Kapitel 30

 

30

 

Es dauerte genau eine Stunde, bis Inspektor Trainor Greenwich erreichte. Zweifel an der Identität des Toten konnte es nicht geben, nachdem er Fred, den Hauswirt, ausgefragt und den Raum, den Charlie und seine Frau bewohnt hatten, untersucht hatte.

 

»Lassen Sie eine Beschreibung der Frau an alle Polizeidienststellen durchgeben und ins Fahndungsblatt setzen«, befahl er seinem Sergeanten, während er mindestens zum zehntenmal das Geständnis studierte, das in Berrys Tasche gefunden wurde. »Es besteht gar kein Zweifel, daß dies die Handschrift des Mannes selbst ist«, fügte er hinzu. »Die Tatsache, daß die Unterschrift fehlt, wäre mit dem Zustand der Aufregung, die einem Selbstmord voranzugehen pflegt, erklärlich. Die Frage ist nur – handelt es sich überhaupt um einen Selbstmord?«

 

Der Inspektor aus Greenwich, dem seine letzten Sätze galten, ließ sich nicht herbei, eine Ansicht zu äußern.

 

»Die Schüsse wurden aus einiger Entfernung abgefeuert, das ist klar«, fuhr Trainor fort. »Wahrscheinlich wurden sie aus einer Pistole mit Schalldämpfer abgegeben, denn kein Mensch in der Nachbarschaft hat etwas gehört. Und dann ist auch noch die Frau da …«

 

Fred konnte wenig aussagen, was von Wert gewesen wäre. Der völlig undurchsichtige Nebel machte es sehr unwahrscheinlich, daß sich noch weitere Zeugen finden würden, die die beiden hatten weggehen sehen. Trainor kam zu einem eigenen Schluß, noch bevor er zurückgekehrt war.

 

Er selbst glaubte ganz und gar nicht daran, daß Berry mit seiner Frau fortgegangen war, um sie zu töten. Diese Annahme des Wirts hatte nichts für sich. Natürlich bestand die Möglichkeit – aber was hätte es in einem solchen Fall für einen Wert gehabt, sich selbst ein Geständnis in die Tasche zu stecken? Allerdings konnte das Geständnis lediglich eine Irreführung sein. Alles hing jetzt davon ab, ob der Fingerabdruck, den man an der linken oberen Ecke des Schriftstücks gefunden hatte, mit dem Abdruck, den man dem Toten abgenommen hatte, übereinstimmte.

 

Jeglicher Zweifel über diesen Punkt wurde eine halbe Stunde, nachdem er wieder in Scotland Yard eingetroffen war, behoben. Die Daumenabdrücke waren identisch.

 

*

 

Unterdessen hatte aber ein ernsthafteres Problem Trainor zu beschäftigen begonnen. Bei seiner Rückkehr ins Präsidium hatte sich der Inspektor nämlich sofort in das Zimmer seines Vorgesetzten begeben, aber feststellen müssen, daß Hurley Brown nicht da war – er war den ganzen Abend nicht dagewesen. Auch vom Club, den er antelefonierte, erhielt er die Auskunft, daß der Captain nicht gesehen worden war.

 

Jetzt machte er sich Sorgen und fuhr zur Wohnung Hurley Browns. Hier erfuhr er nur, daß Brown auch nicht zu Hause war. Er war nur eine Viertelstunde lang in seiner Wohnung gewesen und dann mit einem Handkoffer fortgegangen. Seine Haushälterin hatte ihn gefragt, ob er am Abend wieder zurück sei. Er hatte geantwortet: »Höchstwahrscheinlich.«

 

»Würden Sie Mr. Brown bitte sagen, er soll mich sofort anrufen, wenn er nach Hause kommt«, prägte der Inspektor der Haushälterin ein.

 

Mittlerweile war es fast Mitternacht geworden. Trainor hatte sich hin und her überlegt, wie er den Captain erreichen könne, und dabei fiel ihm plötzlich Dr. Warden ein. Ein Taxi brachte ihn nach der Devonshire Street.

 

Das Haus Nummer 863 in der Devonshire Street war Dr. John Wardens Eigentum, obgleich er selbst nur zwei Stockwerke davon innehatte und das unterste noch mit einem anderen Arzt teilte, der aber nicht im Haus wohnte. Nachdem er ungefähr fünf Minuten lang geläutet hatte, hörte Trainor Schritte im Korridor, und der Doktor öffnete die Tür einen Spalt. Er war anscheinend gerade aufgestanden, denn er trug einen Morgenrock und Pyjama.

 

»Wer ist da?« fragte er.

 

»Inspektor Trainor, Herr Doktor. Ich suche Captain Hurley Brown.«

 

»Kommen Sie doch herein, Trainor«, sagte der Doktor nach einem Augenblick und öffnete die Tür ganz.

 

»Ich muß mit Captain Brown sprechen und ihm die neueste Entwicklung in der Louba-Sache mitteilen«, sagte Trainor. »Es wäre sehr wichtig, daß ich ihn noch heute abend treffe. Es tut mir leid, Sie gestört zu haben, Doktor, aber mir fiel ein, daß Sie ein Freund von ihm sind und daß er vielleicht hier sein könnte.«

 

Der Doktor schüttelte den Kopf.

 

»Es ist viel wahrscheinlicher, daß er sich im Nebel verirrt hat«, meinte er. »Er war tatsächlich eine Stunde hier, was ziemlich ungewöhnlich ist, denn er hat mich schon seit Monaten nicht mehr abends besucht.«

 

»Um welche Zeit war das?« fragte Trainor rasch.

 

»Wieviel Uhr haben wir jetzt?« Der Doktor schaute nach der Uhr auf dem Kamin. »Es muß gleich nach zehn Uhr gewesen sein.«

 

»War er irgendwie verstört – sagen wir, aufgeregt?«

 

»Nein«, sagte der Doktor und zog die Brauen hoch. »Warum sollte er verstört gewesen sein?«

 

»Weil … ich weiß nicht. Dieser Fall kostet mich meine letzten Nerven, Doktor. Ich wünschte wirklich, ich hätte nichts damit zu tun.«

 

Er erzählte kurz die Vorgänge des Abends.

 

»Charlie erschossen?« fragte der Doktor. »Das ist allerdings eine wichtige Neuigkeit. Vielleicht hat Captain Brown etwas davon gehört und ist nach Greenwich gefahren.«

 

»Hat er einen Koffer hiergelassen?«

 

»Nein«, versetzte der Doktor. »Er hatte gar keinen Koffer bei sich, als ich ihn sah. Er sagte mir, daß er morgen früh mit Ihnen sprechen wolle. – Sie erzählten etwas von einem Geständnis, Inspektor. Was wird das für unsern Freund Leamington bedeuten?«

 

»Das kann ich Ihnen nicht sagen, Herr Doktor«, meinte der andere. »Es hängt ganz davon ab, wie die Staatsanwaltschaft die Sache auffaßt. Es ist angesichts der Umstände sogar möglich, daß sie beim nächsten Termin gar keine Beweisanträge gegen Leamington stellt und daß er daraufhin aus der Haft entlassen wird. Dieser Berry war meiner Meinung nach der einzige Mensch, der den Mord begangen haben könnte, weil er die Gelegenheit dazu hatte.«

 

»Aber wie erklären Sie sich die Stimme am Telefon?« fragte Dr. Warden ruhig. »Um zehn Uhr ruft mich jemand im Club an und bittet mich, ihn am nächsten Morgen zu besuchen. Es ist Loubas Stimme, der Clubkellner hat sie sofort erkannt.«

 

»Es kann nicht Loubas Stimme gewesen sein«, sagte der andere mit Nachdruck. »Louba sprach gebrochen und mit Akzent, und diese Art von Sprache läßt sich am leichtesten nachmachen. Ich gebe zu, daß ich in dieser Beziehung vollständig im dunklen tappe, denn wenn Charlie den Mord begangen hat, dann müssen wir annehmen, daß er nach dem Verlassen der Wohnung noch einmal zurückgekehrt ist und den Mord viel später ausgeführt hat, nämlich direkt vor dem Eintreffen Leamingtons. Das setzt wiederum voraus, daß die Geschichte des letzteren echt ist. Ich kann mir die Sache nur so erklären« – er zählte die einzelnen Punkte an den Fingern auf –, »um sieben Uhr ist Louba noch am Leben, und wahrscheinlich sogar noch um sieben Uhr fünfzehn, denn Sie hörten ja keinen Aufschrei vor der Rückkehr Millers. Sie hätten zumindest das Aufschlagen des Körpers auf den Boden hören müssen. Ungefähr um sieben Uhr dreißig geht Miller weg, um mit seiner Braut zu sprechen. Um neun Uhr, soweit man es genau feststellen konnte, muß Leamington durch das offene Fenster über die Feuertreppe in die Wohnung eingedrungen sein und fand Louba tot auf seinem Bett. Ich denke, falls Louba von Charles Berry ermordet wurde, können wir bestimmt annehmen, daß die Tat zwischen Ihrem Weggehen und der Ankunft Leamingtons begangen wurde.

 

Miller war, nach seiner eigenen Aussage, nur eine Viertelstunde in der Wohnung, nachdem Sie gegangen waren. Louba wird um zehn Uhr dreißig gefunden; er liegt auf dem Bett, Kragen und Krawatte sind ihm ausgezogen worden – aus welchem Grund, weiß niemand, es sei denn, daß er sich gerade beim Ausziehen befunden hatte, als er getötet wurde. Und selbst wenn man dies annimmt, wäre es immer noch sehr unwahrscheinlich, daß er sich nicht im Schlafzimmer ausgezogen hätte; möglicherweise wollte er dieses bestickte Gewand aus der Truhe holen und anziehen. Aber auch das hätte er ja im Schlafzimmer tun können – außerdem hat da Costa zugegeben, daß er den Kaftan in der Eile zurückzulegen vergaß. Mit Ausnahme des Kästchens, das da Costa angeblich Louba weggenommen hat, wurden weder Wertsachen noch Geld gestohlen – ein weiterer merkwürdiger Umstand, falls Berry wirklich den Mord begangen hat. Ein Bündel Briefe, das, wie Leamington sagt, auf dem Tisch lag, ist dagegen verschwunden; die Asche eines Briefes wird auf dem Kaminrost gefunden, der Absender läßt sich nicht feststellen. Falls wir Berry für den Mörder halten, muß er meiner Meinung nach dreimal in die Wohnung eingedrungen sein. Das erstemal, als er mit Louba Streit hatte und Sie seine Stimme hörten; das zweitemal zwischen halb acht und halb neun Uhr, zu der Zeit, als Leamington vor der Leiche Loubas stand; und zum drittenmal während des Zeitraums, der zwischen dem Verlassen der Wohnung durch Leamington und der Ankunft von Mr. Brown lag. Wir wissen nur nicht, ob die Briefe …«

 

Plötzlich hielt er inne und runzelte die Stirn.

 

»Haben vielleicht Sie gesehen, Doktor«, fragte er, »daß Briefe auf dem Tisch lagen, als Sie hereinkamen?«

 

Warden schüttelte den Kopf.

 

»War eigentlich Miller bei Ihnen, als Sie das Zimmer betraten? Ich habe es ganz vergessen.«

 

»Ja, er führte uns doch hinein.«

 

»Dann kann natürlich auch Miller die Briefe weggenommen haben, und ein dritter Besuch braucht gar nicht stattgefunden zu haben.«

 

»Wenn Sie Miller sagen, meinen Sie doch Hurley Brown – nicht wahr?« sagte der Doktor.

 

Trainor widersprach dieser Auslegung nicht.

 

»Die ganze Sache ist mehr als merkwürdig«, war lediglich seine Antwort. »Ich wünschte wirklich, ich könnte Mr. Brown erreichen. Es würde sich dabei allerlei aufklären.«

 

*

 

Am Dienstag morgen hob sich zur großen Erleichterung ganz Londons endlich der Nebel, der schon seit einigen Tagen so dicht über der Stadt lag. Trainor war sehr früh auf den Beinen, sein erster Gang führte ihn zur Wohnung Hurley Browns. »Nein, Sir, er ist die ganze Nacht über nicht dagewesen, und ich habe auch keine Nachricht von ihm erhalten«, sagte die Haushälterin. »Ich mache mir schon Sorgen. Bei diesem Nebel, und wo so viele Leute ertrinken, und bei den vielen Verkehrsunfällen ist es leicht möglich, daß Mr. Brown im Krankenhaus liegt.«

 

Trainor konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

 

»In diesem Punkt kann ich Sie völlig beruhigen«, sagte er. »Es gibt kein Hospital, in dem ich nicht schon nachgefragt habe.«

 

»Vielleicht hat ihn irgendein Verbrecher erwischt«, meinte nun die ängstliche Haushälterin.

 

»Auch das glaube ich eigentlich nicht«, entgegnete der Inspektor.

 

Er nahm ein Auto und fuhr wieder nach der Devonshire Street. Dort mußte er geraume Zeit im Wartezimmer des Doktors sitzen, denn Dr. Warden untersuchte gerade einen Patienten. Als er ihn endlich sprechen konnte, war seine erste Frage: »Haben Sie etwas von Hurley Brown gehört, Inspektor?«

 

»Ich bin allmählich selbst schon ganz nervös«, erwiderte Trainor. »Der Chef hat auch schon nach ihm gefragt, aber alles, was wir wissen, läuft darauf hinaus, daß er die Nacht über nicht in seiner Wohnung war.«

 

»Was halten Sie davon?« fragte Warden.

 

»Meine Ansicht ist, daß wir ihn so schnell nicht wiedersehen werden.«

 

Warden blieb stumm. Er stand am Tisch und spielte gedankenverloren mit einem silbernen Brieföffner. Anscheinend war er völlig mit dem Problem des Verschwindens von Hurley Brown beschäftigt.

 

»Wir sprechen doch im Vertrauen miteinander«, sagte er endlich. »Würden Sie es als vertraulich behandeln, was ich Ihnen erzähle? Ich verspreche Ihnen, daß ich auch nichts von dem, was Sie mir mitteilen, weitersage. Sind Sie damit einverstanden?«

 

»Sogar sehr gerne«, sagte Trainor. »Ich bin mit Captain Brown immer gut ausgekommen. Er hat mir Chancen verschafft, wie ich sie sonst nie gehabt hätte. Tatsächlich hat er mich in Gott weiß wieviel Fällen unterstützt und hat hinter mir gestanden. Einmal, als mir etwas ganz furchtbar danebengeriet, war er der Mann, der mich aus der dicken Tinte herausholte. Ich gebe zu, daß ich mich trotzdem ein- oder zweimal in der letzten Zeit über ihn geärgert habe, aber jedesmal schämte ich mich nachher vor mir selber. In Wirklichkeit gibt es fast nichts auf der Welt, was ich nicht für ihn tun würde.«

 

»Ich glaube Ihnen gerne«, sagte der Doktor. »Und jetzt will auch ich Sie ins Vertrauen ziehen, Inspektor. Ich glaube, Ihr Zweifel ist nur zu berechtigt. London wird Hurley Brown nie wieder sehen. Aber fragen Sie mich bitte nicht, warum ich zu diesem Schluß gekommen bin. Ich halte es für besser, wenn man seine Vermutungen nicht immer gar zu genau begründet.«

 

Er nahm seine Pfeife vom Tisch, stopfte sie geistesabwesend und zündete sie ebenso mechanisch an, während er weitersprach.

 

»Haben Sie die Frau entdeckt?« fragte er.

 

»Wenn wir die Frau finden, Doktor, dann finden wir auch Hurley Brown – das ist meine Ansicht«, sagte der Detektiv.

 

Der Doktor schmauchte langsam und nachdenklich.

 

»Vielleicht haben Sie recht«, murmelte er. »Auch das ist natürlich vertraulich. Setzen Sie sich doch, Inspektor.«

 

Er begann im Zimmer auf und ab zu gehen. Die Hände in den Taschen, die kurze Stummelpfeife zwischen die Zähne geklemmt. Sein sonst so gleichmütiges Gesicht hatte einen gequälten Ausdruck.

 

»Ich möchte, daß Sie von Hurley Brown nur das Beste denken«, meinte er dann. »Denn er ist ein Mann, für den ich wirkliche Zuneigung empfinde. Er hat in seinem Leben sehr viel Sorgen gehabt, und er hätte sie mit einer Frau teilen können, wenn er nicht einen so ausgeprägten Sinn für Anständigkeit und Ehrenhaftigkeit besessen hätte. Ich sage, hätte teilen können. Das heißt, soweit Sorgen überhaupt eine Substanz besitzen, die teilbar ist.«

 

»Kennen Sie ihn eigentlich schon lange, Doktor?«

 

»Lange Jahre«, entgegnete Dr. Warden. »Ich kenne ihn schon seit seiner Jugendzeit.« Er murmelte vor sich hin: »Der beste Kerl, der je gelebt hat …« Dann wandte er sich wieder an Trainor: »Seine Lebensgeschichte kann ich Ihnen nicht erzählen – manche Abschnitte daraus werden wohl niemals bekanntwerden. Ganz bestimmt weiß ich aber, daß Hurley Brown niemals in seinem Leben etwas Unehrenhaftes begangen hat. Ich spreche jetzt genauso, als ob er schon tot wäre! Und dabei weiß ich, daß er es nicht ist. Denken Sie immer daran, Inspektor, daß Hurley Brown einer unehrenhaften Tat in keiner Weise fähig ist.«

 

»Würden Sie das – Töten eines Mannes eine unehrenhafte Tat nennen?« fragte Trainor.

 

Der Doktor wurde rot im Gesicht.

 

»Ich höre Sie das nicht gerne sagen. Soweit ich ihn kenne und ich kenne ihn besser als jeder andere lebende Mensch –, hat er niemals jemandem nach dem Leben getrachtet.«

 

*

 

Während des ganzen Tages traf weder eine Nachricht noch sonst irgendein Lebenszeichen von dem vermißten Beamten ein. Der Chef der Kriminalabteilung und sein Stab hielten eine Besprechung ab, nach der an alle Polizeidienststellen die Instruktion erging, daß Nachforschungen angestellt und die Beamten darauf aufmerksam gemacht werden sollten, sofort Meldung zu erstatten, falls sie den Vermißten irgendwo sichteten. Noch am gleichen Abend wurde die Instruktion widerrufen. Der Chef hatte ein Schreiben erhalten, das zwar auch keine direkten Erklärungen enthielt, aber wenigstens anderweitig Klarheit in die Situation brachte.

 

Kapitel 31

 

31

 

In den Zeitungen stand folgende Notiz:

 

 

Wie wir erfahren, hat Captain Hurley Brown, ein bekannter und erfolgreicher höherer Beamter von Scotland Yard, dem Chef der Kriminalpolizei seine Entlassung eingereicht, und zwar aus gesundheitlichen Gründen. Dadurch wird das Gerücht dementiert, das gestern abend in Fleet Street kursierte. Captain Hurley Brown wäre danach von einer Verbrecherbande ermordet worden, die vor einigen Jahren durch seine Tätigkeit hatte festgenommen werden können. Wie wir weiter erfahren, soll Mr. James B. Lettle, stellvertretender Polizeidirektor von Birmingham, aufgefordert werden, den freigewordenen Posten zu übernehmen.

 

 

Dr. Warden las es beim Frühstück und sah in einem anderen Teil der Zeitung eine Spalte, die in gewissem Sinn eine Ergänzung zu dieser Nachricht bildete. Der Bericht führte aus, daß die Staatsanwaltschaft angesichts des Geständnisses, welches man in der Tasche des Toten, am Leinpfad des Deptforder Flusses gefunden hatte, die Anklage gegen Frank Leamington und zwei weitere unter Mordverdacht inhaftierte Personen fallengelassen habe und daß die Betroffenen freigelassen würden.

 

Obwohl Weldrake und da Costa in ein strenges Kreuzverhör genommen worden waren, konnte man sie nicht in Widersprüche verwickeln, nachdem sie erst einmal die Notwendigkeit völliger Offenheit eingesehen hatten. Die genaueste Untersuchung ihrer Kleidungsstücke hatte keine Spuren von Blutflecken zutage gefördert, obgleich es feststand, daß sich der Mörder stark mit Blut besudelt haben mußte. Das Aufschneiden des Perlenkästchens und die Entdeckung der darunter befindlichen Juwelen hätten ein genügend plausibles Motiv abgegeben, daß da Costa die Tat begangen hatte. Aber man hatte keinen größeren Beweis gegen ihn in der Hand als etwa gegen Weldrake, der ja auch einen tiefen Groll gegen Louba hegte. Gegen alle beide zusammen waren aber noch weit weniger Beweise beizubringen als gegen Frank Leamington.

 

Dr. Warden las den Artikel noch einmal genau durch, und sein Gesicht wurde traurig. Hurley Brown war also zurückgetreten – hatte den Beruf, den er so liebte, aufgegeben. Er stellte mit einem Seufzer seine Tasse auf den Tisch und starrte abwesend auf das Papier. Würde das Glück, das Hurley Brown nun zuteil geworden war, wirklich die Entschädigung für ihn bedeuten, die er brauchte?

 

Warden überdachte nochmals die Ereignisse der letzten Woche. Jede Einzelheit stand klar vor ihm. Er entsann sich, wie er lächelnd mit Hurley Brown gesprochen hatte, als dieser so wütende Ausdrücke über Louba gebrauchte. Er fand, daß Hurley Brown ein wenig zu rachsüchtig war. Warden persönlich hatte Louba nicht gehaßt. Der Mann war für ihn ein ausgesprochener Sonderfall. Er hatte sich eigentlich nie durch ihn abgestoßen gefühlt.

 

Während er von seinem Stuhl aufstand, hörte er das Läuten der Klingel.

 

Das Mädchen kam herein.

 

»Wollen Sie Mr. Miller empfangen, Herr Doktor?«

 

»Miller – Loubas Diener? Er soll hereinkommen.«

 

Miller war aufgeregt, als er eintrat.

 

»Ich möchte mich entschuldigen, Herr Doktor, daß ich komme, aber, wie Sie sich denken können, muß ich mich jetzt nach einer andern Stellung umsehen. Ich hätte Sie gerne gefragt, ob nach Ihrer Meinung für einen Mann wie mich in Südamerika Aussichten bestehen?«

 

Der Doktor fuhr erschrocken vom Sitz auf.

 

»Südamerika? Das Allerschlechteste, was Sie sich aussuchen konnten«, sagte er. »Warum gehen Sie nicht auf den Kontinent? Oder warum wollen Sie England überhaupt verlassen? Sie haben doch keinen besonderen Grund dafür, wie?«

 

Miller war es offensichtlich unbehaglich zumute.

 

»Nein, Herr Doktor, keinen besonderen Grund. Das einzige ist – nun, nach dieser Mordsache wird mich niemand als Diener haben wollen.«

 

»Ich nahm an, Sie würden nach Bath gehen und dort eine Art Pension betreiben? Ist etwas vorgefallen, daß Sie Ihre Pläne ändern müssen, Miller?«

 

»Nichts, Herr Doktor.« Er zögerte. »Nur – ich möchte gerne aus diesem Land heraus. Ich würde das Ausland vorziehen.«

 

»Na, dann versuchen Sie’s doch auf dem Kontinent, oder in einer britischen Kolonie, wenn Sie genug Geld haben.«

 

Der Doktor machte ihm ausführlich die Verhältnisse in Kanada und Südafrika klar, aber er merkte es Miller an, daß er sich nicht überzeugen lassen wollte. Nachdem er weg war, wunderte sich der Doktor darüber, daß er überhaupt vorgesprochen hatte. Erst als er nach Bow Street gerufen wurde, um seine Bürgschaft für Frank Leamingtons Haftentlassung zu hinterlegen, erfuhr er, was los war. Inspektor Trainor erwartete ihn draußen auf der Straße und erzählte, was sich ereignet hatte. Loubas Nachlaß war Treuhändern übergeben worden. Der tote Finanzmann hatte eine genaue Aufstellung aller seiner Geldgeschäfte hinterlassen, und es stellte sich heraus, daß er einen Tag vor seiner Ermordung von einer Bank einen größeren Betrag in Franken abgehoben hatte, und dieses Geld war nirgends in der Wohnung zu finden. Außerdem hatte Miller am Montag geheiratet.

 

»Ich möchte mir von ihm gerne erklären lassen, wie er dazu kam, sich in Cooks Reisebüro gestern einen Tausendfrankenschein wechseln zu lassen«, sagte der Detektiv. Jetzt verstand Dr. Warden alles.

 

Er ging die Stufen zum Polizeirevier hinauf. Beryl Martin begrüßte ihn freudig.

 

»Wie nett von Ihnen, Herr Doktor! Mr. Trainor war der Ansicht, Sie würden nichts dagegen haben, die notwendigen Garantien zu übernehmen.«

 

»Natürlich nicht!« sagte Dr. Warden herzlich. »Das bedeutet wohl, daß die Anklage gegen Frank Leamington fallengelassen wird?«

 

Trainor nickte. »Der Staatsanwalt will sich zwar noch etwas Zeit lassen, um den Fall nochmals eingehend zu studieren, aber er möchte nicht, daß Mr. Leamington eine Minute länger als notwendig in Haft bleibt.«

 

Dr. Wardens Bürgschaft wurde angenommen. Warden ließ das Brautpaar allein und zog den Inspektor beiseite.

 

»Haben Sie etwas von Brown gehört?«

 

»Nicht das geringste. Sie sahen wohl die Zeitungsnotiz. Er hat seine Entlassung eingereicht, und heute morgen ließ er durch einen Boten seine Papiere abholen. Er weigert sich, weitere Erklärungen abzugeben. Angeblich gibt er den Posten auf Anraten seines Arztes auf. Haben Sie ihm den Rat gegeben, Doktor?«

 

Dr. Warden gab nicht sofort Antwort. Dann sagte er:

 

»Ich war zwar sein Freund, aber nicht sein Arzt. Die Verantwortung für das Befinden meiner Freunde übernehme ich nicht gerne.«

 

»Haben Sie eine Ahnung, wo er steckt?«

 

»Ich habe ihn seit damals nicht mehr gesehen, und er hat sich auch nicht mit mir in Verbindung gesetzt«, sagte Warden. »Hat Louba eigentlich ein großes Vermögen hinterlassen?«

 

Der andere schüttelte den Kopf.

 

»Im Gegenteil, er war hoffnungslos bankrott. Die Beamten, die seine Verhältnisse prüften, behaupten, daß er ins Gefängnis gekommen wäre, weil er seine Steuererklärungen fälschte und sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Kredite verschaffte. Tatsächlich stand er am Rand des Ruins.«

 

Dr. Warden starrte ihn ungläubig an.

 

»Stimmt das wirklich?«

 

»Ganz gewiß. Da Costa hat die Wahrheit gesagt, als er dies zu Protokoll gab. Louba schuldete nach allen Seiten Geld. Sogar Miller hat seinen Lohn monatelang nicht erhalten, und Loubas ganzes Eigentum war bis zum letzten Knopf verpfändet. Allerdings wissen wir, daß er an seinem Todestag eine große Summe von der Bank abhob und sich in Tausendfrankenscheinen auszahlen ließ. Dieses Geld ist spurlos verschwunden. Ferner wissen wir auch, daß Miller gestern fünf der Scheine wechselte – und deswegen möchte ich ihn außerordentlich gerne einiges fragen.«

 

Nachdem er diese überraschende Mitteilung gehört hatte, schloß sich John Warden den beiden jungen Leuten an. Frank dankte ihm, so herzlich er nur konnte.

 

»Inspektor Trainor sagte mir, daß Sie sich seit meiner Verhaftung fast ununterbrochen für mich eingesetzt haben, Doktor. Er teilte mir auch mit, daß Sie sogar mit dem Justizminister gesprochen hätten.«

 

Dr. Warden wurde rot.

 

»Na, ich kann doch nicht müßig dabeistehen und einem solchen Justizirrtum zusehen«, sagte er.

 

*

 

Um zehn Uhr abends klingelte es bei Dr. Warden; und seine Haushälterin meldete ihm zwei Besucher. Der Doktor glaubte, daß es sich um einen eiligen Krankheitsfall handelte und ging sofort in sein Sprechzimmer hinunter. Dort saß ein Mann auf der äußersten Ecke eines Stuhles, ein unrasierter, bleicher Mensch, dem das Elend in den Augen geschrieben stand. Eine blasse hübsche Frau hatte ihren Stuhl dicht neben seinen gerückt und hielt seine Hand umklammert. Beim Nähertreten erkannte Dr. Warden Miller.

 

»Ich bin gekommen, um mich der Polizei zu stellen, Herr Doktor«, sagte er mit heiserer Stimme. »Meine Frau ist der Ansicht, ich sollte es tun. Ich habe Mr. Louba bestohlen, aber bei Gott, ich habe niemals auch nur einen Schlag gegen ihn geführt.«

 

Ein telefonischer Anruf brachte Trainor und seinen Assistenten in einer Viertelstunde in die Wohnung Wardens.

 

»Hier ist das Geld, Herr Inspektor«, sagte Miller niedergeschlagen. »Wahrscheinlich muß ich jetzt ins Gefängnis …, aber lieber das, als meiner Frau solchen Kummer bereiten.«

 

Dann erzählte Miller seine Geschichte.

 

»Was ich Ihnen jetzt sage, ist die Wahrheit. Es stimmt – ich habe zu Anfang sehr viel gelogen, aber es tut mir jetzt leid. Wenn so etwas passiert wie der Mord an Mr. Louba, dann ist es vielleicht verständlich, daß man davon ganz durcheinandergebracht wird. Vierzehn Jahre lang bin ich bei Mr. Louba angestellt gewesen. Er stellte mich ein, als er noch in einer ganz kleinen Wohnung in der Jermyn Street lebte – lange Zeit bevor er das Vermögen gemacht hatte, das er angeblich bei seinem Tod besaß. Sechs Monate im Jahr war er stets in London, die anderen sechs Monate irgendwo auf dem Kontinent. Mr. Warden wird sich der Wohnung in der Jermyn Street noch entsinnen, denn er besuchte uns dort ja öfters. Nach einigen Jahren kam Mr. Louba für immer nach England und baute hier zusammen mit einigen anderen reichen Leuten Braymore House – dort schlug er dann seinen ständigen Wohnsitz auf, und dort traf ich auch Charlie Berry zum erstenmal.

 

Ich kannte seinen Namen nicht und wußte auch nicht, was er für einen Beruf hatte, denn ich sah ihn sehr selten und traf ihn auch nie außerhalb der Wohnung. Auf jeden Fall weiß ich aber, daß er ein häufiger Besucher war, wenn man ihn auch nicht direkt einen Freund von Mr. Louba nennen konnte. Sein Benehmen war, soweit ich es beurteilen kann, eher das eines Angestellten als das eines Freundes. Louba pflegte ihn übrigens immer allein zu empfangen und machte ihm auch selbst die Tür auf, wenn er ging. Wahrscheinlich hat er Charlie verboten, mir über den Zweck seiner Besuche etwas zu sagen, denn als ich einmal versuchte, ihn darüber auszuhorchen, erklärte mir Charlie, ich solle mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern. Am nächsten Tag machte mir Mr. Louba Vorhaltungen, weil ich meine Nase in die Sachen anderer Leute steckte. Er war sehr zornig, und ich hörte danach auf, neugierig zu sein; ich wollte kein Risiko eingehen.

 

Vor ungefähr neun oder zehn Jahren sah ich Charlie das letztemal. Ich glaube, es war einen Tag, nachdem ich mit Mr. Louba eine Auseinandersetzung wegen einer Dame gehabt hatte, die nicht fortkonnte, weil das Fenster zur Feuerleiter verklemmt war. Charlie war angezogen, als ob er die Welt auf den Kopf stellen wollte – man hätte ihn fast für einen Gentleman halten können. Das fiel mir auf, denn für gewöhnlich war Charlie mit seiner Kleidung nicht besonders wählerisch. Ich hatte im Gegenteil schon oft bemerkt, daß er geradezu schäbig aussah. Von dem Tag an bis zum Mittwoch vor dem Mord habe ich ihn dann nicht mehr gesehen. Über Mr. Loubas Privatangelegenheiten wußte ich stets sehr gut Bescheid – besser jedenfalls, als Louba annahm. Besonders was seine Geschäfte betraf, war ich immer gut informiert. Ich wußte beispielsweise, daß seine Unternehmungen nicht allzu erfolgreich verliefen. Immer größere Geldforderungen liefen ein, und eines Tages sah ich ihn vor einem Stapel Schiffsfahrplänen sitzen, und neben ihm lag ein Paß auf den Namen ›Goudelas‹ mit seiner Fotografie darin. Natürlich fing ich an, mir allerhand zusammenzureimen.

 

Ich weiß auch, daß er jede Woche Geld an verschiedene Leute absandte – er nannte sie mir gegenüber einmal seine Pensionäre. Auch diese Sendungen stellte er ein – die Rechnungen häuften sich in der Wohnung schon zu kleinen Bergen. Wochenlang erhielt ich meinen Lohn nicht, und da wurde mir denn doch ein wenig mulmig zumute. Wie ich schon sagte, traf ich dann am Mittwoch vor dem Mord Charlie. Er stand vor Braymore House. Es muß ungefähr acht Uhr gewesen sein, und ich war gerade unterwegs, um Mr. Louba die Nachmittagspost in den Elect Club zu bringen. Ich erkannte Charlie nicht wieder, bis er mich ansprach, wußte aber sofort, mit wem ich es zu tun hatte, als ich sein Gesicht sah. Er erzählte mir, daß er gerade aus dem Ausland zurückkomme und Louba sprechen wolle. Ich war natürlich schon wegen meiner Beobachtungen daran interessiert, möglichst viel über meinen Arbeitgeber zu erfahren. Wir gingen in eine Bar – dort war es auch, wo uns der kleine Herr, Mr. Weldrake, ansprach. Charlie sagte, daß es anscheinend schlecht um Louba stünde, und falls er kein ehrliches Spiel mit ihm treibe, wolle er ihm etwas einbrocken.

 

Wir tranken mehrere Gläser, und Charlie gelang es schließlich, mich davon zu überzeugen, daß man etwas unternehmen müsse, bevor Louba vollends erledigt sei. Meine Aufgabe bestand nun darin, Mr. Louba zu überwachen und festzustellen, ob er einmal eine größere Summe von der Bank abhob. Das war verhältnismäßig leicht, denn Mr. Louba verwahrte sein Scheckbuch in der rechten oberen Schublade seines Schreibtischs. Sobald sich ein größerer Geldbetrag im Haus befand, sollte ich Charlie ins Hotel telegrafieren: ›Florence ist angekommen.‹

 

Am Samstagmorgen ging Louba aus und kam kurz vor der Essenszeit wieder zurück. Das Mittagessen ließen wir uns immer aus dem Restaurant im Erdgeschoß heraufschicken. Um halb drei ging er wieder weg, und ich begann sein Zimmer zu untersuchen. Als erstes fand ich sein Scheckbuch. Er hatte zwölftausend Pfund abgehoben, und auf den Abschnitten stand ›Franken‹. Das Datum lautete auf Freitag, und ich konnte leicht erraten, daß er der Bank an diesem Tag die Schecks gegeben hatte, um ihr Zeit zu lassen, ausländische Währung dafür zu beschaffen.

 

Ich suchte nun fieberhaft nach den Scheinen und fand sie auch schließlich. Sie waren in der Schublade des kleinen Schreibsekretärs am Fenster. Nach meiner Schätzung mögen es ungefähr siebenhunderttausend Franken gewesen sein. Die Schublade hatte keinen Schlüssel. Sie war nur zu öffnen, wenn man zwei kleine Knöpfe zu beiden Seiten des Griffes gegeneinanderpreßte. Ich hätte das Geld ja nun sofort an mich nehmen können, aber dann wäre der Verdacht gleich auf mich gefallen, falls Mr. Louba nach seiner Rückkehr nachschaute.

 

Der Plan, den wir uns ausgedacht hatten, war folgender: Sobald Charlie mein Telegramm erhalten hatte, sollte er Louba aufsuchen; schon an der Tür würde ich ihm mitteilen, wo das Geld versteckt war. Er sollte es dann entweder sofort an sich nehmen, oder, wenn das nicht möglich war, später nochmals zurückkommen – und zwar über die Feuerleiter. Das Fenster würde ich schon vorher öffnen. Wir hatten uns auch über die Alarmklingel unterhalten, die aber nur funktioniert, wenn man die Leiter an der Feuertreppe herunterzieht. Ich sagte Charlie, daß im Garten eine Malerleiter stand, mit deren Hilfe man die Treppe hinaufkonnte, ohne die Alarmklingel in Tätigkeit zu setzen. Anschließend sollte ich Charlie in der Bar treffen, wo wir das Geld dann teilen wollten. Das gefiel mir eigentlich gar nicht, denn ich konnte mir an meinen fünf Fingern abzählen, daß er mich übers Ohr hauen würde. Dieser Gedanke bewog mich dann, selbst zu handeln.

 

Ich sandte also das Telegramm ab, und bald darauf kam Mr. Louba nach Hause. Er war gut gelaunt und erlaubte mir, abends auszugehen. Ich hatte meine Braut gebeten, mich in der Nähe von Braymore House zu erwarten, weil ich doch ein Alibi brauchte, falls das Geld etwa vermißt würde. Es hat mich zuvor allerhand Mühe gekostet, sie zum Kommen zu bewegen, da sie eigentlich nicht frei hatte.

 

Eine halbe Stunde, bevor Charlie erschien, war ich im Wohnzimmer; Mr. Louba nahm gerade ein Bad. Ich hatte ihn zuvor durch das Schlüsselloch beobachtet und gesehen, daß er direkt auf den Schreibsekretär zuging. Hier bot sich mir nun eine einmalige Gelegenheit. Ich wußte genau, daß ich von Charlie niemals meinen Anteil erhalten würde. Wenn ich das Geld jetzt wegnahm, konnte mir nichts mehr passieren, denn wenn der Verlust nach dem Weggang von Charlie entdeckt wurde, mußte ja der Verdacht auf ihn fallen. Ich suchte nach keinen Entschuldigungen für meine Person. Ich wollte stehlen – und das tat ich.

 

Nachdem ich die Schublade aufgezogen hatte, nahm ich eine Handvoll Banknoten heraus und stopfte sie in die Tasche. Um sicher zu sein, daß man das Geld nicht bei mir fand, nahm ich einen Umschlag, klebte eine Marke darauf und adressierte ihn an mich, und zwar an eine Adresse, wo ich die Möbel, die ich schon seit einem Jahr für unsere zukünftige Wohnung angeschafft hatte, aufbewahren ließ. Ich ging rasch zum Briefkasten und rannte dann zur Wohnung zurück. Ungefähr fünf Minuten, bevor Charlie ankam, war ich dort. Ich ließ ihn herein und flüsterte ihm zu, wo das Geld lag. Mr. Louba trat aus dem Zimmer und begrüßte Charlie, worauf ich weggehen wollte. Im selben Moment klingelte es, und Dr. Warden stand draußen. Fast wäre mir übel geworden, als ich ihn sah, denn ich wollte ja um jeden Preis schnell hinauskommen, da Charlie und Louba schon heftig miteinander stritten. Ich glaubte jetzt keinen Moment mehr daran, daß Charlie an das Geld herankommen konnte, ohne noch einmal zurückzukehren.

 

Nun, was daraufhin passierte, wissen Sie ja alles. Ich ging weg, sprach mit meiner Braut und unterhielt mich kurz mit dem Diener im ersten Stock. Danach ging ich wieder in die Wohnung. Nachdem Dr. Warden weg war, lauschte ich an der Tür. Man hörte nicht den geringsten Laut, aber das war nichts Außergewöhnliches, da Mr. Louba oft stundenlang in seinem Zimmer war, ohne nach mir zu rufen. Um zehn Uhr vierzig rührte sich noch immer nichts. Ich bekam Angst, daß etwas nicht stimmte, klopfte mehrmals an der Tür und öffnete sie dann. Sie wissen ja, was ich vorfand … Als ich Loubas Leiche entdeckte, war ich zuerst vor Furcht fast außer mir. Dann ging ich ins Wohnzimmer und öffnete die Schreibtischschublade – sie war leer. Ohne mich weiter zu besinnen, rief ich nun sofort Dr. Warden an.

 

Das, meine Herren, ist die ganze Geschichte, soweit ich daran beteiligt bin. Ich suchte Dr. Warden auf, um wegen einer Auswanderung nach Südamerika seinen Rat zu erbitten. Dadurch hoffte ich, der Polizei zu entgehen.«

 

Der Doktor versuchte die weinende junge Frau zu trösten, nachdem ihr Mann abgeführt worden war. Er drückte ihr einige Geldscheine in die Hand und ließ sie durch seine Haushälterin zu ihrer Mutter bringen.

 

Während der Zeit, da Miller seine Gefängnisstrafe verbüßen mußte, bemühte sich Dr. Warden um dessen Privatangelegenheiten. Er stellte fest, daß sich Miller in den Jahren seiner Dienstzeit einen ganz ansehnlichen Betrag zusammengespart hatte. Es hätte wahrscheinlich einen Kampf mit den Behörden um den Besitz dieses Geldes gegeben, wenn man nicht den Hauptteil des Emil Louba gestohlenen Betrags unter Charles Berrys Sachen gefunden hätte.

 

»Die Geschichte ist jetzt vollständig«, sagte Trainor, als er den Doktor eines Tages in Whitehall traf. »Weldrake und da Costa wurden beide auf ihre eigene Kaution hin freigelassen, und die Sache mit Miller lenkt jeden Verdacht von ihnen und Leamington ab.«

 

»Sind Sie dessen sicher?« fragte Dr. Warden rasch.

 

»Nun, nach dem Gesetz unbedingt. Und ich glaube auch nicht, daß ein Funke Zweifel daran bestehen kann, daß Charles Berry der Mörder war. Das einzig Geheimnisvolle ist und bleibt die Frau – wo mag sie hingekommen sein?«

 

John Warden zuckte die Schultern.

 

»Was geht es uns an?« fragte er und brachte das Gespräch auf andere Dinge.

 

Es war Herbst, und Frank Leamington und Beryl verbrachten ihre Flitterwochen am Corner See. Es war ein wunderschöner Tag, der See lag tiefblau vor den beiden.

 

Frank lehnte faul im Heck des Bootes und schaute zu Beryl hinüber, die sich fröhlich in die Ruder legte.

 

»Liebste, manchmal ist mir immer noch, als müßte ich plötzlich aufwachen und wieder die nackten Wände meiner Untersuchungszelle in Bow Street sehen«, sagte er.

 

Sie schauderte ein wenig.

 

»So darfst du doch nicht reden – hier, wo es so schön ist! Was stand denn in dem Brief, den dir der Portier gab, als wir das Hotel verließen?«

 

Er angelte ihn aus der Tasche. Der Briefumschlag war mit der Maschine geschrieben und augenscheinlich in London umadressiert worden.

 

»Den Poststempel kann ich nicht genau erkennen. Die Marke ist brasilianisch.«

 

Er riß den Brief auf und zog einen dicken Pack engbeschriebener Bogen heraus. Nachdem er die ersten Worte gelesen hatte, sprang er so heftig auf die Füße, daß das Boot mächtig zu schaukeln anfing.

 

»Was ist denn los?« fragte sie besorgt.

 

»Nichts … Warte, Beryl. Laß mich das hier erst zu Ende lesen.«

 

Sie blieb stumm sitzen und beobachtete sein gespanntes Gesicht, als er den wahren Bericht vom Tod Emil Loubas las.

 

Kapitel 24

 

24

 

Am nächsten Morgen tauchte in der Wohnung im zweiten Stock Dr. Warden auf. Er wollte sich mit Trainor unterhalten. Vor allem hätte er gern erfahren, ob Miller dem Detektiv seine, Hurley Brown betreuende, Theorie wiederholt hatte, und welche Bedeutung Trainor dieser Vermutung beilegte. Er hatte zwar absolutes Vertrauen zu Brown, wußte aber, daß es merkwürdig aussah, wenn Brown den von der Polizei gesuchten Charlie verfolgte, ohne dies offiziell mitzuteilen.

 

Der Doktor fand Trainor gerade im Begriff, in da Costas Wohnung einzudringen.

 

»Eigentlich wollte ich schon gestern abend hinein, aber wir wurden abgelenkt, und deshalb begnügte ich mich damit, an beide Ausgänge Posten zu stellen«, erklärte er. »Ich glaube zwar nicht, daß überhaupt jemand oben ist, aber ich hätte gerne herausgefunden, ob vielleicht mein kleiner Mann dort gewohnt hat, was mir sehr wahrscheinlich vorkommt.«

 

»Um was für einen kleinen Mann handelt es sich denn?« fragte Warden.

 

»Mr. Weldrake.« Trainor erzählte, was vorgefallen war. »Sie haben von Louba wohl nie etwas über ein Perlenkästchen gehört? Sehen Sie es sich einmal an«, sagte er zum Schluß.

 

»Ich kann mich nicht darauf besinnen. Verrückt von diesem Weldrake, sich sozusagen über Ihrem Kopf einzulogieren, nur um Sie von einem Besuch in seiner eigenen Wohnung abzuhalten.«

 

»Das schon, aber er ist überhaupt ein merkwürdiger Kerl. Möglich, daß er noch irgend etwas anderes hier zu suchen hatte. Ich weiß es nicht … Gestern abend konnte ich nicht mehr aus ihm herausbringen, als daß er den Gegenstand da in der Wardour Street gekauft hätte.«

 

»Kann ich Sie nach oben begleiten?«

 

»Selbstverständlich, kommen Sie mit, Doktor, wollen mal sehen, was da zu finden ist. Ich habe mich beim Hausmeister erkundigt, aber er hat keinen Schlüssel. Wir werden die Tür wohl aufbrechen müssen.«

 

Trainor beauftragte den Sergeanten, die Feuerleiter zu beobachten, stieg mit seinem Begleiter nach oben und läutete an da Costas Wohnung. Wie zu erwarten, erhielt er keine Antwort. Kein Laut war von drinnen zu hören.

 

Ohne zu zögern nahm Trainor aus seiner Rocktasche einen Bund Dietriche. Innerhalb fünf Minuten öffnete er das Hauptschloß, aber als sie die Tür aufdrücken wollten, widerstand sie weiter allen ihren Bemühungen.

 

»Zugeriegelt!« stieß Trainor hervor. »Von innen zugeriegelt … Begreifen Sie, Doktor?«

 

Aufgeregt gingen sie wieder nach unten und stiegen aus Loubas Fenster. Den Sergeanten schickten sie zur Beobachtung vor da Costas Wohnung. Dann kletterten sie hinauf. Kurz entschlossen schlug Trainor eine Fensterscheibe ein und zog den Riegel zurück, der das Fenster sicherte.

 

Als erstes ließen sie den Sergeanten ein und postierten ihn zwischen dem Haupteingang und dem Fenster. Den Arzt bat Trainor, in dem Zimmer zu bleiben, in das sie durch das zerbrochene Fenster eingestiegen waren, während er sich selbst auf die Suche machte, die eigentlich nicht von langer Dauer sein konnte.

 

»Na, ich glaube, ich werde bald etwas entdecken«, bemerkte er, »Machen Sie sich auf etwas gefaßt. Alle Eingänge von innen verriegelt – das spricht Bände. Da, schauen Sie her« – er deutete auf den Tisch –, »eine erst vor kurzem eingenommene Mahlzeit, das Brot ist noch ganz frisch.«

 

Es war klar, daß hier jemand vor ganz kurzer Zeit gegessen hatte.

 

Trainor umspannte mit den Händen die Kaffeekanne.

 

»Sie ist noch warm«, rief er triumphierend. »Drehen Sie alle Lichter an!«

 

In Anbetracht des trüben Tages war diese Maßnahme durchaus angebracht.

 

Dann ging er vorsichtig in das Schlafzimmer.

 

»Im Bett hat jemand geschlafen«, rief er den anderen zu und öffnete einen großen Kleiderschrank – nichts. Er schaute unter das Bett – auch nichts.

 

Nun ging er in die übrigen Zimmer, fand aber auch dort niemanden. Er betrat die kleine Küche, wo er schmutzige Teller und eine leere Sardinenbüchse fand. Der Sergeant deutete auf eine große Kommode, die, wenn sie keine Schubfächer enthielt, sich gut zum Versteck eignen mußte. Trainor nickte, und sie öffneten beide das Möbel.

 

Im Speisezimmer hatte Trainor eine breite Couch übersehen, die in der dunkelsten Ecke des Zimmers an der Wand stand. Hätte er die Figur da Costas gekannt, dann würde er diesen Diwan sogar absichtlich übersehen haben. Aber trotz seiner Körpergröße hatte da Costa sich tatsächlich daruntergequetscht. Und außerdem umklammerte seine Hand mit festem Griff auch noch einen Hut. Trotz seiner Aufregung hatte er sich gesagt, daß ein Mann ohne Hut, noch dazu ohne Mantel und an einem Wintertag, als Flüchtling allgemeine Aufmerksamkeit erregen mußte. Falls ihm die Flucht gelang, dachte er verzweifelt, mußte er wenigstens einen Hut bei sich haben!

 

Nachdem er sich eine Zeitlang im Zimmer umgesehen hatte, wandte sich der Doktor dem Fenster zu und starrte grüblerisch in die dichten Nebelschwaden hinaus.

 

Da Costa, der ihn vorsichtig beobachtet hatte, verlor keine Zeit. Er wand sich unter seinem Diwan hervor, kam im nächsten Augenblick auf die Beine, behielt den Rücken des Doktors im Auge, stülpte sich den Hut fest auf den Kopf und sprang mit einem mächtigen Satz auf das Fenster zu.

 

Dr. Warden schrie auf und taumelte erschreckt zur Seite, als ihn da Costa anstieß. Aber er riß sich noch rasch genug zusammen, um den Flüchtling wenigstens beim Rockzipfel zu erwischen. Im nächsten Augenblick jedoch stolperte er über die Ecke eines Teppichs und verlor das Gleichgewicht.

 

Trainor und sein Gehilfe stützten auf den Schrei hin sofort herbei und sahen gerade noch da Costa durch das Fenster verschwinden. Der Doktor hatte sich wieder aufgerafft und wurde sofort erneut umgerissen, als er mit den beiden, die schleunigst auf das Fenster zurannten, zusammenstieß.

 

Als sie sich endlich frei gemacht hatten und zum Fenster hinausgestiegen waren, war da Costa schon auf der unteren Plattform angelangt und stieg das letzte Stück der Leiter mit erstaunlicher Behendigkeit hinunter. Die Einbrecherglocke schrillte, gerade als sie an den Fenstern des zweiten Stockwerks ankamen, und Miller stürzte heraus.

 

»Aus dem Weg!« brüllte Trainor den Diener an, der schon auf der Leiter stand. Miller drückte sich ängstlich zur Seite und geriet dadurch dem Sergeanten direkt in die Quere, der ihn nun seinerseits wieder wegzuschieben versuchte, wodurch er nochmals gegen Trainor fiel.

 

»Zum Teufel mit euch allen!« zeterte Trainor und rutschte nun fast die Leiter herunter.

 

Unten angelangt, wurde er von dem atemlosen Hausmeister sofort gepackt und festgehalten.

 

»Lassen Sie mich gehen, Sie Esel!« schnaubte Trainor und riß sich von ihm los.

 

»Verzeihung, Sir, aber die Alarmglocke …«, keuchte der Mann.

 

»Ach – wir haben rein gar nichts gehört!« knurrte Trainor mit schneidender Ironie und rannte wie besessen in Richtung des Tores.

 

Auf der Straße trennten sie sich und liefen in verschiedenen Richtungen. Der Sergeant pfiff mit aller Kraft auf seiner Trillerpfeife. Von dem Flüchtling war schon nichts mehr zu sehen. Der Nebel war für ihn ein Geschenk Gottes.

 

Als die Pfeife des Sergeanten schrillte, kam da Costa gerade an einem Polizisten vorbei. Er hatte den großen Mut und die große Frechheit, stehenzubleiben und den Beamten zu fragen:

 

»Ist was nicht in Ordnung, Wachtmeister?«

 

»Haben Sie was gesehen? Ist jemand davongelaufen?« fragte der Polizist und erwiderte den Pfiff auf seiner eigenen Pfeife.

 

»Nein, nicht in dieser Richtung.«

 

Der Polizist rannte los.

 

»Man könnte glauben, dieses neblige Wetter wäre speziell von dem Mörder und seinen Komplicen bestellt worden!« erklärte Trainor wütend, als er in die Wohnung zurückkehrte. »Haben Sie ihn genau gesehen, Doktor?«

 

»Nein. Es ging alles so schnell … Wahrscheinlich war es dumm von mir, mit dem Rücken gegen das Zimmer zu stehen, aber ich dachte im Grunde genommen gar nicht im Ernst daran, daß er hier, in diesem Zimmer sein könnte«, entgegnete Warden.

 

»Nein, natürlich nicht. Ich vermutete ihn auch in einem andern Teil der Wohnung. Wenn dieser Miller uns nicht noch in den Weg gekommen wäre, hätten wir ihn gefaßt.«

 

»Miller wurde wahrscheinlich durch die Alarmklingel auf den Plan gebracht?«

 

»Natürlich, das war’s ja. Wir waren alle so erpicht darauf, ihn festzunehmen, daß wir uns gegenseitig im Weg waren.«

 

»Haben Sie ihn denn gesehen?«

 

»Ich sah seinen Rücken – ein großer Kerl, ziemlich massiv gebaut, ohne Mantel. Aber er hatte einen Hut auf. Wenn ich daran denke, daß er die ganze Zeit über hier im Zimmer war …!«

 

»Sie halten ihn also für den Richtigen. Aber wie konnte er denn von außen in Loubas Wohnung gelangen, wo doch das Fenster geschlossen war?«

 

»Weiß ich’s?« gab Trainor kurz angebunden zurück.

 

Er überlegte sich, ob Miller die Verfolgung da Costas nicht absichtlich behindert hatte … Denn als Tatsache blieb bestehen: Wenn der Mörder einen Komplicen in der Wohnung gehabt hatte, dann konnte dieser Komplice kein anderer als Miller sein.

 

Mühsam schluckte Trainor seinen Ärger hinunter und nahm die Durchsuchung der Wohnung wieder auf. Einer der Gegenstände, die er sich dabei vornahm, war der Briefkasten. Briefe waren zwar keine drin, dafür entdeckte er etwas anderes:

 

»Brotkrumen!« rief er und ließ die kleinen Brocken in die Handfläche der anderen Hand fallen.

 

»Er hat also Lebensmittel durch den Briefkasten zugesteckt bekommen, was?« fragte Dr. Warden.

 

»Sieht so aus. Aber warum gerade durch den Briefkasten?«

 

Miller war durch das Fenster hereingeklettert und schaute sich neugierig im Zimmer um.

 

»Ich glaube, Weldrake weiß darüber Bescheid«, sagte Trainor. »Den haben wir wenigstens sicher.«

 

»Haben Sie heute schon mit ihm gesprochen?« fragte Warden.

 

»Nein, aber ich gehe jetzt zu ihm hin.« Er wandte sich an Miller. »Was tun Sie noch hier?«

 

»Nichts, Herr Inspektor. Übrigens – an einem so nebligen Tag wie heute ist es ja kein Wunder, daß Sie ihn nicht erwischen konnten.«

 

»Wir hätten ihn gefangen, wenn Sie nicht dazwischengekommen wären.«

 

»Aber Herr Inspektor«, verteidigte sich nun Miller, »wenn ich im Zimmer geblieben wäre und nicht versucht hätte, den Mann auf der Feuerleiter aufzuhalten, dann hätten Sie auch etwas auszusetzen gehabt. Wie konnte ich wissen, daß ich Ihnen direkt in den Weg lief? Außerdem hätte ich ihn vielleicht sogar erwischt, wenn Sie und der Sergeant mich nicht beinahe die Leiter heruntergeworfen hätten.« Er sagte das mit außerordentlich gekränkter Miene.

 

»Er hat ganz recht«, stimmte Dr. Warden bei.

 

»Nun, ich werfe Ihnen ja auch nichts vor, Miller«, meinte Trainor beschwichtigend. »Aber es ist schon aufreizend, wenn man den Kerl auf diese Weise entkommen sieht.«

 

»Ja, das glaube ich schon«, gab Miller zu und schaute sich wieder in der Wohnung um. »So, hier hat er also die ganze Zeit gehaust«, murmelte er.

 

»Wer?« fragte Trainor prompt.

 

»Nun, natürlich der Mörder«, versetzte Miller, und der Detektiv wandte sich mit einem enttäuschten Blick ab.

 

Dr. Warden betrachtete Miller sehr verwundert.

 

Kapitel 25

 

25

 

Nach seiner Teilnahme an diesem mißglückten Festnahmeversuch da Costas ging Dr. Warden in seinen Club, wo sich bald darauf auch Hurley Brown einfand. Browns Gesicht war düster, seine Miene die eines Menschen, der sich mit irgendwelchen Sorgen herumschlägt. Er sah Warden und kam langsam auf ihn zu.

 

»Ich fürchte, Sie hatten kein Glück«, sagte Dr. Warden. »Ich meine, in Ihrer selbstgestellten Aufgabe …«

 

Hurley Brown gab keine Antwort, sondern kniff nur ein wenig die Lippen zusammen.

 

»Na, Sie sind nicht der einzige Mensch, dem der Nebel einen Streich gespielt hat«, fuhr der Doktor tröstend fort. »Trainor kocht vor Wut.«

 

»Warum?«

 

Brown sah neugierig auf.

 

»Ich habe bei einem kleinen Einbruch mitgeholfen und mich an einer Verfolgungsjagd beteiligt, wie sie nicht sein soll. Trainor durchsuchte heute morgen da Costas Wohnung, und jemand, er glaubt, es war da Costa selbst, machte sich davon und entwischte ihm.«

 

»War es denn wirklich da Costa?« fragte Brown schnell.

 

»Ich kenne ihn ja gar nicht.«

 

»War es jemand, den Sie kannten?«

 

»Bestimmt nicht – soweit ich das mit Sicherheit sagen kann. Es ging ja alles so schnell«, versetzte Warden und betrachtete ihn etwas überrascht. Hurley Brown wich seinem Blick aus.

 

»Und er ist entkommen?«

 

»Ja. Trainor hofft allerdings, ein paar Auskünfte von einem Mann zu erhalten, den er gestern abend anhielt.«

 

»Wo anhielt?«

 

»In Braymore House. Er kam anscheinend von der Wohnung da Costas und hatte etwas bei sich, was aus der Truhe in Loubas Zimmer stammt.«

 

»Davon weiß ich noch gar nichts. Wie heißt der Mann?«

 

»Weldrake. Sowohl Miss Martin als auch Leamington sahen ihn in der Mordnacht vor Braymore House.«

 

»Es ist also nicht Charlie?«

 

»Nein, nein.«

 

Brown biß sich auf die Lippen.

 

»Weldrake, sagten Sie?« fragte er. »Ich kannte einmal einen Mann dieses Namens, das ist aber schon lange her wahrscheinlich ist es nicht derselbe. Hat Trainor von ihm etwas Wichtiges erfahren?«

 

»Nicht besonders viel. Er ist eben zu ihm hingefahren, um zu sehen, was er noch aus ihm herausholen kann.«

 

»Ich fahre auch hin. Wissen Sie die Adresse?«

 

Warden gab sie ihm, und Brown wollte eben gehen, als ihn der Doktor zurückhielt.

 

»Der Weldrake, den Sie kannten, stand wohl in keiner Beziehung zu Louba?«

 

Brown fuhr so erschrocken herum, als ob ihm der Gedanke auch eben gekommen wäre.

 

»Doch, er stand in Beziehung zu ihm«, antwortete er nachdenklich. »Eigentlich habe ich erst durch ihn Louba kennengelernt.«

 

»Und hatte er Ursache, Louba zu hassen?«

 

»Gerade genug«, gab Brown zögernd zu.

 

Einen Augenblick herrschte Schweigen.

 

»Könnte nicht er den Mord begangen haben? Was halten Sie davon?« fragte Warden dann.

 

»Nein, der Gedanke ist absurd! Er – und Gewalt anwenden … Großer Gott, nein!« rief er, als ihm die Erinnerung an die unscheinbare Gestalt Weldrakes ins Gedächtnis zurückkam.

 

»Dann haben Sie wohl auch keine Vermutung über seine Absichten?«

 

»Wahrscheinlich wäre es besser, ich würde ihn überhaupt nicht wiedererkennen«, antwortete Brown beruhigt. »Und doch, ich weiß nicht recht. Das könnte uns beiden auch allerhand Unannehmlichkeiten bringen. Es ist sehr unangenehm.« Mit einer Handbewegung scheuchte er die schlimmen Vorahnungen beiseite. »Ach was – ich glaube nicht, daß man ihn verdächtigen wird, wenn es derselbe Mann ist, den ich kenne. Im Grunde genommen nehme ich gar nicht an, daß es wirklich derselbe ist, aber sollte er es sein, dann wird er alles zur Zufriedenheit aufklären können.«

 

Er verließ den Club und trat auf die Straße hinaus. Die gelben Nebelschwaden waren schon wieder so dicht, daß die Straßenbeleuchtung angezündet worden war – als ob es elf Uhr nachts wäre, anstatt elf Uhr morgens.

 

Trainor verhörte Weldrake gerade, als er ankam. Ein Blick auf den hilflosen kleinen Mann genügte, seine Überzeugung zu festigen, daß es absurd war, ihn auch nur der Beihilfe an dem Mord zu verdächtigen. Übrigens erkannte ihn Weldrake sofort wieder, wodurch Brown der Entscheidung enthoben wurde, wie er sich ihm gegenüber zu verhalten habe.

 

»Captain Brown kennt mich«, erklärte Weldrake dem Inspektor. »Er wird Ihnen sagen, daß ich ein anständiger Mensch bin. Sie erinnern sich doch noch an mich, Captain?«

 

»Aber natürlich«, sagte Brown und schüttelte ihm die Hand. »Dies ist der Vater eines Freundes und ehemaligen Kameraden von mir, der vor einigen Jahren starb.«

 

»Und Sie haben sich seitdem wieder einmal getroffen?«

 

»Das zwar nicht«, versetzte Weldrake, »aber ich habe mittlerweile bestimmt nicht die Verbrecherlaufbahn eingeschlagen.«

 

»Ich habe diesen Herrn gerade verhaftet. Können Sie sich denken warum?« wandte sich Trainor an Brown.

 

»Ja«, erwiderte Brown. »Ich sprach soeben mit Warden. Können Sie uns eine Erklärung geben, Mr. Weldrake?«

 

»Ich habe mein Wort gegeben, daß ich an dem Mord vollkommen unbeteiligt bin und daß ich nicht weiß, wer ihn beging«, antwortete er.

 

»Sie erklärten doch, da Costa sei verreist. Trotzdem fanden wir ihn heute morgen in seiner Wohnung«, sagte Trainor.

 

»Und hat er Ihnen vielleicht gesagt, daß ich mit ihm in Verbindung stand und wußte, daß er zu Hause war?« fragte Weldrake zurück.

 

Trainor antwortete nicht sogleich, und Brown merkte sofort, daß er sich in einer ziemlich schwierigen Lage befand.

 

»Ich glaube, Inspektor, es ist das beste, wenn Sie Mr. Weldrake alles sagen«, meinte er. »Sicher ist er dann Ihnen gegenüber genauso ehrlich. Ich bin eigentlich sicher, daß Sie nichts zu verbergen haben, Mr. Weldrake. Da ist es doch besser, man spricht ganz offen miteinander.«

 

Trainor war eigentlich selber der Meinung, daß der Mann nur deshalb nichts aussagte, weil er einen anderen schonen wollte.

 

»Von da Costa wissen wir gar nichts«, erklärte er deshalb. »Er ist uns entkommen und befindet sich noch in Freiheit.«

 

Weldrake verbarg keineswegs seine Genugtuung über diese Nachricht. Selbst Brown bemerkte sie mit einiger Überraschung.

 

»Wollen Sie uns jetzt alles sagen, was Sie wissen?« fragte Trainor.

 

»Ja, gerne«, entgegnete der kleine Mann nun bereitwillig. »Sie wissen doch, daß ich Mr. Leamington bei mir ein Versteck anbot. Ich war einfach nicht der Ansicht, daß er verdiente, gehängt zu werden – selbst wenn er Mr. Louba ermordet hätte. Ich wußte auch, daß da Costa in der Wohnung über Louba wohnte und daß er mit ihm vor Jahren einen Streit gehabt hatte. Ob er mit dem Mord etwas zu tun hat, weiß ich nicht – aber für den Fall, daß er irgendwie beteiligt gewesen war, wollte ich ihm beistehen. Leamington konnte ich doch nicht mehr helfen, und so ging ich also zu da Costas Wohnung. Er öffnete mir das erste- und zweitemal nicht, obgleich ich ihm jedesmal einen Brief hinterließ, in dem ich ihn an unsere frühere Begegnung erinnerte. Außerdem warf ich ihm Lebensmittel durch den Briefkastenschlitz, weil ich annahm, er könnte sie gebrauchen. Gestern abend dann öffnete er endlich. Er versicherte mir, daß er mit dem Mord nichts zu tun habe. Er hatte nur große Angst, in den Verdacht der Täterschaft zu geraten, weil er aus bestimmten Gründen eine Abreise vorgetäuscht hatte, ohne daß er wirklich abgereist war. Worüber er sich am meisten Gedanken machte, das war das Kästchen, das er von Louba am Mordtag selbst gekauft hatte. Das kann nicht lange vor der Ankunft des Mannes, den Sie suchen – Charlie – gewesen sein. Miller konnte darüber nicht Bescheid wissen, weil da Costa die Feuerleiter herunterkam. Louba ließ ihn durch das Fenster herein und auch auf dieselbe Weise aus der Wohnung wieder heraus; das Fenster schloß er hinter ihm.«

 

»Eine wirklich merkwürdige Art, Raritäten zu kaufen«, bemerkte Trainor spöttisch.

 

»Auf diese Weise hat er Louba öfters besucht«, sagte Weldrake. »Er hatte nämlich gewisse Privatgeschäfte mit ihm er übernahm einen Teil seiner Geschäftsinteressen, und Louba wollte nicht gerne, daß jemand davon erfuhr, daß er sie abstieß.«

 

»Und hatte dieses wertlose Kästchen auch etwas mit Geschäftsinteressen zu tun?«

 

»Nein, aber Louba kannte seinen Wert nicht, und da Costa hatte Schwierigkeiten; es zu bekommen, ohne daß Louba Verdacht schöpfte.«

 

»Wieviel soll dieses Glasperlending eigentlich wert sein?«

 

»Ich weiß nicht. Das hat er mir nicht gesagt. Er bat mich nur, es mitzunehmen und für ihn aufzuheben. Er hatte Angst, es würde verdächtig aussehen, wenn man den Kasten bei ihm fände.«

 

»Und Sie wollten ihm helfen, weil Sie glaubten, daß er möglicherweise Louba ermordet hat?«

 

»Ja«, antwortete Weldrake mit einer Offenheit, die seine Zuhörer wieder völlig verblüffte.

 

»Sie wünschten tatsächlich, daß Louba ermordet wurde?«

 

»Ja.«

 

Trainor blieben die Fragen fast im Hals stecken.

 

»Warum, verflixt noch mal?« brachte er schließlich heraus.

 

»Weil er meinen Sohn umgebracht hat.«

 

»Jeder, der Louba genauer kannte«, warf Hurley Brown ein, »weiß, daß er nur die gerechte Strafe erhalten hat.«

 

»Möglich«, stimmte Trainor bei. »Aber es besteht immer noch ein Unterschied zwischen Hoffen und Wünschen und praktischer Beihilfe.«

 

»Ich habe niemals irgendwelche Beihilfe geleistet«, sagte Weldrake. »Ich wartete nur.«

 

»Und hofften?«

 

»Ja.«

 

»Was taten Sie an jenem Abend vor Braymore House?«

 

»Es war durchaus nicht das erstemal, daß ich dort stand und das Haus beobachtete, besonders seit ich wußte, daß da Costa über Louba wohnte. Es war mir auch bekannt, daß Miss Martin wegen Louba ihre Verlobung mit dem jungen Leamington gelöst hatte. Ich hatte Leamington gesehen, als er die Feuerleiter untersuchte. Das war am Abend vor dem Mord. Am nächsten Morgen kam er schon wieder, und ich vermutete, was er vorhatte. Deshalb kam ich auch in der betreffenden Nacht ziemlich früh und wartete sehr lange. Dann sprach ich Miss Martin an, die mir leid tat.«

 

»Und was sahen Sie alles?«

 

»Ich sah Mr. Leamington hineingehen und herauskommen. Und dann sah ich Sie alle eintreffen, nachdem das Verbrechen entdeckt war.«

 

»Und sonst sahen Sie niemand in die Wohnung eindringen?«

 

»Sonst niemand.«

 

»Sie sahen auch nicht, wie Charlie fortging?«

 

»Nein.«

 

»Sie wohnen nur einen Teil des Jahres in London, wurde uns in Balham gesagt. Wo halten Sie sich während der übrigen Zeit auf?«

 

»Dort, wo sich Louba aufhielt. Ich war immer nur dann in London, wenn auch er da war.«

 

»Was?« rief Brown. »Wollen Sie damit sagen –«

 

»Seitdem mein Sohn ermordet wurde, verfolge ich seinen Mörder. Ich versprach Reggie, ich würde nicht nach Hause gehen, bevor er nicht gerächt sei. Deshalb folgte ich Louba.«

 

»Überallhin?« rief Brown.

 

»Fast überallhin. Für längere Zeit habe ich ihn nie aus den Augen verloren.«

 

Brown hätte noch eine ganze Menge Fragen gehabt, und Trainor wartete darauf, daß er sie stellen würde. Aber anscheinend waren es Fragen, die er lieber zurückhielt, obgleich es klar war, daß ihm dies nicht leichtfiel. Trainors Gesicht wurde um noch einen Grad düsterer, als er seinen Vorgesetzten anschaute – die Kluft zwischen ihnen hatte sich nicht verringert.

 

»Hm – Sie sind also seit Jahren hinter Louba her, immer nur mit der einen Hoffnung beschäftigt, daß er ermordet würde … Und nun wollen Sie uns weismachen, daß Sie an der ganzen Sache unbeteiligt sind?« fragte Trainor.

 

»Ja.«

 

»Und Sie wissen auch nicht, wo da Costa hin ist?«

 

»Nein, bestimmt nicht.«

 

»Ist das die Wahrheit?«

 

»Die volle Wahrheit, wirklich.«

 

Er schaute Hurley Brown flehend an. »Darf ich jetzt nicht endlich gehen?« fragte er. »Ich möchte so gerne nach Hause und mich ausruhen. Früher fand ich dort kaum Schlaf, aber seitdem Louba tot ist …«

 

»Jammerschade, daß Sie nicht schon früher heimgegangen sind«, konnte sich Trainor nicht versagen zu spötteln.

 

»Ich fühlte genau, daß ich dem helfen mußte, der Louba ermordet hatte – wer es auch gewesen war.«

 

»Weil sie seinen Tod wünschten und demjenigen dankbar waren, der ihn ermordete? Verhält es sich so?«

 

»Ja«, erwiderte der kleine Mann gelassen.

 

Trainor blickte Brown an.

 

War der kleine Mann nun sehr einfältig oder sehr durchtrieben?

 

Kapitel 26

 

26

 

Was Weldrake ausgesagt hatte, stimmte anscheinend genau. Nachforschungen ergaben keine Widersprüche, und nachdem Trainor verschiedene Angaben auf ihre Glaubwürdigkeit untersucht hatte, suchte der Detektiv Miss Martin auf.

 

»Ich will mich mit Ihnen gar nicht darüber unterhalten, daß Sie mir verschiedenes verschwiegen haben, Miss Martin«, begann er. »Ich glaube, ich kenne den Grund dafür. Aber ich hoffe, daß Sie wenigstens jetzt Rede und Antwort stehen.«

 

»Was – was habe ich Ihnen denn verschwiegen?« stammelte Beryl.

 

»Sie sagten mir zum Beispiel nichts davon, daß Weldrake Ihnen anbot, Frank Leamington bei sich aufzunehmen.«

 

Beryl errötete.

 

»Nein. Weil … nun, ich wußte natürlich, daß es bestraft wird, wenn jemand einen Verbrecher oder einen Verdächtigen bei sich aufnimmt, und ich … Sie können doch nicht verlangen, daß ich dem freundlichen kleinen Mann Unannehmlichkeiten gemacht hätte, nachdem er mir seine Hilfe angeboten hatte.«

 

»Vielleicht nicht. Aber wie soll denn die Polizei die Wahrheit ermitteln, wenn jeder sorgsam alles vor ihr verbirgt? Wußten Sie, daß dieser Mann Louba als den Mörder seines Sohnes betrachtet und ihm seit Jahren in der Hoffnung folgt, daß er eines Tages ermordet wird?«

 

»Woher sollte ich denn das wissen?« rief Beryl erschrocken. »Und doch …«

 

»Nun, Miss Martin?«

 

»Ich erinnere mich eben daran, daß er an jenem Abend eine Menge unsinniges Zeug zusammenredete … Ich dachte damals, er sei nicht ganz normal.«

 

»Und glauben Sie nicht, daß er wirklich ein wenig verrückt ist – wenigstens was diesen Punkt betrifft? Und daß er, falls er tatsächlich geistesgestört ist, vielleicht einen Mord verübt hat, dessen ihn normalerweise niemand für fähig halten würde?«

 

»Mein Gott, glauben Sie, daß er Louba ermordet hat? Das ist doch fast unmöglich!«

 

»Wir wissen nicht, wer ihn ermordet hat. Er wurde von hinten niedergeschlagen und hatte keine Zeit, sich zu verteidigen. Das wissen wir. Ob Weldrake, selbst in seinem Wahnsinn, Louba zu dem Bett schleifen konnte, auf dem wir ihn fanden, ist nicht leicht feststellbar. Verrückte haben bekanntlich in besonderen Fällen außerordentliche Kräfte. Außerdem war ja noch da Costa da. Möglich, daß Weldrake ihm geholfen und als Belohnung das Kästchen bekommen hat.«

 

»Also nehmen Sie wirklich an …«

 

»Aber nicht im geringsten. Ich möchte Sie nur davon überzeugen, daß eventuell sogar dieser anscheinend harmlose Mann schuldig sein könnte. In diesem Fall würde es Mr. Leamington nur schaden, wenn Sie etwas verschweigen, was Sie über Weldrake wissen – ganz abgesehen von anderen Gesichtspunkten.«

 

»Es kam ja nur durch sein Anerbieten, Mr. Leamington zu helfen«, murmelte sie schuldbewußt.

 

»Schon das kann, für sich betrachtet, eine Spur sein. Sein Wunsch, niemand anders für das Verbrechen leiden zu lassen, wäre ganz natürlich, wenn er selbst der Täter ist – denn immerhin scheint Weldrake, abgesehen von seiner Verrücktheit, doch ein ganz anständiger Mensch zu sein. Kann ich mich jetzt auf Sie verlassen, daß Sie mir alles sagen, was Sie wissen? Vertrauen Sie mir ganz … Ich werde niemandem Schwierigkeiten machen, ausgenommen denen, die es verdienen.«

 

»Sie können sich auf mich verlassen, Mr. Trainor«, antwortete sie und sah ihm offen ins Gesicht.

 

»Dann sagen Sie mir bitte alles, was Sie über den Mann wissen.«

 

»In der Nacht vor der Ermordung Loubas schaute er zu einem Fenster von Sir Marshleys Haus herein und beobachtete mich und Louba.«

 

»Ja, das hat er mir erzählt.«

 

»Dann sprach er mich vor Braymore House an.«

 

Sie erzählte ihm alles, was sie von dem Gespräch an diesem Abend noch in Erinnerung hatte, und auch das, was sie noch von der Unterhaltung mit ihm wußte, die sie mit ihm am folgenden Morgen geführt hatte.

 

»Seitdem ich ihn bei Franks Verhaftung entdeckte, habe ich ihn nur ein einziges Mal gesehen, und da kam er aus Sir Harry Marshleys Haus.«

 

»Mr. Weldrake?«

 

»Ja.«

 

»War er dort häufiger?«

 

»Ich habe ihn nie dort gesehen. Warum hätte er sonst auch durch das Fenster schauen sollen?«

 

»Außerdem würde er ja nicht offen dort verkehren, wo Louba war«, überlegte Trainor halblaut. »Er kam also wirklich aus dem Haus? Er hat nicht nur wegen irgend etwas an der Tür nachgefragt?«

 

»Er kam dort heraus. Ich nehme fest an, daß er mit Sir Harry gesprochen hat, denn ich sah diesen an einem der Fenster stehen und ihm nachblicken. Und zwar blickte ihm Sir Harry äußerst interessiert nach.«

 

»Und Weldrake?«

 

»Er sah richtig vergnügt aus.«

 

Das war genug für Trainor. Er suchte sofort Sir Harry Marshley auf.

 

»Ich nehme an, Sie kommen wegen meines armen Freundes Louba«, sagte Sir Harry und bog die Karte des Detektivs zwischen den Fingern. »Eine böse Geschichte, eine sehr böse Geschichte. Ein guter Freund von mir – und ein großer Verlust für mich.«

 

Trainor dachte, Sir Harry hätte sich die letzte Äußerung eigentlich sparen können; er war auf der Hut.

 

»Wir sind momentan einem kleinen Mann auf der Spur, der über Loubas Leben sehr gut Bescheid weiß«, sagte er. »Ich habe erfahren, daß er Sie gestern morgen besucht hat.«

 

»Mich besucht? Was für ein Mann?«

 

»Er heißt Weldrake.«

 

Sir Harry schüttelte den Kopf.

 

»Kenne ich nicht, habe einen Mann dieses Namens nie empfangen«, sagte er. »Ich habe gestern morgen überhaupt keine Besuche gehabt. Bin viel zu niedergeschlagen.«

 

»Niedergeschlagen?«

 

»Diese Miss Martin versucht, meinen Namen mit der Angelegenheit in Verbindung zu bringen. Na, reden wir nicht darüber. Ich muß mich nur ärgern. Nein«, fuhr er fort und wärmte sich die Hände am Kamin. »Sie sind nicht richtig informiert worden. Weshalb sollte er denn hier gewesen sein?«

 

»Gerade das wollte ich von Ihnen wissen, Sir Harry«, entgegnete Trainor.

 

»Tut mir leid, aber ich kenne den Mann gar nicht«, behauptete Marshley. »Selbstverständlich würde ich Ihnen alles sagen, was ich weiß. Wer hat denn gesagt, daß er mich besucht hat?«

 

»Er selbst.«

 

Die List verfing allerdings nicht, denn Marshley wurde nunmehr nur noch vorsichtiger.

 

»Was soll das heißen? Dann ist er ein verdammter Lügner, Inspektor! Wie gesagt – ich kenne den Mann nicht, habe nie mit ihm gesprochen. Was will er nur damit bezwecken? Hat wohl angenommen, daß Sie auch hinter ihm her seien?« setzte er aufgeregt hinzu.

 

»Nun, bis gestern abend waren wir tatsächlich hinter ihm her.«

 

Sir Harry wandte sich seinem Besucher mit der Miene einer beleidigten Fürstlichkeit zu.

 

»Haben Sie eigentlich die Ansicht, ich wüßte etwas über die ganze Angelegenheit? Sind Sie etwa nur dazu hergekommen, um mir eine Falle zu stellen und mich zu einer unklugen Aussage zu veranlassen?« fragte er. »Das würde ich als eine Unverschämtheit betrachten, Inspektor!«

 

Trainor hob die Hand.

 

»Langsam, langsam, Sir Harry«, mahnte er. »Ich komme gerade von Miss Martin, die mir seinerzeit verschiedene Dinge verschwieg – zuerst, um ihren Verlobten zu schützen, danach, um diesen Mr. Weldrake nicht in Schwierigkeiten zu bringen, also nicht etwa, weil sie selbst etwas mit dem Mord zu tun hatte, sondern weil sie ganz sicher zu wissen glaubte, daß die beiden anderen nichts damit zu tun hatten. So wäre es ganz gut möglich, daß auch Sie etwas, was Sie über Weldrake wissen, aus reiner Menschenfreundlichkeit verheimlicht hätten.«

 

»Ah … nun … hm – das hat was für sich«, gab Sir Harry besänftigt zu. »Aber ich weiß trotzdem nichts von diesem Mann. Was sagte er, weshalb er zu mir gekommen sei?«

 

»Er hat Ihren Namen tatsächlich nicht einmal erwähnt, Sir Harry. Er weigerte sich, uns zu sagen, daß er einen Mann namens da Costa besucht hatte, bis er wußte, daß wir diesen da Costa aus seinem Versteck herausgetrieben hatten. Und deshalb, wiederhole ich, war es möglich, daß Sie vielleicht ihm gegenüber dieselbe Rücksicht übten.«

 

»Nichtdestoweniger sehr unangenehme Methoden, die Sie da anwenden«, erwiderte Sir Harry von oben herab. »Sagten Sie gerade, da Costa sei in die Sache verwickelt?«

 

»Ja, kennen Sie ihn?«

 

»Hm – dem Namen nach. Was hatte er denn damit zu tun?«

 

»Das wissen wir nicht«, sagte Trainor und stand auf. »Wir waren so geschickt, ihn heute morgen entkommen zu lassen.«

 

»Das heißt, er befindet sich in Freiheit, wie?«

 

»Bis jetzt noch. Hat Louba jemals von ihm gesprochen? Hat er jemals etwas davon gesagt, daß da Costa so nahe bei ihm wohnt?«

 

»Nicht eine Silbe«, erwiderte Sir Harry. »Denken Sie, daß er der Mörder sein könnte?«

 

Trainor zuckte die Schultern.

 

»Ich denke bald überhaupt nicht mehr«, murmelte er.

 

Er verließ das Haus mit gemischten Gefühlen; einesteils traute er Sir Harry in keiner Weise, andernteils bestand die Möglichkeit, daß sich Beryl in dem Haus geirrt hatte, aus dem sie Weldrake hatte herauskommen sehen. Vor allen Dingen wollte er nur noch hören, was Weldrake zu sagen haben würde.

 

Es war jetzt fünf Uhr nachmittags, und der Nebel lagerte schwerer denn je auf der Stadt. Leute huschten wie Schatten an Trainor vorüber.

 

Ungewiß, welche Richtung er einschlagen sollte, schaute er sich um. Ein Taxi war nirgends zu sehen. Also mußte er zur nächsten Bushaltestelle.

 

In diesem Augenblick ging ein korpulenter, großer Mann an ihm vorbei. Die Umrisse waren im Nebel nur verschwommen zu sehen, aber der massive Rücken fiel ihm sofort auf. Es war ein Mann ohne Mantel.

 

Zweifellos gab es in London noch mehr Menschen, die ohne Mantel herumliefen, aber keinesfalls wollte er eine Unterlassungssünde begehen. Vorsichtig schritt er hinterher.

 

Einige Meter weiter, vor Sir Marshleys Haus, machte der Mann halt. Trainor schmiegte sich an die Mauer und beobachtete ihn, wie er zögernd an Marshleys Haus hinaufschaute und dann weiterschlenderte. Um nicht entdeckt zu werden, durfte ihm der Detektiv nicht folgen, aber er behielt ihn im Auge. Nach einem forschenden Blick; drehte der Mann wieder um und ging auf die Haustür Sir Marshleys zu. Einen Augenblick später öffnete sich die Tür, und er verschwand im Innern. Dort ging er aber nicht weiter bis zu der eigentlichen Eingangstür von Marshleys Wohnung, sondern fuhr nur schnell mit der Hand nach dem Briefkasten und der Klingel. Dann drehte er sich hastig wieder um und eilte zurück auf die Straße.

 

Trainor hatte mittlerweile den Eingang scharf im Auge behalten und verfolgte den Mann jetzt bis zur nächsten Ecke und dann bis zur Rückseite von Marshleys Haus. Hier zog sich ein kleines verstecktes Sträßchen entlang.

 

Der Inspektor war jetzt sicher, da Costa gefunden zu haben, aber er war entschlossen, diesmal nicht zu voreilig zu sein. In dieser Dunkelheit war es genauso leicht, ungesehen zu bleiben, wie sich da Costa sicher fühlen konnte, nicht beobachtet zu werden.

 

Vor den Hoftoren der Rückfront standen einige große Bäume, und Trainor stellte sich hinter einen. Da Costa marschierte nervös auf und ab.

 

Nach einigen Augenblicken trat eine Gestalt aus einem der Hoftore, blieb davor stehen und schaute sich um. Da Costa kam zögernd näher. Sir Harry kam ihm ein Stück entgegen, und sie begrüßten sich.

 

Trainor konnte sehen, wie sie sich kurze Zeit unterhielten, dann führte Sir Harry seinen Besucher durch das Tor, aus dem er herausgekommen war. Der Inspektor folgte ihnen vorsichtig und hatte gerade noch Zeit zu beobachten, wie die beiden an den erleuchteten Küchenfenstern vorbeigingen und an der einen Seite des Hauses durch das Fenster eines dunklen Zimmers kletterten. Es war dasselbe Fenster – obgleich das Trainor nicht wissen konnte –, durch das Weldrake seinerzeit Beryl und Louba gesehen hatte und später wieder da Costa und Sir Harry bei ihrem ersten Zusammensein.

 

Der Detektiv rannte wieder zum Haupteingang. Er war aufgeregt, er fühlte, daß er endlich einen erheblichen Schritt vorwärtsgekommen war bei der Enträtselung dieses seltsamen Falles.

 

Kapitel 27

 

27

 

Während Trainor noch vor der Haustür stand und sich überlegte, wo er Hilfe herbekommen konnte, ohne selbst seinen Posten zu verlassen, gingen zwei Jungen an ihm vorüber. Er konnte sie im Nebel kaum erkennen.

 

»Hallo!« rief er schnell, und die beiden blieben sofort stehen. Die Bürschchen machten einen ganz aufgeweckten Eindruck.

 

»Ich bin Detektiv … Ihr wißt ja, so einer wie in den Romanen, und ihr könntet mir etwas helfen. Einer von euch muß auf die Rückseite dieses Hauses gehen. Wenn jemand das Haus durch das hintere Hoftor verlassen will, dann muß er mir das sofort melden. Und der andere soll, so schnell er kann, zum nächsten Polizeirevier rennen … Weißt du, wo es ist? – Gut! Ungefähr fünf Minuten von hier. Nimm diesen Zettel mit und gib ihn dort ab.« Er schrieb etwas in sein Notizbuch. »Wenn du unterwegs einen Polizisten triffst, dann schick ihn hierher. Na, wollt ihr das tun?«

 

Die Jungen bejahten mit einer Selbstverständlichkeit, als gehörten die ihnen zugeteilten Aufgaben zu ihrem Tagespensum in der Schule. Ohne viel zu fragen begaben sie sich sofort ans Werk.

 

Trainor atmete erleichtert auf. Er war sehr zufrieden. Hinter einem Straßenbaum wartete er und beobachtete dabei Sir Harrys Wohnung.

 

Nach genau zwölf Minuten kehrte der eine Junge mit zwei Polizisten zurück; alle drei keuchten, denn sie waren im schnellsten Tempo von der Wache hierhergelaufen.

 

*

 

Sir Harry hatte inzwischen mit da Costa verabredet, daß sich dieser in sein Wochenendhäuschen nach Shoreham begeben solle und schaute gerade im Fahrplan nach. Da klingelte es.

 

»Ich gebe Ihnen einen meiner Mäntel und außerdem einen Handkoffer mit ein paar Sachen drin«, sagte er zu da Costa. »Am besten, Sie gehen jetzt in den Hinterhof, und ich werfe Ihnen die Sachen hinunter.«

 

Er hob den Kopf. An der Wohnungstür hörte man Stimmengewirr.

 

»Sie brauchen mich nicht anzumelden, danke sehr«, sagte Trainor und riß die Tür des Zimmers auf. »Ich erkläre Sir Harry persönlich, warum ich gekommen bin.«

 

»Entschuldigen Sie vielmals, Sir«, sagte das Dienstmädchen. »Dieser Herr … Ich konnte ihn nicht aufhalten …«

 

Sie stotterte, war dann still und blickte mit verlegenem Gesicht erst ihren Herrn und dann den Detektiv an.

 

»Ich freue mich ja so unendlich, Sie kennenzulernen, Mr. da Costa«, sagte Trainor und nickte dem Mädchen zu. »Es ist nicht Ihre Schuld«, beruhigte er sie und schloß hinter ihr die Tür.

 

Da Costas sonst so volles, blühendes Gesicht sah plötzlich bleich und gelblich aus; sein Lippen zuckten vor unverhohlener Furcht, als er aufstand und den Detektiv ansah. Er mühte sich ab, irgendein Wort hervorzubringen, war aber anscheinend wie gelähmt. Trotz seiner massiven Figur bot er einen erbärmlichen Anblick.

 

Sir Harrys Kinn war einen Augenblick herabgesunken, aber erstaunlich schnell bekam er sich jetzt wieder in die Gewalt. Trainor konnte ihn nur bewundern.

 

»Ah, Inspektor, Sie kommen ja wie gerufen!« rief er. »Ich wollte Sie gerade holen lassen. Ich glaube, das ist der Herr, den Sie suchen. Er versicherte mir zwar, daß er unschuldig sei, und ich glaube ihm das eigentlich auch – aber da ich wußte, daß Sie hinter ihm her sind, wäre mir natürlich keine andere Wahl geblieben, als Ihnen mitzuteilen, daß er hier ist.«

 

»Aber natürlich!« spottete Trainor, ohne sich die geringste Mühe zu geben, seine Verachtung zu verbergen. Als er da Costa anschaute, hätte er ihn fast bedauert. »Trotzdem weiß ich nicht recht«, setzte er boshaft hinzu, »ob ich Sie nicht ebenfalls bitten muß, mit uns zur Wache zu gehen.«

 

»Was … ich?« Sir Harry schnappte nach Luft. »Ich versichere Ihnen, ich hatte keine Ahnung –«

 

»Was meinen Sie dazu, Mr. da Costa?« unterbrach ihn Trainor.

 

Da Costas Antwort war ein Satz nach dem Fenster.

 

»Da unten sind zwei meiner Leute«, rief Trainor und riß ihn zurück. »Gar keinen Zweck, da Costa, sie stehen vor dem Haus und hinter dem Haus.«

 

Stöhnend sank da Costa in einen Stuhl und rang die Hände.

 

»Ich schwöre, ich hatte nichts damit zu tun! Ich weiß nichts von der ganzen Sache – wirklich nicht!« jammerte er.

 

»Nun, ich bin wirklich sehr neugierig, was Sie mir zu sagen haben, Mr. da Costa«, meinte Trainor. »Würden Sie bitte mitkommen?« Er sah Sir Harry an. »Ich fürchte wirklich, ich muß auch Sie bitten, uns zu begleiten, Sir Harry. Sie werden zugeben, daß die eine oder andere Sache der Aufklärung bedarf.«

 

»Aber bester Inspektor, ich sagte Ihnen doch, ich wußte von nichts, bis er eben hierherkam! Er hat sich nicht einmal anmelden lassen. Bis er in dieses Zimmer kam, wußte ich nicht …«

 

»Ich sah, wie er einen Zettel in Ihren Briefkasten steckte und hinter dem Haus wartete«, schnitt Trainor kurz seinen Redeschwall ab. »Ich sah ferner, wie Sie ihn durch das Fenster hereinlotsten.« Er deutete auf den aufgeschlagenen Fahrplan. »Außerdem schauten Sie ja gerade nach einem Zug für ihn.«

 

»Oh, der Teufel hole meine verdammte Gutmütigkeit!« ächzte Sir Harry. Er sah aus, als hätte er sich am liebsten die Haare ausgerauft, wenn er noch welche gehabt hätte. »Setzen Sie sich doch einen kleinen Moment, Inspektor, und lassen Sie sich alles in Ruhe erklären. Sie werden sehen, ich weiß wirklich von nichts – Sie können mich nicht mit zur Wache schleppen!«

 

»Auch gut, wollen mal sehen«, sagte Trainor und ließ sich in einen Sessel fallen. »Was haben Sie also zu sagen?«

 

»Ich hatte von Mr. da Costa nie etwas gehört, bis er kam und mir seine finanzielle Hilfe anbot – anstelle von Mr. Louba. Ich war natürlich empört über dieses Angebot eines völlig Fremden und warf ihn hinaus. Dann kam dieser Mr. Weldrake und fragte mich, ob ich nicht Mr. da Costa bei mir unterbringen könne, falls er ein Versteck brauche. Ich sagte, unter keinen Umständen – das heißt, unter keinen Umständen, falls er mich nicht völlig von seiner Unschuld überzeugen könne. Nun kam Mr. da Costa heute abend zu mir und hat mir alles so erklärt, daß ich ihn für ganz unschuldig halte. Selbstverständlich wollte ich Sie trotzdem informieren, aber …«

 

»Das wissen wir schon«, knurrte Trainor. »Wann bot er Ihnen denn seine finanzielle Hilfe an?«

 

»Genau zu der Zeit, als Louba ermordet wurde«, rief da Costa dazwischen.

 

»Kennen Sie denn die Zeit? Wir kennen sie nicht.«

 

»Nun, eben an dem ganzen betreffenden Abend. Ich war nicht in Braymore House von sechs Uhr an bis sehr spät in der Nacht.«

 

»Waren Sie etwa die ganze Zeit über hier?«

 

»Nein, dann hätte ich mich ja nicht zu verstecken brauchen. Ich hatte doch nur deshalb Angst, weil ich den ganzen Abend allein war, mit Ausnahme der Unterredung mit Sir Harry.« »Warum denn Angst?«

 

»Weil ich so getan hatte, als ob ich aus London abgereist sei; weil ich außerdem früher mit Louba einen Streit gehabt hatte; und drittens, weil ich eine Wohnung über der seinigen bewohne. Sie sehen ja selbst, daß ich mit meiner Befürchtung recht hatte: Sie verdächtigen mich!«

 

»Warum taten Sie, als seien Sie abgereist?«

 

»Nun, ich übernahm einen großen Teil der Loubaschen Geschäftsinteressen – einen größeren Teil, als er selbst wußte. Deshalb kam ich auch hierher zu Sir Harry und bot ihm Geld an, denn ich wußte, daß Louba es nicht mehr lange machen konnte.«

 

»Warum nicht?«

 

»Weil er nahezu pleite war und Vorbereitungen traf, ins Ausland zu gehen.«

 

»Hätte Louba nicht alles, was er besaß, an Sie abstoßen können?«

 

»Ja, zu seinem Preis – einem sehr hohen Preis. Er hat mich von jeher übervorteilt.«

 

»Und deshalb haßten Sie ihn wohl auch?«

 

»Ich haßte ihn nie so sehr, daß ich ihn hätte ermorden können.«

 

»Haben Sie ihm jemals gedroht?«

 

Da Costa schaute den Inspektor verwirrt an. Alle seine früheren Prahlereien fielen ihm wieder ein.

 

»Ich drohte ihm nicht mehr, als er mir«, meinte er endlich. »Und meine Drohungen bedeuteten viel weniger. Wenn ich ihm jemals drohte, dann nur in gewissen zornigen Augenblicken. Ich bin kein gewalttätiger Mensch. Wenn ich ihn je hätte umbringen wollen, dann bestimmt nicht hier in England. Vor Jahren, in einem ganz anderen Land, hätte ich viel bessere Gelegenheit dazu gehabt.«

 

»Sind Sie der Mann, auf den Weldrake so große Hoffnungen setzte?«

 

Da Costa fuhr hoch.

 

»Der Mensch hat mich doch nicht angeschwärzt, wie?« fragte er aufgeregt. »Wissen Sie, vor Jahren war er die Ursache, daß ein Lokal Loubas in Flammen aufging. Wenn ich zu der Zeit Drohungen ausstieß, die er sich gemerkt hat, dann tat ich das nur seinetwegen. Er muß meinen Worten viel zuviel Bedeutung beigelegt haben! Andere verwünschten damals Louba ebenfalls – wie zum Beispiel der Captain Hurley Brown.«

 

»Hurley Brown!«

 

Trainors Lippen preßten sich fest zusammen.

 

»Sagen Sie mir nun ganz genau, wie Ihre Beziehungen zu Weldrake waren.«

 

»Ich hatte eigentlich schon vollkommen vergessen, daß ich je mit ihm zusammengekommen war, bis er mir Mitteilungen durch den Briefkasten warf und danach auch Lebensmittel. Und ich brauchte dringend etwas zu essen. Dann teilte er mir mit, daß mir eventuell Sir Harry helfen würde, falls ich nicht flüchten könnte. Deshalb kam ich auch hierher, nachdem Sie mich heute morgen aus meiner Wohnung vertrieben hatten.«

 

»Wo waren Sie in der Mordnacht?«

 

»Ich ging spazieren. Da ich angeblich verreist war, konnte ich mich nur abends herauswagen, um Essen für den nächsten Tag einzukaufen und frische Luft zu schnappen.«

 

»Wo haben Sie das Perlenkästchen her, das Sie Weldrake gaben?«

 

Da Costa fuhr sich mit dem Taschentuch über die Stirn.

 

»Das habe ich von Louba gekauft«, sagte er. »Aber ich kann das nicht beweisen, und deshalb wollte ich nicht, daß man das Kästchen bei mir finden würde.«

 

Trainor ließ einige Sekunden verstreichen.

 

»Sie machen die Sache nur noch schlimmer, wenn Sie nicht die volle Wahrheit sagen«, redete er ihm dann gut zu. »Noch vor fünf Minuten haben Sie gesagt, daß Sie zur Täuschung Loubas vorgegeben hätten, daß Sie abgereist seien. Jetzt wollen Sie mir aufbinden, daß Sie etwas von ihm gekauft haben.«

 

»Das war doch … das war doch, bevor ich vorgab, abgereist zu sein.«

 

»Weldrake haben Sie aber gesagt, es sei am Mordtag gewesen.«

 

»Ausgeschlossen! Niemals! Es war ein paar Wochen vorher.«

 

Trainor stand auf.

 

»Es hat gar keinen Zweck, darauf zu warten, daß sich Ihre lebhafte Phantasie etwas beruhigt«, erklärte er. »Ich glaube, es ist besser, wir gehen.«

 

»Nein, Inspektor! So hören Sie doch! Ich will Ihnen alles sagen – alles!« schrie da Costa.

 

Da er sich einzubilden schien, daß ein Geständnis ihn vor der Verhaftung bewahren könnte, ließ ihn Trainor bei dem Glauben.

 

»Nun, wie Sie meinen…«, erwiderte er und setzte sich von neuem. »Aber merken Sie sich – nichts als die reine Wahrheit kann Sie retten, glauben Sie mir das.«

 

»Oh, dieser verdammte Mörder – wer er auch gewesen ist!« schrie da Costa wie von Sinnen und verkrampfte seine plumpen Hände ineinander. »Mich so ins Unglück hineinzureiten! Diese schrecklichen Tage und noch viel schrecklicheren Nächte. Ich hoffe, ich sehe den Kerl noch am Galgen baumeln!«

 

Dieser Ausbruch war so echt, daß ihm Trainor fast glaubte.

 

»Hatten Sie eine bestimmte Absicht, als Sie die Wohnung über der von Louba mieteten?« fragte er weiter.

 

»Ja, ich wollte das Kästchen haben.«

 

»Stehlen?«

 

»Nun, ich wußte ja, daß er es nicht verkaufen würde, falls er merkte, daß ich dahinter her war. Er hätte sofort erraten, daß es mehr wert ist, als es den Anschein hat. Deshalb beabsichtigte ich in der Tat, ihm das Kästchen einfach wegzunehmen. Es gehörte ja gar nicht ihm! Er selbst stahl es einem anderen. Zu guter Letzt schenkte er mir das Kästchen schließlich … Jawohl, das tat er! Hier ist ein Zettel, den ich in dem Kasten fand.«

 

Er zog aus einer seiner Taschen die spöttischen Zeilen, die Louba nach seinem letzten Zusammentreffen mit da Costa geschrieben und in das Geheimfach im Boden des Kästchens gelegt hatte.

 

»Erzählen Sie von vorne«, sagte Trainor schroff.

 

»Gut – ich gebe zu, daß ich in seine Wohnung einstieg, wenn sich die Möglichkeit dazu bot. Er selbst duldete nicht, daß die Fenster geöffnet waren, wenn er zu Hause war; deshalb pflegte sein Diener das Zimmer nur zu lüften, wenn sich Louba in der Stadt aufhielt. Das war dann für mich die Gelegenheit, in die Wohnung einzudringen und zu suchen. Einmal entdeckte mich Louba außerhalb des Fensters auf der Feuerleiter und warf mir vor, ich hätte bei ihm einbrechen wollen. Das war aber, bevor ich vorgab, verreist zu sein. Ich konnte mich jedesmal nur ganz kurze Zeit in der Wohnung aufhalten und durfte auch kein Durcheinander machen, denn obgleich ich wußte, daß Louba mich nie der Polizei anzeigen würde, wollte ich doch vermeiden, daß er auf seiner Hut war. Was hatte ich nicht schon alles durchsucht, bis ich endlich an die Truhe dachte und herausbekam, wie man sie öffnet. An dem Tage, an dem mir dies gelungen war, wäre ich fast entdeckt worden. Miller kam nämlich herein und schloß das Fenster. Ich wußte, daß Louba bald zurückkommen würde, und wollte schleunigst durch das Fenster flüchten. Da hörte ich aber Louba schon auf dem Vorplatz und versteckte mich schnell hinter den Gardinen. Er bemerkte mich dort und wurde wütend… Ich forderte ihn daraufhin auf, doch die Polizei zu rufen, wenn er es wage. Ich erklärte ihm auch, daß ich etwas suchen und daß ich das Gesuchte auch bekommen würde.«

 

Er fing einen Blick von Trainor auf.

 

»Nicht einen Augenblick dachte ich an Gewalt!« rief er. »Aber nachdem ich den Kasten gefunden hatte, wußte ich ganz genau, daß es mir ein leichtes sein würde, ihn aus dem Zimmer herauszuholen.«

 

»Glaubten Sie im Ernst, daß Louba nach diesem Vorfall keine Vorsichtsmaßregeln anwenden würde?«

 

»Je nun, er tat es eben nicht«, murmelte da Costa. Seine Augen irrten unruhig umher. Dann faßte er sich wieder ein Herz. »Unerwarteterweise machte er mir das Kästchen schließlich zum Geschenk. Er hatte höchstwahrscheinlich erraten, daß ich dahinter her war, und deshalb schrieb er diesen Zettel und legte ihn unter den falschen Boden. Wahrscheinlich vermutete er, daß ich darunter etwas Wertvolles zu finden hoffte.«

 

»Wie lange hatte Louba den Kasten schon?«

 

»Seit Jahren. Der Mann, der ihn stahl, wurde verfolgt und gab ihn Louba zum Aufheben. Kurz darauf wurde er ermordet, und Louba behielt den Kasten.«

 

»Und Sie behaupten nun, Sie hätten sich all diese Mühe nur im Hinblick auf die Möglichkeit gemacht, daß Louba den doppelten Boden nicht entdeckt hatte?«

 

Widerstrebend gab da Costa sein Geheimnis preis.

 

»Der falsche Boden ist nur ein Kniff«, sagte er. »Eventuelle Diebe sollen dadurch irregeführt werden, weil jeder, der den doppelten Boden entdeckt, glaubt, er sei zu spät gekommen, und der darin verborgene Schatz sei schon herausgenommen. In Wirklichkeit ist das Kästchen aus purem, schwerem Gold, besetzt mit Edelsteinen von unerhörtem Wert – die Glasperlen und Ornamente verdecken das feste Leder, mit dem das Gold bezogen ist –, und zwar innen und außen. Die rauhe Oberfläche ermöglicht es, das darunterliegende Gold und die echten Steine zu kaschieren.«

 

Während er dies sagte, sank er immer mehr in sich zusammen.

 

»So viele Leute waren dahinter her!« lamentierte er. »Und das muß ich jetzt für den Erfolg bezahlen!«

 

Sir Harrys Augen traten fast aus den Höhlen. Trainor dagegen schaute immer nachdenklicher.

 

»Sie wissen, daß ich den Kasten habe?« fragte er.

 

»Das ist anzunehmen, wenn Sie Mr. Weldrake haben«, kam die mürrische Antwort.

 

»Und wann, sagen Sie, haben Sie den Kasten endlich bekommen?«

 

»Am Tage, nachdem ich festgestellt hatte, wie die Truhe zu öffnen ist – also an demselben Tag, an dem Louba ermordet wurde. Es kann nicht lange vor Loubas Heimkehr gewesen sein, als ich in dem Zimmer war, denn Miller schloß das Fenster sofort, nachdem ich den Raum verlassen hatte. Ich hatte es höchst eilig hinauszukommen. Den Deckel der Truhe ließ ich einfach fallen und nahm mir nicht einmal mehr Zeit, den Überzug wieder daraufzulegen. In meiner Wohnung lehnte ich mich aus dem Fenster hinaus um zu lauschen, da ich ja ein paar Sachen nicht in die Truhe zurückgelegt hatte und nun gerne gewußt hätte, ob Miller argwöhnte, daß jemand im Zimmer gewesen war. Auf diese Weise hörte ich ihn das Fenster schließen, was soviel bedeutete, als daß er Louba erwartete.«

 

»Und danach?«

 

»Ging ich fort. Ich kam zurück, als Sie jemanden die Feuerleiter hinab verfolgten. Ich hörte Sie sprechen und erfuhr dadurch, was vorgefallen war. Dabei wurde mir auch sofort klar, wie verdächtig es aussehen mußte, daß ich mich in meiner Wohnung versteckt gehalten hatte. Jetzt weiß ich, daß ich alles hätte erklären müssen. Ich besaß ja den Zettel Loubas als Beweis dafür, daß er mir das Kästchen gern überließ. Nur … ich … ich …«

 

Seine Aufregung war ihm deutlich anzusehen. Im Grunde genommen war er ein ausgesprochener Prahlhans – von Tapferkeit keine Spur.

 

»Wie konnten Sie immer ausgehen, da doch alles annahm, daß Sie in Südfrankreich seien?«

 

»Es war ganz einfach, nachts die Lieferantentreppe hinunterzuschleichen … bis dann der Mord geschah. Von da ab durfte ich es nicht mehr wagen.«

 

Sir Harry benutzte die Pause, die folgte, um zu sagen: »Sehen Sie! Man kann doch gar keinen Zweifel in da Costas Unschuld setzen. Ist es da verwunderlich, daß ich ihm geglaubt habe?«

 

Er hütete sich allerdings hinzuzusetzen, daß da Costa ihn keineswegs so weit ins Vertrauen gezogen hatte.

 

»Wenigstens brauche ich Sie jetzt nicht mehr aufzufordern, uns zu begleiten, Sir Harry«, sagte Trainor und stand auf. »Obgleich wir uns fraglos wegen der genauen Zeit, zu der Sie da Costa an dem bewußten Abend besucht hat, an Sie wenden müssen.«

 

»Aber selbstverständlich – ich stehe Ihnen völlig zur Verfügung«, entgegnete er mit einem bedauernden Seitenblick auf da Costa.

 

Hätte er nur die genaue Zeit gewußt, zu der Louba ermordet wurde! Dann wäre es ihm ein leichtes gewesen, den Besitzer so wertvoller Gegenstände, wie dieses Perlenkästchens, freizubekommen und ihn sich für alle Zeiten zu verpflichten.

 

»Und ich … muß ich wirklich mit Ihnen gehen?« fragte da Costa flehend.

 

»Ich fürchte – ja«, erwiderte Trainor. »Aber wenn Sie die Wahrheit gesagt haben, dann können Sie der weiteren Untersuchung mit Ruhe entgegensehen.«

 

»Ich werde Ihnen einen Mantel leihen«, ließ sich Sir Harry aus dem Hintergrund vernehmen.

 

Aus Trainors Verhalten dem Gefangenen gegenüber schloß er, daß er dies Anerbieten machen konnte, ohne sich etwas zu vergeben. Im großen ganzen hatte er sich sehr gut aus der Schlinge gezogen – besser, als er erwartet hatte.

 

Tatsächlich war Trainor beinahe überzeugt von der Wahrheit, oder wenigstens von der teilweisen Wahrheit der Geschichte, die da Costa erzählt hatte. Die ausgesprochene Feigheit dieses Mannes machte sie mehr als wahrscheinlich. Aber Loubas Tod war damit immer noch nicht aufgeklärt!

 

Als der Detektiv schließlich sein Büro in Scotland Yard erreicht hatte und eben begann, sich die Aussagen da Costas noch einmal zu überlegen, läutete das Telefon. Er nahm den Hörer ab. »Ist dort der Beamte, der die Mordsache Louba bearbeitet?«

 

»Jawohl«, sagte Trainor rasch.

 

»Hier Inspektor Welsh vom R-Bezirk. Wir haben soeben Charles Berry gefunden, den Mann, den Sie wegen des Mordes an Louba suchen.«

 

»Gefunden – wo?«

 

»Auf einem kleinen Pfad am Flußufer in Deptford; er ist tot – erschossen. Wahrscheinlich liegt Selbstmord vor, denn wir fanden …«

 

»Nun?« fragte Trainor, als der andere eine Pause machte.

 

»Wir fanden in seiner Tasche ein ausführliches Geständnis – es steht darin, daß er der Mann ist, der Emil Louba ermordet hat.«

 

Kapitel 28

 

28

 

Von Freitag nacht bis Dienstag früh lag der Nebel wie eine graue, dichte Decke über London. In der Nähe von Deptford war er vielleicht noch etwas dichter, denn der Fluß ist nicht weit entfernt von dem Ort. Es war ein Wetter, wie es sich Mr. Charles Berry nur wünschen konnte. Er brauchte dabei wenigstens keine Angst zu haben, entdeckt zu werden, wenn er etwas spazierenging.

 

Für seine Frau, die er die ganze Zeit mit seinen Befürchtungen und seinen Beschuldigungen gequält hatte, war dieser Aufenthalt in Deptford bis jetzt eine noch größere Anstrengung gewesen als die vorhergehenden Jahre. Als ihr Mann den Wirt jetzt davon überzeugt hatte, daß es bei diesem Wetter für ihn gefahrlos wäre auszugehen, atmete sie erleichtert auf. Wenigstens ein paar Stunden Ruhe.

 

Auch Charles Berry wollte allein sein. Er wollte sie nicht mehr sehen. Er haßte sie – hatte sie immer gehaßt, mit ihrem verschlossenen Wesen und der überlegenen Haltung, die sie ihm gegenüber stets einnahm.

 

Einmal, vor langer Zeit, als er sie noch sehr gern gehabt hatte, war er von ihr so verächtlich behandelt worden, daß die Erinnerung daran heute seinen Haß immer von neuem anspornte. Und ausgerechnet jetzt war sie an ihn gekettet, wo Unabhängigkeit für ihn doch so dringend notwendig war. Er verfluchte sie und sein Geschick, als er so im Nebel umherstolperte.

 

Captain Brown würde ihn festnehmen lassen – er sah den Richter vor sich, die Geschworenenbank … Er faßte sich entsetzt an den Kopf, wenn er daran dachte. Und das alles nur, weil er diese Frau geheiratet hatte …

 

Zwei Männer und ein kleiner Junge, die vor ihm liefen, bogen vom Weg ab. Gedankenlos folgte er ihnen. Sehen konnte er nichts – der Nebel lag so schwer und drückend … Er meinte fast zu ersticken und blind zu sein. Der Weg senkte sich jetzt steil, und er fragte einer Mann, der ihn überholte, wohin er ginge.

 

»Zum Fluß … zum Fluß hinunter«, war die hastige Antwort.

 

»Was ist denn los dort unten?»

 

»Eine Frau ist ins Wasser gesprungen … man fand einen Brief am Ufer«, erwiderte der Mann. »Die Polizei läßt den Fluß nach ihr absuchen.«

 

Berry zitterte und wäre beinahe umgekehrt. Aber irgend etwas zog ihn hin, und bald mischte er sich unter eine kleine Gruppe von Menschen, die um zwei Polizisten herumstanden. Einige Arbeiter stocherten mit langen Stangen in dem dunklen Wasser des in den Fluß mündenden Kanals.

 

Das unheimliche Schauspiel fesselte ihn, und er blieb stehen.

 

Wenn doch seine Frau Selbstmord verübt hätte! Aber sie würde den Mut dazu nie aufbringen. Aber wenn sie doch … Und wenn sie dann auch einen Brief am Ufer zurückließ, einen Brief, der ihn vor jeder Anklage schützte, die man gegen ihn erheben konnte …

 

Sein Atem ging immer schneller, je mehr diese Idee Form annahm. Aber wie konnte er sie überreden, den Brief zu schreiben – das war die Schwierigkeit.

 

Die Polizisten zogen etwas Schlaffes, Schweres auf die Uferbank, als er mit unsicheren Schritten zu ihrer Unterkunft zurückhastete.

 

Sie hatte seine Tritte schon auf der Treppe gehört und seufzte beklommen, als er zur Tür hereinkam. Zu ihrer Überraschung lächelte er sie geradezu verschmitzt an, und sein Benehmen war alles andere als unangenehm.

 

»Kate«, sagte er. »Ich schlenderte ein wenig durch den Ort und habe nachgedacht. Falls Hurley Brown mich festnehmen kann, wird er sämtliche Beweise, die er beibringen muß, fälschen – nur um mich hängen zu sehen! Ob ich den Mord begangen habe oder nicht, macht ihm gar nichts aus. Er wird mir eins auswischen wollen – und ich muß dafür baumeln. Und dann kommt alles heraus – merk dir das –, auch über dich.«

 

Er sprach so leichtfertig von ›baumeln‹, daß sie, die ihn doch ganz genau kannte, sofort wußte, daß er keinen Augenblick auch nur die Möglichkeit eines solchen Endes in ernsthafte Erwägung ziehen konnte.

 

»Als ich gerade über die Kanalbrücke ging, suchte die Polizei nach der Leiche einer Frau«, fuhr er fort. »Sie fiel gestern abend hinein und ertrank.«

 

Kate schauderte zusammen.

 

»Eine glückliche Frau!« murmelte sie, und es fiel ihm nicht leicht, seine angenommene Freundlichkeit beizubehalten.

 

»Wahrscheinlich ist sie glücklich«, sagte er so sanft wie möglich. »Aber ich habe da eine Idee. Angenommen, man findet diese Frau, sucht das Ufer ab und entdeckt dort ein schriftliches Geständnis, daß sie Louba ermordet hat? Kein schlechter Gedanke, was?«

 

»Man hätte sehr bald herausgefunden, daß sie den Mord gar nicht begangen haben kann.

 

»Oh, da irrst du dich aber ganz gewaltig«, entgegnete Berry schroff. »Ich habe mich über das Mädchen erkundigt. Stell dir vor – sie war in Braymore House beschäftigt. Was hältst du von einem solchen Zufall, Kate?«

 

Sie sah ihn ungläubig an.

 

»Das ist doch kaum möglich«, meinte sie dann. »Wie konntest du denn in so kurzer Zeit Erkundigungen einziehen?«

 

Er schaute sie bösartig an.

 

»Stelle nur weiter solche Fragen – ich werde dir dann schon die richtige Antwort geben«, fuhr es ihm heraus. Aber dann hielt er sich wieder zurück. »Ich habe herausgekriegt, daß sie dort beschäftigt war – das muß dir genügen«, brummte er. »Das Ganze ist ein vom Himmel gesandter Glücksfall, mit dem Geständnis kann mich niemand mehr verurteilen – und auch der wird frei, den sie am Sonntag geschnappt haben.«

 

»Ist wieder jemand verhaftet worden?«

 

»Was geht’s dich an, wen sie verhaftet haben? Sag mir lieber, was du von meiner Idee hältst!«

 

»Sie mag ganz gut sein«, sagte die Frau ausweichend.

 

»Ich habe die Absicht, zum Fluß hinunterzugehen, jemandem den Brief zu geben und zu sagen, ich hätte ihn gefunden, und man solle ihn der Polizei bringen. Im Nebel würde mich niemand erkennen.«

 

Er ließ sie allein, damit sie sich den Vorschlag überlegen konnte, und ging zu ihrem Wirt hinunter.

 

»Willst du schon wieder ausgehen?« fragte ihn der Mann erschrocken. »Auf diese Weise erwischen sie dich doch noch, Charlie. Wenn du allein wärst, hättest du vielleicht eine Chance, aber mit deiner Frau ist es so gut wie sicher.«

 

»Genau dasselbe habe ich auch gedacht«, erklärte Berry. Er sprach ein wenig stockend. So kurz vor der Ausführung seines Planes, der ihm in seiner nackten, schauerlichen Brutalität erst jetzt recht zum Bewußtsein kam, war ihm doch etwas beklommen zumute. Nach Freds Warnung aber riß er sich doch wieder zusammen. »Sie ist eine Gefahr für mich, ja … Ich schicke sie fort, zu Freunden aufs Land.«

 

»Wohin denn? Ich dachte, du hättest keine Freunde?« antwortete der andere mißtrauisch.

 

»Dafür hat sie selbst eine ganze Menge – noch dazu ziemlich vornehme Leute. Ich habe schon mit ihr darüber gesprochen, und sie ist selbst der Ansicht, daß sie fortgehen muß.«

 

»Und wann geht sie?«

 

Charles Berry fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.

 

»Noch heute nacht«, sagte er tonlos, drehte sich kurz um und stieg die Treppe hinauf.

 

Vor der Tür ihres Zimmers blieb er eine Weile unentschlossen stehen und versuchte krampfhaft, sich für die Aufgabe, die ihm bevorstand, vorzubereiten.

 

»Ich war eben unten bei Fred und habe mit ihm gesprochen«, sagte Berry, nachdem er eingetreten war und die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Er hält den Plan für gut, Kate.«

 

Langsam ging er hinüber zum Kaminsims, nahm von dort einen Block billigen Schreibpapiers, ein Tintenfaß und eine Feder und setzte sich an den Tisch. Kurze Zeit kaute er an dem Federhalter herum und überlegte, dann begann er zu schreiben. Sie beobachtete neugierig, wie er, mit vielen Pausen, das Blatt mit seiner eckigen Handschrift bedeckte.

 

»So, das wird’s tun«, sagte er und hielt den Briefbogen in die Höhe. »Hör mal zu.« Etwas unsicher las er vor:

 

 

»Ich gestehe, daß einzig und allein ich für den Tod Emil Loubas verantwortlich bin. Seit Jahren habe ich Geld von ihm erhalten, aber vor einem Monat weigerte er sich, mich noch weiter auszuhalten. Am Samstagabend ging ich nach Braymore House und gelangte durch den Lieferanteneingang in die Wohnung, für die ich einen Schlüssel hatte. Dort geriet ich mit Louba in Streit, schlug ihn mit einem silbernen Leuchter nieder und flüchtete dann über die Feuerleiter. Hiermit erkläre ich, daß außer mir niemand für den Mord verantwortlich zu machen ist. Jetzt bin ich am Ende. Möge Gott mir gnädig sein.«

 

 

»Der letzte Absatz klingt besonders gut, nicht wahr, Kate?« Er sah sie von der Seite her scharf an. Sie saß mit geschlossenen Augen da.

 

»Armer Kerl«, murmelte sie dann leise.

 

»Was heißt hier armer Kerl!« höhnte er. »Bin ich nicht auch ein armer Kerl? Los, Kate – schreib dies hier nach.«

 

»Ich?« fragte sie und starrte ihn an.

 

»Selbstverständlich – du. Es ist doch eine Frau, oder vielleicht nicht? Und deshalb muß auch die Schrift eine Frauenhandschrift sein.«

 

»Ich mag nicht«, entgegnete sie. »Deine schmutzige Arbeit habe ich dich immer allein machen lassen.«

 

»Du wirst das abschreiben, Kate – oder du wirst es bedauern, daß du es nicht getan hast! Ich weiß genau, an wen du jetzt denkst. Du denkst wieder mal an deinen Polizisten, das ist alles.«

 

Sie gab ihm gar keine Antwort, sondern streckte nur müde die Hand aus. Wort für Wort schrieb sie das Geständnis ab. Er wartete, bis sie fertig war. Das von ihm selbst geschriebene Original faltete er zusammen und steckte es in die Tasche, um es sobald wie möglich loszuwerden.

 

»Paß auf«, sagte er dann. »Nach ›Möge Gott mir gnädig sein‹ mußt du noch anfügen: ›Mein Mann weiß von allem nichts.‹«

 

»Ist die Frau denn verheiratet?« fragte sie.

 

»Jede anständige Frau ist verheiratet«, entgegnete Berry. »Deshalb bist du ja auch eine anständige Frau!« Er kicherte über diesen Witz. »Und jetzt los! Wart mal – schreib so: ›Mein Mann ist an allem unschuldig, und ich bitte ihn um Verzeihung für die schreckliche Tat, die ich jetzt begehen werde.‹«

 

Sie schrieb es, und er nahm ihr den Bogen aus der Hand.

 

»Gut so.« Seine Stimme zitterte, während er ihr auf die Schulter klopfte. »Verlaß dich nur immer auf den alten Charlie, der hilft schon weiter. Na, bevor eine Woche vergangen ist, haben wir England verlassen – für drei Pfennig Glück werden wir doch noch haben.«

 

Mit einem Kopfnicken ging er zur Tür hinaus. Bis zum Abend sah sie ihn nicht mehr. Als sie um sechs Uhr eine Tasse Tee trank, kam er zurück.

 

»Dichter Nebel draußen«, sagte er zur Begrüßung. »Aber das kann uns ja für einen kleinen Spaziergang gerade recht sein. Du solltest nicht immer herumhocken, Kate. Komm, wir machen einen kleinen Bummel.«

 

Mühselig stand sie auf, nahm ihren Mantel von einem Nagel an der Wand und zog ihn an.

 

Berry hatte den ganzen Nachmittag damit verbracht, das Gelände in der Nachbarschaft zu inspizieren. Je weiter die Zeit fortgeschritten war, desto ängstlicher war er geworden. Jetzt hatte er allmählich den letzten Grad von Kopflosigkeit erreicht, in dem ihm jede Methode, und war sie auch noch so schrecklich, gerechtfertigt erschien – wenn er nur damit seine eigene Sicherheit erkaufen konnte.

 

Er ging zu dem Wirt hinunter.

 

»Ich begleite meine Frau jetzt zum Bahnhof«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Du sagst ihr am besten nicht adieu, denn ich habe ihr versprochen, sie hierher zurückzubringen.«

 

»Sie scheint die Gegend recht gern zu haben, was?« spottete der Mann in der alten Strickjacke. »Sag mal, was hast du eigentlich mit ihr vor, Charlie? Du willst doch nicht etwa der Frau etwas tun? Wenn ich so etwas ahnte, würde ich dir gleich hier den Hals umdrehen.«

 

»Ihr etwas tun?« entgegnete der andere entrüstet. »Meiner eigenen Frau? Für wen hältst du mich eigentlich?«

 

Der Wirt schaute ihn unschlüssig an. Irgendwie spürte er die Gefahr, in der die Frau schwebte.

 

»Na schön«, sagte er schließlich. »Wenn du es nicht willst, werde ich mich nicht von ihr verabschieden. Aber wenn was passiert …«

 

»Mach doch keine Geschichten, Fred«, sagte nun Berry eindringlich. »Tatsächlich ist meine Frau in einer ganz scheußlichen Klemme. Sie sind nämlich gar nicht hinter mir her – sondern hinter ihr! Deshalb möchte ich ja auch, daß sie fortgeht.«

 

Betroffen schaute ihn der andere an.

 

»Soll das etwa heißen, daß deine Frau diesen alten Gauner Louba ermordet hat?« fragte er ihn erschrocken.

 

»Du wirst es bald genug erfahren«, erwiderte Berry düster.

 

Fred stand noch immer bewegungslos im Zimmer, als kurze Zeit darauf die beiden an seiner Tür vorbeigingen. Gleich danach fiel die Haustür ins Schloß. Er setzte sich und dachte nach. Als er ein wenig später das obere Zimmer untersuchte, zeigte sich, daß der Koffer nicht gepackt war und daß auch sonst keine Spur davon zu bemerken war, daß die Frau eine längere Reise angetreten hatte. Er faßte einen Entschluß und lief in den Nebel hinaus zur Telefonzelle.

 

Dort schaute er ohne zu zögern im Telefonbuch nach und wählte dann die Nummer der Polizeiwache in Greenwich.

 

Kapitel 29

 

29

 

Kate stolperte und wäre beinahe hingefallen.

 

»Ich will nicht mehr weiter«, sagte sie. »Dieser Nebel ist ja entsetzlich. Wir wollen umdrehen, Charles.«

 

»Vorwärts!« zischte ihr Begleiter. »Tu doch nicht so – auf der andern Seite der Brücke ist es ganz hell.«

 

Sie ging wieder neben ihm her, und so schritten sie langsam in die Nacht hinaus.

 

»Hier ist ein Randstein«, sagte er. »Anscheinend überqueren wir die Straße. Steck das in deine Tasche.«

 

»Was ist das?« fragte sie und nahm das Papier in die Hand.

 

»Das Geständnis«, erwiderte er. »Es ist gut, wenn wir es gleich loswerden, da wir nun doch schon einmal unterwegs sind.«

 

Die Frau blieb stehen.

 

»Ich gehe jetzt keinen Schritt weiter«, erklärte sie mit einer bei ihr ganz ungewöhnlichen Entschlossenheit. »Merkst du denn nicht, daß wir verfolgt werden? Jemand geht dauernd hinter uns her, warte wenigstens, bis er vorbei ist.«

 

Sie blieben stehen. Berry strengte Augen und Ohren an, konnte aber nichts feststellen.

 

»Du lügst ja«, sagte er. »Wenn du nicht gerne mit mir allein bist, dann beeile dich eben. In fünf Minuten sind wir in der High Street in Greenwich.«

 

»Ich habe ganz bestimmt Schritte gehört«, sagte sie. Und dann, als sie ein kurzes Stück weitergegangen waren: »Hör doch – jemand folgt uns!«

 

Die Nerven des Mannes waren bis zum Äußersten gespannt.

 

»Verdammt, komm schon weiter!« zischte er völlig außer sich. »Und wenn schon jemand hinter uns geht … Haben denn wir allein das Recht, im Nebel herumzulaufen?«

 

»Laß uns doch umdrehen«, flehte sie. Er lachte nur.

 

»Weißt du vielleicht allein den Weg zurück?« fragte er höhnisch. »Sei nicht so kindisch, Kate. Wir sind schon beinahe an der Brücke.«

 

Er nahm sie am Arm und führte sie weiter. Sie spürte, daß sie jetzt nicht mehr auf dem Asphalt der Straße gingen, sondern auf einem schmutzigen Pfad. Einmal trat sie in eine Pfütze und schrie erschrocken auf, als das Wasser hochspritzte.

 

»Wo gehen wir denn nur hin?« fragte sie ängstlich.

 

»An das Flußufer. Dort läuft immer noch ein halbes Dutzend Polizisten herum, und du brauchst dich wirklich nicht zu fürchten«, setzte er hinzu.

 

Sie konnte nur den Kopf schütteln über diese unlogische Handlungsweise, die Polizei geradezu aufzusuchen.

 

Zum drittenmal blieb sie plötzlich stehen.

 

»Es folgt uns ganz bestimmt jemand. Ich hörte es gerade wieder ganz deutlich.«

 

»Sei ruhig – komm hierher, an die Seite des Pfades«, flüsterte er.

 

Sie lehnten sich an das Holzgeländer, das den Weg zum Fluß hin abgrenzte. Kein Laut war zu hören.

 

»Du willst mir wohl Angst machen, wie?« knurrte er höhnisch. »Warum willst du mich eigentlich durchaus glauben machen, daß jemand uns verfolgt?«

 

Am Arm zerrte er sie weiter, und durch eine Lücke des Geländers stolperten sie gemeinsam die Uferböschung hinab. Plötzlich blieb er stehen. Auch er hatte jetzt die leisen Fußtritte gehört.

 

»Warte hier«, sagte er nervös und ging einige Schritte zurück.

 

In diesem Augenblick hatte aber auch das Geräusch wieder aufgehört.

 

»Wahrscheinlich ist es nur das Wasser, das gegen die Böschung klatscht«, meinte er, als er zurückkam. »Jetzt hier herum.«

 

Er fühlte mit der Hand und schob sie zwischen einigen Pfosten durch, direkt auf den kleinen betonierten Damm, gegen den die Wellen schlugen.

 

»Der Fluß ist ja direkt neben mir«, sagte sie plötzlich, und ihre Stimme zitterte noch mehr. »Ich kann die Kälte spüren, die vom Wasser aufsteigt. Sind wir denn immer noch nicht weit genug gegangen?«

 

»Ja, jetzt reicht es dann«, versetzte er. »Komm – bleiben wir hier ein wenig stehen.«

 

»Ich mag nicht mehr!«

 

Sie versuchte verzweifelt, sich an ihm vorbeizudrängen.

 

Er packte sie und erstickte mit der Hand ihren wilden Aufschrei.

 

»Du wolltest doch immer so gerne sterben.« Seine Stimme war nur noch ein heiseres Knurren. »Du hast doch immer gesagt, daß du so gerne tot sein möchtest – jetzt ist es gleich soweit! Sie werden dich und dein Geständnis finden, verstehst du?«

 

Sie wehrte sich mit aller Kraft, war aber gegen seinen Griff machtlos. Mit seiner großen Hand verschloß er ihr den Mund und hielt sie mit dem andern Arm eisern umschlossen. Sie wankte und wäre gleich gestürzt … Da sah sie plötzlich hinter Berry im Nebel einen Umriß – einen dunklen Schatten, der Charles zurückriß.

 

Sie hörte ein leichtes ›plopp‹ – und gleich darauf noch einmal denselben Laut. Ein Laut, als ob der Korken aus einer Weinflasche gezogen würde.

 

Charles Berry sank in die Knie, schwankte einen Augenblick hin und her und fiel dann lautlos in sich zusammen. Kate hatte atemlos die beiden Blitze gesehen, die den Nebel zerrissen hatten, und rannte jetzt auf ihren unbekannten Retter zu.

 

»O Gott! Ich danke Ihnen! Ich danke Ihnen!«

 

»Kit!«

 

»Du bist es – du«, stieß sie hervor und sank in seine Arme.

 

»Liebe, liebe Kit!« murmelte der Mann und hielt sie fest.

 

Kapitel 2

 

2

 

Die Aufgabe, Reggie Weldrakes Vater in Empfang zu nehmen, als er in Malta eintraf, war nicht gerade angenehm.

 

Der tote Offizier war unter den Mannschaften und Kameraden sehr beliebt gewesen; deshalb hörten alle mit Genugtuung, daß sein Vater erwartet wurde. McElvie drückte einen allgemeinen Wunsch aus, als er sagte, daß der alte Herr Weldrake hoffentlich ein kräftiger Mensch sei und die feste Absicht habe, mit Louba abzurechnen.

 

»Er kann ja aus keinem andern Grund die weite Reise gemacht haben«, bemerkte McElvie hoffnungsvoll. »Vergeßt nicht – er trägt keine Uniform und kann diesem Louba eins auswischen, daß ihm Hören und Sehen vergeht.«

 

Hurley Brown übernahm die Aufgabe, Mr. Weldrake senior zu begrüßen, mit einer gewissen Skepsis. Immerhin hielt auch er unwillkürlich nach einem großen und resoluten Mann, nach einer älteren und stärkeren Auflage Reggies, Ausschau. Er war sehr erstaunt, als sich ihm ein schmächtiger, verschüchterter Herr als der Vater seines toten Freundes vorstellte.

 

Hatte schon vorher allgemeine Entrüstung geherrscht, so waren die Leute beim Anblick des traurigen kleinen Mannes geradezu empört. Man sah ihm so deutlich an, daß sein Junge seine Welt und sein alles gewesen war und daß ihn der Tod Reggies furchtbar mitgenommen hatte.

 

Er klagte nicht und verlangte auch kein Mitleid. Er saß stundenlang mutterseelenallein im Zimmer des toten Offiziers herum, berührte dessen Habseligkeiten und las immer wieder seine letzten Aufzeichnungen. Eine kleine, einsame Gestalt, pilgerte er tagtäglich zu seinem Grab.

 

Die Sympathie, die man Reggie Weldrake entgegengebracht hatte, wurde auf seinen Vater übertragen. Der bloße Anblick des hilflosen alten Mannes war Brennstoff für das Feuer, das unter der Asche gegen Emil Louba glühte.

 

Da Costa entfachte die Flamme zu einer Riesenglut.

 

Eines Nachts traf er Weldrake, der ziel- und planlos in der Gegend umherirrte, sprach ihn an und zeigte ihm Loubas Haus.

 

»Wissen Sie, daß dies der Platz ist, an dem Ihr Sohn ruiniert wurde? Wissen Sie, daß der Mann, der ihn zum Selbstmord trieb, Emil Louba heißt?«

 

Weldrake wandte sich langsam der von roten Scheinwerfern beleuchteten Fassade des Vergnügungslokals zu.

 

Ohne da Costa einen weiteren Blick zu gönnen, ging er nach kurzem Zögern geradewegs auf das Lokal zu. Da Costa wußte, was für ein Empfang dem kleinen Mann bevorstehen würde, und rannte deshalb wie besessen in die Kaserne, um die Soldaten zu alarmieren.

 

»Mr. Weldrake ist zu Louba gegangen! Wahrscheinlich befördert ihn Louba auf die Bühne und läßt ihn für die Gäste tanzen. Los, helft ihm!«

 

Das genügte. Die Soldaten, die Freizeit hatten, liefen im Sturmschritt voraus – aber da Costa kam noch zeitig genug hinterher, um zu sehen, wie Weldrake mit einer Schramme quer über dem Gesicht weggeführt wurde.

 

Im Lokal war die Hölle los, die Kapelle spielte wie wild, wahrscheinlich, um das Durcheinander zu übertönen. Leute standen auf den Tischen, andere protestierten aufgeregt und trampelten mit den Füßen. In der Saalmitte versuchten die Kellner und einige Tänzerinnen mit vereinten Kräften, einen Haufen aufgeregter und wütender Soldaten zurückzuhalten.

 

»Wo ist Louba? Heraus mit ihm!« schrien sie immer wieder.

 

»Louba hatte überhaupt nichts mit dem alten Weldrake zu tun«, rief ein Mädchen. »Er hat ihn nicht einmal zu sehen gekriegt, weil er oben beschäftigt war.«

 

»Er hat den Befehl gegeben, ihn hinauszuwerfen!«

 

»Stimmt nicht! Der kleine Mann war unverschämt und wollte unter keinen Umständen weggehen. Wir haben ihn zuerst ganz sanft vor die Tür gesetzt, aber er kam immer wieder herein.«

 

»Wo ist Louba?«

 

Das Stimmengewirr hatte seinen Höhepunkt erreicht, als Louba auftauchte.

 

»Meine Herren, meine Herren, ich bitte Sie!«

 

Seine geschmeidigen Manieren gossen nur Öl ins Feuer.

 

Immer mehr Soldaten strömten in das Lokal. Da Costa, der im Hintergrund eifrig schürte, sah seine Absicht gelingen. Vorerst ließ sich Louba allerdings nicht einschüchtern und sparte nicht mit höhnischen Bemerkungen.

 

Als er mit der entsprechenden Betonung erklärte, daß furchtbar viel Lärm um einen degenerierten jungen Narren gemacht werde, der nicht einmal Ehre genug im Leib gehabt hätte, seine Schulden zu bezahlen – da wurde der erste Schlag ausgeteilt.

 

Louba schlug sofort zurück. Seine Leibgarde mischte sich in die Keilerei – die Soldaten empfingen sie mit hochgekrempelten Ärmeln.

 

»Wir schlagen das ganze Lokal kaputt!«

 

Die Drohung wurde mit Begeisterung aufgenommen und durch einen lauten Krach unterstrichen – eine Weinflasche zersplitterte an einem der glitzernden Wandspiegel.

 

Sofort rissen eifrige Hände jeden einigermaßen zum Werfen geeigneten Gegenstand an sich, Teller, Gabeln, Stuhlbeine – alles flog durch die Luft. Ein ohrenbetäubender Lärm ließ erkennen, daß jedes Stückchen Glas in dem Lokal im Begriff war, in Scherben zu gehen.

 

Von der Straße kamen immer neue Leute hereingelaufen und vermehrten das Durcheinander nach Kräften.

 

»Nach oben, Jungs, und schmeißt seinen Plunder aus dem Fenster!«

 

»Werft den Kerl samt seinem Geld ins Meer!«

 

Die Spieler an den Roulettetischen im ersten Stock widersetzten sich dem Eindringen der Menschenmengen. Sie hatten keine Ahnung, um was es eigentlich ging, und der Tumult wurde immer größer.

 

Da Costa huschte über die Bühne und erreichte mit ein paar Sprüngen den winzigen Ankleideraum, der dahinter lag. Das Zimmerchen war leer.

 

An den Wänden hing eine Reihe hauchdünner Chiffonkostüme, der Ankleidespiegel war mit einem Seidenvorhang drapiert – da Costa hatte ein elegantes Feuerzeug, und die Flammen züngelten im Nu an den dünnen Stoffen hoch.

 

Als er wieder in den Saal kam, war er fast leer; die Menge drängte sich am Treppenaufgang, um sich den übrigen im ersten Stock anzuschließen. Da Costa ließ einen Sprühregen von brennenden Streichhölzern im Saal los, besonders dort, wo sich Alkohollachen aus zerbrochenen Flaschen in den Teppich einsaugten.

 

Die Flammen züngelten von einem Brandherd zum andern und fraßen sich an den Vorhängen schnell in die Höhe. Schon hörte man den ersten schrillen Warnungsschrei.

 

Kein Mensch dachte an Löschen. Jeder rettete sich schleunigst aus dem brennenden Haus.

 

Da Costa erreichte als einer der ersten die Straße und lief, bis er in sicherem Abstand war.

 

Von dort beobachtete er, wie sich das Feuer ausbreitete vom flackernden Glühen bis zu einer mächtigen Flamme, die den Himmel blutrot beleuchtete.

 

Leute rannten an ihm vorbei; Offiziere und Militärpolizei in Autos sausten vorüber. Auch Captain Hurley Brown war darunter. Daß Loubas Lokal brannte, war ihm zwar einerlei, doch hatte er Sorge um seine Soldaten.

 

Endlich sah da Costa einen Menschen, dem er seine Freude mitteilen konnte. Es war ausgerechnet der arme Mr. Weldrake, dem er frohlockend verkündete:

 

»Loubas Lokal brennt ab!«

 

Als das Feuer schwächer wurde und ein schwarzer Rauchvorhang sich davorlegte, kehrte Hurley Brown zurück und blieb einen Augenblick bei Weldrake stehen. An ihnen vorbei zogen Mannschaften zurück in die Kaserne. Ohne Rock, mit rußverschmiertem Gesicht, trat plötzlich Louba auf sie zu.

 

»Das wird eine Kleinigkeit kosten, Captain Brown!« rief er drohend. »Wollen sehen, was Ihre Militärbehörde dazu sagt!«

 

»Falls du ein bißchen Grütze im Kopf hast, Louba, dann fährst du ab und läßt die Sache auf sich beruhen«, warf da Costa ein. »Die Militärbehörde könnte dir einige sehr unangenehme Fragen stellen.«

 

»Ah, du bist auch da? Ich weiß schon, daß du deine Hand im Spiel gehabt hast, da Costa! Eugénie hat dich gesehen!«

 

»Jetzt kommt sie gern mit mir zurück nach Tripolis, was?« höhnte da Costa.

 

»Vielleicht … und vielleicht begleite ich sie sogar. Kein schlechter Gedanke! Ich habe dich aus Port Said vertrieben, und ich werde dich auch aus Tripolis hinausbefördern.«

 

»Nur keine Drohungen, Louba! Ich bin dir überlegen, merk dir das. Und was du mir in der Vergangenheit geschadet hast, das wirst du schon noch bereuen.«

 

»Ich bereue niemals«, gab Louba hochmütig zurück und kehrte ihm den Rücken zu. »Und wenn Sie denken, Captain Brown, daß dieses Feuerchen da mich aus Malta vertreibt, dann irren Sie sich!«

 

»Ich sagte Ihnen, Sie würden gehen, Louba – und Sie werden gehen«, versetzte Brown bestimmt. »Auch dieser Abend kommt auf Ihr Konto.«

 

»Es soll Ihnen noch leid tun, Captain …«

 

»Das einzige, was mir leid tut, ist, daß du nicht mitsamt deiner Bude verbrannt bist«, mischte sich da Costa wieder ein.

 

Louba sah ihn aus den Augenwinkeln an.

 

»Nur die Ruhe«, murmelte er. »Ich habe Zeit …«

 

Weldrake war schweigsam geblieben und hatte die Szene ohne ein äußeres Zeichen von Genugtuung betrachtet. Dies war erst ein Teil der Vergeltung, und ohne ein Wort schlüpfte er davon.

 

Eine Stunde danach, während Hurley Brown besorgt nach ihm Ausschau halten ließ, kniete er in der Dunkelheit am Grab seines toten Jungen.

 

»Keine Sorge, Reggie«, flüsterte er in beruhigendem Ton. »Du wirst gerächt. Ich denke daran. Ich vergesse es nicht. Ich bleibe nicht zu Hause, bis er gebüßt hat … Keine Sorge, Reggie. Du wirst gerächt …«

 

Kapitel 20

 

20

 

Für einen Londoner war Dr. Warden geradezu ein Frühaufsteher. Aber er hatte auch eine große ärztliche Praxis und war ein gewissenhafter Arbeiter.

 

Im Augenblick saß er gerade bei seinem Frühstück und überflog die Zeitungsspalten, die von der Mordtat berichteten. Im Innersten war er froh, daß sein Name nicht genannt wurde. Zwar mußte Dr. Warden bei der gerichtlichen Untersuchung seine Aussage noch zu Protokoll geben, aber er freute sich doch über die Atempause bis dahin. Er machte sich nun einmal nichts daraus, von neugierigen Reportern ausgefragt zu werden.

 

Als das Mädchen einige Zeit darauf einen Besucher ankündigte, war er schon in seinem Laboratorium mit einigen Versuchen beschäftigt.

 

»Führen Sie den Herrn herein, Mary.«

 

Es war Miller, Loubas Diener.

 

»Guten Morgen, Miller. Ich kann mir schon denken, warum Sie kommen. Das Ganze ist eine sehr heikle Angelegenheit, und es tut mir sehr leid um Sie. Ich vermute, Sie stehen auch unter Verdacht. Na, das passiert bei einem solchen Fall vielen, also machen Sie sich nichts daraus«, setzte er hinzu, als er die Bestürzung in dem Gesicht des Mannes bemerkte. »Haben Sie irgend etwas Neues zu berichten?«

 

»Nein, Herr Doktor, nur daß die Polizei diesen Charlie bis zu einem Hotel verfolgt hat. Aber als sie hinkamen, war er schon weg.«

 

»Das habe ich schon gelesen«, entgegnete der Doktor. »Man nimmt an, daß er noch in London ist.«

 

»Herr Doktor …« Miller stockte. »Dürfte ich Ihnen etwas erzählen? Sie entsinnen sich doch noch genau daran, daß ich Sie einige Zeit allein ließ, um meiner Braut mitzuteilen, daß ich unsere Verabredung verschieben müßte?«

 

»Ja«, sagte der Doktor. »Sie blieben eine Viertelstunde weg. Wenn Sie wollten, hätten Sie genügend Zeit gehabt, die Feuerleiter hinaufzusteigen«, meinte er scherzhaft.

 

»Um Gottes willen, setzen Sie ihnen nur nicht diese Idee in den Kopf!« rief Miller nervös.

 

Dr. Warden lachte.

 

»Ich habe ja nur einen Scherz gemacht – vielleicht ein etwas unangenehmer Scherz, wie? Na ja, Spaß muß sein. Also, was wollen Sie denn nun eigentlich?«

 

Miller holte tief Luft.

 

»Herr Doktor, wissen Sie auch, daß das Haus beobachtet wurde?«

 

»Ich habe gehört, daß ein Mann namens Weldrake dort gesehen wurde, ein Mann, den niemand kennt und den man auch nicht finden kann«, entgegnete der Doktor.

 

»Nein, den meine ich nicht. Es ist jemand, der uns beiden gut bekannt ist.«

 

»Meinen Sie Mr. Leamington? Haben Sie ihn gesehen?«

 

»Nein, Herr Doktor, nicht Mr. Leamington. Aber der letzte Mensch auf Gottes Erdboden, den ich zu sehen erwartet hätte – Mr. Hurley Brown.«

 

»Was!«

 

»Ja, Mr. Hurley Brown. Ich sah ihn ganz deutlich.«

 

»Aber das ist ja fast unmöglich, Miller. Ich war doch mit dem Captain zusammen in meinem Club … Er war dort, als ich hinkam, und ich ging auch von Louba wieder direkt dorthin zurück.«

 

»Keine Ahnung, Herr Doktor, wie das möglich ist«, meinte Miller verstört. »Aber es war Mr. Brown. Er stand hinter dem Gartentor von Braymore House, als ich fortging.«

 

»Allein?«

 

»Ja, Herr Doktor. Ich sprach mit dem Diener von der Wohnung unter uns, und auch er sagt, daß er einen Mann an der Tür hat stehen sehen – und dieser Mann sei Mr. Brown gewesen. Der Diener kennt ihn genau und hat ihn sogar auch aus noch viel kürzerer Entfernung gesehen als ich.«

 

»Warum nennt die Polizei den nächtlichen Besucher eigentlich Charlie?«

 

»So nannte ihn Mr. Louba in meinem Beisein. ›Kommen Sie herein, Charlie‹, sagte er. Ich erzählte das schon Inspektor Trainor. Der Diener hat übrigens sowohl Mr. Brown als auch Charlie beobachtet. Er sah, wie der Captain diesem Charlie aufmerksam mit Blicken folgte. Meine Meinung ist, Herr Doktor« – Millers hageres Gesicht zuckte vor Aufregung, als er seine große Theorie erklärte –, »daß man zwei und zwei zusammenzählen soll. Wenn jemand weiß, wer den Mord wirklich begangen hat, dann ist dieser Jemand Mr. Hurley Brown.«

 

Dr. Warden sah den Mann sprachlos an.

 

»Davon bin ich felsenfest überzeugt, Herr Doktor – Mr. Brown weiß über diesen Mord mehr als…«

 

»Was fällt Ihnen ein, Miller!« polterte der Doktor ärgerlich los. »Wie können Sie es wagen, einen solchen Verdacht überhaupt nur auszusprechen – Mr. Hurley Brown! Ein Polizeikommissar! Das ist doch eine Ungeheuerlichkeit! Genausogut könnten Sie mich beschuldigen – ich war doch allein in der Wohnung, wenigstens eine Viertelstunde lang. Mr. Brown! Na, wissen Sie …«

 

»Es tut mir ja leid, Herr Doktor«, murmelte der Mann niedergeschlagen. »Ich wollte ganz bestimmt auch nichts Böses anrichten. Aber gestern war er den ganzen Tag in der Wohnung und suchte nach etwas. Er ließ das Unterste zuoberst kehren.«

 

»Aber natürlich! Das ist doch seine Pflicht, Miller! Was soll er denn als Polizeibeamter sonst tun – er muß doch nach Spuren suchen.«

 

Miller ließ beschämt den Kopf hängen.

 

Immer noch konnte er sich nicht zum Gehen entschließen, obgleich er doch anscheinend alles gesagt hatte, was er hatte sagen wollen.

 

»Alle möglichen Leute besuchten Mr. Louba seinerzeit«, brummte er schließlich noch.

 

»Wen meinen Sie denn jetzt wieder?«

 

»Beispielsweise Sir Harry Marshley, auch Lady Marshley. Und wenn ich richtig darüber nachdenke, dann kommt es mir so vor, als ob dieser Charlie ihn ebenfalls öfters besucht hätte. Ich kann mich zwar nicht genau auf ihn besinnen, aber die Art, wie er ging, kam mir so bekannt vor.«

 

Der Doktor sah den Diener mit einem scharfen Blick an.

 

»Es kommt mir so vor, als ob Sie etwas wüßten, was Sie mir ganz gerne mitteilten«, meinte er. »Wollen Sie es mir nicht endlich sagen – oder, noch besser, es gleich der Polizei mitteilen?«

 

Leider wurde Miller beim Erwähnen der Polizei wieder außerordentlich nervös. Er murmelte noch etwas, entschuldigte sich dann hastig und eilte davon.