Viertes Kapitel.

Viertes Kapitel.

Die Gesellschaft unten bestand aus vier Personen, lauter Frauen. Die eine war eine Lady im sinkenden Alter, die andere über die Mitte der Jahre hinaus, die dritte auf der Schwelle der Tür, die man »Leben« nennt, insofern sie der Übergang zu den gesellschaftlichen Verhältnissen der Welt ist, die vierte war eine Negerin, die einige fünfundzwanzig Jahreswechsel gesehen haben mochte. Sie schloß sich den übrigen zwar in einem untergeordneten Verhältnisse an, denn Zeit und Umstände hatten sie in die dienende Klasse gebracht, allein sie genoß Vertrauen und Achtung von seiten der Herrschaft.

Die ersten verständlichen Worte der alten Lady an die junge waren folgende:

»Und nun, liebstes Kind, da ich dir die Weisung gegeben habe, die die Umstände und dein eigenes vortreffliches Herz nötig gemacht haben, will ich dieses unfreundliche Geschäft mit einem angenehmeren vertauschen. Du wirst deinen Vater von der Fortdauer meiner Zuneigung versichern und ihn an sein Versprechen erinnern, dich noch einmal zu mir zu schicken, ehe wir uns auf immer trennen.«

Die Anrede war, wie gesagt, an das jüngste Mädchen gerichtet und wurde, wie zu vermuten war, ebenso zärtlich und aufrichtig aufgenommen als gehalten. Die junge Person schlug die Augen auf, worin Tränen glänzten, die sie vergeblich zu unterdrücken bemüht war, und antwortete mit einer Stimme, deren Töne in den Ohren der beiden Lauschenden melodisch genug klangen.

»Liebste Tante, es ist unnötig, mich an ein Versprechen zu erinnern, woran mich mein eigener Vorteil so dringend mahnt. Ich hoffe Sie sogar öfter zu besuchen, als Ihnen vielleicht lieb ist; und wenn mein Vater nicht nächstes Frühjahr mit mir herüberkommt, so wird es gewiß nicht an meinen inständigen Bitten liegen.«

»Unsre gute Frau Wyllys wird uns beistehen«, erwiderte die Tante, sich gegen die ältere Frau mit einem Gesicht voll Freundlichkeit und Anstand neigend, das den eingeführten Formen der damaligen Zeit, wenn ein Oberer einen Untergebenen anredete, eigen und angemessen war. »Sie ist durch ihre treuen Dienste völlig zu dem Einfluß berechtigt, den sie über den General Grayson übt.«

»O, sie ist zu allem berechtigt, was Liebe und Herz geben kann!« rief die Nichte mit einer Hast und einem Ernste, der dazu dienen sollte, die zu förmliche Höflichkeit der Tante durch die Wärme ihrer eigenen Ausdrücke zu heben. »Mein Vater wird ihr schwerlich etwas versagen!«

»Sind wir auch gewiß, daß sich Mistreß Wyllys zu uns schlägt?« fragte die Tante, ohne sich durch die lebhafteren Gefühle der Nichte von ihrem angenommenen Gange ableiten zu lassen. »Mit einem so mächtigen Alliierten wird unser Bund unüberwindlich sein!«

»Ich bin so ganz der Meinung, daß die gesunde Luft dieser heilbringenden Insel meinem jungen Fräulein zuträglich ist, Madame, daß, wenn auch keine anderen Gründe in Betracht kommen sollten, Sie auf den geringen Beistand, den Sie von mir erwarten, sicher rechnen könnten.«

Frau Wyllys sprach dies mit Würde, aber auch mit jenem Grade von bescheidener Zurückhaltung, die ihr das Verhältnis der vermögenden, hochgeborenen Tante zu der bezahlten, abhängigen Erzieherin der Erbin ihres Bruders zur Pflicht machte. Dabei war ihr Anstand edel und ziemend, und ihre Stimme, wie die Stimme ihres jungen Zöglings, sanft und entschieden weiblich.

»Folglich können wir den Sieg für entschieden achten, wie sich mein verstorbener Gemahl, der Konteradmiral, auszudrücken pflegte. Der Admiral de Lacey hatte, meine liebe Mistreß Wyllys, frühzeitig im Leben die Maxime zur Regel genommen und sein ganzes Handeln danach eingerichtet – und er verdankte dieser Maxime einen großen Teil des Rufes, worin er auf der See stand –, daß zum Gelingen nur eines erfordert werde, nämlich: Es zu wollen; eine schöne, edle und ermutigende Maxime, eine Maxime, wobei es nicht fehlen konnte, daß sie ihn zu den ausgezeichneten Erfolgen geführt hatte, die uns allen bekannt sind.«

Wyllys verneigte sich zum Zeichen, daß sie völlig der Meinung sei, und zum Beweis, wie sehr sie das Verdienst des verstorbenen Admirals anerkenne, hielt es aber nicht für nötig, etwas zu erwidern. Anstatt sich länger mit diesem Gemeinsatz zu beschäftigen und ihn wortreich auszuspinnen, drehte sie sich zu ihrer jungen Elevin um und bemerkte mit einem Tone und Wesen, aus dem alles, was Zwang und Zurückhaltung heißen mag, verbannt war.

»Liebste Gertraud, Sie werden das Vergnügen haben, wieder nach dieser lieblichen Insel zurückzukehren, die kühlenden Seewinde einzuatmen …«

»Und meine Tante wiederzusehen«, setzte Gertraud hinzu. »Meine Wünsche wären, daß sich mein Vater entschlösse, seine Güter in Karolina loszuschlagen, nach Norden zu ziehen und das ganze Jahr hier zuzubringen.«

»Es ist nicht so leicht, wie du wohl glauben magst, mein Kind, sich großer Landbesitzungen zu entäußern«, erwiderte Frau von Lacey. »So sehr ich auch wünschen mag, daß sich dein Plan verwirklichen lasse, so hab‘ ich doch nie meinen Bruder darum gebeten. Überdies weiß ich nicht, ob die Familie nicht ganz und gar nach Hause gehen würde, wenn sie eine Abänderung treffen wollte. Es ist jetzt über ein Jahrhundert, Mistreß Wyllys, daß die Graysons in die Kolonien gekommen sind, weil zwischen ihnen und der Regierung in England etwas vorgefallen war. Mein Urgroßvater, Sir Everard, war mit seinem zweiten Sohne unzufrieden, und die Spannung brachte meinen Großvater nach der Provinz Karolina. Doch, da der Bruch seit langer Zeit geheilt ist, so hab‘ ich oft gedacht, ob mein Bruder nicht wieder in die Hallen unserer Väter zurückkehren möchte. Doch wird viel daraus ankommen, wie wir unser Besitztum diesseits des Meeres unterbringen werden.«

Hier schloß die gutmütige, aber etwas redselige und mit sich zufriedene Dame ihre Rede und sah sich mit einem forschenden Blick nach ihrer jungen Nichte um, der der Schluß ihrer Rede vollkommen entgangen war. Gertraud hatte wie gewöhnlich, wenn Frau von Lacey die Gouvernante mit Familiennachrichten zu unterhalten geruhte, den Kopf gewendet, und die von Gesundheit, vielleicht auch diesmal von einer kleinen Scham brennenden Wangen dem kühlenden Abendwinde hingehalten. Aber sobald ihre Tante zu reden aufgehört hatte, schloß sie sich von neuem schnell den beiden an, und auf ein Schiff zeigend, dessen Masten – da es im innern Hafen lag – über die Stadtdächer vorragten, rief sie, in der Absicht, der Unterredung irgendeine andere Wendung zu geben:

»Und in jenen finstern Kerker sollen wir, liebste Wyllys, den ganzen nächsten Monat zubringen?«

»Ich will hoffen, Ihre Abneigung gegen die See hat bei Ihnen das Zeitmaß verlängert,« entgegnete sanft die Erzieherin; »die Überfahrt von hier nach Karolina ist oft in einem weit kürzeren Zeiträume gemacht worden.«

»Daß dies der Fall sei, kann ich bezeugen«, setzte hier die Admiralswitwe hinzu, die gar zu gern einen Gedanken verfolgte und ausspann, wenn er einmal in ihr rege geworden war und in ihr Lieblingsfach einschlug. »Mein verstorbener, würdiger und (ich bin überzeugt, niemand wird mir hierin widersprechen) mein tapferer Gemahl führte einst ein Geschwader seines königlichen Herrn von einem Ende der amerikanischen Besitzungen Sr. Majestät zum andern in kürzerer Zeit, als die von meiner Nichte angegebene. Freilich mag zur Eile, mit der er segelte, zum Teil der Umstand beigetragen haben, daß er die Feinde des Königs und des Reichs verfolgte; soviel aber bleibt gewiß und ausgemacht, daß die Reise in weniger als einem Monat vollendet werden kann.«

»Da ist das furchtbare Henlopen mit seinen Sandbänken und Schiffbrüchen von der einen Seite und der sogenannte Golfstrom von der andern!« rief Gertraud mit einem Schauder und Ausbruch weiblichen Entsetzens, das hin und wieder sogar die Furchtsamkeit anziehend macht, wenn es mit Jugend und Schönheit zusammenfällt. »Wäre nicht Henlopen, und die Stürme, und die Bänke, und der Golf, ich könnte mich dem Vergnügen, meinen geliebten Vater wiederzusehen, ganz überlassen.«

Frau Wyllys, die ihrem Zöglinge nie in solchen natürlichen Schwachheiten, so liebenswürdig sie auch in anderen Augen scheinen mögen, etwas nachsah, wandte sich mit fester Miene zu der jungen Lady, indem sie kurz und entschieden, und als wollte sie den Punkt der Furcht auf einmal ins reine bringen, bemerkte:

»Wenn alle Gefahren, liebe Gertraud, die Sie auf Ihrer Reise anzutreffen besorgt sind, wirklich stattfänden, so würde ja die Überfahrt nicht täglich, ja stündlich sicher geschehen können. Sie selbst, Madame, sind gewiß oft mit Ihrem Gemahl, dem Admiral de Lacey, aus Karolina hier eingelaufen?«

»Nie«, erwiderte die Witwe schnell und etwas trocken. »Die Wasserreise war meiner Konstitution zuwider; deswegen hab‘ ich jederzeit die Reise zu Lande gemacht. Dabei müssen Sie aber wissen, Wyllys, daß ich, die Gattin und Witwe eines Flaggenoffiziers, nichts weniger als unerfahren in der Seewissenschaft geblieben bin. Es werden gewiß wenige unter den britischen Damen sein, die mit Schiffen bekannter und vertrauter sind als ich, sowohl mit einzelnen Fahrzeugen, als mit ganzen Geschwadern. Diese Kenntnis hab‘ ich mir als die Gemahlin eines Offiziers verschafft, dessen höchstes Glück es war, Flotten anzuführen. Mit Ihnen, Wyllys, mag es anders sein: ich vermute, was zur Schiffahrt gehört, sind böhmische Dörfer für Sie.«

Die ruhige, würdevolle Haltung der Gouvernante nahm hier augenblicklich einen trübern Anstrich von Schwermut an. Es war ihr freilich schon vorher anzusehen, daß tiefliegende, lang gehegte, peinliche Erinnerungen ihren Zügen einen dauernden, doch sanften Kummer eingegraben hatten, der die Spuren ihres Grundcharakters, der immer noch aus ihren Augen sprach, mehr milderte als verwischte. Sie war eine Zeitlang unschlüssig, ob sie nicht lieber abbräche, faßte sich aber und antwortete:

»Ich bin keineswegs ein Fremdling auf der See. Mein Verhängnis hat gewollt, daß ich manche lange und manche gefährliche Fahrt habe machen müssen.«

»Doch nur als Passagier. Wir Gattinnen von Seehelden sind die einzigen unseres Geschlechts, die auf die edle Wissenschaft Anspruch machen können. Kann es wohl ein schöneres und erhabeneres Schauspiel geben«, fuhr die verwitwete Seeheldin mit einer Art von Begeisterung über diesen Gegenstand fort, »als der Gang eines stattlichen Schiffs, das die Wellen durchschneidet, dessen Hackebord, wie mein seliger Admiral wohl tausendmal gesagt hat, die See pflügt, dessen Schaft einen hellen Streifen hinter sich läßt, wie die Windungen einer Schlange, wie ein lebendes Tier, das auf dem Lande daherfliegt und den Hinterfuß in die Stapfen des Vorderfußes setzt! Ich weiß nicht, liebste Wyllys, ob ich mich Ihnen verständlich mache, soviel aber ist gewiß, meinem geschärften, unterrichteten Auge stellt sich zugleich mit dieser reizenden Beschreibung ein Bild dar, das alles, was groß und schön ist, weit hinter sich läßt.«

Das heimliche Lächeln, das sich in den Mundwinkeln der Gouvernante zu zeigen anfing, weil sie sich nicht des Gedankens erwehren konnte, der selige Admiral sei ein Schalk gewesen, der die Frau Admiralin oft zum besten gehabt, würde sie vielleicht verraten haben, wenn sich nicht von oben herab ein Geräusch hätte hören lassen, das dem Rascheln des Windes in Blättern glich, aber im Grunde nichts weiter war, als ein unterdrücktes Gelächter. Noch schwebten die Worte: »O, wie allerliebst!« auf den Lippen der jungen Gertraud, die das soeben entworfene Gemälde der Tante bewunderte, ohne sich in die Kleinigkeitskrämerei der Wortkritik einzulassen, als auf einmal ihre Stimme stockte und ihre Stellung einem Standbilde glich. Nach einigen Sekunden fragte sie:

»Haben Sie nichts gehört?«

»Die Ratten treiben noch immer ihr Wesen in der Mühle!« war die ruhige Antwort der Frau Wyllys.

»In der Mühle? Liebste Wyllys, bleiben Sie noch immer dabei, diese pittoreske Ruine eine Mühle zu schelten?«

»So sehr das Gebäude dadurch in achtzehnjährigen Augen verlieren mag, so kann ich es nicht anders nennen als – eine Mühle.«

Das liebenswürdige Mädchen lachte, aber ihr feuriger Blick zeigte zugleich den Ernst, mit dem sie ihre Lieblingsmeinung verfocht: »Gibt es denn der Ruinen soviel hierzulande, daß Sie sich kein Gewissen daraus machen, den wenigen, in deren Besitz wir sind, Namen und Wert zu rauben?«

»Desto besser! Je weniger Ruinen, um so glücklicher das Land! Ruinen sind einem Lande, was sie dem Gesichte sind, nämlich Zeichen des Verfalls, traurige Folgen der Mißbräuche und Leidenschaften, die das Umsichgreifen der Zeit beschleunigen. Unsere Provinzen, liebste Gertraud, sind wie Sie, in ihrer Frische und Jugend, und, um den Vergleich fortzusetzen – in ihrer Unschuld. Lassen Sie uns hoffen, daß beide Teile noch lange in diesem glücklichen Zustande bleiben werden.«

»Ich danke Ihnen in meinem und meines Vaterlandes Namen für die Wünsche, kann mich aber nicht entschließen, diese malerische Ruine für eine ehemalige Mühle zu halten.«

»Was sie auch gewesen sein mag, soviel ist gewiß, sie hat den Platz hier lange eingenommen und wird ihn, allem Anschein nach, viel länger einnehmen, als das, was Sie soeben ›einen finstern Kerker‹ nannten, das stattliche Schiff dort, das wir in kurzer Zeit besteigen werden. Trügen meine Augen mich nicht, Madame, so bewegen sich die Masten langsam über die Schornsteine der Stadt hin.«

»Sie sehen ganz recht, Wyllys. Es sind die Matrosen, die das Schiff in den äußern Hafen bugsieren; dort werden sie es vor Anker legen und es so lange Warpen, bis sie die Segel aufrollen, um mit dem Frühesten in See zu stechen. Dieses ist ein Manöver, das oft unter meinen Augen vorgenommen wurde, eines von denen, die mir mein Admiral so deutlich erklärt hat, daß ich wenig Schwierigkeit finden würde, es in eigener Person anzuordnen, wenn es sich für mein Geschlecht und meinen Stand schickte.«

»Also ein Wink für uns, liebstes Kind, mit unsern Anstalten zur Reise zu eilen. So reizend auch dieser Ort – und Ihre Ruine – Ihnen scheinen mag, so müssen wir ihn doch, wenigstens auf einige Monate, verlassen.«

»Ja, ja,« fuhr Frau von Lacey fort, indem sie der Gouvernante, die sich bereits in Bewegung gesetzt, langsam nachfolgte: »Auf diese Weise sind oft ganze Flotten bugsiert, vor Anker gelegt, gewarpt worden, bis sich der günstige Wind zum Absegeln eingefunden. Keiner von unserem Geschlecht sind die Gefahren des Ozeans so bekannt als mir, die so eng mit Offizieren von hohem Rang und Diensten verbunden gewesen ist; keine von ihnen kann einen so vollen Begriff und Genuß von der wirklichen Größe des edelsten Berufs auf Erden haben. Kann es wohl ein schöneres Schauspiel geben, als das eines stattlichen Schiffs, dessen Hackebord die Wellen durchschneidet, dessen Schaft das spurlose Wasser furcht, wie ein Renner, der im schnellsten Lauf in seine eigene Fußtapsen tritt?«

Die Antwort der Frau Wyllys entging den lauschenden Ohren der beiden Turmbewohner. Gertraud hatte sich mit den anderen auf den Weg gemacht; aber in einiger Entfernung von ihrer lieben Ruine blieb sie stehen, um von den zerbröckelten Mauern einen zärtlichen Abschied zu nehmen. Die Pause hielt über eine Minute an. Dann aber sprach sie zu dem schmelzfarbenen Mädchen, das ihr den Arm gab: »Kassandra, dort in den Steinklumpen ist etwas … was mich wünschen ließe, es wäre mehr als eine Mühle.«

»Ratten sind’s,« antwortete die Negerin, »nichts weiter als Ratten; habt Ihr’s nicht gehört? Mistreß Wyllys hat’s gesagt.«

Gertraud drehte sich zu ihr, lachte, klopfte ihr die schwarzen Backen mit Fingern, die dagegen wie Schnee aussahen, zur Strafe wie es schien, weil jene wünschte, ihr die süße Täuschung zu rauben, der sie sich so gern überließ: und nun sprang sie mit ein paar Sätzen den Hügel hinab, der Tante und Erzieherin nach, wie eine junge, rasche, fröhliche Atalante.

Die beiden Männer, die der Zufall so sonderbar im Turm zusammengebracht halte, standen jeder vor seinem Fensterloch und sahen dem lieblichen Mädchen nach, solange noch der schwächste Schimmer ihres weißen Gewandes zu erblicken war. Alsdann kehrten sie sich um, standen da, sahen einander an und suchten wechselseitig einer in des andern Augen den Ausdruck seiner Gedanken zu lesen. Endlich rief der Anwalt aus:

»Ich bin bereit, vor dem Lord-Großkanzler die eidliche Aussage zu machen, daß dieses hier nie eine Mühle gewesen!«

»Ei, ei! Ihr habt ja Eure Meinung schnell geändert!«

»O ich bin zur Überzeugung gekommen, so wahr ich hoffe, einst Richter zu werden. Der Prozeß ist von einem unwiderstehlichen Sachwalter geführt und mir sind die Augen geöffnet worden.«

»Und doch sind Ratten im Turme.«

»Landratten oder Wasserratten?« fragte schnell der Grüne, aus seinen Gefährten einen von den suchenden, eindringenden Blicken heftend, die seinem forschenden Auge so sehr zu Gebote standen.

»Von beiden Gattungen, wie mich dünkt,« war die trockene, stechende Antwort; »wenigstens von der ersten, oder das Gerücht müßte den Herren im langen Talar sehr unrecht tun.«

Der Anwalt lachte und schien ganz und gar nicht empfindlich über den Stich, der seinen gelehrten und hochachtbaren Kollegen versetzt worden war.

»Ihr Herren vom Ozean habt einen so verehrlichen und kurzweiligen Freimut an euch,« sagte er, »daß ich bei Gott versichere, ihr seid unwiderstehlich. Ich muß überhaupt eure Seesprache bewundern. Sie ist so edel und bisweilen so geschickt und gewählt in ihren Ausdrücken und Redensarten. ›Kann es wohl ein herrlicheres Schauspiel geben, als ein stattliches Schiff, die Wellen mit seinem Hackebord zerteilend und mit seinem Schafte jagend, wie ein Roß im Wettlauf‹.«

»Und den Hinterfuß einsetzend, daß es einen Streifen gibt, wie eine Feuerbacke, usw., usw., usw.«

Beide fanden eine solche Ergötzlichkeit an den Bildern und Gleichnissen der würdigen Witwe des tapfern Admirals, daß sie zugleich in ein unmäßiges, weitschallendes Gelächter ausbrachen, so daß der Turm, wie in den Zeiten seines besten Windes, erklang. Der Anwalt war der erste, der über sich Herr wurde, denn die Lustigkeit des jungen Seemanns war leichterer Art und mehr ausgelassen.

»Dies ist hier ein gefährlicher Grund,« sagte er, nachdem er sein Lachen ebenso plötzlich eingestellt, als er es sich erlaubt hatte, »ein gefährlicher Grund, eine Sandbank für alle, nur nicht für die Witwe eines Seemanns. Was für ein leckerer Bissen, was für ein heiteres, liebenswürdiges Geschöpf ist aber jene Jüngere, die keine Liebhaberin von Mühlen ist! Es scheint, sie ist die Nichte der alten seekundigen Dame.«

Jetzt hörte auch der junge Seemann zu lachen auf, weil es ihm unangenehm auffiel, wie unschicklich es sei, eine so nahe Verwandte der schönen Erscheinung, die er soeben gehabt hatte, zum Gegenstand des Spottes zu machen. Er mochte sich insgeheim denken, was er wollte, genug, er begnügte sich mit der kurzen Antwort:

»Sie hat es ja selbst gesagt.«

»Sagt mir, Freund,« fuhr jener fort, dem Seemann näherrückend, wie einer, der ein wichtiges Geheimnis in eine Frage einkleidet, »kommt es Euch nicht vor, als liege etwas Merkwürdiges, Inniges, Außerordentliches, Herzrührendes in der Stimme der Frau, die sie Wyllys nannten?«

»Habt Ihr es auch bemerkt?«

»Sie klang in meinen Ohren wie die Töne eines Orakelspruches, wie das Gelispel der Phantasie, wie die Worte der Wahrheit selbst. Es war eine seltsame, überredende Stimme.«

»Ich gestehe ebenfalls, daß sie einen tiefen Eindruck auf mich gemacht und mich angesprochen hat, ich kann nicht erklären, wie.«

»Es steckt eine Art von Zauber dahinter!« sagte der Rechtsgelehrte, im kleinen Raum auf und ab schreitend. Jede Spur von Humor und Ironie war von ihm gewichen, oder hatte sich in einem Blick tiefen und sorgsamen Nachsinnens verwandelt. Sein Gefährte schien wenig gestimmt, ihn und seine Betrachtungen zu stören. Er stand gegen die nackte Wand gelehnt und überließ sich ebenfalls seinen Gedanken. Endlich schüttelte der erste mit jener Raschheit, die in seinem Wesen lag, die ungewohnte Last ab, stellte sich an ein Fenster, zeigte Wildern das Schiff im äußern Hafen und fragte ihn kurz und abgebrochen:

»Hat bei Euch aller Anteil, den Ihr an jenem Schiff nahmt, aufgehört?«

»Gerade das Gegenteil: es ist just ein Fahrzeug, wie es ein Seemannsauge am liebsten betrachtet.«

»Wollt Ihr versuchen, es zu besteigen?«

»In dieser Stunde des Tages? Allein? Ich kenne weder den Kapitän noch die Mannschaft.«

»Es braucht ja nicht eben diese Stunde zu sein, und ein Schiffer ist bei seinen Kameraden immer willkommen.«

»Nicht doch; die Sklavenschiffe haben gewöhnlich nicht gern, daß man sie besucht; sie sind bewaffnet und wissen, wie man die Fremden zurückweist.«

»Gibt es nicht in der Maurerei Eures Gewerbes Losungsworte, woran ein Bruder den andern erkennt? Worte z. B. wie ›die Wellen mit dem Hackebord zerteilen‹ oder dergleichen Kunstphrasen, wie wir soeben gehört haben?«

Hier warf Wilder einen festen Blick auf den andern, als er sich so befragt sah, und schien seine Antwort lange abzuwägen.

»Wozu diese Fragen?« sagte er endlich kühl.

»Wie ich glaube, daß ein blödes Herz keine Schöne gewinnt, so glaube ich auch, daß ein unschlüssiges kein Schiff erobert. Ihr wünscht, sagt Ihr, eine Anstellung; und soviel ist gewiß, wäre ich Admiral, ich machte Euch zum Flaggenkapitän. Wenn wir anderen in den Assisen ein Dokument nachsuchen, so haben wir unsere Weise, den Wunsch zu erkennen zu geben. Vielleicht gehe ich aber mit einem Fremden, wie Ihr mir seid, aufs Geratewohl zu weit. Nur vergeht nicht, daß der Rat, wenn er auch von einem Rechtskundigen kommt, Euch unentgeltlich gegeben wird.«

»Und kann ich mich aus diesem Grunde um so mehr darauf verlassen, daß er gut sei?«

»Darüber müßt Ihr selbst urteilen«, sagte der Grünrock, setzte den Fuß auf die Leiter und stieg so weit hinab, bis der Kopf allein über der Öffnung zu sehen war. »Hier durchschneide ich buchstäblich die Wellen mit einem Hackebord!« setzte er hinzu, indem er rücklings weiter hinabstieg, und schien auf die Worte einen besondern Nachdruck zu legen.

»Adieu, Freund: sollten wir uns nicht wiedersehen, so vergeßt wenigstens die Ratten in der Ruine von Newport nicht!«

Mit diesen Worten verschwand er, und im zweiten Augenblick war seine leichte Gestalt auf dem Boden. Mit bewundernswürdiger Kälte drehte er sich um und gab der Leiter mit dem Fuße einen Stoß, daß sie abrutschte, umfiel, und dem Manne oben den einzigen Weg zur Rückkehr unmöglich machte. Hierauf zum bestürzten Wilder hinausblickend, nickte er ihm mit dem Kopfe vertraulich zu, wiederholte sein: »Adieu Freund!« und schlüpfte mir einem Satze aus dem Gewölbe ins Freie.

»Das ist seltsam, ja sogar unverschämt«, murmelte Wilder, der auf diese Weise in der Ruine gefangen blieb. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß ihm ein Sprung durch die Öffnung ein Bein und vielleicht beide kosten könnte, lief der junge Schiffer nach einem von den Fenstern, um seinen Gefährten mit Vorwürfen zu überhäufen und sich vor allem zu vergewissern, ob es ihm Scherz oder Ernst dabei sei. Aber der Anwalt war schon über alle Berge, und ehe sich Wilder noch besinnen konnte, was zu tun sei, hatte der Leichtfuß schon die Vorstadt erreicht und sich zwischen den Gebäuden verloren.

Während der Zeit, als alles dieses, vom ersten Besteigen des Turmes an, vorfiel, hatten sich Fid und der Neger fleißig an den Inhalt des Kobers gehalten. Nur als die Eßlust des ersten etwas befriedigt war, stellte sich seine didaktische Stimmung wieder ein, und gerade in dem Augenblick, wo Wilder in den Turm eingesperrt wurde, hielt Fid dem Neger eine Vorlesung über das Benehmen in gemischten Gesellschaften.

»Folglich siehst du, Guinea,« so schloß er sie, »daß, wenn es in Gesellschaft heißt: Rückwärts das Ruder! Tu niemals ganz abfallen und das hinterste voran, aus einem Disput steuern mußt, wie es dir zu tun beliebt hat. Wenn ich selbst kein Dummkopf bin, so ist es ausgemacht, daß Master Nightingale besser hinter einen Gasttisch in der Wirtsstube gehört als in eine Bö. Hättest du luv angemacht und in seine Windvierung geschossen, als du sahst, daß ich mich dwarsab mit meinen Gründen quer vor seine Klüsen legte, so siehst du wohl, daß wir ihm die Rede regelmäßig bekniffen und ihm vor allen Umstehenden Schande gemacht hätten … Was ist das? Wer praiet da? Wo wird ein Schwein abgestochen?«

»Herjemine! Misser Fid,« rief der Neger, »da steckt Misser Harry den Kopf aus einer Stückpforte, dort oben, des Weges da, in dem Leuchtturm, und gröhlt wie ein Matrose im Boote, das er auspropt!«

»Ei! Laß ihn praien, soviel er Lust hat, als wenn er beim Bramsegel oder beim Klüverbaum stände! Der Kerl hat eine Stimme wie ein Waldhorn, wenn er sie anstrengt. Aber was Teufel fällt ihm ein, sich an das vom Wind und Wetter gepeitschte Wrack zu machen. Auf jeden Fall laß ihn seine Künste allein treiben, wie’s ihm beliebt – warum geht er zum Sturm ohne die Trommel gerührt, ohne Posten ausgestellt und die Mannschaft gemustert zu haben!«

Da gleichwohl Dick und sein Kumpan sich gleich anfangs auf die Beine gemacht hatten, dem Rufenden zu Hilfe zu kommen, sobald sie seine Not inne geworden, so waren sie während des Redens soweit vorgerückt, daß sie sich ihm verständlich machen konnten. Wilder rief ihnen mit dem kurzen nachdrücklichen Tone eines kommandierenden Seeoffiziers zu, sie möchten die Leiter wieder aufstellen. Sie taten es, und als er sich befreit sah, fragte er sie mit sehr bedeutender Miene, ob sie die Richtung bemerkt hätten, die der Mann in Grün genommen habe?

»Meint Ihr den gestiefelten Kunden, der vorhin dort auf der Kaje sein Ruder in eines andern Rojeklampen schieben wollte?«

»Richtig, den meine ich!«

»Der hat den Wind quer durchschnitten, bis er luvwärts um die Scheune gekommen ist: dann hat er laviert Ostsüdost, dann ist er mit Leesegeln oben und unten in die hohe See gegangen und hat schon, wie ich glaube, eine tüchtige Strecke zurückgelegt.«

»Ihm nach!« schrie Wilder, sich auf den Weg hinstürzend, den Fid angegeben, ohne weiter aus die mit Seeredensarten ausstaffierten Weisungen der andern zu achten.

Ihm folgten beide: doch war die Jagd vergebens, obschon sie ihre Nachforschungen bis nach Sonnenuntergang fortsetzten. Niemand konnte ihnen die geringste Nachricht geben, was aus dem grünen Mann geworden war. Einige hatten ihn zwar gesehen und sich über sein sonderbares Kostüm und seinen kecken, um sich schauenden Blick gewundert: aber aus allem ergab sich’s, daß er ebenso geheimnisvoll aus der Stadt verschwunden, als er hineingekommen war.

Fünftes Kapitel.

Fünftes Kapitel.

Die guten Einwohner der Stadt Newport pflegten sich zeitig zur Ruhe zu begeben. Sie zeichneten sich durch eine Regelmäßigkeit und Ordnungsliebe aus, die noch heutigentags ein Charakterzug der Sitten und Gewohnheiten der Neu-Engländer ist. Um zehn Uhr waren alle Türen in der ganzen Stadt verschlossen: und es ist mehr als wahrscheinlich, daß eine Stunde später von allen den Augen, die den Tag über eigene Geschäfte, vielleicht auch wohl Geschäfte der Nachbarn wach erhalten hatten, kein einziges mehr offen war.

Der Wirt zum »Unklaren Anker«, so hieß die Schenke, wo es zwischen Nightingale und Fid beinahe zur Prügelei gekommen wäre, schloß seine Tür pünktlich um acht Uhr: hiermit wollte er nämlich im Schlafe alle die kleinen Sünden abbüßen, die er sich am Tage erlaubt haben mochte. Überhaupt war es in der Stadt zur allgemeinen Regel geworden, daß alle, die die meiste Mühe gehabt, ihren Namen und Ruf rein zu erhalten, sich frühzeitig von den Sorgen und Umtrieben der Welt zurückzogen. So war’s auch der Fall mit der Admiralswitwe. Sie hatte zu ihrer Zeit durch langes Aufbleiben und späte Beleuchtung ihres Hauses, wenn alles schlief oder schlafen sollte, kein kleines Ärgernis gegeben, – Überdies war in ihrem Leben und Umgang manches vorgefallen, wodurch sich die gute Frau der tadelnden Beurteilung ihrer weiblichen Bekanntschaft ausgesetzt hatte. So pflegte sie sich z. B., ungeachtet sie zur bischöflichen Kirche gehörte, am Samstagabend mit der Nadel zu beschäftigen, obschon sie keineswegs im Ruf stand, eine fleißige Arbeiterin zu sein. Sie tat es nur, um auf diese Weise zu erkennen zu geben, ihrem Glauben und ihrer Meinung nach sei der Sonntagabend der wahre orthodoxe Abend des Sabbats. In diesem Punkte war zwischen ihr und der Frau des Hauptpfarrers in der Stadt eine Art offener Fehde, doch ohne Kriegserklärung und Feindseligkeit. – Die Frau Pastorin begnügte sich nur, das Wiedervergeltungsrecht auszuüben. Sie brachte ihren Nähbeutel alle Sonntag abend zur Frau Admiralin, unterbrach bisweilen die Unterredung, um zur Arbeit zu greifen, nähte emsig und fleißig fünf bis sechs Minuten hintereinander, und knüpfte alsdann den Faden des Diskurses wieder an. Während der Pause und Sabbatschändung wußte sich Frau von Lacey gegen die Gefahr der Ansteckung nicht anders zu decken, als daß sie in einem vor sich liegenden Gebetbuche blätterte. Sie dachte vermutlich dabei an den Grundsatz der Kirche, daß man durch Weihwasser den Teufel in Respekt und in der gehörigen Entfernung halten könne.

Abends zehn Uhr also war Newport so still, als wenn es keine lebendige Seele beherbergt hätte. Ich sage mit Bedacht: Abends zehn Uhr, und nicht, als der Wächter rief: »Zehn ist die Glock!« Denn es gab damals keine Nachtwächter in Newport, aus dem ganz einfachen Grunde, weil es noch keine Schelme und Spitzbuben in der Provinz gab, die ihr Handwerk in der Nacht trieben. Als sich daher Wilder und seine zwei Gefährten um diese Zeit in den Straßen sehen ließen, fanden sie die Stadt menschenleer und ausgestorben. Kein Licht brannte; keine Seele rührte sich. Dies mochte unseren Abenteurern wohl bewußt sein, denn anstatt an die Tür eines Gasthofes zu klopfen und den schläfrigen Wirt herauszupochen, schlugen sie sich gleich auf die Wasserseite. Wilder führte den Trupp an, Fid folgte auf ihn, und Scipio, wie gewöhnlich still und untertänig, machte den Nachtrab.

Am Strande fanden sie mehrere kleine Fischerboote am Fuße einer nahen Kaje. Wilder gab den beiden seinen Auftrag, und schritt selbst weiter, eine bequeme Stelle zum Einsteigen suchend. Nach Verlauf kurzer Zeit kamen zwei Boote zugleich ans Land, das eine geführt vom Neger, das andere von Fid,

»Was ist das?« fragte Wilder. »Warum zwei? Ihr habt gewiß unrecht verstanden!«

»Nicht doch«, antwortete Fid, das Ruder flach liegen lassend und sich mit den Fingern in das Haar fahrend, wie einer, der mit dem, was er getan hat, zufrieden ist, »Hier ist ebensowenig Mißverständnis, als wenn jemand bei klarem Wetter und stillem Wasser in See sticht. Scipio ist im Boote, das Ihr gedungen habt; aber ich dachte gleich, als Ihr den Handel abschlosset, daß er nichts tauge, und so folgte ich meiner Regel und meinem Sprichwort: ›Besser bewahrt als beklagt!‹ Und weil ich denn Lunte gerochen und den Betrug entdeckt habe, so bring‘ ich Euch dies Boot. Wenn es nicht das beste, festeste von allen ist, so mögt Ihr sagen, ich verstehe nichts davon.«

»Kerl,« erwiderte Wilder aufgebracht, »du wirst mich dahin bringen, daß ich dich über kurz oder lang wegjage. Gleich rudre das Boot wieder dahin, wo du es genommen hast.«

»Mich wegjagen?« antwortete Fid frei und entschlossen, »das hieße, Meister Harry, mit einem Hieb Euer gut Wetter meilenweit abschneiden. Ihr und Scipio Afrika würdet nicht viel Kluges anfangen, wenn wir uns trennen sollten. Habt Ihr wohl je im Log nachgemessen, wie lange wir zusammengesegelt sind?«

»Freilich hab‘ ich’s; doch es gibt Fälle, wo man eine zwanzigjährige Freundschaft abbricht.«

»Mit Eurer Erlaubnis, Meister Harry, will ich verdammt sein, wenn ich so was glaube. Hier steht Guinea, er ist nichts besser als ein Neger, und folglich weit entfernt, ein geeigneter Gesellschafter für einen Weißen zu sein! Da ich aber gewohnt bin, seht Ihr, zweiundzwanzig Jahre in sein schwarzes Gesicht zu schauen, so hat seine Farbe Eingang bei mir gefunden, und gefällt mir nun wie eine andere. Überdies läßt sich zur See, in stockfinsterer Nacht, nicht leicht schwarz von weiß unterscheiden. Nein, nein, Master Harry, ich bin Eurer noch nicht überdrüssig, und eine Kleinigkeit wie diese soll uns nicht trennen.«

»Dann mußt du aber auch die Gewohnheit ablegen, mit dem Eigentum anderer wie mit dem deinen umzugehen.«

»Nichts, gar nichts leg‘ ich ab. Niemand kann austreten und sagen: Er hab‘ mich ein Deck verlassen sehen, solang noch eine Planke mit dem Balken zusammenhing, und ich sollte meine Rechte fahren lassen oder ablegen, wie Ihr’s nennt? Was hab‘ ich denn so groß verbrochen, daß das Schiffsvolk zusammengerufen wird, weil ein alter Seemann bestraft werden soll? Ihr habt einem ungehobelten Fischer, einem Kerl, der nie in tieferem Wasser gewesen, als wo seine Angel den Grund finden kann, Ihr habt ihm, sag‘ ich, einen blanken Spanier gegeben für den mageren Gebrauch seines Kahns auf eine Nacht, oder allenfalls auch auf einen Teil des Morgens. Nun was hat Richard Fid getan? Er hat zu sich selbst gesprochen: – denn Gott soll mich verdammen, wenn ich jemals im Schiff herumgezogen bin und geplappert, und mich bei der Mannschaft über einen Offizier beschwert habe. – Nein, zu sich selbst hat Dick gesprochen: ›Das ist zuviel Geld!‹ Und dann ist er hingegangen und hat für weniger Geld einen bessern Nachbarskahn gedungen. Geld kann man veressen und, was noch besser ist, vertrinken: folglich muß man es nicht, wie der Schiffskoch die kalte Asche, über Bord werfen. Ich bin ferner überzeugt, beim Lichte besehen, daß die Eigentümer dieser Jolle und jenes Kahns Vettern und Muhmen sind, und daß von der ganzen Familie das Geld in Tabak und stark Bier verzehrt wird, so daß es zuletzt auf eines rausläuft, und niemanden unrecht geschehen ist.«

Wilder gab dem andern ein Zeichen der Ungeduld und den schweigenden Befehl zu gehorchen, und ging am Strande auf und nieder, bis er zurück kam. Fid widerstand nie einem ausdrücklichen deutlichen Gebot; nur wenn es ein weniger bestimmtes war, nahm er sich Zeit, ihm nachzukommen. Diesmal ging’s also rasch vor sich; unverzüglich ruderte er das Boot zurück, doch erlaubte er sich dabei den kleinen Subordinationsfehler, unterwegs vor sich hin zu protestieren. Sobald alles wieder in Ordnung war, bestieg Wilder das Boot, die beiden anderen griffen zu den Rudern, und jener wies sie an, sich mit so wenig Geräusch als möglich zum Hafen hinauszuarbeiten. Fid steckte die Linke in den Busen, und führte mit der Rechten das Ruder mit Kraft, so daß die Jolle leicht und schnell dahinglitt. Er sagte dabei:

»Erinnert Ihr Euch noch der Nacht, wo ich Euch bis in Louisburg hineinruderte, um zu rekognoszieren? Damals wickelten wir uns ein wie Wickelkinder und hatten keine Zunge. Wenn es not tut, der Equipage einen Knebel ins Maul zu stecken, so hab‘ ich nichts dagegen; in anderen Fällen aber bin ich der Meinung, daß die Zunge zum Sprechen gemacht ist, wie die See zum Leben, und habe gern ein vernünftiges Gespräch und eine gesellschaftliche Unterhaltung … Sip! Junge! Wo willst du hin? Die Insel liegt ja rechts, und du ruderst gerade links auf die Kirche zu!«

»Legt die Ruder an,« unterbrach Wilder befehlend, »laßt das Boot vor dem Schiffe vorbeitreiben.«

Sie waren in diesem Augenblick dem Schiffe nahe, das unweit der Kaje vor Anker lag, und, wie der junge Seemann heimlich im Turme erfahren hatte, am folgenden Morgen mit Frau Wyllys und der bezaubernden Gertraud nach Karolina absegeln sollte. Während das Boot vorüberschwamm, betrachtete Wilder mit Seemannsaugen das Schiff beim schwachen Sternenlicht. Kein Teil des Rumpfs, die Spieren, die Takelage, nichts entging seiner Untersuchung; und als sie sich entfernten und alles ineinanderfloß und wie eine dunkle Masse hinter ihnen lag, da lehnte sich der junge Mann mit dem Kopfe auf den Bootsrand und fiel in ein langes und tiefes Nachdenken. Fid fand sich nicht berufen, ihn in seinen Betrachtungen zu stören. Er hielt sie für eine natürliche Folge der Ansicht des Schiffs, für eine Sitte des Seemanns, kein Segel unbeachtet vorüber zu lassen, und somit für eine Art heiliger Beschäftigung. – Scipio schwieg ebenfalls, weil er überhaupt gern schwieg. So vergingen mehrere Minuten. Wilder war der erste, der die Stille brach und, sich plötzlich fassend und besinnend, die paar Worte hervorstieß:

»Ein großes, festes Schiff; ein Schiff, das eine lange Jagd machen könnte!«

»Ja, und imstande wäre, beim Vorteil des Windes, und mit vollen Segeln, einem königlichen Kreuzer bis zum Entern nahe zu kommen; aber eingeklemmt wie es ist, wär‘ ich der Mann, mich mit der naseweisen Hebe an seine Windseite zu …«

»Burschen!« unterbrach Wilder, »es ist Zeit, daß ich euch zum Teil von meinen Bewegungen unterrichte. Wir sind seit zwanzig Jahren und drüber, Schiffsgenossen – ich möchte sagen Schiffskameraden gewesen. Ich war nicht viel besser als ein Kind, als du, Fid, mich zum Patron deines Schiffes brachtest, und nicht nur der Retter meines Lebens, sondern auch das Werkzeug warst, das mich in der Folge vielleicht zum Offizier erheben wird!«

»Sprecht doch nicht davon, Master Harry; Ihr wart ja bald geborgen und machtet nicht viel Umstände. Eine kleine Hängematte war Euch ebensoviel wert als des Kapitäns Kajüte.«

»Nein, Fid, ich bin dir viel schuldig für diesen ersten Dienst, und nicht weniger für deine Anhänglichkeit in der Folge.«

»Darin habt Ihr recht, Master Harry; in diesem Punkt bin ich nie von der Bahn gewichen und habe besonders nie meinen Enterhaken fahren lassen, so oft Ihr auch geschworen, mich wegzujagen. Was den Schuft hier, den Guinea, betrifft, der macht immer schön Wetter mit Euch, und hängt den Mantel nach dem Winde, wogegen zwischen uns beiden bald ein kleiner Sturm aufstößt, wie z. B. der Handel mit dem Boote …

»Nichts mehr davon«, unterbrach ihn Wilder, dessen Gefühle durch die Rückerinnerung an soviel Ereignisse seines Lebens, an soviel bittere Auftritte aufgeregt waren. »Du weißt, daß nur der Tod uns trennen kann, du müßtest mich denn jetzt verlassen wollen. Ihr müßt nämlich beide wissen, daß ich in einem verzweifelten Handel begriffen bin, daß ich einen Plan verfolge, der mich leicht, und alle, die mich begleiten, in Tod und Verderben stürzen kann. Es schmerzt mich, liebe Freunde, wenn ich von euch scheiden müßte, vielleicht auf immer, aber ich kann nicht umhin, euch die ganze Gefahr meiner Lage zu entdecken.«

»Ist dabei viel Wegs zu Lande?« fragte Fid herausplatzend.

»Nein, das ganze Geschäft, soweit es sich erstreckt, macht sich zu Wasser ab.«

»Nu, so schlagt Eure Schiffsbücher auf und macht mein Zeichen, nämlich ein paar Anker kreuzweise, denn das hat immer soviel bedeutet, als wenn ganz ausgeschrieben dastände: Richard Fid.«

»Vielleicht aber, wenn Ihr erst erfahret …«

»Ich brauche von der Sache nichts zu wissen und zu erfahren, Master Harry. Bin ich nicht oft mit Euch bei versiegelter Order gesegelt? Sollte ich meine Pflicht vergessen und meinen alten Leichnam Euch nicht noch mal anvertrauen? Und was sagst du dazu, Guinea. Willst du mit? Oder sollen wir dich dort auf jene flache Landspitze absetzen, und dich mit den Stechmücken Bekanntschaft machen lassen?«

»Ich will sie mir hier schon abwehren«, murmelte der Neger, der gern mitging.

»Seht doch, Master Harry, Guinea ist wie die Barkasse eines Küstenfahrers, immer bereit, sich in Euer Kielwasser bugsieren zu lassen. Ich hingegen lege mich oft quer vor Eure Klüsen, oder schieße auf die eine oder die andere Weise Eurem Schiff in die Windvierung. Soviel aber ist ausgemacht, wir gehen mit Euch auf den Kreuzzug aus, und sind mit allen Umständen vollkommen zufrieden. Sagt uns nur noch, was wir zu tun haben, und dann kein Wort weiter parlamentiert!«

»Denkt an die Weisung, die Ihr von mir erhalten habt,« erwiderte Wilder, weil er wohl sah, daß die Ergebenheit seiner Begleiter keines Sporns bedurfte, und ihm eine lange Erfahrung ihre Treue und Anhänglichkeit verbürgte, und daß er nur über kleine Fehler und Verstöße, Folgen ihres Standes und ihrer Erziehung, wegzusehen habe; »denkt an meine Erklärung, und nun geradezu auf das Schiff im Außenhafen.«

Fid und der Schwarze gehorchten, und bald strich das Boot neben der kleinen Insel vorbei, in die sogenannte große See. Sowie sie dem Schiffe näher kamen, gingen die Ruder erst leiser, dann hörten sie zugleich ganz auf. Wilder zog es vor, die Jolle dem Strome zu überlassen, damit er das Schiff gemächlich untersuchen könnte, bevor er an Bord ginge.

»Hat das Schiff nicht die Finkenetten, wie zum Gefecht, um die Takelage gelegt?« fragte er mit einer Stimme, deren leiser Ton unbemerkt bleiben sollte, und dennoch den Anteil verriet, den er an der Antwort nahm.

»Sehe ich recht, so ist es so«, entgegnete Fid, »Die Sklavenhändler haben kein gut Gewissen, und sind nie ohne Furcht, außer wenn sie an der Küste von Kongo Jagd auf einen jungen Neger machen. Und doch ist hier in dieser Nacht so wenig Gefahr, daß sich ein französisch Segel sehen lasse, bei diesem Landwinde und klaren Himmel, als ich zu befürchten habe, Lord Großadmiral von England zu werden; wenigstens nicht sobald, weil meine Verdienste, leider! Sr. Majestät dem Könige zurzeit noch unbekannt sind.«

»In der Tat,« fuhr Wilder fort, der den Ausschmückungen, womit Fid seine Reden pikant zu machen suchte, keinen Geschmack abgewann, »die Leute sind in Bereitschaft, jeden, der zu entern versuchte, heiß zu empfangen. Es würde kein leichtes Stück Arbeit sein, ein so gut ausgerüstetes Schiff anzugreifen und wegzunehmen, wenn sich der Kapitän auf seine Leute verlassen kann.«

»Ich wollte wohl wetten, daß ein gut Vierteil der Wache in diesem Augenblicke zwischen den Kanonen schläft, mitten in dem weiten Ausguck von Krahnbalken und Hackebord. Ich stand mal in der Hebe, bei der Fockrahe, an der Wetterseite, als ich von Südwest ein Schiff mit raumem Wind auf uns zukommen sah …«

»Still! Man rührt sich auf dem Verdeck!«

»Ja, gewiß und wahrhaftig. Der Koch spaltet ein Brett, der Kapitän ruft nach seinem Nachttrunk.«

Fids Stimme verlor sich in einen Anruf vom Schiffe, der wie das Brüllen eines Seeungeheuers klang, das unvermutet den Kopf aus dem Wasser hervorstreckt. Die geübten Ohren unserer Seefahrer begriffen im ersten Augenblick, was es war, nämlich die Art und Weise, wie man ein Boot anholt. Ohne an die Möglichkeit zu denken, daß noch ein anderes in der Nähe sein könne, bildete er sich ein, es gelte seinem, stand auf und gab Antwort.

»Was ist das?« rief jene Ungeheuerstimme. »Das ist keiner von denen, die hier am Bord Brot essen. Wo steckt ihr, die ihr mir zuruft?« fuhr er fort zu fragen.

»Hier unter Euerm Backbordbug, im Schatten des Fahrzeugs.«

»Und was habt Ihr hier zu suchen im Bereich meiner Klüsen?«

»Ich durchschneide die Wellen mit meinem Hackebord«, erwiderte Wilder nach einer Pause.

»Wer ist der Narr, der auf das Schiff hier lostreibt?« murmelte der Fragende. »Hervor mit dem Tölpel! Laßt sehen, ob der Kerl imstande ist, eine vernünftige Antwort zu geben.«

»Halt!« rief eine Stimme in ruhigem aber befehlendem Tone vom äußersten Ende des Schiffes. »Alles ist, wie es sein soll.«

Der Mann im Bug hieß sie näherkommen, und die Unterredung hatte ein Ende. Erst jetzt fand Wilder Zeit, zu bemerken, daß das Anholen ein anderes Boot betraf, das weiter zurück war, und daß er zu frühzeitig Antwort gegeben hatte. Da es aber zu spät war, sich zurückzuziehen, und vielleicht auch, da er fand, daß es in seinen ersten Plan paßte, so hieß er seine Gefährten heranrudern.

»Die Wellen mit dem Hackebord durchschneiden, ist zwar nicht die schicklichste Antwort auf ein Anholen«, murmelte Fid vor sich hin, als er das Ruder fallen ließ. »Allein es liegt doch auch keine Beleidigung darin. Wollen sie uns dort, Master Harry, durchaus was am Zeuge flicken, so laßt es aus dem Walde rausschallen, wie es reinschallte, und rechnet auf uns. Euch den Rücken zu decken.«

Die mannhafte Versicherung blieb von Wilder unbeantwortet, denn inzwischen war das Boot nur noch einige Fuß vom Fahrzeuge entfernt. Wilder bestieg nun das Schiff unter einer tiefen, und wie er selbst fühlte, nichts Gutes versprechenden Stille. Die Nacht war dunkel, obschon von den hier und dort sichtbaren Sternen so viel Licht herabschien, daß das Auge eines geübten Seemannes die Gegenstände unterscheiden konnte. Sobald unser junger Abenteurer das Deck erreicht hatte, warf er einen schnell forschenden Blick um sich, als sollten die Zweifel und Eindrücke, womit er sich lange getragen hatte, mit einem Male durch dieses ernste Umsichschauen aufgelöst und erklärt werden.

Auf einen, der solch Schauspiel nie gesehen, würde die Ordnung und Symmetrie des Schiffs, die hohen, wolkenansteigenden Spieren, die schwarze Masse des Rumpfs, die in der Luft hängende Takelage, das dunkel sich durchkreuzende Tauwerk, das ganze anscheinend verwirrte, verwickelte, und doch so kunstreich eingerichtete und berechnete Labyrinth, einen unbeschreiblichen Eindruck gemacht haben. Für Wilder waren die ihm bekannten Gegenstände kaum anziehend. Den ersten, schnellen Blick hob er zwar nach Seemanns Sitte aufwärts, dann aber durchlief er kurz und als Kenner die oben erwähnten Teile. Mit Ausnahme eines einzigen, der, in einen großen Wachtmantel bis an die Augen vermummt, ein Offizier schien, war keine Menschenseele auf den Verdecken sichtbar. Von jeder Seite zeigte sich eine finster drohende Batterie, in der schönen, imposanten Ordnung aufgestellt, wodurch sich die Marineartillerie und Architektur auszeichnet. Nirgends aber konnte er eine Spur von Menschengruppen entdecken, die gewöhnlich das Deck eines bewaffneten Schiffs einnehmen, oder nur die Mannschaft, die zur Bedienung des Geschützes erforderlich ist. Es mochte sein, daß die Leute in ihren Hängematten lagen, wie es zur Nachtzeit zu sein pflegt; aber wo blieb dann der Teil der Equipage, der die Wache hatte, und für die Sicherheit sorgen sollte? Einem einzigen Individuum gegenüber, fing unser Waghals an, das Befremdende und Unrichtige jener Lage inne zu werden, und sah sich gedrungen, eine Erklärung einzuleiten.

»Ihr wundert Euch mit Recht, Sir, daß ich eine so späte Stunde zu meinem Besuche gewählt habe.«

»Ihr wurdet freilich früher erwartet!« war die lakonische Antwort.

»Erwartet?«

»Ja, erwartet. Hab‘ ich nicht gesehen, wie Ihr und Eure beiden Gefährten im Boote uns den halben Tag über von der Kaje aus, und selbst vom alten Turm auf dem Hügel beobachtet habt? Was konnte all diese Neugierde bedeuten, als die Absicht, an Bord zu kommen?«

»Seltsam! Ich muß es gestehen!« rief Wilder nicht ohne Unruhe aus. »Also war Euch meine Absicht bekannt?«

»Hört, Freund,« unterbrach ihn der andere, sich ein kurzes, leises Lächeln erlaubend, »nach Eurem Äußern und Aussehen zu urteilen, muß ich Euch für einen Seemann halten. Glaubt Ihr denn, daß wir keine Ferngläser an Bord haben, und daß wir sie nicht zu gebrauchen wissen?«

»Ihr müßt wichtige Gründe haben, auf die Bewegungen der Fremden am Strande so genau acht zu geben.«

»Hm! Vielleicht warten wir auf Ladung vom Lande. Aber Ihr seid wohl nicht in stockfinsterer Nacht hergekommen, Euch unsere Deklaration zeigen zu lassen? Doch, Ihr wolltet ja den Kapitän sprechen?«

»Seh‘ ich ihn nicht hier?«

»Wo?« fragte der andere mit einer Bestürzung, die bewies, daß er ihn hinter sich stehend vermutete.

»In Eurer Person.«

»Ich? So hoch steh‘ ich nicht, obschon es mit der Zeit dahin kommen mag. Hört aber, Freund, Ihr seid doch auf dem Wege hierher am Spiegel jenes Schiffes vorbeigerudert?«

»Ja; es liegt, wie Ihr seht, gerade auf meinem Wege.«

»Ein schönes, künstlich gebautes, gesundes Schiff; eines der besten, die ich sah. Bereit zur Abfahrt, wie man mir gesagt.«

»So scheint es; die Segel sind angeschlagen; es flotet wie ein Gefäß, das seine volle Ladung hat.«

»Und diese Ladung?« fragte jener abgebrochen.

»Nun, ich soll denken, die Artikel stehen auf der Deklaration. Aber Ihr scheint noch leicht; und wenn Ihr hier ladet, so mögen wohl noch ein paar Tage verstreichen, ehe Ihr abfahrt.«

»Hm! Ich sollte meinen, kaum ein paar Stunden später als der Nachbar.« Diese Worte stieß der andere etwas trocken aus, schien sich aber zu besinnen, als habe er zuviel gesagt, und setzte hinzu: »Wir Sklavenschiffer laden, wie Ihr wißt, nicht viel mehr, als die Schellen für unsere Neger, und so viel Reis, als wir brauchen. Den Ballast machen Kanonen aus, und die Munition.«

»Bringt es denn der Gebrauch mit sich, daß Handelsschiffe schweres Geschütz führen?«

»Bisweilen ja, bisweilen nein. Die Wahrheit zu sagen, ist hier an der Küste wenig gesetzliche Ordnung, und der starke Arm kommt oft so weit, und noch weiter, als der rechtliche. Daher kommt’s, daß es unsere Patrone nicht für überflüssig halten, sich mit Geschütz und Kriegsvorrat zu versorgen.«

»Dann müßten sie sich aber auch mit Leuten versehen, die damit umzugehen wissen.«

»Freilich haben Sie das in ihrer Weisheit oder Unweisheit vergessen.«

Die letzten Worte wurden von derselben rauhen Stimme halb erstickt, die Wilders Boot angeholt hatte, und jetzt wieder Töne in die See hineinbrüllte, die so viel bedeuten sollten, als: »Boot, halt!«

Die Antwort erfolgte schnell, kurz und seemännisch; aber leise und mit Vorsicht gegeben. Der Mann, mit dem Wilder die zweideutige Unterredung gewagt hatte, schien über die plötzlich eingetretene Störung verlegen, und ungewiß, wie er sich bei dem neuen Auftritte zu benehmen habe. Schon wollte er dem Fremden anbieten, ihn in die Kajüte zu führen, als das Plätschern der Ruder die Nähe des Bootes meldete, und es zu spät war. Er bat ihn also, einen Augenblick zu verweilen, und sprang nach der Laufplanke hin, den Leuten im Boote entgegen.

So sah sich der verlassene Wilder ganz allein im Besitz des Schiffsteiles, worauf er stand. Dies erleichterte ihm zugleich eine zweite Musterung der ihn umgebenden Gegenstände, und eine erste der neuen Ankömmlinge.

Fünf bis sechs Matrosen von athletischer Gestalt stiegen von dem Boot aufs Schiff, das tiefste Schweigen beobachtend. Eine kurze, leise Zwischensprache erfolgte mit dem Offizier, der ihren Bericht anzuhören und ihnen einen Befehl zu erteilen schien. Nachdem dieses vorläufige Geschäft beendigt war, wurde ein Seil vom Klappläufer der großen Rahe gerade auf das Boot herabgelassen, und gleich nachher sah Wilder zwischen Wasser und Spieren eine Last schweben, erst hoch, dann wieder nachgelassen, bis sie, mit vieler Sorgfalt geleitet, das Verdeck erreicht hatte.

Während dieser ganzen Verrichtung, die an und für sich nichts Seltenes und Außerordentliches ist, und täglich bei Auf- und Abladen der Schiffe am Hafen vorkommt, hatte Wilder seine Augen dergestalt angestrengt, als wollten sie aus ihren Höhlen hervordringen. Die dunkle Masse, die aus dem Boote geluftet wurde, hatte ihm, als ihr die Sterne zum Hintergrunde dienten, etwas von den Verhältnissen einer Menschengestalt gezeigt. Die Matrosen drängten sich bald um den Klumpen oder Körper oder was es sonst war, hoben die Last auf, trugen sie fort, und verschwanden mit ihr hinter die Masten, Boote und Kanonen am Vorderteil.

Das Ereignis war vollkommen geeignet, die ganze Aufmerksamkeit Wilders zu fesseln. Doch war sein Auge nicht so ganz auf die Leute gerichtet, die ihre Bürde nach der Laufplanke trugen, daß es nicht zugleich ein Dutzend schwarzer Gegenstände entdeckt haben sollte, die hinter den Spieren und andern dunkeln Massen des Schiffs sichtbar wurden. Es konnten in der Luft schwebende Blöcke sein, gleichwohl hatten sie eine wunderbare Ähnlichkeit mit Menschenköpfen. Die gleichförmige Weise, auf die sie abwechselnd sichtbar wurden und wieder verschwanden, schien ihn in der letztern Meinung zu bestärken, so daß er bald gar nicht daran zweifelte, die Neugier, ihn zu sehen, bringe dieses Auf- und Niederducken der Köpfe aus ihren Verstecken hervor. Doch hatte er nicht Muße, sich die Sache genauer zu überlegen, denn jetzt kam der Offizier zurück, der, allem Anschein nach, mit ihm ganz allein auf dem Deck war.

»Ihr wißt, wie schwer es hält, die Mannschaft vom Lande wieder ins Schiff zu bringen, wenn die Abfahrt nahe ist.«

»Wie es scheint,« erwiderte Wilder, »macht Ihr kurzen Prozeß, und habt Eure unvergleichlichen Mittel, das Volk zusammenzuholen.«

»O, Ihr meint den Kerl, den wir heraufgewunden? Guter Freund, Ihr müßt gute Augen haben, daß Ihr in einer solchen Weite ein Jackknief von einem Spitzeisen unterscheiden könnt. Aber der Bursch war meuterisch – zwar nicht eigentlich ein Meuterer, aber betrunken; ein Meuterer, wie man es sein kann, wenn man weder sitzen, noch stehen, noch sprechen kann.«

Mit seinem eigenen Humor ebenso zufrieden, als mit dieser einfachen Erklärung, lachte jener, und schüttelte sich auf eine Art, die zu erkennen gab, wie sehr er sich in diesem Humor gefiel.

»Aber Ihr steht ja hier eine Ewigkeit auf dem Deck, und der Kapitän wartet auf Euch in der Kajüte; kommt, ich will Euch hineinlotsen.«

»Halt,« sagte Wilder, »wollt Ihr mich nicht vorher melden.«

»Er weiß schon, daß Ihr da seid; es gibt hier auf dem Schiffe wenige Stellen, wohin sein Ohr nicht reichen sollte.«

Wilder machte keinen Einwurf und zeigte sich bereit, zu folgen. Jener führte ihn nun zu dem Verschlag, der die Hauptkajüte von dem Hinterdeck trennt, zeigte dann auf eine Tür und flüsterte mehr als er sprach: »Pocht zweimal, und gibt er Antwort, so tretet ein.«

Wilder tat, wie ihm geheißen. Das erste Anpochen wurde entweder überhört und blieb unbeachtet. Das zweitemal rief man: Herein! Der junge Seemann machte die Tür auf und stand nun, im Scheine einer gewaltigen Lampe – dem Fremden im grünen Rock gegenüber.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Einundzwanzigstes Kapitel.

Während dieses ganzen Tages blieb sich das Wetter gleich. Der schlafende Ozean lag da, ein glatter, glänzender Spiegel, und nur das Steigen und Fallen langer Wellenlinien deutete an; daß am entfernten Horizont eine starke Bewegung im Anzuge sein müsse. Der Pirat, der es so gut verstand, die wilde, unbändige Stimmung seiner Untergebenen unter seine Autorität zu beugen, war von dem Zeitpunkte an, wo er das Verdeck verlassen hatte, bis zu dem, wo die Sonne ihren Glutball in der See abkühlte, unsichtbar geworden. Zufrieden mit seinem Siege, schien er die Möglichkeit, daß jemand zum Umsturz seiner Macht Kühnheit genug besitzen könne, gar nicht zu befürchten; auch verfehlte dieses offenbare Selbstvertrauen die beabsichtigte Wirkung auf seine Leute nicht. Da keine Vernachlässigung im Dienste unbemerkt, kein Fehler ungestraft blieb, so setzte sich bei ihnen der Glaube fest, daß sie ein unsichtbares Auge stets bewache, ein unsichtbarer Arm zu allen Zeiten ausgestreckt sei, gleich bereit zu strafen und zu belohnen. Durch diese Methode nämlich, durchgreifend zu handeln, wenn es der Augenblick gebot, und wieder nachsichtig zu sein, wenn Ausübung und Strenge nur dazu gedient hätte, die Gemüter zu erbittern, gelang es dem außerordentlichen Mann, auf seinem Schiffe nicht nur den Verrat zu ersticken, sondern auch seinen offenen Feinden trotz ihren schlauesten Anschlägen und ausdauernsten Verfolgungen zu entgehen.

Als nun aber die Wache für die Nacht abgelöst war und die gewöhnliche Stille das Schiff umgab, erschien der Rover wieder auf dem Deck der Hütte, wo sich jetzt niemand aufhielt, um dort raschen Schrittes auf und ab zu gehen. Obgleich beiliegend, war doch das Fahrzeug mit dem Golfstrom so weit nördlich gelaufen, daß die kleine, blaue Erhöhung in der Ferne längst unter den Meeresrand getaucht war und, für den Bereich menschlicher Sehkraft wenigstens, nur eine grenzenlose Wasserwüste rund umher lag. Da sich auch nicht der leiseste Windhauch rührte, so waren sämtliche Segel beschlagen, und die hohen, entblößten Spieren gaben in der Finsternis der Nacht dem Schiffe das Ansehen, als läge es vor Anker. Mit einem Worte, es war eine jener Stunden vollkommener Ruhe, wie sie den Abenteurern, die ihr Glück dem eigensinnigen Spiel der verräterischen und unbeständigen Winde anvertrauen, zuweilen von den Elementen vergönnt werden.

Selbst die Leute, denen der Dienst das Wachen zur Pflicht machte, ließen sich auf ihren Posten durch die tiefe, allumgebende Stille zur Nachlässigkeit verleiten; sie lagen teils zwischen den Kanonen, teils an verschiedenen andern Orten des Verdecks und genossen den süßen Schlaf, den sie, der strengen Mannszucht und guten Ordnung wegen, nicht in ihren Hängematten suchen durften. Ja, an manchen Stellen konnte man selbst Offiziere gegen ein Bollwerk oder eine außerhalb des geheiligten Bezirks der Schanzen stehende Kanone sich anlehnen und, mit dem trägen Steigen und Sinken des Kiels Takte haltend, im Schlafe nicken sehen. Nur eine Gestalt stand aufrecht, munter, und offenbar mit einem wachsamen Auge über das Ganze. Es war Wilder, an den schon wieder, nach der regelmäßigen Einteilung des Offizierdienstes, die Reihe gekommen war, auf dem Verdeck zu bleiben.

Zwei Stunden gingen vorüber, ohne daß zwischen dem Rover und seinem Leutnant die geringste Mitteilung stattgefunden hätte. Beide vermieden vielmehr eine Unterredung; denn jeglicher hatte seine besonderen, geheimen Gegenstände der Betrachtung. Als diese zwei Stunden Schweigens zu Ende waren, hielt der erstere im Gehen inne und blickte lange und unverrückt hinab nach der noch immer regungslos auf dem Verdeck stehenden Gestalt. – Endlich sagte er:

»Herr Wilder, hier oben auf der Hütte ist die Luft frischer und den unreinen Dünsten des Schiffes weniger ausgesetzt, wollen Sie heraufkommen?«

Der Angeredete gehorchte. Mehrere Minuten lang wandelten sie nach Seemannssitte in stiller Nacht schweigend und schritthaltend nebeneinander.

»Wir hatten einen unruhigen Tag, Wilder,« fing der Rover endlich an, indem er dadurch unwillkürlich seine Gedanken verriet, aber doch immer so behutsam sprach, daß der Ton nur die Ohren Wilders erreichen konnte; »haben Sie diesem allerliebsten Abgrunde, den man Meuterei nennt, schon einmal im Leben so nahe gestanden?«

»Der, den die Kugel getroffen hat, muß der Gefahr doch wohl näher gewesen sein als einer, der bloß den Druck der Luft fühlte.«

»Aha, Sie haben in Ihrem Schiffe offene Widersetzlichkeit gefunden! Auch hier ließen sich einige von den Kerlen einfallen, persönlichen Haß gegen Sie zu äußern, aber beunruhigen Sie sich nicht deshalb; ich kenne ihre geheimsten Gedanken, wie Sie bald sehen werden.«

»Ich leugne es nicht, an Ihrer Stelle würde ich bei solchen Beweisen von der Gesinnung meiner Untergebenen auf Dornen schlafen. Wer bürgt Ihnen dafür, daß nicht heute oder morgen ein Aufruhr innerhalb weniger Stunden das Fahrzeug der Regierung ausliefert und Ihr Leben dem …«

»Henker! Und warum nicht auch Ihres?« fügte der Räuber hastig hinzu und ließ einen leisen Anflug von Mißtrauen durchblicken. »Doch das Auge, das viele Schlachten gesehen hat, ist nicht leicht zum Blinzeln zu bringen; meines hat der Gefahr zu oft gerade ins Angesicht geschaut, als daß mich der Anblick einer königlichen Flagge erschrecken könnte. Überdies halten wir uns auch nur selten an dieser kitzligen Küste auf. Wir kreuzen meist bei den Inseln und auf der spanischen See, was mit weniger Gefahren verknüpft ist.«

»Wie kommt es denn, daß Sie sich jetzt gerade hierher wagen, wo einige über den Feind errungene Vorteile dem Admiral Zeit geben, Sie von einer bedeutenden Schiffsmacht verfolgen zu lassen?«

»Ich hatte meine Ursachen dazu. Nicht immer läßt sich der Mensch von dem Befehlshaber trennen. Hab‘ ich über die Sehnsucht des ersten die Pflichten des letzten hintangesetzt, so hat es doch bis jetzt wenigstens noch keine nachteiligen Folgen gehabt. Kann ja auch sein, daß es mich langweilte, ewig Jagd auf die bequemen spanischen Dons zu machen, oder spanische Zollschiffe in ihre Häfen zurückzutreiben. Dies unruhevolle Leben lieb‘ ich nun einmal! Selbst einer Meuterei weiß ich Interesse abzugewinnen!«

»Ich kann Verrat nicht lieben und gestehe gern, daß es mir in dieser Beziehung nicht besser geht wie dem Bauer, der nur so lange Mut hat, als es hell ist. Solange der Feind sichtbar ist, sollen Sie mich so bewährt finden wie einen, doch über einer Mine schlafen, ist ein Vergnügen, das meinem Geschmack nicht zusagt.«

»Das kommt vom Mangel an Übung! Gewagt ist gewagt, sei’s auf welche Weise es wolle; der menschliche Geist kann es durch Gewohnheit endlich dahin bringen, daß er bei geheimen Anschlägen ebenso großen Gleichmut behält, als bei offenem Wagnis. Still! Schlug es da sechs oder sieben?«

»Sieben. Die Leute schlafen fort, wie Sie sehen. Wäre es ihre Stunde, so würden Sie instinktmäßig aufwachen.«

»Gut. Schon fürchtete ich, die Zeit sei vorüber. Ja, ich liebe die schwebende Ungewißheit, Wilder; sie hält die Seelentätigkeit stets regsam und verweist uns auf die edleren Kräfte unserer Natur. Mag wohl sein, daß es nur mein Eigensinn ist, aber wahrlich, selbst ein konträrer Wind ist nicht ohne Genuß für meinen Geist.«

»Und eine Windstille?«

»Die mag für friedliebende Gemüter ihre Reize haben, allein es gibt nichts zu tun, nichts zu besiegen dabei. Können wir auch die Elemente nicht zum Kampf herausfordern, so vermögen wir uns ihnen doch entgegenzusetzen und ihr Wirken zu vereiteln.«

»Sie haben doch Ihr Handwerk nicht angetreten …«

» Ihr Handwerk!«

»Ich hätte sagen können unseres, da ich jetzt ebenfalls Pirat geworden bin.«

Der Scharfsinn des Rovers durchschaute wohl, was Wilder sagen wollte; ja, seine Antwort zeigte, daß er sogar manche Zwischengedanken übersprang:

»Sie sind noch in Ihrem Noviziat, und die Beichte, die Sie mir von Ihren Wünschen ablegten, gewährte mir nicht wenig Vergnügen. Sie wußten das eigentlich Gewollte so gut anzudeuten, ohne es zu berühren; eine Gewandtheit, die mich in Ihnen einen gelehrigen Schüler voraussehen ließ.«

»Aber keinen büßenden, hoffentlich.«

»Das kommt auf die Umstände an; Augenblicken der Schwachheit sind wir alle ausgesetzt, zumal wenn wir das Leben ansehen, wie es die Bücherschreiber schildern, und da, wo wir den Genuß ergreifen sollten, nur die Prüfung erkennen. Ja, ich angelte nach Ihnen, wie der Fischer nach dem Karpfen. Auch glauben Sie nicht, daß ich die Gefahr des Verrates aus dem Gesichte verlor. Im ganzen genommen waren Sie treu, ob ich gleich für die Zukunft dagegen protestiere, daß Sie, gegen mein Interesse, Intrigen spielen, um das Wild aus meinem Netz zu halten.«

»Wann, und wie hätte ich das getan? Sie haben selbst zugegeben …«

»Daß die Royal Carolina nicht ungeschickt geführt worden sei und ihr Untergang nur dem Himmel zur Last falle. Allein ich spreche jetzt von edlerem Wild als das, worauf jeder Habicht Jagd machen kann. Sind Sie ein Weiberfeind, daß Sie alles aufboten, um das edelmütige Weib und die liebliche Jungfrau, die in diesem Augenblick hier unten sind, von dem Vorzug und hohen Genuß Ihrer Gesellschaft zurückzuschrecken?«

»War Verrat in dem Wunsche, Frauen von dem Schicksale zu retten, das zum Beispiel erst diesen Tag beide bedrohte? Denn, solange in diesem Schiffe Ihr Ansehen die Oberhand behält, glaube ich freilich nicht, daß selbst die Liebliche das geringste zu besorgen hat.«

»Beim Himmel, Wilder, Sie lassen mir nur Gerechtigkeit widerfahren. Ehe diese schöne Unschuldige Leid treffen sollte, würde ich mit dieser Hand das Pulvermagazin anzünden, und sie, rein und fleckenlos wie sie ist, gen Himmel senden, von wo sie herabgekommen zu sein scheint.«

Gierig lauschte unser Abenteurer diesen Worten, ob ihm auch der enthusiastische Ausdruck der Bewunderung, in dem der Freibeuter sein großherziges Gefühl einzukleiden für gut fand, nicht sonderlich behagte. Endlich, nach einer Pause, die keiner von beiden gern zu unterbrechen schien, fragte er:

»Wie kommt es, daß Sie von meinem Wunsch, den Damen zu dienen, unterrichtet sind?«

»Konnte ich Ihre Sprache mißverstehen? Mich dünkt doch, Sie haben sich deutlich genug ausgesprochen.«

»Ausgesprochen!« rief Wilder erstaunt. »Am Ende hab‘ ich gar meine eigentliche Beichte in einem Augenblicke abgelegt, wo ich mich dessen am wenigsten versah.«

Antwort gab der Rover nicht; aber an dem vielsagenden Lächeln, das um seinen Mund spielte, konnte sein Gefährte nur zu deutlich erkennen, daß er durch eine ebenso verwegene als vollkommen gelungene Vermummung hintergangen worden war, und daß er in der Person des alten Matrosen Bob Bunt mit niemand anders, als mit seinem Kommandeur selbst verkehrt hatte. Das Benehmen Jorams und das rätselhafte Verschwinden des Nachens waren ihm jetzt völlig klar. Tief bewegt, vielleicht weil er nun die Entdeckung machte, wie verwickelt die Schlingen waren, in die er sich gestürzt hatte, vielleicht auch aus Ärger, daß er sich so zum besten haben ließ, machte er in starken Schritten einige Gänge quer über das Deck, ehe er antwortete:

»Ich hab‘ mich hintergehen lassen, ich geb‘ es zu, und unterwerfe mich von nun an einem Meister, von dem man wohl vieles lernen, den man aber nie übertreffen kann. Aber der Wirt zum › Unklaren Anker‹, der hat doch wenigstens in eigener Person gehandelt, wer auch immer der alte Matrose gewesen sein mag?«

»Der ehrliche Joram! Fürwahr, ein Matrose in Not kann sich keinen nützlicheren Mann wünschen, das werden Sie nicht leugnen. Wie hat Ihnen denn der Newporter Lotse gefallen?«

»Auch der Ihr Geschäftsträger?«

»Nur zum Scherz, solchen Schurken vertraue ich von meinem Geheimnis nicht mehr, als sie etwa von selbst erraten können. Doch sachte! Hörten sie nichts?«

»Mich dünkt, ich hörte ein Tau im Wasser plätschern.«

»Ganz recht, so ist es. Nun werden sie sich überzeugen, wie durch und durch ich mich auf diese unruhigen Herren verstehe.«

Hier brach der Rover das seinem Gefährten immer interessanter werdende Gespräch kurz ab, ging leisen Schrittes nach dem Spiegel des Schiffes und lehnte sich einige Augenblicke einsam über die Galerie, wie einer, der ein Vergnügen daran findet, die dunkle Oberfläche des Meeres anzuschauen. Kaum indessen traf das Ohr seines Gesellschafters ein leises Geräusch von hin und her bewegten Tauen, so kam er heran und stellte sich neben ihn, wo er bald noch mehr Beweise erhalten sollte, wie fein der Kommandeur sowohl ihn, als die übrige Schiffsbemannung zu überlisten verstand.

Ein Mann bewegte sich äußerst behutsam und nicht ohne Schwierigkeit von der Stelle, wo er sich befand, um die Schiffsviering herum. Er erreichte auch seinen Zweck, indem er sich teils mit Tauen, teils mit einigen Mallen vorwärts half, bis er an eine vom Hinterschiff herabhängende Strickleiter gelangte. – Auf einer ihrer Sprossen schwebend, stierte er nach den herüberlehnenden, ihm zusehenden Gestalten, sich offenbar anstrengend, auszufinden, wer von beiden das Individuum wäre, das er suchte.

Der Rover berührte Wilder leise mit der Hand, um ihm zu verstehen zu geben, daß er jetzt aufmerken sollte, und sprach dann flüsternd hinab: »Bist du da, Davis? Ich fürchte, man hat dich gesehen, oder doch gehört.«

»Nichts zu befürchten, Ew. Gnaden. Ich schlüpfte zum Schottengat der Kajüte hinaus; die ganze Hinterwacht schläft so tief, als wenn sie die Wache im Raum unten hätte.«

»Gut. Was für Nachricht bringst du von den Leuten?«

»Traun, Ew. Gnaden dürfen ihnen befehlen, in die Kirche zu gehen, und der derbste Seehund unter ihnen würde nicht Herz genug haben, einzuwenden, er könne sein Gebet nicht mehr auswendig.«

»Glaubst du, sie seien jetzt in besserer Stimmung als vorher?«

»Ich weiß es, Sir. Nicht daß einem oder zweien von den Leuten der gute Wille zur Unordnung fehlte; aber sie wagen es nicht, einander zu trauen. Ew. Gnaden haben so was Gewinnendes an sich, daß einer nie weiß, ob er sich auf sicherem Boden befindet, wenn er sich’s beikommen ließe, sich zum Herrn aufzuwerfen.«

»Ja, ja, das sieht dem Charakter von Empörung ähnlich genug«, brummte der Rover, so daß ihn nur Wilder hören konnte. »Gerade dazu, daß einer des andern Zutrauen genieße, fehlt ihnen ein bißchen mehr Ehrlichkeit, als sie besitzen. (Laut:) Und wie haben die Kerle meine Gnade aufgenommen? War’s wohlgetan, oder muß der Morgen auch seine Strafe mit sich bringen?«

»Lassen Sie es beim jetzigen Stand der Dinge sein Bewenden haben, Sir. Die Leute kennen das gute Gedächtnis einer gewissen Person und sprechen schon von der Gefahr, noch ein Ditto zu der Rechnung hinzuzufügen, von der sie recht gut wissen, daß Ew. Gnaden sie sich angeschrieben haben. Da ist der Vordermann des Backs, der wie gewöhnlich etwas sauer tut, und bei dieser Gelegenheit um so mehr, wegen des Andenkens an die betäubende Faust des Negers.«

»Ich weiß schon, der ist stets ein Störenfried; ich werde mit dem Schurken doch endlich einen Abrechnungstag halten müssen.«

»Das wird nicht schwer sein! Sie verwenden ihn auf irgendeinen Dienst im Boote, Sir: die Schiffsmannschaft wird sich desto wohler fühlen, wenn er aus dem Wege ist.«

»Schon gut; nichts weiter von ihm«, unterbrach ihn der Korsar mit einiger Ungeduld, wahrscheinlich, weil er nicht wünschte, daß sein Gefährte auf dieser frühen Stufe seiner Einweihung schon einen so tiefen Blick in seine Regierungsweise tun sollte.

»Ich werde schon sorgen für ihn, aber du selbst, Kerl! – Irre ich nicht, so hast du deine Rolle heute ein wenig zu gut gespielt, und zeigtest dich etwas zu bereitwillig, die Matrosen anzuführen.«

»Ich hoffe, Ew. Gnaden werden sich erinnern, daß die Bootsmannspfeife einmal die Mannschaft zum Unheil kommandiert hatte; zudem konnte es nicht viel schaden, einigen Marinesoldaten den Puder von den Köpfen zu waschen.«

»Schon gut, aber du setztest das Spiel fort, nachdem dein Offizier für gut gefunden hatte, sich dazwischen zu legen. Nimm dich in acht, daß du in Zukunft deine Rolle nicht mit so vieler Natur und Wahrheit spielst, sonst dürfte der Beifall nicht minder wahr und natürlich sein!«

Der Kerl versprach Vorsicht und Besserung, worauf er seine Belohnung in Gold erhielt, und mit der Einschärfung strenger Verschwiegenheit entlassen wurde. Kaum war diese Zusammenkunft vorüber, so versicherte sich der Kapitän zunächst, daß kein Unberufener, der sich in seine heimliche Verbindung mit dem Spion einstehlen könnte, in der Nähe weilte, und setzte dann sein Auf- und Abgehen mit Wilder fort. Nach einer langen, gedankenvollen und tiefen Stille fing er wieder an:

»In einem Schiffe wie dieses sind feine Ohren fast ebenso wichtig als ein unerschrockenes Herz. Die Schufte im Vorderraum dürfen nicht von dem Baum der Erkenntnis kosten, auf daß wir, die wir in den Kajüten sind, nicht sterben mögen.«

»Es ist doch ein gefahrvoller Dienst, den wir übernommen haben«, bemerkte Wilder, seinen geheimen Gedanken unwillkürlich freien Lauf gebend.

Der Rover schwieg. Lange ging er hin und her auf dem Deck, ehe er sprach, und als er es tat, war es mit einer Stimme, so einschmeichelnd weich und sanft, daß seine Worte mehr den ermahnenden Tönen eines besonnenen Freundes glichen, als der Sprache eines Mannes, der lange der Gefährte von Wesen war, so rauh und grundsatzlos wie die, von denen man ihn jetzt umgeben sah.

»Sie sind noch an der Türschwelle Ihres Lebens, Herr Wilder; ganz liegt es vor Ihnen und ladet Sie ein, zu wählen, welchen Pfad Sie betreten wollen. Noch sind Sie von keinem Auftritte Zeuge gewesen, der eine Verletzung dessen genannt werden könnte, was die Welt ihre Gesetze nennt; und es ist noch nicht zu spät zu sagen, daß Sie es nie sein werden. Mich hat vielleicht bei meinem Wunsche, Sie zu gewinnen, die Selbstsucht regiert; doch stellen Sie mich auf die Probe, Sie werden finden, daß diese Leidenschaft zwar oft tätig, aber nie in meinem Geiste herrschend wird, noch werden kann. Sie dürfen nur Ihren Wunsch, frei zu sein, ausdrücken, und Sie sind es; leicht lassen sich die geringen Spuren, daß Sie zu meiner Mannschaft je gehört haben, vertilgen. Sehen Sie den blassen Lichtstreifen dort, unweit davon ist Land; ehe noch die morgende Sonne untergeht, können Sie es betreten.«

»Ach, warum nicht auch Sie? Ist dies regellose Treiben für mich ein Übel, so ist es nicht minder eines für Sie. Dürfte ich der Hoffnung …«

Er stockte. Der Rover schwieg lange, so daß er sich überzeugen konnte, sein Gefährte nehme Anstand, fortzufahren; endlich fragte er ruhig:

»Was wollten Sie sagen? Sprechen Sie frei, Sie reden mit einem Freunde.«

»So will ich mich Ihnen denn wie einem Busenfreunde eröffnen. Sie sagen, das Land sei dort im Westen nahe. Beide zur See erzogen, würde es Ihnen und mir ein leichtes sein, dies Boot ins Wasser zu lassen und, indem wir uns die Dunkelheit zunutze machten, wären wir, lange ehe unsere Abwesenheit kund würde, den Augen der uns Suchenden entschwunden.«

»Nach welcher Gegend möchten Sie zusteuern?«

»Nach den Küsten Amerikas, wo Obdach und Friede in tausend verborgenen Orten zu finden sind.«

»Können Sie wollen, daß ein Mann, der solange als Fürst unter seinen Leuten lebte, Bettler in einem Lande von Fremdlingen werde?«

»Sie haben ja Gold. Sind wir nicht die Herren hier? Wer mag es wagen, unser Tun auch nur mit einem beobachtenden Auge zu verfolgen, bis es uns gefällt, von selbst die Autorität, womit wir bekleidet sind, von uns abzuwerfen? Noch ehe die Mitternachtswache abgelöst ist, könnte alles geschehen sein.«

» Allein? Wünschen Sie, daß wir allein gehen?«

»Nein … nicht ganz … das heißt … es würde uns, als Männern, kaum ziemen, die Damen der rohen Macht derer preiszugeben, die wir hier zurücklassen.«

»Und würde es uns, als Männern, ziemen, die ihrem Schicksale preiszugeben, die in unsere Treue ihre Zuversicht setzen? Herr Wilder, Ihr Plan würde mich zu einem Niederträchtigen machen! Gesetzlos, in der Meinung der Welt wenigstens, bin ich schon lange; aber ein Verräter an meiner Treue und meinem gegebenen Worte war ich nie! Wohl wird einst die Stunde schlagen, wo die Menschen, deren ganze Welt jetzt von diesem Schiffe umschlossen ist, auseinandergehen; allein die Trennung muß offen, freiwillig, manneswürdig sein. – Haben Sie nie erfahren, was mich damals, als wir uns im Leben das erstemal in der Stadt Boston trafen, nach dem Aufenthalt der Menschen hinzog?«

»Nie«, erwiderte Wilder in dem wehmütigen Tone gänzlich getäuschter Hoffnung.

»So hören Sie. Ein handfester Kerl von meinen Leuten war von den Handlangern des Gesetzes erwischt worden. Gerettet sollte und mußte er werden. Es war ein Mann, den ich nicht besonders liebte, allein er war zu jeder Zeit ehrlich, nach seinen Begriffen von Ehrlichkeit. Ich konnte das Opfer nicht verlassen, und doch war außer mir keiner imstande, seine Rettung zu bewirken. Dem Golde und der List blieb der Sieg; und nun erfüllt der Kerl hier am Bord die Ohren der Mannschaft mir Gesängen, Psalmen und Hymnen zum Lobe und Preise seines Kommandeurs. Soll ich mir nun den Verlust eines mit so vielem Wagnis errungenen guten Namens zuziehen?«

»Sie würden die gute Meinung von Spitzbuben verlieren, und dafür den Gewinn eines guten Rufes bei Menschen eintauschen, deren Lob eine Ehre ist.«

»Das weiß ich nicht. Sie verstehen sich wenig auf die Menschennatur, wenn Sie jetzt erst lernen müssen, daß, wer sich einmal Berühmtheit erworben hat, sei’s auch durch lasterhafte Taten, seinen Stolz darein setzt, den so erworbenen Ruf aufrecht zu halten. Übrigens passe ich nicht zu der Welt, wie sie zwischen unterjochten Kolonisten gestaltet ist.«

»Sie sind vielleicht stolz auf Ihre Geburt im Mutterlande?«

»Ich bin nur ein armer Teufel aus der Provinz, Sir! Ein demütiger Satellit der mächtigen Sonne. Sie haben meine Flaggen gesehen, Herr Wilder: – eine einzige fehlte darunter; ach, diese eine, existierte sie, so wäre es mein Stolz, mein Ruhm gewesen, sie mit meinem besten Herzblute zu verteidigen.«

»Ich kann Ihren Sinn nicht erraten.«

»Ich darf einem Seemann wie Ihnen, nicht erst sagen, wieviel herrliche Ströme längs der Küste, von der wir gesprochen haben, ihre Gewässer der See entgegenführen – wieviel weite und bequeme Hafen sie besitzt – oder wieviel Segel den Ozean beglänzen, bemannt von Leuten, die das Licht der Welt zuerst in jenem geräumigen und friedlichen Lande erblickten.«

»Wohl kenne ich die Vorzüge meines Heimatlandes.«

»Ich fürchte, nein!« erwiderte hastig der Freibeuter. »Kennten Sie und andere, die Ihnen gleichen, jene Vorzüge, wie Sie es sollten, so würde die Flagge, die ich meine, bald auf jedem Meere anzutreffen sein, und unsere Landsleute nicht den Mietlingen eines ausländischen Fürsten unterliegen dürfen.«

»Ich will mich nicht stellen, als verstände ich Sie nicht; denn ich kenne mehrere Enthusiasten, die wie Sie der Schimäre nachhangen, daß ein solches Ereignis möglich wäre.«

»Möglich! So gewiß, als sich jener Stern dort in den Ozean senkt, so gewiß der Tag auf die Nacht folgt, es ist notwendig. O, hätte jene Flagge geweht, Herr Wilder, kein Mensch würde je den Namen des roten Freibeuters gehört haben.«

»Der König hat ja auch eine Flotte, und der Dienst darin steht jedem seiner Untertanen gleich offen.«

»Ja, ich konnte der Untertan eines Königs sein; aber Untertan eines Untertans, Wilder, das geht über die Grenzen meiner armen Geduld. Ich bin in einem seiner Schiffe erzogen, ich darf fast sagen, geboren; wie oft mußte ich mit blutendem Herzen fühlen, daß ein Ozean mein Geburtsland vom Schemel seines Thrones trennt! Werden Sie es glauben, Sir, einer seiner Kommandeurs wagte es, den Namen meines Vaterlandes mit einem Titel zu verbinden, den ich nicht wiederholen mag, um Ihr Ohr nicht zu verletzen!«

»Ich hoffe, Sie lehrten den Schurken Lebensart.«

Der Rover blickte seinen Gefährten starr an, ein fürchterliches Lächeln durchzuckte seine sprechenden Züge, als er antwortete:

»Nie wiederholte er die Beleidigung! Es galt sein Blut oder meins; er hat seine Roheit teuer bezahlt.«

»Ihr fochtet wie Männer, und das Glück war dem beleidigten Teile günstig, nicht wahr?«

»Wir fochten, Sir. – Allein ich hatte mich erkühnt, die Hand gegen einen Eingeborenen der heiligen Insel zu erheben! – Es ist genug, Herr Wilder; der König brachte einen treuen Untertan zur Verzweiflung, und er hat vielleicht Ursache gehabt, es zu bereuen. Genug für jetzt; ein anderes Mal vielleicht mehr. Gute Nacht!«

Wilder sah seinen Kommandeur die Leiter hinabsteigen zur Schanze; und nun war er allein, und konnte seinen Gedanken während einer Wache, die seiner Ungeduld endlos vorkam, freien Lauf lassen.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Wenn auch die meisten von der Mannschaft des Delphin teils in ihren Hängematten, teils zwischen den Kanonen in tiefen Schlaf versunken lagen, so gab es doch in einem andern Teile des Fahrzeugs glänzende Augen, die sich vor Angst nicht schließen wollten. Der rote Freibeuter hatte den Damen gleich bei ihrer Aufnahme ins Schiff seine eigene Kajüte abgetreten; dort saßen sie in ernstem Gespräche beisammen.

Von der Lampe aus geschlagenem, massivem Silber, die von der Decke herabhing, fiel ein schiefer Strahl des milden, weichen Lichtes auf das schmerzlich sinnende Antlitz der Erzieherin; ein hellerer umglänzte das blühende und frische Gesicht ihrer Gefährtin, das aber nicht soviel Ausdruck hatte, weil sie weniger in Gedanken versunken war. Den schattigen Hintergrund des Gemäldes bildete die schwärzliche Gestalt der schlummernden Kassandra.

»Ich bleibe dabei, teuerste Madame, daß sowohl die Fasson dieser Verzierungen als der Stoff, aus dem sie bestehen, etwas Außergewöhnliches in einem Schiffe sind.«

»Und was schließen Sie daraus?«

»Ich weiß nicht, aber ich wünschte, wir wären wohlbehalten im Hause meines Vaters.«

»Gott gebe es! Es wäre unklug, länger zu schweigen… Gertraud, alles, wovon wir heute Zeuge waren, hat mein Gemüt mit fürchterlichem, entsetzlichem Verdacht erfüllt.«

Das Mädchen erbleichte, während jeder ängstliche Zug in ihrem Antlitz um eine nähere Erklärung zu bitten schien.

»Ich war lange genug auf einem Kriegsschiffe, um mit den Schiffsgebräuchen vertraut zu sein,« fuhr die Gouvernante fort, die eine so lange Pause gemacht hatte, um sich selbst erst alle Gründe ihres Verdachtes klar werden zu lassen; »allein niemals sah ich Sitten, wie sie sich in diesem Schiffe von Stunde zu Stunde deutlicher entwickeln.«

»Aber was für einen Verdacht haben Sie in Hinsicht des Schiffes?«

Der Blick tiefer, zunehmender mütterlicher Angst, den die liebenswürdige Fragestellerin als Antwort erhielt, würde genügt haben, um eine andere, die mehr als dies reine Wesen gewohnt gewesen wäre, über die Verderbtheiten der menschlichen Natur nachzudenken, mit einer bestimmten Ahnung zu erfüllen; Gertrauden jedoch gab der Blick nur den allgemeinen Begriff von unbestimmter Gefahr.

»Warum sehen Sie mich so an, meine Erzieherin – meine Mutter?« rief sie, indem sie sich vorwärtsbeugte und mit einer bittenden Miene ihre Hand auf den Arm der Wyllys legte, als wollte sie diese aus einer Verzückung zurückrufen.

»Ja, ich will mein Schweigen brechen: besser ist’s, Sie wissen das Ärgste, als daß Sie bei Ihrer schuldlosen Unbefangenheit der Täuschung ausgesetzt bleiben. Ich traue dem Gewerbe dieses Schiffes nicht, und ebensowenig dem Charakter aller, die dazu gehören.«

» Aller?«

»Ja, aller.«

»Es kann freilich böse und mißwollende Menschen in der königlichen Flotte geben, aber sie dürfen uns gewiß nichts zuleide tun; die Furcht vor der Strafe, wenn nicht die Furcht vor Entehrung, wird uns schützen.«

»Ich fürchte, die unbändigen Gemüter, die dieses Schiff hegt, unterwerfen sich nur den Gesetzen, die sie sich selber machen, und erkennen keine fremde Autoritär an.«

»Dann wären sie ja Seeräuber!«

»Und daß sie Seeräuber sind, fürchte ich, werden wir erfahren.«

»Seeräuber? Wie? Alle?«

»Nicht anders, alle. Wo einer eines solchen Verbrechens schuldig ist, können seine Gefährten unmöglich unverdächtig sein.«

»Aber, teuerste Wyllys, wir wissen ja doch, daß wenigstens einer darunter unschuldig ist; da er mit uns ins Schiff gekommen ist, und noch dazu unter Umständen, die gar keinen Trug zulassen.«

»Ich bezweifle es. Es gibt verschiedene Grade von Verworfenheit, so wie die davon befleckten Gemüter verschieden sind; aber ich fürchte, alle, die auf Ehrlichkeit in diesem Schiffe Anspruch machen können, befinden sich in dieser Kajüte versammelt.«

Hier sank der Blick des Mädchens auf den Boden, und ihre Lippen bebten, teils unwillkürlich und daher unwiderstehlich, teils vielleicht aus einer innern, ihr selbst unerklärbaren Bewegung. Mit unterdrückter Stimme sagte sie:

»Wie gegründet auch Ihr Verdacht gegen alle übrigen sein mag, so glaub‘ ich doch, daß Sie unserem gewesenen Begleiter unrecht tun; wir wissen ja, woher er kommt.«

»Es kann sein, daß ich in Beziehung auf ihn irre; doch ist es wichtig, daß wir uns auf das ärgste bereit halten. Fassen Sie sich, Liebe; unser Diener kommt heraus, vielleicht kommen wir durch seine Mitteilungen der Wahrheit näher.«

Hier gab Mistreß Wyllys ihrer Schülerin noch ein ausdrucksvolles Zeichen, eine ruhige Miene anzunehmen, und ging ihr mit dem Beispiel voran, indem ihr Ansehen wieder jene gewohnte sinnende Gelassenheit gewann, die selbst von einem weit erfahreneren Wesen als der Knabe, der jetzt langsam in die Kajüte trat, allen Verdacht ferngehalten hätte. Gertraud verhüllte das Gesicht in ihr Gewand, während Wyllys den Knaben mit einer Stimme anredete, die von Güte und inniger Teilnahme zeugte:

»Roderich, mein Kind, deine Augenlider werden schon schwer. Du bist gewiß noch nicht an den Schiffsdienst gewöhnt?«

»Gewöhnt genug, um nicht einzuschlafen, solang‘ ich auf meinem Posten bin«, erwiderte ruhig der Knabe.

»Für ein Kind in deinen Jahren würde eine sorgsame Mutter besser passen, als die Schule eines Bootsmanns. Wie alt bist du, Roderich?«

»Für meine Jahre könnte ich immer weiser und besser sein«, antwortete er, und ein leiser Zug der Schwermut umdüsterte seine Stirn. »Im nächsten Monat bin ich zwanzig Jahre alt.«

»Zwanzig! Du hast meine Neugier zum besten, junger Schelm.«

»Sagte ich zwanzig, Madame? Fünfzehn würde der Wahrheit näher sein.«

»Das glaub‘ ich auch. Und wieviele von diesen Jahren hast du zu Wasser zugebracht?«

»Eigentlich nur zwei, ob es mir zuweilen auch vorkommt, als wären es zehn; dennoch gibt es auch wieder Stunden, wo sie mir nur ein einziger Tag scheinen.«

»Du schwärmst früh genug, Knabe. Und wie gefällt dir das Kriegshandwerk?«

»Kriegshandwerk!«

»Allerdings. Ich spreche doch deutlich. Wer in einem Fahrzeug dient, das ausdrücklich auf Schlachten berechnet ist, folgt doch wahrlich dem Kriegshandwerk.«

»Ach so! Ja; der Krieg ist allerdings unser Handwerk.«

»Und hast du schon etwas von seinen Schrecken gesehen? War dieses Schiff schon in einem Gefecht, seit du daraus dienst?«

»Dieses Schiff?«

»Nun ja, dieses Schiff; hast du denn schon in einem andern gedient?«

»Niemals.«

»Nun, so kann auch meine Frage nur auf dieses Schiff Bezug haben. Nicht wahr, Prisengelder werden recht oft unter die Mannschaft verteilt?«

»Sehr oft: sie leiden nie Mangel.«

»Dann ist der Kapitän und das Schiff bei den Leuten beliebt; der Matrose pflegt immer das Fahrzeug und den Befehlshaber zu lieben, wo er ein rührig Leben findet.«

»Ganz recht, Madame, wir führen ein rühriges Leben hier. Und es gibt auch einige unter uns, denen das Schiff und der Befehlshaber lieb sind.«

»Und hast du eine Mutter oder sonst Verwandte, denen deine Gage zugute kommt?«

»Habe ich …«

Der Ton von Betäubung, in dem der Knabe ihre Fragen beantwortete, fiel hier der Gouvernante auf, daher wandte sie sich und überflog mit einem schnellen Blick sein Gesicht, um dessen Ausdruck zu lesen. In einer Art von Besinnungslosigkeit stand der Knabe da, und obgleich er sie anzuschauen schien, so war sein Auge doch zu stier, als daß man hätte glauben können, er sähe wirklich den Gegenstand, auf den er blickte.

»Sag‘ mir doch, Roderich,« fuhr sie fort, behutsam jede Anspielung auf seinen Zustand, die seine Empfindlichkeit hätte reizen können, vermeidend, »sag‘ mir doch, wie findest du denn diese Lebensweise? Nicht wahr, recht lustig?«

»Ich finde sie traurig.«

»Seltsam. Die jungen Schiffsknaben gehören doch sonst immer zu den lustigen Sterblichen. Dein Offizier behandelt dich wahrscheinlich sehr strenge.«

Keine Antwort.

»Ich hab’s getroffen: dein Kapitän ist ein Tyrann.«

»Sie irren; nie hat er ein hartes, ungütiges Wort zu mir gesprochen.«

»Ach, er ist also sanft und gütig. Du bist sehr glücklich, Roderich.«

»Ich … glücklich, Madame?«

»Sprech‘ ich denn nicht deutlich? Ja, glücklich.«

»Ach so! Ja; wir sind alle sehr glücklich hier.«

»Das ist schön. Ein Schiff voller Unzufriedenen ist kein Paradies. Und dann befindet ihr euch auch wohl oft an Hafenorten, Roderich, um die Annehmlichkeiten des festen Landes zu genießen.«

»Ich würde mich wenig um das feste Land kümmern, wenn ich nur im Schiff Freunde hätte, die mich liebten.«

»Und hast du denn keine? Ist Herr Wilder nicht dein Freund?«

»Ich kenne ihn nur wenig; ich sah ihn nie früher, als …«

»Als, Roderich?«

»Als damals, wo ich ihn in Newport traf.«

»In Newport?«

»Nun ja; wissen Sie denn nicht, daß wir beide zuletzt von Newport kamen?«

»Ach ja, ich verstehe schon. Zu Newport machtest du also die Bekanntschaft des Herrn Wilder? Gewiß als euer Schiff im Angesicht des dortigen Hafens lag?«

»Wohl. Ich brachte ihm ja den Befehl, daß er das Kommando des Bristoler Kauffahrteischiffs übernehmen sollte, und den Abend vorher war er das allererstemal bei uns.«

»Erst? Das war freilich eine sehr junge Bekanntschaft. Aber dein Kommandeur, denk‘ ich, kannte seine Verdienste?«

»Die Mannschaft hofft es. Doch …«

»Was wolltest du sagen, Roderich?«

»Keiner an Bord darf sich herausnehmen, den Kapitän nach seinen Ursachen zu fragen. Sogar ich muß verstummen.«

» Sogar du!« rief Mistreß Wyllys mit einem Erstaunen aus, das auf einen Augenblick ihre Zurückhaltung besiegte. Allein der Knabe war so sehr in Gedanken versunken, daß er den plötzlichen Wechsel in ihrem Tone nicht bemerkte. Ja, er hatte so wenig Bewußtsein von dem, was um ihn vorging, daß die Gouvernante, ohne im mindesten zu befürchten, er könne es gewahr werden, Gertraud bei der Hand faßte, und schweigend auf die besinnungslose Gestalt des Knaben hinwies.

»Was meinst du, Roderich, würde er auch uns eine Antwort verweigern?«

Der Knabe schrak auf: und sowie sein Blick auf das sanfte, sprechende Antlitz Gertrauds fiel, blitzte auch das Bewußtsein wieder durch seine Seele, und er antwortete feurig:

»Ob sie auch von seltener Schönheit ist, so überschätze sie diese nicht. Kein Weib vermag es, sein Gemüt zu zähmen.«

»Ist er denn so harten Herzens? Glaubst du, daß eine Frage von dieser Schönen keine Rücksicht bei ihm finden werde?«

Mit ebenso vielem Ernst als Weichheit und Trauer in der Stimme antwortete er: »Hören Sie mich, Dame. Meine letzten zwei Jahre sind so angefüllt mit Erfahrungen, ich hab‘ soviel währenddem gesehen, daß mancher Jüngling wohl zwischen seinen Kinder- und Mannesjahren nicht mehr sehen und erfahren kann. Dies ist kein Ort für Unschuld und Schönheit. O, verlassen Sie das Schiff, selbst wenn Sie es mit dem Zustande vertauschen sollten, in dem Sie sich bei Ihrer Ankunft befanden, ohne ein Verdeck, unter dem Sie das Haupt zur Ruhe legen können!«

»Leicht dürfte es zu spät sein, diesem Rat zu folgen«, erwiderte tiefsinnig Mistreß Wyllys, indem sie einen Blick auf die schweigende Gertraud warf. »Doch sag‘ mir mehr von diesem außerordentlichen Schiffe. Roderich, du bist nicht geboren, um eine solche Stelle, wie deine jetzige, zu bekleiden.«

Der Knabe schüttelte den Kopf, hob aber die Augen nicht vom Boden, offenbar abgeneigt, mehr über diesen Punkt zu antworten.

»Wie kommt es, daß der Delphin jeden Tag eine andere Flagge führt? Und warum ist das Schiff seit mehreren Tagen ganz anders bemalt, so daß es dem Sklavenhändler von Newport gar nicht mehr ähnlich sieht.«

»Und warum«, erwiderte der Knabe mit einem halb traurigen, halb bittern Lächeln, »kann niemand in das Interesse dessen hineinschauen, der diese Veränderungen ganz nach eigenem Willen vornimmt? Wenn sich im Schiffe weiter nichts veränderte als die Farben, so ließe sich noch immer glücklich darin leben!«

»So bist du also nicht glücklich, Roderich? Soll ich Kapitän Heidegger für dich bitten, daß er dir deine Entlassung gebe?«

»Ich kann nicht wünschen, je einem andern zu dienen.«

»Wie! Du klagst, und doch liebst du deine Fesseln?«

»Ich klage nicht.«

Die Gouvernante betrachtete ihn scharf; nach einer kleinen Pause fuhr sie fort: »Fallen solche aufrührerische Auftritte, wie der, den wir heute gesehen haben, öfter unter den Leuten dieses Schiffes vor?«

»O nein. Sie haben von den Leuten nur wenig zu besorgen; der sie zur Ordnung zurückbrachte, versteht sich schon drauf, sie zu bändigen.«

»Sind sie denn nicht aus königlichen Befehl angeworben?«

»Auf königlichen? Jawohl, der ist wahrlich ein König, der keinen Höhern über sich hat.«

»Sie wagten’s aber doch, das Leben des Herrn Wilder zu bedrohen. Pflegen Matrosen in königlichem Dienste so frech zu sein?«

Der Knabe schoß einen Blick auf Mistreß Wyllys, der zu verstehen gab, daß er recht gut ihre Verstellung, als wäre sie mit dem Gewerbe des Schiffes unbekannt, durchschaue – aber er schwieg.

»Glaubst du, Roderich,« fuhr die Gouvernante fort, die es jetzt freilich für überflüssig hielt, ihre weiteren Fragen auf die bisherige verdeckte Weise zu tun – »glaubst du, Roderich, daß uns der – Frei… daß uns der Kapitän Heidegger erlauben würde, im ersten Hafen, der sich uns darbietet, zu landen?«

»Wir sind schon bei vielen vorübergefahren, seit Sie im Schiffe sind.«

»Wohl viele, allein es waren vielleicht solche, denen sich der Kapitän nicht gerne nähern mochte; wie aber, wenn wir einen Hafen erreichen, in den sein Schiff ohne Gefahr einlaufen kann?«

»Solcher Orte sind nicht viele.«

»Aber wenn ein solcher Ort kommt, glaubst du nicht, daß er uns erlauben wird, zu landen? Wir haben Gold, ihn für seine Mühe zu lohnen.«

»Er macht sich nichts aus Gold. Er gibt mir immer eine Handvoll, wenn ich von ihm was verlange.«

»Dann bist du ja aber glücklich. Überfluß an Gold entschädigt doch wohl für einen kalten Blick, den man dann und wann erhält.«

»Nie!« erwiderte der Knabe schnell und ausdrucksvoll. »Hätte ich ein ganzes Schiff voll von diesem Staube, ganz gäbe ich es dahin, um seinem Auge einen einzigen gütigen Blick damit zu entlocken.«

Das Feuer in der Sprache des Knaben erregte die höchste Aufmerksamkeit der Mistreß Wyllys. Sie stand auf, näherte sich ihm von der Seite, wo das Licht der Lampe voll auf seine Züge fiel, und sah den großen Tropfen, der unter den langen, seidenen Augenwimpern hervorbrach, herabrollen über eine Wange, von der Sonne zwar gebräunt, die aber nun, vom durchdringenden Blick der Dame getroffen, in ein immer tiefer werdendes Rot aufglühte; langsam und scharf ließ nun die Gouvernante das Auge an der Gestalt des Knaben hinabgleiten bis zu dessen zarten Füßen, die kaum groß genug schienen, ihn zu tragen. – Das Sinnende und Gütige, der gewöhnliche Zug im Gesicht der Gouvernante, machte hier einem Blicke kalter, fremder Achtung Platz, und ihre ganze Gestalt schien erhabener, als sie streng und mit der keuschen Würde einer Matrone fragte:

»Knabe, hast du eine Mutter?«

»Ich weiß nicht«, war die halberstickte Antwort aus kaum sich trennenden Lippen.

»Genug; ein andermal sprech‘ ich mehr mit dir. Kassandra wird künftig den Dienst in der Kajüte verrichten; wenn ich deiner bedarf, werde ich den Gong anschlagen.«

Roderich ließ das Haupt fast auf die Brust sinken, so wenig konnte er das kalte, prüfende Auge der Matrone ertragen, das seine Gestalt verfolgte, bis sie in der Luke untertauchte. Kaum war der Knabe verschwunden, als Frau Wyllys auf Gertraud zueilte, sie umarmte und das erschreckte Mädchen mit einem Feuer an ihr Herz drückte, das deutlich zeigte, wie bekümmert sie in diesem schrecklichen Augenblicke um ihren geliebten Pflegling war.

Wieviel Stoff zum Nachdenken indessen beide auch haben mochten, so blieb ihnen doch keine Zeit zum Austausch ihrer Ideen, denn es klopfte sanft an die Tür, die Gouvernante gab die übliche Antwort, und der Rover trat in die Kajüte.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Der Zwang, womit die Damen ihren Besuch empfingen, erschien nach dem soeben stattgefundenen Gespräch sehr natürlich. Gertraud fuhr plötzlich zusammen, ihre Erzieherin bewahrte jedoch die Unbefangenheit ihrer Miene mit größerer Fassung, obgleich der forschende Blick, den sie auf den Ankömmling warf, als wolle sie schon in seinen Zügen den Zweck dieses Besuches lesen, ängstliche Besorgnis ausdrückte.

Das Antlitz des Korsaren selbst war gedankenvoll bis zum Tiefsinn. Als er in den Bereich des Lampenscheins trat, verbeugte er sich, einige leise rasche Silben mehr vor sich hin murmelnd als sprechend, so daß sie von den Damen nicht verstanden werden konnten. In der Tat war die Geistesabwesenheit, in die er versunken war, so groß, daß er offenbar nahe daran war, sich auf den leeren Diwan ohne weitere Erklärung oder Entschuldigung hinzuwerfen, wie jemand, der von seinem Eigentume Besitz nimmt, und die Erinnerung kam gerade noch zeitig genug, um diese Verletzung des Anstandes zu verhindern. Lächelnd und sich noch tiefer verbeugend trat er jetzt mit vollkommener Selbstbeherrschung vor bis zum Tisch und drückte die Besorgnis aus, daß Mistreß Wyllys seinen Besuch ungelegen, wenigstens nicht mit gehöriger Zeremonie angekündigt, finden möchte. Seine Stimme bei dieser kurzen Einleitung war weich wie eine weibliche, und so sehr trug seine Miene das Gepräge der Höflichkeit, daß man zu glauben verführt war, er fühle sich wirklich unbescheiden, in die Kajüte eines Schiffes eingetreten zu sein, in dem er doch buchstäblich Alleinherrscher war.

»Wie unpassend auch die Stunde ist,« fuhr er fort, »so würde ich doch meine Hängematte mit dem Bewußtsein bestiegen haben, mangelhaft in der Pflichterfüllung eines höflichen und aufmerksamen Wirtes gewesen zu sein, wenn ich es unterlassen hätte, Sie vorher nochmals von der Wiederherstellung der Ruhe im Schiffe nach dem Auftritte, den Sie heute mit angesehen, zu versichern. Es macht mir Vergnügen, Ihnen sagen zu können, daß sich die Aufgeregtheit meiner Leute schon ganz gelegt hat; Schafe in ihren nächtlichen Hürden können nicht friedlicher sein, als sie in diesem Augenblick in ihren Matten.«

»Die Autorität, die so schnell die Unruhe dämpfte, ist, glücklich für uns, stets gegenwärtig, uns zu schützen,« erwiderte die vorsichtige Gouvernante, »wir vertrauen gänzlich Ihrer Klugheit und Ihrer Großmut.«

»Sie schenken Ihr Vertrauen keinem Unwürdigen. Gegen die Gefahr der Meuterei wenigstens sind Sie gesichert.«

»Wie gegen jede andere hoffentlich.«

»Wir wohnen auf einem wilden, unbeständigen Element,« antwortete er, den Sitz, zu dem ihn Mistreß Wyllys mit einer Bewegung der Hand einlud, nach einer dankenden Verbeugung einnehmend; »allein Sie sind damit schon vertraut und brauchen nicht erst unterrichtet zu werden, daß wir Matrosen selten Herren unserer Bewegungen sind. Wenn heute die Zügel der Mannszucht etwas lockerer gehalten wurden, so war es meine eigene Schuld,« fügte er nach einer augenblicklichen Pause hinzu, »ich lockte gewissermaßen den Aufruhr hervor, der darauf erfolgte; er ist jedoch vorüber wie der brausende Orkan, und der Ozean ist in diesem Augenblick nicht glatter als die Gemüter meiner Jungen.« »Ich war oft auf königlichen Schiffen Zeuge dieser rohen Spiele, erinnere mich aber nicht, daß jemals eine ernstere Folge daraus entstanden wäre, als etwa das Abmachen eines alten Grolls, oder irgendein toller Streich seemännischer Laune, der aber nicht minder harmlos als drollig war.«

»Richtig; allein das Schiff, das sich oft den Gefahren von Untiefen aussetzt, strandet zuletzt doch«, murmelte der Rover. »Selten gebe ich die Schanze den Leuten preis, ohne ein genaues Augenmerk auf ihre Launen zu haben, aber … heute …«

»Heute! Sie wollten etwas hinzufügen.«

»Neptun mit seinen großen Einfällen ist Ihnen kein Fremdling, Madame.«

»Nein, ich habe den Gott in früheren Zeiten schon gesehen.«

»So glaubte ich Sie verstanden zu haben – unter der Linie?«

»Und anderswo.«

»Anderswo!« wiederholte halb unwillig der Rover. »Ach ja, der barsche Despot ist in jeder See anzutreffen, und Hunderte von Schiffen, ja sogar von großen Schiffen, glühen unter den Windstillen des Äquators – es war töricht, an den Gegenstand länger zu denken.«

»Sie beliebten etwas zu sagen, allein ich habe Sie nicht verstanden.«

Der Rover schrak zusammen; denn er hatte die vorhergehenden Worte mehr vor sich hingemurmelt als gesprochen. Er warf einen hastigen, prüfenden Blick um sich her, gleichsam um gewiß zu sein, daß sich kein unberufener Horcher herangestohlen habe, sich der Geheimnisse seines Innern zu bemächtigen, das er selten seinen Schiffsgenossen zu erschließen für gut fand. Und nun war er auch schon wieder im Besitz besonnener Gelassenheit und setzte das Gespräch so unbefangen fort, als wenn es gar keine Unterbrechung erlitten hätte.

»Ja, mir war entfallen, daß Ihr Geschlecht ebenso furchtsam als schön ist,« sagte er und lächelte dabei so einnehmend sanft, daß die Erzieherin unwillkürlich einen besorgten Blick auf ihre Pflegebefohlene warf, »sonst würde ich mit meiner Versicherung, daß jeder Grund zur Furcht verschwunden sei, nicht solange verzogen haben.«

»Sie ist uns selbst jetzt noch willkommen.«

»Und Ihre junge, sanfte Freundin,« fuhr er fort, sich gegen das Mädchen verbeugend, während er seine Worte noch immer an die Gouvernante richtete, »hoffentlich wird ihr Schlummer wegen des Vorgefallenen nicht schwerer sein.«

»Der Unschuldige findet selten ein hartes Kissen.«

»Diese Wahrheit enthält ein heiliges, ein unerforschliches Geheimnis: Die Unschuldigen schlafen so ruhig! – Wollte Gott, auch die Schuldigen könnten irgendeinen Zufluchtsort gegen die Dolche ihrer Gedanken finden! Allein wir leben in einer Welt, in einer Zeit, wo keiner gegen den andern, ja, nicht gegen sich selbst sicher ist.«

Er schwieg und blickte mit einem so wild entstellenden Zug des Lächelns um sich her, daß die ängstliche Gouvernante unwillkürlich ihrer Schülerin näher rückte, gleichsam als wollte sie sie gegen das gewisse Vorhaben eines Wahnsinnigen schützen und wieder von ihr beschützt werden. Der Rover verharrte jedoch in einem so langen und tiefen Schweigen, daß sie endlich das Verwirrende dieser Lage durch eigenes Sprechen beseitigen zu müssen glaubte.

»Finden Sie Herrn Wilder ebenso zur Gnade geneigt, als Sie selbst sind? Seine Nachsicht würde um so verdienstvoller sein, als gerade er offenbar der besondere Gegenstand des Zorns der Meuterer war.«

»Dennoch war er nicht ohne seine Freunde. Haben Sie nicht bemerkt, wie innig ihm die beiden Leute anhängen, die ihm zu Hilfe eilten?«

»Allerdings; es ist erstaunlich, wie es ihm in so kurzer Zeit gelingen konnte, diese zwei rohen Naturen so ganz für sich zu gewinnen.«

»Vierundzwanzig Jahre sind freilich ein anderes, als die Bekanntschaft von einem Tage!«

»Und schreibt sich ihre Freundschaft von so früher Zeit her?«

»Ich habe sie diesen Zeitraum unter sich nennen hören. Nichts ist gewisser, als daß der Jüngling durch irgendein außerordentliches Band mit diesen seinen zwei niedrigen Gefährten zusammenhängt. Vielleicht war dies nicht der erste gute Dienst, den sie ihm geleistet haben.«

Schmerz trübte den Blick der Mistreß Wyllys. Wohl war sie darauf vorbereitet, Wilder für einen geheimen Verbündeten des Rover zu halten, doch hatte sie sich zu hoffen bemüht, daß seine Verbindung mit den Seeräubern aus Umständen erklärt werden könnte, die ein minder ungünstiges Licht auf seinen Charakter werfen würden. Wie groß auch sein Anteil an der gemeinschaftlichen Schuld derer sein mochte, die den Zufälligkeiten und Gefahren eines für vogelfrei erklärten Schiffes leichtsinnig ihr Schicksal anvertraut hatten; davon hatte sie sich überzeugt, sein Herz sei zu edel, um wünschen zu können, daß sie und das junge, arglose Mädchen der Willkür seiner Kameraden geopfert würden.

Nunmehr bedurften seine häufigen und geheimnisvollen Warnungen keiner Erklärung. In der Tat, alles was ihr bisher sowohl von ihrer früheren unbegreiflichen Ahnung, als von dem ungewöhnlichen Betragen der Genossen dieses Schiffes dunkel geblieben war, wurde mit jedem Augenblicke klarer. Die Rätsel lösten sich eines nach dem andern von selber auf. Jetzt brachte ihr auch die Person und das Gesicht des Rover die Erinnerung in die Gestalt und die Züge des Individuums zurück, das, in dem Tauwerk des Sklavenhändlers stehend, den vorübersegelnden Bristoler Kauffahrer begrüßt hatte – eine Gestalt, die sich unbegreiflicherweise seit ihrer Anwesenheit in seinem Schiffe ihrer Einbildungskraft immer von neuem aufdrängte, wie ein Bild aus trüber Ferne. Nun begriff sie mit einem Male, wie schwierig Wilders Lage war, da er ihren Bitten ein Geheimnis zu verbergen hatte, auf das nicht nur sein Leben stand, sondern auch die, für ein im Laster nicht verhärtetes Gemüt ebenso gefürchtete Strafe – der Verlust ihrer Achtung. Kurz, viele von den Rätseln, die unsern Lesern leicht zu entwirren wurden, lösten sich nun auch dem Verstande der Erzieherin, obgleich noch manche Dunkelheiten übrigblieben, die sie ebensowenig aufzuhellen, als von sich zu verbannen vermochte. Sie hatte Muße, alle diese Gedanken zu durchlaufen; denn ihr Gast oder Wirt, welche Bezeichnung nun auch die richtigere sein mochte, gab nicht die entfernteste Neigung zu erkennen, sie in ihrem kurzen, traurigen Nachsinnen zu unterbrechen.

»Wunderbar!« nahm sie endlich das Gespräch wieder auf, »daß eine Anhänglichkeit, wie sie sich gewöhnlich nur unter Menschen von Erziehung und Bildung zu zeigen pflegt, hier ihren Einfluß auf so rohe Wesen geltend macht.«

»Es ist wunderbar, wie Sie bemerken«, erwiderte der andere, gleich einem vom Traum Erwachenden. »Tausend der blanksten Guineen, die je aus der Münze Georgs des Zweiten gekommen sind, gäbe ich darum, könnte ich die Geheimgeschichte dieses Jünglings erfahren.«

Mit der Schnelle des Gedankens unterbrach hier Gertraud fragend das Gespräch: »Also ist er Ihnen fremd?«

Der Rover starrte sie an, mit einem Auge aber, das sich, je länger es schaute, in klareres Bewußtsein und in einen solchen Ausdruck auflöste, daß der Fuß der Gouvernante hörbar bebte, und nach und nach ihre ganze Gestalt.

»Wer mag von sich behaupten, das Menschenherz zu kennen!« antwortete er mit einer Kopfneigung, die zu sagen schien, daß die Angeredete zu einer viel tiefern Huldigung vollkommen berechtigt sei. »Alle sind uns fremd, bis wir ihr geheimstes Innere gelesen haben.«

»Die Geheimnisse der menschlichen Seele durchdringen können, ist ein nur wenigen vergönnter Vorzug«, bemerkte die Erzieherin. »Viele Erfahrungen und gründliche Kenntnis der Welt muß der besitzen, der sich über die Beweggründe seines Nebenmenschen ein Urteil erlauben darf.«

»Und doch ist’s eine angenehme Welt, es kommt nur darauf an, daß man den Mut habe, sie sich dazu zu machen«, rief der Rover; ein Gedankensprung, der seiner Unterhaltungsweise charakteristisch war. »Wer selbständig genug ist, ungeteilt der natürlichen Richtung seines Geistes zu folgen, findet nichts schwierig. Glauben Sie mir, das wahre Geheimnis des Weisen besteht nicht darin, die gegebene Lebenszeit zu verlängern, sondern sie wirklich zum Leben zu verwenden. Wer nach Vollgenuß im fünfzigsten Jahre stirbt, hat mehr und länger gelebt, als wer sich mühsam durch ein Jahrhundert schleppt, ohne es je gewagt zu haben, die Kapricen der Welt, diese schwere Bürde, von sich zu werfen, der nie ein lautes Wort sprach, weil ihn die Furcht, sein Nachbar könnte etwas an seinen Worten auszustellen finden, zum ewigen Flüstern verdammte.«

»Dennoch gibt es einige, die in der Ausübung der Tugend ihre Freude finden.«

»Die Worte lassen Ihrem Geschlechte gut«, antwortete er mit einer Miene, in der die scharfsinnige Frau die Zügellosigkeit des Freibeuters zu entdecken glaubte, und gern hätte sie ihren Besuch jetzt entlassen; allein ein gewisser Blitz in seinem Auge und die Fröhlichkeit, die er durch eine Art von unnatürlicher Anstrengung gewonnen hatte, erinnerte sie an die Gefahr, einen Menschen zu reizen, der kein anderes Gesetz als seinen Willen anerkannte. Daher suchte sie dem Gespräch geschickt eine andere Wendung zu geben; mit einem Tone und einer Weise, die, obgleich der Würde ihres Geschlechts nichts vergebend, doch von Strenge entfernt waren, zeigte sie auf verschiedene musikalische Instrumente hin, die einen Teil des seltsam zusammengesetzten Ameublements der Kajüte ausmachten, und sagte:

»Der, dessen Seele die Harmonie erweichen kann, dessen Gefühle dem Einfluß des Wohlklanges offen stehen, sollte von den Freuden der Tugend nicht geringschätzig sprechen. Diese Flöte und die Gitarre dort, beide erkennen Sie als Ihren Meister an.«

»Und wegen dieser Tändeleien, die um mich her liegen, sind Sie geneigt, mir die genannten Vollkommenheiten zuzutrauen! Dies ist wieder einer jener Mißgriffe, denen wir armselige Sterbliche bloßgestellt sind. Der Schein ist das Alltagsgewand der Ehrlichkeit. Ebensogut könnten Sie es mir zum Verdienst anrechnen, daß ich jeden Morgen und jeden Abend vor dem glänzenden Spielzeug dort hinknie!« Hier wies er auf das Kruzifix aus Brillanten, das an dem schon bezeichneten Orte über der Türe des Gemaches hing.

»Ich hoffe doch, daß Sie dem Wesen, an das jenes Bild erinnern soll, Ihre Huldigung nicht versagen. Im Stolze des Kraftbewußtseins und des Glücks kann der Mensch die Tröstungen, die eine stärkere Macht als seine einzuflößen vermag, verschmähen; wer aber ihren Wert am meisten in seinem Innern erfahren hat, wird auch am tiefsten von Anbetung und Dank gegen den Urheber alles Trostes durchdrungen sein.«

Sie hatte anfangs von ihrem Gesellschafter den Blick weggewendet; allein während ihrer Rede fiel ihr mildes, sinniges Auge allmählich wieder auf ihn. Ernst und tiefsinnig wie der ihrige war der Blick, dem sie begegnete. So leise, daß sie es kaum fühlte, berührte er ihren Arm mit dem Finger, indem er die Frage äußerte:

»Glauben Sie, es sei unsere Schuld, wenn der Zug unseres Temperamentes zum Bösen stärker ist als die Macht, ihm zu widerstehen?«

»Niemand strauchelt, als wer ohne höhern Beistand auf dem Pfade des Lebens zu wandeln versucht. Wird es Ihre männliche Würde beleidigen, wenn ich die Frage tue, ob Sie je sich mit Gott unterhalten?«

»Seit langer Zeit, Madame, ist dieser Name in meinem Schiffe nur gehört worden, um jenem niedrigen, profanen Gespötte, dem einfachere Rede nicht mehr pikant genug ist, eine Würze beizufügen. Aber in Wahrheit, sie, die ungekannte Gottheit, was ist sie mehr als das, was dem empfindsamen Menschen aus ihr zu machen beliebte?«

Mit einer so festen Stimme, daß selbst der, der solange an den Tumult und die großartigen Auftritte seines wilden Treibens gewöhnt war, bei den Tönen zusammenschrak, sprach sie: » Der Tor spricht in seinem Herzen: Es ist kein Gott. – Gürte deine Lenden wie ein Mann; ich will dich fragen, antworte mir: Wo warest du, als ich die Erde gründete: Sage mir’s, wenn du klug bist?«

Er blickte lange und stumm das hochgerötete Antlitz der Sprecherin an. Dann wandte er das Gesicht unwillkürlich seitwärts und brach in die Worte aus, die offenbar mehr ein Lautwerden seiner Gedanken, als eine Fortsetzung des Gespräches waren:

»Habe ich doch dies alles schon so oft gehört, und dennoch weht es jetzt meine Gefühle mit der Frische heimatlicher Lüfte an!« Hier erhob er sich, trat auf seine ruhige, würdevolle Gesellschafterin zu und sagte halb flüsternd: »Dame, sprich jene Worte noch einmal, verändere keine Silbe daran, und laß in allem die Betonung der Stimme dieselbe sein, ich bitte dich.«

Verwundert und innerlich erschrocken über dies Gesuch gewährte es Mistreß Wyllys, indem sie die geheiligte Sprache der gotterfüllten Propheten mit einem Feuer wiedergab, das seine Nahrung und Gewalt aus ihrem innersten Gefühle zog. Ihr Zuhörer lauschte wie ein verzücktes Wesen. Fast eine Minute stand er vor ihr, die so eindringlich für die Majestät Gottes gesprochen hatte, regungslos in Haltung und Blick, wie der Mast hinter ihm.

»Ja, das heißt mit einem einzigen großen Schritte wieder zum Pfad des Lebens zurückkehren«, sagte er und ließ seine Hand auf die seiner Gesellschafterin fallen. »Ich weiß es nicht, warum ein Puls, der sonst Zeit hält wie ein Hammer, jetzt so wild und unregelmäßig schlägt. O Dame, diese kleine, schwache Hand wäre stark genug, ein Gemüt zu leiten, das so oft schon Trotz geboten der Gewalt von…«

Plötzlich hielt er inne; denn als sein Auge bewußtlos der Richtung seiner Hand folgte, fiel es auf die zarte, aber nicht mehr ganz junge Hand der Erzieherin, und mit einem tiefen Seufzer, gleichsam als erwachte er von einer angenehmen, aber vollkommenen Täuschung, wendete er sich weg und ließ seine Rede unvollendet.

»Sie verlangten ja Musik!« rief er nachlässig. »So wollen wir denn Musik haben, und sollten wir dem Gong die Sinfonie entlocken!«

Hierbei schlug er dreimal an die chinesische Glocke, so rasch hintereinander und so heftig, daß der dröhnende Widerhall des Metalls alle andern Wahrnehmungen der Sinne verwirrte. Wie tief es auch die Gouvernante kränkte, teils daß er sich so schnell dem Einfluß entzog, den sie bis zu einem gewissen Grade über ihn gewonnen hatte, teils daß er es wieder für gut befand, sie mit so wenigen Umständen seine Unabhängigkeit fühlen zu lassen, so vergaß sie doch nicht, daß ihr die Notwendigkeit die Verheimlichung ihrer Gefühle zur Pflicht machte. Als die betäubenden Töne verklungen waren, sagte sie: »Gewiß, dies ist nicht die Harmonie, zu der ich einlud; auch halte ich sie nicht für geeignet, die Ruhesuchenden in den Schlaf zu wiegen.«

»Seien Sie unbesorgt um die Leute. Der Matrose schläft dicht bei der Mündung der Kanone, wenn sie donnert, und nur die Bootsmannpfeife weckt ihn auf. Er ist zu lange bei der Gewohnheit in die Schule gegangen, um dieses Geräusch für mehr als einen Flötenton zu halten; vielleicht, wenn Sie wollen, für einen stärkern und vollern als gewöhnlich, aber doch immer für einen solchen, der ihn nichts angeht. Ein vierter Schlag hätte Feuerlärm bezeichnet; aber drei bedeuten nur Musik. Es war das Signal für das Musikkorps; die Nacht ist still und ihrer Kunst nicht abhold, lauschen wir den süßen Klängen.«

Kaum hatte er gesprochen, so hörte man einige Blasinstrumente tief intonieren. Die Künstler standen draußen vor der Kajüte, wahrscheinlich einem frühern Befehl ihres Kapitäns gehorchend. Nach einem Lächeln des Triumphes über die Schnelligkeit, womit seinen Befehlen Folge geleistet wurde, die allerdings der Macht, die er besaß, viel mehr einen zauberischen als despotischen Charakter verlieh, warf er sich auf den Diwan und lauschte der Musik.

Die Klänge, die jetzt durch die Nacht tönten und sanft und melodisch über die Wellen dahinglitten, würden in Wahrheit weit schulgerechteren Künstlern Ehre gemacht haben. Schwärmerisch wild und melancholisch war die Weise, und vielleicht um so mehr im Einklang mit der augenblicklichen Laune des Mannes, für dessen Ohr sie gespielt ward. – Darauf, dem aufregenden Charakter entsagend, konzentrierte sich die ganze Gewalt der Instrumente in sanftere und weichere Klänge, und der Genius, der die Melodie erzeugt hatte, schien darin seine innersten und erhabensten Gefühle erschließen zu wollen. Die Gemütsstimmung des Rover entsprach dem wechselnden Ausdruck der Musik; ja, als die Klänge den höchsten Grad von Rührung ausdrückten, ließ er das Haupt sinken wie ein Weinender.

Mistreß Wyllys und ihre Schülerin, obgleich selbst von der Musik ergriffen, konnten den Blick von dem so eigentümlich geschaffenen Wesen nicht abwenden, in dessen Hände sie ihr böser Stern geführt hatte. Bewunderung über den furchtbaren Gegensatz von Leidenschaften, die sich unter so verschiedenen und so gefährlichen Gestalten in einem und demselben Menschen offenbaren konnten, erfüllte die erstere, während Gertraud mit der ihren Jahren eigenen Nachsicht und Teilnahme urteilend, dem Glauben Raum gab, daß ein Mensch, dessen bessere Gefühle so leicht ins Leben gerufen werden konnten, wohl das Opfer der Verhältnisse, aber nicht der Schöpfer seines unglücklichen Schicksals sein könne.

Als der letzte Akkord dem Ohr verklungen war, sagte der Freibeuter: »Italien atmet in diesen Tönen, das süße, träge, üppige, leichtsinnige Italien! Ist es Ihnen je zuteil worden, Madame, jenes Land zu sehen, dessen Erinnerungen ebenso groß sind, als seine jetzige Lage ohnmächtig?«

Die Gouvernante gab keine Antwort, und die Neigung ihres Hauptes ließ ihre Gefährtin vermuten, daß auch sie dem erschütternden Einflüsse der Musik huldige. Endlich dem Drange seines wechselvollen Innern nachgebend, schritt der Korsar auf Gertraud zu, indem er mit der Galanterie, die einer sehr verschiedenen Szene Ehre gemacht hätte, und sie in einer Sprache, ganz im Charakter der Höflichkeit des Zeitalters, anredete:

»Die, deren bloße Stimme schon Musik ist, hat sicherlich die Gaben der Natur nicht vernachlässigt. Sie singen?«

Wenn Gertraud das Talent, das er ihr zutraute, auch besaß, so würde ihr die Stimme bei seiner Aufforderung doch den Dienst versagt haben. Sie machte eine erwidernde Verneigung, und die Worte, die ihre Entschuldigung enthalten sollten, waren selbst dem angestrengt Lauschenden kaum vernehmbar. Indes bestand er nicht auf einer Bitte, die offenbar unwillkommen war, wendete sich und tat einen leisen, aber doch erweckenden Schlag an die Glocke.

»Roderich,« fuhr er fort, als der leichte Tritt des Knaben auf der zur Kajüte herabführenden Treppe hörbar ward, »schläfst du?«

Die langsame und halb unterdrückte Antwort war natürlich verneinend.

»Apollo war nicht abwesend, als Roderich das Licht der Welt erblickte, Madame. Dem Knaben stehen Töne zu Gebote, an denen mehr als einmal schon die verhärteten Gefühle des Seemanns schmolzen. – Geh, lieber Roderich, stelle dich an die Kajütentüre, und laß die Musik deine Worte leise begleiten.«

Der Knabe gehorchte; die Stellung, die seine schlanke Gestalt einnahm, war so beschaffen, daß denen, die innerhalb der Beleuchtung der Lampe saßen, der Ausdruck seiner bewegten Züge unsichtbar bleiben mußte. Nun intonierten die Instrumente eine liebliche Einleitung, die bald zu Ende war; zweimal hatten sie die Weise angefangen, und noch immer ließ sich keine Stimme hören.

»Worte, Roderich, Worte; wir verstehen uns schlecht darauf, den Sinn der Flötentöne zu deuten.«

Auf diese Weise an seine Pflicht erinnert, fing der Knabe an, in einem vollen, reichen Konteralt, doch nicht ohne eine Bebung, die offenbar nicht zur Melodie gehörte, einige Strophen zu singen:

Im Westen, dort am Meeresrand,
Dehnt weit sich aus und schön
Das süße, heilige Zauberland,
Wo Fried‘ und Freiheit wehn.
Dort eilet nicht
Der Sonne Licht,
Vergoldet jedes Tages Abend,
Und ruht auf Baum und Seen.

Für dich, o Mensch, strahlt es so labend,
Strahlt es so schön
Auf Tal und Baum und Seen!
Das Mädchen sehnsuchtsvoll durchirrt
Mit ungewissem Fuß
Den Hain, und ihm entgegen schwirrt
Der Vögel Liebesgruß.
O süß Gestad‘,
Wann Abend naht,
Spricht Hoffnung …

»Genug hiervon, Roderich«, unterbrach ungeduldig sein Herr, »Dieser Gesang hat zuviel vom verliebten Korydon, um der Laune eines Matrosen zuzusagen. Singe uns von der See und ihren Freuden, Knabe; und heb‘ die Töne auf eine Weise hervor, die mit dem Geschmack eines Seemanns in besserem Einverständnis stehen.«

Der Knabe blieb stumm; kann sein, aus Abneigung gegen diese Aufforderung, vielleicht aber auch, weil er ihr wirklich nicht genügen konnte.

»Wie, Roderich! Verläßt dich die Muse? Oder wird dein Gedächtnis schwach? Sie sehen, das Kind ist eigensinnig in seinen Melodien; wenn er nicht von Liebe und Sonnenschein singen kann, so weiß er nichts. Wohlan, meine Leute, gebt einen kräftigern Akkord, und laßt Leben in den Kadenzen wehen, ich will zur Ehre des Schiffes ein Seelied versuchen.«

Das Korps, angesteckt von der augenblicklichen Laune seines Herrn (denn wahrlich! den Namen verdiente er), spielte eine kraftvolle und graziöse Einleitung zu dem Gesang des Korsaren. Jene verräterischen, berückenden Klänge, die sich so oft, wenn er sprach, durchhören ließen, mußten allerdings zu der Erwartung führen, daß seinem Gesang Fülle, Tiefe und Metall nicht fehlen werde; und solche Erwartung wurde nicht getäuscht. Von diesen natürlichen Vorzügen begünstigt, und von einem ausgebildeten Ohre unterstützt, sang er folgende Stanzen auf eine Weise, die, seltsam genug, halb dem Lebemann, halb dem Sentimentalen angehörte. Die Worte waren höchstwahrscheinlich eigene Komposition; denn außerdem, daß sie im ganzen das Gepräge seines Handwerks an sich trugen, fehlten ihnen auch nicht Züge des dem Sänger eigentümlichen Geschmackes:

Zu Hauf! Macht Anker licht!
Nun schallet rauh und froh der Ton,
Und keinen hält der süße Schlummer;
Im Takte knarrt das Gangspill schon,
Der Bootsmann pfeift und scheucht den Kummer!
Das junge Schiffsvolk, freudentbrannt,
Jauchzt auf; es lärmt die Meng‘ am Strand:
Zu Hauf! Macht Anker licht!

Ein Segel dort! ahoi!
Spannt alle Nerven zum Gefecht,
Steuert mutig zu, den Feind zu fassen;
Ein still Gebet fürs heilige Recht,
Fürs Weib, so wir daheim gelassen.
Nun los von jedem Segelbaum!
Zerstiebt der Meeresfluten Schaum!
Ein Segel! ho, ahoi!

Dem Sieg dreimal Hurra!
Nicht folg den Tapfern Klag‘ hinab;
Nein: pflegt die Wunden eurer Brüder;
Das Meer ist des Matrosen Grab,
Und Helden sehn sich droben wieder!
Genug, daß uns das Werk gelang,
Drum jauchzet hoch den Siegsgesang:
Hurra! Hurra! Hurra!

Gleich nachdem er dieses Lied beendigt hatte, ohne zu warten, ob seiner Leistung in Hinsicht der Stimme oder des Vortrags einige Worte der Anerkennung folgen würden, erhob er sich, ersuchte seine Gäste, über die Dienste seines Musikkorps nach Gefallen zu gebieten, wünschte ihnen sanfte Ruhe und angenehme Träume und stieg dann gelassen, offenbar, um sich gleichfalls zur Ruhe zu begeben, hinab in eines der untern Gemächer. – Mistreß Wyllys und Gertraud, obgleich beide sich unterhalten, oder vielmehr verlockt fühlten, durch das Gewinnende einer Charakterweise, die sich bei allem Eigensinn nie der Roheit näherte, hatten dennoch, als er verschwand, ein ähnliches Gefühl, als wenn man nach der eingeschlossenen Atmosphäre eines Kerkers endlich wieder freie Luft schöpfen darf. Die Gouvernante betrachtete ihre Schülerin mit einem Blick, in dem unverkennbare Liebe mit tief verborgener Besorgnis kämpfte; doch sprach keine, denn eine leise Bewegung an der Kajütentüre sagte ihnen, daß sie nicht allein waren.

»Wünschen Sie noch mehr Musik, Madame?« fragte Roderich mit erstickter Stimme, furchtsam während des Sprechens aus dem Schatten hervortretend. »Ich will Sie in den Schlaf singen, wenn Sie es wünschen; aber mir versagt die Stimme, wenn er mir befiehlt, meinen Gefühlen Gewalt anzutun und fröhlich zu sein.«

Schon hatte sich die Stirn der Gouvernante zusammengezogen, und es war ihr anzusehen, daß sie sich auf eine zurückweisende Antwort vorbereitete; da sprach die trauernde Stimme, die eingeschreckte, unterwürfige Gestalt des Knaben so stark zu ihrem Herzen, und an die Stelle des strengen Blickes trat ein weicher, verweisender Blick, wie man ihn oft das Zürnen mütterlicher Teilnahme mildern sieht.

»Roderich, ich hatte geglaubt, du würdest dich für diese Nacht nicht mehr zeigen.«

»Sie hörten ja die Glocke. Ach, wenn er auch in seinen aufgeräumten Augenblicken so heiter sein, so das Innerste ergreifend singen kann – Sie haben ihn noch nie im Zorn gehört.«

»Und ist denn sein Zorn so schrecklich?«

»Vielleicht ist er es anderen nicht so sehr, aber ich kenne nichts Fürchterlicheres, als ein einziges Wort von ihm, wenn sein Gemüt düster ist.«

»Er ist dann rauh gegen dich?«

»Niemals.«

»Du widersprichst dir selbst, Roderich. Er ist es, und ist es wieder nicht. Erzähltest du nicht, wie fürchterlich dir seine düstere Rede sei?«

»Ja; denn ich finde sie verändert. Einst war er nie tiefsinnig oder übelgelaunt, allein seit kurzem ist er nicht mehr er selbst.«

Mistreß Wyllys antwortete nicht. Des Knaben Rede war ihr allerdings weit verständlicher, als ihrer jungen aufmerksamen, aber von allem Verdacht freien Gefährtin, die, während sie selbst dem Knaben einen Wink gab, sich zu entfernen, nicht wenig Lust zeigte, ihre Neugier zu befriedigen und sich von dem Leben und den Sitten des Freibeuters mehr erzählen zu lassen. Indes wurde der Wink gebieterisch wiederholt, und der Knabe zog sich, offenbar sehr ungern, langsam zurück.

Hierauf ging auch die Gouvernante und ihre Pflegebefohlene in ihre Staatskajüte. Viele Minuten weihten beide dem stillen Opfer des Gebets und des Dankes, ein Opfer, von dem sie sich nie durch Verhältnisse abhalten ließen, sie mochten sein, von welcher Art sie wollten. Das Bewußtsein der Schuldlosigkeit und die Zuversicht in einen allvermögenden Schutz, sicherte ihnen einen süßen Schlaf. Außer der Schiffsuhr, die regelmäßig die Wachen der Nacht hindurch die Stunden schlug, störte während der Dunkelheit kein anderer Ton die Ruhe, die über den Ozean und alles, was aus seinem Spiegel schwamm, ihren beschwichtigenden Fittich gebreitet hatte.

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Wohl hätte man den »Delphin« während jener Augenblicke trügerischer Stille mit einem schlafenden Raubtiere vergleichen können. Aber gleichwie der Ruhezeit der Geschöpfe aus der Tierwelt von der Natur gewisse Grenzen gesetzt sind, so war auch, allem Anscheine nach, die Untätigkeit der Piraten nicht bestimmt, von anhaltender Dauer zu sein. Mit der Morgensonne blies ein frischer, Landgeruch mit sich führender Wind über das Wasser und setzte das träge Schiff abermals in Bewegung. – Mit breiter, längs allen Segelbäumen ausgespannter Leinwandfläche war sein Lauf diesen ganzen Tag hindurch südwärts gerichtet. Wachen folgten Wachen, Nächte Tagen, immer eine und dieselbe Richtung. Dann hoben sich die blauen Inseln, eine nach der andern, über die Meeresflächen empor. Die Gefangenen des Rover, denn für solche mußten die Damen sich nun halten, beobachteten schweigsam jeden grünen Hügel, bei dem das Fahrzeug vorbeiglitt, jede kahle, sandige Kaje, jeden Abhang, bis sie, nach der Berechnung der Gouvernante, schon mitten im westlichen Archipelagus steuerten.

Während dieser ganzen Zeit fiel keine Frage vor, die auch nur auf die entfernteste Weise dem Rover verraten konnte, daß seine Gäste recht wohl wüßten, er führe sie nicht in den versprochenen Hafen des Festlandes. Gertraud weinte bei dem Gedanken an den Schmerz ihres Vaters, der auf die Nachricht von dem verunglückten Bristoler Kauffahrteischiffe notwendig vermuten mußte, ihr sei ein gleiches Schicksal zuteil geworden; doch flossen ihre Tränen nur heimlich, oder an dem mitfühlenden Busen ihrer Erzieherin. Wildern vermied sie, denn sie hatte nun das bis zur Anschauung klare Bewußtsein, daß er nicht das sei, wofür sie ihn gehalten; gegen alle übrigen im Schiffe aber bemühte sie sich, in Blick und Mienen stets gleich heiter zu erscheinen. In diesem Benehmen, das freilich weit ratsamer war, als ohnmächtige Bitten, ward sie von ihrer Gouvernante kräftig unterstützt, deren Menschenkenntnis sie gelehrt hatte, daß die Tugend in Zeiten der Not am meisten Achtung gebiete, wenn sie es versteht, ihren Gleichmut zu behaupten. Auf der anderen Seite suchte weder der Befehlshaber des Schiffes, noch sein Leutnant ferneren Umgang mit den Bewohnerinnen der Hauptkajüte, als die Gesetze der Höflichkeit durchaus nötig machten.

Der Freibeuter, dem es bereits leid tat, daß er die Launen und Kapricen seines Gemüts so bloßgestellt hatte, zog sich allmählich in sich selbst zurück, indem er Vertraulichkeit bei keinem suchte und von keinem zuließ; während Wilder zeigte, daß er die gezwungene Miene der Gouvernante und den veränderten, obgleich mitleidsvollen Blick ihrer Schülerin vollkommen verstehe; auch bedurfte es der Erklärung keineswegs, um ihn mit der Ursache dieses Wechsels bekannt zu machen. Statt aber eine Gelegenheit zu suchen, seinen Charakter zu reinigen, zog er es vor, ihre Zurückhaltung nachzuahmen. – Mehr brauchte es nicht, um seine ehemaligen Freundinnen von der Beschaffenheit seines Gewerbes zu überzeugen; bis jetzt hatte selbst Mistreß Wyllys ihrer Pflegebefohlenen noch zugegeben, daß seine Handlungsweise die eines Menschen wäre, in dem die Verworfenheit noch nicht jenen Grad erstiegen hatte, wo das Gewissen, jenes untrüglichste Merkmal der Schuldlosigkeit, gänzlich schweigt.

Gertraud indessen empfand ein natürliches Bedauern, als sich diese traurige Überzeugung ihrem Verstande aufdrängte, und sie hegte innige Wünsche, daß der Besitzer so vieler männlicher, großartiger Eigenschaften den Irrtum, in dem sein Leben befangen war, bald einsehen und zu einer Laufbahn zurückkehren möchte, für die er, selbst nach dem Eingeständnis ihrer kalt und scharf urteilenden Erzieherin, von der Natur auf eine so ausgezeichnete Weise ausgestattet war. Ja, vielleicht riefen die Ereignisse der letzten zwei Wochen nicht nur Wünsche allgemeinen Wohlwollens in ihrem Busen wach, vielleicht flocht sie in ihre stille Andacht heiße Gebete, die eine persönlichere Beziehung hatten.

Mehrere Tage lang hatte das Schiff gegen die stehenden Winde jener Regionen anzukämpfen. Statt sich aber wie ein beladenes Kauffahrteischiff zu bemühen, irgendeinen bestimmten Hafen zu erreichen, gab der Rover seinem Schiffe plötzlich eine neue Richtung und glitt durch eine der vielen sich darbietenden Meeresengen hindurch, mit der Leichtigkeit des seinem Neste zueilenden Vogels. Hundert Segel verschiedener Größe hatte man zwischen den Inseln steuern sehen, allen wurde ausgewichen; denn Klugheit riet dem Freibeuter die Notwendigkeit der Mäßigung in einer von Kriegsschiffen so überfüllten See. Nachdem das Fahrzeug durch eine der Meeresengen hindurchgesteuert war, die die Ketten der Antillen durchschneiden, kam es in Sicherheit auf die offenere See, die jene Inseln von dem spanischen Ozean trennt. Kaum war die Durchfahrt glücklich bewerkstelligt, kaum streckte sich nach allen Seiten hin ein helles, landfreies Meer, so zeigte sich in der Miene eines jeden Individuums der Mannschaft eine nicht zu verkennende Veränderung. Jetzt glättete sich die gefurchte Stirn des Rover, jetzt verschwand der ängstliche Blick, der über den ganzen Menschen die Hülle der Zurückhaltung geworfen hatte; das eigentümliche Wesen dieses Mannes stand nun wieder in seinem ganzen Eigensinn da, in seiner ganzen Sorglosigkeit. Selbst die Bemannung, die, als sie noch in den engeren Seen, zwischen den daselbst in ganzen Schwärmen segelnden Kreuzern durch die Daggen liefen, keines fremden Antriebs zur Behutsamkeit bedurft hatte, selbst sie schien jetzt freier Atem zu schöpfen – kurz, Töne sorgloser, leichtsinniger Fröhlichkeit durchhallten wieder einmal einen Ort, den die Wolke des Mißtrauens solange umdüstert hatte.

Allein der Betrachtung der Erzieherin entstanden durch die Richtung, die das Fahrzeug nunmehr nahm, neue Gründe zur Besorgnis. – Solange die Inseln noch im Gesichtskreis blieben, gab sie, und zwar nicht ohne Grund, der Hoffnung Raum, ihr Gefangennehmer warte nur eine günstige Gelegenheit ab, um sie dem Schutze der Gesetze irgendeiner der Kolonialregierungen wieder zurückzugeben. Ihre Beobachtungsgabe lehrte sie, daß die Grundsatzlosigkeit der beiden vornehmsten Personen im Schiffe mit so vielem vermischt war, was einst gut, ja edel genannt werden konnte, daß sie in solcher Erwartung nichts Übertriebenes finden konnte. Selbst in den Sagen der Zeitgenossen, die die verwegenen Taten des Freibeuters schilderten, wenn auch eine erhitzte und übertreibende Einbildungskraft die Farben aufgetragen hatte, fehlte es nicht an zahllosen, merkwürdigen Beispielen von entschiedener, ja ritterlicher Großsinnigkeit. Mit einem Worte, sein Charakter war der eines Mannes, der, in erklärter Feindseligkeit mit allen lebend, dennoch einen Unterschied zwischen den Schwachen und den Starken zu machen verstand, und dem es oft ebenso viele Freude gewährte, sich der ersteren anzunehmen, als den Stolz der letzteren zu demütigen.

Als aber nun die letzte Spitze der ganzen Inselgruppe hinter ihnen ins Meer sank, und außer dem Schiffe sich weit und breit kein anderer Gegenstand auf der Wasserfläche zeigte, da sank auch ihr die letzte Hoffnung auf die Großmut des Korsaren. Der Rover, gleichsam unbekümmert, länger die Maske vorzuhalten, befahl, die Segel zu vermindern, und trotz der günstigen Kühlde das Schiff nahe beim Wind anzulegen. Kurz, der »Delphin« wurde mitten im Wasser angehalten, und, als sei nun das Hauptziel erreicht, und die unmittelbare Aufmerksamkeit der Mannschaft nicht weiter in Anspruch genommen, überließen sich die Offiziere sowohl als die Leute ihren Vergnügungen oder dem Müßiggang, je nachdem sie Laune oder Neigung bestimmte.

Wie lange auch der Verdacht der Gouvernante, daß man ihnen nicht erlauben würde, das Schiff zu verlassen, schon rege sein mochte, in Worten hatte sie ihn noch nicht geäußert; als aber jetzt dem Kommando, das Schiff beizulegen, gehorcht wurde, redete sie den Kapitän Heidegger, wie er sich nennen ließ, zum ersten Male wieder an:

»Ich hatte gehofft, Sie würden uns, sobald es sich mit Ihrer Bequemlichkeit vertrüge, an einer der Seiner Majestät gehörenden Inseln zu landen erlauben. Ich fürchte, Sie finden es beschwerlich, Ihre eigene Kajüte solange von Fremden besetzt zu sehen.«

»Sie kann nicht besser besetzt sein«, antwortete er, fein ausweichend, obgleich die ängstliche Dame zu entdecken glaubte, daß sein Blick mehr Kühnheit und sein ganzes Wesen weniger Zurückhaltung verrate, als bei einer früheren Gelegenheit, wo derselbe Gegenstand zur Sprache kam. »Verlangte es das Herkommen nicht, daß ein Schiff die Farbe einer oder der anderen Nation führte, so sollte über dem meinigen stets eine Flagge spielen, die die Farbe der Schönen trüge.«

»Und jetzt?«

»Jetzt ziehe ich die Zeichen des Dienstes auf, in dem ich mich befinde.«

»Während der fünfzehn Tage, seit ich Ihnen mit meiner Gegenwart lästig fallen muß, bin ich noch nicht so glücklich gewesen, die Farbe aufgezogen zu sehen, die Ihren Dienst bezeichnete.«

»Nicht!« rief der Rover und schoß einen Blick auf sie, als wollte er ihre innersten Gedanken durchdringen: »Nun, dann sollen Sie am sechzehnten Tage von dieser Ungewißheit befreit werden. Heda, wer ist im Schiffe hinten?«

»Kein besserer und kein schlechterer Mann als Richard Fid,« erwiderte der Matrose, den Kopf aus einem großen Wandkorbe hervorhebend, in den er ihn gesteckt hatte, als suchte er irgendein verlegtes Stück Werkzeug, und als er entdeckte, wer der Fragende war, mit Hast hinzufügend: »Stets zu Ew. Gnaden Befehl.«

»Aha! Es ist der Freund unseres Freundes,« erwiderte der Rover mit einem Nachdruck, der den anderen verständlich genug war; »der soll mein Dolmetscher sein. Komm her, Bursch; ich habe ein Wort mit dir zu sprechen.«

»Tausend zu Ihren Diensten, Sir,« erwiderte Richard, indem er bereitwillig näher trat; »denn wenn ich auch kein großer Redner bin, so hab‘ ich doch stets was in meinen Gedanken zur Hand, was zur Not unterhalten kann, sehen Sie.«

»Ich hoffe; deine Hängematte in meinem Schiff wiegt sanft in Schlaf?«

»Ich kann’s nicht leugnen, Ew. Gnaden; denn ein leichter segelndes Fahrzeug, sonderlich wenn es aufs Handhaben seiner Rahesegeltaue ankommt, findet sich nicht leicht.«

»Und die Fahrt selbst? Ich hoffe doch, du findest auch die so, wie sie ein Seemann gerne mag.«

»Schauen Sie, Sir, ich bin früh aus der Schule genommen und in die Fremde geschickt worden; da nehme ich mir denn selten heraus, das Schiffspatent des Kapitäns lesen zu wollen.«

»Aber demungeachtet, guter Mann, seid Ihr nicht ohne Eure Neigungen«, sagte Mistreß Wyllys mit Festigkeit, entschlossen, die Untersuchung weiter zu treiben, als ihr Gesellschafter beabsichtigen mochte.

»Kann nicht sagen, daß es mir an natürlichen Gefühlen gebricht, gnädige Frau,« erwiderte Fid, indem er sich bemühte, eine Probe von seiner Bewunderung des schönen Geschlechts in einem Kratzfuß gegen die Dame als deren Repräsentantin abzulegen, »ob mir zwar Durchkreuzungen und Unfälle quer über den Weg gekommen sind, was schon Vornehmern als mir geschehen ist. Ich hatte geglaubt, ein Notankertau könne nicht stärker angesplißt sein, als ich an Käthe Whiffle und sie an mich; aber ja, da kam’s Gesetz mit seinen Ordonnanzen und Schiffsreglements, das hat dicht bei meinem Glück vorbei querüber aufgestochen und ohne weiteres alle Hoffnungen der Dirne in ein Wrack verwandelt, und mit den meinigen eine flämische Rechnung gemacht.«

»So? Es wurde bewiesen, daß sie schon einen Mann hatte, nicht wahr?« sagte der Rover, schlau mit dem Kopfe nickend.

»Vier, Ew. Gnaden. Die Dirne hatte Geschmack an Gesellschaft, und sie kannte keinen größeren Schmerz als ein leeres Haus. Aber was tat das? Mehr als einer von uns konnte doch nicht zu gleicher Zeit im Hafen sein; da hätte man keinen solchen Lärm um die Affäre machen sollen, als man gemacht hat. Aber es war nichts als Neid, Sir; Neid und die Habsucht der Landhaifische. Wenn sich ein jedes Weib in der Gemeinde so vieler Männer zu rühmen gehabt hätte, wie die Käthe, den Teufel auch würden sie den Richtern und Geschworenen die kostbare Zeit damit verdorben haben, daß sie sich drum kümmern mußten, auf welche Weise so eine Dirne ihre ruhige Haushaltung führte.«

»Und seit jener unglücklichen Zurückweisung hast du dich dem Heiraten ganz aus dem Wege gehalten?«

»Ja, ja; seitdem, Ew. Gnaden,« erwiderte Fid und sah seinen Obern wieder mit einem jener drolligen Blicke an, in denen eine ganz eigene Schlauheit mit der schlichteren, geradezu gehenden Ehrlichkeit um die Herrschaft kämpfte; » seitdem, wie Sie ganz richtig bemerken, Sir. Die Leute hatten freilich ihr Gerede von einer Kleinigkeit, die zwischen mir und einer anderen Weibsperson im Handel war, wie sie aber die Sache näher untersuchten, na, da fanden sie, daß es nicht viel anders war, als mit der armen Käthe; die Schiffsartikel wollten nicht stimmen, und sie konnten halter, sehen Sie, nichts aus mir machen. Da hat man mich denn durch und durch reingesprochen und, weißgetüncht wie das Zimmer einer Königin, laufen lassen.«

»Und das hat sich alles nach deiner Bekanntschaft mit Herrn Wilder zugetragen?«

»Vorher, halten zu Gnaden, vorher. War ja zu der Zeit noch weiter nichts als so ein Auflaufer, sintemalen es vierundzwanzig Jahre her ist, wenn der Mai wiederkommt, seit mich der junge Herr Harry an sein Schlepptau genommen hat. Da ich nun aber seit jenen Tagen eine Art von eigener Familie besitze, ei, wozu soll ich da einem anderen in die Hängematte kommen?«

»Wie, wolltet Ihr wirklich sagen, es sei schon vierundzwanzig Jahre, seit Ihr Herrn Wilders Bekanntschaft machtet?« unterbrach Mistreß Wyllys.

»Bekanntschaft! Du lieber Gott, gnädige Frau, der wußte zu jener Zeit wenig von Bekanntschaften; obgleich der liebe, gute Junge seitdem oft genug Gelegenheit gehabt hat, sich dran zu erinnern.«

»Das Zusammentreffen zweier Männer von so seltenem Verdienste muß gar nicht uninteressant gewesen sein«, bemerkte der Rover.

»Was das anbelangen tut, so war’s hinlänglich interessant, Ew. Gnaden; aber das Verdienst dabei, sehen Sie, der junge Herr, der Harry, der will das immer mit in die Rechnung setzen, aber bei mir ist’s ausgemacht, ’s ist ganz und gar kein Verdienst dabei.«

»Ich gestehe, in einem Falle, wo zwei Männer, die beide ein so gutes Urteil haben, verschiedener Meinung sind, da fühle ich mich in Verlegenheit, wem ich recht geben soll. Freilich, wenn ich wüßte, wie alles hergegangen ist, so wär‘ ich vielleicht imstande, ein richtiges Urteil zu fällen.«

»Ew. Gnaden vergessen den Guinea, der ganz meiner Meinung in der Sache ist; der kann ebenfalls nicht sehen, wo das Verdienst im Dinge eigentlich stecken soll. Aber, wie Sie sagten, der einzige wahre Weg, zu wissen, wie geschwind ein Schiff geht, ist, das Log zu lesen; wenn also diese Dame und Ew. Gnaden gern hinter die Wahrheit der Sache kommen wollen, je nu, dann brauchen Sie’s bloß zu sagen, so leg‘ ich’s Ihnen alles vor in glaubwürdiger Sprache.«

»Aha! Dieser Vorschlag läßt sich hören«, versetzte der Rover und winkte seiner Gefährtin, daß sie ihm nach einem Platz auf der Hütte folgen möchte, wo sie den neugierigen Blicken der Leute weniger ausgesetzt wären. »Wohlan, wenn du uns jetzt das Ganze klar vor Augen legst, so sollst du endlich Entscheidung bekommen, wie sich die Sache eigentlich und von Rechts wegen verhält.«

Fid war weit entfernt, die geringste Abneigung gegen die verlangte ausführliche Erzählung zu zeigen, und bis er sich hinlänglich geräuspert, den Mund mit frischen Tabaksblättern versehen und alle anderweitigen Vorkehrungen getroffen hatte, war es der Gouvernante gelungen, ihre Skrupel darüber zu beseitigen, inwiefern es recht sei, sich in die Geheimnisse anderer auf diese Weise einzustehlen, indem sie einer unwiderstehlichen Neugierde nachgab; sie nahm daher den Sitz ein, den ihr der Kapitän mit einer Handbewegung angeboten hatte.

Nachdem nun also alle Punkte in Richtigkeit gebracht waren, fing Fid folgendermaßen an: »Ich bin früh von meinem Vater zur See geschickt worden; er war ein Mann, der gleich mir mehr von seiner Zeit auf dem Wasser zubrachte als auf trockenem Boden, obgleich er, als ein bloßer Fischermann, das Land immer im Gesicht behielt, was freilich nicht vielmehr sagen will, als ganz und gar drauf zu leben. Jedennoch aber, als ich ging, machte ich ohne weiteres eine Reise in die weite, offene See, denn ich dublierte das Horn gleich in meinem allerersten Ausflug, was für einen neuen Anfängling, sehen Sie, keine kleine Reise ist; aber, sehen Sie, da ich nur erst acht Jahre alt war …«

»Acht! Sprecht Ihr jetzt von Euch selber?« unterbrach die ungeduldige Gouvernante.

»Versteht sich, Madame; zwar könnte von Leuten gesprochen werden, die vornehmer sind, aber schwer wäre es, die Unterhaltung auf einen zu richten, der besser verstände, wie man ein Schiff auf- und abtakeln muß. Ich hätte beim rechten Ende meiner Geschichte angefangen, weil ich aber glaubte, die gnädige Frau verderbe sich nicht gern die Zeit mit Anhören von Dingen, die meinen Vater und meine Mutter betreffen, so machte ich’s kurz und sprang gleich ins achte Jahr, ohne mich erst aufzuhalten bei meiner Geburt, Namen und dergleichen mehr, was gewöhnlich in den Alltagsgeschichten auf eine ganz ungebührliche Weise im Logbuch mir aufgeführt wird.«

»Fahret nur fort«, versetzte sie, als sie sah, daß nichts übrig blieb als geduldige Ergebung.

»Mir geht’s ziemlich so wie einem Schiff, das eben vom Stapel laufen soll«; nahm Fid wieder auf. »Wenn’s einen hübschen Anlauf tut und sich’s nicht einklemmt noch reibt, rutsch! geht es ins Wasser, wie ein Segel, das man in einer Windstille losläßt; bleibt es aber erst einmal hängen, so gehört keine geringe Arbeit dazu, es wieder flott zu kriegen. Um nun meine Gedanken gehörig einzudämmen und die Geschichte geschmeidig zu machen, so daß ich glatt durchfahren kann, muß ich notwendig noch einmal das Tau durchlaufen, das ich soeben fahren ließ; das war also, wie mein Vater ein Fischermann war, und wie ich das Horn dublierte. – Halt! Nu hab‘ ich’s wieder! Gut also, ich dublierte, wie gesagt, das Horn und mochte ungefähr, so drüber und drunter, vier Jahre zwischen den Inseln und Seen jener Gegenden gekreuzt haben, die, beiläufig gesagt, zu der Zeit keine von den besten waren, und was das anbelangen tut, es auch jetzt noch nicht sind. Hierauf machte ich in der königlichen Flotte den ganzen Krieg mit, wurde dreimal blessiert und erfocht soviel Ehre, als ich nur immer bequem unter die Luken packen konnte. Gut, damals traf ich mit dem Guinea zusammen – das ist der Schwarze, gnädige Frau, den sie dort einen neuen Geitaublock eindrehen sehen für das Steuerbord-Schotthorn des Focksegels.«

»Schon gut; da kamst du also mit dem Afrikaner zusammen«, sagte der Rover.

»Da war’s, wo wir uns kennen lernten; und obgleich seine Farbe nicht weißer ist als der Rücken eines Walfisches, meinetwegen mag’s hören, wer will, nächst dem jungen Herrn Harry, lebt keine ehrlichere Haut auf der See, und keiner, an dessen Gesellschaft ich mehr Vergnügen fände. Allerdings, Ew. Gnaden, der Kerl ist etwas rechthaberisch, hat eine große Meinung von seiner Stärke und glaubt, seinesgleichen sei in keiner Nocke auf ’ner Windseite oder in ’nem Bramsegeltuch zu finden, aber dafür ist’s auch ein bloßer Schwarzer, und man muß nicht zu genau sein mit den Fehlern von Menschen, die nu mal nichts dafür können, daß sie unsere eigentliche Nebengeschöpfe nicht sind.«

»Nein, nein; das würde äußerst lieblos sein.«

»Just die Worte, die der Schiffskaplan an Bord der Fregatte ›Braunschweig‹ loszulassen pflegte. ’s ist doch ganz was anderes, wenn man was in der Schule gelernt hat, Ew. Gnaden; denn wenn’s auch zu weiter nichts taugt, so macht es einen doch geschickt, ein Bootsmann zu werden, und da ist man im besten Fahrwasser, um ohne alles Lavieren dem kürzesten Weg nach dem Himmel zuzusteuern. Aber wie gesagt, da wurde Guinea mein Schiffsgenosse und Freund, versteht sich, soweit sich’s mit der Vernunft vertrug, für die nächsten fünf Jahre, und dann kam die Zeit, wo uns der Unfall des Schiffbruchs in Westindien begegnete.«

»Was für ein Schiffbruch?« fragte hier sein Oberer.

»Verzeihen Ew. Gnaden; ich schwenke niemals meine Vorderrahen, als bis ich gewiß weiß, daß das Schiff nicht wieder in den Wind hineinluvt. Ehe ich mich also auf das Nähere des Schiffbruchs einlasse, muß ich abermals meine Gedanken übersehen, ob auch nichts vergessen ist, was von Rechts wegen vorher erwähnt werden müßte.«

Als der Rover an den ungeduldigen Seitenblicken seiner Gesellschafterin und am ganzen Ausdruck ihres Gesichtes sah, wie sehr sie sich sehnte nach dem Erfolg der Erzählung, die mit so langsamen Schritten vorwärts rückte, und wie unangenehm ihr eine Unterbrechung sein würde, so gab er ihr einen bedeutsamen Wink, daß sie den schlichten Teer seinen eigenen Weg gehen lassen möchte, als das beste Mittel, endlich in den Besitz der Tatsachen zu kommen, die sie beide so sehnlich zu wissen wünschten. Fid, als man ihn nun nicht mehr unterbrach, wiederholte noch einmal alles Erzählte auf die ihm eigene, drollige Weise, und wie er nun zum Glücke fand, daß er nichts ausgelassen hätte, was nach seinem Ermessen mit der gegenwärtigen Geschichte in Verbindung stand, so ging er endlich zu dem wesentlicheren und dem, seinen Zuhörern wenigstens, bei weitem interessantesten Teil seiner Erzählung über.

»Gut,« fuhr er fort, »Guinea war damals, wie ich Ew. Gnaden schon sagte, an Bord der ›Proserpina‹, ein schnellsegelnder Zweiunddreißiger, an der Marsrahe angestellt, und ich gleichfalls; da stießen wir zwischen den Inseln und der spanischen See auf einen winzigen Schmuggler, aus dem der Kapitän ohne weiteres Prise machte und uns befahl, ihn in den Hafen zu schleppen, wozu er, wie ich nicht anders glauben kann, seine Order hatte, denn er war ein gescheiter Mann. Aber dem mag nu gewesen sein, wie ihm wolle, das Fahrzeug hatte seine längste Fahrt gemacht und strandete, als wir ungefähr ein paar Tagefahrten leewärts von unserem Hafen gekommen sein mochten, in einem schweren Orkan, der uns eingeholt hatte. Gut, ’s war nur ein kleines Ding; und da es den Einfall bekam, sich erst auf die Seite zu legen, ehe es vollends schlafen ging, so glitten der Gehilfe, der des Schiffspatrons Stelle versah, und noch drei andere vom Verdeck runter in den Meeresboden. Hier war’s, wo Guinea mir den ersten guten Dienst leistete; denn, obgleich wir früher schon oft Hunger und Durst mit ’nander gelitten hatten, so war doch dies das erstemal, wo er über Bord sprang, um zu verhüten, daß ich Salzwasser schluckte wie ein Fisch.«

»Das heißt, wenn er nicht gewesen wäre, wärst du mit den übrigen ertrunken.«

»Das will ich nu gerade nicht sagen, Ew. Gnaden; denn man kann nicht wissen, welcher glückliche Zufall mir denselben guten Dienst hätte leisten können. Nichtsdestoweniger, sintemalen ich nicht besser und nicht schlechter als eine Stangenkugel schwimmen kann, so bin ich immer geneigt gewesen, dem Schwarzen meine Rettung zuzuschreiben, obgleich wir niemals viel über die Sache gesprochen haben, und zwar aus keinem anderen Grunde, soviel ich absehen kann, als weil eben der Abrechnungstag bis jetzt noch nicht rangekommen ist. Gut, wir machten, daß wir das Boot vom Schmugglerschiff flott kriegten, und genug hinein, um die Seele im Leibe zu halten, dann steuerten wir, so schnell wir konnten, landwärts, da es doch nu mal mit dem Schmugglerschiffe aus und an keine weitere Fahrt darin zu denken war. Eine ausführliche Beschreibung von dem, was zum Dienst in einem Boote gehört, brauche ich der Dame hier wohl nicht zu geben, da es noch nicht lange her ist, daß sie selbst einige Erfahrung hierin machte; aber soviel kann ich ihr sagen: Ohne jenes Boot, in dem der Schwarze und ich an zehn Tage zubrachten, würde es ihr in ihrer neulichen Fahrt nicht sonderlich ergangen sein.«

»Erkläre dich deutlicher.«

»Mein Sinn ist deutlich genug, Ew. Gnaden; nämlich, daß wenig anderes, als die nette Manier, womit der junge Herr, der Harry, ein Boot regiert, die Barkasse des Bristoler Kauffahrers an dem Tage, wo wir Sie trafen, über Wasser hätte halten können.«

»Aber was hat Euer Schiffbruch für Zusammenhang mit der Erhaltung des Herrn Wilder?« fragte die Gouvernante, unfähig, die breite Erklärung des weitschweifigen Seemanns länger abzuwarten.

»Aber was hat Euer Schiffbruch für Zusammenhang meine gnädige Frau, wie Sie selbst sagen werden, wenn Sie erst den tragischen Teil meiner Erzählung werden gehört haben. Gut also, ich und Guinea, wir ruderten im Meere rum, hatten Mangel an allem, nur nicht an Arbeit, aber immer steuerten wir doch, quer durch, nach den Inseln zu; denn, sehen Sie, wenn wir uns auch nicht sonderlich auf den Kompaß verstanden, so konnten wir doch das Land riechen, und da holten wir denn wacker aus, wenn Sie bedenken, daß die Wette in diesem Rennen nichts Geringeres galt als das Leben, bis wir bei Morgenanbruch, als wär’s ungefähr hier Ost zu Süden, ein kahlgeschorenes Schiff gewahr wurden, wenn anders ein Schiff kahl zu nennen ist, das nichts Besseres mehr aufrecht stehen hat, als die Stümpfe seiner drei Masten, und diese noch dazu ohne ein Stück Tau oder einen Fetzen Segel, woran man hätte sehen können, was für Takelage es führte, oder welcher Nation es angehörte. Aber nichtsdestoweniger ließ ich’s mir von dem Guinea nicht nehmen, daß es ein wohlbetakeltes Schiff müsse gewesen sein, wegen der drei Stümpfe, und wie wir nahe genug rangekommen waren, um den Rumpf sehen zu können, erklärte ich geradezu, daß es in England gezimmert sei.«

»Ihr entertet es«, bemerkte der Rover.

»Das war keine schwere Arbeit, gnädiger Herr, sintemalen ein halbverhungerter Hund die ganze Bemannung war, die es aufstellen konnte, um uns davon abzuhalten. Es war ein feierlicher Anblick, als wir aufs Verdeck kamen, und so oft ich das Logbuch meines Gedächtnisses aufschlage,« fuhr Fid mit einer immer ernster werdenden Weise fort, »erschüttert es meine Männlichkeit.«

»Ihr fandet die Mannschaft in bitterem Mangel.«

»Wir fanden ein edles Schiff, so hilflos wie eine Heilbutte in einem Zuber. Da lag es, ein Zimmerwerk von vierhundert Tonnen Last oder drüber, von Wasser angefüllt, und unbeweglich wie ’ne Kirche. Es macht mich immer niedergeschlagen, Sir, wenn ich ein stattliches Schiff sehe, mit dem es mal soweit gekommen ist; denn, sehen Sie, man kann es vergleichen mit einem Mann, dem die Floßfedern abgeschoren sind, und der nachgerade für weiter nichts mehr taugt, als auf einen Krahnbalken gesetzt zu werden, um aufzupassen, wo ’ne Bö herkommt.«

»Das Schiff war also verlassen?«

»So war’s; die Leute hatten sich entweder davon gemacht oder wurden in dem Sturme, der das Schiff umgelegt hatte, von den Wellen fortgespült; hab’s niemals zur Gewißheit hierin bringen können. Der Hund mußte sich wohl auf dem Verdeck unnütz gemacht haben, weswegen man ihn wahrscheinlich auf ein Inholz trieb, und das hat ihn gerettet, da er zum Glücke auf der Windseite war, als der Rumpf sich wieder etwas in die Höhe hob, nachdem die Masten schon abgebrochen waren. Gut, Sir, da war also der Hund; sonstiges bekamen wir nicht viel zu sehen, obgleich wir einen halben Tag im Schiffe umherstöberten, in der Hoffnung, irgendeine Kleinigkeit zu finden, die uns von Nutzen sein könnte. Aber da der Raum und die Kajüte mit Wasser angefüllt waren, i nu, so mußte freilich unser Bergelohn spärlich genug ausfallen.«

»Und dann verließet Ihr das Wrack.«

»Noch nicht, gnädiger Herr. Wie wir so unter den Enden von Stricken und sonstigem Plunder, der das Deck belemmerte, rumsuchten, sagte Guinea, sagte er: ›Herr Dick, ich höre, wie jemand ihr miserables Geschrei drunten erheben.‹ Nu, Sir, sollen Sie wissen, daß ich das Kreischen wohl auch gehört hatte; aber ich nahm es für ausgemacht an, es seien die Geister der Mannschaft, die über ihren Verlust heulten, und schwieg aber still davon, um den Aberglauben des Schwarzen nicht aufzuregen; denn, sehen Sie, gnädige Frau, die Besten von ihnen bleiben am Ende doch nur abergläubische, unwissende Neger. Drum sagte ich nichts von dem, was ich hörte, bis er selbst davon anzufangen für gut dachte. Hierauf legten wir uns beide mit allem Fleiß aufs Lauschen; und wahrhaftig, das Gestöhn wurde immermehr menschengleich. Es dauerte jedoch eine geraume Zeit, ehe ich darüber mit mir einig werden konnte, ob es weiter was wäre als das Klagen des Schiffswracks selber; denn sie wissen, gnädige Frau, daß ein Schiff, ehe es untergeht, sein Wehklagen erhebt, so gut wie jedes andere lebendige Geschöpf.«

»Ich weiß es, ich weiß es«, erwiderte schaudernd die Gouvernante. »Ich habe sie gehört, und die Töne werden nie aus meinem Gedächtnis schwinden.«

»Jawohl, ich konnte mir denken, daß Sie von den Tönen auch eine Geschichte zu erzählen hätten; sie haben was Feierliches an sich, diese Töne. Doch da der Schiffsrumpf noch immer auf der Meeresoberfläche zu schlingern fortfuhr und keine weitere Zeichen gab, daß er sinken wolle, so dachte ich, es könnte nicht schaden, im Hinterteil ein Loch einzuhauen, um uns von da aus zu versichern, daß kein Unglücklicher etwa in seiner Matte hängen geblieben, als das Schiff sich auf die Seite legte. Ei nun, guter Wille und eine Axt halfen uns bald hinter das Geheimnis, von wem das Gejammer herkam.«

»Ihr fandet ein Kind?«

»Mit seiner Mutter, gnädige Frau. Der glückliche Zufall fügte es, daß sie sich in einer Kajüte auf der Windseite befanden, und das Wasser war noch nicht bis zu ihnen gedrungen. Verschlossene Luft und Hunger hatten jedoch fast denselben schlechten Dienst getan wie das Salzwasser. Die Frau war in den letzten Zügen, als wir sie rausbrachten, und was den Knaben anbetreffen tut, stattlich und kräftig, wie Sie ihn dort auf der Kanone sehen, gnädige Frau, so war er Ihnen so miserabel, daß es nicht wenig Mühe kostete, bis er einen Tropfen Wein und Wasser schlucken lernte, was der liebe Gott uns übrig gelassen hatte, damit, wie ich seitdem steif und fest glaube, der Junge einmal der Stolz des Ozeans werden möchte, was er denn in diesem Augenblick auch wirklich ist.«

»Aber die Mutter?«

»Die Mutter! Die hatte den einzigen Bissen Zwieback, den sie noch hatte, dem Kinde gegeben, und starb, damit der Kiekindiewelt am Leben bliebe. Ich hab‘ niemals ganz klug draus werden können, gnädige Frau, wie ein Weib, das doch, wenn’s auf Stärke ankommt, nicht viel besser ist wie ein Laskar, und wenn es Mut gilt, nicht besser wie ein verhätscheltes Muttersöhnchen, bei dergleichen Gelegenheiten imstande sein kann, so ruhig das Leben fahren zu lassen, wo doch mancher rüstige Seemann um jeden Mundvoll Luft, den der liebe Gott aus Gnaden schenkt, bis aufs Blut fechten würde. Aber da saß sie, weiß wie das Segeltuch, das der Sturm zerzauste, und alle Glieder hängen lassend, wie eine Flagge in einer Windstille, den abgemagerten, schwachen Arm um das Kind geschlungen, und in der Hand den einzigen Bissen, der ihr die Seele noch eine Weile im Leibe hätte halten können.«

»Womit war sie beschäftigt, als Ihr sie heraus an das Tageslicht gebracht?«

»Womit sie beschäftigt war?« wiederholte Fid, dessen Stimme hier rauh und heiser wurde, »i nu, es war ein verzweifelt ehrliches Stück Beschäftigung; sie gab dem Knaben die Krume und winkte, so gut wie es eine Frau in den letzten Zügen vermochte, daß wir ein Auge auf ihn haben möchten … bis die Fahrt des Lebens vorüber war.«

»Und das war alles?«

»Ich hab‘ immer geglaubt, daß sie noch betete; denn was muß zwischen ihr und Einem, der nicht zu sehen war, vorgegangen sein, nach der Manier zu urteilen, wie ihre Augen aufwärts gerichtet waren, und wie sich ihre Lippen bewegten. Ich hoffe, sie hat unter andern auch für einen gewissen Richard Fid ein gutes Wort eingelegt; denn das ist gewiß, wenn irgendeiner nicht nötig hat, für sich selbst zu bitten, so war’s sie’s. Aber was sie sprach, wird wohl niemand erfahren, sintemalen ihr Mund sich von der Zeit an auf immer geschlossen.«

»Sie starb!«

»Es tut mir leid, daß ich’s sagen muß, ja. – Aber die arme Frau konnte nichts mehr zu sich nehmen, als sie in unsere Hände kam, und überdies hätten wir ihr auch nur wenig geben können. Ein Quart Wasser, mit ungefähr einer Viertelpinte Wein, ein Zwieback und eine Handvoll Reis, war keine übergroße Portion für zwei gesunde Kerle, die ein Boot etliche und siebenzig Seestunden innerhalb der Wendepunkte fortrudern sollten. Als wir nun sahen, daß nichts weiter auf dem Wrack zu suchen war, und daß es, nu rasch zu sinken anfing, da die Luft durch das Loch, das wir eingehauen hatten, rausgelassen war, so hielten wir’s für geraten, uns davon zu machen. Und, meiner Treu! Es war nicht im geringsten zu früh, denn es ging unter, just als wir unser Boot soweit gerudert hatten, daß der Strudel es nicht mehr anziehen konnte.«

»Und der Knabe, das arme, verlassene Kind!« rief die Gouvernante, deren tränenvollen Augen jetzt zwei große Tropfen entquollen.

»Da steuern Sie auf ganz unrichtigem Pfade, gnädige Frau. Weit entfernt davon ihn zu verlassen, nahmen wir ihn mit, wie auch das einzige, andere lebendige Geschöpf, das auf dem Wrack zu finden war. Allein, wir hatten noch eine lange Reise vor uns, und, was das Übel ärger machte, das Kielwasser der Kauffahrer verloren. Ich erklärte also, unser Fall mache einen allgemeinen Schiffsrat notwendig; der bestand nu freilich bloß aus mir und dem Schwarzen, sintemalen der Junge zum Sprechen zu schwach war, und auch in unserer Lage nicht viel anderes hätte vorbringen können. So fing ich denn selber an: Guinea, sagte ich, wir müssen entweder den Hund hier oder den Knaben hier essen. Essen wir den Knaben, so sind wir nicht besser, als das Volk bei dir zu Hause, das, wie Sie wissen, gnädige Frau, lauter Kannibalen sind; essen wir den Hund, mager wie er ist, so kriegen wir vielleicht so viel raus, daß wir Seele und Leib zusammenhalten und dem Knaben das übrige geben können. So sagte der Guinea, sagt er: Ich gar nichts essen brauchen, dem Knaben die Speise lieber geben, sagt er, denn er klein ist und fehlt ihm an Kräfte. – Indessen, dem jungen Herrn, dem Harry, wollte der Hund nicht sonderlich behagen, der bald zwischen uns alle wurde, denn warum, er war gar zu dünn. Wie das vorbei war, gab’s für uns beide eine hungrige Zeit; denn wenn wir das Leben in dem Jungen nicht festgehalten hätten, so wär’s uns durch die Finger geschlüpft, sehen Sie.«

»Und Ihr nährtet also das Kind, indem Ihr selbst fastetet?«

»Nein, ganz müßig waren wir gerade nicht, gnädige Frau; unsere Zähne übten sich wacker an der Haut des Hundes, obgleich ich nicht behaupten will, daß die Kost zu schmackhaft gewesen wäre. Fürs zweite, da uns das Essen nicht viel Zeit wegnahm, so hielten wir uns um so lebhafter ans Rudern. Gut, nach einiger Zeit erreichten wir eine der Inseln, aber freilich konnte weder der Neger noch ich uns auf Stärke oder Gewicht viel zugute tun, als wir die erste Küche, auf die wir stießen, zu Gesicht bekamen.«

»Und das Kind?«

»O, der Junge befand sich ziemlich wohl; denn, wie uns nachher die Doktors sagten, die kleine Portion, die auf sein Teil fiel, hatte ihm nicht geschadet.«

»Suchtet Ihr seine natürlichen Freunde nicht auf?«

»Ei nu, was das anbetrifft, gnädige Frau, soweit ich wenigstens entdecken konnte, so war er eigentlich schon bei seinen besten Freunden. Wir hatten weder Seekarten, noch eine Liste der Landungsplätze bei uns, wonach wir hätten steuern können, um seine Familie ausfindig zu machen. Er nannte sich Master Harry, ein Beweis, daß er von vornehmer Geburt sein mußte, wie man ihn denn auch nur anzusehen braucht, um davon überzeugt zu sein; sonst aber konnte ich über seine Verwandten, Vaterland und dergleichen kein Wort mehr erfahren. Da er indessen Englisch sprach und in einem englischen Schiffe gefunden wurde, so steht, aller natürlichen Ursache nach zu vermuten, daß er in England gezimmert ist.«

»Habt Ihr den Namen des Schiffes nicht erfahren können?« fragte der aufmerksame Rover, in dessen Gesicht der Zug der lebendigsten Teilnahme auf das Deutlichste zu unterscheiden war.

»Schauen Ew. Gnaden, was das anbelangen tut, so waren Schulen in meiner Gegend nicht sehr häufig; und in Afrika ist, wie Sie wissen, auch nicht viel Erhebliches von Gelehrsamkeit anzutreffen, so daß, wenn der Name des Schiffes auch noch über Wasser gewesen wäre, was er aber nicht war, wir mit dem Lesen doch nicht hätten zurecht kommen können. Dafür aber war ein Schlageimer, der wahrscheinlich auf dem Verdeck herumfuhr, glücklicherweise in den Pumplöchern festsitzen geblieben und ging also nicht über Bord, als bis wir ihn mitnahmen. Gut, auf dieser Putse war ein Name gemalt; und wie wir Zeit dazu hatten, ließ ich den Guinea, der ein natürliches Talent zum Tätowieren besitzt, mir den Namen mit Schießpulver in den Arm einreiben, als den kürzesten Weg, dergleichen Kleinigkeiten ins Logbuch einzutragen. Ew. Gnaden sollen sehen, wie der Schwarze mit dem Abschreiben fertig geworden ist.«

Hierbei zog Fid ganz ruhig seine Schiffsjacke aus und entblößte bis zum Ellbogen hinauf einen seiner stämmigen Arme, auf dem die bläuliche Inschrift noch sehr deutlich stand. Obgleich die Buchstaben nur sehr roh auf dem Fleische nachgeahmt waren, so war es doch nicht schwer, die Worte zu lesen: » Arche von Lynnhaven.«

»Hier hattet Ihr also gleich einen Schlüssel zur Auffindung der Verwandten des Knaben«, bemerkte der Rover, nachdem er die Schrift entziffert hatte.

»Es scheint doch nicht, Ew. Gnaden, denn wir nahmen das Kind mit uns an Bord der Proserpina, und unser würdiger Kapitän spannte alle Segel nach den Leuten aus; allein niemand konnte uns irgendeine Nachricht geben von so einem Fahrzeuge, wie die Arche von Lynnhaven, und nach einem Zwölfmond oder drüber mußten wir die Jagd aufgeben.«

»Konnte das Kind selbst nichts über seine Verwandten berichten?« fragte die Erzieherin.

»Nur weniges, gnädige Frau; aus dem einfachen Grunde, weil es nur wenig über sich selbst wußte. Daher gaben wir denn die Sache endlich ganz auf und machten uns selbst, das heißt, ich, der Guinea, der Kapitän samt allen übrigen, daran, dem Knaben Erziehung zu geben. Sein Seemannshandwerk hat er vom Schwarzen und mir gelernt, vielleicht auch etwas von seinen guten Sitten. Seine Schiffahrerkunst und Lateinisch aber, das hat er vom Kapitän, der sein Freund geworden ist, bis zu der Zeit, wo er für sich selber sorgen konnte, und, kann wohl sein, auch noch einige Jahre nachher.«

»Und wie lange blieb Herr Wilder in einem königlichen Schiff?« fragte der Rover nachlässig und scheinbar auf eine gleichgültige Weise.

»Lange genug, um alles zu lernen, was dort gelehrt wird, Ew. Gnaden«, war die ausweichende Erwiderung.

»Er hat es wohl bis zum Offizier gebracht?«

»Wenn das nicht ist, so verliert der König am meisten bei dem Handel. – Doch was seh‘ ich da von der Seite, zwischen der Pardune und dem Geerdentau; es sieht aus wie ein Segel, oder ist’s nur eine Möwe, die die Flügel schwingt, ehe sie aufsteigt?«

»Segel, ho!« rief der Matrose im Mastkorbe.

»Segel, ho!« ging’s wie ein Echo vom Topp bis zum Deck herunter, indem der schimmernde, obgleich entfernte Gegenstand von einem Dutzend spähender Augen in einem und demselben Moment erblickt wurde. Einem so oft wiederholten Rufe konnte der Rover seine Aufmerksamkeit nicht vorenthalten, und Fid benutzte den Umstand, um von der Hütte zu springen, was er mit einer Hast tat, die wohl bewies, daß ihm die Unterbrechung gar nicht unangenehm war. Hier erhob sich auch die Gouvernante und suchte, gedankenvoll und traurig, die Einsamkeit ihrer Kajüte.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

»Segel ho!« war in der wenig besuchten See, wo der Korsar lag, ein Ruf, der im Busen seiner Mannschaft jeden langsamern Herzensschlag belebte. Viele Wochen waren nun, nach ihrer Berechnungsweise, mit den schwärmerischen und profitlosen Plänen ihres Obern vollkommen nutzlos zugebracht worden. Sie waren keineswegs in einer Laune, um die unabänderlichen Bestimmungen des Geschickes, die das Bristoler Kauffahrteischiff ihrem Netze entführte, mit in Anschlag zu bringen; für diese rohen Naturen war es genug, daß ihnen der reiche Fang einmal entgangen war. Ohne sich erst auf Untersuchung der Ursachen dieses Verlustes einzulassen, suhlten sie sich nur zu sehr geneigt, den unschuldigen Offizier, dem ein Fahrzeug anvertraut war, daß sie schon als ihre Prise betrachteten, ihre getäuschten Erwartungen schwer entgelten zu lassen. Jetzt also zeigte sich endlich eine Gelegenheit, den Verlust zu vergüten. Das fremde Segel war im Begriff, in einer Gegend der See mit ihnen handgemein zu werden, wo Hilfe eine so gut wie vergebliche Hoffnung war, und wo die Freibeuter Zeit genug hatten, jeden errungenen Sieg bis zum Äußersten zu benutzen. Jeder von den Schiffsgenossen schien eine Idee von diesen Vorteilen zu haben; und wie die Worte vom Maste bis zu den Rahen, von den Rahen bis aufs Verdeck hinabtönten, wurden sie von mehr als fünfzig Stimmen wiederholt, bis sie wie ein heiteres, vieltöniges Echo in den abgelegensten, innersten Teilen des Schiffes widerhallten.

Der rote Freibeuter selbst bezeugte mehr als gewöhnliches Vergnügen bei dieser Aussicht auf eine Prise. Ihm entging keineswegs, daß irgendeine glänzende oder gewinnbringende Tat auszuführen unumgänglich notwendig sei, um die erregten Gemüter seiner Leute zu beschwichtigen; und lange Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß er die Zügel der Mannszucht niemals straffer spannen durfte, als in solchen Augenblicken, die offenbar die Ausübung seines persönlichen hohen Mutes und die Anwendung seiner vollendeten Kenntnisse erforderten. Er schritt daher zu den Leuten in den Vorderraum mit einem nicht mehr von Zurückhaltung umwölkten Gesicht, sprach mit mehreren, indem er sie beim Namen anredete, ja, verschmähte es nicht, sie um ihre Meinungen über das Segel in der Ferne zu befragen. Auf diese Weise wußte er ihnen stillschweigend die Versicherung beizubringen, daß ihr neuliches meuterisches Betragen nicht gerügt werden sollte; und nun ließ er Wildern, den General und einen oder zwei von den anderen höheren Offizieren zu sich aufs Verdeck der Hütte entbieten, wo sie sich alle anschickten, mit Hilfe eines halben Dutzends vortrefflicher Ferngläser genauere und zuverlässigere Beobachtungen anzustellen.

Eine geraume Weile wurde jetzt in stiller, angestrengter Untersuchung zugebracht. Der Himmel war frei von Wolken, der Wind frisch, ohne stürmisch zu sein, die See ging in langen, gleichmäßigen und keineswegs hohen Wellen, kurz, alle Umstände vereinigten sich, sofern eine solche Vereinigung auf dem rastlosen Ozean nur möglich ist, nicht nur, um ihr Spähen zu unterstützen, sondern auch die Evolutionen zu begünstigen, von denen es mit jedem Augenblicke wahrscheinlicher wurde, daß sie unumgänglich nötig sein und bald erfolgen würden.

»Es ist ein Schiff!« rief der Rover, der erste, der das Fernrohr vom Auge nahm und das Ergebnis seines langen und genauen Forschens verkündete.

»Es ist ein Schiff!« widerhallte es von dem Munde des Generals, der, trotz der Gewalt, die er gewöhnlich über seine Gesichtszüge besaß, ein lebendiges Aufglänzen der Freude nicht ganz unterdrücken konnte.

»Ein vollständig aufgetakeltes Schiff!« setzte ein dritter hinzu, indem er ebenfalls das Glas vom Auge nahm und das grimmige Lächeln des Soldaten erwiderte.

»So viele stolze Segelbäume führen gewiß keine Kleinigkeit«, nahm ihr Kommandeur das Wort wieder auf. »Sie haben ein Schiff von Wert unter sich. – Doch Sie sagen ja nichts, Herr Wilder! Wofür halten Sie es?«

»Für ein Schiff von mehr als gewöhnlicher Größe«, erwiderte unser Abenteurer, der, obgleich er bis jetzt geschwiegen hatte, weit davon entfernt war, bei seiner Untersuchung geringeres Interesse als die übrigen zu fühlen – »Trügt mich mein Fernglas … oder …«

»Oder was, Sir?«

»Mir ist es schon bis zum Anfang seiner großen Untersegel sichtbar.«

»Sie sehen es wie ich. Es ist ein stattliches Schiff, das seine Rahesegeltaue leicht handhabt und aufgesetzt hat, was nur immer ziehen will. Und seine Richtung ist gerade auf uns zu. Seine unteren Segel sind innerhalb dieser letzten fünf Minuten aufgezogen worden.«

»Das dacht‘ ich mir auch. Aber …«

»Aber was, Sir? Es kann nur geringem Zweifel unterliegen, daß es Nord bei Ost einsetzt. Wohlan, da es so gütig ist, uns die Mühe des Jagdmachens zu ersparen, so brauchen wir uns um so weniger mit unseren Bewegungen zu beeilen. Mag es herankommen! Wie gefällt Ihnen das Avancieren des Fremden, General?«

»Nicht sehr militärisch, aber außerordentlich lockend! Man kann ihm die Goldbergwerke schon an den Bramsegeln ansehen.«

»Und Sie, meine Herren, sehen Sie ebenfalls die Manier einer Galione an seinen oberen Segeln?«

»Es ist nichts Unvernünftiges in der Annahme«, antwortete einer der Subalternen. »Es heißt, die Dons machen oft die Fahrt durch diese Gewässer, um uns Herren, die wir mit selbstausgestellten Kaperbriefen segeln, nicht sprechen zu müssen.«

»Ah! Ein Don ist Euch ein Fürst der Erde? Aus purer Liebe schon muß man ihm die goldene Bürde leichter machen, damit der Segler nicht drunter sinke, wie die römische Matrone unter der Wucht der Sabinerschilde. Nicht wahr, Herr Wilder, Sie können nichts von jener goldenen Schönheit an dem Fremden entdecken?«

»Es ist ein schweres Schiff!« »Um so wahrscheinlicher führt es eine edle Fracht. Sie sind neu, Sir, in diesem unserem lustigen Handwerk, sonst würden Sie wissen, daß Größe eine Eigenschaft ist, die wir immer an den uns Besuchenden vorzüglich schätzen. Führen sie königliche Flaggen, so überlassen wir ihnen nach geschehener Begrüßung Zeit, über den oft langen Weg zwischen Löffel und Mund ihre Betrachtungen anzustellen: und sind sie mit keinem gefährlicheren Metall angestaut, als dem aus den Minen von Potosi, so segeln sie in der Regel um so schneller, nachdem sie ein paar Stunden in unserer Gesellschaft zugebracht haben.«

»Hängt der Fremde nicht Signale aus?« – fragte Wilder gedankenvoll.

»Sieht er uns so bald schon? – Es gehört eine aufmerksame Wache dazu, ein Fahrzeug, das nur seine Stabsegel los hat, aus solcher Ferne zu entdecken. Wer so auf seiner Hut ist, der führt ganz gewiß eine kostbare Ladung.«

Es folgte eine Pause, während der alle, dem Beispiele Wilders folgend, die Fernrohre von neuem ansetzten und nach dem Fremden schauten. Die Meinungen fielen verschieden aus: einige bestätigten, andere bezweifelten den Umstand von ausgehängten Signalen. Der Rover selbst beobachtete scharf und anhaltend, äußerte aber keine Meinung.

»Wir haben uns die Augen abgemüdet, so daß uns die Gesichtsgegenstände ineinanderschillern«, sagte er endlich. »Ich habe es von Nutzen gefunden, frische Organe zu Hilfe zu rufen, wenn die meinigen mir den Dienst versagten. Komm her, Junge«, fuhr er fort, indem er einen Mann anredete, der auf der Hütte unweit des Flecks, wo die Gruppe von Offizieren stand, mit einem künstlichen Stück Matrosenarbeit beschäftigt war. »Komm her: sag‘ mir, was du an dem Segel hier, vom südwestlichen Bord aus, entdeckst?«

Der Mann, der wegen seiner Geschicklichkeit zur Ausführung dieses Auftrags gewählt wurde, war kein anderer als Scipio. Er legte seine Mütze aufs Verdeck mit einer Ehrfurcht, die noch tiefer war, als der Seemann in der Regel gegen seine Oberen bezeigt, dann hielt er mit der einen Hand das Glas vors rechte Auge, während er mit der anderen Hand das linke bedeckte. Aber kaum hatte er mit dem schwankenden Instrumente den fernen Gegenstand getroffen, so ließ er es sinken und heftete den Blick mit einer Art von verblüffter Verwunderung auf Wilder.

»Hast du das Segel gesehen?« fragte der Rover.

»Herr, ihn kann sehen mit dem Aug‘ nackt.«

»Gut, aber was entdeckst du daran mit Hilfe des Fernrohrs?«

»Er ein Schiff is, Sir.«

»Wahr. Welche Richtung?«

»Er die Steuerbordsegel auf hat, Sir.«

»Auch wahr. Hat er aber Signale aufgezogen?«

»Er die drei neue Stück Tücher in die große Bramsegel hat, Sir.«

»Um so besser für ihn, wenn seine Segel hübsch ausgebessert sind. Hast du aber seine Flaggen gesehen?«

»Er Flaggen keine zeigen tut, Herr.«

»Das dacht‘ ich mir auch. Geh‘ wieder in den Vorderraum, Junge – halt – man kommt oft auf die Wahrheit, indem man sie da sucht, wo man sie nicht vermutet. Welche Größe glaubst du, hat das fremde Schiff?«

»Er just siebenhundertundfünfzig Tonnen, Herr.«

»Was ist das, die Zunge Ihres Negers, Herr Wilder, ist genau wie das Winkelmaß eines Zimmermanns. Der Kerl gibt die Größe eines Schiffes, dessen Rumpf noch gar nicht zu sehen ist, gerade so absprechend und bestimmt an, wie es nur immer von einem königlichen Zolleinnehmer geschehen könnte, nachdem er das Schiff amtlich gemessen hätte.«

»Sie werden die Unwissenheit des Schwarzen berücksichtigen; Menschen in seinem unglücklichen Zustande sind selten geschickt, Fragen zu beantworten.«

»Unwissenheit!« wiederholte der Rover und schoß den unruhigen Blick mit einer ihm eigentümlichen Schnelligkeit bald auf den einen, bald auf den anderen und dann auf den am Horizont emporsteigenden Gegenstand: »Ich weiß nicht; der Mensch sieht nicht aus als ob er zweifelte. – Und du glaubst, seine Lastfähigkeit sei durchaus nicht größer und nicht geringer, als du angegeben hast?«

Die großen dunklen Augen Scipios rollten abwechselnd von seinem neuen Obern auf seinen früheren Herrn, während seine Seelenvermögen in eine unauflösbare Verwirrung geraten zu sein schienen. Doch diese Ungewißheit dauerte nur einen Augenblick. Kaum las er den finstern Zorn, der sich auf Wilders gefurchter Stirn zusammenzog, so trat an die Stelle der Zuversichtlichkeit, womit er seine vorige Meinung ausgesprochen hatte, ein Blick von so hartnäckiger Zurückhaltung, daß man alle Hoffnung aufgeben mußte, ihn durch gute oder böse Worte jemals wieder auch nur zu dem Schein eigenen Denkens zu vermögen.

»Ich verlange zu wissen, ob der Fremde nicht ein Dutzend Tonnen größer oder kleiner sein könne, als du genannt hast?« fuhr der Rover fort, als er fand, daß er auf seine erste Frage wahrscheinlich nicht sobald eine Antwort erhalten würde.

»Er just is, wie Herr wünscht«, erwiderte Scipio.

»Nun, dann wünsche ich, daß er tausend Tonnen groß sei; um so reicher wäre die Prise.«

»Ich ihn halte gerade für Dausent, Sir.«

»Ein nettes Schiff von dreihundert, mit Gold angefüllt, wäre zwar auch nicht zu verachten.«

»Er aussieht sehr wie ein Dreihunderter.«

»Mir scheint es eine Brigg zu sein.«

»Ich ihn auch für einen Brick halte, Sir.« »Kann am Ende auch sein, daß der Fremde ein Schoner ist, mit vielen hohen und leichten Segeln.«

»Ein Schuner oft ein Bramsegel führt«, erwiderte der Schwarze, entschlossen, sich durchaus in alles, was der andere sagte, zu fügen.

»Wer weiß, ob es überhaupt ein Segel ist! He, da vorne! Es kann nicht schaden, über einen so wichtigen Gegenstand mehr als eine Meinung anzuhören. Heda, im Vorderraume, Ihr, schickt einmal vom Vormars den Matrosen, namens Fid, aufs Hüttendeck herab. Ihre Begleiter, Herr Wilder, sind so verständig und so treu, daß es Sie nicht wundernehmen muß, wenn mich etwas mehr als gebührlich nach ihrer Belehrung verlangt.«

Wilder drückte die Lippen zusammen, und der Rest der Gruppe bezeigte nicht wenig Erstaunen. Diese waren indes schon zu lange an die Kapricen ihres Kommandeurs gewöhnt, und jener zu weise, als daß sie in einem Augenblicke, wo seine Reizbarkeit die höchste Spitze erstiegen zu haben schien, Einrede für ratsam erachtet hätten. Indessen dauerte es nicht lange, bis der Toppgast erschien, worauf der Kommandant das Schweigen brach und also fortfuhr:

»Du hältst es also für zweifelhaft, Scipio, ob’s überhaupt ein Segel ist?«

»Er g’wiß nichts is als so ’n Ding, das wegfliegt«, erwiderte der hartnäckige Schwarze.

»Ihr hört, was Euer Freund, der Neger sagte, Herr Fid; er glaubt, der Gegenstand dort, leewärts, der so schnell zu Gesicht steigt, sei gar kein Segel.«

Da der Toppgast keinen hinlänglichen Grund sah, sein Erstaunen über diese närrische Meinung zu verbergen, so legte er es mit allen den Verschönerungen an den Tag, die dem Individuum, von dem wir sprechen, bei jeder lebhaften Gemütsbewegung so natürlich waren. Nachdem er einen kurzen Blick nach der Richtung des fremden Schiffes hin getan hatte, um sich zu überzeugen, daß auch wirklich keine Täuschung vorhanden sei, wendete er die Augen mit großem Unwillen aus Scipio, als wollte er die Ehre der Kameradschaft durch einige Geringschätzung der Unwissenheit des Kameraden selbst retten.

»Und was zum Teufel ist es denn, du Guinea? Eine Kirche?«

»Ich glaube er ’ne Kirche is«, wiederholte der beifällige Schwarze wie ein Echo.

»Gott steh‘ dem schwarzhäutigen Narren bei! Ew. Gnaden ist bekannt, daß das Gewissen in Afrika ganz verflucht verwahrlost wird, und werden den Neger nicht zu hart beurteilen, wegen eines kleinen Schnitzers, den er vielleicht in bezug auf seine Religion machen tut. Aber der Kerl ist ein ausgemachter Seemann und sollte ein Bramsegel von einem Turmknopfe unterscheiden können. Sieh, Siv, zur Ehre deiner Freunde, wenn dich dein eigener Stolz nicht rührt, sag‘ Seiner…«

»Ist schon gut!« unterbrach ihn der Rover. »Nehmt Ihr das Fernglas, und gebt Euer eigenes Dafürhalten über das Segel vor uns.«

Fid machte einen langen Kratzfuß und tiefen Bückling zum Dank für das Kompliment; hierauf legte er seinen kleinen teerleinwandenen Hut aufs Hüttendeck und setzte gemächlich, und wie er sich schmeichelte, kennermäßig seine Person in Positur zu der verlangten Operation. Der Toppgast schaute weit anhaltender, wahrscheinlich also auch viel genauer als der ihm befreundete Schwarze. Statt jedoch gleich mit seinem Gutachten herauszuplatzen, senkte er, nachdem sein Auge müde war, das Glas und zugleich auch den Kopf und stand da in der Stellung eines Menschen, dem sich ein Gegenstand von großer Wichtigkeit zum Nachdenken plötzlich aufdrängt. Während dieses Denkprozesses passierte das Tabakskraut in seinem Munde mit ungewöhnlicher Schnelligkeit von Wange zu Wange; die eine Hand steckte er quer in die Weste, gleichsam als wolle er alle seine Seelenkräfte bei einer ganz außerordentlichen inneren Anstrengung zum Beistand aufrufen.

»Ich warte auf Eure Meinung«, nahm der ihm zusehende Kommandeur seine Rede wieder auf, als er glaubte, die Pause sei lang genug gewesen, um selbst das Urteil eines Richard Fid zur Reife zu bringen,

»Wollen Ew. Gnaden mir bloß sagen, was das heut wohl für ein Tag im Monat ist, und, wenn’s angeht, zugleich auch den Tag der Woche, wenn es Ihnen nicht zuviel Mühe macht.«

Seine beiden Fragen wurden ohne Verzug beantwortet.

»Wir hatten den Wind Ost zum Süd am ersten Tag der Fahrt, dann setzte er nachts um und blies schußweise Nordwest, wo er sich hielt, mag sein eine Woche lang. Drauf kam ein irländischer Orkan, gerade von oben herunter, einen Tag: dann sind wir in diese Passatwinde hier hineingeraten, die all die Zeit über so unabänderlich angehalten haben wie ein Schiffskaplan bei einer Bowle Punsch.«

Hier schloß der Toppgast seinen Monolog, um den Tabak wieder in Bewegung zu setzen, indem es ihm nicht gelingen wollte, den Kau- und Sprechprozeß zu vereinbaren.

»Nun, was hältst du von dem Fremden?« fragte der Rover etwas ungeduldig.

»’s ist keine Kirche, soviel ist gewiß, Ew. Gnaden«, sagte Fid mit großer Bestimmtheit.

»Läßt er Signale flattern?«

»Er spricht vielleicht durch seine Flaggen, aber zu wissen, was er eigentlich sagen wollen tut, dazu gehört ein größerer Gelehrter als Richard Fid. Soviel ich sehen kann, hat er drei neue Stücke Leinwand in seinem großen Oberbramsegel, aber kein Flaggentuch.«

»Das Schiff ist glücklich, daß sein Segeltuch so gut imstande ist. Herr Wilder, sehen auch Sie die dunkleren Stücke Leinwand, von denen die Rede ist?«

»Es ist allerdings Leinwand, die man versucht wird, für später aufgezogen zu halten, als die übrige. Ich glaube, ich habe sie vorher, als die Sonne auf das Segel schien, aus Irrtum für Signale genommen.«

»Dann sieht man uns noch nicht, und wir können noch eine Zeitlang ruhig vor Anker bleiben, obgleich wir den Vorteil voraushaben, daß wir dem Fremden Fuß vor Fuß, bis zu den neuen Tüchern in seinem Bramsegel hinauf messen können.«

Der Ton, in dem der Rover sprach, war seltsam zwischen Satire und Argwohn geteilt. Eine ungeduldige Bewegung, die er nun machte, zeigte den beiden Matrosen an, daß sie die Hütte verlassen sollten. Als er sich wieder allein mit seinen Offizieren sah, die sprachlos und voller Ehrfurcht da standen, wandte er sich zu ihnen und setzte seine Rede auf eine Weise fort, die zugleich ernst und begütigend war:

»Meine Herren, unsere Muße hat ein Ende; das Glück hat uns wieder in den Pfad regsamer Tätigkeit geführt. Ob das Schiff vor uns genau siebenhundertundfünfzig Tonnen groß sei, ist mehr als ich zu behaupten imstande bin, aber etwas gibt es, was jeder Seemann wissen kann. Aus der Art, wie dessen obere Rahen gebraßt sind, an ihrem Ebenmaß, endlich an der Wucht von Leinwand, die es im Winde führt, erkenne und erkläre ich, daß es ein Kriegsschiff ist. Ist irgend jemand anderer Meinung? Herr Wilder sprechen Sie.«

»Ich fühle die Wahrheit aller Ihrer Gründe und stimme Ihnen bei.«

Das finstere Mißtrauen, das sich während des vorhergehenden Auftritts auf der Stirn des Rover verbreitet hatte, hellte sich um einen Schatten auf, als er die unumwundene, offene Aussage seines ersten Leutnants hörte.

»Sie glauben also, daß es eine königliche Flagge führe! Diese männliche Festigkeit in Ihrer Antwort gefällt mir. Der nächste Punkt, den wir nun zu überlegen haben, ist: Sollen wir uns mit dem Schiff in ein Gefecht einlassen?«

Nicht so leicht war es, auch auf diese Frage eine bestimmte Antwort zu geben. Jeder Offizier wollte erst in den Augen seiner Kameraden deren Meinung lesen, ehe er selbst eine gab; daher hielt es der Kommandeur für gut, seine Anfrage persönlicher zu stellen:

»Wohlan, General, hier ist ein Punkt, der sich ganz besonders für Ihre Weisheit eignet. Sollen wir einer königlichen Flagge den Kampf anbieten? Oder die Flügel ausbreiten und uns davonmachen?«

»Auf die Retirade sind meine Hunde nicht einexerziert. Geben Sie ihnen jedes andere Stück Arbeit, und ich verbürge mich dafür, daß sie standhalten.«

»Sollen wir uns aber in ein Wagnis einlassen, ohne hinlänglichen Grund dazu?«

»Der Spanier schickt seine Goldbarren oft unter der Larve eines bewaffneten Kreuzers nach Hause«, bemerkte einer der Subalternen, dem selten ein Risiko behagte, das keine Aussicht auf eine verhältnismäßige Beute darbot. »Lassen Sie uns dem Fremden erst den Puls fühlen; führt er noch etwas außer seinen Kanonen, so wird er es verraten durch seine Abgeneigtheit, uns zu sprechen; ist er aber arm, so werden wir ihn kampflustig finden wie einen halbsatten Tiger.«

»Ihr Rat ist vernünftig, Brace, er soll berücksichtigt werden. So gehen Sie also, meine Herren, jeder an seinen Posten. Die halbe Stunde, die es noch dauern wird, ehe der Rumpf des fremden Schiffes zu Gesichte steigt, wollen wir dazu anwenden, daß wir unsere Kardeelen in Ordnung bringen und die Kanonen visitieren. Da kein Beschluß zur Schlacht gefaßt ist, so lassen Sie alles Nötige so ausführen, daß nichts von unserer Vorbereitung zu merken ist. Meine Leute dürfen nichts sehen, was sie auf den Gedanken bringen könnte, daß wir einen schon gefaßten Beschluß wieder fahren ließen.«

Er winkte, und die Gruppe zerstreute sich, indem sich ein jeder zur Besorgung eines Teils der Vorbereitung anschickte, der seinem Posten im Schiffe anheimfiel. Wilder war im Begriff, sich mit den übrigen zu entfernen, als ihn sein Oberer zu sich winkte, so daß beide allein auf der Hütte blieben.

»Die Eintönigkeit unserer Lebensweise, Herr Wilder, wird nun wahrscheinlich eine Unterbrechung erleiden«, fing der Rover an, nachdem er zuvor um sich geschaut hatte, ob sie allein wären. »Ich habe von Ihrem Mut und Ihrer Ausdauer genug gesehen, um überzeugt zu sein, sollte der Zufall mich außerstand setzen, die Schicksale dieser Menschen zu leiten, daß meine Autorität in feste und geschickte Hände fallen wird.«

»Wenn uns ein Unfall treffen sollte, so hoffe ich, der Ausgang werde Ihre Erwartungen nicht täuschen.«

»Ich habe Vertrauen, Sir: und wo ein tapferer Mann sein Vertrauen setzt, da ist er zur Hoffnung berechtigt, es werde nicht gemißbraucht werden. Hab‘ ich recht?«

»Ich sehe die Richtigkeit Ihrer Worte ein.«

»Ach, Wilder, ich wünschte, wir hätten uns früher gekannt. Doch was nützt fruchtloses Bedauern! Ihre Kerle da haben ein scharfes Gesicht, daß sie jene Segeltücher so bald unterscheiden konnten.«

»Die Bemerkung war von der Art, wie sie sich von Leuten dieser Klasse erwarten ließ: Sie aber waren der erste, der die feineren Unterscheidungen entdeckte, die das Schiff als einen königlichen Kreuzer bezeichnen.«

»Und dann die siebenhundertundfünfzig Tonnen des Schwarzen! – Das heißt doch wirklich seine Meinung mit großer Bestimmtheit geben!«

»Es ist die Eigenschaft der Unwissenheit, positiv zu sein.«

»Sehr wahr. Richten Sie doch einmal den Blick auf den Fremden, und sagen Sie mir, wie geschwind er herankommt.«

Wilder gehorchte, offenbar froh, von einem Gespräch befreit zu sein, das ihn vielleicht in Verlegenheit gesetzt hätte. Lange schaute er, bevor er das Glas senkte; während der Pause sprach sein Kommandeur keine Silbe. Als sich Wilder nun aber zu ihm wendete, um das Resultat seiner Beobachtung zu geben, begegnete er einem auf sein Gesicht gehefteten Blick, der bis in sein Innerstes dringen zu wollen schien. Hoch errötend, vielleicht wegen des Argwohns, den ein solcher Blick verriet, schloß Wilder die zum Sprechen schon halb geöffneten Lippen.

»Und das Schiff?« fragte Rover mit tiefer Betonung.

»Das Schiff zeigt schon seine unteren großen Segel; noch einige Minuten, so können wir den Rumpf sehen.«

»Ein schnelles Fahrzeug; es ist geradezu auf uns gerichtet.«

»Ich glaube nicht. Es liegt mit dem Vorderteil mehr nach Osten zu.«

»Von diesem Umstand muß ich mir doch selbst Gewißheit verschaffen. Sie haben recht,« fuhr er fort, nachdem er auf das sich nähernde Segelgewölk hingeblickt hatte; »Sie haben ganz recht. Wir sind noch immer unentdeckt. Vorne da! Nehmt das Vorstagsegel dort herunter; wir wollen das Schiff mit bloßen Rahen im Gleichgewicht halten. Nun mag er alle seine Augen zusammennehmen und gucken; sie müssen scharf sein, wenn sie diese nackten Stangen aus solcher Ferne erblicken wollen.«

Ohne eine weitere Erwiderung zu machen, gab unser Abenteurer seinen Beifall zu dem Gesagten durch ein bloßes Kopfnicken zu erkennen. Drauf setzten sie ihr Auf- und Abgehen innerhalb des beschränkten Raumes des Hüttendecks fort, ohne daß einer oder der andere besondere Neigung zeigte, das Gespräch zu erneuern.

»Wir sind ganz gut auf die Alternative, zu fechten oder zu fliehen, gerüstet«, bemerkte endlich der Rover, indem er einen Überblick über die Vorbereitungen tat, die, ohne äußeres Aufsehen zu erregen, von dem Augenblicke an, wo sich die Offiziere an ihre Posten zurückbegeben hatten, in Gang gesetzt worden. »Ich will Ihnen nur gestehen, Wilder, daß es mir Freude macht, zu glauben, der verwegene Narr dort führe das stolze Patent des Deutschen, der die Krone Britanniens trägt. Ist er uns so sehr überlegen, daß es Tollkühnheit wäre, uns im Kampfe mit ihm messen zu wollen, so will ich ihm wenigstens Hohn sprechen; sollte sich’s aber zeigen, daß wir ihm gewachsen sind, wie schön, den heiligen Georg ins Wasser herabflattern zu sehen! Würde Ihnen der Anblick nicht Freude machen?«

»Ich hatte den Wahn, daß Leute unsres Handwerks die bloße Ehre Albernen überließen, und keinen Schlag täten, dessen Echo nicht von einem kostbarern Metall als bloßem Stahl zurücktönt.«

»So urteilt die Welt von uns: ich meinesteils aber möchte lieber den Stolz der Kreaturen des Königs Georg demütigen können, als die Schlüssel zu seinem Schatz erringen! – Habe ich recht, General?« setzte er hinzu, als sich dieser näherte. »Habe ich recht, wenn ich behaupte, daß es eine herrliche Freude ist, eine königliche Flagge dem Spiel der Wogen preiszugeben?«

»Wir kämpfen um den Sieg«, erwiderte der Haudegen. »Ich bin jede Minute schlagfertig.«

»Prompt und entschieden, wie’s einem Soldaten ziemt. Sagen Sie mir doch, angenommen, das Glück oder der Zufall, oder die Vorsehung – welcher von diesen Mächten Sie nun einmal als Führerin huldigen mögen – stellte Ihnen die Wahl unter den Lebensgenüssen frei, welchem Genuß würden Sie, als dem höchsten, den Vorzug geben, General?«

Der Soldat überlegte einen Augenblick, ehe er antwortete:

»Ich habe mir oft gedacht: Könntest du über die Dinge auf Erden gebieten, du würdest, unterstützt von einem Dutzend deiner wackersten Hunde, den Eingang der Höhle angreifen, in die der Schneiderbursch, der sogenannte Aladdin, eintrat.«

»Der Wunsch eines echten Freibeuters! An den bezauberten Bäumen würden dann nicht lange die goldenen Früchte prangen. Doch wäre der Sieg nicht sehr ruhmbringend, da die Waffen der Kämpfenden in nichts als Beschwörungen und Zauberformeln bestehen. Gilt Ihnen die Ehre nichts?«

»Hm! Um Ehre habe ich die Hälfte eines ziemlich langen Lebens gefochten; am Ende aller meiner Fährlichkeiten fand ich mich geradeso federleicht als beim Anfang. Nein, nein! Die Ehre und ich haben Abschied voneinander genommen; es müßte denn die sein, als Eroberer aus dem Kampfe hervorzugehen. Ich hasse allerdings eine Niederlage; aber die bloße Ehre des Sieges kann man zu jeder Zeit wohlfeil von mir haben.«

»Lassen Sie es gut sein. Der Dienst bleibt der Sache nach so ziemlich derselbe, mögen Sie Ihre Beweggründe hernehmen woher Sie wollen. – Was ist das! Wer hat sich unterstanden, das Bramsegel da oben loszulassen?«

Die heftige Veränderung in der Stimme des Rovers machte alle, die ihn hörten, zittern. Jeder einzelne Ton drückte tiefen, bittern und drohenden Unwillen aus, und jeglicher richtete den Blick hinauf, um zu sehen, auf wessen unglückliches Haupt das Gewicht des furchtbaren Zorns seines Befehlshabers fallen würde. Da nichts den Augen im Wege war, als entblößte Rahen und angestraffte Taue, so überzeugten sich alle in einem und demselben Moment von der Wahrheit der Sache. Fid stand auf der Spitze der Spiere, die zu dem ihm angewiesenen Gebiete im Schiffe gehörte, und das genannte Segel, an allen seinen Kardeelen los, flatterte hoch und weit in den Wind hinein. Das laute Rauschen der Leinwand mußte sein Ohr betäubt haben; denn statt auf jenen tiefen, mächtigen Ruf des Kommandeurs zu hören, stand er da, versunken in der Anschauung seines Werkes, und schien sich nicht im geringsten zu kümmern, was die unter ihm dazu sagen würden. Allein ein zweiter Ruf erschallte in viel zu fürchterlichen Tönen, als daß er selbst vom schwerhörenden Ohr des Delinquenten unbeachtet bleiben konnte.

»Auf wessen Befehl wagtest du dies Segel loszulassen?« schrie der Rover hinaus.

»Auf Befehl Sr. Majestät des Windes, Ew. Gnaden; der beste Seemann muß nachgeben, wenn eine Bö die Oberhand gewinnt.«

»Schnür‘ es an! hiß es auf, und schnür‘ es an!« rief der aufgebrachte Anführer. »Rollt mir’s zusammen, und schickt den Kerl herab, der sich erfrechte, in diesem Schiffe eine andere Macht anzuerkennen als meine, und wäre es auch die eines Orkans.«

Ein Dutzend behender Toppgasten stiegen in die Höhe, dem Fid zu helfen. Nach einer Minute war das stark bewegte Segeltuch eingeholt und Richard unterwegs nach der Hütte. Während dieses kurzen Zwischenraumes war die Stirn des Korsaren finster und zürnend, wie die schwarze Oberfläche des Elements, auf dem er hauste, unter dem einherbrausenden Sturm. Wildern, der seinen neuen Kommandeur noch nie in solcher Aufregung gesehen hatte, wurde bange um das Schicksal seines alten Gefährten, und wie dieser sich näherte, trat auch er dichter heran, um Fürbitte für ihn zu tun, sollten die Umstände eine solche Dazwischenkunft unumgänglich notwendig machen.

»Und wie kommt das?« fragte der strenge und zornige Anführer den Delinquenten. »Wie kommt’s, daß du, den ich erst so kürzlich zu beloben Ursache hatte, es wagen darfst, ein Segel in einem Moment loszulassen, wo es von Wichtigkeit ist, daß das Schiff vor Topp und Takel stehe?«

»Ew. Gnaden werden zugeben, daß dem gescheitesten Mann zuweilen der Verstand durch die Finger schlüpft, warum also nicht ein Stückchen Leinwand?« antwortete gelassen der Delinquent. »Wenn ich die Beschlagsseising etwas zu locker an die Rahe anholte, so ist’s ’n Vergehen, für das zu büßen ich bereit bin.«

»Wahr gesprochen, du sollst den Fehler teuer büßen. Bringt ihn nach der Laufplanke und laßt ihn mit der Peitsche Bekanntschaft machen.«

»Ist keine neue Bekanntschaft, Ew. Gnaden, sintemalen wir schon früher aufeinandergestoßen sind, und zwar bei Gelegenheiten, derentwegen ich Ursache hatte, mein Haupt zu verbergen; hier aber sind’s vielleicht bloß viel Hiebe und wenig Schande.«

»Darf ich eine Fürbitte für den Fehlenden tun?« unterbrach Wilder angelegentlich und hastig. »Er macht oft dumme Streiche, allein wenn es ihm ebensowenig an Kenntnissen als an gutem Willen gebräche, so würde er selten fehlen.«

»Verlieren Sie kein Wort darüber, Master Harry«, versetzte der Freibeuter mit einem sonderbaren Seitenblick. »Das Segel flatterte allerliebst, es ist zu spät, es leugnen zu wollen; und so muß das Faktum wahrscheinlich aus den Rücken von Richard Fid aufgetragen werden, wie man irgendeinen andern Unfall ins Logbuch einzutragen pflegt.«

»Ich wünschte, er könnte Pardon erhalten. Ich getraue mir, in seinem Namen das Versprechen zu tun, daß es sein letztes Vergehen sein soll.«

»Mag’s vergessen sein«, erwiderte Rover, mächtig gegen seinen Zorn ankämpfend. »Ich will in einem Augenblicke wie dem gegenwärtigen unsere Eintracht dadurch nicht stören, daß ich Ihnen, Herr Wilder, eine so kleine Bitte abschlage; indes darf ich Ihnen nicht erst sagen, was für üble Folgen eine solche Vernachlässigung herbeiführen konnte. Geben Sie mir das Fernglas; ich will doch sehen, ob das flatternde Segel den Augen des Fremden entgangen ist.«

Der Toppgast warf einen verstohlenen aber triumphierenden Blick auf Wilder, der ihm rasch zuwinkte, sich zu entfernen, und seinem Kommandeur wieder an die Seite trat, um gemeinschaftlich mit ihm die Untersuchung fortzusetzen.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Das fremde Segel kam so rasch näher, daß es von Augenblick zu Augenblick dem nackten Auge erkennbar wurde. Der kleine, weiße Punkt, der zuerst am entfernten Rande der See, gleich einer auf den Gipfel einer Woge schwimmenden Möwe erschien, war während der letzten halben Stunde allmählich in die Höhe gestiegen, bis sich eine erhabene Pyramide von Segeln aus dem Wasser emporhob. Als Wilder nochmals das Auge auf diesen immer wachsenden Gegenstand heftete, gab ihm der Rover das Glas zurück, und in dem Ausdruck seiner Züge konnte unser Abenteurer deutlich die Worte lesen: Die Nachlässigkeit Ihres Dieners hat uns, wie Sie sehen können, bereits verraten! Doch lag mehr Bedauern als Vorwurf in dem Blick; auch entfuhr dem Munde nicht ein Wörtchen, das den sprechenden Sinn des Auges bestätigt hätte. Im Gegenteil, aller Anschein war dafür, daß der Kommandeur eifrig den Wunsch hegte, den neuen Freundschaftsvertrag zwischen ihnen unverletzt zu erhalten; denn als der junge Seemann eine etwas unbeholfene Erklärung der wahrscheinlichen Ursachen von Fids Versehen zu machen versuchte, wurde ihm mit einer gelassenen Gebärde entgegnet, die ihm verständlich genug die Versicherung gab, daß dem Delinquenten verziehen sei.

»Unser Nachbar hält einen guten Ausguck, wie Sie sehen. Er hat gewendet und legt sich uns kühn gerade vor den Vorsteven. Wohlan, er mag sich nahen; wir werden bald seine Batterien zu Gesicht bekommen, und dann können wir ja bestimmen, von welcher Art die Zusammenkunft sein soll.«

»Wenn Sie dem Fremden eine so große Annäherung erlauben, so dürfte es schwer sein, ihn bei der Jagd aus der Fahrt zu werfen, im Falle es wünschenswert sein sollte, ihn vom Halse zu haben.«

»Das Fahrzeug muß schnell segeln, dem der Delphin nicht ein Bramsegel vorausgeben kann.«

»Ich weiß nicht, Sir. Das Segel dort kann munter bei dem Wind segeln, es ist also nicht unwahrscheinlich, daß es vor dem Winde nicht träger sein wird. Mir ist selten ein Schiff vorgekommen, das so rasch zu Gesichte stieg wie dieses, seit wir es zuerst entdeckten.«

Der Jüngling sprach mit so vieler Angelegentlichkeit, daß er die Aufmerksamkeit seines Kommandeurs von dem gemeinsamen Gegenstand ab und auf sein Gesicht zog.

»Herr Wilder,« sagte er rasch und entschieden, »Sie kennen das fremde Schiff!«

»Ich will es nicht leugnen. Meiner Meinung nach wird es sich als ein Schiff ausweisen, das dem Delphin zu schwierig ist, und das wenig hat, was uns zu dem Versuch einladen könnte, es aufzubringen.«

»Seine Größe?«

»Sie wissen sie bereits vom Schwarzen.«

»Also auch Ihre Begleiter kennen es?«

»Ein Toppgast verkennt nicht leicht den Zuschnitt und die Haltung der Segeltücher, zwischen denen er Monate, ja mehrere Jahre zugebracht hat.«

»Ich verstehe nun die drei neuen Tücher in dessen Bramsegel! Herr Wilder, es ist noch nicht lange her, daß Sie jenes Schiff verlassen haben?«

»Nicht länger als meine Ankunft in diesem.«

Der Rover schwieg, mehrere Minuten mit sich selbst zu Rate gehend. Sein Gesellschafter machte zwar keinen Versuch, ihn zu stören, doch verriet er durch oftmalige, verstohlene Blicke, daß ihm das Resultat dieser Selbstberatung nichts weniger als gleichgültig war.

»Und seine Kanonenzahl«, fragte endlich abgebrochen sein Kommandeur.

»Es zählt vier mehr als der Delphin.«

»Das Kaliber?«

»Ist verhältnismäßig noch stärker. In jeder Hinsicht ist das Schiff dem Ihrigen überlegen.«

»Es gehört doch auch ganz gewiß dem König an?«

»Ganz gewiß.«

»Dann soll es seinen Herrn wechseln, beim Himmel, es soll mein werden!«

Wilder schüttelte den Kopf, mit einem bloßen ungläubigen Lächeln antwortend.

»Sie zweifeln. Kommen Sie hierher und schauen Sie aufs Verdeck hinab. Kann der, den Sie so kürzlich verließen, Kerle wie diese mustern, die seinem Wink gehorchen?«

Die Bande auf dem Delphin, gewählt von einem Manne, der sich meisterhaft auf das verstand, was zum Charakter eines Matrosen gehört, bestand aus Leuten von allen Völkern der christlichen Welt. In ganz Europa gab es keine schiffahrttreibende Nation, die unter dieser Truppe unruhiger Waghälse nicht ihren Repräsentanten gehabt hatte. Selbst der Abkömmling der ursprünglichen Besitzer von Amerika war bewogen worden, die Gewohnheiten und Ansichten seiner Vorfahren aufzugeben und auf einem Element herumzuschweifen, das Jahrhunderte die Küsten seines Geburtslandes bespülte, ohne in der Brust seiner einfach gesinnten Väter den Wunsch zu erregen, in dessen Geheimnisse einzudringen. Ein wildes Abenteuerleben zu Lande und zu Wasser hatte alle zu ihrem jetzigen, rechtlosen Treiben geeignet gemacht; nimmt man nun hinzu, daß sie von einem Geist geleitet wurden, der es verstand, ihr Tun und Lassen seiner despotischen Gewalt zu unterwerfen, und in dieser Unterwerfung stets zu erhalten, so kann man nicht leugnen, daß sie eine höchst gefährliche und durch ihre Anzahl unwiderstehliche Bande bildeten. Ihr Kommandeur lächelte triumphierend, wie er den tiefen Ernst bemerkte, womit Wildern die Beobachtung erfüllte, daß der Anschein eines herannahenden Kampfes einige in vollkommenem Gleichmut ließ, viele mit wilder Freude begeisterte. Selbst die Neulinge darunter, die armen Kuhlgasten und Hinterwachmänner, waren offenbar ebenso voller Zuversicht, daß ihnen der Sieg gewiß sei, als die, deren Verwegenheit durch häufigen Erfolg und nie erfahrene Niederlage einigermaßen entschuldigt war.

»Rechnen Sie diese für nichts?« fragte der dicht an der Seite seines Leutnants stehende Rover, nachdem er ihm Zeit gelassen hatte, einen Überblick über die ganze schreckliche Truppe zu tun. »Sehen Sie nur! Hier ist ein Däne; er hat Wucht und Ausdauer wie die Kanone, an der ich ihm bald seine Stelle anweisen werde. Glied vor Glied läßt er sich abhauen, doch steht er wie ein Turm, bis der letzte Stein des Fundaments untergraben ist. Und hier, seine Nachbarn und würdigen Kameraden an demselben Stück Geschütz, der Schwede und der Russe; ich verbürge mich dafür, sie bleiben rührig, solange ein Mann von ihnen übrig ist, der eine Kanone mit der Lunte anzünden oder einen Wischer handhaben kann. Dort sehen Sie einen vierschrötigen, athletischen Kerl aus einer der Hansastädte. Ihm ist unsere Freiheit lieber als die seiner Geburtsstadt; und Sie werden finden, daß die ehrwürdigen Institutionen des Hansabundes eher weichen, als er von dem Fleck, den ich ihm zu verteidigen befehle. Dort links sehen Sie ein paar Engländer; bessere Leute in der Not findet man nicht leicht, obgleich sie von dem Eilande sind, das ich so wenig liebe. Geben Sie ihnen Futter und Prügel, so stehe ich dafür, sie sind ebenso tapfer als prahlsüchtig. Können Sie den bedächtigen, starkknochigen Schurken dort in der Ecke sehen, der selbst mitten in aller seiner Spitzbüberei die Miene von Gottseligkeit nicht ablegt? Der Wicht war ein Heringsfänger, bis er einmal Rindfleisch zu kosten bekam; seitdem empörte sich sein Magen gegen die frühere Speise, und endlich gewann die Sucht, reich zu werden, die Übermacht in ihm. Er ist ein Schotte, aus einer der Buchten des Nordens.«

»Und ist er zum Schlagen zu bringen?«

»O ja, wenn Geld – die Ehre der Macs – und seine Religion die Losungsworte sind. Bei alledem ist er ein durchtriebener, verschmitzter Kopf, und ich habe ihn bei einem Streit gern auf meiner Seite. Aha! Das dort ist ein Bursch, wenn’s heißt: Greift an! Ich hieß ihn einst ein Tau in der Geschwindigkeit kappen; statt es unter seinen Füßen zu tun, kappte er’s über seinem Kopfe und machte zur Belohnung für die Tat einen Flug von einer Unterrahe in die See hinab. Seit jener Zeit hört er nicht auf, seine Geistesgegenwart zu rühmen, die ihn vom Ertrinken gerettet habe! In diesem Augenblick sind gewiß alle seine Ideen in heftiger Gärung; und könnte man nur dahinterkommen, ich wäre bereit, eine große Wette zu tun, daß das fremde Fahrzeug sich durch irgendeinen geheimnisvollen Prozeß in seiner furchtbaren Einbildungskraft in ein halbes Dutzend Linienschiffe verwandelt hat.«

»Dann denkt er wohl an die Flucht?«

»Nichts weniger; er entwirft viel wahrscheinlicher Pläne, wie er mit dem Delphin die sechs feindlichen Schiffe umzingeln könne. Flucht ist die letzte Idee, die dem echten Irländer einen unruhigen Augenblick verursacht. Betrachten Sie den nachdenklichen, blassen Sterblichen dicht bei dem Hibernier. . Dies ist ein Mensch, der mit einer Art von Sentimentalität in den Kampf geht. Er hat eine Anlage für das Ritterliche, die man in ihm zum Heroismus steigern könnte, hätte man Gelegenheit und Neigung dazu. Doch wird er auch so niemals verfehlen, einen Funken echt kastilischen Feuers zu zeigen. Sein Kamerad kommt vom Felsen Lissabons; nicht gern würde ich ihm trauen, böte sich bei uns viel Gelegenheit dar, vom Feinde bestochen zu werden. Ach! Hier ist ein Junge, wie man sich ihn zu einem Sonntagstanz nur wünschen kann. Alles an ihm ist in Bewegung in diesem Augenblick, Fuß und Zunge. Es ist ein Geschöpf, das aus lauter Widersprüchen zusammengesetzt ist. Ihm gebricht es ebensowenig an Gutmütigkeit als an Witz; demungeachtet würde es ihn bei Gelegenheit nichts kosten, einem Menschen den Hals abzuschneiden, so seltsam ist in dieser Bestie die Mischung von Bonhomie und von Grausamkeit. Ich beabsichtige, ihm einen Enterhaken zu geben; denn wir würden kaum handgemein geworden sein, so wird seine Ungeduld auch schon den Sieg mit einem einzigen coup-de-main davontragen wollen.«

»Und was ist der Matrose dicht bei ihm für ein Landsmann?« fragte Wilder, für den die Weise, wie der Rover seine Leute schilderte, sehr viel Anziehendes gewann; »er scheint jetzt damit beschäftigt, einige überflüssige Kleidungsstücke von sich abzulegen.«

»Ein haushälterischer Holländer. Der hat ausgerechnet, daß es just ebenso weise wäre, sich in einer alten Jacke totschlagen zu lassen, als in einer neuen; höchstwahrscheinlich hat er auch seinem Nachbar, dem Gascogner, diesen ersprießlichen Rat gegeben, der ihn aber verschmäht hat, weil er entschlossen ist, mit Anstand zu sterben, wenn’s gestorben sein muß. Glücklicherweise hat der erstere seine Vorkehrungen zum Kampfe noch zeitig genug angefangen, sonst könnte sich’s leicht treffen, daß der Feind uns schon geschlagen, ehe er noch halb fertig wäre. Hätten diese zwei Ehrenmänner diesen Streit gegeneinander auszufechten, so würde der linke, merkurialische Franzose seinem flamändischen Nachbar eine Niederlage beibringen, ehe dieser kaum gewahr würde, daß der Kampf ordentlich begonnen habe; ließe jener aber den glücklichen Moment unbenutzt, so würde der Holländer, glauben Sie mir, ihm nicht wenig zu schaffen machen. Haben Sie vergessen, Wilder, daß es eine Zeit gab, wo die Landsleute dieses langsam sich bewegenden, schwerfälligen Lümmels die Meerengen befuhren, mit einem Besen am Topp ihrer Masten?«

Wild lachte der Rover bei diesen Worten, und mit Bitterkeit sprach er sie aus. Sein Gefährte konnte jedoch nicht sehen, was für Grund zum Triumphieren in der Erinnerung des Sieges eines auswärtigen Feindes liegen könne; daher begnügte er sich damit, durch ein bloßes Kopfnicken anzuzeigen, daß er die Wahrheit der geschichtlichen Tatsache zugebe. Darauf versetzte er etwas hastig, gleichsam als ob er sich die demütigende Beachtung, zu der jenes schmerzliche Eingeständnis führte, so bald als möglich aus dem Sinn schlagen wolle:

»Sie haben die beiden derben Matrosen vergessen, die dort mit so viel ernster Beobachtung die Größe des fremden Schiffes an seinem Tauwerk ausfindig machen wollen.«

»Ja, ja; die Kerle kommen aus einem Lande, an dem wir beide einigen Teil nehmen. Die See ist nicht unbeständiger als jene Schelme in ihrer Spitzbüberei. ›Nur halb entschlossen sind sie zum Seeraub‹ – ein rauhes Wort, Herr Wilder, allein ich fürchte, ein passendes für unser Treiben. Diese Schurken jedoch machen sich einen Gnadenvorbehalt inmitten aller ihrer Verworfenheit.«

»Ihre Blicke auf den Fremden scheinen anzudeuten, als sähen sie Grund, die Klugheit, ihn so nahe herankommen zu lassen, in einigen Zweifel zu ziehen.«

»O, es sind bekannte Rechenmeister. Am Ende haben sie gar die vier von Ihnen erwähnten Kanonen entdeckt, die der Fremde mehr zählt als wir; denn bei Sachen, wo sie sich beteiligt fühlen, scheinen ihre Gesichtsorgane eine mehr als natürliche Schärfe zu haben. Aber Sie sehen, die Kerle haben Mark in den Knochen; und was mehr sagen will, es gibt Köpfe, die sie lehren, aus diesen Vorzügen soviel Vorteil als möglich zu ziehen.«

»Sie trauen ihnen wohl nicht zuviel Mut zu?«

»Fürwahr! Wenn sie erst einen Punkt für wesentlich erachten, so stellt man ihren Mut gewiß nicht ungestraft auf die Probe. Sie streiten nicht leicht bloßer Worte wegen und verlieren selten gewisse abgedankte Grundsätze aus den Augen, die, nach ihnen, in einem Buche stehen, dem Sie und ich, wie zu befürchten steht, gerade kein sehr angestrengtes Studium gewidmet haben. Nicht oft tun sie einen Schlag, wenn weiter nichts als bloßer Ritterruhm dabei zu gewinnen steht; und hätten sie auch die Neigung dazu, so verstehen sich die Schufte zu gut auf die Logik, um, wie Ihr Schwarzer, ein Schiff für eine Kirche anzusehen. Sehen sie erst in ihrem wichtigen Dafürhalten Grund vorhanden, sich in den Kampf einzulassen, wahrlich! so tun sie beiden Kanonen, die sie regieren, bessere Dienste als alle andere Batterien; falls sie aber andrer Meinung sind, so würde es mich nicht wundernehmen, von ihnen den Vorschlag zu hören: doch lieber das Pulver auf eine profitablere Gelegenheit zu versparen. Ehre, fürwahr! – Die Hunde sind viel zu verschmitzt bei streitigen Fällen, um nicht zu wissen, welchen Rang der Ehrenpunkt in unserm Gewerbe einnimmt. Doch wir plaudern über Kleinigkeiten, es ist Zeit, an wichtigere Dinge zu denken. Herr Wilder, jetzt unsere Segel gezeigt!«

Plötzlich, wie seine Sprache, veränderte sich auch die ganze Weise des Rover. Den tändelnden Scherz, dem er sich hingegeben hatte, abbrechend, nahm er eine seinem Ansehen passendere Miene an und entfernte sich, während der Subalterne zur Ausführung seiner Befehle die nötigen Orders ausgab. – Nightingale blies das gewöhnliche Signal und rief dann mit rauher Stimme: »Zu Hauf! Setzt Segel bei, ahoi!«

Die Betrachtungen, die die Mannschaft des Delphin mittlerweile über das so rasch herankommende Segel angestellt hatte, entsprachen der besonderen Denkweise eines jeden. Einige triumphierten bei der Aussicht auf eine Prise: andere, besser mir der Handlungsweise ihres Kommandeurs vertraut, hielten es für noch gar nicht ausgemacht, daß sie überhaupt mit dem Fremden zum Handgemenge kommen würden. Die Wenigen, an das Nachdenken Gewöhnteren, schüttelten beim Herannahen des Fremden die Köpfe; sie schienen die Nachbarschaft für etwas bedenklich zu halten. Unbekannt jedoch mit jenen geheimen Mitteln, sich von der Lage des Feindes zu unterrichten, Mittel, die ihrem Befehlshaber oft bis zu dem Grad des Wunderbaren zu Gebote standen, hatten alle geduldig seine Entscheidung abgewartet. Als nun aber der obengenannte Aufruf erscholl, bewies die allgemeine lebendige Tätigkeit, womit ihm entsprochen wurde, daß der Mannschaft nichts willkommener sein konnte. Nun hatte Wilder, kraft seines Ranges im Schiffe, in rascher Aufeinanderfolge die Orders auszuteilen. Es schien ein und derselbe Geist zu sein, der den Schiffsleutnant und die Mannschaft beseelte, denn sämtliche nackte Spieren des Delphin waren nach wenigen Minuten mit ungeheuern faltigen Massen schneeweißer Leinwand bekleidet. Ein Segeltuch nach dem andern fiel, eine Rahe nach der andern hob sich zum Topp ihres Mastes, bis sich das Fahrzeug sowohl vor dem Winde beugte, als auch nach den Seiten zu in Schwung kam, obgleich die Rahen so geordnet waren, daß sie es an seinem Posten festhielten. – Jetzt waren alle Vorkehrungen zur Vollendung gediehen, das Schiff lag bereit, jeden Pfad, der für notwendig erachtet würde, einzuschlagen. Seinem Obern hierüber Rapport abzustatten, stieg Wilder hinauf zur Hütte. Er fand den Rover aufmerksam das fremde Schiff betrachtend, dessen Rumpf soeben zum Vorschein kam, und an dem, der ganzen Länge nach, eine gelbe, mit schwarzen Punkten bezeichnete Linie zu sehen war. Kein Auge auf dem Delphin bedurfte der Belehrung, daß diese Punkte die Pforten der Kanonen waren, die des Schiffes Stärke bestimmten. Mistreß Wyllys und Gertraud standen nahe beim Rover, erstere tiefsinnig wie gewöhnlich, aber doch aufmerksam auf jeden noch so kleinen Vorfall.

»Es ist fertig, dem Schiffe den Wind abzugewinnen,« sagte Wilder: »wir warten bloß, bis Sie den Strich angeben.«

Der Rover schrak zusammen und trat näher aus seinen Leutnant zu, ehe er, ihm gerade und scharf ins Gesicht schauend, folgende Frage tat:

»Wissen Sie auch gewiß, Herr Wilder, daß Sie jenes Schiff kennen?«

»Gewiß«, war die ruhige Antwort.

»Ist es nicht«, unterbrach mit großer Hast die Gouvernante, »ein königlicher Kreuzer?«

»Allerdings: dafür hab‘ ich es bereits erklärt.«

»Herr Wilder, wir wollen seine Schnelligkeit auf die Probe setzen. Lassen Sie die großen Segel losschnüren und richten Sie die Focksegel in den Wind.«

Der junge Seemann verbeugte sich gehorchend und setzte die Befehle seines Kommandeurs in Vollzug. Doch war, als er die nötigen Befehle austeilte, eine Befangenheit, wo nicht gar ein Zittern zu bemerken, das in auffallendem Kontraste stand mir der Ruhe und Gelassenheit, wie sie die Rede des Rover bezeichneten. Selbst der Bemerkung einiger älteren Matrosen entging Wilders bebende Stimme nicht: und während der Pausen, wo sie auf seine Worte hören mußten, warfen sie einander Blicke von ganz eigentümlicher Bedeutung zu. Wie wenig sie jedoch an solche Stimme gewöhnt sein mochten, so leisteten sie ihr doch denselben Gehorsam, wie dem unbefangenen gebieterischen Ruf des gefürchteten Häuptlings selbst. Die Vorderrahen waren nunmehr dem Winde zugekehrt, die Segel schwollen an, und der ganze Bau, der solange leblos auf dem Wasser gestanden, geriet langsam in Bewegung und fing an, die Wellen zu durchschneiden. Nach und nach gewann das Schiff seine eigentümliche Schnelligkeit wieder, und nun war ein jeder auf den beginnenden Wettlauf aufs Äußerste gespannt.

Der Fremde war in diesem Augenblick innerhalb einer halben Seestunde leewärts von dem Delphin. Jedes geübte Auge in dem letztern Schiffe hatte sich durch anhaltendere und genauere Beobachtungen bereits von der Beschaffenheit und Stärke des fremden Fahrzeuges einen richtigen Begriff gebildet. Eine wolkenlose Sonne sandte ihre Strahlen aus dessen Batterieseite, und der Schatten seiner Segel malte sich weit hin über die Meereswellen in einer dem Delphin entgegengesetzten Richtung. Dann und wann konnte man mit dem Fernglase durch die Pfortgaten ins Innere des Schiffes dringen, noch aber schillerten die Bewegungen, die man sah, zu sehr ineinander. Auf verschiedenen Teilen des Tauwerks hingegen waren einige menschliche Gestalten deutlich zu sehen; sonst bot das Ganze einen Anblick jener Ruhe dar, die die Begleiterin strenger Ordnung und vollkommener Disziplin zu sein pflegt.

Als der Freibeuter das Geräusch der durchschnittenen Wagen hörte und die kleinen Wasserstaubsäulen sah, die sein wackeres Fahrzeug vor sich her in die Höhe sandte, gab er seinem Leutnant einen Wink, sich zu ihm herauf auf das Deck der Hütte zu verfügen. Lange richtete er sein Kennerauge auf das fremde Segel, genau dessen Stärke erwägend, endlich schien sein Zweifel über einen gewissen Punkt gelöst.

»Herr Wilder,« sagte er, »den Kreuzer da muß ich schon einmal gesehen haben.«

»Nicht unwahrscheinlich; er hat schon die meisten Teile des Atlantischen Meeres beschifft.«

»Ja, ja, dies ist gewiß nicht das erstemal, daß wir aufeinander treffen! Ein bißchen Farbe hat dem Schiffe äußerlich ein anderes Aussehen gegeben; allein mich dünkt, ich kenne die Art, wie seine Masten gesetzt sind.«

»Sie haben den Ruf dafür, daß ihr Ausschuß kein gewöhnlicher ist.«

»Sie besitzen diesen Ruf nicht ohne guten Grund. Haben Sie lange an seinem Bord gedient?«

»Jahrelang.«

»Und Sie verließen es …«

»Um zu Ihnen zu gehen.«

»Sagen Sie, Wilder, hat man Sie auch behandelt wie ein Wesen geringerer Klasse? Wie, sagte man bei allen Ihren Verdiensten nicht auch: Er ist doch nur aus einer Kolonie? Las man nicht Amerika in allem, was Sie taten?«

»Genug, ich habe das Schiff verlassen, Kapitän Heidegger.«

»Gut, man hat Ihnen ohne Zweifel Ursache dazu gegeben. Dies eine Mal wenigstens haben Sie mir einen Freundschaftsdienst erwiesen. Aber Sie waren noch dort während der Frühlingsnachtgleichen, nicht wahr?«

Wilder machte eine kleine bejahende Verbeugung.

»Ich konnt‘ es mir denken. Und kämpften Sie nicht mit einem Fremden bei einem Sturme? – Winde, See und Menschen, alles war vollauf in Arbeit.«

»So ist es. Wir hatten Sie erkannt und glaubten schon, Ihre Stunde hätte geschlagen.«

»Ihre Offenherzigkeit gefällt mir. Wir trachteten einander nach dem Leben, aber wie es Männern geziemt: jetzt, da wir Freunde geworden sind, werden wir um so fester aneinander halten. Ich will über jene Affäre keine weiteren Fragen an Sie tun, Wilder. Verrat gegen einen früheren Herrn ist nicht die Art, wie man sich in meinem Dienste Gunst erwerben kann. Es genügt mir, daß Sie jetzt unter meiner Flagge segeln.«

»Und was für eine ist das?« fragte dicht bei ihm eine milde, aber feste Stimme.

Der Pirat wandte sich hastig um und begegnete abermals dem auf ihn gehefteten, ruhigen, prüfenden Auge der Gouvernante. Einige in Widerstreit miteinander stehende Regungen schimmerten, seltsam vermischt, durch seine Gesichtszüge hindurch, die sich aber nach und nach in einen Ausdruck von einschmeichelnder Höflichkeit aufhellten, ein Ausdruck, den er im Gespräche mit seinen Gefangenen am häufigsten anzunehmen pflegte.

»Eine Dame muß zwei Matrosen an ihre Pflicht erinnern!« rief er. »Wir haben die Galanterie vergessen, dem Fremden unsere Farben zu zeigen! Lassen Sie sie aufziehen, Herr Wilder, damit wir keine Förmlichkeit unterlassen, die der Schiffsgebrauch mit sich bringt.«

»Aber das Schiff vor uns führt ja auch nur eine nackte Gaffel.«

»Wenn auch, so kommen wir ihm in der Höflichkeit zuvor. Die Farben gewiesen!«

Wilder öffnete das Kistchen, in dem wohl ein Dutzend von den am meisten gebrauchten Flaggen zusammengerollt in verschiedenen Fächern lagen. Zweifelhaft bei der Wahl unter so vielen, sagte Wilder halb fragend:

»Ich weiß kaum, welche von diesen Fahnen Sie aufzuziehen befehlen.«

»Necken Sie ihn mit dem schwerfälligen Holländer. Der Kommandeur eines so stattlichen Schiffes muß in allen Zungen der christlichen Welt bewandert sein.«

Der Leutnant gab dem diensttuenden Quartiermeister ein Zeichen, und nach einer Minute wehten über dem Delphin die Wimpel der Generalstaaten. Die beiden Offiziere beobachteten genau, welche Wirkung es auf den Fremden machen würde; dieser weigerte sich indessen, auf das falsche Signal, das sie wiesen, ein erwiderndes Zeichen zu geben.

»Er sieht recht gut, daß unser Kiel nicht für die Untiefen Hollands gebaut ist. Wer weiß, vielleicht kennt er uns gar?« sagte der Rover, einen forschenden Blick auf seinen Gefährten schießend.

»Ich glaube es nicht. Man ist am Delphin zu freigebig mit dem Antünchen gewesen, als daß ihn selbst seine Freunde an der Außenseite wieder erkennen sollten.«

»Das Schiff hat viel von einer Kokette, allerdings«, erwiderte lächelnd der Rover. »Versuchen wir, wie der Portugiese auf ihn wirkt; vielleicht finden brasilianische Diamanten mehr Gunst bei ihm.«

Die eben aufgezogenen Farben wurden herabgelassen, und statt ihrer das Zinnbild des Hauses Braganza dem Winde preisgegeben. Noch immer verharrte der Fremde, seinen Pfad verfolgend, in mürrischer Achtlosigkeit und schien einzig darauf bedacht, sich dichter an den Wind zu bringen, um die Entfernung zwischen sich und dem Gegenstande seiner Jagd so gering als möglich zu machen.

»Ein verbündetes Land kann ihn nicht zum Zorne reizen«, sagte der Rover. »Wohlan! So mag er sich dann die hohnsprechende weiße Flagge, den Drapeau blanc, ansehen.«

Wilder gehorchte schweigend. Portugals Wimpel flatterte aufs Deck herunter, und das weiße Feld Frankreichs wurde in die Höhe gezogen. Kaum hatte diese Fahne noch die Gaffelspitze erreicht, so hob sich vom Verdeck des Fremden, gleich einem ungeheuern aufsteigenden Vogel, ein breites, glänzend bemaltes Tuch, und breitete oben zierlich feine Falten dem Winde auf. In demselben Augenblick prallte eine Rauchsäule aus seiner Seite hervor und trieb schon rückwärts durch seine Takelage, ehe der Knall des herausfordernden Schusses, der sich gegen die Richtung des starken Passatwindes den Weg bahnen mußte, von der Mannschaft auf dem Delphin gehört werden konnte.

»Das kommt von der freundschaftlichen Gesinnung zwischen den beiden Völkern her!« bemerkte trocken der Seeräuber. »Der Holländer läßt ihn stumm, die Krone von Braganza rührt ihn nicht; aber zeigt ihm nur ein Tafeltuch, so regt sich die Galle in ihm! Mag er sich die Farbe, die ihm so wenig zusagt, noch eine Weile betrachten, Herr Wilder; wenn wir müde sind, sie zu zeigen, so finden wir wohl noch eine andere in unserer Flaggenkiste.«

Wirklich schien es, als ob der Anblick der Flagge, die der Rover zu zeigen für gut hielt, auf den Fremden ungefähr denselben Eindruck machte, wie das Stückchen Scharlachtuch des flinken Matadors auf den wütenden Stier. Rasch wurden noch verschiedene kleinere Segel am Fremden beigesetzt, die von keinem wesentlichen Nutzen sein konnten, aber zu erkennen geben sollten, daß er den Augenblick nicht erwarten könne, wo er auf seinen Feind stieße; jede Brasse, jede Buglinie sogar wurde noch mit einem Stück Segeltuch beschwert. Kurz, der Fremde sah ganz aus wie ein Rennpferd, das, obgleich schon mit der äußersten Schnelligkeit die Bahn daherfliegend, noch die Peitsche des Jockei zu fühlen bekommt, ungeachtet kein Anspornen von außen, kein eigenes Feuer einen Flug beschleunigen kann, der ohnedies schon den höchsten Grad erreicht hat. Auch schien das fremde Schiff keineswegs dieser außerordentlichen Anstrengung zu bedürfen. Der Wettlauf, der zeigen sollte, welches von den Fahrzeugen das andere totsegeln würde, war nun in vollem Gange. Wie berühmt aber auch der Delphin als Schnellsegler war, so konnte doch auch das stärkste Auge nicht entdecken, daß er dem fremden Schiffe überlegen wäre; keines konnte dem andern einen sichtbaren Vorsprung abgewinnen. – Schon gehorchte des Freibeuters Schiff dem Winde, schon zerstoben die Wogen vor ihm her in höheren und weiter hinschießenden Strahlen; allein der Fremde schwamm ebenso schnell und zierlich wie sein Nebenbuhler über die wogenden Wasser, denn jeder Windstoß füllte die Segel des einen wie des andern Schiffes.

»Der Bau dort durchschneidet das Wasser wie eine Schwalbe die Lüfte«, bemerkte der Korsarenhäuptling gegen den Jüngling an seiner Seite, der sich bemühte, eine mit jedem Augenblicke wachsende Gemütsbewegung zu unterdrücken. »Hat es denn einen Ruf als Schnellsegler?«

»Der Brachvogel fliegt kaum schneller. Meinen Sie nicht, daß sich nicht Leute wie wir, die unter keinem bessern Patent segeln als ihr eigenes Belieben, näher heranwagen sollten?«

Der Blick des Rovers auf seinen Gefährten drückte unwilligen Verdacht aus, verwandelte sich aber in ein Lächeln stolzer Verwegenheit, ehe er antwortete:

»Mag er dem Aar in seinem höchsten und raschesten Fluge gleichen, er soll an uns keine Nachflügler finden! Woher dieser Ihr Widerwillen, einem der Krone angehörigen Schiffe eine Viertelmeile nahe zu sein.«

»Weil ich seine Stärke kenne und die Hoffnungslosigkeit eines Kampfes mit einem so überlegenen Feinde«, erwiderte Wilder mit Festigkeit. »Kapitän Heidegger, Sie können sich mit keiner Aussicht von Erfolg ins Gefecht mit jenem Schiffe einlassen; und wenn wir uns die noch bestehende Entfernung nicht auf der Stelle zunutze machen, so können Sie ihm nicht einmal mehr entfliehen. Ja, ich weiß nicht, ob es nicht jetzt schon zu spät sei, Flucht zu versuchen.«

»Das, Sir, ist die Meinung eines Menschen, der die Macht seines Feindes überschätzt, weil ihm Gewohnheit und Großsprecherei eine Ehrfurcht davor, wie vor etwas Übermenschlichem beigebracht haben. Niemand, Herr Wilder, ist verwegener, und niemand bescheidener, als wer längst auf seine eigene Kraft als seine einzige Zuflucht angewiesen ist. Ich war einer königlichen Flagge schon näher, und dennoch führe ich, wie Sie sehen, diesen Krieg auf Tod und Leben noch in diesem Augenblicke fort.«

»Horch! Eine Trommel. Der Fremde macht sich an seine Kanonen.«

Der Rover konnte nach einem Augenblick Lauschens das wohlbekannte Signal unterscheiden, das die Bemannung eines Linienschiffes an ihre Posten ruft. Nachdem er zunächst einen Blick aufwärts auf sein Segelwerk getan, und einen zweiten, gleich raschen prüfenden Überblick auf alles Einzelne, seinem Befehle Unterworfene, antwortete er gelassen:

»Wir wollen seinem Beispiele folgen, Herr Wilder. Geben Sie die Order.«

Bis jetzt waren die Leute auf dem Delphin teils beschäftigt mit der Ausführung der nötigen, ihnen angewiesenen Dienstpflichten, teils verloren in der neugierigen Anschauung des Schiffes, das so eifrig zu wünschen schien, ihrem eigenen gefährlichen Fahrzeuge so nahe als möglich zu kommen. Ein tiefes, aber fortwährendes Gesumme von Stimmen – lautere Töne verbot die Disziplin – war das einzige, woran bis jetzt ihre Teilnahme an der Szene zu erkennen war; doch kaum wurde der erste Trommelschlag vernommen, so fuhr jede Gruppe auseinander, und jedermann begab sich geschäftig und regsam an seinen ihm bekannten Posten. Das Geräusch unter der Mannschaft dauerte nur einen einzigen Moment; ihm folgte jene tiefe Stille, deren in diesen Blättern früher bei einer ähnlichen Gelegenheit schon Erwähnung geschah. Jedoch sah man die Offiziere, wie sie durch rasches und bündiges Fragen bei den Leuten unter ihrem respektiven Kommando sich unterrichteten, daß sich alles in gehöriger Ordnung befinde. – Die Kriegsmunition, die nun schnell aus den Magazinen hervorgeschafft wurde, verkündete eine mehr als gewöhnlich ernstgemeinte Vorbereitung. Der Rover selbst war verschwunden; allein nicht lange, so erschien er wieder auf seinem erhabenen Platze, gewaffnet zum Kampfe, der bevorzustehen schien, und, wie immer, damit beschäftigt, die Eigenschaften, Kräfte und Manöver des herannahenden Feindes zu untersuchen. Die indessen, die ihren Chef am besten kannten, waren der Meinung, daß er über die Frage: ob geschlagen werden solle? noch gar keinen festen Entschluß gefaßt habe. Hundert neugierige Blicke waren auf sein sich zusammenziehendes Auge gerichtet, als wollten sie das Geheimnis durchschauen, in das er sein wahres Vorhaben noch immer einhüllte. Da stand er, die Seemannsmütze abgenommen, das blonde Haar eine Stirne umwallend, die geschaffen schien, weit edlere Gedanken zu bergen als die, die er während seines ganzen Lebens gepflogen zu haben schien. Vor seinen Füßen lag eine Art von ledernem Helm, dessen Besatz so beschaffen war, daß er dem Gesicht des Tragenden ein gräßliches, unnatürliches, grausames Aussehen gab. Sobald er diese Entermütze auf hatte, wußten alle im Schiffe, daß der Augenblick ernsten Kampfes gekommen sei; noch aber ließ ihr Anführer dieses untrügliche Zeichen feindlicher Absicht unbemerkt liegen.

Inzwischen war jeder Offizier mit Untersuchung seines Dienstzweiges fertig und erstattete Bericht über dessen Zustand, worauf die totenähnliche Stille, die bis jetzt unter der Mannschaft geherrscht hatte, durch eine Art von stillschweigender Erlaubnis der Oberen sich in dumpfe, aber angelegentliche Unterhaltung der Leute untereinander auflöste, eine Abweichung von den gewöhnlichen Vorschriften auf regelmäßigeren Schiffen, die der berechnende Häuptling deswegen zugab, um die Stimmung seiner Mannschaft, auf die bei seinen verzweifelten Unternehmungen oft und viel ankam, vorher genauer kennen zu lernen.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Es war dies ein Augenblick hoher und ernster Spannung. Die Befehlenden der verschiedenen Abteilungen des Schiffes hatten ein jeder den Zustand seines Departements mit einer Aufmerksamkeit untersucht, die stets ungeteilter zu werden pflegt, wie der Zeitpunkt heranrückt, wo die Tat beweisen muß, wiefern man seinem Amt und dessen Verantwortlichkeit gewachsen sei. Schon hatte sich der Quartiermeister nach der Ordnung aller der verschiedenartigen Taue und Ketten, die zur Sicherheit des Schiffes wesentlich waren, erkundigt, und man hörte nicht mehr seine barsche Stimme; aber- und abermals hatte sich jeder Chef einer Batterie versichert, daß sein Geschütz zum augenblicklichen und wirksamen Dienst in Bereitschaft stehe. Selbst die Extrakriegsmunitionen waren schon aus ihren dunkeln, geheimen Behältnissen herbeigeholt, und das Bevorstehende nahm so ausschließlich die Teilnahme in Anspruch, daß nun auch das leisere Gesumme der Sprechenden verstummte. Der lebendige, überall hinschweifende Blick des Rovers konnte nirgends den geringsten Grund entdecken, der Festigkeit seiner Leute zu mißtrauen. Ernsthaft waren sie, wie es die Tapfersten und Ausdauerndsten in der Stunde der Prüfung immer zu sein pflegen; allein dieser Ernst war mit keinem Zeichen von Furcht vermischt, vielmehr schien er die Wirkung des auf einen einzigen Punkt gesammelten, aufs Äußerste gefaßten Entschlusses, der den menschlichen Geist zu Taten stärkt, die mehr Mut erfordern, als die gewöhnlichen Wagnisse kriegerischer Unternehmungen. In diesem allgemein aufmunternden Ausdruck der Kampflust entdeckte der umsichtige Anführer nur drei Ausnahmen, und zwar in seinem Leutnant und dessen beiden merkwürdigen Gefährten.

Wir haben bereits erwähnt, daß Wilders Benehmen nicht ganz so beschaffen war, wie es einem Manne seines Ranges in einer Stunde von hoher Wichtigkeit geziemt. – Wiederholt hatte der scharfe, unwillige Blick des Rovers dies Benehmen wahrgenommen, allein trotz allem Sinnen konnte er sich über den wirklichen Grund keine genügende Rechenschaft geben. Die Gesichtsfarbe des Jünglings war ebenso frisch, die Haltung seines Körpers ebenso fest als in den Stunden gänzlicher Sicherheit, um so mehr mußte das unstete Herumschweifen seines Auges, das zweifelvolle, unentschiedene Aussehen auf Zügen, die nur für entgegengesetzte Eigenschaften geschaffen schienen, den Anführer nachdenklich machen. Gleichsam als hoffte er in dem Benehmen der Gefährten Wilders eine Auflösung dieses Rätsels zu finden, suchte sein Auge Fid und den Neger auf. Sie hatten beide ihre Stellung an einer Kanone angewiesen bekommen, die dem Platze, den er selbst einnahm, zunächst stand, und bei der Fid den Kanonierdienst hatte.

Fest und unbeweglich gleich den Rippen des Schiffes war die Haltung des Toppgastes, wie er von Zeit zu Zeit einen Zeitenblick längs des Schaftes seiner Kanone tat. Auch war in seinem Wesen jene trauliche, fast väterliche Sorgfalt nicht zu verkennen, die des Seemanns Teilnahme an dem ihm anvertrauten Kommando so vorteilhaft auszeichnet. Und dennoch saß hohes verwirrtes Befremden in seinen rauhen Gesichtszügen, und es war nicht schwer zu entdecken, daß, jedesmal wenn sein Blick vom Antlitze Wilders auf den Feind hinüberschweifte, er darüber erstaunte, beide einander gegenüber zu sehen. Wie außerordentlich ihm aber auch offenbar ein solches Ereignis vorkam, so erlaubte er sich doch keine Bemerkung oder Klage, sondern schien ganz im Geiste jenes wohlbekannten Seegrundsatzes zu handeln, der den disziplinierten Matrosen einschärft: »Dem Schiffsbefehl werde pariert, wenn auch der Schiffsherr dabei krepiert!« Jeder Teil der athletischen Gestalt des Negers war ausdruckslos, ausgenommen seine Augen. Diese großen, kohlschwarzen Augäpfel rollten wie die des Toppmannes unablässig, nur schülerhafter, zwischen Wilder und dem fremden Segel hin und her, und bei jedem frischen Blicke schien sein Erstaunen zu wachsen.

Überrascht durch diese klaren Beweise eines außerordentlichen und doch gemeinschaftlichen Gefühls zwischen beiden, benutzte der Rover seine Stellung und die Entfernung seines Leutnants, um sie anzureden. Mit jenem vertraulichen Tone, den der Befehlshaber gegen seine Untergebenen anzunehmen pflegt, wenn der Moment ihrem Dienste hohe Wichtigkeit verleiht, sagte er, indem er sich über das dünne, den Abhang der Hütte von der Schanze abteilende Geländer hinüberlehnte:

»Ich hoffe, Master Fid, man hat Euch an eine Kanone gestellt, die zu sprechen versteht.«

»Es gibt auf dem ganzen Schiffe keinen glatteren Lauf, noch geräumigeres Maul, als die von meinem Blitz-Wilhelm hier«, erwiderte der Toppgast und streichelte dabei liebkosend den Gegenstand seiner Lobeserhebung. »Ich verlange nichts weiter als einen reinen Wischer und einen festen Kabelgarnpfropfen, Guinea, leg‘ mir mal ein halbes Dutzend Kugeln zurecht, nach deiner eigenen Manier, als wenn du mit einem paar Kugeln das Anker vom Tau losmachen wolltest; wenn die Affäre vorüber ist, so mögen die, die sie überleben, an Bord des Feindes gehen und schauen, wie Richard Fid seine Körner gepflanzt hat.«

»Ihr seid kein Neuling im Treffen, Master Fid?«

»Behüte Gott, was denken Ew. Gnaden? Ich mache mir aus Schießpulver nicht mehr, wie aus einer Priese trockenen Schnupftabaks! – Obzwar ich gestehen muß …«

»Was wolltet Ihr sagen?«

»Daß ich mich zuweilen bei dergleichen Geschichten ganz am unrechten Orte finde,« erwiderte der Toppmann, indem er zuerst einen Blick auf die Flagge Frankreichs und dann auf das ferne Sinnbild Englands tat, »ungefähr wie ein rückwärts gebogener Klüverbaum zuweilen einem Hintersegel zum Stump dienen muß. Na, ich denke; der junge Herr, der Harry, hat es alles schwarz auf weiß in der Tasche; aber soviel muß ich sagen, daß, wenn mal mit Steinen geworfen sein muß, so sähe ich’s doch lieber, daß Sie des Nachbars Geschirr entzwei schmissen, als meiner eigenen Mutter ihres – Guinea, hör‘ doch, noch ein paar Kugeln leg‘ her, sag‘ ich; denn solls Spiel doch einmal losgehen, i nu, so solls nicht an mir liegen, wenn der Blitz-Wilhelm seinem Namen nicht Ehre macht.«

Der Rover zog sich gedankenvoll und schweigend zurück und begegnete dem Blicke Wilders, dem er nochmals winkte, näherzutreten.

»Herr Wilder,« sagte er mit weicher Stimme, »nun begreife ich, was in Ihnen vorgeht. Da nicht alle in jenem Fahrzeuge Sie beleidigt haben, so würden Sie es lieber sehen, wenn Ihr Dienst gegen jene übermütige Flagge bei einem andern Schiffe anfangen könnte. Überdies ist wenig weiter als hohle Ehre in diesem Kampfe zu gewinnen – aus Schonung Ihrer Gefühle werde er vermieden.«

»Es ist zu spät«, sagte Wilder, traurig den Kopf schüttelnd.

»Sie sollen sehen, daß Sie sich irren. Der Versuch kostet uns vielleicht nur eine volle Lage, aber gelingen soll er. Gehen Sie, führen Sie unsere Gäste hinab an einen sicherern Ort, als die Kajüte ist, und wenn Sie wieder zurückkehren, soll sich die Szene verwandelt haben.«

Mit Vergnügen eilte Wilder in die Kajüte, wohin sich Mistreß Wyllys bereits zurückgezogen hatte; dort entdeckte er beiden Damen die Absicht seines Kommandeurs, ein Gefecht zu vermeiden, und geleitete sie tiefer in die Schiffsräume hinab, damit ihnen kein zufälliges Ereignis einst das Andenken an diese Stunde noch mehr verbittere. Nachdem sich unser Abenteurer dieser angenehmen Pflicht schleunig und sorgfältig entledigt hatte, eilte er mit Blitzesschnelle wieder aufs Verdeck hinauf.

Ungeachtet seine Abwesenheit ihm nur einen Augenblick gedauert zu haben schien, so war doch die Szene, wie der Rover versprochen hatte, vollkommen verwandelt; alle feindselige Zeichen waren verschwunden. Statt der Flagge Frankreichs sah er Englands Fahne an der Gaffel des Delphin flattern, während zwischen beiden Fahrzeugen ein rascher Austausch von wohlverstandenen Signalen tätig im Gange war. Von dem ganzen Gewölk von Leinwand, unter dem sich das Schiff des Rover noch vor wenigen Minuten beugte, waren die Bramsegel die einzigen, die der Wind noch füllte; die übrigen hingen in Festons, und flatterten lose vor einer günstigen Kühlde. Das Schiff selbst lief schnurgerade auf den Fremden zu, der seinerseits, offenbar ungern, wie jemand, dem eine wertvolle, schon erbeutet geglaubte Prise entwischt ist, mürrisch die leichteren Obersegel einholte.

»Klar ist’s, dem Kerl dort tut’s leid, daß er den, den er so kürzlich erst für seinen Feind hielt, jetzt als Freund betrachten muß«, sagte der Rover und machte seinen Leutnant auf die Zuversicht aufmerksam, mit der sich das nahe Schiff durch die falschen Signale berücken ließ. »Es ist eine lockende Versuchung; allein ich widerstehe ihr, Wilder, Ihretwegen.«

Der Blick des Leutnants schien verwirrt, er antwortete nicht. Auch war in der Tat nur wenig Zeit zum Gespräch oder zum Nachdenken übrig. Schnell schoß der Delphin auf seinem Pfade hin, und jeden Augenblick zerfloß der Nebel mehr und mehr, in dem die kleineren Gegenstände an Bord des Fremden durch die Ferne eingehüllt waren. – Kanonen, Blöcke, Taue, Bolzen, Menschen, sogar Gesichtszüge, wurden in rascher Aufeinanderfolge, in dem Verhältnisse, wie der Kiel des Freibeuters vorwärts durch die noch zwischenliegenden Wogen drang, deutlich sichtbar. Noch wenige Minuten, so fuhr der Fremde, nachdem er den größten Teil seiner kleinen Segel angeschnürt hatte, mit dem Winde heran; und bald darauf kam er mit dem Rumpf zum Stillestehen, indem zu diesem Zwecke die Hintersegel breitgebraßt waren, so daß sie der Wind von der Außenseite treffen mußte.

Die Leute auf dem Delphin hatten insofern die zuversichtliche Leichtgläubigkeit des königlichen Kreuzers nachgeahmt, daß auch sie ihre sämtlichen höheren Segel einholten; denn es gab keinen unter ihnen, der nicht, selbst bei einer so bedenklichen Nähe, bis zu der es seinem rätselhaften Anführer beliebte, einen so mächtigen Feind herankommen zu lassen, das unbedingte Zutrauen in dessen Klugheit und Mut gesetzt hätte – Eigenschaften, die ihnen, wie die Leute aus Erfahrung wußten, schon in viel schwierigern Umständen als die gegenwärtigen zustatten kamen. – Mit dieser Miene vermessener Zuversicht glitt der furchtbare Pirat seinem arglosen Nachbar entgegen, bis auf einige hundert Fuß von dessen Luvseite, wo er, einen zierlichen Halbkreis im Drehen beschreibend, vom Winde abfiel und zum stehen kam. Indessen konnte Wilder, den sämtliche Bewegungen seines Vorgesetzten mit stummem Staunen erfüllten, bald bemerken, daß der Vorsteven des Delphin eine von dem andern Schiffe verschiedene Richtung bekam, und daß die Hemmung im Laufe nur durch eine entgegenwirkende Verteilung der Vorderrahen hergestellt wurde; ein Umstand, der, bei der etwaigen Notwendigkeit einer Zuflucht zu den Kanonen, den Vorteil darbot, daß man das Schiff besser in der Gewalt behielt.

Noch dauerten die von der soeben beendigten Bewegung herrührenden Schwankungen des Schiffes fort, als rauh und beinahe unverständlich die gebräuchliche Aufforderung: Namen und Geschäft anzugeben, über das Wasser herüberschallte. Mit einem vielsagenden Blick auf seinen Leutnant setzte der Rover das Sprachrohr an den Mund und nannte zur Antwort den Namen eines bekannten königlichen Schiffes, dessen Größe und Stärke genau denen des seinigen entsprachen.

»Richtig,« rief eine Stimme im andern Fahrzeug, »ich hab‘ mir’s schon bei Euern Signalen gedacht, daß Ihr kein anderer wäret.«

Nun erfolgte der Gegengruß mit Nennung des Namens vom königlichen Kreuzer, und zugleich eine Einladung von seiten des Befehlshabers an seinen Herrn Amtsbruder, seinen Vorgesetzten zu besuchen.

Bis jetzt war nichts weiter vorgefallen, als was zwischen Seeleuten, die unter einer und derselben Flagge dienen, die herkömmliche Sitte mit sich bringt; allein der Zeitpunkt nahte mit raschen Schritten, wo es die meisten Menschen schwierig gefunden haben würden, die Täuschung länger aufrecht zu halten. – Doch weder Zaudern noch Zweifel konnte Wilders beobachtendes Auge in der Haltung seines Obern entdecken. Man hörte im Kreuzer die Trommel: Zum Rückzug von den Posten, rühren; mit der unbefangensten Gelassenheit befahl auch er dasselbe Zeichen, wodurch seine Leute von ihren Kanonen abgerufen wurden. Mit einem Worte, in fünf Minuten war zwischen beiden Schiffen, die bald im tödlichsten Kampfe gegeneinander begriffen gewesen wären, hätte das eine den Charakter des andern geahnt, jeder Anschein von Freundschaft und unbedingtem Vertrauen hergestellt. Als des Rovers zweifelhaftes Spiel diese Stufe erreicht hatte, und die Einladung Wilders Ohren noch nicht verklungen war, winkte jener ihn an seine Seite:

»Sie hören die Aufforderung, daß ich meinem Senior im königlichen Dienste einen Besuch abstatten soll«, sagte er, indem ein ironisches Lächeln um seine höhnende Lippe spielte. »Wünschen Sie nicht, von der Partie zu sein?«

Die Verwunderung, die dieser verwegene Vorschlag in Wilder erregte, war nichts weniger als erkünstelt. Kaum konnte er Worte finden, sich auszudrücken, endlich rief er:

»Sie werden doch nicht so tollkühn sein, diese Gefahr zu laufen!«

»Wenn Sie für ihre Person etwas befürchten, so kann ich auch allein gehen.«

»Befürchten!« gab der Jüngling mit erglühender Wange und blitzendem Auge zurück, »nicht Furcht, Kapitän Heidegger, sondern Klugheit rät mir, mich nicht zu zeigen. Meine Gegenwart würde das Geschäft dieses Schiffes verraten. Sie scheinen zu vergessen, daß in jenem Kreuzer niemand ist, der mich nicht kennt.«

»In der Tat, diesen Teil des Dramas hatte ich ganz außer acht gelassen. Wohlan, so bleiben Sie, und lassen Sie mich allein mit Sr. Majestät Kapitän die Komödie spielen.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er voran und winkte seinem Leutnant, ihm hinabzufolgen. Wenige Augenblicke reichten hin, seine blonden, goldenen Locken, die seinem Gesichte ein so jugendliches, munteres Aussehen gaben, in Ordnung zu bringen. Das phantastische Negligéhabit, das er gewöhnlich trug, wurde nun ersetzt durch einen, seinem angenommenen Range und Amte entsprechenden Anzug, der seiner Person auf das sorgfältigste fast mir einer stutzerhaften Aufmerksamkeit auf das in der Tat schöne Ebenmaß seiner Gestalt angepaßt war. Alles übrige, was zu der Maske gehörte, die ihm anzunehmen beliebte, war eben so rasch beendigt, so daß man notwendig auf den Gedanken kam, dergleichen Vermummungen pflegten nichts Seltenes bei ihm zu sein. Kaum war diese Veränderung in seinem Äußern bewirkt, so schickte er sich auch zur Ausführung seines Vorhabens an.

»Es sind schon viel sicherere und schärfere Augen getäuscht worden,« bemerkte er gelassen, indem er sich beim Sprechen vom Spiegel weg zu seinem Leutnant wendete, »als die, welche das Gesicht des Kapitäns Bignall zieren.«

»Sie kennen ihn also?«

»Herr Wilder, mein Treiben bringt es mit sich, daß ich manches wissen muß, was andere nicht wissen. Ha, ha, ich sehe es Ihnen am Gesichte an, Sie halten dieses Abenteuer für entsetzlich hoffnungslos und verzweifelt, und doch ist keines leichter zu bestehen. Am Bord des Pfeils, davon bin ich überzeugt, ist weder ein Offizier noch ein Gemeiner, der das Schiff, dessen Namen ich für gut fand, anzugeben, jemals gesehen hätte. Es ist zu jung von den Werften, als daß ich in dieser Hinsicht eine Gefahr liefe. Zweitens ist es nicht wahrscheinlich, daß ich in meinem angenommenen Charakter mit irgendeinem der Offiziere bekannt zu sein brauche; denn Sie wissen wohl, dies, Ihr ehemaliges Schiff, ist seit vielen Jahren nicht in Europa gewesen, und wenn Sie sich bemühen wollen, in dem genealogischen Verzeichnisse hier nachzulesen, so wird Ihnen einleuchten, daß ich kein anderer bin als der Sohn eines Lords, ein privilegierter Sterblicher, und daß das Schiff dort von England abwesend war, lange ehe ich noch zum Kommando, ja, ehe ich zum männlichen Alter heranreifte.«

»Diese günstigen Umstände habe ich freilich aus Mangel an Scharfsinn übersehen. Aber wozu wollen Sie überhaupt dieses Wagestück unternehmen?«

»Wozu? … Vielleicht habe ich den tief angelegten Plan: in Erfahrung zu bringen, ob die Prise die Mühe, sie zu nehmen, lohne; vielleicht … ist’s meine Laune so. Das Abenteuer hat einen furchtbar starken Reiz für mich.«

»Nicht minder furchtbar ist die Gefahr.«

»Gilt es solchen Genuß, zähle ich nicht erst die Kosten! – Wilder,« fuhr er fort, mit einem Blicke offenen, gutmütigen Vertrauens näher auf ihn zutretend, »ich gebe in Ihre Bewahrung mein Leben, meine Ehre; denn mir wenigstens gilt es als Entehrung, meine Leute im Stich zu lassen.«

»Ich werde das Pfand zu achten wissen«, erwiderte unser Abenteurer in einem so tiefen, unterdrückten Tone, daß seine Worte kaum vernehmbar waren. Der Rover tat noch einen festen Blick auf das ehrliche Gesicht seines Gefährten, lächelte dann, gleichsam als wollte er seine Zufriedenheit mit der gegebenen Versicherung ausdrücken, machte mit der Hand eine Abschiedsbewegung und wendete sich, um die Kajüte zu verlassen; da begegnete sein Auge einer dritten Gestalt. Die Hand leise auf die Schulter des sich ihm in den Weg drängenden Knaben gelegt, fragte er etwas streng:

»Was willst du mit dieser Reisefertigkeit, Roderich?«

»Meinem Herrn in das Boot folgen.«

»Knabe, man verlangt deine Dienste nicht.«

»Ach, selten verlangt man die seit einiger Zeit.«

»Wozu unnötigerweise noch mehr als ein Leben in Gefahr bringen, wo alles zu verlieren ist und nichts zu gewinnen?«

»Wagst du dein eigenes Leben, so wagst du mein alles«, antwortete er mit unendlicher Hingebung und in einer so leise bebenden Stimme, daß die halberstickten Töne nur von dem gehört wurden, für den sie gesprochen waren.

Der Rover hielt inne, seine Hand ruhte noch immer auf des Knaben Schulter. Sein fest auf ihn gerichtetes Auge, dessen Strahl die Menschen oft bis in das tiefverborgene Geheimnis des fremden Herzens dringen läßt, las des Knaben bewegte Züge. Endlich sagte er, mir weit mehr Milde und Güte in der Stimme:

»Roderich, dein Los ist das meine; wir gehen zusammen.«

Hastig fuhr er mir der Hand über die Stirn und stieg dann mit dem Knaben die Leiter hinauf; ihm folgte das Individuum, in dessen Treue er so großes Vertrauen setzte. Fest war der Tritt des Rover auf seinem Verdeck, und die Haltung seiner Gestalt so unerschrocken, als sähe er nicht das geringste Wagnis in seinem Vorhaben. – Mit der Genauigkeit eines Seemanns weilte sein Blick auf jedem Segel; keine Brasse, Rahe noch Bulinie entging seinen prüfenden Kenneraugen. Dann erst schritt er an die Seite, wo das Boot, das er zu besteigen im Begriff war, längst für ihn bereitgehalten wurde. Jetzt zum ersten Male brach ein matter Schein des Mißtrauens und des Zweifels durch die stolze, kühne Entschlossenheit seiner Züge, einen Augenblick zauderte sein Fuß, als er schon auf der Leiter stand. »Davis,« rief er rauh dem Menschen zu, von dem er durch eigene Erfahrung wußte, daß er im Verrat hinreichend geübt sei, »verlasse das Boot! – Ruft mir statt seiner den barschen Vormann des Vorkastells; wer gewöhnlich so groß tut im Sprechen, wird wohl, wo es sein muß, auch zu schweigen verstehen.«

Die Abänderung wurde auf der Stelle getroffen; denn dem Herrscherblick, den er angenommen hatte, war noch keiner im Schiffe jemals vermessen genug, nicht den augenblicklichsten Gehorsam zu leisten. Noch einen Augenblick stand er in tiefsinniger Stellung da, und dann verschwand der letzte Schatten von Sorge von seiner Stirn, und mit hochherzigem Vertrauen sprach er:

»Wilder, leben Sie wohl! Ich lasse Sie zurück als Anführer meiner Leute, als Herrn meines Schicksals, fest überzeugt, daß ich in beiden Beziehungen einem Würdigen vertraue.«

Gleichsam als verschmähte er die leere Förmlichkeit überflüssiger Versicherungen, stieg er schnell, ohne auf eine Antwort zu warten, ins Boot, das man auch schon im nächsten Augenblick unerschrocken auf den königlichen Kreuzer losrudern sah. Während der darauffolgenden kurzen Zwischenzeit, von dem Moment an, wo die Abenteurer abstießen, bis zu ihrer Ankunft auf dem feindlichen Schiffe, blieben die Zurückgelassenen in einer schmerzlichen Spannung. Der indessen, den der Ausgang zunächst und am meisten anging, verriet weder durch Blick noch Bewegung etwas von der Ängstlichkeit, die die Gemüter seiner Untergebenen erfüllte. Unter den, seinem angeblichen Range gebührenden Ehrenbezeugungen stieg er an der Schiffsseite seines Feindes hinan, mit einer freien Unbefangenheit, die denen, die da wähnen, daß vornehmes Leben und hohe Geburt Grazie und Würde verleihen, offenbar als Ausdruck dieser Eigenschaften erscheinen mußte. Frei, männlich, und der Seemannssitte gemäß, empfing ihn der ehrliche Veteran, dessen gegenwärtiges Kommando für seine lange und schwere Dienstzeit nur eine magere Belohnung abgab. Dieser nun führte gleich nach den ersten üblichen Begrüßungen seinen Gast in seine eigenen Gemächer.

»Nehmen Sie den Schiffsraum ein, Kapitän Howard, der Ihnen am besten behagt«, sagte der wenig Umstände machende, alte Teer und nahm dabei, um der treuherzigen Einladung mir eigenem Beispiele voranzugehen, ohne weitere Zeremonien selber Platz. »Ein Herr von Ihren außerordentlichen Verdiensten verschleudert gewiß nicht gerne seine Zeit mir leerem Wortschwall, obgleich Sie noch so jung sind – das heißt, jung, hinsichts des scharmanten Ranges, den Sie zu bekleiden so glücklich sind.«

»Im Gegenteil, ich versichere Ihnen, nachgerade komme ich mir vor, als wäre ich schon vor der Sündflut geboren,« erwiderte der Seeräuber, indem er sich ruhig an der entgegengesetzten Seite des Tisches niederließ, um seinem halbverdrießlichen Gesellschafter dann und wann besser ins Gesicht schauen zu können: »Werden Sie es mir glauben, Sir, wenn ich diesen Tag auslebe, so habe ich kein geringeres Alter, als mein dreiundzwanzigstes Jahr, erreicht.«

»Ich hatte Ihnen ein paar Jahre mehr zugetraut, mein junger Herr; doch zu London kommen die menschlichen Gesichter ebenso schnell zur Reife als unter der Linie.«

»Sie haben niemals ein wahreres Wort gesprochen, Sir. Jedes Fahrwasser, nur behüt‘ mich der Himmel vor dem von St. James. Auf Ehre, Bignall, der Dienst dort ruiniert Ihnen die derbste Konstitution. Es hat Augenblicke gegeben, wo ich wahr und wahrhaftig glaubte, ich würde jener demütige, ennuyante Sterbliche – ein Leutnant, bis zu meinem seligen Ende verharren.«

»Dann wären Sie freilich an einer galoppierenden Schwindsucht gestorben!« murmelte der verdrießliche Alte. »Nun, man hat Ihnen doch endlich ein ganz artiges Boot gegeben, Kapitän Howard.«

»Erträglich, lieber Bignall, aber klein, entsetzlich klein. Ich habe es meinem Vater frank heraus gesagt, daß, wenn der Seeminister keine Reform in den Dienst einführte, indem er bequemere Schiffe baute, die Flotte mit nächstem ganz und gar vom Bürgerpack besetzt sein würde. Finden Sie die Motion in Ihrem Eindecker nicht ungeheuer langweilig, Bignall?«

»Wenn sich ein Mann erst fünfundvierzig Jahre lang von der See hat hin und her schleudern lassen, Kapitän Howard,« versetzte sein Wirt, indem er sich, in Ermangelung eines andern Mittels, seinen Zorn zurückzuhalten, die grauen Locken strich, »so kümmert er sich wenig mehr darum, ob sein Schiff einen Fuß höher stampft, oder einen Fuß niedriger.«

»Aha! Dergleichen pflegt man philosophischen Gleichmut zu nennen; mein Humor ist es aber nicht. Geduld indessen! Nach dieser Reise soll ich plaziert werden; ich will mir dann schon Gönner sichern, damit man mir ein Wachtschiff in der Temse anvertraue; Sie wissen, Bignall, heutzutage braucht man weiter nichts als Gönner.«

Der ehrliche, alte Teer verschluckte seinen Unwillen, so gut es gehen wollte; und, als das wirksamste Mittel, die nötige Fassung zu behalten, um seiner Gastfreundschaft Ehre zu machen, beeilte er sich, das Gespräch auf einen andern Gegenstand hinzuleiten.

»Ich hoffe, Kapitän Howard, es ist noch nicht mit so vielem andern aus der Mode gekommen, die Flagge von Alt-England über dem Admiralitätspalast flattern zu sehen. Sie trugen diesen Morgen so lange die Farben von Louis, daß die nächste halbe Stunde uns wahrscheinlich im Handgemenge gefunden hätte.«

»Ha, ha, ha! Das war eine exzellente Kriegslist! Ganz gewiß, von dieser Maskerade werde ich eine ausführliche Beschreibung nach Hause schicken.«

»Tun Sie das, tun Sie das, Sir; man schlägt Sie vielleicht zum Ritter wegen dieser martialischen Tat.«

»Abscheulich, Bignall, Ritter! Ihre Herrlichkeit, meine Mutter, würde, bei der bloßen Idee davon, in Ohnmacht sinken. Seit der Zeit, wo Rittersein noch für vornehm galt, ist niemand in der Familie so was Gemeines gewesen als bloßer Ritter!«

»Lassen wir das, Kapitän Howard; aber glücklich war’s doch für uns beide, daß Sie Ihr französischer Humor so bald verließ, denn das geringste längere Zaudern hätte mir eine volle Lage abgeärgert. Beim Himmel, Sir, noch fünf Minuten, so gingen die Kanonen dieses Schiffes von selber los!«

»Besser so, besser so. Womit amüsieren Sie sich denn, Bignall (gähnend), in dieser langweiligen Weltgegend?«

»Ei nun, Sir, die Zeit, die ich nicht brauche, um dem Feinde Sr. Majestät auf dem Nacken zu sitzen, oder für mein eigenes Schiff zu sorgen, die vertreibe ich mir in Gesellschaft meiner Offiziere, da gibt’s also wenig Langweile.«

»Ach! Ihre Offiziere. Wahr, Offiziere müssen Sie ja wohl am Bord haben, wenn sie auch wahrscheinlich etwas altmodisch sein mögen, da sie Ihnen Kurzweil machen können. Wollen Sie mir gefälligst die Liste einmal zeigen?«

Der Befehlshaber des Pfeils erfüllte dies Verlangen und reichte seinem unbekannten Feinde die Schlachtrolle seines Schiffes hinüber, ohne daß es seine Aufrichtigkeit übers Herz bringen konnte, einem so verächtlichen Wesen auch nur einen Blick zu gönnen.

»Welch‘ eine Liste von Mouth-Städtern! Da sind, auf Ehre, nichts als Namen von Nar mouth und Ply mouth, und Ports mouth und Er mouth. Hier sind ja so viel Schmidts, daß sie allein die ganze Schmiedearbeit im Schiffe verrichten könnten. Aha! Hier ist ein Kerl, der in einer Sündflut von guten Diensten sein würde, Heinrich Arche! Wer ist denn dieser Heinrich Arche, den ich als Ihren ersten Leutnant hier aufgeführt sehe?«

»Ein Jüngling, dem nur ein paar Tropfen Ihres adeligen Blutes fehlen, Kapitän Howard, um einst an der Spitze der königlichen Flotte zu stehen.«

»Nu, wenn er denn von so außerordentlichem Verdienste ist, Kapitän Bignall, so ersuche ich Sie höflichst, ihn zu bitten, daß er uns mit seiner Gesellschaft beehre. Ich pflege meinem Leutnant jeden Morgen eine halbe Stunde zu widmen – wenn er von Adel ist, versteht sich.«

»Der arme Junge! Gott weiß, wo er in diesem Augenblick sein mag. Der wackere Bursche hat aus freiem Willen einen höchst gefährlichen Dienst übernommen, und ich weiß von seinem Erfolg nicht eine Silbe mehr als Sie. Nichts wollte helfen, weder Gegenvorstellungen noch Bitten. Der Admiral brauchte sehr dringend ein passendes Subjekt, und das Wohl der Nation forderte das kühne Unternehmen, und dann wissen Sie ja, daß sich Leute von niedriger Geburt in ganz anderem Fahrwasser als dem zu St. James ihre Beförderung erwerben müssen; denn der tapfere Junge verdankt sogar seinen Namen, der Ihnen so sonderbar vorzukommen scheint, einem Schiffswrack, wo er als Kind gefunden wurde.«

»Und doch ist er in Ihrer Schlachtrolle noch als erster Leutnant mitaufgeführt?«

»Und wird’s hoffentlich bleiben, bis er, wie er es so wohl verdient, ein eigenes Kommando bekommt. – Aber gütiger Himmel, ist Ihnen unwohl, Kapitän Howard? Knabe, he, ein Glas Grog!«

»Ich danke Ihnen, Sir«, erwiderte ruhig lächelnd der Rover, indem er das angebotene Getränk ablehnte. Das Blut strömte jetzt in sein Gesicht zurück mit einer Heftigkeit, die drohte, die Adern zu durchbrechen. – »Es ist weiter nichts als ein Übel, das ich von meiner Mutter erbte. Wir nennen es in der Familie: das Elfenbein der De Beres, was, soviel ich darüber erfahren konnte, keinen andern Grund hat, als daß eine meiner weiblichen Ahnen in gewissen Umständen durch einen Elefantenzahn gar sehr erschreckt wurde. Man sagt, es gebe uns ein liebenswürdiges Aussehen, solange es anhält.«

»Es gibt einem das Aussehen, als gehöre man mehr in die Ammenstube seiner Mama als auf die stürmische See. Mich freut’s indessen, daß es so bald vorüber gegangen ist.«

»Heutzutage behält niemand lange ein und dasselbe Gesicht, Bignall. – Dieser Herr Arche ist also am Ende denn doch eigentlich niemand.«

»Ich weiß nicht Sir, was Sie jemand nennen mögen; allein, wenn echter Mut, große Verdienste um sein Fach und unerschütterliche Anhänglichkeit an seinen König auf Ihrem kürzlich verlassenen Boden etwas gelten, Kapitän Howard, so wird Heinrich Arche bald eine Fregatte kommandieren.«

»Wenn man wüßte, worauf sich eigentlich seine Ansprüche gründen,« fuhr der Rover fort, mit einem so freundlichen Lächeln und einer so einschmeichelnden Stimme, daß die Wirkung seiner angenommenen Manier dadurch halb geschwächt wurde, »so könnte man vielleicht in einem Brief nach Hause ein Wörtchen fallen lassen, das dem jungen Manne nicht nachteilig sein würde.«

»Wollte Gott, ich dürfte nur von der Beschaffenheit des Dienstes, den er jetzt ausführt, ein Wort sagen«, erwiderte eifrig der warmherzige alte Seemann, der ebenso schnell von seinem Unwillen zurück-, als hineinzukommen pflegte. »So viel können Sie indessen bestimmt von seinem allgemeinen Charakter sagen, daß er voller Ehre, ohne Scheu vor Gefahr ist, und nichts anders als das Wohl der Untertanen Sr. Majestät im Auge hat. Ich leugne nicht, es ist noch kaum eine Stunde her, daß ich glaubte, sein Unternehmen sei ihm vollkommen geglückt. – Pflegen Sie oft Ihre oberen Segel beizusetzen, Kapitän Howard, während die größeren Untersegel angeschnürt bleiben? Für mich hat ein Schiff in solchem Aufzuge ungefähr das Aussehen eines Menschen, der seinen Rock anzieht, ehe er seine Beine in das Futteral seiner Hosen gesteckt hat.«

»Sie sprechen von dem Umstand, daß mein großes Bramsegel flatterte, als Sie mich zuerst gewahr wurden?«

»Von nichts anderem. Wir hatten wohl Eure Spieren mit Mühe durch die Ferngläser gesehen; dann aber verloren wir Euch wieder gänzlich aus dem Gesichte, als auf einmal ein Ausguck die wehende Leinwand entdeckte. Es war auffallend, um mich am mildesten darüber auszudrücken, und hätte kurios genug ausfallen können.«

»Ach! ich mache oft solche Streiche, bloß um drollig zu sein. Drollig sein, wie Sie wissen, ist ein Beweis von Geschicklichkeit. Doch, auch ich komme mit einem besondern Auftrage in diese Meeresgegenden.«

»Und der wäre?« fragte barsch sein Gesellschafter, mit einer Unruhe auf seiner sich furchenden Stirn, die zu verbergen er zuviel Einfalt besaß.

»Mich nach einem gewissen Schiffe umzusehen, das mir allerdings ungeheure Beförderung verschaffen wird, sollte ich so glücklich sein, ihm zu begegnen. Eine Zeitlang glaubte ich, Sie wären kein anderer als der Herr, dem ich nachspüre, und wenn Ihre Signale nicht so sehr alle Zweifel beseitigten, auf Ehre, so hätte es zwischen uns zu was Ernstlichem kommen können.«

»Und für wen hielten Sie mich, wenn man so frei sein darf?«

»Für niemand anders, als jenen berüchtigten Schelm, den roten Freibeuter.«

»Was zum Teufel dachten Sie! Glauben Sie denn, Kapitän Howard, daß irgendein Freibeuter auf der See schwimmt, der solches Tau- und Segelwerk über sich führt, wie an Bord des Pfeils anzutreffen? So einen Beisatz der Segel – so einen Ausschuß der Masten – und so einen Schritt des Kiels? Zur Ehre Ihres Schiffes, Sir, will ich hoffen, daß sich der Irrtum nur auf dessen Kapitän beschränkte?«

»Bis wir nahe genug kamen, um die Signale lesen zu können, war wenigstens die Hälfte der wichtigeren Urteile auf meinem Schiffe gegen Sie, Bignall, ich erkläre es auf Ehre. In der Tat, Ihr seid so lange von Hause weg, daß der Pfeil ordentlich ein seeräuberisches Aussehen bekommt. Es mag Sie vielleicht etwas empfindlich machen, allein ich sage Ihnen nur als Freund: so ist die Sache.«

»Und, da Sie mir die Ehre erzeigten, mein Fahrzeug für einen Korsaren anzusehen,« erwiderte der alte Teer, seinen Zorn durch erzwungene ironische Heiterkeit unterdrückend, wodurch sein Mund in ein grimmiges Lächeln verzogen wurde, »so haben Sie am Ende diesen ehrbaren Herrn hier gar für den Gott-sei-bei-uns gehalten? Wie?«

Der Kommandeur des Schiffes, dem so ein gehässiges Gewerbe zugetraut wurde, leitete bei diesen Worten das Auge seines Gesellschafters auf die Gestalt eines dritten Individuums, das mit der Freiheit einer bevorrechteten Person in die Kajüte getreten war, allein so leisen Schrittes, daß man es nicht hörte. Als diese unerwartete Gestalt dem scharfen, ungeduldigen Blick des angeblichen königlichen Offiziers begegnete, erhob sich dieser unwillkürlich rasch von seinem Sitze, und eine halbe Minute lang verließ ihn offenbar jene bewunderungswürdige Gewalt, die er über seine Muskeln und Nerven zu üben pflegte, und die ihm so trefflich in der Fortsetzung seines Spiels zustatten kam. Doch war er nur eine zu kurze Zeit außer Fassung, um aufzufallen, und nun erwiderte er die Begrüßung eines alten Mannes, dessen Blick Milde und Demut ausdrückte, ruhig und mit jenem freundlichen, höflichen Wesen, das ihm so natürlich stand.

Nachdem die gegenseitigen Verbeugungen zwischen ihm und dem Fremden vorüber waren, sagte er: »Dieser Herr ist Ihr Kaplan, Sir, wie ich aus seinem geistlichen Anzuge schließe?«

»Ja, Sir – ein würdiger und ehrlicher Mann, den ich mich nicht schäme, Freund zu nennen. Der Admiral hat die Güte gehabt, mir ihn, nach einer dreißigjährigen Trennung, für diese Reise zu überlassen; und wenn auch mein Fahrzeug keines von den größten ist, so fühlt er sich doch hier ebenso glücklich als auf dem Admiralschiffe. – Dieser Herr, lieber Doktor, ist der ehrenwerte Herr Howard, Kapitän des königlichen Schiffes die Gazelle. Über seine Verdienste darf ich nicht erst viel sagen, da das Kommando, das er in seinen Jahren führt, ein hinlänglicher Beweis davon ist.«

Im Anschauen des Geistlichen, als sein Blick zuerst auf die Züge des vermeinten Ahnensprößlings fiel, war eine Art von verwirrter Überraschung nicht zu verkennen; doch war sie minder sichtbar und von weit geringerer Dauer, als die des Angeschauten. Er verbeugte sich nochmals mit mildem Anstande und jener tiefen Ehrfurcht, die lange Gewohnheit selbst den bestgesinnten Menschen einflößt, wenn sie mit der eingebildeten Erhabenheit erblicher Größe in nähere Berührung gebracht werden; er schien indes nicht zu glauben, daß die Gelegenheit mehr als die gewöhnlichen Begrüßungsworte von ihm verlangte. Daher wendete sich der Rover ruhig wieder zu seinem Gesellschafter, dem Veteran, und setzte das Gespräch mit der ihm so natürlichen Würde fort:

»Kapitän Bignall, es ist meine Pflicht, bei gegenwärtigem Vorhaben Ihren Bewegungen gehorchend zu folgen. Ich will jetzt in mein Schiff zurückkehren; und wenn wir beide, wie ich zu vermuten beginne, in dieser Seegegend gleichen Auftrag haben, so können wir bei größerer Muße einen durch Ihre Erfahrung vollkommen durchdachten Kooperationsplan entwerfen, der uns zur Erreichung unseres gemeinschaftlichen Zieles führen wird.«

Durch diese Einräumung seiner reifern Erfahrung und seines höhern Ranges sehr besänftigt, nötigte der Befehlshaber des Pfeils mit Herzlichkeit seinen Gast zu diesem und jenem, und schloß seine Höflichkeiten mit der Einladung zu einem Schiffsgastmahl auf den Nachmittag. Den ersteren gastfreundschaftlichen Nötigungen setzte der Rover eine höfliche Ablehnung entgegen, die letzte aber nahm er an und benutzte die Einladung selbst zu einer Entschuldigung, daß er schleunig in sein Schiff zurück müsse, um die seiner Offiziere auszuwählen, die er für die Würdigsten erachten würde, an dem versprochenen Gastmahl teilzunehmen. – Der alte und wirklich höchst verdiente Bignall hatte, ungeachtet seines in der Regel derben, barschen Charakters, zu lange in Dürftigkeit und verhältnismäßiger Dunkelheit gedient, als daß ihm die Sehnsucht nach Beförderung fremd geblieben wäre, die nach schwerem Dienst und langer Zögerung dem Menschen so natürlich ist. Daher behielt er bei aller seiner angebornen männlichen Redlichkeit dennoch ein wachsames Auge auf die Mittel, die ihm zur Erreichung seines ersehnten Ziels verhelfen könnten, und es darf also nicht wundernehmen, daß sein Abschied von dem geglaubten Sohn eines mächtigen Mannes bei Hofe freundlicher war als die Unterredung selbst. Mit beständigen Verbeugungen begleitete er den Piraten aus der Kajüte auf das Verdeck zurück, so daß es wenigstens den Schein hatte, als erwiderte er das bezeigte Wohlwollen. Hier angelangt, warfen die unruhigen Augen des sogenannten Kapitäns Howard einen raschen, argwöhnischen und vielleicht unruhigen Blick auf die Gesichter aller, die sich um die Fallreepstreppe, an der er im Begriff war, hinabzusteigen, gruppiert hatten; indes nahm er bald wieder seinen nachlässigen und zugleich etwas wegwerfenden Ausdruck an, um der Rolle, die seiner Laune nun einmal zu spielen beliebte, ganz zu genügen. Hierauf schüttelte er dem würdigen und vollkommen getäuschten alten Seemanne herzlich die Hand, und mit einer halb hochmütigen, halb herablassenden Miene berührte er den Hut zum Abschied von den Subalternen. – Er war schon im Hinabsteigen in sein Boot begriffen, als der Kaplan oben seinem Kapitän mit großer Angelegentlichkeit etwas ins Ohr flüsterte. Eilig rief hierauf dieser seinen scheidenden Gast zurück, ihn mit auffallendem Ernst ersuchend, ein Wort allein mit ihm und dem Geistlichen zu sprechen. Der Seeräuber ließ sich von beiden beiseite führen, und die Ruhe in seiner Haltung, als er dastand und ihre Eröffnung erwartete, machte seinen Nerven nicht wenig Ehre.

»Kapitän Howard,« fing nun der warmherzige Bignall an, »haben Sie einen Geistlichen auf Ihrem Schiffe?«

»Zwei, Sir«, war die schnellfertige Antwort.

»Zwei! Es ist eine Seltenheit, in einem Kriegsschiff einen überzähligen Geistlichen zu finden. Doch,« murmelte er vor sich hin, »der Kerl bekäme selbst einen Bischof durch seinen Einfluß bei Hofe. – Sie sind in dieser Hinsicht glücklich, junger Herr, denn ich verdanke die Gesellschaft meines würdigen Freundes hier mehr der Neigung als dem Gebrauche. Er hat mich aber ausdrücklich gebeten, daß ich den geistlichen … ich wollte sagen, die geistlichen Herren in Ihrem Schiffe in der Einladung mit einschließe.«

»Sie sollen sie haben, die ganze Theologie, die in meinem Schiffe ist, Bignall, ich schwöre es.«

»Ich glaube doch, Ihren ersten Schiffsleutnant ebenfalls ausdrücklich genannt zu haben?«

»O, der soll, tot oder lebendig, von Ihrer Partie sein, verlassen Sie sich drauf«, erwiderte der Rover mit einer Hast und Heftigkeit in der Aussprache, die seinen beiden Zuhörern bis zum Erschrecken auffiel. – »Er ist vielleicht nicht gerade eine Arche, auf die Sie den müden Fuß setzen können; doch, so wie er einmal ist, steht er zu Ihren Diensten. Und nun, noch einmal, leben Sie wohl.«

Sich abermals verbeugend, schritt er mit seinem vorherigen gemessenen Wesen auf die Fallreepstreppe zu und blickte beim Hinabsteigen das erhabene Kardeelenwerk des Pfeils fest und ungefähr so an, wie ein Stutzer den Anzug eines erst kürzlich aus der Provinz Angekommenen zu betrachten pflegt. – Sein Vorgesetzter wiederholte die Einladung mit Wärme und winkte ihm gutmütig ein: Lebewohl! Auf Wiedersehen! zu, nicht wissend, daß er so den Mann entwischen ließ, dessen Gefangennehmung ihm die lange verschobenen und noch immer erwarteten Vorteile verschafft haben würde, nach deren Besitz er mit der ganzen Sehnsucht einer grausam hingehaltenen Hoffnung schmachtete.

Erstes Kapitel.

Erstes Kapitel.

Wer nur einigermaßen mit dem Gewühl und dem Leben einer Handelsstadt bekannt ist, wurde in dem stillen, geschäftslosen Newport den Platz nicht wiedererkennen, der in früheren Zeiten für einen der wichtigsten und besuchtesten Häfen an der ausgedehnten Küstenstrecke von Nordamerika galt. Newport auf Rhode-Island scheint beim ersten Blick der von der Natur begünstigte Ort, der alles in sich vereinigt, was den Bedürfnissen des Seemanns entgegenkommen und seine Wünsche verwirklichen kann. Ein bequemer Hafen, ein ruhiges Becken, ein sicherer Ankerplatz, eine gute Reede mit einer klaren Abfahrt in die offene See. Im Besitz dieser Vorzüge war in den Augen unserer europäischen Vorfahren Newport der Platz, den sie zur Aufnahme großer Flotten und zur Bildung eines Stammes kühner und geschickter Matrosen bestimmt hatten. Dies Bestreben ist nicht ganz ohne Erfolg geblieben; aber wie wenig ist die erste Erwartung in Erfüllung gegangen! In der Nähe des von der Natur anscheinend zu ihrem Liebling auserkorenen Ortes hat sich ein glücklicherer Rival eingefunden, der alle Berechnungen kaufmännischen Scharfsinns zuschanden gemacht und zu den neunhundertundneunundneunzig Beweisen, daß des Menschen Weisheit eitel Torheit sei, den tausendsten geliefert hat.

Es gibt nur wenig Städte von einigem Belang in unserem fast grenzenlosen Gebiet, in dem sich, seit einem halben Jahrhundert, alles so unverändert erhalten hätte, als in Newport. Bis zum Zeitpunkt, wo sich die ungeheuern Hilfsquellen des inneren Landes zu entwickeln anfingen, war die Provinz Rhode-Island der Sammel- und Ruheplatz, dem die südlichen Pflanzer zuströmten, um sich vor der Hitze und den übrigen Ungemächlichkeiten ihres brennenden Landstrichs zu bergen. Sie zogen scharenweise dahin, die stärkenden Hauche der Seeluft einzuatmen. Damals noch derselben Regierung Untertan, ließen sich die Einwohner beider Karolinas und Jamaikas freundschaftlich in Newport nieder, teilten sich gegenseitig Gewohnheiten und Verfassungen mit und überließen sich der süßen Täuschung, die ihre Nachkommen vom dritten Geschlecht sich zurückzuwünschen anfangen.

Die einfachen, unerfahrenen Kinder der Puritaner nahmen aus dieser Verbindung Gutes und Böses an. Während sie der Umgang mit den feineren und vornehmeren Bewohnern der südlichen Kolonien abgeschliffener machte, weckte er in ihnen neue Begriffe von dem Unterschiede der Stände, wovon sie vorher wenig oder nichts ahnten, und die ihnen jetzt von den Ankömmlingen eingeimpft wurden. So ward unter allen Provinzen Neu-Englands Rhode-Island die erste, die sich von den Sitten und Meinungen ihrer schlichten Altvordern entfernte. Dadurch wurde dem strengen, rauhen und unfreundlichen Benehmen der erste Stoß versetzt, das man früherhin als ein notwendiges Bindungsmittel der wahren Religion, als eine äußere Bürgschaft für die Gesundheit des innern Menschen ansah; dadurch wurde der erste merkbare Schritt veranlaßt, der von den puritanischen Grundsätzen abführte, die der abstoßenden Außenseite das Wort redeten. Ein seltsames Zusammentreffen und Gemisch von Umständen und Eigenschaften machte die Kaufleute von Newport zugleich zu Sklavenhändlern und zu Gentlemen.

Wie aber auch der moralische Zustand der Einwohner im Jahre 1759 beschaffen sein mochte, so war doch Rhode-Island nie reizender und verlockender als damals. Die schwellender Hügelrücken der Insel waren mit hundertjährigen Wäldern bekränzt, die kleinen Täler mit dem frischen, lebendigen Grün des Nordens überzogen, die anspruchslosen, dabei reinlichen und bequemen Landhäuser lagen von schattigen Gebüschen und bunten Blumenbeeten umgürtet. Die Schönheit und Fruchtbarkeit der Gegend hatte dem Eiland einen Namen erworben, der mehr ausdrückte, als man in früheren Zeiten darunter verstand. Die Einwohner nannten nämlich ihre Besitzungen den » Garten von Amerika«, und ihre Gäste, die Ankömmlinge aus den brennenden Ebenen des Südens, fanden sich nicht berufen, diese Benennung streitig zu machen. Der Name hat sich zum Teil fast bis auf unsere Zeiten erhalten und ist nicht eher verschwunden, bis der Reisende in den Stand gesetzt worden, die Tausende von weiten und lachenden Tälern zu durchwandeln, die vor fünfzig Jahren noch in dem undurchdringlichen Schatten der Wälder begraben lagen.

Das soeben von uns angeführte Datum bezeichnet eine Periode, die für die britischen Besitzungen in unserem Festlande vom höchsten Interesse war. Ein blutiger Rachekrieg, dessen Anfang Unglück und Niederlage gebracht hatte, war im Begriffe, glorreich zu enden. Frankreich hatte sein letztes Besitztum am Weltmeere eingebüßt, während die unermeßliche Länderstrecke zwischen der Hudsonsbai und den spanischen Provinzen der englischen Macht unterworfen war. Die Kolonien hatten einen großen Anteil an den Erfolgen des Mutterlandes gehabt. Stolz und Freude über den glücklichen Ausgang ließen vergessen, was die törichten Vorurteile europäischer Anführer für Fehler begangen, für Verluste und Schande herbeigeführt hatten. Braddocks grobe Verstöße gegen die Kriegskunst, Laudons Gleichgültigkeit, Abercrombies Schwäche waren durch die Kraft Amhersts und Wolfes Genie ersetzt worden. In allen vier Weltteilen siegten die Waffen der Briten. Die loyalen Bewohner der Provinzen stimmten am lautesten in die Triumphe des Mutterlandes ein, überließen sich der reinsten Freude und schlossen gutwillig die Augen bei den kargen Beifallsbrocken, die ihnen zugeworfen wurden – denn auch hier zeigte sich das gewöhnliche Verfahren großer Völker, die nur mit Widerstreben einen kleinen Teil ihres Ruhmes an die gelangen lassen, die sie als Abhängige ansehen; dem Geizigen gleich, der gern alles für sich allein behielte, und desto habsüchtiger wird, je mehr ihm die Nachsicht einräumt.

Das System von Unterdrückung und Regellosigkeit, das eine Losreißung zur Folge hatte, die früher oder später erfolgen mußte, hatte noch nicht angefangen. War das Mutterland auch nicht gerecht, so zeigte es sich doch gefällig. Gleich allen alten und großen Nationen, überließ es sich dem angenehmen, aber gefährlichen Genuß der Selbstbeschauung. Die Dienste und Verdienste eines Volksteils, der von ihm unterschätzt wurde, hatten das Schicksal, bald vergessen zu werden; oder wenn man sich ihrer hier und da erinnerte, so war es, sie zu mißdeuten, zu tadeln, zu schmähen. Die Herabsetzung nahm in dem Maße zu, als die Übereinstimmung der Gemüter abnahm; das Unrecht wurde immer fühlbarer, die eitle Torheit griff immer weiter um sich. Männer, deren Beobachtungsgeist sich hätte besser unterrichten können und sollen, waren die ersten, die, selbst in dem höchsten Rate der Nation, schamlos erklärten, ihnen sei der Charakter eines Volks unbekannt, das ihnen doch blutbefreundet war. Selbstschätzung gab der Meinung der Toren Gewicht. Von einschläferndem Dünkel eingenommen, machten graue Krieger ihrem edeln Handwerk Schande, Prahlereien sich erlaubend, die man einem Stutzer, der kein Pulver gerochen, nicht unbestraft hätte hingehen lassen. So gab z. B. ein Burgoyne in hochtrabendem Tone dem Unterhause das sinnlose Versprechen, mit einer Macht, die er zu bestimmen sich nicht scheute, von Quebeck nach Boston vorzudringen; ein Versprechen, das er in der Folge hielt, indem er mit einer doppelt so starken Macht, kriegsgefangen von Boston nach Quebeck zurückging. So hat England, vom Torheitsschwindel ergriffen, in der Folge seine hunderttausend Leben und seine hundert Millionen Pfund verschwendet.

Die Geschichte dieses denkwürdigen Kampfes ist jedem Amerikaner bis auf die kleinsten Umstände bekannt. Damit zufrieden, daß sein Land gesiegt, überläßt er es gern den Annalen der Welt, den ruhmvollen Ausgang in ihren Blättern aufzubewahren. Ihm genügt es, daß sein Land auf einer breiten, natürlichen Grundfeste ruht und nicht des Lobpreisens feiler Federn bedarf; für seinen innern Frieden, sowie für seinen Charakter ist es hinreichend, zu fühlen, daß der Wohlstand der Republik nicht in der Herabwürdigung angrenzender Nationen gesucht werden darf.

Der Faden unserer Geschichte führt uns in jene ruhige Periode zurück, die den Stürmen der Revolution vorausging. In den ersten Tagen des Oktobermonats 1759 war Newport, wie jede andere Stadt von Amerika, mit dem doppelten Gefühle der Freude und des Schmerzes erfüllt. Mitten unter den Triumphen über seinen Sieg beweinten die Einwohner Wolfes Tod. Quebeck, das Bollwerk von Kanada, der letzte feste Platz, den ein Volk noch inne hatte, das man seit der Kindheit gewohnt war, für den natürlichen Feind Englands anzusehen, war gefallen und hatte den Herrn gewechselt. Die loyale Anhänglichkeit an die Krone von England, die so lange an- und aushielt, bis das seltsame Prinzip, das ihr zum Grunde diente, nachgab und einstürzte, hatte den höchsten Punkt erreicht. Es gab in den Kolonien vielleicht nicht einen einzigen, der nicht seine eigene Ehre mit dem eingebildeten Ruhme des Oberhauptes aus dem Hause Braunschweig gewissermaßen verflochten und vereint hätte.

Der Tag, an dem die Handlung unserer Geschichte beginnt, war feierlich dazu angesetzt worden, die Gefühle der guten Stadtbewohner sowohl, als des umliegenden Landvolks, über den Sieg laut und lebendig werden zu lassen, den die königlichen Waffen erfochten hatten. Beim Anbruch dieses, wie in der Folge beim Anbruch vieler tausend ähnlicher Tage, wurde mit allen Glocken geläutet; der Kanonendonner rollte, die Volksmenge ergoß sich vom frühesten Morgen an durch die Straßen und legte in ihre Bewegungen den Eifer, der gewöhnlich die Freude begleitet, wenn sie zum allgemeinen Volksfeste wird. Der zur Feier des Tages bestellte Redner hatte in einer Art prosaischen Trauergedichts zum Preise des verblichenen Helden seine ganze Beredsamkeit aufgeboten und eine Probe grenzenloser Loyalität dadurch abgelegt, daß er den Ruhm, den das Todesopfer des Generals Wolfe und vieler Tausende seiner Mitstreiter so teuer erkauft hatte, auf das alleruntertänigste dem Throne zu Füßen legte.

Zufrieden mit diesen Äußerungen ihrer Treupflicht, fingen die Einwohner an, sich allmählich wieder nach Hause zu begeben, als die Sonne sich den unermeßlichen Gegenden zuneigte, die sich damals wie endlose, unbetretene Wildnisse im Westen erstreckten, jetzt aber mit den Erzeugnissen und dem Segen des Kunstfleißes üppig übersäet sind. Die Landleute der Umgegend und jenseits der Meerenge waren auf ihren zum Teil weiten Rückweg bedacht, und zwar aus jenen klugen Gründen der Sparsamkeit, die diese Klasse arbeitender Menschen mitten in ihren Vergnügungen nie verläßt. Sie eilten nach Haus, aus Furcht, daß sie der herannahende Abend zu Kosten verleiten möchte, die mit dem eigentlichen Zweck ihres Ausflugs in die Stadt nichts gemein hatten. Die Zeit, die sie auf das Fest verwendet, war abgelaufen; der Hausvater machte sich auf, mit den Seinen in die ruhig fließenden Kanäle der gewöhnlichen Geschäfte wieder einzutreten, damit die auf das außerordentliche Schauspiel verwandte Zeit eingeholt würde, die er sich schon halb und halb als verloren vorwarf.

Auch in der Stadt wurden Hammer, Axt und Säge schon wieder gehört und die Läden von mehr als einer Werkstatt halbgeöffnet, als wolle der Eigentümer zwischen seinem Gewissen und seinem Geschäft ein Abfinden treffen. Die Inhaber der drei, damals in ganz Newport befindlichen Wirtshäuser standen vor ihren Türen und sahen auf die abgehenden Landleute mit Augen hin, die deutlich zu erkennen gaben, daß sie unter dem Landvölkchen, das mehr vom Einnehmen als vom Ausgeben hält, doch auf Gäste lauerten. Eine gar kleine Anzahl lärmender, gedankenloser Seeleute, die zu den Schiffen im Hafen gehörten, zusamt einem halben Dutzend bekannter Zechkunden, war alles, was die Wirte mit ihren Winken erobern konnten, ihrem Anrufen und Anreden, ihren Erkundigungen nach dem Wohlsein der lieben Frauen und Kinder, und bei einigen geradezu mit ihren Einladungen, einzutreten und sich zu erfrischen.

Weltliche Sorge und ein steter, nur zuweilen schiefer Blick auf die Zukunft, bildete den Hauptcharakterzug des ganzen Volks, das damals auf dem Boden zerstreut lebte, der unter dem Namen von Neu-England bekannt war. Das große Ereignis des Tages blieb unvergessen, obschon man es für unnötig hielt, sich in der Wirtsstube bei der Flasche darüber zu besprechen und die edle Zeit im Müßiggange zu vergeuden. Die Abgehenden, die in verschiedenen Richtungen den Weg ins Innere einschlugen, schlossen sich in kleine Gruppen. Unter sich in freimütigen Gesprächen die Gegenstände der Tagespolitik abhandelnd, berührten sie die großen Staatsereignisse und die Art und Weise, wie sie von den Männern vorgetragen wurden, denen der Auftrag zugefallen war, sie zu entwickeln; doch setzten sie keineswegs dabei die Achtung aus den Augen, die sie dem Rufe der Hauptpersonen schuldig waren. Es wurde im Gegenteil allgemein zugegeben, daß die gehaltenen Gebete (zwar etwas im Konversationstone und historisch vorgetragen), durchaus fehlerfrei und eindringend gewesen waren. Es hatten wohl einige Lust, als Dissenters aufzutreten, unter andern die Klienten eines Advokaten, der einem der Redner entgegen war; allein das Resultat blieb, daß aus keines Mannes Munde eine so vortreffliche, kunstvolle Rede geflossen sei, als die heutige. In demselben Sinn und Geist fiel das Urteil der Zimmerleute aus, die an einem Schiffe arbeiteten, das im Hafen erbaut wurde und der Gegenstand der allgemeinen Bewunderung der Provinz war; ja, von dem mit voller Überzeugung behauptet wurde, daß es das seltenste Muster eines in allen Teilen und Verhältnissen durchaus vollkommenen Meisterwerks der Schiffsbaukunst sei.

Der Redner, von dem ich hier spreche, war das gewöhnliche Orakel der Nachbarschaft, so oft ihn irgendein großes Ereignis, wie z. B. das heutige, antrieb, sich zusammenzunehmen. Er galt im Vergleich mit anderen für den allertiefsten, kenntnisreichsten Geist: so daß sogar von ihm behauptet wurde, er habe mehr als einen europäischen Gelehrten in Erstaunen gesetzt, der es gewagt hätte, sich mit ihm im Felde der alten Literatur zu messen. Sein Ruf gewann gleich der Hitze an Intensität, je enger die Grenzen waren, die ihn umschlossen. Dabei verstand sich niemand besser als er darauf, seine hohen Gaben ausschließlich zu seinem Vorteil anzuwenden. Nur ein einziges Mal verließ ihn die Klugheit. Der Himmel weiß, wie es kam, genug, er war nicht auf seiner Hut und tat einen Schritt, der ihm einen Teil des erworbenen Rufes raubte; er ließ es nämlich zu, daß einer seiner beredsamen Aufflüge in Druck gegeben wurde, oder, wie sich sein witziger, aber nicht so hochstehender Nebenmann, der zweite Rechtsgelehrte des Orts, ausdrückte: er gab es zu, daß die Presse einen seiner flüchtigen Versuche festhielt. So wenig man aber weiß, welchen Eindruck die Schrift im Auslande gemacht hat, so sehr trug sie dazu bei, seinen Ruf in der Umgegend zu vergrößern. Von nun an stand er vor seinen Bewunderern in aller Pracht und Würde der »gegossenen Lettern«, und machte es der erbärmlichen Brut

Die Tierchen, die durch hungriges Benagen
Der körperlichen Teile des Genies
Ihr Leben fristen

unmöglich, einen Ruf zu untergraben, der in dem Glauben so manchen Sprengels so tief eingewurzelt war. Die kleine Schrift wurde fleißig in die benachbarten Provinzen verteilt, in Teegesellschaften gepriesen, in öffentlichen Blättern von einem geistverwandten Freunde hoch erhoben – die gleiche Schreibart verriet den Lobredner – und von einem frommen Gläubigen, vielleicht aus reinem Eifer, vielleicht aus näherer Teilnahme, dem nächsten Schiffe an Bord mitgegeben, das nach Hause segelte (denn so nannte man damals England). Sie lag in einem Umschlage, der keine schlechtere Überschrift führte, als: »An Se. Königliche Majestät von England«. Es ist nie bekannt worden, was sie auf den geraden Sinn des dogmatischen Deutschen, der damals den Thron des Konquestors einnahm, für eine Wirkung gemacht hat, obschon die in das Geheimnis der Übersendung Eingeweihten lange vergebens auf die ausgezeichnete Belohnung warteten, deren sich ein so seltenes Erzeugnis des menschlichen Verstandes gewärtigen konnte.

Dieser hohen, wohltätigen Geistesgaben ungeachtet, beschränkte sich der Mann nun wieder, als sei er seiner Talente unbewußt, auf die Arbeiten seines gewöhnlichen Berufs, die mit der Beschäftigung eines – Schreibers die schlagendste Ähnlichkeit hatten; so sehr war ihm von der Natur, die ihn so trefflich ausstattete, die Eigenschaft der Selbstschätzung versagt worden, was um so mehr wundernehmen mußte, da ihn außer diesen Kraftäußerungen seines Geistes, der Fleiß und die Pünktlichkeit, womit er seiner kostbaren und unwiederbringlichen Augenblicke wahrnahm, zu weit höheren Ansprüchen zu berechtigen schien. Nur ein kritischer Beobachter könnte vielleicht in der erzwungenen Demut seines Äußern Spuren seines Triumphs über Quebecks Fall gefunden haben.

Wir überlassen diesen Günstling der Natur, dieses Schoßkind des Glücks sich selbst und wenden uns von ihm zu einem ganz andern Individuum in einem sehr verschiedenen Stadtviertel. Der Schauplatz ist nichts mehr und nichts weniger, als eine Schneiderwerkstätte. Hier sehen wir den Mann, der nicht verschmäht, sich in höchsteigener geschäftiger Person den geringsten Forderungen seines Berufs zu unterziehen. Die demütige Hütte, die er seine Wohnung nannte, lag unweit des Wassers, ganz am Ende der Stadt, und setzte ihn in den Stand, das heitere innere Becken nicht nur zu überschauen, sondern durch eine Wasseröffnung zwischen zwei Inseln den Anblick des äußern Hafens zu genießen, der sich hier wie ein Landsee ausdehnte. Eine schmale, unbesuchte Kaje erstreckte sich vor dem Hause und bewies durch ihren Verfall sowohl, als durch den wenigen Verkehr, daß dieser Teil des Hafens nicht zu den lebhaftesten und betriebsamsten gehörte.

Der Nachmittag glich einem Frühlingsmorgen. Der Kühlwind riffelte leicht das Becken. Sein Gesäusel und seine Kühle machen bekanntlich den amerikanischen Herbst so angenehm. Der fleißige Nadelheld genoß den schönen Abend in seiner ganzen Fülle. Er saß auf seinem Werktisch am offenen Fenster, besser mit sich zufrieden, als mancher, der sein Glück darin sucht, im höchsten Staate unter einem Baldachin von Sammet und Gold zu sitzen. Draußen vor dem kleinen Hause stand in der Stellung eines Lungerers ein langer, tölpischer, dabei starker, wohlgewachsener Landmann; mit der Schulter lehnte er sich an die Wand, als wäre es für seine Beine eine zu schwere Last, allein die ganze Masse ohne fremde Hilfe zu tragen. Er wartete darauf, daß ein Kleidungsstück fertig würde, woran der Meister emsig nähte, und womit er am nächsten Sonntag in seinem Dorfe Staat machen wollte.

Um die Zeit zu verkürzen, und wohl auch zum Teil, weil der Mann mit der Nadel von Natur gern sprach, vergingen wenige Minuten, ohne daß ihm oder dem andern nicht ein Wort entfallen wäre. Der Schneider befand sich schon in den abnehmenden Lebensjahren, und seine Außenseite ließ erkennen, daß ihn Mangel an Geschick oder an Glück in die Notwendigkeit versetzt habe, sich kümmerlich durch die Welt zu winden, und daß er nur durch äußersten Fleiß und die strengsten Entbehrungen der bittern Armut entgangen sei. Sein müßiger Zuschauer hingegen war ein junger Mann und gehörte zu einer Klasse, bei der ein neuer Rock und ein Paar neue Beinkleider Epoche im Leben machen.

»Ja,« rief der unermüdete Kleidermacher aus, und begleitete dieses Ja mit einem Seufzer, der ebensogut für die Bestätigung seines innern Wohlgefühls, als für einen Beweis seines körperlichen Mißbehagens gelten konnte: »Ja, gewiß und wahrhaftig, Pardon, stärkere Worte sind selten einem Manne von den Lippen geflossen, als es die waren, die der Squire am heutigen Tage hören ließ. Als er von den Ebenen Vater Abrahams sprach und vom Rauch und dem Donner der Schlacht, ja Pardon, da regte sich so was in mir, da fühlte ich in meinem Innern, ich weiß nicht was, so daß ich wahrhaftig glaube, ich würde das Herz gehabt haben, Nadel und Fingerhut von mir zu werfen und mich aufzumachen, um ins Feld, in die Schlacht zu ziehen, Ruhm zu ernten und für des Königs Sache zu fechten.«

Der junge Mann, dem der Taufname oder, wie es jetzt allgemein in Neu-England heißt, die Zugabe (given name) Pardon von seinen frommen Paten beigelegt worden war, damit ihm seine künftigen Hoffnungen immer demütig vor Augen lägen, drehte in diesem Augenblicke den Kopf nach dem heldenmütigen Schneider mit einem Ausdruck drolliger Laune im Auge, der bewies, daß ihn die Natur in der Austeilung des Humors nicht stiefmütterlich bedacht habe, obschon sie dabei mehr auf Maß als Feinheit gesehen.

»Hört, Nachbar Homespun, da gibt’s für einen Mann, der Ambition hat, eine prächtige Gelegenheit, sich hervorzutun, seit Se. Majestät Dero besten General verloren hat.«

»Ja doch, ja,« erwiderte der Nadelfädler, der als Knabe oder Jüngling den Hauptfehler begangen hatte, zu einem ganz verkehrten Handwerk zu greifen, »eine herrliche Aussicht für einen, der fünfundzwanzig zählte; aber ach! der größte Teil meiner Tage ist dahin, und ich muß meine übrigen Paar Jahre hier wie Ihr seht zwischen Zeug und Futter zubringen … Wer hat Euch das Tuch gefärbt, Pardy? Schöne, echte Farbe! Ich hab‘ wer weiß wie lange kein solches unter der Nadel gehabt.«

»Glaub’s wohl! Ich lobe mir die Alte, die verstehts Färben wie’s Weben. Gewiß und wahrhaftig, Nachbar Homespun, wenn Ihr dem Zeuge nur das rechte Ansehen gebt, daß es sitzt wie angegossen, so soll auf der Insel keiner so glatt und drell einhergehen, als meiner Mutter Sohn!… Aber, um wieder drauf zu kommen, könnt Ihr auch eben kein General sein, Männchen, so könnt Ihr Euch wenigstens damit trösten, daß es mit dem Bataillieren aus ist, und es nicht mehr ohne Euch losgeht. Sagt man doch allgemein, daß sich die Franzmänner nicht länger halten können, und daß wir Friede bekommen müssen, weil wir keinen Feind mehr vor uns haben.«

»Desto besser, Freundchen, desto besser; denn wer so viel von Kriegen und Kriegsnöten erlebt hat wie ich, weiß den Segen des Friedens zu schätzen – ja, zu schätzen.«

»Also seid Ihr nicht so ganz unerfahren in der Lebensart, wozu Ihr soeben Lust hattet?««

»Ich? Nichts weniger. Ich bin, wie Ihr mich seht, durch fünf blutige Kriege gegangen und habe Gott zu danken, der mir aus allen fünfen geholfen hat ohne Wunde – nicht mal so groß, als ein Nadelstich. Fünf lange, blutige Kriege, sag‘ ich und setze hinzu: fünf glorreiche bin ich durchgegangen – frisch und gesund wie ein Fisch.«

»Das muß eine gefährliche Zeit für Euch gewesen sein, Nachbar. Doch erinnere ich mich nur zweier Kriege mit den Franzosen.«

»O, Ihr seid ja nur ein Kiekindiewelt im Vergleich zu einem wie ich, der über sein Schock Jahre hinaus ist. Zählt mir mal nach. Erstlich dieser Krieg, der gottlob! das Ansehen hat, bald beendet zu werden; der Himmel, der alles mit Weisheit regiert, sei dafür gedankt und gepriesen! Dann, zweitens, der Vorgang von Fünfundvierzig, als der unerschrockene Warren unsere Küsten auf und nieder fuhr; eine Geißel für die Feinde Sr. Majestät, und eine Salvegarde für alle loyale Untertanen. Dann, drittens, gab’s einen Strauß in Germanien, von dem wir in den Zeitungen lasen, und viele, viele blutige Schlachten, in denen die Menschen fielen und weggemäht wurden, wie das Wiesengras unter Eurer Sense. Das macht drei« – er schob seine Brille in die Höhe und zählte mit seinem Fingerhut an den Fingern der andern Hand. – »Numero vier war die Rebellion von Fünfzehn, von der ich eben nicht viel gesehen zu haben mich rühmen kann, da ich nur erst ein junger Knabe war, und zum fünften und letzten rechne ich das entsetzliche Gerücht, das durch alle Provinzen ging, daß sich die Schwarzen und Indianer in Masse aufgewiegelt und zusammengerottet hätten, um uns allen guten Christenseelen in einer Minute das Lebenslicht auszublasen.«

»Ei, seht doch, Nachbar!« versetzte der verwunderte Landmann; »ich habe Euch von jeher für einen eingezogenen, stillen und friedlichen Mann gehalten, und hätte es mir nie im Traume einfallen lassen, daß Ihr Euch in so vielen Kriegshändeln herumgetummelt.«

»Pardon, ich bin kein Prahler, sonst hätt‘ ich die Liste verlängern und noch andere, wichtige Händel reinbringen können. Da war z. B. nicht länger als Anno zweiunddreißig im Osten ein gefährlicher Krieg um den persischen Thron. Ihr habt ohne Zweifel von den Gesetzen und der Regierungsform der Perser und Meder gelesen. Nu gut, um den Besitz dieses Thrones, von dem jene unveräußerlichen Gesetze ausgingen, handelte es sich in einem furchtbaren Kampfe, worin Blut floß wie Wasser. Doch, da es kein Christenblut war, so mag ich diesen Krieg nicht zu meinen eigenen Erfahrungen zählen. Nur hätte ich wohl mit gutem Fug und Recht den Porteoustumult erwähnen können, weil er in einem Teile des Landes stattfand, das mein Vaterland ist.«

»Ihr müßt doch weit rumgekommen sein, guter Freund, und Euch überall genau umgesehen haben, da Ihr so manches erlebt und mitgemacht, und immer Eure heile Haut davongetragen habt.«

»Ja, ja, ich will’s gestehen, Pardy, ich hab‘ ein gut Stück der Welt mit meinen beiden Fußellen gemessen. Zweimal bin ich zu Lande nach Boston gewesen, und einmal gar zu Wasser durch den Great-Sound von Long-Island bis York gefahren. Das letzte besonders war ein schweres, gefährliches Stück Arbeit, wenn man die Länge des Weges betrachtet, und vollends, wenn man bedenkt, daß man durch eine Stelle muß, deren Namen an den Eingang ins Tal Tophet erinnert.«

»Wie oft hab‘ ich nicht von Hell-Gate dem Höllentor gehört? Ja noch mehr, ich hab‘ einen Mann von hier persönlich gekannt, der zweimal durch das Loch gemußt – stellt Euch vor! Einmal, wie er nach York ging, und das andere Mal, als er zurückkam.«

»Nu, der wird’s satt haben, des bin ich gewiß. Hat er Euch erzählt von dem großen Topf, der kocht und brodelt, als brennten alle tausend Beelzebubs Feuer unter ihm? Und von dem Schweinsrücken, über den das Wasser hinschießt, als stürzte es sich den großen Wasserfall im Westen herab? Zu unserem großen Glück hatten wir erfahrene Seeleute und waren lauter beherzte Passagiere; so kamen wir denn diesmal mit einem blauen Auge davon, denn soviel kann ich Euch sagen – und ich kümmere mich nichts drum, wer’s hört – es gehört eine tüchtige Portion Courage dazu, in so ’ne schreckliche Straße mit offenen Augen einzulaufen. Wir gebrauchten Vorsicht, warfen in einiger Entfernung bei ein paar Inseln diesseits der gefährlichen Stelle unsere Anker aus und schickten die Pinasse mit dem Kapitän und zwei stämmigen, mannhaften Matrosen zum Rekognoszieren aus, damit sie alles genau untersuchen und berichten möchten, ob der Schlund in friedlichem Stande sei oder nicht. Und da sich alles erwünscht befand, so ging’s nu mutig weiter; wir Passagiere wurden ans Land gesetzt, das Schiff ging zu Wasser durch, und mit Gottes Hilfe lief beides glücklich ab.

Wir hatten aber alle Ursache, uns zu freuen, daß wir uns vor der Abfahrt den Gebeten unserer Gemeine empfohlen hatten: sie waren, wie Ihr seht, höheren Orts gnädiglich erhört worden.«

»Wie? Ihr umginget das Höllentor zu Fuß?« fragte der aufhorchende Landmann.

»Freilich! Es wäre ja ein sündlicher, lästerlicher Trotz, ein unheiliges Versuchen der Vorsehung gewesen, wenn wir anders gehandelt hätten. Was hatten wir für Pflicht und Beruf, uns der Gefahr auszusetzen, und das Opfer unsers Lebens zu bringen? Doch jene Gefahr ist nun, wie gesagt, glücklich vorüber, und so vertraue ich denn auch zu Gott, dieser blutige Krieg, an dem wir beide teilgenommen haben, werde ebenfalls glücklich vorübergehen, und hoffe, Seine geheiligte Majestät werden Zeit und Raum gewinnen, sein königliches Augenmerk auf die Seeräuber zu richten, die die Küsten beunruhigen und verheeren, und werde einigen seiner besten Seekapitäns Befehl geben, die Schurken mit eben dem Maße zu messen, womit sie sich erfrechen, andere zu messen. Was würde es in meinen alten Tagen eine Freude für mich sein, wenn ich den berüchtigten, schon so lange vergeblich gehetzten Red-Rover in diesen Hafen einlaufen sähe, von einem königlichen Kreuzer ins Schlepptau genommen?«

»Ist denn der wirklich so ein abscheulicher Bube?«

»Er? O, sein Piratenschiff steckt voll lauter er’s. Bis zum letzten Schiffsjungen sind sie, einer wie der andere, blutdürstige heillose Räuber und Mörder. Lieber Pardy, es ist herzbrechend und eine Not, bloß mitanzuhören, was diese Canaillen auf der hohen See Sr. Majestät für Unheil und Greuel anrichten.«

»Ich habe oft von diesem Red-Rover erzählen hören,« versetzte der Landmann, »doch nur im allgemeinen; von den näheren Umständen hab‘ ich bis jetzt noch nichts erfahren.«

»Wie solltest du auch, junger Mann vom Lande? Woher kämen die Nachrichten von dem, was in offener See vorgeht, bis zu deinen Ohren. So was ist nur für unsereinen, der in einem so besuchten Hafen lebt… Aber mir ist bange, Pardon, du wirst spät nach Hause kommen« – setzte er hinzu, indem er zugleich auf gewisse Striche sah, die er auf das Fensterbrett gezogen, um mit deren Hilfe den Stand der Sonne bemerken zu können. – »Es geht stark auf fünfe, und Ihr habt doppelt so viel Meilen zu gehen, ehe Ihr an die nächste Grenze von Eures Vaters Meierei gelangt.«

»Ei was! Der Weg ist eben, und die Leute ehrlich«, erwiderte der Pachtersohn, dem es einerlei war, ob er erst um Mitternacht ankomme, wenn er nur der Überbringer von Nachrichten aus der Stadt sein und vor allem von einem bedeutenden Seeraub erzählen konnte; denn er wußte wohl, daß ein ganzer Haufe auf ihn mit der Frage einstürmen würde: was bringst du Neues? – »Und ist er wirklich so furchtbar als man sagt? Sucht man ihn wirklich auf?«

»Ihn aufsuchen? Ihn? Wird Tophet von einem betenden Christen aufgesucht? Glaubt mir, auf dem mächtigen See-Element gibt es wenige, sollten sie auch so tapfere Kriegsmänner sein als Josua gewesen, der große jüdische Feldhauptmann, die nicht tausendmal lieber Land, als die Bramsegel dieses verwünschten Piraten sehen! Menschen fechten des Ruhmes wegen. Das könnt Ihr mir glauben, Pardon, mir, der ich so viele Kriege erlebt habe; aber niemand findet Vergnügen daran, es mit einem Feinde aufzunehmen, der beim ersten Schuß eine blutige Flagge aufzieht, und fertig und bereit ist, beide Teile in die Luft zu sprengen, wenn er findet, daß Satans Hand nicht mehr stark genug ist, ihm zu helfen.«

»Ist der Kerl so desperat,« sagte der junge Mann, indem er sich stolz in die Brust warf und seine mächtigen Glieder reckte, »so begreif‘ ich nicht, warum die Insel und die Pflanzer nicht ein Küstenfahrzeug ausrüsten, ihn aufzubringen, damit er mal lerne, wie ein ehrlicher Galgen aussieht? Laßt nur heute oder morgen in unserer Nachbarschaft die Trommel rühren und die Botschaft ausrufen, und ich will meinen Hals verwetten, daß sie wenigstens einen Freiwilligen mitnehmen wird.«

»So sprecht Ihr, weil Ihr kein Pulver gerochen habt! Wozu würden aller Welt Dreschflegel und Heugabeln dienen, gegen Leute, die sich dem Teufel verschrieben haben? Wie oft ist der Räuber nicht von königlichen Kreuzern bei Nachtzeit oder bei Sonnenuntergang gesehen worden? Wie oft glaubten sie schon, ihn umzingelt und die Diebe im Netz zu haben? Wie oft hielten sie sie schon in Gedanken im Folterstock! – Wenn aber der Morgen graute, husch! war die Prise verschwunden, auf einem oder dem andern Wege.«

»Sind denn die Kerle solche Bluthunde, daß man sie die Roten nennt?«

»Den Namen haben sie von ihrem Anführer«, erwiderte mit wichtiger Miene der ehrwürdige Kleidermacher, dessen Kamm zu schwellen anfing, je weiter er in der Mitteilung seiner interessanten Legende vorrückte. »Es ist sein Name und auch seines Schiffes Name; wenigstens hat niemand, der mal einen Fuß darauf gesetzt hat, es wieder verlassen, um zu sagen, ob es einen bessern oder schlechtern führe; niemand, das will sagen, kein ehrlicher Seemann oder braver Passagier. Das Schiff hat übrigens, wie man sagt, die Größe einer Kriegsjacht, auch die Gestalt, auch die Ausrüstung; es ist wie durch Wunder mancher tapfern Fregatte entkommen, ja einmal, Pardon – so zischelt man sich ins Ohr, denn kein loyaler Untertan würde es wagen, den Skandal laut nachzusprechen – einmal lag es eine ganze Stunde unter den Batterien eines Linienschiffs von fünfzig Kanonen und schien dann vor aller Augen wie ein Klumpen Blei in den Grund zu sinken. Wer im Augenblick, wo alles voller Freude war, sich die Hand schüttelte, sich Glück wünschte, daß die Buben nun Wasser die Fülle zu trinken bekämen, lief ein Westindier in den Hafen ein, den der Seeräuber am Morgen nach der Nacht, wo jedermann glaubte, daß er mit der ganzen Equipage in die Ewigkeit übergegangen sei – rein ausgeplündert hatte. Und was das Tollste dabei war, Freund, ist, daß, während das durchschossene Kriegsschiff kielholen mußte, um sich auszubessern und die Lecke zu stopfen, das Raubschiff die Küste auf und nieder spazierte, so heil und ganz wie es war, als es die Werkleute vom Stapel lausen ließen.«

»Nu, das ist unerhört!« rief der Landmann, auf den die Geschichte anfing, einen tiefen Eindruck zu machen. »Wie sieht denn das Schiff sonst wohl aus? Hat’s ’ne gefällige Gestalt? Ein angenehmes Äußere? Oder ist es überhaupt ausgemacht, ob es ein – lebendes wirkliches Schiff sei?«

»Man ist verschiedener Meinung. Einige sagen ja; einige sagen nein. Aber ich bin mit jemandem bekannt, der eine Woche mit einem Matrosen gearbeitet hat, der mal bei einem Kühlwind nicht weiter als hundert Schritt weggesegelt ist. Sein und der Equipage Glück war’s, daß des Herrn Hand so mächtig auf dem Meere war, und daß der Rover alle Hände voll mit sich und seinem Schiff zu tun hatte, um nicht zu sinken. Der Bekannte meines Freundes konnte den günstigen Moment benutzen, Schiff und Kapitän in vollen Augenschein zu nehmen, ohne was dabei zu wagen. Er hat ausgesagt, der Pirat sei ein Mann, noch halbmal so dick, als der lange Prediger jenseits des Wassers; sein Haar habe die Farbe der Sonne im Nebel, und Augen habe er, in die kein Mensch ein zweites Mal gucken möchte. Er hat ihn so klar und deutlich gesehen, wie ich Euch in diesem Augenblick; denn der Schurke hing in der Takelage seines Schiffs und winkte mit einer Hand, so groß wie eine Rocktaschpatte, dem ehrlichen Kauffahrer zu, auszuweichen, damit beide Schiffe nicht aneinanderstoßen und sich übersegeln möchten.«

»Das nenn‘ ich mir einen verwegenen Segler, diesen Kauffahrer! Dem unbarmherzigen Schurken so nahe auf den Leib zu kommen.«

»Bedenkt doch nur, Pardon, es war wider seinen Willen; und die Nacht war so finster, daß man …«

»So finster, sagt Ihr?« unterbrach jener, der trotz seinem Hange zur Leichtgläubigkeit von der Neigung des Neu-Engländers, verfängliche Fragen zu stellen, nicht frei war. »Wie konnte er denn alles so deutlich sehen und es nachher beschreiben?«

»Das weiß kein Mensch,« sagte der Schneider, »’s schadet aber nicht; genug, er sah es, und sah es gerade so, wie er es beschrieb, alles haarklein, wie ich es Euch wiedererzählt habe. Noch mehr; er merkte sich das Schiff genau, damit er es wiedererkenne, wenn es ihm ein Ungefähr oder die göttliche Vorsehung wieder mal in den Weg führen sollte. Es war ein langes, schwarzes Schiff, ging flach im Wasser wie die Schnecke im Grase, hatte ein verzweifelt boshaftes Ansehen und eine ganz verrückte Bauart. Dann versichert auch noch die ganze Welt, es scheine die Wolken zu übersegeln und sich wenig um den Wind zu kümmern, so daß man hinsichtlich seiner Geschwindigkeit um kein Jota besser daran ist, als mit seiner Ehrlichkeit … Wenn ich es recht bedenke, alles zusammennehme, so hat das Schiff etwas von dem Fahrzeug dort, von dem Guineafahrer, der, weiß der Himmel warum? seit voriger Woche im äußern Hafen liegt.«

Das alte Weib von Schneider hatte beim Erzählen köstliche Augenblicke verloren; diese suchte er nun durch fleißigeres Nähen wieder einzuholen, und begleitete jeden Stich und jede Bewegung der Nadel mit korrespondierendem Rucken mit dem Kopfe und den Schultern. Währenddessen drehte sich der Bauer, der seinen dicken Kopf mit einer Last von wunderbaren Nachrichten dergestalt angefüllt hatte, daß er sie kaum nach Hause zu tragen vermochte, nach der Gegend, wohin jener mit dem Finger wies, um sich nun noch das einzige, was ihm fehle, das Bild des Schiffs, zu verschaffen, das er, als Kupferstich zu der Schneiderrelation, seinem Gedächtnisse einprägen wollte. Hierdurch, und durch die gleichzeitige Beschäftigung beider Parteien, entstand eine Pause. Der Schneider brach sie zuerst dadurch, daß er den Faden abknipste, denn das Kleidungsstück war soeben fertig geworden. Jetzt warf er alles von sich, Rock, Nadel, Fingerhut, schob seine Brille an die Stirn hinauf, stützte seine Arme auf die Knie, so daß er einer Pagode glich und seine Glieder untereinander ein wahres Labyrinth bildeten, und rückte den Vorderleib soweit zum Fenster hinaus, daß er ebenfalls das Schiff, worauf er seinen Kompagnon aufmerksam gemacht hatte, in vollen Augenschein nehmen konnte.

»Wißt Ihr wohl, Pardon,« sagte er zu gleicher Zeit, »daß sich über dieses Schiff da bei mir seltsame Gedanken und furchtbare Ahnungen entsponnen haben? Die Leute nennen es ein Sklavenschiff und sagen, es nehme Holz und Wasser ein; und da liegt es schon ganzer acht Tage, und in all dieser Zeit ist kein Stück Holz, dicker als ein Ruder, an Bord gebracht worden, und ich wollte wohl wetten, daß es zehn Tropfen Jamaikarum für einen Tropfen Quellwasser eingenommen hat. Und dann, seht nur nach, wo es vor Anker liegt; seht, wie es nur von einer einzigen Kanone der Batterie bestrichen werden kann. Wär‘ es ein gewöhnliches Handelsschiff, das Schutz sucht, es würde sich natürlich eine Stelle gewählt haben, wo ein Pirat, der sich in den Hafen hineinwagen und sich daranmachen möchte, es unter dem vollen Feuer der Batterie finden würde.«

»Lieber, guter Alter,« bemerkte der junge Landmann, »Ihr habt ein bewundernswürdiges Auge. Ich für mein Teil hätte mir dergleichen nicht ausgedacht, wenn auch das Schiff dicht vor der Batterieinsel läge.«

»So ist’s, Pardon. Gewohnheit und lange Erfahrung machen uns zu Menschen. Ich verstehe mich etwas auf Batterien, da ich so manchen Krieg gesehen und sogar einen Feldzug von acht Tagen im Fort selbst mitgemacht habe, als es hieß, die Franzosen wollten von Louisburg aus Kreuzer längs den Küsten senden. Da kam es denn, daß ich gerade vor jener Kanone Schildwache stand, und so hab‘ ich nicht ein- sondern wohl zwanzigmal ihren Lauf entlangvisiert, um den Fleck aufzufinden, den die Kugel treffen würde, wenn der Fall eintreten sollte, was Gott verhüte! daß die Kanone wirklich geladen und abgeschossen werden müßte.«

»Aber wer sind jene Leute dort?« fragte Pardon mit jener Art träger Neugierde, die durch die erzählten Wunder ein wenig aus ihrem Schlummer gebracht war. »Sind es Matrosen vom Sklavenschiff oder sind es Newporter, die nichts zu tun haben, als die Straßen auf und ab zu gehen?«

»Jene dort?« rief der Schneider aus: »Gewiß und wahrhaftig, das sind Fremde, und es tut in diesen unruhigen Zeiten not, ein wachsames Auge auf sie zu haben. Hier, Nab, nimm mir das Stück ab; bügle die Nähte, hörst du, faules Stück Fleisch! Nachbar Hopkins ist eilig, seine Zeit ist edel, er ist nicht wie du, deren Zunge geläufig ist wie die eines Advokaten in der Gerichtsstube. Nur die Ellbogen und die Armknochen nicht gespart, Dirne; du hast da ein seines Musselin aus Indien unter dem Bügeleisen, das ist ein Zeug, womit man Wände ausfüttern könnte. Ja, ja, Pardy, Eurer Mutter Gewebe bricht Nadel und Zwirn, und macht dem Nähter doppelte Arbeit.«

Mit diesen Worten übergab er das soweit vollendete Stück einem linkischen schmollenden Mädchen, das mit einer Nachbarsklatsche in lebhaftem Gespräch begriffen war und das angenehme Geschäft mit einem verdrießlichen vertauschen mußte. Er selbst schob seine kleine, hinkende Person – denn er hatte das Unglück gehabt, mit einem kürzeren Fuß auf die Welt zu kommen – vom Fenster weg, zur Tür hinaus, in die freie Luft.