XXVII.

Vierter Tag der Gefangenschaft.

Als Felton am andern Tage bei Mylady eintrat, stand sie auf einem Stuhle und hielt einen, mittelst mehrerer in Streifen zerrissener Batistsacktücher geflochtenen Strick in der Hand. Bei dem Geräusch, das Felton durch das Oeffnen der Thüre verursachte, sprang Mylady leise vom Stuhle herab und suchte den improvisirten Strick hinter sich zu verbergen.

Der junge Mann war noch bleicher als gewöhnlich, und seine von der Schlaflosigkeit gerötheten Augen verriethen, daß er eine fieberhafte Nacht zugebracht hatte.

Aber seine Stirne war mehr als je mit einem tiefen Ernst bewaffnet.

Er ging langsam auf Mylady, die sich niedergesetzt hatte, zu, nahm das mörderische Geflechte, das sie aus Unachtsamkeit oder absichtlich hatte vorsehen lassen, an einem Ende und fragte kalt:

»Was soll das bedeuten, Madame?«

»Dies? nichts,« erwiderte Mylady, indem sie mit jenem schmerzhaften Ausdruck, den sie ihren Zügen so gut zu geben wußte, lächelte. »Die Langweile ist, wie Ihr wißt, der Todfeind der Gefangenen. Ich langweilte mich und suchte mich durch das Flechten dieses Strickes zu zerstreuen.«

Felton schaute nach dem Punkte an der Wand, vor dem er Mylady auf dem Stuhle stehend getroffen hatte, auf welchem sie jetzt saß, und er gewahrte über ihrem Kopfe eine vergoldete Krampe in der Mauer befestigt, die zum Aufhängen von Waffen oder Kleidern bestimmt war.

»Und warum standet Ihr auf diesem Stuhle?« fragte er.

»Was kümmert das Euch?« entgegnete Mylady.

»Aber ich wünsche es zu wissen.«

»Fragt mich nicht,« sagte die Gefangene: »Ihr wißt wohl, daß es uns wahren Christen verboten ist, zu lügen.«

»Nun ich will Euch sagen,« sprach Felton, »was Ihr thatet, oder was Ihr vielmehr thun wolltet. Ihr wolltet den unseligen Gedanken zur Ausführung bringen, den Ihr in Eurem Innern nährt. Wenn Euer Gott die Lüge verbietet, Madame, so verbietet er noch viel strenger den Selbstmord.«

»Wenn Gott eines von seinen Geschöpfen, ungerechter Weise verfolgt, zwischen Selbstmord und Schande gestellt sieht,« antwortete Mylady im Tone tiefer Ueberzeugung, »glaubt mir, mein Herr, dann vergibt Gott den Selbstmord, denn der Selbstmord wird zum Märtyrthum.«

»Ihr sagt zu viel oder zu wenig; sprecht, Madame, ums Himmels willen, erklärt Euch.«

»Soll ich Euch die Unglücksfälle meines Lebens erzählen, damit Ihr sie für Märchen erkläret? Soll ich Euch meine Pläne nennen, damit Ihr sie meinem Verfolger angebt? Nein, mein Herr. Ueberdies was liegt Euch am Leben oder Tod einer unglücklichen Verdammten! Ihr seid nur für meinen Leib verantwortlich, insofern man, wenn Ihr einen Leichnam zeigt, der als der meinige erkannt wird, nicht mehr von Euch verlangen wird. Ja, vielleicht erhaltet Ihr sogar doppelten Lohn dafür?«

»Ich, Madame, ich!« rief Felton, »Ihr könnt glauben, ich würde den Preis Eures Lebens annehmen? O Ihr glaubt nicht, was Ihr da sprecht.«

»Laßt es gut sein, Felton, laßt es gut sein,« sprach Mylady voll Heftigkeit. »Jeder Soldat ist ehrgeizig, nicht wahr? Ihr seid ein Lieutenant; nun Ihr werdet meinem Leichenzuge mit dem Grad eines Kapitäns folgen.«

»Aber was habe ich Euch denn gethan,« rief Felton erschüttert, »daß Ihr mir eine solche Verantwortlichkeit vor Gott und den Menschen aufbürdet? In einigen Tagen seid Ihr ferne von hier, Madame; Euer Leben steht nicht mehr unter meiner Bewachung, und dann,« fügte er mit einem Seufzer bei, »dann werdet Ihr thun, was Euch beliebt.«

»Also Ihr,« sprach Mylady, als ob sie einer heiligen Entrüstung nicht länger widerstehen könnte, »Ihr ein heiliger Mann, Ihr, den man einen Gerechten nennt, Ihr verlangt nichts Anderes, als daß man Euch wegen meines Todes nicht eines Versehens beschuldigen könne?«

»Ich muß über Euer Leben wachen, Madame, und werde darüber wachen.«

»Aber begreift Ihr auch den Auftrag, den Ihr erfüllt? Ist er schon grausam, selbst wenn ich schuldig wäre, welchen Namen werdet Ihr ihm geben, welchen Namen wird ihm der Herr geben, wenn ich unschuldig bin?«

»Ich bin Soldat, Madame, und vollziehe die Befehle, die ich erhalten habe.«

»Glaubt Ihr, daß Gott beim jüngsten Gerichte die blinden Henker von den ungerechten Richtern trennen wird? Ihr wollt nicht, daß ich meinen Leib tödte, und macht Euch zum Werkzeug des Menschen, der meine Seele tödten will.«

»Ich wiederhole,« versetzte Felton erschüttert, »es droht Euch keine Gefahr, und ich stehe für Lord Winter, wie für mich selbst.«

»Wahnsinniger!« rief Mylady, »armer Wahnsinniger, der für einen andern Menschen stehen will, während die Weisesten, die Gottgefälligsten nicht wagen können, für sich selbst zu stehen, und der sich auf die stärkere, glücklichere Partei schlägt, um ein schwaches, unglückliches Geschöpf niederzutreten!«

»Unmöglich, Madame, unmöglich,« murmelte Felton, der in Gefangene werdet Ihr durch mich nicht die Freiheit erhalten, als Lebende erhaltet Ihr durch mich nicht den Tod.«

»Ja,« rief Mylady, »ich werde verlieren, was mir theurer ist, als das Leben; ich werde die Ehre verlieren, Felton, und Euch, Euch mache ich vor Gott und den Menschen für meine Schmach, meine Schande verantwortlich.«

Diesmal konnte Felton trotz seiner wirklichen oder scheinbaren Unempfindlichkeit dem Einflusse nicht widerstehen, der sich seiner bereits bemächtigt hatte. Diese schöne Frau, so weiß wie die reinste Vision, bald in Thränen zerfließend, bald drohend zu sehen, der Macht des Schmerzes und der Schönheit bloßgestellt zu sein, das war zu viel für ein durch glühende Träume eines exaltirten Glaubens bereits unterhöhltes Gehirn, für ein zugleich von der brennenden Liebe des Himmels und von dem verzehrenden Hasse der Menschen zernagtes Herz.

Mylady sah seine Unruhe; sie fühlte durch innere Anschauung die Flamme entgegengesetzter Leidenschaften, welche in den Adern des jungen Fanatikers brannten, und einem geschickten Generale gleich, der, wenn er sieht, daß der Feind zurückweichen will, mit einem Siegesgeschrei auf ihn losmarschirt, stand sie auf, ging wie eine schöne Priesterin des Alterthums, begeistert wie eine christliche Jungfrau, den Arm ausgestreckt, mit fliegenden Haaren, mit einer Hand schamhaft das über der Brust zusammengezogene Kleid haltend, den Blick erleuchtet von dem Feuer, das bereits eine Verwirrung in den Sinnen des jungen Puritaners hervorgebracht hatte, auf ihn zu und rief mit ihrer sanften Stimme, der sie bei dieser Gelegenheit eine furchtbare Gewalt verlieh:

»So wirf sein Opfer vor den Baal,
Und wirf den Märtyrer dem Löwen vor.
Gott weckt in Dir der Reue Qual,
Vom Abgrund dringt mein Ruf zu ihm empor.«

Felton blieb wie versteinert auf seiner Stelle.

»Wer seid Ihr? wer seid Ihr?« rief er die Hände faltend. »Seid Ihr Engel oder Teufel! Heißt Ihr Eloah oder Astarte?«

»Hast Du mich nicht erkannt, Felton? Ich bin weder ein Engel noch ein Teufel. Ich bin eine Tochter der Erde, ich bin eine Schwester Deines Glaubens und nichts weiter.«

»Ja, ja,« sprach Felton, »ich zweifelte noch, aber jetzt glaube ich.«

»Du glaubst und bist dennoch der Schuldgenosse dieses Belialskindes, das man Lord Winter nennt? Du glaubst und lässest mich in den Händen meiner Feinde, des Feindes von England, des Feindes Gottes. Du glaubst, und dennoch überantwortest Du mich demjenigen, welcher die Welt mit seinen Ketzereien und Ausschweifungen erfüllt und befleckt, diesem schändlichen Sardanapal, den die Blinden den Herzog von Buckingham und die Gläubigen den Antichrist nennen!«

»Ich Euch Buckingham überantworten! was sagt Ihr da?«

»Sie haben Augen,« rief Mylady, »und werden nicht sehen; sie haben Ohren, und werden nicht hören!«

»Ja, ja,« sprach Felton, indem er mit den Händen über seine schweißbedeckte Stirne strich, als wollte er den letzten Zweifel entfernen; »ja, ich erkenne die Stimme, die in meinen Träumen mit mir spricht; ja, ich erkenne die Züge des Engels, der mir allnächtlich erscheint und meiner schlaflosen Seele zuruft: »»Schlage; rette England, rette Dich, denn Du wirst sterben, ohne Gott entwaffnet zu haben!«« Sprecht, sprecht!« rief Felton, »denn ich kann Euch jetzt verstehen.«

Ein Blitz furchtbarer Freude, aber rasch wie der Gedanke, sprang aus den Augen Myladys hervor.

So flüchtig auch dieses mörderische Zucken gewesen war, so entging es doch Felton nicht, und er bebte, als ob dieser Blitz die Abgründe des Herzens dieser Frau erleuchtet hätte.

Felton erinnerte sich plötzlich der Bemerkungen von Lord Winter, der Verführungskünste Myladys, ihrer ersten Versuche bei ihrer Ankunft. Er wich einen Schritt zurück, ließ den Kopf sinken, hörte aber nicht auf, sie anzuschauen, als ob er von diesem seltsamen Geschöpf verzaubert wäre und seine Augen sich nicht von ihr trennen könnten.

Mylady war nicht die Frau, um sich in dem Sinne dieses Zögerns zu täuschen. Unter den scheinbaren Aufregungen verließ ihre eisige Kaltblütigkeit sie nicht. Ehe ihr Felton geantwortet hatte und sie sich genöthigt sah, das Gespräch wieder aufzunehmen, das so schwer in demselben Tone der Begeisterung fortzusetzen war, ließ sie ihre Arme zurücksinken, als ob weibliche Schwäche über den Enthusiasmus der Begeisterten obsiegte.

»Aber nein,« sprach sie, »mir kommt es nicht zu, die Judith zu sein, welche Bethulien von diesem Holofernes befreien wird. Das Schwert des Ewigen ist zu schwer für meinen Arm. Laßt mich also der Schande durch den Tod entfliehen, laßt mich meine Zuflucht zum Märtyrthum nehmen. Ich verlange von Euch nicht die Freiheit, wie dies eine Schuldige thun würde, nicht die Rache, wie es eine Heidin thäte. Ich bitte Euch, ich flehe Euch auf meinen Knieen an: laßt mich sterben, und mein letzter Seufzer soll eine Segnung für meinen Retter sein.«

Bei dieser sanften, flehenden Stimme, bei diesem schüchternen, niedergeschlagenen Blicke näherte sich Felton.

Allmählig hatte die Zauberin das magische Gewand angethan, das sie nach Belieben an- und ablegte, das heißt die Schönheit, die Sanftmuth, die Thränen und vor Allem den unwiderstehlichen Reiz mystischer Wollust, einer Wollust, die verzehrender wirkt, als jede andere.

»Ach,« sprach Felton, »ich kann weiter Nichts als Euch beklagen, wenn Ihr mir beweist, daß Ihr ein Opfer seid. Aber Lord Winter erhebt schreckliche Anschuldigungen gegen Euch. Ihr seid Christin, Ihr seid meine Religionsschwester. Ich fühle mich zu Euch hingezogen, ich, der ich nie einen andern Menschen geliebt habe als meinen Wohlthäter, ich, der ich im Leben nur Verräther und Gottlose gefunden habe! Aber Ihr, Madame, die Ihr in Wahrheit so schön, und dem Anscheine nach so rein seid, Ihr habt also, da Euch Lord Winter auf diese Weise verfolgt, große Frevel verübt?«

»Sie haben Augen,« wiederholte Mylady mit einem Ausdrucke unsäglichen Schmerzes, »und werden nicht sehen; sie haben Ohren, und werden nicht hören.« »Aber so sprecht doch,« rief der junge Offizier, »sprecht, sprecht!«

»Euch meine Schmach und meine Schande anvertrauen!« rief Mylady, mit Schamröthe im Gesicht; »denn oft ist das Verbrechen des Einen die Schande des Andern. Euch meine Schande anvertrauen, einem Manne, ich die Frau! Oh,« fuhr sie fort, und legte dabei verschämt die Hand auf die schönen Augen. »Oh! nie, nie werde ich dies über mich vermögen!«

»Vertraut mir als einem Bruder!« rief Felton.

Mylady schaute ihn lange mit einem Ausdrucke an, den der Offizier für Zweifel hielt, während er nichts Anderes, als Beobachtung und hauptsächlich Absicht zu blenden war. Nun faltete Felton flehend die Hände.

»Wohl!« sprach Mylady, »ich will mich einem Bruder anvertrauen, ich will es wagen.«

In diesem Augenblicke hörte man die Tritte von Lord Winter, aber diesmal begnügte sich der furchtbare Schwager Myladys nicht damit, wie am Tage vorher, an der Thüre vorüber zu gehen und sich wieder zu entfernen, sondern er blieb stehen und wechselte zwei Worte mit der Wache. Die Thüre öffnete sich und er trat ein.

Während die zwei Worte gewechselt wurden, war Felton rasch zurückgewichen, und als Lord Winter erschien, stand er einige Schritte von der Gefangenen entfernt.

Der Baron trat langsam ein, und ließ seinen forschenden Blick von der Gefangenen auf den jungen Offizier überschweifen.

»Ihr seid schon sehr lange hier, John,« sagte er. »Hat Euch diese Frau ihr Verbrechen erzählt? Dann begreife ich die Dauer der Unterhaltung.«

Felton bebte und Mylady fühlte, daß sie verloren war, wenn sie dem aus der Fassung gebrachten Puritaner nicht zu Hülfe kam.

»Ah, Ihr fürchtet Eure Gefangene dürfte Euch entkommen,« sprach sie. »Ei, so fragt doch Euren Kerkermeister, welche Gnade ich mir so eben von ihm erbeten habe.«

»Ihr habt Euch eine Gnade erbeten?« sprach der Baron argwöhnisch.

»Ja, Mylord,« erwiderte der junge Mann verwirrt.

»Und welche Gnade? Laßt hören!« fügte Lord Winter bei.

»Ein Messer, das sie mir eine Minute, nachdem sie es empfangen, durch das Gitter der Thüre zurückgeben will,« antwortete Felton.

»Es ist also irgend Jemand hier verborgen, den diese anmuthreiche Person erstechen will?« versetzte Lord Winter mit spöttischem, verächtlichem Tone.

»Ich bin hier,« antwortete Mylady.

»Ich habe Euch die Wahl zwischen Amerika und Tyburn gelassen,« entgegnete Lord Winter. »Wählt Tyburn, Mylady. Glaubt mir, der Strick ist sicherer, als das Messer.«

Felton fühlte einen Schauer durch das Mark seiner Knochen. Wahrscheinlich bemerkte Lord Winter diese Bewegung.

»Ihr habt Recht,« sprach Mylady, »und ich habe bereits daran gedacht;« dann fügte sie mit dumpfer Stimme bei: »ich werde noch einmal daran denken.«

Felton erbleichte und machte einen Schritt vorwärts, denn er erinnerte sich, daß Mylady, als er eintrat, einen Strick in der Hand gehalten hatte.

»Traue nicht, John,« sagte der Baron. »John, mein Freund, ich habe mich auf Dich verlassen. Nimm Dich in Acht, Du bist von mir unterrichtet. Sei übrigens guten Muths, mein Kind! In drei Tagen werden wir von diesem Geschöpfe befreit sein, und an dem Orte, wohin ich sie schicke, wird sie Niemand mehr schaden.«

»Du hörst ihn!« rief Mylady, die Stimme erhebend, so daß der Baron glaubte, sie wende sich an den Himmel, während Felton begriff, daß es ihm galt.

Felton ließ das Haupt sinken und träumte.

Der Baron nahm den Offizier beim Arme und drehte sogleich den Kopf über seine Schulter zurück, um Mylady nicht aus dem Gesichte zu verlieren, bis er das Zimmer verlassen hätte.

»Ach, ich bin noch nicht so weit vorgerückt, als ich glaubte,« sagte die Gefangene, als die Thüre wieder geschlossen war. »Der Baron hatte seine gewöhnliche Albernheit in eine ihm sonst unbekannte Klugheit verwandelt; das ist die Rachgier, die den Menschen bildet. Felton zögerte noch. Ach, das ist kein entschlossener Mensch, wie dieser verdammte d’Artagnan.«

Mylady wartete jedoch mit Ungeduld, denn sie vermuthete mit Recht, der Tag würde nicht vorüber gehen, ohne daß Felton wieder käme. Eine Stunde nach der so eben erzählten Scene hörte sie leise an der Thüre sprechen. Bald öffnete sich die Thüre und sie erkannte Felton.

Der junge Mann trat rasch in das Zimmer ein, ließ die Thüre hinter sich offen und bedeutete Mylady durch ein Zeichen, sie möge schweigen. Sein Gesicht war ganz verstört.

»Was wollt Ihr von mir?« sagte sie.

»Hört,« antwortete Felton mit leiser Stimme; »ich habe die Wache entfernt, um hier bleiben zu können, ohne daß man weiß, daß ich gekommen bin, um mit Euch sprechen zu können, ohne daß man hört, was ich Euch sage. Der Baron hat mir eine furchtbare Geschichte erzählt.«

Mylady nahm wieder das Lächeln des in sein Schicksal ergebenen Opfers an.

»Entweder seid Ihr ein Teufel, oder der Baron, mein Wohlthäter, mein Vater, ist ein Ungeheuer. Ich kenne Euch seit vier Tagen, ich liebe ihn seit zehn Jahren. Ich darf also in der Wahl zwischen Euch beiden wohl bedenklich sein. Erschreckt nicht über das, was ich Euch sage. Ich bedarf der Ueberlegung; ich komme nach Mitternacht zu Euch und Ihr werdet mich überzeugen.«

»Nein, Felton, nein, mein Bruder,« entgegnete sie. »Das Opfer ist zu groß, und ich fühle, was es Euch kostet. Nein, ich bin verloren, richtet Euch nicht auch zu Grunde. Mein Tod wird viel beredter sein, als mein Leben, und das Stillschweigen des Leichnams wird Euch eher überzeugen, als das Wort der Gefangenen.«

»Schweigt, Madame!« rief Felton, »und laßt mich nicht solche Worte hören. Ich bin gekommen, damit Ihr mir bei Eurer Ehre gelobet, damit Ihr mir schwöret bei Allem, was heilig ist, nicht Hand an Euer Leben zu legen.«

»Ich will nicht geloben,« antwortete Mylady, »denn Niemand achtet den Eid so sehr wie ich, und wenn ich geloben würde, dann müßte ich es auch halten.«

»Gut,« sagte Felton, »so versprecht es wenigstens nur bis zu dem Augenblick, wo wir uns wiedergesehen haben werden. Besteht Ihr auf Eurer Absicht, wenn wir uns wiedergesehen haben, so seid Ihr frei, und ich selbst gebe Euch die Waffe, die Ihr von mir verlangt.«

»Es sei!« sagte Mylady, »Euch zu Liebe werde ich warten.«

»Schwöret mir!«

»Ich schwöre bei unserem Gott! Seid Ihr zufrieden?«

»Wohl,« erwiderte Felton, »heute Nacht also!«

Und er stürzte aus dem Zimmer, verschloß die Thüre, und blieb außen, die Halbpike des Soldaten in der Hand haltend, als ob er die Wache bezogen hätte.

Der Soldat kam zurück, Felton gab ihm seine Waffe wieder.

Mylady sah nun durch das Gitter der Thüre, dem sie sich genähert hatte, wie sich der junge Mann mit allen Zeichen einer irrsinnigen Inbrunst geberdete und in einer Art von Entzücken durch die Hausflur wegeilte. Sie aber kehrte, ein Lächeln wilder Verachtung auf den Lippen, an ihren Platz zurück und wiederholte lächelnd den furchtbaren Namen Gottes, bei welchem sie geschworen, ohne ihn je kennen gelernt zu haben.

»Mein Gott,« sagte sie, »wahnsinniger Fanatiker, mein Gott bin ich selbst und derjenige, welcher mir zu meiner Rache verhelfen wird.«

XXIII.

Offizier!

Richelieu erwartete mittlerweile Kunde aus England.

Aber es kam keine Nachricht, außer unangenehmen, bedrohlichen. So gut La Rochelle eingeschlossen war, so sicher der Erfolg durch die Maßregeln, die man ergriffen, und besonders durch den Damm erscheinen durfte, der keine Barke mehr in die belagerte Stadt eindringen ließ, so konnte die Blokade doch noch lange Zeit dauern, und das war eine große Schmach für die Waffen des Königs und eine große Last für den Herrn Kardinal, der allerdings nicht mehr Ludwig XIII. mit Anna von Oesterreich zu veruneinigen hatte, was bereits abgemacht war, wohl aber Herrn von Bassompierre versöhnen sollte, der sich mit dem Herzog von Angoulème entzweit hatte.

Die Stadt hatte trotz der unglaublichen Beharrlichkeit ihres Bürgermeisters eine Meuterei versucht, um sich zu ergeben. Der Bürgermeister ließ die Meuterer hängen. Die Strafe brachte die schlimmsten Köpfe zur Ruhe, und sie ergaben sich jetzt in die Aussicht auf den Hungertod, der immerhin langsamer und auch nicht so schrecklich gewiß war, als die Erdrosselung.

Von Zeit zu Zeit erwischten die Belagerer Boten, welche die Rocheller an Buckingham schickten, oder Spione, welche Buckingham an die Rocheller absandte.

Im einen wie im andern Fall war der Proceß schnell abgemacht. Der Kardinal sprach das einzige Wort: Gehenkt! Man lud den König ein, das Hängen mit anzusehen; der König kam kraftlos herbei und wählte sich einen guten Platz, um die Operation in allen ihren Einzelnheiten anschauen zu können. Dies gewährte ihm stets einige Zerstreuung, aber er langweilte sich dessenungeachtet und sprach alle Augenblicke von einer Rückkehr nach Paris, so daß Seine Eminenz wenn es an Boten und Spionen gefehlt hätte, trotz ihrer Einbildungskraft in große Verlegenheit gerathen wäre.

Nichtsdestoweniger ging die Zeit vorüber, und die Rocheller ergaben sich nicht. Der letzte Spion, den man auffing, war der Ueberbringer eines Briefes. Dieser Brief sagte allerdings Buckingham, daß die Stadt jetzt in der äußersten Noth sei, aber statt des Beisatzes: »Wenn Eure Hülfe nicht vor vierzehn Tagen eintrifft, werden wir uns ergeben,« war ganz einfach beigefügt: »Wenn Eure Hülfe nicht vor vierzehn Tagen eintrifft, werden wir bei Eurer Erscheinung sammt und sonders verhungert sein.« Die Rocheller setzten ihre Hoffnung also auf Buckingham. Buckingham war ihr Messias. Hätten sie eines Tages auf eine sichere Weise erfahren, daß sie nicht mehr auf Buckingham rechnen dürften, so wäre offenbar ihr Muth mit der Hoffnung gesunken.

Der Kardinal erwartete also mit großer Ungeduld Nachrichten aus England, die ihm melden würden, daß Buckingham nicht komme.

Die Frage, ob man die Stadt nicht stürmen solle, wurde oft im Rathe des Königs verhandelt. Einmal schien La Rochelle uneinnehmbar, und dann wußte der Kardinal, was er auch gesagt haben mochte, gar wohl, daß das bei einem solchen Zusammentreffen, wo Franzosen gegen Franzosen kämpfen sollten, vergossene Blut einen Schrecken einjagen mußte, der für die Politik eine retrograde Bewegung von sechszig Jahren bedeutete, und Richelieu war um diese Zeit, was man heut zu Tage einen Mann des Fortschrittes nennt. In der That hatten im Jahr 1628 die Plünderung von La Rochelle und die Ermordung von drei bis viertausend Hugenotten, welche sich tödten ließen, viel Aehnlichkeit mit dem Gemetzel der Bartholomäusnacht im Jahre 1572. Dieses Mittel, das dem König, einem guten Katholiken, keineswegs widerstrebte, scheiterte stets an der Behauptung der belagernden Generale; »La Rochelle ist auf keine andere Weise, als durch den Hunger zu nehmen.«

Der Kardinal konnte nicht über die Angst hinweg kommen, worein seine furchtbare Emissärin ihn versetzte; denn auch er hatte die seltsamen Verhältnisse dieser Frau begriffen, die bald eine Schlange, bald eine Löwin war. Hatte sie ihn verrathen? war sie todt? Er kannte sie hinreichend, um zu wissen, daß sie, für oder gegen ihn handelnd, Freundin oder Feindin, ohne große Hindernisse nicht unbeweglich blieb. Aber von welcher Seite kamen diese Hindernisse? Das war es, was er nicht wissen konnte.

Uebrigens zählte er auf Mylady, und zwar mit Recht. Er hatte in der Vergangenheit dieser Frau gewisse Dinge errathen, die nur sein rother Mantel bedecken konnte; und er fühlte, daß diese Frau ihm aus dem einen oder dem andern Grunde zugethan war, da nur er allein sie in der Gefahr, von der sie bedroht war, mächtig beschützen konnte.

Er beschloß also, den Krieg ganz allein zu führen und einen von außen kommenden Erfolg nur so zu erwarten, wie man einen günstigen Zufall erwartet. Er ließ an dem furchtbaren Damm, welcher La Rochelle aushungern sollte, weiter bauen, und warf mittlerweile seine Augen auf die unglückliche Stadt, welche so viel tiefes Elend, so viel heldenmüthige Tugenden in sich schloß; er erinnerte sich dabei des Wortes von Ludwig XI., seinem politischen Vorgänger, wie er selbst der Vorgänger von Robespierre war. Er erinnerte sich der Maxime von Gevatter Tristan: »Divide et impera.«

Als Heinrich IV. Paris belagerte, ließ er Brod und Lebensmittel über die Mauern werfen. Der Kardinal ließ kleine Zettel hinüberwerfen, in welchen er den Rochellern vorstellte, wie ungerecht, selbstsüchtig und barbarisch das Verfahren ihrer Häupter sei. Diese Häupter hatten Getreide im Ueberfluß und vertheilten es nicht. Sie nahmen als Grundsatz an, denn sie hatten Grundsätze, daß wenig daran liege, ob die Weiber, Kinder und Greise umkommen, wenn nur die Männer, welche die Mauern verteidigen sollten, stark und gesund bleiben. Bis jetzt war dieser Grundsatz, sei es aus Ergebenheit, sei es, weil jede Auflehnung vergeblich gewesen wäre, ohne allgemein anerkannt zu werden, von der Theorie zur Praxis übergegangen: aber durch die erwähnten Zettel geschah ein Angriff auf denselben. Diese Zettel erinnerten die Männer daran, daß die Kinder, Weiber und Greise, die man sterben ließ, ihre Söhne, Frauen und Väter waren; daß es billiger wäre, wenn jeder dem allgemeinen Elend unterworfen würde, damit die Gleichmäßigkeit der allgemeinen Lage auch Einhelligkeit in den Beschlüssen herbeiführen müßte.

Aber in dem Augenblick, wo der Kardinal bereits sein Mittel Früchte tragen sah und sich zur Anwendung desselben Glück wünschte, gelangte ein Einwohner von La Rochelle, der durch die königlichen Linien gedrungen war – Gott weiß, auf welche Weise, denn Bassompierre, Schomberg und der Herzog von Angoulême beobachteten, selbst wieder von dem Kardinal überwacht, eine große Wachsamkeit – ein Einwohner von La Rochelle, sagen wir, gelangte, von Portsmouth her, in die Stadt und sagte aus, er habe eine herrliche Flotte gesehen, welche noch vor acht Tagen auslaufen werde. Ueberdies kündigte Buckingham dem Bürgermeister an, daß endlich das große Bündniß gegen Frankreich sich erklärt habe, und daß zu gleicher Zeit die englischen, kaiserlichen und spanischen Heere das Königreich überfallen werden. Dieser Brief wurde öffentlich auf allen Plätzen vorgelesen. Man klebte eine Abschrift an die Straßenecken, und diejenigen, welche Unterhandlungen angeknüpft hatten, brachen dieselben wieder ab, um die in so kurzer Zeit angekündigte Hülfe zu erwarten.

Dieser unvorhergesehene Umstand versetzte Richelieu wieder in seine frühere Unruhe und nöthigte ihn, seine Augen abermals dem Meere zuzuwenden.

Während dies vorging, führte die königliche Armee, frei von der Unruhe ihres einzigen und wahren Hauptes, ein lustiges Leben, es fehlte im Lager nicht an Speise und Trank und nicht an Geld. Alle Corps wetteiferten an Kühnheit und Heiterkeit. Spione auffangen und hängen, kecke Expeditionen auf dem Damm oder auf der See ausführen, Tollheiten ersinnen und kaltblütig ins Werk setzen, das waren die Zeitvertreibe, womit sich die Armee die Tage verkürzte, welche den von Angst und Hunger aufgeriebenen Rochellern so lang, und dem Kardinal, der sie belagerte, noch weit länger erschienen.

Wenn der Kardinal, welcher stets wie der geringste Soldat umher ritt, seinen nachdenkenden Blick zuweilen über die Werke hinschweifen ließ, welche unter seinem Befehl von Ingenieuren errichtet wurden, die er aus allen Winkeln Frankreichs herbeirief, und er dann einem Musketier von Treville’s Kompagnie begegnete, so schaute er ihn auf eine seltsame Weise an, und richtete seinen Blick sogleich wieder anderswohin, wenn er in ihm nicht einen von den vier Gefährten erkannte.

Eines Tages ritt der Kardinal, von tödtlichem Aerger gequält, ohne Hoffnung auf die Unterhandlungen mit der Stadt, ohne Nachrichten aus England, in keiner andern Absicht, als gerade um auszureiten, nur von Cahusac und La Houdinière begleitet, am Ufer entlang hin, und vermischte die Unermeßlichkeit seiner Träume mit der Unermeßlichkeit des Oceans. So kam er auf einen Hügel, von dessen Höhe herab er, hinter einer Hecke und unter einer Baumgruppe vor der großen Sonnenhitze geschützt, sieben von leeren Flaschen umgebene Menschen liegen sah. Vier davon waren unsere Musketiere, welche sich anschickten, einen Brief vorlesen zu hören, den einer von ihnen bekommen hatte. Dieser Brief war so wichtig, daß man ihm zu Liebe auf einer Trommel Karten und Würfel im Stiche ließ.

Die drei Andern beschäftigten sich, eine ungeheure mit Stroh umflochtene Flasche Collioure-Wein aufzumachen. Es waren die Lakaien dieser Herren.

Richelieu war, wie gesagt, bei finsterer Laune, und in dieser Gemüthsstimmung ärgerte ihn nichts mehr als die Heiterkeit Anderer. Ueberdies hegte er einen seltsamen Argwohn und glaubte, gerade die Ursache seiner Traurigkeit errege die Heiterkeit der Fremden. Er gab La Houdinière und Cahusac ein Zeichen, stille zu halten, stieg vom Pferde und näherte sich diesen verdächtigen Lachern, in der Hoffnung, mit Hülfe des Sandes, der seinen Schritt unhörbar machte, und der Hecke, die seinen Gang bedeckte, einige Worte von dem Gespräch zu erlauschen, das ihm so interessant erschien. Erst zehn Schritte von der Hecke erkannte er das gascognische Geplauder d’Artagnans, und da er bereits wußte, daß diese Leute zu den Musketieren gehörten, so zweifelte er nicht daran, daß die drei Andern die sogenannten Unzertrennlichen, das heißt, Athos, Porthos und Aramis seien.

Man kann sich leicht denken, daß sein Verlangen, etwas von dem Gespräch zu hören, sich durch diese Entdeckung nur noch vermehrte. Seine Augen nahmen einen seltsamen Ausdruck an und er näherte sich der Hecke mit dem Tritt einer Tigerkatze; aber er hatte noch nicht mehr als einige unbestimmte Sylben ohne einen richtigen Sinn aufzufassen vermocht, als ein kurzer kräftiger Ruf ihn beben machte und die Aufmerksamkeit der Musketiere erregte.

» Offizier!« rief Grimaud.

»Ihr sprecht, glaube ich, Bursche,« sagte Athos, sich auf einem Ellbogen erhebend und Grimaud mit seinem flammenden Blick anblitzend.

Grimaud fügte auch kein Wort mehr bei, er begnügte sich, den Zeigefinger in der Richtung der Hecke auszustrecken, und deutete durch Geberde den Kardinal und seine Escorte an.

Mit einem Sprung waren die vier Musketiere auf den Beinen und grüßten ehrfurchtsvoll.

Der Kardinal schien wüthend.

»Es scheint, daß man sich bei den Herren Musketieren bewachen läßt,« sagte er. »Kommt der Engländer zu Lande oder sollten sich die Musketiere für hohe Offiziere halten?«

»Monseigneur,« antwortete Athos, denn er allein hatte mitten unter dem allgemeinen Schrecken die Ruhe und Kaltblütigkeit des vornehmen Mannes behalten, die ihn nie verließ. »Monseigneur, wenn die Musketiere nicht im Dienste sind oder wenn ihr Dienst zu Ende ist, so trinken und würfeln sie und sind für ihre Lakaien sehr hohe Offiziere.«

»Lakaien!« brummte der Kardinal, »Lakaien, welche Befehl haben, ihre Herren zu benachrichtigen, wenn Jemand vorüber kommt, das sind keine Lakaien, sondern Wachen.«

»Seine Eminenz sieht jedoch, daß wir, wenn wir diese Vorsichtsmaßregel nicht getroffen hätten, uns der Unannehmlichkeit ausgesetzt haben würden, sie vorübergehen zu lassen, ohne ihr unsere Ehrfurcht zu bezeigen und unsern Dank für die Gnade ihres Besuches, abzustatten. D’Artagnan,« fuhr Athos fort, »Ihr, der Ihr Euch so eben nach einer Gelegenheit sehntet, Monseigneur Eure Dankbarkeit auszudrücken, habt sie nun gefunden und werdet sie benützen.«

Diese Worte wurden mit dem unstörbaren Phlegma, das Athos in den Stunden der Gefahr bezeichnete, und mit der außerordentlichen Höflichkeit gesprochen, die ihm in gewissen Augenblicken etwas Königliches gab, so daß er ein majestätischeres Ansehen hatte, als geborene Könige.

D’Artagnan näherte sich und sprach einige Worte des Dankes, welche bald unter dem düsteren Blicke des Kardinals erloschen.

»Gleich viel, meine Herren,« fuhr der Kardinal fort, der sich, wie es schien, durch den von Athos benützten Zwischenfall nicht im Geringsten von seiner ersten Ansicht abbringen ließ, »gleichviel, ich liebe es nicht, daß einfache Soldaten weil sie den Vorzug haben, in einem privilegirten Corps zu dienen, auf diese Art die großen Herren spielen, und die Disciplin ist für sie dieselbe, wie für die ganze Welt.«

Athos ließ den Kardinal ganz aussprechen, verbeugte sich sodann zum Zeichen der Beipflichtung und versetzte:

»Die Disciplin, Monseigneur, ist, wie ich hoffe, von uns in keiner Beziehung vergessen worden, wir sind nicht im Dienste und glaubten, da nur nicht im Dienste sind, über unsere Zeit nach unserem Gutdünken verfügen zu können. Sollte uns Eure Eminenz durch einige besondere Befehle beglücken wollen, so sind wir bereit zu gehorchen. Monseigneur sieht,« fuhr Athos die Stirne runzelnd fort, denn dieses Verhör fing an, ihn ungeduldig zu machen, »daß wir, um auf den ersten Trommelschlag bereit zu sein, mit unsern Waffen ausgezogen sind.«

Und er deutete mit dem Finger auf die vier Musketen, welche in der Nähe der Trommel, auf der die Würfel und Karten lagen, aufgepflanzt waren.

»Eure Eminenz wolle überzeugt sein,« fügte d’Artagnan bei, »daß wir ihr entgegengekommen wären, wenn wir hätten vermuthen können, daß sie sich uns in so kleiner Gesellschaft näherte.«

Der Kardinal biß sich in den Schnurrbart und auch etwas in die Lippen.

»Wißt Ihr, wie Ihr ausseht, wenn Ihr, wie in diesem Augenblick, stets beisammen, stets bewaffnet und von Euren Bedienten bewacht seid?« sprach der Kardinal. »Ihr seht aus, wie Verschwörer.«

»Oh! was das betrifft, Monseigneur, das ist wahr,« sprach Athos. »Wir conspiriren allerdings, wie Seine Eminenz an jenem Morgen sehen konnte, aber nur gegen die Rocheller.«

»Ei, meine Herren Politiker,« entgegnete der Kardinal, ebenfalls die Stirne faltend, »man würde vielleicht in Eurem Gehirn das Geheimniß von allerlei Dingen finden, wenn man darin lesen könnte, wie Ihr in dem Briefe gelesen habt, den Ihr bei meiner Ankunft verbarget.«

Athos stieg das Blut ins Gesicht, er machte einen Schritt gegen Seine Eminenz.

»Man sollte glauben, Ihr hegtet wirklich einen Argwohn gegen uns, Monseigneur, und wir hätten ein wahres Verhör zu bestehen.«

»Und wenn es nun wirklich ein Verhör wäre?« fragte der Kardinal.

»Monseigneur, ich habe Eurer Eminenz gesagt, daß sie nur zu fragen habe und daß wir zu antworten bereit seien.«

»Was für ein Brief war das, den Ihr vorhin gelesen habt, Herr Aramis, und was verbargt Ihr?«

»Einen Brief von einer Frau, Monseigneur.«

»Oh ich begreife,« sprach der Kardinal, »man muß bei solchen Briefen discret sein; aber man kann sie doch einem Beichtiger zeigen, und Ihr wißt, ich gehöre dem geistlichen Stande an.«

»Monseigneur,« sagte Athos mit einer um so furchtbareren Ruhe, als er bei dieser Antwort um seinen Kopf spielte, »Monseigneur, der Brief ist von einer Frau, aber weder Marion Delorme, noch Frau von Combalot, noch Frau von Chaulnes unterzeichnet.

Der Kardinal wurde bleich wie der Tod. Ein wilder Blitz guckte aus seinen Augen. Er wandte sich um, als wollte er Cahusac und La Houdinière einen Befehl geben. Athos sah diese Bewegung und machte einen Schritt gegen die Musketen, auf welche die drei Freunde ihre Augen wie Männer gerichtet hielten, die sehr wenig Lust hatten, sich verhaften zu lassen. Der Kardinal war zu drei, die Musketiere, ihre Bedienten mit einbegriffen, zu sieben. Er dachte, die Partie wäre um so weniger gleich, wenn Athos und seine Gefährten wirklich conspiriren, und vermöge einer der raschen Wendungen, über die er stets zu verfügen im Stande war, verwandelte sich sein ganzer Zorn in ein lächeln.

»Gut, gut,« sprach er, »Ihr seid wackre junge Leute, stolz in der Sonne, getreu in der Dunkelheit, und es ist kein Fehler, über sich selbst zu wachen, wenn man so gut über Andere wacht. Meine Herren, ich habe die Nacht durchaus nicht vergessen, wo Ihr mir als Escorte bei meinem Ritt nach dem rothen Taubenschlag dientet. Wenn irgend eine Gefahr auf der Route, die ich zu machen habe, zu befürchten wäre, so würde ich Euch bitten, mich zu begleiten. Da aber dies nicht der Fall ist, so bleibt, wo Ihr seid, endiget Eure Flaschen, Eure Partie und Euern Brief. Gott befohlen, meine Herren!«

Hierauf bestieg er wieder sein Pferd, das ihm Cahusac entgegen brachte, grüßte sie mit der Hand und entfernte sich.

Die vier jungen Leute standen unbeweglich und folgten ihm mit den Blicken, ohne ein einziges Wort zu sprechen, bis er verschwunden war.

Dann schauten sie sich an.

Alle sahen bestürzt aus, denn trotz des freundschaftlichen Abschiedes des Kardinals begriffen sie, daß Seine Eminenz mit Wuth im Herzen wegging.

Athos allein lächelte verächtlich.

Als der Kardinal außer Hör- und Sehweite war, rief Porthos, welcher große Lust hatte, seine üble Laune auf einen Andern fallen zu lassen:

»Dieser Grimaud hat sehr spät geschrieen!«

Grimaud war im Begriff zu antworten, um sich zu entschuldigen. Athos hob den Finger auf und Grimaud schwieg.

»Würdet Ihr den Brief abgegeben haben, Aramis?« sagte d’Artagnan.

»Ich,« erwiderte Aramis mit seiner flötendsten Stimme, »ich war entschieden. Wenn er die Auslieferung verlangt hätte, so würde ich ihm mit einer Hand den Brief übergeben und mit der andern den Degen durch den Leib gerannt haben.«

»Das erwartete ich,« sagte Athos, »und darum habe ich mich zwischen Euch und ihn geworfen. Dieser Mann ist in der That sehr unklug, daß er auf solche Art mit andern Männern spricht. Man sollte glauben, er habe es sein Leben lang nur mit Weibern und Kindern zu thun gehabt.«

»Mein lieber Athos!« rief d’Artagnan, »ich bewundere Euch, aber wir hatten im Ganzen doch Unrecht.«

»Wie, Unrecht?« entgegnete Athos, »wem gehört denn diese Luft, die wir athmen? wem dieses Meer, an welchem wir lagern? wem dieser Brief von Eurer Geliebten? Etwa dem Kardinal? Dieser Mensch bildet sich am Ende ein, die ganze Welt gehöre ihm. Ihr standet stammelnd, erstaunt, vernichtet da, als ob die Bastille vor Euch empor starrte, und die eisige Medusa Euch in Stein verwandelte. Ist Verliebtheit eine Conspiration? Ihr seid in eine Frau verliebt, die der Kardinal einsperren ließ; Ihr wollt sie den Händen des Kardinals entziehen, das ist die Partie, die Ihr mit Seiner Eminenz spielt. Dieser Brief ist Euer Spiel. Warum solltet Ihr Euer Spiel Eurem Gegner zeigen? Er mag es errathen! Wir errathen das seinige gar wohl.«

»Was Ihr da sagt, Athos, ist allerdings sehr vernünftig,« sprach d’Artagnan.

»Dann sei von dem ganzen Vorfall nicht mehr die Rede, und Aramis nehme den Brief seiner Base da auf, wo ihn der Herr Kardinal unterbrochen hat.«

Aramis zog den Brief aus seiner Tasche. Die drei Freunde näherten sich ihm und die drei Lakaien lagerten sich abermals um die Strohflasche.

»Ihr habt nur eine oder zwei Zeilen gelesen,« sagte d’Artagnan. »Lest also den Brief von Anfang an.«

»Gerne,« erwiderte Aramis.

»Mein lieber Vetter,

»Ich glaube wohl, daß ich mich entschließen werde, nach Bethune abzureisen, wo meine Schwester unsere kleine Magd in eine Karmeliterinnen-Kloster gebracht hat. Dieses arme Kind hat sich darein ergeben. Es weiß, daß es nicht anderswo leben kann, ohne daß das Heil seiner Seele gefährdet wäre. Wenn jedoch unsere Familienangelegenheiten sich ordnen, wie wir es wünschen, so glaube ich, daß die Arme auf die Gefahr ihres Seelenheiles hin zu demjenigen zurückkehren wird, nach welchen sie sich um so mehr sehnt, als sie weiß, daß man stets an sie denkt. Einstweilen ist sie nicht zu unglücklich. Ihr einziger Wunsch ist ein Brief von ihrem Bräutigam. Ich weiß sehr wohl, daß solche Waaren schwer durch die Gitter gehen, aber im Ganzen, mein lieber Vetter, bin ich – und ich habe Euch hievon Beweise gegeben – nicht gar zu ungeschickt, und ich übernehme diesen Auftrag. Meine Schwester dankt Euch für Eure beständige Erinnerung; sie schwebte einen Augenblick in großer Unruhe, aber jetzt ist sie ein wenig beruhigt, weil sie ihren Gehülfen hinuntergeschickt hat, damit nichts Unvorhergesehenes vorfallen kann.

»Adieu, mein lieber Vetter, gebt so oft als möglich Nachricht von Euch, das heißt, so oft, als Ihr es sicher thun zu können glaubt. Ich küsse Euch.

Marie Michon

»O wie viel Dank bin ich Euch schuldig, Aramis,« rief d’Artagnan. »Die theure Constance! endlich habe ich also Kunde von ihr! Sie lebt, sie ist in Sicherheit in einem Kloster; sie ist in Bethune! Wo liegt Bethune, Athos?«

»Auf der Grenze von Artois und Flandern; ist die Belagerung einmal aufgehoben, so können wir eine Reise dahin machen.«

»Und das wird hoffentlich nicht mehr lange währen,« sprach Porthos; »denn man hat diesen Morgen wieder einen Spion gehängt, welcher behauptete, die Rocheller seien am Oberleder ihrer Stiefel. Nehme ich nun an, daß sie die Sohlen essen, wenn sie das Oberleder verzehrt haben, so sehe ich nicht ein, was ihnen nachher noch übrig bleiben soll, wenn sie nicht einander selber verspeisen wollen.«

»Arme Tröpfe!« sprach Athos und leerte ein Glas vortrefflichen Bordeauxweins, der, ohne damals schon seinen heutigen Ruf zu besitzen, ihn doch wenigstens verdiente. »Arme Tröpfe, als ob die katholische Religion nicht die vortheilhafteste und angenehmste der Religionen wäre. Doch gleich viel,« fuhr er fort, nachdem er mit der Zunge am Gaumen geschnalzt hatte, »es sind brave Leute. Aber was Teufels macht Ihr denn, Aramis, Ihr steckt diesen Brief in Eure Tasche?«

»Ja,« sagte d’Artagnan, »Athos hat Recht, man muß ihn verbrennen. Wer weiß jedoch, ob der Herr Kardinal nicht ein Geheimniß besitzt, um die Asche zu befragen.«

»Er muß wohl eines besitzen,« erwiderte Athos.

»Aber, was wollt Ihr denn mit dem Briefe machen?« fragte Porthos.

»Kommt hieher, Grimaud,« sagte Athos.

Grimaud stand auf und gehorchte.

»Zur Strafe dafür, daß Ihr ohne Erlaubniß gesprochen habt, mein Freund, werdet ihr das Stück Papier essen, und für den Dienst, den Ihr uns leistet, trinkt ihr sodann dieses Glas Wein. Hier, nehmt zuerst den Brief, kaut kräftig.«

Grimaud lächelte, und die Augen auf das Glas gerichtet, das Athos bis auf den Rand gefüllt hatte, zerkaute er das Papier und verschlang es.

»Bravo, Meister Grimaud!« rief Athos, »und nun dieses. Gut, ich entbinde Euch der Verpflichtung, Dank zu sagen.«

Grimaud trank stillschweigend das Glas Bordeauxwein, aber seine zum Himmel aufgeschlagenen Augen sprachen, so lange diese süße Beschäftigung dauerte, eine Sprache, die, obgleich stumm, darum doch nicht minder ausdrucksvoll war.

»Und nun,« sagte Athos, »wenn nicht der Herr Kardinal den geistreichen Gedanken hat, Grimaud den Bauch öffnen zu lassen, können wir, glaube ich, beinahe ruhig sein.«

Während dieser Zeit setzte Seine Eminenz ihren schwermüthigen Spazierritt fort und brummte wiederholt in seinen Schnurrbart:

»Diese vier Bursche müssen um jeden Preis mein werden.«

XXIV.

Erster Tag der Gefangenschaft.

Kehren wir zu Mylady zurück, die uns ein Blick auf die Küste Frankreichs eins Weile aus dem Gesichte verlieren ließ.

Wir werden sie in der verzweifelten Lage wieder finden, in der wir sie zurückgelassen haben, einen Abgrund düsterer Betrachtungen, eine finstere Hölle grabend, an deren Pforte sie beinahe jede Hoffnung zurückgelassen hat, denn zum ersten Male zweifelt, zum ersten Male fürchtet sie.

Bei zwei Gelegenheiten hat ihr Glück sie verlassen, bei zwei Gelegenheiten hat sie sich entdeckt und verrathen gesehen, bei zwei Gelegenheiten scheiterte sie an dem bösen Geiste, den ohne Zweifel der Herr sandte, um sie zu bekämpfen. D’Artagnan hat sie besiegt, sie, die unbesiegbare Macht des Bösen.

Er hat sie in ihrer Liebe verletzt, in ihrem Stolze gedemüthigt, und nun richtet er sie in ihrem Vermögen zu Grunde, schlägt sie in ihrer Freiheit, bedroht sie sogar in ihrem Leben. Mehr noch, er hat eine Ecke ihrer Maske aufgehoben, mit der sie sich bedeckt, die sie so stark macht.

D’Artagnan hat von Buckingham, den sie haßt, wie sie alles haßt, was sie geliebt hat, den Sturm abgewendet, mit dem ihn Richelieu in der Person der Königin bedrohte. D’Artagnan hat sich für Wardes ausgegeben, für den sie eine glühende Tigerliebe, unbezähmbar, wie bei allen Frauen dieses Charakters, hegte. D’Artagnan kennt das furchtbare Geheimniß, das nach ihrem Schwure Niemand kennen sollte, ohne zu sterben. In dem Augenblick, wo sie von Richelieu eine Vollmacht erhalten hat, mit dessen Hülfe sie sich an ihrem Feinde zu rächen gedenkt, wird ihr dieses Papier aus den Händen gerissen, und d’Artagnan hält sie gefangen und will sie nach irgend einem schmachvollen Botanybay, nach irgend einem abscheulichen Tyburn des indischen Oceans schicken.

Denn alles dies kommt ohne Zweifel von d’Artagnan. Von wem sollte so viele auf ihr Haupt gehäufte Schmach kommen, außer von ihm? Er allein konnte Lord Winter all‘ die furchtbaren Geheimnisse mittheilen, die er nach einander durch eine unselige Verkettung von Umständen erfahren hatte.

Wie viel Haß zersetzt sie! Hier, unbeweglich und die glühenden Augen starr auf ihr einsames Stübchen geheftet, während das Geräusch des dumpfen Schnaubens, das zuweilen aus der Tiefe ihrer Brust hervorkommt, das Tosen der Wellen begleitet, welche steigen, brausen und brüllen und sich wie eine ewige, unmächtige Verzweiflung an den Felsen brechen, auf denen das stolze, düstere Schloß erbaut ist, während ihr stürmischer Zorn mit seinen Blitzen ihren Geist erleuchtet, hier entwirft sie gegen Madame Bonacieux, gegen Buckingham und besonders gegen d’Artagnan großartige, in der fernen Zukunft sich verlierende Rachepläne.

Ja, aber um sich zu rächen, muß man frei sein, und um frei zu sein, wenn man gefangen ist, muß man eine Mauer durchbrechen, Gitterstangen losmachen, einen Boden durchhöhlen, lauter Unternehmungen, welche ein geduldiger und starker Mann zu Ende führen kann, an denen jedoch die fieberhaften Aufregungen einer Frau scheitern müssen.

Um Alles dies zu thun, muß man überdies Zeit, Monate Jahre haben, und sie hat, wie ihr Mylord Winter, ihr brüderlicher und furchtbarer Kerkermeister, sagte, nur zehn bis zwölf Tage.

Und dennoch, wenn sie ein Mann wäre, würde sie Alles dies versuchen, und es würde ihr vielleicht gelingen; warum hat sich der Himmel so getäuscht, indem er diese männliche Seele in einen so schwachen und zarten Leib legte?

Die ersten Augenblicke der Gefangenschaft waren also furchtbar. Mit einigen krampfhaften Zuckungen der Wuth, die sie nicht zu überwinden vermochte, wurde die Schuld weiblicher Schwäche an die Natur abgetragen. Nach und nach aber hat sie die Ausbrüche ihres tollen Zornes bewältigt, das Nervenzittern, welches ihren Körper bewegte, ist verschwunden, und sie hat sich nun auf sich selbst zurückgewunden, wie eine müde Schlange, wenn sie ausruht.

»Auf, auf! ich war eine Thorin, daß ich mich hinreißen ließ,« spricht sie, in den Spiegel schauend, der ihren Augen den glühenden Blick zurückwirft, durch den sie sich selbst zu befragen scheint, »keine Gewaltthätigkeit! die Gewaltthätigkeit ist ein Zeichen der Schwäche, und ich habe nie durch dieses Mittel gesiegt. Wenn ich vielleicht von meiner Kraft gegen Frauen Gebrauch machen müßte, hätte ich Hoffnung, sie noch schwächer zu finden, als ich selbst bin, und sie folglich zu überwältigen; aber ich kämpfe gegen Männer und bin für sie nur eine Frau. Wir wollen als Frau kämpfen. Meine Kraft liegt in meiner Schwäche.«

Als wollte sie sich selbst von den Veränderungen Rechenschaft geben, die sie in ihrer so ausdrucksvollen und so edeln Physiognomie zu bewerkstelligen im Stande war, ließ sie diese sodann nach und nach alle Ausdrücke annehmen, vom Zorne an, der ihr Gesicht krampfhaft zusammenzog, bis zum sanftesten, zärtlichsten, verführerischsten Lächeln. Ihre Haare erhielten unter ihren geschickten Händen alle Wellenformen, von denen sie glaubte, sie dürften die Reize ihrer Züge erhöhen. Endlich murmelte sie mit sich selbst zufrieden:

»Noch ist nichts verloren, ich bin immer noch schön.«

Es war ungefähr acht Uhr Abends. Mylady bemerkte ein Bett und dachte, ein paar Stunden Ruhe würden nicht nur ihren Kopf und ihre Gedanken, sondern auch ihren Teint erfrischen. Doch ehe sie sich niederlegte, kam ihr noch eine bessere Idee; sie hatte von Abendbrod sprechen hören. Schon war sie seit geraumer Zeit in diesem Zimmer und man konnte nicht länger zögern, ihr das Mahl zu bringen. Die Gefangene wollte keine Zeit verlieren, und sie beschloß schon an diesem Abend einen Versuch zu machen, um das Terrain zu sondiren und die Charaktere der Leute zu erforschen, denen ihre Bewachung anvertraut war.

Ein Licht erschien unter der Thüre, es kündete die Rückkehr ihrer Kerkermeister an. Mylady, welche sich erhoben hatte, warf sich rasch wieder in ihren Lehnstuhl, den Kopf zurückgebogen, die Haare aufgelöst und zerstreut, den Hals halb entblößt unter zerknitterten Spitzen, eine Hand auf ihrem Herzen, die andere herabhängend.

Man öffnete die Riegel, die Thüre ächzte auf ihren Angeln; Tritte erschollen im Innern und näherten sich.

»Stellt den Tisch hierher,« sagte eine Stimme, an der Mylady Felton erkannte.

Der Befehl wurde vollzogen.

»Bringt Lichter und laßt die Wache ablösen,« fuhr Felton fort, und dieser doppelte Befehl, den der junge Lieutenant denselben Menschen ertheilte, gab Mylady die Ueberzeugung, daß ihre Diener und ihre Wächter dieselben Menschen waren, nämlich Soldaten.

Endlich wandte sich Felton, der Mylady noch nicht angeschaut hatte, nach ihr um.

»Ah! ah!« sagte er, »sie schläft gut, bei ihrem Erwachen wird sie zu Nacht speisen.«

Er machte einige Schritte, um sich zu entfernen.

»Aber, mein Lieutenant,« sagte der Soldat, der etwas weniger stoisch war, als sein Vorgesetzter, und sich Mylady genähert hatte, »diese Frau schläft nicht.«

»Wie, sie schläft nicht?« sprach Felton, »was macht sie denn?«

»Sie ist ohnmächtig. Ihr Gesicht ist sehr bleich, und ich höre, wie sehr ich auch lausche, keinen Athemzug.«

»Ihr habt Recht,« erwiderte Felton, nachdem er Mylady von dem Platze, wo er stand, ohne einen Schritt gegen sie zu thun, angeschaut hatte. »Benachrichtigt Lord Winter, seine Gefangene sei in Ohnmacht gefallen, denn ich weiß nicht, was ich thun soll, da dieser Fall nicht vorhergesehen ist.«

Der Soldat ging ab, um den Befehlen des Officiers zu gehorchen. Felton setzte sich auf einen Stuhl, der sich zufällig in der Nähe der Thüre fand, und wartete, ohne ein Wort zu sprechen, ohne die geringste Geberde zu machen. Mylady besaß die große, von den Frauen so sehr studirte Kunst, alles mit Hülfe eines Reflexes, eines Spiegels oder eines Schattens zu sehen; sie bemerkte Felton, der ihr den Rücken zukehrte; sie schaute ihn beinahe zehn Minuten beständig an, und während dieser zehn Minuten wandte sich der kalte Wächter nicht ein einziges Mal um.

Sie bedachte nun, daß Lord Winter kommen und durch seine Gegenwart ihrem Kerkermeister neue Kraft verleihen würde. Ihr erster Versuch war gescheitert; sie faßte ihren Entschluß als eine Frau, welche auf ihre Mittel zählt. Diesem Entschlusse zu Folge hob sie den Kopf, öffnete die Augen und stieß einen schwachen Seufzer aus.

Bei diesem Seufzer wandte sich Felton um.

»Ah! Ihr seid erwacht, Madame,« sprach er, »ich habe also nichts mehr hier zu thun. Wenn Ihr etwas braucht, so ruft.«

»Oh, mein Gott, mein Gott! was habe ich gelitten!« murmelte Mylady mit der wohlklingenden Stimme, welche Alle bezauberte, sie sie ins Verderben stürzen wollte.

Und sich auf ihrem Stuhle aufrichtend, nahm sie eine noch anmuthigere und zugleich nachlässigere Stellung an.

Felton stand auf.

»Ihr werdet auf diese Art dreimal des Tags bedient werden, Madame,« sprach er, »Morgens um neun Uhr, Mittags um ein Uhr und Abends um acht Uhr. Wenn Euch das nicht genehm ist, so könnt Ihr andere Stunden statt derer, welche ich Euch vorschlage, nennen, und man wird sich in dieser Beziehung Euern Wünschen fügen.«

»Aber soll ich denn immer in dieser großen, traurigen Stube allein bleiben?« fragte Mylady.

»Eine Frau aus der Gegend ist bestellt, sie wird morgen im Schlosse sein und zu Euch kommen, so oft Ihr ihre Gegenwart wünscht.«

»Ich danke Euch, mein Herr,« antwortete die Gefangene demüthig.

Felton grüßte leicht und wandte sich nach der Thüre. In dem Augenblick, wo er über die Schwelle treten wollte, erschien Lord Winter, gefolgt von dem Soldaten, der ihn von Myladys Ohnmacht in Kenntnis gesetzt hatte, in der Flur; er hielt einen Flacon mit Riechsalz m der Hand.

»Wie! was geht denn hier vor?« sprach er mit spöttischem Tone, als er sah, daß seine Gefangene aufrecht stand und Felton im Begriff war zu gehen. »Die Todte ist also wieder erweckt? Mein Gott, Felton, mein Junge, hast Du denn nicht wahrgenommen, daß man Dich für einen Neuling hielt und den ersten Akt einer Komödie mit Dir spielte, dessen ganze Entwicklung zu verfolgen wir ohne Zweifel das Vergnügen haben werden?«

»Ich habe es wohl gedacht, Mylord,« erwiderte Felton, »aber da die Gefangene im Ganzen doch eine Frau ist, so wollte ich die Rücksicht nehmen, die ein Mann von guter Geburt einem weiblichen Wesen schon um seiner selbst willen schuldig ist.«

Mylady bebte am ganzen Leibe. Diese Worte liefen wie Eis durch alle ihre Adern.

»Diese schönen Haare,« versetzte Lord Winter lächelnd, »diese schönen, so geschickt ausgebreiteten Haare, diese weiße Haut, dieser schmachtende Blick haben Dich also nicht verführt, Marmorherz?«

»Nein, Mylord,« antwortete der unempfindliche junge Mann, »glaubt mir, es bedarf mehr, als der Frauen-Kunstgriffe und Koketterien, um mich zu bestechen.«

»Wenn dem so ist, mein braver Lieutenant, so mag Mylady etwas Anderes ersinnen, und wir wollen zu Nacht speisen. Oh! sei ruhig, sie hat eine furchtbare Phantasie, und der zweite Akt der Komödie wird bald dem ersten folgen.«

Nach diesen Worten nahm Lord Winter Felton beim Arme, und ging lachend mit ihm weg.

»Oh! ich werde schon finden, was Du brauchst,« murmelte Mylady zwischen den Zähnen; armer, verunglückter Mönch, umgekehrter Soldat, der Du Dir Deine Uniform aus einer Kutte geschnitten hast.«

»Doch, was ich noch bemerken wollte,« versetzte Lord Winter, auf der Schwelle stehen bleibend, »dieses Scheitern braucht Euch den Appetit nicht zu benehmen. Kostet das Huhn und die Fische, die ich bei meinem Ehrenwort nicht habe vergiften lassen. Ich bin ziemlich wohl mit meinem Koche zufrieden, und da er nichts von mir zu erben hat, so setze ich volles Vertrauen in ihn. Macht es wie ich. Gott befohlen, liebe Schwester. Bei Eurer nächsten Ohnmacht sehen wir uns wieder.«

Das war Alles, was Mylady zu ertragen vermochte. Ihre Hände zogen sich krampfhaft auf dem Lehnstuhl zusammen. Ihre Zähne knirrschten dumpf, ihre Augen folgten der Bewegung der Thüre, welche sich hinter Lord Winter und Felton schloß, und als sie sich allein sah, fühlte sie sich von einer neuen Krisis der Verzweiflung befallen. Sie schaute nach dem Tische, gewahrte ein Messer, stürzte darauf los und ergriff es. Aber es trat sogleich eine grausame Enttäuschung ein, die Klinge war rund, und von biegsamem Silber.

Ein schallendes Gelächter wurde an der Thüre hörbar, und diese öffnete sich wieder.

»Ah! ah!« rief Lord Winter, »ah, ah! siehst Du wohl, mein braver Felton, was ich Dir gesagt habe? Dieses Messer war für Dich bestimmt, mein Kind, sie hätte Dich umgebracht. Siehst Du, das ist eine ihrer Verkehrtheiten, daß sie sich der Leute, welche sie geniren, auf die eine oder die andere Weise entledigt. Wenn ich auf Dich gehört hätte, so wäre das Messer spitzig und von Stahl gewesen, dann gäbe es keinen Felton mehr; sie hätte Dich erstochen und nach Dir die ganze Welt. Siehst Du, John, wie sie das Messer so gut zu halten weiß!«

Mylady hielt in der That noch die unschädliche Waffe in ihrer Hand. Die letzte Beleidigung löste ihre Hände, ihre Kräfte und sogar ihren Willen auf. Das Messer fiel zu Boden.

»Ihr habt Recht, Mylord,« sprach Felton mit einem Ausdruck des tiefsten Ekels, der in dem Herzen Myladys wiederhallte, »Ihr habt Recht und ich hatte Unrecht.«

Hierauf entfernten sich Beide abermals.

Aber diesmal horchte Mylady aufmerksamer, als das erste Mal, und sie hörte, wie ihre Tritte nach und nach im Hintergrunde der Flur erstarben.

»Ich bin verloren,« murmelte sie, »ich befinde mich in der Gewalt von Leuten, auf die ich nicht mehr Einfluß ausüben werde, als auf Bildsäulen von Erz oder Granit. Sie kennen mich auswendig und sind gegen alle meine Waffen gepanzert.«

»Doch diese Sache kann unmöglich,« sprach sie nach einem Augenblick, »so endigen, wie sie es beschlossen haben.«

Die Furcht und das Gefühl der Schwäche schwammen, wie dies die letztere Betrachtung, die instinktmäßige Rückkehr zur Hoffnung, andeutete, nicht lange oben in dieser tiefen Seele.

Mylady setzte sich zu Tische, aß von mehreren Gerichten, trank ein wenig spanischen Wein und fühlte ihre ganze Entschlossenheit wieder erwachen.

Ehe sie sich schlafen legte, hatte sie bereits die Worte, die Schritte, die Geberden, die Zeichen und sogar das Stillschweigen ihrer Kerkermeister erklärt, analysirt, von allen Seiten betrachtet, in allen Punkten geprüft, und aus diesem geschickten, geistreichen Studium hatte sie entnommen, daß Felton jedenfalls der weniger unverwundbare von Beiden war.

Ein Wort besonders tauchte immer wieder im Geiste der Gefangenen auf.

»Wenn ich auf Dich gehört hätte,« hatte Lord Winter zu Felton gesagt.

Felton hatte also zu ihren Gunsten gesprochen, da ihn Lord Winter nicht hören wollte.

»Dieser Mensch,« wiederholte Mylady, »hat also jedenfalls einen mehr oder minder starken Anflug von Mitleid in seinem Herzen. Diesen Schimmer werde ich zu einem Brande anfachen, der ihn verzehren soll. Der andere kennt mich, er fürchtet mich und weiß, was er von mir zu erwarten hat, wenn ich je seinen Händen entkomme. Es ist also vergeblich, etwas gegen ihn zu versuchen. Aber bei Felton ist es etwas Anderes. Er ist ein unschuldiger reiner junger Mann, ein tugendhafter Mensch, wie es scheint. Bei ihm gibt es ein Mittel, ihn zu verderben.«

Und Mylady legte sich nieder und entschlummerte mit einem Lächeln auf den Lippen. Wer sie schlafend sah, hätte glauben können, ein junges Mädchen liege vor ihm und träume von dem Blumenkranz, den es beim nächsten Fest auf seiner Stirne tragen solle.

XXV.

Zweiter Tag der Gefangenschaft.

Mylady träumte, sie habe d’Artagnan endlich erwischt und wohne seiner Hinrichtung bei; der Anblick seines unter dem Henkerbeil entströmenden verhaßten Blutes brachte dieses reizende Lächeln auf ihre Lippen. Sie schlief, wie ein Gefangener schläft, der durch seine erste Hoffnung eingewiegt wird.

Als man am andern Morgen in ihr Zimmer trat, lag sie noch im Bette. Felton verweilte in der Flur. Er brachte die Frau, von der er am Abend zuvor gesprochen hatte. Diese Frau trat ein, näherte sich dem Bette Mylady’s und bot ihr ihre Dienste an.

Mylady war gewöhnlich bleich, ihre Gesichtsfarbe konnte also diejenige täuschen, die sie zum erstenmale sah.

»Ich habe das Fieber,« sprach sie, »und konnte die ganze Nacht kein Auge zuthun. Ich leide furchtbar. Werdet Ihr menschlicher sein, als man gestern gegen mich gewesen ist? Ich verlange nichts Anderes, als liegen bleiben zu dürfen.«

»Wollt Ihr, daß man einen Arzt rufe?« sprach die Frau.

Felton hörte diesen Dialog an, ohne ein Wort zu sagen. Mylady überlegte, daß sie, je mehr man sie mit Menschen umgebe, desto mehr Leute hätte, die sie zum Mitleid bewegen könnte, und daß sich sodann die Wachsamkeit Lord Winters verdoppeln müßte. Ueberdies konnte der Arzt erklären, die Krankheit sei nur geheuchelt, und Mylady wollte, nachdem sie die erste Partie verloren hatte, die zweite nicht ebenfalls verlieren.

»Einen Arzt holen,« sagte sie, »wozu soll dies nützen? Diese Herren haben gestern erklärt, mein Uebel sei eine Komödie. Heute würde wohl dasselbe der Fall sein. Denn seit gestern Abend hat man Zeit genug gehabt, den Arzt zu benachrichtigen.«

»Nun, so sagt selbst,« sprach Felton ungeduldig, »welche Kur Ihr wünscht.«

»Ei, mein Gott, weiß ich es denn? ich fühle, daß ich leide; das ist Alles. Man gebe mir, was man will, es ist mir ganz gleichgültig!«

»Holt Lord Winter,« sagte Felton, der ewigen Klagen müde.

»Oh! nein, nein!« rief Mylady, »nicht, mein Herr, ruft ihn nicht! Ich beschwöre Euch, ich befinde mich wohl! ich brauche nichts; ruft ihn nicht!«

Sie sprach diese Worte mit einer so natürlichen Heftigkeit, daß Felton, davon hingerissen, einige Schritte in das Zimmer that.

»Er ist bewegt,« dachte Mylady.

»Wenn Ihr jedoch wirklich leidet, Madame,« sagte Felton, »so wird man einen Arzt holen, und täuscht Ihr uns, nun, um so schlimmer für Euch; wir haben uns wenigstens nichts vorzuwerfen.«

Mylady antwortete nicht, sondern sie warf ihren schönen Kopf auf das Kissen zurück und fing an zu weinen und zu schluchzen.

Felton betrachtete sie mit seiner gewöhnlichen Unempfindlichkeit. Als er aber sah, daß die Krisis sich zu verlängern drohte, ging er weg. Die Frau folgte ihm. Lord Winter erschien nicht.

»Ich glaube, ich fange an, klar zu sehen,« murmelte Mylady mit einer wilden Freude und begrub sich unter ihren Betttüchern, um allen denjenigen, welche sie beobachten könnten, diesen Ausbruch innerer Befriedigung zu verbergen.

Es schlug zehn Uhr.

»Nun ist es Zeit, die Krankheit aufhören zu lassen,« sagte sie. »Wir wollen aufstehen, und schon heute einigen Erfolg zu gewinnen suchen. Ich habe nur zehn Tage, und heute Abend und bereits zwei davon abgelaufen.«

Die Bedienung hatte, als sie am Morgen in Mylady’s Zimmer getreten war, ihr das Frühstück gebracht. Nun dachte die Gefangene, man werde es ihr bald wegnehmen, und sie werde bei dieser Gelegenheit Felton wiedersehen.

Mylady täuschte sich nicht. Felton erschien abermals und gab, ohne nachzusehen, ob Mylady das Frühstück berührt hatte oder nicht, Befehl, den Tisch wegzutragen, den man gewöhnlich ganz serviert brachte.

Felton blieb zurück. Er hielt ein Buch in seiner Hand. In einem Fauteuil in der Nähe des Kamins liegend, glich Mylady, schön, bleich und ergebungsvoll, einer heiligen Jungfrau, welche dem Märtyrerthum entgegensieht.

Felton näherte sich ihr und sprach:

»Lord Winter, der ein Katholik ist, wie Ihr, Madame, glaubte, die Entbehrung der Gebräuche und Zeremonien Eurer Religion dürfte schmerzlich für Euch sein. Er erlaubt also, daß Ihr jeden Tag die gewöhnlichen Gebete Eurer Messe lest, und hier ist ein Buch, welches das Ritual enthält.«

Bei der Miene, mit der Felton dieses Buch auf das Tischchen legte, an welchem Mylady saß, bei dem Tone, mit dem er die zwei Worte Eurer Messe aussprach, bei dem verächtlichen Lächeln, womit er dieselben begleitete, hob Mylady das Haupt und schaute den Offizier aufmerksamer an.

An dem ernsten Schnitt des Haares, an der einfachen Tracht, an der Stirne, die so glatt war wie Marmor, aber hart und undurchdringlich wie dieser, erkannte sie einen von den finstern Puritanern, dergleichen sie sowohl am Hof des Königs Jakob, als am Hof des Königs von Frankreich, wo sie zuweilen trotz der Erinnerung an die Sanct-Bartholomäusnacht Zuflucht suchten, so häufig getroffen hatte.

Sie hatte daher eine jener raschen Eingebungen, wie sie nur Leute von Genie in großen Krisen, in den äußersten Momenten, die über Glück und Leben entscheiden sollen, zu bekommen pflegen.

Die zwei Worte Eurer Messe und ein einziger Blick auf Felton hatten ihr in der That das ganze Gewicht der Antwort enthüllt, welche sie zu geben im Begriffe war.

Aber mit dem ihr eigenthümlichen schnellen Geistesblick trat diese Antwort sogleich ganz fertig auf ihre Lippen, und mit einer verächtlichen Betonung, welche sie mit dem Ausdruck in Einklang brachte, den sie in der Stimme des jungen Mannes wahrgenommen hatte, erwiderte sie:

»Ich, mein Herr? meine Messe? Lord Winter, der verdorbene Katholik, weiß ganz wohl, daß ich nicht seiner Religion angehöre, und es ist nur eine Falle, die er mir legen will.«

»Von welcher Religion seid Ihr denn, Madame?« fragte Felton mit einem Staunen, das er trotz seiner Selbstbeherrschung nicht ganz zu verbergen vermochte.

»Ich werde es sagen!« rief Mylady mit einer erheuchelten Begeisterung, »ich werde es sagen, wenn ich genug für meine Religion gelitten haben werde.«

Der Blick Feltons enthüllte vor Mylady die ganze Ausdehnung des Raumes, den sie sich durch dieses einzige Wort geöffnet hatte.

Der junge Mann blieb indessen stumm und unbeweglich. Sein Blick hätte allein gesprochen.

»Ich bin in den Händen meiner Feinde,« fuhr sie in jenem Tone der Begeisterung fort, von dem sie wußte, daß er den Puritanern eigenthümlich war. »Gott mag mich retten, oder ich mag für meinen Gott untergehen! Das ist die Antwort, die ich Euch Lord Winter zu überbringen bitte,« fügte sie bei und deutete mit der Fingerspitze auf das Gebetbuch, jedoch ohne es zu berühren, als hätte sie sich durch eine solche Berührung verunreinigt geglaubt, »Ihr könnt dieß zurückbringen und gebraucht es für Euch selbst; denn Ihr seid ohne Zweifel ein doppelter Mitschuldiger von Lord Winter, mitschuldig bei seiner Verfolgung, mitschuldig bei seiner Ketzerei.«

Felton antwortete nicht. Er nahm das Buch mit demselben Gefühl des Widerwillens, das er bereits kund gegeben hatte, und zog sich nachdenklich zurück.

Lord Winter erschien gegen fünf Uhr Abends. Mylady hatte den ganzen Tag Zeit gehabt, den Plan für ihr Benehmen zu entwerfen. Sie empfing ihn als eine Frau, die bereits wieder in alle ihre Vortheile eingetreten ist.

»Es scheint,« sagte der Baron, indem er sich Mylady gegenüber in einen Lehnstuhl setzte und seine Füße nachläßig gegen den Kamin ausstreckte, »es scheint, wir haben eine kleine Apostasie gemacht.«

»Was wollt Ihr damit sagen, mein Herr?«

»Ich will damit sagen, daß Ihr, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben, die Religion gewechselt habt. Solltet Ihr zufällig einen dritten protestantischen Gatten genommen haben?«

»Erklärt Euch, Mylord,« entgegnete die Gefangene mit Majestät; »denn ich sage Euch, daß ich Eure Worte zwar höre, aber nicht verstehe.«

»Dann habt Ihr gar keine Religion, und das gefällt mir noch besser,« versetzte Lord Winter mit Hohnlachen.

»Jedenfalls stimmt es besser zu Euren Grundsätzen,« sprach Mylady kalt.

»Ich muß Euch gestehen, daß mir dies vollkommen gleichgültig ist.«

»Gesteht immerhin diese religiöse Gleichgültigkeit, Eure Ausschweifungen und Verbrechen sind hinreichende Belege hiefür.«

»Wie, Ihr sprecht von Ausschweifungen, Frau Messalina, Ihr sprecht von Verbrechen, Lady Macbeth? Entweder habe ich unrecht verstanden, oder Ihr seid bei Gott! sehr unverschämt.«

»Ihr sprecht so, weil man uns hört, mein Herr,« erwiderte Mylady mit kaltem Tone, »und weil Ihr Eure Kerkermeister und Henker gegen mich einnehmen wollt.«

»Meine Kerkermeister, meine Henker! potz tausend, Madame, Ihr stimmt einen kuriosen Ton an, und die Komödie von gestern verwandelt sich heute Abend in eine Tragödie. Uebrigens werdet Ihr in acht Tagen da sein, wo Ihr sein sollt, und meine Aufgabe ist geendigt.«

»Schandfleck, heilloser Schandfleck!« rief Mylady mit der Begeisterung des Opfers, das seine Richter herausfordert.

»Bei meinem Ehrenwort, ich glaube, die drollige Person wird verrückt,« sagte Lord Winter. »Seid ruhig, Frau Puritanerin, oder ich lasse Euch in den Kerker werfen. Bei Gott! mein spanischer Wein steigt Euch in den Kopf, nicht wahr? Aber seid unbesorgt, diese Trunkenheit ist nicht gefährlich und wird keine Folgen haben.«

Und Lord Winter zog sich fluchend zurück, was in jener Zeit eine ganz ritterliche Gewohnheit war.

Felton stand allerdings vor der Thüre und hatte kein Wort von dieser ganzen Scene verloren.

Mylady hatte ihn richtig errathen.

»Ja, gehe, gehe!« sagte sie zu ihrem Schwager, »die Folgen kommen im Gegentheil: aber Du sollst sie erst erfahren, wenn es nicht mehr Zeit ist, sie zu vermeiden.«

Es trat wieder eine völlige Stille ein. Zwei Stunden verliefen und man brachte das Abendbrod; man fand Mylady mit ihrem Gebet beschäftigt, mit einem Gebet, das sie von einem Diener ihres zweiten Gatten, einem äußerst strengen Puritaner, gelernt hatte. Sie schien in eine solche Begeisterung versetzt, daß man glauben konnte, sie achte ganz und gar nicht auf das, was um sie her vorging. Felton befahl durch ein Zeichen, sie nicht zu stören, und als Alles in Ordnung war, entfernte er sich geräuschlos mit den Soldaten.

Mylady wußte, daß sie beobachtet werden konnte, sie setzte deßhalb ihr Gebet bis zum Schlusse fort, und es kam ihr vor, als ob der Soldat, der an ihrer Thüre Wache hielt, nicht mehr in demselben Schritt marschirte, sondern horchte.

Für den Augenblick wollte sie nicht mehr; sie stand auf, setzte sich zu Tische, aß wenig und trank nur Wasser.

Eine Stunde nachher kam man, um den Tisch wegzunehmen. Aber Mylady bemerkte, daß Felton die Soldaten diesmal nicht begleitete.

Er fürchtete also, sie zu oft zu sehen.

Sie wandte sich ab, um zu lächeln, denn in diesem Lächeln lag ein so triumphirender Ausdruck, daß sie sich schon dadurch hätte verrathen können.

Abermals ließ sie eine halbe Stunde vergehen, und da in diesem Augenblick Alles in dem alten Schlosse still war und man nur das ewige Gemurmel des Meeres, dieses ungeheure Athemholen des Oceans, vernahm, so stimmte sie mit ihrer reinen, klangreichen, vibrirenden Stimme den ersten Vers des folgenden, damals bei den Puritanern sehr beliebten, Psalmes an:

»Herr Du verläßt uns nur.
Zu prüfen uns’re Stärke,
Doch Deine Himmelshand
Beut dann den Preis für unsere Werke.«

Diese Verse waren nicht ausgezeichnet, dazu fehlte im Gegentheil noch viel: aber die Protestanten kümmerten sich nichts um die Poesie.

Während Mylady sang, horchte sie zugleich. Der Soldat, welcher vor ihrer Thüre Wache hielt, stand stille, als ob er in Stein verwandelt worden wäre. Mylady konnte hienach die Wirkung beurtheilen, die sie hervorgebracht hatte.

Sie setzte nun ihren Gesang mit unaussprechlicher Inbrunst und Gefühlsfülle fort. Es kam ihr vor, als verbreiteten sich die Töne in der Feme unter den Gewölben und müßten wie ein magischer Zauber das Herz ihrer Kerkermeister erweichen. Jedoch, der Soldat, welcher Schildwache stand, ohne Zweifel ein eifriger Katholik, schüttelte den Zauber ab, denn er öffnete das in der Thüre angebrachte Gitter und sprach:

»Schweigt, Madame, Euer Gesang ist traurig, wie de profundis, und wenn man, außer dem Vergnügen, hier in Garnison zu sein, auch noch solche Dinge hören müßte, so wäre es nicht auszuhalten.«

»Stille!« sagte eine tiefe Stimme, an der Mylady Felton erkannte. »In was mischt Ihr Euch, Bursche? Hat man Euch geboten, diese Frau im Singen zu hindern? Nein! man hat Euch gesagt, Ihr sollt sie bewachen und auf sie schießen, wenn sie zu entweichen suchen würde. Bewacht sie, schießt auf sie, wenn sie entweichen will, aber ändert nichts an dem Befehl.«

Ein Ausdruck unnennbarer Freude erleuchtete das Antlitz Mylady’s, aber dieser Ausdruck war flüchtig, wie der Wiederstrahl eines Blitzes, und als ob sie das Zwiegespräch nicht gehört hätte, von dem sie kein Wort verlor, fuhr sie zu singen fort, indem sie ihrer Stimme den ganzen Zauber, den ganzen Umfang, die ganze Verführungskraft verlieh, womit sie von einem Dämon ausgerüstet war.

»Für so viele Thränen, Elend, Bann und Ketten
Bleibt mir Gebet noch, Kraft und Jugend,
Gott zählt sie selbst, die Zahl der Schrecken,
Und lohnt sie mit dem Lohn der Tugend.«

Diese Stimme von unerhörtem Umfang und voll erhabener Leidenschaft gab der rohen, ungeschliffenen Poesie dieser Psalmen eine Zauberkraft, welche selbst die begeisterten Puritaner nur selten in den Gesängen ihrer Brüder fanden: Felton glaubte den Engel singen zu hören, der die drei Hebräer im feurigen Ofen tröstete.

Mylady fuhr fort:

»Er kommt gewiß, gerechter großer Gott,
Des Leidens Lösetag,
Und immer bleibt uns Märtyrthum und Tod,
Ob jener auch die Hoffnung täuschen mag.«

Dieser Vers, in welchen die furchtbare Zauberin ihre ganze Seele legte, vollendete die Verwirrung im Herzen des jungen Offiziers. Er öffnete heftig die Thüre und Mylady sah ihn bleich wie immer, aber mit glühenden, beinahe irren Augen eintreten.

»Warum singt Ihr so,« sprach er, »und mit einer solchen Stimme?«

»Ich bitte um Vergebung, mein Herr,« erwiderte Mylady mit sanftem Tone. »Ich vergaß, daß meine Lieder in diesem Hause nicht gebräuchlich sind. Ich habe Euch ohne Zweifel in Eurem Glauben verletzt, aber ich schwöre Euch, es geschah unwillkürlich. Verzeiht mir also einen Fehler, der vielleicht groß, aber gewiß absichtslos ist.«

Mylady war in diesem Augenblick so schön, die religiöse Begeisterung, in welche sie sich versetzt hatte, gab ihrem Gesicht einen solchen Ausdruck, daß es Felton in seiner Verblendung vorkam, als sähe er den Engel, den er kurz zuvor zu hören geglaubt hatte.

»Ja, ja,« antwortete er, »ja, Ihr stört die Leute, die dieses Schloß bewohnen, Ihr bringt sie in Aufregung.«

Der arme Thor bemerkte nicht einmal die Zusammenhangslosigkeit seiner Rede, während Mylady ihr Luchsauge in die tiefste Tiefe seiner Seele tauchte.

»Ich werde schweigen,« sprach Mylady, indem sie mit der ganzen Weichheit, die sie ihrer Stimme, mit der ganzen Resignation, die sie ihrer Haltung zu geben vermochte, die Augen niederschlug.

»Nein, nein, Madame,« erwiderte Felton, »singt nur etwas weniger laut, besonders bei Nacht.«

Nach diesen Worten verließ Felton eilig das Zimmer, da er fühlte, daß er der Gefangenen gegenüber seine Strenge nicht länger zu bewahren vermochte.

»Ihr habt wohl gethan, Lieutenant,« sagte der Soldat. »Solche Gesänge drehen das Herz um; doch man gewöhnt sich am Ende daran. Die Stimme ist so schön!«

XXVI.

Dritter Tag der Gefangenschaft.

Felton war gekommen, aber es blieb noch ein Schritt zu thun: man mußte ihn zurückhalten oder er mußte vielmehr von selbst bleiben, und Mylady sah nur dunkel das Mittel, das sie zu diesem Resultate führen sollte.

Man brauchte noch mehr, man mußte ihn zum Sprechen bringen, um ebenfalls mit ihm zu sprechen; denn Mylady wußte wohl, daß ihre größte Versuchungskraft in ihrer Stimme lag, welche so geschickt die ganze Tonleiter von dem menschlichen Wort bis zur himmlischen Sprache durchlief.

Aber trotz dieser Verführungskunst konnte Mylady an dem geringsten Zufall scheitern, denn Felton war unterrichtet. Von nun an beobachtete sie alle seine Handlungen, alle seine Worte, den einfachsten Blick seiner Augen, jede Geberde, jedes Athemholen, das man als einen Seufzer halten konnte, kurz sie studirte Alles, wie ein geschickter Schauspieler, dem man eine Rolle in einem Fach gegeben hat, worin er nicht gewöhnlich auftritt.

Lord Winter gegenüber war ihr Benehmen leichter; in Beziehung auf ihn hatte sie schon am Tage vorher ihren ganzen Operationsplan festgestellt; stumm und würdig in seiner Anwesenheit bleiben, ihn zuweilen durch eine geheuchelte Verachtung, durch ein geringschätziges Wort reizen, ihn zu Drohungen und Gewaltthätigkeiten antreiben, die einen Kontrast mit ihrer Resignation bilden würden, dies war ihr Plan. Felton würde sehen, er würde vielleicht nichts sagen, aber er würde sehen.

Am Morgen kam Felton, wie gewöhnlich. Mylady ließ ihn allen Vorbereitungen zu ihrem Frühstück beiwohnen, ohne ein Wort an ihn zu richten.

In dem Augenblick, wo er sich entfernen wollte, belebte sie daher ein Hoffnungsschimmer, denn sie glaubte, er wolle sprechen; aber seine Lippen bewegten sich, ohne daß ein Ton aus seinem Munde kam, mit einer gewaltigen Anstrengung verschloß er die Worte, die seinen Lippen entschlüpfen wollten, und verließ das Zimmer.

Gegen Mittag trat Lord Winter ein.

Es war ein schöner Sommertag, und ein Strahl der bleichen Sonne Englands, welche erleuchtet und nicht erwärmt, drang durch die Gitter des Gefängnisses.

Mylady schaute durch das Fenster und stellte sich, als ob sie das Oeffnen der Thüre nicht hörte.

»Ah, ah,« sagte Lord Winter, »nachdem man abwechselnd Komödie und Tragödie gespielt hat, spielt man jetzt Melancholie.«

Die Gefangene antwortete nicht.

»Ja, ja, ich verstehe,« fuhr Lord Winter fort. »Ihr möchtet wohl auf diesem Gestade in Freiheit sein, Ihr möchtet wohl auf einem guten Schiff die Wellen dieser smaragdgrünen See durchfurchen. Ihr möchtet, sei es zu Wasser oder zu Land, mir einen jener guten kleinen Hinterhalte legen, die Ihr so schön einzurichten wißt. Geduld, Geduld! in vier Tagen ist Euch das Gestade erlaubt und die See geöffnet, mehr vielleicht, als Ihr wünschen möget, denn in vier Tagen ist England von Euch befreit.«

Mylady faltete die Hände und schlug ihre schönen Augen zum Himmel auf.

»Herr, Herr,« sprach sie mit englischer Weichheit der Geberde und Betonung, »vergib diesem Manne, wie ich ihm selber vergebe!«

»Ja bete. Verdammte!« rief der Baron, »Dein Gebet ist um so edelmüthiger, als Du Dich, ich schwöre es Dir, in der Gewalt eines Menschen befindest, der Dir nicht vergeben wird.«

Und er entfernte sich.

Im Moment wo er hinausging, glitt ein scharfer Blick durch die halbgeöffnete Thür, und sie gewahrte Felton, der sich rasch auf die Seite drückte, um nicht gesehen zu werden.

Dann warf sie sich auf die Kniee und fing an zu beten.

»Mein Gott! mein Gott!« sagte sie, »Du weißt, für was für eine heilige Sache ich leide. Gib mir die Kraft, das Leiden zu ertragen.«

Die Thüre wurde sachte geöffnet, die schöne Beterin gab sich den Anschein, als hätte sie es nicht einmal gehört, und fuhr mit einer thränenreichen Stimme fort:

»Rächender Gott! Gott der Güte! wirst Du die schändlichen Pläne dieses Mannes in Erfüllung gehen lassen?«

Jetzt erst stellte sie sich, als hörte sie das Geräusch der Tritte Feltons; sie sprang rasch wie ein Gedanke aus und erröthete, als schämte sie sich, auf den Knieen getroffen worden zu sein.

»Ich störe Betende nicht gerne, Madame,« sprach Felton mit ernstem Tone. »Laßt Euch also nicht durch mich unterbrechen, ich beschwöre Euch darum.«

»Woher wißt Ihr, daß ich betete?« sagte Mylady mit einer von Schluchzen erstickten Stimme. »Ihr täuschet Euch, mein Herr, ich betete nicht.«

»Glaubt Ihr denn, Madame,« antwortete Felton, mit demselben Ernst, doch mit etwas weicherem Ausdruck, »glaubt Ihr, ich halte mich für berechtigt, ein Geschöpf, das sich vor seinem Schöpfer niederwerfen will, daran zu verhindern? das wolle Gott verhüten! Ueberdies steht den Schuldigen die Reue wohl an, welches Verbrechen sie auch begangen haben mögen, ein Schuldiger ist mir heilig zu den Füßen Gottes.«

»Schuldig ich?« entgegnete Mylady mit einem Lächeln, das einen Engel des jüngsten Gerichts entwaffnet haben würde. »Schuldig, o mein Gott! Du weißt, ob ich es bin? Sagt, ich sei verdammt, mein Herr! Aber Ihr wißt, Gott, der die Märtyrer liebt, läßt es oft zu, daß die Unschuldigen auf dieser Erde verdammt werden.«

»Mögt Ihr verdammt, mögt Ihr unschuldig, mögt Ihr eine Märtyrin sein,« antwortete Felton, »Ihr habt um so mehr Grund zu beten, und ich werde Euch mit meinem Gebet unterstützen.«

»Oh! Ihr seid ein Gerechter,« rief Mylady ihm zu Füßen fallend, »hört, ich kann es nicht länger in mir verschließen, denn ich fürchte, es könnte mir in dem Augenblick, wo ich den Kampf bestehen und meinen Glauben bekennen soll, an Kraft mangeln; hört das Flehen einer Frau, welche von der Verzweiflung erfaßt ist. Man täuscht Euch, mein Herr, aber hievon soll nicht die Rede sein. Ich bitte Euch nur um eine Gnade, und wenn Ihr sie mir gewährt, werde ich Euch dafür in dieser und in der andern Welt segnen.«

»Sprecht mit dem Herrn, Madame,« sagte Felton, »ich habe zum Glück nicht den Auftrag, zu vergeben oder zu strafen. Gott hat diese Verantwortlichkeit einem Höheren übertragen.«

»Mit Euch, nein, mit Euch allein. Hört mich und tragt zu meinem Untergange, zu meiner Schmach bei.«

»Wenn Ihr diese Schmach verdient habt, Madame, wenn Ihr die Schande Euch selbst zuzuschreiben habt, so müßt Ihr Euch geduldig unterwerfen und in Gottes Willen fügen.«

»Was sagt Ihr? Oh! Ihr versteht mich nicht. Wenn ich von Schande spreche, so meint Ihr, ich spreche von einer Bestrafung, von Gefängnis oder vom Tod? Möchte es dem Himmel so gefallen! Was liegt mir an Tod oder Gefängniß?«

»Nun begreife ich Euch nicht, Madame,« sagte Felton.

»Oder Ihr stellt Euch, als ob Ihr mich nicht begriffet, mein Herr,« erwiderte die Gefangene mit einem zweifelhaften Lächeln.

»Nein, Madame, bei der Ehre eines Soldaten, bei dem Glauben eines Christen.«

»Wie! Ihr kennt die Absichten Lord Winters in Beziehung auf meine Person nicht?«

»Ich kenne sie nicht.«

»Unmöglich! Ihr, sein Vertrauter!«

»Ich lüge nie, Madame.«

»Doch er verstellt sich zu wenig, als daß man ihn nicht errathen sollte.«

»Ich suche nichts zu errathen, ich warte, bis man mir etwas anvertraut, und außer dem, was er mir in Eurer Gegenwart gesagt hat, ist mir von Lord Winter nichts anvertraut worden.«

»Wie!« rief Mylady mit einem unglaublichen Gepräge von Wahrheit, »Ihr seid also nicht sein Mitschuldiger! Ihr wißt nicht, daß er mir eine Schmach anzuthun gedenkt, der alle Strafen der Erde an Abscheulichkeit nicht gleichkommen?«

»Ihr täuscht Euch, Madame,« entgegnete Felton erröthend. »Lord Winter ist keines solchen Verbrechens fähig.«

»Gut!« sagte Mylady zu sich selbst, »er nennt das ein Verbrechen, ohne zu wissen, was es ist.«

Dann sprach sie laut:

»Der Freund des Schändlichen ist zu Allem fähig.«

»Wen nennt Ihr den Schändlichen?« fragte Felton.

»Gibt es in England zwei Menschen, denen ein solcher Name gebührt?«

»Ihr sprecht von George Villiers,« sagte Felton, dessen Blicke flammten.

»Den die Heiden, die Ungläubigen und die Gottlosen Herzog von Buckingham nennen,« versetzte Mylady; »ich hätte nicht geglaubt, daß in ganz England ein Mensch leben könnte, der einer so langen Erläuterung bedürfte, um denjenigen zu erkennen, von welchem ich sprechen wollte.«

»Die Hand des Herrn ist über ihm ausgestreckt, er wird der verdienten Strafe nicht entgehen.«

Felton sprach in Beziehung auf den Herzog nur das Gefühl der Verwünschung aus, das alle Engländer gegen den Mann hegten, den auch die Katholiken schlechtweg Satan nannten.

»Oh! mein Gott! mein Gott!« rief Mylady, »wenn ich Dich bitte, über diesen Menschen die ihm gebührende Strafe zu verhängen, so weißt Du, daß ich nicht meiner eigenen Rache Genüge thun will, sondern die Befreiung eines Volkes vom Himmel erflehe.«

»Ihr kennt ihn also?« fragte Felton.

»Endlich fragt er mich!« sagte Mylady zu sich selbst, voll Freude, so schnell zu einem so großen Resultat gelangt zu sein.

»Ob ich ihn kenne! oh ja! zu meinem Unglück, zu meinem ewigen Unglück.« Und Mylady rang die Hände, als ob sie von einem Paroxismus des Schmerzes befallen wäre.

Felton fühlte ohne Zweifel in seinem Innern, daß ihn die Kraft verließ; er machte einige Schritte gegen die Thüre; aber die Gefangene, welche ihn nicht aus den Augen ließ, lief ihm nach und hielt ihn zurück.

»Mein Herr!« rief sie, »seid barmherzig, hört meine Bitte. Das Messer, welches mir die unselige Klugheit des Barons genommen hat, weil er weiß, welchen Gebrauch ich davon machen will … Oh! hört mich bis zu Ende. Dieses Messer, oh! gebt es mir nur auf eine Minute zurück, gebt es mir aus Gnade, aus Mitleid. Ich umfasse Eure Kniee! Ihr schließt die Thüre, ich will nicht Euch an das Leben gehen. Gott! Euch an das Leben gehen. Euch, dem einzigen gerechten, guten und teilnehmenden Wesen, das ich getroffen habe! Euch, meinem Retter vielleicht. Eine Minute, nur eine Minute dieses Messer und ich gebe es Euch durch das Gitter der Thüre zurück! Nur eine Minute, Herr Felton, und Ihr habt meine Ehre gerettet!«

»Euch tödten!« rief Felton voll Schrecken und vergaß seine Hände denen seiner Gefangenen zu entziehen; »Euch tödten!«

»Ich habe es ausgesprochen, mein Herr,« murmelte Mylady, indem sie die Stimme sinken ließ und kraftlos auf den Boden niederfiel, »ich habe mein Geheimniß ausgesprochen! Er weiß Alles, mein Gott! ich bin verloren!«

Felton blieb unbeweglich und unentschlossen auf der Stelle.

»Er zweifelt noch,« dachte Mylady, »ich bin nicht wahr genug gewesen.«

Man hörte in der Flur gehen, Mylady erkannte den Tritt von Lord Winter.

Felton erkannte ihn ebenfalls und machte einen Schritt gegen die Thüre.

Mylady sprang auf und sagte mit gepreßter Stimme:

»Oh! nicht ein Wort, nicht ein Wort zu diesem Menschen von Allem, was ich Euch gesagt habe, oder ich bin verloren; und Ihr seid es … Ihr …«

Als die Tritte nun näher kamen, schwieg sie aus Furcht, ihre Stimme könnte gehört werden, und legte dabei mit einer Geberde unsäglichen Schreckens ihre schöne Hand Felton auf den Mund.

Felton stieß Mylady sanft zurück und diese sank auf eine Bank.

Lord Winter ging an der Thüre vorüber, ohne stehen zu bleiben, und man vernahm das Geräusch der Tritte, wie sie sich entfernten.

Bleich wie der Tod, horchte Felton einen Augenblick mit gespanntem Ohr; als aber das Geräusch gänzlich erstorben war, athmete er wie ein Mensch, der aus einem Traume erwacht, und stürzte aus dem Zimmer.

»Ah!« sagte Mylady, als sie die Tritte Feltons in entgegengesetzter Richtung sich ebenfalls verlieren hörte, »endlich bist Du mein.«

Dann verdüsterte sich ihre Stirne wieder.

»Wenn er bei dem Baron plaudert, bin ich verloren,« sagte sie, »denn der Baron, der wohl weiß, daß ich mir nicht das Leben nehme, wird mir in seiner Gegenwart ein Messer in die Hände geben, und Felton wird sehen, daß diese ganze große Verzweiflung nur eine Spiegelfechterei war.«

Sie stellte sich vor den Spiegel und beschaute sich: nie war sie so schön gewesen.

»Oh! ja,« sprach sie lächelnd, »aber er wird nicht plaudern.«

Am Abend erschien Lord Winter, als man Mylady ihr Mahl brachte.

»Mein Herr,« sprach Mylady, »ist Eure Gegenwart eine nothwendige Beigabe meiner Gefangenschaft, und könntet Ihr mir nicht den Zuwachs an Qualen ersparen, den mir Eure Besuche verursachen?«

»Wie, meine liebe Schwester, habt Ihr mir nicht auf eine ganz empfindsame Weise mit diesem schönen, heute aber gegen mich so grausamen, Munde angekündigt, Ihr seiet einzig und allein, um mich nach Gefallen sehen zu können, nach England gekommen, nur um diesen Genuß zu haben, dessen Entbehrung Ihr so sehr fürchtetet, wie Ihr mir sagt, daß Ihr Alles dafür gewagt habt, Seekrankheit, Sturm, Gefangenschaft? Uebrigens hat mein Besuch diesmal einen Grund.«

Mylady bebte; sie glaubte, Felton habe gesprochen; nie vielleicht fühlte diese Frau, welche so mächtige und entgegengesetzte Gemütsbewegungen erfahren hatte, ihr Herz so heftig schlagen.

Sie saß; Lord Winter nahm einen Lehnstuhl, stellte ihn neben sie, setzte sich und zog ein Papier aus seiner Tasche, das er langsam entfaltete.

»Hört,« sprach er, »ich wollte Euch diesen Paß zeigen, den ich selbst abgefaßt habe, und der Euch als Verhaltungs-Vorschrift in dem Leben dienen soll, das ich Euch lasse.«

Dann las er, seine Augen von Mylady ab und nach dem Papier wendend:

»Befehl, die Charlotte Backson, welche durch die Gerichte des Königreichs Frankreich gebrandmarkt, aber nach der Strafvollziehung wieder frei gelassen worden ist, nach … der Name ist noch nicht eingetragen,« unterbrach sich Winter, »wenn Ihr einem Orte den Vorzug gebt, so sagt es mir; beträgt die Entfernung wenigstens zwei tausend Meilen von London, so soll Euch willfahrt werden. Ich fahre also fort: Befehl, die Charlotte Backson, welche durch die Gerichte des Königreichs Frankreich gebrandmarkt, aber nach der Strafvollziehung wieder frei gelassen worden ist, nach … zu führen. Sie wird an diesem Orte bleiben, ohne sich je mehr als drei Meilen davon zu entfernen. Im Fall eines Fluchtversuches soll die Todesstrafe an ihr vollzogen werden. Sie erhält täglich fünf Schillinge für Kost und Wohnung.«

»Dieser Befehl betrifft mich nicht,« sprach Mylady kalt, »da ein anderer Name als der meinige, eingetragen ist.«

»Ein Name! habt Ihr einen Namen?«

»Ich habe den Eures Bruders.«

»Ihr täuscht Euch; mein Bruder ist nur Euer zweiter Gatte, und der erste lebt noch. Sagt mir seinen Namen und ich werde ihn an die Stelle von Charlotte Backson setzen. Nicht? Ihr wollt nicht? … Ihr schweigt. Gut; Ihr werdet unter dem Namen Charlotte Backson in das Gefangenen-Register eingetragen.«

Mylady blieb stumm; diesmal aber geschah es nicht aus Verstellung, sondern vor Schrecken. Sie glaubte, der Befehl werde alsbald vollstreckt werden; sie fürchtete, Lord Winter habe ihre Abreise beschleunigt; sie glaubte sich verurtheilt, schon an demselben Abend weggebracht zu werden; für einen Augenblick war in ihrem Innern Alles verloren, als sie plötzlich bemerkte, daß der Befehl noch nicht mit einer Unterschrift versehen war.

Die Freude, welche ihr diese Entdeckung gewährte, war so groß, daß sie nicht die Kraft besaß, sie zu verbergen.

»Ja, ja,« sprach Lord Winter, als er wahrnahm, was in ihr vorging, »ja, Ihr sucht die Unterschrift, und sagt Euch: »»Noch ist nicht Alles verloren, da diese Akte nicht unterzeichnet ist. Man zeigt sie mir, um mir Schrecken einzuflößen, das ist das Ganze.«« Ihr täuscht Euch: morgen wird dieser Befehl Lord Buckingham zugeschickt, übermorgen kommt er von seiner Hand unterzeichnet und mit seinem Siegel versehen zurück, und vierundzwanzig Stunden nachher, dafür stehe ich Euch, beginnt der Anfang der Vollstreckung. Gott befohlen, Madame, ich habe Euch sonst nichts zu sagen.«

»Und ich, mein Herr, erkläre Euch, daß dieser Mißbrauch der Gewalt, daß diese Verbannung unter einem fremden Namen eine Niederträchtigkeit ist.«

»Wollt Ihr vielleicht lieber unter Euerem eigenen Namen gehenkt werden? Ihr wißt, die englischen Gesetze sind unerbittlich im Punkte einer Doppelehe; erklärt Euch ganz offen; obgleich mein Name oder vielmehr der meines Bruders in diese Geschichte verflochten ist, scheue ich doch den Scandal eines öffentlichen Prozesses nicht, wenn ich überzeugt sein kann, daß ich mit Einem Schlag von Euch befreit werde.«

Mylady antwortete nicht, wurde aber leichenblaß.

»Oh, ich sehe, daß Ihr die Auswanderung vorzieht. Vortrefflich, Madame, ein altes Sprichwort behauptet: Reisen bilden die Jugend. Meiner Treu, Ihr habt nicht ganz Unrecht, das Leben ist so schön! Darum habe ich auch ganz und gar keine Lust, mich von Euch umbringen zu lassen. Es bleibt also noch der Punkt der fünf Schillinge zu ordnen; ich zeige mich hier etwas sparsam, nicht wahr? Das kommt davon her, daß ich Euch die Möglichkeit rauben will. Eure Wächter zu bestechen. Uebrigens besitzt Ihr immer noch Eure Reize, um sie zu verführen. Benützt sie, wenn der Umstand, daß Ihr bei Felton gescheitert seid, Euch nicht einen Widerwillen gegen dergleichen Versuche beigebracht hat.«

»Felton hat nicht gesprochen,« sagte Mylady zu sich selbst, »noch ist nichts verloren.«

»Und nun, Madame, auf Wiedersehen! Morgen werde ich Euch den Abgang meines Boten melden.«

Lord Winter stand auf, verbeugte sich ironisch vor Mylady und verließ das Zimmer.

Mylady athmete: sie hatte noch vier Tage vor sich, vier Tage genügten ihr, um Felton vollends zu verführen.

Ein furchtbarer Gedanke tauchte in ihr auf, der Gedanke, Lord Winter könnte Felton selbst abschicken, um den Befehl von Buckingham unterzeichnen zu lassen; auf diese Art entging ihr Felton, denn es bedurfte des Zaubers einer fortwährenden Verführung, wenn die Gefangene ihren Plan zum Ziel führen sollte.

Doch, wie gesagt, ein Umstand beruhigte sie; Felton hatte nicht gesprochen.

Sie wollte sich nicht das Ansehen geben, als ob Winters Drohungen ihr zu Herzen gingen; deßhalb setzte sie sich zu Tisch und speiste.

Dann warf sie sich, wie am Tage vorher, auf die Kniee und betete laut. Der Soldat hörte, wie am Tage vorher auf, im Gange umherzumarschiren, blieb vor der Thüre stille stehen und lauschte.

Bald vernahm sie leichtere Tritte, als die der Wache, welche aus dem Hintergrunde der Flur kamen und vor ihrer Thüre still anhielten.

»Er ist es,« sagte sie.

Und sie stimmte denselben religiösen Gesang an, der am Abend vorher Felton so sehr exaltirt hatte.

Aber ihre Thüre blieb verschlossen, obgleich ihre sanfte, volle, sonore Stimme harmonischer, ergreifender vibrirt hatte, als je. Wohl glaubte Mylady bei einem flüchtigen Blicke, den sie nach dem Gitter warf, die glühenden Augen des jungen Mannes gesehen zu haben, aber ob es nun Wirklichkeit oder eine Vision war, diesmal hatte er die Macht über sich selbst, nicht einzutreten.

Nur meinte Mylady einige Augenblicke, nachdem sie ihren religiösen Gesang vollendet hatte, einen tiefen Seufzer zu vernehmen; dann entfernten sich dieselben Tritte, welche sie kommen gehört hatte, langsam und mit Widerwillen.

XVII.

Eheliche Scene.

Richelieu kam, wie es Athos vorhergesehen hatte, alsbald herab. Er öffnete die Thür der Stube, in welche die Musketiere eingetreten waren, und fand Porthos in einem sehr hitzigen Würfelspiel mit Aramis begriffen. Mit einem Blick durchforschte er alle Winkel der Stube und sah, daß einer von seinen Leuten fehlte.

»Was ist aus Herrn Athos geworden?« fragte er.

»Monseigneur,« antwortete Porthos, »er ist als Kundschafter vorausgeritten wegen einiger Worte unseres Wirthes, aus denen er entnehmen mußte, daß der Weg nicht sicher sein dürfte.«

»Und Ihr, was habt Ihr gemacht, Herr Porthos?«

»Ich habe Aramis fünf Pistolen abgenommen.«

»Und nun könnt Ihr mit mir zurückkehren?«

»Wir stehen Eurer Eminenz zu Befehl.«

»Zu Pferde also, meine Herren, denn es ist spät.«

Der Stallmeister war vor der Thüre und hielt das Pferd des Kardinals am Zügel. Eine Gruppe von zwei Menschen und drei Pferden erschien im Schatten. Diese zwei Menschen waren diejenigen, welche Mylady nach dem Fort de la Pointe geleiten und ihre Einschiffung bewachen sollten.

Der Stallmeister bestätigte dem Kardinal das, was die zwei Musketiere ihm bereits in Beziehung auf Athos gesagt hatten. Der Kardinal machte eine billigende Geberde und schlug den Rückweg ein, wobei er sich mit denselben Vorsichtsmaßregeln umgab, die er bei seinem Auszug genommen hatte.

Lassen wir ihn beschützt von seinem Stallmeister und den zwei Musketieren seinen Weg nach dem Lager verfolgen, und kehren wir zu Athos zurück.

Eine Zeit lang hatte er seinen Marsch in gleichem Tempo fortgesetzt, aber als er aus dem Gesichte war, warf er sein Pferd auf die rechte Seite, machte einen Umweg und kehrte auf etwa zwanzig Schritte in das Gehölze zurück, um das Vorüberziehen der kleinen Truppe zu beobachten; als er die eingefaßten Hüte seiner Gefährten und die goldene Franse am Mantel des Herrn Kardinals erkannte, wartete er, bis sich die Reiter um die Ecke der Straße wandten, und sobald er sie aus dem Gesichte verloren hatte, sprengte er im Galop nach dem Wirthshause zurück, das man ihm ohne Schwierigkeit öffnete.

Der Wirth erkannte ihn.

»Mein Offizier,« sprach Athos, »hat vergessen, der Dame im ersten Stocke eine Sache von großer Wichtigkeit zu empfehlen, und ich bin von ihm abgeschickt, um seinen Fehler gut zu machen.«

»Geht hinauf,« sagte der Wirth, »sie ist noch in ihrem Zimmer.«

Athos benützte diese Erlaubnis;, stieg, so leicht als er es vermochte die Treppe hinauf, gelangte auf die Flur und sah durch die halb geöffnete Thüre Mylady, welche ihren Hut knüpfte.

Er trat in das Zimmer ein und verschloß die Thüre hinter sich.

Athos stand an der Thüre in seinen Mantel gehüllt, seinen Hut tief in die Augen gedrückt.

Als Mylady diese stumme, unbewegliche, einer Statue ähnliche Gestalt erblickte, wurde ihr bange.

»Wer seid Ihr und was wollt Ihr?« rief sie.

»Wahrlich, sie ist es,« murmelte Athos.

Und er ließ den Mantel fallen, hob den Hut in die Höhe und trat vor Mylady.

»Erkennt Ihr mich, Madame?« sprach er.

Mylady wich zurück, als hätte sie eine Schlange erschaut.

»Wohl,« sagte Athos, »ich sehe, Ihr erkennt mich.«

»Der Graf de la Fère!« murmelte Mylady erbleichend, und wich immer mehr zurück, bis die Wand sie hinderte weiter zu gehen.

»Ja, Mylady,« antwortete Athos, »der Graf de la Fère in Person, der eigens von der andern Welt zurückkommt, um das Vergnügen zu haben, Euch zu sehen. Setzt Euch und wir wollen uns besprechen, wie der Kardinal sagt.«

Von einem namenlosen Schrecken beherrscht setzte sich Mylady, ohne eine Silbe zu stammeln.

»Ihr seid ein auf die Erde geschickter Teufel,« sagte Athos, »Eure Macht ist groß, ich weiß es, aber Ihr wißt auch, daß die Menschen oft mit Gottes Hülfe die furchtbarsten Teufel besiegt haben. Ihr habt Euch schon einmal auf meinem Wege gezeigt, ich glaubte Euch niedergeschmettert zu haben, aber wenn mich nicht Alles trügt, hat Euch die Hölle wiedererweckt.«

Bei diesen Worten, welche gräßliche Erinnerungen in ihr zurückriefen, ließ Mylady mit einem dumpfen Seufzer das Haupt sinken.

»Ja, die Hölle hat Euch wiedererweckt,« fuhr Athos fort, »die Hölle hat Euch einen andern Namen gegeben, die Hölle hat Euch reich gemacht, die Hölle hat Euch beinahe ein neues Gesicht verliehen, aber sie hat weder die Flecken Eurer Seele noch das Brandmal Eures Leibes getilgt.«

Mylady stand auf, als ob sie von einer Feder gehoben würde, und ihre Augen schleuderten Blitze. Athos blieb sitzen.

»Ihr hieltet mich für todt, nicht wahr, wie ich euch für todt hielt, und der Name Athos hatte den Grafen de la Fère verborgen, wie der Name Mylady Winter Anna von Breuil verbarg? Nanntet Ihr Euch nicht so, als Euer ehrenwerther Bruder unsere Ehe schloß? Unsere Stellung ist in der That seltsam,« fuhr Athos lachend fort, »wir lebten bis jetzt beide nur, weil wir uns für todt hielten, und weil eine Erinnerung weniger beengt, als ein lebendes Wesen, obgleich eine Erinnerung oft eine verzehrende Sache ist.«

»Sprecht,« sagte Mylady mit dumpfer Stimme, »wer führt Euch zu mir, und was wollt Ihr von mir?«

»Ich will Euch sagen, daß ich Euch, obgleich unsichtbar für Eure Augen, nicht aus dem Gesichte verloren habe!«

»Ihr wißt, was ich gethan?«

»Ich kann Euch Euere Handlungen Tag für Tag erzählen, seit Eurem Eintritt in den Dienst des Kardinals bis zu diesem Abend.«

Ein ungläubiges Lächeln zog über die bleichen Lippen Mylady’s.

»Hört! Ihr habt die zwei diamantenen Nestelstifte von der Schulter des Herzogs von Buckingham geschnitten; – Ihr habt Madame Bonacieux entführen lassen; – Ihr habt, in den Grafen von Wardes verliebt, und im Glauben diesen zu empfangen, d’Artagnan Eure Thüre geöffnet; – Ihr wolltet Wardes, weil Ihr glaubtet, er habe Euch betrogen, durch seinen Nebenbuhler tödten lassen; – Ihr wolltet, als dieser Nebenbuhler Euer schmachvolles Geheimniß entdeckt hatte, ihn ebenfalls durch Meuchler, die ihr ihm nachschicktet, ermorden lassen; – Ihr habt, als Ihr sahet, daß die Kugeln den Mann verfehlten, vergifteten Wein mit einem falschen Brief geschickt, um Euer Opfer glauben zu machen, er komme von seinen Freunden; – Ihr habt endlich in diesem Zimmer, auf dem Stuhle, wo ich jetzt sitze, vorhin gegen den Kardinal die Verbindlichkeit übernommen, den Herzog von Buckingham ermorden zu lassen und zwar nachdem Ihr ihm das Gegenversprechen abgenommen, d’Artagnan zum Tode zu befördern.«

Mylady wurde leichenblaß.

»Ihr seid also Satan in eigener Person?« sagte sie.

»Vielleicht,« erwiderte Athos, »doch hört: ermordet den Herzog von Buckingham oder laßt ihn ermorden, daran ist mir wenig gelegen, ich kenne ihn nicht und überdies ist er ein Feind Frankreichs; aber krümmt d’Artagnan kein Haar, denn er ist ein treuer Freund, den ich liebe und vertheidige, oder ich schwöre Euch bei dem Haupte meines Vaters, das Verbrechen, welches Ihr zu begehen versucht, oder begangen habt, ist Euer letztes.«

»Herr d’Artagnan hat mich grausam verletzt,« sagte Mylady mit dumpfer Stimme; »Herr d’Artagnan muß sterben.« »In der That, ist es möglich. Euch zu verletzen, Madame?« sprach Athos lachend; »er hat Euch verletzt und muß sterben!«

»Er muß sterben!« versetzte Mylady, »Er zuerst und sie hernach.«

Athos war wie von einem Schwindel befallen; der Anblick dieses Geschöpfes, das nichts mehr mit dem Weibe gemein hatte, erweckte gräßliche Erinnerungen in ihm; er bedachte, daß er sie schon einmal in einer viel weniger gefährlichen Lage seiner Ehre hatte opfern wollen; seine Mordlust kehrte glühend zurück und bemächtigte sich seiner mit fieberischer Gewalt. Er erhob sich ebenfalls, fuhr mit der Hand nach dem Gürtel, zog eine Pistole hervor und spannte sie.

Bleich wie eine Leiche, wollte Mylady schreien, aber über ihre kaltgewordene Zunge kam nur ein rauher Ton, dem Röcheln eines wilden Thieres ähnlich; an die düstere Wand gedrückt, erschien sie mit ihren aufgelösten Haaren als das schauderhafte Bild des Schreckens.

Athos hob langsam die Pistole in die Höhe, streckte den Arm so aus, daß das Gewehr beinahe Mylady’s Stirne berührte, und sprach dann mit einer Stimme, die um so furchtbarer klang, als die erhabene Ruhe eines unbeugsamen Entschlusses daraus hervortrat:

»Madame, Ihr werdet auf der Stelle das Papier herausgeben, das Euch der Kardinal unterzeichnet hat, oder bei meiner Seele, ich schieße Euch über den Haufen.«

Bei einem andern Mann würde Mylady vielleicht ein Zweifel übrig geblieben sein, aber sie kannte Athos. Dennoch blieb sie unbeweglich.

»Ihr habt eine Sekunde um Euch zu entscheiden,« rief er.

Mylady sah an der Zusammenziehung seines Gesichts, daß der Schuß losgehen sollte; sie fuhr rasch mit der Hand an ihre Brust, zog ein Papier hervor und reichte es Athos mit den Worten:

»Nehmt und seid verflucht:«

Athos nahm das Papier, steckte die Pistole wieder in seinen Gürtel, näherte sich der Lampe, um sich zu überzeugen, daß es gewiß das geforderte Papier war, entfaltete es und las:

»Auf meinen Befehl und zum Wohle des Staates hat der Inhaber dieses gethan, was er gethan hat.«

Den 3. August 1628.                                Richelieu

»Und nun,« sprach Athos, indem er seinen Mantel wieder nahm und den Hut aufsetzte, »und nun, da ich Dir die Zähne ausgerissen habe, beiß‘ wenn Du kannst.«

Hierauf verließ er das Zimmer, ohne sich nur umzuschauen. Vor der Thüre fand er die zwei Männer und das Pferd, das sie an der Hand hielten.

»Meine Herren,« sagte er, »Monseigneur befiehlt, wie Ihr wißt, diese Frau ohne Zeitverlust nach dem Fort de la Pointe zu führen, und sie nicht eher zu verlassen, als bis sie an Bord ist.«

Da diese Worte wirklich mit dem Befehl, den sie erhalten hatten, übereinstimmten, so verbeugten sie sich leicht zum Zeichen der Bestätigung.

Athos schwang sich in den Sattel und sprengte im Galopp davon. Doch statt der Straße zu folgen, ritt er quer durch das Feld, trieb sein Pferd kräftig mit den Sporen an und hielt von Zeit zu Zeit stille, um zu horchen.

Bei einem seiner Halte vernahm er auf der Straße die Tritte mehrerer Pferde. Er zweifelte nicht daran, daß es der Kardinal mit seiner Eskorte sei. Sogleich sprengte er noch eine Strecke voraus, stieg dann rasch ab, rieb sein Pferd mit Haidekraut und Baumblättern, sprang wieder in den Sattel und stellte sich auf der Straße ungefähr zweihundert Schritte von dem Lager auf.

»Wer da!« rief er von ferne, als er die Reiter ansichtig wurde.

»Das ist, glaube ich, unser braver Musketier,« sagte der Kardinal.

»Ja, Monseigneur,« erwiderte Athos, »er ist es.«

»Herr Athos,« sprach Richelieu, »empfangt meinen Dank, daß Ihr uns so gut Wache gehalten habt. Meine Herren, wir sind an Ort und Stelle, reitet durch das Thor links; das Losungswort ist: der König und Ré.

Nach diesen Worten nickte der Kardinal den drei Freunden mit dem Kopfe zu und ritt, gefolgt von seinem Stallmeister, nach rechts, denn diese Nacht schlief er selbst im Lager.

»Nun, wie steht es?« fragten Porthos und Aramis, als der Kardinal außer dem Bereich ihrer Stimmen war, »hat er das von ihr geforderte Papier unterzeichnet?«

»Allerdings,« antwortete Athos ruhig, »ich habe es hier.«

Und die drei Freunde wechselten keine Silbe mehr bis in ihr Quartier, und sagten nur den Wachen das Losungswort.

Man ließ nun Planchet durch Mousqueton sagen, sein Herr werde gebeten, wenn er von der Laufgraben-Wache abkomme, sich sogleich nach der Wohnung der Musketiere zu begeben.

Mylady machte, wie es Athos vorhergesehen hatte, keine Schwierigkeit, den Männern zu folgen, als sie dieselben vor der Thüre erblickte; wohl hatte sie einen Augenblick Lust, sich zu dem Kardinal zurückführen zu lassen und ihm Alles zu erzählen, aber eine Enthüllung von ihrer Seite führte eine Enthüllung von Athos herbei; sie konnte wohl sagen, Athos habe sie gehängt, aber Athos konnte sagen, daß sie gebrandmarkt war; sie hielt es also für das Klügste zu schweigen, in der Stille abzureisen, mit ihrer gewöhnlichen Gewandtheit die Sendung zu erfüllen, die sie übernommen hatte, und wenn alles zur Zufriedenheit des Kardinals vollzogen wäre, Rache von ihm zu fordern.

Nachdem sie die ganze Nacht gereist war, langte sie um sieben Uhr Morgens im Fort de la Pointe an; um acht Uhr war sie an Bord und um neun Uhr lichtete das Schiff die Anker und segelte nach England.

XVIII.

Die Bastei Saint Gervais.

Als d’Artagnan bei den drei Freunden eintraf, fand er sie in demselben Zimmer versammelt. Athos dachte nach. Porthos kräuselte seinen Schnurrbart, Aramis betete aus einem reizenden, in blauen Sammet gebundenen Büchlein.

»Bei Gott!« sagte er, »meine Herren, ich hoffe, daß sich das, was Ihr mir sagen wollt, wohl der Mühe lohnen wird, sonst könnte ich Euch nicht verzeihen, daß Ihr mich veranlaßt habt, allein die Mauern einer Bastei niederzureißen!« Ach! daß Ihr nicht dabei wäret, es ging hübsch warm zu.«

»Wir befanden uns anderswo, wo es auch nicht kalt war,« antwortete Porthos, während er seinem Schnurrbart eine ihm eigenthümliche Biegung verlieh.

»Stille!« sagte Athos.

»Oh! oh!« rief d’Artagnan, der das leichte Stirnrunzeln des Musketiers wohl verstand, »es scheint Neuigkeiten zu geben.«

»Aramis,« sprach Athos, »ich glaube. Du hast vorgestern in der Herberge zum Parpaillot 1 gefrühstückt; wie ißt man dort?«

»Ich war für meine Perlon sehr schlecht versorgt; vorgestern war Fasttag und sie hatten nur Fleischspeisen.«

»Wie!« rief Athos, »in einem Seehafen haben sie keine Fische?«

»Sie sagen,« antwortete Aramis, und wandte sich wieder zu seiner frommen Lektüre, »sie sagen, der Damm, den der Herr Kardinal bauen lasse, vertreibe sie in das offene Meer.«

»Das ist es nicht, was ich von Euch wissen wollte, Aramis,« entgegnete Athos, »ich wollte Euch fragen, ob Ihr ohne Zwang gewesen, ob Euch niemand gestört habe.«

»Es scheint mir, wir hatten nicht zu viele lästige Gäste. Ja, in Beziehung auf das, was Ihr wissen wollt, Athos, werden wir uns ziemlich wohl beim Parpaillot befinden.«

»Also auf, zum Parpaillot,« sprach Athos, »denn hier sind die Wände wie Papierblätter.«

D’Artagnan, der an die Handlungsweise seines Freundes gewöhnt war, und an einem Wort, an einem Zeichen, an einer Geberde von ihm erkannte, wenn es sich um eine Angelegenheit von Bedeutung handelte, nahm Athos beim Arm und entfernte sich mit ihm, ohne ein Wort zu sagen. Porthos folgte mit Aramis plaudernd.

Auf dem Wege begegnete man Grimaud. Athos winkte ihm mitzugehen. Grimaud gehorchte seiner Gewohnheit gemäß stillschweigend. Der arme Bursche hatte am Ende beinahe das Sprechen verlernt.

Man gelangte in die Trinkstube zum Parpaillot. Es war sieben Uhr morgens und es wurde eben Tag. Die vier Freunde bestellten ein Frühstück und traten in eine Stube ein, wo sie nach der Aussage des Wirths nicht gestört werden sollten.

Zum Unglück war die Stunde zu einer Berathung schlecht gewählt. Man hatte gerade Tagwache geschlagen. Jeder schüttelte den Schlaf von den Gliedern und nahm, um die feuchte Luft zu vertreiben, in der Trinkstube einen Schluck zu sich; Dragoner, Schweizer, Garden, Musketiere, Chevauxlegers folgten sich so rasch, daß sich der Wirth gut dabei stehen mußte, aber den Absichten der vier Freunde entsprach dies keineswegs. Sie erwiderten auch die Grüße, Toaste und Späße ihrer Genossen sehr verdrießlich.

»Wir werden uns hiedurch einen Streit zuziehen,« sprach Athos, »und wir brauchen dies gegenwärtig nicht. D’Artagnan erzählt uns von Eurer Nacht; wir erzählen Euch die unsere nachher.«

»In der That,« sprach ein Chevauleger, der sich hin- und herwiegte und langsam etwas Branntwein aus einem Glase, das er in der Hand hielt, kostete, »in der That, Ihr waret auf der Laufgraben-Wache, mein Herr Garde, und es scheint mir, Ihr hattet einen Strauß mit den Rochellern auszufechten.«

D’Artagnan schaute Athos an, als wollte er ihn fragen, ob er dem Eindringlinge antworten solle, der sich in das Gespräch mischte.

»Nun,« sagte Athos, »hörst Du nicht, daß Herr von Busigny Dir die Ehre erweist, das Wort an Dich zu richten? Erzähle was vorgefallen ist, da es diese Herren zu wissen wünschen.«

»Habt ihr nicht eine Bastei genommen?« fragte ein Schweizer, der Rum aus einem Bierglase trank.

»Ja, Herr,« antwortete d’Artagnan sich verbeugend, »wir haben diese Ehre gehabt: wir haben sogar, wie Ihr hören konntet, unter eine der Ecken ein Pulverfäßchen gebracht, das beim Aufspringen eine hübsche Bresche machte, abgesehen davon, daß der übrige Theil des Baues, insofern die Bastei nicht von gestern war, gewaltig erschüttert wurde.«

»Welche Bastei ist es?« fragte ein Dragoner, der an seinem Säbel eine Gans gespießt hielt, die er herbei brachte um sie braten zu lassen.

»Die Bastei Saint Gervais,« antwortete d’Artagnan, »aus der die Rocheller unsere Arbeiter beunruhigten.«

»Und die Affaire war hitzig?«

»Gewiß. Wir haben fünf Mann, die Rocheller acht bis zehn verloren.«

»Balzembleu!« rief der Schweizer, der trotz der bewundernswürdigen Sammlung von Flüchen, welche die deutsche Sprache besitzt, die Gewohnheit französisch zu fluchen angenommen hatte.

»Doch ist es wahrscheinlich,« sagte der Chevauxleger, »daß sie diesen Morgen Pioniere abschicken werden, um die Bastei wieder in Stand zu setzen.«

»Ja, das ist wahrscheinlich,« bemerkte d’Artagnan.

»Meine Herren,« sagte Athos, »eine Wette! …«

»Ah! ja, eine Wette!« rief der Schweizer.

»Welche?« fragte der Chevauxleger.

»Wartet,« sprach der Dragoner und legte seinen Säbel wie einen Spieß über die zwei großen Feuerblöcke im Kamin. »Unglückswirth! eine Bratpfanne, sogleich, daß ich keinen Tropfen von dem Fett dieses achtungswerthen Vogels verliere.«

»Er hat Recht,« sagte der Schweizer, »Gänsefett ist sehr gut bei Eingemachtem.«

»So,« rief der Dragoner, »nun. Eure Wette. Laßt hören, Herr Athos.«

»Ja, die Wette,« wiederholte der Chevauxleger.

»Wohl, Herr von Busigny, ich wette mit Euch,« antwortete Athos, »daß meine drei Gefährten, die Herren Porthos, Aramis, d’Artagnan und ich in der Bastei Saint-Gervais frühstücken und uns daselbst eine Stunde lang, die Uhr in der Hand, aufhalten, was der Feind auch thun mag, um uns zu vertreiben.«

Porthos und Aramis schauten sich an, sie fingen an zu begreifen.

»Aber, Freund,« sprach d’Artagnan, sich an das Ohr von Athos beugend, »Du willst uns ohne Barmherzigkeit tödten lassen.«

»Wir werden viel eher getödtet,« antwortete Athos, »wenn wir nicht dahin gehen.«

»Ah, meiner Treu, meine Herrn,« sprach Porthos, sich auf dem Stuhl umdrehend und seinen Schnurrbart kräuselnd, »das ist hoffentlich eine schöne Wette!«

»Ich nehme sie auch an,« erwiderte Herr von Busigny. »Nun handelt es sich nur noch darum, den Einsatz zu bestimmen.«

»Ihr seid zu vier, meine Herren,« sagte Athos, »wir sind auch zu vier; ein Mittagsmahl nach Belieben für acht Personen, ist das Euch angenehm?«

»Vortrefflich,« versetzte Herr von Busigny.

»Vollkommen,« sprach der Dragoner.

»Es sei so,« sagte der Schweizer.

Der vierte Zuhörer, der bei dem ganzen Gespräch eine stumme Rolle gespielt hatte, machte ein Zeichen mit dem Kopfe zum Beweis, daß er dem Vorschlag beitrat.

»Das Frühstück dieser Herren ist bereit,« rief der Wirth.

»Gut, so bringt es,« sagte Athos.

Der Wirth gehorchte; Athos winkte Grimaud herbei, zeigte ihm einen großen Korb, der in einer Ecke stand, und befahl ihm durch eine Geberde, das aufgetragene Fleischwerk in Servietten zu hüllen.

Grimaud begriff sogleich, daß es sich um ein Frühstück im Freien handelte, nahm den Korb, packte das Fleisch ein, legte die Flaschen dazu und hob den Korb sodann auf seinen Arm.

»Aber wo wollt Ihr mein Frühstück verzehren?« sagte der Wirth.

»Was geht das Euch an,« erwiderte Athos, »wenn man Euch nur bezahlt!«

Und er warf majestätisch zwei Pistolen auf den Tisch.

»Muß ich herausgeben, mein Herr Offizier?« fragte der Wirth.

»Nein, fügt nur zwei Bouteillen Champagner bei, und das Uebrige ist für die Servietten.«

Der Wirth machte kein so gutes Geschäft, als er Anfangs geglaubt hatte. Aber er entschädigte sich dadurch, daß er den vier Gästen zwei Flaschen Anjou-Wein statt der zwei Flaschen Champagner gab.

»Herr von Busigny,« sagte Athos, »wollt Ihr die Güte haben, Eure Uhr nach der meinigen zu richten, oder mir erlauben, die meinige nach der Euren zu regeln?«

»Sehr wohl, mein Herr,« sprach der Chevauxleger, und zog eine sehr schöne, mit Diamanten eingefaßte Uhr aus seiner Tasche, »ich habe halb acht Uhr.«

»Sieben Uhr fünfunddreißig Minuten,« entgegnete Athos. »Wir wissen also, daß meine Uhr um fünf Minuten voraus geht.«

Die jungen Leute grüßten die Umstehenden, welche im höchsten Grad erstaunt waren, und schlugen den Weg nach der Bastei Saint-Gervais ein, gefolgt von Grimaud, der den Korb trug, ohne zu wissen, wohin er ging, aber auch bei dem leidenden Gehorsam, an den er sich gewöhnt hatte, nicht einmal daran dachte, darnach zu fragen.

So lange sie noch innerhalb des Lagers waren, wechselten die vier Freunde kein Wort; es folgten ihnen viele Neugierige, welche von der eingegangen Wette wußten und sehen wollten, wie sie sich herausziehen würden. Aber sobald sie die Umschanzungslinie hinter sich hatten und sich in freier Luft befanden, glaubte d’Artagnan, der durchaus nicht wußte, wovon es sich handelte, es sei Zeit, sich eine Aufklärung zu erbitten.

»Und nun, mein lieber Athos,« sprach er, »erzeige mir die Freundschaft, mir zu erklären, wohin wir gehen?«

»Ihr seht es ja,« antwortete Athos, »wir gehen in die Bastei.«

»Aber was machen wir dort?«

»Ihr wißt es ja, wir frühstücken daselbst.«

»Aber warum frühstücken wir nicht beim Parpaillot?«

»Weil wir uns sehr wichtige Dinge zu sagen haben, und weil es unmöglich wäre, in diesem Wirthshause zu sprechen, bei all den Ueberlästigen, die dort kommen, grüßen und plaudern. Hier,« fuhr Athos, auf die Bastei deutend fort, »hier wird man uns wenigstens nicht stören.«

»Es scheint mir,« sprach d’Artagnan mit der Klugheit, die er so gut und natürlich mit seinem außerordentlichen Muth vereinigte, »es scheint mir, wir hätten einen verborgenen Ort auf den Dünen am Meeresufer finden können.«

»Wo man die Besprechung zwischen uns vier gesehen hätte, so daß nach einer Viertelstunde der Kardinal durch seine Spione von unserer Beratung benachrichtigt gewesen wäre.«

»Ja,« sagte Aramis. »Athos hat Recht; Animadvertuntur in desertis.«

»Eine Wüste wäre nicht übel gewesen,« sprach Porthos, »aber wie hätte man sie finden können?«

»Es gibt keine Wüste, wo nicht ein Vogel über das Haupt hinfliegen, ein Fisch über das Wasser springen oder ein Hase aus fernem Lager laufen kann, und ich glaube, Vogel, Fisch, Hase, Alles hat sich zum Spion des Kardinals gemacht. Es ist also besser, wir verfolgen unser Unternehmen, von dem wir übrigens ohne Schmach nicht mehr zurückweichen können. Wir haben eine Wette eingegangen, eine Wette, welche nicht vorhergesehen werden konnte, und deren wahre Ursache, das weiß ich gewiß, Niemand zu errathen vermag. Um zu gewinnen, halten wir eine Stunde in der Bastei aus. Entweder werden wir angegriffen oder wir werden nicht angegriffen. Wenn nicht, so gewinnen wir hinreichend Zeit, uns zu besprechen, und Niemand wird uns hören, denn ich stehe dafür, daß die Mauern dieser Bastei keine Ohren haben. Greift man uns an, so besprechen wir unsere Angelegenheiten dennoch, und bedecken uns durch unsere Vertheidigung mit Ruhm. Ihr sehet, daß Alles zu unserem Vortheil ist.«

»Ei!« rief d’Artagnan, »wir werden sicherlich eine Kugel erwischen.«

»Ei, mein Lieber,« erwiderte Athos, »Ihr wißt, daß die am meisten zu fürchtenden Kugeln nicht vom Feinde kommen.«

»Aber,« meinte Porthos, mir scheint, für ein solches Unternehmen hätten wir wenigstens unsere Musketen mitnehmen sollen.«

»Ihr seid ein Thor, Freund Porthos, warum sich mit einer unnützen Bürde belasten?«

»Ich finde eine gute Muskete mit zwölf Patronen und dem Pulversack, dem Feinde gegenüber, nicht unnütz.«

»Wie,« sprach Athos, »habt Ihr nicht gehört, was d’Artagnan gesagt hat?«

»Was hat er gesagt?« fragte Porthos.

»D’Artagnan hat erzählt, bei dem Angriff in dieser Nacht seien acht bis zehn Franzosen und eben so viel Rocheller getödtet worden.«

»Weiter?«

»Man hat nicht Zeit gehabt, sie zu plündern, nicht wahr? insofern man für den Augenblick etwas Eiligers zu thun hatte?«

»Nun?«

»Nun, wir werden ihre Musketen, ihre Pulversäcke und ihre Patronen finden, und statt vier Musketen und zwölf Kugeln haben wir fünfzehn Gewehre, und können wohl hundert Schüsse thun.«

»Oh! Athos,« rief Aramis, »Du bist in der That ein großer Mann!«

Porthos verbeugte sich zum Zeichen der Beipflichtung. D’Artagnan allein schien nicht völlig überzeugt.«

Wahrscheinlich theilte Grimaud die Zweifel des jungen Mannes, denn als er sah, daß man fortwährend der Bastei zumarschirte, was er bis jetzt noch nicht geglaubt hatte, zog er seinen Herrn am Rockschoße.

»Wohin gehen wir?« fragte er mit einer Geberde.

Athos deutete auf die Bastei.

»Aber,« sprach der stillschweigende Grimaud, stets in demselben Dialekte, »aber wir werden unsere Haut dort lassen.«

Athos hob die Augen und den Finger zum Himmel empor. Grimaud stellte seinen Korb auf die Erde und setzte sich, den Kopf schüttelnd, nieder.

Athos nahm eine Pistole aus seinem Gürtel, schaute, ob sie mit Zündkraut versehen war, spannte und hielt den Lauf Grimaud an das Ohr.

Grimaud war auf den Beinen, als ob ihn eine Feder emporgeschnellt hätte.

Athos hieß ihn durch ein Zeichen den Korb nehmen und vorausgehen. Grimaud gehorchte.

Der arme Bursche hatte bei dieser Pantomime eines Augenblicks durchaus nicht mehr gewonnen, als daß er von der Nachhut zur Vorhut gekommen war.

Als die vier Freunde die Bastei erreichten, wandten sie sich um. Mehr als vierhundert Soldaten von allen Waffen waren an einem Thor des Lagers versammelt, und man konnte in einer getrennten Gruppe Herrn von Busigny, den Dragoner, den Schweizer und den vierten Theilnehmer an der Wette unterscheiden.

Athos nahm seinen Hut ab, steckte ihn an das Ende seines Degens und schwenkte ihn in der Luft.

Alle Zuschauer gaben ihm den Gruß zurück und begleiteten diese Höflichkeit mit einem Hurrah, das bis zu ihnen drang.

Hierauf verschwanden alle vier in der Bastei, wohin ihnen Grimaud vorausgegangen war.

  1. Ein verächtlicher Beiname für die Calvinisten.

XIX.

Der Rath der Musketiere.

Die Bastei war, wie dies Athos vorhergesehen, nur von einem Dutzend Todter, sowohl Franzosen als Rocheller, besetzt.

»Meine Herren,« sprach Athos, der das Kommando bei diesem Zug übernommen hatte, »während Grimaud die Tafel zurichtet, wollen wir zuvörderst die Gewehre und Patronen sammeln. Wir können übrigens sprechen, so lange wir dieses Geschäft besorgen, denn diese Herren,« fügte er auf die Todten deutend bei, »hören uns nicht.«

»Wir könnten sie immerhin in die Gräben werfen,« sagte Porthos, »nachdem wir uns zuvor versichert, daß sie nichts in den Taschen haben.«

»Allerdings,« versetzte Athos, »aber das ist ein Geschäft für Grimaud.«

»Wohl,« sprach d’Artagnan, »so mag Grimaud sie hernach durchsuchen und in die Gräben werfen.«

»Das sei ferne von uns,« rief Athos, »sie können uns nützlich sein.«

»Diese Todten könnten uns nützlich sein?« fragte Porthos »ei. Du wirst ein Narr, mein lieber Freund.«

»Urtheilt nicht vorlaut, sagen das Evangelium und der Herr Kardinal,« antwortete Athos. »Wie viele Flinten, meine Herren?«

»Zwölf,« antwortete Aramis.

»Wie viel Schüsse zu feuern?«

»Etwa hundert.«

»Das ist so viel, als wir brauchen; laden wir die Gewehre.«

Die vier Musketiere machten sich an die Arbeit. Als sie das letzte Gewehr geladen hatten, deutete Grimaud mit einem Zeichen an, das Frühstück sei bereit.

Athos antwortete, stets mit einer Geberde, es sei gut, und zeigte Grimaud eine Art von Nische. Dieser begriff, daß er darin Wache halten sollte. Um ihm jedoch die Unannehmlichkeit seiner Trennung etwas zu versüßen, erlaubte ihm Athos ein Brod, zwei Kalbsrippchen und eine Flasche Wein mitzunehmen.

»Und nun zu Tische,« sprach Athos.

Die vier Freunde setzten sich auf die Erde, die Beine gekreuzt, wie Türken oder wie Schneider.

»Doch jetzt,« sagte d’Artagnan, »jetzt, da Du nicht mehr gehört zu werden fürchten mußt, wirst Du uns hoffentlich Dein Geheimniß mittheilen?«

»Ich hoffe Euch zugleich Vergnügen und Ruhm zu verschaffen, meine Herren,« antwortete Athos. »Ich habe Euch einen reizenden Spaziergang machen lassen. Hier ist ein äußerst schmackhaftes Frühstück und dort unten stehen, wie Ihr durch die Schießscharten sehen könnt, fünfhundert Personen, die uns für Narren oder für Helden halten, zwei Klassen von Schwachköpfen, die sich ziemlich gleichen.«

»Aber das Geheimniß,« sagte d’Artagnan.

»Das Geheimniß,« erwiederte Athos, »besteht darin, daß ich gestern Abend Mylady gesehen habe.«

D’Artagnan setzte eben sein Glas an die Lippen, aber bei dem Namen Mylady zitterte seine Hand so sehr, daß er es auf den Boden stellte, um den Inhalt nicht zu verschütten.

»Du hast Deine Fr .. – »Stille«, unterbrach ihn Athos. »Ihr vergeßt, mein Lieber, daß diese Herren nicht wie Ihr in das Geheimniß meiner häuslichen Angelegenheiten eingeweiht sind. Ich habe Mylady gesehen.« – »Und wo dies?« fragte d’Artagnan. – »Ungefähr zwei Meilen von hier, in der Herberge zum Rothen Taubenschlag.« – »Dann bin ich verloren,« rief d’Artagnan. – »Nein, noch nicht ganz,« versetzte Athos, »denn zu dieser Stunde muß sie die Küste von Frankreich verlassen haben.«

D’Artagnan athmete.

»Aber wer ist denn diese Mylady?« fragte Porthos. – »Eine reizende Frau,« erwiederte Athos, ein Glas Schaumwein kostend. »Canaille von einem Wirth!« rief er, »der uns Anjouer für Champagner gibt und glaubt, wir lassen uns hintergehen! Ja,« fuhr er fort, »eine reizende Frau, der unser Freund d’Artagnan irgend einen schlimmen Streich gespielt hat, für den sie sich dadurch zu rächen suchte, daß sie ihn vor einem Monat mit Musketenschüssen tödten lassen wollte, daß sie ihn vor acht Tagen zu vergiften trachtete, und daß sie gestern sich vom Kardinal seinen Kopf erbat.« – »Wie! vom Kardinal meinen Kopf erbat?« rief d’Artagnan bleich vor Schrecken. – »Gewiß!« sprach Porthos, »das ist so wahr wie das Evangelium; ich habe es mit meinen eigenen zwei Ohren gehört.« – »Ich ebenfalls,« fügte Aramis bei. – »Dann,« versetzte d’Artagnan und ließ entmuthigt die Arme sinken, »dann ist es unnütz, länger zu kämpfen; es ist besser, ich schieße mir eine Kugel vor den Kopf, und Alles ist vorbei.« – »Das ist die letzte Dummheit, die man zu machen hat,« sprach Athos, »insoferne es die einzige ist, für die es kein Gegenmittel gibt.« – »Aber bei solchen Feinden werde ich nie entkommen,« erwiederte d’Artagnan. »Zuerst mein Unbekannter von Meung; sodann Herr von Wardes, dem ich vier Degenstiche beigebracht habe; ferner Mylady, deren Geheimniß ich entdeckte, und endlich der Kardinal, dessen Rache ich vereitelt habe.« – »Gut,« sprach Athos, »Alles das macht zusammen nur vier, einer gegen einen, bei Gott! Wenn wir den Zeichen glauben dürfen, die uns Grimaud macht, so werden wir es mit einer viel größeren Anzahl von Menschen zu thun haben. Was gibt es, Grimaud? In Betracht des Gewichts der Umstände erlaube ich Euch zu sprechen; doch ich bitte, faßt Euch kurz. Was seht Ihr?« – »Eine Truppe!« – »Von wie viel Personen?« – »Von zwanzig Menschen.« – »Was für Menschen?« – »Sechszehn Gefangene, vier Soldaten.« – »Auf wie viel Schritte sind sie von uns entfernt?« – »Auf fünfhundert Schritte.« – »Gut, wir haben noch Zeit, dieses Huhn vollends zu verzehren und ein Glas Wein zu trinken. Auf Deine Gesundheit! d’Artagnan!« – »Auf Deine Gesundheit!« wiederholten Porthos und Aramis. – »Wohl denn, auf meine Gesundheit, obgleich ich nicht glaube, daß mir Eure Wünsche viel nützen werden.« – »Bah!« rief Athos, »Gott ist groß, wie die Anhänger Mahomeds sagen, und die Zukunft liegt in seinen Händen.«

Nachdem Athos sein Glas geleert hatte, stand er gleichgültig auf, nahm das nächste beste Gewehr und näherte sich einer Schießscharte.

Porthos, Aramis und d’Artagnan thaten dasselbe. Grimaud erhielt Befehl, sich hinter die vier Freunde zu stellen um die Gewehre wieder zu laden.

Bald sah man die Truppe erscheinen; sie kam durch einen schlauchartigen Laufgraben, der eine Verbindung zwischen der Bastei und der Stadt bildete.

»Bei Gott!« sprach Athos, »es war wohl der Mühe Werth, unser Mahl wegen zwanzig solcher mit Karsten, Hauen und Schaufeln bewaffneter Schufte zu unterbrechen. Grimaud hätte ihnen nur durch ein Zeichen bedeuten dürfen, sie sollen gehen und ich bin überzeugt, sie würden uns in Ruhe gelassen haben.«

»Ich bezweifle es,« sprach d’Artagnan, »denn sie rücken sehr entschlossen heran. Uebrigens sind bei den Arbeitern vier mit Musketen bewaffnete Soldaten und ein Brigadier.«

»Weil sie uns nicht gesehen haben,« entgegnete Athos.

»Meiner Treu,« sagte Aramis, »es wiederstrebt mir, auf diese armen Teufel von Bürgersleuten zu schießen.«

»Ein schlechter Priester,« rief Porthos, »der mit Ketzern Mitleid hat.«

»In der That,« sagte Athos, »Aramis hat Recht, und ich will sie warnen.«

»Was Teufels macht Ihr denn?« entgegnete d’Artagnan, »Ihr wollt Euch, scheint es, niederschießen lassen, mein Lieber.«

Aber Athos hörte nicht auf diesen Rath, sondern stieg auf die Bresche, wandte sich, sein Gewehr in der einen, den Hut in der andern Hand, höflich grüßend an die Soldaten und Arbeiter, welche erstaunt über diese Erscheinung ungefähr fünfzig Schritte vor der Bastei stehen blieben, und rief:

»Meine Herren, einige Freunde und ich sitzen hier in dieser Bastei beim Frühstück. Ihr wißt aber wohl, wie unangenehm es ist, gestört zu werden, wenn man frühstückt: wir bitten Euch also, wenn Ihr unerläßliche Geschäfte hier habt, entweder zu warten bis wir unser Mahl vollendet haben oder später wieder zu kommen, wenn Ihr nicht, was das Heilsamste wäre, Lust habt, die Partei der Rebellen zu verlassen und mit uns auf die Gesundheit des Königs von Frankreich zu trinken.«

»Nimm Dich in Acht, Athos,« jagte d’Artagnan, »siehst Du nicht, daß sie auf Dich anlegen?«

»Allerdings,« erwiederte Athos, »aber es sind Bürger, die sehr schlecht schießen und mich gewiß nicht treffen werden.«

Es wurden in der That in demselben Augenblick vier Flintenschüsse abgefeuert und die Kugeln schlugen um Athos her an die Mauern, aber keine traf ihn.

Vier Schüsse antworteten ihnen beinahe in derselben Sekunde, aber unsere Freunde hatten besser gezielt, als die Angreifenden: drei Soldaten stürzten maustodt nieder und ein Arbeiter war verwundet.

»Grimaud, eine andere Muskete,« sagte Athos, immer noch auf der Bresche stehend.

Grimaud gehorchte sogleich. Die drei Freunde hatten ihre Gewehre selbst wieder geladen, der Brigadier und zwei Pionniere wurden todt zu Boden gestreckt, der Rest der Truppe ergriff die Flucht.

»Auf! meine Herren, einen Ausfall,« rief Athos.

Und die vier Freunde stürzten aus dem Fort hervor, gelangten bis zum Schlachtfeld, rafften die vier Musketen der Soldaten und die Halbpike des Brigadiers auf, und zogen sich, überzeugt, daß die Fliehenden erst in der Stadt anhalten werden, mit ihren Siegestrophäen in die Bastei zurück.

»Lade unsere Gewehre wieder, Grimaud,« sprach Athos, »und wir, meine Herren, wollen zu unserem Frühstück zurückkehren und unser Gespräch fortsetzen. Wo waren wir?«

»Ich erinnere mich,« antwortete d’Artagnan, »Du sagtest Mylady habe Frankreich verlassen, nachdem sie meinen Kopf von dem Kardinal verlangt habe.«

»Und wohin geht sie?« fügte d’Artagnan bei, den Myladys Reiseplan sehr in Anspruch zu nehmen schien.

»Sie geht nach England,« erwiederte Athos.

»In welcher Absicht?«

»In der Absicht, Buckingham zu ermorden oder ermorden zu lassen.«

»Ei das ist ja ganz heillos,« rief d’Artagnan voll Staunen und Entrüstung.

»Oh! was das betrifft,« entgegnete Athos, »darum kümmere ich mich nicht viel. Nun, da Du fertig bist, Grimaud,« fuhr Athos fort, »nimm die Halbpike unseres Brigadier, binde eine Serviette daran und pflanze sie dann auf unserer Bastei auf, damit diese rebellischen Rocheller sehen, daß sie es mit braven und loyalen Soldaten des Königs zu thun haben.«

Grimaud gehorchte, ohne zu antworten, und einen Augenblick nachher wehte eine weiße Fahne über dem Haupte der vier Freunde. Freudengeschrei und donnernder Beifall begrüßten ihre Erscheinung. Die Hälfte des Lagers war an den Barrieren.

»Wie,« versetzte d’Artagnan, »Du kümmerst Dich wenig darum, ob sie Buckingham ermordet, oder ermorden läßt? Der Herzog ist unser Freund.«

»Der Herzog ist ein Engländer, der Herzog kämpft gegen uns, sie mag also mit ihm machen, was sie will, ich kümmere mich so wenig darum, als um eine leere Flasche.«

Und bei diesen Worten schleuderte Athos eine Flasche, deren Inhalt er bis auf den letzten Blutstropfen in sein Glas gegossen hatte, zwanzig Schritte von sich.

»Einen Augenblick –« sagte d’Artagnan, »ich gebe den Herzog nicht so rasch auf, er schenkte uns sehr schöne Pferde.«

»Und besonders sehr schöne Sättel,« sprach Porthos, der die Galone des seinigen an seinem Mantel trug.

»Auch will Gott die Bekehrung und nicht den Tod des Sünders,« sagte Aramis.

»Amen!« sprach Athos, »und wir werden später hierauf zurückkommen, wenn es Euch beliebt. Doch ich war am meisten daraus bedacht – und Du wirst das wohl begreifen, d’Artagnan – dieser Frau eine Art von Vollmacht abzunehmen, welche sie Richelieu abgepreßt hatte, und mit deren Hülfe sie sich ungestraft Deiner und vielleicht unserer Personen entledigen könnte.«

»Aber das ist doch ein wahrer Teufel, dieses Geschöpf!« sprach Porthos und reichte Aramis, welcher Geflügel zerlegte, seine Serviette.

»Und diese Vollmacht,« fragte d’Artagnan, »diese Vollmacht blieb in Ihren Händen?«

»Nein, sie ging in die meinigen über. Wenn ich sagen würde, dies sei ohne Mühe geschehen, so müßte ich lügen.«

»Mein lieber Athos,« sprach d’Artagnan, »ich zähle nicht mehr, wie oft Ihr mir das Leben gerettet habt.«

»Also um zu ihr zurückzukehren, hast Du uns verlassen?« fragte Aramis.

»Allerdings.«

»Und Du besitzest den Brief des Kardinals?« fragte d’Artagnan.

»Hier ist er,« antwortete Athos.

Und er zog das kostbare Papier aus der Tasche seiner Kasake hervor.

D’Artagnan entfaltete es mit einer Hand, deren Zittern er nicht einmal zu verbergen suchte und las:

»Auf meinen Befehl und zum Wohle des Staates hat der Inhaber gethan, was er gethan hat.

Den 3. August 1628.                                Richelieu

»In der That,« sprach Aramis, »das ist eine Absolution nach allen Regeln.«

»Man muß dieses Papier vernichten,« sprach d’Artagnan, der sein Todesurtheil zu lesen meinte.

»Ganz im Gegentheil,« erwiederte Athos, »man muß es sorgfältig aufbewahren, und ich würde dieses Papier nicht hergeben, wenn man es mit Goldstücken bedecken wollte.«

»Und was wird sie nun wohl thun?« fragte der junge Mann.

»Wahrscheinlich,« antwortete Athos, »wahrscheinlich wird sie dem Kardinal schreiben, ein verdammter Musketier, Namens Athos, habe ihr mit Gewalt ihren Geleitsbrief entrissen. Sie wird ihm in demselben Brief den Rath geben, sich zu gleicher Zeit seiner, so wie seiner zwei Freunde, Porthos und Aramis, zu entledigen. Der Kardinal wird sich erinnern, daß es dieselben Menschen sind. denen er immer auf seinen Wegen begegnet. Dann wird er an einem schönen Morgen d’Artagnan verhaften lassen und, damit er sich ganz allein nicht zu sehr langweilt, auch uns in die Bastille schicken, um ihm Gesellschaft zu leisten.«

»Ei, den Teufel!« rief Porthos, »es scheint mir, Du machst da sehr schlechte Spässe, mein Lieber?«

»Ich spasse nicht,« sagte Athos.

»Weißt Du,« versetzte Porthos, »daß es eine geringere Sünde wäre, dieser verdammten Mylady den Hals umzudrehen, als diesen armen Teufeln von Hugenotten, welche nie ein anderes Verbrechen begangen haben, als daß sie die Psalmen französisch singen, die wir lateinisch singen.«

»Was sagt der Abbé dazu?« fragte Athos ruhig.

»Ich sage, daß ich der Meinung von Porthos bin,« antwortete Aramis.

»Und ich ebenfalls,« sprach d’Artagnan.

»Zum Glück ist sie ferne von hier,« versetzte Porthos, »denn ich gestehe, sie würde mich hier sehr genieren.«

»Sie geniert mich in England eben so sehr, als in Frankreich,« sagte Athos.

»Sie geniert mich überall,« sprach d’Artagnan.

»Aber da Du sie in Deinen Händen hattest,« rief Porthos, »warum hast Du sie nicht ertränkt, erdrosselt, aufgehenkt? … Nur die Todten kommen nicht wieder.«

»Ihr glaubt das?« erwiederte der Musketier mit einem düstern Lächeln, das d’Artagnan allein verstand.

»Ich habe einen Gedanken,« sprach d’Artagnan.

»Laß hören,« sagten die Musketiere.

»Zu den Waffen!« schrie Grimaud.

Die jungen Leute sprangen rasch auf und liefen nach ihren Gewehren.

Ein kleiner Trupp, aus zwanzig bis fünfundzwanzig Mann bestehend, rückte heran. Aber diesmal waren es nicht mehr Arbeiter, sondern Soldaten der Garnison.

»Wenn wir in das Lager zurückkehrten,« sprach Porthos.

»Es scheint mir, die Partie ist ungleich.«

»Unmöglich aus drei Gründen,« antwortete Athos. »Erstens haben wir unser Frühstück noch nicht vollendet, zweitens haben wir uns noch wichtige Dinge zu sagen, drittens fehlen noch zehn Minuten, bis die Stunde abgelaufen ist.«

»Wohl,« sagte Aramis, »wir müssen jedoch einen Schlachtplan feststellen.«

»Das ist ganz einfach,« sagte Athos; »sobald der Feind in Schußweite kommt, geben wir Feuer. Rückt er weiter vor, so geben wir abermals Feuer; wir feuern, so lange wir geladene Gewehre haben; wenn hernach der Rest des Trupps Sturm laufen will, so lassen wir die Belagerer bis in den Graben heransteigen und werfen ihnen dann einen Flügel von dieser Mauer, welche nur noch durch ein Wunder ihr Gleichgewicht hält, auf die Köpfe.«

»Bravo,« sagte Porthos, »Du bist entschieden zum General geboren, Athos, und der Kardinal, der sich für einen großen Kriegsmann hält, ist offenbar sehr wenig im Vergleich mit Dir.«

»Meine Herren,« sprach Athos, »nicht auf zwei Seiten verhandelt, ich bitte. Nehmt jeder Euern Mann auf das Korn!«

»Ich habe den meinigen,« sagte d’Artagnan.

»Und ich den meinigen,« sagte Porthos.

»Und ich ebenfalls,« sagte Aramis.

»Gebt Feuer!« sagte Athos.

Die vier Flintenschüsse machten nur einen Knall und vier Soldaten stürzten zu Boden.

Sogleich schlug der Tambour und der kleine Trupp rückte im Sturmschritt vor.

Dann folgten sich die Schüsse unregelmäßig, aber mit der größten Genauigkeit gezielt; doch die Rocheller rückten, als hätten sie die numerische Schwäche der Feinde gekannt, fortwährend im Geschwindschritt vor.

Bei drei Schüssen fielen immer zwei Mann: dessenungeachtet wurde der Marsch der Übrigbleibenden nicht langsamer.

Am Fuße der Bastei angelangt, waren die Feinde noch zwölf bis fünfzehn Mann stark. Eine letzte Ladung empfing sie, hielt sie aber nicht auf. Sie sprangen in den Graben und schickten sich an, die Bresche zu ersteigen.

»Auf, meine Freunde,« rief Athos, »endigen wir mit einem Schlage. Zur Mauer! Zur Mauer!«

Und von Grimaud unterstützt, stemmten sich die vier Freunde mit dem Laufe ihrer Flinten an einen enormen Mauerflügel, der, wie vom Sturmwind erfaßt, sich neigte, sich von seiner Grundlage ablöste, und mit furchtbarem Gekrach in den Graben stürzte. Dann vernahm man ein gewaltiges Geschrei, eine Staubwolke stieg zum Himmel auf und Alles war vorbei.

»Sollten wir sie vom Ersten bis zum Letzten zerschmettert haben?« sagte Athos.

»Meiner Treu‘, es sieht so aus,« erwiederte d’Artagnan.

»Nein,« sagte Porthos, »seht dort zwei oder drei, welche sich hinkend fortzuschleppen suchen.«

Drei oder vier von den Unglücklichen flohen wirklich, mit Koth und Blut bedeckt, in den Hohlweg, und erreichten die Stadt. Das war Alles, was von dem Trupp übrig blieb.

Athos schaute auf seine Uhr.

»Meine Herren, wir sind nun eine Stunde hier, und die Wette ist gewonnen. Aber man muß ehrlich spielen, und d’Artagnan hat uns überdies seinen Gedanken noch nicht gesagt.«

Nach diesen Worten setzte sich der Musketier mit seiner gewöhnlichen Kaltblütigkeit zu den Ueberresten des Frühstücks.

»Ihr wollt meinen Plan kennen lernen?« sprach d’Artagnan zu seinen drei Gefährten, als sie nach dem Angriffe, der für den kleinen Trupp der Rocheller so traurig geendet hatte, wieder beim Frühstück saßen. – »Ja,« antwortete Athos, »Ihr sagtet, Ihr habet einen Gedanken.« – »Richtig, ich habs wieder,« rief d’Artagnan. »Ich reise zum zweiten Mal nach England, suche Herrn von Buckingham auf und benachrichtige ihn von dem Komplott, das gegen ihn gesponnen wird.« – »Ihr werdet das nicht thun, d’Artagnan,« sprach Athos kalt. – »Und warum nicht? Habe ich es nicht bereits gethan?« – »Ja, aber damals waren wir nicht im Krieg begriffen, und Herr von Buckingham war zu jener Zeit unser Verbündeter und kein Feind. Was Ihr thun wollt, würde man als einen Verrath taxiren.«

D’Artagnan begriff das Gewicht dieses Urtheils und schwieg.

»Aber ich glaube ebenfalls einen Gedanken zu haben,« sprach Porthos.

»Hört den Gedanken des Herrn Porthos,« sagte Aramis.

»Ich verlange einen Urlaub von Herrn von Treville unter irgend einem Vorwand, den Ihr finden werdet, denn ich bin nicht so stark in Vorwänden. Mylady kennt mich nicht. Ich nähere mich ihr, ohne daß sie mich fürchtet, und wenn ich meine Schöne treffe, erdrossele ich sie.«

»Ei,« sagte Athos, »ich bin nicht abgeneigt, dem Gedanken von Porthos beizupflichten.«

»Pfui,« sprach Aramis, »eine Frau umbringen! Halt! ich habe den wahren Gedanken.«

»Laßt ihn hören, Aramis,« erwiederte Athos, welcher große Achtung vor dem jungen Musketier hegte.

»Man müßte die Königin in Kenntniß setzen.«

»Ah, meiner Treu, ja,« sprachen Porthos und d’Artagnan zugleich, »ich glaube, wir haben ein Mittel gefunden.«

»Die Königin in Kenntniß setzen?« fragte Athos, »und wie dies? Haben wir Verbindungen bei Hofe? Können wir Jemand nach Paris schicken, ohne daß man es im Lager erfährt? Von hier nach Paris sind es hundert und vierzig Meilen; unser Brief hat noch nicht Angers erreicht und wir sitzen bereits im Gefängnisse.«

»Was die Aufgabe betrifft, Ihrer Majestät einen Brief sicher zuzustellen,« sagte Aramis erröthend, »so übernehme ich dies. Ich kenne in Tours eine geschickte Person …«

Aramis hielt inne, als er Athos lächeln sah.

»Nun, Athos? Ihr nehmt dieses Mittel nicht an?« fragte d’Artagnan.

»Ich weise es nicht gänzlich zurück,« antwortete Athos; »aber ich wollte Aramis nur bemerken, daß er das Lager nicht verlassen kann, daß jeder Andere sicherer ist, als Einer von uns; daß zwei Stunden, nachdem der Bote abgegangen, alle Kapuziner, alle Alguazils, alle Schwarzmützen des Kardinals Euren Brief auswendig kennen, und daß man Euch sammt Euren geschickten Personen verhaften wird.«

»Abgesehen davon,« sprach Porthos, »daß die Königin Herrn von Buckingham, aber keineswegs uns retten wird.«

»Meine Herren,« sagte d’Artagnan, »was Porthos einwendet, ist sehr vernünftig.«

»Ah ah! was geht in der Stadt vor?« rief Athos.

»Man schlägt Generalmarsch.«

Die vier Freunde horchten und der Lärm der Trommeln drang wirklich bis zu ihnen.

»Ihr werdet sehen, daß man ein ganzes Regiment schickt,« sagte Athos.

»Ihr hofft doch nicht gegen ein ganzes Regiment Stand zu halten,« sprach Porthos.

»Warum nicht?« erwiederte der Musketier. »Ich fühle mich jetzt im Zug und würde vor einer ganzen Armee Stand halten, wenn wir nur so vorsichtig gewesen wären, ein Dutzend Flaschen mehr mitzunehmen.«

»Bei meinem Ehrenwort, der Trommler nähert sich,« sagte d’Artagnan.

»Laßt ihn herankommen!« rief Athos. »Es ist eine Viertelstunde Wegs von hier nach der Stadt, und folglich auch von der Stadt hieher. Das ist mehr Zeit als wir brauchen, um unsern Plan festzustellen. Wenn wir von hier weggehen, finden wir nie mehr einen so passenden Ort. Und halt, gerade jetzt kommt mir der wahre Gedanke.«

»Sprecht also!«

»Erlaubt mir, daß ich Grimaud einige unerläßliche Befehle gebe.«

Athos machte seinem Bedienten ein Zeichen, sich zu nähern.

»Grimaud,« sprach Athos, auf die Todten deutend, die in der Bastei lagen, »Du nimmst diese Herren, stellst sie an die Mauer, setzest ihnen ihre Hüte auf den Kopf und gibst ihnen ihre Flinten in die Hand.«

»O großer Mann!« rief d’Artagnan, »ich verstehe Dich!« – »Ihr versteht?« fragte Porthos. – »Und Du, verstehst Du, Grimaud?« sagte Athos.

Grimaud machte ein bejahendes Zeichen.

»Mehr braucht es nicht,« sprach Athos. »Kommen wir auf meinen Gedanken zurück.« – »Ich wünschte jedoch zu begreifen,« sprach Porthos. – »Das ist unnöthig!« – »Ja, ja, den Gedanken von Athos!« riefen d’Artagnan und Aramis zugleich. – »Diese Mylady, diese Frau, dieses Geschöpf, dieser Teufel, hat, wie Ihr mir, glaube ich, sagtet, einen Schwager, d’Artagnan?« – »Ja, ich kenne ihn genau, und ich bin überzeugt, daß er keine große Sympathie für seine Schwägerin hegt.« – »Das ist nicht schlimm,« antwortete Athos, »und es wäre sogar das Beste, wenn er sie haßte und verabscheute.« – »In diesem Falle sind wir nach Wunsch bedient.« – »Indessen möchte ich doch einsehen,« sprach Porthos, »was Grimaud macht.« – »Stille, Porthos,« sagte Aramis. – »Wie heißt dieser Schwager?« – »Lord Winter.« – »Wo hält er sich gegenwärtig auf?« – »Er ist bei dem ersten Kriegslärm nach London zurückgekehrt.« – »Nun, das ist gerade der Mann, den wir brauchen,« sagte Athos. »Er ist es, den wir von dem, was vorgeht, in Kenntniß setzen müssen. Wir lassen ihn wissen, daß seine Schwägerin im Begriffe ist, Jemand zu ermorden, und bitten ihn, sie nicht aus dem Gesicht zu verlieren. Es giebt in London hoffentlich Anstalten nach Art der Madelonetten oder der reuigen Schwestern. Er läßt seine Schwägerin dahin bringen und wir sind ruhig.« – »Ja,« sagte d’Artagnan, »bis sie wieder heraus ist.« – »Ah meiner Treu, Ihr verlangt zu viel, d’Artagnan,« sagte Athos, »ich habe Euch Alles gegeben, was ich besaß, und leugne nicht, daß ihr meinem Sack auf den Grund gekommen seid.« – »Ich meines Theils,« sagte Aramis, »halte es für das Beste, wir setzen die Königin und Lord Winter zugleich in Kenntniß.« – »Ja aber durch wen lassen wir den Brief nach Tours und den nach London tragen?« – »Ich stehe für Bazin,« sagte Aramis. – »Und ich für Planchet,« fügte d’Artagnan bei. – »In der That,« sprach Porthos, »wenn wir das Lager nicht verlassen können, so können es doch wenigstens unsere Lakaien verlassen.« – »Allerdings,« bemerkte Aramis, »noch heute schreiben wir die Briefe, geben ihnen Geld und sie gehen ab.« – »Wir geben ihnen Geld?« fragte Athos. »Ihr habt also Geld?«

Die vier Freunde schauten sich an, und eine Wolke zog über ihre Stirne hin.

»Geschwind!« rief d’Artagnan. »Ich sehe schwarze und rothe Punkte, die sich da unten bewegen. Was spracht Ihr von einem Regiment, Athos? Es ist ein wahres Heer.«

»In der That, da kommen sie. Seht, die Duckmäuser! Sie rücken ohne Trommel und Trompete heran. Bist Du fertig, Grimaud?«

Grimaud machte ein bejahendes Zeichen und deutete aus ein Dutzend Todte, die er in den pittoreskesten Stellungen aufgepflanzt hatte. Die Einen hatten ihre Gewehre geschultert, die Andern sahen aus, als schlügen sie an, wieder Andere hielten den Degen in der Faust.

»Bravo!« rief Athos, »das macht Deiner Einbildungskraft Ehre!«

»Das ist ganz gleichgültig,« sagte Porthos, »ich möchte jedoch wissen, zu was er sich solche Mühe gegeben.«

»Machen wir uns vorerst aus dem Staube,« erwiederte d’Artagnan.

»Einen Augenblick, meine Herren, einen Augenblick, gönnen wir Grimaud Zeit, abzutragen.«

»Ah!« sagte Aramis, »seht, die schwarzen Punkte und die rothen Punkte werden sichtbar größer, und ich bin der Meinung d’Artagnans. Ich glaube, daß wir keine Zeit zu verlieren haben, um das Lager wieder zu erreichen.«

»Meiner Treu,« sprach Athos, »ich habe nichts gegen den Rückzug einzuwenden. Wir haben auf eine Stunde gewettet, und sind anderthalb Stunden geblieben. Das ist mehr als genug. Vorwärts, meine Herren!«

Grimaud war schon mit dem Korbe vorausgegangen.

Die vier Freunde gingen hinter ihm hinaus und machten etwa zehn Schritte, als ihnen Athos zurief:

»Meine Herren! was machen wir?«

»Hast Du etwas vergessen?« fragte Aramis.

»Die Fahne! Mord und Teufel! Man darf keine Fahne in den Händen des Feindes lassen, selbst wenn es eine Serviette ist.«

Und Athos stürzte in die Bastei, erstieg die Plattform und nahm die Fahne ab. Als aber die Rocheller in Schußweite gelangt waren, eröffneten sie ein furchtbares Feuer auf diesen Mann, der sich gleichsam zum Vergnügen den Schüssen auszusetzen schien.

Doch man hätte glauben sollen, Athos würde durch einen Zauber beschützt; die Kugeln flogen zischend um ihn her, keine einzige berührte seine Person.

Athos schwang seine Fahne, indem er den Leuten von der Stadt den Rücken zukehrte und die im Lager begrüßte.

Von zwei Seiten erscholl ein mächtiges Geschrei, von der einen Seite ein Geschrei der Wuth, von der andern ein Geschrei der Begeisterung.

Eine zweite Ladung folgte der ersten, und drei Kugeln durchlöcherten die Serviette und machten wirklich eine Fahne aus ihr.

Das ganze Lager rief: »Steigt herab, steigt herab!«

Athos stieg herab; seine Kameraden, welche ängstlich seiner harrten, sahen ihn zu ihrer großen Freude wieder erscheinen.

»Vorwärts, Athos, vorwärts!« rief d’Artagnan, »ziehen wir uns zurück; jetzt, da wir Alles gefunden haben, wäre es thöricht, wenn wir uns töten ließen.«

Aber Athos fuhr fort, majestätisch einherzumarschiren; und da seine Gefährten sahen, daß jede Bemerkung fruchtlos war, so regelten sie ihren Gang nach dem seinigen.

Grimaud und sein Korb waren vorausmarschirt und befanden sich beide außerhalb des Bereichs eines Angriffes.

Nach einem Augenblick vernahm man das Gekrache eines furchtbaren Gewehrfeuers.

»Was ist das?« fragte Porthos, »und wonach schießen sie? Ich höre die Kugeln nicht pfeifen, und sehe Niemand.«

»Sie schießen nach unsern Todten,« antwortete Athos. »Aber unsere Todten werden nicht antworten.«

»Ganz richtig, dann glauben sie an einen Hinterhalt, beratschlagen, schicken einen Parlamentär ab, und wenn sie den Spaß gewahr werden, sind wir außer dem Bereich der Kugeln. Es ist daher unnöthig, uns durch große Eile ein Seitenstechen zuzuziehen.«

»O! ich begreife,« sprach Porthos erstaunt.

»Das ist ein Glück,« sagte Athos, die Achseln zuckend.

Als die Franzosen ihre vier Freunde im Schritt zurückkommen sahen, erhoben sie ein Freudenschrei.

Endlich vernahm man ein neues Musketenfeuer, die Kugeln prallten dießmal an den Kieselsteinen um die vier Freunde her auf und zischten unheilschwanger in ihre Ohren. Die Rocheller hatten sich der Bastei bemächtigt.

»Das sind sehr ungeschickte Leute,« sagte Athos. »Wie viel haben wir getödtet?« – »Zwölf bis fünfzehn.« – »Wie viel haben wir niedergeschmettert?« – »Acht bis zehn.« – »Für Alles dies nicht einmal eine Schramme! Doch was habt Ihr an der Hand, d’Artagnan? Blut, wie es mir scheint!« – »Es ist nichts,« erwiderte d’Artagnan. – »Eine verlorene Kugel!« – »Nicht einmal.« – »Was ist es denn?«

Athos liebte d’Artagnan wie sein eigenes Kind und dieser düstere und unbeugsame Charakter hegte zuweilen, wie wir schon früher bemerkten, eine wahrhaft väterliche Sorge für den jungen Mann.

»Eine Verletzung der Haut«, antwortete d’Artagnan, »meine Finger sind zwischen zwei Steine gekommen, zwischen den der Mauer und den meines Ringes, da öffnete sich die Haut.«

»Das kommt davon her, daß man Diamanten trägt,« sprach Athos verächtlich.

»Ah! wirklich,« rief Porthos, »er besitzt einen Diamant? Und warum des Teufels klagen wir, daß wir kein Geld haben, da er einen Diamant besitzt?«

»Ganz richtig,« sagte Aramis.

»Das ist gut. Porthos, diesmal habt Ihr einen Gedanken.«

»Ganz gewiß,« sprach Porthos, sich bei dem Komplimente von Athos brüstend, »da er einen Diamant hat, so wollen wir ihn verkaufen.«

»Aber es ist der Diamant der Königin,« entgegnete d’Artagnan.

»Ein Grund mehr,« versetzte Athos. »Die Königin rettet Herrn von Buckingham, ihren Liebhaber, nichts ist billiger; die Königin rettet uns, ihre Freunde, nichts ist moralischer. Verkaufen wir den Diamant. Was denkt der Herr Abbé hierüber? Ich frage Porthos nicht um seine Meinung; er hat sie bereits ausgesprochen.«

»Ich denke,« antwortete Aramis erröthend, »daß d’Artagnan, da sein Ring nicht von einer Geliebten kommt und folglich kein Liebespfand ist, denselben verkaufen kann.«

»Mein Lieber, Ihr sprecht wie die leibhaftige Theologie. Es ist also Euer Rath? …«

»Den Diamant zu verkaufen,« erwiderte Aramis.

»Gut!« rief d’Artagnan heiter. »Verkaufen wir den Diamant und sprechen wir nicht mehr davon.«

Das Gewehrfeuer dauerte fort, aber die Freunde befanden sich außerhalb der Schußweite und die Rocheller schossen nur, um ihr Gewissen zu entlasten.

»Meiner Treu, es war Zeit, daß Porthos auf diese Idee kam: wir sind im Lager. Also, meine Herren, kein Wort mehr von der ganzen Geschichte. Man bemerkt uns, man kommt uns entgegen; man wird uns im Triumphe hineintragen!«

In der That war, wie wir bemerkt haben, das ganze Lager in Bewegung. Mehr als zweitausend Personen hatten die glückliche Prahlerei der vier Freunde, deren wahre Ursache man nicht im entferntesten errieth, wie ein Schauspiel betrachtet. Man hörte nichts als den Ruf: »Es leben die Garden! Es leben die Musketiere!« Herr von Busigny war der erste, der herbei kam, um Athos die Hand zu drücken und die Wette für verloren zu erklären. Der Schweizer und der Dragoner ahmten ihm nach und alle Kameraden folgten dem Schweizer und dem Dragoner. Das Händedrücken, Glückwünschen, Umarmen wollte kein Ende nehmen, es entstand ein unauslöschliches Gelächter über die Rocheller und der Tumult nahm dermaßen zu, daß der Herr Kardinal, in der Meinung, es sei ein Aufruhr ausgebrochen, La Houdinière, den Kapitän seiner Leibwachen, abschickte, um sich zu erkundigen, was vorging.

Man erzählte ihm die Sache mit dem ganzen Feuer der Begeisterung.

»Nun?« fragte der Kardinal, als er La Houdinière zurückkommen sah.

»Monseigneur,« erwiderte dieser, »drei Musketiere und ein Garde haben mit Herrn von Busigny gewettet, in der Bastei Saint Gervais zu frühstücken; sie hielten zwei Stunden gegen den Feind aus und tödteten, ich weiß nicht wie viele Rocheller.«

»Habt Ihr nach den Namen der drei Musketiere gefragt?«

»Ja, Monseigneur.«

»Wie heißen sie?«

»Es sind die Herren Athos, Porthos und Aramis.«

»Immer meine drei Braven,« murmelte der Kardinal. »Und der Garde?«

»Herr d’Artagnan.«

»Immer mein junger Tollkopf! Diese vier Menschen müssen um jeden Preis mein werden.«

Am Abend desselben Tages sprach der Kardinal mit Herrn von Treville über die That vom Morgen, welche das Gespräch des ganzen Lagers bildete; Herr von Treville, der die Begebenheit aus dem Munde des Helden selbst erfahren hatte, erzählte sie Seiner Eminenz in allen ihren Einzelheiten, ohne die Episode der Serviette zu vergessen.

»Das ist schön, Herr von Treville,« sagte der Kardinal, »ich bitte Euch, verschafft mir diese Serviette, ich lasse drei goldene Lilien darauf sticken und gebe sie Eurer Kompagnie als Standarte.«

»Monseigneur,« erwiederte Herr von Treville, »das wäre eine Ungerechtigkeit gegen die Garden, Herr d’Artagnan gehört nicht mir an, sondern Herrn des Essarts.«

»Gut, so nehmt ihn,« sprach der Kardinal, »es ist nicht mehr als billig, daß die vier braven Militärs, die sich so sehr lieben, in einer Kompagnie dienen.«

An demselben Abend theilte Herr von Treville diese gute Botschaft den drei Musketieren und d’Artagnan mit, und lud alle vier auf den andern Tag zum Frühstück ein.

D’Artagnan gerieth außer sich vor Freude. Musketier zu sein war, wie man weiß, der Traum seines ganzen Lebens.

Auch die drei Freunde waren sehr erfreut.

»Meiner Treu,« sprach d’Artagnan zu Athos, »Da hast einen glorreichen Gedanken gehabt, und wir erlangten dabei Ruhm, wie Du sagtest, und konnten eine höchst wichtige Unterredung halten.«

»Die wir jetzt wieder aufnehmen können, wann es uns beliebt, denn mit Gottes Hülfe werden wir von nun an für Kardinalisten gelten.«

An demselben Abend machte d’Artagnan Herrn des Essarts seine Aufwartung, um ihm sein Avancement mitzutheilen.

Herr des Essarts, der d’Artagnan sehr gewogen war, bot diesem seine Dienste an, denn die Korps-Veränderung hatte bedeutende Equipirungskosten zur Folge.

D’Artagnan schlug das Anerbieten aus, aber er wollte die gute Gelegenheit benützen und bat ihn, den Diamant schätzen zu lassen, den er ihm zustellte und den er zu Geld zu machen wünschte.

Am andern Morgen um acht Uhr trat der Bediente des Herrn des Essarts bei d’Artagnan ein und übergab ihm einen Sack mit siebentausend Franken. Dies war der Preis für den Diamant der Königin.

II.

Mylady.

D’Artagnan war Mylady gefolgt, ohne daß er von ihr bemerkt wurde. Er sah sie in den Wagen steigen und hörte sie dem Kutscher Befehl geben, nach Saint-Germain zu fahren. Es wäre fruchtlos gewesen, einem in starkem Trabe von zwei kräftigen Pferden fortgeführten Wagen zu Fuß zu folgen. D’Artagnan kehrte daher nach der Rue Ferou zurück.

In der Rue de Seine traf er Planchet, der vor einer Pastetenbude stand und über ein Backwerk von äußerst appetitlichem Aussehen entzückt zu sein schien. Er gab ihm Befehl, zwei Pferde in den Ställen des Herrn von Treville, eines für ihn selbst, eines für Planchet, zu satteln und ihn bei Athos damit abzuholen. Herr von Treville hatte d’Artagnan ein für allemal seine Ställe zur Verfügung gestellt.

Planchet schlug den Weg nach der Rue de Colombier und d’Artagnan den nach der Rue Ferou ein. Athos war zu Hause und leerte traurig eine der Flaschen von dem berühmten spanischen Wein, die er von seiner Reise in der Picardie mitgebracht hatte. Er winkte Grimaud, ein Glas für d’Artagnan herbeizuschaffen, und dieser gehorchte, wie gewöhnlich, stillschweigend.

D’Artagnan erzählte nun seinem Freunde Athos Alles, was zwischen Porthos und der Procuratorsfrau vorgefallen war, und wie ihr Kamerad zu dieser Stunde bereits auf dem Weg sein dürfte, sich zu equipiren.

»Was mich betrifft« antwortete Athos auf die ganze Erzählung, »ich bin völlig ruhig. Die Frauen werden sicherlich meine Ausrüstung nicht bezahlen.«

»Und dennoch gibt es für den hübschen, artigen, stolzen Herrn, der Ihr seid, mein lieber Athos, weder Prinzessinnen, noch Königinnen, die vor Euren Liebespfeilen geschützt wären.«

In diesem Augenblick streckte Planchet bescheiden den Kopf durch die halbgeöffnete Thüre und meldete, daß die beiden Pferde vor dem Hause ständen.

»Welche Pferde?« fragte Athos.

»Zwei Pferde, die mir Herr von Treville zum Spazierenreiten leiht, und mit denen ich einen Ritt nach Saint-Germain machen will.«

»Und was wollt Ihr in Saint-Germain thun?« fragte Athos.

Hierauf erzählte ihm d’Artagnan, wie er in der Kirche der Dame begegnet war, welche ihn, nebst dem Herrn im schwarzen Mantel und der Narbe am Schlaf, beständig in Unruhe erhielt.

»Das heißt, Ihr seid verliebt in diese, wie Ihr es in Madame Bonacieux waret,« sprach Athos, verächtlich die Achseln zuckend, als fühlte er Mitleid mit der menschlichen Schwäche.

»Ich? Keineswegs,« rief d’Artagnan, »ich bin nur begierig, das Geheimniß aufzuklären, in das sie verwickelt ist. Ich weiß mir keinen Grund anzugeben, aber ich bilde mir ein, diese Frau müsse, obschon ich ihr eben so unbekannt bin, als sie mir, einen Einfluß auf mein Leben ausüben.«

»Ihr habt im Ganzen Recht,« sprach Athos, »ich kenne keine Frau, bei der es sich der Mühe lohnen würde, sie aufzusuchen, wenn sie einmal verloren ist. Madame Bonacieux ist verloren, desto schlimmer für sie, sie mag sich wieder suchen.«

»Nein, Athos, nein, Ihr täuscht Euch,« sprach d’Artagnan, »ich liebe meine arme Constance mehr als je, und wenn ich den Ort wüßte, wo sie sich befindet, so würde ich, und wäre sie am Ende der Welt, hineilen, sie den Händen ihrer Feinde zu entreißen. Aber ich weiß diesen Ort nicht; alle meine Nachforschungen waren fruchtlos. Ihr seht wohl ein, man muß sich zerstreuen.«

»Zerstreut Euch mit Mylady, mein lieber d’Artagnan, ich wünsche es Euch von ganzem Herzen, wenn es Euch unterhalten kann.«

»Hört, Athos,« erwiderte d’Artagnan, »statt Euch hier eingeschlossen zu halten, als wäret Ihr im Arrest, steigt zu Pferde und reitet mit mir nach Saint-Germain.«

»Mein Lieber,« sagte Athos, »ich reite meine Pferds, wenn ich welche habe; habe ich keine, so gehe ich zu Fuße.«

»Wohl!« sprach d’Artagnan, über die Unfreundlichkeit von Athos lächelnd, die ihn bei einem Andern sicherlich verletzt haben würde; »ich bin weniger stolz, als Ihr, ich reite das, was ich finde. Also auf Wiedersehen, mein lieber Athos!«

»Auf Wiedersehen,« sagte der Musketier und machte Grimaud ein Zeichen, die Flasche zu entkorken, die er gebracht hatte.

D’Artagnan und Planchet sprangen in den Sattel, und schlugen die Straße nach Saint-Germain ein.

Auf dem ganzen Weg ging d’Artagnan das, was Athos ihm von Madame Bonacieux gesagt hatte, im Kopfe um. Obgleich er nicht von sehr sentimentalem Charakter war, so hatte doch die hübsche Krämerin einen wirklichen Eindruck auf sein Herz hervorgebracht: er war, wie er sagte, bereit, bis an das Ende der Welt zu gehen, um sie zu suchen. Aber die Welt hat, insofern sie rund ist, viele Enden, und er wußte nicht, nach welcher Seite er seine Richtung nehmen sollte.

Mittlerweile suchte er zu erfahren, wer Mylady war. Mylady hatte mit dem Schwarzmantel gesprochen und kannte ihn also. In d’Artagnans Geist aber hatte sicherlich der Schwarzmantel und kein Anderer Frau Bonacieux auch jetzt wieder entführt. D’Artagnan log also nur halb und also sehr wenig, wenn er sagte, indem er Mylady aufsuchte, suche er zu gleicher Zeit Constance auf.

Unter solchen Betrachtungen und sein Pferd von Zeit zu Zeit mit den Sporen aufmunternd, legte d’Artagnan den Weg zurück und erreichte Saint-Germain. Er kam an dem Pavillon vorüber, in welchem zehn Jahre später Ludwig XIV. geboren werden sollte, und schaute, durch eine ziemlich öde Straße reitend, rechts und links, ob er nicht irgend eine Spur von seiner schönen Engländerin finden könnte, als er im Erdgeschoß eines hübschen Hauses, das nach dem Gebrauch jener Zeit kein Fenster nach der Straße zu hatte, ein bekanntes Gesicht erblickte. Dieses Gesicht ging auf einer Art von Terrasse spazieren, welche mit Blumen geschmückt war. Planchet erkannte es zuerst.

»Ei, gnädiger Herr,« sagte er, sich an d’Artagnan wendend, »erinnert ihr Euch dieses Gesichts nicht mehr, das dort Maulaffen feil hat?«

»Nein,« antwortete d’Artagnan, »und doch weiß ich gewiß, daß ich diesen Menschen nicht zum ersten Mal sehe.«

»Bei Gott, ich glaube es wohl,« versetzte Planchet, »das ist der arme Lubin, der Lakai des Grafen von Wardes, den Ihr vor einem Monat in Calais auf dem Weg nach dem Landhaus des Gouverneurs so übel zugerichtet habt.«

»Ah! ja, so ist’s,« sprach d’Artagnan, »ich erkenne ihn nun wieder. Glaubst Du, daß er dich auch erkennt?«

»Meiner Treu, gnädiger Herr, er war so voll Angst, daß ich nicht denken kann, ich werde ihm im Gedächtniß geblieben sein.«

»Nun, so geh‘ und rede mit dem Burschen, erkundige Dich gesprächsweise, ob sein Herr noch lebt.«

Planchet stieg ab, ging gerade aus Lubin zu, der ihn wirklich nicht erkannte, und die zwei Bedienten fingen an, in schönster Eintracht mit einander zu plaudern, während d’Artagnan die zwei Pferde in ein Gäßchen trieb, rund um ein Haus ging und zurückkehrte, um hinter einem Haselstrauche das Gespräch anzuhören.

Kaum hatte er sich einen Augenblick seinen Beobachtungen hingegeben als er Wagengerassel vernahm und die Karrosse von Mylady ihm gegenüber anhielt. Er konnte sich nicht täuschen, Mylady saß darin. D’Artagnan legte sich auf den Hals seines Pferdes, um Alles zu sehen, ohne gesehen zu werden.

Mylady schaute mit ihrem reizenden blonden Kopfe aus dem Kutschenschlag heraus und gab ihrer Zofe Befehle.

Die letztere, ein hübsches, lebhaftes, flinkes Mädchen, die wahre Kammerjungfer einer vornehmen Dame, sprang von dem Fußtritt herab, auf dem sie nach der Sitte jener Zeit saß, und wandte sich nach der Terasse, wo d’Artagnan Lubin bemerkt hatte.

D’Artagnan folgte der Zofe mit den Augen und sah sie nach der Terrasse gehen. Zufälligerweise aber hatte ein Befehl aus dem Innern des Hauses Lubin hineingerufen, und Planchet, der nach allen Seiten hinschaute, um zu erforschen, in welcher Richtung sein Herr verschwunden sein möchte, war allein geblieben.

Die Kammerfrau näherte sich Planchet, den sie für Lubin hielt, gab ihm ein Billet und sagte:

»Für Euern Herrn.«

»Für meinen Herrn?« fragte Planchet sehr erstaunt.

»Ja – und es hat große Eile – nehmt also geschwind.«

Hierauf ging sie nach dem Wagen zurück, der wieder nach der Seite, von welcher er hergekommen war, umgekehrt hatte; sie sprang auf den Fußtritt und die Karrosse entfernte sich.

Planchet wandte das Billet um und um, lief dann, an stummen Gehorsam gewöhnt, von der Terrasse herab, eilte in das Gäßchen und traf nach zwanzig Schritten seinen Herrn, der Alles gesehen hatte und ihm entgegen kam.

»Für Euch, gnädiger Herr,« sprach Planchet, das Billet dem jungen Manne überreichend.

»Für mich?« entgegnete d’Artagnan, »bist Du dessen ganz gewiß?«

»Bei Gott! ganz gewiß, die Kammerjungfer sagte: »»Für Deinen Herrn.«« Ich habe keinen andern Herrn außer Euch, also … Ein hübscher Bissen von einem Mädchen, diese Zofe, meiner Treu.«

D’Artagnan öffnete den Brief und las folgende Worte:

»Eine Person, welche sich mehr für Euch interessirt, als sie sagen kann, wünschte zu wissen, an welchem Tage Ihr im Walde promeniren könnt; morgen erwartet ein schwarz und rother Bedienter im Hotel zum goldenen Felde Euere Antwort.«

»Oh! oh!« sagte d’Artagnan zu sich selbst, »das ist ein wenig lebhaft. Es scheint, Mylady und ich leiden an demselben Uebel. Nun, Planchet laßt hören, wie befindet sich Herr von Wardes? Er ist also nicht tot?«

»Nein, gnädiger Herr, es geht so gut, als es mit vier Degenstichen im Leibe gehen kann; denn Ihr habt diesem Edelmann vier ganz tadellose beigebracht, und er ist noch sehr schwach, da er beinahe all sein Blut verloren hat. Lubin erkannte mich nicht, wie ich dem gnädigen Herrn zum Voraus sagte, und erzählte mir das ganze Abenteuer von Anfang bis zu Ende.«

»Sehr gut, Planchet, Du bist der König der Lakaien; jetzt steig zu Pferde und wir wollen dem Wagen nachreiten.«

Das dauerte nicht lange; nach fünf Minuten erblickte man die Karrosse, welche auf der Biegung der Straße stille hielt; Ein reichgekleideter Kavalier befand sich am Kutschenschlag.

Das Zwiegespräch zwischen Mylady und dem Kavalier war so belebt, daß d’Artagnan auf der andern Seite des Wagens stille hielt, ohne daß Jemand, außer der hübschen Zofe, seine Gegenwart bemerkte.

Die Unterredung fand in englischer Sprache statt, von der d’Artagnan nichts verstand, aber am Ausdruck glaubte der junge Mann zu erkennen, daß die schöne Engländerin sehr zornig war; sie schloß mit einer Geberde, die ihm keinen Zweifel über die Natur der Unterhaltung ließ, das heißt, mit einem Fächerschlag, der mit solcher Gewalt geführt wurde, daß das kleine weibliche Geräthe in tausend Stücke flog.

Der Reiter brach in ein Gelächter aus, das Mylady in Verzweiflung zu bringen schien.

D’Artagnan meinte, dies sei der geeignete Augenblick, um ins Mittel zu treten; er näherte sich dem Kutschenschlag, entblößte ehrfurchtsvoll sein Haupt und sprach:

»Madame, erlaubt mir. Euch meine Dienste anzubieten; es scheint mir, dieser Kavalier hat Euch in Zorn gebracht. Sprecht ein Wort, und ich übernehme es, ihn für seinen Mangel an Höflichkeit zu bestrafen.«

»Mein Herr,« antwortete sie in gutem Französisch, »mit freudigem Herzen würde ich mich unter Euern Schutz stellen, wenn die Person, welche mit mir streitet, nicht mein Bruder wäre.«

»Oh! dann verzeiht mir,« sagte d’Artagnan; »Ihr begreift, daß ich das nicht wußte, Madame.«

»Was hat sich denn dieser Narr in unsere Angelegenheit zu mischen,« rief, sich zu dem Kutschenschlag herabbeugend, der Kavalier, den Mylady als ihren Verwandten bezeichnet hatte; »und warum zieht er nicht seines Wegs?«

»Selbst Narr,« erwiderte d’Artagnan, sich ebenfalls auf den Hals seines Pferdes herabbeugend und durch den Kutschenschlag redend, »ich ziehe nicht meines Wegs, weil es mir hier zu bleiben beliebt.«

Der Kavalier richtete einige englische Worte an seine Schwester.

»Ich spreche Französisch mit Euch,« rief d’Artagnan; »ich bitte Euch also, macht mir das Vergnügen und antwortet mir in derselben Sprache. Ihr seid der Bruder dieser Dame, gut! aber Ihr seid glücklicherweise nicht der meinige.«

Man hätte glauben sollen, Mylady würde mit weiblicher Aengstlichkeit gleich beim Anfang der Herausforderung zu vermitteln suchen, damit der Streit nicht zu weit käme, aber sie warf sich im Gegentheil in ihren Wagen zurück und rief dem Kutscher kalt zu:

»Fahr nach dem Hotel!«

Die hübsche Zofe warf einen unruhigen Blick auf d’Artagnan, dessen gefälliges Aussehen einen günstigen Eindruck auf sie gemacht zu haben schien.

Die Karrosse fuhr weiter und ließ die zwei Männer einander gegenüber.

Der Reiter machte eine Bewegung, um dem Wagen zu folgen, aber d’Artagnan, dessen bereits gährender Zorn noch dadurch gesteigert würde, daß er in ihm den Engländer erkannte, der ihm sein Pferd und Athos beinahe seinen Diamant abgewonnen hatte, fiel ihm in den Zügel und hielt ihn zurück.

»Ei! mein Herr,« sagte er, »Ihr scheint mir noch mehr Narr zu sein, als ich, denn es kommt mir vor, als wolltet Ihr vergessen, daß sich ein kleiner Streit zwischen uns entsponnen hat.« – »Ah! ah!« entgegnete der Engländer, »Ihr seid es, Meister? Ihr müßt also immer irgend ein Spiel spielen?« – »Ja, und das erinnert mich daran, daß ich Revanche zu nehmen habe. Wir werden sehen, mein lieber Herr, ob Ihr den Degen eben so gut handhabt, als den Würfelbecher.« – »Ihr müßt bemerken, daß ich keinen Degen bei mir habe,« sprach der Engländer; »wollt Ihr gegen einen Unbewaffneten den Tapfern spielen?« – »Ich hoffe, Ihr werdet zu Hause einen besitzen. Jedenfalls habe ich zwei, und wenn Ihr wollt, so spiele ich um Einen mit Euch.« – »Unnöthig,« sprach der Engländer, »ich bin hinreichend mit dergleichen Werkzeug versehen.« – »Gut, mein würdiger Herr,« entgegnete d’Artagnan, »wählt Euren längsten Degen und zeigt ihn mir diesen Abend.« – »Wo, wenn ich bitten darf?« – »Hinter dem Luxemburg, das ist ein allerliebstes Plätzchen für Spaziergänge, wie ich sie Euch vorschlage.« – »Schön, man wird sich einfinden.« – »Zu welcher Stunde?« – »Um sechs Uhr.« – »Ihr habt auch wohl ein paar Freunde?« – »Ich habe drei, welche sich eine Ehre daraus machen würden, dasselbe Spiel zu spielen, wie ich.« – »Drei? vortrefflich! wie sich das trifft!« rief d’Artagnan, »das ist gerade meine Zahl,« – »Und nun, wer seid Ihr?« fragte der Engländer. – »Ich bin Herr d’Artagnan, gascognischer Edelmann, diene bei der Leibwache, Compagnie des Herrn des Essarts. Und Ihr?« – »Ich bin Lord Winter, Baron von Sheffield.« – »Gut! ich bin Euer Diener, mein Herr Baron,« sprach d’Artagnan, »obgleich Euere Namen sehr schwer zu behalten sind.«

Und er spornte sein Roß und galopirte Paris zu.

Wie gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten, stieg er unmittelbar bei Athos ab. Er fand diesen auf seinem Bette liegend, wo er, wie er sagte, wartete, bis seine Equipirung ihn aufsuchen würde.

D’Artagnan erzählte Athos, außer dem Brief an Herrn von Wardes, Alles was vorgefallen war.

Athos war entzückt, als er erfuhr, daß er sich mit einem Engländer schlagen sollte. Wir haben erzählt, daß dies sein Lieblingsgedanke war.

Man ließ sogleich Porthos und Aramis durch die Lakaien aufsuchen und von der Lage der Dinge in Kenntniß setzen.

Porthos zog seinen Degen aus der Scheide, focht gegen die Wand, ging von Zeit zu Zeit rückwärts und machte Verbeugungen wie ein Tänzer. Aramis, der immer noch an seinem Gedicht arbeitete, schloß sich im Cabinet von Athos ein und bat, ihn nicht eher zu stören, als bis es Zeit wäre, vom Leder zu ziehen.

Athos forderte von Grimaud durch ein Zeichen eine neue Flasche Wein.

D’Artagnan entwarf in aller Stille einen kleinen Plan, dessen Ausführung wir später sehen werden, und der ihm ein anmuthiges Abenteuer verhieß, wie man an dem Lächeln sehen konnte, das von Zeit zu Zeit über sein träumerisches Antlitz flog.

XX.

Familien-Angelegenheit.

Athos hatte das rechte Wort gefunden: man mußte aus der Angelegenheit Buckinghams eine Familien-Angelegenheit machen. Eine Familien-Angelegenheit war nicht der Nachforschung des Kardinals unterworfen. Eine Familien-Angelegenheit ging Niemand etwas an. Man konnte sich vor der ganzen Welt mit einer Familien-Angelegenheit beschäftigen.

Aramis hatte den Gedanken gefunden: die Lakaien.

Porthos hatte das Mittel gefunden: den Diamant.

D’Artagnan allein hatte nichts gefunden, obschon er sonst der erfindungsreichste unter den vier Freunden war, aber man muß auch bemerken, daß schon der Name Mylady ihn lähmte. Doch wir täuschen uns, er hatte einen Käufer für seinen Diamant gefunden.

Bei dem Frühstück des Herrn von Treville herrschte die ungezwungenste Heiterkeit. D’Artagnan hatte bereits seine Uniform. Da er beinahe von demselben Wuchse war, wie Aramis, und da Aramis in Folge des reichlichen Honorars von dem Buchhändler, der ihm sein Gedicht abgekauft hatte, wie er behauptet hatte, Alles doppelt besaß, so trat er d’Artagnan eine vollständige Equipirung ab.

D’Artagnan wäre auf dem Höhepunkt seiner Wünsche gestanden, wenn er nicht Mylady wie eine düstere Wolke am Horizont hätte hervortreten sehen.

Nach dem Frühstück kam man überein, sich am Abend in der Wohnung von Athos zu versammeln und dort die Angelegenheit zu Ende zu führen.

D’Artagnan brachte den Tag damit zu, seine Musketier-Uniform in allen Straßen des Lagers zu zeigen.

Am Abend versammelten sich die Freunde zur bestimmten Stunde; es blieben nur noch drei Dinge zu entscheiden:

Was man dem Bruder von Mylady schreiben sollte; Was man der geschickten Person in Tours schreiben sollte; Und welche Bedienten die Briefe besorgen sollten.

Jeder bot den seinigen an. Athos rühmte die Verschwiegenheit Grimauds, der nur sprach, wenn ihm sein Herr den Mund auftrennte; Porthos pries die Kraft Mousquetons, der vier Männer von gewöhnlicher Leibesbeschaffenheit durchprügeln konnte. Aramis vertraute auf die Gewandtheit Bazin’s und sprach mit pomphaften Lobeserhebungen von seinem Kandidaten; d’Artagnan endlich hatte ein vollkommenes Zutrauen zu dem Muth Planchets und erinnerte daran, wie er sich in der so kitzeligen Angelegenheit von Boulogne benommen hatte. Diese vier Tugenden stritten lang um den Preis und gaben zu glänzenden Reden Anlaß, die wir in Betracht ihrer Ausdehnung nicht anführen.

»Leider,« sprach Athos, »müßte der, welchen man abschickt, die vier Tugenden vereinigt besitzen.«

»Aber wo ließe sich ein solcher Bediente finden?«

»Nicht zu finden; ich weiß wohl,« antwortete Athos; »nehmt also Grimaud.«

»Nehmt Mousqueton.«

»Nehmt Bazin.«

»Nehmt Planchet. Planchet ist ehrlich und gewandt, das sind schon zwei von den vier Eigenschaften.«

»Meine Herren,« sprach Aramis, »die Hauptsache ist nicht zu ermessen, welcher von unsern vier Bedienten der verschwiegenste, der stärkste, der gewandteste und der muthigste ist; die Hauptsache ist, daß wir ermessen, welcher das Geld am meisten liebt.«

»Was Aramis sagt, ist sehr vernünftig,« versetzte Athos, »man muß auf die Fehler der Menschen spekulieren, und nicht auf ihre Tugenden. Mein Herr Abbé, Ihr seid ein großer Moralist.«

»Allerdings,« erwiederte Aramis, »denn wir bedürfen guter Bedienung, nicht nur damit unser Plan gelingt, sondern daß wir nicht scheitern, weil es sonst um unsre Köpfe geht, nicht um die der Lakaien …«

»Leiser, Aramis,« sagte Athos.

»Das ist wahr,« sprach Aramis, »nicht um die der Lakaien, sondern um die der Herren. Sind uns unsere Bedienten so sehr ergeben, daß sie das Leben für uns wagen? Nein.«

»Meiner Treu,« entgegnete d’Artagnan, »ich wollte beinahe für Planchet stehen.«

»Gut! mein lieber Freund, so fügt seiner natürlichen Ergebenheit eine schöne Summe bei, wodurch er zu einiger Wohlhabenheit gelangt, und steht dann zweimal für ihn.«

»Eh! guter Gott, Ihr werdet gleichfalls betrogen werden,« sagte Athos, der Optimist war, wenn es sich um Dinge, und Pessimist, wenn es sich um Menschen handelte; »sie werden Alles versprechen, um Geld zu bekommen, und unterwegs wird sie die Furcht abhalten zu handeln. Sind sie einmal gefangen, so bindet man sie; sind sie gebunden, so gestehen sie. Was Teufels, wir sind keine Kinder! Um nach England zu gehen (Athos dämpfte seine Stimme), muß man ganz Frankreich durchreisen, während das Land von Spionen und Kreaturen des Kardinals wimmelt; man muß einen Paß haben, um sich einzuschiffen; man muß Englisch verstehen, um den Weg nach London zu erfragen. Mir kommt die Sache sehr schwierig vor.«

»Keineswegs,« entgegnete d’Artagnan, dem Alles daran lag, die Sache durchzusetzen; »mir kommt sie im Gegentheil ganz leicht vor. Es versteht sich, bei Gott! von selbst, daß, wenn man an Lord Winter von niederträchtigen Dingen, von Abscheulichkeiten des Kardinals …«

»Leiser,« ermahnte Athos.

»Von Intriguen und Staatsgeheimnissen schriebe,« fuhr d’Artagnan sich der Ermahnung fügend fort, »es versteht sich, sage ich, dann von selbst, daß wir bei lebendigem Leibe gerädert würden, aber vergeßt doch um Gottes willen nicht, daß wir ihm, wie Ihr selbst gesagt habt, Athos, in Familienangelegenheiten schreiben, daß wir uns einzig und allein an ihn wenden, damit er Mylady bei ihrer Ankunft in London außer Stand setzt, uns zu schaden. Ich werde ihm einen Brief ungefähr in folgenden Ausdrücken schreiben.«

»Laßt hören,« sagte Aramis und nahm zum Voraus das Gesicht eines Kritikers an.

»Mein Herr und theuer Freund …«

»Ah! ja, theurer Freund, an einen Engländer!« unterbrach ihn Athos. »Gut angefangen, d’Artagnan, schon wegen dieses einzigen Wortes würdet Ihr geviertheilt, statt gerädert.«

»Wohl, es sei, ich werde also ganz kurz »»Mein Herr«« sagen.«

»Ihr könnt sogar Mylord sagen,« erwiederte Athos, der große Stücke auf derartige Äußerlichkeiten hielt.

»Mylord, erinnert Ihr Euch des kleinen Ziegengeheges beim Luxemburg?«

»Gut! jetzt kommt der Luxemburg, man wird glauben, es sei eine Anspielung auf die Königin Mutter! das ist geistreich!« sprach Athos.

»Wohl, setzen wir ganz einfach: Mylord, erinnert Ihr Euch eines gewissen kleinen Geheges, wo man Euch das Leben gerettet hat?«

»Mein lieber d’Artagnan,« sprach Athos, »Ihr werdet stets ein sehr schlechter Briefsteller sein. Wo man Euch das Leben rettete! pfui! das ist nicht würdig; einen anständigen Mann erinnert man nicht an dergleichen Dienste; eine Wohlthat vorwerfen heißt beleidigen.«

»Ah! mein Lieber,« erwiederte d’Artagnan, »Ihr seid unerträglich, und wenn ich unter Eurer Censur schreiben muß, so verzichte ich darauf.«

»Und daran thut Ihr wohl. Handhabt die Muskete und den Degen, mein Freund, bei solchen Uebungen benehmt Ihr Euch vortrefflich; aber überlaßt die Feder dem Herrn Abbé, das ist seine Sache.«

»Ja gewiß,« sprach Porthos, »überlaßt die Feder Aramis, der Thesen in lateinischer Sprache schreibt.«

»Nun wohl, es sei,« sagte d’Artagnan, »entwerft Ihr diesen Brief, Aramis; aber im Namen des heiligen Vaters! nehmt Euch wohl in Acht, ich hechle Euch ebenfalls durch, das sage ich Euch zum Voraus.«

»Das ist mir äußerst angenehm,« antwortete Aramis mit dem naiven Selbstvertrauen, das jeder Dichter besitzt; »aber man theile mir die betreffenden Umstände mit. Ich habe wohl beiläufig gehört, diese Schwägerin sei eine schurkische Person, ich habe sogar selbst den Beweis hiefür erhalten, als ich ihre Unterredung mit dem Kardinal hörte …«

»Leiser, Donner und Teufel!« sprach Athos.

»Aber,« fuhr Aramis fort, »die Einzelheiten sind mir nicht bekannt.«

»Mir auch nicht,« sagte Porthos.

D’Artagnan und Athos schauten sich einige Zeit stillschweigend an. Endlich, als sich Athos etwas gesammelt hatte, machte er, noch bleicher als gewöhnlich, ein Zeichen der Einwilligung. D’Artagnan begriff, daß er sprechen konnte.

»Wohl, so hört, was zu schreiben ist,« versetzte d’Artagnan, »Mylord, Eure Schwägerin ist eine Schändliche, die Euch tödten lassen wollte, um Euch zu beerben; aber sie konnte Euern Bruder nicht heirathen, da sie schon in Frankreich verheirathet war und …« d’Artagnan hielt inne, als ob er nach dem Worte suchte, und schaute Athos an. – »Von ihrem Gatten fortgejagt wurde,« sagte Athos. – »Weil sie gebrandmarkt war,« fuhr d’Artagnan fort. – »Bah!« rief Porthos, »unmöglich! Sie wollte ihren Schwager tödten lassen?« – »Ja.« – »Sie war verheirathet?« fragte Aramis. – »Ja.« – »Und ihr Gatte bemerkte, daß sie eine Lilie auf der Schulter hatte?« rief Porthos. – »Ja.«

Diese drei Ja wurden von Athos, jedes mit düsterer Betonung ausgesprochen.

»Und wer hat die Lilie gesehen?« fragte Aramis. – »D’Artagnan und ich, oder vielmehr, um die chronologische Ordnung zu beobachten, ich und d’Artagnan,« antwortete Athos. – »Und der Gatte dieses abscheulichen Geschöpfes lebt noch?« sprach Aramis. – »Er lebt noch.« – »Ihr wißt es gewiß?« – »Ich weiß es gewiß.«

Es herrschte ein kurzes Stillschweigen, während dessen jeder die Eindrücke nach seiner eigentümlichen Natur in sich verarbeitete.

»Diesmal,« sagte Athos, das Stillschweigen zuerst unterbrechend, »diesmal hat uns d’Artagnan ein vortreffliches Programm gegeben, und das muß man vor Allem schreiben.«

»Teufel, Ihr habt Recht, Athos,« versetzte Aramis, »und der Entwurf ist kitzelig. Der Herr Kanzler käme selbst in Verlegenheit, wenn er einen Brief von dieser Wichtigkeit abfassen müßte, und der Herr Kanzler faßt doch ein Protokoll sehr gut ab. Doch gleich viel, schweigt, ich schreibe.«

Aramis nahm eine Feder, dachte einen Augenblick nach, schrieb acht bis zehn Zeilen mit einer zierlichen Frauenhandschrift, und las sodann mit weicher Stimme, als ob jedes Wort ängstlich von ihm erwogen worden wäre, wie folgt:

»Mylord,

»Die Person, welche Euch diese Zeilen schreibt, hat die Ehre gehabt, den Degen in einem kleinen Gehege der Rue d’Enfer mit Euch zu kreuzen. Da Ihr seitdem wiederholt die Güte hattet. Euch den Freund dieser Person zu nennen, so glaubt sie Euch für diese Freundschaft durch einen guten Rath danken zu müssen. Zweimal wäret Ihr beinahe das Opfer einer nahen Verwandten geworden, die Ihr für Eure Erbin haltet, weil Ihr nicht wißt, daß sie, ehe sie in England eine Ehe eingegangen hatte, bereits in Frankreich verheirathet war; aber das dritte Mal, das Euch jetzt bevorsteht, könntet Ihr unterliegen. Eure Verwandte ist von La Rochelle nach England abgereist. Ueberwacht ihre Ankunft, denn sie hat große, furchtbare Pläne. Wenn ihr durchaus wissen wollt, was sie zu thun fähig ist, so lest ihre Vergangenheit auf ihrer linken Schulter.«

»Das ist vortrefflich,« rief Athos. »Ihr habt die Feder eines Staatssekretärs, mein lieber Aramis. Lord Winter wird wohl auf seiner Hut sein, wenn der Rath überhaupt zu ihm gelangt, und fiele er in die Hände seiner Eminenz, so dürften wir dadurch nicht gefährdet werden. Da jedoch der Bediente, dem die Besorgung übertragen wird, uns glauben machen könnte, er sei in London gewesen, während er in Chatelleraut angehalten hat, so wollen wir ihm nur die Hälfte der Summe geben und die andere Hälfte für die Antwort versprechen. Habt Ihr den Diamant?« fuhr Athos fort.

»Ich habe etwas Besseres, ich habe das baare Geld,« antwortete d’Artagnan.

Und er warf den Sack auf den Tisch. Beim Klange des Goldes schlug Aramis die Augen auf. Porthos bebte, Athos blieb unempfindlich.

»Wie viel ist in diesem Säckchen?« sagte er.

»Siebentausend Livres in Louisd’or zu zwölf Franken.«

»Siebentausend Livres!« rief Porthos; »dieser schlechte, kleine Diamant war siebentausend Livres werth!«

»Es scheint, Porthos, da sie hier liegen; ich glaube nicht, daß unser Freund d’Artagnan von dem seinigen dazu gethan hat.«

»Aber, meine Herren, bei allem dem denken wir gar nicht an die Königin; sorgen wir doch auch ein wenig für die Gesundheit ihres lieben Buckingham, das sind wir ihm mindestens schuldig.«

»Ganz richtig,« sprach Athos, »doch das geht Aramis an.«

»Wohl,« sagte dieser erröthend, »was soll ich thun?«

»Das ist ganz einfach,« antwortete Athos, »einen zweiten Brief an die gewandte Person schreiben, welche in Tours wohnt.«

Aramis nahm die Feder wieder auf, dachte abermals einen Augenblick nach und schrieb folgende Zeilen, die er sogleich der Billigung seiner Freunde unterwarf:

»Meine liebe Base …«

»Ah! ab!« sagte Athos, »diese gewandte Person ist mit Euch verwandt?«

»Geschwisterkind,« sprach Aramis.

»Also Base.«

Aramis fuhr fort:

»Meine liebe Base, Seine Eminenz der Kardinal, den Gott zum Wohle Frankreichs und zur Schmach der Feinde des Reiches erhalten möge, ist auf dem Punkte, den ketzerischen Rebellen von La Rochelle den Garaus zu machen; es ist wahrscheinlich, daß die Hülfe der englischen Flotte nicht einmal vor dem Platz ankommen wird; ich möchte beinahe sagen, ich weiß gewiß, daß Herr von Buckingham durch ein gewisses Ereigniß verhindert sein wird, abzureisen. Seine Eminenz ist der erhabenste Politiker der Vergangenheit, der Gegenwart und wahrscheinlich auch der Zukunft. Er würde die Sonne auslöschen, wenn sie ihn genirte. Theilt diese glücklichen Nachrichten Eurer Schwester mit, meine liebe Base. Ich träumte, der verdammte Engländer wäre tot. Ich weiß nicht mehr, ob durch Eisen oder durch Gift; nur dessen bin ich gewiß, daß er tot war und Ihr wißt, meine Träume täuschen mich nie. Haltet Euch also versichert, mich bald zurückkommen zu sehen.«

»Vortrefflich,« rief Athos; »Ihr seid der König der Dichter, Ihr sprecht wie die Apokalypse und seid wahr wie das Evangelium. Es braucht jetzt nur noch die Adresse auf den Brief gesetzt zu werden.

»Das ist sehr leicht,« sagte Aramis.

Er legte den Brief niedlich zusammen und schrieb:

»An Mademoiselle Michon, Weißnäherin in Tours.«

Die drei Freunde schauten sich lachend an. Sie waren getäuscht.

»Nun begreift Ihr wohl, meine Herren,« sagte Aramis, »daß Bazin allein diesen Brief nach Tours bringen kann. Meine Base kennt nur Bazin und hat nur zu ihm Vertrauen. Bei jedem Andern würde die Sache scheitern. Ueberdies ist Bazin ehrgeizig und gelehrt. Bazin hat die Geschichte gelesen, meine Herren, er weiß, daß Sixtus V. Pabst geworden ist, nachdem er Schweine gehütet, und da er zugleich mit mir zur Kirche übertreten will, so verzweifelt er nicht daran, selbst einmal Pabst oder wenigstens Kardinal zu werden. Ihr begreift, daß ein Mensch, der solche Absichten hegt, sich nicht fangen läßt, oder wenn er gefangen wird, eher das Märtyrerthum erduldet, als daß er spräche.«

»Sehr gut,« sagte d’Artagnan, »ich lasse Euch gerne Bazin gelten, laßt mir dagegen Planchet gelten. Mylady hat ihn einst mit Stockschlägen aus dem Hause gejagt. Planchet aber hat ein gutes Gedächtniß, und wenn er irgendwo eine Rache wittern kann, so würde er sich eher bei lebendigem Leibe rädern lassen, als darauf Verzicht leisten. Sind die Angelegenheiten von Tours die Eurigen, Aramis, so sind die von London die meinigen. Ich bitte also, Planchet zu wählen, welcher überdies schon einmal mit mir in London gewesen ist und ganz deutlich auszusprechen versteht: London, Sir, if you please und my master, Lord d’Artagnan. Mit diesem wird er seinen Weg hin und zurück machen, Ihr könnt ganz unbesorgt sein.«

»In diesem Fall,« sprach Athos, »muß Planchet siebenhundert Livres für die Hinreise und siebenhundert für die Rückreise bekommen, und Bazin dreihundert für die Hinreise und dreihundert für die Rückreise. Dadurch schmilzt die Summe auf fünftausend Livres herab. Wir nehmen jeder Tausend Livres, um sie nach Gutdünken zu verbrauchen, und behalten einen Fonds von tausend Livres übrig, den der Abbé für außerordentliche Fälle oder gemeinschaftliche Bedürfnisse aufbewahrt. Ist Euch dies angenehm?«

»Mein lieber Athos,« sagte Aramis, »Ihr sprecht wie Nestor, der, wie Jedermann weiß, der weiseste der Griechen war.«

»Gut, das ist abgemacht,« versetzte Athos. »Planchet und Bazin werden reisen. Im Ganzen ist es mir nicht leid, daß Grimaud bei mir bleibt. Er ist an meine Art und Weise gewöhnt, und darauf halte ich große Stücke. Der gestrige Tag hat ihn bereits etwas erschüttert, diese Reise würde ihn zu Grund richten.«

Man ließ Planchet kommen und gab ihm seine Instruktionen. Er wurde von d’Artagnan unterrichtet, der ihm zuerst den Ruhm, dann das Geld und endlich die Gefahr ankündigte.

»Ich werde den Brief im Aufschlag meines Rockes tragen,« sagte Planchet, »und ihn verschlingen, wenn man mir ihn nehmen will.«

»Aber dann kannst Du Deinen Auftrag nicht besorgen,« entgegnete d’Artagnan.

»Ihr gebt mir diesen Abend eine Abschrift, die ich auswendig lerne.«

D’Artagnan schaute seine Freunde an, als wollte er sagen:

»Nun, was hatte ich Euch versprochen?«

»Du hast acht Tage,« fuhr er, sich an Planchet wendend, fort, »um zu Lord Winter zu gelangen. Du hast acht Tage, um hieher zurückzukommen. Im Ganzen sechzehn Tage. Wenn Du am sechszehnten Tage nach Deiner Abreise Abends nicht zurückgekommen bist, kein Geld, und wenn es acht Uhr fünf Minuten wäre.«

»Dann kauft mir eine Uhr, gnädiger Herr,« sprach Planchet.

»Nimm diese,« sagte Athos und gab ihm mit seiner sorglosen Großmuth die seinige, »sei ein braver Bursche und bedenke, daß Du, wenn Du plauderst, Schuld bist, daß Deinem Herrn, der so großes Vertrauen auf Deine Treue setzt und für Dich haftete, der Hals abgeschnitten wird. Aber bedenke auch, daß ich Dich, wenn durch Deine Schuld d’Artagnan ein Unglück widerfährt, überall finden werde, um Dir den Bauch aufzuschlitzen.«

»Oh, gnädiger Herr!« sagte Planchet, gedemüthigt durch diesen Verdacht und besonders erschrocken über die ruhige Miene des Musketiers.

»Und ich,« rief Porthos, seine große Augen in ihren Höhlen rollend, »bedenke, daß ich Dich lebendig erdroßle.«

»Oh, gnädiger Herr!«

Und Planchet fing an zu weinen; wir vermögen nicht anzugeben, ob dies aus Schrecken wegen der Drohungen, die man gegen ihn ausstieß, oder aus Rührung darüber geschah, daß er die vier Freunde so enge verbunden sah.

D’Artagnan faßte ihn bei der Hand und sprach:

»Siehst Du, Planchet, diese Herren sagen Dir dies Alles aus Liebe für mich, aber im Grunde sind sie Dir wohl geneigt.«

»Ah, gnädiger Herr,« erwiederte Planchet, »entweder schlage ich mich durch, oder man schneidet mich in Stücke, und wenn man mich in Stücke schneidet, so dürft Ihr überzeugt sein, daß keines davon sprechen wird.«

Es wurde beschlossen, daß Planchet am andern Morgen um acht Uhr abgehen sollte, damit er, wie er gesagt hatte, während der Nacht den Brief auswendig lernen könnte. Bei dieser Anordnung gewann er gerade zwölf Stunden. Er mußte am sechszehnten Tage Abenos acht Uhr zurückgekommen sein.

Als er am andern Morgen zu Pferde steigen wollte, nahm d’Artagnan, der eine gewisse Vorliebe für den Herzog von Buckingham in seinem Innern fühlte, Planchet bei Seite und sprach:

»Höre, wenn Du den Brief Lord Winter zugestellt und er ihn gelesen hat, so sagst Du ihm noch weiter; »»Wacht über Seine Herrlichkeit, Lord Buckingham, denn man will ihn ermorden!«« Siehst Du, Planchet, das ist aber so ernst und so wichtig, daß ich es nicht einmal meinen Freunden gestehen wollte; ich vertraue nur Dir dieses Geheimniß an, und ich möchte es nicht für eine Kapitänsstelle niederschreiben.«

»Seid unbesorgt, gnädiger Herr,« sprach Planchet, »Ihr werdet sehen, ob man auf mich zählen kann.«

Und auf einem vortrefflichen Pferd, von dem er sich zwanzig Meilen von da trennen sollte, um die Post zu nehmen, ritt Planchet im Galopp von dannen, das Herz ein wenig gepreßt durch das traurige Versprechen, das ihm die Musketiere gemacht hatten, aber im Ganzen in der besten Stimmung.

Bazin ging am andern Tag nach Tours ab und hatte acht Tage, um seinen Auftrag zu besorgen.

Die vier Freunde hatten, wie man sich leicht denken kann, während der ganzen Dauer dieser zwei Abwesenheiten, mehr als je ihre Augen auf der Lauer, die Nase im Winde und das Ohr im Horchwinkel.

Sie verbrachten ihre Tage damit, daß sie zu erfahren suchten, was man sagte, daß sie die Gänge des Kardinals beobachteten und die ankommenden Couriere ausspähten. Mehr als einmal wurden sie von einer unüberwindlichen Angst befallen, wenn man sie zu irgend einem unerwarteten Dienste rief. Sie hatten sich übrigens zu ihrer eigenen Sicherheit zu hüten: Mylady war ein Gespenst, das, wenn es einmal den Menschen erschienen war, sie nicht mehr ruhig schlafen ließ.

Am Morgen des achten Tages trat Bazin frisch, wie immer, und lächelnd, wie gewöhnlich, in die Schenke zum Parpaillot ein, wo die vier Freunde gerade beim Frühstücke saßen, und sagte, wie dies verabredet war:

»Herr Aramis, hier ist die Antwort Eurer Base.«

Die vier Freunde tauschten einen freudigen Blick aus, die Hälfte des Geschäftes war abgemacht. Allerdings war es die kürzere und leichtere.

Aramis nahm unwillkürlich erröthend den Brief, der von einer plumpen Handschrift und ohne Orthographie war.

»Guter Gott!« rief er lachend, »ich gerathe gewiß noch in Verzweiflung, nie wird die arme Michon wie Herr von Voiture schreiben.«

»Was soll das heißen: die arme Michon?« fragte der Schweizer, welcher, als der Brief ankam, gerade in einem Gespräch mit den vier Freunden begriffen war.

»Oh! mein Gott, weniger als nichts,« antwortete Aramis, »eine kleine reizende Nähterin, die ich sehr lieb habe, und von der ich mir einige Zeilen ihrer Hand als Andenken erbat.«

»Gottes Blut!« rief der Schweizer, »wenn ihre Seele so groß ist, als ihre Handschrift, so sitzt Ihr sehr im Glücke, mein Kamerad.«

»Laßt sehen, was sie mir schreibt,« sagte Athos.

Athos warf einen Blick auf das Papier und laß, um jeden Verdacht zu entfernen, der hätte entstehen können, ganz laut:

»Mein Vetter, meine Schwester und ich, wir errathen die Träume sehr gut und wir haben eine furchtbare Angst davor; aber von Eurem wird man hoffentlich sagen können: Träume Schäume. Adieu! Bleibt gesund und macht, daß wir von Zeit zu Zeit etwas von Euch hören.

Aglaë Michon.«

»Von welchem Traume spricht sie?« fragte der Dragoner.

»Ei, bei Gott!« rief Aramis, »das ist ganz einfach, von einem Traume, den ich gehabt und ihr erzählt habe.«

»Ah ja, bei Gott! Das ist ganz einfach, wenn man seine Träume erzählt. Aber ich, was mich betrifft, ich träume nie.«

»Ihr seid sehr glücklich,« sagte Athos aufstehend, »und ich wollte, ich könnte dasselbe von mir sagen.«

»Nie,« versetzte der Schweizer, entzückt, daß ein Mann wie Athos ihn um etwas beneidete, »nie, nie!«

Als d’Artagnan sah, daß Athos aufstand, machte er es ebenso, nahm ihn beim Arm und ging mit ihm hinaus.

Porthos und Aramis blieben zurück, um den Späßen des Dragoners und des Schweizers die Spitze zu bieten.

Bazin legte sich auf einen Bund Stroh nieder, und da er mehr Einbildungskraft als der Schweizer hatte, so träumte er, Aramis sei Papst geworden und schmücke ihn mit einem Kardinalshut.

Aber Bazin hatte, wie gesagt, durch seine glückliche Rückkehr den vier Freunden nur einen Theil der Unruhe benommen, welche auf ihnen lastete. Die Tage des Wartens sind lang und d’Artagnan besonders hätte gewettet, jeder Tag habe achtundvierzig Stunden.

Er vergaß die nothwendige Langsamkeit der Schifffahrt, er stellte sich die Macht Myladys allzu groß vor, er verlieh dieser Frau, die ihm einem Dämon ähnlich zu sein schien, übernatürliche Mittel; er bildete sich bei dem geringsten Geräusche ein, man komme, um ihn zu verhaften, und bringe Planchet herbei, um ihn mit ihm und seinen Freunden zu confrontiren. Diese Unruhe war so groß, daß sie auch Porthos und Aramis ergriff; nur Athos blieb unempfindlich. Er war, als ob es gar keine Gefahr um ihn her gäbe und als ob er seine gewöhnliche Atmosphäre athmete.

Am sechszehnten Tage besonders wurden diese Zeichen der Aufregung bei d’Artagnan und seinen zwei Freunden so sichtbar, daß sie nicht am Platze bleiben konnten und wie Schatten auf dem Wege umherirrten, auf welchem Planchet zurückkehren sollte.

»Wahrlich,« sagte Athos zu ihnen, »Ihr seid Kinder, daß Euch eine Frau so bange macht. Ei, was kann denn am Ende geschehen? Daß man uns einsperrt? Man wird uns auch wieder aus dem Gefängnisse ziehen, wie man Madame Bonacieux herausgezogen hat. Daß man uns enthauptet? Jeden Tag setzen wir uns im Laufgraben noch viel Schlimmerem aus, denn eine Kugel kann uns das Bein zerschmettern und ich bin überzeugt, daß uns ein Wundarzt bei Weitem größere Schmerzen verursacht, wenn er uns den Schenkel abschneidet, als ein Henker, wenn er uns den Kopf abschlägt. Seid also ruhig: in zwei Stunden, in vier, in sechs Stunden spätestens wird Planchet hier sein; denn er hat einzutreffen versprochen, und ich setze großes Vertrauen auf die Versprechungen Planchets.«

»Aber wenn er nicht kommt?« fragte d’Artagnan.

»Wenn er nicht kommt, nun so wird er aufgehalten worden sein. Das Pferd kann ihn abgeworfen haben, es kann einen Sprung über die Brücke gemacht haben, er kann so rasch gelaufen sein, daß er eine Brustentzündung bekommen hat. Ei, meine Herren, wir müssen auch die Ereignisse in Rechnung bringen. Das Leben ist ein großer Rosenkranz von kleinen Unglücksfällen, die der Philosoph lachend abkörnt. Seid Philosophen, wie ich, meine Herren, setzt Euch zu Tische und trinkt. Nichts läßt die Zukunft so rosenfarbig erscheinen, als wenn man sie durch ein Glas Chambertin anschaut.«

»Das ist sehr gut,« antwortete d’Artagnan, »aber ich bin es müde, bei jedem Schluck fürchten zu müssen, der Wein könnte aus Myladys Keller kommen.«

»Ihr seid sehr heikel,« sagte Athos, »eine so schöne Frau!«

»Eine Gebrandmarkte!« rief Porthos mit seinem plumpen Lachen.

Athos bebte, strich mit der Hand über die Stirne, um den Schweiß abzutrocknen, und stand ebenfalls mit einem Nervenzittern auf, das er nicht zu bewältigen vermochte.

Der Tag ging indessen hin und der Abend kam noch langsamer heran, aber er kam doch endlich; die Trinkstuben füllten sich mit Gästen. Athos, der seinen Antheil an dem Diamant in die Tasche gesteckt hatte, verließ den Parpaillot nicht mehr. Er fand in Herrn von Busigny, der ihnen übrigens ein vortreffliches Mittagsmahl gegeben hatte, einen würdigen Partner. Sie spielten wie gewöhnlich miteinander, als es sieben Uhr schlug: man hörte die Patrouillen vorüberziehen, welche die Posten verdoppelten. Um halb acht Uhr wurde Retraite geschlagen.

»Wir sind verloren,« sagte d’Artagnan Athos in das Ohr.

»Ihr wollt sagen: wir haben verloren,« erwiderte Athos ruhig und warf zehn Louisd’or auf den Tisch, die er aus seiner Tasche gezogen hatte. »Auf, meine Herren,« fuhr er fort; »man schlägt die Retraite, gehen wir schlafen.«

Athos verließ den Parpaillot, von d’Artagnan gefolgt. Aramis gab Porthos den Arm und kam hinter ihnen. Aramis kaute Verse und Porthos riß sich von Zeit zu Zeit ein Haar aus dem Schnurrbart als Zeichen der Verzweiflung.

Aber plötzlich zeigte sich in der Dunkelheit ein Schatten, dessen Form d’Artagnan bekannt war und eine Stimme sagte:

»Gnädiger Herr, ich bringe Euch Euern Mantel, denn es ist frisch heute Abend.«

»Planchet!« rief d’Artagnan trunken vor Freude.

»Planchet!« riefen Porthos und Aramis.

»Ja wohl, Planchet!« sagte Athos. »Was ist darüber zu staunen? Er hatte versprochen, um acht Uhr zurückzukommen, und eben schlägt es acht Uhr. Bravo, Planchet, Ihr seid ein Mann von Wort, und wenn Ihr je Euern Herrn verlaßt, so nehme ich Euch in meine Dienste.«

»Oh! nein, nie,« sagte Planchet, »nie verlasse ich Herrn d’Artagnan.«

Und in demselben Augenblick fühlte d’Artagnan, daß ihm Planchet ein kleines Billet in die Hand schob.

D’Artagnan hatte große Lust, seinen Planchet zu umarmen, aber er fürchtete, dieses Freundschaftszeichen gegen seinen Lakaien auf offener Straße könnte einem Vorübergehenden auffallend erscheinen, und er hielt sich zurück.

»Ich habe das Billet,« sagte er zu Athos und zu seinen Freunden.

»Das ist gut,« sprach Athos, »kehren wir nach Hause und lesen wir es.«

Das Billet brannte d’Artagnan in der Hand. Er wollte seinen Marsch beschleunigen; aber Athos nahm ihn beim Arme, faßte ihn fest, und der junge Mann war genöthigt, gleichen Schritt mit seinem Freunde zu halten.

Endlich trat man in das Zelt ein und zündete eine Lampe an. Während Planchet bei der Thüre blieb, damit die vier Freunde nicht überrascht würden, erbrach d’Artagnan mit zitternder Hand das Siegel und öffnete den so sehnsüchtig erwarteten Brief.

Er enthielt eine halbe Zeile von ächt brittischer Handschrift und lakonischer Gedrängtheit:

»Thank you! be easy.« Was sagen sollte: »Ich danke, seid ruhig.«

Athos nahm d’Artagnan den Brief aus den Händen, näherte ihn der Lampe, brannte ihn an und ließ ihn nicht aus dem Auge bis er in Asche verwandelt war.

Dann rief er Planchet und sagte:

»Nun, mein Junge, kannst Du die siebenhundert Livres fordern; aber Du wagtest nicht viel mit einem Billet wie dieses hier.« – »Das hielt mich nicht ab, alle möglichen Mittel zu ersinnen, um es zu bewahren,« sprach Planchet. – »Nun erzähle uns,« sagte d’Artagnan. – »Das wäre in der That sehr weitschweifig, gnädiger Herr.« – »Du hast Recht, Planchet; überdies hat man die Retraite geschlagen, und es könnte auffallen, wenn wir länger Licht behielten, als die Anderen.« – »Es sei,« sagte d’Artagnan, »legen wir uns nieder; schlaf wohl, Planchet.«

»Meiner Treu, gnädiger Herr, das ist das erste Mal seit vierzehn Tagen.« – »Bei mir auch!« sagte d’Artagnan. – »Bei mir auch!« sagte Porthos. – »Bei mir auch!« sagte Aramis. – »Nun, soll ich Euch die Wahrheit gestehen? Bei mir auch,« sagte Athos.