XXXVIII.

Die Hinrichtung.

Es war um die Mitternachtsstunde. Der in seiner Abnahme sichelförmige und durch die letzten Spuren des Gewitters blutig gefärbte Mond ging hinter dem Dorfe Armentières auf, das in seinem bleichen Schimmer die düstere Silhouette seiner Häuser und das Skelett seines hohen, durchbrochenen Glockenthurms hervorhob. Vorn wälzte die Lys, einem Flusse von geschmolzenem Zinn ähnlich, ihre Wasser, während man auf dem andern Ufer das Profil einer schwarzen Masse von Bäumen auf einem stürmischen Himmel erblickte, dessen dicke, kupferrothe Wolken mitten in der Nacht eine Art von Dämmerung hervorriefen. Zur Linken erhob sich eine alte verlassene Mühle mit unbeweglichen Flügeln, in deren Trümmern von Zeit zu Zeit eine Nachteule ihr monotones, schrilles Geschrei hören ließ. Da und dort erschienen in der Ebene rechts und links vom Wege, auf dem sich der traurige Zug bewegte, niedrige, untersetzte Bäume, welche wie mißgestaltete Zwerge aussahen, die sich niedergekauert hätten, um in dieser finsteren Stunde Menschen aufzulauern.

Zuweilen öffnete ein mächtiger Blitz den Horizont in seiner ganzen Breite, schlängelte sich über die schwarze Masse der Bäume hin und trennte, wie ein furchtbarer Säbel, den Himmel und das Wasser in zwei Theile. Nicht der leiseste Wind bewegte die schwerfällige Atmosphäre. Eine Todtenstille lastete auf der ganzen Natur, der Boden war feucht und schlüpfrig von dem gefallenen Regen und die wiederbelebten Gräser und Kräuter ergossen ihre Wohlgerüche mit neuer Kraft.

Zwei Bediente schleppten Mylady, welche jeder von ihnen an einem Arme hielt. Der Henker ging hinter ihr. Lord Winter, d’Artagnan, Athos, Porthos und Aramis gingen hinter dem Henker. Planchet und Bazin kamen zuletzt.

Die zwei Diener führten Mylady nach dem Flusse. Ihr Mund war stumm, aber ihre Augen sprachen mit jener unaussprechlichen Beredsamkeit und flehten abwechselnd zu Jedem, den sie anschaute.

Als sie sich einige Schritte voraus sah, sagte sie zu den Bedienten:

»Tausend Pistolen für jeden von Euch, wenn ihr meine Flucht begünstigt; wenn Ihr mich aber Euren Herren ausliefert, so habe ich hier in meiner Nähe Rächer, die Euch meinen Tod theuer bezahlen lassen.«

Grimaud zögerte, Mousqueton zitterte an allen Gliedern.

Athos, der die Stimme Myladys gehört hatte, näherte sich rasch, Lord Winter that dasselbe.

»Schickt diese Bedienten weg,« sagte er, »sie hat mit ihnen gesprochen, sie sind nicht mehr sicher.«

Man rief Planchet und Bazin, welche die Stelle von Grimaud und Mousqueton einnahmen.

An den Rand des Wassers gelangt, trat der Henker zu Mylady und band ihre Hände und Füße.

Da brach sie das Schweigen und rief: »Ihr seid feige, elende Mörder, Ihr erhebt Euch zu zehn, um eine Frau umzubringen. Nehmt Euch in Acht, wenn man mir auch keine Hülfe bringt, so wird man mich doch rächen! …«

»Ihr seid kein Weib,« sprach Athos kalt, »Ihr gehört nicht dem Menschengeschlechts an, Ihr seid ein der Hölle entsprungener Teufel, den wir wieder dahin zurückschicken werden.«

»Oh! meine tugendhaften Herren,« sprach Mylady, gebt wohl Acht, daß derjenige von Euch, welcher ein Haar von meinem Haupte berührt, nicht auch ein Mörder ist.«

»Der Henker kann tödten, ohne darum ein Mörder zu sein, Madame,« sprach der Rothmantel und klopfte dabei an sein breites Schwert. »Er ist der Nachrichter, der letzte Richter und nichts Anderes.«

Während er sie band und diese Worte sprach, stieß Mylady wiederholt ein Geschrei aus, das gar düster und seltsam klang, ais es durch die Nacht hinflog und sich in der Tiefe des Waldes verlor.

»Wenn ich schuldig bin, wenn ich die Verbrechen begangen habe, deren Ihr mich bezichtigt,« heulte Mylady, »so führt mich vor ein Tribunal. Ihr seid nicht die Richter, die mich verdammen können.«

»Ich habe Euch Tyburn vorgeschlagen,« entgegnete Lord Winter, »warum habt Ihr es nicht angenommen?«

»Weil ich nicht sterben will,« rief Mylady, gegen den Henker sich sträubend, »weil ich zu jung bin, um zu sterben.«

»Die Frau, welche Ihr in Bethune vergiftet habt, war noch jünger, als Ihr, und ist dennoch gestorben,« sagte d’Artagnan.

»Ich werde in ein Kloster eintreten, ich werde den Schleier nehmen,« rief Mylady.

»Ihr waret in einem Kloster,« sprach der Henker, »und Ihr habt es verlassen, um meinen Bruder zu verderben.«

Mylady stieß abermals ein Angstgeschrei aus und fiel auf die Kniee.

Der Henker hob sie bei den Armen auf und wollte sie nach dem Nachen tragen.

»Oh! mein Gott, mein Gott!« rief sie. »Wollt Ihr mich denn ertränken?«

Dieses Geschrei hatte etwas so Herzzerreißendes, daß d’Artagnan, der Anfangs der erbittertste Verfolger Myladys war, sich auf einen Baumstumpf niederließ, das Haupt neigte und die Ohren mit seinen flachen Händen verstopfte; aber dennoch hörte er sie schreien und drohen.

D’Artagnan war der jüngste von allen diesen Männern; sein Herz erweichte sich.

»Oh! ich kann dieses furchtbare Schauspiel nicht ansehen,« sagte er; »ich kann nicht zugeben, daß diese Frau so stirbt.«

Mylady hatte die letzten Worte gehört und gab sich wieder einem Strahle der Hoffnung hin.

»D’Artagnan! d’Artagnan!« rief sie, »erinnerst Du Dich, daß ich Dich geliebt habe?«

Der junge Mann stand auf und machte einen Schritt gegen sie.

Athos stand ebenfalls auf, zog seinen Degen und stellte sich ihm in den Weg.

»Wenn Ihr noch einen Schritt macht, d’Artagnan,« sprach er, »so mögen sich unsere Schwerter kreuzen.«

D’Artagnan fiel auf die Kniee und betete.

»Auf!« fuhr Athos fort, »Henker, thue Deine Pflicht.«

»Gern, gnädiger Herr,« antwortete der Henker; »denn so wahr ich ein guter Katholik bin, glaube ich, daß ich gerecht handle, wenn ich mein Geschäft an dieser Frau vollziehe.«

Athos trat näher zu Mylady und sprach:

»Ich vergebe Euch das Böse, was Ihr mir zugefügt habt, ich vergebe Euch meine zertrümmerte Zukunft, meine verlorene Ehre, meine befleckte Liebe und mein für immer durch die Verzweiflung, in die Ihr mich gestürzt habt, zu Grunde gerichtetes Glück. Sterbt im Frieden!«

Lord Winter kam ebenfalls heran und sagte:

»Ich vergebe Euch die Vergiftung meines Bruders, die Ermordung Seiner Herrlichkeit, des Lord Buckingham, ich vergebe Euch den Tod des armen Felton, ich vergebe Euch, was Ihr gegen meine Person versucht habt. Sterbt im Frieden!«

»Was mich betrifft,« sprach d’Artagnan, »so vergebt mir, Madame, daß ich durch einen eines Edelmannes unwürdigen Betrug Euren Zorn hervorgerufen habe, und dagegen vergebe ich Euch die Ermordung meiner armen Freundin und die grausame Rache, die Ihr an mir verübt habt. Sterbt im Frieden!«

»I am lost!« murmelte Mylady englisch, »I must die!« 2

Dann erhob sie sich und warf einen jener leuchtenden Blicke um sich, die aus einem Flammenauge hervorzuspringen schienen.

Sie sah nichts. Sie horchte, sie hörte nichts.

Sie hatte nur Feinde um sich her.

»Wo soll ich sterben?« fragte sie.

»Auf dem andern Ufer,« antwortete der Henker.

Dann ließ er sie in seine Barke eintreten, und als er den Fuß auf diese setzte, um ihr zu folgen, überreichte ihm Athos eine Summe Geldes.

»Nehmt,« sprach er, »hier ist der Lohn der Hinrichtung, damit man sehe, daß wir als Richter handeln.«

»Gut,« versetzte der Henker, »diese Frau soll nun erfahren, daß ich nicht mein Gewerbe treibe, sondern meine Pflicht erfülle.«

Und er warf das Geld in den Fluß.

»Seht,« sagte Athos, »diese Frau hat ein Kind, und dennoch hat sie kein Wort von ihrem Kinde gesprochen.«

Der Nachen entfernte sich nach dem linken Ufer der Lys, die Schuldige und den Nachrichter mit sich tragend. Die Anderen blieben auf dem rechten Ufer, und waren niedergekniet.

Der Nachen glitt langsam den Strick der Fähre entlang unter dem Widerschein einer bleichen Wolke, welche in diesem Augenblick über dem Wasser schwebte.

Man sah ihn am andern Ufer landen. Die Personen zeichneten sich schwarz an dem röthlichen Horizont ab. Mylady hatte während der Ueberfahrt den Strick an ihren Füßen loszumachen gewußt. Als sie sich nahe am Ufer befand, sprang sie leicht zu Boden und ergriff die Flucht.

Aber der Boden war feucht: oben auf der Böschung angelangt, glitt sie aus und fiel auf ihre Kniee nieder.

Ein abergläubischer Gedanke berührte sie ohne Zweifel. Sie sah ein, daß der Himmel ihr seinen Beistand versagte, und verharrte gebeugten Hauptes und mit gefalteten Händen in der Stellung, worin sie sich befand.

Da sah man vom andern Ufer den Henker langsam seine Arme erheben, ein Strahl des Mondes spiegelte sich auf der Klinge seines breiten Schwertes. Die beiden Arme fielen nieder, man hörte das Zischen des Schwertes, und eine verstümmelte Masse wälzte sich unter dem Streiche.

Dann nahm der Henker seinen rothen Mantel ab, legte den Körper darauf, warf den Kopf dazu, knüpfte den Mantel an seinen vier Enden zusammen, lud ihn auf seine Schulter, und stieg wieder in den Nachen.

Als er die Mitte der Lys erreicht hatte, hielt er die Barke an, hob seine Last über den Fluß und rief:

»Gottes Gerechtigkeit mag walten!«

Und er schleuderte den Leichnam in die Tiefe des Wassers, das sich über demselben schloß.

  1. Ich bin verloren! ich muß sterben!

XXXIX.

Eine Botschaft des Kardinals.

Drei Tage nachher kamen die vier Musketiere nach Paris zurück. Sie hatten sich innerhalb der Grenzen ihres Urlaubs gehalten und statteten noch an demselben Abend Herrn von Treville ihren gewöhnlichen Besuch ab.

»Nun, meine Herren,« fragte sie der brave Kapitän, »habt Ihr Euch bei Eurem Ausfluge gut unterhalten?«

»Außerordentlich,« antwortete Athos in seinem und seiner Freunde Namen.

Am 6. des darauf folgenden Monats verließ der König, dem Versprechen getreu, das er dem Kardinal in Bezug auf seine Rückkehr nach La Rochelle geleistet hatte, die Stadt Paris, noch ganz betäubt von der Nachricht, die sich über die Ermordung Buckinghams verbreitete.

Obgleich davon unterrichtet, daß der Mann, den sie so sehr geliebt hatte, von einer Gefahr bedroht war, wollte die Königin, als man ihr diesen Tod ankündigte, nicht daran glauben. Sie rief sogar unkluger Weise aus: »Das ist falsch, er hat mir kürzlich erst geschrieben!«

Aber am andern Tage mußte sie wohl der unseligen Kunde Glauben schenken. La Porte, wie alle Menschen in England durch den Befehl des Königs Karl I. zurückgehalten, kam als Ueberbringer des letzten traurigen Geschenkes an, das Buckingham der Königin überschickte.

Der König war voll Freude, als er die Nachricht erhielt. Er gab sich nicht einmal die Mühe, diese Freude zu verbergen, sondern ließ sie sogar geflissentlich in Gegenwart der Königin hervorbrechen. Ludwig XIII. fehlte es, wie allen schwachen Geistern, an allem Edelmuth.

Bald aber wurde der König wieder düster und übler Laune. Seine Stirne war keine von denen, welche sich auf lange Zeit erheitern. Er fühlte, daß er sich, in das Lager zurückkehrend, wieder in seine Sklaverei begab, und dennoch kehrte er zurück.

Der Kardinal war für ihn die bezaubernde Schlange, und er war der Vogel, der von Zweig zu Zweig hüpft, ohne ihr entweichen zu können.

Die Rückkehr nach La Rochelle war auch äußerst traurig. Unsere Freunde besonders setzten ihre Kameraden in Erstaunen. Sie ritten dicht neben einander mit düsteren Augen und gesenkten Häuptern. Nur Athos allein hob seine breite Stirne von Zeit zu Zeit empor, ein Blitz leuchtete in seinen Augen, ein bitteres Lächeln zog über seine Lippen hin, und dann überließ er sich wieder, wie seine Kameraden, seinen finstern Träumereien.

Gleich nach der Ankunft der Eskorte in einer Stadt zogen sich die vier Freunde, sobald sie den König nach seiner Wohnung geleitet hatten, entweder nach ihren Quartieren oder in eine abgelegene Schenke zurück, wo sie weder spielten noch tranken, sondern nur unter sorgfältigem Umherschauen, ob Niemand sie hören könne, leise mit einander sprachen.

Als der König eines Tages auf dem Wege Halt gemacht hatte, um die Elster zu beizen, und die vier Freunde ihrer Gewohnheit gemäß, statt der Jagd zu folgen, in einem Wirthshaus an der Landstraße saßen, sprengte ein Mann, der von La Rochelle kam, mit verhängtem Zügel heran, hielt vor der Thüre, um ein Glas Wein zu trinken, und schaute ins Innere der Stube, wo sich die vier Musketiere befanden.

»Holla! Herr d’Artagnan,« sprach er, »seid Ihr es nicht, den ich da innen sehe?«

D’Artagnan schaute auf und stieß ein Freudengeschrei aus. Der Unbekannte, der ihn rief, war sein Gespenst, sein Unbekannter von Meung, von der Rue des Fossoyeurs und von Arras.

D’Artagnan zog den Degen und stürzte nach der Thüre. Aber statt zu fliehen, sprang der Unbekannte vom Pferde und lief d’Artagnan entgegen.

»Ah! mein Herr,« sprach der junge Mann, »endlich treffe ich Euch. Diesmal sollt Ihr mir nicht entgehen!«

»Das ist auch diesmal gar nicht meine Absicht, denn ich suchte Euch. Ich verhafte Euch im Namen des Königs!«

»Wie, was sagt Ihr?« rief d’Artagnan.

»Ihr habt mir Euren Degen zu geben, mein Herr, und zwar ohne Widerstand. Es geht um Euren Kopf, das sage ich Euch.«

»Wer seid Ihr denn?« fragte d’Artagnan den Degen senkend, aber ohne ihn abzugeben.

»Ich bin der Chevalier von Rochefort, der Stallmeister des Herrn Kardinals von Richelieu, und habe Befehl, Euch vor Se. Eminenz zu führen.«

»Wir kehren zu Seiner Eminenz zurück, Herr Chevalier,« sagte Athos vortretend, »und Ihr werdet wohl Herrn d’Artagnan auf sein Wort glauben, daß er sich in gerader Richtung nach La Rochelle begibt.«

»Ich muß ihn den Wachen überliefern, die ihn nach dem Lager führen werden.«

»Wir werden ihm als solche dienen, mein Herr, bei unserem adeligen Ehrenwort! Aber ich sage Euch auch,« fügte Athos die Stirne faltend bei, »ich sage Euch bei unserem adeligen Ehrenwort, daß uns Herr d’Artagnan nicht verläßt.«

Der Chevalier von Rochefort warf einen Blick zurück und sah, daß sich Porthos und Aramis zwischen ihn und die Thüre gestellt hatten. Er begriff, daß er ganz der Willkür dieser vier Männer bloßgestellt war.

»Meine Herren,« sagte er, »wenn mir Herr d’Artagnan seinen Degen übergeben und sein Wort dem Eurigen beifügen will, so begnüge ich mich mit Eurem Versprechen, Herrn d’Artagnan in das Quartier des Herrn Kardinals zu führen.«

»Ihr habt mein Wort,« sprach d’Artagnan, »und hier meinen Degen.«

»Das ist mir um so lieber,« fügte Rochefort bei, »als ich meine Reise fortsetzen muß.«

»Geschieht dies, um Mylady aufzusuchen,« sprach Athos kalt, »so bemüht Euch nicht, Ihr werdet sie nicht finden.«

»Was ist denn aus ihr geworden?« fragte Rochefort heftig.

»Kommt in das Lager zurück, und Ihr sollt es erfahren.«

Rochefort blieb einen Augenblick in Gedanken versunken. Da man aber nur noch eine Tagereise von Surgères entfernt war, bis wohin der Kardinal dem König entgegenkommen wollte, so beschloß er, den Rath von Athos zu befolgen und mit ihm zurückzukehren.

Ueberdies bot ihm diese Rückkehr einen weiteren Vortheil: er konnte seinen Gefangenen selbst überwachen.

Man setzte sich in Marsch.

Am andern Tag um drei Uhr Nachmittags erreichte man Surgères: der Kardinal erwartete hier Ludwig XIII. Der Minister und der König tauschten hier viele Schmeicheleien und Liebkosungen aus und beglückwünschten sich über den glücklichen Zufall, der Frankreich von dem erbitterten Feinde befreite, welcher ganz Europa gegen dasselbe aufwiegelte.

Sobald dies geschehen war, verabschiedete sich der Kardinal, welcher von Rochefort die Ankunft d’Artagnan’s erfahren hatte und diesen sogleich vernehmen wollte, von dem König, indem er ihn einlud, am andern Tag die vollendeten Dammarbeiten zu besichtigen.

Als der Kardinal am Abend nach seinem Quartier am Pont de Pierre zurückkam, fand er d’Artagnan ohne Degen und die drei Musketiere bewaffnet vor dem Hause, das er bewohnte.

Da er ihnen diesmal an Kräften überlegen war, so schaute er sie streng an und gab d’Artagnan mit den Augen und mit der Hand ein Zeichen, ihm zu folgen.

»Wir erwarten Dich, d’Artagnan,« sprach Athos laut genug, daß es der Kardinal hören konnte.

Seine Eminenz faltete die Stirne, stand einen Augenblick still und setzte sodann seinen Weg fort, ohne eine Silbe zu sprechen.

D’Artagnan trat hinter dem Kardinal, Rochefort hinter d’Artagnan ein. Die Thüre wurde bewacht.

Seine Eminenz begab sich in das Zimmer, das ihm als Arbeitskabinet diente, und befahl Rochefort durch ein Zeichen, d’Artagnan einzuführen.

Rochefort gehorchte und zog sich zurück.

D’Artagnan blieb allein bei dem Kardinal. Es war seine zweite Zusammenkunft mit Richelieu, und er gestand später, er sei überzeugt gewesen, daß es seine letzte sein würde.

Richelieu blieb an dem Kamin stehen. Ein Tisch war zwischen ihm und d’Artagnan.

»Mein Herr,« sprach der Kardinal, »Ihr seid auf meinen Befehl verhaftet worden.« – »Man hat es mir gesagt, Monseigneur.« – »Wißt Ihr, warum?« – »Nein, Monseigneur, denn die einzige Sache, wegen deren ich verhaftet werden könnte, ist Seiner Eminenz noch unbekannt.«

Richelieu schaute den jungen Mann fest an und rief:

»Holla! was wollt Ihr damit sagen?«

»Wenn mich Monseigneur zuerst über die Verbrechen belehren will, die man mir aufbürdet, so werde ich ihm sodann die Handlungen nennen, die ich begangen habe.«

»Man bürdet Euch Verbrechen auf, welche noch höhere Häupter, als das Eurige, fallen gemacht haben,« sagte der Kardinal.

»Welche, Monseigneur?« fragte d’Artagnan mit einer Ruhe, die den Kardinal in Erstaunen setzte.

»Man klagt Euch an, Ihr habet mit den Feinden des Königreichs korrespondirt; man klagt Euch an, Ihr habet Staatsgeheimnisse erlauscht; man klagt Euch an, Ihr habet die Pläne Eures Generals zu vereiteln gesucht.«

»Und wer beschuldigt mich dessen, Monseigneur?« sprach d’Artagnan, welcher sich dachte, daß die Anklage von Mylady komme. »Ein von den Gerichten gebrandmarktes Weib, ein Weib, das einen Mann in Frankreich und einen andern in England geheirathet, ein Weib, das seinen zweiten Gatten vergiftet und mich selbst zu vergiften gesucht hat.«

»Was sagt Ihr da, Herr!« rief der Kardinal voll Erstaunen, »von welchem Weibe sprecht Ihr so?«

»Von Mylady Winter,« antwortete d’Artagnan, »ja, von Mylady Winter, deren Verbrechen Eure Eminenz ohne Zweifel nicht kannte, als sie dieselbe mit ihrem Vertrauen beehrte.«

»Mein Herr,« sprach der Kardinal, »wenn Mylady Winter die Verbrechen begangen hat, deren Ihr sie bezichtigt, so soll sie bestraft werden.« – »Sie ist bestraft.« – »Und wer hat sie bestraft?« – »Wir.« – »Sie ist im Gefängniß?« – »Sie ist todt.«

»Todt!« wiederholte der Kardinal, der nicht an das glauben konnte, was er hörte. »Habt Ihr nicht gesagt, sie sei todt?«

»Dreimal versuchte sie es, mich zu tödten, und ich verzieh ihr; aber sie mordete eine Frau, die ich liebte; dann nahmen meine Freunde und ich sie gefangen, hielten Gericht und verurtheilten sie.«

D’Artagnan erzählte nun die Vergiftung von Madame Bonacieux im Kloster der Karmeliterinnen in Bethune, das Gericht in dem einsamen Hause und die Hinrichtung am Ufer der Lys. Ein Schauer lief dem Kardinal durch den ganzen Leib, und doch schauerte der Kardinal nicht so leicht.

Aber als ob sich plötzlich ein stummer Gedanke seiner bemeisterte, erhellte sich allmälig das bisher so düstere Antlitz des Kardinals und erlangte die vollkommenste Ruhe.

»Ihr habt Euch also,« sprach er mit einer Stimme, deren Weichheit in seltsamem Widerspruch mit der Strenge der Worte stand, »Ihr habt Euch also zu Richtern aufgeworfen, ohne zu bedenken, daß diejenigen, welche strafen und nicht den Auftrag dazu haben, Mörder sind?«

»Monseigneur, ich schwöre, daß ich nicht einen Augenblick die Absicht gehabt habe, meinen Kopf gegen Euch zu vertheidigen; ich werde mich der Strafe unterziehen, die Eure Eminenz über mich ausspricht. Ich hänge nicht so sehr am Leben, daß ich den Tod fürchten sollte.«

»Ja, ich weiß es, Ihr seid ein beherzter Mann,« sprach der Kardinal mit beinahe zärtlichem Tone; »ich kann Euch also zum Voraus sagen, daß man Gericht über Euch halten, ja sogar Euch verurtheilen wird.«

»Ein Anderer könnte Seiner Eminenz entgegnen, er habe seine Begnadigung in der Tasche; ich aber begnüge mich zu antworten: befehlt, Monseigneur, ich bin bereit.« – »Eure Begnadigung?« fragte Richelieu erstaunt. – »Ja, Monseigneur,« erwiderte d’Artagnan. – »Und von wem unterzeichnet? Vom König?«

Der Kardinal sprach diese Worte mit einem eigenthümlichen Ausdruck der Verachtung.

»Nein, von Eurer Eminenz.« – »Von mir? Ihr seid ein Narr, mein Herr.« – »Monseigneur wird ohne Zweifel seine Handschrift erkennen.«

Bei diesen Worten überreichte d’Artagnan dem Kardinal das kostbare Papier, das Athos Mylady entrissen und d’Artagnan übergeben hatte, dem es als Schutzwache dienen sollte.

Seine Eminenz nahm es und las es langsam und mit starker Betonung jeder einzelnen Silbe.

»Auf meinen Befehl und zum Wohle des Staates hat der Träger des Gegenwärtigen gethan, was er gethan hat.

»Im Lager von Rochelle, den 3. Aug. 1628.

» Richelieu

Der Kardinal versank in tiefes Nachsinnen, nachdem er das Papier gelesen hatte, gab es aber d’Artagnan nicht zurück.

»Er überlegt, durch welche Strafe er mich zum Tode befördern soll,« sagte der Gascogner ganz leise zu sich selbst. »Gut, er soll sehen, wie ein Edelmann stirbt.«

Der junge Musketier war in der besten Fassung, um heldenmütig zu scheiden.

Richelieu dachte immer noch nach, rollte das Papier in seiner Hand zusammen und rollte es wieder aus einander. Dann schaute er auf und heftete seinen Adlerblick auf diese redlichen, offenen, gescheiten Züge, auf dieses in Folge der Leiden, die er seit einem Monat ausgestanden, von Thränen durchfurchte Antlitz, und dachte zum dritten und vierten Male, wie viel dieser Junge von zwanzig Jahren Zukunft vor sich hatte, und welche Mittel seine Thätigkeit, sein Muth und sein Geist einem guten Herrn bieten konnten.

Andererseits hatten ihn die Verbrechen, die Macht, das höllische Genie Myladys mehr als einmal erschreckt. Er fühlte etwas wie eine geheime Freude darüber, daß er für immer von dieser gefährlichen Schuldgenossin befreit war.

Langsam zerriß er das Papier, welches ihm d’Artagnan so edelmüthig übergeben hatte.

»Ich bin verloren,« sprach d’Artagnan zu sich selbst.

Und er verbeugte sich tief vor dem Kardinal, wie ein Mensch, der da sagt: »Gnädiger Herr, Euer Wille soll geschehen.«

Der Kardinal trat an den Tisch, schrieb, ohne sich zu setzen, ein paar Zeilen auf ein Pergament, das zu zwei Dritteln bereits voll geschrieben war, und druckte sein Siegel darunter.

»Das ist meine Verurtheilung,« dachte d’Artagnan, »er erspart mir die Unannehmlichkeiten der Bastille und den langsamen Gang eines Gerichts. Ich finde das noch sehr liebenswürdig von ihm.«

»Nehmt,« sprach der Kardinal zu dem jungen Manne, »ich habe Euch ein Blanket genommen und gebe Euch ein anderes. Der Name fehlt auf diesem Patent, Ihr werdet ihn selbst eintragen.«

D’Artagnan ergriff das Papier zögernd und warf einen Blick darauf.

Es war eine Lieutenants-Stelle bei den Musketieren.

D’Artagnan fiel dem Kardinal zu Füßen.

»Monseigneur,« rief er, »mein Leben gehört von nun an Euch, verfügt darüber: aber ich verdiene die Gunst nicht, die Ihr mir bewilligt; ich habe drei Freunde, welche würdiger …«

»Ihr seid ein braver Junge, d’Artagnan,« unterbrach ihn der Kardinal und klopfte ihn, entzückt, diese widerspenstige Natur besiegt zu haben, vertraulich auf die Schulter; »macht mit diesem Patent, was Ihr wollt, da der Name weiß ist; nur erinnert Euch, daß ich es Euch gebe.«

»Ich werde es nie vergessen,« antwortete d’Artagnan, »Eure Eminenz darf dessen versichert sein.«

Der Kardinal wandte sich um und rief: »Rochefort«.

Der Chevalier hatte sich ohne Zweifel vor der Thüre aufgehalten, und trat sogleich ein.

»Rochefort,« sagte der Kardinal, »Ihr seht hier Herrn d’Artagnan, ich nehme ihn unter die Zahl meiner Freunde auf. Man umarme sich also und sei vernünftig, wenn man sein Leben lieb hat.«

Rochefort und d’Artagnan küßten sich mit dem Rande ihrer Lippen; aber der Kardinal war da und beobachtete sie mit wachsamem Auge. Sie verließen zu gleicher Zeit das Zimmer.

»Wir treffen uns wieder, nicht wahr, mein Herr?« sprachen sie. – »Wann es Euch gefällig ist,« sagte d’Artagnan.

»Die Gelegenheit wird sich finden,« erwiderte Rochefort.

»Was da?« brummte der Kardinal die Thüre öffnend.

Die Männer lächelten sich zu, drückten sich die Hand und verbeugten sich vor Seiner Eminenz.

»Wir fingen an unruhig zu werden,« sprach Athos, als der Musketier zurückkam.

»Hier bin ich, meine Freunde,« antwortete d’Artagnan. – »Frei?« – »Nicht allein frei, sondern in Gunsten.« – »Ihr werdet uns das erzählen.« – »Noch diesen Abend. Doch für diesen Augenblick trennen wir uns.«

D’Artagnan begab sich wirklich noch denselben Abend in die Wohnung von Athos, den er im besten Zuge fand, seine Flasche spanischen Wein zu leeren, ein Geschäft, dem er gewissenhaft jeden Abend oblag.

Er erzählte seinem Freunde, was zwischen ihm und dem Kardinal vorgefallen war, zog sein Patent aus der Tasche und sprach:

»Nehmt, mein lieber Athos, was Euch ganz natürlich zukommt.«

Athos lächelte in seiner sanften, liebenswürdigen Art und erwiderte: »Freund, für Athos ist es zu viel, für den Grafen de la Fère ist es zu wenig. Behaltet dieses Patent, es gehört Euch: ach! Ihr habt es theuer genug bezahlen müssen.«

D’Artagnan entfernte sich aus dem Zimmer von Athos und trat bei Porthos ein.

Er traf ihn in einem prächtigen, mit glänzenden Stickereien bedeckten Rock, wie er sich eben im Spiegel beschaute.

»Ah! ah!« rief Porthos, »Ihr seid es, lieber Freund; wie findet Ihr, daß mir dieser Rock steht?«

»Vortrefflich,« sprach d’Artagnan; »doch ich komme, um Euch ein Kleid anzutragen, das Euch noch viel besser stehen wird.«

»Welches?« – »Die Uniform eines Musketierlieutenants.«

D’Artagnan erzählte Porthos seine Unterredung mit dem Kardinal, zog das Patent aus seiner Tasche und sagte:

»Nehmt, mein Lieber, schreibt Euern Namen darauf und seid ein guter Chef für mich.«

Porthos warf einen Blick auf das Patent und gab es zum großen Erstaunen des jungen Mannes zurück.

»Ja,« sprach er, »das würde mir sehr schmeicheln, aber ich könnte diese Gunst nicht lange genug genießen; während unseres Zuges nach Bethune ist der Gatte meiner Herzogin gestorben, und da mir die Kasse des Seligen die Hand reicht, so heirathe ich die Wittwe. Seht, ich habe so eben meinen Hochzeitsanzug probirt. Behaltet das Lieutenantspatent, mein Lieber, behaltet es.«

Und er legte es d’Artagnan wieder in die Hände.

Der junge Mann begab sich zu Aramis.

Er fand ihn vor einem Betpult knieend, seine Stirne auf ein Andachtsbuch gestützt.

D’Artagnan erzählte ihm seine Zusammenkunft mit dem Kardinal, zog sein Patent zum dritten Mal aus der Tasche und sprach:

»Ihr, unser Freund, unser Licht, unser unsichtbarer Beschützer, empfangt dieses Patent; Ihr habt es mehr als jeder Andere durch Eure Weisheit und Eure stets von gutem Erfolge begleiteten Rathschläge verdient.«

»Ach! theurer Freund,« erwiderte Aramis, »unsere letzten Abenteuer haben mir einen gänzlichen Widerwillen gegen das Soldatenleben eingeflößt. Diesmal steht mein Entschluß unwiderruflich fest: nach der Belagerung trete ich bei den Lazaristen ein. Behaltet dieses Patent, d’Artagnan. Das Waffenhandwerk sagt Euch zu; Ihr werdet ein kühner und verwegener Kapitän sein.«

Das Auge feucht von Dankbarkeit, strahlend vor Freude kehrte d’Artagnan zu Athos zurück, den er immer noch am Tisch fand, wo er sein letztes Glas Malaga beim Schein einer Lampe beäugelte.

»Auch sie haben mich zurückgewiesen,« sagte er.

»Ganz einfach, lieber Freund, keiner war dieses Vorzugs würdiger, als Ihr.«

Er nahm eine Feder, schrieb in das Patent den Namen d’Artagnan und gab es ihm zurück.

»Ich werde also keine Freunde mehr haben,« sprach der junge Mann. »Ach! nichts mehr, als bittere Erinnerungen.«

Und er ließ sein Haupt zwischen seine beiden Hände fallen, während zwei Thränen an seinen Wangen herabrollten.

»Ihr seid noch jung,« erwiderte Athos, und Euere bittern Erinnerungen haben Zeit, sich in süße Erinnerungen zu verwandeln.«

XXXI.

Was in Portsmouth am 23. August 1628 vorfiel.

Felton nahm von Mylady Abschied, wie ein Bruder, der einen einfachen Spaziergang machen will, von seiner Schwester Abschied nimmt, d.h. in dem er ihr die Hand küßte.

Seine ganze Person schien in den Zustand ihrer gewöhnlichen Ruhe zurückversetzt zu sein; nur war in seinen Augen ein seltsamer, dem Wiederscheine eines Fensters ähnlicher Glanz vorherrschend. Seine Stirne war noch bleicher, als früher, seine Zähne waren zusammengepreßt und seine Sprache machte sich durch ein gewisses Stoßen der Töne bemerkbar, woraus sich schließen ließ, daß finstere Gedanken in seinem Innern ihr Lager genommen hatten.

So lange er sich auf der Barke befand, die ihn nach dem Lande führte, war sein Gesicht Mylady zugewendet, die ihm, auf dem Verdecke stehend, mit den Augen folgte. Alle Beide fürchteten sich sehr wenig vor einer Verfolgung. Man betrat das Zimmer Myladys nie vor neun Uhr, und man brauchte drei Stunden, um vom Schlosse aus London zu erreichen.

Felton stieg an das Land, erkletterte den kleinen Kamm der auf die Höhe des abschüssigen Ufers führte, grüßte Mylady mm letzten Mal und lief nach der Stadt.

Nach hundert Schritten konnte er, weil sich das Terrain senkte, nur noch den Mast des Schiffes sehen.

Er eilte in der Richtung von Portsmouth fort, dessen Thürme und Häuser er in einer Entfernung von ungefähr einer halben Meile im Morgennebel vor sich erblickte.

Jenseits Portsmouth war das Meer mit Schiffen bedeckt, deren Masten, einem Wald von winterlich entblätterten Pappelbäumen ähnlich, sich unter dem Hauch des Windes schaukelten.

Während seines raschen Laufes durchging Felton Alles, was ihm zehn Jahre asketischer Betrachtungen und ein langer Aufenthalt unter den Puritanern an wahren und falschen Beschuldigungen gegen den Liebling Jacobs VI. und Carls I. geliefert hatten.

Wenn Felton die öffentlichen Verbrechen des Ministers, schreiende, so zu sagen europäische Verbrechen mit den unbekannten und persönlichen Verbrechen verglich, mit denen ihn Mylady belastete, so fand er, daß der schuldigere von den zwei Menschen, welche Buckingham in sich schloß, derjenige war, dessen Leben das Volk nicht kannte. Seine so seltsame, so neue, so glühende Liebe ließ ihn die schändlichen, erdichteten Anklagen von Lady Winter so ansehen, wie man durch ein Vergrößerungsglas in sonst unbemerkbaren Atomen furchtbare Ungeheuer erblickt.

Der rasche Lauf entzündete sein Blut noch mehr. Der Gedanke, daß er eine furchtbarer Rache preisgegebene Frau hinter sich ließ, die er liebte, oder vielmehr wie eine Heilige anbetete, die Aufregung der vorhergehenden Stunden und Tage, die gegenwärtige Anstrengung, Alles dies exaltirte seine Seele über das Maß menschlicher Gefühle.

Er erreichte Portsmouth gegen acht Uhr Morgens. Die ganze Bevölkerung war auf den Beinen. Die Trommeln wurden in den Straßen und in den Häfen gerührt. Die zum Einschiffen bestimmten Truppen marschirten nach dem Meere zu.

Felton gelangte mit Staub bedeckt und von Schweiß triefend nach dem Admiralitätspalast. Sein gewöhnlich bleiches Gesicht war purpurroth vor Grimm und Hitze. Die Wache wollte ihn zurückweisen, aber Felton rief den Anführer des Postens, zog aus seiner Tasche den Brief, welchen er zu überbringen hatte, und sagte nur die Worte:

»Eilbote von Lord Winter.«

Bei dem Namen des Lords, den man als einen der vertrautesten Freunde Seiner Herrlichkeit kannte, gab der Anführer der Posten Befehl, Felton, der ohnedies die Uniform eines Marineoffiziers trug, passiren zu lassen.

Felton stürzte in den Palast. Im Augenblick, wo er in die Flur eintrat, erschien auch ein bestaubter, athemloser Mann, der vor der Thüre ein Postpferd stehen ließ, das sogleich vor Erschöpfung in die Kniee sank.

Felton und er wandten sich zu gleicher Zeit an Patrick, den ersten Kammerdiener des Herzogs. Felton nannte den Baron Winter. Der Unbekannte wollte Niemand nennen und behauptete, er dürfe sich nur dem Herzog allein zu erkennen geben. Jeder wollte vor dem andern den Eintritt erlangen.

Patrick, welcher wußte, daß Lord Winter in dienstlichen und freundschaftlichen Verhältnissen zu dem Herzog stand, gab demjenigen, der in des Lords Namen kam, den Vorzug. Der Andere war genöthigt zu warten, und man sah deutlich, wie sehr er diese Zögerung verwünschte.

Der Kammerdiener ließ Felton durch einen großen Saal gehen, in welchem die Deputirten von La Rochelle, mit dem Fürsten von Soubise an der Spitze warteten, und führte ihn in ein Kabinet, wo Buckingham, aus dem Bade kommend, seine Toilette vollendete, der er diesmal, wie immer, eine besondere Aufmerksamkeit widmete.

»Der Lieutenant Felton,« sagte Patrick, »von Lord Winter geschickt.«

»Von Lord Winter?« wiederholte Buckingham. »Laßt ihn eintreten.«

Felton trat ein. In diesem Augenblicke warf Buckingham einen reichen, mit Gold gestickten Schlafrock auf das Kanapé, um ein durchaus mit Perlen gesticktes Wamms von blauem Sammet anzuziehen.

»Warum ist der Baron nicht selbst gekommen?« fragte Buckingham. »Ich erwartete ihn diesen Morgen.«

»Er hat mich beauftragt, Eurer Herrlichkeit zu sagen,« antwortete Felton, »daß er sehr bedaure, nicht diese Ehre haben zu können, aber er sei durch eine nothwendige Bewachung im Schlosse abgehalten.«

»Ja, ja,« sprach Buckingham, »ich weiß das, er hat eine Gefangene.«

»Gerade von dieser Gefangenen wollte ich mit Eurer Herrlichkeit sprechen,« versetzte Felton.

»Nun, so sprecht!«

»Was ich zu sagen habe, kann nur von Eurer Herrlichkeit gehört werden.«

»Laß uns allein, Patrick,« sprach Buckingham, »aber halte Dich im Bereich der Glocke auf. Ich werde Dich sogleich rufen.«

Patrick ging hinaus.

»Wir sind allein, mein Herr,« sagte Buckingham, »sprecht nun.«

»Mylord,« erwiderte Felton, »der Baron von Winter hat Euch kürzlich geschrieben, und Euch in seinem Briefe gebeten, einen Deportationsbefehl bezüglich auf eine junge Frau Namens Charlotte Backson zu unterzeichnen.«

»Ja, mein Herr, und ich habe ihm geantwortet, er möge mir diesen Befehl bringen oder schicken, und ich werde ihn unterzeichnen.«

»Hier ist er, Mylord.«

»Gebt,« sagte der Herzog.

Er nahm das Papier aus den Händen Feltons und warf einen raschen Blick darauf. Als er sah, daß es derjenige war, welchen man ihm angekündigt hatte, legte er ihn auf den Tisch, ergriff eine Feder und schickte sich an, denselben zu unterzeichnen.

»Um Vergebung Mylord,« sprach Felton, den Herzog zurückhaltend. »Weiß Eure Herrlichkeit, daß der Name Charlotte Backson nicht der wahre Name dieser jungen Frau ist?«

»Ja, mein Herr, ich weiß es,« antwortete der Herzog, die Feder in das Tintenfaß tauchend.

»Also kennt Eure Herrlichkeit ihren wahren Namen?« fragte Felton in kurzem Tone.

»Ich kenne ihn.«

Der Herzog näherte die Feder dem Papiere. Felton erbleichte.

»Und mit dem wahren Namen vertraut,« sprach Felton, »wird Eure Herrlichkeit dennoch unterzeichnen?«

»Allerdings,« erwiderte Buckingham, »eher zweimal, als einmal.«

»Ich kann nicht glauben,« fuhr Felton mit einer Stimme fort, welche immer mehr abgestoßen klang, »ich kann nicht glauben, daß Eure Herrlichkeit weiß, daß es sich um Lady Winter handelt.«

»Ich weiß es vollkommen, obgleich ich staune, daß Ihr es wißt.«

»Und Eure Herrlichkeit wird diesen Befehl ohne Gewissensbisse unterzeichnen?«

Buckingham schaute den jungen Mann stolz an.

»Ei! Herr, wißt Ihr,« sagte er, »daß Ihr ganz seltsame Fragen an mich stellt, und daß es einfältig von mir ist darauf zu antworten?«

»Antwortet, gnädigster Herr,« sprach Felton; »die Lage der Dinge ist bedeutungsvoller, als Ihr wohl glauben möget.«

Buckingham dachte, da der junge Mann von Lord Winter abgeschickt sei, so spreche er ohne Zweifel in dessen Namen, und besänftigte sich.

»Ohne irgend einen Gewissensbiß,« sagte er, »und der Baron weiß so gut wie ich, daß Mylady eine große Verbrecherin ist, und daß man es beinahe als eine Begnadigung betrachten muß, wenn man ihre Strafe auf Deportation beschränkt.«

Der Herzog legte die Feder auf das Papier.

»Ihr werdet diesen Befehl nicht unterzeichnen, Mylord,« sprach Felton und machte einen Schritt gegen den Herzog.

»Ich werde diesen Befehl nicht unterzeichnen?« fragte Buckingham, »und warum nicht?«

»Weil Ihr in Euch gehen und Mylady Gerechtigkeit widerfahren lassen werdet.«

»Man würde ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn man sie nach Tyburn schickte,« sagte Buckingham. »Mylady ist eine schändliche Verbrecherin.«

»Gnädigster Herr, Mylady ist ein Engel. Ihr wißt es wohl, und ich fordere von Euch ihre Freiheit.«

»Seid Ihr ein Narr,« rief Buckingham, »daß Ihr so sprecht!«

»Mylord, entschuldigt mich, ich spreche wie ich kann. Bedenkt jedoch Mylord, was Ihr zu thun im Begriffe seid, und fürchtet das Maß zu überschreiten.«

»Wie? … Gott vergebe mir,« rief Buckingham, »ich glaube, er droht mir!«

»Nein, Mylord, ich bitte noch und sage Euch: ein Tropfen Wasser reicht hin, um das volle Gefäß überlaufen zu machen. Ein leichter Fehler genügt, um die Strafe auf das trotz so vieler Verbrechen bis auf diesen Tag verschonte Haupt zu ziehen.«

»Herr Felton,« sprach Buckingham, »Ihr entfernt Euch und meldet Euch sogleich in Arrest.«

»Und Ihr, Ihr werdet mich ganz anhören, Mylord. Ihr habt das junge Mädchen verführt, Ihr habt die Unglückliche beschmutzt, mißhandelt. Macht Eure Verbrechen gegen sie wieder gut; laßt sie frei ziehen, und ich werde nichts Anderes von Euch fordern.«

»Ihr werdet nicht fordern?« sprach Buckingham, Felton mit Erstaunen anschauend und auf jede Silbe der vier Worte, die er sprach, einen besonderen Nachdruck legend.

»Mylord,« fuhr Felton fort, der immer aufgeregter wurde, je länger er sprach, »ganz England ist Eurer Frevel müde, Mylord, Ihr habt die königliche Gewalt, die Ihr an Euch gerissen, mißbraucht, Mylord, Ihr seid Gott und den Menschen zum Abscheu. Gott wird Euch später bestrafen, aber ich, ich bestrafe Euch heute.«

»Ah, das ist zu stark,« rief Buckingham mit einem Schritte gegen die Thüre.

Felton versperrte ihm den Weg.

»Ich bitte Euch in Demuth: unterzeichnet den Freilassungsbefehl von Lady Winter. Bedenkt, daß es die Frau ist, sie Ihr entehrt habt.«

»Entfernt Euch, Herr,« sagte Buckingham, »oder ich rufe und lasse Euch von meinen Leuten wegjagen.«

»Ihr werdet nicht rufen,« sagte Felton und warf sich zwischen den Herzog und die Glocke, welche auf einem mit Silber eingelegten Tischchen stand. »Nehmt Euch in Acht, Mylord, Ihr seid jetzt in den Händen Gottes.«

»In den Händen des Teufels, wollt Ihr sagen!« rief Buckingham, die Stimme verstärkend, um Leute herbeizuziehen, ohne diese jedoch unmittelbar aufzufordern.

»Unterzeichnet, Mylord, unterzeichnet die Freigebung von Lady Winter,« sagte Felton und stieß ein Papier vor den Herzog.

»Gewalt? scherzt Ihr? Holla, Patrick!«

»Unterzeichnet Mylord!«

»Nie!«

»Nie?«

»Herbei!« rief der Herzog und lief zu gleicher Zeit nach seinem Degen.

Aber Felton ließ ihm nicht Zeit, ihn zu ziehen; er hielt ganz entblößt und unter seinem Wams verborgen das Messer, mit dem sich Mylady gestochen hatte. Mit einem Sprunge war er an dem Herzog.

In diesem Augenblick trat Patrick in den Saal und rief:

»Mylord, ein Brief von Frankreich.«

»Von Frankreich!« sprach der Herzog, der jetzt Alles um sich her vergaß und nur daran dachte, von wem wohl dieser Brief komme.

Felton benützte diesen Augenblick und stieß ihm das Messer bis ans Heft in die Seite.

»Ha, Verräther!« schrie Buckingham, »Du hast mich ermordet.« »Mörder! Mörder!« heulte Patrick.

Felton warf seine Blicke umher, um zu entfliehen. Als er die Thüre geöffnet sah, stürzte er in das anstoßende Zimmer, wo erwähntermaßen die Abgeordneten von La Rochelle warteten, eilte durch dieses und lief nach der Treppe. Aber auf der ersten Stufe begegnete er Lord Winter, der ihn, als er ihn bleich, verstört, leichenfarbig, an der Hand und im Gesicht mit Blut befleckt, herabstürzen sah, an der Gurgel faßte, und ihm zurief:

»Ich wußte es! ich hatte es geahnt. Eine Minute zu spät! Oh! ich Unglücklicher! ich Unglücklicher!«

Felton leistete keinen Widerstand. Lord Winter übergab ihn den Wachen, die ihn bis auf weitere Befehle auf eine kleine, das Meer beherrschende, Terrasse führten, und eilte selbst in das Cabinet Buckinghams.

Bei des Herzogs Geschrei, bei dem Rufe Patricks lief der Mann, welchen Felton im Vorzimmer getroffen hatte, hastig in das Cabinet. Er fand den Herzog auf einem Sopha ausgestreckt, die Wunde mit krampfhafter Hand zudrückend.

»La Porte,« sprach der Herzog mit sterbender Stimme, »La Porte, kommst Du von ihr?«

»Ja, gnädigster Herr,« antwortete der getreue Diener Annas von Oesterreich, »aber vielleicht zu spät.«

»Stille, La Porte! man könnte Euch hören. Patrick, laß Niemand herein. Oh! ich soll nicht erfahren, was sie mir sagen läßt. Mein Gott, ich sterbe!«

Und der Herzog fiel in Ohnmacht.

Indessen waren Lord Winter, die Abgeordneten, die Anführer der Expedition, die Beamten des Hauses Buckingham in sein Zimmer eingedrungen. Ueberall erscholl ein Geschrei der Verzweiflung. Die Nachricht, welche den Palast mit Klagen und Seufzen erfüllte, wurde bald ruchbar und verbreitete sich in der Stadt.

Lord Winter raufte sich die Haare aus.

»Um eine Minute zu spät!« rief er, »um eine Minute zu spät! O mein Gott, welch ein Unglück!«

Man hatte ihm wirklich Morgens um sieben Uhr gemeldet, eine Strickleiter hänge an einem der Fenster des Schlosses. Er war sogleich in Myladys Zimmer gelaufen, hatte dieses leer, das Fenster offen und die Gitterstangen durchsägt gefunden. Er erinnerte sich wieder, was ihm d’Artagnan durch seinen Boten mündlich empfohlen hatte. Er zitterte für den Herzog, lief in den Stall, ohne sich Zeit zu nehmen, ein Pferd satteln zu lassen, bestieg das nächste beste, eilte im stärksten Galopp davon, sprang im Hofe herab, eilte die Treppe hinauf und begegnete, wie wir erzählten, Felton auf der ersten Stufe.

Der Herzog war jedoch nicht tot. Er kam wieder zu sich, öffnete die Augen und Alle waren mit neuer Hoffnung belebt.

»Meine Herren,« sagte er, »laßt mich mit Patrick und La Porte allein … Ah! Ihr seid es, Lord Winter! Ihr habt mir diesen Morgen einen seltsamen Narren geschickt; seht den Zustand, in welchen er mich versetzt hat!«

»Oh! Mylord,« rief der Baron, »Mylord, ich werde mich nie zu trösten wissen.«

»Und Du hättest Unrecht, mein guter Winter,« erwiderte Buckingham und reichte ihm die Hand. »Ich kenne keinen Menschen, der es verdiente, von einem andern Menschen ein ganzes Leben hindurch beklagt zu werden. Aber ich bitte Dich, laß uns allein.«

Der Baron entfernte sich schluchzend.

Es blieben nur noch der Verwundete, La Porte und Patrick. Man suchte einen Arzt und konnte ihn nicht finden.

»Ihr werdet leben, Mylord, Ihr werdet leben,« wiederholte vor dem Sopha des Herzogs knieend, der Bote Annas von Oesterreich.

»Was schreibt sie mir?« fragte der Herzog mit schwacher Stimme, von Blut triefend und furchtbare Schmerzen bewältigend, um von der Geliebten sprechen zu können. »Was schreibt sie mir? Lies mir ihren Brief vor!« – »Oh! Mylord!« rief La Porte. – »Nun, La Porte, siehst Du nicht, daß ich keine Zeit zu verlieren habe?«

La Porte erbrach das Siegel und legte dem Herzog das Pergament unter die Augen; aber Buckingham versuchte vergebens die Schrift zu unterscheiden.

»Lies doch,« sagte er, »lies doch. Ich sehe nichts mehr, lies doch, denn bald vielleicht werde ich auch nicht mehr hören und sterben, ohne zu erfahren, was sie mir geschrieben hat.«

La Porte machte keine Schwierigkeiten mehr und las:

»Mylord,

»Bei dem, was ich, seit ich Euch kenne, für Euch und durch Euch gelitten habe, beschwöre ich Euch, wenn Euch an meiner Ruhe etwas gelegen ist, die großen Rüstungen zu unterbrechen, welche Ihr gegen Frankreich ins Werk setzt, und einen Krieg aufzugeben, als dessen scheinbare Ursache man laut die Religion bezeichnet, während man ganz leise sagt, Eure Liebe für mich sei die verborgene Ursache. Dieser Krieg kann nicht nur für Frankreich und England große Katastrophen, sondern auch für Euch ein Unglück herbeiführen, über das ich mich nie mehr trösten würde.

»Wacht über Euer Leben, das man bedroht und das mir von dem Augenblicke an theuer sein wird, wo ich nicht mehr genöthigt bin, in Euch einen Feind zu sehen.

Eure wohlergebene
Anna

Buckingham raffte den ganzen Rest seines Lebens zusammen, um diesen Brief zu hören. Sobald er zu Ende war, fragte er, als hätte er eine bittere Enttäuschung darin gefunden:

»Habt Ihr mir nichts Anderes mündlich zu sagen, La Porte?«

»Allerdings, gnädiger Herr. Die Königin beauftragte mich Euch zu sagen, Ihr möget auf Eurer Hut sein, denn sie habe sichere Kunde, daß man Euch ermorden wolle.«

»Und das ist Alles? das ist Alles?« versetzte Buckingham ungeduldig.

»Sie hat mich auch noch beauftragt, Euch zu sagen, daß sie Euch stets liebe.«

»Ah!« rief Buckingham, »Gott sei gelobt! Mein Tod wird also für sie nicht der Tod eines Fremden sein.«

La Porte zerfloß in Thränen.

»Patrick,« sprach der Herzog, »bring mir das Kästchen, in welchem die diamantenen Nestelstifte eingeschlossen waren.«

Patrick brachte den verlangten Gegenstand, worin La Porte ein früheres Eigenthum der Königin erkannte.

»Jetzt das kleine Kissen von weißem Atlas, auf welches ihre Chiffre in Perlen gestickt ist.«

Patrick gehorchte abermals.

»Seht, La Porte,« sprach Buckingham, »das find die einzigen Pfänder, die ich von ihr besitze. Dieses silberne Kästchen und diese zwei Briefe. Ihr gebt sie Ihrer Majestät zurück und zum letzten Andenken … (er suchte einen kostbaren Gegenstand um sich her) … fügt Ihr …«

Er suchte abermals, aber seine durch den Tod verfinsterten Blicke begegneten nur dem Messer, das Feltons Händen entfallen war, und dessen Klinge noch von frischrothem Blute rauchte.

»Und Ihr fügt dieses Messer bei,« sprach der Herzog und drückte La Porte die Hand.

Er legte das kleine Kissen in das silberne Kästchen, ließ das Messer hineinfallen und machte La Porte ein Zeichen, daß er nicht mehr sprechen könne. Dann erfaßte ihn eine letzte krampfhafte Zuckung, die er nicht mehr zu bekämpfen vermochte, und er glitt vom Sopha auf den Boden herab.

Patrick stieß ein furchtbares Geschrei aus. Buckingham wollte zum letzten Mal lächeln, aber der Tod schlug seinen Gedanken in Fesseln und dieser blieb wie ein letztes Lebewohl auf seine Lippen und auf seine Stirne geprägt.

In diesem Augenblick traf der Arzt des Herzogs ganz verstört ein. Er war schon an Bord des Admiralschiffes gewesen, und man hatte sich genöthigt gesehen, ihn dort zu suchen.

Er näherte sich dem Herzog, nahm seine Hand, hielt sie einen Augenblick in der seinigen und ließ sie wieder fallen.

»Alles ist vergeblich,« sprach er, »er ist tot!«

»Tot! Tot!« rief Patrick.

Bei diesem Schrei drang der ganze Haufe wieder in den Saal und überall herrschte Bestürzung und Aufruhr.

Sobald Lord Winter Buckingham entseelt sah, lief er zu Felton zurück, den die Soldaten auf der Terrasse des Palastes bewachten.

»Elender,« sprach er zu dem jungen Manne, der seit dem Tode Buckinghams seine ganze Ruhe und Kaltblütigkeit wiedergewonnen hatte. »Elender, was hast Du gethan?«

»Ich habe mich gerächt,« antwortete er.

»Du!« rief der Baron, »sage, daß Du diesem verfluchten Weibe als Werkzeug gedient hast; aber ich schwöre Dir, dieses Verbrechen soll ihr letztes sein!«

»Ich weiß nicht, was Ihr damit sagen wollt,« entgegnete Felton ruhig, »und ich begreife nicht, von was Ihr sprechen wollt, Mylord: ich habe den Herzog von Buckingham getötet, weil er es Euch selbst zweimal abschlug, mich zum Kapitän zu ernennen. Ich habe ihn für seine Ungerechtigkeit bestraft, das ist das Ganze.«

Lord Winter schaute die Leute, welche Felton banden, erstaunt an und wußte nicht, was er von einer solchen Unempfindlichst denken sollte. Nur Eines lagerte sich wie eine Wolke auf Feltons Stirne. Bei jedem Tritt, den er hörte, glaubte der naive Puritaner den Tritt und die Stimme Myladys zu hören, welche komme, um sich in seine Arme zu werfen, sich mit ihm anzuklagen und dem Verderben zu überantworten.

Plötzlich bebte er. Sein Blick war auf einen Punkt im Meere gerichtet, das man von der Terrasse aus, auf welcher er sich befand, völlig beherrschte. Mit seinem seemännischen Adlerblick hatte er da, wo ein Anderer nur eine auf den Wellen sich wiegende Möve gesehen hätte, ein Segel erschaut, das nach der Küste Frankreichs steuerte. Er erbleichte, fuhr mit der Hand nach dem brechenden Herzen und begriff den ganzen Verrath.

»Eine letzte Gnade,« sagte er zu dem Baron. – »Welche?« fragte dieser. – »Wie viel Uhr ist es?« – »Neun Uhr.«

Mylady hatte ihre Abfahrt um anderthalb Stunden vorgerückt. Sobald sie den Kanonenschuß hörte, der ein unglückliches Ereigniß verkündigte, gab sie Befehl, die Anker zu lichten.

Die Barke schwamm in großer Entfernung von dem Gestade unter einem blauen Himmel.

»Es war so Gottes Wille,« sprach Felton, mit der Resignation des Fanatikers, jedoch ohne seine Augen von dem Fahrzeug losmachen zu können, an dessen Bord er ohne Zweifel das weiße Gespenst derjenigen zu unterscheiden glaubte, welcher sein Leben geopfert werden sollte.

Lord Winter folgte seinem Blicke, schaute in sein leidendes Antlitz und errieth Alles.

»Du sollst vorerst allein bestraft werden. Elender,« sagte der Lord zu Felton, der sich, die Augen nach der See gekehrt, wegführen ließ, »aber ich schwöre Dir bei dem Andenken an meinen Bruder, den ich unendlich liebte, daß Deine Mitschuldige nicht gerettet ist.«

Felton neigte das Haupt, ohne eine Silbe zu sprechen.

Der Baron aber stieg rasch die Treppe hinab und begab sich nach dem Hafen.

XXXII.

In Frankreich.

Als König Carl I. von England den Tod des Herzogs erfuhr, fürchtete er vor Allem, die Rocheller könnten durch diese furchtbare Nachricht entmuthigt werden, er suchte sie ihnen daher, wie die Memoiren des Kardinals sagen, so lang als möglich vorzuenthalten, ließ die Häfen in seinem ganzen Königreich schließen und sorgfältig darüber wachen, daß kein Schiff auslaufen konnte, bis das Heer, welches Buckingham ausrüstete, abgegangen wäre, und übernahm es, in Ermangelung Buckinghams, die Abfahrt in eigener Person zu leiten.

Er trieb die Strenge sogar so weit, daß er den Gesandten Dänemarks, der sich bereits verabschiedet hatte, und den Botschafter von Holland, der die indischen Schiffe, welche Carl I. den Vereinigten Niederlanden zurückgegeben, in den Hafen von Vließingen zurückführen sollte, in England zurückhielt.

Da er aber seinen Befehl erst fünf Stunden, nachdem die Sache vorgefallen war, das heißt gegen zwei Uhr Nachmittags erließ, so waren bereits zwei Schiffe aus dem Hafen ausgelaufen: das eine führte Mylady, welche das Ereigniß vermuthete und in ihrem Glauben noch bestätigt wurde, als sie die schwarze Flagge auf dem Admiral-Schiff sah.

Wen das zweite Schiff führte und wie es hinauskam, werden wir später mittheilen.

Während dieser Zeit ging nichts Neues im Lager von La Rochelle vor. Nur beschloß der König, der sich wie immer, im Lager aber vielleicht noch ein wenig mehr als anderswo, langweilte, das Fest des heiligen Ludwig incognito in Saint-Germain mitzumachen, und ersuchte den Kardinal, eine Eskorte von zwanzig Musketieren für ihn bereit zu halten. Der Kardinal, den die Langweile des Königs manchmal ansteckte, bewilligte mit großem Vergnügen seinem königlichen Lieutenant einen Urlaub, und dieser versprach ihm, am 15. September zurück zu sein.

Von Sr. Eminenz benachrichtigt, traf Herr von Treville Anstalt zur Reise, und da er, ohne die Ursache zu wissen, mit dem lebhaften Verlangen und sogar dem gebieterischen Bedürfniß seiner Freunde, nach Paris zurückzukehren, vertraut war, so bezeichnete er sie zur Theilnahme an der Eskorte.

Die vier jungen Leute erfuhren die Neuigkeit eine Viertelstunde nach Herrn von Treville, denn sie waren die ersten, denen er sie mittheilte. Jetzt erst wußte d’Artagnan die Gunst recht zu schätzen, die ihm der Kardinal dadurch bewilligt hatte, daß er ihn zu den Musketieren übertreten ließ. Ohne diesen Umstand hätte er im Lager zurückbleiben müssen, während seine Freunde reisten.

Man wird später sehen, daß das ungeduldige Verlangen, wieder nach Paris zu kommen, von der Furcht vor der Gefahr herrührte, der Madame Bonacieux preisgegeben sein mußte, wenn sie im Kloster von Bethune mit Mylady, ihrer Todfeindin, zusammen traf. Aramis hatte auch unmittelbar an Marie Michon, die Weißnätherin von Tours, welche sich so schöner Bekanntschaften erfreute, geschrieben, sie möchte von der Königin für Madame Bonacieux die Erlaubniß auswirken, das Kloster verlassen und sich nach Lothringen oder Belgien zurückziehen zu dürfen. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, und schon nach acht bis zehn Tagen hatte Aramis folgenden Brief empfangen:

»Mein lieber Vetter, Ihr erhaltet hier die Erlaubniß, unsere kleine Dienerin aus dem Kloster in Bethune zurückzuziehen, da ihr Eurer Ansicht nach die Luft daselbst nicht zuträglich ist; meine Schwester schickt Euch diese Erlaubniß mit großem Vergnügen, denn sie liebt das kleine Mädchen gar sehr und gedenkt ihr in der Folge nützlich zu sein.

»Ich umarme Euch.
Marie Michon.«

Diesem Brief war eine in folgenden Worten abgefaßte Vollmacht beigefügt:

»Die Superiorin des Klosters in Bethune wird der Person, welche ihr dieses Billet zustellt, die Novizin übergeben, die auf meine Empfehlung und unter meinem Patronat in ihr Kloster eingetreten ist.

»Im Louvre, den 10. August 1628. Anna

Man begreift, wie sehr die Verwandtschafts-Verhältnisse zwischen Aramis und einer Weißnähterin, welche die Königin ihre Schwester nannte, unsere Freunde belustigten; aber nachdem Aramis wiederholt bis unter das Weiße der Augen bei den plumpen Späßen von Porthos erröthet war, bat er seine Genossen, nie mehr auf diesen Gegenstand zurückzukommen, und erklärte zugleich, wenn man ihm noch ein Wort hierüber sagen sollte, so würde er seine Base nun und nimmermehr als Vermittlerin in solchen Angelegenheiten benützen.

Es war also nicht mehr von Marie Michon die Rede unter den vier Musketieren, welche übrigens in Händen hatten, was sie haben wollten, nämlich den Befehl, Madame Bonacieux aus dem Kloster der Karmeliterinnen in Bethune wegzunehmen. Dieser Befehl nützte ihnen allerdings nicht viel, so lange sie sich im Lager von La Rochelle, das heißt am andern Ende Frankreichs, befanden. Auch war d’Artagnan im Begriff, sich von Herrn von Treville, unter einfacher Andeutung der Wichtigkeit seiner Abreise, einen Urlaub zu erbitten, als ihm wie seinen Freunden die Nachricht ertheilt wurde, daß sich der König mit einer Eskorte von zwanzig Musketieren, worunter auch sie, nach Paris begeben würde.

Die Freude war groß. Man schickte die Bedienten mit dem Gepäcke voraus und zog am 16. Morgens ab.

Der Kardinal begleitete Se. Majestät von Surgères bis Maupes, und hier nahmen der König und sein Minister unter großen Freundschaftsbetheurungen von einander Abschied.

Obgleich der König, welcher Zerstreuung suchte, so schnell als es ihm möglich war, reiste, denn er wollte am 23. in Paris sein, hielt er doch von Zeit zu Zeit stille, um die Elster beizen zu sehen, ein Vergnügen, wofür er stets eine große Vorliebe hegte. Von den zwanzig Musketieren freuten sich immer sechszehn, wenn dies der Fall war, über die Ruhe, welche dann eintrat, aber vier murrten gewaltig. D’Artagnan besonders hatte ein beständiges Summen in den Ohren, was Porthos also erklärte:

»Eine sehr vornehme Dame hat mich belehrt, dies bedeute, daß man irgendwo von Dir spreche.«

Endlich am 23. in der Nacht zog die Eskorte durch Paris, der König dankte Herrn von Treville und bevollmächtigte ihn, Urlaube auf vier Tage unter der Bedingung zu ertheilen, daß sich keiner von den Begünstigten bei Strafe der Bastille an einem öffentlichen Ort sehen lasse.

Die vier ersten Urlaube, welche bewilligt wurden, erhielten, wie sich leicht denken läßt, unsere vier Freunde. Athos erhielt sogar sechs Tage statt vier, und ließ diesen sechs Tagen noch zwei Nächte beifügen, denn sie reisten am 24. Abends fünf Uhr ab, und Herr von Treville stellte den Urlaub vom Morgen des 25. aus.

»Ei! mein Gott,« sprach d’Artagnan, der bekanntlich nie an Etwas verzweifelte, »wir machen viel Wesens um eine ganz einfache Sache; wir reiten ein paar Pferde zu Tode, was liegt daran? ich habe Geld; in zwei Tagen bin ich in Bethune, überreiche der Superiorin den Brief der Königin und führe den theuren Schatz, den ich suche, nicht nach Belgien, nicht nach Lothringen, sondern nach Paris, wo er besser verborgen sein wird, besonders so lange der Herr Kardinal vor La Rochelle liegt. Sind wir einmal aus dem Felde zurück, so erhalten wir von der Königin, halb durch die Protektion ihrer Base, halb für die Dienste, die wir ihr persönlich geleistet haben. Alles was wir wollen. Bleibt also hier und erschöpft Euch nicht durch unnütze Anstrengungen. Ich und Planchet genügen für eine so einfache Expedition.«

Hierauf erwiderte Athos ruhig: »Wir besitzen auch Geld, denn ich habe den Rest des Diamants noch nicht ganz vertrunken, und Porthos und Aramis haben ihn noch nicht ganz verspeist. Wir werden also eben so gut vier Pferde, als eines zu Tode reiten. Aber bedenkt, d’Artagnan,« fügte er mit so finsterer Betonung bei, daß dieser von einem Schauer ergriffen wurde, »bedenkt, daß Bethune eine Stadt ist, wo der Kardinal einer Frau Rendezvous gegeben hat, welche, wohin sie auch geht, stets Unglück mit sich bringt. Wenn Ihr nur mit vier Männern zu thun hättet, d’Artagnan, so ließe ich Euch allein ziehen. Ihr habt es aber mit einem Weibe zu thun, darum laßt uns zu vier ausziehen, und möge es Gott gefallen, daß wir mit unsern vier Bedienten die hinreichende Zahl bilden.«

»Ihr erschreckt mich, Athos!« rief d’Artagnan; »mein Gott! was fürchtet Ihr denn?« – »Alles!« antwortete Athos.

D’Artagnan schaute die Gesichter seiner Freunde forschend an; auf allen trat, wie bei Athos, das Gepräge tiefer Unruhe scharf hervor, und man setzte den Ritt in großer Eile, aber ohne ein Wort zu sprechen fort.

Als sie am 25. in Arras anlangten, und d’Artagnan vor dem Gasthaus zur goldenen Egge abstieg, um ein Glas Wein zu trinken, kam ein Reiter aus dem Posthof, wo er die Pferde gewechselt hatte, und sprengte mit verhängtem Zügel auf der Straße nach Paris fort. Im Augenblick, wo er durch das große Thor in die Straße ritt, öffnete der Wind den Mantel, in den er sich gehüllt hatte, obgleich man erst im Monat August war, und lüpfte seinen Hut, den der Reisende mit der Hand faßte und rasch wieder in die Stirne drückte.

D’Artagnan heftete seinen Blick auf diesen Menschen, erbleichte, und ließ sein Glas fallen.

»Was habt Ihr, gnädiger Herr?« fragte Planchet. »Holla! herbei, meine Herren, mein Gebieter wird unwohl!«

Die drei Freunde liefen herbei, und fanden d’Artagnan, der, statt sich übel zu befinden, nach seinem Pferde eilte. Sie hielten ihn auf der Schwelle zurück.

»Wo, des Teufels, willst Du denn hin?« rief ihm Athos zu.

»Er ist es!« erwiderte d’Artagnan bleich vor Zorn und mit schweißtriefender Stirne; »er ist es, laßt mich ihn einholen.« – »Wer denn?« – »Er! dieser Mensch!« – »Welcher Mensch?«

»Dieser verfluchte Mensch, mein böser Genius, dem ich stets begegnete, wenn ich von einem Unglück bedroht war, derjenige, welcher die furchtbare Frau begleitete, als ich sie zum ersten Male erblickte; derjenige, welchen ich suchte, als ich unsern Freund Athos herausforderte; derjenige, welchen ich an demselben Morgen gewahr wurde, wo man Madame Bonacieux entführte; ich habe ihn gesehen, er ist es! der Mann von Meung, ich habe ihn wieder erkannt, als der Wind seinen Mantel öffnete.«

»Teufel!« sprach Athos träumerisch.

»Zu Pferde! meine Herren, zu Pferde! wir wollen ihn verfolgen und werden ihn sicherlich einholen.«

»Mein Lieber,« sagte Aramis, »bedenkt, daß er in der entgegengesetzten Richtung von uns reitet, daß er ein frisches Pferd hat und daß unsere Pferde ermüdet sind, daß wir folglich unsere Pferde, ohne die geringste Hoffnung ihn zu erreichen, zu Tode reiten werden. Lassen wir also den Mann, d’Artagnan, und retten wir die Frau.«

»He, Herr!« rief ein Stallknecht, der dem Unbekannten nachlief. »He, Herr, hier ist ein Papier, das aus Eurem Hute fiel. He, Herr, he!«

»Mein Freund,« sprach d’Artagnan, »eine halbe Pistole für dieses Papier.«

»Meiner Treu, Herr, mit dem größten Vergnügen.«

Entzückt über den guten Tagelohn, den er gemacht hatte, kehrte der Stallknecht in den Hof des Wirthshauses zurück; d’Artagnan entfaltete das Papier.

»Nun?« fragten seine Freunde lauschend.

»Ein einziges Wort!« antwortete d’Artagnan.

»Ja,« sagte Aramis, »aber dieses Wort ist der Name einer Stadt.«

» Armentières,« las Porthos. »Armentières, ich kenne das nicht.«

»Und der Name dieser Stadt ist von ihrer Hand geschrieben.«

»Wir wollen das Papier sorgfältig bewahren,« sprach d’Artagnan. »Meine halbe Pistole ist vielleicht nicht verloren. Zu Pferde, meine Freunde, zu Pferde!«

Und die vier Gefährten sprengten im Galopp auf der Straße nach Bethune fort.

XXXIII.

Das Kloster der Karmeliterinnen in Bethune.

Die großen Verbrecher tragen eine Art von Vorherbestimmungen mit sich, durch welche sie alle Hindernisse zu überwinden vermögen und allen Gefahren entgehen, bis zu dem Augenblick, den die Vorsehung als Klippe ihres frevelhaften Glücks bezeichnet hat.

Dies war bei Mylady der Fall. Sie fuhr mitten durch die Kreuzer der beiden Nationen und gelangte ohne irgend einen Unfall nach Boulogne.

Als sich Mylady in Portsmouth ausschiffte, war sie eine durch die Verfolgungen Frankreichs aus La Rochelle vertriebene Engländerin. Nach einer zweitägigen Fahrt sich in Boulogne ausschiffend, gab sie sich für eine Französin aus, welche die Engländer in Portsmouth aus Franzosenhaß mißhandelten.

Mylady trug übrigens den wirksamsten aller Pässe bei sich: ihre Schönheit und die Freigebigkeit, mit der sie die Pistolen ausstreute. Von den gebräuchlichen Formalitäten durch das höfliche Lächeln und die galanten Manieren eines alten Hafengouverneurs befreit, der ihr die Hände küßte, hielt sie sich in Boulogne nur so lange auf, bis sie einen in folgenden Worten abgefaßten Brief auf die Post gegeben hatte.

»An Seine Eminenz, Monseigneur Kardinal von Richelieu, im Lager von La Rochelle.

»Monseigneur, Ew. Eminenz mag unbesorgt sein. Seine Herrlichkeit der Herzog von Buckingham wird nicht nach Frankreich abgehen.

Boulogne den 25. Abends.                                Mylady ***.«

»N. S. Nach dem Wunsche Eurer Eminenz begebe ich mich in das Kloster der Karmeliterinnen in Bethune, wo ich weiteren Befehlen entgegen sehe.«

Mylady begab sich wirklich noch an demselben Abend auf den Weg.

Die Nacht überfiel sie. Sie sah sich genöthigt anzuhalten und schlief in einem Gasthof. Am andern Morgen um fünf Uhr reiste sie wieder ab und hatte nach drei Stunden Bethune erreicht.

Sie ließ sich das Kloster der Karmeliterinnen zeigen und verfügte sich sogleich nach demselben. Die Superiorin kam ihr entgegen. Mylady wies ihr den Befehl des Kardinals. Die Aebtissin ließ ihr ein Zimmer geben und ein Frühstück vorsetzen.

Alles Vergangene hatte sich vor den Augen dieser Frau verwischt, und den Blick auf die Zukunft gerichtet, sah sie nur das hohe Glück, das ihr der Kardinal vorbehielt, den sie so gut bedient hatte, ohne daß sein Name irgendwie in diese blutige Angelegenheit gemischt war. Die stets neuen Leidenschaften, welche sie verzehrten, gaben ihrem Leben Aehnlichkeit mit jenen Wolken, die am Himmel aussteigen, ein Wiederschein bald von Azur, bald von Feuer, bald von der schwarzen Farbe des Sturmes sind und keine andere Spuren als Verwüstung und Tod zurücklassen.

Nach dem Frühstück machte ihr die Aebtissin ihren Besuch. Im Kloster gibt es wenig Zerstreuungen, und es drängte die gute Vorsteherin, bald Bekanntschaft mit ihrer neuen Kostgängerin anzuknüpfen.

Mylady wollte der Aebtissin gefallen, und dies war etwas Leichtes für eine Frau von so hervorragenden Eigenschaften. Sie versuchte es, liebenswürdig zu sein: sie war bezaubernd und verführte die Superiorin durch ihr wechselreiches Gespräch und durch die über ihre ganze Person ausgegossene Anmuth.

Die Aebtissin, eine Tochter aus adeligem Hause, liebte besonders die Hofgeschichten, welche so selten in die Klostermauern gelangen, an deren Schwelle das Geräusch der Welt erstirbt.

Mylady dagegen war sehr auf dem Laufenden mit allen aristokratischen Intriguen, in deren Mitte sie fünf bis sechs Jahre beständig gelebt hatte. Sie fing also an, der guten Aebtissin von den weltlichen Ränken und Geschichten des Hofes von Frankreich, sowie den übertriebenen Andachtsübungen des Königs zu erzählen. Sie lieferte ihr die Scandalchronik der vornehmen Herren und Damen des Hofes, welche die Aebtissin dem Namen nach kannte, berührte obenhin die Liebschaft der Königin mit Buckingham und sprach viel, damit man ein wenig sprechen möchte.

Aber die Aebtissin begnügte sich zu hören und zu lächeln, und antwortete nicht. Da Mylady jedoch sah, daß diese Art von Erzählungen sie sehr zu ergötzen schien, so fuhr sie fort, lenkte aber das Gespräch auf den Kardinal.

Dabei gerieth sie jedoch in große Verlegenheit, denn sie wußte nicht, ob die Aebtissin Royalistin oder Kardinalistin war. Sie hielt sich deshalb in einer klugen Mitte. Aber die Aebtissin, welche ihrerseits eine noch klügere Zurückhaltung beobachtete, beschränkte sich darauf, eine tiefe Verbeugung mit dem Kopfe zu machen, so oft die Reisende den Namen Seiner Eminenz aussprach.

Mylady fing an zu glauben, sie würde sich in diesem Kloster gewaltig langweilen. Sie beschloß daher, etwas zu wagen, um sogleich zu erfahren, woran sie sich zu halten hatte. Da sie wissen wollte, wie weit die Discretion der Aebtissin ging, begann sie sehr verblümt über den Kardinal loszuziehen; dann rückte sie näher und erzählte von den Liebschaften des Ministers mit Frau von Aiguillon, mit Marion de Lorme und einigen andern galanten Damen.

Die Aebtissin hörte aufmerksam zu, belebte sich allmählig und lächelte.

»Gut,« sagte Mylady zu sich selbst, »sie findet Geschmack an meiner Unterhaltung. Ist sie eine Kardinalistin, so treibt sie es wenigstens nicht fanatisch.«

Dann ging sie auf die Verfolgungen über, welche sich der Kardinal gegen seine Feinde zu Schulden kommen ließ. Die Aebtissin beschränkte sich darauf, sich zu bekreuzigen, ohne zu billigen oder zu mißbilligen. Dies bestätigte Mylady in ihrer Meinung, daß die Nonne mehr Royalistin als Kardinalistin sei. Mylady trug immer dicker auf.

»Ich bin sehr unwissend in allen diesen Verhältnissen,« sagte die Aebtissin endlich, »aber wie ferne wir auch vom Hofe leben, wie sehr wir auch außerhalb der weltlichen Interessen gestellt sind, so haben wir doch äußerst traurige Beispiele von der Wahrheit dessen, was Ihr uns da erzählt, und eine unserer Kostgängerinnen hat viel unter der Rache und den Verfolgungen des Herrn Kardinals gelitten.«

»Eine Eurer Kostgängerinnen?« fragte Mylady. »O mein Gott! die arme Frau! wie sehr beklage ich sie!«

»Und Ihr habt Recht, denn sie ist sehr zu beklagen. Gefängniß, Drohungen, Mißhandlungen, Alles mußte sie ausstehen. Aber im Ganzen,« versetzte die Aebtissin, »hatte der Herr Kardinal vielleicht triftige Gründe so zu handeln, und obgleich sie wie ein Engel aussieht, so darf man die Menschen doch nicht nach ihrem Gesichte beurtheilen.«

»Gut,« sagte Mylady zu sich selbst, »wer weiß? ich entdecke vielleicht hier etwas.«

Und sie verlieh ihren Zügen einen Ausdruck vollkommener Unschuld.

»Ach, ich weiß wohl,« sprach Mylady, »man sagt, es sei den Physiognomien nicht zu trauen. Aber wem sollte man denn Glauben schenken, wenn nicht dem schönen Werke des Herrn? Ich für meine Person werde vielleicht mein ganzes Leben lang getäuscht werden; aber stets werde ich einer Person trauen, deren Gesicht mir Mitgefühl einflößt.«

»Ihr seid also versucht, diese junge Frau für unschuldig zu halten?« fragte die Aebtissin.

»Der Herr Kardinal bestraft nicht allein die Verbrechen,« erwiderte Mylady; »es gibt gewisse Tugenden, die er noch heftiger verfolgt, als gewisse Frevel.«

»Erlaubt mir, Madame, Euch mein Erstaunen auszudrücken,« sagte die Aebtissin. – »Und worüber?« fragte Mylady naiv.

»Ueber die Sprache, die Ihr führt.«

»Was findet Ihr denn Wunderbares an dieser Sprache?« fragte Mylady lächelnd.

»Ihr seid die Freundin des Kardinals, da er Euch hierher schickt, und dennoch …«

»Und dennoch spreche ich Schlimmes von ihm,« versetzte Mylady, den Gedanken der Superiorin vollendend.

»Wenigstens sagt Ihr nichts Gutes von ihm.«

»Dies geschieht, weil ich nicht seine Freundin, sondern sein Opfer bin,« erwiderte sie seufzend.

»Doch diesen Brief, durch den er Euch mir empfiehlt…«

»Ist ein Befehl für mich, in einer Art von Gefängniß zu verharren, bis er mich durch seine Schergen …«

»Aber warum habt Ihr Euch nicht geflüchtet?«

»Wohin sollte ich gehen? Glaubt Ihr, es gebe irgend einen Ort der Erde, wohin der Kardinal nicht reichen könnte, wenn er sich die Mühe geben will seinen Arm auszustrecken? Wäre ich ein Mann, so dürfte dies noch möglich sein, aber eine Frau! … Was sollte ich als Frau machen? Hat die junge Kostgängerin, die Ihr bei Euch habt, zu entfliehen versucht?«

»Nein, das ist wahr; doch bei ihr ist es etwas Anderes. Sie wird, wie ich glaube, durch irgend eine Liebschaft in Frankreich zurückgehalten.«

»Wenn sie liebt,« sprach Mylady mit einem Seufzer, »ist sie nicht ganz unglücklich.«

»Also sehe ich,« fragte die Aebtissin, und schaute Mylady mit wachsender Theilnahme an, »also sehe ich abermals eine arme Verfolgte vor mir?«

»Ach ja,« antwortete Mylady.

Die Aebtissin betrachtete Mylady einen Augenblick mit großer Unruhe, als ob ein neuer Gedanke in ihrem Geist rege geworden wäre.

»Ihr seid keine Feindin unseres heiligen Glaubens,« sprach sie stammelnd.

»Ich,« rief Mylady, »ich eine Protestantin? Oh nein! ich rufe Gott zum Zeugen an, daß ich im Gegentheil eine eifrige Katholikin bin.«

»Dann, Madame,« sprach die Aebtissin lächelnd, »dann möget Ihr Euch beruhigen; denn das Haus, in welchem Ihr Euch befindet, soll kein harter Kerker für Euch sein, und wir werden Alles thun, was in unsern Kräften liegt, um Eure Gefangenschaft angenehm zu machen. Ueberdies findet Ihr hier die junge Frau, welche ohne Zweifel wegen einer Hofintrigue verfolgt wird. Sie ist liebenswürdig, anmuthig, und wird Euch gefallen.«

»Wie heißt sie?«

»Sie ist mir von einer sehr hochgestellten Person unter dem Namen Ketty empfohlen worden. Ich habe ihren andern Namen nicht zu erfahren gesucht.«

»Ketty!« rief Mylady. »Seid Ihr dessen gewiß?«

»Daß sie sich so nennen läßt? Ja, Madame. Solltet Ihr sie etwa kennen?«

Mylady lächelte bei dem Gedanken, diese junge Frau könnte ihre ehemalige Zofe sein. In die Erinnerung an dieses Mädchen mischte sich eine Erinnerung des Zorns, und die Rachgier verstörte schnell Myladys Züge, welche jedoch beinahe in demselben Augenblicke den ruhigen, wohlwollenden Ausdruck wieder annahmen, den diese Frau mit den hundert Gesichtern ihnen zuvor verliehen hatte.

»Und wann könnte ich diese junge Dame sehen, für welche ich bereits eine so große Sympathie in mir fühle?« fragte Mylady.

»Diesen Abend,« erwiderte die Aebtissin, »noch heute. Aber Ihr reist seit vier Tagen, wie Ihr mir selbst sagt, seid heute Morgen um fünf Uhr aufgestanden und müßt der Ruhe bedürfen. Legt Euch nieder und schlaft. Zur Stunde des Mittagessens werden wir Euch erwecken.«

Obgleich Mylady, unterstützt durch alle Aufregungen, welche ein neues Abenteuer in ihrem nach Intriguen gierigen Gemüthe erzeugte, leicht den Schlaf hätte entbehren können, so nahm sie doch nichts destoweniger das Anerbieten der Superiorin an. Seit zehn bis vierzehn Tagen hatte sie so verschiedene Gemüthsbewegungen durchlebt, daß, wenn auch ihr eiserner Körper die Anstrengungen zu ertragen vermochte, ihre Seele doch der Ruhe bedurfte.

Sie nahm also von der Aebtissin Abschied und legte sich, sanft gewiegt durch Rachegedanken, auf die der Name Ketty sie gebracht hatte, zu Bette. Sie erinnerte sich des beinahe unbegrenzten Versprechens, das der Kardinal ihr gegeben hatte, falls sie ihre Unternehmungen glücklich zu Ende führte. Es war ihr geglückt und somit konnte sie sich an d’Artagnan rächen.

Eines jedoch erschreckte Mylady, das Andenken an ihren Gatten, den Grafen La Fère, den sie todt, oder wenigstens aus dem Vaterland entfernt geglaubt hatte, nun aber in Athos, dem besten Freund d’Artagnans, wiederfand.

Aber wenn er der Freund d’Artagnans war, so mußte er ihm auch in allen seinen Handlungen, wodurch er den Plan Seiner Eminenz vereitelt hatte, Beistand geleistet haben; wenn er der Freund d’Artagnans war, so war er der Feind des Kardinals, und ohne Zweifel würde es ihr gelingen, ihn in dasselbe Rachewerk zu verstricken, in welchem der junge Musketier seinen Untergang finden sollte.

Alle ihre Aussichten waren angenehme Gedanken für Mylady. Sanft von diesen gewiegt, entschlummerte sie bald.

Sie wurde durch eine weiche Stimme erweckt, die am Fuße ihres Bettes ertönte. Mylady öffnete die Augen und sah die Aebtissin in Begleitung einer jungen Person mit blonden Haaren und zartem Teint, welche einen Blick voll wohlwollender Neugierde auf sie heftete.

Das Gesicht dieser jungen Person war ihr völlig unbekannt. Beide schauten sich prüfend und mit ängstlicher Aufmerksamkeit an, während sie die üblichen Höflichkeiten austauschten. Beide waren sehr schön, aber von verschiedenartiger Schönheit. Mylady lächelte jedoch, als sie erkannte, daß sie selbst in Bezug auf vornehmes Aussehen und aristokratische Manieren bei Weitem den Vorzug hatte.

Die Aebtissin stellte sie einander vor, und nachdem dieser Förmlichkeit Genüge geleistet war, ließ sie die beiden jungen Frauen allein, da ihre Pflichten sie in die Kirche riefen.

Da die Novize sah, daß Mylady im Bette lag, so wollte sie der Superiorin folgen; aber Mylady hielt sie zurück.

»Wie, Madame,« sprach sie, »kaum habe ich Euch erblickt, und Ihr wollt mich bereits wieder Eurer Gegenwart berauben, auf die ich, ich gestehe es, für die Dauer meiner Anwesenheit an diesem Orte ein wenig rechnete.«

»Nein, Madame,« antwortete die Novize, »ich glaubte nur, die Zeit schlecht gewählt zu haben. Ihr schlieft, Ihr seid müde.«

»Wohl,« erwiderte Mylady, »was können schlafende Menschen Besseres erwarten, als ein gutes Erwachen? Dieses Erwachen habt Ihr mir gegeben. Laßt es mich nach meinem Wohlgefallen genießen.«

Und hierauf nahm sie die junge Person bei der Hand und zog sie auf einen Stuhl, der in der Nähe ihres Bettes stand.

Die Novize setzte sich.

»Mein Gott,« sprach sie, »wie unglücklich ich bin! Ich befinde mich nun sechs Monate hier ohne einen Schatten von Zerstreuung; Ihr kommt; Eure Gegenwart sollte für mich eine liebliche Gefährtin sein, und wahrscheinlich habe ich nun in den nächsten Augenblicken das Kloster zu verlassen.«

»Wie?« sprach Mylady, »Ihr geht also bald von hier?«

»Wenigstens hoffe ich es,« erwiderte die Novize mit einem freudigen Ausdruck, den sie nicht im Mindesten zu verbergen bemüht war.

»Ihr habt, wie ich höre, durch den Kardinal gelitten,« fuhr Mylady fort. »Das ist ein weiterer Grund der Sympathie zwischen uns.«

»Also ist das, was mir unsre gute Mutter gesagt hat, eine Wahrheit? Ihr seid ebenfalls ein Opfer des Kardinals?«

»Still,« entgegnete Mylady, »selbst hier dürfen wir nicht so von ihm sprechen. Mein ganzes Unglück kommt davon her, daß ich ungefähr das, was ihr so eben sagtet, in Gegenwart einer Frau äußerte, die ich für meine Freundin hielt und die mich verrieth. Und Ihr, seid Ihr auch ein Opfer des Verraths?«

»Nein,« antwortete die Novize, »sondern meiner Anhänglichkeit an eine Frau, die ich liebte, für die ich das Leben hingegeben hätte, für die ich es noch hingeben würde.«

»Und die Euch verlassen hat, nicht wahr?«

»Ich war so ungerecht, dies zu glauben; aber seit ein paar Tagen habe ich den Beweis vom Gegenteil erlangt und danke Gott dafür. Es würde mich das Leben gekostet haben, wenn ich hätte glauben müssen, ich sei ganz und gar von ihr vergessen worden. Aber Ihr, Madame,« fuhr die Novize fort, »es scheint mir, Ihr seid frei, und wenn ihr fliehen wolltet, so würde es nur von Euch abhängen.«

»Wohin soll ich gehen, ohne Freunde, ohne Geld, in einer Gegend von Frankreich, die ich nicht kenne, wo …«

»Oh! rief die Novize, was die Freunde betrifft, Ihr werdet sie überall finden, wo Ihr wollt, denn ihr scheint so gut zu sein, und seid so schön!«

»Darum bin ich nicht minder allein und verfolgt,« fügte Mylady bei und versüßte ihr Lächeln, so daß es einen wahrhaft englischen Ausdruck annahm.

»Hört,« sprach die Novize, »man muß die Hoffnung auf den Himmel nicht aufgeben. Seht, es kommt immer ein Augenblick, wo das Gute, was wir gethan haben, vor Gott für unsre Sache spricht, und es ist vielleicht ein Glück für Euch, daß Ihr, so niedrig auch meine Stellung ist, so wenig ich Macht besitze, mich getroffen habt, denn wenn ich diesen Ort verlasse, nun, dann werde ich einige mächtige Freunde haben, die, nachdem sie für mich in’s Feld gezogen sind, auch für Euch zu Felde ziehen können.«

»Oh! wenn ich sagte, ich sei allein,« erwiderte Mylady, in der Hoffnung, die Novize zum Sprechen zu bringen, »so äußerte ich dies nicht, als ob ich nicht auch einige hohe Bekanntschaften hätte, sondern weil diese Bekanntschaften vor dem Kardinal zittern. Die Königin selber wagt es nicht, mir gegen diesen furchtbaren Minister beizustehen, und ich habe den Beweis, daß Ihre Majestät trotz ihres vortrefflichen Herzens mehr als einmal genöthigt gewesen ist, die Personen, welche ihr Dienste geleistet hatten, dem Zorn seiner Eminenz preiszugeben.«

»Glaubt mir, Madame, es kann bei der Königin den Anschein haben, als hätte sie diese Personen verlassen, aber man muß dem Schein nicht glauben; je mehr sie verfolgt werden, desto mehr denkt Ihre Majestät an sie, und in dem Augenblick, wo sie wähnen, die Königin denke am wenigsten an sie, erhalten sie oft den Beweis einer herzlichen Erinnerung.«

»Ach! ich glaube es wohl,« sprach Mylady. »Die Königin ist so gut!«

»Ihr kennt sie also, diese schöne und edle Königin, da Ihr so von ihr sprecht!« rief die Novize begeistert.

»Das heißt,« versetzte Mylady, in ihren Verschanzungen bedrängt, »ich habe nicht die Ehre, sie persönlich zu kennen, aber ich kenne viele von ihren vertrautesten Freunden. Ich kenne Herrn von Putange; ich habe in England Herrn Dujart kennen gelernt; ich kenne Herrn von Treville.«

»Herrn von Treville!« rief die Novize, »Ihr kennt Herrn von Treville?«

»Ja vollkommen, sehr gut sogar.«

»Den Kapitän der Musketiere des Königs?«

»Den Kapitän der Musketiere des Königs.«

»Oh! nun werdet Ihr sehen,« sprach die Novize, »daß wir sogleich ganz gut mit einander bekannt, ja beinahe Freundinnen sein werden. Wenn Ihr Herrn von Treville kennt, so müßt Ihr in seinem Hause gewesen sein.«

»Oft,« antwortete Mylady, welche die Lüge bis zum Ende führen wollte, als sie bemerkte, daß sie auf diesem Weg zum Ziele kam.

»Ihr müßt bei ihm einige von seinen Musketieren gesehen haben?«

»Alle diejenigen, welche er gewöhnlich empfängt,« erwiderte Mylady, für welche dieses Gespräch ein wirkliches Interesse zu gewinnen anfing.

»Nennt mir einige von denen, die Ihr kennt, und Ihr werdet sehen, daß sie zu meinen Freunden gehören.«

»Ich kenne,« sprach Mylady etwas verlegen, »ich kenne Herrn von Louvigny, Herrn von Courtivon, Herrn von Ferussac.«

Die Novize ließ sie aussprechen; als sie aber sah, daß Mylady inne hielt, so fragte sie:

»Kennt Ihr nicht einen Edelmann Namens Athos?«

Mylady wurde so bleich, wie die Leintücher, in denen sie lag, und konnte sich, so sehr sie sich auch zu beherrschen wußte, eines Schreies nicht enthalten, während sie die Novize bei der Hand faßte und mit dem Blicke verschlang.

»Wie? was habt Ihr? Oh! mein Gott,« fragte die arme junge Frau, »habe ich etwas gesagt, was Euch verletzte?«

»Nein, aber der Name ist mir aufgefallen, weil ich diesen Mann ebenfalls kenne, und weil es mir seltsam vorkommt, daß ich Jemand finde, der so genau mit ihm bekannt ist.«

»O ja, sehr genau bekannt, und zwar nicht allein mit ihm, sondern auch mit seinen Freunden, den Herren Aramis und Porthos.«

»In der That? Auch sie kenne ich,« rief Mylady, welche eine eisige Kälte in ihr Herz dringen fühlte.

»Nun, wenn Ihr sie kennt, so müßt Ihr wissen, daß es gute und brave Kameraden sind. Warum wendet Ihr Euch nicht an sie, wenn Ihr der Hülfe bedürft?«

»Das heißt,« stammelte Mylady, »ich stehe mit keinem von ihnen in einer wirklichen Verbindung. Ich kenne sie, weil ich einen von ihren Freunden, Herrn d’Artagnan, von ihnen sprechen hörte.«

»Ihr kennt also Herrn d’Artagnan!« rief die Novize, die nun ihrerseits Mylady bei der Hand faßte und sie mit ihren Augen verschlang.

Dann sagte sie, als sie den seltsamen Ausdruck in Myladys Blick gewahr wurde: »Um Vergebung, Madame, in welcher Eigenschaft kennt Ihr ihn?« – »Wie meint Ihr?« sprach Mylady verlegen. »In der Eigenschaft eines Freundes.« – »Ihr täuscht mich, Madame,« versetzte die Novize, »Ihr seid seine Geliebte gewesen!« – »Ihr seid es gewesen, Madame,« entgegnete Mylady. – »Ich!« rief die Novize. – »O ja, Ihr; ich kenne Euch jetzt. Ihr seid Madame Bonacieux.«

Die junge Frau wich voll Staunen und Schrecken zurück.

»Oh! leugnet nicht, antwortet,« sprach Mylady.

»Nun ja, Madame, ich liebe ihn. Sind wir Nebenbuhlerinnen?«

Das Gesicht Myladys beleuchtete sich mit einem so wilden Feuer, daß Madame Bonacieux unter allen andern Umständen voll Angst entflohen wäre; aber jetzt wurde sie einzig und allein durch die Eifersucht beherrscht.

»Sprecht, laßt hören, Madame,« fuhr Frau Bonacieux mit einer Energie fort, deren sie gar nicht fähig schien. »Seid Ihr seine Geliebte gewesen?«

»O! nein!« rief Mylady mit einer Betonung, die keinen Zweifel an der Wahrheit dessen, was sie sagte, übrig ließ. »Nie! nie!«

»Ich glaube Euch,« sprach Madame Bonacieux, »aber warum dieser Schrei?«

»Wie, Ihr begreift nicht?« sagte Mylady, welche sich von ihrer Unruhe erholt und ihre ganze Geistesgegenwart wieder gewonnen hatte. – »Wie soll ich begreifen? ich weiß nichts.« – »Ihr begreift nicht, daß d’Artagnan, der mein Freund war, mich zu seiner Vertrauten gewählt hatte?« – »Wirklich?«

»Ihr begreift nicht, daß ich Alles weiß. Eure Entführung aus dem kleinen Hause in St. Germain, seine und seiner Freunde Verzweiflung, ihre Nachforschungen seit jenem Augenblick? Und ich soll nicht staunen, wenn ich mich so unvermuthet in Eurer Nähe befinde, nachdem wir so oft mit einander von Euch gesprochen haben, die er mit der ganzen Macht seiner Seele liebt, so daß auch ich Euch lieben mußte, noch ehe ich Euch gesehen hatte? Ach! theure Constance, endlich, endlich finde ich Euch!«

Und Mylady streckte ihre Arme nach Madame Bonacieux aus, welche nunmehr überzeugt war, und in dieser Frau, die sie einen Augenblick vorher für ihre Nebenbuhlerin gehalten hatte, nur noch eine ergebene und aufrichtige Freundin erblickte.

»Oh! vergebt mir! vergebt mir!« sagte sie und sank auf ihre Schulter, »ich liebe ihn so sehr!«

Die zwei Frauen hielten sich einen Augenblick umarmt. Wenn Myladys Kräfte ihrem Haß gleichgekommen wären, so würde diese Umarmung nur mit dem Tode von Madame Bonacieux geendigt haben. Aber da sie die junge Frau nicht ersticken konnte, so lächelte sie ihr zu.

»Oh! theure, schöne Kleine,« sagte Mylady, »wie glücklich bin ich. Euch zu sehen. Laßt mich Euch anschauen.« Und bei diesen Worten verschlang sie die Novize wirklich mit ihren Blicken. »Ja, Ihr seid es. Nach dem, was er mir von Euch gesagt hat, erkenne ich Euch zu dieser Stunde, ich erkenne Euch vollkommen.«

Die arme junge Frau konnte nicht ahnen, wie schrecklich es hinter dem Wall dieser reinen Stirne, hinter diesen schönen Augen, worin sie nur das Interesse des Mitleids las, zuging.

»Ihr wißt also, was ich gelitten habe,« sprach Madame Bonacieux, »da er Euch sein Leiden mitgetheilt hat. Aber für ihn dulden ist Glück.«

Mylady wiederholte mechanisch: »Ja, das ist Glück.«

Sie dachte an etwas Anderes.

»Und dann,« fuhr Madame Bonacieux fort, »ist mein Unglück seinem Ende nahe: morgen, diesen Abend vielleicht werde ich ihn wiedersehen, und dann besteht die Vergangenheit nicht mehr für mich.«

»Diesen Abend? morgen?« rief Mylady, durch diese Worte aus ihrer Träumerei gerissen. »Was wollt Ihr damit sagen? Erwartet Ihr vielleicht Nachrichten von ihm?« – »Ich erwarte ihn selbst.« – »Ihn selbst! D’Artagnan hier!« – »Ihn selbst.«

»Das ist unmöglich! Er befindet sich mit dem Kardinal bei der Belagerung von La Rochelle und wird erst nach der Einnahme der Stadt nach Paris zurückkehren.«

»Ihr glaubt dies, aber sagt: ist meinem d’Artagnan, diesem trefflichen und loyalen Edelmanns, etwas unmöglich?«

»Ah! ich kann es nicht glauben.«

»Nun, so lest doch,« sprach die unglückliche junge Frau, im Uebermaß ihrer Freude und ihres Stolzes, indem sie Mylady den Brief überreichte.

»Die Handschrift der Frau von Chevreuse!« sagte Mylady zu sich selbst. »Ich war überzeugt, daß mit dieser ein Einverständniß stattfand.«

Und sie las mit gierigen Blicken folgende Zeilen:

»Mein liebes Kind, haltet Euch bereit. Unser Freund wird Euch bald besuchen, und zwar nur, um Euch dem Gefängnisse zu entreißen, wo Ihr Euch Eurer Sicherheit wegen verborgen halten mußtet. Trefft Eure Vorkehrungen zur Reise und verzweifelt nie an uns.

»Unser vortrefflicher Gascogner hat sich so eben wieder brav und getreu gezeigt, wie immer. Sagt ihm, daß man ihm irgendwo für den Rath, den er ertheilt, sehr dankbar sei.«

»Ja, ja,« sprach Mylady, »ja, dieser Brief ist genau. Wißt Ihr vielleicht, worin dieser Rath besteht?«

»Nein; ich vermuthe nur, daß er die Königin von irgend einer Machination des Kardinals benachrichtigt hat.«

»Ja, so ist es ohne Zweifel,« erwiderte Mylady, gab den Brief Madame Bonacieux zurück und ließ ihr nachdenkendes Haupt auf die Brust sinken.

In diesem Augenblick hörte man den Galop eines Pferdes.

»Oh!« rief Madame Bonacieux, an das Fenster stürzend, »sollte er es sein?«

Mylady war vor Erstaunen in Stein verwandelt im Bette geblieben. Es begegneten ihr plötzlich so viele unerwartete Dinge, daß sie zum ersten Male den Kopf verlor.

»Er! er!« murmelte sie, »sollte er es sein?« Und sie verharrte mit starren Augen in ihrem Bette.

»Ach! nein,« sprach Madame Bonacieux, »es ist ein Mann, den ich nicht kenne. Es scheint, er kommt hieher; er reitet langsamer – er hält vor der Thüre – er läutet.«

Mylady sprang aus dem Bette.

»Seid Ihr gewiß, daß er es nicht ist?« sagte sie. – »O ja, ganz gewiß.« – »Ihr habt vielleicht schlecht gesehen?« – »Oh! ich würde ihn erkennen, wenn ich nur die Feder seines Hutes, das Ende seines Mantels erblickte.«

Mylady kleidete sich fortwährend an.

»Gleich viel, Ihr sagt, dieser Mann komme hieher?« – »Ja, er ist bereits in das Kloster eingetreten.« – »Das geschieht entweder Euret- oder meinetwegen.« – »O mein Gott! wie aufgeregt seht Ihr aus!« – »Ja, ich gestehe, ich hege nicht Euer Vertrauen, ich fürchte Alles von dem Kardinal!« – »Stille!« sagte Madame Bonacieux, »man kommt.«

Die Thüre öffnete sich wirklich und die Aebtissin trat ein.

»Kommt ihr von Boulogne?« fragte sie Mylady.

»Allerdings,« antwortete diese, indem sie ihre Kaltblütigkeit wieder zu erlangen suchte. »Wer fragt nach mir?«

»Ein Mann, der seinen Namen nicht nennen will, aber von dem Kardinal kommt.«

»Und mich sprechen will?« sagte Mylady.

»Der eine Dame sprechen will, welche von Boulogne eingetroffen sein soll.«

»Dann laßt ihn eintreten, Madame!«

»Oh! mein Gott, mein Gott!« rief Madame Bonacieux, »sollte es eine schlimme Kunde sein?« – »Ich befürchte es.« – »Ich lasse Euch mit diesem Fremden allein; aber sobald er sich entfernt hat, kehre ich mit Eurer Erlaubniß wieder zurück.«

»Ich bitte Euch darum.«

Die Aebtissin und Madame Bonacieux verließen das Zimmer.

Mylady blieb, die Augen auf die Thüre geheftet, allein. Bald hörte man Sporengeklirr auf der Treppe. Dann näherten sich Tritte: die Thüre wurde geöffnet und ein Mann erschien.

Mylady stieß einen Freudenschrei aus. Dieser Mann war der Graf von Rochefort, die ergebenste Seele Seiner Eminenz.

XXXIV.

Zwei Abarten von Teufeln.

»Ah!« riefen Rochefort und Mylady zugleich, »Ihr seid is?« – »Ja, ich bin es.« – »Und Ihr kommt?« fragte Mylady. – »Von La Rochelle. Und Ihr?« – »Von England.«

– »Buckingham?« – »Todt oder gefährlich verwundet. Als ich abreiste, ohne etwas von ihm erlangen zu können, ermordete ihn ein Fanatiker.« – »Ah,« sprach Rochefort lächelnd, »das ist ein äußerst glücklicher Zufall, worüber sich Seine Eminenz ungemein freuen wird. Habt Ihr ihn davon in Kenntniß gesetzt?« – »Ich habe ihm von Boulogne aus geschrieben. Aber wie kommt Ihr hieher?« – »Seine Eminenz war in Unruhe, und schickte mich aus, um Euch zu suchen.« – »Ich bin erst gestern hier angekommen.« – »Und was habt Ihr seit gestern gemacht?« – »Ich habe meine Zeit nicht verloren.« – »Oh! das kann ich mir wohl denken.« – »Wißt Ihr, wen ich hier getroffen habe?« – »Nein.« – »Rathet!« – »Wie soll ich?« – »Die junge Frau, welche die Königin dem Gefängniß entrissen hat.« – »Die Geliebte des kleinen d’Artagnan?« – »Ja, Madame Bonacieux, deren Zufluchtsstätte der Kardinal nicht kannte.« – »Nun,« sprach Rochefort, »das ist abermals ein Zufall, der dem andern die Stange halten kann. Der Herr Kardinal ist in der That ein vom Glücke begünstigter Mann.« – »Könnt Ihr Euch mein Erstaunen denken,« fuhr Mylady fort, »als ich mich dieser Frau gegenüber fand?« – »Kennt sie Euch?« – »Nein.« – »Dann hält sie Euch für eine Fremde?« – Mylady lächelte. »Ich bin ihre beste Freundin.« – »Bei meiner Ehre!« sprach Rochefort, »nur Ihr, meine liebe Gräfin, könnt solche Wunder bewirken.« – »Es geschah zur rechten Zeit, Chevalier,« sagte Mylady; »denn wißt Ihr, was vorgeht?« – »Nein.« – »Man will sie morgen oder übermorgen mit einem Befehl der Königin holen.« – »Wirklich? und wer dies?« – »D’Artagnan und seine Freunde.« – »In der That? Sie treiben es so arg, daß wir sie in die Bastille schicken müssen.« – »Warum ist dies nicht bereits geschehen?« – »Was wollt Ihr? Der Herr Kardinal hat für diese Menschen eine mir ganz unbegreifliche Vorliebe.« – »Wirklich? nun so sagt ihm Folgendes, Rochefort: sagt ihm, daß unsere Unterredung in der Herberge zum Rothen Taubenschlag von diesen vier Menschen gehört worden ist; sagt ihm, daß einer von ihnen nach seinem Abgang heraufkam und mir mit Gewalt den Geleitsbrief entriß, den er mir gegeben hatte; sagt ihm, daß sie Lord Winter von meiner Fahrt nach England benachrichtigen ließen; daß sie auch diesmal beinahe meine Sendung vereitelt hätten, wie sie die mit den Nestelstiften vereitelten. Sagt ihm, daß von diesen vier Menschen nur zwei, d’Artagnan und Athos, zu fürchten sind; sagt ihm, daß der dritte der Liebhaber der Frau von Chevreuse ist; man muß diesen leben lassen; man weiß sein Geheimniß, er kann von Nutzen sein; der vierte, Porthos, ist ein Einfaltspinsel, ein alberner Geck, mit dem man sich nicht zu beschäftigen braucht.« – »Aber diese vier Menschen müssen in dieser Stunde bei der Belagerung von La Rochelle sein.« – »Ich glaubte dies, wie Ihr, aber ein Brief, den Madame Bonacieux von Frau von Chevreuse erhalten und mir unkluger Weise mitgetheilt hat, gibt mir die Ueberzeugung, daß diese vier Menschen vielmehr in das Feld gezogen sind, um sie zu entführen.« – »Teufel, was ist da zu machen?« – »Was hat Euch der Kardinal in Beziehung auf mich aufgetragen?« – »Eure geschriebenen oder mündlichen Depeschen in Empfang zu nehmen und mit Postpferden zurückzukehren. Sobald er weiß, was Ihr gethan habt, wird er Befehl geben, was Ihr thun sollt.« – »Ich muß also hier bleiben?« – »Hier oder in der Umgegend.« – »Ihr könnt mich nicht mitnehmen?« – »Nein, der Befehl ist streng. In der Gegend des Lagers könntet Ihr erkannt werden, und Eure Gegenwart würde, wie Ihr wohl begreift. Seine Eminenz besonders nach dem, was da drüben vorgefallen ist, compromittiren. Doch sagt mir jetzt schon, wo Ihr Nachrichten vom Kardinal erwarten wollt, damit ich stets weiß, wo ich Euch treffen kann.« – »Wahrscheinlich bin ich nicht im Stande hier zu bleiben.« – »Warum?« – »Ihr vergeßt, daß meine Feinde jeden Augenblick ankommen können.« – »Das ist wahr, aber dann wird diese kleine Frau Seiner Eminenz entschlüpfen.«

»Bah!« sprach Mylady mit einem Lächeln, das nur ihr eigenthümlich war, »Ihr vergeht, daß ich ihre beste Freundin bin.« – »Ah! das ist wahr; ich darf also dem Kardinal sagen, in Beziehung auf diese Frau…« – »Könne er ruhig sein.« – »Nicht mehr? Weiß er, was dies zu bedeuten hat?« – »Er wird es errathen.« »Was soll ich nun thun?« – »Sogleich abreisen. Es scheint mir, die Nachrichten, welche Ihr bringt, sind wohl werth, daß man sich beeilt.« – »Mein Wagen ist in Lilliers gebrochen.« – »Vortrefflich!« – »Wie vortrefflich?« – »Ja, ich brauche Euern Wagen.« – »Und wie soll ich dann reisen?« »Zu Pferde.« – »Ihr habt gut sprechen, hundertundachtzig Meilen!« – »Was ist das?« – »Sie sollen gemacht werden. Und hernach?« – »Wenn Ihr durch Lilliers kommt, schickt Ihr mir den Wagen und gebt Eurem Bedienten Befehl, sich mir zur Verfügung zu stellen.« – »Gut.« – »Ihr habt ohne Zweifel einen Befehl des Kardinals bei Euch?« – »Ich habe eine Vollmacht bei mir.« – Ihr zeigt sie der Aebtissin, und sagt ihr, man werde mich heute oder morgen abholen, und ich habe der Person zu folgen, die sich in Eurem Namen einfinde.« – »Sehr gut!« – »Vergeht nicht, über mich loszuziehen, wenn ihr mit der Aebtissin von mir sprecht.« – »Wozu soll das nützen?« – »Ich bin ein Opfer des Kardinals und muß wohl dieser armen kleinen Madame Bonacieux Vertrauen einflößen.« – »Das ist richtig. Wollt Ihr mir nun einen Bericht von Allem dem machen, was vorgefallen ist?« – »Ich habe Euch die Ereignisse erzählt, Ihr besitzt ein gutes Gedächtniß. Wiederholt die Dinge, wie ich sie Euch mittheilte; ein Papier geht verloren.« – »Ihr habt Recht. Nur damit ich weiß, wo ich Euch finden kann und nicht unnütz in der Gegend umherlaufe.« – »Das ist richtig; wartet!« – »Wollt Ihr eine Karte?« – »Oh! ich kenne diese Gegend vortrefflich.« – »Ihr? wann seid Ihr hier gewesen?« – Ich bin hier erzogen worden.« – »Wirklich!« – »Seht, irgendwo erzogen worden zu sein, nützt doch zu etwas.« – »Ihr werdet mich also erwarten? …« – »Laßt mich einen Augenblick nachdenken … halt, ja in Armentières?« – »Was ist das, Armentières?« – »Eine kleine Stadt an der Lys. Ich habe nur über den Fluß zu setzen, und bin in einem fremden Lande.« – »Vortrefflich! aber wohlverstanden, Ihr geht nur im Fall einer großen Gefahr über den Fluß.« – »Natürlich.« – »Wie soll ich aber dann erfahren, wo Ihr seid?« – »Ihr bedürft Eures Bedienten nicht?« – »Nein.« – »Es ist ein sicherer Mann?« – »Unter jeder Bedingung.« – »Gebt ihn mir; niemand kennt ihn, ich lasse ihn an dem Orte zurück, von dem ich mich entferne, und er führt Euch dahin, wo ich bin.« – »Und Ihr sagt, Ihr werdet mich in Armentières erwarten?« – »In Armentières.« – »Schreibt mir diesen Namen auf ein Stückchen Papier, damit ich ihn nicht vergesse. Der Name einer Stadt kann unmöglich kompromittiren, nicht wahr?« – »Wer weiß? doch gleich viel,« sagte Mylady und schrieb den Namen auf ein Blättchen Papier; »ich gefährde mich dadurch.«

»Gut,« sprach Rochefort, nahm das Papier Mylady aus den Händen, faltete es zusammen, und steckte es in das Futter seines Hutes. »Seid übrigens unbesorgt, ich mache es wie die Kinder und wiederhole den Namen den ganzen Weg entlang, wenn ich das Papier verliere. Nun, ist das Alles?«

»Ich glaube.«

»Wir wollen einmal untersuchen: Buckingham todt oder schwer verwundet: Eure Unterredung mit dem Kardinal von den vier Musketieren gehört; Lord Winter von Eurer Ankunft in Portsmouth benachrichtigt: d’Artagnan und Athos in die Bastille: Aramis der Liebhaber der Frau von Chevreuse; Porthos ein Gimpel; Madame Bonacieux wieder gefunden; Euch den Wagen so bald als möglich schicken; Euch meinen Bedienten zur Verfügung stellen; ein Opfer des Kardinals aus Euch machen, damit die Aebtissin keinen Verdacht schöpft; Armantières an den Ufern der Lys; ist es so?«

»In der That mein lieber Chevalier, Ihr seid ein wahres Wunder von Gedächtniß. Doch fügt noch bei…« – »Was?«

»Ich habe ein sehr hübsches Wäldchen gesehen, das an den Klostergarten stoßen muß. Sagt, es sei mir erlaubt, in diesem Wäldchen spazieren zu gehen. Wer weiß, ich muß vielleicht durch eine Hinterpforte von hier fort.«

»Ihr denkt an Alles.« – »Und Ihr, Ihr vergeßt etwas.« – Was denn?« – »Zu fragen, ob ich Geld brauche.« – »Das ist richtig. Wie viel wollt Ihr?« – »Alles, was Ihr an Gold bei Euch habt.« – »Ich habe ungefähr fünfhundert Pistolen bei mir.« – »Ich etwa eben so viel. Mit tausend Pistolen kann man Allem Trotz bieten. Leert Eure Taschen.« – »Hier.« – »Gut. Und Ihr reist?« – »In einer Stunde. Ich bleibe nur so lange, um einen Bissen zu essen, und schicke mittlerweile nach einem Postpferd.« – »Vortrefflich. Adieu, Graf!« – »Adieu, Gräfin.« – »Empfehlt mich dem Kardinal.« – »Empfehlt mich dem Satan.«

Mylady und Rochefort tauschten ein Lächeln und trennten sich.

Eine Stunde nachher sprengte Rochefort im stärksten Galopp aus Bethune. Nach fünf Stunden kam er durch Arras.

Unsre Leser wissen bereits, wie er von d’Artagnan wiedererkannt wurde, wie dieses Wiedererkennen den vier Musketieren Furcht einflößte und sie zur größten Eile trieb.

XXVIII.

Fünfter Tag der Gefangenschaft.

Mylady war bereits zu einem halben Triumph gelangt und der Erfolg verdoppelte ihre Kräfte.

Bisher hatte sie keine große Mühe gehabt, um Menschen zu besiegen, welche sich leicht verführen ließen und von der galanten Erziehung des Hofes rasch in die Falle gelockt wurden. Mylady war schön genug, um die Sinne zu reizen, und geschickt genug, um alle Hindernisse des Geistes zu überwältigen.

Aber diesmal hatte sie gegen eine rohe und in ihrer Strenge unempfindliche Natur zu kämpfen. Die Religion und die Buße hatten Felton für gewöhnliche Versuchungsmittel unempfänglich gemacht. In diesem exaltirten Kopfe bewegten sich so weit umfassende Pläne, so stürmische Entwürfe, daß darin kein Platz mehr für die Liebe war, für dieses Gefühl, das sich durch die Muße nährt und durch die Verdorbenheit der Sitten groß wird.

Mylady hatte mit ihrer falschen Tugend in der Meinung eines gegen sie eingenommenen Mannes, und durch ihre Schönheit in dem Herzen und in den Sinnen eines unschuldigen Menschen Bresche gemacht.

Nichtsdestoweniger verzweifelte sie manchmal während dieses Abends an dem Geschicke und an sich selbst. Sie rief Gott nicht an, wie wir wissen, sie hegte Vertrauen zu dem Geiste des Bösen, dieser ungeheuern Souveränetät, welche in allen Einzelnheiten des menschlichen Lebens herrscht, und für die wie in der arabischen Fabel ein Granatkern hinreicht, um eine ganze verlorene Welt wieder aufzubauen.

Gut auf den Empfang Feltons vorbereitet, konnte Mylady ihre Batterien für den andern Tag aufpflanzen; sie wußte, daß ihr nur noch zwei Tage übrig blieben, daß, wenn der Befehl einmal von Buckingham unterzeichnet war (und Buckingham mußte ihn um so leichter unterzeichnen, als in dem Befehl ein falscher Name eingetragen war und er die Frau, um die es sich handelte nicht zu erkennen vermochte), daß, wenn dieser Befehl einmal unterzeichnet war, sagen wir, der Baron sie sogleich einschiffen würde; sie wußte auch, daß die zur Deportation verurtheilten Frauen sich minder mächtiger Waffen bei ihren Verführungsplänen bedienen, als die angeblich tugendhaften Frauen, deren Schönheit die Sonne der Welt bescheint, deren Geist die Stimme der Mode rühmt, die ein Wiederschein der Aristokratie mit seinem zauberhaften Glanze vergoldet. Eine zu einer entehrenden Strafe verurtheilte Frau kann immer noch schön sein, aber nicht so leicht wieder zur Macht gelangen. Wie alle Menschen von wahrem Genie kannte Mylady die ihrer Natur und ihren Mitteln zusagende Mitte. Die Armuth widerstrebte ihr, der Zustand der Verachtung minderte ihre Größe um zwei Drittheile. Mylady war nur Königin unter den Königinnen. Ihre Herrschaft bedurfte der Lust befriedigten Stolzes; untergeordnete Menschen zu beherrschen, war für sie eher eine Demüthigung als ein Vergnügen.

Gewiß wäre sie aus ihrer Verbannung zurückgekehrt, daran zweifelte sie nicht einen Augenblick; aber wie lange konnte diese Verbannung dauern? Für eine thätige, ehrgeizige Natur, wie Mylady, sind die Tage, wo man nicht emporsteigt, verlorene Unglückstage. Wie soll man also die Tage nennen, wo man nur hinabsteigt? Ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre verlieren, das ist eine Ewigkeit. Vielleicht nach dem Tode oder der Ungnade des Kardinals zurückkommen, zurückkommen, wenn d’Artagnan und seine Freunde glücklich und triumphirend die wohl verdiente Belohnung für ihre Dienste erhalten hatten: das waren verzehrende Gedanken, welche eine Frau, wie Mylady, nicht ertragen konnte. Der Sturm, welcher in ihr tobte, verdoppelte indessen ihre Kraft, und sie hätte die Wände ihres Kerkers gesprengt, wenn ihr Körper einen Augenblick die Verhältnisse ihres Geistes anzunehmen vermocht hätte.

Unter all diesen Gemüthsbewegungen wurde sie ganz besonders noch durch die Erinnerung an den Kardinal gepeinigt. Was mußte der unruhige, mißtrauische, argwöhnische Kardinal von ihrem Stillschweigen denken und sagen? der Kardinal, nicht nur ihre einzige Stütze, ihr einziger Beschützer in der Gegenwart, sondern auch das Hauptwerkzeug ihres künftigen Glückes, ihrer zukünftigen Rache? Sie kannte ihn: sie wußte, daß sie bei ihrer Rückkehr immerhin eine vergebliche Reise und ihre Gefangenschaft vorschützen, daß sie immerhin die ausgestandenen Leiden mit den schwärzesten Farben ausmalen mochte, der Kardinal würde ihr mit jener spöttischen Ruhe des zugleich durch die Kraft und das Genie mächtigen Skeptikers antworten: »Ihr hättet Euch nicht fangen lassen sollen!«

Mylady raffte ihre ganze Energie zusammen, murmelte in der Tiefe ihrer Gedanken den Namen Felton, den einzigen Strahl, der bis in die Hölle drang, in die sie gestürzt war, und der Schlange ähnlich, welche ihre Ringe rollt und entrollt, um sich, ihrer Kraft recht bewußt zu werden, hüllte sie Felton zum Voraus in die tausend Falten ihrer erfindungsreichen Einbildungskraft.

Indessen verlief die Zeit. Die Stunden schienen eine nach der andern im Vorübergehen die Glocke zu erwecken, und jeder Ton des ehernen Schlägels hallte in dem Herzen der Gefangenen wieder.

Um neun Uhr machte Lord Winter den gewöhnlichen Besuch, beschaute die Fenster und die Gitterstangen davor, sondirte den Boden und die Wände, betrachtete den Kamin und die Thüren, ohne daß während dieser langen und sorgfältigen Untersuchung Mylady oder er ein einziges Wort sprachen. Ohne Zweifel begriffen Beide, daß die Lage der Dinge zu ernst geworden war, um die Zeit mit unnöthigen Worten und in erfolglosem Zorne zu verlieren.

»Gut,« sagte der Baron, als er sie verließ, »Ihr werdet diese Nacht noch nicht entweichen.«

Um zehn Uhr führte Felton eine Wache auf, Mylady erkannte seinen Tritt; sie errieth ihn jetzt, wie eine Liebende den Geliebten ihres Herzens erräth, und dennoch verachtete, verabscheute Mylady diesen schwachen Fanatiker.

Es war nicht die verabredete Stunde und Felton trat nicht ein.

Zwei Stunden später, als es Mitternacht schlug, wurde die Wache abgelöst.

Diesmal war es die Stunde, und Mylady wartete von diesem Augenblick mit großer Ungeduld.

Die neue Wache fing an in der Flur auf und abzugehen.

Nach zehn Minuten kam Felton.

Mylady horchte.

»Höre,« sprach der junge Mann zu der Wache, »entferne Dich unter keinem Vorwand von dieser Thüre; denn Du weißt, daß in der letzten Nacht ein Soldat von Mylord bestraft worden ist, weil er einen Augenblick seinen Posten verlassen hatte, und ich hielt doch während seiner kurzen Abwesenheit Wache.«

»Ja, ich weiß es,« sagte der Soldat.

»Ich empfehle Dir also die pünktlichste Wachsamkeit; aber,« fügte er bei, »ich will hineingehen und zum zweiten Mal das Zimmer dieser Frau visitiren, welche, wie ich fürchte, Unseliges gegen sich selbst beabsichtigt, weshalb ich Befehl erhalten habe, sie zu überwachen.«

»Gut,« murmelte Mylady, »der strenge Puritaner lügt!«

Der Soldat begnügte sich zu lächeln.

»Teufel! mein Lieutenant,« sprach er, »Ihr seid nicht der Unglückseligste, daß man Euch einen solchen Auftrag gegeben hat.«

Felton erröthete; unter allen andern Umständen würde er dem Soldaten, der sich einen solchen Scherz erlaubte, einen Verweis ertheilt haben. Aber sein Gewissen murrte zu laut, als daß sein Mund zu sprechen gewagt hätte.

»Wenn ich rufe,« sagte er, »so komm; wenn man kommt, so rufe mich.«

»Sehr wohl, mein Lieutenant,« antwortete der Soldat.

Felton trat bei Mylady ein. Mylady stand auf.

»Seid Ihr hier?« sagte sie.

»Ich hatte Euch zu kommen versprochen,« erwiderte Felton, »und ich bin gekommen.«

»Ihr habt mir noch etwas Anderes versprochen.«

»Was denn, mein Gott!« rief der junge Mann, der trotz seiner Selbstbeherrschung fühlte, wie seine Kniee zitterten und der Schweiß seine Stirne befeuchtete.

»Ihr habt versprochen, mir ein Messer zu bringen und es mir nach unserer Unterredung zu lassen.«

»Verschont mich mit Euren Worten, Madame,« sagte Felton; »es gibt keine Lage, die so schrecklich wäre, daß sie ein Geschöpf Gottes berechtigte, sich den Tod zu geben. Ich habe überlegt, daß ich mich nie einer solchen Sünde schuldig machen darf.«

»Ah! Ihr habt überlegt,« sprach die Gefangene, indem sie sich mit verächtlichem Lächeln in ihren Lehnstuhl zurückwarf. »Und ich habe mir auch überlegt!«

»Was?«

»Daß ich einem Menschen, der sein Wort nicht hält, nichts zu sagen habe.«

»Oh! mein Gott,« murmelte Felton.

»Ihr könnt Euch entfernen, ich werde nichts sprechen.«

»Hier das Messer,« sagte Felton und zog die Waffe, die er mitzubringen versprochen, aber der Gefangenen nicht hatte geben wollen, aus seiner Tasche.

»Laßt sehen,« sagte Mylady.

»Was wollt Ihr damit machen?«

»Bei meiner Ehre, ich gebe Euch das Messer gleich zurück. Ihr legt es auf diesen Tisch und bleibt zwischen ihm und mir.«

Felton überreichte Mylady die Waffe, sie prüfte aufmerksam die Härtung und versuchte die Spitze an ihren Fingern.

»Gut,« sagte sie und gab das Messer dem jungen Offizier zurück … »das ist ein schöner, guter Stahl … Ihr seid ein treuer Freund, Felton.«

Felton nahm die Waffe und legte sie auf den Tisch, wie dies mit seiner Gefangenen verabredet war.

Mylady folgte ihm mit den Augen und machte eine Geberde der Zufriedenheit.

»Nun hört mich,« sprach sie.

Die Aufforderung war unnöthig, der junge Mann stand vor ihr und lauschte auf ihre Worte, um sie zu verschlingen. »Felton,« sagte Mylady mit einer schwermuthsvollen Feierlichkeit, »Felton, wenn Eure Tochter oder die Tochter Eures Vaters zu Euch spräche: »»Noch jung, zum Unglück ziemlich schön, hat man mich in eine Falle gelockt, ich widerstand; man verdoppelte die Schlingen, die Hinterhalte, die Gewaltstreiche um mich her, ich widerstand; man lästerte die Religion, der ich diene, den Gott, den ich anbete, ich widerstand; dann überhäufte man mich mit Beleidigungen, und da man meine Seele nicht zu verderben vermochte, so wollte man meinen Leib für immer brandmarken.«

Mylady hielt inne, ein bitteres Lächeln zog über ihre Lippen hin.

»Endlich,« sprach Felton, »was that man endlich?«

»Endlich eines Abends beschloß man diesen Widerstand, den man nicht besiegen konnte, zu lähmen, man mischte eines Abends ein narkotisches Mittel in mein Wasser; kaum hatte ich mein kleines Mahl beendigt, als ich von einer seltsamen Schläfrigkeit befallen wurde; obgleich ich kein Mißtrauen hegte, ergriff mich doch eine schwankende Furcht und ich suchte gegen den Schlaf zu kämpfen; ich stand auf, ich wollte zum Fenster laufen, um Hülfe rufen, aber meine Beine versagten mir den Dienst, es war mir, als sänke der Plafond auf mich herab und drückte mich mit seinem Gewichte nieder; ich streckte den Arm aus, ich versuchte zu sprechen; aber ich konnte nur unartikulirte Töne ausstoßen, eine unüberwindliche Erstarrung bemächtigte sich meiner, ich hielt mich an einem Stuhl, denn ich fühlte, daß ich dem Fallen nahe war, bald aber genügte diese Stütze für meine schwachen Arme nicht mehr, ich sank auf ein Knie, dann auf beide, ich wollte beten, meine Zunge war in Eis verwandelt. Gott hörte und sah mich ohne Zweifel nicht, und ich glitt, die Beute eines todähnlichen Schlafes, auf den Boden.

»Von Allem, was während dieses Schlafes vorging, habe ich keine Erinnerung mehr, ich weiß nur noch, daß ich in einem runden, reich ausgestatteten Zimmer erwachte, in welches das Tageslicht durch eine Oeffnung in der Decke drang. Keine Thüre schien den Eingang in dasselbe zu gewähren und man hätte glauben sollen, es wäre ein prächtiges Gefängniß.

»Lange bemühte ich mich, mir Rechenschaft von dem Orte, wo ich mich befand, und von den einzelnen Umständen zu geben, welche mich dahingebracht hatten; mein Geist schien vergebens zu kämpfen, um die drückende Finsterniß des Schlafes abzuschütteln, dem ich mich nicht zu entreißen vermochte; ich hatte unbestimmte Vorstellungen von einem durchlaufenen Räume, vom Rollen eines Wagens, aber dies Alles war so düster und schwankend in meinem Geiste, daß die Ereignisse einem andern Leben, als dem meinigen anzugehören und doch mit dem meinigen durch eine phantastische Doppelheit vermengt zu sein schienen.

»Einige Zeit kam mir der Zustand, in dem ich mich befand, so sonderbar vor, daß ich zu träumen glaubte. Allmälig aber trat die Wirklichkeit schreckensvoll vor mich, ich war nicht mehr in dem Hause, das ich sonst bewohnte; soweit ich es nach dem Sonnenlichte beurtheilen konnte, war der Tag schon zu zwei Dritteln abgelaufen, am Abend zuvor war ich eingeschlummert und mein Schlaf hatte also beinahe vierundzwanzig Stunden gedauert. Was war während dieser langen Zeit vorgefallen?

»Ich erhob mich wankend. Die Lahmheit aller meiner Bewegungen bewies, daß der Einfluß des narkotischen Mittels noch nicht ganz aufgehört hatte. Das Zimmer war übrigens zur Aufnahme eines weiblichen Wesens eingerichtet und der vollendetsten Kokette wäre kein Wunsch übrig geblieben, den sie nicht erfüllt gesehen hätte, wenn sie ihren Blick in diesem Gemach umherlaufen ließ.

»Offenbar war ich nicht die erste Gefangene, die sich in diesem glänzenden Kerker eingeschlossen gesehen hatte, aber Ihr begreift, Felton, je schöner der Kerker war, desto mehr mußte er mich in Schrecken setzen.

»Ja, es war ein Gefängniß; denn vergebens versuchte ich hinauszukommen, ich sondirte alle Wände, um eine Thüre zu entdecken, überall gaben sie einen vollen und zugleich matten Ton von sich.

»Zwanzig Mal machte ich vielleicht die Runde im Zimmer, um irgend einen Ausweg zu suchen, es war keiner vorhanden; der Müdigkeit und dem Schrecken unterliegend, sank ich in einen Lehnstuhl.

»Mittlerweile rückte die Nacht rasch heran und mit der zunehmenden Finsterniß vermehrte sich meine Angst; ich wußte nicht, ob ich da, wo ich saß, sitzen bleiben sollte, es kam mir vor, als wäre ich von unbekannten Gefahren umgeben, in die ich bei jedem Schritt stürzen müßte. Obgleich ich seit dem vorhergehenden Tage nichts gegessen hatte, ließ mich doch meine Furcht keinen Hunger empfinden.

»Kein Geräusch von außen, nach dem ich die Zeit hätte ermessen können, drang zu mir: ich vermuthete nur, es möchte etwa sieben oder acht Uhr sein; denn wir waren im Monat Oktober und es war bereits finstere Nacht.

»Plötzlich machte mich das Knarren einer auf ihren Angeln sich drehenden Thüre heftig erbeben, eine Feuerkugel erschien über der gläsernen Oeffnung, des Plafond, und ich sah zu meinem größten Schrecken, daß einige Schritte vor mir ein Mann stand.

»Ein Tisch mit zwei Gedecken, auf dem ein vollständiges Abendbrod aufgetragen war, hatte sich, wie durch einen Zauber, mitten im Zimmer erhoben.

»Dieser Mann war derjenige, welcher mich seit einem Jahre verfolgte, der meine Entehrung geschworen hatte, und mir mit den ersten Worten, die aus seinem Munde kamen, begreiflich machte, daß ich durch seinen Entschluß jeder Hoffnung beraubt sei, wieder in Freiheit gesetzt zu werden.«

»Der Schändliche!« murmelte Felton.

»Oh ja! der Schändliche!« rief Mylady, den Antheil gewahrend, den der junge Offizier, dessen Seele an ihren Lippen zu hängen schien, an dieser seltsamen Erzählung nahm, »oh! ja! der Schändliche, er glaubte, damit, daß er mich im Schlafe entführen ließ, als Alles abgemacht; er kam in der Hoffnung, ich würde meine Schande hinnehmen, weil die That vollbracht war, er bot mir ein Vermögen gegen mein Herz.

»Alles, was ein Frauenherz an erhabener Verachtung, an Worten des Abscheus in sich zu schließen vermag, ergoß ich über diesen Menschen: ohne Zweifel war er an dergleichen Vorwürfe gewöhnt, denn er hörte mich ruhig, lächelnd, mit gekreuzten Armen an; als er glaubte, ich habe Alles gesagt, näherte er sich mir, um meine Hand zu ergreifen, aber ich sprang nach dem Tische, ergriff ein Messer, hielt es an meine Brust und rief: »»Noch einen Schritt und Ihr habt Euch außer meiner Schande auch meinen Tod vorzuwerfen.««

»Ohne Zweifel lag in meinem Blick, in meiner Stimme, in meiner ganzen Person jene Wahrheit der Geberde, der Stellung und des Tones, welche auch die verdorbensten, verkehrtesten Gemüther überzeugt, denn er blieb stille stehen.

»»Euern Tod?«« sagte er zu mir, »»oh! nein. Ihr seid eine zu reizende Gefangene, als daß ich mich entschließen könnte. Euch so zu verlieren. Adieu, meine Schönste, um Euch wieder zu besuchen, werde ich warten, bis Ihr Euch in eine bessere Stimmung versetzt habt.««

»Nach diesen Worten pfiff er. Die Flammenkugel stieg in die Höhe und verschwand. Ich befand mich wieder in der Finsterniß. Einen Augenblick nachher hörte ich dasselbe Geräusch einer sich öffnenden und wieder schließenden Thüre. Die Feuerkugel wurde abermals herabgelassen und ich sah mich allein.

»Dieser Augenblick war furchtbar; hätte ich noch einige Zweifel über mein Unglück gehabt, sie wären unter einer jammervollen Wirklichkeit verschwunden; ich befand mich in der Gewalt eines Menschen, den ich nicht nur verabscheute, sondern auch verachtete, eines Menschen, der mir bereits einen unseligen Beweis von dem, was er zu thun im Stande war, gegeben hatte.« »Aber, wer war denn dieser Mensch?« fragte Felton. Mylady beantwortete diese Frage nicht und fuhr in ihrer Erzählung fort:

»Ich brachte die Nacht, bei dem geringsten Geräusche zitternd, auf einem Stuhle zu; um Mitternacht etwa erlosch die Lampe und ich befand mich wieder in völliger Dunkelheit, aber die Stunden gingen vorüber, ohne daß mein Verfolger zum zweiten Male erschien; der Tag brach an, der Tisch war verschwunden, nur hatte ich das Messer noch immer in der Hand. »Auf diesem Messer beruhte meine ganze Hoffnung.

»Ich war von Müdigkeit ganz entkräftet, die Schlaflosigkeit brannte m meinen Augen; denn ich hatte es nicht gewagt, auch nur einen Augenblick zu schlummern. Der Tag beruhigte mich, ich warf mich auf mein Bett, ohne mich von meinem Befreiungsmesser zu trennen, das ich unter dem Kopfkissen verbarg.

»Als ich erwachte, stand abermals ein gedeckter Tisch im Zimmer.

»Diesmal machte sich trotz meiner Befürchtungen, trotz meiner Angst ein peinlicher Hunger fühlbar, ich hatte seit achtundvierzig Stunden keine Nahrung zu mir genommen; ich aß Brod und etwas Obst; da ich mich aber des narkotischen Mittels erinnerte, mit dem das Wasser vermischt gewesen war, das ich getrunken hatte, so berührte ich das, welches auf dem Tische stand, nicht, sondern füllte mein Glas an einem marmornen, über meiner Toilette an der Wand befestigten Handbrunnen.

»Trotz dieser Vorsichtsmaßregeln schwebte ich nichtsdestoweniger in großer Angst, aber meine Furcht war dießmal nicht begründet, ich brachte den Tag hin, ohne daß ich etwas von dem verspürte, was ich gefürchtet hatte.

»Damit man mein Mißtrauen nicht wahrnähme, war ich darauf bedacht, die Flasche halb zu leeren.

»Der Abend kam, doch so finster es auch wurde, so begannen meine Augen sich daran zu gewöhnen; mitten in der Dunkelheit sah ich, wie der Tisch versank. Nach einer Viertelstunde kam er wieder mit meinem Abendbrod beladen, und einen Augenblick nachher wurde mein Zimmer mit derselben Lampe beleuchtet.

»Ich war entschlossen, nur Speisen zu mir zu nehmen, in welche man unmöglich Schlafmittel mischen konnte; zwei Eier und etwas Obst bildeten mein Mahl, dann schöpfte ich ein Glas Wasser aus meiner Schutzquelle und trank es.

»Bei dem ersten Schlucke kam es mir vor, als hätte es nicht mehr denselben Geschmack, wie am Morgen; ein jäher Verdacht regte sich in mir; ich hielt inne, aber ich hatte bereits ein halbes Glas getrunken. Den Rest goß ich mit Abscheu aus und wartete mit Angstschweiß auf der Stirne.

»Ohne Zweifel hatte mich ein unsichtbarer Zeuge Wasser aus dem Brunnen nehmen sehen und benützte gerade mein Vertrauen, um meinen so kalt beschlossenen, so grausam verfolgten Untergang sicher zu bewerkstelligen.

»Es verging keine halbe Stunde, als dieselben Symptome wieder eintraten; nur kämpfte ich länger, da ich kaum ein halbes Glas Wasser getrunken hatte, und statt gänzlich zu entschlummern, verfiel ich in eine Art von Betäubung, die mir das Gefühl von Allem, was um mich her vorging, ließ, ohne daß ich zu fliehen vermochte.

»Ich schleppte mich nach meinem Bette, um dort das einzige Vertheidigungsmittel zu suchen, das mir übrig blieb, mein Rettungsmesser, aber ich war nicht im Stande, das Kopfkissen zu erreichen, sank in die Kniee und klammerte mich mit den Händen an eine der Bettsäulen an.«

Felton wurde furchtbar bleich und ein krampfhafter Schauer durchlief seinen ganzen Körper.

»Das Gräßlichste dabei war,« fuhr Mylady mit bebender Stimme fort, als ob sie noch mit derselben Angst erfüllt wäre, wie in jenem furchtbaren Augenblicke, »das Gräßlichste dabei war, daß ich dießmal das Bewußtsein der Gefahr hatte, die mich bedrohte, daß meine Seele, so zu sagen, in meinem entschlummerten Körper wachte, daß ich sah und hörte: Alles dies freilich nur wie in einem Traum, aber darum war es nicht minder peinlich.

»Ich sah die Lampe, welche hinaufgezogen wurde und mich allmälig in der Finsterniß ließ.

»Dann hörte ich das Geräusch der Thüre, das mir so wohl bekannt war, obgleich sich diese Thüre nur zweimal geöffnet hatte.

»Ich fühlte instinktmäßig, daß man sich mir näherte; man sagt, der Unglückliche, der in den Wüsten Amerikas umherirre, fühle auf solche Art die Annäherung der Schlange.

»Ich wollte meine Kräfte zusammenraffen, ich versuchte zu schreien; durch eine unglaubliche Willensanstrengung hob ich mich sogar in die Höhe, doch nur, um sogleich wieder zurückzufallen.«

»Aber sagt mir endlich, wer war denn Euer Verfolger?« rief der junge Offizier.

Mylady überschaute mit einem Blicke, welche Pein sie Felton dadurch verursachte, daß sie bei allen Einzelnheiten ihrer Geschichte so lange verweilte; aber sie wollte ihm keine Folter ersparen. Je mehr sie ihm das Herz zu brechen vermochte, desto gewisser mußte er sie rächen. Sie fuhr also dießmal ebenfalls fort, als ob sie seinen Ausruf nicht gehört hätte, oder als ob sie glaubte, der Augenblick, ihm zu antworten, sei noch nicht gekommen.

»Als er mich anblickte, hörte ich ihn schreien: »»Diese elenden Puritaner! ich wußte wohl, daß sie ihre Henker ermüdeten, hielt sie aber für minder stark gegen ihre Verführer.««

Felton hörte zu, ohne daß er etwas Anderes vernehmen ließ, als eine Art von Schnauben; der kalte Schweiß rieselte von seiner Marmorstirne, und seine unter dem Rock verborgene Hand zerfleischte seine Brust.

»Meine erste Bewegung,« fuhr Mylady fort, »als ich zu mir selbst kam, war, daß ich unter dem Kopfkissen das Messer suchte, welches ich nicht hatte erreichen können; hatte es nicht zur Verteidigung gedient, so konnte es wenigstens zur Sühnung dienen.

»Als ich aber dieses Messer ergriff, kam mir ein furchtbarer Gedanke. Ich habe geschworen, Euch Alles zu sagen und werde Euch Alles sagen; ich habe Euch Wahrheit versprochen und werde mein Wort halten, und sollte ich dabei zu Grunde gehen.«

»Es kam Euch der Gedanke, an diesem Menschen Rache zu nehmen, nicht wahr?« rief Felton.

»Nun! ja,« erwiderte Mylady, »ich weiß wohl, dieser Gedanke ziemte sich nicht für eine Christin. Ohne Zweifel blies ihn der ewige Feind unserer Seele meinem Geiste ein. Nun, was soll ich Euch noch weiter sagen, Felton,« fuhr Mylady mit dem Tone eines Weibes fort, das sich eines Verbrechens anklagt, »dieser Gedanke kam mir und verließ mich nicht mehr. Für diese mörderische Absicht habe ich jetzt vielleicht die Strafe zu tragen.«

»Fahrt fort, fahrt fort,« rief Felton, »es drängt mich, Euch zur Rache gelangen zu sehen.«

»Oh! ich beschloß, sie so bald als möglich in das Werk zu setzen, ich zweifelte nicht daran, daß er in der nächsten Nacht wieder kommen würde. Bei Tage hatte ich nichts zu befürchten.

»Als die Frühstücksstunde kam, zögerte ich nicht zu essen und zu trinken; ich war entschlossen, mich zu stellen, als speise ich auch zu Nacht, aber nichts zu mir zu nehmen, und mußte also durch die Nahrung am Morgen das Fasten am Abend bekämpfen.

»Von meinem Frühstück nahm ich ein Glas Wasser und verbarg es, weil mich der Durst am meisten gepeinigt hatte, als ich achtundvierzig Stunden ohne Speise und Trank geblieben war.

»Der Tag verging ohne einen andern Einfluß auf mich, als daß er mich in meinem Entschluß bestärkte; nur war ich dafür besorgt, daß mein Gesicht durch Nichts den Gedanken meiner Seele kundgab, denn ich zweifelte nicht daran, daß man mich beobachtete; wiederholt fühlte ich sogar ein Lächeln auf meinen Lippen. Felton, ich wage es nicht, Euch zu gestehen, bei welchem Gedanken ich lächelte, Ihr könntet von Abscheu gegen mich ergriffen werden.«

»Fahrt fort, fahrt fort,« sprach Felton, »Ihr seht wohl, daß ich höre, und daß es mich drängt, zum Ende zu gelangen.«

»Der Abend kam,« fuhr Mylady fort, »die gewöhnlichen Ereignisse traten ein; mein Abendbrod wurde wie in den vorhergehenden Tagen in der Dunkelheit servirt, dann erleuchtete sich die Lampe und ich setzte mich zu Tische.

»Ich aß nur etwas Obst, stellte mich, als ob ich ein wenig Wasser aus der Flasche einschenkte, trank sodann dasjenige, das ich mir in meinem Glase aufbewahrt hatte, suchte dabei jedoch so geschickt zu manövriren, daß meine Spione, wenn ich welche hatte, keinen Verdacht schöpfen konnten.

»Nach dem Abendbrod gab ich dieselben Zeichen der Erstarrung kund, wie am Tage vorher, aber diesmal that ich, als ob ich entschlummerte, wie wenn ich der Müdigkeit unterläge, oder wie wenn ich mich an die Gefahr gewöhnt hätte.

»Nun fand ich mein Messer, und während ich mich schlafend stellte, preßte ich krampfhaft das Heft in der Hand.

»Es vergingen zwei Stunden, ohne daß etwas Neues vorfiel. Jetzt, o mein Gott! wer mir das am Tage vorher gesagt hätte, jetzt fürchtete ich, er könnte nicht kommen.

»Endlich sah ich die Lampe sachte sich erheben und in der Vertiefung das Plafond verschwinden; mein Zimmer erfüllte sich mit Finsterniß, aber ich strengte mich an, die Dunkelheit mit meinem Blicke zu durchdringen.

»Es gingen etwa zehn Minuten vorüber, ich hörte kein anderes Geräusch, als die Schläge meines Herzens.

»Ich flehte den Himmel an, er möge ihn kommen lassen.

»Endlich hörte ich das bekannte Knarren der Thüre, die sich öffnete und wieder schloß. Trotz eines dicken Teppichs erdröhnte der Boden unter einem Tritte und ich sah unerachtet der Finsterniß einen Schatten, der sich mir näherte.«

»Eilt, eilt!« unterbrach Felton die Erzählerin, »seht Ihr nicht, daß mich jedes Eurer Worte brennt, wie geschmolzenes Blei?«

»Da raffte ich alle meine Kräfte zusammen,« fuhr Mylady fort; »ich erinnerte mich, daß die Stunde der Rache oder vielmehr der Gerechtigkeit geschlagen hatte, ich sah mich wie eine zweite Judith an, ich hielt mein Messer in der Hand, und als ich bemerkte, daß er mir nahe genug war, stieß ich es ihm mit einem letzten Schrei des Schmerzes und der Verzweiflung mitten auf die Brust.

»Der Elende! er hat Alles vorhergesehen, seine Brust war durch ein Panzerhemd beschützt, die Messerspitze sprang ab.

»»Ah! ah!« rief er, indem er mich beim Arme ergriff und mir die Waffe entriß, die mich so schlecht bedient hatte, »»Ihr trachtet mir nach dem Leben, schöne Puritanerin; aber das ist mehr als Haß, das ist Undankbarkeit. Beruhigt Euch, mein schönes Kind; ich glaubte, Ihr wäret zahm geworden. Ich bin keiner von den Tyrannen, welche die Frauen mit Gewalt zurückhalten. Ihr liebt mich nicht? Ich bezweifelte es in meiner Eitelkeit, nun bin ich überzeugt. Morgen seid Ihr frei.««

»Ich hatte nur ein einziges Verlangen, nämlich von ihm getödtet zu werden.

»»Nehmt Euch in Acht,«« sprach ich, »»denn meine Freiheit ist Eure Schande.««

»»Erklärt Euch deutlicher, schöne Sibylle.««

»»Ja, denn sobald ich diesen Ort verlassen habe, sage ich Alles; ich sage, welche Gewaltthat Ihr an mir verübt habt; mit lauter Stimme erzähle ich der Welt von meiner Gefangenschaft, von diesem Schlosse der Ehrlosigkeit. Ihr seid sehr hoch gestellt, aber zittert! Ueber Euch ist ein König! über dem König lebt ein Gott!««

»So sehr mein Verfolger noch Herr über sich zu sein schien, so vermochte er doch eine Bewegung des Zornes nicht zu bewältigen. Ich konnte den Ausdruck seines Gesichtes nicht sehen, aber ich fühlte, wie sein Arm zitterte, auf. dem meine Hand lag. »»Dann werdet Ihr nicht von hinnen gehen,«« sprach er.

»»Gut! gut!«« rief ich, »»die Stelle meines Todes wird auch die Stelle meines Grabes sein. Ich werde hier sterben, und Ihr werdet sehen, ob ein Gespenst, das anklagt, nicht furchtbarer ist, als ein Lebender mit allen seinen Drohungen.««

»»Man wird Euch keine Waffen lassen.««

»»Es gibt eine, welche die Verzweiflung jedem Menschen zugänglich gemacht hat, wenn er nur den Muth besitzt, sich ihrer zu bedienen. Ich werde mich aushungern.««

»»Hört,«« sprach der Elende, »»ist der Friede nicht mehr werth, als ein solcher Krieg? Ich schenke Euch sogleich die Freiheit, ich erkläre Euch für eine Tugend, ich nenne Euch die Lukretia Englands.««

»»Und ich sage, daß Ihr der Sextus seid, ich klage Euch vor den Menschen an, wie ich Euch vor Gott angeklagt habe, und wenn es sein muß, unterzeichne ich, wie Lucretia, meine Anklage mit Blut.««

»»Ah! ah!«« erwiderte mein Feind mit spöttischem Tone, »»das ist etwas Anderes. Meiner Treu, Ihr seid im Ganzen hier sehr gut, es soll Euch an nichts fehlen, und wenn Ihr Hungers sterbt, so ist es Eure eigene Schuld.««

»Nach diesen Worten entfernte er sich, ich hörte die Thüre öffnen und schließen. Ich war wie niedergeschmettert, und zwar, das gestehe ich, weniger durch meinen Schmerz, als durch die Schmach, nicht gerächt zu sein.

»Er hielt Wort. Der ganze Tag, die ganze Nacht verging, ohne daß ich ihn wieder sah, aber auch ich hielt Wort und berührte weder Speise noch Trank, denn ich war entschlossen, mich durch den Hunger zu tödten.

»Ich brachte den Tag und die Nacht in Gebeten hin, denn ich hoffte, Gott würde mir meinen Selbstmord vergeben.

»In der zweiten Nacht öffnete sich die Thüre. Ich lag auf dem Boden, die Kräfte verließen mich allmälig.

»Bei dem Geräusch richtete ich mich auf eine Hand auf.

»»Nun!«« sprach eine Stimme, die zu furchtbar in meinen Ohren klang, als daß ich sie nicht hätte erkennen sollen, »»nun! sind wir ein wenig besänftigt, werden wir unsere Freiheit mit dem einfachen Versprechen zu schweigen bezahlen? Hört, ich bin ein guter Mensch,«« fügte er bei, »»und obgleich ich die Puritaner nicht liebe, lasse ich ihnen, wie den Puritanerinnen, wenn sie hübsch sind, Gerechtigkeit widerfahren. Auf, leistet mir einen kleinen Eid auf das Kreuz, mehr verlange ich nicht.««

»»Auf das Kreuz!«« rief ich mich erhebend, denn beim Ton der verhaßten Stimme hatte ich meine ganze Kraft wieder gewonnen: »»auf das Kreuz schwöre ich, daß kein Versprechen, keine Drohung, keine Marter mir den Mund verschließen soll; auf das Kreuz schwöre ich Euch als einen Mörder, als einen Ehrenräuber, als einen Elenden anzuklagen; auf das Kreuz schwöre ich, daß ich, wenn es mir je gelingt, diesen Ort zu verlassen, im Namen des ganzen Menschengeschlechts Rache gegen Euch fordern werde.««

»»Nehmt Euch in Acht,«« erwiderte er mit einer drohenden Betonung, die ich noch nicht von ihm gehört hatte, »»es steht mir ein Mittel zu Gebot, das ich nur im äußersten Falle anwenden werde, um Euch den Mund zu verschließen, oder wenigstens zu verhindern, daß man auch nur ein Wort von dem glaubt, was Ihr aussagt.««

»Ich raffte alle meine Kräfte zusammen, um ihm mit einem schallenden Gelächter zu antworten …

»Er sah, daß unter uns nun ein Krieg auf Leben und Tod ausgebrochen war.

»»Hört,«« sagte er, »»ich gebe Euch noch den Rest der Nacht und den morgigen Tag. Bedenkt wohl. Versprecht zu schweigen, und Reichthum, Achtung, Ehre soll Euch umgeben; droht Ihr zu sprechen, so überantworte ich Euch der Schande.«« »»Ihr?«« rief ich, »»Ihr?««

»»Der ewigen, untilgbaren Schande.«« »»Ihr?«« wiederholte ich. »Ah! ich sage Euch, Felton, ich hielt ihn für wahnsinnig.

»»Oh! laßt mich,«« rief ich, »»geht, wenn Ihr nicht wollt, daß ich mir in Eurer Gegenwart die Hirnschale an der Wand zerschmettere.««

»»Gut, Ihr wollt es so haben; morgen Abend also.«« »»Morgen Abend,«« erwiderte ich, sank auf den Boden nieder und biß vor Wuth in den Teppich.«

Felton stützte sich auf einen Schrank und Mylady sah mit teuflischer Freude, daß der junge Offizier vielleicht nicht die Kraft haben würde, die Erzählung bis zu Ende zu hören.

XXIX.

Ein Vorwurf zu einer klassischen Tragödie.

Nach einem kurzen Stillschweigen, während dessen Mylady den jungen Offizier, der ihr zuhörte, zu beobachten beschäftigt war, fuhr sie in ihrer Erzählung fort:

»Ich hatte beinahe drei Tage nichts gegessen und nichts getrunken, und war furchtbaren Qualen preisgegeben; zuweilen zog es wie Wolken über meine gepreßte Stirne hin, meine Augen verschleierten sich, meine Gedanken geriethen in Verwirrung.

»Der Abend kam; ich war so schwach, daß ich jeden Augenblick in Ohnmacht sank, und so oft ich ohnmächtig wurde, dankte ich Gott, denn ich glaubte, mein Tod nahe heran.

»Mitten in einer solchen Ohnmacht hörte ich, daß sich die Thüre öffnete. Der Schrecken brachte mich zum Bewußtsein.

»Mein Verfolger trat mit einem maskirten Manne ein; er war selbst maskirt; ich erkannte seinen Tritt, ich erkannte seine Stimme, ich erkannte das imposante Wesen, das die Hölle seiner Person zum Unglück der Menschheit verliehen hat.

»»Nun!«« sprach er, »»seid Ihr entschlossen, mir den Eid zu leisten, den ich von Euch verlange?««

»»Ihr habt es gesagt, die Puritaner haben nur ein Wort: das meinige habt Ihr vernommen, ich habe mir angelobt. Euch auf Erden vor dem Gerichte der Menschen, im Himmel vor dem Gerichte Gottes zu verfolgen!««

»»Ihr beharrt also auf Eurer Absicht?««

»»Ich schwöre es vor Gott, der mich hört; ich nehme die ganze Welt zum Zeugen Eures Verbrechens, und zwar bis ich einen Rächer gefunden habe.««

»»Ihr seid eine Metze,«« rief er mit einer Donnerstimme, »»und sollt die Strafe der Metzen erdulden! … Gebrandmarkt in den Augen der Welt, die Ihr anrufen wollt, versucht es dieser Welt zu beweisen, daß Ihr weder wahnwitzig noch schuldig seid.««

»Dann wandte er sich an seinen Begleiter mit den Worten: »»Henker, thue Deine Schuldigkeit.««

»Oh! seinen Namen! seinen Namen!« rief Felton abermals; »nennt mir seinen Namen.«

»Trotz meines Geschreis, trotz meines Widerstands, denn ich fing nun an, zu begreifen, daß es sich für mich um etwas Schlimmeres, als um den Tod handelte, packte mich der Henker, warf mich zu Boden, schnürte mir die Arme fest zusammen, und vom Schluchzen halb erstickt, beinahe ohne Bewußtsein, Gott anrufend, der mich nicht hörte, stieß ich plötzlich einen furchtbaren Schrei des Schmerzes und der Schande aus: ein glühendes Eisen, ein rothes Eisen, das Eisen des Henkers hatte man auf meine Schulter gedrückt.«

Felton schnaubte und brüllte.

»Seht,« sprach Mylady, sich mit der Majestät einer Königin erhebend, »seht Ihr, wie man für das reine Mädchen, das ein Opfer der Rohheit eines heillosen Missethäters war, ein neues Märtyrthum ersonnen hatte. Lernt das Herz der Menschen kennen, und dient von nun an minder leicht als Werkzeug ihrer ungerechten Rache.«

Mit einer raschen Bewegung öffnete Mylady ihr Kleid, zerriß den Batist, welcher ihre Schulter bedeckte, und zeigte, roth vor geheucheltem Zorn und gespielter Scham, dem jungen Manne das untilgbare Mal, das ihre so schöne Schulter entehrte.

»Aber ich sehe hier eine Lilie,« rief Felton.

»Darin liegt gerade die Niederträchtigkeit,« antwortete Mylady, »die Brandmarkung von Frankreich! … Er hätte beweisen müssen, von welchem Tribunal mir diese aufgedrückt worden sei, und ich hätte einen öffentlichen Aufruf an alle Gerichte des Königreichs ergehen lassen. Aber durch die Brandmarkung von Frankreich war ich wirklich gebrandmarkt.«

Das war zu viel für Felton. Bleich, unbeweglich, niedergeschmettert durch diese furchtbare Enthüllung, geblendet durch die übermenschliche Schönheit dieser Frau, die sich mit einer Schamlosigkeit vor ihm enthüllte, welche er erhaben fand, stürzte er endlich vor ihr auf die Kniee nieder, wie dies die ersten Christen vor jenen heiligen Märtyrerinnen thaten, welche die Verfolgung der Kaiser im Circus der blutgierigen Lüsternheit des Pöbels bloßstellte. Das Brandmal verschwand, die Schönheit allein blieb übrig!

»Vergebung, Vergebung!« rief Felton, »o Vergebung!«

Mylady las in seinen Augen: Liebe, Liebe!

»Vergebung, wofür?« fragte sie.

»Vergebung dafür, daß ich mit Euren Verfolgern in Verbindung stand.«

Mylady reichte ihm die Hand.

»So schön! so jung!« rief Felton und bedeckte ihre Hand mit Küssen.

Mylady ließ einen jener Blicke, die einen Sklaven zum König machen, auf ihn fallen.

Felton war Puritaner. Er ließ die Hand dieser Frau los, um ihr die Füße zu küssen.

Er liebte sie bereits nicht mehr, er betete sie an.

Als diese Krise vorüber war, als Mylady ihre Kaltblütigkeit, die sie nie verlassen hatte, wieder gewonnen zu haben schien, sprach er:

»Und nun habe ich Euch nur Eines noch zu sagen: nennt mir den Namen Eures wahren Henkers, denn für mich gibt es nur einen; der andere war das Werkzeug und nicht mehr.«

»Wie, Bruder!« rief Mylady, »ich soll ihn Dir nennen und Du hast ihn noch nicht errathen?«

»Wie!« versetzte Felton, »Er! … abermals er! – immer er! … Er, der wahre Schuldige?«

»Der wahre Schuldige ist der Verwüster Englands, der Verfolger der ächten Gläubigen, der feige Räuber der Ehre so vieler Frauen! Er, der aus einer Laune seines verdorbenen Herzens so viel Blutvergießen über England bringt, der heute die Protestanten beschützt, und sie morgen verrathen wird.«

»Buckingham! also Buckingham!« rief Felton außer sich.

Mylady verbarg ihr Gesicht in den Händen, als vermöchte sie die Schmach nicht zu ertragen, an welche dieser Mann sie erinnerte.

»Buckingham! der Henker dieses engelreinen Geschöpfes!« rief Felton. »Und Du hast ihn nicht mit Deinem Donner niedergeschmettert, mein Gott! und Du lässest ihn erhaben, geehrt, mächtig, zu unser aller Verderben!«

»Gott verläßt den, der sich selbst verläßt,« sprach Mylady.

»Er will also auf sein Haupt die Strafe der Verdammten herabrufen,« fuhr Felton mit wachsender Begeisterung fort. »Die menschliche Rache soll also der göttlichen Rache zuvorkommen!«

»Die Menschen fürchten und schonen ihn.«

»Oh, ich fürchte ihn nicht und werde ihn nicht schonen!« rief Felton.

Myladys Seele schwamm in höllischer Freude.

»Aber in welchem Zusammenhange,« fragte Felton, »steht Lord Winter, mein Beschützer, mein Vater, mit Allem dem?«

»Hört, Felton,« erwiderte Mylady, »neben feigen und verächtlichen Menschen finden sich erhabene, edelmüthige Naturen; ich hatte einen Bräutigam, einen Mann, der mich liebte und den ich liebte, ein Herz wie das Eurige, Felton, einen Mann, wie Ihr. Ich ging zu ihm und erzählte ihm Alles. Er kannte mich und zweifelte nicht einen Augenblick. Er war ein hochgestellter Herr, in allen Beziehungen Buckingham gleich. Er sprach nichts, gürtete nur sein Schwert um, hüllte sich in seinen Mantel, und begab sich nach Buckingham Palace.«

»Ich begreife,« sagte Felton, »obgleich man gegen solchen Menschen nicht das Schwert, sondern den Dolch brauchen muß.«

»Buckingham war am Tage vorher abgereist, als Botschafter nach Spanien geschickt, wo er um die Hand der Infantin für König Karl I., der damals noch Prinz von Wales war, werben sollte. Mein Bräutigam kam zurück.«

»»Hört,«« sprach er zu mir, »»dieser Mensch ist abgereist, und folglich für den Augenblick meiner Rache entgangen; aber mittlerweile schließen wir unsere Verbindung, wie wir dies beabsichtigten, und dann baut auf Lord Winter, daß er seiner Ehre und die seiner Gemahlin aufrecht zu erhalten wissen wird.««

»Lord Winter!« rief Felton.

»Ja,« antwortete Mylady, »Lord Winter, und nun begreift Ihr wohl Alles, nicht wahr? Buckingham blieb beinahe ein Jahr abwesend. Acht Tage vor seiner Ankunft starb Lord Winter plötzlich und hinterließ mich als seine einzige Erbin. Woher kam der Schlag? Gott, der Alles weiß, weiß auch dies ohne Zweifel. Ich klage Niemand an.«

»Oh welch ein Abgrund! Welch ein furchtbarer Abgrund!« rief Felton.

»Lord Winter war gestorben, ohne seinem Bruder etwas zu sagen. Das furchtbare Geheimniß sollte vor Allem verborgen bleiben, bis es wie ein Gewitter über dem Haupte des Schuldigen ausbrechen würde; Euer Beschützer hatte nur mit Widerwillen die Heirath seines Bruders mit einem jungen Mädchen ohne Vermögen angesehen. Ich fühlte, daß ich keine Stütze bei einem Manne zu erwarten hatte, der in seinen Erbschaftshoffnungen betrogen worden war, und zog nach Frankreich, entschlossen, mein ganzes übriges Leben daselbst zuzubringen. Aber da sich mein Vermögen in England befand, und jede Verbindung durch den Krieg abgebrochen war, so fehlte es mir an Allem, und ich sah mich genöthigt, dahin zurückzukehren. Vor sechs Tagen landete ich in Portsmouth.«

»Was geschah weiter?« fragte Felton.

»Buckingham erfuhr ohne Zweifel meine Rückkehr, er sprach darüber mit Lord Winter und sagte ihm, seine Schwägerin sei eine Geschändete, eine Gebrandmarkte. Die edle, reine Stimme meines Gatten konnte mich nicht mehr vertheidigen. Lord Winter glaubte Alles, was man ihm sagte, um so leichter, als er ein Interesse dabei hatte, es zu glauben. Er ließ mich verhaften und hierher führen, und stellte mich unter Eure Obhut. Das Uebrige wißt Ihr. Uebermorgen deportirt er mich. Uebermorgen schickt er mich in die Verbannung unter ehrlose Verbrecher. Oh! der Faden ist gut gesponnen, das Complott ist geschickt angelegt, aber meine Ehre wird es nicht überleben. Ihr seht wohl, daß ich sterben muß, Felton. Felton, gebt mir das Messer!«

Und nach diesen Worten sank Mylady, als ob alle ihre Kräfte erschöpft wären, schwach und schmachtend in die Arme des jungen Offiziers.

»Nein, nein!« rief er, »nein. Du sollst leben, rein und geehrt. Du sollst über Deine Feinde triumphiren!«

Mylady stieß ihn sachte mit der Hand zurück, während sie ihn mit dem Blicke anzog.

»O den Tod! den Tod!« sprach sie, die Stimme und die Augen verschleiernd. »O lieber den Tod, als die Schande! … Felton, mein Bruder, mein Freund, ich beschwöre Dich!«

»Nein,« rief Felton, »nein. Du sollst leben und gerächt werden.«

»Felton, ich bringe Unglück über Alles, was mich umgibt. Felton, verlaß mich! Felton, laß mich sterben!«

»Wohl, so sterben wir mit einander!« rief er.

Es tönten mehrere Schläge an der Thüre.

»Horch!« sprach sie, »man hat uns belauscht; man kommt! Es ist vorbei; wir sind verloren.«

»Nein,« sprach Felton, »es ist die Wache, welche mir meldet, daß eine Runde kommt.«

»Dann eilt an die Thüre und öffnet selbst.«

Felton gehorchte. Diese Frau war bereits sein ganzer Gedanke, seine ganze Seele.

Er stand dem Sergenten gegenüber, der eine Wachpatrouille commandirte.

»Was gibt es?« fragte der Offizier.

»Ihr habt mir gesagt, ich solle die Thüre öffnen, wenn ich um Hülfe rufen höre, aber Ihr vergaßt, mir den Schlüssel zu lassen. Ich hörte Euch rufen, ohne daß ich verstand, was Ihr verlangtet, und wollte die Thüre öffnen, aber sie war von innen verschlossen, und ich rief deßhalb den Sergenten.«

»Und hier bin ich,« sagte der Sergent.

Verwirrt, beinahe verrückt, blieb Felton lautlos.

Mylady betriff, daß sie sich der Lage der Dinge bemächtigen mußte. Sie lief nach dem Tische und ergriff das Messer, welches Felton darauf gelegt hatte.

»Und mit welchem Rechte wollt Ihr mich hindern zu sterben?« fragte sie.

»Großer Gott!« rief Felton, als er das Messer in ihrer Hand blinken sah.

In diesem Augenblick erscholl ein ironisches Gelächter in der Flur.

Von dem Geräusche herbeigezogen, stand der Baron im Schlafrocke, den Degen unter dem Arm, auf der Thürschwelle.

»Ah! ah!« sagte er, »wir sind im letzten Akte der Tragödie angelangt. Ihr seht, Felton, das Drama hat alle von mir bezeichneten Phasen durchgemacht; aber seid unbesorgt, das Blut wird nicht fließen.«

Mylady begriff, daß sie verloren war, wenn sie nicht Felton einen unmittelbaren und furchtbaren Beweis von ihrem Muthe gab.

»Ihr täuscht Euch, Mylord, das Blut wird fließen. Möge es auf diejenigen zurückfallen, welche es fließen lassen!«

Felton stieß einen Schrei aus und stürzte auf sie zu. Es war zu spät, Mylady hatte gestochen.

Aber das Messer hatte glücklicher Weise – wir sollten sagen geschickter Weise – das stählerne Planchet getroffen, das in jener Zeit wie ein Panzer die Brust der Frauen beschützte. Es hatte das Kleid zerrissen, war aber dann abgeglitten und schräg zwischen dem Fleisch und den Rippen eingedrungen.

Myladys Kleid war darum nicht minder in einer Sekunde mit Blut befleckt.

Mylady sank zurück und schien ohnmächtig. Felton entriß ihr das Messer.

»Seht, Mylord,« sprach er mit düsterer Miene. »Diese Frau war unter meine Obhut gestellt und hat sich getötet.«

»Seid unbesorgt, Felton,« sprach Lord Winter, »sie ist nicht tot. Die Teufel sterben nicht so leicht; seid unbesorgt, erwartet mich in meinem Zimmer.«

»Aber, Mylord …«

»Geht, ich befehle es Euch!«

Felton gehorchte dem Befehl seines Vorgesetzten, aber er steckte das Messer in seinen Busen, als er sich entfernte.

Lord Winter begnügte sich, die Frau zu rufen, welche Mylady bediente, und als diese gekommen war, empfahl er ihr die noch immer ohnmächtige Gefangene und ließ sie mit dieser allein.

Da jedoch die Wunde trotz seines Argwohns von Bedeutung sein konnte, so schickte er sogleich einen Reitenden ab, um den Arzt zu holen.

III.

Engländer und Franzosen.

Zur bestimmten Stunde begab man sich mit den vier Lakaien hinter dem Luxemburg in ein Gehege, das den Ziegen überlassen war, Athos gab dem Ziegenhirten ein Geldstück, damit er sich entferne. Die Lakaien mußten Wache halten.

Bald näherte sich eine stillschweigende Truppe demselben Gehege, trat ein und stieß zu den Musketieren. Dann fanden nach den englischen Gebräuchen die Vorstellungen statt.

Die Engländer waren insgesammt Leute von hohem Stande; die bizarren Namen der drei Freunde wurden deßhalb für sie ein Gegenstand, nicht nur des Erstaunens, sondern auch der Unruhe.

»Bei Allem dem,« sprach Lord Winter, als die Freunde genannt waren, »bei Allem dem wissen wir nicht, wer Ihr seid, und wir schlagen uns mit solchen Namen nicht. Das sind ja wahre Schäfernamen.« – »Es sind auch, wie Ihr voraussetzt, Mylord, nur falsche Namen.« – »Um so mehr müssen wir darauf bestehen, die wahren Namen zu erfahren,« antwortete der Engländer. – »Ihr habt doch auch gegen uns gespielt, ohne uns zu kennen,« sagte Athos, »und uns dabei unsere zwei Pferde abgenommen.« – »Das ist wahr, aber wir wagten nur unsere Pistolen. Diesmal setzen wir unser Blut ein. Man spielt mit der ganzen Welt, aber man schlägt sich nur mit Seinesgleichen. – »Das ist richtig,« sprach Athos.

Und er nahm denjenigen von den vier Engländern, mit welchem er sich schlagen sollte, bei Seite und nannte ihm ganz leise seinen Namen. Porthos und Aramis thaten ihrerseits dasselbe.

»Genügt das,« sprach Athos zu seinem Gegner, »und findet Ihr meine Abkunft vornehm genug, um mir die Gnade zu erzeigen, den Degen mit mir zu kreuzen?« – »Ja, mein Herr,« antwortete der Engländer sich verbeugend. – »Gut! soll ich Euch nun etwas sagen?« versetzte Athos kalt. – »Was?« fragte der Engländer. – »Ihr hättet viel besser daran gethan, nicht von mir zu fordern, daß ich meinen Namen nenne.« – »Warum dies?« – »Weil man mich für tot hält, und ich aus Gründen wünschen muß, daß man mein Leben nicht erfahre, ich werde deßhalb genöthigt sein, Euch zu töten, damit mein Geheimniß nicht in der Welt herumgetragen wird.«

Der Engländer schaute Athos an und glaubte, dieser scherze; aber Athos scherzte durchaus nicht.

»Meine Herren,« sagte Athos, sich an seine Gefährten und an seine Gegner wendend, »sind wir fertig?« – »Ja« antworteten einstimmig Engländer und Franzosen. – »Dann legt Euch aus!« sprach Athos.

Und alsbald glänzten acht Degen in den Strahlen der untergehenden Sonne, und rasch begann der Kampf mit einer Erbitterung, die bei dem gegenseitigen Nationalhaß ganz natürlich war.

Athos focht mit eben so viel Ruhe und Methode, als ob er in einem Fechtsaal stände.

Porthos, dem sein Abenteuer in Chantilly ohne Zweifel etwas von seinem allzu großen Selbstvertrauen benommen hatte, spielte den Feinen und Klugen.

Aramis, der den dritten Gesang seines Gedichtes vollenden wollte, arbeitete wie ein Mann der große Eile hat.

Athos tötete zuerst seinen Gegner. Er hatte ihm nur einen Stoß beigebracht, aber dieser war, wie er vorhergesehen tötlich gewesen; der Degen drang durch das Herz.

Porthos streckte hierauf seinen Gegner zu Boden; er hatte ihm den Schenkel durchstochen. Da ihm der Engländer seinen Degen übergab, so nahm er ihn in seine Arme und trug ihn in seinen Wagen.

Aramis bedrängte seinen Gegenkämpfer so kräftig, daß er ihn, nachdem er ihn beinahe fünfzig Schritt weit über die Mensur getrieben hatte, kampfunfähig machte.

D’Artagnan trieb ganz einfach ein Vertheidigungsspiel. Als er seinen Gegner sehr ermüdet sah, schlug er ihm mit einem sehr heftigen Quartstoß den Degen aus der Faust. Sobald der Baron sich entwaffnet sah, machte er ein paar Schritte rückwärts, aber bei dieser Bewegung glitt sein Fuß und er fiel auf die Erde.

D’Artagnan war mit einem Sprung auf ihm und setzte ihm den Degen an die Kehle.

»Ich könnte Euch töten, mein Herr,« sagte er zu dem Engländer, »und Ihr seid in meinen Händen, aber ich schenke Euch Eurer Schwester zu Liebe das Leben.«

D’Artagnan war im höchsten Grad erfreut: jetzt war der Plan verwirklicht, den er im Voraus gefaßt, und dessen Entwickelung das von uns besprochene Lächeln auf sein Gesicht gerufen hatte.

Entzückt darüber, daß er es mit einem Edelmann von so schönem Charakter zu thun hatte, schloß der Engländer d’Artagnan in seine Arme, sagte den drei Musketieren tausend Schmeicheleien, und da der Gegner von Porthos bereits in seinen Wagen gebracht war und der von Aramis sich aus dem Staube gemacht hatte, so dachte man nur noch an den Toten.

Als Porthos und Aramis in der Hoffnung, seine Wunde würde nicht tötlich sein, ihn entkleideten, fiel eine schwere Börse aus seinem Gürtel. D’Artagnan hob sie auf und reichte sie Lord Winter.

»Ei! den Teufel, was soll ich denn damit machen?« sprach der Engländer. – »Gebt diese Börse seiner Familie zurück,« erwiderte d’Artagnan. – »Seine Familie kümmert sich viel um eine solche Erbärmlichkeit! sie erbt eine Rente von fünfzehntausend Louisd’or. Behaltet diese Börse für Eure Lakaien!«

Während dieser Zeit hatte sich Athos seinem Freund d’Artagnan genähert.

»Nein,« sprach er, »geben wir die Börse nicht unsern Lakaien, sondern den englischen.«

Athos nahm die Börse, warf sie dem Kutscher in die Hand und rief: »Für Euch und Eure Kameraden.«

Diese Großartigkeit der Manieren bei einem gänzlich entblößten Menschen setzte sogar Porthos in Erstaunen, und diese französische Freigebigkeit hatte, von Lord Winter und seinem Freunde wieder erzählt, überall, nur nicht bei den Herrn Grimaud, Mousqueton, Planchet und Bazin, den günstigen Erfolg.

»Und nun, mein junger Freund, denn ihr erlaubt mir hoffentlich, daß ich Euch diesen Namen gebe,« sagte Lord Winter; »noch diesen Abend, wenn es Euch genehm ist, stelle ich Euch Lady Clarick, meiner Schwester, vor, denn sie soll Euch ebenfalls gewogen werden, und da sie bei Hof nicht übel angeschrieben ist, so wird vielleicht in Zukunft ein Wort von ihr nicht unvortheilhaft für Euch sein.«

D’Artagnan erröthete vor Vergnügen und verbeugte sich zum Zeichen der Einwilligung.

Lord Winter gab d’Artagnan, ehe er ihn verließ, die Adresse seiner Schwester; sie wohnte auf der Place Royale, was damals das vornehmste Quartier war, Nro. 6. Ueberdies machte er sich anheischig, ihn zum Behuf der Vorstellung abzuholen. D’Artagnan gab ihm um acht Uhr bei seinem Freunde Athos Rendezvous.

Diese Vorstellung bei Mylady nahm den Kopf unseres Gascogners gewaltig in Anspruch. Er erinnerte sich, auf welch seltsame Weise diese Frau bis jetzt in sein Geschick verwickelt gewesen war. Nach seiner Ueberzeugung war sie ein Geschöpf des Kardinals, und dennoch sah er sich unwiderstehlich durch eines jener Gefühle, von denen man sich keine Rechenschaft gibt, zu ihr hingezogen. Er fürchtete nur, Mylady möchte in ihm den Mann von Meung und Dover wieder erkennen. Dann würde sie wissen, daß er einer von den Freunden des Herrn von Treville war und folglich mit Leib und Seele dem König gehörte, wodurch er gleich einen Theil seiner Vortheile verlieren mußte. Was den Anfang einer Intrigue zwischen ihr und dem Grafen von Wardes betrifft, so kümmerte sich unser junger Mann nur sehr wenig um diesen Umstand, obgleich der Marquis jung, hübsch, reich und bei dem Kardinal sehr in Gunst war. Es will nicht wenig heißen, wenn man zwanzig Jahre zählt, besonders wenn man in Tarbes geboren ist.

D’Artagnan fing damit an, daß er in seinem Zimmer eine glänzende Toilette machte; dann kehrte er zu Athos zurück und erzählte diesem seiner Gewohnheit gemäß Alles. Athos hörte ruhig seine Pläne an, schüttelte sodann den Kopf und empfahl ihm mit einer gewissen Bitterkeit große Vorsicht.

»Wie?« sprach er, »Ihr habt vor Kurzem erst eine Frau verloren, die Ihr gut, schön, vollkommen nanntet, und Ihr lauft bereits einer andern nach?«

D’Artagnan fühlte die Wahrheit dieses Vorwurfs.

»Ich liebe Madame Bonacieux mit dem Herzen, während ich Mylady mit dem Kopfe liebe,« sagte er, »und indem ich mich bei ihr einführen lasse, suche ich mir Licht über die Rolle zu verschaffen, die sie bei Hofe spielt.« – »Welche Rolle sie spielt, bei Gott, das ist nach Allem, was Ihr mir erzählt habt, nicht schwer zu errathen. Sie ist eine Emissärin Richelieus, eine Frau, die Euch in eine Falle locken wird, in der Ihr ganz einfach Euren Kopf lassen müßt.« – »Teufel! Athos, es scheint mir, Ihr seht die Dinge sehr schwarz.« – »Mein Lieber, ich mißtraue den Frauen; was wollt Ihr! ich habe meinen Lohn dahin; und ganz besonders mag ich nichts von den Blonden wissen. Mylady ist blond, sagtet Ihr mir?« – »Sie hat Haare vom schönsten Blond, das man sehen kann.« – »Ah! mein armer d’Artagnan!« rief Athos. – »Hört: ich will mir Licht verschaffen, und wenn ich weiß, was ich wissen will, halte ich mich ferne.« – »Verschafft Euch Licht,« sagte Athos phlegmatisch.

Lord Winter erschien zur bestimmten Stunde, aber zu rechter Zeit benachrichtigt, ging Athos in das zweite Zimmer. Er fand also d’Artagnan allein, und da es beinahe acht Uhr war, so führte er den jungen Mann mit sich fort.

Eine elegante Karrosse wartete vor der Hausthüre; sie war mit zwei vortrefflichen Pferden bespannt, und man hatte in einem Augenblick die Place Royale erreicht.

Mylady Winter empfing d’Artagnan höchst verbindlich.

Ihr Hotel war mit verschwenderischer Pracht ausgestattet, und sie hatte, obgleich die meisten Engländer durch den Krieg vertrieben, Frankreich verließen oder es zu verlassen im Begriffe waren, neue Ausgaben hiefür gemacht, woraus hervorging, daß die allgemeine Maßregel, wodurch die Engländer entfernt wurden, sie nicht traf.

»Ihr seht hier,« sprach Lord Winter, »Ihr seht hier einen jungen Edelmann, der mein Leben in seinen Händen hatte und keinen Mißbrauch von seinem Vortheil machen wollte, obgleich wir doppelte Feinde waren, einmal weil ich ihn beleidigt hatte, und dann weil ich ein Engländer bin. Dankt ihm also, wenn Ihr einige Freundschaft für mich fühlt.«

Mylady zog die Augenbrauen etwas zusammen, eine kaum bemerkbare Wolke lagerte sich über ihre Stirne, und ein so seltsames Lächeln erschien auf ihren Lippen, daß der junge Mann, der diese dreifache Nuance gewahr wurde, von einem leichten Schauder erfaßt wurde.

Der Bruder sah nichts; er hatte sich umgedreht, um mit dem Lieblingsaffen von Mylady zu spielen, der ihn am Wamms zupfte.

»Seid willkommen, mein Herr,« sprach Mylady mit einer Stimme, deren Weichheit in seltsamem Widerspruch mit den Symptomen schlechter Laune stand, welche d’Artagnan bemerkt hatte, »denn Ihr habt Euch heute ein ewiges Recht auf meine Dankbarkeit erworben.«

Der Engländer drehte sich jetzt wieder um und erzählte den Kampf, ohne auch nur das Geringste zu übergehen. Mylady hörte ihm mit gespannter Aufmerksamkeit zu; aber wie sehr sie sich auch anstrengte, um ihre Eindrücke zu verbergen, so sah man doch leicht, daß ihr das Gespräch durchaus nicht angenehm war; das Blut stieg ihr in den Kopf und ihr kleiner Fuß bewegte sich unruhig unter dem Kleide.

Lord Winter bemerkte nichts; als er vollendet hatte, näherte er sich einem Tisch, auf welchen man ein silbernes Brett mit einer Flasche spanischem Wein gestellt hatte; er füllte zwei Gläser und lud d’Artagnan ein, zu trinken.

D’Artagnan wußte, daß es eine grobe Unhöflichkeit gegen einen Engländer wäre, auf einen Toast nicht Bescheid zu thun. Er trat an den Tisch und ergriff das zweite Glas, verlor jedoch Mylady nicht aus dem Gesicht, und gewahrte im Spiegel die Veränderung, welche in ihren Zügen vorging. Jetzt, da sie nicht mehr beobachtet zu sein glaubte, belebte ein Gefühl, das der Wildheit glich, ihr Antlitz. Sie biß mit ihren schönen Zähnen in das Taschentuch.

Die hübsche Zofe, welche d’Artagnan bereits gesehen hatte, trat ein; sie sagte einige Worte auf Englisch zu Lord Winter, der augenblicklich, unter Vorschützung dringender Geschäfte, d’Artagnan um Erlaubnis bat, sich entfernen zu dürfen, und seine Schwester ersuchte, Verzeihung für ihn zu erlangen.

D’Artagnan tauschte einen Händedruck mit Lord Winter und kam zu Mylady zurück. Das Gesicht dieser Frau hatte mit überraschender Beweglichkeit seinen anmuthigen Ausdruck wieder angenommen: nur deuteten einige rote Fleckchen auf ihrem Taschentuche an, saß sie sich die Lippen blutig gebissen hatte.

Ihre Lippen waren herrlich, wie aus Korallen geformt.

Das Gespräch nahm eine heitere Wendung. Mylady schien ganz von ihrer vorhergehenden Stimmung zurückgekommen. Sie erzählte, daß Lord Winter nur ihr Schwager und nicht ihr Bruder sei; sie selbst habe einen jüngeren Sohn geheirathet, der sie als Wittwe mit einem Kind hinterlassen. Dieses Kind sei der einzige Erbe von Lord Winter, wenn er nicht heirathe. Alles dies ließ d’Artagnan einen Schleier erschauen, der etwas verhüllte; aber er vermochte noch nichts unter dem Schleier zu unterscheiden.

Nach einer Unterredung von einer halben Stunde hatte d’Artagnan indessen die Ueberzeugung gewonnen, daß Mylady seine Landsmännin war; sie sprach das Französische mit einer Reinheit und Eleganz, daß kein Zweifel übrig blieb.

D’Artagnan verschwendete galante Redensarten und Ergebenheits-Betheuerungen. Mylady lächelte wohlwollend zu allen Albernheiten, die unserem Gascogner entschlüpften. Endlich war die Stunde zum Aufbruch gekommen! d’Artagnan verabschiedete sich von Mylady und verließ den Saal als der glücklichste der Sterblichen.

Auf der Treppe begegnete er der hübschen Zofe, welche sanft an ihn anstreifte, bis unter die Augen erröthete und ihn mit so weicher Stimme wegen dieser Berührung um Verzeihung bat, daß diese auch augenblicklich bewilligt wurde.

D’Artagnan kam am andern Tag wieder und wurde noch freundlicher, als am Abend zuvor, empfangen. Lord Winter war nicht anwesend, und Mylady machte ihm alle Honneurs. Sie schien ein großes Interesse an ihm zu nehmen, fragte ihn, wo er wohne, wer seine Freunde seien, und ob er nicht zuweilen daran gedacht habe, in den Dienst des Herrn Kardinals zu treten.

D’Artagnan war, wie man weiß, sehr klug für einen jungen Mann von zwanzig Jahren, und erinnerte sich alsbald seines Verdachts in Beziehung auf Mylady. Er sprach mit großen Lobeserhebungen von Seiner Eminenz und sagte zu Mylady, er würde nicht verfehlt haben, bei der Leibwache des Kardinals statt bei der des Königs einzutreten, wenn er zum Beispiel Herrn von Cavois statt Herrn von Treville gekannt hätte.

Mylady gab dem Gespräch eine andere Wendung, ohne daß es nur entfernt den Anschein einer Absicht hatte, und fragte d’Artagnan auf die gleichgültigste Weise der Welt, ob er je in England gewesen sei.

D’Artagnan antwortete, er sei von Treville dahin geschickt worden, um wegen einer Remonte von Pferden zu unterhandeln, und habe auch vier Stück als Muster mitgebracht.

Mylady biß sich im Verlauf des Gespräches wiederholt auf die Lippen, sie hatte es mit einem jungen Manne zu thun, der sich keine Blößen gab.

D’Artagnan zog sich zu derselben Stunde, wie am Tage vorher, zurück. In der Flur begegnete er abermals der hübschen Ketty, so hieß die Zofe. Sie schaute ihn mit einem Ausdruck geheimen Wohlwollens an. Aber d’Artagnan war so sehr mit der Gebieterin beschäftigt, daß er nur das gewahr wurde, was von ihr herrührte.

Am zweiten Tag kam d’Artagnan abermals und am dritten ebenso, und jedes Mal wurde ihm ein freundlicherer Empfang von Mylady zu Theil.

Jenen Abend begegnete er auch der hübschen Zofe auf der Treppe, oder in der Hausflur.

Aber d’Artagnan ließ, wie gesagt, die seltsame Beharrlichkeit der armen Ketty unbeachtet.

XXX.

Die Flucht.

Myladys Wunde war, wie Lord Winter gedacht hatte, durchaus nicht gefährlich. Sobald sie sich mit der für ihre Bedienung bestimmten Frau allein befand, schlug sie die Augen wieder auf.

Aber man mußte Schwäche und Schmerz heucheln; das war nicht schwierig für eine Schauspielerin wie Mylady. Die arme Frau, welche sich beeilte sie zu entkleiden, wurde auch dergestalt von ihrer Gefangenen bethört, daß sie, trotz der Einwendungen Myladys, auf ihrem Willen, die ganze Nacht bei ihr zu wachen, beharrte.

Aber die Gegenwart dieser Frau hinderte Mylady nicht am Nachdenken. Es blieb kein Zweifel mehr, Felton war überzeugt, Felton gehörte ihr. Wäre ein Engel dem jungen Manne erschienen, um Mylady anzuklagen, er würde ihn in seiner damaligen Gemüthsstimmung sicherlich für einen Abgesandten des Teufels gehalten haben.

Mylady lächelte bei diesem Gedanken; denn Felton war von nun an ihre einzige Hoffnung, ihr einziges Rettungsmittel.

Aber in Lord Winter konnte ein Verdacht gegen ihn entstanden sein. Felton konnte jetzt selbst überwacht werden.

Gegen vier Uhr Morgens erschien der Arzt; doch seit der Zeit, wo Mylady sich den Stich beigebracht, hatte sich die Wunde bereits wieder geschlossen. Der Arzt konnte also weder ihre Richtung noch ihre Tiefe ermessen. Er erkannte nur an dem Pulse der Kranken, daß die Sache von keiner Bedeutung war.

Am Morgen schickte Mylady, unter dem Vorwand, die ganze Nacht nicht geschlafen zu haben und der Ruhe zu bedürfen, die Frau weg, welche bei ihr wachte.

Sie hegte einigermaßen die Hoffnung, Felton werde zur Frühstückstunde erscheinen, aber er kam nicht.

Hatten sich ihre Befürchtungen verwirklicht? Sollte ihr Felton, von dem Baron beargwöhnt, in dem entscheidenden Augenblicke sein Wort nicht halten können? Sie hatte nur noch einen Tag. Lord Winter hatte ihr die Einschiffung auf den 23. angekündigt und man hatte bereits den Morgen des 22. erreicht. Nichtsdestoweniger wartete sie noch geduldig bis zur Stunde des Mittagsmahles. Obgleich sie am Morgen nichts gegessen hatte, wurde doch das Mittagsbrod zur gewöhnlichen Stunde gebracht. Mylady bemerkte mit Schrecken, daß die Uniform der Soldaten, welche sie bewachten, sich verändert hatte. Sie wagte es jetzt zu fragen, was aus Felton geworden sei?

Man antwortete ihr: Felton sei vor einer Stunde zu Pferde gestiegen und weggeritten.

Sie erkundigte sich, ob sich der Baron immer noch im Schlosse befinde. Der Soldat bejahte diese Frage mit der Bemerkung, er habe Befehl erhalten, ihn zu benachrichtigen, wenn ihn die Gefangene zu sprechen wünsche.

Mylady antwortete, sie sei für den Augenblick zu schwach und wünsche nur allein zu bleiben.

Der Soldat trat, das Mittagsbrod zurücklassend, ab.

Felton war entfernt. Die Marinesoldaten hatten sich verändert: man mißtraute also Felton.

Dies war der letzte Schlag für die Gefangene.

Sobald sie sich allein sah, stand sie auf. Das Bett, in welchem sie aus Klugheit, und damit man sie für schwer verwundet halten sollte, geblieben war, brannte sie wie ein glühender Rost. Sie warf einen Blick nach der Thüre. Der Baron hatte ein Brett vor das Gitter nageln lassen. Ohne Zweifel fürchtete er, es dürste ihr mit Hülfe dieser Oeffnung durch irgend ein teuflisches Mittel gelingen, die Wachen zu verführen.

Mylady lächelte vor Freude; sie konnte sich allen ihren Gemüthsbewegungen, ohne beobachtet zu werden, hingeben. Sie durchlief das Zimmer mit der Exaltation einer Wahnsinnigen oder einer in einem eisernen Käfig eingeschlossenen Tigerin. Wäre ihr das Messer geblieben, sie hätte sicherlich daran gedacht, nicht mehr sich selbst, sondern diesmal den Baron zu ermorden.

Um sechs Uhr trat Lord Winter, bis an die Zähne bewaffnet, ein. Dieser Mann, in dem Mylady bis dahin nur einen eleganten, artigen Edelmann gesehen hatte, war ein bewunderungswürdiger Kerkermeister geworden. Er schien Alles vorherzusehen, Alles zu errathen. Allem zuvorzukommen.

Ein einziger Blick auf Mylady unterrichtete ihn von Allem, was in ihrer Seele vorging.

»Gut,« sagte er, »aber Ihr werdet mich heute noch nicht umbringen. Ihr habt keine Waffe mehr und überdieß bin ich auch auf meiner Hut. Ihr hattet schon angefangen, meinem armen Felton den Kopf zu verdrehen. Er stand bereits unter Eurem höllischen Einflüsse, aber ich will ihn retten; er wird Euch nicht mehr sehen. Alles ist vorbei. Packt Eure Kleidungsstücke zusammen. Morgen reist Ihr ab. Ich hatte die Einschiffung auf den 23. festgestellt; aber je näher die Sache gerückt wird, desto sicherer ist sie. Morgen Mittag habe ich Euern Verbannungsbefehl, von Buckingham unterzeichnet, in meinen Händen. Sprecht Ihr ein einziges Wort zu irgend Jemand, ehe Ihr Euch auf dem Schiffe befindet, so schießt Euch mein Sergeant über den Haufen, dazu hat er Befehl. Sprecht Ihr auf dem Schiffe ein Wort zu irgend Jemand, ehe es der Kapitän gestattet, so läßt Euch dieser ins Meer werfen, das ist so abgemacht. Auf Wiedersehen, dies hatte ich Euch heute zu eröffnen. Morgen sehe ich Euch noch einmal, um Abschied zu nehmen.«

Nach diesen Worten entfernte sich der Baron.

Mylady hatte diese ganze drohende Tirade mit einem Lächeln auf den Lippen, aber mit Wuth im Herzen, angehört.

Man trug das Abendbrod auf. Mylady fühlte, daß sie der Kräfte bedurfte. Sie wußte nicht, was in dieser Nacht vorgehen konnte, welche drohend herannahte, denn schwere Wolken wälzten sich am Himmel hin und ferne Blitze kündigten einen Sturm an.

Der Sturm brach wirklich gegen zehn Uhr Abends aus. Mylady fand einen Trost darin, daß die Natur die Verwirrung ihres Herzens theilte. Der Donner rollte in der Luft, wie der Zorn in ihrem Herzen. Es war ihr, als brauste der Wind über ihre Stirne, wie über die Bäume hin, deren Zweige er krümmte, deren Blätter er fortriß. Sie heulte wie der Ocean, und ihre Stimme verlor sich in der großen Stimme der Natur, welche ebenfalls zu seufzen und zu verzweifeln schien.

Von Zeit zu Zeit betrachtete sie einen Ring, den sie am Finger trug. Der Kasten dieses Ringes enthielt ein feines, scharfes Gift; dies war ihre letzte Zuflucht.

Plötzlich hörte sie an ein Fenster klopfen, und bei dem Schimmer eines Blitzes erblickte sie ein männliches Gesicht hinter den Gitterstangen. Sie lief nach dem Fenster und öffnete es.

»Felton!« rief sie, »ich bin gerettet!«

»Ja,« sagte Felton, »aber stille, stille! Ich brauche Zeit, um Euere Stangen zu durchsägen. Nehmt Euch in Acht, daß sie Euch nicht durch das Gitter in der Thüre sehen.«

»Oh! das dient zum Beweise, daß der Herr für uns ist, Felton,« versetzte Mylady, »sie haben das Gitter mit einem Brette verschlossen.«

»So ist es gut! Gott hat sie wahnsinnig gemacht,« sprach Felton.

»Aber was habe ich zu thun?« fragte Mylady.

»Nichts, nichts, verschließt nur dieses Fenster wieder. Legt Euch schlafen, oder legt Euch wenigstens ganz angekleidet in Euer Bett. Sobald ich fertig bin, klopfe ich an die Scheibe. Aber könnt Ihr mir auch folgen?«

»O gewiß!«

»Eure Wunde?«

»Macht mir Schmerzen, hindert mich aber nicht zu gehen.«

»Haltet Euch also auf das erste Zeichen bereit.«

Mylady schloß das Fenster, löschte ihre Lampe aus und kauerte sich, wie ihr Felton empfohlen hatte, in ihr Bett. Inmitten der Klagen des Sturmes hörte sie das Knirschen der Feile an den Stangen, und bei dem Schimmer jedes Blitzes gewahrte sie den Schatten Feltons hinter den Scheiben.

Sie verbrachte eine Stunde ohne zu athmen, keuchend, mit Schweiß auf der Stirne, unter furchtbarer Angst bei jeder Bewegung, die sie in der Flur hörte.

Es gibt Stunden, welche ein Jahr dauern.

Nach Verlauf einer Stunde klopfte Felton abermals. Mylady sprang aus ihrem Bett und öffnete. Zwei ausgebrochene Stangen bildeten eine Oeffnung, durch welche ein Mensch schlüpfen konnte.

»Seid Ihr bereit?« – fragte Felton. – »Ja; soll ich etwas mitnehmen?« – »Geld, wenn Ihr habt!« – »Glücklicher Weise hat man mir das, was ich besaß, gelassen.« – »Desto besser, denn ich habe das meinige aufgebraucht, um eine Barke zu miethen.« – »Nehmt,« sagte Mylady und legte Felton einen Sack Gold in die Hände.

Felton nahm den Sack und warf ihn an den Fuß der Mauer.

»Wollt Ihr nun kommen?« sprach er.

»Hier bin ich!«

Mylady stieg auf einen Stuhl und schlüpfte mit dem ganzen obern Theile ihres Körpers durch das Fenster. Sie sah, daß der junge Offizier auf einer Strickleiter über dem Abgrunde hing.

Zum ersten Male erinnerte sie eine Regung von Angst daran, daß sie ein Weib war.

Die gähnende Leere machte ihr bange.

»Ich dachte es mir,« sagte Felton.

»Es ist nichts,« sprach Mylady, »ich werde mit geschlossenen Augen hinabsteigen.«

»Habt Ihr Vertrauen zu mir?« sagte Felton.

»Könnt Ihr noch fragen?«

»Reicht mir Eure zwei Hände, kreuzt sie; so ist es gut.«

Felton band ihr die zwei Faustgelenke mit seinem Taschentuche zusammen und umwickelte das Taschentuch mit einem Stricke.

»Was macht Ihr?« fragte Mylady erstaunt.

»Legt Eure Arme um meinen Hals und fürchtet Euch nicht.«

»Aber Ihr werdet durch mich das Gleichgewicht verlieren, und wir stürzen Beide hinab.«

»Seid unbesorgt; ich bin ein Seemann!«

Man hatte keine Sekunde, um sich zu besinnen. Mylady legte ihre beiden Arme um Feltons Hals und ließ sich aus dem Fenster gleiten.

Felton fing an die Sprossen langsam, eine nach der andern, hinabzusteigen. Trotz des Gewichtes der zwei Körper wiegte sie der Orkan in der Luft.

Plötzlich hielt Felton inne.

»Was giebt es?« fragte Mylady. – »Still!« sagte Felton, »ich höre Tritte!« – »Wir sind entdeckt!«

Es wurde wieder einen Augenblick still.

»Nein,« sprach Felton, »es ist nichts.« – »Aber was ist denn das für ein Geräusch?« – »Es kommt von der Patrouille, welche auf dem Rundengang geht.« – »Wo ist der Rundengang?« – »Gerade unter uns.« – »Sie wird uns entdecken.« – »Wenn keine Blitze kommen, nicht.« – »Sie wird unten an die Leiter stoßen.« – »Glücklicherweise ist diese um sechs Fuß zu kurz.« – »Mein Gott! hier kommen sie!« – »Schweigt!«

Alle Beide blieben zwanzig Fuß über der Erde unbeweglich und ohne zu athmen aufgehängt. Während dieser Zeit gingen die Soldaten lachend und plaudernd unter ihnen hin.

Es war für die Flüchtlinge ein furchtbarer Augenblick.

Die Patrouille zog weiter. Man hörte, wie sich das Geräusch ihrer Tritte immer mehr entfernte und das Gemurmel ihrer Stimmen immer schwächer wurde.

»Nun sind wir gerettet,« sprach Felton.

Mylady stieß einen Seufzer aus und wurde ohnmächtig.

Felton fuhr fort hinabzusteigen. Als er unten an der Leiter angelangt war, und keine Stütze mehr für seine Füße fühlte, klammerte er sich mit den Händen an, und als er die letzte Sprosse erreicht hatte, ließ er sich an den Faustgelenken herabhängen und berührte die Erde. Er bückte sich, hob den Goldsack auf und nahm ihn zwischen die Zähne.

Dann nahm er Mylady in seine Arme und entfernte sich rasch, in entgegengesetzter Richtung von der, welche die Patrouille eingeschlagen hatte. Bald verließ er den Rundengang, stieg durch die Felsen hinab und ließ, am Ufer des Meeres angelangt, einen scharfen Ton seiner Pfeife hören.

Ein ähnliches Signal antwortete, und fünf Minuten nachher sah er eine Barke mit vier Mann erscheinen.

Die Barke kam so nahe als möglich zum Ufer heran, aber sie hatte hier nicht genug Tiefe, um den Rand erreichen zu können. Felton ging bis an den Gürtel in das Wasser, da er seine kostbare Beute Niemand anvertrauen wollte.

Zum Glück fing der Sturm an sich ein wenig zu legen. Das Meer war jedoch immer noch aufgeregt. Die kleine Barke hüpfte, wie eine Nußschale über die Wellen hin.

»Zur Schaluppe!« sagte Felton, »und rasch vorwärts.«

Die vier Männer fingen an zu arbeiten, aber die See ging zu hoch, als daß die Ruder eine starke Wirkung hätten äußern können.

Doch man entfernte sich wenigstens vom Schlosse. Das war die Hauptsache. Die Nacht hatte Wasser und Land in tiefe Finsterniß gehüllt, und bereits war es unmöglich, das Ufer von der Barke aus zu unterscheiden, man hätte also noch viel weniger die Barke vom Ufer aus unterscheiden können.

Ein schwarzer Punkt schwankte auf dem Meere.

Das war die Schaluppe.

Während die Barke mit aller Kraft ihrer vier Ruderer vorrückte, band Felton den Strick und das Sacktuch los, womit die Hände Myladys zusammengeknüpft waren.

Nachdem er ihre Hände gelöst hatte, nahm er Seewasser und sprengte es ihr ins Gesicht.

Mylady stieß einen Seufzer aus.

»Wo bin ich,« sagte sie.

»Gerettet!« antwortete der junge Offizier.

»Oh! gerettet! gerettet!« rief sie. »Ja, hier ist der Himmel, hier ist das Meer! Die Luft, die ich athme, ist die Freiheit. Ach! Dank, Felton, tausend Dank!«

Der junge Mann drückte sie an sein Herz.

»Aber, was habe ich denn an den Händen?« fragte Mylady: »es scheint, man hat sie mir in einen Schraubstock gepreßt.«

Mylady hob die Arme auf; die Faustgelenke waren in der That gequetscht.

»Ach!« seufzte Felton, die schönen Hände anschauend und schüttelte schmerzlich den Kopf.

»Oh! es ist nichts, es ist nichts!« rief Mylady; »ich erinnere mich nun wieder.«

Mylady suchte mit den Augen um sich her.

»Er ist da,« sprach Felton und stieß mit dem Fuß an den Goldsack.

Man näherte sich dem Schiffe. Der Matrose von der Wache rief die Barke an. Die Barke antwortete.

»Was für ein Schiff ist das?« fragte Mylady. – »Das, welches ich für Euch gemiethet habe.« – »Wohin wird es mich bringen?« – »Wohin Ihr wollt, nur müßt Ihr mich in Portsmouth an das Land setzen.« – »Was wollt Ihr in Portsmouth machen?« fragte Mylady. – »Die Befehle von Lord Winter vollziehen,« antwortete Felton mit düsterem Lächeln. – »Welche Befehle?« – »Ihr begreift nicht?« – »Nein, erklärt Euch, ich bitte.« – »Da er mir mißtraute, wollte er Euch selbst bewachen, und schickte mich ab, um für ihn Euren Deportations-Befehl von Buckingham unterzeichnen zu lassen.« – »Aber wenn er Euch mißtraute, wie konnte er Euch diesen Auftrag anvertrauen?« – »Konnte er glauben, daß ich wußte, was ich trug, da er mir nichts gesagt hatte, und ich das Geheimniß von Euch erfuhr?« – »Das ist richtig. Und Ihr geht nach Portsmouth?« –»Ich habe keine Zeit zu verlieren; morgen ist der 23. und Buckingham geht morgen mit der Flotte ab.« – »Er geht morgen ab! Wohin?« – »Nach La Rochelle.« – »Er darf nicht abgehen!« rief Mylady, ihre gewöhnliche Geistesgegenwart verlierend. – »Seid ruhig,« erwiderte Felton, »er wird nicht abgehen.«

Mylady bebte vor Freude, sie hatte tief im Herzen des jungen Mannes gelesen: der Tod Buckinghams stand mit allen Buchstaben darin geschrieben.

»Felton!« sagte sie, »Ihr seid groß, wie Judas Maccabäus! Sterbt Ihr, so sterbe ich mit Euch. Das ist Alles, was ich Euch sagen kann.«

»Leise, wir sind an Ort und Stelle.«

Man berührte wirklich die Schaluppe.

Felton stieg zuerst die Leiter hinauf und reichte Mylady die Hand, während die Matrosen sie unterstützten, denn die See war noch stürmisch.

Einen Augenblick nachher befanden sie sich auf dem Verdeck.

»Kapitän,« sprach Felton, »hier ist die Person, von der ich gesagt habe, und die Ihr gesund und wohlerhalten nach Frankreich bringen müßt.«

»Gegen tausend Pistolen,« entgegnete der Kapitän.

»Ich habe Euch fünfhundert gegeben.«

»Ganz richtig.«

»Und hier sind die andern fünfhundert,« sprach Mylady und fuhr in den Goldsack.

»Nein,« erwiderte der Kapitän, »ich habe nur ein Wort, und dieses gab ich dem jungen Manne: die anderen fünfhundert Pistolen ist man mir erst schuldig, wenn wir in Boulogne angekommen.«

»Und wir werden ankommen?«

»Gesund und wohlbehalten,« sprach der Kapitän, »so wahr ich Jack Butler heiße.«

»Gut,« sprach Mylady, »wenn Ihr Euer Wort haltet, so gebe ich Euch nicht fünfhundert, sondern tausend Pistolen.«

»Dann Hurrah für Euch, meine schöne Dame!« rief der Kapitän, »und Gott möge mir oft Kunden, wie Eure Herrlichkeit schicken!«

»Mittlerweile führt uns in die kleine Bucht von Chichester,« sagte Felton, »vor Portsmouth, Ihr wißt, es ist verabredet, daß Ihr uns dahin bringen sollt!«

Der Kapitän erwiderte diese Worte durch den Befehl zu dem erforderlichen Manöver, und um sieben Uhr Abends ankerte das kleine Schiff in der bezeichneten Bucht.

Während dieser Fahrt erzählte Felton Mylady Alles, wie er, statt nach London zu gehen, das Schiff gemiethet hatte, wie er zurückgekehrt war, wie er mit Hülfe von Lücken, hervorspringenden Steinen und Klammern, die er befestigte, um seinen Füßen einen Halt zu geben, die Mauer erstiegen und endlich zu dem Gitter gelangt, die Leiter angebunden hatte: das Uebrige wußte Mylady.

Mylady suchte ihrer Seits den jungen Offizier in seinem Vorhaben zu ermuthigen und zu bestärken, aber bei den ersten Worten, die aus ihrem Munde kamen, sah sie, daß der Fanatiker eher einer Dämpfung, als einer Aufmunterung bedurfte.

Es wurde verabredet, daß Mylady Felton bis zehn Uhr erwarten sollte; wäre er um zehn Uhr nicht zurück, so sollte sie absegeln.

In der Voraussetzung, daß er frei wäre, sollte er sodann in Frankreich im Kloster der Karmeliterinnen in Bethune mit ihr zusammentreffen.