Kapitel 39

 

39

 

Jim Steele war dem Tod wieder einmal mit genauer Not entgangen, wie schon so oft in seinem abenteuerreichen Leben. Er war nicht in einen Bach oder Fluß, sondern in ein tiefes Wasserloch gefallen, dessen Boden so morastig war, daß er steckenblieb.

 

Er mühte sich vergeblich ab, wieder loszukommen, und war nahe daran, das Bewußtsein zu verlieren, als er plötzlich an die Wurzeln eines Baumes faßte, der am Rande stand. Mit der Kraft der Verzweiflung zog er sich hinauf und lag nun auf festem Boden, unbekümmert um den Regen, und rang nach Atem.

 

Zwei andere müssen auch hier in der Nähe sein, dachte er und richtete sich mühsam in kniende Stellung auf. Plötzlich hörte er, kaum zehn Meter entfernt, Digby Groats Stimme: »Bleiben Sie an meiner Seite!«

 

»Das will ich tun«, murmelte Jim und ging vorsichtig der Richtung nach, in der er die Stimme gehört hatte, obwohl er niemand sehen konnte. Der Zug, der angehalten hatte, fuhr wieder weiter, und der Lärm übertönte jedes andere Geräusch.

 

Jim eilte weiter, sah gleich darauf das Schlußlicht des Wagens auf der Straße und hörte Schritte. Er begann zu laufen, um die beiden womöglich noch zu überholen, bevor sie den Wagen erreichten. Aber als er auf die offene Straße kam, fuhr das Auto eben davon. Er griff nach seinem Revolver. Wenn es ihm gelang, die Reifen der Hinterräder durch einen Schuß zu treffen, konnte er den Wagen anhalten. Jim war ein sicherer Schütze. Er zielte und drückte ab, aber die Pistole ging nicht los, sie war durch den Sturz in das Wasser verschlammt.

 

Der Wagen entfernte sich immer weiter, er konnte ihn nicht mehr erreichen. Er fühlte Schmerzen in allen Gliedern, aber er ließ sich durchaus nicht abschrecken. Schnell steckte er die Waffe in die Tasche und rannte in der Richtung, die der Wagen genommen hatte.

 

Er war gut trainiert, und das Laufen machte ihm keine großen Schwierigkeiten. Im Gegenteil, durch die Bewegung wurde er warm, der Krampf seiner Glieder löste sich, und er konnte ruhiger nachdenken. Er eilte immer in gleichmäßiger Geschwindigkeit dahin, nicht zu schnell, um sich nicht zu verausgaben.

 

Nach einer halben Stunde entdeckte er den Wagen wieder. So war seine Anstrengung also doch von Erfolg gekrönt worden. Aber kaum hatte er das rote Schlußlicht gesehen, als das Auto sich wieder in Bewegung setzte. Warum hatte es angehalten? Jim ging langsam. Vielleicht hatte es eine Panne, vielleicht hatte der Wagen auch vor einem Haus gehalten. Groat besaß ja viele Schlupfwinkel im ganzen Land.

 

Jim sah das Haus und ging vorsichtig näher, als er hörte, wie jemand nach der Zeit fragte. Er konnte aber weder Villa noch Bronson erkennen und überlegte sich, was er machen solle. Das Haus hätte er ja leicht betreten können, aber mit einer versagenden Pistole konnte er nicht den Versuch machen hineinzugehen. Das würde weder ihm noch Eunice geholfen haben. Wenn er doch nur nicht in das Wasserloch gefallen wäre! Plötzlich tauchte ein Mann vor ihm auf, und er blieb stehen. Der Fremde wandte ihm den Rücken zu, rauchte und schien vor dem Hause auf und ab zu gehen. Es hatte aufgehört zu regnen. Als der Mann wieder zurückkam, ging er so nahe an Jim vorbei, daß er ihn von seinem Versteck aus hätte fassen können.

 

Nach einer Weile rief jemand: »Bronson!«

 

Jim dachte nach. Der Name kam ihm bekannt vor.

 

Der Mann drehte sich um und ging schnell ins Haus. Jim hörte eine leise Unterhaltung, verstehen konnte er natürlich nichts. Aber er mußte erfahren, wovon gesprochen wurde, und er schlich sich näher an das Haus heran. Ein kleiner Vorbau wölbte sich über der Haustür, und hier standen die beiden Männer.

 

»Ich werde im Gang schlafen«, sagte Villa mit seiner tiefen Stimme. »Wenn Sie wollen, können Sie im anderen Zimmer übernachten …«

 

»Nein, danke schön«, erwiderte der Größere, der auf den Namen Bronson hörte. »Ich will lieber die ganze Nacht bei der Maschine bleiben, ich brauche nicht zu schlafen.«

 

Was meinte er mit der Maschine? Hatten sie noch ein anderes Auto hier?

 

»Wird Groat in der Nacht noch ankommen?« fragte Villa.

 

»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Wenn er keinen Aufenthalt hat und ihm sonst nichts passiert, wird er morgen früh in Kennett Hall sein. Die Straße dorthin ist allerdings sehr schlecht.«

 

Kennett Hall! Das war doch die Besitzung, von der Mrs. Weatherwale gesprochen hatte. Sie hatte ihm erzählt, daß es das Stammgut der Dantons war. Was für ein Narr war er gewesen, daß er nicht gleich daran gedacht hatte, als sie überlegten, wohin Digby Groat sich gewandt haben mochte! Villa und Bronson rauchten beide, und Jim beneidete sie darum.

 

»Werden wir Schwierigkeiten mit ihr haben, Mr. Villa?«

 

»Bestimmt nicht. Sie wird entsetzliche Angst haben. Ich glaube nicht, daß sie jemals zuvor geflogen ist.«

 

Der andere lachte.

 

Die Maschine, die er eben erwähnt hatte, war also ein Flugzeug. Wo mochte es stehen? Er strengte seine Augen an, doch es war so dunkel, daß er nichts unterscheiden konnte.

 

»Wird der Regen nicht schaden?«

 

»Nein«, sagte Bronson. »Ich habe den Motor zugedeckt; ich habe die Maschine schon oft die ganze Nacht draußen im Freien gehabt.«

 

Das ist nicht die richtige Behandlung, dachte Jim, dem ein Flugzeug soviel wie ein lebendiges Wesen war. Eunice war also hier, und sie wollten sie im Flugzeug irgendwohin bringen. Was konnte er tun? Er konnte nach Rugby zurückgehen und die Polizei informieren.

 

»Wo ist Fuentes?« fragte Bronson. »Mr. Groat sagte doch, daß er auch hier sein würde.«

 

»Er ist unterwegs nach Rugby. Er hat eine Leuchtpistole bei sich und soll uns benachrichtigen, wenn ein Polizeiwagen hinter uns her ist. Aber wenn Sie sich nicht hinlegen wollen, Bronson, werde ich es wenigstens tun. Sie können dann ja hier aufpassen.«

 

Fuentes war demnach auch an der Sache beteiligt. Es war gut, das zu wissen, sonst wäre Jim ihm eventuell in die Arme gelaufen. Jim überlegte, daß Fuentes wahrscheinlich in der Nähe von Rugby Posten gefaßt hatte. Wer konnte wissen, welche Befehle Digby Groat gegeben hatte und was für Vorbereitungen getroffen waren für den Fall eines Befreiungsversuches? Jim entschloß sich, hier zu warten, und hoffte gegen sein besseres Wissen, daß eine Polizeipatrouille hier vorbeikommen könnte.

 

Villa steckte sich eine neue Zigarre an, und Jim konnte in dem Lichtschein die beiden Leute einen Augenblick sehen. Bronson trug Fliegerkleidung, Lederrock, Lederhose und hohe Stiefel. Plötzlich kam Jim ein Gedanke, als er die Größe des Mannes betrachtete. Welch ein Ende des ganzen Abenteuers wäre das!

 

Villa gähnte.

 

»Ich lege mich jetzt in den Gang, und wenn sie versuchen sollte, das Haus zu verlassen, wird sie einen bösen Schrecken bekommen! Gute Nacht, wecken Sie mich um halb fünf!«

 

Bronson brummte etwas und nahm dann seinen Spaziergang wieder auf. So verstrichen zehn Minuten, eine Viertelstunde, eine halbe Stunde. Man konnte nur die Regentropfen von den Bäumen fallen hören und das ferne Rattern der Züge, die durch Rugby fuhren.

 

Im Norden waren die weißen Lichter der Eisenbahnstation und der Werkstätten zu sehen. Im Westen konnte man an dem helleren Schein des Himmels die Lage von London erkennen. Jim nahm die Pistole aus der Tasche und ging gebückt vorwärts, so daß Bronson glaubte, er sei aus dem Boden geschossen, als er sich plötzlich erhob. Er fühlte den kalten Lauf einer Pistole in seinem Gesicht.

 

»Wenn Sie irgendein Geräusch machen, Sie niederträchtiger Kerl, dann knalle ich Sie einfach nieder. Haben Sie mich verstanden?«

 

»Ja«, sagte der Mann, er zitterte vor Furcht.

 

Jim packte ihn mit der linken Hand am Kragen. Felix Bronson war im Grunde ein ängstlicher Mann, nur die Luft hatte für ihn keine Schrecken. »Wo ist der Kasten?« fragte Jim leise.

 

»Auf dem Feld hinter dem Haus«, antwortete Bronson ebenso leise. »Was wollen Sie von mir? Wer sind Sie? Wie sind Sie auf die Spur gekommen?«

 

Fragen Sie nicht soviel auf einmal! Gehen Sie vorwärts – nicht diesen Weg«, sagte er, als Bronson auf das Haus zugehen wollte.

 

»Wir müssen über den Zaun klettern, wenn wir nicht hier entlanggehen«, erwiderte Bronson mürrisch.

 

»Dann klettern Sie eben über den Zaun, das wird Ihnen gut tun, Sie fauler Teufel!«

 

Sie gingen querfeldein, und Jim sah plötzlich die Umrisse des Flugzeuges sich vom Himmel abheben.

 

»Ziehen Sie ihre Kleider aus!« befahl er.

 

»Was wollen Sie?« fragte Bronson entsetzt. »Ich kann mich doch hier nicht ausziehen!«

 

»Ich werde es Ihnen bald beibringen – das geht sehr gut. Es wird leichter sein, wenn Sie sich selbst ausziehen, als wenn ich einem Toten die Kleider abstreifen muß.«

 

Widerwillig zog Bronson die Lederjacke aus.

 

»Werfen Sie sie nicht in das feuchte Gras! Ich will keine nassen Kleider anlegen!«

 

Im Dunkeln faßte Bronson plötzlich nach seiner Hüfttasche, aber bevor er die Pistole fassen konnte, hatte Jim ihn am Handgelenk gepackt und herumgerissen. Im nächsten Augenblick hatte er ihm die Waffe entwunden.

 

»Das trifft sich ja vorzüglich!« Jim warf seine eigene Waffe ins Gras. »Meine ist nämlich nicht mehr ganz in Ordnung, aber die Ihrige ist sicher gut. Nun ziehen Sie schnell die Hosen und die Schuhe aus!«

 

»Ich werde mich erkälten!« Bronsons Zähne klapperten.

 

»Wenn Sie sterben, werde ich einen Kranz zu Ihrer Beerdigung schicken«, entgegnete Jim ironisch. »Aber ich glaube, Sie sind nicht geboren, an Erkältung zu sterben. Eher durch eine Schlinge, die man Ihnen um den Hals legt!«

 

Kapitel 34

 

34

 

»Wie, Jane Groat ist tot?«

 

Lady Mary war bestürzt über die Nachricht.

 

Jim saß teilnahmslos am Fenster des Büros von Mr. Salter. Er sah müde, niedergeschlagen und hohläugig aus.

 

»Die Ärzte glauben, sie hat eine zu große Dosis Morphium genommen, die ihren Tod verursacht hat«, erklärte er kurz.

 

Lady Mary schwieg lange.

 

»Ich glaube, es ist jetzt an der Zeit, daß ich Ihnen etwas über die Bedeutung der blauen Hand erzähle«, sagte sie.

 

»Wird uns das bei unseren Nachforschungen helfen?« fragte Jim und wandte sich schnell um.

 

»Ich fürchte, es wird uns nicht viel helfen, aber trotzdem muß ich es Ihnen sagen. Die Person, gegen die sich die blaue Hand richtete, war nicht Digby Groat, sondern seine Mutter. Ich habe neulich einen schweren Fehler gemacht, als ich glaubte, daß Digby Groat vollständig in der Gewalt seiner Mutter sei. Ich war sehr bestürzt, als ich entdeckte, daß umgekehrt sie ihm sklavisch gehorchte. Die Geschichte der ›Blauen Hand‹«, sagte sie mit einem traurigen Lächeln, »ist weder phantastisch noch dramatisch, wie Sie vielleicht erwarten.«

 

Ein langes Schweigen folgte.

 

»Ich verheiratete mich sehr jung«, begann sie endlich und nickte bei diesen Worten Salter zu. »Sie wissen es, mein Vater war damals ein armer Adeliger, der nur eine Tochter und keine Söhne hatte. Es war furchtbar schwer für ihn, das verschuldete Familiengut zu halten, obwohl er sehr bescheiden lebte. Dann wurde er mit Jonathan Dantons Vater bekannt, und die beiden verabredeten eine Heirat zwischen mir und dem jungen Danton. Ich hatte ihn früher nie gesehen und lernte ihn erst eine Woche vor dem Hochzeitstag kennen. Er war ein Mann mit einem kühlen, harten Charakter und ähnelte hierin stark seinem Vater, denn er war ebenso stolz, rechthaberisch und unbeugsam. Dazu kam noch die Reizbarkeit und der Pessimismus, die durch sein Herzleiden verursacht wurden, und an denen er ja auch später gestorben ist. Meine Ehe war sehr unglücklich. Die Sympathie und das Entgegenkommen, auf das ich von seiner Seite gerechnet hatte, fand ich nicht. Er hätte mich mit seinem großen Reichtum sehr glücklich machen können, aber vom ersten Augenblick an schien er mir zu mißtrauen. Ich habe oft gedacht, daß er mich haßte, weil ich einer Gesellschaftsklasse angehörte, die über ihm stand. Als unser Töchterchen geboren wurde, hoffte ich, daß sich seine Haltung mir gegenüber änderte, aber er zog sich immer mehr zurück, und wir wurden einander noch fremder.

 

Ich hatte seine Schwester, Jane Groat, kennengelernt und wußte, daß sie früher in irgendeine Skandalaffäre verwickelt gewesen war. Jonathan sprach niemals darüber, aber ihr Vater war ihr deshalb gram. Ihr Bruder stand ihr nicht so feindlich gegenüber.

 

Jane hatte einen merkwürdigen Charakter. An manchen Tagen war sie vergnügt und lebhaft, dann konnte sie auch wieder düster und pessimistisch sein. Ich hatte mich schon immer darüber gewundert. Eines Tages war sie bei mir zum Tee und war so nervös und gereizt, daß ich mir Sorge machte. Ich dachte, sie habe sich wieder über ihren Jungen geärgert, der sehr schwer zu erziehen war. Plötzlich zog sie eine Schachtel mit braunen Pillen heraus.

 

›Ich kann wirklich nicht länger warten, Mary‹, sagte sie und nahm eine Pille. Ich nahm zuerst an, daß es ein Heilmittel sei; als ich aber, sah, wie ihre Augen glänzten und sich ihr ganzes Betragen, änderte, ahnte ich die Wahrheit.

 

›Du nimmst doch nicht etwa Morphium, Jane?‹

 

›Nur in ganz kleinen Mengen‹, antwortete sie. ›Beunruhige dich deshalb nicht, Mary. Wenn du meine Sorgen hättest, würdest du auch deine Zuflucht dazu nehmen!‹

 

Aber das war nicht ihr schlechtester Charakterzug, wie ich leider nur zu bald erfahren sollte, als mein Mann auf eine Geschäftsreise nach Amerika gefahren war.

 

Dorothy war damals erst sieben oder acht Monate alt. Sie war ein hübsches, gesundes und heiteres Kind, das mein Mann in seiner Art aufs innigste liebte. Eines Morgens kam Jane in mein Zimmer, während ich mich ankleidete. Sie entschuldigte sich, daß sie so früh kam, und bat mich, mit ihr zusammen auszugehen und Einkäufe zu machen. Sie war so vergnügt und guter Laune, daß sie wieder unter dem Einfluß des Morphiums stehen mußte, und ich war töricht, daß ich ihr zusagte. Wir gingen in mehrere Geschäfte und kamen schließlich auch in ein großes Warenhaus. Jane kaufte wenig, aber darauf achtete ich nicht weiter, denn ich wußte, daß sie sehr sparsam war und auch nicht viel Geld hatte. Ich kannte die Firma nicht genauer und war auch niemals dort gewesen. Als wir durch die Seidenabteilung gingen, wandte sich Jane plötzlich mit einem Ausdruck geheimer Furcht an mich und flüsterte mir zu: ›Steck das weg.‹

 

Bevor ich wußte, was geschehen war, hatte sie etwas in meinen Muff gesteckt. Es war kalt an jenem Tage, und ich trug einen der großen Muffs, wie sie damals modern waren. Gleich darauf berührte mich jemand an der Schulter. Ich wandte mich um und sah einen vornehmen Herrn, der in ganz bestimmtem Ton zu mir sagte: ›Bitte, begleiten Sie mich in das Büro des Geschäftsführers.‹

 

Ich war bestürzt und verwirrt und kann mich nur noch darauf besinnen, daß Jane mir ins Ohr flüsterte: ›Du darfst deinen Namen nicht sagen.‹

 

Sie stand ebenfalls unter Verdacht, und wir wurden beide in ein großes Büro gebracht, wo uns ein älterer Herr verhörte.

 

›Wie heißen Sie?‹ wandte er sich an mich. Der erste Name, der mir einfiel, war der meiner Zofe, Madge Benson. Ich war sehr aufgeregt und wußte kaum, was ich tat. Ich hätte damals sofort sagen sollen, daß ich Lady Mary Danton war und hätte Jane auf der Stelle anzeigen sollen. Mein Muff wurde untersucht, und man fand ein großes Stück Seide darin.

 

Der ältere Herr wandte sich zu einem anderen Mann, und sie zogen sich in eine Ecke des Raumes zurück. Ich wandte mich an Jane. ›Du mußt jetzt ein Geständnis machen‹, sagte ich zu ihr. ›Es ist doch ganz unerhört, so etwas zu tun!‹

 

›Um Gottes willen, sage kein Wort‹, flüsterte sie mir zu, ›was auch immer kommen mag, ich werde die Verantwortung auf mich nehmen. Der Untersuchungsrichter –‹

 

›Ich werde doch nicht vor den Untersuchungsrichter kommen?‹ fragte ich entsetzt.

 

›Doch, du mußt es tun, Jonathan würde es nie überwinden und dir Vorwürfe machen, wenn ich vor Gericht käme.‹ Sie sprach ganz leise und schnell zu mir. ›Ich kenne den Untersuchungsrichter in Paddington. Ich werde zu ihm gehen und ihm alles gestehen, du wirst morgen entlassen werden. Mary, du mußt mir helfen!‹

 

In diesem Augenblick kam der Geschäftsführer mit einem Polizisten zurück, dem er mich übergab. Ich habe das Vergehen, dessen man mich bezichtigte, damals nicht abgestritten und habe auch Jane nicht belastet. Später erfuhr ich dann, daß sie dem Geschäftsführer sagte, ich sei eine entfernte Verwandte von ihr, und sie habe mich zufällig in dem Geschäft getroffen. Ich mußte die Nacht in einer Untersuchungszelle des Polizeigefängnisses zubringen. Es war entsetzlich für mich. Am nächsten Morgen wurde ich vor den Untersuchungsrichter geführt, aber ich zweifelte keinen Augenblick daran, daß Jane ihr Versprechen gehalten hatte. Es war jedoch niemand im Gerichtshof erschienen, der mich kannte. Ich wurde unter dem Namen Madge Benson aufgerufen, der Geschäftsführer des Warenhauses trat als Zeuge gegen mich auf und erklärte, daß seine Firma schon seit langer Zeit große Verluste durch Ladendiebstähle hätte, und daß er glaubte, ich hätte schon seit geraumer Zeit Waren entwendet.

 

So hart diese Erfahrung auch für mich war, so zweifelte ich doch keinen Augenblick daran, daß der Untersuchungsrichter das kleine Vergehen entschuldigen und mich entlassen würde. Ich schämte mich so sehr, als ich dort auf der Anklagebank saß und die neugierige Menge mich anstarrte! Noch heute kann ich nicht darüber sprechen, ohne rot zu werden. Der Richter hörte schweigend die Aussagen des Geschäftsführers an, dann sah er zu mir herüber. Ich wartete.

 

›Diese Art von Vergehen nimmt derart überhand, daß ich einmal ein Exempel statuieren muß. Ich verurteile Sie zu einem Monat Gefängnis.‹

 

Der Gerichtshof, der Untersuchungsrichter und alle anwesenden Menschen schienen sich um mich zu drehen. Als ich wieder zu mir kam, saß ich in einer Zelle, eine Wärterin stand neben mir und reichte mir ein Glas Wasser. Jane hatte mich betrogen! Sie hatte gelogen, als sie sagte, daß sie zu dem Untersuchungsrichter ginge. Aber das war nicht die letzte Gemeinheit, die sie mir antat.

 

Ich war schon zwei Wochen im Gefängnis von Holloway, als sie mich dort besuchte. Ich verfügte nicht über besonders große Kräfte, und ich mußte mit mehreren anderen Gefangenen in einem Schuppen arbeiten, in dem die Gefängnisdirektion Versuche im Färben von Stoffen anstellte. Sie wissen wahrscheinlich wenig von Gefängnissen, aber im ganzen Land sucht man die Arbeit von Gefangenen nutzbar zu machen. In Maidstone werden zum Beispiel alle Formulare gedruckt, die die Gefängnisbehörden brauchen. Ich habe vieles in Holloway erfahren! In Shepton Mallet weben die Gefangenen, in Exeter werden Sättel fabriziert, in Manchester werden Baumwollgewebe hergestellt und so weiter.

 

So machte die Regierung auch den Versuch, in einem der Gefängnisse eine Färberei einzurichten. Als ich zu dem kleinen Besuchszimmer kam, um dort mit Jane Groat zu sprechen, hatte ich vergessen, daß meine Hände von der Arbeit noch schmutzig waren. Erst als ich sah, daß sie auf meine Hände starrte, mit denen ich mich am Eisengitter festhielt, sah ich, daß sie dunkelblau waren.

 

›O wie schrecklich!‹ stammelte sie, ›deine Hände sind ja so blau!‹

 

Meine Hände waren blau«, sagte Lady Mary bitter, »und deshalb wurde die blaue Hand das Symbol für die Ungerechtigkeit, die diese Frau an mir begangen hatte.

 

Ich machte ihr keine Vorwürfe, ich war zu deprimiert und zu niedergeschlagen, um mit ihr zu rechten oder ihr alle Gemeinheiten und den Verrat vorzuwerfen. Aber sie versprach mir, meinem Mann die Wahrheit zu sagen. Auch erzählte sie mir, daß sie sich in der Zwischenzeit meines Kindes angenommen habe und daß sie es mit einem ihrer Mädchen nach Margate geschickt habe. Sie hätte das Kind ja auch in ihrem eigenen Hause behalten, sagte sie, aber sie fürchtete, daß die Leute es sehen könnten und sich dann wunderten, wo ich geblieben sei. Wenn dagegen das Kind nicht in der Stadt war, konnte ich auch fort sein.

 

Und dann ereignete sich dieser schreckliche Unglücksfall, bei dem Dorothy, wie ich damals annehmen mußte, den Tod fand. Jane Groat sah sofort den Vorteil, der sich für sie daraus ergab. Irgendwie hatte sie von dem Inhalt des Testaments meines Mannes erfahren. Ich selbst hatte damals keine Ahnung davon. Als er bald darauf aus Amerika zurückkehrte, ging, sie sofort zu ihm und erklärte ihm, daß ich wegen Ladendiebstahls verhaftet und verurteilt worden sei und daß Dorothy, um die ich mich nicht gekümmert hätte, den Tod gefunden habe.

 

Mein Mann regte sich so sehr darüber auf, daß er einen Herzschlag bekam und starb. Man fand ihn tot in seinem Büro, nachdem seine Schwester gegangen war. Einen Tag, bevor ich aus dem Gefängnis entlassen wurde, erhielt ich einen Brief von Jane, in dem sie mir brutal diese Tatsachen mitteilte. Sie machte nicht den geringsten Versuch, mir die Nachricht von dem Tod meines Kindes vorsichtig beizubringen. Der ganze Brief schien nur in der Absicht abgefaßt worden zu sein, meine Gesundheit und womöglich mein Leben in Gefahr zu bringen. Glücklicherweise besaß ich das Haus in der Stadt.

 

Kurz nach meiner Entlassung erbte mein Vater ein großes Vermögen, das durch seinen Tod auf mich überging. Ich war nun in der Lage, Nachforschungen nach Dorothy anzustellen, und ich habe all diese langen Jahre hindurch nichts unversucht gelassen, sie zu finden. Der Zweifel am Tod meines Kindes gründete sich auf mein Mißtrauen Jane gegenüber. Ich glaubte immer, sie halte sie irgendwo versteckt. Durch das Zeichen der blauen Hand wollte ich sie terrorisieren und zu einem Geständnis bringen. Nun habe ich damit nur meine Tochter erschreckt.«

 

Salter hatte schweigend der Erzählung dieser Begebnisse gelauscht.

 

»Damit ist nun auch das letzte Geheimnis gelöst«, sagte er.

 

Kapitel 30

 

30

 

Digby Groat machte eine unerwartete Reise nach dem Westen.

 

Ein guter Feldherr bereitet, selbst wenn er siegreich ist, seinen Rückzug vor, und Digby hatte längst an Kennett Hall als eine Zuflucht gedacht, wenn er in Bedrängnis käme.

 

Kennett Hall gehörte zu den Ländereien, die seine Mutter geerbt hatte, und die erst an das. Syndikat verkauft werden konnte, wenn er ihre Unterschrift beigebracht hatte.

 

Er hatte seinen Wagen am frühen Morgen dorthin geschickt. Aber er selbst war mit dem Zug gefahren. Sein staubbedeckter Wagen wartete vor dem Bahnhof. Die wenigen Beamten sahen Digby nicht gerade freundlich nach, als er den Bahnsteig verließ.

 

»Da ist Mr. Groat, der Eigentümer von Kennet Hall«, sagte der Pförtner zu dem alten Stationsmeister.

 

»Schon gesehen. Es war ein böser Tag für unseren Ort, als das Gut in den Besitz der Mrs. Jane Groat überging. Sie ist keine gute Frau.«

 

Digby hörte nichts von dem schlechten Urteil, das man über seine Mutter und ihn fällte, als er auf der hügeligen Straße nach Kennett Hall fuhr. Die schmiedeeisernen Tore erwiesen sich als Prachtstücke der Rokokokunst, aber die Wachhäuschen zu beiden Seiten des Eingangs waren häßliche, kleine Bauten aus der Zeit der Königin Victoria. Seit zwanzig Jahren standen sie unbenutzt und sahen zerfallen und verkommen aus. Unkraut bedeckte die schönen Blumenbeete, deren Farbenpracht einst eine herrliche Zierde des Anwesens war. Den geschotterten Fahrweg konnte man kaum mehr von dem Rasen unterscheiden.

 

Der Verwalter eilte zum Tor, um aufzuschließen. Es war ein mürrischer Mann von ungefähr fünfzig Jahren. Auch der Anblick seines Herrn stimmte ihn nicht freundlicher.

 

»Ist jemand hier gewesen?« fragte Digby.

 

»Nein, Sir, nur der Flugzeugführer.«

 

»Steigen Sie aufs Trittbrett«, sagte Digby kurz.

 

Der Wagen durchfuhr eine lange Ulmenallee, wandte sich dann zur Rechten und hielt vor einem baumlosen Abhang, der zu der untersten Terrasse führte. Alle Schönheit der Natur von Somerset konnte den traurigen Eindruck nicht verwischen, den das Herrenhaus machte. Geländer und Terrassen waren zerfallen, und Wind und Wetter hatten dem Gebäude übel mitgespielt. Die Fassade sah verkommen und schmutzig aus, die dunklen, staubigen Fenster starrten trostlos auf die schöne Welt.

 

Digby war nicht deprimiert durch den Anblick des zerfallenen Hauses. Er kannte es schon und hatte früher einmal die Absicht gehabt, es niederzureißen und einen modernen Bau an seiner Stelle errichten zu lassen.

 

Masters schloß die große Haustür auf und folgte seinem Herrn.

 

Im Innern war der Verfall noch mehr als draußen zu erkennen. Als sie in die Eingangshalle traten, hörten sie Tiere forthuschen.

 

»Ratten sind auch hier?«

 

»Ja«, erwiderte Masters resigniert, »sogar unheimlich viele. Ich habe schon genug damit zu tun, sie aus meiner Wohnung fernzuhalten. Aber hier im Ostflügel ist es geradezu fürchterlich; ich hatte auch schon einmal Terrier und Frettchen.«

 

»Ist der Flugzeugführer im Haus?«

 

»Er hat eben gefrühstückt.«

 

Digby folgte dem Verwalter durch einen langen, dunklen Gang und trat durch die Tür, die der andere öffnete.

 

Der bärtige Villa nickte ihm vergnügt zu. Er trug noch Fliegerkleidung.

 

»Gut, daß Sie da sind«, sagte Digby.

 

»Ich bin glücklich hierhergekommen, aber das ist eigentlich nur durch die Gnade der Götter geschehen. Ich bin an diese leichte Maschine nicht gewöhnt. Es ist besser, wenn Bronson sie zurückbringt.«

 

Digby nickte, nahm einen Stuhl und setzte sich ihm gegenüber, »ich habe Bronson den Auftrag gegeben, hierherzukommen; ich erwarte ihn heute abend.«

 

Masters war gegangen, und Villa wartete, bis seine Schritte verklangen. »Was ist eigentlich los? Sie wollen doch nicht etwa Ihren Wohnsitz verlegen?«

 

»Das kann ich nicht sagen«, erwiderte Digby kurz. »Der Flugplatz in Seaford wird dauernd beobachtet, wenigstens Steele ist alarmiert und weiß, daß ich ein Flugzeug benützen will, oder er vermutet so etwas. Ich habe mich daher entschlossen, Privatpiloten zu nehmen.«

 

»Dieses Haus eignet sich aber auch nicht sehr für Sie«, meinte Villa und schüttelte den Kopf. »Warum kommen Sie überhaupt hierher? Hier können Sie doch nur für kurze Zeit Ihr Hauptquartier aufschlagen. Steht die Sache denn schlecht?« fragte er plötzlich.

 

»Es kann sein, daß jeder sehen muß, wie er sich rettet. Aber ich hoffe, daß es nicht dazu kommt. Alles hängt davon ab –«; er beendete den Satz nicht und fragte plötzlich unvermittelt: »Wie weit liegt die Küste von hier entfernt?«

 

»Die ist sehr nahe. Ich bin in einer Höhe von zweitausend Metern geflogen und konnte den Kanal von Bristol deutlich sehen.«

 

Digby fuhr mit der Hand über die Stirn und sah nachdenklich auf den Tisch.

 

»Ich kann Ihnen ja trauen, Villa, und ich muß Ihnen jetzt sagen, so sehr Sie diese schnellen, leichten Flugzeuge auch hassen, müssen Sie sich doch bereit halten, mich mit einer solchen Maschine in Sicherheit zu bringen. Ich wiederhole, daß es nicht zu dieser Flucht kommen wird, soweit ich die Sache überschauen kann, aber wir müssen auf alles vorbereitet sein. In der Zwischenzeit habe ich noch einen Auftrag für Sie. Sie sollten nicht nur die Maschine herbringen, als ich Sie rufen ließ.«

 

Villa hatte das auch vermutet.

 

»Sie haben wahrscheinlich in den Zeitungen schon von dem reichen, brasilianischen Pflanzer Maxilla gelesen. Er hält sich jetzt in Deauville auf.«

 

»Meinen Sie den Spieler?« fragte Villa erstaunt. – Digby nickte.

 

»Ich weiß zufällig, daß er in der letzten Zeit sehr viel Pech gehabt hat. In der letzten Woche hat er etwa zwanzig Millionen Franken verloren. Aber das ist nicht sein einziger Verlust. Er hat auch in Aix und in San Sebastian gespielt, und soweit ich weiß, ist er in einer ziemlich verzweifelten Lage.«

 

»Aber er ist noch lange nicht am Ende«, sagte Villa. »Ich kenne den Mann, er ist so reich wie Krösus. Ich habe seine Jacht gesehen, als Sie mich nach Le Havre schickten. Ein ganz wundervolles Schiff, das etwa eine Viertelmillion wert ist. Er hat ein paar Hundert Quadratmeilen Kaffeeplantagen in Brasilien –«

 

»Das weiß ich alles«, unterbrach ihn Digby ungeduldig. »Die Hauptsache für mich ist, daß er im Augenblick kein Geld hat, kein flüssiges Geld. Wir wollen nicht lange darüber sprechen, Villa. Hören Sie zu. Gehen Sie nach Deauville, nehmen Sie Ihre Maschine, und fliegen Sie hin. Sprechen Sie mit Maxilla – Sie sprechen doch portugiesisch?«

 

»Wie ein Eingeborener. Ich habe längere Zeit in Lissabon gelebt.«

 

»Sie werden also mit Maxilla sprechen, und wenn er Geld braucht, wie ich vermute, dann bieten Sie ihm hunderttausend Pfund für seine Jacht. Es ist ja möglich, daß er den doppelten Kaufpreis fordert, und Sie müssen damit rechnen, auch so viel zu zahlen. Maxilla steht gerade nicht in dem besten Ruf, und wahrscheinlich wird die brasilianische Schiffsbesatzung froh sein, wenn das Schiff verkauft wird. Wenn es Ihnen gelungen ist, das Schiff zu bekommen, senden Sie mir ein Telegramm. Das Schiff soll in den Kanal von Bristol gebracht werden, wo die Kohlen eingenommen werden.«

 

»Es ist ein Turbinendampfer mit Ölfeuerung.«

 

»Nun gut, dann wird er dort eben Öl fassen und Vorräte, die ausreichen, um einen Monat auf See zu bleiben. Der Kapitän soll direkt in meine Londoner Wohnung kommen, um meine Befehle entgegenzunehmen. Der Erste Offizier kann das Schiff ja hinbringen. Haben Sie meinen Auftrag richtig verstanden?«

 

»Mit Ausnahme von zwei Dingen habe ich alles richtig begriffen, mein lieber Freund«, sagte Villa liebenswürdig. »Erstens einmal muß ich Geld haben, wenn ich diese Jacht kaufen soll.«

 

»Das werde ich Ihnen natürlich mitgeben.«

 

»Zweitens – was verdient der arme Villa bei der Sache?«

 

»Sie werden nicht schlecht dabei fahren.«

 

»Dann ist alles in Ordnung.«

 

»Maxilla darf unter keinen Umständen wissen, daß ich der Käufer bin. Entweder kaufen Sie das Schiff auf Ihren eigenen Namen oder für einen reichen kubanischen Pflanzer oder meinethalben für einen Freund, dessen Namen Sie nicht nennen. Ich werde den Kapitän und die Schiffsmannschaft schon zum Schweigen veranlassen, wenn ich erst an Bord bin. Sie fliegen heute abend noch nach Deauville ab.«

 

Digby hatte auch noch andere Vorkehrungen zu treffen, und Masters erhielt den Befehl, zwei kleine Zimmer in Ordnung zu bringen, einzurichten und mit Betten und Möbeln zu versehen. Masters war ganz verwirrt.

 

»Was fällt Ihnen denn ein?« sagte Digby ärgerlich. »Wenn keine Betten hier sind, dann fahren Sie eben nach Bristol oder in eine andere naheliegende Stadt, kaufen Betten und bringen Sie mit einem Auto hierher. Es ist ganz gleich, was es kostet. Bringen Sie auch Teppiche mit.« Er legte ein Paket Banknoten auf den Tisch, und Masters, der noch nie in seinem Leben eine so große Geldsumme in der Hand gehalten hatte, wäre beinahe vor Staunen umgefallen.

 

Kapitel 31

 

31

 

Digby Groat fuhr im Auto zur Stadt zurück und erreichte sein Haus am Grosvenor Square zum Dinner. Er speiste schnell und ging dann hinauf, um sich umzuziehen.

 

Er ging an Eunices Zimmer vorbei und fand Jackson auf einem Stuhl vor der Tür sitzen.

 

»Sie ist jetzt ruhig«, sagte der Mann grinsend. »Ich habe die Fenster geschlossen, die Fensterläden heruntergelassen und ihr gesagt, daß sie sich still zu verhalten habe, wenn ich nicht böse mit ihr umgehen soll.«

 

»Und wie steht es mit meiner Mutter? Haben Sie ihr die kleine Schachtel mit den Pillen gegeben?«

 

Jackson grinste aufs neue.

 

»Die ist jetzt zufrieden. Ich habe niemals gewußt, daß sie Morphinistin ist.«

 

»Es ist ganz gleich, was Sie wissen oder nicht wissen«, erwiderte Digby scharf.

 

Er mußte noch ausgehen, denn Lady Waltham gab am Abend einen Hausball. Es waren auch mehrere Mitglieder des Syndikats unter den Gästen, und einer derselben nahm ihn während des Tanzes beiseite.

 

»Sind denn schon alle Papiere für morgen früh in Ordnung?« fragte er.

 

Digby nickte.

 

»Einige Mitglieder des Syndikats sind darüber erstaunt, daß Sie bar ausgezahlt sein wollen«, sagte er und sah Digby lächelnd an.

 

Mr. Groat zuckte die Schultern.

 

»Sie vergessen, mein Lieber«, entgegnete er liebenswürdig, »daß ich nur ein Agent in dieser Angelegenheit bin und für meine etwas exzentrische Mutter handle.«

 

»Das hatte ich mir auch schon gedacht. Aber die Papiere werden doch in Ordnung sein? Hat Ihre Mutter auch schon die Unterschrift geleistet?«

 

Digby erinnerte sich innerlich fluchend daran, daß er versäumt hatte, ihre Unterschrift einzuholen. Sobald er konnte, verabschiedete er sich und kehrte nach Grosvenor Square zurück.

 

Das Zimmer seiner Mutter war verschlossen. »Wer ist da?« fragte sie erregt.

 

»Ich bin es, Digby.«

 

»Ich werde lieber morgen früh mit dir sprechen.«

 

»Ich will dich aber jetzt sehen«, verlangte Digby. »öffne die Tür.«

 

Es dauerte einige Zeit, bis sie gehorchte. Sie hatte ihren Schlafrock an, und ihr gelbes Gesicht war grau vor Furcht.

 

»Es tut mir leid, daß ich dich störe, Mutter, aber ich habe hier ein Dokument, das noch heute abend unterschrieben werden muß.«

 

»Ich habe doch schon alles getan, was du wolltest«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Habe ich es denn nicht getan, mein Junge?«

 

Sie hatte nicht die geringste Ahnung, daß sie durch diese Unterschrift Ihr ganzes Vermögen verlieren würde.

 

»Könnte ich es nicht morgen früh unterzeichnen?« bat sie. »Meine Hand zittert jetzt so.«

 

»Hier schreibst du deinen Namen hin«, fuhr er sie hart an, und sie gehorchte.

 

*

 

Das Nordland-Syndikat war nur eine Abteilung einer großen Finanzgruppe und eigentlich nur ins Leben gerufen worden, um die Dantonschen Liegenschaften zu erwerben.

 

In einem großen, schön möblierten Sitzungszimmer warteten die Mitglieder des Syndikats. Man sah Lord Waltham unter ihnen, Hugo Vindt, den reichen Bankier, der seine Hände in allen möglichen Geschäften hatte, und Felix Strathelan, den bekannten Lebemann, der einer der schlauesten Landspekulanten in ganz England war.

 

Als vierter trat eben Rechtsanwalt Mr. Bennett ein. Er trug eine schwarze Mappe unter dem Arm, die er vor sich auf den Tisch legte.

 

»Guten Morgen, meine Herren«, sagte er nur kurz. Er hatte längst aufgehört, große Achtung vor diesen reichen Finanzleuten zu haben.

 

»Guten Morgen, Bennett«, erwiderte der Lord. »Haben Sie Ihren Klienten heute schon gesehen.«

 

Mr. Bennett sah unfreundlich drein, als er seine Mappe öffnete.

 

»Nein, Mylord.« Er zeigte durch sein Benehmen, daß er mit Digby Groat nicht in den besten Beziehungen stand und nicht viel von ihm hielt.

 

»Dieser Groat ist doch ein merkwürdiger Mensch«, meinte Bankier Vindt lachend. »Er ist kein Geschäftsmann und stellt trotzdem so scharfe Bedingungen. Ich würde ihn eigentlich nicht für einen Engländer halten, er sieht mehr wie ein Südländer aus. Meinen Sie nicht auch, Lord Waltham?«

 

Der Lord nickte.

 

»Die Groats sind eine sonderbare Familie. Wissen Sie auch, daß seine Mutter Kleptomanin ist?«

 

»Um Gottes willen!« rief Strathelan erstaunt. »Das fehlte noch gerade!«

 

»Sie ist jetzt eine verrückte alte Frau, aber sie gehörte einst zu den schönsten Frauen Londons. Früher verkehrte sie viel in unserer Familie, und wir entdeckten jedesmal, wenn sie uns besucht hatte, daß irgendein kleines Schmuckstück fehlte, das meistens keinen großen Wert hatte. Aber einmal war auch ein sehr wertvolles Armband meiner Tochter mit ihr verschwunden. Mir war die Sache sehr unangenehm, aber als ich mit Groat sprach, hat er mir mein Eigentum sofort zurückerstattet. Damals kam es auch heraus, daß sie an dieser Krankheit litt. Aber im Grunde ist sie doch eine glückliche Frau.«

 

»Das würde ich nun gerade nicht sagen, weil sie diesen Sohn hat«, erwiderte Strathelan lächelnd.

 

»Sie hat trotzdem großes Glück«, behauptete der Lord. »Wäre Dantons Kind damals nicht umgekommen, so wären die Groats so arm wie Kirchenmäuse.«

 

»Haben Sie eigentlich Lady Mary gekannt, Mylord?« fragte Vindt.

 

»Ich habe beide gekannt – Lady Mary und ihr Kind. Wir verkehrten viel mit den Dantos und luden uns gegenseitig ein. Es war ein hübsches Kind.«

 

»Welches Kind meinen Sie?« hörte man eine Stimme aus dem Hintergrund.

 

Digby Groat war in seiner geräuschlosen Art in das Zimmer getreten und hatte die Tür des Sitzungszimmers leise hinter sich geschlossen. Erst als er die Frage stellte, nahmen die anderen seine Gegenwart wahr.

 

»Wir sprachen gerade über Lady Marys kleine Tochter – Ihre verstorbene Kusine.«

 

Digby Groat lächelte verächtlich.

 

»Es wird uns nicht weiterbringen, über sie zu sprechen.«

 

»Können Sie sich denn überhaupt auf sie besinnen?« fragte Lord Waltham.

 

»Nur ganz dunkel. Ich kümmerte mich nicht gerade viel um kleine Kinder. Ich kann mich daran erinnern, daß sie früher einmal in unserem Hause war. Sie schrie und heulte dauernd. Haben Sie alles in Ordnung gebracht, Bennett?«

 

Der Rechtsanwalt nickte.

 

»Hier ist auch das Dokument, dessen Unterschrift Sie von mir verlangten.« Digby nahm das Schreiben aus seiner Mappe und übergab es dem Rechtsanwalt, der es öffnete und bedächtig las.

 

»Also, das wäre in Ordnung. Nun wollen wir zum Geschäftlichen kommen, meine Herren.«

 

Alle nahmen ihre Plätze am Tisch ein.

 

»Ihre Forderung, Groat, das Geld in bar ausgezahlt zu erhalten, war eine schwer zu erfüllende Bedingung«, sagte Lord Waltham und öffnete einen kleinen Kasten, der neben ihm auf dem Tisch stand, »Ich habe nicht gern viel Geld in meinem Büro, und wir mußten deswegen zwei besondere Wachleute anstellen.«

 

»Aber das kommt doch bei der Sache heraus«, meinte Digby gutgelaunt. Er beobachtete gespannt, wie der Lord ein Paket Banknoten nach dem anderen herausnahm und auf den Tisch zählte.

 

Der Rechtsanwalt drehte ein Schriftstück um und reichte Digby eine Feder.

 

»Bitte, unterschreiben Sie hier, Mr. Groat.«

 

In diesem Augenblick wandte sich Hugo Vindt nach dem Sekretär um, der in den Raum getreten war.

 

»Ist das für mich?« fragte er und zeigte auf einen Brief, den der Mann in der Hand hielt.

 

»Nein, für Mr. Bennett.«

 

Bennett nahm das Schreiben an sich, schaute auf den Absender und runzelte die Stirn.

 

»Es ist von Salter, und es steht ›Dringend und wichtig‹ darauf.

 

»Die Sache hat doch wohl Zeit, bis wir das Geschäft beendet haben«, sagte Digby ungeduldig.

 

»Es ist besser, wir öffnen es gleich.« Der Rechtsanwalt machte den Brief auf und las ihn sorgfältig durch.

 

»Was hat er denn geschrieben?« fragte Digby.

 

»Ich fürchte, der Verkauf kann nicht vorgenommen werden«, antwortete Mr. Bennett langsam. »Salter hat ein Caveat gegen den Verkauf der Liegenschaften eingebracht.«

 

Digby sprang wütend auf.

 

»Wie kann er das machen – er hat ja gar kein Recht dazu!« rief er wild. »Er ist doch nicht mehr mein Anwalt. Wer hat ihn denn dazu ermächtigt?«

 

Bennett sah ihn sonderbar an.

 

»Dieses Caveat«, sagte er und betonte jedes Wort, »hat Salter im Auftrage von Dorothy Danton beantragt, die nach diesem Brief noch am Leben ist.«

 

Ein peinliches Schweigen trat ein.

 

»Das ändert natürlich die Sache«, sagte Bankier Vindt plötzlich. »Sie wissen doch, Groat, was dieses Caveat bedeutet?«

 

»Aber ich bestehe darauf, daß die Übereignung vollzogen wird! Das ist doch nur eine Schikane von diesem alten verrückten Salter! Jeder Mensch weiß, daß Dorothy Danton längst tot ist. Sie starb durch einen Unglücksfall vor zwanzig Jahren.«

 

»Trotzdem können wir angesichts dieses Einspruches nichts weiter unternehmen«, sagte Lord Waltham ruhig. »Wir sind als Käufer nachher für allen Schaden verantwortlich.«

 

»Aber ich werde die Übereignungsurkunde unterschreiben«, erwiderte Digby heftig.

 

»Das ist ganz gleich, selbst wenn Sie zwanzigmal Ihre Unterschrift daruntersetzen. Würden wir Ihnen das Geld zahlen, und es stellte sich später heraus, daß es das rechtmäßige Erbe von Miss Danton ist, dann haben wir unser ganzes Geld verloren und müssen ihr ihr Eigentum zurückgeben. Nein, Groat, wenn das nur, wie Sie sagen eine Schikane ist, können wir uns an jedem anderen Tage wieder treffen, sobald alles geklärt ist. Wir möchten die Ländereien sehr gern erwerben. Aber ich kann mir nicht denken, daß ein Mann von Salters Stellung, Alter und Erfahrung einen derartigen Einwand nur aus Schikane vorbringt.«

 

Die anderen stimmten ihm bei.

 

»Im Augenblick können wir also nichts unternehmen – das müssen Sie als Geschäftsmann einsehen.«

 

Digby war außer sich vor Wut, als er sah, daß die Banknoten wieder in den Kasten zurückgelegt wurden.

 

»Nun gut«, sagte er schließlich. Sein Gesicht war bleich. Er überschaute sofort die möglichen Entwicklungen. Sollte ihm dieser Plan, zu Geld zu kommen, nicht gelingen, so mußte er eben andere Maßregeln ergreifen. Er durfte keine Zeit verlieren, bevor Mr. Salter einen weiteren Schritt gegen ihn einleitete.

 

Er drehte sich wortlos um und eilte die Treppe hinunter. Vor dem Tor wartete sein Wagen.

 

»Zur Third National Bank«, rief er dem Fahrer zu, als er einstieg.

 

Er wußte, daß seine Mutter dort ein Bankguthaben von etwa hunderttausend Pfund hatte. Sie war ihr ganzes Leben furchtbar sparsam, um nicht zu sagen geizig gewesen und hatte dieses Vermögen aus den Einkünften des Dantonschen Besitzes aufgehäuft. Digby ahnte sehr wohl, daß Salter nicht aufs Geratewohl diesen Einspruch erhoben hatte. Sicher konnte er sich auf ganz positive Tatsachen stützen. Wo mochte nur diese Dorothy Danton plötzlich herkommen? Wer war sie? Digby fluchte. Auf jeden Fall wollte er sichergehen und alles Geld, das irgendwie einzukassieren war, abheben. Mit diesem Gedanken stieg er aus dem Wagen. Er wünschte nur, daß er Villa das Geld seiner Mutter zum Kauf der Jacht gegeben hätte. Statt dessen hatte er die Summe von dem enormen Bankguthaben der Bande der Dreizehn gezogen.

 

Er wurde in das Büro des Bankdirektors gerufen und glaubte zu erkennen, daß dessen Gruß kühler als sonst war.

 

»Guten Morgen, Mr. Stevens. Ich möchte den größten Teil des Guthabens meiner Mutter abheben und wollte vorher mit Ihnen darüber sprechen.«

 

»Es ist gut, daß Sie das tun wollen, Mr. Groat. Nehmen Sie, bitte, Platz.« Der Direktor fühlte sich anscheinend nicht recht wohl. »Ich bin nämlich nicht in der Lage, Ihnen einen Scheck zu honorieren, den Sie auf das Konto Ihrer Mutter ziehen.«

 

»Was soll denn das bedeuten?« fragte Digby.

 

»Es tut mir leid«, erwiderte der Direktor mit einem Achselzucken, »aber ich habe heute morgen eine Nachricht erhalten, daß ein Einspruch erhoben ist und daß das Dantonsche Testament nicht zugunsten Ihrer Mutter durchgeführt werden kann. Ich habe bereits unsere Direktion benachrichtigt, die sich wegen der juristischen Seite der Sache mit unseren Rechtsanwälten in Verbindung setzen wird. Aber da Mr. Salter uns sofort mit der Klage droht, wenn wir diesem Einspruch nicht nachkommen, so sehen Sie wohl ein, daß ich Ihnen nichts von dem Geld Ihrer Mutter aushändigen kann. Von Ihrem eigenen Konto können Sie natürlich soviel ziehen wie Sie wollen.«

 

Digbys eigenes Konto repräsentierte auch eine beträchtliche Summe.

 

»Nun gut«, sagte er nach kurzem Nachdenken. »Lassen Sie mich bitte wissen, wie hoch mein Konto ist. Ich will dann alles Geld abheben und mein Konto bei Ihrer Bank schließen.«

 

Digby war wieder ganz ruhig und konnte klar und kühl denken. Er wollte nicht das Unmögliche versuchen und mit dem Kopf gegen eine Granitmauer rennen. Diesem kaltblütigen Rechtsanwalt mußte er mit Umsicht und Schlauheit begegnen. Salter war verteufelt klug und hatte alle einschlägigen Bestimmungen in den Fingerspitzen. Äußerste Vorsicht war geboten.

 

Glücklicherweise befand sich das Guthaben der Dreizehn auf einer anderen Bank. Wenn es zum letzten kommen sollte, konnte er ja elf von den dreizehn im Stich lassen. Sie mochten sehen, wie sie fertig wurden.

 

Der Direktor kam zurück und reichte ihm ein Blatt Papier über den Tisch, auf dem die Abrechnung seines Kontos verzeichnet war. Einige Minuten später ging Digby zu seinem Wagen zurück. Seine Taschen waren aufgebauscht von den vielen Banknoten, die er bei sich trug.

 

Ein großer, bärtiger Mann stand auf dem Bürgersteig, als er hinaustrat. Digby sah ihn neugierig an und wußte sofort, daß es ein Detektiv war. Diese Tatsache machte ihn nachdenklich. Befaßte sich die Polizei schon mit ihm? Oder war es nur ein Privatdetektiv, den Salter gegen ihn ausgesandt hatte?

 

Er entschied sich für das letztere und hatte damit recht.

 

Als er nach Hause zurückkehrte, fand er ein Telegramm vor, das Villa gesandt hatte. Es war nur kurz, aber er war mit dem Inhalt sehr zufrieden.

 

›Kaufte Pealigo hundertzwölftausend Pfund. Schiff unterwegs nach Avonmouth. Bringe Kapitän per Flugzeug. Komme Grosvenor Square neun Uhr abends.‹

 

Sein Gesicht hellte sich auf, als er das Telegramm zum zweitenmal las. Er lächelte, als er an Eunice dachte. Seine Lage war noch nicht verzweifelt, sie hatte sogar ihr Gutes.

 

Kapitel 32

 

32

 

Eunice saß in dem durch Fensterläden verdunkelten Raum und versuchte zu lesen, als Digby Groat in das Zimmer kam. Sie wurde blaß bis in die Lippen und erhob sich.

 

»Guten Abend, Miss Weldon. Ich hoffe, daß Sie sich nicht zu sehr geärgert haben.«

 

»Wollen Sie mir, bitte, erklären, warum man mich hier gefangenhält?« fragte sie atemlos. »Sie wissen doch, daß Sie ein schweres Verbrechen begehen.«

 

Er lachte ihr ins Gesicht.

 

»Nun, wenn schon«, sagte er liebenswürdig. »Eunice, wir können jetzt endlich einmal offen miteinander reden und die Maske fallen lassen. Das ist eine Wohltat. Alle diese vielen Formalitäten und höflichen Redensarten sind mir ebenso lästig wie Ihnen.« Er nahm ihre Hand. »Wie kalt Sie sind, mein Liebling. Aber hier im Zimmer ist es doch so warm!«

 

»Wann kann ich dieses Haus verlassen?« fragte sie mit leiser Stimme.

 

»Sie wollen das Haus und mich verlassen?« Er legte die Handschuhe auf einen Stuhl, Dann faßte er sie an den Schultern. »Sie meinen wohl, wann wir zusammen das Haus verlassen? So lautet die Frage besser und richtiger. Wie hübsch Sie doch sind, Eunice!«

 

Plötzlich erkannte sie ihre Lage. Die Maske war gefallen, wie er gesagt hatte, und sie sah die Niedertracht und Bosheit seines Charakters in seinem Blick.

 

Aber sie leistete ihm keinen Widerstand. Sie stand nur kalt und steif wie eine Marmorstatue vor ihm. Sie bewegte sich auch nicht, als er ihr Gesicht in seine Hände nahm und seine Lippen die ihren berührten. Sie schien vollständig zu Eis erfroren zu sein und starrte ihn nur. mit ihren großen Augen unverwandt an.

 

»Eunice, ich muß Sie besitzen! Ich habe mich schon die ganze Zeit nach Ihnen gesehnt. Ich wählte Sie unter allen Frauen der Welt. Ich habe auf Sie gewartet, und nun habe ich Sie! Es ist niemand auf der Welt, Eunice, nur wir beide – du und ich. Hörst du mich, mein Liebling?«

 

Aber plötzlich kam sie zu sich und stieß ihn mit Aufbietung all ihrer Kräfte von sich. Ihre Augen öffneten sich weit vor Entsetzen, als ob sie einem wilden Tier oder einer giftigen Schlange gegenüberstände. Unter ihrem Blick loderte seine Leidenschaft nur von neuem auf. Er sprang auf sie zu, aber sie schlug ihn in ihrer Verzweiflung zweimal mit der geballten Faust ins Gesicht. Mit einem unterdrückten Wutschrei taumelte er zurück. Bevor er sie wieder erreichen konnte, war sie in den Baderaum geflohen und hatte die Tür zugeriegelt. Minutenlang stand er vor der Tür und forderte Einlaß, dann ging er langsam zurück, trat vor den Spiegel und betrachtete sich.

 

»Sie hat mich geschlagen«, murmelte er. Er war kreidebleich geworden. »Sie hat mich tatsächlich geschlagen!« Aber dann lachte er böse.

 

Für jeden Schlag, für jede Berührung eines Fingers, der an seine Wange gekommen war, sollte sie büßen. Schmerz und Schrecken sollten über sie kommen; sie sollte sich den Tod wünschen, sollte vor ihm auf den Knien liegen und seine Füße flehend umfassen. Er atmete schneller und wischte den Schweiß von seiner Stirn.

 

Als er das Zimmer verließ, schloß er die Tür hinter sich zu. Während er noch die Hand am Drücker hielt, hörte er ein Geräusch und sah den Gang entlang. Seine Mutter stand im Eingang zu ihrem Zimmer.

 

»Digby«, rief sie mit befehlender Stimme, »komm her zu mir!« Er war so erstaunt, daß er ihr gehorchte.

 

Sie hatte sich wieder auf ihren Stuhl gesetzt, als er das Zimmer betrat.

 

»Was willst du von mir?«

 

»Schließ die Tür und setz dich.«

 

Er starrte sie entsetzt an. Es war schon über ein Jahr her, daß sie so mit ihm gesprochen hatte.

 

»Was, zum Teufel, bildest du dir ein, daß du mir hier Befehle geben willst –«

 

»Setz dich hin«, erwiderte sie ruhig.

 

Plötzlich war ihm der Zusammenhang klar. »Du hast wieder Morphium genommen, alter Teufel!«

 

»Willst du dich wohl hinsetzen, mein Kind?« fragte sie strenge. »Setz dich, Digby Estremada! Ich will mit dir sprechen.«

 

Sein Gesicht zuckte. »Du – du –« begann er aufs neue.

 

»Ganz still! Sage mir, was du mit meinem Vermögen gemacht hast!«

 

Er sah sie an, als ob er seinen Ohren nicht trauen könne.

 

»Was hast du mit meinem Vermögen gemacht?« wiederholte sie. »Ich war töricht genug, dir eine Generalvollmacht durch den Notar ausstellen zu lassen. Was hast du damit gemacht? Hast du alle Ländereien verkauft?«

 

Er war so überrascht, daß er ihr Rede und Antwort stand. »Man hat einen Einspruch oder so was Ähnliches dagegen erhoben, so daß ich nicht verkaufen konnte.«

 

»Ich hoffte, daß man es tun würde!«

 

»Was – das hast du gehofft?« rief er laut und erhob sich.

 

Aber mit einer gebieterischen Handbewegung brachte sie ihn wieder zum Sitzen. Er fuhr sich mit der Hand über die Augen wie jemand, der plötzlich aus einem Traum erwacht. Wie, die alte Frau wagte es, ihm zu befehlen? Und er hatte ihr widerspruchslos gehorcht! Er hatte ihr Morphium gegeben, um sie zu beruhigen, und nun war sie wieder Herrin ihrer selbst und der ganzen Lage!

 

»Warum hat man denn den Verkauf verhindert?«

 

»Weil dieser alte verrückte Salter einen Eid darauf leistet, daß das Kind noch lebt – ich meine Dorothy Danton, das kleine Mädchen, das damals in der Nähe von Margate ertrunken ist!« Er sah wie ein Lächeln um ihre Lippen spielte, und wunderte sich darüber.

 

»Sie lebt!«

 

Er starrte sie in sprachlosem Erstaunen an. »Dorothy Danton lebt?« rief er. »Du bist wahnsinnig, du bist verrückt, du alte Närrin. Sie ist längst tot; schon vor zwanzig Jahren ist sie ertrunken!«

 

»Ich möchte nur wissen, wodurch sie wieder zum Leben erweckt wurde. Woher wußte man denn, daß es Dorothy war? Du bist an allem schuld. Das sind die Folgen deiner niederträchtigen Handlungsweise, Du bist nur ihr Werkzeug, du Narr!«

 

Er hatte sich wieder in der Gewalt. »Du wirst mir jetzt alles sagen, was du weißt, oder bei Gott, es wird dir leid tun, daß du überhaupt den Mund aufgemacht hast!«

 

»Du hast sie gezeichnet; daran hat man sie doch überhaupt erst wiedererkannt!«

 

»Was habe ich getan?«

 

»Erinnerst du dich nicht, Digby?« Sie sprach schnell und schien eine Freude daran zu haben, ihm wehe zu tun. »Es waren einmal ein Baby und ein grausamer kleiner Junge, der ein Halbschillingstück erhitzte, und es auf das Handgelenk des Kindes drückte.«

 

Plötzlich kam ihm alles wieder ins Gedächtnis zurück. Er hörte wieder das Wehgeschrei des kleinen Wesens, er sah wieder den großen Raum mit den altmodischen Möbeln. Vom offenen Fenster aus konnte man in den Garten blicken und die Bienen summen hören … er erinnerte sich an die kleine Spirituslampe, an der er die Münze erhitzt hatte …

 

»Mein Gott«, stöhnte Digby, »ich besinne mich darauf!«

 

Einen Augenblick schaute er in das häßliche, schadenfrohe Gesicht seiner Mutter, dann wandte er sich kurz um und verließ den Raum.

 

Als er auf den Gang hinaustrat, hörte er ein lautes Klopfen an der Haustür. Schnell ging er in sein eigenes Zimmer und eilte zum Fenster.

 

Ein Blick auf die Straße sagte ihm alles, was er wissen wollte. Jim und der alte Salter standen draußen … und hinter ihnen etwa ein Dutzend Detektive.

 

Die Haustür würde noch fünf Minuten standhalten, und so hatte er noch Zeit genug, seinen letzten Plan auszuführen.

 

Kapitel 33

 

33

 

Eine Sekunde später erschien er in Eunice Weldons Zimmer.

 

»Ich muß mit Ihnen sprechen«, sagte er. Ein düsterer und unheimlicher Ausdruck lag in seinem Gesicht. »Meine Liebe, Sie brauchen sich nicht zu fürchten. Ihre Freunde sind draußen und wollen in das Haus einbrechen; in einer halben Stunde werden Sie frei sein. Ich will Sie nur in eine Lage bringen, die Sie hindert, Aussagen gegen mich, zu machen, bis ich aus dem Hause bin und genügend Vorsprung habe. Nein, ich will Sie nicht töten«, sagte er fast lachend, »und wenn Sie nicht vernünftig genug sind, einzusehen, warum ich das tun muß, sind Sie eine Närrin. – Aber Sie sind doch so klug, Eunice.«

 

Sie sah etwas Helles, Glänzendes in seiner Hand und schrak entsetzt vor ihm zurück.

 

»Rühren Sie mich nicht an!« rief sie atemlos. »Ich schwöre Ihnen, daß ich nichts verraten will!«

 

Aber er hatte sie schon am Arm ergriffen.

 

»Wenn Sie schreien oder Spektakel machen«, sagte er drohend, »werden Sie es bitter zu bereuen haben.«

 

Plötzlich fühlte sie einen Stich in ihrem Arm und versuchte ihn fortzuziehen, aber er hielt sie wie mit eiserner Klammer fest.

 

»Nun ist ja alles gut – es hat doch gar nicht weh getan.«

 

Sie hörte ihn furchtbar fluchen, und als er ihr sein Gesicht zuwandte, war es dunkelrot vor Wut.

 

»Sie haben die Haustür eingebrochen«, sagte er bitter.

 

Sie ging auf ihn zu. Ihr Gesicht war merkwürdig ruhig. »Gehen Sie jetzt?« fragte sie nur.

 

»In ein paar Minuten werden wir gehen«, sagte Digby und betonte das ›Wir‹ sehr scharf.

 

Aber auch das schien sie kaum zu bemerken. Sie war in einen merkwürdig apathischen Zustand verfallen. Es war ihr furchtbar schwer, ja geradezu unmöglich, sich darauf zu besinnen, was noch vor einer Minute geschehen war. Sie setzte sich auf einen Stuhl und streichelte nur ihren Arm. Sie wußte doch, daß sie gestochen worden war, aber sie fühlte keinen Schmerz. Es war ihr alles gleichgültig; auch um Digby Groat kümmerte sie sich nicht mehr. Es kam ihr alles so seltsam und doch so angenehm vor.

 

»Setzen Sie Ihren Hut auf«, sagte er, und sie gehorchte. Sie dachte gar nicht daran, sich ihm zu widersetzen.

 

Er führte sie zum Kellergeschoß durch eine Tür, die mit einer Garage in Verbindung stand. Es war nicht der Raum, in dem sein eigener Wagen untergebracht war. Jim hatte sich schon oft den Kopf darüber zerbrochen, warum Digby sein Auto so weit entfernt von seinem Haus untergebracht hatte. Hier stand nur ein geschlossener, Lieferwagen, wie ihn die Firmen gebrauchen, um ihre Waren zu befördern.

 

»Steigen Sie ein«, sagte Digby, und Eunice gehorchte wieder mit einem seltsamen Lächeln.

 

Sie stand unter dem Einfluß einer Mischung von Morphium und Hyacin, die ihr Gedächtnis und ihren Willen zerstört hatte.

 

»Setzen Sie sich auf den Boden«, befahl er, und sie folgte ihm. Er zog, unter dem Führersitz aus dem Kasten eine alte Chauffeurjacke hervor, die früher einmal hellgrau gewesen, jetzt aber durch Farbe und Schmutz befleckt war. Er knöpfte sie bis oben zu, dann holte er noch eine alte Kappe hervor, stülpte sie über den Kopf und zog den Schirm so tief ins Gesicht, daß er seine Augen fast bedeckte.

 

Dann öffnete er die Tür der Garage, die in eine Hintergasse führte. Mit Ausnahme einer Frau, die mit einem Milchmann sprach, war niemand zu sehen, und auch die beiden waren so sehr in ihre Unterhaltung vertieft, daß sie nicht auf den Wagen achteten.

 

Digby Groat zeigte keinerlei Eile. Er stieg wieder vom Fahrersitz herunter, machte das Garagentor zu und verschloß es. Dann zündete er sich eine Pfeife an und fuhr langsam in Richtung nach der Bayswater Road davon.

 

Er hielt nur an einer Tankstelle, um Treibstoff einzunehmen, dann fuhr er, aber stets mit mäßiger Geschwindigkeit, weiter. Er kam durch die Vorstädte, bis er die lange Straße erreichte, die von Staines nach Ascot führt. Hier hielt er an und stieg ab.

 

Er nahm einen kleinen, flachen Kasten aus seiner Tasche, füllte die Spritze wieder, öffnete den Verschlag und schaute in den Wagen.

 

Eunice lehnte mit dem Rücken an der Wand des Autos, und ihr Kopf nickte schläfrig. Sie sah ihn verwirrt an. –

 

»Haben Sie keine Angst.« Digby stieß die Nadel wieder in ihren Arm.

 

Sie verzog das Gesicht vor Schmerz ein wenig und streichelte ihren Arm.

 

»Das tut weh«, sagte sie.

 

Als er aus Ascot herauskam, wurde vor ihm ein Auto von Polizisten angehalten. Auch Digby mußte halten, weil der vordere Wagen ihm den Weg nicht freigab. Gespannt beobachtete er die Untersuchung des Wagens vor ihm.

 

»Wir suchen nach einem Herrn und einer Dame«, sagte einer der Beamten zu den Insassen, als sie den Wagen schnell durchsucht hatten. »Sie können weiterfahren.«

 

Jetzt kam Digby an die Reihe. Er nickte dem Polizisten freundlich zu.

 

»Kann ich passieren?«

 

»Ja.« Der Sergeant gab sich nicht die Mühe, in das Innere des Wagens zu schauen, auf dem der Name einer bekannten Londoner Möbelfirma stand.

 

Digby atmete schneller. Er durfte ein solches Risiko nicht noch einmal auf sich nehmen. An der nächsten Straßenkreuzung würde eine zweite Wegsperre sein. Er mußte nach London zurückfahren; die Polizei würde einen Wagen in der Richtung auf die Stadt nicht anhalten. Er bog also in eine kleine Nebenstraße ein und erreichte die Hauptstraße, indem er einen anderen Wachposten passierte. Die Polizisten nahmen gar keine Notiz von ihm. Sie hielten nur alle Wagen in entgegengesetzter Richtung an, und eine lange Reihe von Autos wartete dort. Es gab viele Plätze, zu denen er Eunice bringen konnte, aber der sicherste war die Garage, die er auf der Rückseite eines Häuserblocks in Paddington gemietet hatte. Diese Garage hatte schon der Bande der Dreizehn die besten Dienste geleistet. Jetzt war sie fast ein ganzes Jahr nicht benutzt worden, nur Jackson war öfter dort gewesen und hatte die Räume in Ordnung gehalten.

 

Er erreichte den Westen Londons, als es zu regnen begann. Alles ging nach Wunsch. Die Straße, in der die Garage lag, war vollkommen verlassen, und er hatte die Tore geöffnet und den Wagen hineingefahren, bevor die Inhaber der nächsten Garagen neugierig herauskamen, um zu sehen, wer diese Garage nach so langer Zeit wieder benutzte.

 

Digby hatte sich einen Hauptschlüssel für all die verschiedenen Garagen, Häuser und Räume, die von ihm benutzt, wurden, machen lassen, der alle Schlösser öffnete.

 

Halb führte, halb trug er Eunice aus dem Wagen. Sie seufzte, denn sie fühlte sich zerschlagen und müde.

 

»Hier hinauf«, sagte er und drängte sie vor sich her auf eine dunkle Treppe. Oben auf dem Podest blieb er stehen und schaltete das Lieht an.

 

Obwohl fast einen Monat lang nicht abgestaubt worden war, sah der Raum, dessen Fenster auf den Hinterhof gingen, hübsch und gemütlich aus und war nett möbliert. Er zog die schweren Vorhänge zu, bevor er die Lampe anmachte, Dann fühlte er ihren Puls und schaute ihr in die Augen.

 

»Sie fühlen sich jetzt wohl«, sagte er lächelnd. »Sie müssen hier nur solange warten, bis ich zurückkomme. Ich will etwas zu essen kaufen.«

 

»Jawohl«, erwiderte sie.

 

Nach zwanzig Minuten kam er wieder und sah, daß sie ihren Mantel abgelegt und sich die Hände und das Gesicht gewaschen hatte. Sie trocknete sich die Hände, als er eintrat. Es war etwas rührend Kindliches in ihrer ganzen Haltung, und ein Mann, der weniger roh gewesen wäre als Digby Groat, würde es nicht übers Herz gebracht haben, sie weiter gefangenzuhalten.

 

Aber er hatte nicht das geringste Mitleid mit ihr. Er überlegte sich gerade, ob es nicht besser und sicherer sei, ihr noch eine Spritze zu geben. Um eine schnellere Wirkung bei ihr hervorzurufen, hatte er die Dosis kräftiger genommen, als gut war, und fürchtete nun, daß sie zusammenbrechen oder eine Herzschwäche bekommen könnte. Das wäre für ihn ebenso unangenehm gewesen wie für sie, und er entschied sich dafür, zu warten.

 

»Essen Sie«, sagte er.

 

Sie setzte sich gehorsam an den Tisch.

 

Er hatte kalten Braten, Käse; Butter und Brot gebracht. Aus der nebenanliegenden Küche holte er noch zwei Gläser und füllte sie mit Wein.

 

Plötzlich legte sie Messer und Gabel nieder. »Ich fühle mich so furchtbar müde«, sagte sie.

 

Um so besser, dachte Digby Groat. Dann würde sie jetzt einschlafen.

 

Der hintere Raum war ein Schlafzimmer. Er beobachtete sie, während sie ihre Schuhe auszog, und den Gürtel ihres Kleides löste, bevor sie sich niederlegte. Mit einem tiefen Seufzer wandte sie sich der Wand zu und war schon fest eingeschlafen, bevor er auf die andere Seite des Bettes gehen konnte, um ihr Gesicht zu sehen.

 

Digby Groat rauchte lange, nachdem er gegessen hatte. Eunice war nun ganz in seiner Gewalt, aber sie konnte warten. Eine viel wichtigere Angelegenheit beschäftigte ihn jetzt. Er war in die Lage gekommen, die er schon lange vorausgesehen, für die er also auch schon alle Vorkehrungen getroffen hatte. Die Situation war nicht gerade angenehm, aber er fand Trost bei dem Gedanken an die schöne Plantage in Brasilien, wo er den Rest seiner Tage verbringen wollte. Er erhob sich, nahm aus einer Schublade Rasierzeug und ein Handtuch, machte Wasser auf dem Gasherd in der Küche heiß und rasierte sich den Schnurrbart ab. Mit seinem Nachschlüssel öffnete er den Schrank, der in den Raum eingebaut war, und musterte die Anzüge und Mäntel, die dort hingen. Das obere Fach war mit Kasten angefüllt, und er nahm zwei oder drei Schachteln herunter, um ihren Inhalt zu prüfen. Aus der einen nahm er ein prachtvolles Abendkleid aus Silberspitzen und legte es über die Stuhllehne. Dann wählte er ein dazu passendes Unterkleid aus Seidensatin. Aus einem anderen Kasten nahm er ein Paar weiße Seidenschuhe und Strümpfe. Er schien mit seiner Wahl sehr zufrieden zu sein, denn seine Blicke ruhten mit Wohlgefallen auf den Dingen. Auch seine eigene Verkleidung hatte er schon gewählt.

 

Er legte jetzt eine Chauffeuruniform an und ging dann zum Telefon.

 

Kapitel 27

 

27

 

Eunice war Lady Marys Tochter! Es gab nun keinen Zweifel mehr. Seine Vermutung war also doch richtig gewesen. Aber wie war sie nach Südafrika gekommen? Dieses Geheimnis mußte noch gelöst werden.

 

Mrs. Weatherwale war sehr verwundert und dachte einen Augenblick, ihr Besucher sei verrückt geworden.

 

»Würden Sie so gut sein, den Abschnitt, der davon handelt, daß Digby das kleine Kind am Handgelenk verbrannt hat, noch einmal zu lesen«, bat Jim.

 

Nachdem sie ihn besorgt angesehen hatte, kam sie seinem Wunsch nach.

 

»Das kleine Mädchen verschwand bald darauf«, erklärte sie.

 

»Eins der Kindermädchen, die Jane Groat engagiert hatte, nahm es mit sich in einem Boot aufs Meer hinaus, und das Boot muß von irgendeinem großen Schiff gerammt worden sein.«

 

Plötzlich kam Jim ein Gedanke.

 

Welche Schiffe fuhren denn an dem Unglückstag östlich an der Goodwin-Sandbank vorbei (denn dort in der Nähe mußte der Unfall passiert sein)? Das müßte er sofort herausfinden, auch diesen Brief, den Mrs. Groat an ihre Freundin geschrieben hatte, mußte er mitnehmen, um ihn Septimus Salter vorzulegen. Aber Mrs. Weatherwale setzte ihm Widerstand entgegen, und Jim mußte seine ganze Überredungskunst aufwenden, um ihr alle Zusammenhänge zu erklären.

 

»Wie, es handelt sich um das schöne Mädchen, das ich im Hause von Mrs. Groat gesehen habe?«

 

»Ja. Sie hat dieses Kennzeichen am Handgelenk. Es ist eine Brandwunde. Ich besinne mich ganz deutlich darauf. Auch Mrs. Groat muß wissen, daß sie die Tochter Lady Marys ist, denn als sie die Narbe sah, brach sie zusammen.«

 

»Ich möchte nicht, daß Jane Groat in Unannehmlichkeiten kommt. Sie ist stets eine gute Freundin gewesen. Aber schließlich scheint es doch nur recht und billig zu sein, daß das hübsche, junge Mädchen diesen Brief bekommt. Sie haben Glück, ich hätte ihn beinahe verbrannt.«

 

»Gott sei Dank, daß Sie das nicht getan haben«, sagte Jim glücklich.

 

Mit dem nächsten Zug fuhr er nach London zurück und begab sich sofort in das Büro von Mr. Salter.

 

»Wenn Ihre Annahme richtig ist«, sagte der Rechtsanwalt, nachdem er Jim genau zugehört hatte, »dürfte es nicht mehr schwierig sein, das fehlende Glied zwischen dem Verschwinden der kleinen Dorothy und dem Auftauchen der Eunice Weldon in Kapstadt zu finden. Da wir bestimmte Nachricht aus Südafrika haben, daß Eunice Weldon in zartem Alter gestorben ist, kann Eunice nicht das gleiche Mädchen sein. Ich möchte Ihnen den Rat geben, Ihre Nachforschungen zu beschleunigen, denn übermorgen händige ich das große Vermögen der Dantons dem neuen Rechtsanwalt von Mrs. Groat aus, und soweit ich sehen kann, wird Mr. Digby Groat die ganzen Liegenschaften sofort verkaufen. Der Landbesitz ist allein vierhunderttausend Pfund wert. Auf dem Gelände stehen vierundzwanzig Häuser, außerdem gehören sechs ziemlich große Güter dazu. Sie besinnen sich doch, daß er vor einiger Zeit hierher ins Büro kam und Erkundigungen einzog, ob er das Recht habe zu verkaufen. Ich habe mit Bennett – das ist der neue Anwalt – erst heute morgen eine Konferenz gehabt. Daraus ging ziemlich klar hervor, daß Digby beabsichtigt, alles so schnell wie möglich loszuschlagen. Er zeigte Bennett die notarielle Vollmacht, die ihm seine Mutter heute morgen gab.«

 

Der Rechtsanwalt beurteilte Digby Groats Absichten richtig. Das Testament, das Eunice fand, hatte ihn sehr erschreckt. Er war fest entschlossen, nicht länger von der Gnade oder Ungnade einer verrückten alten Frau abhängig zu sein, die ihn so wenig wie er sie leiden mochte. Er hatte seine Mutter veranlaßt, den Anwalt zu wechseln, nicht weil er irgendein Vorurteil gegen die Firma Salter hatte, sondern weil er einen neuen Mann haben wollte, der mit den Verhältnissen nicht so vertraut war.

 

Digby hatte sich dafür entschieden, alle Ländereien und Einkünfte aus dem Dantonschen Erbe in bares Geld umzuwandeln – in bares Geld, über das er disponieren konnte.

 

Das Geheimnis all seiner Geschäfte in der City war die Gründung eines Syndikats, das die Dantonschen Ländereien gegen eine bare Kaufsumme erwerben sollte. Er hatte dabei auch vollen Erfolg gehabt, denn er hatte reiche Finanzleute für seinen Plan interessieren können, und es war alles so weit vorbereitet, daß die Verträge nur noch unterzeichnet zu werden brauchten, um den Abschluß perfekt zu machen.

 

»Genügen denn diese Tatsachen noch nicht, um zu beweisen, daß Eunice die Tochter Lady Marys ist?«

 

»Nein, es muß noch mehr Material beigebracht werden. Aber das dürfte Ihnen doch jetzt nicht mehr schwerfallen. Sie kennen das Datum, an dem das Kind verschwand. Es war der 21. Juni 1911.«

 

*

 

Jim ging zuerst zur Union African Steamship Company und kam gerade dort an, als man die Geschäftsräume schließen wollte.

 

Glücklicherweise traf er noch den stellvertretenden Prokuristen, der ihn in sein Büro nahm und alle Akten durchsuchte.

 

»Keins unserer Schiffe hat die Themse am 20. oder 21. Juni verlassen, nebenbei fährt nur unsere Nebenlinie von dort ab, die Postdampfer gehen von Southampton in See. Das letzte Schiff, das Southampton passierte, war die ›Central Castle‹. Sie beförderte Truppen nach Südafrika und legte in Plymouth am 20. an. An Margate muß sie drei Tage früher vorbeigefahren sein.«

 

»Welche anderen Linien fahren denn nach Südafrika?«

 

Der Geschäftsführer gab ihm eine Liste, die bedeutend größer war, als er vermutet hatte.

 

Er eilte heim, um Lady Mary die Neuigkeiten zu bringen, aber er traf sie nicht zu Hause an. Ihre Bediente, die geheimnisvolle Madge Benson, sagte ihm, daß sie die Wohnung verlassen habe und erst in zwei oder drei Tagen zurückerwartet werde. Nun erinnerte er sich daran, daß Lady Mary ihm von der Absicht gesprochen hatte, nach Paris zu reisen.

 

»Wissen Sie, wo sie in Paris Quartier nehmen wollte?«

 

»Ich wußte nicht einmal, daß sie nach Paris gegangen ist«, sagte sie lächelnd. »Lady Mary erzählt mir niemals etwas von ihren Plänen.«

 

Jim seufzte.

 

Vor morgen konnte er nichts beginnen, er mußte warten. Nun fiel es ihm schwer aufs Herz, daß er sich mit Eunice überworfen hatte. Er mußte lächeln. Was würde sie dazu sagen, wenn sie erführe, daß die Dame, die ihn Jim nannte, ihre eigene Mutter war!

 

Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Eine Eunice Weldon mochte ihm wohl vergeben, ihn heiraten und seinen grauen Lebensweg in einen blumigen Glückpfad verwandeln, aber eine Dorothy Danton war eine der reichsten Erbinnen, und Jim Steele war ein armer Mann. Unter diesen Umständen konnte er nicht an eine Ehe denken.

 

Er begann mit seinen Nachforschungen am nächsten Morgen, sobald die Büros geöffnet wurden. Aber er ging von einer Firma zur anderen und wurde stets um eine Hoffnung ärmer. Schließlich machte er traurig seinen letzten Besuch bei der ›African Coastwise Line‹.

 

»Ich glaube, es ist zwecklos, daß Sie dort noch hingehen«, hatte ihm der Sekretär in dem Büro gesagt, in dem er eben vorgesprochen hatte. »Die lassen ihre Dampfer überhaupt nicht von London abfahren. Es ist eine Liverpooler Firma. Soviel mir bekannt ist, haben wir noch niemals ein Schiff dieser Gesellschaft im Londoner Hafen gesehen. Ich weiß es zufällig genau, weil ich früher Zollbeamter war.«

 

Die ›Coastwise Line‹ war eine altmodische Firma und hatte auch ein altmodisches Büro in jenem Teil Londons, an dem die moderne Zeit spurlos vorübergegangen war. Die beiden Seniorchefs waren alte Leute, die fast das Aussehen von Patriarchen hatten.

 

Als Jim eintrat, saßen sich die beiden an einem gemeinsamen Schreibpult gegenüber.

 

Jim wurde mit altmodischer Liebenswürdigkeit begrüßt. Ein Bürodiener, der fast ebenso alt war wie die Inhaber der Firma, brachte ihm einen Sessel.

 

Die beiden Herren hörten seinen Erklärungen zu.

 

»Ich glaube, daß niemals einer unserer Dampfer durch die Straße von Dover gefahren ist«, sagte der eine kopfschüttelnd.

 

»Obwohl unser Hauptbüro hier in London ist, gehen doch alle unsere Dampfer von Liverpool ab.«

 

»Dann hat es ja keinen Zweck, daß ich Sie weiter belästige«, sagte Jim mit schwerem Herzen.

 

»Aber Sie belästigen uns durchaus nicht«, sagte einer der beiden Partner. »Um der Sache auf den Grund zu gehen, können wir ja unsere Fahrtenliste vom Juni 1911 durchsehen.«

 

Er klingelte und gab einem Sekretär den Auftrag, sie zu bringen. Gleich darauf kam der Mann mit einem großen Buch zurück und legte es auf den Tisch. Jim beobachtete den älteren Herrn genau, als er sorgfältig die langen Listen durchlas. Plötzlich hielt er an.

 

»Erinnern Sie sich noch«, sagte er zu seinem Teilhaber, »daß wir damals eine Fahrt für die ›Union Africa Line‹ übernommen hatten, weil sie zu stark beschäftigt war?«

 

»Ja, ich kann mich genau besinnen. Es war die ›Battledore‹, die wir damals von Tilbury abgehen ließen. Sie war das einzige unserer Schiffe, das von der Themse ausfuhr.«

 

»An welchem Tag fuhr sie denn ab?« fragte Jim begierig.

 

»Um acht Uhr morgens am 21. Juni. Lassen Sie mich einmal sehen.« Er erhob sich und ging zu der großen Karte, die an der Wand hing. »Dann muß sie ungefähr um zwölf Uhr an dem Leuchtturm von North Foreland vorbeigekommen sein. Und wann ereignete sich der Unglücksfall?«

 

»Um Mittag«, antwortete Jim heiser.

 

»Ich kann mich nicht besinnen, daß etwas Besonderes von der Fahrt berichtet wurde.«

 

»Kann man denn nicht irgendwie herausfinden, was auf dieser Reise passierte?«

 

»Da müßten wir das Logbuch des Schiffes einsehen. Hoffentlich sind wir dazu in der Lage. Die ›Battledore‹ wurde während des Krieges torpediert, aber Captain Pinnings, der das Kommando über das Schiff führte, lebt.«

 

»Und sein Logbuch?« fragte Jim.

 

»Darüber müssen wir Nachforschungen anstellen. Alle Logbücher werden in unserem Büro in Liverpool aufbewahrt. Ich werde heute noch schreiben und unseren Geschäftsführer dort bitten, das Buch herzuschicken, wenn es noch in unserem Besitz ist.«

 

»Es ist äußerst dringend«, sagte Jim ernst. »Sie waren so liebenswürdig zu mir, daß ich Sie nicht drängen würde, wenn es nicht eine so äußerst wichtige Sache wäre. Könnte ich denn nicht nach Liverpool reisen und das Logbuch einsehen?«

 

»Die Mühe kann ich Ihnen sparen«, sagte der eine Teilhaber.

 

»Unser Geschäftsführer aus Liverpool kommt morgen nach London. Er kann das Buch mitbringen, wenn es noch existiert. Ich werde nach Liverpool telefonieren lassen.«

 

Damit mußte sich Jim zufriedengeben, obwohl es ein Verlust von weiteren vierundzwanzig Stunden war.

 

Er berichtete Mr. Salter, was er erreicht hatte, und entschied sich dann zu einer kühnen Tat. Vor allem mußte Eunice beschützt werden, und obgleich ihm nichts von einer unmittelbaren Gefahr bekannt war, mußte er doch unter allen Umständen versuchen, sie sobald wie möglich aus dem Hause am Grosvenor Square zu entfernen. Wenn doch nur Lady Mary in London gewesen wäre!

 

Er fuhr zu dem Hause Digby Groats und wurde sofort in dessen Arbeitszimmer geführt.

 

»Wie geht es Ihnen, Mr. Steele? Nehmen Sie bitte Platz. Hier sitzt man viel bequemer als unter dem Tisch.«

 

Jim lächelte.

 

»Nun, was kann ich für Sie tun?«

 

»Ich möchte Miss Weldon sehen.«

 

»Ich glaube, die Dame ist ausgegangen, aber ich will einmal nachsehen lassen.« Er klingelte. Gleich darauf trat ein Mädchen ein.

 

»Bitte, rufen Sie Miss Weldon hierher.«

 

»Es ist gerade nicht notwendig, daß ich sie hier spreche«, erklärte Jim.

 

»Machen Sie sich keine Sorge«, sagte Digby lächelnd. »Ich werde Sie sofort allein lassen.«

 

Das Dienstmädchen kehrte mit der Nachricht zurück, daß Eunice nicht zu Hause sei.

 

»Nun gut«, sagte Jim, nahm seinen Hut mit einem Lächeln und verabschiedete sich von dem ebenfalls sehr höflichen Mr. Groat. »Ich werde draußen warten, bis sie zurückkommt.«

 

»Sie besitzen eine bewunderungswürdige Dickköpfigkeit«, murmelte Digby, »vielleicht kann ich sie selbst finden.«

 

Er ging hinaus und kam in einigen Minuten mit Eunice zurück.

 

»Dem Mädchen ist nicht richtig Bescheid gesagt worden, Miss Weldon ist tatsächlich nicht ausgegangen.«

 

Er machte eine kurze, höfliche Verbeugung vor ihr und verließ den Raum.

 

Eunice legte die Hände auf den Rücken und schaute den Mann an, auf den sich ihre ganzen Hoffnungen und Wünsche konzentriert hatten und über dessen Verhalten sie so ungeheuer empört war.

 

»Sie wollten mich sprechen, Mr. Steele?«

 

Ihre Haltung erschütterte sein Selbstbewußtsein, so daß er im Moment alles vergaß, was er ihr sagen wollte und sich so sorgfältig zurechtgelegt hatte.

 

»Ich möchte Sie bitten, dieses Haus zu verlassen, Eunice.«

 

»Haben Sie wieder einen neuen Grund?« fragte sie sarkastisch, obgleich sie sich selbst wegen ihres Tones böse war.

 

»Ich habe den besten aller Gründe dafür«, sagte er verbissen. »Ich bin fest davon überzeugt, daß Sie die Tochter Lady Mary Dantons sind.«

 

»Das haben Sie mir früher auch schon erzählt.«

 

»Bitte, hören Sie auf mich, Eunice«, bat er. »Ich kann Ihnen den Beweis bringen, daß Sie die Tochter Lady Marys sind. Die Narbe am Handgelenk hat Ihnen Digby Groat beigebracht, als Sie noch ein kleines Kind waren. Es gibt keine Eunice Weldon, ich kann Ihnen beweisen, daß das Mädchen dieses Namens im Alter von einem Jahr in Kapstadt starb.«

 

Sie sah ihn fest an. Ihr Blick war kühl und hart, und sein Mut sank. »Das ist ja eine äußerst romantische Geschichte! Haben Sie mir vielleicht sonst noch etwas zu sagen?«

 

»Nur noch, daß die Dame, die Sie in meiner Wohnung sahen, Ihre Mutter ist.«

 

Ihre Augen wurden größer, und er sah, wie ein flüchtiges Lächeln über ihre Züge glitt, gleich einem Sonnenstrahl an einem Wintertage.

 

»Wirklich, Jim, Sie sollten Geschichten schreiben! Und wenn es Sie interessiert, kann ich Ihnen ja sagen, daß ich dieses Haus in ein paar Tagen verlassen werde, um meine alte Stelle wieder anzutreten. Sie brauchen mir gar nicht zu erklären, wer die Dame war, die unglücklicherweise kein Telefon, aber den Schlüssel zu Ihrer Wohnung besaß.« Ihr Ärger betäubte alles Mitleid und alle Sympathie für ihn. »Ich will Ihnen nur sagen, daß Sie meinen Glauben an Männer mehr erschüttert haben, als es jemals Digby Groat oder irgendein anderer fertiggebracht hätte. Sie haben mich so tief verletzt, daß ich Ihnen nicht verzeihen kann.«

 

Einen Augenblick zitterte ihre Stimme, aber mit einer außerordentlichen Willensanstrengung riß sie sich zusammen.

 

»Leben Sie wohl, Jim.« Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer.

 

Er war verwirrt und betäubt. Ihre Verachtung traf ihn wie ein Peitschenhieb, und die Ungerechtigkeit ihres Urteils machte ihn sprachlos.

 

Einen Augenblick fühlte er Ärger und Zorn in sich aufsteigen, aber er überwand sich. Nun konnte er gehen, denn er hatte keine Hoffnung mehr, sie wiederzusehen.

 

Kapitel 28

 

28

 

Eine Entscheidung nahte. Digby Groat war viel zu vernünftig, um die Anzeichen nicht zu verstehen.

 

Seit zwei Jahren stand er in Verhandlungen mit einem Landagenten in San Paolo und hatte den Kauf einer großen Plantage so weit gefördert, daß er jeden Augenblick abschließen konnte. Durch allerhand Machinationen hatte er schlau die Identität seiner Person als Käufer nicht bekanntwerden lassen. Auf diesen ungeheuren Ländereien wollte er ein herrliches Leben führen. Es war möglich, daß er fliehen mußte, und in diesem Fall war der Aufenthalt auf seinen großen Besitzungen in Südamerika eine angenehme Abwechslung von dem ewigen Einerlei des Londoner Gesellschaftslebens. Er war fest entschlossen, Eunice Weldon mit sich zu nehmen. Sie sollte wenigstens ein Jahr lang dieses Leben mit ihm teilen. Was nachher wurde – er zuckte die Schultern. Auch früher waren ihm schon Frauen begegnet, hatten ihn fasziniert, stark angezogen und dann gelangweilt, und schließlich waren sie wieder aus seinem Gesichtskreis verschwunden. Wahrscheinlich würde Eunice denselben Weg gehen, aber darüber mußte .man sich ja den Kopf nicht zerbrechen.

 

*

 

Die Morgenstunden gingen zu langsam für Jim vorüber. Der Geschäftsführer sollte um ein Uhr ankommen, und Jim wartete auch pünktlich um diese Zeit im Büro der Schiffahrtsgesellschaft. Der Zug mußte jedoch Verspätung gehabt haben, denn es war schon über zwei, als der Ersehnte ankam. Ein Träger mit einem großen Paket begleitete ihn. Jim wurde sofort in das Privatbüro gebeten.

 

»Wir haben das Logbuch der ›Battledore‹ gefunden, aber nun habe ich das Datum vergessen.«

 

»Es war der 21. Juni.«

 

Das Logbuch lag offen auf dem großen Tisch, und es herrschte eine eigentümliche Atmosphäre und Spannung im altertümlichen Büro.

 

»Hier!« sagte der eine Partner. »Die ›Battledore‹ verließ Tilbury um neun Uhr vormittags bei abnehmender Flut, Wind Ost-Süd-Ost, See ruhig, etwas nebelig!« Er las weiter, »Ich glaube, jetzt kommt das, was Sie brauchen.«

 

Es war einer der dramatischsten Augenblicke im Leben Jims. Nach einigen einleitenden Worten kam der alte Herr plötzlich zu der Eintragung, die so wichtig für die Frau war, die Jim mehr als sein Leben liebte.

 

»›Schwere Nebelbänke, Geschwindigkeit um 11.50 Uhr auf die Hälfte reduziert. Um 12.10 Geschwindigkeit auf ein Viertel abgestellt. Obermaat Bosun berichtete, daß wir kleines Ruderboot in den Grund gebohrt haben und daß er zwei Personen im Wasser gesehen hat. Matrose Grand, ein tüchtiger Schwimmer, geht über Bord und rettet ein Kind. Zweite Person nicht gefunden. Später Geschwindigkeit wieder vergrößert, Versuch gemacht, nach Dungeneß zu signalisieren. Wetter zu diesig für Flaggensignale.‹«

 

Jim nickte.

 

»›Geschlecht des Kindes weiblich, Alter erst einige Monate. Kind der Stewardeß übergeben.‹«

 

Eintragung folgte auf Eintragung, aber das Kind wurde nicht wieder erwähnt, bis der Dampfer in Funchal einlief.

 

»Liegt auf der Insel Madeira«, erklärte der ältere Herr. »›Ankunft in Funchal sechs Uhr morgens. Dem britischen Konsul die Rettung des Kindes gemeldet. Konsul verspricht, nach London zu drahten.‹«

 

Die nächste Eintragung war in Dakar gemacht.

 

»Ein Hafen an der Westküste von Afrika, französisches Protektorat«, erklärte der Mann wieder. »›Telegramm vom britischen Konsul in Funchal erhalten mit der Mitteilung, daß der Londoner Polizei kein Kind als vermißt gemeldet wurde.‹«

 

Drei Tage vor der Ankunft in Kapstadt war wieder eine für Jim interessante Eintragung gemacht worden.

 

»›Mr. Weldon, ein Einwohner von Kapstadt, der mit seiner Frau eine Erholungsreise macht, bot an, das Kind zu adoptieren, das wir am 21. Juni auf See retteten, da er kürzlich sein eigenes Kind verloren hat. Mr. Weldon ist dem Kapitän persönlich bekannt, ferner ist seine Identität durch mehrere Passagiere bestätigt. Das Kind wurde ihm zur Pflege übergeben unter der Bedingung, daß die Angelegenheit den Behörden in Kapstadt gemeldet werden sollte.‹«

 

Eine vollständige Beschreibung der Größe, des Gewichtes, der Haut-, Haar- und Augenfarbe des kleinen Wesens folgte, und unter der Rubrik ›Besondere Merkmale‹ stand: ›Narbe am rechten Handgelenk, Schiffsarzt meint, daß sie von einer Brandwunde herrührt.‹

 

Jim atmete tief.

 

»Ich kann Ihnen nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin, meine Herren. Sie haben mir die Mittel in die Hand gegeben, ein großes Unrecht wieder gutzumachen. Auch das Kind ist Ihnen zu großem Dank verpflichtet, es ist allerdings inzwischen eine erwachsene Frau aus ihm geworden. – Es ist möglich, daß wir Sie bitten müssen, dieses Logbuch bei Gericht vorzulegen. Aber ich hoffe, daß die Rechtsansprüche unserer Klientin so klar zutage treten, daß es nicht zu einer Verhandlung kommt.« Er ging die Threadneedle Street hinunter. Er brauchte frische Luft. Die Tatsache, daß er, während er ein Vermögen für Eunice gewonnen hatte, selbst das größte Glück verloren hatte, störte seine Freude nicht.

 

Er hatte eine oberflächliche Kopie der Eintragungen des Logbuches gemacht und legte dieses Schriftstück, ohne ein Wort zu sagen, vor Mr. Salter auf den Tisch.

 

Die Augen des Rechtsanwaltes leuchteten beim Lesen auf.

 

»Die Angelegenheit liegt vollständig klar. Das Logbuch beweist die Identität von Lady Marys Tochter. Ihre Nachforschungen sind also nun zu Ende?«

 

»Noch nicht ganz«, lächelte Jim. »Wir müssen erst noch Jane Groat und ihrem Sohn das Erbe entziehen. Und außerdem müssen wir Miss Danton zu überreden versuchen, das Haus von Mr. Groat zu verlassen.«

 

»In diesem Falle ist vielleicht der Rat eines älteren Mannes wirkungsvoller als der Ihrige, mein Junge«, sagte der Rechtsanwalt und erhob sich. »Ich werde Sie begleiten.«

 

Ein neues Dienstmädchen öffnete ihnen, und Digby erschien sofort in der Tür seines Arbeitszimmers.

 

»Ich möchte Miss Weldon sprechen«, sagte Mr. Salter.

 

Digby wurde steif und formell bei seinem Anblick. Er hätte sich noch unsicherer gefühlt, wenn er gewußt hätte, welche Botschaft Salter zu überbringen, hatte.

 

Digby sah dem alten Mann ins Gesicht, aber Jim glaubte, in seiner ganzen Haltung Ungewißheit und Angst zu entdecken.

 

»Es tut mir leid, daß Sie Miss Weldon nicht sprechen können«, erwiderte Digby langsam. »Sie ist heute früh mit meiner Mutter nach Frankreich gefahren und ist in diesem Augenblick wahrscheinlich schon in Paris.«

 

»Das ist eine verdammte Lüge«, sagte Jim ruhig.

 

Kapitel 29

 

29

 

Die beiden Männer, die einander tödlich haßten, standen sich gegenüber.

 

»Sie lügen«, wiederholte Jim. »Miss Weldon ist entweder hier in diesem Hause, oder sie ist auf Ihren verdammten Landsitz nach Somerset gebracht worden!«

 

Digby Groat war weniger durch Jims heftige Beleidigungen als durch die Gegenwart des Rechtsanwalts aus der Fassung gebracht.

 

»Sie geben sich also zum Werkzeug dieses erpresserischen und gemeinen Menschen her«, wandte er sich höhnisch an Mr. Salter. »Ich dachte, ein Mann von Ihrer Erfahrung würde es ablehnen, sich von einem solchen Burschen zum Narren halten zu lassen. Jedenfalls«, sagte er zu Jim, »wünscht Miss Weldon, nichts mehr mit Ihnen zu tun zu haben. Sie hat mir von dem Streit, den sie mit Ihnen gehabt hat, erzählt, und ich muß wirklich sagen, daß Sie sich sehr schlecht gegen sie benommen haben.«

 

Digby log, das wußte Jim sofort. Eunice hätte ihm niemals ihr Vertrauen geschenkt.

 

»Welches Interesse haben Sie denn an Miss Weldon?« fragte Digby den Rechtsanwalt.

 

»Ich interessiere mich nur rein menschlich für sie«, erklärte der alte Salter.

 

Jim war von dieser Äußerung betroffen.

 

»Aber –« begann er.

 

»Ich glaube, es ist besser, wir gehen, Steele«, unterbrach ihn der Rechtsanwalt und sah ihn verstohlen und warnend an.

 

»Warum haben Sie ihm denn nicht gesagt, daß Eunice die rechtmäßige Erbin des Dantonschen Vermögens ist?« fragte Jim, als sie in einiger Entfernung von dem Hause waren.

 

»Nehmen wir einmal an, alle Ihre Befürchtungen seien wahr«, erwiderte der Anwalt liebenswürdig, »nehmen wir einmal an, daß dieser Mann tatsächlich ein solcher Schuft ist, wie wir glauben. Das Mädchen ist doch jetzt in seiner Gewalt. Was würde die Folge davon sein, wenn ich ihm erzählte, daß Eunice Weldon ihm die ganze Erbschaft streitig macht, daß ihr sogar dieses Haus gehört und er vollständig arm und ruiniert ist?«

 

Jim biß sich auf die Lippen. »Sie haben recht«, sagte er kleinlaut. »Ich bin immer zu hitzig und unbesonnen.«

 

»Solange Digby Groat nicht weiß, daß ihm Gefahr von Eunice droht, ist sie verhältnismäßig sicher. Auf jeden Fall ist sie nicht in Lebensgefahr. Wenn er erst alles erfährt, was wir wissen, ist sie dem Tod geweiht.«

 

Jim nickte. »Dann glauben Sie also, daß sie in wirklicher Gefahr ist?«

 

»Ich bin davon überzeugt, daß Mr. Digby Groat nicht vor einem Mord zurückschrecken würde, wenn er dadurch sein Erbe retten kann«, sagte der Rechtsanwalt schroff.

 

Sie sprachen nicht mehr, bis sie in das Büro in der Marlborough Street kamen. Dort ließ sich Jim mit einem Seufzer in den Sessel fallen und bedeckte das Gesicht mit den Händen.

 

»Es scheint fast so, als ob wir machtlos wären«, sagte er bitter. »Aber, Mr. Salter, das Gesetz ist doch größer als Digby Groat. Gibt es denn keine Handhabe, ihn durch eine Anklage vor Gericht unschädlich zu machen?«

 

Der alte Septimus Salter rauchte selten in seinem. Büro, aber heute nahm er seine Meerschaumpfeife aus einer Schublade seines Schreibtisches heraus, wischte sie sorgfältig an seinem Ärmel ab und füllte sie langsam und in unerschütterlicher Ruhe mit Tabak.

 

»Das Gesetz, mein Junge, ist größer als Digby Groat und größer als Sie oder ich. Manchmal lachen Leute, die es nicht verstehen, darüber, ‚ manchmal machen sie sich darüber lustig, im allgemeinen fluchen sie darüber. Aber wenn das Gesetz und die Rechtsprechung auch nicht schnell arbeiten, so sind sie doch wie die Mühle, die nur langsam, aber furchtbar klein mahlt. Das Gesetz beschränkt sich nicht auf Verhaftungs- und Durchsuchungsbefehle, es hat tausend Waffen, mit denen es Betrüger und Bösewichte niederschlagen kann. Und bei Gott, alle diese Waffen sollen gegen Digby Groat angewandt werden!«

 

Jim sprang auf und drückte die Hand des alten Salter.

 

»Und wenn das Gesetz ihn nicht fassen kann, so will ich selbst ein Gesetz schaffen und ihn mit diesen beiden Händen erwürgen!«

 

Mr. Salter sah ihn verwundert, aber auch ein wenig belustigt an. »In diesem Fall, mein lieber Steele«, sagte er dann trocken, »wird das Gesetz Sie packen und erwürgen – und das ist die Sache doch nicht wert, wenn ein paar beschriebene Bogen Papier dasselbe Resultat haben, als wenn Sie persönlich diesen Schuft umbringen.«

 

Jim begann sofort mit seinen Nachforschungen. Zu seinem Erstaunen erfuhr er, daß Mrs. Groat und Eunice tatsächlich zur Victoria-Station gefahren waren. Ferner konnte er feststellen, daß Digby zwei Fahrscheine nach Paris gelöst und zwei Plätze in einem Schlafwagen reserviert hatte. Dadurch konnten die Namen der beiden Damen leicht festgestellt werden, was Digbys Absicht war.

 

Jim konnte aber nicht herausbringen, ob sie wirklich mit dem Zug abgefahren waren.

 

Er ging zu dem Rechtsanwalt zurück und berichtete über seine Erkundigungen.

 

»Die Tatsache, daß Jane Groat fortgefahren ist, beweist noch lange nicht, daß unsere Klientin ebenfalls London verlassen hat«, meinte er nachdenklich.

 

»Unsere Klientin?« fragte Jim erstaunt.

 

»Ja, unsere Klientin«, wiederholte Septimus Salter lächelnd. »Vergessen Sie nicht, daß Miss Danton unsere Klientin ist, und bevor sie mir nicht den Auftrag gibt, die Vertretung ihrer Interessen einem anderen Rechtsanwalt zu übertragen –«

 

»Mr. Salter«, unterbrach ihn Jim, »wann wird Bennett das Vermögen der Dantons übergeben?«

 

»Heute morgen geschah es«, war die etwas, unerwartete Antwort, obwohl Mr. Salter nicht im mindesten darüber deprimiert zu sein schien.

 

»Um Gottes willen!« rief Jim schwer atmend. »Dann befinden sich ja die ganzen Güter schon in Digby Groats Händen?«

 

»Nur vorübergehend, lassen Sie sich dadurch nicht aus der Fassung bringen und setzen Sie Ihre Nachforschungen ruhig weiter fort. Haben Sie noch etwas von Lady Mary gehört?«

 

»Von wem?« fragte Jim ganz erstaunt.

 

»Von Lady Mary Danton. Das ist doch Ihre geheimnisvolle Frau in der schwarzen Kleidung. Ich ahnte es gleich, daß sie es war, ich habe niemals daran gezweifelt. Aber als Sie mir von der blauen Hand erzählten, stand es bei mir fest. Sie sehen, mein Junge«, sagte er und zwinkerte mit den Augen, »ich habe einige Nachforschungen in einer Richtung angestellt, die Sie vernachlässigten.«

 

»Was hat denn die blaue Hand zu bedeuten?«

 

»Lady Mary wird es Ihnen an einem der nächsten Tage wohl erzählen. Bevor sie nicht selbst zu Ihnen darüber spricht, fühle ich mich nicht berechtigt, Sie in mein Vertrauen zu ziehen. Sind Sie schon einmal in einer Färberei gewesen, Steele?«

 

»Ja.«

 

»Haben Sie die Hände der Frauen gesehen, die mit Indigo umgehen?«

 

»Wollen Sie damit sagen, daß Lady Mary in einer Färberei arbeitete, nachdem sie verschwand?« fragte Jim ungläubig.

 

»Das wird sie Ihnen schon selbst mitteilen«, entgegnete der Rechtsanwalt, und hiermit mußte Jim sich zufriedengeben.

 

Die Nachforschungen waren nun zu schwer geworden, und es waren zu viele Spuren zu verfolgen, als daß Jim alles allein hätte durchführen können. Mr. Salter stellte deshalb noch zwei Detektive an, die früher in Scotland Yard gearbeitet, jetzt aber ihre eigene Agentur eröffnet hatten. Am Nachmittag hielten sie mit ihren beiden neuen Hilfskräften eine Konferenz ab, wobei ihnen alles mitgeteilt wurde, was bisher bekannt war.

 

Am selben Nachmittag sah Digby Groat, als er aus seinem Fenster Umschau hielt, einen bärtigen Mann, der an der Gartenseite des Gebäudes entlangschlenderte, eine Pfeife im Mund hatte und offenbar ganz in den Anblick der schönen Natur und der architektonischen Feinheiten der Häuser am Grosvenor Square versunken war. Er hätte sich den Mann genauer angesehen, wenn er nicht durch die Ankunft von Mr. Bennett unterbrochen worden wäre. Dieser eckige Schotte mit den strohblonden Haaren war ihm unsympathisch.

 

»Nun, Mr. Bennett, hat Ihnen der alte Salter alle Urkunden ausgehändigt?«

 

»Jawohl, Sir. Ich habe alles erhalten.«

 

»Glauben Sie nicht, daß er uns noch irgendeinen bösen Trick spielen wird?«

 

»Mr. Septimus Salter ist ein ganz hervorragender Rechtsanwalt, dessen Name überall respektiert wird. Solche Leute lassen sich nicht auf Tricks ein«, sagte Mr. Bennett sehr kühl.

 

»Nun, Sie brauchen sich nicht gleich beleidigt zu fühlen. Großer Gott, glauben Sie etwa, daß er Ihr besonderer Freund ist?« fragte Digby Groat.

 

»Welche Gefühle er mir gegenüber hat«, antwortete Bennett in seiner harten, nördlichen Aussprache, »kümmert mich im Moment nicht. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, was ich von ihm denke. Die ganzen Grundstücksbriefe der Ländereien sind so weit in Ordnung gebracht, daß der Verkauf sofort vollzogen werden kann. – Sie verlieren keine Zeit, Mr. Groat.«

 

»Nein«, sagte Digby, nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte. »Die Mitglieder des Syndikats drängen sehr darauf, daß der Besitz übergeben wird. Welches ist der früheste Termin, an dem wir die Sache perfekt machen können?«

 

»Morgen früh. Ich vermute –«, Mr. Bennett zögerte, »daß die Frage nach der eigentlichen Erbin, Dorothy Danton, endgültig geklärt ist?«

 

Digby lächelte.

 

»Dorothy Danton ist vor zwanzig Jahren ertrunken und längst von den Fischen aufgefressen worden. Machen Sie sich deshalb keine Kopfschmerzen.«

 

»Dann steht der Sache ja nichts im Wege.« Bennett zog eine Anzahl von Schriftstücken aus einer schwarzen Ledermappe. »Vier dieser Dokumente müssen Sie unterschreiben, das fünfte muß Ihre Mutter zeichnen.«

 

Digby runzelte die Stirn.

 

»Meine Mutter? Ich dachte, das sei unnötig. Ich ließ doch die Vollmacht durch den Notar ausfertigen.«

 

»Sie wissen, Mr. Groat, daß diese notarielle Vollmacht nicht ausreicht, um alle Pachtverträge und sonstigen Rechte, die Sie geerbt haben, zu veräußern. Die Rechte, die nicht übertragen werden können, sind zwar nicht sehr wertvoll, aber sie geben Ihrer Mutter ein Pfandrecht auf Kennett Hall. Unter den gegebenen Umständen wäre es besser, wenn Sie die Originalunterschrift beibrächten, damit es nachher keine Unannehmlichkeiten gibt. Mr. Salter ist ein sehr kluger Mann, und wenn ihm die Einzelheiten der Besitzübergabe bekannt werden, wäre es sehr leicht möglich, daß er eine offizielle Warnung, ein Caveat, eintragen läßt. Er fühlt sich doch noch immer verantwortlich als Rechtsanwalt des verstorbenen Mr. Danton.«

 

»Was hat denn ein Caveat zu bedeuten?«

 

»Hierdurch wird jeder Käufer gewarnt, das Besitztum zu erwerben. Sollte sich nach dem Kauf herausstellen, daß der Verkäufer irgendwie nicht zu dem Verkauf berechtigt war, so hat der Käufer den Schaden zu tragen. Und ich glaube nicht, daß das Syndikat das Risiko übernehmen würde, Ihnen die Kaufsumme für die Ländereien in bar auszuzahlen, wenn ein Caveat eingetragen ist.«

 

Digby starrte lange Zeit aus dem Fenster.

 

»Also gut, dann werde ich die Unterschrift meiner Mutter beibringen.«

 

»Sie ist, soviel ich weiß, in Paris?«

 

»Woher wissen Sie das?«

 

»Ich mußte heute bei Mr. Salter vorsprechen, um die letzten Formalitäten zu erledigen, und er erwähnte es nebenbei.«

 

Digby brummte etwas vor sich hin.

 

»War es denn absolut notwendig, daß Sie Salter wieder aufsuchten?« fragte er barsch.

 

»Ich regle meine Angelegenheiten nach bestem Wissen und Gewissen, wie ich es verantworten kann«, erwiderte Mr. Bennett etwas scharf und unfreundlich.

 

Digby sah ihn ärgerlich an und nahm sich vor, nach der Durchführung dieser Transaktion die Dienste dieses unangenehmen Schotten nicht mehr in Anspruch zu nehmen. Er haßte das Gesetz, und er haßte Rechtsanwälte. Er hatte den Eindruck gehabt, daß die Firma Bennett froh sei, diesen großen Auftrag zu erhalten und infolgedessen seinen Wünschen möglichst entgegenkommen würde. Aber er mußte zu seinem Verdruß wahrnehmen, daß der gefügige Rechtsanwalt, den er sich vorgestellt hatte, in Wirklichkeit nicht existierte. »Geben Sie mir das Dokument, ich werde meine Mutter unterzeichnen lassen.«

 

»Werden Sie nach Paris fahren?«

 

»Ich werde es ihr durch ein Flugzeug schicken lassen.«

 

Der Rechtsanwalt nahm die Papiere zusammen und packte sie wieder in die Ledermappe.

 

»Dann erwarte ich Sie also morgen um zwölf Uhr im Büro des Nordland-Syndikats.«

 

Digby nickte.

 

»Noch etwas, Mr. Bennett« – er rief den Rechtsanwalt noch einmal zurück –, »bitte annoncieren Sie dieses Haus zum Verkauf. Ich werde in Zukunft den größten Teil meiner Zeit in Übersee zubringen und kann dieses wertvolle Eigentum nicht ungenützt liegenlassen. Ich möchte, daß es sehr schnell verkauft wird.«

 

»Wenn man schnell verkaufen muß, so drückt das auf den Preis. Aber ich werde sehen, was sich machen läßt, Mr. Groat. Wollen Sie auch die Einrichtung mit verkaufen?«

 

Digby nickte.

 

»Sie haben doch auch noch eine Besitzung auf dem Lande?«

 

»Die will ich nicht veräußern.«

 

Als der Rechtsanwalt fort war, ging er hinauf in sein Zimmer, wechselte die Kleider und war verhältnismäßig lange damit beschäftigt.

 

»Nun muß ich Eunice überreden, ein vernünftiges Mädchen zu sein und keinen Spektakel zu machen«, sagte er zu sich selbst, als er die Treppe herunterkam und die Handschuhe anzog.

 

Kapitel 3

 

3

 

An demselben Nachmittag trat Jim in Mr. Salters Büro.

 

»Ich gehe jetzt zum Tee«, sagte er.

 

Mr. Salter schaute auf die altmodische Uhr an der gegenüberliegenden Wand.

 

»Es ist gut. Sie gehen in letzter Zeit immer sehr pünktlich zum Tee, Steele – warum werden Sie denn rot? Handelt es sich um ein Mädchen?«

 

»Nein«, erwiderte Jim unnötig laut. »Ich treffe zwar ab und zu eine Dame beim Tee, aber –«

 

»Machen Sie, daß Sie fortkommen«, sagte der alte Mann ärgerlich. »Grüßen Sie sie von mir.«

 

Jim mußte lachen, während er die Treppe hinunterstieg und auf die Marlborough Street hinaustrat. Er beeilte sich, weil es schon etwas spät war. Erleichtert atmete er auf, als er in das stille, ruhige Lokal trat und den Tisch, an dem er gewöhnlich saß, noch unbesetzt fand.

 

Als er am Tisch Platz genommen hatte, kam die Kellnerin strahlend auf ihn zu, um nach seinen Wünschen zu fragen.

 

»Ihre junge Dame ist noch nicht gekommen, Sir«, sagte sie.

 

Es war das erste Mal, daß sie Eunice Weldon erwähnte, und Jim war es höchst peinlich.

 

»Die junge Dame, die manchmal mit mir Tee trinkt, ist nicht meine junge Dame«, erwiderte er etwas kühl.

 

»Ich bitte um Verzeihung«, sagte die Kellnerin und kritzelte auf ihrem Notizblock, um ihre Verlegenheit zu verbergen.

 

»Sie bestellen wohl wie gewöhnlich?«

 

»Ja. Bringen Sie alles wie sonst.«

 

In diesem Augenblick trat eine Dame zur Tür herein, und er erhob sich schnell, um sie zu begrüßen.

 

Sie war von schlankem Wuchs und ging sehr, aufrecht. Etwas Liebenswürdiges und Elegantes lag in ihren Bewegungen, so daß die Herren, die auf den Straßen umherschlenderten, stehenblieben, wenn sie vorbeiging. Eunice hatte ein reines, fast madonnenhaftes Gesicht, aber ihre fröhlich lachenden, blauen Augen und ihre schöngeschwungenen Lippen waren sehr lebhaft und schienen nicht gewillt, das Leben in klösterlicher Abgeschlossenheit zu vertrauern. In ihren Augen lag ein eigentümlicher Glanz, in dem sich eine Bitte und auch zugleich eine Warnung ausdrückte. Es lag Reinheit in ihrem ganzen Wesen, in all ihren Zügen, in dem ausdrucksvollen Mund, in dem runden, jugendlichen Kinn. Es lag wie ein Hauch von Taufrische über ihrer weißen, klaren, fast durchsichtigen Haut. Alle Schönheit der Jugend schien in ihr vereinigt zu sein.

 

Sie ging Jim mit ausgestreckter Hand entgegen.

 

»Ich bin etwas spät dran«, sagte sie vergnügt. »Wir hatten eine langweilige Herzogin im Atelier, die ich in siebzehn verschiedenen Stellungen aufnehmen mußte – sie sah nicht besonders schön aus, aber gerade mit den unansehnlichsten Menschen hat man meistens die größte Mühe.«

 

Sie setzte sich, zog ihre Handschuhe aus und erwiderte freundlich den Gruß der Kellnerin.

 

»Die einzige Möglichkeit, schön zu sein, besteht für Leute mit Durchschnittsgesichtern in einer effektvollen Fotografie«, sagte Jim.

 

Eunice Weldon war in einem bekannten fotografischen Atelier in der Regent Street angestellt. Jim hatte sie vor einiger Zeit erst in dem Lokal, in dem sie augenblicklich saßen, beim Tee kennengelernt, und zwar bei einer besonderen Gelegenheit. Die Gardinen am Fenster, in dessen Nähe sie saß, hatten Feuer gefangen. Jim löschte die Flammen und verbrannte sich dabei die Hand. Und Miss Weldon hatte ihn verbunden.

 

Wenn ein Herr einer Dame einen Dienst erweist, so führt das meistens nicht zu einer näheren Bekanntschaft. Wenn aber umgekehrt eine junge Dame einem Mann hilft, so ist das unweigerlich der Beginn einer Freundschaft.

 

Seit dieser Zeit hatten sie sich täglich hier beim Tee getroffen. Einmal versuchte Jim auch, sie zum Theater einzuladen, aber sie schlug seine Bitte ab.

 

»Haben Sie weitere Erfolge gehabt bei Ihrer Suche nach der verlorenen jungen Dame?« fragte sie, während sie sich Marmelade auf ein Brötchen strich.

 

Jims Stirn legte sich in Falten.

 

»Mr. Salter hat mir heute klargemacht, daß es wenig an den Verhältnissen ändern würde, wenn ich sie fände.«

 

»Es wäre aber doch wundervoll, wenn das Kind gerettet worden wäre. Haben Sie jemals an diese Möglichkeit gedacht?«

 

Er nickte. »Leider dürfen wir uns keine Hoffnung in dieser Richtung machen, so schön es auch wäre. Und am meisten würde ich mich freuen«, meinte er lachend, »wenn Sie die vermißte Erbin wären!«

 

»Das ist hoffnungslos«, sagte sie kopfschüttelnd. »Ich bin die Tochter armer, aber ehrlicher Eltern, wie es immer so schön heißt.«

 

»Ihr Vater lebte immer in Südafrika?«

 

»Ja, er war Musiker. Auf meine Mutter kann ich mich kaum besinnen, sie muß sehr lieb gewesen sein.«

 

»Wo wurden Sie denn geboren?«

 

»In Kapstadt-Rondebosch, um genau zu sein. Aber warum geben Sie sich denn solche Mühe, die verlorene Dame aufzufinden?«

 

»Weil ich nicht will, daß dieser schreckliche, ungebildete Mensch, das große Erbe der Danton-Millionen antreten soll.«

 

Sie richtete sich erstaunt auf.

 

»Wer ist denn dieser ungebildete Mensch? Sie haben mir bis jetzt seinen Namen noch gar nicht genannt.«

 

Das stimmte, Jim Steele hatte ihr erst vor ein paar Tagen von dieser Sache erzählt, die ihn so sehr beschäftigte.

 

»Der junge Mensch heißt Digby Groat.«

 

Sie schaute ihn verwirrt an.

 

»Was haben Sie denn?« fragte er erstaunt.

 

»Als Sie vorhin den Namen Danton erwähnten, erinnerte ich mich daran, daß unser erster Fotograf neulich sagte, Mrs. Groat sei die Schwester Jonathan Dantons«, sagte sie langsam.

 

»Kennen Sie die Familie Groat?«

 

»Ich kenne sie nicht«, sagte sie langsam, »wenigstens nicht sehr gut –« Sie zögerte. »Aber ich werde eine Stellung bei Mrs. Groat als Sekretärin annehmen.«

 

Er sah sie groß an. »Und davon haben Sie mir noch nichts gesagt?«

 

Aber als sie die Augen niederschlug, erkannte er, daß es falsch von ihm war, so zu fragen.

 

»Natürlich«, fügte er schnell hinzu, »es liegt ja kein Grund vor, warum Sie mir das sagen sollten.«

 

»Ich weiß es selbst erst seit heute. Mr. Groat ließ sich fotografieren, und seine Mutter begleitete ihn zum Atelier. Sie waren schon ein paarmal da, aber ich habe kaum von ihnen Notiz genommen. Heute rief mich der Chef zu sich und sagte, daß Mrs. Groat eine Sekretärin brauchte und daß es eine sehr gute Stelle für mich sein würde. Sie will fünf Pfund die Woche zahlen, die ich vollständig sparen kann, denn ich werde in ihrem Hause wohnen.«

 

»Wann hat sich denn Mrs. Groat entschlossen, eine Sekretärin anzustellen?«

 

»Das weiß ich nicht – warum fragen Sie mich, danach?«

 

»Ich habe sie vor einem Monat in unserer Kanzlei gesehen. Mr. Salter machte ihr damals den Vorschlag, sich eine Sekretärin zu halten, um ihre Korrespondenz in Ordnung zu bringen. Sie erklärte aber, daß sie das unter keinen Umständen täte, sie wolle keine Fremde um sich haben, die weder Dienstbote noch Freundin sei.«

 

»Sie wird ihre Absicht eben geändert haben«, meinte Eunice lächelnd.

 

»Das bedeutet also, daß wir uns nicht weiter beim Tee treffen können. Wann werden Sie Ihre neue Stelle antreten?«

 

»Schon morgen früh.«

 

Jim ging in düsterer Stimmung in sein Büro zurück. Sein Leben schien plötzlich arm und traurig geworden zu sein.

 

›Du hast dich verliebt, alter Kerl‹, sagte er zu sich selbst.

 

Es gehörte zu seinen Pflichten, das große Tagebuch zu führen, und wütend blätterte er die Seiten um.

 

Mr. Salter war schon nach Hause gegangen. Jim steckte seine Pfeife an und trug die Vorgänge nach den kurzen Bleistiftnotizen seines Chefs ein, die er auf dem Schreibtisch zurückgelassen hatte.

 

Als er fertig war, ging er noch einmal in das Zimmer seines Chefs, um zu sehen, ob er nicht etwas vergessen hätte.

 

Mr. Salters Schreibtisch war für gewöhnlich in bester Ordnung, aber er hatte die merkwürdige Angewohnheit, wichtige Akten oder Notizen beiseite zu legen, man hätte fast sagen können, sie zu verstecken. Jim hob alle Gesetzbücher auf, die auf dem Tisch standen, ob er nicht noch irgendeine Notiz darunter finden könnte. Ein dünnes, goldgerändertes Notizbuch war zwischen zwei Bänden eingeklemmt gewesen und fiel nun auf die Tischplatte. Er konnte sich nicht besinnen, es früher gesehen zu haben. Als er es öffnete, entdeckte er, daß es ein Tagebuch für das Jahr 1929 war. Mr. Salter pflegte für seinen Privatgebrauch Notizen zu machen und tat das in einer sonderbaren, nur ihm verständlichen Kurzschrift. Keinem seiner Schreiber oder Sekretäre war es jemals gelungen, sie zu entziffern. Auch dieses Tagebuch war in dieser Geheimschrift abgefaßt.

 

Jim drehte die Blätter neugierig um und wunderte sich, daß ein so vorsichtiger und ordentlicher Mann ein Tagebuch herumliegen ließ. Er wußte, daß in dem großen, grünen Geldschrank ganze Stapel solcher kleinen Bände aufbewahrt wurden. Vielleicht hatte der Rechtsanwalt einen herausgenommen, um sein Gedächtnis aufzufrischen. Es waren Hieroglyphen für Jim. Nur ab und zu stand ein Wort in offener Schrift dazwischen.

 

Aber plötzlich stutzte er, denn unter dem vierten Juni fand er eine lange Eintragung. Sie schien erst später von dem Rechtsanwalt gemacht worden zu sein, denn sie war mit grüner Tinte geschrieben. Aus diesem Umstand konnte er feststellen, wann sie geschrieben war, denn vor achtzehn Monaten hatte ein Augenarzt Mr. Salter gesagt, daß es ihm leichter fiele, grüne Schrift zu lesen, und seit diesem Zeitpunk hatte der Rechtsanwalt stets grüne Tinte für seine Schriftsätze benutzt. Jim hatte den Absatz gelesen, bevor er sich darüber klar wurde, daß er eigentlich nicht dazu berechtigt war.

 

»Ein Monat Zuchthaus im Holloway-Gefängnis. Entlassen am 2. Juli. Madge Benson (dieser Name war unterstrichen) 14, Palmer’s Terrace, Paddington. 74, Highcliffe Gardens, Margate. Hatte lange Besprechungen mit dem Bootsmann, dem die ›Saucy Belle‹ gehörte.

 

Keine Spur von –«

 

Hier endete der Abschnitt in offener Schrift.

 

»Was, in aller Welt, mag das bedeuten?« murmelte Jim vor sich hin. »Das muß ich mir notieren.«

 

Plötzlich kam ihm der Gedanke, daß er im Begriff war, etwas Unehrenhaftes zu tun, aber er war so interessiert an diesem neuen Hinweis, daß er seine Bedenken überwand.

 

Offenbar bezog sich diese Bemerkung auf die verschwundene Lady Mary. Wer diese Madge Benson war, und was die Erwähnung des Gefängnisses in Holloway bedeutete, wollte er herausbringen.

 

Als er die Notizen abgeschrieben hatte, ging er in sein Zimmer zurück, schloß seinen Schreibtisch ab, ging nach Hause und überlegte angestrengt, welche weiteren Nachforschungen er anstellen könnte.

 

Er hatte eine kleine Wohnung in einem Häuserblock, von dem aus man Regent’s Park übersehen konnte. Von seinen eigenen Zimmern aus hatte man allerdings keinen Blick ins Freie. Man konnte nur die unangenehmen Rückseiten anderer Mietshäuser sehen, und unten führte die Eisenbahn vorbei. Er hätte von seinem Fenster aus Kupfermünzen auf die vorbeifahrenden Wagen werfen können, so dicht lagen die Schienen bei seinem Hause. Dafür war aber auch die Miete nur halb so hoch wie für ähnliche Wohnungen in besserer Lage. Er hatte ein kleines Privateinkommen von zwei bis drei Pfund wöchentlich, und wenn er sein Gehalt dazunahm, konnte er verhältnismäßig gut leben. Seine drei Zimmer waren mit wertvollen, alten Möbeln ausgestattet, die er aus dem Zusammenbruch seines väterlichen Vermögens gerettet hatte; denn als sein etwas leichtsinniger Vater starb, konnten von seiner Hinterlassenschaft gerade die zahlreichen Schulden beglichen werden.

 

Jim war im vierten Stock aus dem Lift gestiegen und wollte eben aufschließen, als er hörte, daß die gegenüberliegende Tür sich öffnete. Er wandte sich um.

 

Die ältere Frau, die heraustrat, trug die Tracht einer Krankenschwester. Sie nickte ihm freundlich zu.

 

»Wie geht es Ihrer Patientin?« fragte Jim.

 

»Es geht ihr gut. Das heißt, so gut es einer so kranken Dame eben gehen kann. Sie ist Ihnen sehr dankbar für die Bücher, die Sie ihr schickten.«

 

»Die arme Frau«, meinte Jim bedauernd. »Es muß doch schrecklich sein, wenn man nicht mehr ausgehen kann.«

 

»Sicherlich, aber Mrs. Fane scheint es nichts mehr auszumachen. Man gewöhnt sich daran, wenn man schon sieben Jahre krank liegt.«

 

Es kamen Schritte die Treppe herunter, und sie schaute hinauf.

 

»Der Postbote kommt«, sagte sie. »Ich dachte, er wäre schon dagewesen. Vielleicht bringt er uns etwas.«

 

Die Briefträger ließen sich im Fahrstuhl bis zum sechsten Stock fahren und teilten im Hinuntergehen die Post aus.

 

»Ich habe nichts für Sie, Sir«, sagte er zu Jim, während er das Paket Briefe in seiner Hand durchsah.

 

»Miss Madge Benson – das sind Sie doch, Schwester, nicht wahr?«

 

»Jawohl«, entgegnete die Frau schnell, nahm dem Postboten den Brief aus der Hand, verabschiedete sich durch ein kurzes Kopfnicken von Jim und ging die Treppe hinunter.

 

Madge Benson! Der Name, den er eben in Salters Tagebuch gelesen hatte!