Kapitel 1

 

1

 

»Gewehr ab!«

 

Einunddreißig Gewehre bewegten sich mit einem Schlag – einunddreißig weiße Hände flogen wie ein Blitz an einunddreißig Hosennähte, als ob sie gleichmäßig von einer unsichtbaren Maschine bewegt würden. Wie aus Erz gegossen stand die Linie feuerroter Uniformen, die großen Tschakos aus Bärenfell waren tadellos ausgerichtet. Die Marschmusik brach dröhnend und donnernd ab, als die letzten vier Mann der alten Wache um die Ecke des Weißen Turmes schwenkten und verschwanden.

 

»Wegtreten!«

 

Bobby Longfellow steckte die blanke Säbelklinge in die Scheide, klemmte das Monokel fester und schaute auf die kleine Kirche St. Peter ad Vincula, die im lichten Schein eines Sommermorgens vor ihm lag. Er bemerkte eine kleine, dicke Dame, die mit einem Führer in der Hand auf ihn zukam. Sein Sergeant, der in straffer Haltung neben ihm stand, beobachtete den Vorgang. Ein leises Lächeln huschte unbemerkt über sein dunkelbraunes Gesicht.

 

»Entschuldigen Sie, Sir!«

 

Bobby maß mehr als 1,83 Meter. Die Stimme drang von unten zu ihm herauf, und er blickte hinab. Die füllige Dame trug einen kleinen, altmodischen Hut und einen mit Perlen verzierten Umhang. An ihrem Ausschnitt prangte eine große Kameenbrosche. Ihr Gesicht war von der Hitze gerötet. Sie hatte intelligente Züge. Bobby betrachtete ihr dreifaches Kinn und die große, männliche Nase.

 

»Es tut mir leid – hm …«

 

»Könnten Sie mir vielleicht sagen, wo das Grab der Lady Jane Grey liegt?«

 

Sie sprach mit tiefer Baßstimme. Er blinzelte sie an, als ob er plötzlich aus dem Dunkeln in helles Licht gekommen wäre.

 

»Lady –?«

 

»Lady Jane Grey, Sir.«

 

Er schaute hilflos nach seinem Sergeanten hinüber, und seine weißbehandschuhten Hände spielten nervös mit dem kleinen Schnurrbart.

 

»Haben Sie sich schon auf dem Kirchhof umgeschaut?« fragte er und hoffte, sie damit loszuwerden.

 

»Auf welchem Kirchhof, Sir?«

 

Bobby sandte wieder einen Blick zu seinem Sergeanten, aber der blieb stumm.

 

»Nun – hm – auf irgendeinem Kirchhof! Kennen Sie diese tote Lady, Sergeant?«

 

»Ich habe sie bis jetzt noch nicht gesehen.«

 

Bobby räusperte sich, um den Irrtum des Sergeanten zu korrigieren.

 

»Lady – wie hieß doch der Name gleich? Grey?«

 

Die starke Dame kam ihm zu Hilfe.

 

»Ihr Grab liegt in der Nähe des Tower«, sagte sie leise.

 

Bobby zeigte mit der Rechten auf die Gebäude.

 

»Dies alles ist Tower – das stimmt doch, Sergeant?« fragte er etwas verärgert.

 

Der Sergeant bejahte.

 

»Sie fragen besser einen Beefeater, einen Aufseher, Madam.«

 

Er wollte sich gegen die Beleidigung verwahren, daß man einen Gardeoffizier in voller Galauniform mit einem Fremdenführer verwechselte. Das war ihm bisher noch nicht vorgekommen. Er war zum erstenmal wachhabender Offizier im Tower, und das war gar nicht so sehr nach seinem Geschmack. Er verfluchte die Gluthitze des heutigen Tages und war keineswegs mit dem enganliegenden feuerroten Waffenrock und dem hohen Bärenfelltschako, unter dem man so schwitzte, einverstanden. Ganz offen gesagt, hätte Leutnant Robert Longfellow im Augenblick alles andere lieber sein mögen als ein Subalternoffizier von Seiner Majestät Berwick-Garde.

 

Die starke Dame zog wieder ihren Führer zu Rate. »Wo werden die Kronjuwelen aufbewahrt?«

 

»Im Geldschrank, Madam!« sagte Bobby prompt.

 

Glücklicherweise kam gerade ein berufsmäßiger Fremdenführer dazu und brachte die Besucherin zu seiner großen Erleichterung zu dem Wakefield Tower.

 

»Wie ekelhaft solche Ausfragerei ist!« sagte Bobby. »Was, zum Henker, sollte ich ihr denn sagen, Sergeant?«

 

»Nichts«, sagte der Mann. Bobby grinste und ging in die Wachstube und dann nach seiner Privatwohnung.

 

Mrs. Ollorby aber sah sich weiter die Sehenswürdigkeiten des Tower an. In Wirklichkeit hatte sie weder an den Kronjuwelen noch an der unglücklichen Jane Interesse, die nur einige Meter von der Stelle entfernt, wo Mrs. Ollorby ihre unangebrachten Fragen gestellt hatte, enthauptet worden war.

 

Eine andere Besucherin aber nahm an demselben Morgen großen Anteil an dem tragischen Geschick Janes. Hope Joyner stand vor dem kleinen, viereckigen Stein, der durch eine Eisenkette gesichert wird, damit er nicht von Menschenschritten entweiht wird. Sie schaute auf die einfache Inschrift. Dann schweifte ihr Blick zu der kleinen Kirche, wo die sterblichen Reste der unglücklichen jungen Frau zur letzten Ruhe gebettet waren.

 

»Arme – arme Jane!« sagte sie mit weicher Stimme. Ihr Begleiter Richard Hallowell fand nicht den Mut, darüber zu lächeln.

 

Hier beklagte Jugend das Dahinscheiden der Jugend. Ein junges Mädchen beugte sich mitleidig über die Stelle, wo damals Janes langes Haar über ihr Haupt geschlungen wurde, damit das Henkerbeil ungehindert seine grauenvolle Arbeit verrichten konnte. Er konnte ihr vollendet schönes Profil sehen. In dieser trauernd geneigten Haltung sah ihre Gestalt noch viel graziöser aus als sonst. Ihre zarte, reine Gesichtsfarbe hob sich wundervoll von dem grauen Hintergrund des alten Mauerwerks ab. Die Tragödie des ehrgeizigen Somerset wirkte durch die Anwesenheit dieses schönen jungen Mädchens nur noch bitterer und schmerzlicher.

 

»War es nicht schrecklich? Sie wohnte in King’s House … Von dem Fenster aus sah sie, wie man ihren toten Gatten forttrug …«

 

»Hope, Sie machen den lachenden Morgen durch solche Betrachtungen todtraurig!«

 

Sie lächelte ihn schnell an und legte ihre Hand auf seinen Arm.

 

»Ja – es ist nicht richtig von mir, Dick! Ich will es lassen. Ist der prächtige Offizier dort nicht Bobby?«

 

Die lange, schlanke Gestalt des wachhabenden Offiziers erschien unter der Veranda des Wachthauses.

 

»Ja, das ist Bobby. Gestern abend kam er vom Urlaub zurück, und heute macht er seine erste Wache.« Dick lachte leise. »Er ist ein geborener Müßiggänger – ein klein wenig Tätigkeit befriedigt ihn vollkommen.«

 

»Das ist das erstemal, daß Sie heute gelacht haben«, hielt sie ihm vor. Er hätte ihr gern gesagt, daß er an diesem Morgen wenig Grund zum Fröhlichsein hatte, aber er schwieg.

 

Dick Hallowell sah in der schwarzen, tadellos sitzenden Offiziersuniform mit der feuerroten Binde sehr gut aus. Er war einen Kopf größer als Hope. Seine grauen Augen blickten kühn und klar in die Welt. In seinem Gang lag die Geschmeidigkeit und Biegsamkeit des trainierten Sportlers.

 

»Nun habe ich Ihnen alles gezeigt«, sagte er. »Ich hoffte, es würde den ganzen Tag dauern.«

 

Sie lachte leise.

 

»Das ist nicht wahr! Sie sind ganz unruhig geworden und möchten mich gern los sein, seitdem Ihr Bursche kam. Wartet jemand auf Sie?« Bevor er antworten konnte, fuhr sie fort: »Ich bin eine geborene Hellseherin – und außerdem kenne ich den Tower schon sehr gut. Aber ich wollte zu gerne einmal sehen, wie Sie eigentlich in Uniform aussehen!«

 

Als sie sprach, kam ihr mit Bedauern zum Bewußtsein, daß sie sich erst kurze Zeit kannten. Vor nicht ganz einem Monat waren sie einander begegnet. Sie hatte eine Bootsstange im schäumenden Kielwasser eines Dampfers auf der Themse verloren und sich mit ihrem Boot im Weidengestrüpp verstrickt. Er ruderte herbei, um sie zu befreien, und war sehr ausgelassen. – Jetzt gingen sie dem Löwentor zu. Unter einem Torbogen machten sie halt und schauten zusammen auf die düstere Holzschranke, hinter der der Fluß lag.

 

»Das Verrätertor!«

 

Sie schauderte, wußte aber nicht, warum.

 

»Ja – das Verrätertor«, nickte er, »ein altehrwürdiges Tor heutzutage. Man denkt kaum noch daran, daß Königinnen und Hofleute diese Stufen betraten.«

 

Sie lachte wieder, dann gingen sie weiter. Die Schildwachen salutierten. Jetzt erreichten sie die geschäftige Welt von Tower Hill. Schwere, mit Kisten hochbeladene Lastwagen ratterten an ihnen vorbei. Vom nahen Billingsgate zog Fischgeruch herüber.

 

Hopes schönes Auto hielt am Straßenrand. Dick öffnete den Schlag.

 

»Wann werde ich Sie wiedersehen?«

 

Sie lächelte bei seiner Frage.

 

»Wann Sie wollen. Mein Name steht im Telefonbuch.«

 

»Was unternehmen Sie jetzt?«

 

Sie machte kein frohes Gesicht.

 

»Ich habe eine unangenehme Unterredung vor mir«, sagte sie.

 

Er schaute sie groß an, denn auch ihm stand ähnliches bevor, aber er sagte ihr nichts davon.

 

Er sah ihrem Wagen nach, bis er außer Sicht war. Dann ging er den Hügel hinunter, über die Brücke, die den alten Festungsgraben überspannt. Er lächelte nicht mehr, und nicht einmal der stumme, aber beredte Gruß, den Bobby ihm zunickte, als er durch die Wachstube ging, konnte die bösen Wolken von seiner Stirn verscheuchen.

 

*

 

Am Eingang seiner Wohnung wartete Brill, sein Bursche, und meldete einen Besucher.

 

»Der Herr bat mich, Sie zu suchen. Er hätte eine Verabredung mit Ihnen.«

 

Dick Hallowell nickte langsam.

 

»Ich brauche Sie in der nächsten Viertelstunde nicht, Brill«, sagte er. »Sie bleiben an der Tür, und wenn jemand kommt, sagen Sie, daß ich sehr beschäftigt sei.«

 

»Jawohl, Sir Richard.«

 

»Und Brill – hat der, hm, Herr etwas gesagt – ich meine, über sich selbst?«

 

Brill zögerte.

 

»Nein, Sir. Er schien übler Laune zu sein und sagte, daß Sie sehr froh sein müßten, eine derartige Wohnung zu haben –«

 

Wieder zögerte er.

 

»Hat er sonst noch etwas gesagt?«

 

»Nein, das ist alles … Er lachte so höhnisch. Sonst ist nicht viel los mit ihm, soweit ich sehen kann.«

 

»Ja, Sie haben recht – nichts.«

 

Dick ging die Steintreppe hinauf und machte vor einer Tür halt. Mit düsterem Gesicht stieß er sie auf und ging hinein. Am Fenster des vornehm ausgestatteten Wohnzimmers stand ein Mann und schaute hinaus. Er schien das Exerzieren der Soldaten im Hof zu beobachten. Als er sich jetzt zu Dick umwandte, sah man ein hageres und unzufriedenes Gesicht. Er trug schäbige Kleidung, und seine Absätze waren abgetreten. Trotzdem glich er in seinen Zügen und in seiner Haltung auffällig dem schweigenden Offizier, der ihn aufmerksam betrachtete.

 

»Hallo!«

 

Er ging Dick einige Schritte entgegen und sah ihn forschend an. Sein Betragen war weder freundlich noch beleidigend.

 

»Hallo – Bruder!«

 

Dick sagte nichts. Als sie einander gegenüberstanden, konnte man die Familienähnlichkeit noch deutlicher sehen, und doch waren beide verschieden. Wenn Graham Hallowell nicht so rauh gesprochen hätte, wäre seine Stimme der seines Bruders vollkommen gleich gewesen. Aber er hatte die liebenswürdigen Umgangsformen von früher abgestreift und hatte vergessen, daß er einst die Ruderboote einer berühmten Schule geführt und der Stolz und die Zierde der Universität gewesen war.

 

Jetzt wußte er nur, daß er ein vom Schicksal hart mitgenommener Mann war, der niemals eine Chance gehabt hatte. Er war so verbittert, daß er sich nur noch an die Not und die bösen Erfahrungen seines Lebens erinnerte.

 

»Deine Begrüßung ist genauso begeistert wie immer«, sagte er höhnisch, »und ich will wetten, daß du mich nicht zum Essen in die Offiziersmesse einlädst! ›Hier ist mein Bruder – Graham Hallowell, der gestern von Dartmoor entlassen wurde und der Ihnen interessante Geschichten aus dieser Hölle erzählen kann!‹«

 

Seine Stimme wurde immer lauter, bis er schließlich schrie. Dick merkte, daß er getrunken hatte und in seiner bösartigsten Stimmung war. »Auch dein verdammter Bursche behandelt mich, als ob ich ein Aussätziger wäre –«

 

»Das bist du auch«, sagte Dick mit leiser, aber klarer Stimme. »Ein Aussätziger – das ist die richtige Bezeichnung für dich, Graham! An dir ist etwas Verfaultes, dem Leute, die noch Selbstachtung haben, aus dem Wege gehen. – Und schrei nicht so, wenn du mit mir sprichst, sonst packe ich dich am Kragen und werfe dich die Treppe hinunter. Hast du mich verstanden?«

 

Der andere ließ sich durch diese Drohung einschüchtern und wurde aus einem prahlenden Raufbold zu einem jammernden Bettler.

 

»Kümmere dich nicht um mich, Dick – ich habe heute morgen schon zehn Glas getrunken –, alter Junge, stell dir doch vor, wie dir zumute wäre, wenn du gestern aus dem Gefängnis entlassen worden wärest! Versetze dich einmal in meine Lage!«

 

Dick unterbrach ihn.

 

»Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ich mich fühlen würde, wenn ich fürs Gefängnis reif wäre«, sagte er kühl. »Solche Einbildungskraft besitze ich nicht. Es ist mir einfach unmöglich, mich an deine Stelle zu denken, als du einen jungen, unerfahrenen Gardeoffizier betäubtest und beraubtest. Der Mann schenkte dir sein Vertrauen, weil du mein Halbbruder bist. Noch unmöglicher erscheint es mir, mit der Frau eines angesehenen Mannes durchzubrennen und sie nachher in Wien in Hunger, Elend und Schande sitzenzulassen. – Und noch so vieles andere, dessen ich nicht fähig wäre. Aber ich will lieber nichts mehr davon erwähnen. Wenn ich mich an deine Stelle setzen und begreifen könnte, wie ein Mann so niederträchtig sein kann wie du – ja, dann würde ich deine augenblicklichen Gefühle vielleicht eher teilen können. – Was willst du von mir?«

 

Grahams unruhiger Blick irrte zum Fenster.

 

»Mein Leben ist verpfuscht«, sagte er verdrießlich. »Ich dachte daran, nach Amerika zu gehen –«

 

»Hat die amerikanische Polizei entdeckt, daß man in Amerika dringend Gesindel braucht, weil du ausgerechnet dorthin gehen willst?«

 

»Du bist hartherzig wie die Hölle, Dick.«

 

Dick Hallowell lachte – aber es war kein frohes Lachen.

 

»Wieviel willst du haben?«

 

»Den Fahrpreis nach New York –«

 

»Du wirst mit deinen Personalakten nicht in die Vereinigten Staaten kommen, das weißt du doch ganz genau.«

 

»Ich könnte ja einen anderen Namen annehmen –«

 

»Du wirst nicht fahren – du hast ja auch gar nicht die Absicht, das zu tun.« Dick setzte sich an seinen Schreibtisch, öffnete eine Schublade, nahm ein Scheckbuch heraus und schrieb.

 

»Ich habe dir einen Scheck über fünfzig Pfund ausgeschrieben, und ich habe ihn so ausgefüllt, daß du ihn unmöglich auf fünfhundert umändern kannst, wie du es mit meinem letzten Scheck getan hast. Außerdem werde ich diesmal meine Bank telefonisch von der Höhe der Summe verständigen.« Er riß das Blatt aus dem Heft und gab es seinem düster dreinschauenden Bruder.

 

»Das ist das letzte, was du von mir bekommst. Wenn du dir einbildest, daß du mich zwingen kannst, dir Geld zu geben, weil du hierher kommst, dann hast du etwas anderes zu erwarten. Der Oberst und meine Kameraden wissen alles von dir. Der Offizier, den du damals beschwindelt hast, ist gerade auf Wache. Wenn du mir irgendwie Schwierigkeiten machst, lasse ich dich einsperren. Verstanden?«

 

Graham Hallowell steckte den Scheck in die Tasche.

 

»Du bist zu hart«, jammerte er. »Wenn Vater das wüßte –«

 

»Gott sei Dank ist er tot!« sagte Dick düster. »Aber er wußte genug von dir und starb an gebrochenem Herzen. Das trage ich dir nach, Graham.«

 

Graham atmete schwer. Nur die Furcht hielt seine Wut in Schranken. Er haßte seinen Halbbruder. Er hätte ihn beleidigen, demütigen, peinigen können, aber es fehlte ihm der Mut dazu.

 

»Durch das Fenster sah ich, wie du mit einem schönen Mädchen sprachst.« – »Sei ruhig!« fuhr Dick auf. »Ich vertrage es nicht, dich über eine Frau reden zu hören!«

 

»Sieh mal an!« Graham verfiel wieder in seine frühere Unverschämtheit. »Ich wollte dich nur fragen – weiß Diana –?«

 

Dick ging zur Tür und riß sie weit auf.

 

»Mach, daß du hinauskommst!« sagte er kurz.

 

»Diana –«

 

»Diana bedeutet mir nichts mehr. Erinnere dich gefälligst daran. Ich liebe auch ihre Freunde nicht.«

 

»Meinst du mich damit?«

 

Dick nickte.

 

Graham zuckte die Achseln und entfernte sich hochmütig.

 

»Dieser Platz hier ist wie ein Gefängnis – aber ich werde schon meinen Weg hinausfinden.«

 

»Der beste Ausweg für dich ist, wenn du wieder hinter Schloß und Riegel sitzt.« Richard Hallowell lachte grimmig.

 

»Was ist das?« fragte Graham unten.

 

»Das Verrätertor«, sagte Dick und warf den schweren Flügel hinter ihm zu.

 

Kapitel 10

 

10

 

Er kehrte nach Greenwich zurück und fand dort seinen Wagen. Anstatt nach Cobham zu fahren, eilte er in eine Telefonzelle und wählte die Nummer des Mousetrap-Klubs. Mr. Trayne war anscheinend im Haus, denn nach auffällig kurzer Zeit war er am Apparat.

 

»Ich habe einen Freund von Ihnen getroffen«, sagte Graham vorsichtig. »Erinnern Sie sich an die Frau, die wir sahen, als wir aus dem Fenster schauten?«

 

»Mrs. O.?« war die schnelle Antwort. Als Graham dies bestätigte, fragte er: »Wo war sie?«

 

»In Canning Town. Ich glaube, sie war mir auf der Spur.«

 

Erst nach einiger Zeit sprach Trayne wieder.

 

»Kommen Sie nach dem Westen. Warten Sie in der Wardour Street auf mich. Ihr Wagen ist doch geschlossen, nicht wahr? Gut! Ich werde in zwanzig Minuten dort sein.«

 

Graham setzte seinen Weg fort. An einer einsamen Stelle der Wardour Street überholte er Trayne und fuhr so langsam, daß dieser aufspringen konnte.

 

»Regent’s Park – Außenring«, gab Trayne an und sprach nicht, ehe sie in dieser einsamen Gegend ankamen.

 

»Nun erzählen Sie mir.«

 

»Es ist nicht viel zu sagen.« Graham lachte rauh. »Ich sah sie erst, als ich auf den Autobus wartete, aber ich bin überzeugt, daß sie mich schon den ganzen Abend beobachtet hat.«

 

Wieder ein langes, nachdenkliches Schweigen.

 

»Ich bin neugierig, was sie weiß«, murmelte Trayne. »In dem Gasthaus haben Sie sie nicht gesehen?«

 

Graham schüttelte den Kopf.

 

»Ich hätte sie sofort erkannt«, sagte er. »Nein, ich glaube, sie hat mich erst gesehen, wie ich den Kapitän verließ – ich möchte darauf schwören, daß niemand in der Straße war, als ich mit Eli Boß dort ging.«

 

»Hm!« Trayne war nicht davon überzeugt. »Diese dicke Frau ist wundervoll«, sagte er mit zögernder Bewunderung. »Ich möchte beinahe wetten, daß sie Sie von dem Augenblick an unter Aufsicht hatte, als Sie Cobham verließen. Was halten Sie von Eli?« fragte er plötzlich.

 

»Dem Kapitän? Er ist kein besonders angenehmer Zeitgenosse.«

 

»Nur seine Nützlichkeit ist hier wichtig«, sagte Trayne. »Er würde, wenn es sein müßte, seinen eigenen Sohn verschachern. Er hat schon für mich gearbeitet, aber nicht in dieser Weise. Vor einem muß ich Sie warnen: er darf nicht wissen, was Sie nach Indien bringen, oder der Artikel wird niemals dort landen. Solange er glaubt, es sei Kokain, ist keine Gefahr vorhanden.«

 

»Hat er Aussicht, es zu erfahren?«

 

»Nein, wenn nicht das Schiff im Kanal angehalten wird. Er gibt an, daß er eine Ladung Radiomaterial führt, aber ich glaube, das ist nur Vorspiegelung, um die Nachforschungen des Handelsamtes zu befriedigen – er war vorher von einer englischen Firma gechartert. Wenn Sie Ihre Koffer hinschicken, wird es gut sein, daß Sie ein paar Pistolen und ein paar hundert Patronen einpacken – Sie können sie vielleicht brauchen.«

 

»Weiß der Kapitän, daß Sie Ihre Hand im Spiel haben?« fragte Graham neugierig. Zu seinem größten Erstaunen erhielt er von dem anderen ein entschiedenes Nein zur Antwort.

 

»Er denkt, daß er es einem meiner Freunde zu Gefallen tut. Eli Boß tut alles nur aus Gefallen. Es ist seine Anschauung, daß er anderen Leuten immer nur eine Gnade erweist. Er ist ein roher, leidenschaftlicher Mensch, aber die Leidenschaft, die ihn beherrscht, wird Sie nicht besonders stören.«

 

»Was ist es denn?«

 

»Frauen«, war die lakonische Erwiderung. »Er war deswegen schon dreimal vor dem Richter, und beinahe hätte er einmal eine lange Freiheitsstrafe wegen eines Mädchens in Turo bekommen. Sie werden es kaum für möglich halten, aber Eli bildet sich ein, daß er ein schöner Mann ist. Das grenzt beinahe an Verrücktheit. Seine beiden Söhne sind so schlecht und unvernünftig, daß sie den alten Teufel noch in seiner Eitelkeit bestärken. Geld ist sein Gott. Das einzige, was er noch darüberstellt, ist irgend etwas Weibliches. Glücklicherweise wird diese Frage auf Ihrer ganzen Reise nicht auftauchen, denn es ist ausdrücklich in seinem Vertrag mit mir oder vielmehr mit meinem mysteriösen Freund festgesetzt, daß eine Frau auf diese Reise nicht über das Fallreep darf. Der Preis, der ihm dafür bezahlt wird, ist so hoch, daß er sich bestimmt an seine Vereinbarung hält.«

 

Von Mrs. Ollorby sagte er nichts mehr. Kurz darauf setzte ihn Graham in Grower Street ab und kehrte nach Hause zurück. Es war schon sehr spät, als er heimkam, aber der Gärtner wartete noch auf ihn und begrüßte ihn auf der Treppe.

 

»Haben Sie einen Anruf, etwa um elf Uhr, erwartet?«

 

»Ich?« fragte Hallowell erstaunt. »Nein, warum?«

 

»Erwarten Sie eine Nachricht von Ihrer Frau?«

 

»Nein, es ist sehr unwahrscheinlich, daß sie mich anruft. Ich vermute, daß sie nicht einmal die Telefonnummer kennt.«

 

»Aber jemand kennt die Nummer sehr genau«, sagte der Gärtner. »Sie wurden ungefähr um elf Uhr angerufen, und zwar von einer Dame. Sie nannte Ihren vollen Namen und fragte, wann Sie vermutlich wieder zurück sein würden.«

 

»Was haben Sie geantwortet?«

 

»Ich sagte ihr, daß ich nicht wüßte, worüber sie spräche. Sie wollte mir nicht sagen, wer sie war, aber sie diktierte mir eine Mitteilung für Sie.« Graham folgte ihm in das Arbeitszimmer. Auf dem Löschpapier lag ein Notizblatt, auf dem in unregelmäßiger kindlicher Handschrift die Nachricht stand:

 

»Kein Geldschrank ist so sicher wie Raum 79 B Ward.«

 

Graham Hallowell wurde weiß bis in die Lippen. Denn 79 war die Nummer seiner Zelle, und B Ward war die Bezeichnung für den Gefängnisblock in Dartmoor, in dem er gesessen hatte.

 

Kapitel 11

 

11

 

Der Fürst von Kisthlastan konnte Feste geben, deren Pracht und Glanz für die Öffentlichkeit bestimmt war, aber er konnte auch sehr feine intime Diners veranstalten, die einen kultivierten, persönlichen Geschmack verrieten. Rikisivi war in tadellosem Gesellschaftsanzug und unterschied sich nur durch seine dunkle Hautfarbe und weißen Turban von den anderen Herren. Er ging in den getäfelten Speisesaal seiner Privaträume und besichtigte die gedeckte Tafel.

 

Mr. Colley Warrington, der eine halbe Stunde früher ankam als der erste Gast, nickte sehr zufrieden, als er eine der Menükarten durchlas.

 

»Das wird selbst dem Oberst imponieren«, sagte er und zeigte dabei mit seinem Finger auf eine Marke in der kurzen, aber exquisiten Weinliste.

 

Der Fürst zuckte verächtlich mit den Mundwinkeln.

 

»Für mich wird die ganze Gesellschaft eine langweilige Sache werden. Man hätte Miss Joyner unbedingt einladen können, hierherzukommen, wenn man sich die nötige Mühe gegeben hätte«, sagte er vorwurfsvoll.

 

»Ich glaube, daß Hoheit die Verhältnisse falsch beurteilen«, sagte Colley mit einem überlegenen Lächeln. »Es wäre der schlechteste Schachzug gewesen, weiter mit ihr in Verbindung zu bleiben, wegen – hm – der anderen kleinen Sache.«

 

»Sie haben ihr nicht einmal geschrieben«, sagte Rikisivi schlecht gelaunt. »Sie haben den Eindruck bei ihr aufkommen lassen, daß wir – wie soll ich gleich sagen – sie als eine aussichtslose Sache aufgegeben haben – daß wir verlegen und ratlos sind wegen der Perlen und sie deswegen nicht mehr sehen möchten. Und ich hätte sie so gern hier gehabt, ich muß sie hier haben, ich brauche sie, ich bin unglücklich, wenn ich sie nicht sehe. Wenn Sie doch wenigstens geschrieben hätten –«

 

»Ich habe ihr geschrieben«, sagte Colley, dessen Aufmerksamkeit anscheinend vollständig davon in Anspruch genommen war, die Tischordnung zu prüfen. Er schaute gar nicht zu dem Fürsten hin, als er sprach. »Ich habe ihr geschrieben, daß Sie eine Abendeinladung geben und daß der Oberst Richard Hallowell auch unter den Gästen sein wird, aber ich hätte sie nicht eingeladen, da ich annähme, daß sie keinen großen Wert darauf legte.«

 

»Teufel noch einmal«, rief der Fürst. »Warum haben Sie einen solchen Unsinn geschrieben?«

 

»Weil es notwendig war«, sagte Colley kühl, »bei ihr den Anschein zu erwecken, daß Sie die größte Sorge um ihren guten Ruf haben. Ich habe nämlich noch hinzugefügt, daß Diana hier sein würde und ich wüßte, daß sie nicht gern mit ihr zusammentreffe.« – »Aber Diana brauchte doch überhaupt nicht zu kommen!« brach Riki los.

 

»Nein, sie brauchte nicht zu kommen. Aber nun antwortet Miss Joyner entweder, daß sie unter gar keinen Umständen ob Diana zugegen ist oder nicht – gekommen wäre, oder aber, wenn sie das nicht tut, muß sie meine nächste Einladung annehmen.«

 

»Und wann wollen Sie sie wieder einladen?« Kishlastan war nicht wenig erstaunt.

 

»Nachdem Eure Hoheit nach dem Osten abgefahren sind«, sagte Colley langsam. »Und Sie werden einige Tage vorher abreisen, bevor ich mit Hope Joyner diniere. Es ist absolut notwendig«, fuhr er fort, »daß Sie nicht hier sind, wenn – irgend etwas passiert. Sie müssen auf hoher See sein, mit einer ganzen Schiffsgesellschaft zusammen, auf einem P. & O.-Dampfer, damit Ihr Alibi einwandfrei ist.«

 

Das leuchtete dem Fürsten ein.

 

»Glauben Sie, daß Sie Erfolg haben?«

 

»Ich werde sicher Erfolg haben«, sagte Colley. »Außerdem möchte ich Eurer Hoheit noch einen anderen Grund für die Abreise angeben. Ich möchte mich nicht in Ihre Angelegenheiten einmischen, noch suche ich weiter in die Dinge einzudringen, als ich bereits von Eurer Hoheit wohlwollend informiert worden bin betreffs einer gewissen Unternehmung, die in den Händen von einem Ihrer Freunde liegt. Aber ich muß doch betonen, daß es ratsam wäre, wenn Eure Hoheit England verließen, bevor dieser kleine Plan ausgeführt wird.«

 

»Ich werde eine Woche später fortgehen«, sagte der andere ungeduldig. »Ich kann nicht Hals über Kopf abfahren. Ich brauche viele Räume für mein großes Gefolge.«

 

»Die ich bereits auf der ›Poltan‹ belegt habe!« bemerkte Colley. »Der Dampfer geht am nächsten Sonnabend ab.«

 

Der Fürst sah ihn halb ärgerlich, halb erstaunt an.

 

»Eure Hoheit mögen das als eine Anmaßung meinerseits ansehen, aber ich habe Ihren Interessen zu dienen. Ich brachte heute den ganzen Nachmittag damit zu, eine Passage für Eure Hoheit ausfindig zu machen. Glücklicherweise wurde eine größere Reihe von Kabinen auf der ›Poltan‹ wieder frei, und ich habe sie sofort provisorisch für Eure Hoheit gebucht.«

 

Der Fürst biß sich gedankenvoll auf die Lippen.

 

»Vielleicht haben Sie recht«, sagte er. »Sie sind ein sehr weitsichtiger und kluger Mann. Ich möchte diese Sache weiter mit Ihnen besprechen, wenn die andern gegangen sind.«

 

Sie waren noch keine zehn Minuten im Empfangsraum, als die ersten Gäste kamen. Diana in ihrer strahlenden Schönheit betörte Colley aufs neue. Sie trug ein grausilbernes Kleid, das ihre reife Schönheit noch hob und sie sehr jung aussehen ließ, so daß selbst der Fürst sie bewunderte. Sie ging in den Speisesaal, um sich schnell den Tisch anzusehen, wechselte zwei der Karten aus, kam zurück und erklärte es ihnen.

 

»Ich will neben dem Oberst sitzen«, sagte sie. »Wenn Sie ihm Jane Lyson zur Tischdame geben, werden Sie ihn nur ärgern. Sie ist die Todfeindin seiner Frau, und sie würde doch der Versuchung nicht widerstehen können, über Lady Cynthia etwas Unangenehmes zu sagen.«

 

»Hätte ich vielleicht Lady Cynthia einladen sollen?« fragte der Fürst zweifelnd.

 

»Sie wäre bestimmt nicht gekommen«, sagte Diana nüchtern. »Nicht, weil sie gewußt hätte, daß ich hier bin. Aber ich muß den Oberst sehen.«

 

Die Unterhaltung wurde durch die Ankunft eines indischen Beamten und seiner jungen Frau unterbrochen, die über und über von Brillanten strahlte. Gleich darauf kam auch Oberst Ruislip.

 

»Wie charmant, Diana, daß Sie hier sind«, sagte er und hielt ihre Hand lange in der seinen. Er blickte bewundernd in ihre schönen lachenden Augen. »Sie sehen jünger aus als jemals. Was war Dick Hallowell doch für ein Dummkopf.«

 

Niemand wußte besser als der Oberst, daß die Dummheit Dick Hallowells sehr wohl am Platze war. Sein Protest dagegen war nur ein Akt der Höflichkeit.

 

»Hallo, Colley! Habe Sie schon seit Jahren nicht gesehen!«

 

Er gab ihm die Hand, ohne sie herzlich zu drücken. Oberst Ruislip war im Bilde. Colley Warrington war einer der Leute, die man zwar trifft, die man aber nicht sucht. »Ich muß Sie nachher sprechen, Colley … Ich habe seit Jahren keine richtigen Skandalgeschichten mehr gehört.«

 

Wäre der Erfolg des Diners von der liebenswürdigen Laune des Gastgebers abhängig gewesen, so wäre die Stimmung des Abends eine recht gedrückte gewesen, denn der Fürst war äußerst verdrießlich und sprach kaum.

 

»Dick? O ja, ich sehe ihn manchmal.«

 

»Ein sehr brauchbarer Offizier«, sagte der Oberst, indem er den Wein mit Kennermiene austrank. »Gott sei Dank habe ich ihn wieder von den Fliegern zurückgeholt. Vermutlich wissen Sie, daß er sich zu den Fliegern versetzen ließ, damals nach – hm – nach Ihrer kleinen Auseinandersetzung. Und er ist ein ganz vorzüglicher Flieger geworden. Er hat mich in Adlershot mit auf seiner Maschine gehabt und solch waghalsige Kunststücke gemacht, daß ich zu Tode erschrocken war. Ich muß festen Boden unter den Füßen haben oder im Sattel sitzen …«

 

»Er hat sich doch wieder verlobt?«

 

Dem Oberst war nicht ganz wohl zumute.

 

»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, ich kümmere mich nicht um die Verlobungen meiner jüngeren Offiziere, bis sie sich entschließen, mit mir darüber zu sprechen. Da ich den Offizieren des Regiments an Vaterstelle gegenüberstehe, müssen sie früher oder später doch alle zu mir kommen. Bis jetzt ist mir offiziell nichts davon bekanntgeworden.«

 

»Er wird zu Ihnen kommen«, sagte Diana so freundlich als möglich. »Miss Hope Joyner – kennen Sie sie?«

 

»Ja, ich habe sie getroffen«, sagte der Oberst liebenswürdig und versuchte, das Gesprächsthema zu wechseln. »Ein sehr nettes Mädel, meine Frau hat neulich gesagt…«

 

Aber Diana ließ ihn nicht ausweichen.

 

»Ich hoffe, Dick wird sehr glücklich werden«, sagte sie in dem Ton liebenswürdiger Resignation, der ihr so gut stand.

 

»Dessen bin ich sicher«, sagte der Oberst leise. Dann sprach er davon, daß Hope eine gute Akquisition für das Regiment wäre.

 

»Wird sie das sein?« fragte Diana unschuldig. Der Oberst rückte ungemütlich auf seinem Stuhl hin und her.

 

»Ja, ich denke«, sagte er schnell. »Ein sehr hübsches, äußerst liebenswürdiges und schönes …«

 

Er wollte die Unterhaltung weniger persönlich gestalten und fiel dann doch in die Falle, die Diana ihm gestellt hatte.

 

»Nebenbei bemerkt, aus welcher Familie stammt sie?« fragte er.

 

Diana Martyn konnte sich nun dem Essen widmen.

 

»Hat sie überhaupt Verwandte?« warf sie dazwischen.

 

»Sind sie tot?« meinte der Oberst. »Oh, das wäre schade.«

 

»Man weiß nicht einmal, ob sie tot sind«, sagte Diana. Da sie fürchtete, daß sein Interesse nachlassen könnte, fügte sie schnell hinzu: »Und niemand weiß weniger darüber als Hope selbst.«

 

Der alte Herr zog die Augenbrauen hoch.

 

»Das ist doch aber eine sehr ernste Sache, so etwas zu sagen.«

 

»Das ist wahr, und ich habe es ganz im Ernst gemeint.«

 

Sie berichtete ihm kurz die Geschichte Hope Joyners und, obgleich sie glaubwürdig erzählte, unterstrich sie doch die dunklen Möglichkeiten ihrer Geburt genügend.

 

»Dick könnte wirklich nicht im Regiment bleiben, wenn er sie heiratet«, fuhr sie fort. »Ich glaube auch nicht, daß er die Absicht hat. Immerhin –«

 

»Im Gegenteil, er hat bestimmt vor, im Regiment zu bleiben«, sagte der Oberst schroff. »Seine Ernennung zum Hauptmann ist nächsten Monat fällig, und ich weiß, daß es von jeher sein Wunsch war, den Befehl über das Bataillon zu führen, wie es vor ihm sein Vater tat. Stets hat ein Hallowell bei der Berwick-Garde gedient, seit diese Truppe besteht.«

 

»Dann werden Sie erleben, daß die Truppe einmal ohne einen Hallowell ist«, sagte sie heiter. »Es ist doch ganz unmöglich! Finden Sie nicht auch, Herr Oberst?« Er antwortete ihr nicht. Der Abend war ihm verdorben.

 

Als er die Unterhaltung wieder aufnahm, sprach er über eine Sache, die Diana am liebsten vermieden hätte.

 

»Dick hatte gerade genug Ärger mit seinem schrecklichen Halbbruder«, sagte er, »er braucht sich nicht auch noch davon niederdrücken zu lassen. Das Mädchen ist wirklich sehr hübsch und liebenswürdig, und ich würde absolut damit einverstanden sein, wenn Dick erklärte –«

 

Sie schaute ihn scheu von der Seite an.

 

»Ja, Sie wohl«, stimmte sie ihm bei, »aber Lady Cynthia –«

 

Sie wußte, daß dieser Pfeil getroffen hatte.

 

Als alle Gäste mit Ausnahme von Diana und Colley gegangen waren, fragte der Fürst, der im Laufe des Abends etwas mehr aufgetaut war:

 

»Sie haben doch mit dem Oberst über Hope Joyner gesprochen? Was sagten Sie von ihr?«

 

»Was hätte ich sagen sollen, als daß sie ein sehr liebenswürdiges und schönes Mädchen ist«, erwiderte sie so unschuldig wie möglich. »Ich habe aber weniger über sie als über Dick Hallowell gesprochen. Er beabsichtigt nämlich, sie zu heiraten.«

 

Sie sah, wie sich sein Gesichtsausdruck änderte.

 

»Heiraten?« Er wandte sich an Colley. »Das wußte ich ja gar nicht.«

 

»Die beiden sind miteinander bekannt«, antwortete Colley. »Ich glaube nicht einmal, daß sie verlobt sind.«

 

»Sie lieben sich«, sagte Diana leichthin, »und das ist ungefähr so viel, als ob sie verlobt wären. Sie sind beide frei und wohlauf – warum sollten sie sich nicht verloben? Dick Hallowell muß natürlich seinen Abschied vom Regiment nehmen. Die Damen des Offizierskorps werden nicht zulassen, daß ein Niemand in ihren Kreis kommt.«

 

»Was wollen Sie damit sagen – ein Niemand?« fragte Riki, indem er sie unter gesenkten Augenlidern ansah. »Ist denn Miss Joyner ein Niemand?«

 

»O lala«, Diana zeigte eine Lustigkeit, die sie gar nicht fühlte. »Wie sehr sich Eure Hoheit für Hope Joyner einsetzen, und gerade Sie müßten doch am besten wissen, wie außerordentlich wichtig Abstammung sein kann! Hoheit haben doch einen tausendjährigen Stammbaum, der keine Unterbrechung aufweist.«

 

Der Fürst war anscheinend beruhigt, da er unglaublich stolz auf seine Abstammung war.

 

»Es ist nicht klug, unfreundlich von Miss Joyner zu sprechen«, sagte er. »Ich habe viele Gründe dafür. Sie verstehen mich?«

 

Colley nickte.

 

»Es darf nicht so aussehen, als ob jemand, der irgendwie in Verbindung mit dem Fürsten von Kishlastan steht, auch nur im mindesten gegen Hope Joyner eingenommen ist.«

 

»Das ist absolut notwendig«, sagte Colley. Diana sah ihn ganz erstaunt an.

 

»Besteht denn ein besonderer Plan wegen Hope Joyner?« begann sie.

 

»Nein«, sagte Colley prompt. »Aber ich stimme vollkommen mit Seiner Hoheit überein. Wir wollen uns keine Feinde machen. Ihre Aufgabe besteht doch darin, Miss Martyn, den Freundeskreis Seiner Hoheit zu vergrößern. Selbst gegen Ihre Rivalinnen müssen Sie gütig und nachsichtig sein.«

 

Wenn er glaubte, sie dadurch irrezuführen, täuschte er sich. Sie interessierte sich zu sehr für dieses neue Problem. Ihr war es ganz klar, daß irgend etwas mit Hope Joyner im Gange war, und sie ärgerte sich, daß man sie nicht ins Vertrauen gezogen hatte. Colley um weitere Informationen zu bitten, war ganz nutzlos, das wußte sie. Vielleicht war Graham mit im Spiel.

 

Schon in der Frühe des nächsten Morgens, als der Milchmann noch geräuschvoll mit seinen Kannen in den Straßen klapperte, telefonierte sie nach ihrem kleinen Wagen und fuhr nach Cobham. Als sie ankam, fand sie Graham am Tisch sitzen. Vor ihm stand ein kaltes Frühstück, das er nicht einmal angerührt hatte. Er sah erschreckt zu ihr auf, als sie eintrat.

 

»Ach, du bist es«, sagte er. »Wir sind sehr durch Euch geehrt!«

 

Sie schaute ihn verwundert an. Seine Farbe war aschgrau. Nur einmal hatte sie ihn so gesehen – am Morgen seiner Verhaftung.

 

»Was fehlt dir?« fragte sie.

 

»Nichts.« Er lehnte sich vor und zog einen Stuhl für sie heran. »Schenke mir bitte Kaffee ein, ich habe nicht die Energie dazu.«

 

Sie setzte sich ohne ein Wort nieder, füllte eine Tasse und reichte sie ihm. Sie blickte gespannt auf ihn.

 

»Sage mir doch, was du hast?«

 

»Ach, es ist nichts.« Er schaute zur Tür, und als er sah, daß sie nur angelehnt war, stand er auf und schloß sie. Dann erzählte er ihr mit leiser Stimme von der letzten Nacht. Als er zu Ende war, schüttelte sie den Kopf.

 

»Ich habe dir keine Nachricht durchs Telefon bestellt. Das war sicher diese niederträchtige Frau.«

 

»Aber sie wußte doch, daß ich in London war«, sagte er hartnäckig.

 

Diana lächelte.

 

»Natürlich wußte sie das. Ebenso wußte sie, daß ihre Mitteilung für dich aufgeschrieben und dir bei deiner Rückkehr gegeben wird. Man kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, daß sie wirklich Detektivin ist. Aber ich glaube, daß sie nicht viel mehr versteht als ihre männlichen Kollegen.«

 

Sie zog die Augenbrauen zusammen und dachte nach. Diana war eine kluge Frau und unendlich viel beweglicher als Graham. Sie wußte sich besser zu helfen und war auch mutiger als der Mann, mit dem sie das Schicksal verbunden hatte.

 

»Wo warst du denn, als er etwas von dem Geldschrank sagte?«

 

»Trayne sprach davon. Dieser Schiffskapitän hat ihn sicher auch erwähnt, aber wir standen an einer Stelle, wo es unmöglich war, uns zu belauschen.«

 

Sie nickte langsam.

 

»Niemand konnte den Brief lesen mit Ausnahme des Gärtners.«

 

Dann lächelte sie plötzlich.

 

»Sie hat es von Trayne – sie weiß, daß er einen Geldschrank gekauft hat, der an Kapitän Boß geliefert werden soll – das ist die Erklärung.«

 

»Aber wie konnte sie wissen, daß ich etwas mit der Sache zu tun habe?«

 

»Sehr einfach«, entgegnete Diana ruhig. »Mrs. Ollorby sah dich mit Boß zusammen. Sie weiß, daß der Geldschrank an Bord der ›Pretty Anne‹ abgeliefert werden soll. Nun brauchte sie doch nur die verschiedenen Tatsachen zusammenzustellen. Möglicherweise hat sie diese Nachricht nur an dich gesandt, um eine Bestätigung zu haben. Hast du Trayne angerufen, nachdem du die Botschaft erhieltest?«

 

Er nickte.

 

»Natürlich hast du das schon wieder getan. Sie hat doch jemand im Telefonamt veranlaßt, das Gespräch abzuhören. War Trayne zu sprechen?«

 

»Er war fortgegangen.«

 

»Da hast du Glück gehabt!« sagte sie warnend zu ihm. »Ich sorge mich nicht um Mrs. Ollorby, sie beobachtet bloß. Sie mag ja richtig beobachten, aber sie weiß nicht genau, ob sie mit ihren Vermutungen recht hat. Ich möchte dir doch einen guten Rat geben. Bleibe soviel wie möglich vom Telefon fort –«

 

Es wurde an die Tür geklopft, und noch bevor Graham »Herein« rufen konnte, kam der Gärtner ins Zimmer und zog die Tür sofort hinter sich zu. »Kennen Sie eine Mrs. Ollorby?« fragte er leise.

 

Graham Hallowell war zu erstaunt, um sprechen zu können. Er nickte bloß.

 

»Wünschen Sie, daß sie hereinkommt?«

 

»Daß sie hereinkommt?« fragte Diana erstaunt. »Wieso?«

 

»Sie ist draußen.« Graham und Diana schauten einander an.

 

»Soll sie hereinkommen?« fragte der Gärtner wieder.

 

Diana erholte sich zuerst von ihrem Schrecken.

 

»Wo? Hier? Hier im Haus?« fragte Graham.

 

»Ja, hier im Haus«, sagte sie, als Graham noch starr vor Schrecken und Verwunderung dasaß. Als er Einspruch erheben wollte, brachte sie ihn mit einem Wink zur Ruhe.

 

Eine Sekunde verging, dann öffnete sie die Tür schnell, und Mrs. Ollorby trat mit einem verbindlichen Lächeln auf den Lippen vergnügt ins Zimmer.

 

»Guten Morgen, meine Herrschaften!« Ihr Ton war herausfordernd fröhlich. Sie zeigte nichts mehr von der Unterwürfigkeit, die sie beim ersten Zusammentreffen mit Diana an den Tag gelegt hatte. Sie sprach vollkommen wie eine Gleichberechtigte. »Wie schön ist doch der Sonnenschein heute – und die vielen herrlichen Blumen und die Bäume – und wenn ich so die Blätter rauschen höre, dann fühle ich mich wieder wie ein junges Mädchen. Manche Leute lieben mehr die See und die Küste«, fuhr sie zu plaudern fort, »aber ich liebe den Aufenthalt auf dem Land, die weiten, grünen Rasenflächen und die blumigen Wiesen. Dagegen diese doppelten großen Schornsteine der Dampfer! Schiffe haben doch gewöhnlich Schornsteine böse, schwarze Dinger, von denen die Farbe abblättert. Auf Schiffen gibt es keine Bäume und Felsengärten, nicht wahr, Miss Martyn, Schiffe haben doch keine Felsengärten?«

 

Diana antwortete nicht.

 

»Das Beste an einem Schiff«, fuhr Mrs. Ollorby fort, ohne daß sie jemand dazu ermutigt hätte, »ist sein Name. Aber das will nicht viel sagen. Nehmen wir zum Beispiel die ›Pretty Anne‹ (Hübsche Anna). Was ist denn überhaupt hübsch an ihr? Nicht einmal ihr Kapitän. Ich würde mich eher entschließen, mit einem kleinen Geldkasten in dieser Villa zu wohnen, als mit einem großen Geldschrank über den Atlantischen Ozean zu fahren, besonders wenn ich ein Mann wäre, der früher so allerhand unangenehme Erfahrungen gemacht hat. Geben Sie mir nicht recht, Miss Martyn?«

 

Der Gärtner stand noch an der Tür und war wie zu Stein erstarrt. Diana fand ihre Stimme wieder und begann:

 

»Ich weiß nicht, was ich denken soll –«

 

Aber die Frau unterbrach sie.

 

»Sie verstehen nicht, was es bedeutet, daß ich in Ihre hübsche kleine Villa einbreche?« sagte Mrs. Ollorby mit einem Lächeln auf ihrem breiten Gesicht. »Wissen Sie, Miss Martyn, ich war gespannt, was Sie zuerst sagen würden: ›Ich weiß nicht, was ich denken soll‹ oder ›Wollen Sie mir bitte erklären‹ oder gar ›Wie dürfen Sie überhaupt?‹ Es gibt eigentlich wenig originelle Wendungen, die Sie gebrauchen können, wenn Sie ärgerlich sind. Wenn Sie genügend Intelligenz haben, sich etwas ganz Neues auszudenken, dann haben Sie auch genügend Intelligenz, um ruhig zu sein.«

 

Sie sah sich in dem getäfelten Speisezimmer um. Chinaporzellane mit blauen Mustern standen ringsum auf den Paneelen. Auf dem polierten Tisch dufteten Rosen aus einer schönen Vase. Hübsche Gardinen bewegten sich leicht in der Morgenbrise.

 

»Es ist ein schönes Haus«, sagte sie und nickte nachdrücklich. »Tiger Trayne vermietete es an Johnny Delboure – Sie wissen selbstverständlich, daß Tiger der Besitzer dieses Hauses ist? bevor Johnny damals den großen Bankeinbruch verübte. Sie müssen ihn doch sicher in Dartmoor getroffen haben, Mr. Hallowell – er hat dafür zwanzig Jahre bekommen. Ich wundere mich immer, warum Tiger nicht endlich den Mousetrap-Klub aufgibt und seine alten Tage hier draußen beschließt. Aber wahrscheinlich gibt es hier draußen keine Mäuse, die zu fangen sich lohnte.«

 

Sie wandte sich nach der Tür um und sah in die verstörten Augen des Gärtners, nickte ihm aber freundlich zu.

 

»Mr. Mawsey – nicht wahr? Früher hießen Sie doch Colter, dann wurden Sie Wilson – ich habe Ihre Namen im Moment vergessen, aber ich erinnere mich genau an alle Verbrechen, die Sie verübt haben. Wie geht es denn Ihrer guten Frau?« Sie sah auf seine grüne Schürze und nickte.

 

»Gärtnerarbeit, das ist eine alte Beschäftigung. Das ist besser für Mrs. Mawsey oder Wilson oder was immer Sie für einen Namen führen, als Kinder in Pflege nehmen und sie dann verschwinden lassen.«

 

Sie richtete ihre lustigen Augen auf Dianas blasses Gesicht. Mawsey schlich sich vollständig vernichtet aus der Tür und verschwand. Mrs. Ollorby wartete auf eine weitere Bemerkung ihrer unwilligen Wirtin. Aber Diana war zu klug, um zu sprechen.

 

»Ein wunderbarer Ort hier«, sagte Mrs. Ollorby und ließ ihre anerkennenden Blicke umherschweifen. »Aber wenn ich dieses ganze Gelände hätte, dann würde ich lieber eine Hühnerfarm einrichten. Es geht doch nichts über eine Liebhaberei, wenn man es sich irgend leisten kann. Ich hatte eine Vorliebe für das Sammeln von Zeitungsausschnitten, als ich ein junges Mädchen war. Meine Mutter war ganz erschrocken, als ich alle Nachrichten über Verbrechen aus den Sonntagszeitungen ausschnitt und sie in meine Schulbücher klebte. Ich habe Haufen davon, so hoch« – sie zeigte bis zur Höhe ihrer Schulter. »Ich habe immer gedacht, daß ich einen Polizisten heiraten müßte, aber es ist mir niemals in den Sinn gekommen, daß ich für Scotland Yard arbeiten würde. Hektor – das ist nämlich mein Junge –, der beste Junge, der jemals gelebt hat, obgleich er ein wenig kurzsichtig ist – sagt oft zu mir: ›Mutter, warum hebst du denn diese vielen Zeitungsausschnitte auf, wenn du sie doch alle im Kopf hast?‹ Und das ist Tatsache, wenn ich einmal etwas über ein Verbrechen gelesen habe, dann behalte ich es auch. Ich kann mich noch recht gut daran erinnern, wie ich damals in Old Bailey war und – nun, wie nennt er sich doch gleich? – Mawsey sah, der zu fünf Jahren verurteilt wurde. Er ist ein guter Geldschrankknacker, einer der besten. Man sagt, daß er ein Mittel erfunden hat, um Stahlwände auseinanderzuschneiden, das alle amerikanischen Einbrecher in Verwunderung setzt. Da können Sie stolz sein auf Ihr Vaterland, nicht wahr, Miss Martyn?«

 

»Was verschafft uns denn eigentlich das Vergnügen Ihres Besuches heute morgen?« fragte Diana, die endlich ihre Selbstbeherrschung wiedergewonnen hatte.

 

»Ich brauche frische Luft«, sagte Mrs. Ollorby. »Ich habe nämlich zwei Tage lang in einem schlechten Haus gewohnt, in einer kleinen, schmutzigen Nebenstraße, und nicht einmal die Gesellschaft des Kapitäns Eli Boß war ein Ausgleich dafür. Ich habe dabei wichtige Dinge erfahren und möchte sie anderen Leuten mitteilen, da ich sonst daran ersticken würde. Ich sagte also zu Hektor, ich will nach Cobham und Miss Martyn oder Mr. Hallowell besuchen, wen ich eben treffe. Vielleicht kann ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und ihr eine große Unannehmlichkeit für die Zukunft ersparen und ebenso Mr. Hallowell.«

 

Sie lächelte sonderbar, als sie Graham anschaute, der blaß geworden war.

 

»Was erschreckt Sie so?« – sie schüttelte traurig den Kopf – »Ist es vielleicht, weil Sie nicht wissen, wieviel ich schon weiß? Ich wüßte nichts Beunruhigenderes. Sie können nicht feststellen, wieviel ich nur vermute und wieviel ich in einem Buch gelesen habe, um das alles erzählen zu können.«

 

»Wir haben von Ihnen gehört, Mrs. Ollorby«, sagte Graham.

 

»Ich fange an berühmt zu werden«, sagte sie fast schmunzelnd. »Das ist merkwürdig, da ich doch sehr selten als Zeuge auftrete. Ich glaube, Sie hätten mich überhaupt nicht kennengelernt, wenn nicht Tiger Ihnen von mir erzählt hätte. Ich sah Sie alle drei an dem Fenster und konnte Sie beobachten – und ich bin ein sehr guter Beobachter, wie ich schon sagte.«

 

»Bescheiden sind Sie nicht gerade.« Graham Hallowell hatte sich allmählich wieder erholt. »Uns macht Ihr Gerede wenig Spaß. Aber wenn Sie irgend etwas Geschäftliches hier erledigen wollen, dann sagen Sie uns das bitte. Wenn das nicht der Fall ist, dann wollen wir Sie gerne entschuldigen, wenn Sie jetzt gehen wollen.«

 

»Immer höflich«, murmelte Mrs. Ollorby. »Sie könnten beinahe der Fürst von Kishlastan sein, der niemals ein Tanzmädchen umbringt, wenn er nicht vorher den Turban abgenommen hat. Werden Sie eine lange Reise unternehmen, Mr. Hallowell?«

 

Graham stand vom Tisch auf und zeigte auf die Tür.

 

»Sie wünschen, daß ich gehen soll? Es tut mir leid, daß ich Sie gelangweilt habe – für gewöhnlich hält man mich für sehr unterhaltend. Hektor sagt, daß er mir stundenlang zuhören könnte, aber natürlich, er ist ja mein eigener Sohn. Guten Morgen, Mrs. Hallowell!« Diana antwortete nicht auf diese kleine Höflichkeit.

 

»Guten Morgen, Mr. Graham Hallowell!«

 

Er machte die Tür schnell zu. Mrs. Ollorby ging mit langen Schritten den Gartenweg entlang und summte eine kleine Melodie vor sich hin, ein wohlgefälliges Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Ein Fremder hätte sich einbilden können, daß sie gerade von einem sehr angenehmen Besuch käme. Graham und Diana beobachteten sie durch die geschlossenen Fensterläden, bis ihr alter Hut hinter der Hecke verschwand, dann sahen sie sich stumm an.

 

»Was weiß sie wirklich?« fragte Diana ruhig.

 

»Ich habe keine Ahnung. Sie weiß nicht viel, sonst wäre sie ausführlicher gewesen«, sagte er gedankenvoll. »Ihre Absicht war nicht, uns festzunehmen, sondern nur uns zu warnen.«

 

Diana nickte.

 

»Sie hat zwei oder drei lose Fäden, und sie versuchte, aus uns etwas herauszubekommen, um sie verbinden zu können. Kapitän Boß ist der Eigentümer des Schiffes. Dann hast du doch diese Frau letzte Nacht in East End gesehen. Natürlich hat sie auch telefoniert. Sicherlich, sie weiß nichts, Graham – sie vermutet nur, aber sie weiß nichts. Hast du nicht die ganze Zeit über beobachtet, wie sie wie ein Schießhund darauf wartete, daß du oder ich etwas ausplaudern sollten, das ihre Vermutungen bestätigen könnte?«

 

Es klopfte leise an der Tür, der Gärtner kam herein. Sein hageres Gesicht zuckte nervös.

 

»Ist sie fortgegangen?« fragte er heiser.

 

»Kennen Sie sie?« fragte Diana.

 

»Ich habe von ihr gehört.« Mawsey war nicht geneigt, sich selbst zu bezichtigen. »Ich kenne ihren Mann besser als sie. Er war Detektivsergeant in Scotland Yard. Er –«, der Mann zögerte, »er hat meine Frau beinahe ins Unglück gebracht, und sie war so unschuldig wie ein neugeborenes Kind.«

 

»Es scheint doch so, daß Sie ein- oder zweimal von ihr hereingelegt worden sind?«

 

»Nicht von ihr, von ihrem Mann«, verbesserte Mawsey.

 

»Stimmt das alles, was sie sagte?«

 

Er nickte, als Diana ihn fragend ansah.

 

»O ja, ich bin im Gefängnis gewesen«, sagte er, ohne dabei verlegen zu werden. »Ich bin erstaunt, was sie alles weiß. Das Beobachten ist ihre Spezialität, davon haben Sie wohl gehört? Aber die meisten hat sie nur ins Gefängnis gebracht, weil sie dumm genug waren, sich selbst zu verplappern, als sie sich das erstemal an sie heranmachte. Sie haben ihr doch hoffentlich nichts gesagt?« fragte er schnell. Als die beiden verneinten, fuhr er fort: »Ich dachte mir gleich, daß Sie das nicht tun würden. Diese alte Frau ist gefährlich wie Gift. Und vergessen Sie nicht, sie kann Dinge unternehmen, die kein männlicher Polizist wagen dürfte, ohne seinen Posten zu verlieren. Was hat sie denn alles gesagt? Ich muß es dem Direktor sagen, er wird gleich anrufen.«

 

So getreu wie möglich erzählte ihm Diana den Gang der Unterhaltung.

 

»Sie hat einiges richtig herausbekommen«, gab Mawsey zu. »Aber sie hat keine Ahnung von dem großen Plan. Sie hat nur gesehen, daß Sie sich mit Eli Boß getroffen haben, sie weiß, daß Sie den Direktor anriefen, und dann hat sie Vermutungen darüber angestellt.«

 

Der Gärtner trat zum Fenster und hielt Ausschau.

 

»Sie ist noch nicht fort«, sagte er mit leiser Stimme. »Ich möchte gern wissen, weshalb sie noch wartet?«

 

Mrs. Ollorby war quer über den Weg gegangen und stand unter einem großen, überhängenden Baum. Sie schaute auf das Haus zurück. In der Hand hielt sie einen Bogen weißes Papier. Abwechselnd las sie und blickte dann wieder nach der Villa. Diana sah, wie der Gärtner eine Bewegung machte.

 

»Sie geht quer durch Rectory Field«, sagte er. Die dicke Frau war verschwunden. »Ich will der alten Katze doch einmal einen Schrecken einjagen.«

 

Wie der Blitz war er aus dem Zimmer, und nach einigen Sekunden sah ihn Graham über die Straße eilen, mit einer Büchse unter dem Arm. Während er lief, steckte er Patronen in die beiden Läufe.

 

Der Fußpfad durch Rectory Field kürzt den Weg zur Esher Road ab, aber man gewinnt nicht viel Zeit dabei. Mawsey ging einen besseren Weg bis zum Ende einer Föhrenpflanzung. Dort verlangsamte er seine Schritte. Plötzlich sah er, wie Mrs. Ollorby auf dem gelben Sandweg weit ausschritt, kaum zwanzig Meter von ihm entfernt. Grinsend hob er das Gewehr an die Schulter, und gleich darauf krachten zwei Schüsse. Sie gingen hoch, denn er wollte sie nur erschrecken. Als er sah, wie Mrs. Ollorby sich duckte, wollte er sich totlachen. Aber seine Freude dauerte nicht lange. Der große Strickbeutel, den sie unter dem Arm trug, fiel zu Boden, und sie hatte eine Waffe in der Hand.

 

Wieder krachte ein Schuß.

 

Er stand starr, als er das Mündungsfeuer aus ihrer Pistole zucken sah. Das Geschoß schlug gegen den glatten Stamm einer Föhre, prallte dort ab und surrte dicht an seinem Kopf vorbei. Er sprang sofort zurück und fuchtelte mit den Händen in der Luft.

 

»Was machen Sie da?« schrie er sie an.

 

Mrs. Ollorby kam auf ihn zu, die Pistole in der Hand. Ein heiteres Lächeln lag auf ihrem Gesicht.

 

»Erzählen Sie nur nicht, daß Sie mich mit einem Vogel verwechselt haben!« Während sie dies sagte, hob sie die Hand. »Ich bin ein Vogel in ungewöhnlichem Sinne – eine alte Krähe –, aber eine, die wiederschießt!«

 

»Was, zum Teufel, tun Sie?« stieß der Mann hervor. Er war totenbleich. »Ich wollte nur einen Scherz machen und Sie erschrecken, das ist alles…«

 

»Lache ich denn nicht?« fragte Mrs. Ollorby. Sie stand vor ihm, ihre dicke Hand auf die Hüfte gestützt. Der Lauf der Pistole stand seitlich ab wie ein gestutzter Schwanz.

 

Sie machte einen komischen, aber dennoch herausfordernden Eindruck. Ihr Hut hing auf der Seite und bedeckte fast das eine Auge; ihr Gesicht war tief rot und mit Schweiß bedeckt. Sie hatte ein vielfältiges Doppelkinn, und es schien ihm, als bekäme sie plötzlich wie ein Truthahn vor Ärger einen Fleischkragen. Aber sie lachte nur und war durchaus nicht erschreckt.

 

»Wenn ich dächte, daß es ein Mordversuch von Ihrer Seite war, würde ich Sie gleich zur Kingston-Polizeistation mitnehmen. Aber ich sehe, daß es nur Dummheit war.«

 

Sie setzte ihren Hut gerade, brachte eine Haarsträhne, die ihr über die Stirn gefallen war, wieder in Ordnung und besah ihre vom Pulver geschwärzte Hand.

 

»Seien Sie jetzt vernünftig«, sagte sie plötzlich, wandte sich um und ging wieder dorthin zurück, wo sie ihre große Tasche hatte fallen lassen.

 

Er stand wie festgewurzelt, bis sie hinter der großen Pflanzung von Sutton Holme verschwunden war. Dann erst ging er zurück und bemerkte Graham, der aufgeregt und besorgt mitten auf der Straße stand.

 

»Was haben Sie gemacht?« fragte er heftig. »Ich wollte sie nur etwas erschrecken«, brummte der Mann.

 

»Sie erschrecken! Ich hörte drei Schüsse –«

 

»Sie hatte eine Pistole«, sagte Mawsey verdrießlich. »Und, Hallowell, Sie brauchen dem Direktor nichts davon zu erzählen.« Graham versprach ihm das nicht. Er ging zu Diana ins Frühstückszimmer zurück und erzählte ihr von dem üblen Scherz des Gärtners. Sie nickte langsam.

 

»Ich werde jetzt schnell zur Stadt zurückfahren«, sagte sie. »Die alte Ansicht, daß alle Verbrecher Narren sind, scheint sich wieder einmal zu bestätigen. Soll ich die Sache Tiger erzählen, oder willst du es übernehmen?«

 

»Es ist besser, wenn du es tust«, sagte Graham. »Wenn er sich auf die Hilfe dieses Mannes verlassen will, kann er die Geschichte nicht früh genug erfahren.«

 

Diana verließ gleich darauf die Villa, und als sie ihre Wohnung erreichte, wartete der Mann, den sie dringend zu sehen wünschte, schon auf sie. Sie war trotzdem ein wenig erstaunt, daß Tiger so unvorsichtig war, sie am hellen Tag zu besuchen. Es war der erste Besuch, den er in ihrer Wohnung machte, und sie war etwas verwirrt. Er schien ihre Gedanken zu erraten, als sie in den Empfangsraum trat und ihn in einem Sessel bei der Lektüre einer illustrierten Zeitung fand.

 

»Ich habe auch eine Wohnung in diesem Häuserblock«, sagte er zu ihrer Verwunderung, »schon seit zwei Jahren. Die Polizei weiß das, aber Sie wußten es anscheinend noch nicht? Was hat Mawsey angestellt?«

 

»Wie haben Sie das schon erfahren?« fragte sie erstaunt.

 

»Ihr Gatte rief mich an – ich wünschte, er wäre nicht so schnell zur Hand mit seinem Telefon. Ich werde Mawsey dort fortnehmen. Er ist ein tüchtiger Arbeiter, aber er hat keinen Verstand. Ich glaube nicht, daß der dumme Streich, den er Mrs. Ollorby gespielt hat, irgendwelche Folgen hat, aber ich brauche ihn am Sechsundzwanzigsten, und es ist besser, ihn wohin zu bringen, wo er nicht plötzlich verhaftet werden kann.«

 

»Mr. Trayne – warum stellen Sie ihn überhaupt an?«

 

Tiger Trayne lächelte gut gelaunt.

 

»Mawsey ist ein tüchtiger Arbeiter, wie ich schon vorher sagte. Außerdem bin ich seiner Frau in gewisser Weise verpflichtet – es handelt sich um keine große Sache, und sie selbst weiß es nicht einmal. Daß ich mich verpflichtet fühle in solchen Fällen, ist eine Schwäche von mir.« Sie war tief in Gedanken versunken.

 

»Sagten Sie nicht eben etwas vom Sechsundzwanzigsten?«

 

Er nickte.

 

»Das ist aber schon sehr bald.«

 

»Ich habe erst heute morgen erfahren, daß Richard Hallowell an diesem Tag die Wache kommandiert.«

 

Sie war offensichtlich sehr erstaunt.

 

»Richard Hallowell? Was hat er damit zu tun?«

 

»Allerhand«, entgegnete er. »Haben Sie das Buch nicht gelesen?«

 

Sie schüttelte den Kopf.

 

»Vermutlich hat unser Freund Graham auch keine Zeit gehabt, Ihnen die Sache zu erklären. Der Sechsundzwanzigste ist in mancher Hinsicht ein guter Tag. Wir haben günstige Flutverhältnisse, der Mond geht zur rechten Zeit unter, das heißt, er wird überhaupt nicht scheinen – das Wichtigste ist, wir stehen kurz vor der Eröffnung des Parlaments, wozu man die königlichen Insignien braucht. Wie das Wetter sein wird, weiß ich natürlich nicht. Ich kann nur hoffen, daß es regnet.«

 

»Sie nehmen also den Gärtner fort?«

 

»Auf jeden Fall«, sagte er. »Ich brauche sowieso dort jetzt einen, der ein guter Schneider ist.«

 

Trotz ihrer gedrückten Stimmung mußte sie lachen.

 

»Warum brauchen Sie einen guten Schneider? Und dann noch eins, Mr. Trayne – Sie versprachen mir eine große Summe. Was habe ich dafür zu tun?«

 

Er sah sie etwas spöttisch an.

 

»Ihre Rolle ist sehr einfach. Sie sollen nur mit Lady Cynthia Ruislip dinieren.«

 

Diana schaute ihn groß an.

 

»Ich soll – mit Lady –?« Sie lachte böse. »Wissen Sie denn, was Lady Ruislip zu mir sagen würde? Nein, der Plan ist völlig unmöglich. Dabei kann ich nicht helfen.«

 

Er stand vom Sofa auf, faltete die Zeitung zusammen und legte sie wieder auf den Tisch, wo er sie gefunden hatte.

 

»Im Gegenteil, Sie können sehr viel helfen. Sie waren doch mit Graham Hallowells Bruder verlobt.«

 

Sie nickte.

 

»Er ist doch ein guter Junge?« fragte er. »Ich kenne ihn gar nicht, ich weiß nur, daß er zu den hochverehrten Leuten gehört.« »Er ist –«, begann sie, aber ein Wink seiner Hand ließ sie schweigen.

 

»Ich will nur wissen, wie er in Uniform aussieht, und das weiß ich bereits. Ich habe zwanzig Momentaufnahmen zu den verschiedensten Zeiten von ihm gemacht, ohne daß er etwas gemerkt hat. Aber in Ihrer Eigenschaft als seine Verlobte haben Sie doch Lady Cynthia kennengelernt?«

 

»Ja«, sagte Diana langsam und war gespannt, was nun kommen würde.

 

»Sie sind ihr also nicht fremd – darum allein handelt es sich. Ich sehe gar keinen Grund, warum Sie nicht am Abend des Sechsundzwanzigsten im Tower speisen sollten.«

 

Sie sagte nichts, aber er konnte deutlich ihren Widerwillen erkennen.

 

»Das ist absolut unmöglich!« entgegnete sie dann.

 

»Ich erwartete, daß Sie das sagen würden.«

 

»Vorausgesetzt, ich würde dort dinieren, von welchem Nutzen könnte es sein?« warf sie ein. »Und glauben Sie nicht, daß man auch mich in die Sache zieht, wenn man Graham verdächtigt und es bekannt wird, daß ich den Abend im Tower verbracht habe?«

 

Er nickte.

 

»Sie dürfen mir vertrauen, daß ich die Situation nach jeder Seite hin reiflich überlegt habe«, sagte er ruhig. »Wenn Sie sich zum Essen dort aufhalten, wird es genügen. Nun hören Sie, Diana – wenn ich mir diese Freiheit herausnehmen darf«, sagte er mit einer leichten Verbeugung.

 

Sie war nicht in der Stimmung, Komplimente anzunehmen, wie ihre ungeduldige Geste bewies.

 

»Es gibt gewisse Sitten und Gebräuche innerhalb des Tower, die auf mittelalterliche Zeiten zurückgehen. – Dazu gehört auch die Ausgabe einer Losung für die Nacht – diese Losung muß ich wissen.«

 

Sie lächelte ihn an.

 

»Und wer soll mir nach Ihrer Meinung diese Information geben?« fragte sie sarkastisch.

 

»Der Oberst!« sagte er. »Sie werden um sieben Uhr in Abendtoilette im Tower sein.«

 

»Und um sieben Uhr fünf Minuten werde ich wieder verschwinden! Sie kennen Lady Cynthia nicht!«

 

»Wenn Sie zur Wohnung des Obersten kommen«, fuhr er fort, ohne sich durch ihre Bemerkung stören zu lassen, »werden Sie sich selbst bei dem Diener melden, den Sie wahrscheinlich kennen, und er wird Sie bei dem Oberst melden –«

 

»Bei Lady Cynthia«, unterbrach ihn Diana.

 

»Bei dem Oberst«, sagte Tiger kühl. »Lady Cynthia wird nicht anwesend sein. Sie wird eine Stunde vorher weggerufen, um jemand zu besuchen. Sie brauchen keine Angst zu haben. Sie werden Lady Cynthia Ruislip nicht im Tower treffen. Aber der Oberst ist da, und er wird erstaunt, vielleicht auch ein wenig verwirrt sein, Sie zu sehen. Sie werden ihm sagen, daß Sie jemand telefonisch zum Diner eingeladen hätte – Ihrer Meinung nach sei es Lady Cynthia gewesen. Er wird verwundert sein. Sie geben vor, daß Sie deswegen eine sehr wichtige Einladung versäumen mußten. Was kann er anderes tun, als Sie bitten, zum Diner zu bleiben und mit ihm zu speisen? Wie Sie das Paßwort aus ihm herausbringen« – er zuckte die Achseln –, »das muß ich allerdings Ihnen überlassen. Um zehn Uhr werden Sie ihn bitten, Sie nach Hause zu bringen. Er wird Kavalier sein und mitkommen, besonders da Lady Cynthia um diese Zeit anruft, daß sie nicht vor Mitternacht zurückkehren wird.«

 

»Sie sind so sicher, daß sich alles so ereignen wird«, sagte sie.

 

»Ich bin deswegen so sicher, weil ich selbst dafür sorgen werde, daß alles so vor sich geht«, sagte Mr. Trayne. »Ich denke, daß die Losung eines der vier Worte: Newport, Cardiff, Monmouth oder Bristol ist. Prägen Sie sich diese, Namen gut ein. Wenn Sie aus dem Tower herauskommen, wird sich Ihnen ein Zeitungsjunge nähern, und Sie werden sagen ›nein‹, wenn es das erste ist. ›Danke, nein‹, wenn es das zweite ist und so weiter. Und wenn der Oberst Sie nach Hause begleitet hat, was dann? Halten Sie ihn solange wie möglich auf, und wenn er Sie verläßt, gehen Sie zu Bett und träumen Sie« – er streckte seine Hand aus – »von irgend etwas Schönem.«

 

Sie trat zum Fenster und blickte stirnrunzelnd auf die Straße hinunter. Ihr Herz schlug schneller bei dem Gedanken, daß sie dieses Abenteuer nun wirklich wagen sollte. Zum erstenmal erschien ihr die Summe von fünfzigtausend Pfund nicht mehr so ungeheuer groß. Sollte sie sich noch zurückziehen? Um Graham sorgte sie sich nicht, er bedeutete ihr nichts. Ob im Gefängnis oder nicht, er war nur eine Verpflichtung und eine Last. Sie war gespannt, ob er sich scheiden lassen würde, wenn – leider würde er ihr keinen Grund geben, die Klage einzureichen.

 

»Es gefällt mir nicht sehr –«, begann sie endlich und wandte sich um.

 

Das Zimmer war leer. Tiger Trayne hatte den richtigen Augenblick gewählt, sie zu verlassen.