XVIII.

Der Liebhaber und der Gatte.

»Aber, Madame Bonacieux,« sagte d’Artagnan, durch die Thüre eintretend, welche ihm die junge Frau öffnete, »erlaubt mir. Euch zu bemerken. Ihr habt da einen traurigen Mann.«

»Hörtet Ihr denn unser Gespräch?« fragte Madame Bonacieux lebhaft und schaute dabei d’Artagnan unruhig an.

»Vollkommen.«

»Aber, mein Gott, wie dies?«

»Durch ein mir bekanntes Verfahren, durch welches ich auch Euer etwas belebteres Gespräch mit der Polizei vernahm.«

»Und was habt Ihr von dem, was wir sagten, verstanden.«

»Tausenderlei Dinge. Vor allem, daß Euer Gatte ein armseliger Tropf ist; ferner daß Ihr glücklicher Weise in Verlegenheit seid, denn dies ist mir sehr angenehm, weil es mir Gelegenheit bietet. Euch zu Diensten zu sein, und Gott weiß, daß ich bereit bin, mich für Euch in die Flammen zu stürzen; endlich, daß die Königin eines braven, gescheiten und ergebenen Mannes zu einer Reise nach London bedarf. Ich besitze wenigstens zwei von diesen Eigenschaften, und hier bin ich.«

Madame Bonacieux antwortete nicht; aber ihr Herz schlug gewaltig vor Freude, und eine geheime Hoffnung erglänzte in ihren Augen.

»Und welche Bürgschaft könnt Ihr mir geben,« fragte sie, »wenn ich mich entschließe, Euch diese Sendung anzuvertrauen?« – »Meine Liebe für Euch. Sprecht, befehlt, was soll ich thun?« – »Mein Gott, mein Gott,« murmelte die junge Frau, »darf ich Euch ein solches Geheimnis anvertrauen, Herr? Ihr seid beinahe noch ein Kind.« – »Ich sehe schon, daß irgend Jemand für mich gut stehen müßte.« – »Ich kann nicht leugnen, daß mich dies ungemein beruhigen würde.« – »Kennt Ihr Athos?« – »Nein!« – »Porthos?« – »Nein!« – »Aramis?« – Nein. Wer sind diese Herren?« – »Musketiere des Königs. Kennt Ihr Herrn von Treville, ihren Kapitän?« – »O ja, diesen kenne ich; nicht persönlich, aber ich habe oft von ihm als einem braven und rechtschaffenen Edelmann sprechen hören.« – »Ihr fürchtet nicht, von ihm an den Kardinal verrathen zu werden, nicht wahr?« – »O nein, gewiß nicht.« – »Nun, so enthüllt diesem Euer Geheimniß, und fragt ihn, ob Ihr es mir, so wichtig, so kostbar, so furchtbar es auch sein mag, anvertrauen könnt?« – »Aber das Geheimniß gehört nicht mir und ich kann es nicht auf diese Art enthüllen.« – »Ihr wolltet es Herrn Bonacieux anvertrauen,« sprach d’Artagnan etwas ärgerlich. – »Wie man einen Brief einem hohlen Baume, dem Flügel einer Taube, dem Halsbande eines Hundes anvertraut.« – »Und doch seht Ihr wohl, daß ich Euch liebe.« – »Ihr sagt es.« – »Ich bin ein gefälliger Mann!« – »Ich glaube es.« – »Ich habe Muth.« – »Oh! davon bin ich überzeugt.« – »Dann stellt mich auf die Probe.«

Madame Bonacieux schaute den jungen Mann mit einem letzten Zögern an. Aber es lag ein solcher Eifer in seinen Augen, eine solche Überzeugungskraft in seiner Stimme, daß sie sich hingezogen fühlte, d’Artagnan sich anzuvertrauen. Ueberdieß befand sie sich in einem jener Verhältnisse, wo man Alles für Alles wagen muß. Die Königin war eben so wohl durch eine zu große Zurückhaltung, als durch ein zu großes Vertrauen verloren. Dann müssen wir gestehen, daß das Gefühl, welches sich unwillkürlich für diesen jungen Beschützer in ihr regte, ihr vollends den Mund verschloß.

»Hört,« sprach sie, ich füge mich Eueren Betheuerungen, ich gebe Eueren Versicherungen nach; aber ich schwöre Euch vor Gott, der uns hört, daß ich, wenn Ihr mich verrathet und meine Feinde mich tödten, Euch meines Todes anklage.«

»Und ich schwöre Euch vor Gott, Madame,« sagte d’Artagnan, »daß ich, wenn ich bei der Vollziehung Euerer Befehle ergriffen werde, sterbe, ehe ich irgend etwas thue oder sage, was einen Menschen gefährden könnte.«

Hierauf vertraute ihm die junge Frau das furchtbare Geheimniß an, das ihm der Zufall theilweise vor der Samaritaine geoffenbart hatte.

Das war ihre gegenseitige Liebeserklärung.

D’Artagnan strahlte vor Stolz und Freude. Das Geheimniß, welches er nun besaß, die Frau, die er liebte, das Vertrauen und die Liebe machten ihn zum Riesen.

»Ich reise,« sagte er, »ich reise auf der Stelle.« – »Wie! Ihr reist!« rief Madame Bonacieux, »und Euer Kapitän, Euer Regiment? – »Bei meiner Seele! Ihr habt mich das ganz und gar vergessen gemacht, liebe Constanze. Ja, Ihr habt Recht, ich bedarf eines Urlaubs.« – »Abermals ein Hinderniß!« murmelte Madame Bonacieux schmerzlich. – »Oh! was dieses betrifft,« rief d’Artagnan nach kurzem Bedenken, »seid ruhig, ich werde es zu beseitigen wissen.« – »Wie dies?« – »Ich suche noch diesen Abend Herrn von Treville auf und veranlasse ihn, seinen Schwager, Herrn des Essarts, um diese Gunst für mich zu bitten.« – »Nun, noch etwas Anderes.« – »Was?« fragte d’Artagnan, als er sah, daß Madame Bonacieux fortzufahren zögerte. – »Habt Ihr vielleicht kein Geld?« –»Vielleicht ist zu viel,« erwiederte d’Artagnan lächelnd. – »Gut,« versetzte Madame Bonacieux, öffnete einen Schrank und zog daraus den Sack, den ihr Gatte vor einer halben Stunde so verliebt gestreichelt hatte; »gut, so nehmt diesen Sack.« – »Den Sack des Kardinals!« rief d’Artagnan mit lautem Lachen, denn er hatte, wie man sich erinnert, durch Wegnahme seiner Fließen keine Silbe von der Unterredung des Krämers und seiner Frau verloren. – »Ja freilich,« antwortete Madame Bonacieux; »Ihr seht, daß er sich unter einer sehr ehrwürdigen Gestalt präsentirt.« – »Bei Gott!« rief d’Artagnan, es wird doppelt belustigend sein, die Königin mit dem Gelde Seiner Eminenz zu retten!« – »Ihr seid ein liebenswürdiger und artiger junger Mann,« sagte Madame Bonacieux. »Glaubt mir, Ihre Majestät wird nicht undankbar sein.«

»Oh! ich bin bereits großartig belohnt,« rief d’Artagnan. »Ich liebe Euch. Ihr erlaubt mir, es Euch zu sagen, das ist bereits mehr Glück, als ich zu hoffen wagte.« – »Stille,« sprach Madame Bonacieux zitternd. – »Was?«

»Man spricht auf der Straße.« –

»Es ist die Stimme …« –

»Meines Mannes, ja ich erkenne sie.« –

D’Artagnan lief an die Thüre, und stieß den Riegel vor.

»Er wird nicht eher eintreten, als bis ich weggegangen bin,« sprach er, »und dann öffnet Ihr ihm.«

»Aber ich sollte ebenfalls weggegangen sein. Wie ließe sich das Verschwinden des Geldes rechtfertigen, wenn ich hier wäre?« – »Ihr habt Recht, wir müssen fortgehen.« – »Wie dies? Er wird uns gehen sehen.« – »Dann müssen wir in meine Wohnung hinauf.« – »Ach! rief Madame Bonacieux, »Ihr sagt mir dies in einem Tone, der mich bange macht.«

Madame Bonacieux sprach diese Worte mit einer Thräne in den Augen. D’Artagnan gewahrte diese Thräne und warf sich beunruhigt, gerührt vor ihr auf die Kniee.

»Bei mir,« sagte er, »seid Ihr so sicher, wie in der Kirche, darauf gebe ich Euch mein Edelmannswort.«

»So laßt uns gehen,« erwiederte sie; »ich traue Euch, mein Freund.«

D’Artagnan öffnete vorsichtig den Riegel wieder. Beide schlüpften leicht wie Schatten durch die innere Thüre des Ganges, stiegen geräuschlos die Treppe hinauf und traten in das Zimmer d’Artagnans.

Sobald sich der junge Mann hier befand, verbarrikadierte er zu größerer Sicherheit die Thüre; dann näherten sich beide dem Fenster und sahen durch einen Spalt des Ladens Herrn Bonacieux, der mit einem in einen Mantel gehüllten Mann sprach.

Beim Anblick dieses Mannes im Mantel sprang d’Artagnan auf und stürzte mit halbgezogenem Degen nach der Thüre. Es war der Mann von Meung.

»Was wollt Ihr thun?« rief Madame Bonacieux, »Ihr richtet uns zu Grunde.« – »Aber ich habe geschworen, diesen Menschen zu tödten!« sagte d’Artagnan. – »Euer Leben ist in diesem Augenblick Andern geweiht und gehört nicht Euch. Ich verbiete Euch im Namen der Königin, Euch in irgend eine Gefahr zu begeben, außer in die der Reise.« – »Und in Eurem Namen befehlt Ihr mir nichts?« – »In meinem Namen,« sagte Madame Bonacieux äußerst bewegt, »in meinem Namen bitte ich Euch. Aber horchen wir! Es scheint mir, sie sprechen von mir.« D’Artagnan näherte sich dem Fenster und lauschte.

Herr Bonacieux hatte die Thüre wieder geöffnet und kehrte, als er die Wohnung leer fand, zu dem Manne im Mantel zurück, den er einen Augenblick allein gelassen hatte.

»Sie ist fort,« sprach er, »sie wird in den Louvre zurückgekehrt sein.« – »Ihr wißt gewiß,« erwiederte der Fremde, »daß sie nicht vermuthet, in welcher Absicht Ihr weggegangen seid?«

– »Allerdings,« antwortete Bonacieux mit anmaßendem Tone. »Es ist eine zu gedankenlose Frau.« – »Ist der Gardecadet zu Hause?« – »Ich glaube nicht. Sein Laden ist, wie Ihr seht, geschlossen, und man sieht kein Licht durch die Spalten glänzen.« – »Gleich viel, man sollte sich vergewissern.« – »Wie dies?« – »Indem man an die Thüre klopfen würde.« – »Ich werde nach seinem Bedienten fragen.« – »Geht!«

Bonacieux kehrte in sein Haus zurück, ging durch dieselbe Thüre, durch welche die zwei Flüchtlinge geschlüpft waren, stieg bis zu dem Vorplatze d’Artagnan’s hinauf und klopfte.

Niemand antwortete. Um eine größere Figur zu spielen, hatte Porthos diesen Abend Planchet entlehnt. D’Artagnan hütete sich wohl, ein Lebenszeichen von sich zu geben.

Im Augenblick, wo der Finger von Bonacieux an der Thüre ertönte, schlugen die Herzen der jungen Leutchen gewaltig.

»Es ist Niemand zu Hause,« sagte Bonacieux. – »Gut, doch gehen wir immerhin zu Euch hinein. Wir sind sicherer als auf einer Thürschwelle.« – »Ach, mein Gott,« murmelte Madame Bonacieux, »wir werden nichts mehr hören.« – »Im Gegentheil,« sprach d’Artagnan, »wir hören nur besser.«

D’Artagnan hob die drei bis vier Fließen auf, welche aus seinem Zimmer ein zweites Dionysiusrohr machten, breitete einen Teppich auf dem Boden aus, legte sich auf die Kniee und gab Madame Bonacieux durch ein Zeichen zu verstehen, sie möge sich, wie er, gegen die Oeffnung neigen.

»Ihr wißt gewiß, daß Niemand zu Hause ist,« sprach der Unbekannte. – »Ich stehe dafür,« sagte Bonacieux – »Und Ihr glaubt, daß Euere Frau …« – »In den Louvre zurückgekehrt ist.« – »Ohne mit irgend Jemand zu sprechen, außer mit Euch?« – »Ich bin dessen gewiß.« – »Das ist ein wichtiger Punkt, versteht Ihr.« – »Also hat die Nachricht, die ich Euch überbracht habe, einigen Werth? …« – »Einen sehr großen Werth, mein lieber Bonacieux, ich will es Euch nicht verbergen.« – »Dann wird der Kardinal mit mir zufrieden sein.« – »Ich zweifle nicht daran.« – »Der große Kardinal!« – »Ihr wißt gewiß, daß Euere Frau in Euerer Unterredung mit Euch keinen Eigennamen ausgesprochen hat.« – »Ich glaube nicht.« – »Sie hat weder Frau von Chevreuse, noch Herrn von Buckingham, noch Frau von Vernet genannt?« – »Nein, sie hat mir nur gesagt, sie wolle mich nach London schicken, um den Interessen einer vornehmen Person zu dienen.« – »Der Verräther!« murmelte Madame Bonacieux. – »Stille,« sagte d’Artagnan und nahm sie bei der Hand, die sie ihm, ohne daran zu denken, überließ.

»Wie dem sein mag,« fuhr der Mann im Mantel fort, »Ihr seid ein Thor, daß Ihr Euch nicht gestellt habt, als wollet Ihr den Auftrag übernehmen. Ihr hättet jetzt den Brief, der Staat, den man bedroht, wäre gerettet, und Ihr …« – »Und ich? … – »Nun, der Kardinal würde Euch in den Adelstand erheben.« – »Hat er Euch dies gesagt?« – »Ja, er wollte Euch diese Ueberraschung bereiten.« – »Seid ruhig,« erwiederte Bonacieux, »meine Frau betet mich an, und es ist noch Zeit.« – »Der Dummkopf!« murmelte Madame Bonacieux. – »Stille!« sagte d’Artagnan und drückte ihr die Hand noch stärker. – »Wie, ist es noch Zeit?« versetzte der Mann in dem Mantel. – »Ich kehre in den Louvre zurück, ich frage nach Madame Bonacieux, ich sage, ich habe mir die Sache überdacht, ich knüpfe die Angelegenheit wieder an, ich erhalte den Brief und laufe zu dem Kardinal.« – »Nun! geht geschwind. Ich werde bald zurückkehren, um den Erfolg Eueres Ganges zu erfahren.«

Der Unbekannte entfernte sich.

»Der Schändliche!« sagte Madame Bonacieux, sich mit diesem Beinamen abermals an ihren Gatten wendend.

»Stille!« wiederholte d’Artagnan, und drückte ihr die Hand immer stärker.

Ein furchtbares Gekreische unterbrach jetzt die Betrachtungen d’Artagnans und der Frau Bonacieux. Ihr Gatte hatte das Verschwinden seines Sackes bemerkt und schrie um Hilfe gegen Diebe.

»O mein Gott!« rief Madame Bonacieux, »er wird das ganze Quartier in Aufruhr bringen!«

Bonacieux schrie lange Zeit, aber da dergleichen Geschrei, weil es sehr häufig vorkam, Niemand nach der Rue des Fossoyeurs zog, und da überdies das Haus des Krämers seit einiger Zeit in ziemlich schlimmem Rufe stand, so ging er, als er Niemand kommen sah, hinaus, ohne in seinem Gekreische nachzulassen, und man hörte seine Stimme in der Richtung der Rue du Bac verhallen.

»Und nun, da er fort ist, ist es an Euch wegzugehen,« sagte Madame Bonacieux. »Muth und besonders Klugheit! Bedenkt, daß Ihr Euch der Königin weiht.«

»Ihr und Euch!« rief d’Artagnan, »seid ruhig, schöne Constanze, ich werde Ihrer Dankbarkeit würdig wiederkehren, aber werdet Ihr mich dann auch Eurer Liebe würdig halten?«

Die junge Frau antwortete nur durch eine lebhafte Röthe, welche ihre Wangen färbte. Einige Augenblicke nachher entfernte sich auch d’Artagnan, ebenfalls in einen großen Mantel gehüllt, aus welchem kavaliermäßig die Scheide eines langen Degens vorstand.

Madame Bonacieux folgte ihm mit jenem langen Liebesblicke, womit die Frau den Mann begleitet, von dem sie sich geliebt fühlt; aber nachdem er an der Straßenecke verschwunden war, fiel sie auf ihre Kniee, faltete die Hände und rief:

»O! mein Gott! mein Gott! beschütze die Königin, beschütze mich!«

XIII.

Herr Bonacieux

Bei dieser ganzen Geschichte spielte eine Person mit, um die man sich, trotz ihrer bedenklichen Lage, nur wenig zu beunruhigen schien: diese Person war Herr Bonacieux, der ehrenwerthe Märtyrer politischer und verliebter Intriguen, die sich in dieser zugleich so ritterlichen und so galanten Epoche so gut mit einander vermengten.

Zum Glück erinnert sich der Leser, oder er erinnert sich auch nicht, daß wir ihn nicht aus dem Blick zu lassen versprochen haben.

Die Schergen, welche ihn verhaftet hatten, führten ihn geraden Wegs nach der Bastille, wo man ihn ganz zitternd an einem Zug Soldaten, welche ihre Musketen luden, vorübergehen ließ. Von hier in eine halb unterirdische Galerie gebracht, wurde er von Seiten derjenigen, welche ihn verhaftet hatten, der Gegenstand der gröbsten Beleidigungen, der größten Mißhandlungen. Die Sbirren sahen, daß sie es mit keinem Edelmann zu thun hatten, und behandelten ihn als einen armen Schlucker.

Nach Verlauf einer halben Stunde machte ein Gerichtsschreiber seinen Qualen, aber nicht seiner Unruhe ein Ende, indem er befahl, Herrn Bonacieux ins Verhörzimmer zu bringen. Gewöhnlich befragte man die Gefangenen in ihrem Zimmer, aber mit Herrn Bonacieux machte man nicht so viel Umstände.

Zwei Garden ergriffen den Krämer, ließen ihn durch einen Hof schreiten, sodann in eine Flur eintreten, wo drei Schildwachen standen, öffneten eine Thüre und stießen ihn in eine niedrige Stube, in der das ganze Geräthe aus einem Tische, einem Stuhl und einem Commissär bestand. Der Commissär saß auf dem Stuhle und schrieb auf dem Tisch. Die zwei Garden führten den Gefangenen vor den Tisch und entfernten sich auf ein Zeichen des Commissärs aus dem Bereich seiner Stimme. Der Commissär, welcher bis dahin seinen Kopf gesenkt gehalten hatte, erhob ihn nun, um zu sehen, mit wem er es zu thun hätte. Dieser Commissär war ein Mann von widerlicher Miene, mit spitziger Nase, gelben, hervorstehenden Backenknochen, kleinen, aber forschenden und lebhaften Augen, ein Mann, dessen Physiognomie eine Mischung von Marder und Fuchs zu sein schien. Sein von einem langen Halse getragenes Haupt trat, sich wiegend, aus seinem schwarzen Gewande beinahe mit derselben Bewegung hervor, die man bei der Schildkröte wahrnimmt, wenn sie den Kopf aus ihrer Schale herausstreckt.

Er fing damit an, daß er Herrn Bonacieux nach Namen und Vornamen, Alter und Domicil fragte. Der Angeklagte antwortete, er heiße Jacques Michel Bonacieux, sei einundfünfzig Jahre alt, Krämer, der sich vom Geschäfte zurückgezogen, und wohne in der Rue des Fossoyeurs, Nro. 11.

Statt mit dem Verhör fortzufahren, hielt ihm der Commissär nun eine lange Rede über die Gefahr, die ein unbedeutender Bürger laufe, wenn er sich in die öffentlichen Angelegenheiten mische. Diese Predigt verband er mit einer Erläuterung, worin er von der Macht und den Handlungen des Herrn Kardinals, dieses unvergleichlichen Ministers, dieses Besiegers früherer Minister, dieses Beispiels zukünftiger Minister sprach, von einer Macht und von Handlungen, denen Niemand ungestraft in den Weg trete.

Nach diesem zweiten Theil seiner Rede heftete er seinen Sperberblick auf den armen Bonacieux, und forderte ihn auf, den Ernst seiner Lage in Betracht zu ziehen.

Die Betrachtungen des Krämers waren alle angestellt. Er wünschte den Augenblick zum Teufel, wo Herr La Porte den Gedanken gehabt hatte, ihn mit seiner Pathin zu verheirathen, und mehr noch den Augenblick, wo eben diese Pathin in die Garderobe der Königin aufgenommen wurde.

Der Grundstoff im Charakter von Meister Bonacieux war verhärtete Selbstsucht, vermischt mit schmutzigem Geiz und gewürzt mit außerordentlicher Feigheit. Die Liebe, die ihm seine junge Frau eingeflößt hatte, war ein ganz secundäres Gefühl und konnte mit den aufgezählten Gefühlen nicht in die Schranken treten.

Herr Bonacieux überdachte sich in der That, was man ihm so eben gesagt hatte.

»Aber, mein Herr Commissär,« sprach er schüchtern, »glaubt mir, daß ich mehr als irgend ein Mensch das Verdienst der unvergleichlichen Eminenz, von der wir regiert zu werden die Ehre haben, kenne und zu schätzen weiß.«

»Wirklich?« fragte der Commissär mit etwas zweifelhafter Miene. »Aber wenn dem in der That so ist, wie kommt ihr in die Bastille?«

»Wie ich hieher komme, oder vielmehr, warum ich hier bin,« erwiederte Bonacieux, »das kann ich Euch unmöglich sagen, weil ich es selbst nicht weiß; aber sicherlich nicht, weil ich den Herrn Kardinal beleidigt habe, wenigstens nicht wissentlich.«

»Ihr müßt doch ein Verbrechen begangen haben, da Ihr hier des Hochverraths angeklagt seid.«

»Des Hochverraths!« rief Bonacieux erschrocken. »Des Hochverraths! wie sollte ein armer Krämer, der die Hugenotten haßt und die Spanier verabscheut, des Hochverraths angeklagt sein? Bedenkt doch, mein Herr, dies ist in der That rein unmöglich.«

»Herr Bonacieux,« sprach der Commissär, und schaute dabei den Angeklagten an, als ob seine kleinen Augen die Macht besäßen, in der Tiefe der Herzen zu lesen, »Herr Bonacieux, habt Ihr eine Frau?«

»Ja, mein Herr,« antwortete der Krämer, am ganzen Leibe zitternd, denn er fühlte, daß in diesem Punkte der böse Knoten der ganzen Angelegenheit liegen mußte; »das heißt, ich hatte eine.«

»Wie? Ihr hattet eine! Was habt Ihr gemacht, wenn Ihr sie nicht mehr besitzt?«

»Man hat sie mir entführt, mein Herr.«

»Man hat sie Euch entführt?« sprach der Commissär. »Ah!«

Bonacieux fühlte bei diesem Ah, daß sich die Angelegenheit immer mehr verwickelte.

»Man hat sie Euch entführt?« versetzte der Commissär; »und wißt Ihr, wer der Mann ist, der diesen Raub begangen hat?«

»Ich glaube. Ihn zu kennen.«

»Wer ist es?«

»Bedenkt, daß ich nichts behaupte, mein Herr Commissär, sondern nur vermuthe.«

»Wen habt Ihr im Verdacht? Antwortet offenherzig.«

Herr Bonacieux war in der größten Verlegenheit; sollte er Alles leugnen oder Alles sagen? Leugnete er Alles, so konnte man glauben, er wisse zu viel, um zu gestehen; sagte er Alles, so war dies ein Beweis von gutem Willen. Er entschloß sich, Alles zu sagen.

»Ich habe,« sprach er, »einen großen Mann von bräunlicher Gesichtsfarbe und stolzer Miene im Verdacht, der ganz aussieht, wie ein vornehmer Herr; er folgte uns wiederholt, wie es mir vorkam, wenn ich meine Frau vor der Pforte des Louvre erwartete, um sie nach Haus zu begleiten.«

Der Commissär schien sich etwas beunruhigt zu fühlen.

»Und sein Name?« sprach er.

»Ah, was seinen Namen betrifft, den weiß ich nicht. Aber wenn ich ihm je begegne, und wäre es unter tausend Menschen, werde ich ihn sogleich wieder erkennen, dafür stehe ich Euch.«

Die Stirne des Commissärs verfinsterte sich.

»Ihr werdet ihn unter tausend Menschen wieder erkennen, sagt Ihr?« fuhr er fort.

»Das heißt, erwiederte Bonacieux, welcher einsah, daß er einen falschen Weg eingeschlagen hatte, »das heißt …«

»Ihr habt mir geantwortet, Ihr würdet ihn wieder erkennen,« sprach der Commissär, »schon gut, das ist für heute genug. Ehe wir weiter gehen, muß Jemand davon in Kenntniß gesetzt werden, daß Ihr den Räuber Eurer Frau kennt.«

»Aber ich habe Euch nicht gesagt, ich kenne ihn!« rief Bonacieux in Verzweiflung. »Ich sagte Euch im Gegentheil …«

»Führt den Gefangenen ab,« sprach der Commissär zu den Wachen.

»Und wohin soll man ihn führen?« fragte der Gerichtsschreiber.

»In einen Kerker.«

»In welchen?«

»Oh, mein Gott! in den nächsten besten, wenn er nur fest ist,« erwiederte der Commissär mir einer Gleichgültigkeit, die den armen Bonacieux schaudern machte.

»Wehe, wehe!« sprach er zu sich selbst, »das Unglück lastet auf meinem Haupt; meine Frau wird ein furchtbares Verbrechen begangen haben; man hält mich für ihren Mitschuldigen und bestraft mich mit ihr. Sie wird gesprochen, sie wird eingestanden haben, ich sei mit Allem vertraut; eine Frau ist so schwach! Ein Kerker! der nächste beste! so geht es! eine Nacht ist bald vorüber, und dann morgen Galgen und Rad! Oh! mein Gott, mein Gott, erbarme Dich meiner!«

Ohne im Geringsten auf das Klagegeschrei des Meisters Bonacieux zu hören, ein Geschrei, woran sie übrigens gewöhnt sein mußten, nahmen die zwei Wachen den Gefangenen beim Arm und führten ihn weg, während der Commissär in Eile einen Brief schrieb, auf den der Gerichtschreiber wartete.

Bonacieux schloß kein Auge; nicht als ob sein Kerker zu abscheulich gewesen wäre, sondern weil seine Unruhe zu groß war. Er blieb die ganze Nacht auf seiner Bank, er zitterte bei dem geringsten Geräusche, und als die ersten Strahlen des Tages in seine Kammer drangen, kam es ihm vor, als hätte das Morgenroth eine Leichenfärbung angenommen.

Plötzlich hörte er die Riegel klirren und sprang erschrocken auf. Der Unglückliche glaubte, man komme, um ihn zu holen und nach dem Schaffot zu führen. Aber als er statt des erwarteten Henkers seinen Commissär und seinen Gerichtsschreiber vom vorigen Tage erscheinen sah, war er sehr geneigt, ihnen um den Hals zu fallen.

»Eure Angelegenheit hat sich seit gestern Abend sehr verwirrt, mein braver Mann,« sagte der Kommissär, »und ich rathe Euch, die Wahrheit unumwunden zu gestehen, denn nur Eure Reue vermag den Zorn des Kardinals zu beschwören.«

»Ich bin bereit. Alles zu sagen,« rief Bonacieux, »wenigstens Alles, was ich weiß. Fragt, ich bitte Euch.«

»Vor Allem: wo ist Eure Frau?«

»Ich sagte Euch doch, man habe sie mir entführt.«

»Ja, aber seit gestern Mittag um fünf Uhr ist sie durch Eure Hülfe entflohen.«

»Meine Frau ist entflohen?« rief Bonacieux. »Oh, die Unglückliche! Mein Herr, wenn sie entflohen ist, so bin ich nicht Schuld, ich schwöre es Euch.«

»Was hattet Ihr dann bei Herrn d’Artagnan, Eurem Nachbar zu thun, mit welchem Ihr an diesem Tag eine lange Konferenz hieltet?«

»Ach! ja, Herr Commissär, ja, das ist wahr, und ich gestehe, daß ich Unrecht hatte. Ja, ich bin bei Herrn d’Artagnan gewesen.«

»Und was war der Zweck Eures Besuches?«

»Ich wollte ihn bitten, mir meine Frau aufsuchen zu helfen. Ich glaubte mich berechtigt, sie zurückzufordern; aber ich täuschte mich, wie es scheint, und bitte um Vergebung.«

»Was antwortete Herr d’Artagnan?«

»Herr d’Artagnan hat mir seinen Beistand zugesagt; aber ich sah bald ein, daß er mich verrieth.«

»Ihr wollt der Justiz eine Lüge aufschwatzen! Herr d’Artagnan hat einen Vertrag mit Euch abgeschlossen, hat kraft dieses Vertrags die Polizei, welche Eure Frau verhafteten, in die Flucht gejagt, und alle Nachforschungen vereitelt.«

»Herr d’Artagnan hat meine Frau entführt? Ei, ei, was sagt Ihr mir da?«

»Zum Glück ist Herr d’Artagnan in unsern Händen und Ihr sollt ihm gegenüber gestellt werden.«

»Ah! meiner Treu, das ist mir ungemein lieb;« rief Bonacieux, »es soll mir gar nicht leid thun, ein bekanntes Gesicht zu sehen.«

»Laßt Herrn d’Artagnan eintreten,« sprach der Commissär zu den zwei Wachen.

Die Wachen ließen Athos eintreten.

»Herr d’Artagnan,« sprach der Commissär, sich an Athos wendend, »erklärt, was zwischen Euch und diesem Herrn vorgefallen ist.«

»Aber Ihr zeigt mir ja gar nicht d’Artagnan,« rief Bonacieux.

»Wie, das ist nicht d’Artagnan?« sprach der Commissär.

»Keineswegs,« antwortete Bonacieux.

»Wie heißt dieser Herr?« fragte der Commissär.

»Ich kann es Euch nicht sagen, ich kenne ihn nicht.«

»Wie, Ihr kennt ihn nicht?«

»Nein!«

»Ihr habt ihn nie gesehen?«

»Doch; aber ich weiß nicht, wie er heißt.«

»Euer Name?« fragte der Commissär.

»Athos«, antwortete der Musketier.

»Das ist kein Menschenname, sondern der Name eines Berges,« rief der arme Untersuchungsrichter, der den Kopf zu verlieren anfing.

»Es ist mein Name,« sprach Athos ruhig.

»Aber Ihr sagtet doch, Ihr hießet d’Artagnan?«

»Ich?«

»Ja, Ihr!«

»Man hat zu mir gesagt: Ihr seid Herr d’Artagnan? ich erwiederte: Ihr glaubt? Meine Wachen meinten, sie wüßten es gewiß; ich wollte ihnen nicht widersprechen; überdies konnte ich mich täuschen.«

»Mein Herr, Ihr beleidigt die Majestät der Justiz!«

»Durchaus nicht,« entgegnete Athos gelassen.

»Ihr seid Herr d’Artagnan?«

»Seht, Ihr sagt es mir noch einmal.«

»Nun ich sage Euch, mein Herr Commissär,« rief Bonacieux, »daß man hier keinen Augenblick zweifeln darf. Herr d’Artagnan wohnt in meinem Hause, und ich muß ihn folglich kennen, obgleich er mir meinen Miethzins nicht bezahlt, und gerade aus diesem Grunde. Herr d’Artagnan ist ein junger Mann von kaum neunzehn bis zwanzig Jahren, und dieser Herr ist gewiß dreißig Jahre alt. Herr d’Artagnan steht bei den Garden des Herrn des Essarts, und dieser Herr bei der Musketiercompagnie des Herrn von Treville. Schaut die Uniform an, mein Herr Commissär, schaut die Uniform an.«

»Es ist wahr,« murmelte der Commissär, »es ist bei Gott wahr!«

In diesem Augenblicke wurde die Thüre rasch geöffnet, und ein von einem Gefangenenwärter der Bastille eingeführter Bote übergab dem Commissär einen Brief.

»Oh! die Unglückliche!« rief der Commissär.

»Wie? was sagt Ihr? von wem sprecht Ihr? Hoffentlich nicht von meiner Frau?«

»Im Gegentheil gerade von ihr. Eure Angelegenheit steht ganz schön!«

»Ah,« rief der Krämer in Verzweiflung, »macht mir das Vergnügen und sagt mir, wie sich meine Angelegenheit durch das verschlimmern kann, was meine Frau thut, während ich im Gefängniß sitze.«

»Weil das, was sie thut, die Folge eines unter Euch abgekarteten höllischen Planes ist.«

»Ich schwöre Euch, Herr Commissär, daß Ihr in einem gewaltigen Irrthume befangen seid; daß ich nicht das Mindeste von dem weiß, was meine Frau thun sollte; daß ich dem, was sie gesagt hat, völlig fremd bin, und daß ich sie, wenn sie Dummheiten begangen hat, verleugne, verfluche.«

»Ei,« sprach Athos zu dem Commissär, »wenn Ihr mich hier nicht braucht, so schickt mich irgendwo hin. Dieser Herr Bonacieux ist ein sehr langweiliger Geselle.«

»Führt die Gefangenen in ihre Kerker zurück,« sprach der Commissär, mit derselben Geberde Athos und Bonacieux bezeichnend, »und man bewache sie mit der größten Strenge!«

»Wenn Ihr indessen mit Herrn d’Artagnan zu thun habt,« sagte Athos mit seiner gewöhnlichen Ruhe,« so sehe ich nicht ganz ein, warum ich seine Stelle vertreten soll.«

»Thut, was ich gesagt habe,« rief der Commissär, »und beobachtet das tiefste Stillschweigen, hört Ihr?«

Athos folgte den Wachen mit einem Achselzucken, und Herr Bonacieux mit einem Klagegeschrei, das einem Tiger hätte das Herz zerreißen mögen.

Man führte den Krämer in denselben Kerker, wo er die Nacht zugebracht hatte, und ließ ihn hier den ganzen Tag. Den ganzen Tag weinte Herr Bonacieux, wie ein wahrer Krämer, denn er war durchaus kein Mann vom Schwerte, wie er uns selbst gesagt hat.

Abends gegen neun Uhr, in dem Augenblick, wo er sich entschloß, zu Bette zu gehen, hörte er Tritte in der Hausflur. Diese Tritte näherten sich seinem Kerker, die Thüre wurde geöffnet, die Wachen erschienen.

»Folgt mir,« sagte ein Gefreiter, der hinter den Wachen ging.

»Euch folgen!« rief Bonacieux, »Euch folgen, zu dieser Stunde! und wohin denn, mein Gott?«

»Wohin wir Euch zu führen den Befehl haben.«

»Aber das ist keine Antwort.«

»Es ist die einzige, die wir Euch geben können.«

»Ach! mein Gott, mein Gott,« murmelte der arme Krämer, »diesmal bin ich verloren.«

Und er folgte maschinenmäßig ohne Widerstand den Wachen, die ihn holten. Er ging durch dieselbe Flur, durch die er bereits gegangen war, durchschritt einen ersten Hof und dann ein zweites Hauptgebäude. Vor dem Thore des Einfahrthofes fand er einen von vier Reitern umgebenen Wagen. Man ließ ihn in diesen Wagen einsteigen, der Gefreite setzte sich neben ihn. Man verschloß den Kutschenschlag mit einem Schlüssel, und Beide befanden sich in einem fahrenden Gefängnisse.

Das Gefährt setzte sich langsam wie ein Leichenwagen in Bewegung. Durch das geschlossene Gitter gewahrte der Gefangene die Häuser und das Pflaster, mehr nicht. Aber als wahrer Pariser erkannte Bonacieux jede Straße an den Ecksteinen, an den Schilden, an den Laternen. Als sie zu St. Paul gelangten, wo man die Verurtheilten der Bastille hinrichtete, war er einer Ohnmacht nahe und bekreuzte sich zweimal. Er glaubte, der Wagen würde hier halten, aber er ging weiter. Später erfaßte ihn abermals ein gewaltiger Schrecken, als er an dem Kirchhof St. Jean vorüberfuhr, wo man die Staatsverbrecher beerdigte. Ein einziger Umstand beruhigte ihn einigermaßen, nämlich daß man ihnen vor der Einscharrung gewöhnlich den Kopf abschnitt, und sein Kopf saß noch auf seinen Schultern. Als er aber sah, daß der Wagen die Straße nach der Grève einschlug, als er die spitzigen Dächer des Stadthauses bemerkte und wahrnahm, daß man unter der Arcade einbog, da glaubte er, jetzt sei Alles aus. Er wollte dem Gefreiten beichten; da ihm dieser aber alles Gehör verweigerte, so stieß er ein so erbarmungswürdiges Geschrei aus, daß ihm der Gefreite erklärte, wenn er nicht aufhöre, ihm die Ohren voll zu schreien, so werde er ihm einen Knebel anlegen. Diese Drohung beruhigte Bonacieux einigermaßen. Wollte man ihn an der Grève hinrichten, so lohnte es sich nicht der Mühe, ihn zu knebeln, da man die Richtstätte beinahe erreicht hatte. Der Wagen fuhr in der That über den unseligen Ort hin, ohne anzuhalten. Jetzt war nichts mehr zu befürchten, als die Croix-du-Trahoir, und der Wagen nahm seinen Weg wirklich gerade in dieser Richtung.

Diesmal konnte man nicht mehr zweifeln. Auf der Croix-du-Trahoir wurden Verbrecher untergeordneten Ranges hingerichtet. Bonacieux hatte sich des St. Paul oder des Grève-Platzes würdig gehalten. An der Croix-du-Trahoir sollten sein Leben und sein Schicksal sich endigen! Er konnte das unglückliche Kreuz noch nicht sehen, aber er hatte ein Gefühl, als ob es ihm entgegen käme. Als nur noch etwa zwanzig Schritte zurückzulegen waren, hörte er ein Geräusch und der Wagen hielt stille. Das war mehr, als der arme, durch die rasch auf einander erfolgten Gemüthsbewegungen niedergeschmetterte Krämer zu ertragen vermachte. Er stieß einen schwachen Seufzer aus, den man für den letzten Athemzug eines Sterbenden hätte halten können, und sank in Ohnmacht.

XIV.

Der Mann von Meung.

Der Zusammenlauf fand nicht statt, weil man einen für den Galgen bestimmten Menschen erwartete, sondern er wurde durch die Anschauung eines Gehenkten veranlaßt. Einen Augenblick aufgehalten, fuhr der Wagen bald wieder weiter, setzte seinen Weg durch die Menge fort, gelangte in die Rue St. Honoré, wandte sich nach der Rue des Bons-Enfants und hielt vor einer niedern Pforte an.

Die Thüre öffnete sich; zwei Wachen nahmen Bonacieux, der von dem Gefreiten unterstützt wurde, in ihre Arme, und man stieß ihn in einen Gang, ließ ihn eine Treppe hinaufsteigen und setzte ihn in einem Vorzimmer nieder. Alle dese Bewegungen hatten sich für ihn maschinenmäßig bewerkstelligt. Er war gegangen, wie man im Traume geht; er hatte die Gegenstände in einem Nebel gesehen. Seine Ohren hatten Töne vernommen, ohne ihre Bedeutung zu verstehen. Man hätte ihn in diesem Augenblick hinrichten können, und er würde nicht die geringste Geberde zu seiner Vertheidigung unternommen, keinen Schrei ausgestoßen haben, um Mitleid zu erflehen.

Er blieb also, den Rücken an die Wand gelehnt und die Arme herabhängend, auf derselben Stelle der Bank sitzen, wo ihn die Wachen niedergesetzt hatten. Da er jedoch bei Umherschauen nichts Bedrohliches gewahr wurde, da nichts eine wirkliche Gefahr andeutete, da die Bank geziemend ausgepolstert und die Wand mit schönem Corduanleder tapeziert war, da prächtige rothe Damastvorhänge, vom Fenster herabwogten, so begriff er allmälig, daß seine Furcht übertrieben war, und er fing an, seinen Kopf nach rechts und links, und von unten nach oben zu bewegen. Durch diese Bewegung, der sich Niemand widersetzte, gewann er etwas Muth; er wagte es, zuerst ein Bein, dann das andere vorzuziehen; dann erhob er sich vorsichtig mit Hülfe seiner Hände auf seiner Bank und stand bald auf seinen Füßen.

In diesem Augenblicke öffnete ein hübscher Offizier einen Thürvorhang. Er wechselte noch ein paar Worte mit einer im anstoßenden Zimmer befindlichen Person, wandte sich sodann gegen den Gefangenen um und sagte:

»Seid Ihr Bonacieux?«

»Ja, mein Herr Offizier,« stammelte der Krämer, mehr todt als lebendig, »Euch zu dienen.«

»Tretet ein,« sagte der Offizier.

Und er trat auf die Seite, daß der Krämer durchgehen konnte. Dieser gehorchte ohne Erwiederung und trat in das Zimmer, wo man ihn zu erwarten schien.

Es war ein großes, an den Wänden mit Vertheidigungs- und Angriffswaffen geschmücktes, geschlossenes und lustloses Cabinet, in welchem bereits ein Feuer brannte, obgleich man erst am Ende des Monats September war. Ein viereckiger, mit Büchern und Papieren bedeckter Tisch, auf welchem ein ungeheurer Plan der Stadt Rochelle entrollt war, nahm die Mitte des Zimmers ein. Vor dem Kamin stand ein Mann von mittlerer Gestalt, stolzer, hochmütiger Miene, mit durchdringenden Augen, breiter Stirne und abgemagertem Gesichte, das durch Schnurr- und Knebelbart noch länger wurde. Obgleich er erst sechs- bis siebenunddreißig Jahre alt sein mochte, so fingen doch Haupthaare, Schnurrbart und Knebelbart an grau zu werden. Dieser Mann trug zwar keinen Degen, sah aber ganz wie ein Krieger aus, und seine büffelledernen, noch leicht mit Staub bedeckten Stiefel deuteten an, daß er im Verlauf des Tages geritten war.

Dieser Mann war Armand Jean Duplessis, Kardinal von Richelieu, nicht wie man ihn uns darstellt, hinfällig wie ein Greis, leidend wie ein Märtyrer, mit gebrochenem Körper, erloschener Stimme, in einem großen Lehnstuhl begraben, nur durch die Kraft seines Genies lebend und den Kampf mit Europa einzig und allein durch die ewige Thätigkeit seines Geistes aushaltend; sondern, so wie er in Wirklichkeit zu dieser Zeit war, das heißt ein galanter Kavalier von aufrechter Haltung, zwar schwach von Körper, aber unterstützt von jener moralischen Kraft, die ihn zu einem der außerordentlichsten Menschen machte, welche je gelebt haben; jetzt, nachdem er den Herzog von Revers in seinem Herzogthum Mantua aufrecht erhalten, nachdem er Nimes, Castres und Uzés genommen hatte, mit den Vorbereitungen beschäftigt, um die Engländer von der Insel Re zu vertreiben und La Rochelle zu belagern.

Beim ersten Anblick bezeichnete nichts den Kardinal, und diejenigen, welche sein Gesicht nicht kannten, konnten unmöglich errathen, vor wem sie sich befanden.

Der arme Krämer blieb vor der Thüre stehen, während die Augen der so eben beschriebenen Person auf ihn gerichtet waren, als wollten sie bis in die tiefste Tiefe seiner Gedanken dringen.

»Ist das Bonacieux?« fragte er nach kurzem Stillschweigen.

»Ja, Monseigneur,« antwortete der Offizier.

»Gut; gebt mir diese Papiere und laßt uns allein.«

Der Offizier nahm die bezeichneten Papiere vom Tisch, übergab sie, verbeugte sich zur Erde und trat ab.

Bonacieux erkannte in diesen Papieren das Verhör in der Bastille. Von Zeit zu Zeit schlug der Mann am Kamin die Augen von den Schriften auf und bohrte sie wie zwei Dolche dem armen Krämer in den Grund des Herzens.

Nachdem der Kardinal zwei Minuten gelesen und zwei Sekunden geprüft hatte, war er entschieden.

»Dieser Kopf da hat nicht conspirirt,« murmelte er, »doch gleich viel, sehen wir ein wenig nach.«

»Ihr seid des Hochverraths angeklagt,« sprach der Kardinal langsam.

»Das hat man mir bereits gesagt, Monseigneur,« rief Bonacieux, indem er dem Fragenden den Titel gab, welchen er von dem Offizier gehört hatte; »aber ich schwöre Euch, daß ich nichts davon wußte.«

Der Kardinal unterdrückte ein Lächeln.

»Ihr habt mit Eurer Frau, mit Frau von Chevreuse und mit Mylord Herzog von Buckingham conspirirt.« – »In der That, Monseigneur,« antwortete der Krämer, »ich habe sie alle diese Namen aussprechen hören.« – »Und bei welcher Veranlassung?« – »Sie sagte, der Kardinal von Richelieu habe den Herzog von Buckingham nach Paris gelockt, um ihn und die Königin mit ihm zu verderben.« – »Das sagte sie?« rief der Kardinal heftig. – »Ja, Monseigneur; aber ich erwiederte ihr, sie hätte Unrecht, solche Worte zu sprechen, und Seine Eminenz sei unfähig …« – »Schweigt! Ihr seid ein Dummkopf,« versetzte der Kardinal. – »Meine Frau hat mir gerade dasselbe geantwortet, gnädigster Herr.« – »Wißt Ihr, wer Eure Frau entführt hat?« – »Nein, Monseigneur!« – »Ihr habt jedoch Verdacht?« – »Ja, Monseigneur, aber dieser Verdacht schien dem Herrn Commissär ärgerlich zu sein und ich habe ihn nicht mehr.« – »Eure Frau ist entflohen; wußtet Ihr es?« – »Nein Monseigneur, ich habe es erst erfahren, seit ich im Gefängniß bin, und zwar einzig und allein durch die Vermittlung des Herrn Commissärs, eines sehr liebenswürdigen Mannes!«

Der Kardinal unterdrückte ein zweites Lächeln.

»Dann wißt Ihr also auch nicht, was aus Eurer Frau seit Ihrer Flucht geworden ist?« – »Durchaus nicht, Monseigneur; aber sie muß in den Louvre zurückgekommen sein.« – »Um ein Uhr Morgens war sie noch nicht zurückgekehrt.« – »Aber mein Gott, was ist dann aus ihr geworden?« – »Man wird es erfahren, seid ruhig; man verbirgt dem Kardinal nichts; der Kardinal weiß Alles.« – »Glaubt Ihr in diesem Fall, Monseigneur, der Kardinal werde sich herablassen, mir zu sagen, was aus meiner Frau geworden ist?« – »Vielleicht; aber zuvor müßt Ihr Alles gestehen, was Ihr in Beziehung auf die Verhältnisse Eurer Frau zu Frau von Chevreuse wißt.« – »Monseigneur, ich weiß nichts, ich habe diese nie gesehen.« – »Kehrte Eure Frau, wenn Ihr sie im Louvre abholtet, unmittelbar in Euer Haus zurück?« – »Beinahe nie, sie hatte Geschäfte mit Leinwandhändlern, zu denen ich sie führte.« – »Mit wie viel Leinwandhändlern?« – »Mit zwei, gnädigster Herr.« – »Wo wohnen sie?« – »Der eine in der Rue de Vaugirard, der andere in der Rue de la Harpe.« – »Gingt Ihr mit ihr hinein?« – »Nie, Monseigneur, ich erwartete sie an der Thüre.« – Welchen Vorwand nahm sie, um allein hineinzugehen?« – »Keinen, sie sagte mir, ich sollte warten, und ich wartete.« – »Ihr seid ein gefälliger Gatte, mein lieber Herr Bonacieux«, sprach der Kardinal.

»Er hat mich seinen lieben Herrn genannt,« sagte der Krämer zu sich selbst; »Teufel, die Sache geht gut.«

»Würdet Ihr die Thüren wieder erkennen?« – »Ja.« – »Wißt Ihr die Nummern?« – »Ja.« – »Welche sind es?« – »Nro. 25 in der Rue de Vaugirard, Nro. 75 in der Rue de la Harpe.« – »Gut,« sagte der Kardinal.

Bei diesen Worten nahm er ein silbernes Glöckchen, läutete, und der Offizier trat wieder ein.

»Sucht mir Rochefort,« sagte er mit leiser Stimme, »und er soll sogleich hieher kommen, sobald er zurückgekehrt ist.«

»Der Graf ist da,« erwiederte der Offizier, »und wünscht mit Ew. Eminenz zu sprechen.«

»Er komme, er komme!« sagte der Kardinal lebhaft.

Der Offizier entfernte sich mit der Geschwindigkeit, mit der alle Diener Richelieus zu gehorchen pflegten.

»Mit Ew. Eminenz!« murmelte Bonacieux, und drehte ganz verwirrt seine Augen in ihren Höhlen.

Es waren noch keine fünf Sekunden seit dem Verschwinden des Offiziers abgelaufen, als die Thüre sich öffnete und eine neue Person eintrat.

»Er ist es!« rief Bonacieux.

»Wer?« fragte der Kardinal.

»Derjenige, welcher mir meine Frau entführt hat.«

Der Kardinal läutete zum zweiten Male. Der Offizier erschien wieder.

»Uebergebt diesen Menschen seinen zwei Wachen und er soll warten, bis ich ihn vor mich rufe.«

»Nein, Monseigneur, nein, er ist es nicht,« schrie Bonacieux, »ich habe mich getäuscht; es ist ein Anderer, der nicht die geringste Aehnlichkeit mit ihm hat. Dieser Herr ist ein rechtschaffener Mann.«

»Führt diesen Dummkopf weg,« sprach der Kardinal.

Der Offizier nahm Bonacieux beim Arm und führte ihn in das Vorzimmer, wo er seine zwei Wachen fand.

Die zuletzt eingeführte Person folgte Bonacieux ungeduldig mit den Augen, bis man ihn aus der Thüre gebracht hatte, und sobald diese wieder verschlossen war, näherte sie sich lebhaft dem Kardinal und sprach:

»Sie haben sich gesehen!« – »Wer?« fragte die Eminenz. – »Er und sie.« – »Die Königin und der Herzog!« rief Richelieu. – »Ja.« – »Und wo?« – »Im Louvre.« – »Wißt Ihr es gewiß?« – »Ganz gewiß!« – »Wer hat es Euch gesagt?« – »Frau von Lannoy, welche Ew. Eminenz ganz ergeben ist, wie Ihr wißt.« – »Warum hat sie es nicht früher gesagt?« – »Die Königin ließ zufälligerweise oder aus Mißtrauen Frau von Surgis in ihrem Zimmer schlafen und behielt sie den ganzen Tag.« – »Das ist schön, wir sind geschlagen; doch wir wollen unsere Revanche nehmen.« – »Ich werde Euch von ganzem Herzen unterstützen, gnädiger Herr, seid ruhig.« – »Wie ist das zugegangen?« – »Um halb ein Uhr war die Königin bei ihren Frauen …« – »Gut.« – »Als man ihr ein Taschentuch von Seiten ihrer Weißzeugverwalterin zustellte.« – »Hernach? …« – »Sogleich gab die Königin eine große Unruhe kund und erbleichte trotz der Schminke, mit der sie ihr Antlitz bedeckt hatte.« – »Hernach, hernach?« – »Sie stand jedoch auf, und sagte mit bewegter Stimme: »Meine Damen, wartet hier zehn Minuten auf mich, ich komme zurück.« Und sie öffnete die Thüre ihres Alkovens und entfernte sich.« – »Warum hat Frau von Lannoy Euch nicht in demselben Augenblick davon unterrichtet?« – »Es war noch nichts gewiß. Ueberdies hatte die Königin gesagt: »Meine Damen, wartet auf mich,« und sie wagte es nicht, ungehorsam gegen ihre Gebieterin zu sein.« – »Und wie lange ist die Königin aus dem Zimmer geblieben?« – »Drei Viertelstunden.« – »Keine ihrer Frauen begleitete sie?« – »Donna Estefania allein.« – »Und sie kehrte dann zurück?« – »Ja, um ein kleines Kistchen von Rosenholz mit ihrem Namenszuge zu holen und sich sogleich wieder zu entfernen.« – »Und als sie später wieder kam, brachte sie dieses Kistchen zurück?« – »Nein.« – »Weiß Frau von Lannoy, was in diesem Kistchen enthalten war?« – »Ja, die Diamant-Nestelstifte, welche Se. Majestät der Königin gegeben hatte.« – »Und sie kehrte ohne das Kistchen zurück?« – »Ja.« – »Frau von Lannoy meint, sie habe es Buckingham gegeben?« – »Sie ist fest davon überzeugt.« – »Wie so?« – »Im Verlauf des Tages suchte Frau von Lannoy als Kammerdame der Königin nach dem Kistchen, stellte sich beunruhigt darüber, daß sie es nicht fand, und fragte endlich die Königin danach.« – »Und die Königin…« – »Wurde sehr roth und erwiederte, sie habe am Tage vorher einen von den Nestelstiften zerbrochen und das Ding zur Ausbesserung ihrem Goldschmied geschickt.« – »Man muß dahin gehen und sich überzeugen, ob es wahr ist oder nicht.« – »Ich bin dort gewesen.« – »Nun, der Goldschmied …« – »Hat keine Sylbe davon erfahren.« – »Gut! gut! Rochefort, es ist noch nicht Alles verloren und vielleicht … vielleicht steht Alles auf’s Beste.« – »Ich zweifle allerdings nicht, daß das Genie Ew. Eminenz …« – »Die Thorheiten meines Agenten wieder gut macht, nicht wahr?« – »Das war ich im Begriff zu sagen, wenn Ew. Eminenz mich hätte aussprechen lassen.« – »Wißt Ihr nun, wo sich die Herzogin von Chevreuse und der Herzog von Buckingham verborgen hielten?« – »Nein, Monseigneur, meine Leute konnten mir nichts Bestimmtes hierüber sagen.« – »Ich weiß es.« – »Ihr, Monseigneur?« – »Wenigstens vermuthe ich es. Die eine von diesen zwei Personen hielt sich in der Rue de Vaugirard No. 25, die andere in der Rue de la Harpe No. 75 auf. – »Befehlen Ew. Eminenz, daß ich beide verhaften lasse?« – »Es ist ohne Zweifel zu spät, sie werden abgereist sein.« – »Gleichviel, man kann sich Gewißheit verschaffen.« – »Nehmt zehn Mann von meinen Wachen und durchsucht die zwei Häuser.« – »Ich gehe, Monseigneur.«

Rochefort eilte aus dem Zimmer.

Als der Kardinal allein war, dachte er einen Augenblick nach und läutete zum dritten Male.

Derselbe Offizier erschien.

»Laßt den Gefangenen eintreten,« sprach der Kardinal.

Meister Bonacieux wurde abermals eingeführt und der Offizier zog sich auf ein Zeichen des Kardinals zurück.

»Ihr habt mich getäuscht,« sprach der Kardinal mit strengem Tone.

»Ich!« rief Bonacieux, »ich Ew. Eminenz täuschen!«

»Wenn Euere Frau in die Rue de Vaugirard und in die Rue de la Harpe ging, ging sie nicht zu Leinwandhändlern.«

»Wohin ging sie denn, gerechter Gott!«

»Sie ging zu der Herzogin von Chevreuse und zu dem Herzog von Buckingham.«

»Ja,« sagte Bonacieux, alle seine Erinnerungen in sich sammelnd, »ja, so ist es, Ew. Eminenz haben Recht. Ich bemerkte meiner Frau wiederholt, es sei sonderbar, daß Leinwandhändler in solchen Häusern wohnen, die gar keine Schilder haben, und da lachte sie jedesmal laut auf. Ach! Monseigneur,« fuhr Bonacieux sich dem Richelieu zu Füßen werfend fort, »ach! Ihr seid wohl der Kardinal, der große Kardinal, der Mann von erhabenem Geiste, den alle Welt verehrt!«

So geringfügig auch der Sieg war, den er über einen so gewöhnlichen Menschen, wie Bonacieux, davon getragen hatte, so freute sich doch der Kardinal nichtsdestoweniger einen Augenblick darüber; aber sogleich, als wäre ein neuer Gedanke in ihm aufgetaucht, spielte ein Lächeln um seine Lippen, und er sprach, dem Krämer die Hand reichend:

»Steht auf, mein Freund, Ihr seid ein braver Mann.«

»Der Kardinal hat meine Hand berührt! ich habe die Hand des großen Mannes berührt!« rief Bonacieux. »Der große Mann hat mich seinen Freund genannt.«

»Ja, mein Freund, ja,« sprach der Kardinal mit dem väterlichen Tone, den er zuweilen anzunehmen wußte, wodurch aber nur diejenigen hintergangen wurden, sie ihn nicht kannten; »und da man Euch ungerechter Weise im Verdacht gehabt hat, so verdient Ihr eine Entschädigung. Nehmt diesen Sack mit hundert Pistolen und vergebt mir.«

»Ob ich Euch vergebe, Monseigneur!« sagte Bonacieux, zögerte jedoch, den Sack zu nehmen, ohne Zweifel aus Furcht, das angebliche Geschenk möchte nur ein Scherz sein. »Es stand Euch ganz frei, mich verhaften zu lassen, es steht Euch vollkommen frei, mich foltern, mich hängen zu lassen, Ihr seid der Herr, und ich hätte kein Wörtchen darüber zu sagen gehabt. Euch verzeihen, Monseigneur? Geht, das kann nicht Euer Ernst sein.«

»Ah! mein lieber Herr Bonacieux, Ihr wollt Großmuth üben, wie ich sehe, und ich danke Euch dafür. Ihr nehmt also diesen Sack und geht ohne Groll?«

»Ich gehe entzückt, Monseigneur.«

»So lebt wohl, oder vielmehr auf Wiedersehen, denn ich hoffe, wir werden uns wieder sehen.«

»So oft es Monseigneur haben will, ich stehe ganz Eurer Eminenz zu Befehlen.«

»Seid ruhig, das wird oft vorkommen, denn Eure Unterhaltung hat mich in hohem Maße ergötzt.«

»Ah! Monseigneur!«

»Auf Wiedersehen, Herr Bonacieux, auf Wiedersehen.«

Der Kardinal machte ein Zeichen mit der Hand, das Bonacieux mit einer Verbeugung bis zur Erde erwiederte. Dann entfernte er sich rückwärts, und als er im Vorzimmer war, hörte ihn der Kardinal aus vollem Halse schreien: »Es lebe Monseigneur! Es lebe Se. Eminenz! Es lebe der große Kardinal!«

Der Kardinal vernahm mit einem Lächeln die geräuschvolle Kundgebung der enthusiastischen Gefühle von Meister Bonacieux; als sich das Geschrei in der Ferne verloren hatte, sagte er: »Das ist nunmehr ein Mensch, der sich für mich todtschlagen ließe.«

Und der Kardinal betrachtete mit der größten Aufmerksamkeit die Karte von la Rochelle, welche, wie gesagt, auf seinem Schreibtische ausgebreitet lag, und zog mit dem Bleistift eine Linie, wo sich der bekannte Damm sich hinziehen sollte, der achtzehn Monate später den Hafen der belagerten Stadt schloß.

Als er ganz in seine strategischen Betrachtungen vertieft war, öffnete sich die Thüre wieder und Rochefort trat ein.

»Nun?« sprach der Kardinal, sich mit einer Schnelligkeit erhebend, die verrieth, welch hohes Gewicht er auf den Auftrag legte, den er dem Grafen ertheilt hatte.

»Nun,« sprach dieser, »eine junge Frau von sechs- bis achtundzwanzig Jahren und ein Mann von fünfunddreißig bis vierzig Jahren haben wirklich, die eine vier Tage, der andere fünf, in den von Ew. Eminenz bezeichneten Häusern gewohnt; aber die Frau ist in der vergangenen Nacht und der Mann diesen Morgen abgereist.«

»Sie waren es!« rief der Herzog auf die Pendeluhr schauend; »und nun,« fuhr er fort, »ist es zu spät, um ihnen nachzusetzen; die Herzogin ist in Tours, der Herzog in Boulogne. Man muß sie in London treffen.«

»Was sind Ew. Eminenz Befehle?«

»Kein Wort verlaute von dem, was vorgefallen ist. Die Königin verharre in vollkommener Sicherheit; sie darf nicht erfahren, daß wir ihr Geheimniß wissen; sie soll glauben, wir forschen irgend einer Verschwörung nach. Schickt mir den Siegelbewahrer Seguier.«

»Und dieser Mensch? was hat Ew. Eminenz mit ihm gemacht?«

»Was für ein Mensch?« fragte der Kardinal.

»Dieser Bonacieux?«

»Ich habe Alles aus ihm gemacht, was man aus ihm machen konnte. Ich habe ihn zum Spion seiner Frau gemacht.«

Der Graf von Rochefort verbeugte sich als ein Mann, der die große Ueberlegenheit seines Herrn anerkennt, und ging ab.

Wieder allein setzte sich der Kardinal abermals, schrieb einen Brief, den er mit seinem Privatsiegel verschloß, und läutete. Der Offizier trat zum vierten Male ein.

»Laßt mir Vitray kommen,« sprach er, »und sagt ihm, er solle sich zur Reise bereit halten.«

Einen Augenblick nachher stand der verlangte Mann gestiefelt und gespornt vor ihm.

»Vitray,« sagte der Kardinal, »Ihr geht sogleich nach London. Ihr haltet Euch nicht einen Augenblick unterwegs auf; diesen Brief übergebt Ihr Mylady; hier ist eine Anweisung von zweihundert Pistolen; geht zu meinem Schatzmeister und laßt sie Euch ausbezahlen. Eben so viel erhaltet Ihr, wenn Ihr in sechs Tagen zurück seid und Euern Auftrag gut vollzogen habt.«

Ohne ein Wort zu erwiedern, verbeugte sich der Bote, nahm den Brief und die Anweisung von zweihundert Pistolen und ging ab.

Der Brief enthielt Folgendes:

»Mylady!

»Findet Euch auf dem ersten Balle ein, den der Herzog von Buckingham besucht. Er wird an seinem Wamms zwölf Diamantnestelstifte tragen. Nähert Euch ihm und schneidet zwei davon ab.

»Sobald diese Nestelstifte in Euren Händen sind, gebt mir Nachricht.«

XV.

Beamter und Kriegsmann.

Als am Tage nach diesen Ereignissen Athos nicht erschien, wurde Herr von Treville durch d’Artagnan und Porthos von seinem Verschwinden in Kenntniß gesetzt.

Aramis hatte sich einen Urlaub von fünf Tagen erbeten und befand sich, der Sage nach, in Familienangelegenheiten in Rouen.

Herr von Treville war der Vater seiner Soldaten. Der Geringste und Unbekannteste unter ihnen war, sobald er die Uniform seiner Kompagnie trug, seiner Hülfe und seines Beistandes so sicher, als es nur sein eigener Bruder hätte sein können.

Er begab sich also sogleich zu dem Kriminalrichter. Man ließ den Offizier kommen, der den Posten an der Croix-Rouge kommandirte, und aus den Nachrichten, die man nach und nach erhielt, ging hervor, daß Athos für den Augenblick im Fort-l’Evéque einquartirt war.

Athos hatte alle Prüfungen durchgemacht, denen Bonacieux unterworfen gewesen war.

Wir haben der Konfrontationsscene zwischen den zwei Gefangenen beigewohnt. Athos, welcher bis dahin nichts gesagt hatte, weil er dachte, d’Artagnan könnte ebenfalls beunruhigt worden sein und die nöthige Zeit nicht gefunden haben, erklärte von diesem Augenblick an, er heiße Athos und nicht d’Artagnan. Uebrigens kenne er weder Herrn noch Dame Bonacieux; er habe noch nie weder mit dem einen noch mit der andern gesprochen, er sei gegen zehn Uhr Abends gekommen, um Herrn d’Artagnan, seinen Freund, zu besuchen, aber bis zu dieser Stunde sei er bei Herrn von Treville gewesen, wo er zu Mittag gespeist habe; zehn Zeugen könnten, fügte er bei, diese Thatsache beweisen, und er nannte mehrere ausgezeichnete Edelleute, worunter den Herrn Herzog de la Tremouille.

Der zweite Kommissär wurde gleich dem ersten gewaltig verblüfft durch die einfache und feste Erklärung des Musketiers, an dem er, wie Civilbeamte Kriegsmännern gegenüber zu thun lieben, so gerne sein Müthchen gekühlt hätte, aber die Namen des Herrn von Treville und des Herrn Herzogs erheischten Respekt.

Athos wurde ebenfalls zu dem Kardinal geschickt, aber zum Unglück befand sich dieser bei dem König im Louvre.

In demselben Augenblick traf Herr von Treville, der von dem Kriminalrichter und dem Gouverneur des Fort-l’Evèque kam, ohne Athos gefunden zu haben, bei dem König ein.

Als Kapitän der Musketiere hatte Herr von Treville zu jeder Stunde Eintritt bei dem König.

Man kennt die Vorurtheile des Königs gegen die Königin, welche auf eine geschickte Weise durch den Kardinal genährt wurden, der im Punkte der Intriguen Frauen viel mehr mißtraute, als Männern. Eine der bedeutendsten Ursachen dieser Vorurtheile war die Freundschaft Annas von Oesterreich für Frau von Chevreuse. Diese zwei Frauen bereiteten ihm mehr Unruhe, als die Kriege mit Spanien, die Streitigkeiten mit England und die Finanzverlegenheiten. In seinen Augen und nach seiner Ueberzeugung unterstützte Frau von Chevreuse die Königin nicht nur in ihren politischen Intriguen, sondern auch, was ihn noch viel mehr quälte, in ihren Liebeshändeln.

Bei dem ersten Wort des Kardinals, daß Frau von Chevreuse, die man an ihrem Verbannungsorte Tours glaubte, nach Paris gekommen sei und der Polizei zum Trotz fünf Tage hier verweilt habe, gerieth der König in furchtbaren Zorn. Launisch und ungetreu, wollte der König Ludwig der Gerechte und Ludwig der Keusche heißen. Der Nachwelt wird es schwer werden, diesen Charakter zu begreifen, den die Geschichte nur durch Thatsachen und nie durch Urtheile erklärt.

Als aber der Kardinal beifügte, Frau von Chevreuse sei nicht nur nach Paris gekommen, sondern auch mittelst einer der geheimnißvollen Korrespondenzen, die man damals eine Kabale nannte, mit der Königin in Verbindung getreten; als er versicherte, er, der Kardinal, sei nahe daran gewesen, die verborgensten Fäden dieser Intrigue zu enthüllen, aber in dem Augenblick, wo man die Abgeordnete der Königin bei der Verbannten mit allen Beweisen auf der That hätte ertappen können, habe ein Musketier sich unterstanden, den Gang der Gerechtigkeit gewaltsam zu unterbrechen und mit dem Degen in der Hand über ehrliche Männer des Gesetzes herzufallen, welche beauftragt gewesen, die ganze Angelegenheit unparteiisch zu untersuchen, um sie dem Könige vor Augen zu legen, da konnte Ludwig XIII. nicht mehr an sich halten: er that, mit jener bleichen, stummen Entrüstung, die diesen Fürsten, wenn sie zum Ausbruch kam, bis zur kalten Grausamkeit führte, einen Schritt gegen das Gemach der Königin.

Und dennoch hatte der Kardinal in der ganzen Sache noch nicht ein Wort von dem Herzog von Buckingham gesprochen.

Jetzt trat Herr von Treville ein, kalt, höflich und in tadelloser Haltung.

Durch die Gegenwart des Kardinals und durch die Entstellung in den Gesichtszügen des Königs genugsam über das Vorgefallene unterrichtet, fühlte sich Herr von Treville stark, wie Simson vor den Philistern.

Ludwig XIII. legte bereits die Hand an den Knopf der Thüre. Bei dem Geräusche, das Herrn von Treville’s Eintritt verursachte, drehte er sich um.

»Ihr kommt zu gelegener Zeit, mein Herr,« sprach der König, der, wenn seine Leidenschaften einen gewissen Grad erreicht hatten, sich nicht mehr zu verstellen wußte, »und ich erfahre schöne Dinge von Euren Musketieren.«

»Und ich,« sprach Herr von Treville kalt, »ich habe Ew. Majestät schöne Dinge von Ihren Civildienern zu melden.«

»Wenn es gefällig wäre?« fragte der König stolz.

»Ich habe die Ehre, Ew. Majestät zu benachrichtigen,« fuhr Herr von Treville in demselben Tone fort, »daß eine Anzahl von Prokuratoren, Kommissären und Leuten von der Polizei – sehr schätzenswerthe Leute, aber, wie es scheint, sehr erbittert gegen die Uniform, sich erlaubt hat, einen meiner Musketiere in einem Hause zu verhaften, über die offene Straße zu führen, und auf einen Befehl, dessen Vorzeigung man mir verweigerte, in’s Fort-l’Evêque zu werfen, und Alles dies, sage ich, ist einem meiner Musketiere, oder vielmehr Eurer Musketiere, Sire, einem Mann von tadellosem Benehmen, von beinahe erhabenem Ruf, einem Mann, der Ew. Majestät vortheilhaft bekannt ist, Herrn Athos, widerfahren.«

»Athos,« sprach der König maschinenmäßig; »ja, in der That, ich kenne diesen Namen.«

»Ew. Majestät belieben sich seiner zu erinnern,« sagte Herr von Treville, »Athos ist der Musketier, der bei dem ärgerlichen Duelle, das Ihr kennt, Herrn von Cahusac schwer zu verwunden das Unglück hatte. Apropos, Monseigneur,« fuhr Herr von Treville sich gegen den Kardinal wendend fort, »Herr von Cahusac ist völlig wiederhergestellt, nicht wahr?«

»Ich denke,« sagte der Kardinal, sich vor Zorn in die Lippen beißend.

»Herr Athos wollte also einen seiner Freunde besuchen, welcher gerade nicht zu Hause war, einen Bearner, der als Kadett bei den Garden Seiner Majestät, Kompagnie des Essarts steht; aber kaum befand er sich im Zimmer seines Freundes und hatte in Erwartung desselben ein Buch genommen, als ein Haufen von Schergen und Soldaten das Haus belagert und mehrere Thüren einstößt.«

Der Kardinal machte dem König ein Zeichen, welches bedeuten sollte:

»Es geschah in der Angelegenheit, von der ich gesprochen habe.«

»Wir wissen Alles, was Ihr uns da sagt, denn es ist Alles in unserem Dienste geschehen,« sagte der König.

»Dann geschah es wohl auch im Dienste Ew. Majestät, daß man einen meiner Musketiere ganz unschuldig ergriff, wie einen Missethäter zwischen zwei Wachen stellte und mitten durch einen frechen Pöbelhaufen diesen ehrenfesten Mann hindurchführte, der zehnmal sein Blut im Dienste Seiner Majestät vergossen hat und noch zu vergießen bereit ist.«

»Bah!« sprach der König erschüttert, »ist die Sache wirklich so gegangen?«

»Herr von Treville,« versetzte der Kardinal mit dem größten Phlegma, »verschweigt, daß dieser unschuldige Musketier, dieser ehrenfeste Mann, eine Stunde vorher vier Instruktions-Kommissäre, welche ich zur Untersuchung einer sehr wichtigen Angelegenheit abgeschickt, mit dem Degen in der Faust angegriffen und in die Flucht geschlagen hatte.«

»Ich fordere Ew. Eminenz auf, dies zu beweisen,« rief Herr von Treville mit seiner ganzen gascognischen Freimüthigkeit und mit seiner vollen militärischen Derbheit; »denn Herr Athos, ein Mann von vortrefflichen Eigenschaften, erzeigte mir eine Stunde vorher, nachdem er bei mir zu Mittag gespeist hatte, die Ehre, sich im Salon meines Hotels mit dem Herrn Herzog de la Tremouille und dem Herrn Grafen von Chalus zu unterhalten.«

Der König schaute den Kardinal an.

»Ein Protokoll beglaubigt, was ich sagte,« antwortete der Kardinal ganz laut auf die stumme Frage Seiner Majestät, »und die Mißhandelten haben folgende Urkunde abgefaßt, die ich Ew. Majestät zu überreichen die Ehre habe.«

»Ist ein Protokoll von Beamten so viel werth, als das Ehrenwort eines Kriegsmanns?« erwiederte Herr von Treville in stolzem Tone.

»Ruhig, ruhig, Treville! schweigt,« sagte der König.

»Hegt Seine Eminenz einen Verdacht gegen einen meiner Musketiere,« sprach Treville, »so ist die Gerechtigkeit des Herrn Kardinals so weltbekannt, daß ich selbst eine Untersuchung verlange.«

»In dem Hause, wo diese gerichtliche Besichtigung vorgenommen wurde,« fuhr der Kardinal leidenschaftslos fort, »wohnt, wie ich glaube, ein Bearner, ein Freund des Musketiers.«

»Ja, Ew. Eminenz, so ist es.«

»Glaubt Ihr nicht, daß dieser junge Mensch schlimmen Rath gegeben hat …«

»Herrn Athos, einem Manne, der doppelt so alt ist,« unterbrach ihn Herr von Treville; »nein, Monseigneur, überdies hat Herr d’Artagnan den Abend bei mir zugebracht.«

»Ah! es scheint in der That, die ganze Welt brachte den Abend bei Euch zu?« erwiederte der Kardinal.

»Sollte Ew. Eminenz an meinem Worte zweifeln?« sprach Herr von Treville, dessen Stirne der Zorn roth färbte.

»Nein, davor soll mich Gott bewahren!« sagte der Kardinal; »aber es handelt sich nur darum, zu welcher Stunde er bei Euch war?«

»Ah! das kann ich Ew. Eminenz genau sagen, denn als er eintrat, sah ich auf der Uhr, daß es halb zehn war, obschon ich glaubte, es müßte später sein.«

»Und um welche Zeit hat er Euer Hotel verlassen?«

»Um halb elf Uhr, gerade eine Stunde nach dem Vorfall.«

»Aber,« fuhr der Kardinal fort, »der nicht einen Augenblick an der Redlichkeit des Herrn von Treville zweifelte und gewahr wurde, daß der Sieg seinen Händen entschlüpfen wollte; »aber Athos ist doch in dem Hause der Rue des Fossoyeurs verhaftet worden.«

»Ist es einem Freunde verboten, einen Freund zu besuchen? ist es einem Musketier von meiner Compagnie verboten, mit einem Gardisten von der Compagnie des Essarts Brüderschaft zu halten?«

»Ja, wenn das Haus, wo man mit diesem Freunde Brüderschaft pflegt, verdächtig ist.«

»Weil dieses Haus verdächtig ist, Treville,« sprach der König; »vielleicht wußtet Ihr das nicht?«

»In der That, Sire, ich wußte es nicht. Jedenfalls kann es überall verdächtig sein, nur ziehe ich in Abrede, daß es in dem Theile, welchen Herr d’Artagnan bewohnt, verdächtig ist, denn ich darf wohl im Vertrauen auf seine eigenen Aeußerungen versichern, daß es keinen ergebenern Diener Ew. Majestät, keinen innigern Bewunderer des Herrn Kardinals gibt.«

»Ist das nicht jener d’Artagnan, welcher eines Tags bei dem unglücklichen Streit in der Nähe des Klosters der Karmeliter-Barfüßer Jussac verwundete?« fragte der König und schaute dabei den Kardinal an, der vor Aerger im ganzen Gesicht roth wurde.

»Und am andern Tage Bernajoux. Ja, Sire, ja, es ist derselbe, Ew. Majestät haben ein gutes Gedächtniß.«

»Nun, was wollen wir beschließen?« sagte der König. – »Ich werde die Schuld beweisen.« –

»Und ich leugne sie. Aber Seine Majestät hat Richter und diese Richter sollen entscheiden.«

»Ganz gut,« versetzte der König, »übergeben wir den ganzen Prozeß den Richtern; es ist ihre Sache zu urtheilen, und sie werden urtheilen.«

»Nur ist es sehr traurig,« sprach Herr von Treville, »daß in den gegenwärtigen unglücklichen Zeiten ein Mann beim reinsten Leben, bei der vorwurfsfreiesten Tugend, der Bosheit und Verfolgung nicht entgeht. Die Armee wird auch ganz sicherlich sehr unzufrieden sein, wenn sie sieht, daß sie bei Polizei-Angelegenheiten der strengsten Behandlung preisgegeben wird.«

Das Wort war unklug, aber Herr von Treville hatte es ausgesprochen, weil er mit dem Stand der Dinge genau vertraut war. Er wollte eine Explosion herbeifuhren, denn bei dieser Gelegenheit gibt eine Mine Feuer und Feuer erleuchtet.

»Polizei-Angelegenheiten!« rief der König, Herrn von Treville’s Worte aufnehmen». »Polizei-Angelegenheiten!« und was wißt denn Ihr davon, mein Herr? Kümmert Euch um Euere Musketiere und macht mich nicht toll. Hört man Euch, so sollte man glauben, Frankreich wäre in Gefahr, wenn unglücklicherweise ein Musketier verhaftet wird! Ei! was für ein Lärm um einen Musketier! Ich lasse zehn verhaften, bei Gott, hundert, ja, die ganze Compagnie, und man soll nicht mucksen.«

»Die Musketiere sind schuldig, sobald Ew. Majestät einen Verdacht gegen sie hegen,« entgegnete Herr von Treville, »auch seht Ihr mich bereit, Sire, Euch meinen Degen zu übergeben; denn ich zweifle nicht daran, daß der Herr Kardinal, nachdem er meine Soldaten verklagt hat, am Ende auch mich verklagen wird, und es ist somit besser, daß ich mich selbst in Verhaft gebe, mit Herrn Athos, der bereits verhaftet ist, und mit Herrn d’Artagnan, den man noch verhaften wird.«

»Gascogner-Kopf, wollt Ihr schweigen!« rief der König.

»Sire,« antwortete Treville, ohne die Stimme im Geringsten zu dämpfen, »befehlt, mir meinen Musketier zurückzugeben oder Gericht über ihn zu halten.«

»Man wird Gericht über ihn halten,« sagte der Kardinal.

»Nun, desto besser, in diesem Falle werde ich Seine Majestät bitten, für ihn plaidiren zu dürfen.«

Der König fürchtete ein großes Aufsehen und sprach: »Wenn Seine Eminenz nicht persönliche Motive hätte…«

Der Kardinal sah den König kommen und ging ihm entgegen.

»Um Vergebung,« sagte er, »wenn Ew. Majestät in mir einen Richter von vorgefaßter Meinung erblicken, so ziehe ich mich zurück.«

»Hört,« sprach der König, »schwört Ihr mir bei meinem Vater, daß Herr Athos während des Vorfalls bei Euch gewesen ist und keinen Theil daran genommen hat?«

»Bei Eurem glorreichen Vater und bei Euch selbst, der Ihr das seid, was ich auf der Welt am innigsten liebe und verehre, schwöre ich!«

»Wollt bedenken, Sire,« sprach der Kardinal, »wenn wir den Gefangenen so entlassen, wird man nie mehr die Wahrheit erfahren.«

»Herr Athos wird stets vorhanden und bereit sein, den Gerichten Rede und Antwort zu stehen, wenn sie ihn zu befragen Lust haben,« entgegnete Herr von Treville. »Er wird nicht desertiren, dafür stehe ich.«

»Gewiß, er wird nicht desertiren,« sprach der König, »man kann ihn immer wieder finden, wie Herr von Treville sagt. Ueberdies,« fügte er mit gedämpfter Stimme und einem flehenden Blick auf Se. Eminenz hinzu, »überdies wollen wir sie sicher machen, das ist Politik.«

Diese Politik Ludwigs XIII. machte Richelieu lächeln.

»Befehlt, Sire,« sprach er, »Euch steht das Recht der Begnadigung zu.«

»Das Recht der Begnadigung ist nur auf Schuldige anwendbar,« entgegnete Treville, der das letzte Wort haben wollte, »und mein Musketier ist unschuldig. Ihr laßt also nicht Gnade, sondern Gerechtigkeit widerfahren, Sire.«

»Er ist im Fort-l’Evêque?« sagte der König.

»Ja, Sire, und in engem Gewahrsam, in einem Kerker, wie der gemeinste Verbrecher.«

»Teufel! Teufel!« murmelte der König, »was soll man da thun?«

»Den Freilassungsbefehl unterzeichnen und Alles ist abgemacht,« sprach der Kardinal; »ich halte, wie Ew. Majestät, die Gewährschaft des Herrn von Treville für mehr als genügend.«

Treville verbeugte sich ehrfurchtsvoll und mit einer Freude, die nicht ohne alle Beimischung von Furcht war; er hätte einen hartnäckigen Widerstand diesem plötzlichen Nachgeben vorgezogen.

Der König unterzeichnete den Freilassungsbefehl, den Herr von Treville ohne Verzug forttrug.

Im Augenblick seines Abgangs lächelte ihm der Kardinal freundschaftlich zu und sagte zu dem König:

»Es herrscht bei Euren Musketieren eine schöne Harmonie zwischen den Führern und Soldaten, das ist sehr ersprießlich für den Dienst und sehr ehrenvoll für Alle.«

»Er wird mir demnächst einen schlimmen Streich spielen,« dachte Treville. »Man hat nie das letzte Wort bei einem solchen Menschen. Aber eilen wir; dem König kann gleich wieder ein anderer Kopf wachsen; denn im Ganzen ist es schwieriger, einen Menschen, der einmal herausgekommen ist, wieder nach der Bastille oder dem Fort-l’Evêque zu bringen, als einen Gefangenen zu bewachen, den man eingekerkert hat.«

Herr von Treville hielt triumphirend seinen Einzug im Fort-l’Evêque, wo er den Musketier befreite, den seine Ruhe nicht einen Augenblick verlassen hatte.

Als er zum ersten Mal d’Artagnan wieder sah, sprach er:

»Ihr kommt gut weg. Euer Degenstich gegen Jusac ist nun bezahlt. Es bleibt noch der gegen Bernajoux im Rest, aber seid immerhin auf Eurer Hut!«

Herr von Treville hatte übrigens Recht, dem Kardinal zu mißtrauen und zu glauben, es sei noch nicht Alles vorbei; denn kaum hatte der Kapitän der Musketiere hinter sich geschlossen, als Seine Eminenz zu dem König sagte:

»Nun, da wir allein sind, wollen wir ernsthaft sprechen, wenn es Ew. Majestät gefällig ist. – Sire, der Herzog von Buckingham war fünf Tage lang in Paris, und ist erst diesen Morgen abgereist.«

XI.

Die Intrigue schürzt sich.

Als d’Artagnan seinen Besuch bei Herrn von Treville gemacht hatte, nahm er den weitesten Weg, um nach Hause zu gehen.

An was dachte d’Artagnan, als er sich so weit von seiner Straße entfernte, die Gestirne des Himmels betrachtete, bald seufzte, bald lächelte?

Er dachte an Frau Bonacieux. Für einen Musketierlehrling war diese junge Frau fast ein Liebesideal. Hübsch, mysteriös, beinahe in alle Geheimnisse des Hofes eingeweiht, welche so viel reizenden Ernst auf ihren anmuthigen Zügen wiederspiegelten, stand sie im Verdacht, nicht unempfindlich zu sein, was für Neulinge in der Liebe einen unwiderstehlichen Reiz bildet. Ueberdies hatte d’Artagnan sie aus den Händen dieser Teufel befreit, die sie mißhandeln und durchsuchen wollten. Und dieser wichtige Dienst hatte Dankbarkeitsgefühle bei ihr gegründet, welche so leicht einen zärtlicheren Charakter annehmen.

D’Artagnan sah bereits, so rasch gehen die Träume auf den Flügeln der Einbildungskraft, einen Boten von der jungen Frau vor sich, der ihm ein Rendezvousbillet, eine goldene Kette oder einen Diamant zustellte. Wir haben schon erwähnt, daß junge Cavaliere, ohne sich zu schämen, Geld von ihrem König annahmen; fügen wir noch bei, daß sie in jenen Zeiten leichter Moral auch vor ihren Geliebten nicht errötheten, und daß diese ihnen beinahe beständig kostbare und dauerhafte Erinnerungen zurückließen, als ob sie die Gebrechlichkeit ihrer Gefühle durch die Festigkeit ihrer Geschenke hätten gutmachen wollen.

Man machte damals seinen Weg durch die Frauen, ohne sich dessen zu schämen. Diejenigen, welche nur schön waren, gaben ihre Schönheit, und hievon rührt ohne Zweifel das Sprichwort: daß das schönste Mädchen der Welt nur das geben kann, was sie hat. Die Reichen gaben überdies einen Theil ihres Geldes, und man könnte gar manche Helden aus dieser galanten Epoche anführen, welche erstens ihre Sporen und zweitens ihre Schlachten nicht gewonnen hätten ohne die mehr oder minder gespickte Börse, die ihre Geliebte ihnen an den Sattelbogen befestigte.

D’Artagnan besaß nichts; die Blödigkeit des Provinzbewohners, – ein leichter Firniß, eine ephemere Blüthe, ein Pfirsichflaum, – war unter dem Winde der nicht sehr orthodoxen Rathschläge verdunstet, welche die drei Musketiere ihrem Freunde gaben. D’Artagnan betrachtete sich, nach dem seltsamen Gebrauch jener Zeit, in Paris wie im Felde, und dies nicht mehr und nicht weniger als in Flandern: der Spanier da unten, die Frau hier. Es gab überall Feinde, die man zu überwinden hatte, überall waren es Steuern, die man eintreiben zu müssen glaubte.

Aber wir können nicht leugnen, daß d’Artagnan in diesem Augenblick von einem edleren, uneigennützigeren Gefühle bewegt war. Der Krämer hatte ihm gesagt, er sei reich; der junge Mann konnte sich leicht denken, daß bei einem albernen Menschen, wie Herr Bonacieux, die Frau den Kassenschlüssel in der Hand haben mußte. Aber Alles dies übte durchaus keinen Einfluß auf die Empfindung aus, welche der Anblick der Frau Bonacieux hervorgebracht hatte, und das Interesse war diesem Liebesanfang, der Folge dieses Anblicks, beinahe fremd geblieben; wir sagen beinahe, denn der Gedanke, daß eine schöne, anmuthige, geistreiche junge Frau zu gleicher Zeit reich ist, benimmt diesem Liebesanfang durchaus nichts, sondern verstärkt ihn vielmehr. Es gibt bei der Wohlhabenheit eine Menge von aristokratischen Launen und Bedürfnissen, die der Schönheit sehr gut stehen. Ein feiner weißer Strumpf, ein seidenes Kleid, ein Spitzenbesatz, ein schöner Schuh am Fuß, ein frisches Band auf dem Kopfe machen eine häßliche Frau nicht hübsch, aber eine hübsche Frau schön, abgesehen von den Händen, die bei Allem dem gewinnen. Die Hände müssen bei den Frauen müßig bleiben, um schön zu bleiben

Dann war d’Artagnan, wie der Leser wohl weiß, da wir ihm seinen Vermögensstand nicht verborgen haben, kein Millionär; er hoffte, es eines Tags zu werden, aber die Zeit, die er selbst für diese glückliche Veränderung der Dinge feststellte, war ziemlich weit entfernt. Bis dahin, welche Verzweiflung, eine Frau die tausenderlei Kleinigkeiten verlangen zu sehen, die das Glück der Frauen bilden, und ihr eben diese tausenderlei Kleinigkeiten nicht geben zu können! Wenn die Frau reich ist und der Liebhaber nicht, so gibt sie sich selbst, was ihr der Liebhaber nicht bieten kann, und obgleich sie sich diesen Genuß gewöhnlich mit dem Gelde ihres Mannes verschafft, so fließt doch ihr Dank sehr selten diesem zu.

Geneigt, der zärtlichste Liebhaber zu sein, war d’Artagnan mittlerweile der ergebenste Freund. Mitten unter den verliebten Entwürfen auf die Frau des Krämers, vergaß er die seinigen nicht; die hübsche Bonacieux war ganz die Frau, die man auf der Ebene St. Denis oder auf dem Markte St. Germain spazieren führen konnte, in Gesellschaft von Athos, Porthos und Aramis, denen er eine solche Eroberung mit Stolz zeigen würde. Wenn man lang gegangen ist, stellt sich der Hunger ein; dies hatte d’Artagnan seit ewiger Zeit bemerkt. Man konnte da jene kleinen Diners einnehmen, wobei man auf der einen Seite die Hand eines Freundes und auf der andern den Fuß einer Geliebten berührt. Und dann konnte d’Artagnan in dringlichen Augenblicken und peinlichen Lagen der Retter seiner Freunde werden.

Herr Bonacieux aber, den d’Artagnan in die Hände der Sbirren gestoßen, den er laut verläugnet und dem er ganz leise Rettung versprochen hatte? Wir müssen unsern Lesern gestehen, daß d’Artagnan auf keine Weise hieran dachte, oder daß er, wenn er auch daran dachte, sich höchstens sagte, der Mann sei ganz gut da, wo er sich befinde, wo dies auch sein möchte. Für den Augenblick wollen wir es machen, wie der verliebte Gascogner; wir kommen jedoch später auf den würdigen Krämer zurück.

Während d’Artagnan seine zukünftige Liebe überdachte, mit der Nacht sprach und den Sternen zulächelte, ging er die Rue Cherche-Midi oder Chasse-Midi, wie man sie damals nannte, hinauf. Da er sich in dem Quartier von Aramis befand, so kam ihm der Gedanke, seinem Freund einen Besuch zu machen und ihm die Gründe auseinanderzusetzen, die ihn bewogen hatten, denselben durch Planchet zu einem augenblicklichen Besuch in der Mausfalle auffordern zu lassen. Wäre Aramis zu Hause gefunden worden, so würde er ohne Zweifel nach der Rue des Fossoyers gelaufen sein und dort Niemand als seine zwei Kameraden gefunden haben, welche eben so wenig, wie er selbst gewußt hätten, was dies bedeuten sollte. Diese Störung verdiente wohl aufgeklärt zu werden; das war es, was sich d’Artagnan ganz laut sagte.

Ganz leise dachte er, es sei für ihn eine Gelegenheit, von der hübschen, kleinen Bonacieux zu sprechen, welche seinen Geist, wenn auch nicht sein Herz, bereits gänzlich erfüllt hatte. Bei einer ersten Liebe darf man keine Discretion fordern; diese erste Liebe ist von so großer Freude begleitet, daß sie ausströmen muß, wenn sie uns nicht ersticken soll.

Paris war seit zwei Stunden düster und fing an, öde zu werden. Es schlug elf Uhr auf allen Glockentürmen des Faubourg St. Germain. Das Wetter war mild. D’Artagnan ging eine Gasse entlang, welche auf der Stelle lag, wo sich jetzt die Rue d’Assas hinzieht. Er athmete die balsamischen Ausdünstungen ein, welche der Wind aus der Rue de Vaugirard und den daran anstoßenden, vom Abendthau erfrischten Gärten herübertrug. Aus der Ferne tönte das durch gute Fensterläden etwas gedämpfte Geräusch der auf der Ebene zerstreuten Schenken. Am Ende der Gasse angelangt, wandte sich d’Artagnan nach links. Das von Aramis bewohnte Haus lag zwischen der Rue Cassette und der Rue Servandoni. D’Artagnan hatte bereits die Rue Cassette durchschritten und erkannte die Hausthüre seines Freundes, welche unter Sykomoren und Rebwinden vergraben war, die über derselben einen schweren Wulst bildeten, als er etwas wie einen Schatten erblickte, der aus der Rue Servandoni hervorkam. Dieses Etwas war in einen Mantel gehüllt und d’Artagnan hielt es Anfangs für einen Mann. Aber an der Feinheit des Wuchses und der Unsicherheit des Ganges erkannte er bald, daß es eine Frau war. Diese Frau schlug, als wäre sie ungewiß über das Haus, das sie suchte, die Augen auf, um sich zu orientieren, blieb stille stehen, kehrte sich um, ging einige Schritte rückwärts und wieder vorwärts. Das reizte die Neugierde d’Artagnan’s.

»Wenn ich ihr meine Dienste anböte,« dachte er; »an ihrem Wesen erkennt man, daß sie jung ist; vielleicht ist sie auch hübsch. Oh! ja. Aber eine Frau, welche um diese Zeit in den Straßen umherläuft, sucht in der Regel nichts Anderes, als ihren Liebhaber. Pest! Rendezvous zu stören, wäre eine schlimme Einleitung zu meinem Liebeshandel!«

Die junge Frau ging indessen immer vorwärts, und zählte die Häuser und Fenster. Das war übrigens weder schwierig noch langwierig. Es gab in diesem Theil der Straße nur drei Hotels und zwei Fenster, welche auf die Straße gingen. Das eine war das eines Pavillons, welcher mit der Wohnung von Aramis parallel lag, das andere das von Aramis selbst.

»Bei Gott,« sprach d’Artagnan, dem die Nichte des Theologen einfiel, zu sich selbst, »bei Gott es wäre drollig, wenn diese verspätete Taube das Haus unseres Freundes aufsuchte. Aber, bei meiner Seele, es sieht so aus. Ah, mein lieber Aramis, diesmal wollen wir Dir auf die Sprünge kommen.«

D’Artagnan machte sich so schmal als möglich und verbarg sich auf der dunkelsten Seite der Straße bei einer steinernen Bank, welche im Hintergrund einer Nische stand.

Die junge Frau schritt immer vorwärts; abgesehen von dem leichten Gang, der sie verrathen hatte, ließ sie ein leichtes Husten vernehmen, das eine äußerst frische Stimme offenbarte. D’Artagnan hielt es für ein Signal. Aber ob nun das Husten durch em gleichbedeutendes Zeichen erwiedert wurde, das der Unentschlossenheit der nächtlichen Sucherin ein Ende machte, oder ob sie ohne fremde Hülfe erkannt hatte, daß sie am Ziele ihrer Wanderung angelangt war, – sie näherte sich entschlossen dem Fensterladen von Aramis und klopfte dreimal in gleichen Zwischenräumen mit gekrümmtem Finger daran.

»Das ist allerdings bei Aramis,« murmelte d’Artagnan. »Ah, mein Herr Heuchler, ich ertappe Euch bei den theologischen Studien!«

Die Unbekannte hatte kaum dreimal geklopft, als der innere Kreuzstock sich öffnete und ein Licht durch den Laden sichtbar wurde.

»Ah, ah!« flüsterte der Horcher, »nicht durch die Thüren, sondern durch die Fenster, ah, ah! der Besuch war erwartet. Schön! der Laden wird sich öffnen und die Dame einsteigen. Sehr gut!«

Aber zum großen Erstaunen d’Artagnans blieb der Laden geschlossen, das Licht, welches einen Augenblick geflammt hatte, verschwand wieder, und Alles versank abermals in die frühere Dunkelheit.

D’Artagnan dachte, dies könne nicht lange so dauern, und horchte und schaute mit gespannten Ohren und weit geöffneten Augen. Er hatte Recht. Nach Verlauf einiger Sekunden ertönten zwei dumpfe Schläge im Innern.

Die junge Frau auf der Straße antwortete durch ein einmaliges Klopfen und der Laden öffnete sich.

Man kann sich leicht denken, mit welcher Gier d’Artagnan schaute und horchte.

Zum Unglück hatte man das Licht in ein anderes Zimmer gebracht. Aber die Augen des jungen Mannes waren an die Nacht gewöhnt. Ueberdieß haben die Augen der Gascogner, wie man versichert, die Eigenschaft, daß sie, wie die Katzen, in der Finsterniß sehen.

D’Artagnan bemerkte also, wie die junge Frau aus ihrer Tasche einen weißen Gegenstand herausholte, den sie lebhaft auseinanderwickelte, und der sodann die Gestalt eines Sacktuches annahm. Sobald dieser Gegenstand entwickelt war, zeigte sie der Person im Hause eine Ecke desselben.

Dies erinnerte d’Artagnan an das Taschentuch, das er zu den Füßen der Frau Bonacieux gefunden, und welches ihn an das zu den Füßen von Aramis gefundene erinnert hatte.

»Was Teufel konnte denn dieses Taschentuch bedeuten?«

Auf der Stelle, wo er stand, vermochte d’Artagnan das Gesicht von Aramis nicht zu sehen. Wir sagen, von Aramis, weil d’Artagnan nicht im Geringsten zweifelte, daß sein Freund es sei, der von innen mit der Dame außen sprach. Die Neugierde trug den Sieg über die Klugheit davon, und den Umstand benutzend, daß die zwei Personen, welche wir in Scene gesetzt haben, ganz von der Aufmerksamkeit gefesselt zu sein schienen, die sie dem Anblick des Taschentuchs widmeten, verließ er sein Versteck und drückte sich, rasch wie ein Blitz, aber mit gedämpften Tritten, an eine Mauerecke, von wo aus sein Auge vollkommen in’s Innere von Aramis Wohnung dringen konnte.

Hier angelangt, stieß d’Artagnan beinahe einen Schrei des Erstaunens aus. Nicht Aramis sprach mit dem nächtlichen Besuche, sondern eine Frau. D’Artagnan sah wohl genug, um die Form ihrer Kleidung zu erkennen, aber nicht genug, um ihre Züge zu unterscheiden.

In demselben Augenblick zog die Frau in der Wohnung ein zweites Taschentuch hervor, und vertauschte es mit dem, welches man ihr gezeigt hatte. Dann wurden einige Worte zwischen den zwei Frauen gewechselt, der Laden verschloß sich wieder, die Frau, welche sich außen befand, wandte sich um und ging auf vier Schritte, die Kappe ihres Mantels niederschlagend, an d’Artagnan vorüber; aber letztere Vorsichtsmaßregel war zu spät genommen worden, d’Artagnan hatte bereits Frau Bonacieux erkannt.

Frau Bonacieux! Dieser Verdacht hatte sich schon in seinem Geiste geregt, als sie das Taschentuch hervorzog; aber welche Wahrscheinlichkeit war vorhanden, daß Frau Bonacieux, die nach Herrn de la Porte geschickt hatte, um sich nach dem Louvre zurückführen zu lassen, allein um halb zwölf Uhr in der Nacht, auf die Gefahr, abermals verhaftet zu werden, in den Straßen umhergehen würde?

Es mußte also eine sehr wichtige Angelegenheit im Spiele sein, und was für wichtige Angelegenheiten gibt es für eine Frau von fünfundzwanzig Jahren? Die Liebe.

Aber setzte sie sich für eigene Rechnung oder für Rechnung einer andern Person solchen Zufällen aus? Das war es, was sich der junge Mann selbst fragte; denn der Dämon der Eifersucht nagte nicht mehr und nicht minder an seinem Herzen, als wenn er bereits ein in volles Recht eingesetzter Liebhaber gewesen wäre.

Es gab übrigens ein sehr einfaches Mittel, sich zu überzeugen, wohin Frau Bonacieux ging. Er brauchte ihr nur zu folgen, und dieses Mittel war so einfach, daß d’Artagnan es ganz von selbst und instinktmäßig anwandte.

Aber bei dem Anblick des jungen Mannes, der von der Mauer hervortrat, wie eine Statue aus ihrer Nische, und bei dem Geräusch der Tritte, die sie hinter sich erdröhnen hörte, stieß Frau Bonacieux einen kurzen Schrei aus und entfloh.

D’Artagnan lief ihr nach. Es wurde ihm nicht schwer, eine Frau zu erreichen, die durch ihren Mantel im Laufe gehemmt wurde. Er hatte sie also schon innerhalb des ersten Drittels der Straße eingeholt, in die sie sich flüchtete. Die Unglückliche war erschöpft, nicht vor Ermüdung, sondern vor Schrecken, und als ihr d’Artagnan die Hand auf die Schulter legte, stürzte sie auf die Kniee und schrie mit erschreckter Stimme:

»Tödtet mich, wenn Ihr wollt, aber Ihr sollt nichts erfahren.«

D’Artagnan schlang seinen Arm um ihren Leib und hob sie auf. Da er aber an ihrem Gewichte bemerkte, daß sie einer Ohnmacht nahe war, so beeilte er sich, sie durch Betheuerungen seiner Ergebenheit zu beruhigen. Diese Betheuerungen galten der Frau Bonacieux Nichts, denn man kann solche mit den schlimmsten Absichten der Welt geben, aber die Stimme war Alles. Die junge Frau glaubte den Klang dieser Stimme zu erkennen; sie öffnete die Augen, warf einen Blick auf den Mann, der ihr so bange gemacht hatte, erkannte d’Artagnan und stieß einen Freudenschrei aus.

»Ah, Ihr seid’s, Ihr seid’s,« sprach sie, »Gott sei gelobt!« – »Ja, ich bin’s,« erwiederte d’Artagnan, »Gott hat mich gesandt, über Euch zu wachen.« – »Seid Ihr mir in dieser Absicht gefolgt?« fragte mit kokettem Lächeln die junge Frau, deren etwas spöttischer Charakter wieder die Oberhand gewann, und deren Furcht gänzlich verschwunden war, seit sie in dem vermeintlichen Feind einen Freund erkannt hatte. – »Nein,« sprach d’Artagnan, »nein, ich gestehe es, der Zufall hat mich Euch in den Weg geführt. Ich sah eine Frau an das Fenster eines meiner Freunde klopfen.« –»Eines Eurer Freunde?« unterbrach ihn Frau Bonacieux. – »Allerdings; Aramis ist einer meiner besten Freunde.« – »Aramis? wer ist dies?« – »Geht doch! wollt Ihr etwa behaupten, Ihr kennet Aramis nicht?« – »Ich höre zum ersten Mal seinen Namen aussprechen.« – »Ihr kommt also auch zum ersten Mal an dieses Haus?« – »Allerdings!« – »Und Ihr wußtet nicht, daß es von einem jungen Menschen bewohnt war?« –»Nein.« – »Von einem Musketier?« – »Keineswegs.« – »Ihr habt also nicht ihn aufgesucht?« – »Durchaus nicht. Ueberdieß habt Ihr wohl gesehen, daß die Person, mit der ich sprach, eine Frau war.« – »Allerdings; aber diese Frau gehört wohl zu den Freundinnen von Aramis?« – »Ich weiß es nicht.« – »Da sie bei ihm wohnt.« – »Das geht mich nichts an.« – »Aber wer ist sie denn?« –»Oh! das ist nicht mein Geheimniß.« – »Liebe Frau Bonacieux, Ihr seid reizend, aber zugleich die geheimnißvollste Frau…« –»Verliere ich dabei?« – »Nein, Ihr seid im Gegentheil anbetungswürdig.« – »Dann gebt mir den Arm.« – »Sehr gerne; und nun? …« – »Nun führt mich.« – »Wohin?« – »Wohin ich gehe.« – »Aber wohin geht Ihr?« – »Ihr werdet es sehen, da Ihr mich an der Thüre verlassen müßt.« – »Soll ich Euch erwarten?« – »Das wird unnöthig sein.« – »Ihr werdet also allein zurückkehren?« – »Vielleicht ja, vielleicht nein.« – »Aber wird die Person, die Euch sodann begleitet, ein Mann oder eine Frau sein?« – »Ich weiß es noch nicht.« – »Das werde ich wohl erfahren.« – »Wie dies?« – »Ich werde Euch erwarten, um Euch herauskommen zu sehen.« – »In diesem Falle adieu!« – »Wie so?« – »Ich bedarf Eurer nicht.« – »Aber Ihr erbatet Euch ja…« – »Die Hülfe eines Edelmannes und nicht die Überwachung eines Spions.« – »Das Wort ist etwas hart.« – »Wie nennt man diejenigen, welche den Leuten ungeheißen folgen?« – »Indiscrete.« – »Das Wort ist zu weich.« – »Nun, Madame, ich sehe wohl, daß man alles thun muß, was Ihr haben wollt.« – »Warum habt Ihr Euch des Verdienstes beraubt, es sogleich zu thun?« – »Gibt es nicht Menschen, welche zu bereuen wissen?« – »Ihr bereuet also ernstlich? – »Ich weiß dies selbst nicht. Ich weiß nur so viel, daß ich Euch Alles zu thun verspreche, was Ihr haben wollt, wenn Ihr mich Euch bis dahin begleiten laßt, wohin Ihr geht.« – »Und Ihr verlaßt mich sodann?« – »Ja.« – »Ohne mich bei meinem Austritt zu bespähen?« – »Nein.« – »Auf Ehrenwort?« – »So wahr ich ein Edelmann bin!« – »Gebt mir Euren Arm und dann vorwärts!«

D’Artagnan bot seinen Arm der Frau Bonacieux, welche sich halb lachend, halb zitternd daran hing, und sie gewannen die Höhe der Rue de la Harpe. Hier angelangt, schien die junge Frau zu zögern, wie sie dies bereits in der Rue de Vaugirard gethan hatte. Aber sie erkannte wohl an gewissen Zeichen die Thüre, näherte sich dieser und sprach:

»Nun, mein Herr, hier habe ich Geschäfte. Ich danke Euch tausendmal für das ehrenvolle Geleite, das mich vor allen Gefahren beschützt hat; aber der Augenblick, Wort zu halten, ist gekommen. Ich bin am Orte meiner Bestimmung.«

»Und Ihr habt bei Eurer Rückkehr nichts mehr zu befürchten?«

»Ich habe nur die Diebe zu fürchten.«

»Ist das nichts?« »Was könnten sie mir nehmen? ich habe keinen Pfennig bei mir.«

»Ihr vergeßt das schön gestickte Taschentuch mit dem Wappen.«

»Welches?«

»Das, welches ich zu Euren Füßen gefunden und wieder in Eure Tasche gesteckt habe.«

»Schweigt, schweigt. Unglücklicher!« rief die junge Frau. »Wollt Ihr mich verderben?«

»Ihr seht, daß immer noch Gefahr für Euch vorhanden ist, da Euch ein einziges Wort zittern macht und Ihr eingesteht, daß Ihr verloren wäret, wenn man dieses Wort hören würde. Ah! Madame,« fuhr d’Artagnan fort, indem er ihre Hand ergriff und mit glühenden Blicken betrachtete, »seid edelmüthiger, vertraut Euch mir an; habt Ihr nicht in meinen Augen gelesen, daß in meinem Herzen nur Ergebenheit und Mitgefühl herrschen?«

»Allerdings,« antwortete Frau Bonacieux, »verlangt meine Geheimnisse von mir und ich werde sie Euch sagen; aber bei fremden Geheimnissen ist mir dies nicht möglich.«

»Gut,« sprach d’Artagnan, »ich werde sie zu entdecken wissen; da diese Geheimnisse Einfluß auf Euer Leben üben können, so müssen sie die meinigen werden.«

»Hütet Euch wohl,« rief die junge Frau mit einem Ernst, der d’Artagnan unwillkürlich beben machte. »Oh! mischt Euch auf keinerlei Weise in meine Angelegenheiten, sucht mich nicht in der Erfüllung meiner Aufgabe zu unterstützen, ich bitte Euch darum, bei der Theilnahme, die ich Euch einflöße, bei dem Dienste, den Ihr mir geleistet habt, und den ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde. Glaubt vielmehr, was ich Euch sage. Beschäftigt Euch nicht mehr mit mir, ich sei für Euch gar nicht mehr vorhanden, es sei, als ob Ihr mich gar nicht gesehen hättet.«

»Muß Aramis dasselbe thun, wie ich?« fragte d’Artagnan gereizt.

»Ihr habt diesen Namen schon zwei- oder dreimal ausgesprochen, mein Herr, und ich sagte Euch doch, daß ich ihn nicht kenne.«

»Ihr kennt den Mann nicht, an dessen Laden Ihr geklopft habt? Ihr haltet mich doch für gar zu leichtgläubig, Madame!« »Gesteht, daß Ihr, um mich zum Sprechen zu veranlassen, diese Geschichte erfindet und diese Person schafft.«

»Ich erfinde nichts, ich schaffe nichts, Madame, ich sage die strenge Wahrheit.«

»Und Ihr behauptet, einer von Euren Freunden wohne in diesem Hause?«

»Ich behaupte und wiederhole es zum dritten Male, in diesem Hause wohnt mein Freund, und dieser Freund ist Aramis.«

»Alles das wird sich später erklären, für jetzt, mein Herr, schweigt.«

»Wenn Ihr mein Herz ganz unverhüllt sehen könntet,« sprach d’Artagnan, »so würdet Ihr darin so viel Neugierde lesen, daß Ihr Mitleid mit mir hättet, und so viel Liebe, daß Ihr sogleich eben diese Neugierde befriedigen würdet. Man hat von Liebenden nichts zu befürchten.«

»Ihr sprecht sehr rasch von Liebe, mein Herr,« sagte die junge Frau, den Kopf schüttelnd.

»Weil die Liebe mich rasch und zum ersten Male erfaßt hat, und weil ich noch nicht zwanzig Jahre alt bin.«

Die junge Frau schaute ihn verstohlen an.

»Hört, ich bin der Sache bereits auf der Spur,« versetzte d’Artagnan. »Vor drei Monaten hätte ich beinahe ein Duell mit Aramis wegen eines Taschentuchs gehabt, das ganz dem ähnlich ist, das Ihr der Frau, welche bei ihm war, gegen ein auf dieselbe Weise bezeichnetes Tuch vorwieset.«

»Mein Herr,« erwiederte die junge Frau, »ich schwöre Euch, Ihr ermüdet mich mit diesen Fragen.«

»Aber Ihr, die Ihr so klug seid, Madame, bedenkt doch: wenn man Euch verhaftete und dieses Taschentuch bei Euch fände, würdet Ihr hiedurch nicht gefährdet?«

»Warum denn, sind die Anfangsbuchstaben nicht die meinigen: C. B. Constance Bonacieux?«

»Oder Camille von Bois-Tracy.«

»Stille, mein Herr, stille! da die Gefahren, denen ich ausgesetzt bin, Euch nicht zurückhalten, so bedenkt, wie Ihr gefährdet seid.« »Ich?«

»Ja, Ihr, Eure Freiheit ist bedroht. Euer Leben steht auf dem Spiele, wenn Ihr mich kennt.«

»Dann verlasse ich Euch nicht mehr.«

»Mein Herr,« sprach die junge Frau flehend und die Hände faltend, »mein Herr, im Namen des Himmels, im Name der Ehre eines Militärs, im Namen der Ritterlichkeit eines Edelmannes, entfernt Euch; hört, es schlägt Mitternacht, es ist die Stunde, wo man mich erwartet.«

»Madame,« erwiederte der junge Mann sich verbeugend, »wenn man mich so bittet, kann ich nichts verweigern; seid ruhig, ich entferne mich.«

»Aber Ihr folgt mir nicht, Ihr bespäht mich nicht?«

»Ich gehe sogleich nach Hause.«

»Oh! ich wußte wohl, daß Ihr ein braver junger Mann seid!« rief Frau Bonacieux, indem sie ihm eine Hand reichte und die andere an den Klopfer einer beinahe in der Mauer verborgenen Thür legte.

D’Artagnan ergriff die Hand, die man ihm darbot, und bedeckte sie mit glühenden Küssen.

»Ach! ich wollte, ich hätte Euch nie gesehen,« rief d’Artagnan mit jener naiven Derbheit, welche die Frauen häufig den künstlichen Redensarten der Höflichkeit vorziehen, weil sie den Grund der Denkungsart enthüllt und zum Beweise dient, daß das Herz den Sieg über den Geist davon trägt.

»Nun!« erwiederte Frau Bonacieux, mit beinahe schmeichelndem Tone, und drückte dabei d’Artagnans Hand, welche die ihrige noch nicht losgelassen hatte, »nun! ich sage noch nicht so viel, wie Ihr: was für heute verloren ist, ist nicht für die Zukunft verloren. Wer weiß, ob ich nicht, wenn ich eines Tags entbunden bin. Eure Neugierde befriedige.«

»Und leistet Ihr meiner Liebe dasselbe Versprechen?« rief d’Artagnan in der höchsten Freude.

»Ah! von dieser Seite will ich mich zu nichts verpflichten, das hängt von den Gefühlen ab, die Ihr mir einzuflößen wissen werdet.«

»Also heute, Madame…« »Heute, mein Herr, stehe ich erst bei der Dankbarkeit!«

»Ah! Ihr seid zu reizend,« sprach d’Artagnan traurig, »und Ihr mißbraucht meine Liebe.«

»Nein, ich gebrauche Euern Edelmuth, das ist das Ganze. Aber glaubt mir, bei gewissen Menschen findet sich Alles wieder.«

»Oh! Ihr macht mich zum glücklichsten Sterblichen. Vergeßt diesen Abend nicht, gedenket dieses Versprechens.«

»Seid unbesorgt, zu geeigneter Zeit, an geeignetem Orte werde ich mich an Alles erinnern. Aber nun geht, geht in des Himmels Namen! Man erwartet mich auf den Schlag zwölf, und ich habe mich bereits verspätet.«

»Um fünf Minuten.«

»Ja, aber unter gewissen Umständen sind fünf Minuten fünf Jahrhunderte.«

»Wenn man liebt.«

»Ei! wer sagt Euch denn, daß ich es nicht mit einem Liebenden zu tun habe?«

»Ein Mann erwartet Euch,« rief d’Artagnan, »ein Mann?«

»Geht, soll der Streit schon wieder beginnen?« sprach Frau Bonacieux mit einem leichten Lächeln, das nicht ganz von Unruhe frei war.

»Nein, nein, ich gehe, ich gehe, ich entferne mich, ich glaube Euch, ich will das volle Verdienst meiner Ergebenheit haben, und wäre diese auch eine Albernheit. Gott befohlen, Madame! Gott befohlen!«

Und als fühlte er nicht die Kraft in sich, von der Hand, die er hielt, sich anders als durch ein gewaltsames Losreißen zu trennen, lief er rasch weg, während Frau Bonacieux, wie bei dem Fensterladen, dreimal langsam und in denselben Zwischenräumen klopfte; an der Ecke der Straße drehte er sich um; man hatte die Thüre geöffnet und wieder geschlossen. Die schöne Krämerin war verschwunden.

D’Artagnan setzte seinen Weg fort; er hatte sein Wort gegeben, Frau Bonacieux nicht zu beobachten, und hätte sein Leben von dem Orte, wohin sie ging, und von der Person, die sie begleiten sollte, abgehangen, d’Artagnan wäre nach Hause gegangen, weil er es zugejagt hatte. Nach fünf Minuten befand er sich in der Rue des Fossoyeurs.

»Armer Athos,« sprach er, »er wird nicht wissen, was dies heißen soll. Er ist ohne Zweifel, mich erwartend, eingeschlafen, oder nach Hause gegangen, und dort wird er erfahren haben, daß eine Frau in seine Wohnung gekommen ist. Eine Frau bei Athos. Uebrigens war auch eine bei Aramis,« fuhr d’Artagnan fort. »Das ist eine ganz seltsame Geschichte, und ich bin neugierig, wie das Alles enden wird.«

»Schlimm, gnädiger Herr, schlimm,« antwortete eine Stimme, an welcher der junge Mann Planchet erkannte, denn nach Art der Leute, welche ganz und gar von ihren Gedanken in Anspruch genommen sind, war er laut mit sich sprechend in den Gang gelangt, an dessen Hintergrund die Treppe lag, die nach seinem Zimmer führte.

»Wie so, schlimm? Was willst Du damit sagen, Dummkopf?« fragte d’Artagnan, »und was ist denn vorgefallen?« – »Alles mögliche Unglück.« – »Was denn?« – »Erstens hat man Athos verhaftet.« – »Verhaftet! Athos! verhaftet! Warum?« – »Man hat ihn in Eurer Wohnung gefunden und für Euch gehalten.« – »Und durch wen ist er verhaftet worden?« – »Durch die Wache, welche die schwarzen Menschen holen wollte, welche Ihr in die Flucht geschlagen habt.« – »Warum hat er nicht seinen Namen genannt? Warum hat er nicht gesagt, daß er gar nichts von dieser Angelegenheit wisse?« – »Er hat sich wohl gehütet, gnädiger Herr; er näherte sich mir im Gegentheil und sagte: ›Dein Herr bedarf seiner Freiheit in diesem Augenblick, ich nicht, da er Alles weiß und ich nichts. Man wird glauben, er sei verhaftet, und dadurch gewinnt er Zeit. In drei Tagen sage ich, wer ich bin, und dann muß man mich wohl gehen lassen.‹ – »Bravo, Athos! edles Herz, daran erkenne ich ihn,« murmelte d’Artagnan. »Und was thaten die Sbirren?« –»Vier haben ihn, ich weiß nicht wohin, nach der Bastille oder nach dem Fort-l’Evêque geführt, zwei sind mit den schwarzen Männern zurückgeblieben, welche alles durchsuchten und alle Papiere in Beschlag nahmen. Während dieser Expedition hielten die zwei letzten Wache vor der Thüre; sobald Alles zu Ende gebracht war, zogen sie ab und ließen das Haus leer und offen.« – »Und Porthos und Aramis?« – »Ich fand sie nicht, sie kamen nicht.« – »Aber sie können jeden Augenblick kommen, denn Du hast ihnen doch sagen lassen, daß ich sie erwarte?« – »Ja, gnädiger Herr.« – »Gut, geh nicht von der Stelle; wenn sie kommen, sage ihnen, was mir begegnet ist, sie mögen mich in der Herberge zum Fichtenapfel erwarten; hier ist Gefahr, das Haus kann bespäht werden. Ich laufe zu Herrn von Treville, um ihm alles mitzuteilen, und kehre dann zu ihnen zurück.« – »Ganz wohl, gnädiger Herr,« sprach Planchet. – »Aber Du bleibst. Du hast keine Furcht?« sagte d’Artagnan, noch einmal zurückkehrend, um seinem Diener Muth einzuschärfen. – »Seid ruhig,« erwiederte Planchet, »Ihr kennt mich noch nicht; ich bin muthig, wenn ich einmal anfange; ich brauche nur anzufangen; überdieß bin ich ein Picarde.« – »Abgemacht also,« sagte d’Artagnan: »Du läßt Dich eher tödten, als daß Du von deinem Posten weichst.« – »Ja, Herr, es gibt nichts, was ich nicht thun würde, um Euch meine Anhänglichkeit zu beweisen.« – »Gut,« sprach d’Artagnan zu sich selbst; »die Methode, welche ich bei diesem Burschen in Anwendung gebracht habe, scheint offenbar gut zu sein; ich werde bei Gelegenheit weiteren Gebrauch davon machen.«

Und mit der ganzen Geschwindigkeit seiner, durch die verschiedenen Märsche dieses Tages bereits etwas ermüdeten Beine lief d’Artagnan nach der Rue du Colombier.

Herr von Treville war nicht zu Hause; seine Compagnie hatte die Wache im Louvre; er war bei seiner Compagnie.

Man mußte nothwendig zu Herrn von Treville gelangen; es war sehr wichtig, ihn von allen Vorgängen in Kenntniß zu setzen. D’Artagnan beschloß, den Versuch zu machen, ob er in den Louvre könnte. Seine Uniform als Gardist von der Compagnie des Herrn des Essarts sollte ihm als Paß dienen.

Er ging also durch die Rue des Petits-Augustins hinab und an dem Quai hinauf, um den Pont Neuf zu erreichen. Einen Augenblick kam ihm der Gedanke, in der Fähre über den Fluß zu setzen; als er aber am Rande des Wassers stand, steckte er mechanisch die Hand in die Tasche und bemerkte, daß er kein Geld bei sich hatte, um den Fährmann zu bezahlen.

In dem Augenblick, wo er auf die Höhe der Rue Guenegaud gelangte, sah er aus der Rue Dauphine eine aus zwei Personen bestehende Gruppe hervorkommen, deren Erscheinung ihn sehr in Erstaunen setzte.

Die zwei Personen, welche die Gruppe bildeten, waren ein Mann und eine Frau.

Die Frau hatte die Gestalt der Frau Bonacieux, und der Mann war Aramis zum Täuschen ähnlich.

Die Frau trug überdies den schwarzen Mantel, dessen Umrisse d’Artagnan noch auf dem Laden der Rue Vaugirard und auf der Thüre der Rue de la Harpe vor sich sah.

Noch mehr, der Mann trug die Musketier-Uniform.

Die Mantelkappe der Frau war vorgeschlagen; der Mann hielt ein Sacktuch vor sein Gesicht; beide hatten, wie diese Vorsicht bewies, ein Interesse dabei, nicht erkannt zu werden.

Sie schlugen den Weg nach der Brücke ein; es war auch d’Artagnans Weg, da sich dieser nach dem Louvre begab. D’Artagnan folgte ihnen. Kaum hatte er aber zwanzig Schritte gemacht, als er überzeugt war, daß diese Frau nur Frau Bonacieux, dieser Mann nur Aramis sein könne.

Sogleich regte sich der ganze Argwohn der Eifersucht in seinem bewegten Herzen.

Er glaubte sich doppelt verrathen: von seinem Freunde und von derjenigen, welche er bereits wie eine Geliebte liebte. Frau Bonacieux hatte ihm bei allen Göttern geschworen, sie kenne Aramis nicht, und eine Viertelstunde nach diesem Schwur findet er sie am Arme von Aramis.

D’Artagnan bedachte nicht einmal, daß er die hübsche Frau erst seit drei Stunden kannte, daß sie ihm zu nichts verpflichtet war, als zu einiger Dankbarkeit für ihre Errettung aus den Händen der schwarzen Männer, und daß sie ihm gar nichts versprochen hatte. Er betrachtete sie als einen beleidigten, verachteten, verspotteten Liebhaber, das Blut und der Zorn stiegen ihm ins Gesicht, und er beschloß, sich Aufklärung über alles zu verschaffen.

Die junge Frau und der junge Mann bemerkten, daß man ihnen folgte, und verdoppelten ihre Schritte.

D’Artagnan lief schneller, überholte sie und kehrte sich gegen sie in dem Augenblicke um, wo sie sich vor der Samaritaine befanden, welche durch eine Laterne beleuchtet wurde, die ihr Licht über diesen Theil der Brücke verbreitete.

D’Artagnan blieb vor ihnen stehen und sie standen vor ihm stille.

»Was wollt Ihr, mein Herr?« fragte der Musketier, einen Schritt zurückweichend und mit einer fremdartigen Betonung, woraus d’Artagnan ersah, daß er sich in einem Theil seiner Vermuthung getäuscht habe.

»Das ist nicht Aramis,« rief er.

»Nein, mein Herr, es ist nicht Aramis, und da ich aus Eurem Ausrufe erkenne, daß Ihr mich für einen Andern gehalten habt, so vergebe ich Euch.«

»Ihr vergebt mir!« rief d’Artagnan.

»Ja,« erwiederte der Unbekannte, »laßt mich meines Wegs ziehen, da Ihr mit mir nichts zu schaffen habt.«

»Ihr habt Recht, mein Herr, ich habe mit Euch nichts zu thun, wohl aber mit dieser Frau.«

»Mit dieser Frau! Ihr kennt sie nicht,« sprach der Fremde.

»Ihr täuscht Euch, Herr, ich kenne sie.«

»Ah!« sagte Frau Bonacieux mit einem Tone des Vorwurfs, »ah, mein Herr, ich hatte Euer Ehrenwort als Militär und Edelmann und glaubte darauf zählen zu dürfen.«

»Und Ihr, Madame,« erwiederte d’Artagnan verlegen, »Ihr habt mir versprochen …«

»Nehmet meinen Arm, Madame,« sprach der Fremde, und wir wollen weiter gehen.«

Betäubt, niedergebeugt, vernichtet durch Alles, was ihm begegnete, blieb d’Artagnan indessen mit gekreuzten Armen vor dem Musketier und Frau Bonacieux stehen.

Der Musketier trat zwei Schritte vorwärts und suchte d’Artagnan mit der Hand auf die Seite zu schieben.

D’Artagnan sprang zurück und zog seinen Degen.

Zu gleicher Zeit und mit Blitzesschnelligkeit zog der Unbekannte ebenfalls vom Leder.

»Im Namen des Himmels, Mylord,« rief Frau Bonacieux, sich zwischen die Kämpfenden werfend und nach dem Degen greifend.

»Mylord,« rief d’Artagnan, plötzlich durch einen Gedanken erleuchtet, »Mylord, um Vergebung. Gnädiger Herr, solltet Ihr es sein …«

»Mylord Herzog von Buckingham,« sagte Frau Bonacieux mit lauter Stimme, »und nun könnt Ihr uns Alle ins Verderben stürzen.«

»Mylord und Madame, ich bitte um Vergebung, tausendmal um Vergebung; aber ich liebe, Mylord, und war eifersüchtig, und Ihr wißt, was lieben heißt, Mylord. Vergebt mir und sagt mir, wie ich mich für Eure Herrlichkeit kann tödten lassen?«

»Ihr seid ein braver junger Mann,« sprach Buckingham und reichte d’Artagnan eine Hand, die dieser ehrfurchtsvoll drückte. »Ihr bietet mir Eure Dienste, ich nehme sie an; folgt mir auf zwanzig Schritte bis zum Louvre, und wenn uns Jemand verfolgt, so tödtet ihn.«

D’Artagnan nahm seinen bloßen Degen unter den Arm, ließ Frau Bonacieux und den Herzog zwanzig Schritte vorausgehen und folgte ihnen, bereit, die Anweisung des edlen und eleganten Ministers von Carl I. buchstäblich zu vollstrecken.

Glücklicherweise hatte der junge Mann keine Gelegenheit, dem Herzog diesen Beweis von Ergebenheit abzulegen, und die junge Frau und der hübsche Musketier erreichten die Pforte des Louvre an der Rue de l’Echelle, ohne beunruhigt zu werden.

D’Artagnan begab sich sogleich nach der Schenke zum Fichtenapfel, wo er Porthos und Aramis fand, die seiner harrten.

Er gab ihnen keine nähere Erklärung über die Störung, die er beiden verursacht hatte, sondern sagte nur, er habe die Angelegenheit, wobei er ihren Beistand einen Augenblick für nothwendig erachtet, allein abgemacht. Fortgerissen durch den Gang unserer Erzählung, wollen wir die drei Freunde nach Hause gehen lassen und dem Herzog mit seiner Führerin in die Gänge des Louvre folgen.

XII.

George Villiers, Herzog von Buckingham.

Frau Bonacieux und der Herzog gelangten ohne Mühe in den Louvre; von Frau Bonacieux war es bekannt, daß sie im Dienste der Königin stand. Der Herzog trug die Uniform der Musketiere des Herrn von Treville, welche an diesem Abend die Wache hatten. Ueberdies war Germain im Interesse der Königin, und wenn etwas vorfiel, so wäre Frau Bonacieux ganz einfach beschuldigt worden, sie habe ihren Liebhaber in den Louvre gebracht; sie nahm das Verbrechen auf sich: ihr Ruf war allerdings verloren, aber welchen Werth hat in der Welt der Ruf einer kleinen Krämerin!

Sobald der Herzog und die junge Frau sich im Innern des Hofes befanden, gingen sie ungefähr zwanzig Schritte an einer Mauer hin. Nachdem sie diesen Raum durchwandert hatten, stieß Frau Bonacieux an eine kleine Thüre, welche bei Tag offen, aber in der Nacht gewöhnlich geschlossen war. Die Thüre gab nach, Beide traten ein und befanden sich in der Dunkelheit; Frau Bonacieux kannte jedoch alle Winkel und Räume dieses für die Leute vom Gefolge bestimmten Theiles vom Louvre. Sie verschloß die Thüre hinter sich, nahm den Herzog bei der Hand, machte tastend einige Schritte, faßte ein Geländer, berührte mit dem Fuß eine Stufe und fing an eine Treppe hinaufzusteigen, wobei der Herzog zwei Stockwerke zählte. Dann wandte sie sich nach der rechten Seite, folgte einer langen Flur, stieg wieder ein Stockwerk hinab, machte noch einige Schritte, steckte einen Schlüssel in ein Schloß, öffnete eine Thüre, schob den Herzog in ein nur durch eine Nachtlampe beleuchtetes Zimmer und sagte zu ihm: »Bleibt hier, Mylord Herzog, man wird kommen!« Hierauf entfernte sie sich durch dieselbe Thüre, welche sie mit dem Schlüssel wieder verschloß, so daß sich der Herzog buchstäblich gefangen fand.

Obschon sich der Herzog von Buckingham von aller Welt abgeschnitten sah, so befiel ihn doch nicht die geringste Furcht; eine der hervorspringendsten Seiten seines Charakters bestand in der Aufsuchung von Abenteuern und in der Liebe zum Romantischen. Tapfer, kühn, unternehmend, war es nicht das erste Mal, daß er sein Leben in solchen Versuchen wagte; er hatte erfahren, daß die angebliche Botschaft von Anna von Oesterreich, im Vertrauen auf deren Inhalt er nach Paris kam, eine Falle war, und statt nach England zurückzukehren, hatte er die Lage, in die man ihn versetzt, mißbraucht und der Königin erklärt, er würde nicht zurückkehren, ohne sie gesehen zu haben. Die Königin hielt seinem Drängen Anfangs eine gänzliche Weigerung entgegen, später aber befürchtete sie, der Herzog könnte außer sich gerathen und eine Thorheit begehen. Schon war sie entschlossen, ihn zu empfangen und ihn zu bitten, er möge sogleich abreisen, als gerade an dem Abend dieser Entscheidung Frau Bonacieux, welche den Herzog zu suchen und nach dem Louvre zu führen beauftragt war, verhaftet wurde. Zwei Tage lang wußte man durchaus nicht, was aus ihr geworden war, und Alles blieb ausgesetzt. Aber sobald sie ihre Freiheit wieder erlangt und mit La Porte die Verbindung wiederhergestellt hatte, nahmen die Dinge wieder ihren Lauf, und sie erfüllte den gefahrvollen Auftrag, den sie ohne ihre Verhaftung drei Tage früher vollführt haben würde.

Als sich Buckingham allein sah, näherte er sich einem Spiegel. Die Musketierkleidung stand ihm vortrefflich. Damals ein Mann von fünf und dreißig Jahren, galt er mit Recht für den schönsten Baron und zierlichsten Cavalier von Frankreich und England. Der Liebling zweier Könige, im Besitze eines Vermögens von Millionen, allmächtig in einem Reiche, das er nach seiner Laune aufregte oder beruhigte, war George Villiers, Herzog von Buckingham, eine jener fabelhaften Existenzen, welche noch nach Jahrhunderten die Nachwelt in fortwährendes Erstaunen setzen. Seiner sicher, überzeugt von seiner Macht, gewiß, daß die Gesetze, welche Andere beherrschen, ihn nicht erreichen konnten, ging er gerade auf das Ziel los, das er sich gesteckt hatte, und war dasselbe auch so erhaben, so blendend, daß es für einen Andern eine Thorheit gewesen wäre, nur seinen Blick darauf zu werfen. So war es ihm gelungen, sich wiederholt der schönen und stolzen Anna von Oesterreich zu nähern und durch die Macht der Verblendung ihre Liebe zu gewinnen.

George Villiers stellte sich, wie gesagt, vor einen Spiegel und gab seinem schönen blonden Haare die Wellenlinien wieder, die das Gewicht seines Hutes niedergedrückt hatte, strich seinen Schnurrbart in die Höhe und lächelte, glücklich und stolz, dem so lange ersehnten Augenblick nahe zu sein, sich selbst in übermüthiger Hoffnung zu.

In diesem Augenblick öffnete sich eine verborgene Tapetenthüre und eine Dame erschien. Buckingham sah diese Erscheinung im Spiegel; er stieß einen Schrei aus, es war die Königin!

Anna von Oesterreich zählte damals sechs bis sieben und zwanzig Jahre, das heißt sie stand im vollen Glanze ihrer Schönheit. Ihr Gang war der einer Königin oder Göttin. Ihre Augen, welche Smaragdreflexe warfen, waren unendlich schön und zugleich voll Sanftmuth und Majestät. Ihr Mund war klein und frischroth, und obgleich ihre Unterlippe, wie bei allen Prinzen vom Hause Oesterreich, etwas vortrat, so war er doch äußerst anmuthig in seinem Lächeln, aber ungemein wegwerfend in der Geringschätzung. Ihre Haut war berühmt wegen ihrer sammetartigen Weichheit; ihre Hand und ihre außerordentlich reizenden Arme wurden von den Dichtern der Zeit als unvergleichlich besungen. Ihre Haare, welche in ihrer Jugend blond, nunmehr aber kastanienbraun geworden waren, umrahmten auf eine bewunderungswürdige Weise ihr Antlitz, dem der strengste Richter nur etwas weniger Röthe und der anspruchsvollste Bildhauer nur eine etwas feinere Nase hätte wünschen können.

Buckingham stand geblendet da; nie war ihm Anna von Oesterreich auf den Bällen, bei den Feten, bei den Carroussels so schön vorgekommen, als sie ihm in diesem Augenblick in ihrem einfachen weißen Seidenkleide erschien. Sie war begleitet von Donna Estefania, der einzigen von ihren spanischen Frauen, welche nicht durch die Eifersucht des Königs oder die Verfolgungen von Richelieu vertrieben worden war.

Anna von Oesterreich ging zwei Schritte vorwärts; Buckingham stürzte auf seine Kniee und küßte, ehe es die Königin verhindern konnte, den Saum ihres Kleides.

»Herzog, Ihr wißt bereits, daß ich Euch nicht habe schreiben lassen?«

»O ja, Madame, ja, Ew. Majestät. Ich weiß, daß ich ein Thor, ein Wahnsinniger gewesen bin, glauben zu können, der Schnee würde sich beleben, der Marmor erwärmen; aber was wollt Ihr? wenn man liebt, glaubt man leicht an die Liebe; überdies habe ich bei dieser Reise nicht Alles verloren, da ich Euch sehe.«

»Ja,« erwiederte Anna, »aber Ihr wißt, warum und wie ich Euch sehe, Mylord. Ich sehe Euch aus Mitleid für Euch selbst; ich sehe Euch, weil Ihr, unempfindlich für alle meine Qualen, hartnäckig in einer Stadt verweilt, wo Ihr Euer Leben wagt und meine Ehre bloßstellt. Ich sehe Euch, um Euch zu sagen, daß uns Alles trennt, die Tiefe des Meeres, die Zwistigkeiten der Königreiche, die Heiligkeit der Schwüre. Es ist ein wahrer Frevel, gegen so viele Dinge zu kämpfen, Mylord. Ich sehe Euch endlich, um Euch zu sagen, daß wir uns nicht mehr sehen dürfen.«

»Sprecht, Madame, sprecht, Königin,« erwiederte Buckingham, »die Sanftheit Eurer Stimme verhüllt die Härte Eurer Worte. Ihr sprecht von Frevel! aber der Frevel liegt in der Trennung von Herzen, welche Gott für einander geschaffen hatte.«

»Mylord!« rief die Königin, »Ihr vergeht, daß ich Euch nie gesagt habe, ich liebe Euch.«

»Aber Ihr habt mir auch nie gesagt, Ihr liebet mich nicht, und in der That, eine solche Aeußerung wäre von Seiten Eurer Majestät eine zu große Undankbarkeit. Denn sagt mir, wo würdet Ihr eine Liebe finden, die der meinigen gliche, eine Liebe, welche weder die Zeit, noch die Entfernung, noch die Verzweiflung zu ersticken vermögen; eine Liebe, die sich mit einem entfallenen Bande, einem verlorenen Blicke, einem entschlüpften Worte begnügt? Vor drei Jahren, Madame, habe ich Euch zum ersten Male gesehen, und seit drei Jahren liebe ich Euch auf diese Weise. Soll ich Euch sagen, wie Ihr gekleidet wäret, als ich Euch zum ersten Male sah, soll ich jedes Stück Eurer damaligen Toilette beschreiben? Ich sehe Euch noch vor mir: Ihr saßet nach spanischer Sitte, auf Polstern; Ihr hattet ein Kleid von grüner Seide mit Gold- und Silberstickerei, lange, an Euren schönen, Euren bewunderungswürdigen Armen mit großen Diamanten befestigte Aermel, eine geschlossene Krause, auf Eurem Haupt eine kleine Mütze von der Farbe Eures Kleides und auf dieser Mütze eine Reiherfeder. Oh! ich schließe die Augen und sehe Euch, wie Ihr damals waret. Ich öffne sie wieder, und sehe Euch, wie Ihr jetzt seid – noch hundertmal schöner!«

»Welche Thorheit!« murmelte Anna von Oesterreich, die nicht den Muth besaß, dem Herzog zu grollen, weil er ihr Porträt so gut in seinem Innern bewahrt hatte; »welche Thorheit, eine vergebliche Leidenschaft mit solchen Erinnerungen zu nähren!«

»Und wovon soll ich denn leben? ich habe nur Erinnerungen. Das ist mein Glück, mein Schatz, meine Hoffnung! So oft ich Euch sehe, finde ich einen Diamant mehr, den ich in dem Gefässe meines Herzens einschließe. Dieser ist der vierte, den Ihr fallen laßt und ich aufraffe; denn in drei Jahren, Madame, habe ich Euch nur vier Mal gesehen, das erste Mal, wie ich so eben gesagt, das zweite Mal bei Frau von Chevreuse, das dritte Mal in den Gärten von Amiens …«

»Herzog,« rief die Königin, »sprecht mir nicht von diesem Abend.«

»Oh, sprechen wir im Gegenteil davon, Madame, sprechen wir davon, es ist der schönste, leuchtendste Abend meines Lebens. Ihr erinnert Euch jener herrlichen Nacht! Wie schön und balsamisch war die Lust, wie war der Himmel so blau und mit Sternen bestreut. Ach! damals, Madame, konnte ich einen Augenblick mit Euch allein sein; damals wäret Ihr bereit, mir Alles mitzutheilen, die Einsamkeit Eures Lebens, den Kummer Eures Herzens. Ihr lehntet Euch auf meinen Arm, auf diesen hier. Als ich meinen Kopf nach Eurer Seite neigte, da streiften Eure schönen Haare mein Gesicht, und so oft sie es streiften, bebte ich vom Scheitel bis zu den Zehen. Oh! Königin! Königin! Oh! Ihr wißt nicht Alles, was ein solcher Augenblick an himmlischen, paradiesischen Freuden in sich schließt. Meine Güter, mein Vermögen, meinen Ruhm, mein ganzes übriges Leben würde ich für einen solchen Augenblick und für eine solche Nacht hingeben: denn in dieser Nacht, Madame, in dieser Nacht liebtet Ihr mich, das schwöre ich Euch.«

»Mylord, ja, es ist möglich, daß der Einfluß des Ortes, der Zauber jener schönen Nacht, das Blendwerk Eures Blickes, daß die tausend Umstände, welche sich zuweilen vereinigen, um eine Frau ins Verderben zu stürzen, sich in diesem unseligen Augenblick um mich gruppirt haben; aber Ihr mußtet wahrnehmen, Mylord, daß die Königin der schwach werdenden Frau zu Hülfe kam: bei dem ersten Wort, das Ihr zu sagen wagtet, bei der ersten Kühnheit, auf die ich zu antworten hatte, rief ich die Hülfe herbei.«

»Oh! ja, ja, das ist wahr, und eine andere Liebe, als die meinige, wäre dieser Prüfung unterlegen. Aber meine Liebe ist nur noch glühender und beständiger daraus hervorgegangen. Ihr glaubtet mich zu fliehen, indem Ihr nach Paris zurückkehrtet, Ihr glaubtet, ich würde es nicht wagen, den Schatz zu verlassen, dessen Bewachung mein Herr mir übertragen hatte. Ach! was liegt mir an allen Schätzen der Welt und an allen Königen der Erde! Nach acht Tagen war ich zurückgekehrt, Madame. Diesmal hattet Ihr mir nichts zu sagen. Ich hatts meine Gnade, mein Leben eingesetzt, um Euch zum zweiten Mal zu sehen. Ich berührte nicht einmal Eure Hand und Ihr vergabt mir, als Ihr mich so unterwürfig, so reumüthig erblicktet.«

»Ja, aber die Verleumdung hat sich aller dieser Thorheiten bemächtigt, an denen ich, wie Ihr wohl wißt, nicht im Geringsten schuldig war. Der König hat, durch den Kardinal aufgereizt, ein furchtbares Geschrei erhoben; Frau von Verne wurde fortgejagt, Putange verbrannt, Frau von Chevreuse fiel in Ungnade, und als Ihr als Botschafter nach Frankreich zurückkehren wolltet, widersetzte sich der König selbst, Mylord, wie Ihr Euch wohl erinnern werdet.«

»Ja, und Frankreich wird die Weigerung seines Königs mit einem Kriege bezahlen. Ich kann Euch nicht mehr sehen, Madame, wohl! Ihr sollt jeden Tag von mir sprechen hören. Welchen Zweck glaubt Ihr wohl, daß diese Expedition von Re und das von mir beabsichtigte Bündniß mit den Protestanten von La Rochelle haben? Das Vergnügen, Euch zu sehen. Ich habe nicht die Hoffnung, mit gewaffneter Hand bis nach Paris vorzudringen das weiß ich wohl. Aber dieser Krieg kann einen Frieden herbeiführen; dieser Friede wird die Person eines Unterhändlers nöthig machen, und dieser Unterhändler werde ich sein. Man wird es nicht mehr wagen, mich zurückweisen, ich werde nach Paris zurückkommen, Euch sehen und einen Augenblick glücklich sein. Tausende von Menschen müssen allerdings mein Glück mit ihrem Leben bezahlen, aber was liegt mir daran, wenn ich nur Euch sehe? Alles dieß ist vielleicht thöricht, vielleicht wahnsinnig, aber sagt mir, welche Frau hat einen liebenderen Liebhaber, welche Königin einen glühenderen Diener?«

»Mylord! Mylord! Ihr beruft Euch zu Eurer Vertheidigung auf Dinge, welche Euch noch mehr anklagen. Mylord, alle diese Beweise von Liebe, die Ihr mir geben wollt, sind beinahe Verbrechen.«

»Weil Ihr mich nicht liebt, Madame; wenn Ihr mich liebtet, würdet Ihr alles das ganz anders ansehen; wenn Ihr mich liebtet, oh! es wäre zu viel Glück, ich würde närrisch werden. Ah! Frau von Chevreuse, von der Ihr so eben gesprochen habt, Frau von Chevreuse war minder grausam als Ihr. Holland liebte sie und sie erwiederte seine Liebe.«

»Frau von Chevreuse war nicht Königin,« murmelte Anna von Oesterreich, wider Willen durch den Ausdruck einer so innigen Liebe besiegt.

»Ihr würdet mich also lieben, wenn Ihr nicht Ihr wäret, Madame, Ihr würdet mich also lieben? Ich darf also glauben, daß Euch nur die Würde Eures Ranges so grausam gegen mich macht! Ich darf glauben, daß der arme Buckingham hätte hoffen dürfen wenn Ihr Frau von Chevreuse gewesen wäret? Dank, für die süßen Worte, oh! meine schöne Majestät! hundertfachen Dank!«

»Ei, Mylord, Ihr habt schlecht verstanden, falsch ausgelegt; ich wollte nicht sagen …«

»Stille, stille,« erwiederte der Herzog, »wenn ein Irrthum mich glücklich macht, so seid nicht so grausam, ihn mir zu benehmen. Ihr sagtet mir selbst, man habe mir eine Falle gelegt. Ich werde vielleicht mein Leben darin lassen; denn ich habe seltsamer Weise seit einiger Zeit Vorgefühle meines nahe bevorstehenden Todes.« Und der Herzog lächelte traurig, aber voll Grazie.

»Oh! mein Gott!« rief Anna von Oesterreich mit einem Ausdruck des Schreckens, welcher eine größere Theilnahme für den Herzog kundgab, als sie es gestehen wollte.

»Ich sage dies nicht, um Euch zu erschrecken, Madame. Nein, es ist sogar lächerlich, daß ich es Euch sage. Glaubt mir, dergleichen Träume beschäftigen mich durchaus nicht. Aber das Wort, das Ihr so eben zu mir gesprochen, die Hoffnung, die Ihr mir beinahe gegeben, wird Alles, sogar mein Leben bezahlt haben.«

»Auch ich, Herzog,« sprach Anna von Oesterreich, »auch ich habe Ahnungen und Träume. Ich sah Euch im Traume verwundet, blutend auf der Erde ausgestreckt.«

»Auf der linken Seite verwundet, nicht wahr, und zwar mit einem Messer?« unterbrach Buckingham die Königin.

»Ja, so ist es, Mylord, so ist es, auf der linken Seite mit einem Messer, wer konnte Euch sagen, daß mir dieses träumte? Ich habe es nur Gott in meinem Gebete anvertraut.«

»Ich verlange nicht mehr, und Ihr liebt mich, Madame, das ist gewiß.«

»Ich liebe Euch, ich?«

»Ja, Ihr. Würde Euch Gott dieselben Träume schicken, wie mir, wenn Ihr mich nicht liebtet? Hätten wir dieselben Ahnungen, wenn sich unser beiderseitiges Dasein nicht durch das Herz berührte? Ihr liebt mich, o Königin, und werdet mich beweinen.«

»Oh mein Gott! mein Gott!« rief Anna von Oesterreich, »das ist mehr, als ich ertragen kann. Geht, Herzog, ums Himmels, willen, geht, entfernt Euch! Ich weiß nicht, ob ich Euch liebe oder ob ich Euch nicht liebe; aber ich weiß nur so viel, daß ich nicht meineidig sein werde. Habt also Mitleid mit mir und geht. Oh! wenn Ihr in Frankreich getroffen würdet, wenn Ihr in Frankreich sterben müßtet, und ich könnte glauben. Eure Liebe für mich wäre die Ursache Eures Todes – ich wüßte mich nie mehr zu trösten: ich würde wahnsinnig. Geht also, geht, ich flehe Euch an.«

»Oh! wie schön seid Ihr so, wie liebe ich Euch!« sprach Buckingham.

»Entfernt Euch, geht, ich bitte Euch, und kommt später wieder; kommt als Botschafter, als Minister, kommt umgeben von Garden, die Euch vertheidigen, von Dienern, die Euch bewachen werden, und dann fürchte ich nicht mehr für Euer Leben und werde mich glücklich schätzen, Euch wieder zu sehen.«

»Oh! ist es wahr, was Ihr mir sagt?«

»Ja …«

»Nun wohl, ein Pfand Eurer Huld, einen Gegenstand, der von Euch kommt und mich daran erinnert, daß ich nicht träumte, irgend eine Sache, die Ihr getragen habt und die ich selbst tragen kann, einen Ring, ein Halsband, eine Kette.«

»Und geht Ihr gewiß, wenn ich Euch gebe, was Ihr von mir verlangt?«

»Ja, sogleich, ja.«

»Ihr verlaßt Frankreich? Ihr kehrt nach England zurück?«

»Ja, ich schwöre es.«

»Dann wartet einen Augenblick.«

Anna von Oesterreich ging in ihr Gemach zurück und kam beinahe in demselben Augenblick wieder heraus. Sie hielt in der Hand ein mit Gold incrustirtes Kistchen von Rosenholz.

»Hört, Mylord Herzog, hört,« sprach sie, »behaltet dies zur Erinnerung an mich.«

»Buckingham nahm das Kistchen und sank zum zweiten Male auf die Kniee.

»Ihr habt mir versprochen, abzureisen,« sprach die Königin.

»Und ich halte mein Wort, Eure Hand, Eure Hand, Madame, und ich reise.«

Anna reichte ihm die Hand, indem sie zugleich die Augen schloß und sich auf Estefania stützte, denn sie fühlte, daß ihre Kräfte zusammenbrachen.

Buckhingham drückte seine Lippen leidenschaftlich auf diese schöne Hand, stand dann auf und rief:

»Ehe sechs Monate vergehen, habe ich Euch wieder gesehen, wenn ich nicht todt bin, Madame, und sollte ich auch die ganze Welt umkehren.«

Seinem Versprechen getreu, stürzte er aus dem Zimmer.

Auf der Flur traf er Frau Bonacieux, die ihn erwartete und mit denselben Vorsichtsmaßregeln und mit demselben Glücke aus dem Louvre zurückführte.

I.

Die drei Geschenke von Herrn d’Artagnan Vater.

Am ersten Montag des Monats April 1625 schien der Marktflecken Meung, wo der Verfasser des Romans der Rose geboren wurde, in einem so vollständigen Aufruhr begriffen zu sein, als ob die Hugenotten gekommen wären, um ein zweites Rochelle daraus zu machen. Mehrere Bürger beeilten sich, als sie die Frauen die Straßen entlang fliehen sahen und die Kinder auf den Thürschwellen schreien hörten, den Küraß umzuschnallen und, ihre etwas unsichere Haltung durch eine Muskete oder eine Partisane unterstützend, sich nach der Herberge zum Freimüller zu wenden, vor der sich von Minute zu Minute anwachsend eine lärmende, neugierige, dichte Gruppe drängte.

Zu dieser Zeit waren die panischen Schrecken gar häufig, und wenige Tage vergingen, ohne daß eine oder andere Stadt irgend ein Ereigniß dieser Art in ihre Archive einzutragen hatte. Da gab es adelige Herren, welche unter sich Krieg führten; da war der König, der den Kardinal bekriegte; da war der Spanier, der den König bekriegte. Außer diesen stillen oder öffentlichen, geheimen oder geräuschvollen Kriegen, gab es Diebe, Bettler, Hugenotten, Wölfe und Lakaien, welche mit aller Welt Krieg führten. Die Bürger bewaffneten sich immer gegen die Diebe, gegen die Wölfe, gegen die Lakaien; – häufig gegen die adeligen Herren und die Hugenotten; – zuweilen gegen den König; – aber nie gegen den Kardinal und den Spanier. Infolge dieser Gewohnheit geschah es, daß die Bürger an genanntem erstem Montag des Monats April 1625, als sie das Geräusche hörten und weder die gelb und rothen Standarten, noch die Livree des Herzogs von Richelieu sahen, nach der Herberge zum Freimüller liefen.

Hier angelangt, vermochte jeder die Ursache dieses Lärms zu erschauen und zu erkennen.

Ein junger Mensch … entwerfen wir sein Porträt mit einem Federzuge: man denke sich Don Quixote im achtzehnten Jahre; Don Quixote ohne Bruststück, ohne Panzerhemd und ohne Beinschienen; Don Quixote in einem Wamms, dessen blaue Farbe sich in eine unbestimmbare Nuance von Weinhefe und Himmelblau verwandelt hatte. Langes, braunes Gesicht, hervorspringende Backenknochen, Zeichen der Schlauheit, außerordentlich stark entwickelte Kiefermuskeln, ein untrügliches Zeichen, an dem der Gascogner selbst ohne Baret zu erkennen ist, und unser junger Mann trug ein mit einer Art von Feder verziertes Baret; das Auge offen und gescheit; die Nase gebogen, aber fein gezeichnet; zu groß für einen Jüngling, zu klein für einen gemachten Mann, und ein ungeübtes Äuge würde ihn für einen reisenden Pächterssohn gehalten haben, hätte er nicht den langen Degen getragen, der an einem ledernen Wehrgehänge befestigt an die Waden seines Eigentümers schlug, wenn er zu Fuß war, und an das rauhe Fell seines Pferdes, wenn er ritt.

Denn unser junger Mann hatte ein Pferd, und dieses Roß war eben so merkwürdig, als es auch wirklich in die Augen fiel. Es war ein Klepper aus dem Bearn, zwölf bis vierzehn Jahre alt, von gelber Farbe, ohne Haare am Schweif, aber nicht ohne Fesselgeschwüre an den Beinen, ein Thier, das, während es den Kopf im Gehen tiefer hielt, als die Kniee, was die Anwendung des Sprungriemens überflüssig machte, muthig noch seine acht Meilen im Tage zurücklegte. Unglücklicherweise waren die geheimen Vorzüge dieses Pferdes so gut unter seiner seltsamen Haut und unter seinem fehlerhaften Gange versteckt, daß in einer Zeit, wo sich Jedermann auf Pferde verstand, die Erscheinung der genannten Mähre in Meung, woselbst sie vor ungefähr einer Viertelstunde durch das Beaugencythor eingetroffen war, eine allgemeine Sensation hervorbrachte, deren Ungunst bis auf den Reiter zurücksprang.

Und diese Sensation war für den jungen d’Artagnan (so hieß der Don Quixote dieser zweiten Rozinante), um so peinlicher, als er sich die lächerliche Seite nicht verbergen konnte, die ihm, ein so guter Reiter er auch war, ein solches Pferd gab. Es war ihm nicht unbekannt, daß dieses Thier einen Werth von höchstens zwanzig Livres hatte; die Worte, von denen das Geschenk begleitet wurde, waren allerdings unschätzbar.

»Mein Sohn,« sagte der gascognische Edelmann m dem reinen Patois des Bearn, von dem sich Heinrich IV. nie hatte losmachen können, »mein Sohn, dieses Pferd ist in dem Hause Deines Vaters vor bald dreizehn Jahren geboren, und seit dieser Zeit hier geblieben, was Dich bewegen muß, dasselbe zu lieben. Verkaufe es nie, laß es ruhig und ehrenvoll an Altersschwäche sterben, und wenn Du einen Feldzug mit ihm machst, so schone es, wie Du einen alten Diener schonen würdest. Am Hofe,« fuhr d’Artagnan Vater fort, »wenn Du die Ehre hast dahin zu kommen, eine Ehre, auf die wir übrigens vermöge unseres alten Adels Anspruch machen dürfen, halte würdig Deinen Namen als Edelmann aufrecht, der von unsern Ahnen seit fünfhundert Jahren auf eine ruhmvolle Weise geführt worden ist, halte ihn aufrecht für Dich und für die Deinigen. Unter den Deinigen verstehe ich Deine Verwandten und Deine Freunde; dulde nie etwas, außer von dem Herrn Kardinal und von dem König. Durch seinen Muth, höre wohl, nur durch seinen Muth, macht ein Edelmann heut zu Tage sein Glück. Wer eine Sekunde zittert, läßt sich vielleicht den Köder entgehen, welchen ihm das Glück gerade während dieser Sekunde darreichte. Du bist jung. Du mußt aus zwei Gründen tapfer werden; einmal weil Du ein Gascogner und dann weil Du mein Sohn bist. Fürchte die Gelegenheit nicht und suche die Abenteuer; ich habe Dich den Degen handhaben gelehrt. Du besitzest einen eisernen Kniebug, eine stählerne Handwurzel; schlage Dich bei jeder Veranlassung; schlage Dich um so mehr, als Zweikämpfe verboten sind, und weil es deshalb eines doppelten Muthes bedarf, sich zu schlagen. Mein Sohn, ich habe Dir nur fünfzehn Thaler, mein Pferd und die Rathschläge zu geben, die Du so eben vernommen hast. Deine Mutter wird das Recept zu einem gewissen Balsam beifügen, das sie von einer Zigeunerin erhalten hat, und das die wunderbare Kraft besitzt, jede Wunde zu heilen, die nicht gerade das Herz berührt. Ziehe aus Allem Nutzen, lebe glücklich und lange.

»Ich habe nur ein Wort beizufügen. Ich will Dir ein Beispiel nennen, nicht das meinige, denn ich bin nie bei Hof erschienen und habe nur die Religionskriege als Freiwilliger mitgemacht: ich spreche von Herrn von Treville, der einst mein Nachbar war und die Ehre hatte, als Kind mit unserem König Ludwig XIII., den Gott erhalten möge, zu spielen. Zuweilen arteten ihre Spiele in Schlachten aus, und bei diesen Schlachten war der König nicht immer der Stärkere. Die Schläge, welche er erhielt, flößten ihm große Achtung und Freundschaft für Herrn von Treville ein. Später schlug sich Herr von Treville fünfmal während seiner ersten Reise nach Paris mit Andern? vom Tode des seligen Königs an bis zur Volljährigkeit des jungen, ohne die Kriege und Belagerungen zu rechnen, siebenmal, und von dieser Volljährigkeit an bis auf den heutigen Tag hundertmal! – Nun ist er, allen Edicten, Ordonnanzen und Urteilssprüchen zum Trotz, Kapitän der Musketiere, d. h. Anführer einer Legion von Cäsaren, welche der König sehr hoch achtet und der Kardinal fürchtet, der sich sonst bekanntlich vor nichts zu fürchten pflegt. Noch mehr, Herr von Treville nimmt jährlich 10,000 Thaler ein; er ist also ein sehr vornehmer Herr. – Er hat angefangen wie Du, besuche ihn mit diesem Briefe und richte Dein Benehmen nach seinen Vorschriften ein, damit es Dir ergehe, wie ihm.«

Darauf gürtete Herr d’Artagnan Vater dem Jüngling seinen eigenen Degen um, küßte ihn zärtlich auf beide Wangen und gab ihm seinen Segen.

Das väterliche Zimmer verlassend, fand der junge Mann seine Mutter, welche ihn mit dem berühmten Recepte erwartete, zu dessen häufiger Anwendung die so eben erhaltenen Rathschläge ihn nöthigen sollten. Der Abschied war von dieser Seite länger und zärtlicher als von der andern. Nicht als ob Herr d’Artagnan seinen Sohn, der sein einziger Sprößling war, nicht geliebt hätte, aber Herr d’Artagnan war ein Mann, und er hätte es als eines Mannes unwürdig erachtet, sich seiner Rührung hinzugeben, während Frau d’Artagnan Weib und überdieß Mutter war. Sie weinte schrecklich, und wir müssen es Herrn d’Artagnan zum Lob nachsagen, daß er sich trotz seiner Anstrengungen, ruhig zu bleiben, wie es die Pflicht eines zukünftigen Musketiers war, von der Natur hinreißen ließ und eine Menge Thränen vergoß, von denen er nur mit großer Mühe die Hälfte verbergen konnte.

Am selben Tage begab sich der junge Mann auf den Weg, ausgerüstet mit den drei väterlichen Geschenken, welche, wie gesagt, aus fünfzehn Thalern, dem Pferde und dem Briefe an Herrn von Treville bestanden; die Rathschläge waren, wie man sich wohl denken kann, in den Kauf gegeben worden. Mit einem solchen Vademecum erschien d’Artagnan in moralischer, wie in physischer Beziehung als eine getreue Copie des Helden von Cervantes, mit dem wir ihn so glücklich verglichen, als wir uns durch unsere Geschichtschreiberpflichten veranlaßt sahen, sein Bild zu entwerfen. Don Quixote hielt die Windmühlen für Riesen und die Schafe für Armeen, d’Artagnan nahm jedes Lächeln für eine Beleidigung und jeden Blick für eine Herausforderung. Demzufolge hielt er seine Faust von Tarbes bis Meung geschlossen und fuhr wenigstens zehnmal des Tags an seinen Degenknopf; die Faust traf indessen keinen Kinnbacken und der Degen kam nicht aus der Scheide. Nicht als ob der Anblick der unglückseligen gelben Mähre nicht oftmals ein Lächeln auf den Gesichtern der Vorübergehenden hervorgerufen hätte, aber da über dem Klepper ein Degen von achtungswerther Größe klirrte und über diesem Degen ein mehr wildes als stolzes Auge glänzte, so unterdrückten die Vorübergehenden ihre Heiterkeit, oder wenn diese Heiterkeit mächtiger wurde, als die Klugheit, so suchten sie wenigstens, wie die antiken Masken, nur auf einer Seite zu lachen; d’Artagnan blieb also majestätisch und unverletzt in seiner Empfindlichkeit bis zu dem unseligen Städtchen Meung.

Hier aber, als er an der Thüre des Freimüllers vom Pferd stieg, ohne daß irgend Jemand, Wirth, Kellner oder Hausknecht erschien, um ihm den Steigbügel am Auftritt zu halten, erblickte d’Artagnan an einem halbgeöffneten Fenster des Erdgeschosses einen Edelmann von schöner Gestalt und vornehmem Aussehen mit leicht gerunzeltem Gesicht, der mit zwei Personen sprach, welche ihm mit großer Untertänigkeit zuzuhören schienen. D’Artagnan glaubte ganz natürlich, seiner Gewohnheit gemäß, der Gegenstand des Gespräches zu sein, und horchte. Diesmal hatte sich d’Artagnan nur zur Hälfte getäuscht; es war zwar nicht von ihm die Rede, aber von seinem Pferde, dessen Eigenschaften der Edelmann seinen Zuhörern aufzählte, und da diese Zuhörer, wie gesagt, große Ehrfurcht vor dem Erzähler zu hegen schienen, so brachen sie jeden Augenblick in ein neues schallendes Gelächter aus. Da nun ein halbes Lächeln hinreichte, um den jungen Mann zum Zorne zu reizen, so begreift man leicht, welchen Eindruck eine so geräuschvolle Heiterkeit auf ihn hervorbringen mußte.

D’Artagnan wollte sich jedoch vorerst über die Physiognomie des Frechen belehren, der es wagte, sich über ihn lustig zu machen. Er heftete seinen Blick voll Stolz auf den Fremden und erkannte in ihm einen Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, mit schwarzen, durchdringenden Augen, bleicher Gesichtsfarbe, stark hervortretender Nase und schwarzem, vollkommen zugestutztem Schnurrbart; derselbe trug ein Wamms und veilchenblaue Beinkleider mit Schnürnesteln von ähnlicher Farbe. Dieses Wamms und diese Beinkleider schienen, obwohl neu, doch zerknittert, wie lange in einem Mantelsack eingeschlossene Reisekleider. D’Artagnan machte alle seine Bemerkungen mit der Geschwindigkeit des schärfsten Beobachters und ohne Zweifel von einem instinktartigen Gefühl angetrieben, das ihm sagte, dieser Fremde müsse einen großen Einfluß auf sein zukünftiges Leben ausüben.

Da nun in dem Moment, wo d’Artagnan sein Auge auf den Edelmann mit der veilchenblauen Hose heftete, dieser Herr eine seiner gelehrtesten und gründlichsten Erläuterungen in Bezug der bearnischen Mähre zum Besten gab, so brachen seine Zuhörer in ein schallendes Gelächter aus, und er selbst ließ augenscheinlich gegen seine Gewohnheit ein bleiches Lächeln, wenn man so sagen darf, über sein Antlitz schweben. Diesmal konnte kein Zweifel entstehen, d’Artagnan war wirklich beleidigt. Erfüllt von dieser Überzeugung, drückte er sein Baret tief in die Augen und rückte, indem er sich Mühe gab, einige von den Hofmienen nachzuahmen, die er in der Gascogne bei reisenden vornehmen Herren aufgefangen hatte, eine Hand auf das Stichblatt seines Degens, die andere auf die Hüfte gestützt, vor. Leider verblendete ihn der Zorn immer mehr, je weiter er vorschritt, und statt einer würdigen stolzen Rede, die er im Stillen zu einer Herausforderung vorbereitet hatte, fand er auf seiner Zungenspitze nichts mehr, als eine plumpe Grobheit, die er mit einer wüthenden Geberde begleitete.

»He, mein Herr,« rief er, »mein Herr, der Ihr Euch hinter jenem Laden verbergt, ja Ihr, sagt mir doch ein wenig, über wen Ihr lacht, dann wollen wir gemeinschaftlich lachen.«

Der Edelmann richtete langsam die Augen von dem Pferde auf den Reiter, als ob er einiger Zeit bedürfte, um zu begreifen, daß so seltsame Worte an ihn gesprochen wurden; da ihm sodann kein Zweifel mehr übrig blieb, so runzelte er leicht die Stirne, und antwortete nach einer ziemlich langen Pause mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Spott und Keckheit:

»Ich spreche nicht mit Euch.«

»Aber ich spreche mit Euch,« rief der junge Mann, ganz außer sich über diese Mischung von Frechheit und guten Manieren, von Anstand und Verachtung.

Der Unbekannte betrachtete ihn noch einen Augenblick mit seinem leichten Lächeln und zog sich langsam vom Fenster zurück, ging dann aus dem Wirthshause, näherte sich d’Artagnan bis auf zwei Schritte und blieb vor dem Pferde stehen. Seine ruhige Haltung und seine spöttische Miene hatten die Heiterkeit derjenigen vermehrt, mit denen er plauderte, und die am Fenster geblieben waren. Als d’Artagnan ihn auf sich zukommen sah, zog er seinen Degen einen Fuß lang aus der Scheide.

»Dieses Pferd ist offenbar oder war vielmehr in seiner Jugend ein Goldfuchs,« sprach der Unbekannte, während er in den begonnenen Untersuchungen fortfuhr, und wandte sich dabei an seine Zuhörer am Fenster, ohne daß er die Erbitterung d’Artagnan’s im Geringsten zu beachten schien. »Es ist eine in der Botanik sehr bekannte, aber bis jetzt bei den Pferden sehr seltene Farbe.«

»Wer über das Pferd lacht,« rief der Nebenbuhler Treville’s wüthend, »würde es nicht wagen, über den Herrn zu lachen.«

»Ich lache nicht oft, mein Herr,« erwiederte der Unbekannte, »wie Ihr selbst an meinen Gesichtszügen wahrnehmen könnt, aber ich möchte mir doch gerne das Recht wahren, zu lachen, so oft es mir beliebt.«

»Und ich,« rief d’Artagnan, »ich will nicht, daß irgend Jemand über mich lache, wenn es mir mißfällt.«

»Wirklich, mein Herr?« erwiederte der Unbekannte, ruhiger als je, »nun denn, das ist nicht mehr als billig.«

Und auf seinen Fersen sich drehend, schickte er sich an, durch das große Thor in das Gasthaus zurückzukehren, wo d’Artagnan ein völlig gesatteltes Pferd wahrgenommen hatte.

Aber d’Artagnan besaß nicht den Character, mit dem es ihm möglich gewesen wäre, einen Menschen loszulassen, der die Frechheit gehabt hatte, über ihn zu spotten. Er zog seinen Degen vollends aus der Scheide und fuhr fort, seinen Streit zu verfolgen.

»Umgedreht, mein Herr Spötter, damit ich Euch nicht auf den Rücken schlage.«

»Mich schlagen, mich?« sagte der Andere, sich auf den Fersen umdrehend, und schaute den jungen Mann mit eben so großer Verwunderung als Verachtung an. »Geht, mein Lieber, Ihr seid ein Narr!« Dann fuhr er mit leiser Stimme und als ob er mit sich selbst spräche, fort: »Das ist ärgerlich; welch ein Fund für Seine Majestät, welche überall nach Leuten sucht, um die Musketiere zu rekrutiren.«

Er hatte kaum vollendet, als d’Artagnan mit seiner Degenspitze einen so wüthenden Stoß nach ihm führte, daß er, ohne einen sehr raschen Sprung rückwärts, wahrscheinlich zum letzten Mal gescherzt hätte. Der Unbekannte sah jetzt, daß die Sache über den Spaß hinausging; er zog seinen Degen, begrüßte seinen Gegner und nahm eine Fechterstellung ein. Aber in demselben Augenblick fielen seine zwei Zuhörer in Begleitung des Wirthes mit Stöcken, Schaufeln und Feuerzangen über d’Artagnan her. Dies gab dem Angriff eine so rasche und vollständige Diversion, daß d’Artagnan’s Gegner, während sich dieser umwandte, um einen Hagel von Schlägen abzuwehren, seinen Degen mit der größten Gelassenheit einsteckte und aus einem darstellenden Mitglied, das er beinahe geworden wäre, wieder Zuschauer des Kampfes wurde, – eine Rolle, deren er sich mit seiner gewöhnlichen Unempfindlichkeit entledigte. Nichtsdestoweniger murmelte er durch die Zähne:

»Die Pest über alle Gascogner! Setzt ihn wieder auf sein orangefarbiges Pferd, er mag zum Teufel gehen.«

»Nicht ohne Dich getödtet zu haben, Feigling!« rief d’Artagnan, während er sich so gut als möglich und ohne einen Schritt zurückzuweichen gegen seine drei Feinde, die ihn mit Schlägen überhäuften, zur Wehre setzte.

»Abermals eine Gasconnade«, murmelte der Edelmann. »Bei meiner Ehre, diese Gascogner sind unverbesserlich! Setzt also den Tanz fort, da er es durchaus haben will. Wenn er einmal müde ist, wird er schon sagen, es sei genug.«

Aber der Unbekannte wußte noch nicht, mit was für einem hartnäckigen Menschen er es zu thun hatte; d’Artagnan war nicht der Mann, der Gnade gefordert hätte. Der Kampf dauerte also noch einige Sekunden fort, doch endlich ließ d’Artagnan erschöpft seinen Degen fahren, den ein Schlag mit einer Heugabel entzwei brach. Ein anderer Schlag, welcher seine Stirne traf, schmetterte ihn beinahe zu derselben Zeit blutend und fast ohnmächtig nieder. In diesem Augenblick kamen von allen Seiten Leute auf den Schauplatz gelaufen, der Wirth fürchtete ein ärgerliches Aufsehen und trug den Verwundeten mit Hülfe einiger Kellner in die Küche, wo man ihm Pflege angedeihen ließ.

Der Edelmann aber hatte seinen früheren Platz am Fenster wieder eingenommen und betrachtete mit einer gewissen Ungeduld die umherstehende Menge, deren Verweilen ihm sehr ärgerlich zu sein schien.

»Nun! wie geht es dem Wüthenden?« sagte er, indem er sich bei dem durch das Oeffnen der Thüre verursachten Geräusch umkehrte und an den Wirth wandte, der sich nach dessen Befinden erkundigt hatte. – »Ew. Excellenz ist gesund und wohlbehalten?« fragte der Wirth. – »Ja, vollkommen wohl und gesund, mein lieber Wirth, und ich frage Euch, was aus unserem jungen Menschen geworden ist?« – »Es geht besser mit ihm,« erwiederte der Wirth: »er ist in Ohnmacht gefallen.« – »Wirklich?« sprach der Edelmann.

»Doch ehe er in Ohnmacht fiel, raffte er alle seine Kräfte zusammen, rief nach Euch und forderte Euch heraus.« – »Dieser Bursche ist also der leibhaftige Teufel!« rief der Unbekannte. – »O nein, Ew. Excellenz, es ist kein Teufel,« entgegnete der Wirth mit einer verächtlichen Grimasse, »denn während seiner Ohnmacht haben wir ihn durchsucht und in seinem Päckchen nicht mehr als ein Hemd, in seiner Börse nicht mehr als zwölf Thaler gefunden, was ihn jedoch nicht abhielt, kurz bevor er in Ohnmacht fiel, zu bemerken, wenn dergleichen in Paris geschehen wäre, so müßtet Ihr dies sogleich bereuen, während Ihr es hier erst später bereuen würdet.« – »Dann ist er irgend ein verkleideter Prinz von Geblüt,« sagte der Unbekannte kalt. – »Ich theile Euch dies mit, gnädiger Herr,« versetzte der Wirth, »damit Ihr auf Eurer Hut sein möget.« – »Und er hat Niemand in seinem Zorn genannt?« – ›Allerdings, er schlug an seine Tasche und sagte: »Wir wollen sehen, was Herr von Treville zu der Beleidigung sagen wird, die seinem Schützling widerfahren ist.‹ – »Herr von Treville?« sprach der Unbekannte mit steigender Aufmerksamkeit; »er schlug an seine Tasche, während er den Namen des Herrn von Treville aussprach? … Hört, mein lieber Wirth, indeß Euer junger Mann in Ohnmacht lag, habt Ihr sicherlich nicht versäumt, ein wenig in diese Tasche zu schauen. Was fand sich darin?« – »Ein Brief, mit der Adresse des Herrn von Treville, Kapitäns der Musketiere.« – »Wirklich?« – »Es ist, wie ich Ew. Excellenz zu sagen die Ehre habe.«

Der Wirth, welcher eben nicht mit übergroßem Scharfsinn begabt war, gewahrte den Ausdruck nicht, den seine Worte auf dem Gesichte des Unbekannten hervorriefen. Dieser entfernte sich von dem Gesimse des Kreuzstocks, auf das er sich bis jetzt mit dem Ellbogen gestützt hatte, und faltete die Stirne, wie ein Mensch, den etwas beunruhigt.

»Teufel!« murmelte er zwischen den Zähnen, »sollte mir Treville diesen Gascogner geschickt haben? Er ist noch sehr jung! Aber ein Degenstich bleibt ein Degenstich, welches Alter auch sein Spender haben mag, und man nimmt sich vor einem jungen Bürschchen weniger in Acht, als vor anderen Leuten; Zuweilen genügt ein schwaches Hinderniß, um einem großen Plan in den Weg zu treten.«

Und der Unbekannte versank in ein Nachdenken, das einige Minuten währte.

»Hört einmal, Wirth,« sagte er, »werdet Ihr mich nicht von diesem Wüthenden befreien? Ich kann ihn mit gutem Gewissen nicht töten, und dennoch,« fügte er mit einem kalt drohenden Ausdrucke bei, »ist er mir unbequem. Wo verweilt er?« – »Im ersten Stock in der Stube meiner Frau, wo man ihn verbindet.« – »Hat er Kleidungsstücke und seine Tasche bei sich? Er hat sein Wamms nicht ausgezogen?« – »Alles dies blieb im Gegentheil unten in der Küche. Aber wenn Euch dieser junge Laffe unbequem ist …?«

»Gewiß. Er veranlaßt in Eurem Gasthaus ein Ärgernis, das ehrliche Leute nicht aushalten können. Geht hinauf, macht meine Rechnung und benachrichtigt meinen Lakaien.« – »Wie! gnädiger Herr, Ihr verlasset uns schon?« – »Ihr konntet es daraus sehen, daß ich Euch Befehl gegeben hatte, mein Pferd zu satteln. Hat man mir nicht Folge geleistet?« – »Allerdings, und das Pferd steht völlig aufgezäumt unter dem großen Thor, wie Ew. Excellenz selbst hat sehen können.« – »Das ist gut. Thut, was ich Euch gesagt habe.«

»Oh weh!« sprach der Wirth zu sich selbst; »sollte er vor dem kleinen Jungen bange haben?«

Aber ein gebieterischer Blick des Unbekannten machte seinen Gedanken rasch ein Ende. Er verbeugte sich demüthig und ging ab.

»Mylady soll diesen Burschen nicht gewahr werden,« fuhr der Fremde fort; »sie muß bald kommen; sie bleibt schon allzulange aus. Offenbar ist es besser, wenn ich zu Pferde steige und ihr entgegenreite … Könnte ich nur erfahren, was dieser Brief an Treville enthält!« Und unter fortwährendem Murmeln wandte sich der Fremde nach der Küche.

Inzwischen war der Wirth, der nicht daran zweifelte, daß die Gegenwart des jungen Menschen den Unbekannten aus seiner Herberge treibe, zu seiner Frau hinaufgegangen und hatte d’Artagnan hier wieder gefunden. Er machte ihm begreiflich, die Polizei könnte ihm einen schlimmen Streich spielen, da er mit einem vornehmen Herrn Streit angefangen habe, denn nach der Meinung des Wirthes konnte der Unbekannte nur ein vornehmer Herr sein, und er veranlaßte ihn, trotz seiner Schwäche aufzustehen und seinen Weg fortzusetzen. Halb betäubt, ohne Wamms und den Kopf mit Leinwand umwickelt, stand d’Artagnan auf und ging, vom Wirthe gedrängt, die Treppe hinab; aber als er in die Küche kam, war das erste, was er bemerkte, sein Gegner, der am Fußtritt einer schweren, mit zwei plumpen normannischen Pferden bespannten Karosse ruhig plauderte.

Die Frau, mit der er sprach, war eine Frau von zwanzig bis zweiundzwanzig Jahren, deren Kopf in den Kutschenschlag eingerahmt schien. Wir haben bereits erwähnt, mit welcher Raschheit d’Artagnan eine Physiognomie aufzufassen wußte; er sah also auf den ersten Blick, daß die Frau jung und hübsch war. Diese Schönheit fiel ihm um so mehr auf, als sie eine in den südlichen Gegenden, welche d’Artagnan bis jetzt bewohnt hatte, ganz fremde Erscheinung war. Es war eine Blondine mit langen, auf die Schultern herabfallenden Locken, großen, schmachtenden, blauen Augen, rosigen Lippen und Alabasterhänden; sie sprach sehr lebhaft mit dem Unbekannten.

»Also befiehlt mir Seine Eminenz…« sagte die Dame. – »Sogleich nach England zurückzukehren und sie zu benachrichtigen, ob der Herzog London verlassen hat.« – »Und was meine übrigen Instruktionen betrifft? …« fragte die schöne Reisende. – »Sie sind in dieser Kapsel enthalten, welche Ihr erst jenseits des Kanals öffnen dürfet.« – »Sehr wohl; und Ihr, was macht Ihr?« – »Ich kehre nach Paris zurück.«

»Ohne das freche Bürschchen zu züchtigen?« fragte die Dame.

Der Unbekannte war im Begriff zu antworten, aber in dem Augenblick, wo er den Mund öffnete, sprang d’Artagnan, der alles gehört hatte, auf die Thürschwelle.

»Das freche Bürschchen züchtigt andere,« rief er, »und ich hoffe, daß derjenige, welchen er zu züchtigen hat, ihm diesmal nicht entkommen wird, wie das erstemal.«

»Nicht entkommen wird?« entgegnete der Unbekannte, die Stirne faltend.

»Nein, vor einer Dame, denke ich, werdet Ihr nicht zu fliehen wagen.«

»Bedenkt,« rief Mylady, als sie sah, daß der Edelmann die Hand an den Degen legte, »bedenkt, daß die geringste Zögerung Alles verderben kann.«

»Ihr habt Recht,« rief der Edelmann, »reist also Eurerseits, ich thue desgleichen.«

Und indem er der Dame mit dem Kopf zunickte, sprang er zu Pferde, während der Kutscher der Karosse sein Gespann kräftig mit der Peitsche antrieb. Die zwei Sprechenden entfernten sich also im Galopp, jedes in einer entgegengesetzten Richtung der Straße.

»Heda! Eure Rechnung,« schrie der Wirth, dessen Ergebenheit für den Reisenden sich in tiefe Verachtung verwandelte, als er sah, daß er abging, ohne seine Zeche zu bezahlen.

»Bezahle, Schlingel,« rief der Reisende stets galoppierend seinem Bedienten zu, der dem Wirth ein Paar Geldstücke vor die Füße warf und dann eiligst seinem Herrn nachgaloppierte.

»Ha, Feigling, ha, Elender, ha, falscher Edelmann!« rief d’Artagnan und lief dem Bedienten nach.

Aber der Verwundete war noch zu schwach, um eine solche Erschütterung auszuhalten. Kaum hatte er zehn Schritte gemacht, so klangen ihm die Ohren, er sah nichts mehr, eine Blutwolke zog über seine Augen hin und er stürzte unter dem beständigen Geschrei: »Feigling! Feigling! Feigling!« auf die Straße nieder.

»Er ist in der That sehr feig!« murmelte der Wirth, indem er sich d’Artagnan näherte und sich durch diese Schmeichelei mit dem armen Jungen zu versöhnen suchte, wie der Held in der Fabel mit seiner Schnecke.

»Ja, sehr feig,« sagte d’Artagnan mit schwacher Stimme, »aber sie ist sehr schön.«

»Wer sie?« fragte der Wirth.

»Mylady,« stammelte d’Artagnan und fiel zum zweiten Mal in Ohnmacht.

»Gleich viel,« sprach der Wirth, »es bleibt mir doch dieser da, den ich sicherlich einige Tage behalten werde. Da lassen sich immerhin elf Thaler verdienen.«

Man weiß bereits, daß sich der Inhalt von d’Artagnans Börse gerade auf elf Thaler belief.

Der Wirth hatte auf elf Tage Krankheit den Tag zu einem Thaler gerechnet; aber er hatte die Rechnung ohne seinen Reisenden gemacht. Am andern Morgen stand d’Artagnan schon um fünf Uhr auf, ging in die Küche hinab, verlangte außer einigen anderen Ingredienzien, deren Liste uns nicht zugekommen ist, Wein, Öl, Rosmarin, und bereitete sich, das Rezept seiner Mutter in der Hand, einen Balsam, mit dem er seine zahlreichen Wunden salbte; dann erneuerte er seine Kompressen selbst und wollte keine ärztliche Hilfeleistung gestatten. Der Wirksamkeit des Zigeunerbalsams und ohne Zweifel auch ein wenig der Abwesenheit jedes Arztes hatte es d’Artagnan zu danken, daß er schon an demselben Abend wieder auf den Beinen und am andern Tag beinahe völlig geheilt war.

In dem Augenblick aber, als er den Rosmarin, das Öl und den Wein bezahlen wollte – die einzige Ausgabe des Herrn, der strenge Diät hielt, während das gelbe Roß, wenigstens nach der Aussage des Wirthes, dreimal so viel gefressen hatte, als sich vernünftigerweise bei seiner Gestalt voraussetzen ließ – fand d’Artagnan m seiner Tasche nur noch seine kleine Sammetbörse, sowie die elf Thaler, welche sie enthielt; jedoch der Brief an Herrn von Treville war verschwunden.

Der junge Mann suchte anfangs diesen Brief mit großer Geduld, drehte seine Taschen um und um, durchwühlte seinen Mantelsack, öffnete und schloß seine Börse wieder und wieder, als er aber die Überzeugung gewonnen hatte, daß der Brief nicht mehr zu finden war, gerieth er in einen dritten Anfall von Wuth, der ihn leicht zu einem neuen Verbrauch von aromatischem Wein und Öl veranlassen konnte; denn als man sah, daß dieser junge Brausekopf sich erhitzte und drohte, er werde Alles im Hause kurz und klein schlagen, wenn man seinen Brief nicht finde, da ergriff der Wirth einen Spieß, seine Frau einen Besenstiel, und sein Aufwärter nahm von denselben Stöcken, welche zwei Tage vorher benützt worden waren.

»Meinen Empfehlungsbrief,« schrie d’Artagnan, »meinen Empfehlungsbrief, oder ich spieße Euch alle wie Ortolane.«

Unglücklicherweise trat ein Umstand der Ausführung seiner Drohung in den Weg; sein Degen war erwähntermaßen beim ersten Kampf in zwei Stücke zerbrochen worden, was er völlig vergessen hatte. Als d’Artagnan wirklich vom Leder ziehen wollte, sah er sich ganz einfach mit einem Degenstumpfe von acht bis zehn Zoll bewaffnet, den der Wirth sorgfältig wieder in die Scheide gesteckt hatte. Den übrigen Theil der Klinge hatte der Herr der Herberge geschickt auf die Seite gebracht, um sich einen Bratspieß daraus zu machen.

Diese Enttäuschung dürfte wohl unsern jähzornigen jungen Mann nicht zurückgehalten haben, aber der Wirth bedachte, daß die Forderung, die sein Reisender an ihn stellte, eine völlig gerechte war.

»In der That,« sprach er und senkte dabei seinen Spieß, »wo ist der Brief?«

»Wo ist dieser Brief?« rief d’Artagnan. »Ich sage Euch vor Allem, daß dieser Brief für Herrn von Treville bestimmt ist, und daß er sich wiederfinden muß; ist dies nicht der Fall, so wird Er schon machen, daß er gefunden wird!«

Diese Drohung schüchterte den Wirth vollends ein. Nach dem König und dem Herrn Kardinal war Herr von Treville derjenige Mann, dessen Namen vielleicht am öftesten von den Militären und sogar von den Bürgern wiederholt wurde. Wohl war noch der Pater Joseph vorhanden, aber sein Name wurde immer nur ganz leise ausgesprochen, so groß war der Schrecken, den die graue Eminenz einflößte, wie man den Vertrauten des Kardinals nannte.

Er warf also seinen Spieß weit von sich, befahl seiner Frau, dasselbe mit ihrem Besenstiel zu thun, und seinen Dienern, ihre Stöcke wegzulegen; dann ging er mit gutem Beispiel voran und begann nach dem verlorenen Brief zu suchen.

»Enthielt dieser Brief etwas Werthvolles?« sagte der Wirth, nachdem er einen Augenblick fruchtlos gesucht hatte. – »Heiliger Gott, ich glaube es wohl!« erwiederte der Gascogner, der mit Hülfe dieses Schreibens seinen Weg zu machen hoffte, »er enthielt mein Glück.« – »Anweisungen auf Spanien?« fragte der Wirth unruhig. – »Anweisungen auf den Privatschatz Seiner Majestät,« erwiederte d’Artagnan, der darauf zählte, er werde durch diese Empfehlung in den Dienst des Königs aufgenommen werden, und deßhalb ohne zu lügen diese etwas kecke Antwort geben zu können glaubte.

»Teufel!« rief der Wirth ganz in Verzweiflung.

»Aber daran liegt nichts,« fuhr d’Artagnan mit ganz nationaler Dreistigkeit fort, »daran liegt nichts, das Geld kommt gar nicht in Betracht; der Brief war Alles. Ich hätte lieber tausend Pistolen verloren, als diesen Brief.«

Er würde nicht mehr gewagt haben, wenn er zwanzig tausend gesagt hätte, aber eine gewisse jugendliche Schüchternheit hielt ihn zurück.

Ein Lichtstrahl durchdrang plötzlich den Geist des Wirthes, der von einem entsetzlichen Grauen befallen wurde, als er nichts fand.

»Dieser Brief ist durchaus nicht verloren,« rief er.

»Ah!« seufzte d’Artagnan. – »Nein, er ist Euch gestohlen worden.« – »Gestohlen! und von wem?« – »Von dem Edelmann von gestern. Er ist in die Küche hinabgegangen, wo Euer Wamms lag, und daselbst allein geblieben. Ich wollte wetten, daß er ihn gestohlen hat.«

»Ihr glaubt?« erwiederte d’Artagnan nicht sehr überzeugt, denn er kannte den ganz persönlichen Belang dieses Briefes und sah nichts dabei, was einen Andern nach dem Besitz desselben hätte lüstern machen können. Keiner von den Dienern, keiner von den anwesenden Gasten würde etwas damit gewonnen haben, wenn er sich das Papier zugeeignet hätte.

»Ihr sagt also,« versetzte d’Artagnan, »Ihr habet diesen frechen Edelmann im Verdacht?«

»Ich sage, daß ich vollkommen hievon überzeugt bin,« fuhr der Wirth fort; »als ich ihm mittheilte, Ew. Herrlichkeit sei ein Schützling des Herrn von Treville, und Ihr hättet sogar einen Brief an diesen erlauchten Herrn, da schien er sehr unruhig zu werden und fragte mich, wo dieser Brief sei; dann ging er sogleich in die Küche hinab, weil er wußte, daß Euer Wamms dort lag.«

»Dann ist er mein Dieb,« sagte d’Artagnan, »ich werde mich bei Herrn von Treville darüber beklagen, und Herr von Treville wird sich beim König beklagen.« Sofort zog er majestätisch zwei Thaler aus seiner Tasche, gab sie dem Wirth, der ihn mit dem Hut in der Hand bis vor die Thüre begleitete, und bestieg wieder sein gelbes Roß, das ihn ohne weiteren Unfall bis zu der Porte Saint-Antoine in Paris trug, wo es der Eigenthümer um drei Thaler verkaufte, was sehr gut bezahlt war, da d’Artagnan es auf dem letzten Marsch bedeutend übertrieben hatte. Der Roßkamm, welchem d’Artagnan die Mähre gegen erwähnte neun Livres abtrat, verbarg auch dem jungen Mann keineswegs, daß er diese außerordentliche Summe nur wegen der originellen Farbe des Tieres bezahle.

D’Artagnan hielt also zu Fuß seinen Einzug in Paris, trug sein Päckchen unter dem Arm und marschirte so lange umher, bis er eine Stube zu miethen fand, die der Geringfügigkeit seiner Mittel entsprach. Diese Stube war eine Art von Mansarde und lag in der Rue de Fossoyeurs in der Nähe des Luxemburg.

Sobald d’Artagnan die Miethe bezahlt hatte, nahm er Besitz von seiner Wohnung und brachte den übrigen Theil des Tages damit hin, daß er an sein Wamms und an seine Strümpfe Posamenten annähte, die seine Mutter von einem beinahe neuen Wammse des Herrn d’Artagnan Vaters abgetrennt und ihm insgeheim zugesteckt hatte. Dann ging er auf den Quai de la Ferraille, um eine neue Klinge in seinen Degen machen zu lassen, hierauf nach dem Louvre und erkundigte sich bei dem ersten Musketier, dem er begegnete, nach dem Hotel des Herrn von Treville, welches in der Rue du Vieux-Colombier lag, das heißt, ganz in der Nähe der Wohnung, welche d’Artagnan gemiethet hatte – ein Umstand, der ihm als ein glückliches Vorzeichen für den Erfolg seiner Reise erschien.

Zufrieden mit der Art und Weise, wie er sich in Meung benommen hatte, ohne Gewissensbisse wegen der Vergangenheit, voll Vertrauen aus die Gegenwart, voll Hoffnung für die Zukunft, legte er sich hierauf nieder und schlief den Schlaf des Gerechten.

Dieser noch ganz provinzmäßige Schlaf währte bis zur neunten Stunde des Morgens, wo er aufstand, um sich zu dem berühmten Herrn von Treville, der dritten Person des Reiches nach der väterlichen Schätzung, zu begeben.

X.

Eine Mausfalle im siebzehnten Jahrhundert.

Die Mausfalle ist keine Erfindung unserer Tage; sobald die Gesellschaften bei ihrer Bildung irgend eine Polizei erfunden hatten, erfand diese ihrerseits die Mausfalle.

Da unsere Leser vielleicht noch nicht mit dem Rothwälsch der Rue de Jerusalem vertraut sind, und da wir zum ersten Mal dieses Wort in dieser eigenthümlichen Bedeutung anwenden, so wollen wir ihnen erklären, was eine Mausfalle ist.

Wenn man in irgend einem Hause irgend eine eines Verbrechens verdächtige Person verhaftet hat, so hält man diese Verhaftung geheim; man legt vier oder fünf Mann im ersten Zimmer in Hinterhalt, man öffnet die Thüre allen denjenigen, welche anklopfen, schließt sie wieder hinter ihnen und verhaftet sie; nach Verlauf von zwei bis drei Tagen hat man alle diejenigen, welche mit dem betreffenden Hause in Verbindung stehen, in Händen.

Das ist eine Mausfalle.

Man machte also eine Mausfalle aus der Wohnung des Meisters Bonacieux, und wer daselbst erschien, wurde ergriffen und von den Leuten des Kardinals ausgefragt. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß diejenigen, welche zu d’Artagnan kamen, von den Ausforschungen befreit blieben, insofern ein besonderer Gang nach seiner Wohnung im ersten Stock führte.

Ueberdies kamen die drei Musketiere allein dahin. Jeder von ihnen hatte sich einzeln auf Kundschaft gelegt, aber keinem war es gelungen, etwas zu entdecken. Athos war sogar so weit gegangen, Herrn von Treville zu befragen, worüber sein Kapitän in Betracht der gewöhnlichen Schweigsamkeit des würdigen Musketiers nicht wenig erstaunte. Herr von Treville wußte nur, daß das letzte Mal, als er den König, die Königin und den Kardinal gesehen, der Kardinal eine sehr sorgliche Miene hatte, der König sehr unruhig war, und die Augen der Königin andeuteten, daß sie geweint oder gewacht hatte; aber Letzteres veranlaßte keine Verwunderung bei ihm, denn die Königin wachte und weinte viel seit ihrer Verheirathung.

Herr von Treville empfahl jedenfalls Athos den Dienst des Königs und besonders den bei der Königin, und ersuchte ihn, dieselbe Empfehlung seinen Kameraden zu überbringen.

D’Artagnan verließ seine Wohnung nicht; er hatte sein Zimmer in ein Observatorium verwandelt. Von seinem Fenster aus sah er diejenigen ankommen, welche gefangen genommen wurden. Da er ferner die Dielen seines Stubenbodens aufgebrochen hatte und nur ein einfacher Plafond ihn vor dem unter ihm liegenden Zimmer trennte, wo die Verhöre stattfanden, so vernahm er Alles, was zwischen den Inquisitoren und den Angeklagten vorging.

Die Verhöre, welche stets mit einer sorgfältigen Durchsuchung der verhafteten Personen verbunden waren, glichen sich beinahe gänzlich ihrem Inhalt nach: »Hat Euch Madame Bonacieux etwas für ihren Gatten oder für irgend eine andere Person zugestellt?«

»Hat Euch Herr Bonacieux irgend etwas für seine Frau oder für irgend eine andere Person zugestellt?«

»Hat Euch die eine oder der andere von ihnen irgend eine vertrauliche Mittheilung gemacht?«

»Wenn sie etwas wüßten, so würden sie nicht so fragen,« sagte d’Artagnan zu sich selbst. »Was wollen sie nur erfahren? Ob sich der Herzog von Buckingham nicht in Paris befindet, und ob er nicht mit der Königin eine Zusammenkunft gehabt hat oder haben soll.«

D’Artagnan blieb bei dieser Ansicht stehen, der es nach Allem, was er erfahren hatte, nicht an Wahrscheinlichkeit gebrach.

Mittlerweile war die Mausfalle permanent und die Wachsamkeit d’Artagnans ebenso. Am zweiten Tag nach der Verhaftung des armen Bonacieux, als Athos d’Artagnan so eben verlassen hatte, um sich zu Herrn von Treville zu begeben, als es gerade neun Uhr geschlagen und Planchet, der seines Herrn Bett noch nicht gemacht hatte, eben seine Arbeit verrichtete, hörte man an die Hausthüre klopfen. Alsbald wurde diese Thüre geöffnet und wieder verschlossen. Es hatte sich Jemand in der Mausfalle fangen lassen.

D’Artagnan stürzte nach der Stelle, wo die Dielen weggenommen waren, legte sich mit dem Bauch auf den Boden und horchte. Es wurde ein Geschrei vernehmbar, dann folgte ein starkes Seufzen, das man zu ersticken suchte, von einem Verhör war nicht die Rede.

»Teufel!« sprach d’Artagnan zu sich selbst, »es scheint mir, das ist eine Frau; man durchsucht sie, sie widersteht, man thut ihr Gewalt an. Die Schurken!«

D’Artagnan hatte, trotz seiner Klugheit, die größte Mühe, sich von der Scene entfernt zu halten, welche unten vorging.

»Aber ich sage Euch, daß ich die Hausfrau bin, meine Herren, ich sage Euch, daß ich die Frau Bonacieux bin, ich sage Euch, daß ich im Dienste der Königin stehe,« rief die Unglückliche.

»Frau Bonacieux!« murmelte d’Artagnan; »sollte ich so glücklich sein, das gefunden zu haben, was Jedermann sucht?«

»Gerade Euch haben wir hier erwartet,« sprachen die Fragenden unten.

Die Stimme der Frau wurde immer dumpfer; das Tafelwerk ertönte von einer geräuschvollen Bewegung, das Opfer widerstand, so weit eine Frau vier Männern widerstehen kann.

»Vergebung, meine Herren, vergebt …« murmelte die Stimme, welche nur noch unartikulirte Töne hören ließ.

»Sie knebeln sie! sie schleppen sie fort!« rief d’Artagnan und sprang wie eine Feder auf. »Meinen Degen! ich habe ihn zum Glück an meiner Seite. Planchet!«

»Gnädiger Herr!«

»Lauf schnell, suche Athos, Porthos und Aramis auf. Einer von diesen Dreien wird sicherlich zu Hause sein; vielleicht sind alle drei heimgekehrt. Sie sollen sich bewaffnen und rasch hieher kommen. Ah, ich erinnere mich, Athos ist bei Herrn von Treville.«

»Aber wohin geht Ihr, gnädiger Herr, wohin geht Ihr?«

»Ich steige durch das Fenster hinab,« rief d’Artagnan, »um schneller an Ort und Stelle zu sein. Du, lege die Diele wieder ein, fege den Boden, geh‘ durch die Thüre und lauf, wohin ich Dir gesagt habe.«

»O, mein Herr, mein Herr, Ihr bringt Euch ums Leben,« rief Planchet.

»Schweig, Dummkopf,« sprach d’Artagnan und sich mit der Hand an der Randleiste des Fensters haltend, glitt er vom ersten Stockwerk, das glücklicher Weise nicht hoch war, hinab, ohne die geringste Verletzung zu erleiden.

Dann klopfte er an die Thüre und murmelte dabei:

»Ich will mich ebenfalls in der Mausfalle fangen lassen, aber wehe den Katzen, die sich an einer solchen Maus reiben.«

Kaum hatte der Klopfer unter der Hand des jungen Mannes ertönt, als das Geräusch aufhörte; es näherten sich Tritte, die Thüre öffnete sich und d’Artagnan stürzte mit bloßem Degen in das Zimmer des Meisters Bonacieux, dessen Thüre, ohne Zweifel durch eine Feder in Bewegung gesetzt, sich von selbst wieder schloß.

Dann vernahmen die übrigen Bewohner des unglücklichen Hauses, so wie die nächsten Nachbarn ein gewaltiges Geschrei, ein Stampfen, ein Degengeklirr und ein Zertrümmern von Geräthschaften; einen Augenblick nachher konnten die Menschen, welche erstaunt über diesen Lärmen sich an ihr Fenster gestellt hatten, um die Ursache zu erfahren, deutlich sehen, wie die Thür sich wieder öffnete und vier schwarz gekleidete Menschen nicht heraus gingen, sondern gleich aufgescheuchten Raben herausflogen, am Boden und an den Tischecken Federn von ihren Flügeln zurücklassend, d.h. Fetzen von ihren Kleidern und Stücke von ihren Mänteln.

D’Artagnan hatte mit leichter Mühe den Sieg errungen, denn nur ein einziger von den Alguazils war bewaffnet, und dieser vertheidigte sich nur der Form wegen. Die drei andern hatten es allerdings versucht, den jungen Mann mit Stühlen, Bänken und Töpfen niederzuschlagen, aber zwei bis drei Hiebe vom Flammberg des Gascogners flößten ihnen den gehörigen Schrecken ein. Zehn Minuten waren hinreichend, ihre Niederlage zu bewerkstelligen, und d’Artagnan blieb Herr des Schlachtfeldes.

Die Nachbarn, welche ihre Fenster mit der in jenen Zeiten fortwährender Aufstände und Streitigkeiten den Parisern eigenen Kaltblütigkeit geöffnet hatten, schlossen sie wieder, sobald sie die vier schwarzen Männer entfliehen sahen; ihr Instinkt sagt ihnen, daß für den Augenblick alles zu Ende war; überdies war es bereits spät geworden, und damals, wie heut zu Tage legte man sich im Quartier des Luxemburg frühe schlafen.

Allein mit Frau Bonacieux, drehte sich d’Artagnan nach dieser um. Die arme Frau war auf einen Lehnstuhl zurückgesunken und halb ohnmächtig. D’Artagnan schaute sie mit einem raschen Blick prüfend an. Es war eine reizende Frau von fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, brünett, mit blauen Augen, leicht aufgestülpter Nase und einem von Rosa und Opal marmorirten Teint. Hier aber hörten die Zeichen auf, nach welchen man sie mit einer vornehmen Dame hätte verwechseln können. Die Hände waren weiß, aber nicht zart, die Füße kündigten keine Frau von Stand an. Zum Glücke konnte sich d’Artagnan noch nicht mit allen diesen Einzelnheiten beschäftigen.

Als d’Artagnan in seiner Musterung der Frau Bonacieux bis zu den Füßen gelangte, sah er auf dem Boden ein feines Batisttuch, das er seiner Gewohnheit gemäß aufhob, und erkannte an der Ecke dieselbe Zeichnung, wie an dem Taschentuch, wegen dessen er sich mit Aramis beinahe auf Leben und Tod hätte schlagen müssen. Von dieser Zeit an mißtraute d’Artagnan allen mit Wappen verzierten Sacktüchern und er steckte deshalb das von ihm aufgehobene, ohne ein Wort zu sagen, in die Tasche der Frau Bonacieux.

In diesem Augenblick kam Frau Bonacieux wieder zu sich; sie schlug die Augen auf, schaute erschrocken um sich und sah, daß das Zimmer leer und sie mit ihrem Befreier allein war. Sie reichte ihm alsbald lächelnd die Hände. Frau Bonacieux besaß das reizendste Lächeln in der Welt.

»Ah! mein Herr,« sprach sie, »Ihr habt mich gerettet. Erlaubt mir, daß ich Euch danke.«

»Madame,« sagte d’Artagnan, »ich habe nicht mehr gethan, als jeder Edelmann an meiner Stelle gethan haben würde. Ihr seid mir also keinen Dank schuldig.«

»Gewiß, mein Herr, gewiß, und ich hoffe, Euch beweisen zu können, daß Ihr keiner Undankbaren einen Dienst geleistet habt. Aber was wollten denn diese Menschen, die ich Anfangs für Diebe gehalten habe, und warum ist Herr Bonacieux nicht hier?«

»Madame, diese Menschen waren bei weitem gefährlicher, als Diebe sein könnten; denn es sind Schergen des Herrn Kardinals, und was Euern Gatten, den Herrn Bonacieux, betrifft, so befindet sich dieser nicht hier, weil man ihn gestern verhaftet und nach der Bastille abgeführt hat.«

»Mein Mann in der Bastille!« rief Frau Bonacieux; »o mein Gott, was hat er denn gethan, dieser arme liebe Mann, er ist ja die Unschuld selbst!«

Und etwas wie ein Lächeln trat auf dem noch erschrockenen Antlitz der jungen Frau hervor.

»Was er gethan hat, Madame?« sprach d’Artagnan; »ich glaube, sein Verbrechen besteht einzig und allein darin, daß er zugleich das Glück und das Unglück hat, Euer Gatte zu sein.« – »Aber, mein Herr, Ihr wißt also …« – »Ich weiß, daß man Euch entführt hat, Madame.« – »Und wer hat dies gethan? Wißt Ihr es? O! wenn ihr es wißt, so sagt es mir.« –»Ein Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, mit schwarzen Haaren, dunkler Gesichtsfarbe und einer Narbe an der linken Schläfe.« – »So ist es, so ist es, aber sein Name?« – »Ah! sein Name? Ich weiß ihn nicht.« – »Und mein Mann, wußte er, daß man mich gewaltsam weggebracht hatte?« – »Er war von dem Entführer selbst davon benachrichtigt worden.« – »Und hat er irgend einen Verdacht in Beziehung auf die Ursache dieses Ereignisses?« fragte Frau Bonacieux mit einer Verlegenheit. – »Er schrieb dasselbe einer politischen Ursache zu.« – »Anfangs zweifelte ich daran, und nun theile ich seine Ansicht. Also hat dieser gute Herr Bonacieux mich nicht einen Augenblick im Verdacht gehabt?« – »Ach! weit entfernt, Madame. Er war zu stolz auf Eure Klugheit und besonders auf Eure Liebe.«

Ein zweites, beinahe unmerkliches Lächeln umspielte die rosigen Lippen der schönen jungen Frau.

»Aber wie ist es Euch gelungen zu entfliehen?« fuhr d’Artagnan fort.

»Ich benützte einen Augenblick, wo ich allein blieb, und da ich seit diesem Morgen wußte, was ich von meiner Entführung zu halten hatte, so ließ ich mich mit Hülfe meiner Betttücher vom Fenster herab und lief hierher, in der Hoffnung, meinen Mann zu finden.«

»Um Euch unter seinen Schutz zu stellen?«

»Oh! nein, der arme liebe Mann, ich wußte wohl, daß er unfähig wäre, mich zu vertheidigen. Da er uns aber zu etwas Anderem dienen konnte, so wollte ich ihn hievon in Kenntniß setzen.«

»Wovon?«

»O, das ist nicht mein Geheimniß, ich kann es Euch also nicht sagen.«

»Uebrigens,« sprach d’Artagnan, »verzeiht, Madame, daß ich, ein einfacher Soldat, Euch an Klugheit erinnere, übrigens glaube ich, daß wir uns hier nicht am geeigneten Orte zu vertraulichen Mittheilungen befinden. Die Menschen, welche ich in die Flucht geschlagen habe, werden binnen Kurzem mit bewaffneter Mannschaft zurückkehren, und wenn sie uns hier finden, sind wir verloren. Ich habe wohl drei von meinen Freunden benachrichtigen lassen, aber wer weiß, ob man sie zu Hause traf?«

»Ja, ja, Ihr habt Recht,« rief Frau Bonacieux erschrocken, »fliehen wir, retten wir uns!«

Bei diesen Worten nahm sie d’Artagnan beim Arm und suchte ihn fortzuziehen.

»Aber wohin fliehen?« sprach d’Artagnan. »Wo werden wir sicher sein?«

»Entfernen wir uns zuerst von diesem Hause und das Uebrige wird sich finden.«

Und der junge Mann und die junge Frau gingen rasch, ohne auch nur die Hausthüre zu verschließen, durch die Rue des Fosses – Monsieur-le-Prince und hielten erst auf der Place Saint-Sulpice an.

»Und was fangen wir nun an?« fragte d’Artagnan, »und wohin soll ich Euch führen?«

»Ich bin sehr in Verlegenheit, Euch hierauf zu antworten,« sagte Frau Bonacieux. »Es war meine Absicht, Herrn de la Porte durch meinen Mann benachrichtigen zu lassen, damit er uns genau sagen könnte, was seit drei Tagen im Louvre vorgegangen ist, und ob es nicht gefährlich für mich sei, dort zu erscheinen.«

»Aber ich kann eben so wohl Herrn de la Porte benachrichtigen,« sagte d’Artagnan.

»Allerdings, nur ist dabei ein unglücklicher Umstand zu bedenken. Herrn Bonacieux kennt man im Louvre und ließe ihn passiren, während man Euch nicht kennt und Euch die Thüre verschließen würde.«

»Ah, bah!« sprach d’Artagnan, »Ihr habt gewiß an irgend einer Pforte des Louvre einen Hausmeister, der Euch ergeben ist, und mit Hülfe eines Losungswortes…«

Frau Bonacieux schaute den jungen Mann fest an.

»Und wenn ich Euch dieses Losungswort gebe, »sprach sie, »würdet Ihr es wohl vergessen, sobald Ihr Euch desselben bedient hättet?« – »Bei meiner Ehre, so wahr ich ein Edelmann bin,« sagte d’Artagnan mit einem Ton, der keinen Zweifel an seiner Aufrichtigkeit übrig ließ. – »Gut, ich glaube Euch, Ihr seht aus, wie ein braver junger Mann. Ueberdies ist Euer Glück vielleicht die Folge Eurer Ergebenheit.« – »Ich werde ohne ein Versprechen und freiwillig Alles thun, was in meinen Kräften liegt, um dem König zu dienen und der Königin angenehm zu sein,«sagte d’Artagnan. »Verfügt also über mich, als über einen Freund.« –»Aber ich, wohin werdet Ihr mich einstweilen bringen?« –»Habt Ihr Niemand, bei dem Herr de la Porte Euch abholen konnte?« –»Nein, ich will mich Niemand anvertrauen.« – »Halt!« sprach d’Artagnan, »wir sind an der Thüre von Athos. Ja, so geht es.« –»Wer ist Athos?« – »Einer von meinen Freunden.« – »Aber wenn er zu Hause ist, so sieht er mich.« – »Er ist nicht zu Hause, und ich nehme den Schlüssel mit, nachdem ich Euch in sein Zimmer geführt habe.« – »Und wenn er zurückkommt?« – »Er wird nicht zurückkommen. Ueberdies wird man ihm sagen, ich habe eine Frau gebracht und diese Frau befinde sich in seiner Wohnung.« – »Das wird meinen Ruf zu sehr gefährden, wißt Ihr wohl?« – »Was ist Euch daran gelegen? Man kennt Euch nicht, und abgesehen davon, befinden wir uns in einer Lage, wo man sich einiger Maßen über die Schicklichkeit wegsetzen muß.« – »Gehen wir also zu Eurem Freunde. Wo wohnt er?« – »In der Rue Ferou, zwei Schritte von hier.« – »Vorwärts!«

Uno beide setzten sich wieder in Marsch. Athos war, wie d’Artagnan vorausgesehen hatte, nicht zu Hause. Dieser nahm den Schlüssel, den man ihm als einem Freunde des Miethmannes zu geben gewohnt war, stieg die Treppe hinauf und führte Frau Bonacieux in die von uns bereits beschriebene Wohnung.

»Thut wie daheim,« sprach er, »schließt die Thüre von innen und öffnet Niemand, wenn Ihr nicht dreimal auf folgende Weise klopfen hört; gebt Acht.« Und er klopfte dreimal, zweimal kurz hinter einander und sehr stark, einmal entfernter und leichter.

»Gut,« sprach Frau Bonacieux. Nun ist es an mir. Euch Instructionen zu geben.« – »Ich höre.« – »Begebt Euch nach der Pforte des Louvre auf der Seite der Rue de l’Echelle und fragt nach Germain.« – »Gut, und dann?« – »Er wird Euch fragen, was Ihr wollt, und Ihr antwortet ihm mit den zwei Worten Tours und Brüssel. Sogleich wird er sodann zu Euern Befehlen stehen.« – »Und was soll ich ihm befehlen?« –»Herrn de la Porte, den Kammerdiener der Königin, zu holen.« – »Und wenn er ihn geholt hat und Herr de la Porte kommt?« – »So schickt Ihr ihn zu mir.« – »Ganz gut. Aber wo und wie werde ich Euch wiedersehen?« – »Ist Euch viel daran gelegen, mich wiederzusehen?« – »Gewiß.« – »Ueberlaßt mir die Sorge hiefür und seid ruhig.« – »Ich baue auf Euer Wort.« – »Rechnet darauf.«

D’Artagnan verabschiedete sich von Frau Bonacieux mit dem verliebtesten Blick, den er auf ihrer reizenden kleinen Person zu concentriren vermochte, und während er die Treppen hinabstieg, hörte er die Thüre doppelt hinter sich verschließen. Mit zwei Sprüngen war er am Louvre. Als er durch die Pforte an der Rue de l’Echelle trat, schlug es zehn Uhr. Die von uns mitgetheilten Ereignisse waren im Verlauf einer halben Stunde erfolgt.

Alles ging, wie Frau Bonacieux vorhergesagt hatte. Auf das bestimmte Losungswort verbeugte sich Germain; zwei Minuten nachher befand sich de la Porte in der Loge; mit zwei Worten theilte ihm d’Artagnan das Nothwendige mit und bezeichnete ihm den Aufenthalt der Frau Bonacieux. Sobald de la Porte die Adresse genau wußte, entfernte er sich in größter Eile; kaum hatte er jedoch zehn Schritte gemacht, als er zurückkehrte und zu d’Artagnan sagte:

»Junger Mann, einen Rath!« – »Welchen?« – »Man könnte Euch wegen dessen, was vorgefallen ist, beunruhigen.« – »Ihr glaubt?« –»Ja, habt Ihr einen Freund, dessen Uhr nachgeht?« – »Nun?« – »Geht zu ihm, damit er bezeugen kann, Ihr wäret um halb zehn Uhr bei ihm gewesen. Das nennt man in der Justiz ein Alibi.«

D’Artagnan fand den Rath klug. Er lief über Hals und Kopf und kam zu Herrn von Treville. Aber statt wie alle Welt in den Salon zu gehen, bat er, in sein Cabinet eingelassen zu werden. Da d’Artagnan einer der täglichen Gäste des Hotels war, so setzte man seiner Bitte keine Schwierigkeiten entgegen und benachrichtigte Herrn von Treville, sein junger Landsmann, der ihm etwas Wichtiges mitzutheilen habe, verlange eine Privataudienz. Nach fünf Minuten fragte Herr von Treville d’Artagnan, in was er ihm zu Dienst sein könne, und welchem Umstand er seinen späten Besuch zuzuschreiben habe?

»Um Vergebung, gnädiger Herr,« sprach d’Artagnan, der den Augenblick seines Alleinseins dazu benützt hatte, die Uhr um drei Viertelstunden zurückzurücken; »ich dachte, da es erst neun Uhr fünfundzwanzig Minuten sei, so könne ich mich wohl noch bei Euch einfinden.«

»Neun Uhr fünfundzwanzig Minuten!« rief Herr von Treville und schaute nach seiner Pendeluhr; »das ist unmöglich!«

»Seht selbst, gnädiger Herr, dort ist der Beweis.«

»Es ist richtig,« versetzte Herr von Treville, »ich hätte geglaubt, es wäre später. Doch laßt hören, was wollt Ihr von mir?«

D’Artagnan machte nun Herrn von Treville eine lang Geschichte über die Königin, er setzte ihm seine Befürchtungen in Beziehung auf seine Majestät auseinander, erzählte ihm, was er von den Projekten des Kardinals in Betreff Buckinghams hatte sagen hören, und Alles dies mit einer Ruhe, mit einer festen Haltung, wodurch sich Herr von Treville um so leichter bethören ließ, als er ja selbst wahrgenommen hatte, daß etwas Neues zwischen dem König, der Königin und dem Kardinal vorging.

Als es zehn Uhr schlug, verließ d’Artagnan Herrn von Treville, der ihm für seine Nachrichten dankte und ihm empfahl, den Dienst des Königs und der Königin wohl im Auge und im Herzen zu haben. Aber unten an der Treppe erinnerte sich d’Artagnan, daß er seinen Stock vergessen hatte. Er stieg schnell wieder hinauf, kehrte in das Cabinet zurück, rückte die Uhr mit dem Finger an ihre Stunde vor, damit man am andern Morgen nicht bemerken konnte, daß man sie in Unordnung gebracht hatte, und da er nun eines Zeugen für sein Alibi gewiß war, lief er wieder die Treppe hinab und befand sich in Kurzem abermals auf der Straße.