fremdlinge in sein Gebiet gekommen sind, und ersucht um die Erlaubnis, an Bord des Patzigen Delphin zu kommen, um sich zu erkundigen, was sie wollen, und das Logbuch ihrer Charaktere zu untersuchen.«

»Er sei willkommen. Laßt den alten Mann zum Galion ins Schiff herein. Er hat viel zuviel Schiffsmannserfahrung, um zu wünschen, durch die Kajütenfenster einzusteigen.«

Hier endete die Parlamentierung; denn Wildern wurde endlich seine Rolle in der Posse langweilig, und er drehte sich auf dem Absatz herum.

Eine athletische Matrosengestalt, dem Scheine nach unmittelbar dem Elemente entstiegen, dessen Gottheit er sich zu repräsentieren vermaß, machte bald ihre Erscheinung. Beteerte Kalfaterquasten, von Salzwasser triefend, vertraten die Stelle von greisem Haupt- und Barthaar. Aus Golfgräsern, wovon ganze Felder eine Seemeile weit um das Schiff her die Wasserfläche bedeckten, war sein Mantel nachlässig zusammengeflochten, und in der Hand führte er einen Dreizack aus drei, an die Stange einer Halbpike in gehöriger Ordnung befestigten Marlpfriemen bestehend. – So kostümiert schritt der Meeresgott, der keine geringere Person war als der Vordermann im Vorderkastell, höchst pathetisch und würdevoll das Deck entlang, von einem Gefolge bärtiger Wassernymphen und Najaden begleitet, deren Anzug nicht minder grotesk war als der seinige. Auf der Schanze in der Front des Platzes angekommen, den die Offiziere einnahmen, begrüßte die Hauptperson die dortige Gruppe mit einer Neigung ihres Zepters und nahm das abgebrochene Gespräch mit Wilder, der sich gezwungen sah, die Stelle seines noch immer in Zerstreuung versunkenen Kommandeurs zu vertreten, folgendermaßen wieder auf:

»Fürwahr, ein trautes und wacker betakeltes Boot, in dem Ihr diesmal in See gegangen seid, mein Sohn; scharmant angefüllt mit einer edeln Rasse meiner Kinder. Wie lange ist es her, seit Ihr Land aus den Augen verloren habt, wenn’s beliebt?«

»Ungefähr acht Tage.«

»Kaum Zeit genug, den Kiekinsmeerleutchen das Gehen zu lehren. Ich werde sie wohl an der Manier herausfinden, mit der sie sich während einer Windstille festhalten.«

Der General, der sich mit abgewendetem und wegwerfendem Blick an der Besanwand festhielt, aus keinem andern abzusehenden Grunde, als um vollkommen unbeweglich dazustehen, ließ hier den Arm plötzlich fallen; Neptun lächelte und fuhr fort:

»Ich werde mich nicht bei der Frage aufhalten, welchen Hafen Ihr zuletzt besucht habt, sintemalen an Euern Ankerflügeln noch das Schilf von den Tiefen von Newport zu gewahren ist. Hoffe, Ihr habt nicht viele neue Leute unter Euch, denn ich wittere schon den Stockfisch am Bord eines Seefahrers vom Baltischen Meere, der mit den Passatwinden runterkommt und keine hundert Seemeilen mehr von hier entfernt sein kann; werde also nur wenig Zeit brauchen, um Eure Leute zu visitieren und ihnen die Patente auszustellen.«

»Ihr seht sie alle vor Euch. Ein so erfahrener Matrose wie Neptun kann schon einen echten Teer ausfindig machen, ohne daß man ihm erst ausführlich das Wenn und Wie zu erklären braucht.«

»So werde ich denn bei diesem Herrn da den Anfang machen«, fuhr der neckische Vormann des Kastells fort, indem er sich gegen das noch immer regungslose Soldatenoberhaupt wandte. »Er sieht mir sehr nach dem Lande aus, und ich wünschte zu wissen, wieviel Stunden es ist, seit er zuerst auf blauem Wasser schwimmt.«

»Ich glaube, er hat schon viele Seereisen mitgemacht; und ich will gut für ihn sagen, daß er Ew. Majestät schon längst den schuldigen Tribut bezahlt hat.«

»Na, schon gut, ’s kann wohl sein, obzwar ich Schüler gekannt habe, die in der Zeit mehr gelernt hatten, wenn er wirklich schon so lange zu Wasser ist, als Ihr sagt. Wie steht’s mit diesen Damen?«

»Beide waren schon wiederholt zur See und haben ein Recht, unbefragt zu passieren«, erwiderte Wilder etwas hastig.

»Die Jüngste ist hübsch genug, um in meinem Reiche geboren zu sein,« erwiderte der galante Souverän des Meeres; »allein niemand darf einen Gruß, der unmittelbar aus dem Munde des alten Neptun kommt, unerwidert lassen; wenn’s daher Ew. Gnaden nicht sonderlich viel ausmacht, so will ich die junge Person ein wenig ersuchen, für sich selbst zu sprechen.«

Hieraus, ohne den zornigen Blick, den Wilder auf ihn schoß, im geringsten zu beachten, wandte sich der rüstige Gott geradezu an Gertraud.

»Wenn Ihr, mein hübsches Jüngferchen, wie der Ruf von Euch sagt, wirklich schon ehedem blaues Wasser gesehen habt, so könnt Ihr mir wahrscheinlich sagen, auf welchem Schiffe dies geschah, und noch einiges andere zur Fahrt Gehörige.«

Das Antlitz unserer Heldin wechselte die Farbe, von glühender Röte zur Marmorblässe, wie sich der Abendhimmel rötet und dann wieder seine liebliche Perlfarbe annimmt: doch unterdrückte sie ihre Gefühle hinlänglich, um mit Selbstbeherrschung die Worte herauszubringen:

»Wenn ich Euch alle diese kleinen Einzelheiten erzählen wollte, so würde das Euch von wichtigeren Gegenständen abhalten. Diese Bescheinigung wird Euch vielleicht überzeugen, daß ich kein Neuling zur See bin.«

Bei diesen Worten fiel eine Guinee aus ihrer weißen Hand in die breite, ausgestreckte, hohle Hand des fragenden Gottes.

»Die große Ausdehnung und wichtige Beschaffenheit meiner Geschäfte muß mich schon entschuldigen, daß ich mich auf Ew. Gnaden nicht früher entsinnen konnte«, erwiderte der freche Freibeuter, sich mit der Miene roher Höflichkeit verbeugend, indem er dabei das Douceur in die Tasche praktizierte. »Hätte ich meine Bücher nachgesehen, ehe ich an Bord dieses Schiffes kam, so müßte ich das Versehen gleich entdeckt haben: denn jetzt fällt mir eben ein, daß ich einem meiner Maler befohlen hatte, Ihr hübsches Gesicht abzukonterfeien, damit ich’s meiner Frau zu Hause zeigen könnte. Der Kerl hat’s ziemlich gut auf einer ostindischen Austerschale ausgeführt; ich werde nicht unterlassen, Ihrem Herrn Gemahl, sobald Sie einen zu wählen haben, eine in Korallen eingefaßte Kopie davon zu überschicken.«

Hierauf, seine Verbeugung mit noch einem Kratzfuße wiederholend, wandte er sich an die Erzieherin, um seine Untersuchung fortzusetzen.

»Und Sie, Madame, ist dies das erstemal, daß Sie mein Gebiet betreten oder nicht?«

»Weder das erste- noch das zwanzigstemal; ich habe Ew. Majestät schon oft vor diesem gesehen.«

»Eine alte Bekanntschaft! In welcher Breite mag’s denn wohl gewesen sein, wo wir zuerst aufeinander trafen, wenn’s beliebt?«

»Ich glaube, ich genoß diese Ehre zuerst vor mehr als dreißig Jahren unter der Linie.«

»Ja, ja, dort pfleg‘ ich oft zu sein, um mich nach den Indienfahrern und euern zurückkehrenden brasilianischen Kauffahrern umzuschauen. In jener Zeit hab‘ ich grade recht viel geerntet, kann aber nicht sagen, daß mir Euer Gesicht entsinnlich wäre.«

»Ich fürchte, dreißig Jahre haben es etwas verändert«, erwiderte die Gouvernante mit einem Lächeln, das, obgleich traurig, doch auch zugleich so würdevoll war, daß der Verdacht, als traure sie über einen so eiteln Verlust wie der ihrer persönlichen Reize, in keinem aufkommen konnte. »Ich war in einem königlichen Fahrzeuge, und zwar in einem solchen, das sich durch seine Größe ein wenig auszeichnete, es war ein Dreidecker.«

Der Gott empfing die Guinee, die ihm heimlich dargeboten wurde; allein Erfolg mußte seine Habsucht wachgerufen haben, denn, statt zu danken, schien er vielmehr nicht übel Lust zu haben, sich noch mehr bestechen zu lassen.

»Das kann alles so sein, wie Ew. Gnaden da sagen,« versetzte er: »doch die Sorge für mein Reich und meine zahlreiche Familie zu Haus machen es notwendig, daß ich über meine Gerechtsame ein wachsames Augenmerk führe. Wehte eine Flagge auf dem Schiff?«

»Ja.«

»Nicht wahr, sie hatten sie auf dem Klüverbaum aufgehißt?«

»Sie wehte, wie gewöhnlich auf Admiralsschiffen, vom Fock.«

»Gut geantwortet für eine Weibsperson!« brummte die Gottheit, ein wenig getäuscht in ihrer List. »Es ist doch verzweifelt kurios, mit Respekt vor Ew. Gnaden sei’s gesagt, daß ich ein solches Schiff ganz vergessen haben sollte; fiel nichts Außerordentliches vor, was einem nicht leicht aus dem Gedächtnis zu entschlüpfen pflegt?«

Die erzwungene Fröhlichkeit in den Zügen der Gouvernante hatte schon einem düstern, ernsten Nachdenken Platz gemacht, und ihr Auge blickte ins Leere, als sie, sich vergessend, ihre Gedanken in der Antwort laut werden ließ:

»Ich sehe noch, wie schlau und schelmisch der muntere Knabe, damals erst acht Jahre alt, die List des mimischen Neptun hintertrieb und sich für dessen Neckereien volle Rache verschaffte, indem er das Gelächter aller, die an Bord waren, auf seine Seite brachte.«

»War er nicht älter als acht?« fragte eine tiefe Stimme dicht bei ihr.

»Nicht älter an Jahren, aber wohl an Schlauheit«, erwiderte Mistreß Wyllys, und erst als ihre Augen dabei auf das Gesicht des Räubers fielen, schien sie wie von einer Verzückung wieder zu sich selbst zu kommen.

»Schon gut,« unterbrach der Vormann des Vorderkastells, dem zur Fortsetzung seiner Untersuchung der Mut entsank, als er sah, daß sein gefürchteter Kommandeur teil an dem Gespräche nahm, »es wird wohl alles seine Richtigkeit haben, werde in meinem Tagebuch nachsehen; finde ich’s so, gut, wo nicht – ei nu, so schick‘ ich dem Schiffe so lange einen Wind entgegen, bis der Däne untersucht ist, und dann ist’s immer noch Zeit, den Rest der Gebühren einzukassieren.«

Mit diesen Worten eilte der Meeresgott hinweg von den Offizieren und leitete seine Aufmerksamkeit auf die Marinegarde. Sich heimlich eingestehend, daß eine so strenge Untersuchung jedem die Hilfe der übrigen nötig machen dürfte, hatten die Soldaten eine dichte Gruppe gebildet. – Das Oberhaupt des Vorkastells war seinerseits mit der Karriere, die jeder einzelne in dem Korsarenschiff gemacht hatte, gar wohl bekannt und nicht ganz ohne Besorgnisse, daß ihm seine Macht plötzlich entrissen werden könnte. Daher wählte er nicht den ersten besten, sondern ersah sich einen frischen Rekruten vom Festlande und hieß seine Begleiter das Opfer an einen entlegenen Ort schleppen, um die unbarmherzige Posse, die er nun zu spielen beabsichtigte, mit weniger Gefahr einer Unterbrechung durchführen zu können. Die Marinen, durch das auf ihre Kosten erregte Gelächter längst erbost und entschlossen, ihren Kameraden zu verteidigen, leisteten diesem Vorhaben Widerstand. In dem langen, lauten und heftigen Streit, der jetzt folgte, bestanden beide Parteien auf ihr Recht, so und nicht anders zu handeln. Auch dauerte es nicht lange, so ging man von Worten zu minder zweideutigen Feindseligkeitsbezeigungen über. – Während der ganzen Szene stand der General mit verhaltenem Ingrimm da, wegen der offenbaren Verletzung aller Disziplin, aber nicht eher als jetzt, wo der Friede im Schiffe gleichsam nur noch an einem Haare hing, brach er los, sich an seinen noch immer in Gedanken versunkenen Obern wendend.

»Ich protestiere gegen dieses aufrührerische, unmilitärische Verfahren. Ich hoffe, meine Leute haben von mir gelernt, wie ein Soldat fühlen muß, und darum betrachten sie es mit Recht als die größte Schmach, die ihnen widerfahren kann, wenn Hand an sie gelegt wird, es müßte denn in der regelmäßig heilsamen Manier geschehen, nämlich mit der Fuchtel. Ich will daher jeden gewarnt haben, daß, wird einer meiner Hunde nur mit dem Finger berührt, ausgenommen, wie gesagt, nach den Regeln der Disziplin, mit einem Schlage erwidert werden soll.«

Der General hatte sich keineswegs bemüht, seine Stimme zu dämpfen, daher sie von seinen Untergebenen gehört wurde und die natürliche Wirkung hervorbrachte. Ein kräftiger Faustschlag des Unteroffiziers ließ dem Meeresgott zur Ader, und das Blut, das diesem entströmte, bewies unwidersprechlich dessen irdische Abkunft. Auf diese Weise aufgefordert, sich als Mensch und Mann zugleich geltend zu machen, gab der rüstige Seemann den Gruß zurück und fügte noch einige ihm nötig scheinende Verschönerungen hinzu. Aber dieser Höflichkeitsausbruch von seiten zweier so bedeutsamen Personagen war nur das Losungswort zum allgemeinen Kampfe, und ihre Untergebenen wurden handgemein. Der ungeheure Lärm beim Angriff erregte Fids Aufmerksamkeit, der sich alsbald von der Art des Spiels, das auf dem Deck vorging, überzeugte, seinen Gefährten auf der Rahe sitzen ließ, und an einer Pardune hinabglitt, fast mit derselben Leichtigkeit, als es ein Affe, die Karikatur des Menschen, hätte tun können. Seinem Beispiele folgten alle übrigen Toppgäste, und in weniger als einer Minute war jeder Anschein vorhanden, daß die verwegenen Marinen von der überlegenen Anzahl ihrer Feinde überwältigt werden dürften. Allein beharrlich bei ihrem Entschlusse und im höchsten Grade erbittert, verschmähten diese einexerzierten, racheschnaubenden Krieger jeden Rückzug und schlossen sich nur um so dichter aneinander. Schon glänzten die Bajonette in der Sonne, schon legten die Matrosen, die außerhalb des sich anballenden Haufens standen, Hand an die kurzen Piken, die als kriegerischer Schmuck den Fuß des Hauptmastes umstanden.

»Haltet ein! Zurück, sag‘ ich, ein jeder von euch!« schrie Wilder und stürzte, sich rechts und links Bahn brechend, in die Mitte des Gedränges. Seine Hast dabei mochte wahrscheinlich durch den Gedanken noch verstärkt worden sein, daß die unbeschützten Frauen in doppelter Gefahr schwebten, wenn einmal der Verband der Subordination von einer so regellosen, verzweifelten Mannschaft durchbrochen war. »Bei euerm Leben, zurück, und gehorcht! Und Sie, Herr, der Sie ein so guter Soldat sein wollen, Sie fordere ich auf, Ihren Leuten Einhalt zu gebieten!«

Wie sehr auch der vorangegangene Auftritt den Zorn des Generals entflammt haben mochte, so war ihm doch aus mehr als einer wichtigen Rücksicht zuviel an der Erhaltung des Friedens auf dem Schiffe gelegen, als daß er dieser Aufforderung nicht hätte entsprechen sollen. Alle Subalternoffiziere, die recht gut wußten, daß ihr Hab und Gut, ja ihr Leben auf dem Spiele stand, wenn der so unerwartet ausgetretene Strom nicht zurückgedämmt würde, unterstützten den General; allein dies diente nur zu zeigen, wie schwer es sei, eine Autorität aufrecht zu erhalten, die nicht auf eine gesetzmäßige Gewalt gegründet ist. Neptun hatte bereits seine Verkleidung von sich geworfen und bereitete sich, an der Spitze seiner rüstigen Vorkastellmänner eifrig zu einem Kampfe, dessen Ausfall ihm vielleicht schnell zu besseren Ansprüchen auf Unsterblichkeit verholfen hätte, als die eben abgeworfenen. Teils durch Drohungen, teils durch Vorstellungen, war es bis jetzt den Offizieren nur insofern gelungen, den Aufruhr zu bewältigen, daß man sich während der Zeit nur auf Tätlichkeiten vorbereitete, statt zu diesen selber zu kommen. Die Marinen hatten zu den Waffen gegriffen, und auf beiden Seiten des Hauptmastes bildeten die Matrosen zwei dichtgedrängte Haufen, die reichlich mit Piken, Lukenstangen und Handspaken bewaffnet waren. Ja, einer oder zwei der Besonneneren unter den letzten gingen noch weiter, sie schnallten eine Kanone aus den Riemen, richteten sie einwärts, und zwar so, daß sie die eine Hälfte der Schanze bestreichen konnte. Kurz, der Streit war so weit herangereift, daß ein einziger Schlag von der einen oder andern Seite das Schiff notwendig der Plünderung und Metzelei preisgab. – Die Gefahr aber, daß eine solche Krisis eintreten werde, vermehrte sich mit jedem Augenblicke dadurch, daß Schmähungen aus fünfzig profanen Lippen hervorgestoßen wurden, und der Mund eines jeden seinen Feind mit den gemeinsten Beschimpfungen überschüttete.

Fünf Minuten schon hatten diese unheildrohenden Symptome der Insubordination gedauert, und noch verharrte der, der an der Aufrechterhaltung der Disziplin am meisten beteiligt war, in der größten Gleichgültigkeit, oder vielmehr in vollkommener Bewußtlosigkeit dessen, was so nahe bei ihm vorging. Mir verschränkten Armen, den Blick fest auf die ruhige See geheftet, stand er da, regungslos wie der Mastbaum, gegen den er lehnte. Längst durch die Gewohnheit abgestumpft gegen den Lärm von Auftritten, wie der gegenwärtige, den er selbst veranlaßt hatte, hörte er in dem verworrenen Getöse, das sein Ohr traf, nichts als die Unruhe, die gewöhnlich in dergleichen ausgelassenen Stunden zu herrschen pflegt.

Die nächsten im Kommando waren bei weitem tätiger. Wilder hatte schon die Verwegensten der Matrosen zurückgeschlagen, so daß zwischen den beiden feindlichen Parteien ein Raum entstand, den seine Gehilfen, wohl wissend, wieviel von ihrem jetzigen Dienste abhinge, in aller Eile einnahmen. Leicht hätte dieser augenblickliche Sieg von ihnen zu weit getrieben werden können: unser Abenteurer glaubte, der meuterische Geist sei gänzlich gedämpft, und machte Anstalt, seinen Vorteil zu benutzen, indem er den Frechsten unter dem Haufen beim Kragen faßte, der aber seinem Griffe auf der Stelle von mehr als zwanzig der Meuterer entrissen wurde.

»Wer ist der, der sich am Bord des Delphin zum Kommodore aufwirft!« schrie, sehr zur Unzeit für das Ansehen des jüngst ernannten Schiffsleutnants, eine Stimme aus dem Haufen hervor. »Auf welche Weise ist er in unser Schiff gekommen, und in welchem Dienste hat er sein Handwerk gelernt?«

»Jawohl, jawohl,« fügte eine zweite unheimliche Stimme hinzu, »wo ist der Bristoler Kauffahrer, den er uns ins Garn führen sollte, und dessetwegen wir so viele der profitabelsten Tage ungenützt vor einem müßigen Anker zubrachten?«

Diesem folgte der Ausbruch eines allgemeinen und gleichzeitigen Murrens, das schon allein, wär‘ ein solches Zeugnis erst nötig gewesen, beweisen konnte, daß der ungekannte Offizier in seinem jetzigen Amte nicht viel mehr Glück hatte, als in dem, das er auf der Carolina bekleidete. Beide Parteien verwarfen einmütig seine Dazwischenkunft, und von beiden Seiten ließen sich verächtliche Äußerungen über seine Herkunft vernehmen, vermischt mit gewissen bitteren, persönlichen Beschuldigungen. Durch diese handgreiflichen Beweise von der Gefahr, in der er sich befand, ließ sich unser Abenteurer jedoch keineswegs zurückschrecken, er setzte vielmehr den zahlreichen Schmähungen ein wegwerfendes Lächeln entgegen und forderte jeden einzelnen seiner Gegner heraus, hervorzutreten, um sein Wort mit einer entsprechenden Handlung zu begleiten, wenn er es wagte.

»Hört, wie er spricht!« riefen sie alle. »Sollte man nicht glauben, er sei ein königlicher Offizier, der ein Konterbandschiff verfolgt!« rief einer. – »Ja, ja, er hat Mut genug in einer Windstille«, sagte ein zweiter. – »Er ist ein Jonas, der sich zum Kajütenfenster hereingeschlichen hat«, rief ein dritter; »und solange er im Delphin bleibt, hält sich das Glück windab von uns.« – »In die See mit ihm! Über Bord mit dem Pilz! In die See mit ihm! Schon mancher kühnere und bessere Mann als er hat den Sprung gemacht!« erschallte es von einem Dutzend zugleich, von denen einige sehr unzweideutig die Absicht zu erkennen gaben, ihre Drohung ohne Verzug auszuführen. Da sprangen mit Blitzesschnelle zwei Gestalten hinein in den Haufen und warfen sich, wütenden Löwen gleich, zwischen Wilder und seine Feinde. Die eine, die in der Befreiung die vorderste war, drehte sich plötzlich gegen die eindringenden Matrosen um und warf mit einem unwiderstehlichen Arme den Repräsentanten Neptuns zu Boden, als wäre es eine bloße Wachspuppe gewesen; die andere Gestalt folgte wacker diesem Beispiele, und wie der Haufe bei dieser Desertion aus seinen eigenen Reihen zurückfiel, sah man Fid, denn kein anderer war es, die Faust schwingen, die ziemlich die Größe eines nicht unbeträchtlichen Kindskopfes hatte: dabei schrie er mächtig:

»Fort mit euch, ihr Lümmel! Fort mit euch! Wollt ihr gegen einen einzelnen Mann anlaufen, noch dazu gegen einen Offizier, und zwar einen Offizier, wie ihr noch keinen gesehen habt, außer zufällig in der Manier, wie die Katze den König anblinzelt? Möchte unter euch den sehen, der ein schweres Schiff in schmalem Wasser handhaben kann, wie ich den jungen Herrn, den Harry hier, handhaben sah die patzige …«

»Zurück!« schrie Wilder, indem er sich zwischen seinen Verteidigern hindurch zu den Feinden hervordrängte. »Zurück sage ich, laßt mich allein den frechen Schurken die Stirne bieten!«

»Über Bord mit ihm! Über Bord mit ihnen allen!« schrien die Seeleute, »er samt seinen Knappen!«

»Können Sie es ruhig mitansehen, wie ein Mord vor Ihren eigenen Augen begangen wird?« rief Mistreß Wyllys, die von ihrem zurückgezogenen Platz hervorstürzte und den Rover hastig beim Arm faßte.

Er schrak zusammen, wie jemand, der plötzlich aus einem leisen Schlafe geweckt wird, und sah ihr gerade und scharf ins Auge.

»Sehen Sie!« fuhr sie fort, indem sie auf den heftig sich bewegenden Haufen unten, wo alle Merkmale eines zunehmenden Tumultes zu erkennen waren, hinzeigte. »Sehen Sie doch, man mordet Ihren Offizier, und niemand ist da, der ihm beisteht!«

Als sein Auge flüchtig die Szene überflog, verschwand die blasse Marmorfarbe, die solange auf seinem Gesicht geruht hatte. Er bedurfte nur eines raschen Blickes, um über die Beschaffenheit dessen, was vorging, vollkommen unterrichtet zu sein; dies brachte alles Blut in die Adern seiner Stirn. Ein Tau, das unmittelbar über ihm von einer Rahe herabhing, erfassend, schwang er sich vom Deck der Kajüte hinab, und zwar in die volle Mitte des hellen Haufens hinein. Da stand er, leicht und voller Grazie, als wäre er von den Wolken herabgeschwebt. Beide Parteien wichen zurück, und auf ein Geschrei, das das Rauschen eines Kataraktes überboten hätte, erfolgte augenblicklich eine Stille, in der man das Atemholen jedes einzelnen vernehmen konnte. Stolz und wegwerfend hob er den Arm empor und sprach mit einer Stimme, die keine Veränderung wahrnehmen ließ, ja fast leiser und minder drohend als gewöhnlich tönte. Allein auch die leisesten und tiefsten seiner Akzente erreichten jedes noch so entfernte Ohr, so daß niemand über deren Bedeutung im Zweifel blieb.

»Meuterei!« sagte er in einem Tone, der seltsam zwischen Ironie und Verachtung schwankte, »offene, gewaltsame und blutdürstige Meuterei! – Seid ihr euers Lebens müde, meine Leute! Ist unter euch allen einer, der zum Wohl der andern ein Exempel an sich statuieren lassen will? Er hebe eine Hand, einen Finger, ein Härchen empor; er spreche, sehe mir ins Auge, oder wage es, durch einen Wink, Atem oder Bewegung zu zeigen, daß Leben in ihm sei!«

Er schwieg; und so allgemein, so zwingend war der durch seine Gegenwart und seine Miene hervorgebrachte Zauber, daß in dem ganzen Haufen roher, aufgeregter Menschen auch nicht ein einziger war, der gewagt hätte, seinem Zorne zu trotzen. – Matrosen wie Marinen standen eingeschüchtert, gedemütigt und unterwürfig da wie Kinder, die etwas verbrochen haben und sich vor eine Autorität gestellt sehen, von der sie ein tiefes, inneres Gefühl haben, daß sie ihr nicht entfliehen können. Als keine Stimme antwortete, kein Glied sich bewegte, ja kein Auge kühn genug war, seinem festen, glühenden Blicke zu begegnen, fuhr er in demselben tiefen und gebieterischen Tone fort:

»Schon gut; die Vernunft ist zwar spät zurückgekommen, aber ein Glück für euch alle, daß sie wiederkehrte. Macht Raum, Raum, sag‘ ich, ihr befleckt die Schanze nur.« – Hier fielen die Leute rechts und links einen oder zwei Schritte von ihm zurück. – »Daß die Waffen da wieder aufgestellt werden; es wird an der Zeit sein, sie zu gebrauchen, wenn ich verkünde, daß es nötig sei. Und ihr, Kerle, die ihr so frech waret, eine Pike zu erheben, ohne Order dazu, nehmt euch in acht, daß sie euch die Hand nicht verbrenne!« – Hier fielen ein Dutzend Piken aufs Verdeck. – »Ist ein Trommelschläger im Schiff? Er soll herkommen!«

Ein erschreckendes Wesen von kriechendem, feigem Aussehen kam zum Vorschein, das sein Instrument gleichsam durch eine Art Instinkt, wie in der Verzweiflung, erhaschte.

»Jetzt laß dich hören, damit ich ohne Verzug erfahre, ob ich eine Mannschaft ordnungsliebender, gehorsamer Leute kommandiere, oder einen Haufen Rebellen, die erst eine Reinigung passieren müssen, ehe ich ihnen trauen darf.«

Die ersten paar Trommelschläge reichten hin, die Leute zu unterrichten, daß »auf eure Posten« getrommelt werde, und ohne einen Augenblick Schwankens und Zauderns zerstreute sich die Menge, und jeder Delinquent schlich stumm nach seinem Posten. Hierbei zeichnete sich besonders die Gruppe, die die einwärtsgerichtete Kanone bemannt hatte, durch die Geschicklichkeit aus, womit sie sie so unbemerkt als möglich wieder in ihre Pfortgate zurückzuschieben verstand, eine Geschicklichkeit, die ihnen im Gefecht von nicht geringem Vorteil sein mußte. Während des ganzen Verlaufs hatte der rote Seeräuber weder Zorn noch Ungeduld verraten. – Tiefeingewurzelte Verachtung und hohes Selbstvertrauen waren allerdings in seiner stolzaufgeworfenen Lippe, in seiner rückgebogenen Gestalt nicht zu verkennen, aber keinen Augenblick erlaubte er dem Unmut die Oberhand über seine Vernunft. Und nun, nachdem er seine Leute zur Pflicht zurückgerufen hatte, war er ebensowenig vom Siege aufgeblasen, als ihn der unmittelbar vorhergehende Sturm erschreckt hatte, der seinem Ansehen gänzlichen Untergang drohte. Statt jetzt seine zu nehmenden Maßregeln mit Übereilung zu verfolgen, wartete er die Ausführung der geringfügigsten Förmlichkeit ab, die Herkommen und Dienst bei solcher Gelegenheit üblich gemacht hatten.

Die Offiziere näherten sich und rapportierten über ihre respektiven kampffertigen Abteilungen, genau mit derselben Regelmäßigkeit, als wäre ein Feind im Anzuge. Die Toppgasten und Segelsetzer wurden gemustert und bereit gefunden, Schießpfroppen und Stopper ausgeteilt, ja das Magazin geöffnet, die Wasserkisten ausgeleert – kurz, die Vorbereitungen ließen auf etwas weit Außerordentlicheres als das tägliche Exerzitium schließen.

»Verseht die Rahen mit Nottauen, befestigt die Segel und Brassen«, sagte er zum ersten Leutnant, der jetzt dieselbe genaue Bekanntschaft mit dem militärischen Teile seines Gewerbes entwickelte, als bisher mit dem nautischen. »Den Enterern ihre Piken und Äxten gegeben, Sir; wir wollen den Kerlen zeigen, daß wir uns nicht fürchten, ihnen Waffen anzuvertrauen!«

Diesen verschiedenen Befehlen wurde pünktlich bis zum Buchstaben nachgekommen; dann folgte jene tiefe, ernste Stille, die eine auf ihrem Posten kampfbereit harrende Mannschaft selbst denen, die vom Knabenalter her daran gewöhnt sind, zu einem so imposanten Schauspiel macht. So wußte der gewandte Führer mit den Fesseln der Mannszucht die gewalttätigen Leidenschaften dieser Bande verzweifelter Freibeuter zu zügeln. Nachdem er die Stimmung jedes einzelnen wieder in die gehörigen Schranken zurückgewiesen hatte, indem er sie auf ihren verschiedenen Posten solcher Aufsicht unterwarf, daß sie wohl wußten, ein Wort, ja ein Blick des Ungehorsams würde eine augenblickliche und furchtbare Strafe finden, ging er mit Wilder auf die Seite und ließ sich von ihm den Hergang der Sache erzählen.

Wie groß auch unseres Abenteurers natürliche Hinneigung zur Milde sein mochte, so war er doch zur See erzogen und konnte daher das Verbrechen der Meuterei nicht mit Nachsicht betrachten. Selbst wenn das Andenken an seine neuliche Rettung vom Wrack des Bristoler Kauffahrers aus seinem Gemüt vertilgt gewesen wäre, blieben ihm doch noch die Eindrücke eines ganzen Lebens, die ihn die Notwendigkeit lehrten, jene durch die Erfahrung als unentbehrlich bewährten Zügel straff zu halten, um durch tumultuarische Bande, den Schranken der Gesellschaft, dem besänftigenden Einflusse des andern Geschlechts entzogen, und aufgereizt durch die beständige Reibung von Gemütern, die sich einander ebenso schonungslos beleidigen, als sie zu Gewaltsamkeiten geneigt sind, regieren zu können. Wenn er also dem Groll nicht verstattete, in den Bericht, den er ablegte, Galle einfließen zu lassen, so milderte er doch auch keineswegs irgendeinen Umstand, sondern legte sämtliche Tatsachen seinem Kommandeur in der geraden, unumwundenen Sprache der Wahrheit vor.

»Durchs Predigen kann man diese Menschen nicht bei ihrer Pflicht halten«, erwiderte der Korsarenhäuptling, als der andere geendigt hatte. »Wir haben kein Richtverdeck für unsere Delinquenten, keine gelbe Flagge, die der Flotte die fürchterliche Strafe verkündet, keine tief gelehrten Seerichter, die ein paar Folianten durchblättern und endlich den Ausspruch tun: Hängt ihn. Die Schurken wußten, daß mein Auge nicht auf sie gerichtet war. Schon einmal hatten sie mein Schiff zum lebendigen Beweis jener Stelle im Neuen Testament gemacht, die allen die Demut einschärft, durch die Worte, daß die Letzten die Ersten, und die Ersten die Letzten sein werden. Ich fand ein Dutzend Gleichmacher in der Kajüte, ganz unzeremoniös bei den Getränken, und sämtliche Offiziere als Gefangene im vordern Raum – ein Zustand, der, wie Sie mir ohne Schwierigkeit einräumen werden, der Gebühr und Dezenz etwas zuwiderlief.«

»Ich staune – und Sie brachten sie wieder zur Subordination zurück?«

»Allein kam ich unter sie, mit keiner andern Hilfe als einem Boot vom Lande; doch ich verlange nur soviel Platz, um Posten fassen zu können, und Raum für meinen Arm, um ein Tausend solcher Geister in Ordnung zu halten. Jetzt wissen sie, wen sie vor sich haben, und nur selten mißverstehen wir einander.«

»Sie müssen ein strenges Exempel statuiert haben.«

»Die Gerechtigkeit ist befriedigt worden. – Ich fürchte, Herr Wilder, Sie finden unsern Dienst etwas unregelmäßig; allein nur ein Monat Erfahrung mehr, und Sie werden uns gleichstehen und eine Wiederholung dieses Auftritts nicht mehr zu befürchten haben.« Bei diesen Worten blickte der Rover seinen Neuling mit einem Gesicht an, in das er sich bemühte, Heiterkeit zu bringen, allein trotz aller Gewalt, die er sich antat, hatte sein Lächeln doch mehr Fürchterliches als Heiteres. »Kommen Sie,« setzte er rasch hinzu, »diesmal hatte ich das Unheil in Gang gesetzt; und da Sie sehen, daß wir wieder die Herren sind, so darf es uns auf ein bißchen Gnade nicht ankommen. Und dann,« fuhr er fort, indem er nach der Seite hinblickte, wo Mistreß Wyllys und Gertraud noch immer in tiefer Ungewißheit seine Entscheidung erwarteten, »es kann nicht schaden, wenn wir in einem solchen Augenblick das Geschlecht unserer Gäste berücksichtigen.«

Hierauf entfernte sich der Räuber von seinem Untergeordneten, begab sich in die Mitte der Schanze und ließ die Rädelsführer des Tumultes aufbieten, dort vor ihm zu erscheinen, seinen Verweisen, in die er mehr als eine ermahnende Warnung gegen die Folgen eines zweiten Vergehens dieser Art einstreute, lauschten die Leute wie Geschöpfe, die sich in der Gegenwart eines höhern Wesens befinden. Auch jetzt sprach er in seinem gewöhnlichen, ruhigen Tone, doch ging, ebensowenig wie vorher, die geringste Silbe, selbst für die von seiner Mannschaft am entferntesten Stehenden, verloren; und als er seine Lektion ganz beendigt hatte, standen die Leute vor ihm, nicht nur wie Verbrecher, die zwar begnadigt worden sind, aber doch Verweise erhalten hatten, sondern mit der Miene von Schuldigen da, die nicht minder von ihrem eigenen Gewissen, als von der allgemeinen Stimme verurteilt werden. Unter allen war nur ein Matrose, der, vielleicht durch früher geleistete Dienste ermutigt, einige Worte zu seiner Rechtfertigung wagte.

»Was die Marinen anbelangt, so wissen Ew. Gnaden, daß wir einander zu keiner Zeit besonders grün sind, obgleich gewiß ist, daß die Schanze nicht ein passender Ort ist, um unsere Zwistigkeiten zu schlichten; aber was den Herrn anbetrifft, der für gut fand, einzutreten in das Kommando von …«

»Es ist mein Wille, daß er es behalte«, unterbrach hastig sein Kommandeur. »Über sein Verdienst kann niemand urteilen als ich.«

»Gut; da es Ihr Wille ist, je nu, so darf freilich keiner was dagegen haben. Aber keine Rechenschaft ist von dem Bristoler gegeben worden, obgleich man sich hier an Bord so große Erwartung von jenem Schiff gemacht hatte. Ew. Gnaden sind ein billiger Herr und werden es nicht auffallend finden, daß Leute, die einem Westindier auflauern auf seiner Fahrt auswärts, sich nur ungern statt seiner mit einer leeren, zerschellten Barkasse begnügen.«

»Doch, doch; wenn ich es will, so müßt Ihr mit einem Ruder, einer Pinne, einem Holzbolzen für Euer Anteil zufrieden sein. Nicht weiter davon! Ihr habt mit eigenen Augen gesehen, in welcher Lage sich sein Schiff befand; und wo ist der Matrose, den nicht ein oder der andere unheilvolle Tag zu der Erkennung zwang, daß seine Kunst unnütz sei, wenn sich die Elemente gegen ihn verschwören? Wer hat denn während desselben Sturms, der uns die Prise entriß, dieses Schiff gerettet? War es eure Geschicklichkeit, oder war es die eines Mannes, der es schon oft getan hat, und der euch vielleicht einst eurer Unwissenheit überläßt, daß ihr zusehen möget, wie ihr allein fertig werdet? Genug, ich halte ihn für treu, finde aber keine Zeit dazu, euern Stumpfsinn von der Gehörigkeit eines jeden einzelnen Schrittes zu überzeugen, den ich zu tun für gut finde. Fort, und schickt mir die beiden Männer, die sich so wacker zwischen ihre Offiziere und die Meuterei geworfen haben.«

Hierauf kam Fid, hinter ihm schlenderte der Neger einher, dessen eine Hand den Hut zusammenknitterte, während sich die andere linkisch in einem gewissen Teil seiner Hosen zu verbergen suchte.

»Hast brav gehandelt, mein Junge, du und dein Tischkamerad …«

»Mit nichten Tischkamerad, halten zu Gnaden, sintemalen er ein Neger ist«, unterbrach Fid. »Der Kerl tischt mit den andern Schwarzen, aber wir tun zuweilen einen Zug aus einer Kanne miteinander.«

»Tu und dein Freund also, wenn dir der Ausdruck lieber ist.«

»Ganz recht, Sir, wir sind ziemlich freundschaftlich, wenn wir Zeit dazu übrig haben, obgleich sich dann und wann eine kleine Bö zwischen uns erhebt. Der Guinea hat eine verzweifelt seltsame Manier, windwärts zu blasen, wenn er sich mit einem unterhält; und, das wissen Ew. Gnaden, es ist einem Weißen nicht immer bequem, sich von einem Schwarzen leewärts getrieben zu sehen. Auch tue ich’s ihm oft genug sagen, daß es mir nicht immer bequem ist, sehen Ew. Gnaden. Aber nichtsdestoweniger und dennoch ist er, im ganzen genommen, ein hinlänglich guter Kerl, Sir; und da er nu mal ein Afrikaner ist, nicht bloß von Erziehung, sondern auch was die Geburt anbelangen tut, so hoffe ich, Sie werden so gütig sein und es mit seinen kleinen Schwachheiten nicht allzu gestrenge nehmen.«

»Wollte ich’s auch,« erwiderte der Rover, »so würde sein heutiges festes und wackeres Betragen sein Fürsprecher sein.«

»Ja, ja, Sir, er ist etwas fest, was ich nicht immer von mir selbst sagen kann. Ferner, was Seemannskunst anbelangt, so übertreffen ihn wenige. Ich wünschte, Ew. Gnaden wollten sich in den vordern Raum bemühen und den Strang sehen, den er erst während der letzten Windstille im großen Stengenstag gedreht hat; der Strang macht sich aus einem straffen Winde nicht mehr als das Gewissen eines reichen Mannes aus einer kleinen Sünde.«

»Deine Beschreibung genügt mir; du nennst ihn Guinea?«

»Gleichviel bei welchem Namen, wenn er nur von seiner Küste hergenommen ist; denn sehen Sie, er ist gar nicht eigen hierinnen, sintemalen er niemals getauft worden ist und nichts von den Lagen und Distanzen der Religion weiß. Sein eigentlicher, gesetzmäßiger Name ist Sip, oder Scipio Afrika. Aber, wie gesagt, in Betracht der Namen ist der Kerl so zahm wie ein Schaf; Sie können ihn rufen, wie Sie wollen, wenn Sie ihn nur nicht zu spät zu seinem Grog rufen.«

Während dieser ganzen Zeit stand der Afrikaner dicht dabei und glotzte mit seinen großen, dunklen Augen überall hin, nur nicht nach den Sprechenden, denn er lebte in der ruhigen Überzeugung, daß sein langbewährter Schiffsgenosse und Dolmetscher sein Interesse schon wahren würde. Die Aufgeregtheit, die durch das kürzlich Vorgefallene in dem Gemüt des Korsarenhauptes entstanden war, schien sich bereits zu legen; seine gerunzelte Stirn glättete sich allmählich, und der stolze Zornblick verwandelte sich in den milderen der Neugier.

»Ihr seid lange zusammen zur See, meine Jungens«, fuhr er nachlässig fort, indem er weder den einen noch den andern von beiden insbesondere anredete.

»Voll und dicht beim Winde, in mancher schweren Bö und in mancher Windstille, halten zu Gnaden. ’s sind vierundzwanzig Jahre letztes Äquinoktium geworden, Guinea, seit der junge Harry uns quer über die Klüsgaten fiel; und damals waren wir schon drei Jahre im Donnerer zusammen, nicht gerechnet die Fahrt ums Horn in dem Kaper, die Bai.«

»So? Ihr seid schon vierundzwanzig Jahre mit Herrn Wilder? Dann ist’s freilich kein Wunder, daß ihr einen so hohen Wert auf sein Leben setzet.«

»Das fällt mir ebensowenig ein, als einen Preis auf die Krone des Königs zu setzen!« unterbrach der schlichte Seemann. »Sehen Sie, Sir, ich hörte, wie die Jungens gerade ein Komplott machten, uns drei über Bord zu werfen, da haben wir denn geglaubt, es sei Zeit, ein Wort für uns selbst zu sprechen: da aber Worte nicht immer bequem zur Hand sind, so hielt es der Schwarze für angemessen, die Lücke mit etwas anderm auszufüllen, das ebenso gute Dienste tun würde. Denn, sehen Ew. Gnaden, der Guinea da ist kein großer Redner; und was diese Sache anbetreffen tut, so kann ich, in diesem Betracht und Rücksicht zu meinen eigenen Gunsten just auch nichts Sonderliches anführen. Da wir inzwischen ihre Bewegungen mit einem Stopper gehemmt haben, so werden Ew. Gnaden zugestehen, daß es just so gut war, als wenn wir so hübsch gesprochen hätten, wie ein junger Seekadett, der frisch von der Schule kommt, und den Toppgasten immer die Befehle lateinisch zuruft, weil er, sehen Sie, kein Englisch verstehen tut.«

Der Rover lächelte und tat einen Seitenblick, offenbar um unsern Abenteurer zu suchen. Da er sah, daß er nicht in der Nähe war, fühlte er sich versucht, in seinen Erkundigungen verdeckterweise fortzufahren, denn er hatte zuviel Selbstachtung, um seine brennende Neugierde in einer direkten Frage zu erkennen zu geben. Allein ein Augenblick Besinnung rief ihn zu sich selbst zurück, und er verwarf diese Idee als seines Charakters unwürdig.

»Eure Dienste sollen nicht vergessen werden. Hier ist Gold«, sagte er dem Neger, der ihm zunächst stand, eine Handvoll davon anbietend. »Teilt es unter euch wie redliche Schiffsgenossen, und ihr könnt euch meines Schutzes stets versichert halten.«

Scipio zog sich zurück, machte eine ablehnende Bewegung mit dem Ellbogen und erwiderte:

»Ihro Gnaden geben das da Master Harry.«

»Dein Herr Harry hat selber genug, Junge; der braucht kein Geld.«

»Dann Sip auch keines nicht braucht.«

»Sie werden gütigst Nachsicht mit den schlechten Manieren des Kerls haben, Sir,« sagte Fid, indem er ganz kalt seine eigene Hand dazwischenschob und ebenso ruhig die Gabe in die Tasche steckte; »ich brauche aber einem so alten Seemann, wie Ew. Gnaden, nicht erst zu sagen, daß Guinea kein Land ist, wo einer ein abgehobeltes Betragen lernen kann. Nichtsdestoweniger und dennoch, so viel kann ich für ihn sagen, nämlich, daß er sich bei Ew. Gnaden herzlich bedankt, just als wenn Sie ihm das Doppelte gegeben hätten. Verbeuge dich gegen Seine Gnaden, Junge, daß man sehen kann, du hast dich zu guter Gesellschaft gehalten. Und nu, da diese kleine Schwierigkeit wegen des Geldes durch meine Geistesgegenwart überwunden ist, so will ich mit Ew. Gnaden Erlaubnis raufsteigen und das bißchen Schneiderlein da oben auf der Fockrah des Backbords von den Riemen losschnüren. Der Wicht ist einmal zum Toppgast verdorben, was Sie an der Manier ersehen können, wie er seine unteren Stützen quer übereinander kreuzt. Der Kerl macht Euch mit seinen Beinen einen Kreuzknoten mit derselben Leichtigkeit, wie ich mit einem Zwirnfaden.«

Der Rover entließ ihn mit einem Wink; und als er sich herumdrehte, stand Wilder vor ihm. Ihre Blicke begegneten sich, und ein leises Erröten des Korsaren verriet, daß er sich etwas vergeben hatte. Er erlangte jedoch augenblicklich seine gewöhnliche Selbstbeherrschung wieder und sprach lächelnd von Fids drolligem Charakter, sodann nahm er die Kommandeurmiene wieder an und befahl seinem Leutnant, zum »Rückzug von den Posten« trommeln zu lassen.

Die Flinten wurden nun wieder in Sicherheit gebracht, das Magazin verschlossen, die Trompriemen über die Pfortgaten der Kanonen gezogen, und von der Mannschaft begab sich ein jeder an seine gewöhnliche Beschäftigung und bewies dadurch, daß seine Gewalttätigkeit durch einen Herrschergeist vollkommen unterdrückt worden sei. Hierauf wurde das Verdeck auf eine Zeitlang unter das Kommando des wachthabenden Offiziers gestellt, und der Rover verschwand.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Während dieses ganzen Tages blieb sich das Wetter gleich. Der schlafende Ozean lag da, ein glatter, glänzender Spiegel, und nur das Steigen und Fallen langer Wellenlinien deutete an; daß am entfernten Horizont eine starke Bewegung im Anzuge sein müsse. Der Pirat, der es so gut verstand, die wilde, unbändige Stimmung seiner Untergebenen unter seine Autorität zu beugen, war von dem Zeitpunkte an, wo er das Verdeck verlassen hatte, bis zu dem, wo die Sonne ihren Glutball in der See abkühlte, unsichtbar geworden. Zufrieden mit seinem Siege, schien er die Möglichkeit, daß jemand zum Umsturz seiner Macht Kühnheit genug besitzen könne, gar nicht zu befürchten; auch verfehlte dieses offenbare Selbstvertrauen die beabsichtigte Wirkung auf seine Leute nicht. Da keine Vernachlässigung im Dienste unbemerkt, kein Fehler ungestraft blieb, so setzte sich bei ihnen der Glaube fest, daß sie ein unsichtbares Auge stets bewache, ein unsichtbarer Arm zu allen Zeiten ausgestreckt sei, gleich bereit zu strafen und zu belohnen. Durch diese Methode nämlich, durchgreifend zu handeln, wenn es der Augenblick gebot, und wieder nachsichtig zu sein, wenn Ausübung und Strenge nur dazu gedient hätte, die Gemüter zu erbittern, gelang es dem außerordentlichen Mann, auf seinem Schiffe nicht nur den Verrat zu ersticken, sondern auch seinen offenen Feinden trotz ihren schlauesten Anschlägen und ausdauernsten Verfolgungen zu entgehen.

Als nun aber die Wache für die Nacht abgelöst war und die gewöhnliche Stille das Schiff umgab, erschien der Rover wieder auf dem Deck der Hütte, wo sich jetzt niemand aufhielt, um dort raschen Schrittes auf und ab zu gehen. Obgleich beiliegend, war doch das Fahrzeug mit dem Golfstrom so weit nördlich gelaufen, daß die kleine, blaue Erhöhung in der Ferne längst unter den Meeresrand getaucht war und, für den Bereich menschlicher Sehkraft wenigstens, nur eine grenzenlose Wasserwüste rund umher lag. Da sich auch nicht der leiseste Windhauch rührte, so waren sämtliche Segel beschlagen, und die hohen, entblößten Spieren gaben in der Finsternis der Nacht dem Schiffe das Ansehen, als läge es vor Anker. Mit einem Worte, es war eine jener Stunden vollkommener Ruhe, wie sie den Abenteurern, die ihr Glück dem eigensinnigen Spiel der verräterischen und unbeständigen Winde anvertrauen, zuweilen von den Elementen vergönnt werden.

Selbst die Leute, denen der Dienst das Wachen zur Pflicht machte, ließen sich auf ihren Posten durch die tiefe, allumgebende Stille zur Nachlässigkeit verleiten; sie lagen teils zwischen den Kanonen, teils an verschiedenen andern Orten des Verdecks und genossen den süßen Schlaf, den sie, der strengen Mannszucht und guten Ordnung wegen, nicht in ihren Hängematten suchen durften. Ja, an manchen Stellen konnte man selbst Offiziere gegen ein Bollwerk oder eine außerhalb des geheiligten Bezirks der Schanzen stehende Kanone sich anlehnen und, mit dem trägen Steigen und Sinken des Kiels Takte haltend, im Schlafe nicken sehen. Nur eine Gestalt stand aufrecht, munter, und offenbar mit einem wachsamen Auge über das Ganze. Es war Wilder, an den schon wieder, nach der regelmäßigen Einteilung des Offizierdienstes, die Reihe gekommen war, auf dem Verdeck zu bleiben.

Zwei Stunden gingen vorüber, ohne daß zwischen dem Rover und seinem Leutnant die geringste Mitteilung stattgefunden hätte. Beide vermieden vielmehr eine Unterredung; denn jeglicher hatte seine besonderen, geheimen Gegenstände der Betrachtung. Als diese zwei Stunden Schweigens zu Ende waren, hielt der erstere im Gehen inne und blickte lange und unverrückt hinab nach der noch immer regungslos auf dem Verdeck stehenden Gestalt. – Endlich sagte er:

»Herr Wilder, hier oben auf der Hütte ist die Luft frischer und den unreinen Dünsten des Schiffes weniger ausgesetzt, wollen Sie heraufkommen?«

Der Angeredete gehorchte. Mehrere Minuten lang wandelten sie nach Seemannssitte in stiller Nacht schweigend und schritthaltend nebeneinander.

»Wir hatten einen unruhigen Tag, Wilder,« fing der Rover endlich an, indem er dadurch unwillkürlich seine Gedanken verriet, aber doch immer so behutsam sprach, daß der Ton nur die Ohren Wilders erreichen konnte; »haben Sie diesem allerliebsten Abgrunde, den man Meuterei nennt, schon einmal im Leben so nahe gestanden?«

»Der, den die Kugel getroffen hat, muß der Gefahr doch wohl näher gewesen sein als einer, der bloß den Druck der Luft fühlte.«

»Aha, Sie haben in Ihrem Schiffe offene Widersetzlichkeit gefunden! Auch hier ließen sich einige von den Kerlen einfallen, persönlichen Haß gegen Sie zu äußern, aber beunruhigen Sie sich nicht deshalb; ich kenne ihre geheimsten Gedanken, wie Sie bald sehen werden.«

»Ich leugne es nicht, an Ihrer Stelle würde ich bei solchen Beweisen von der Gesinnung meiner Untergebenen auf Dornen schlafen. Wer bürgt Ihnen dafür, daß nicht heute oder morgen ein Aufruhr innerhalb weniger Stunden das Fahrzeug der Regierung ausliefert und Ihr Leben dem …«

»Henker! Und warum nicht auch Ihres?« fügte der Räuber hastig hinzu und ließ einen leisen Anflug von Mißtrauen durchblicken. »Doch das Auge, das viele Schlachten gesehen hat, ist nicht leicht zum Blinzeln zu bringen; meines hat der Gefahr zu oft gerade ins Angesicht geschaut, als daß mich der Anblick einer königlichen Flagge erschrecken könnte. Überdies halten wir uns auch nur selten an dieser kitzligen Küste auf. Wir kreuzen meist bei den Inseln und auf der spanischen See, was mit weniger Gefahren verknüpft ist.«

»Wie kommt es denn, daß Sie sich jetzt gerade hierher wagen, wo einige über den Feind errungene Vorteile dem Admiral Zeit geben, Sie von einer bedeutenden Schiffsmacht verfolgen zu lassen?«

»Ich hatte meine Ursachen dazu. Nicht immer läßt sich der Mensch von dem Befehlshaber trennen. Hab‘ ich über die Sehnsucht des ersten die Pflichten des letzten hintangesetzt, so hat es doch bis jetzt wenigstens noch keine nachteiligen Folgen gehabt. Kann ja auch sein, daß es mich langweilte, ewig Jagd auf die bequemen spanischen Dons zu machen, oder spanische Zollschiffe in ihre Häfen zurückzutreiben. Dies unruhevolle Leben lieb‘ ich nun einmal! Selbst einer Meuterei weiß ich Interesse abzugewinnen!«

»Ich kann Verrat nicht lieben und gestehe gern, daß es mir in dieser Beziehung nicht besser geht wie dem Bauer, der nur so lange Mut hat, als es hell ist. Solange der Feind sichtbar ist, sollen Sie mich so bewährt finden wie einen, doch über einer Mine schlafen, ist ein Vergnügen, das meinem Geschmack nicht zusagt.«

»Das kommt vom Mangel an Übung! Gewagt ist gewagt, sei’s auf welche Weise es wolle; der menschliche Geist kann es durch Gewohnheit endlich dahin bringen, daß er bei geheimen Anschlägen ebenso großen Gleichmut behält, als bei offenem Wagnis. Still! Schlug es da sechs oder sieben?«

»Sieben. Die Leute schlafen fort, wie Sie sehen. Wäre es ihre Stunde, so würden Sie instinktmäßig aufwachen.«

»Gut. Schon fürchtete ich, die Zeit sei vorüber. Ja, ich liebe die schwebende Ungewißheit, Wilder; sie hält die Seelentätigkeit stets regsam und verweist uns auf die edleren Kräfte unserer Natur. Mag wohl sein, daß es nur mein Eigensinn ist, aber wahrlich, selbst ein konträrer Wind ist nicht ohne Genuß für meinen Geist.«

»Und eine Windstille?«

»Die mag für friedliebende Gemüter ihre Reize haben, allein es gibt nichts zu tun, nichts zu besiegen dabei. Können wir auch die Elemente nicht zum Kampf herausfordern, so vermögen wir uns ihnen doch entgegenzusetzen und ihr Wirken zu vereiteln.«

»Sie haben doch Ihr Handwerk nicht angetreten …«

» Ihr Handwerk!«

»Ich hätte sagen können unseres, da ich jetzt ebenfalls Pirat geworden bin.«

Der Scharfsinn des Rovers durchschaute wohl, was Wilder sagen wollte; ja, seine Antwort zeigte, daß er sogar manche Zwischengedanken übersprang:

»Sie sind noch in Ihrem Noviziat, und die Beichte, die Sie mir von Ihren Wünschen ablegten, gewährte mir nicht wenig Vergnügen. Sie wußten das eigentlich Gewollte so gut anzudeuten, ohne es zu berühren; eine Gewandtheit, die mich in Ihnen einen gelehrigen Schüler voraussehen ließ.«

»Aber keinen büßenden, hoffentlich.«

»Das kommt auf die Umstände an; Augenblicken der Schwachheit sind wir alle ausgesetzt, zumal wenn wir das Leben ansehen, wie es die Bücherschreiber schildern, und da, wo wir den Genuß ergreifen sollten, nur die Prüfung erkennen. Ja, ich angelte nach Ihnen, wie der Fischer nach dem Karpfen. Auch glauben Sie nicht, daß ich die Gefahr des Verrates aus dem Gesichte verlor. Im ganzen genommen waren Sie treu, ob ich gleich für die Zukunft dagegen protestiere, daß Sie, gegen mein Interesse, Intrigen spielen, um das Wild aus meinem Netz zu halten.«

»Wann, und wie hätte ich das getan? Sie haben selbst zugegeben …«

»Daß die Royal Carolina nicht ungeschickt geführt worden sei und ihr Untergang nur dem Himmel zur Last falle. Allein ich spreche jetzt von edlerem Wild als das, worauf jeder Habicht Jagd machen kann. Sind Sie ein Weiberfeind, daß Sie alles aufboten, um das edelmütige Weib und die liebliche Jungfrau, die in diesem Augenblick hier unten sind, von dem Vorzug und hohen Genuß Ihrer Gesellschaft zurückzuschrecken?«

»War Verrat in dem Wunsche, Frauen von dem Schicksale zu retten, das zum Beispiel erst diesen Tag beide bedrohte? Denn, solange in diesem Schiffe Ihr Ansehen die Oberhand behält, glaube ich freilich nicht, daß selbst die Liebliche das geringste zu besorgen hat.«

»Beim Himmel, Wilder, Sie lassen mir nur Gerechtigkeit widerfahren. Ehe diese schöne Unschuldige Leid treffen sollte, würde ich mit dieser Hand das Pulvermagazin anzünden, und sie, rein und fleckenlos wie sie ist, gen Himmel senden, von wo sie herabgekommen zu sein scheint.«

Gierig lauschte unser Abenteurer diesen Worten, ob ihm auch der enthusiastische Ausdruck der Bewunderung, in dem der Freibeuter sein großherziges Gefühl einzukleiden für gut fand, nicht sonderlich behagte. Endlich, nach einer Pause, die keiner von beiden gern zu unterbrechen schien, fragte er:

»Wie kommt es, daß Sie von meinem Wunsch, den Damen zu dienen, unterrichtet sind?«

»Konnte ich Ihre Sprache mißverstehen? Mich dünkt doch, Sie haben sich deutlich genug ausgesprochen.«

»Ausgesprochen!« rief Wilder erstaunt. »Am Ende hab‘ ich gar meine eigentliche Beichte in einem Augenblicke abgelegt, wo ich mich dessen am wenigsten versah.«

Antwort gab der Rover nicht; aber an dem vielsagenden Lächeln, das um seinen Mund spielte, konnte sein Gefährte nur zu deutlich erkennen, daß er durch eine ebenso verwegene als vollkommen gelungene Vermummung hintergangen worden war, und daß er in der Person des alten Matrosen Bob Bunt mit niemand anders, als mit seinem Kommandeur selbst verkehrt hatte. Das Benehmen Jorams und das rätselhafte Verschwinden des Nachens waren ihm jetzt völlig klar. Tief bewegt, vielleicht weil er nun die Entdeckung machte, wie verwickelt die Schlingen waren, in die er sich gestürzt hatte, vielleicht auch aus Ärger, daß er sich so zum besten haben ließ, machte er in starken Schritten einige Gänge quer über das Deck, ehe er antwortete:

»Ich hab‘ mich hintergehen lassen, ich geb‘ es zu, und unterwerfe mich von nun an einem Meister, von dem man wohl vieles lernen, den man aber nie übertreffen kann. Aber der Wirt zum › Unklaren Anker‹, der hat doch wenigstens in eigener Person gehandelt, wer auch immer der alte Matrose gewesen sein mag?«

»Der ehrliche Joram! Fürwahr, ein Matrose in Not kann sich keinen nützlicheren Mann wünschen, das werden Sie nicht leugnen. Wie hat Ihnen denn der Newporter Lotse gefallen?«

»Auch der Ihr Geschäftsträger?«

»Nur zum Scherz, solchen Schurken vertraue ich von meinem Geheimnis nicht mehr, als sie etwa von selbst erraten können. Doch sachte! Hörten sie nichts?«

»Mich dünkt, ich hörte ein Tau im Wasser plätschern.«

»Ganz recht, so ist es. Nun werden sie sich überzeugen, wie durch und durch ich mich auf diese unruhigen Herren verstehe.«

Hier brach der Rover das seinem Gefährten immer interessanter werdende Gespräch kurz ab, ging leisen Schrittes nach dem Spiegel des Schiffes und lehnte sich einige Augenblicke einsam über die Galerie, wie einer, der ein Vergnügen daran findet, die dunkle Oberfläche des Meeres anzuschauen. Kaum indessen traf das Ohr seines Gesellschafters ein leises Geräusch von hin und her bewegten Tauen, so kam er heran und stellte sich neben ihn, wo er bald noch mehr Beweise erhalten sollte, wie fein der Kommandeur sowohl ihn, als die übrige Schiffsbemannung zu überlisten verstand.

Ein Mann bewegte sich äußerst behutsam und nicht ohne Schwierigkeit von der Stelle, wo er sich befand, um die Schiffsviering herum. Er erreichte auch seinen Zweck, indem er sich teils mit Tauen, teils mit einigen Mallen vorwärts half, bis er an eine vom Hinterschiff herabhängende Strickleiter gelangte. – Auf einer ihrer Sprossen schwebend, stierte er nach den herüberlehnenden, ihm zusehenden Gestalten, sich offenbar anstrengend, auszufinden, wer von beiden das Individuum wäre, das er suchte.

Der Rover berührte Wilder leise mit der Hand, um ihm zu verstehen zu geben, daß er jetzt aufmerken sollte, und sprach dann flüsternd hinab: »Bist du da, Davis? Ich fürchte, man hat dich gesehen, oder doch gehört.«

»Nichts zu befürchten, Ew. Gnaden. Ich schlüpfte zum Schottengat der Kajüte hinaus; die ganze Hinterwacht schläft so tief, als wenn sie die Wache im Raum unten hätte.«

»Gut. Was für Nachricht bringst du von den Leuten?«

»Traun, Ew. Gnaden dürfen ihnen befehlen, in die Kirche zu gehen, und der derbste Seehund unter ihnen würde nicht Herz genug haben, einzuwenden, er könne sein Gebet nicht mehr auswendig.«

»Glaubst du, sie seien jetzt in besserer Stimmung als vorher?«

»Ich weiß es, Sir. Nicht daß einem oder zweien von den Leuten der gute Wille zur Unordnung fehlte; aber sie wagen es nicht, einander zu trauen. Ew. Gnaden haben so was Gewinnendes an sich, daß einer nie weiß, ob er sich auf sicherem Boden befindet, wenn er sich’s beikommen ließe, sich zum Herrn aufzuwerfen.«

»Ja, ja, das sieht dem Charakter von Empörung ähnlich genug«, brummte der Rover, so daß ihn nur Wilder hören konnte. »Gerade dazu, daß einer des andern Zutrauen genieße, fehlt ihnen ein bißchen mehr Ehrlichkeit, als sie besitzen. (Laut:) Und wie haben die Kerle meine Gnade aufgenommen? War’s wohlgetan, oder muß der Morgen auch seine Strafe mit sich bringen?«

»Lassen Sie es beim jetzigen Stand der Dinge sein Bewenden haben, Sir. Die Leute kennen das gute Gedächtnis einer gewissen Person und sprechen schon von der Gefahr, noch ein Ditto zu der Rechnung hinzuzufügen, von der sie recht gut wissen, daß Ew. Gnaden sie sich angeschrieben haben. Da ist der Vordermann des Backs, der wie gewöhnlich etwas sauer tut, und bei dieser Gelegenheit um so mehr, wegen des Andenkens an die betäubende Faust des Negers.«

»Ich weiß schon, der ist stets ein Störenfried; ich werde mit dem Schurken doch endlich einen Abrechnungstag halten müssen.«

»Das wird nicht schwer sein! Sie verwenden ihn auf irgendeinen Dienst im Boote, Sir: die Schiffsmannschaft wird sich desto wohler fühlen, wenn er aus dem Wege ist.«

»Schon gut; nichts weiter von ihm«, unterbrach ihn der Korsar mit einiger Ungeduld, wahrscheinlich, weil er nicht wünschte, daß sein Gefährte auf dieser frühen Stufe seiner Einweihung schon einen so tiefen Blick in seine Regierungsweise tun sollte.

»Ich werde schon sorgen für ihn, aber du selbst, Kerl! – Irre ich nicht, so hast du deine Rolle heute ein wenig zu gut gespielt, und zeigtest dich etwas zu bereitwillig, die Matrosen anzuführen.«

»Ich hoffe, Ew. Gnaden werden sich erinnern, daß die Bootsmannspfeife einmal die Mannschaft zum Unheil kommandiert hatte; zudem konnte es nicht viel schaden, einigen Marinesoldaten den Puder von den Köpfen zu waschen.«

»Schon gut, aber du setztest das Spiel fort, nachdem dein Offizier für gut gefunden hatte, sich dazwischen zu legen. Nimm dich in acht, daß du in Zukunft deine Rolle nicht mit so vieler Natur und Wahrheit spielst, sonst dürfte der Beifall nicht minder wahr und natürlich sein!«

Der Kerl versprach Vorsicht und Besserung, worauf er seine Belohnung in Gold erhielt, und mit der Einschärfung strenger Verschwiegenheit entlassen wurde. Kaum war diese Zusammenkunft vorüber, so versicherte sich der Kapitän zunächst, daß kein Unberufener, der sich in seine heimliche Verbindung mit dem Spion einstehlen könnte, in der Nähe weilte, und setzte dann sein Auf- und Abgehen mit Wilder fort. Nach einer langen, gedankenvollen und tiefen Stille fing er wieder an:

»In einem Schiffe wie dieses sind feine Ohren fast ebenso wichtig als ein unerschrockenes Herz. Die Schufte im Vorderraum dürfen nicht von dem Baum der Erkenntnis kosten, auf daß wir, die wir in den Kajüten sind, nicht sterben mögen.«

»Es ist doch ein gefahrvoller Dienst, den wir übernommen haben«, bemerkte Wilder, seinen geheimen Gedanken unwillkürlich freien Lauf gebend.

Der Rover schwieg. Lange ging er hin und her auf dem Deck, ehe er sprach, und als er es tat, war es mit einer Stimme, so einschmeichelnd weich und sanft, daß seine Worte mehr den ermahnenden Tönen eines besonnenen Freundes glichen, als der Sprache eines Mannes, der lange der Gefährte von Wesen war, so rauh und grundsatzlos wie die, von denen man ihn jetzt umgeben sah.

»Sie sind noch an der Türschwelle Ihres Lebens, Herr Wilder; ganz liegt es vor Ihnen und ladet Sie ein, zu wählen, welchen Pfad Sie betreten wollen. Noch sind Sie von keinem Auftritte Zeuge gewesen, der eine Verletzung dessen genannt werden könnte, was die Welt ihre Gesetze nennt; und es ist noch nicht zu spät zu sagen, daß Sie es nie sein werden. Mich hat vielleicht bei meinem Wunsche, Sie zu gewinnen, die Selbstsucht regiert; doch stellen Sie mich auf die Probe, Sie werden finden, daß diese Leidenschaft zwar oft tätig, aber nie in meinem Geiste herrschend wird, noch werden kann. Sie dürfen nur Ihren Wunsch, frei zu sein, ausdrücken, und Sie sind es; leicht lassen sich die geringen Spuren, daß Sie zu meiner Mannschaft je gehört haben, vertilgen. Sehen Sie den blassen Lichtstreifen dort, unweit davon ist Land; ehe noch die morgende Sonne untergeht, können Sie es betreten.«

»Ach, warum nicht auch Sie? Ist dies regellose Treiben für mich ein Übel, so ist es nicht minder eines für Sie. Dürfte ich der Hoffnung …«

Er stockte. Der Rover schwieg lange, so daß er sich überzeugen konnte, sein Gefährte nehme Anstand, fortzufahren; endlich fragte er ruhig:

»Was wollten Sie sagen? Sprechen Sie frei, Sie reden mit einem Freunde.«

»So will ich mich Ihnen denn wie einem Busenfreunde eröffnen. Sie sagen, das Land sei dort im Westen nahe. Beide zur See erzogen, würde es Ihnen und mir ein leichtes sein, dies Boot ins Wasser zu lassen und, indem wir uns die Dunkelheit zunutze machten, wären wir, lange ehe unsere Abwesenheit kund würde, den Augen der uns Suchenden entschwunden.«

»Nach welcher Gegend möchten Sie zusteuern?«

»Nach den Küsten Amerikas, wo Obdach und Friede in tausend verborgenen Orten zu finden sind.«

»Können Sie wollen, daß ein Mann, der solange als Fürst unter seinen Leuten lebte, Bettler in einem Lande von Fremdlingen werde?«

»Sie haben ja Gold. Sind wir nicht die Herren hier? Wer mag es wagen, unser Tun auch nur mit einem beobachtenden Auge zu verfolgen, bis es uns gefällt, von selbst die Autorität, womit wir bekleidet sind, von uns abzuwerfen? Noch ehe die Mitternachtswache abgelöst ist, könnte alles geschehen sein.«

» Allein? Wünschen Sie, daß wir allein gehen?«

»Nein … nicht ganz … das heißt … es würde uns, als Männern, kaum ziemen, die Damen der rohen Macht derer preiszugeben, die wir hier zurücklassen.«

»Und würde es uns, als Männern, ziemen, die ihrem Schicksale preiszugeben, die in unsere Treue ihre Zuversicht setzen? Herr Wilder, Ihr Plan würde mich zu einem Niederträchtigen machen! Gesetzlos, in der Meinung der Welt wenigstens, bin ich schon lange; aber ein Verräter an meiner Treue und meinem gegebenen Worte war ich nie! Wohl wird einst die Stunde schlagen, wo die Menschen, deren ganze Welt jetzt von diesem Schiffe umschlossen ist, auseinandergehen; allein die Trennung muß offen, freiwillig, manneswürdig sein. – Haben Sie nie erfahren, was mich damals, als wir uns im Leben das erstemal in der Stadt Boston trafen, nach dem Aufenthalt der Menschen hinzog?«

»Nie«, erwiderte Wilder in dem wehmütigen Tone gänzlich getäuschter Hoffnung.

»So hören Sie. Ein handfester Kerl von meinen Leuten war von den Handlangern des Gesetzes erwischt worden. Gerettet sollte und mußte er werden. Es war ein Mann, den ich nicht besonders liebte, allein er war zu jeder Zeit ehrlich, nach seinen Begriffen von Ehrlichkeit. Ich konnte das Opfer nicht verlassen, und doch war außer mir keiner imstande, seine Rettung zu bewirken. Dem Golde und der List blieb der Sieg; und nun erfüllt der Kerl hier am Bord die Ohren der Mannschaft mir Gesängen, Psalmen und Hymnen zum Lobe und Preise seines Kommandeurs. Soll ich mir nun den Verlust eines mit so vielem Wagnis errungenen guten Namens zuziehen?«

»Sie würden die gute Meinung von Spitzbuben verlieren, und dafür den Gewinn eines guten Rufes bei Menschen eintauschen, deren Lob eine Ehre ist.«

»Das weiß ich nicht. Sie verstehen sich wenig auf die Menschennatur, wenn Sie jetzt erst lernen müssen, daß, wer sich einmal Berühmtheit erworben hat, sei’s auch durch lasterhafte Taten, seinen Stolz darein setzt, den so erworbenen Ruf aufrecht zu halten. Übrigens passe ich nicht zu der Welt, wie sie zwischen unterjochten Kolonisten gestaltet ist.«

»Sie sind vielleicht stolz auf Ihre Geburt im Mutterlande?«

»Ich bin nur ein armer Teufel aus der Provinz, Sir! Ein demütiger Satellit der mächtigen Sonne. Sie haben meine Flaggen gesehen, Herr Wilder: – eine einzige fehlte darunter; ach, diese eine, existierte sie, so wäre es mein Stolz, mein Ruhm gewesen, sie mit meinem besten Herzblute zu verteidigen.«

»Ich kann Ihren Sinn nicht erraten.«

»Ich darf einem Seemann wie Ihnen, nicht erst sagen, wieviel herrliche Ströme längs der Küste, von der wir gesprochen haben, ihre Gewässer der See entgegenführen – wieviel weite und bequeme Hafen sie besitzt – oder wieviel Segel den Ozean beglänzen, bemannt von Leuten, die das Licht der Welt zuerst in jenem geräumigen und friedlichen Lande erblickten.«

»Wohl kenne ich die Vorzüge meines Heimatlandes.«

»Ich fürchte, nein!« erwiderte hastig der Freibeuter. »Kennten Sie und andere, die Ihnen gleichen, jene Vorzüge, wie Sie es sollten, so würde die Flagge, die ich meine, bald auf jedem Meere anzutreffen sein, und unsere Landsleute nicht den Mietlingen eines ausländischen Fürsten unterliegen dürfen.«

»Ich will mich nicht stellen, als verstände ich Sie nicht; denn ich kenne mehrere Enthusiasten, die wie Sie der Schimäre nachhangen, daß ein solches Ereignis möglich wäre.«

»Möglich! So gewiß, als sich jener Stern dort in den Ozean senkt, so gewiß der Tag auf die Nacht folgt, es ist notwendig. O, hätte jene Flagge geweht, Herr Wilder, kein Mensch würde je den Namen des roten Freibeuters gehört haben.«

»Der König hat ja auch eine Flotte, und der Dienst darin steht jedem seiner Untertanen gleich offen.«

»Ja, ich konnte der Untertan eines Königs sein; aber Untertan eines Untertans, Wilder, das geht über die Grenzen meiner armen Geduld. Ich bin in einem seiner Schiffe erzogen, ich darf fast sagen, geboren; wie oft mußte ich mit blutendem Herzen fühlen, daß ein Ozean mein Geburtsland vom Schemel seines Thrones trennt! Werden Sie es glauben, Sir, einer seiner Kommandeurs wagte es, den Namen meines Vaterlandes mit einem Titel zu verbinden, den ich nicht wiederholen mag, um Ihr Ohr nicht zu verletzen!«

»Ich hoffe, Sie lehrten den Schurken Lebensart.«

Der Rover blickte seinen Gefährten starr an, ein fürchterliches Lächeln durchzuckte seine sprechenden Züge, als er antwortete:

»Nie wiederholte er die Beleidigung! Es galt sein Blut oder meins; er hat seine Roheit teuer bezahlt.«

»Ihr fochtet wie Männer, und das Glück war dem beleidigten Teile günstig, nicht wahr?«

»Wir fochten, Sir. – Allein ich hatte mich erkühnt, die Hand gegen einen Eingeborenen der heiligen Insel zu erheben! – Es ist genug, Herr Wilder; der König brachte einen treuen Untertan zur Verzweiflung, und er hat vielleicht Ursache gehabt, es zu bereuen. Genug für jetzt; ein anderes Mal vielleicht mehr. Gute Nacht!«

Wilder sah seinen Kommandeur die Leiter hinabsteigen zur Schanze; und nun war er allein, und konnte seinen Gedanken während einer Wache, die seiner Ungeduld endlos vorkam, freien Lauf lassen.