XXV.

Porthos.

Statt sich unmittelbar nach Haus zu begeben, stieg d’Artagnan vor dem Hotel des Herrn von Treville ab und sprang rasch die Treppe hinauf. Diesmal war er entschlossen, ihm Alles zu erzählen, was sich ereignet hatte. Er hoffte von ihm einen guten Rat in der ganzen Angelegenheit; indem Herr von Treville die Königin beinahe täglich sah, so konnte dieser auch bei Ihrer Majestät Erkundigungen über die arme Frau einziehen, welche man ohne Zweifel ihre Ergebenheit für ihre Gebieterin bezahlen ließ.

Herr von Treville hörte die Erzählung des jungen Mannes mit einem Ernste an, woraus hervorging, daß er in diesem ganzen Abenteuer etwas Anderes sah, als eine Liebesintrigue. Als d’Artagnan vollendet hatte, sagte er:

»Hm! das riecht auf eine Meile nach dem Kardinal.«

»Aber was ist zu thun?« fragte d’Artagnan.

»Nichts, durchaus nichts, zu dieser Stunde, als Paris, wie ich Euch gesagt habe, so schnell als möglich zu verlassen. Ich werde die Königin sehen, ich werde ihr alle einzelnen Umstände von dem Verschwinden der armen Frau, wovon sie vielleicht noch gar nichts weiß, mittheilen; diese Umstände werden ihr als Leitfaden dienen, und bei Eurer Rückkehr habe ich vielleicht gute Kunde für Euch. Verlaßt Euch auf mich.«

D’Artagnan wußte, daß Herr von Treville, obgleich Gascogner, nicht die Gewohnheit hatte, zu viel zu versprechen, und daß er, wenn er zufällig versprach, Wort hielt. Er verabschiedete sich von ihm, voll Dankbarkeit für das Vergangene und für die Zukunft, und der würdige Kapitän, der eine lebhafte Theilnahme für diesen so muthigen, so entschlossenen jungen Mann fühlte, drückte ihm liebevoll die Hand und wünschte ihm glückliche Reise.

Entschlossen, sogleich den Rath des Herrn von Treville in Ausführung zu bringen, wanderte d’Artagnan nach der Rue des Fossoyeurs, um beim Packen seines Mantelsacks gegenwärtig zu sein. Als er sich Nro. 11 näherte, erkannte er Herrn Bonacieux, der in einem Morgenanzug auf der Schwelle seiner Thüre stand. D’Artagnan erinnerte sich alles dessen, was ihm der kluge Planchet Tags zuvor über den zweideutigen Charakter seines Wirthes gesagt hatte, und schaute ihn aufmerksamer an, als je zuvor. Außer der gelblichen krankhaften Blässe, welche die Einsickerung der Galle in das Blut andeutet und nur zufällig sein konnte, bemerkte d’Artagnan etwas duckmäuserisch Treuloses in der Art und Weise, wie er sein Gesicht zu runzeln gewohnt war. Ein Schelm lacht nicht auf dieselbe Art, wie ein ehrlicher Mann, ein Heuchler weint nicht dieselben Thränen, wie ein Mann von Treu und Glauben. Jede Falschheit ist eine Maske; so gut diese auch gemacht sein mag, mit etwas Geduld und Aufmerksamkeit lernt man sie immer vom Gesicht unterscheiden.

D’Artagnan kam es also vor, als ob Herr Bonacieux eine Maske trüge, und zwar eine der unangenehmsten, die man sehen konnte.

Ueberwältigt von dem Widerwillen, den ihm dieser Mensch einflößte, ging er an ihm vorüber, ohne mit ihm zu sprechen, als Herr Bonacieux, wie am Tage zuvor, d’Artagnan anrief.

»Ei! ei! junger Mann,« sprach er, »es scheint mir, wir machen Faschingsnächte? Morgens sieben Uhr, pest! Ihr wollt wahrscheinlich den Gebrauch umdrehen, und kommt nach Haus, wenn Andere ausgehen.«

»Euch kann man diesen Vorwurf nicht machen, Meister Bonacieux, denn Ihr seid ein wahres Muster von einem geordneten Mann. Wenn man eine hübsche junge Frau hat, braucht man allerdings dem Glücke nicht nachzulaufen; das Glück sucht Euch auf, nicht wahr, Herr Bonacieux?«

Bonacieux wurde bleich wie der Tod, und schnitt eine Grimasse, welche ein Lächeln bedeuten sollte.

»Ah! ah!« sprach Bonacieux, »Ihr seid ein lustiger Geselle. Aber wo seid Ihr denn die ganze Nacht umhergelaufen, junger Herr? Die Nebenwege scheinen nicht sehr gut gewesen zu sein.«

D’Artagnan senkte seine Augen gegen seine ganz mit Koth bedeckten Stiefel, aber bei dieser Bewegung traf sein Blick zugleich die Schuhe und Strümpfe des Krämers; man hätte in der That glauben sollen, sie wären in denselben Schlamm getaucht worden; an den einen, wie an den andern zeigten sich ganz dieselben Schmutzflecken.

Plötzlich durchzuckte ein Gedanke d’Artagnans Geist; der kleine, kurze, dicke, gräuliche, lakaienartige, schlecht gekleidete Mann, der von den Kriegsleuten, welche die Escorte bildeten, ohne alle Achtung behandelt worden, war Bonacieux selbst. Der Mann hatte die Entführung seiner Frau geleitet.

D’Artagnan fühlte ungeheure Lust, dem Krämer an die Gurgel zu springen und ihn zu erdrosseln; allein er war, wie gesagt, ein kluger Bursche und hielt sich zurück. Aber der Aufruhr, der in seinem Innern vorging, drückte sich so sichtbar auf seinem Antlitz aus, daß Bonacieux darüber in Schrecken gerieth und einen Schritt zurückzuweichen suchte; er befand sich jedoch gerade vor dem geschlossenen Thürflügel, und dieses materielle Hinderniß, auf das er stieß, zwang ihn, auf seiner Stelle zu bleiben.

»Ei! ei! Ihr spaßt, mein guter Herr,« sagte d’Artagnan, »mir scheint es, wenn meine Stiefel des Schwammes bedürfen, so fordern Eure Schuhe und Eure Strümpfe einigermaßen die Bürste. Solltet Ihr etwa ebenfalls herumgestrichen sein, Meister Bonacieux? Ah! Teufel, das wäre unverzeihlich bei einem Mann von Eurem Alter, und vollends bei einem Mann, der eine so hübsche Frau hat, wie Ihr.«

»Ach! mein Gott, nein,« sagte Bonacieux, »aber ich war gestern in Saint-Mandé, um Erkundigungen über eine Magd einzuziehen, da ich nothwendig eine solche dingen muß; und da die Wege schlecht waren, so brachte ich all den Schmutz mit, dessen ich mich aus Mangel an Zeit noch nicht entledigen konnte.«

Der von Bonacieux als Ziel seiner Wanderung bezeichnete Ort war eine neue Bestätigung des Verdachtes, welcher sich in d’Artagnan geregt hatte. Bonacieux nannte Saint-Mandé, weil Saint-Mandé gerade in der entgegengesetzten Richtung von Saint-Cloud lag.

Diese Vermuthung gereichte ihm zum ersten Trost. Wußte Bonacieux, wo seine Frau war, so konnte man immerhin zu gewagten Mitteln greifen und den Krämer zwingen, den Mund aufzuthun und sein Geheimniß zu verrathen. Man mußte diese Vermuthung in Gewißheit verwandeln.

»Ich bitte um Vergebung, mein lieber Herr Bonacieux, wenn ich mit Euch ohne alle Umstände verfahre,« sprach d’Artagnan, »aber nichts greift so sehr an, als eine Nacht nicht geschlafen zu haben, und mich plagt ein wüthender Durst; erlaubt mir ein Glas Wasser bei Euch zu trinken, Ihr wißt, Nachbarn verweigern das einander nicht.«

Und ohne die Antwort seines Wirthes abzuwarten, trat d’Artagnan rasch in das Haus ein, und warf einen Blick auf das Bett. Es war unberührt und Bonacieux hatte sich nicht schlafen gelegt. Es unterlag keinem Zweifel, er war erst seit ein paar Stunden zurückgekehrt und hatte seine Frau an den Ort, wohin man sie führte, oder wenigstens bis zum ersten Relais begleitet.

»Ich danke, Meister Bonacieux,« sagte d’Artagnan sein Glas leerend, »das war Alles, was ich von Euch wollte. Nun gehe ich in mein Zimmer, lasse mir von Planchet meine Stiefel putzen, und ist er damit fertig, so schicke ich ihn, wenn Ihr wollt, zu Euch, daß er Eure Schuhe bürstet.«

Und er verließ den Krämer, der über diesen seltsamen Abschied ganz erstaunt war und sich fragte, ob er sich nicht durch irgend eine unbesonnene Rede bloßgestellt habe.

Oben auf der Treppe fand d’Artagnan seinen Diener Planchet in der größten Bestürzung.

»Ah! gnädiger Herr,« rief der Lakai, sobald er seinen Herrn erblickt, »endlich seid Ihr hier, ich konnte Eure Rückkehr kaum erwarten!« – »Was gibt es denn?« – »Oh! ich wette hundert, ich wette tausend, gnädiger Herr, gegen Eins, daß Ihr den Besuch nicht errathet, den ich in Eurer Abwesenheit für Euch erhalten habe.« – »Wann?« – »Vor einer halben Stunde, während Ihr bei Herrn von Treville wäret.« – »Wer ist denn hier gewesen? sprich.« – »Herr von Cavois.« – »Herr von Cavois?« – »In eigener Person.« – »Der Kapitän der Leibwachen Seiner Eminenz?« – »Er selbst.« – »Er wollte mich ohne Zweifel verhaften?« – »Ich habe es vermuthet trotz seiner freundlichen Miene. – »Er sah freundlich aus, sagst Du?« – »Er war ganz Honig, gnädiger Herr.« – »Wirklich?« – »Er sagte, er komme von Seiner Eminenz, die Euch sehr wohl wolle, um Euch zu bitten, ihm ins Palais Royal zu folgen.« – »Und Du hast ihm geantwortet?« – »Es sei dies nicht möglich, insofern Ihr Euch außer dem Hause befändet, wie er selbst sehen könne.« – »Was sagte er hierauf?« – »Ihr würdet wohl nicht verfehlen, ihn im Verlauf des Tages zu besuchen; dann fügte er noch ganz leise bei: ›Sage Deinem Herrn, Seine Eminenz sei sehr wohl gesinnt gegen ihn, und sein Glück hänge vielleicht von dieser Zusammenkunft ab.‹ – »Diese Falle war für den Kardinal ziemlich ungeschickt gestellt,« versetzte der junge Mann lächelnd. – »Ich habe die Falle auch gesehen und erwiederte, Ihr würdet bei Euerer Rückkehr sehr bedauern, nicht sogleich da gewesen zu sein.« – ›Wohin ist er gegangen?‹ – fragte Herr von Cavois. – ›Nach Troyes in der Champagne,‹ antwortete ich.« – ›Und wann ist er abgereist?‹ – ›Gestern Abend.‹ »Planchet, mein Freund,« unterbrach ihn d’Artagnan, »Du bist in der That ein herrlicher Bursche.« – »Ich dachte natürlich, wenn Ihr Herrn von Cavois sehen wolltet, so sei es immer noch Zeit, mich Lügen zu strafen und zu sagen, Ihr habet keine Reise unternommen: ich hätte in diesem Falle gelogen, und da ich kein Edelmann bin, so kann ich wohl lügen.« – »Sei unbesorgt. Du sollst Deinen Ruf als wahrheitsliebender Mann behalten; in einer Viertelstunde reisen wir.« – »Diesen Rath wollte ich eben dem gnädigen Herrn geben; und wohin gehen wir? das möchte ich wohl erfahren, ohne neugierig zu sein.« – »Gerade in entgegengesetzter Richtung von der Gegend, die Du genannt hast. Dir scheint übrigens an Nachrichten von Grimaud, Mousqueton und Bazin nicht so viel zu liegen, wie wir an Nachrichten über Athos, Porthos und Aramis.« – »Oh! gewiß! gnädiger Herr,« erwiederte Planchet, »und ich reise, wann Ihr wollt; die Provinzluft taugt, wie ich glaube, in diesem Augenblick besser für uns als die Pariser Luft. Also … »Schnüre Deine Bündel, Planchet, und dann vorwärts; ich gehe mit den Händen in der Tasche, damit man keinen Verdacht schöpft, voraus. Du holst mich im Hotel der Garden ein. Doch – beiläufig gesagt – Du hattest Recht in Beziehung auf unsern Wirth, das ist offenbar eine schändliche Canaille.« – »Oh! glaubt mir immer, wenn ich Euch etwas sage; ich bin ein Physiognomiker, ich!«

D’Artagnan ging verabredeter Maßen zuerst hinab und wandte sich, um sich keinen Vorwurf machen zu müssen, zum letzten Mal nach der Wohnung seiner drei Freunde; man hatte keine Nachricht von ihnen erhalten; nur ein ganz von Wohlgerüchen geschwängerter Brief von äußerst zarter und zierlicher Handschrift war für Aramis eingelaufen. D’Artagnan übernahm denselben. Zehn Minuten nachher traf Planchet mit ihm in den Ställen des Hotels der Garden zusammen. Um keine Zeit zu verlieren, hatte d’Artagnan sein Pferd bereits selbst gesattelt.

»Gut so,« sagte er zu Planchet, als er den Mantelsack festgeschnallt hatte; »nun sattle auch vie drei andern Pferde und dann vorwärts.«

»Glaubt Ihr, daß wir jeder mit zwei Pferden schneller reisen?« fragte Planchet mit einer verschmitzten Miene.

»Nein, nein, schlechter Spaßvogel,« antwortete d’Artagnan, »aber mit unsern vier Pferden können wir unsere drei Freunde zurückbringen, wenn wir sie überhaupt noch lebend finden.«

»Das wäre ein großes Glück,« sprach Planchet, »aber man darf an der Barmherzigkeit Gottes nicht verzweifeln.«

»Amen,« rief d’Artagnan und stieg zu Pferde.

Beide verließen das Hotel der Garden, jedoch auf verschiedenen Straßen, der Eine um den Wog durch die Barriere de la Villete zu nehmen, der Andere, um durch die Barriere Montmartre zu reiten, und jenseits Saint-Denis sollten sie sich sodann wiederzusammenfinden – ein strategisches Manöver, das von beiden Seiten mit gleicher Pünktlichkeit ausgeführt und von den glücklichsten Resultaten gekrönt wurde. D’Artagnan und Planchet ritten also mit einander in Pierresitte ein.

Planchet war allerdings muthiger bei Tag als bei Nacht. Seine natürliche Klugheit verließ ihn jedoch keinen Augenblick. Er hatte keinen von den Vorfällen der ersten Reise vergessen und glaubte in allen Menschen, denen er auf der Reise begegnete. Feinde zu erblicken. Dem zu Folge hielt er unablässig den Hut in der Hand, was ihm strenge Verweise von Seiten d’Artagnan’s zuzog, welcher befürchtete, man möchte ihn bei diesem Uebermaß von Höflichkeit für einen Mann von geringem Stande ansehen.

Wurden die Vorübergehenden wirklich durch das artige Benehmen Planchets gerührt oder hatte man diesmal Niemand an dem Wege des jungen Mannes in Hinterhalt gelegt – unsere Reisenden gelangten jedenfalls, ohne irgend einen Unfall zu erleben, nach Chantilly und stiegen vor dem Gasthause zum großen Sanct Martin ab, wo sie bei ihrer ersten Reise angehalten hatten.

Der Wirth trat ehrfurchtsvoll auf die Schwelle seiner Thüre, als er einen jungen Mann, mit einem Lakaien und zwei Handpferden kommen sah. Da d’Artagnan bereits elf Meilen zurückgelegt hatte, so hielt er es für zweckdienlich, einzukehren, ob Porthos in dem Wirthshaus wäre oder nicht. Vielleicht war es auch nicht der Klugheit gemäß, mit der Thüre ins Haus zu fallen und sich sogleich zu erkundigen, was aus dem Musketier geworden. Durch diese Betrachtungen bewogen, stieg d’Artagnan ab, ohne sich nach irgend Jemand zu erkundigen, empfahl die Pferde seinem Lakaien, trat in ein kleines Zimmer, das zur Aufnahme von Gästen bestimmt war, welche allein zu bleiben wünschten, und verlangte von dem Wirth eine Flasche von seinem besten Wein, und ein Frühstück so gut, als man es haben könne; dieses Verlangen bestärkte den Gastgeber noch mehr in der guten Meinung, die er beim ersten Blick von dem Reisenden gefaßt hatte.

D’Artagnan wurde auch mit wunderbarer Geschwindigkeit bedient. Das Regiment der Garden rekrutierte sich unter den ersten Edelleuten des Königreichs; von einem Lakaien gefolgt und mit vier prachtvollen Pferden reisend, mußte also d’Artagnan trotz der Einfachheit seiner Uniform notwendig einiges Aufsehen erregen. Der Wirth wollte ihn selbst bedienen. Als d’Artagnan dieß sah, ließ er zwei Gläser herbeischaffen und knüpfte folgendes Gespräch an:

»Meiner Treu, mein lieber Wirth,« sprach d’Artagnan, die zwei Gläser füllend, »ich verlangte von Eurem besten Wein, und wenn Ihr mich getäuscht habt, so sollt Ihr da gestraft werden, wo Ihr sündigtet, insofern Ihr mit mir trinken müßt, da ich es hasse, allein eine Flasche zu leeren. Nehmt also dieses Glas und laßt uns trinken. Auf was wollen wir trinken, um keine empfindliche Seite zu verletzen? Trinken wir auf die Wohlfahrt Eures Gasthofes.« – »Eure Herrlichkeit erweist mir eine große Ehre,« sprach der Wirth, »und ich danke von Herzen für diesen guten Wunsch.« – »Täuscht Euch nicht,« sprach d’Artagnan, »es liegt in meinem Toast vielleicht mehr Selbstsucht, als Ihr wohl glauben möget. Nur in den Gasthöfen, welche gedeihen, findet man gute Aufnahme; in denjenigen, welche in der Abnahme begriffen sind, geht Alles drunter und drüber, und der Reisende ist das Opfer der Verlegenheiten seines Wirthes. Da ich aber viel und besonders viel auf dieser Straße reise, so wünschte ich, daß es allen Gastgebern wohl erginge.« – »In der That,« sprach der Wirth, »es scheint mir, es ist nicht das erste Mal, daß ich die Ehre habe, den gnädigen Herrn zu sehen.« – »Bah! ich bin mehr als zehnmal durch Chantilly gereist und dabei wenigstens drei bis viermal bei Euch eingekehrt. Ich war sogar vor zehn bis zwölf Tagen hier. Damals begleitete ich Freunde, Musketiere. Zum Beweis hiefür erinnere ich Euch daran, daß einer von ihnen mit einem Fremden, einem Unbekannten, in Streit gerieth, der, Gott weiß warum, Händel mit ihm suchte.« – »Ah, ja, wahrhaftig!« sprach der Wirth. »Eure Herrlichkeit meint wohl Herrn Porthos?« – »Das ist gerade der Name meines Reisegefährten. Mein Gott! mein lieber Wirth, sagt mir, sollte ihm etwa ein Unglück widerfahren sein?« – »Eure Herrlichkeit muß wohl wahrgenommen haben, daß er seine Reise nicht fortsetzen konnte.« – »In der That, er versprach uns, sogleich nachzufolgen, und wir haben ihn nicht wiedergesehen.« – »Er hat uns die Ehre erzeigt, hier zu bleiben.« – »Wie? er hat Euch die Ehre erzeigt, hier zu bleiben?« – »Ja, gnädiger Herr, in diesem Gasthof. Wir sind sogar sehr in Unruhe.« – »Worüber?« – »Ueber gewisse Ausgaben, die er gemacht hat.« – »Gut! aber er wird die Ausgaben, die er gemacht hat, bezahlen.« – »Ah, gnädiger Herr, Ihr gießt mir in der That Balsam in das Blut. Wir haben große Vorschüsse geleistet und noch diesen Morgen erklärte uns der Wundarzt, wenn ihn Herr Porthos nicht bezahle, so werde er sich an mich halten, da ich ihn habe holen lassen.« – »Porthos ist also verwundet?« – »Ich wüßte es Euch nicht zu sagen, gnädiger Herr.« – »Wie, Ihr wüßtet es mir nicht zu sagen? Ihr solltet doch besser unterrichtet sein, als irgend Jemand.« – »Ja, aber wir in unserem Stande sagen nicht Alles, was wir wissen, besonders wenn man uns bedeutet hat, daß unsere Ohren für unsere Zunge haften müssen.« – »Kann ich Porthos sehen?« – »Gewiß, gnädiger Herr, geht die Treppe hinauf und klopft im ersten Stocke an Nr. 1, nur thut ihm kund, daß Ihr es seid.« – »Wie, ich soll ihm kundthun, daß ich es bin?« – »Ja, es könnte Euch sonst ein Unglück widerfahren.« – »Und welches Unglück soll mir widerfahren?« – »Herr Porthos könnte Euch für Jemand aus dem Hause halten und Euch in einem Anfall von Zorn den Degen durch den Leib rennen oder die Hirnschale zerschmettern.« – »Was habt Ihr ihm denn gethan?« – »Wir haben Geld von ihm gefordert!« – »Ah, Teufel, ich begreife es. Das ist eine Forderung, welche Porthos sehr übel aufnimmt, wenn er nicht bei Kasse ist; aber ich weiß, daß er dies sein sollte.« – »Das haben wir auch gedacht, gnädiger Herr; da in diesem Hause große Ordnung herrscht, und wir jede Woche unsere Rechnungen machen, so überreichten wir ihm nach Verlauf von acht Tagen unsere Note; aber es scheint, wir hatten hiezu einen ungünstigen Augenblick gewählt, denn bei dem ersten Wort, das wir über diesen Gegenstand sprachen, wünschte er uns zu allen Teufeln; allerdings hatte er den Tag vorher gespielt.« – »Wie, er hatte gespielt, und mit wem?« – »O mein Gott, wer weiß? Mit einem durchreisenden vornehmen Herrn, dem er eine Partie Landsknecht antragen ließ.« – »Das ist es, der Unglückliche wird wohl Alles verloren haben.« – »Bis auf sein Pferd, gnädiger Herr, denn als der Fremde abreisen wollte, gewahrten wir, daß er das Pferd des Herrn Porthos durch seinen Lakaien satteln ließ. Wir machten ihm hierüber eine Bemerkung, aber er erwiederte uns, wir mischen uns in Dinge, die uns nichts angehen, und das Pferd gehöre ihm. Wir ließen auch Herrn Porthos von dem Vorfall in Kenntniß setzen, doch er antwortete, wir seien Schufte, daß wir an dem Wort eines Edelmannes zweifelten, und da dieser uns gesagt habe, das Pferd gehöre ihm, so müsse es wohl auch so sein.« – »Daran erkenne ich ihn,« murmelte d’Artagnan. – »Darauf ließ ich ihm sagen,« fuhr der Wirth fort, »wenn wir uns in Betreff der Bezahlung nicht verstehen können, so müsse ich hoffen, daß er wenigstens die Güte habe, die Gunst seiner Kundschaft meinem Kollegen, dem Wirth zum goldenen Adler, zuzuwenden; aber Herr Porthos antwortete mir, da mein Gasthof der beste sei, so wünsche er hier zu bleiben. Diese Antwort war zu schmeichelhaft, als daß ich auf seinem Auszug bestehen konnte. Ich bat ihn also blos, er möchte mir sein Zimmer, das schönste im Gasthof, zurückgeben und sich mit einem hübschen Cabinet im dritten Stock begnügen. Hierauf aber erwiederte Herr Porthos, da er jeden Augenblick seine Geliebte, eine der vornehmsten Damen des Hofes erwarte, so müsse ich einsehen, daß das Zimmer, welches er zu bewohnen mir die Ehre erweise, immer noch sehr mittelmäßig für eine solche Person sei. Obschon ich die Wahrheit des Gesagten vollkommen einsah, glaubte ich dennoch auf meiner Forderung bestehen zu müssen. Aber er gab sich nicht einmal die Mühe, sich mit mir in eine Discussion darüber einzulassen, sondern nahm seine Pistole, legte sie auf seinen Nachttisch und erklärte, daß er beim ersten Wort, welches man über ein Ausziehen nach einem andern Gasthof oder im Innern des Hauses zu ihm zu sprechen sich erfreche, demjenigen die Hirnschale zerschmettern werde, der so unklug wäre, sich in eine Angelegenheit zu mischen, die ihn nichts anginge. Seit dieser Zeit, gnädiger Herr, betritt außer seinem Bedienten Niemand mehr sein Zimmer.« – »Mousqueton ist also hier?« – »Ja, gnädiger Herr. Fünf Tage nach seiner Abreise ist er in sehr übler Laune zurückgekehrt. Es scheint, es sei ihm auch eine Unannehmlichkeit auf seiner Reise widerfahren. Leider ist er noch flinker als sein Herr und kehrt für diesen das Unterste zu oberst; da er glaubt, man könnte ihm verweigern, was er fordert, so nimmt er Alles, was er braucht, ohne zu fordern.« – »Ich habe bei Mousqueton allerdings stets eine ungewöhnliche Ergebenheit und Geisteskraft wahrgenommen,« erwiederte d’Artagnan. – »Das ist möglich, gnädiger Herr; aber setzt den Fall, ich komme nur viermal im Jahre mit einer solchen Ergebenheit und Geisteskraft in Berührung, so bin ich ein zu Grunde gerichteter Mann.« – »Nein, denn Porthos wird Euch bezahlen.« – »Hm,« murmelte der Wirth mit zweifelhaftem Tone. –»Er ist der Günstling einer vornehmen Dame, die ihn wegen einer Bagatelle, die er Euch schuldig ist, nicht im Stich lassen wird.« – »Wenn ich es wagte, Euch zu sagen, was ich hierüber denke …« – »Was denkt Ihr hierüber?« – »Ich dürfte sogar sagen: was ich hierüber weiß.« – »Was Ihr wißt?« – »Und sogar was ich ganz gewiß weiß.« – »Und was wißt Ihr gewiß? Laßt hören!« – »Ich dürfte sagen, ich kenne diese vornehme Dame.« – »Ihr?« – »Ja, ich.« – »Und woher kennt Ihr sie?« – »O, gnädiger Herr, wenn ich mich Eurer Verschwiegenheit anvertrauen dürfte…« – »Sprecht! und auf Edelmannswort, Ihr sollt Euer Vertrauen nicht zu bereuen haben.« – »Wohl, gnädiger Herr. Ihr begreift, daß die Besorgniß zu allerhand Dingen leitet.« »Was habt Ihr gemacht?« – »Oh! nichts, was nicht in der Befugniß eines Gläubigers läge.« – »Nun?« – »Herr Porthos übergab uns ein Billet für diese Herzogin, mit dem Befehl, es auf die Post zu bringen. Sein Bedienter war noch nicht angelangt. Da er sein Zimmer nicht verlassen konnte, so mußten wir seine Aufträge zur Besorgung übernehmen.« – »Weiter?« – »Statt den Brief auf die Post zu bringen, was nie ganz sicher ist, benützten wir die Gelegenheit, da gerade einer von unsern Aufwärtern nach Paris ging, und beauftragten ihn, den Brief der Herzogin selbst zuzustellen. Dieß hieß den Absichten von Herrn Porthos entsprechen, der uns seinen Brief so sehr empfohlen hatte, nicht wahr?« – »Ungefähr.« – »Nun, gnädiger Herr, wißt Ihr, wer diese große Dame ist?« – »Nein, ich habe nur Porthos von ihr sprechen hören.« – »Wißt Ihr, wer diese angebliche Herzogin ist?« – »Ich wiederhole Euch, ich kenne sie nicht.« – »Es ist eine alte Frau, die Gattin eines Prokurators beim Chatelet, gnädiger Herr, Madame Coquenard; sie hat wenigstens ihre fünfzig Jahre auf dem Rücken und spielt noch die Eifersüchtige. Das kam mir auch ganz sonderbar vor – eine Prinzessin, die in der Rue aux Ours wohnt!« – »Woher wißt Ihr dies?« – »Weil sie in gewaltigen Zorn gerieth, als sie den Brief empfing, und sagte: Herr Porthos sei ein flatterhafter Mensch und habe wohl irgend einer Frauensperson wegen den Degenstich bekommen.« – »Er hat also einen Degenstich bekommen?« – »Ah! mein Gott! was habe ich da gesagt?« – »Ihr sagtet, Porthos habe einen Degenstich bekommen.« – »Ja, aber er hat mir streng verboten, darüber zu sprechen.« – »Warum dies?« – »Weil er sich gerühmt hatte, er werde diesen Fremden, mit dem Ihr ihn im Streite zurückließet, durchbohren, während dieser Fremde im Gegentheil ihn trotz aller seiner Prahlereien zu Boden streckte. Da nun Herr Porthos ein sehr eitler Mann ist, zumal seiner Herzogin gegenüber, die er durch Erzählung seines Abenteuers für sich gewinnen zu können geglaubt hatte, so will er Niemand zugestehen, daß er einen Degenstich erhalten hat.« – »Also hält ihn ein Degenstich im Bette zurück?« – »Und zwar ein Hauptstich. Die Seele Eures Freundes muß mit Pflöcken im Körper befestigt sein.« – »Ihr wäret also dabei?« – »Gnädiger Herr, ich folgte ihnen aus Neugierde, und sah den Kampf, ohne daß die Kämpfenden mich sehen konnten.« – »Und wie ging es dabei zu?« – »Oh! die Sache dauerte nicht lang, dafür kann ich Euch wohl stehen. Sie nahmen ihre Stellung. Der Fremde machte eine Finte und stieß zu, und zwar so schnell, daß Herr Porthos, als er zur Parade gelangte, bereits drei Zoll Eisen in der Brust hatte. Der Fremde setzte ihm sogleich die Spitze seines Degens an die Gurgel, aber als sich Herr Porthos der Gnade seines Gegners preisgegeben sah, erklärte er sich für überwunden; der Fremde fragte ihn hierauf nach seinem Namen, und als er erfuhr, daß er Herr Porthos und nicht Herr d’Artagnan hieß, so bot er ihm seinen Arm, führte ihn bis zum Hotel, stieg zu Pferde und verschwand.« – »Also wollte der Fremde Herrn d’Artagnan an den Leib gehen?« – »Es scheint so.« – »Und wißt Ihr, was aus ihm geworden ist?« – »Nein, ich habe ihn bis zu diesem Augenblicke nicht gesehen, und er ist uns auch seitdem nicht wieder zu Gesicht gekommen.« – »Gut, ich weiß, was ich wissen wollte. Ihr sagt also, das Zimmer von Porthos sei im ersten Stock Nro. 1?« – »Ja, gnädiger Herr, das schönste des Gasthofes; ein Zimmer, das ich schon mehr als zehnmal zu vermiethen Gelegenheit gehabt hätte.« – »Bah, beruhigt Euch,« sprach d’Artagnan lachend, »Porthos wird Euch mit dem Gelde der Herzogin Coquenard bezahlen.« – »O gnädiger Herr, Procuratorfsrau oder Herzogin, wenn sie nur ihre Börse öffnen wollte, das wäre mir gleich viel; aber sie hat geradezu erklärt, sie sei der Forderungen und Treulosigkeiten des Herr Porthos müde, und sie werde ihm nicht einen Pfennig schicken.« – »Und habt Ihr diese Antwort Eurem Gaste wieder mitgeteilt?« – »Wir hüteten uns wohl, er würde gesehen haben, auf welche Weise wir seinen Auftrag besorgten.« – »Also wartet er immer noch auf sein Geld?« – »O mein Gott, ja, er hat gestern erst geschrieben, aber dießmal brachte sein Bedienter den Brief auf die Post.« – »Und Ihr sagt, die Person sei alt und häßlich?« – »Wenigstens fünfzig Jahre alt, gnädiger Herr, und durchaus nicht schön, wie Pathaud behauptet.« – »Dann seid ohne Sorgen, sie wird sich erweichen lassen. Ueberdies kann Euch Porthos nicht viel schuldig sein.« – »Wie, nicht viel schuldig! Bereits zwanzig Pistolen, den Arzt nicht zu rechnen. O! er versagt sich nicht das Mindeste, man sieht, daß er gut zu leben gewohnt ist.« – »Wenn ihn seine Geliebte auch verläßt, so wird er doch Freunde finden, dafür bürge ich Euch. Seid also ganz ruhig, mein lieber Wirth, und widmet ihm alle Sorgfalt, welche sein Zustand fordert.« – »Der gnädige Herr hat mir versprochen, den Mund über die Procuratorsfrau nicht zu öffnen und keine Silbe über die Wunde zu sagen?« – »Das ist eine abgemachte Sache. Ihr habt mein Wort darauf.« – »Oh, er würde mich sicherlich umbringen!« – »Seid ohne Furcht! Er ist nicht so teufelmäßig als er aussieht.«

Sofort stieg d’Artagnan die Treppe hinauf, der Wirth aber war in Beziehung auf die zwei Dinge, auf welche er sehr viel zu halten schien, nämlich seine Schuldforderung und sein Leben bedeutend ruhiger.

Oben an der Treppe war an die augenfälligste Thüre der Hausflur mit schwarzer Farbe ein riesiges Nro. 1 geschrieben; d’Artagnan klopfte an, und trat auf die Einladung, welche hierauf erfolgte, in das Zimmer.

Porthos lag im Bette und spielte zum Zeitvertreib eine Parthie Lanzknecht mit Mousqueton, während sich ein mit Rebhühnern beladener Spieß vor dem Feuer drehte und in jeder Ecke eines großen Kamins auf zwei Gluthpfannen zwei Kasserole kochten, aus denen der doppelte Wohlgeruch von Gibelotte und Matelote lieblich hervorströmte. Die Oberfläche eines Schrankes und die Marmortafel einer Kommode waren überdies mit leeren Flaschen bedeckt.

Beim Anblick seines Freundes erhob Porthos ein Freudengeschrei; Mousqueton stand ehrfurchtsvoll auf, trat ihm seinen Platz ab und ging zu den Gluthpfannen, um einen Blick in die Kasserole zuwerfen, deren Oberaufsicht ihm anvertraut zu sein schien.

»Ah, bei Gott, Ihr seid es,« sprach Porthos zu d’Artagnan. »Seid mir willkommen und entschuldigt, daß ich Euch nicht entgegengehe. Aber,« fügte er bei, und schaute d’Artagnan zugleich mit einer gewissen Unruhe an, »Ihr wißt, was mir begegnet ist?« – »Nein.« – »Der Wirth hat Euch nichts gesagt?« – »Ich habe nach Euch gefragt und bin sogleich heraufgegangen.«

Porthos schien freier zu athmen.

»Und was ist Euch denn begegnet, mein lieber Porthos?« fuhr d’Artagnan fort. – »Als ich gegen meinen Widersacher ausfiel, dem ich bereits drei Degenstiche beigebracht hatte und mit dem vierten den Garaus machen wollte, stieß ich mit dem Fuß an einen Stein und verstauchte mir das Knie.« – »Wirklich?« – »Auf Ehre! zum Glück für den Schurken, denn ich hätte ihn todt auf dem Platze gelassen, dafür stehe ich Euch.« – »Und was ist aus ihm geworden?« – »Oh! ich weiß es nicht. Er hatte genug und zog ab, ohne den Rest von mir zu fordern; aber Ihr, mein lieber d’Artagnan, was ist Euch begegnet?« – »Also,« fuhr d’Artagnan fort, »also fesselt Euch diese Verstauchung an das Bett?« – »Ach! mein Gott, ja, nichts Anderes; übrigens werde ich in einigen Tagen wieder auf den Beinen sein.«

– »Aber warum habt Ihr Euch nicht nach Paris transportiren lassen, Ihr müßt Euch hier schrecklich langweilen?« – »Es war meine Absicht, doch ich muß Euch etwas gestehen.« – »Was?« – »Gerade weil ich mich schrecklich langweilte, wie Ihr sagtet, und die fünf und siebzig Pistolen in meiner Tasche hatte, die Ihr mir zutheiltet, ließ ich, um mich zu zerstreuen, einen vorüberziehenden Edelmann zu mir heraufkommen und bot ihm eine Würfelpartie an. Er willigte ein, und, meiner Treu, meine fünf und siebzig Pistolen gingen aus meiner Tasche in die seinige über, mein Pferd gar nicht zu rechnen, das er noch in den Kauf bekam. Aber Ihr, mein lieber d’Artagnan?« – »Was wollt Ihr, mein lieber Porthos, man kann nicht auf jede Weise bevorzugt sein,« sagte d’Artagnan. Ihr kennt das Sprüchwort: »Unglück im Spiel, Glück in der Liebe!« Ihr seid zu glücklich in der Liebe, als daß sich nicht das Spiel rächen sollte. Aber was kümmert Ihr Euch um den Umschlag des Glückes? Habt Ihr, glücklicher Bursche, der Ihr seid, nicht Euere Herzogin, die Euch nothwendig zu Hülfe kommen muß?« – »Seht, mein lieber d’Artagnan, wie Alles gegenwärtig bei mir schief geht,« antwortete Porthos mit der freimüthigsten Miene von der Welt; »ich schrieb ihr um etliche fünfzig Louisd’or, deren ich in Betracht meiner dermaligen Lage durchaus bedürfe.« – »Nun?« – »Nun! sie muß auf ihren Gütern sein, denn sie hat mir gar nicht geantwortet!« – »Wahrhaftig!« – »Nein; auch schickte ich ihr gestern eine neue Epistel noch viel dringenderen Inhaltes als die erste zu; aber da Ihr jetzt hier seid, so sprechen wir von Euch, mein Liebster! Ich gestehe, daß ich über Euch unruhig zu werden anfing.« – »Doch Euer Wirth benimmt sich gut gegen Euch, mein lieber Porthos,« sprach d’Artagnan und deutete auf die vollen Kasserole und die leeren Flaschen. – »So so!« erwiederte Porthos. »Der unverschämte Kerl brachte mir schon vor drei oder vier Tagen seine Rechnung, aber ich warf beide, seine Rechnung und ihn, zur Thüre hinaus, so daß ich hier wie eine Art von Sieger, wie ein Eroberer lebe. Auch bin ich, wie Ihr seht, bis an die Zähne bewaffnet, da ich immer einen Angriff aus meine Stellung fürchten muß.« – »Ihr scheint mir indessen von Zeit zu Zeit Ausfälle zu machen« sprach d’Artagnan lachend und deutete abermals auf die Flaschen und Kasserole. – »Nein, leider nicht ich,« sagte Porthos. »Diese elende Verstauchung hält mich im Bett, aber Mousqueton zieht zu Felde und bringt Proviant mit. Mousqueton, mein Freund,« fuhr Porthos fort, »Ihr seht, daß wir Verstärkung bekommen, wir bedürfen einen Zusatz an Victualien.« – »Mousqueton,« sprach d’Artagnan, »Du mußt mir einen Gefallen thun.« – »Welchen, gnädiger Herr?« – »Du mußt mir Dein Recept für Planchet geben; ich könnte ebenfalls belagert werden, und es würde mir leid thun, wenn ich nicht dieselben Vortheile genöße, mit denen Du Deinen Herrn erfreust.« – »Ei, mein Gott, gnädiger Herr,« sprach Mousqueton mit bescheidener Miene, »nichts leichter auf der Welt. Man muß nur geschickt sein, das ist das Ganze. Ich bin im Felde aufgezogen worden, und mein Vater war in seinen müßigen Augenblicken ein wenig Wildschütze.« – »Und was machte er die übrige Zeit?« – »Gnädiger Herr, er trieb ein Gewerbe, das mir immer sehr glücklich vorkam.« – »Welches?«

»Da er in der Zeit der Kriege der Katholiken und Hugenotten lebte und sah, wie die Katholiken die Hugenotten und die Hugenotten die Katholiken ausrotteten. Alles im Namen der Religion, so hatte er sich einen gemischten Glauben gebildet, was ihm bald Katholik, bald Hugenott zu sein erlaubte. Er ging nun gewöhnlich, seine Stutzbüchse auf der Schulter, hinter den Hecken spazieren, welche die Wege begränzen, und wenn er einen Katholiken allein kommen sah, so gewann die protestantische Religion sogleich in seinem Innern die Oberhand. Er senkte seine Stutzbüchse in der Richtung des Reisenden, und wenn dieser etwa zehn Schritte von ihm entfernt war, knüpfte er ein Gespräch an, welches beinahe immer damit endigte, daß ihm der Reisende, um sein Leben zu retten, seine Börse abtrat. Es versteht sich von selbst, daß er sich, wenn er einen Hugenotten erblickte, von einem so glühenden katholischen Eifer erfaßt fühlte, daß er gar nicht begriff, wie er eine Viertelstunde vorher an dem hohen Vorzug unserer heiligen Religion hätte zweifeln können. Denn ich, mein Herr, ich bin Katholik, während mein Vater, seinen Grundsätzen getreu, aus meinem älteren Bruder einen Hugenotten machte.«

»Und wie hat dieser würdige Mann geendet?« fragte d’Artagnan. – »Oh! auf die allerunglücklichste Weise, gnädiger Herr. Er befand sich eines Tags in einem Hohlweg zwischen einem Hugenotten und einem Katholiken. Er hatte bereits mit Beiden zu thun gehabt. Beide erkannten ihn wieder, vereinigten sich gegen ihn und hingen ihn an einem Baume auf. Dann kamen sie in das Wirthshaus des nächsten Dorfes, wo ich mit meinem Bruder trank, und erzählten den albernen Streich, den sie gemacht hatten.« – »Und was thatet Ihr?« sprach d’Artagnan. – »Wir ließen sie reden,« erwiederte Mousqueton; »da sie jedoch, als sie das Wirthshaus verließen, eine entgegengesetzte Route einschlugen, so legte sich mein Bruder an dem Wege des Katholiken und ich mich an dem des Protestanten in Hinterhalt. Zwei Stunden nachher war Alles vorbei. Wir hatten mit Jedem das Geschäft abgemacht, jedoch nicht ohne die Klugheit unseres Vaters zu bewundern, der so vorsichtig gewesen war, jeden von uns in einer andern Religion erziehen zu lassen.« – »In der That, Mousqueton, Dein Vater scheint, wie Du behauptest, ein sehr gescheidter Bursche gewesen sein. Und Du sagst also, der brave Mann habe in seinen müßigen Augenblicken das Wildschützenhandwerk getrieben?« – »Ja, gnädiger Herr, er hat mich eine Schlinge binden und mit Legangeln umgehen gelehrt. Als ich nun sah, daß uns unser Schurke von einem Wirth mit Massen von schwer verdaulichem Fleische, höchstens gut für Bauern und keineswegs zuträglich für zwei so sehr geschwächte Magen, fütterte, so pflegte ich wieder ein wenig mein altes Gewerbe. Während ich im Walde spazieren ging, legte ich Schlingen auf die Wechsel; während ich am Rande des Wassers lag, ließ ich Leinen in die Teiche gleiten. Auf diese Art fehlt uns, Gott sei Dank! jetzt nichts mehr, wie sich der gnädige Herr selbst überzeugen kann. Wir haben Feldhühner und Kaninchen, Karpfen und Aale, lauter leichte und gesunde, für Kranke zweckdienliche Nahrungsmittel.« – »Aber den Wein,« sprach d’Artagnan, »wer liefert den Wein? Euer Wirth?« – »Das heißt: ja und nein.« – »Wie, ja und nein?« – »Er liefert ihn allerdings, aber er weiß nicht, daß er diese Ehre hat.« – »Erklärt Euch näher, Mousqueton. Eure Unterhaltung ist äußerst lehrreich.« – »So hört, gnädiger Herr: der Zufall wollte, daß ich auf meinen Wanderungen einen Spanier traf, die viele Länder und unter Anderem auch die neue Welt gesehen hatte.« – »In welchem Zusammenhang kann die neue Welt mit den Flaschen stehen, die ich auf dem Schrank und auf der Kommode erblicke?« – »Geduld, gnädiger Herr, Alles zu seiner Zeit.« – »Das ist richtig, Mousqueton; fahre fort, ich höre.« – »Dieser Spanier hatte einen Lakaien in seinem Dienste, der mit ihm nach Mexiko gereist war. Dieser Lakai war ein Landsmann, und wir knüpften um so leichter ein freundschaftliches Verhältniß an, als eine große Ähnlichkeit der Charaktere zwischen uns stattfand. Wir liebten Beide ganz besonders die Jagd, und er erzählte mir, wie die Eingebornen des Landes auf den Ebenen von Pampas den Tiger und den Büffel ganz einfach mit Schlingen jagen, die sie den furchtbaren Thieren um den Hals werfen. Anfangs wollte ich nicht glauben, daß man einen solchen Grad von Geschicklichkeit erreichen könne, auf zwanzig bis dreißig Schritte das Ende des Strickes dahin zu werfen, wohin man will. Aber ich mußte die Wahrheit anerkennen, als er mir Proben zur Bestätigung seiner Behauptung ablegte. Mein Freund stellte eine Flasche auf dreißig Schritte Entfernung auf, und bei jedem Wurf faßte er den Hals mit der Schlinge. Ich übte mich in der Kunst, und da mich die Natur mit einigen Fähigkeiten ausgerüstet hat, so werfe ich heute den Lasso mit so viel Geschicklichkeit als irgend ein Mensch in der Welt. Nun begreift Ihr? Unser Wirth hat einen sehr wohl ausgerüsteten Keller, dessen Schlüssel er jedoch immer bei sich trägt. Dieser Keller hat aber ein Luftloch, durch dieses Luftloch werfe ich nun den Lasso, und da ich weiß, wo der rechte Winkel ist, so schöpfe ich aus diesem. Auf diese Art, gnädiger Herr, steht die neue Welt mit den Flaschen auf dem Schrank und auf der Kommode in Verbindung. Wollt Ihr nun unsern Wein kosten und uns ohne Vorurtheil sagen, was ihr davon denkt?« – »Ich danke, mein Freund, ich danke, ich habe leider schon gefrühstückt.« – »Gut,« sprach Porthos, »stelle den Tisch hieher, Mousqueton, und während wir frühstücken, wird uns d’Artagnan erzählen, was ihm in den zehn Tagen, seit er uns verlassen hat, begegnet ist.« – »Sehr gerne,« erwiederte d’Artagnan.

Während Porthos und Mousqueton mit dem Appetit von Wiedergenesenden und mit der brüderlichen Herzlichkeit frühstückten, welche die Menschen im Unglück einander näher bringt, erzählte d’Artagnan, wie Aramis in Crevecoeur verwundet zurückbleiben gemußt, wie er Athos zu Amiens in einem Handgemenge mit vier Menschen, die ihn der Falschmünzerei angeklagt, zurückgelassen hatte, und wie er, d’Artagnan, um England zu erreichen, genöthigt gewesen war, den Grafen von Wardes an den Boden zu spießen.

Damit endeten die Mittheilungen d’Artagnans; er sprach nur noch davon, daß er bei seiner Rückkehr aus Großbritannien vier prachtvolle Pferde mitgebracht habe, wovon eines für ihn, und ein anderes für jeden von seinen Gefährten; dann schloß er mit der Ankündigung, das für Porthos bestimmte stehe bereits im Stall des Gasthofes.

In diesen, Augenblick trat Planchet ein. Er meldete seinem Herrn, die Pferde seien hinreichend ausgeruht, und man könne wohl bis zum Abend Clermont erreichen und dort ein Lager suchen.

Da d’Artagnan in Beziehung auf Porthos ziemlich beruhigt war, und es ihn drängte, auch von seinen zwei andern Freunden Kunde zu erhalten, so reichte er dem Kranken die Hand und sagte ihm, er werde sogleich abreisen, um seine Nachforschungen fortzusetzen. Er hoffe übrigens auf demselben Weg zurückzukehren und gedenke Porthos, wenn er sich in sechs bis acht Tagen noch im Hotel zum großen Sanct Martin befände, im Vorüberziehen mitzunehmen.

Porthos erwiederte, aller Wahrscheinlichkeit nach würde ihm seine Verstauchung die Abreise um diese Zeit noch nicht erlauben; überdies müsse er in Chantilly bleiben, um die Antwort seiner Herzogin abzuwarten.

D’Artagnan wünschte ihm ein baldiges und erfreuliches Eintreffen dieser Antwort, empfahl Porthos noch einmal der Sorge Mousqueton’s, bezahlte dem Wirth seine Rechnung und setzte seine Reise mit Planchet fort, der nun bereits von einem seiner Handpferde befreit war.

XXVI.

Die These von Aramis.

D’Artagnan hatte Porthos weder von der Wunde noch von der Procuratorsfrau Etwas gesagt. Es war ein sehr kluger Bursche, unser Bearner, trotz seiner Jugend. Er stellte sich, als glaube er Alles, was ihm der ruhmredige Musketier erzählte, wobei er von der Ueberzeugung ausging, daß man immer eine moralische Ueberlegenheit über die Menschen hat, deren Leben man kennt, ohne es sie sogleich fühlen zu lassen und ihren Stolz dadurch zu verletzen. D’Artagnan aber, der fest entschlossen war, seine drei Gefährten zu Werkzeugen seines Glückes zu machen und sie bei seinen zukünftigen Intriguen zu benützen, freute sich zum Voraus, in seiner Hand die unsichtbaren Fäden zu vereinigen, mit deren Hülfe er sie zu lenken gedachte.

Auf dem ganzen Marsch schnürte ihm jedoch eine gewaltige Traurigkeit das Herz zusammen. Er dachte an die junge und hübsche Frau Bonacieux, die ihm den Preis für seine Ergebenheit reichen sollte. Fügen wir jedoch sogleich bei, daß diese Traurigkeit bei dem jungen Mann weniger von der Klage über sein verlornes Glück herrührte, als von seiner Furcht, es könnte der armen Frau ein Unglück widerfahren sein. Für ihn gab es keinen Zweifel mehr, sie war das Opfer einer Rache des Kardinals; die Rache Sr. Eminenz war bekanntlich furchtbar. Wie hatte er Gnade vor den Augen dieses Ministers gefunden? Das wußte er sich selbst nicht zu erklären, und der Herr von Cavois würde ihm dies wohl enthüllt haben, wenn ihn der Kapitän der Garden zu Haufe getroffen hätte.

Nichts leiht der Zeit raschere Flügel, nichts kürzt den Weg so sehr ab, als ein Gedanke, der alle Fähigkeiten der Organisation des Denkenden verschlingt. Das äußere Dasein gleicht sodann einem Schlummer, dessen Traum dieser Gedanke ist; durch seinen Einfluß hat die Zeit kein Maaß, der Raum keine Entfernung mehr; man geht von einem Ort aus und kommt an einem andern an, das ist das Ganze. Von dem durchlaufenen Zwischenraum ist unserm Gedächtniß nichts gegenwärtig geblieben, als ein unbestimmter Nebel, in dem sich tausend verworrene Bilder von Bäumen, Bergen und Landschaften gegenseitig verwischen. In dieser Geistesabwesenheit legte d’Artagnan bei dem Gang, den sein Pferd zu nehmen beliebte, die sechs bis acht Meilen, welche Chantilly von Crevecoeur trennen, zurück, ohne daß er sich bei seiner Ankunft in diesem Dorfe eines der Dinge erinnerte, denen er auf seinem Ritt begegnet war.

Hier erst kehrte sein Gedächtniß zurück; er schüttelte den Kopf, bemerkte die Schenke, wo er Aramis gelassen hatte, und trabte auf das Thor zu. Diesmal war es kein Wirth, sondern eine Wirthin, die ihn empfing. D’Artagnan war Physiognomiker; er überschaute mit einem Blick das dicke, heitere Gesicht der Herrin des Ortes und begriff, daß es hier keiner Verstellung bedurfte, und daß er von Seiten einer so lustigen Physiognomie nichts zu fürchten hatte.

»Meine gute Dame,« fragte sie d’Artagnan, »könnt Ihr mir wohl sagen, was aus einem meiner Freunde geworden ist, den wir vor etwa zwölf Tagen hier zu lassen genöthigt waren?« – »Ein hübscher junger Mann von drei- bis vierundzwanzig Jahren, sanft, liebenswürdig, wohlgebaut?« – »So ist es, überdies an der Schulter verwundet.« – »Ganz richtig. Nun, mein Herr, er befindet sich immer noch hier.« – »Ah, bei Gott, meine liebe Dame,« sprach d’Artagnan absteigend und Planchet den Zügel seines Pferdes zuwerfend, »Ihr gebt mir das Leben wieder; wo ist dieser theure Aramis, damit ich ihn umarme? denn ich gestehe, es drängt mich, ihn wieder zu sehen.« – »Um Vergebung, gnädiger Herr, ich zweifle, ob er Euch in diesem Augenblicke empfangen kann.« – »Warum? Ist eine Frau bei ihm?« – »Jesus, mein Gott! der arme Junge! nein, gnädiger Herr, es ist keine Frau bei ihm.« – »Nun, wer ist denn bei ihm?« – »Der Pfarrer von Montdidier und der Superior der Jesuiten von Amiens.« – »Gott im Himmel!« rief d’Artagnan. »Sollte es mit dem armen Jungen so schlimm stehen?« – »Nein, gnädiger Herr, im Gegentheil, aber in Folge seiner Krankheit hat ihn die Gnade berührt, und er ist entschlossen, in den geistlichen Stand einzutreten,« – »Ganz richtig,« sprach d’Artagnan, »ich hatte vergessen, daß er nur vorläufig Musketier war.« – »Besteht der gnädige Herr immer noch darauf, ihn zu sehen?« – »Mehr als je.« – »Nun, der gnädige Herr darf nur die Treppe rechts im Hof hinaufgehen, im zweiten Stock Nro. 5.«

D’Artagnan eilte in der angegebenen Richtung weg und fand eine von den äußern Treppen, wie man sie noch heut zu Tage in den Höfen der alten Gasthäuser sieht. Aber man gelangte nicht aus diese Art in die Wohnung des zukünftigen Abbé; die Zugänge zu den Zimmern von Aramis waren nicht mehr und nicht minder bewacht, als die Gärten der Armida. Bazin stand in der Hausflur Wache und versperrte ihm den Weg mit um so größerer Unerschrockenheit, als er sich endlich dem Ziele nahe sah, nach welchem er ewig mit frommem Ehrgeiz gestrebt hatte. Der arme Bazin hatte stets davon geträumt, einem Manne der heiligen Kirche zu dienen, und er erwartete mit Ungeduld den Augenblick, den er unablässig in der Zukunft erblickt hatte, wo Aramis endlich die Uniform mit der Sutane vertauschen würde; nur das oft wiederholte Versprechen des jungen Mannes, daß dieser Augenblick nicht mehr lange ausbleiben könne, hatte ihn im Dienst eines Musketiers zurückgehalten, einem Dienst, wo, wie er sagte, seine Seele nothwendig zu Grunde gehen müßte.

Bazin schwamm also in einem Meer von Freude. Aller Wahrscheinlichkeit nach konnte sein Herr diesmal nicht wieder zurücktreten.

Das Zusammentreffen des körperlichen Schmerzes mit dem moralischen hatte endlich die so lang ersehnte Wirrung hervorgebracht. An Leib und Seele leidend, hatte Aramis seine Augen und seinen Geist auf die Religion gerichtet, und sein doppelter Unfall, das heißt, das plötzliche Verschwinden seiner Geliebten und seine Verwundung an der Schulter, war ihm als eine Verkündigung des Himmels erschienen.

Man begreift, daß Bazin bei der gegenwärtigen Lage der Dinge nichts unangenehmer sein konnte, als die Ankunft d’Artagnans, welche seinen Herrn wieder in den Strudel weltlicher Gedanken, die ihn so lange fortgerissen hatten, zurückwerfen konnte. Er beschloß also, die Thüre muthig zu vertheidigen, und da er, insofern es bereits von der Wirthin verrathen war, nicht sagen konnte, Aramis befinde sich nicht zu Hause, so suchte er dem Ankommenden zu beweisen, es wäre der höchste Grad von Indiscretion, seinen Herrn in der frommen Konferenz zu stören, die schon am Morgen angefangen habe und nach der Aussage Bazins vor Abend nicht zu Ende gehen konnte.

Aber d’Artagnan nahm keine Rücksicht auf die Beredsamkeit des Meisters Bazin, und da er es nicht über sich gewinnen konnte, sich in eine Polemik mit dem Diener seines Freundes einzulassen, so schob er ihn ganz einfach mit einer Hand aus die Seite und drehte mit der andern den Knopf der Thüre von Nro. S.

Die Thüre öffnete sich und d’Artagnan trat in das Zimmer ein.

Aramis saß in einem schwarzen Oberrock mit einer runden und platten Kopfbedeckung, welche nicht wenig Ähnlichkeit mit einer Calotte hatte, vor einem länglichen, mit Papierrollen und ungeheuren Folianten bedeckten Tische. Zu seiner Rechten saß der Superior der Jesuiten, zu seiner Linken der Pfarrer von Montdidier. Die Vorhänge waren halb geschlossen und ließen nur ein mystisches, glückseliger Träumerei entsprechendes Licht eindringen. Alle weltlichen Gegenstände, welche das Auge berühren, wenn man in das Zimmer eines jungen Mannes eintritt, und besonders, wenn dieser junge Mann ein Musketier ist, waren wie durch einen Zauber verschwunden, und ohne Zweifel hatte die Furcht, ihr Anblick möchte seinen Herrn auf Gedanken von dieser Welt zurückbringen, Bazin veranlaßt, den Degen, die Pistolen, den Federhut und die Stickereien und Spitzen jeder Art und Gattung bei Seite zu schaffen.

Aber an ihrer Stelle glaubte d’Artagnan in einem dunkeln Winkel etwas wie eine Geißel an einem Nagel hängen zu sehen.

Bei dem Geräusch, das d’Artagnan verursachte, als er die Thüre öffnete, hob Aramis seinen Kopf in die Höhe und erkannte sogleich den Freund. Aber zum großen Erstaunen des jungen Mannes schien sein Anblick keinen großen Eindruck auf den Musketier hervorzubringen, so sehr hatte sich sein Geist von allen irdischen Dingen losgeschält.

»Guten Morgen, mein lieber d’Artagnan,« sprach Aramis, »glaubt mir, daß ich mich unendlich freue. Euch wiederzusehen.«

»Und ich Euch,« erwiderte d’Artagnan, »obgleich ich noch nicht ganz gewiß weiß, ob es Aramis ist, mit dem ich spreche.«

»Mit ihm selbst, mein Freund, mit ihm selbst, aber was konnte Dich zu einem Zweifel veranlassen …«

»Ich fürchtete mich im Zimmer zu täuschen und glaubte Anfangs in die Wohnung eines Tieners der heiligen Kirche einzutreten. Dann erfaßte mich ein neuer Schrecken, als ich Euch in Gesellschaft dieser Herren fand, denn ich glaubte, Ihr wäret ernstlich krank.«

Die zwei schwarzen Herren schleuderten d’Artagnan, dessen Absicht sie begriffen, einen drohenden Blick zu, aber d’Artagnan kümmerte sich nicht darum.

»Ich störe Euch vielleicht, lieber Aramis,« fuhr er fort, »denn nach dem, was ich sehe, muß ich glauben, daß Ihr diesen Herren Beichte ableget.«

Aramis erröthete unmerklich.

»Ihr mich stören! ei, ganz im Gegentheil, lieber Freund; das schwöre ich Euch. Und zum Beweise erlaubt mir vor Allem mich zu freuen, daß ich Euch gesund und wohlbehalten wiedersehe.«

»Ah, nun kommt er endlich,« dachte d’Artagnan, »es steht nicht ganz schlimm!«

»Denn dieser Herr, mein Freund, ist einer dräuenden Gefahr entgangen,« fuhr Aramis salbungsreich fort, indem er mit der Hand auf d’Artagnan deutete.

»Lobet Gott, mein Herr,« erwiederten die zwei Geistlichen und verbeugten sich gleichzeitig.

»Ich habe dies nicht versäumt, ehrwürdige Herren,« antwortete der junge Mann und gab ihnen den Gruß zurück.

»Ihr kommt zu gelegener Zeit, lieber d’Artagnan; Ihr werdet an der Diskussion Theil nehmen und sie mit Eurem Lichte erleuchten. Der Herr Prinzipal von Amiens, der Herr Pfarrer von Montdidier und ich argumentiren über gewisse theologische Fragen, deren Interesse uns seit geraumer Zeit in Anspruch nimmt. Ich werde entzückt sein, Eure Meinung darüber zu vernehmen.«

»Die Meinung eines Mannes vom Schwerte entbehrt jeglichen Gewichts,« antwortete d’Artagnan, der über die Wendung, welche die Dinge nahmen, unruhig zu werden anfing, »und Ihr könnt Euch, glaubt mir, ganz an die Wissenschaft dieser Herren halten.«

»Im Gegentheil,« versetzte Aramis, »Eure Meinung wird höchst werthvoll für uns sein. Hört, warum es sich handelt: der Herr Prinzipal glaubt, meine These müsse hauptsächlich dogmatisch und didaktisch sein.«

»Eure These! Ihr macht also eine These?«

»Allerdings,« antwortete der Jesuit, »für die Prüfung, die der Ordination vorhergeht, ist eine These unerläßlich.«

»Der Ordination!« rief d’Artagnan, welcher nicht glauben konnte, was ihm die Wirthin und Bazin gesagt hatten. »Ordination!« wiederholte er, und ließ seine Äugen erstaunt auf den drei Personen, welche er vor sich hatte, umher laufen.

»Da nun,« fuhr Aramis fort, indem er auf seinem Fauteuil eine Haltung annahm, als säße er in einem Chorstuhl, und zugleich seine frauenhaft weiße und fleischige Hand, die er in der Luft hielt, um das Blut zurückkehren zu machen, wohlgefällig betrachtete; »da nun, wie Ihr gehört habt, d’Artagnan, der Herr Prinzipal meine These dogmatisch haben will, während ich wünsche, daß sie ideal sein möchte, so hat mir der Herr Prinzipal nachfolgenden Gegenstand vorgeschlagen, welcher noch nicht behandelt worden ist, und worin ich allerdings Stoff zu prachtvollen Entwickelungen finden werde:

» Utramque manum in benedicendo clericis inferioribus necessariae sit

D’Artagnan, dessen wissenschaftliche Bildung wir kennen, veränderte sein Gesicht bei diesem Citat so wenig als bei demjenigen, das ihm Herr von Treville in Beziehung auf die Geschenke gemacht hatte, von denen er glaubte, er habe sie vom Herzog von Buckingham erhalten.

»Was so viel heißen will,« fuhr Aramis fort, um ihn, die Sache zu erleichtern: »die zwei Hände sind für die Priester der niederen Ordnung unerläßlich, wenn sie den Segen geben.«

»Ein bewunderungswürdiger Gegenstand!« rief der Jesuit.

»Bewunderungswürdig und dogmatisch,« wiederholte der Pfarrer, der, im Lateinischen ungefähr eben so bewandert, wie d’Artagnan, sorgfältig den Jesuiten beobachtete, um gleichen Schritt mit ihm zu halten und seine Worte wie ein Echo zu wiederholen.

D’Artagnan blieb vollkommen gleichgültig bei der Begeisterung der zwei schwarzen Männer.

»Ja bewunderungswürdig! prorsus admirabile!« fuhr Aramis fort, »aber es heischt ein großes Studium der Kirchenväter und der heiligen Schrift. Ich erkläre nun diesen gelehrten geistlichen Herren, und zwar in aller Demuth, daß ich in der Wachtstube der Musketiere und beim Dienste des Königs dieses Studium etwas vernachläßigt habe. Ich würde mich bequemer, facilius natans, bei einem Gegenstande meiner Wahl finden, der bei diesen rein theologischen Fragen das wäre, was die Moral für die Metaphysik in der Philosophie ist.«

D’Artagnan langweilte sich sehr.

»Seht, welches Exordium!« rief der Jesuit.

»Exordium!« wiederholte der Pfarrer, um etwas zu sagen.

» Quem ad modum inter colorum immensitatem!«

Aramis warf einen Seitenblick auf d’Artagnan und sah ihn dergestalt gähnen, daß er den Kiefer beinahe ausrenkte.

»Sprechen wir Französisch, mein Vater,« sagte er zu dem Jesuiten, »Herr d’Artagnan wird mehr Genuß an unseren Worten finden.«

»Ja, ich bin müde von der Reise,« sagte d’Artagnan, »und alles Latein entgeht mir.«

»Vor Allem,« sprach der Jesuit, etwas aus der Fassung gebracht, während der Pfarrer äußerst erfreut d’Artagnan voll Dankbarkeit anschaute; »betrachtet einmal den Nutzen, den man aus dieser Glosse ziehen könnte.«

»Moses, ein Diener Gottes … er ist nur ein Diener, versteht Ihr wohl, Moses segnet mit den Händen, er läßt sich die zwei Arme halten, während die Hebräer ihre Feinde schlagen. Er segnet also mit beiden Händen. Ueberdies sagt das Evangelium: Imposuite manus, und nicht manum, leget die Hände auf, und nicht die Hand.«

»Leget die Hände auf,« wiederholte der Pfarrer mit einer Geberde.

»Bei dem heiligen Petrus dagegen, dessen Nachfolger die Päpste sind,« fuhr der Jesuit fort: » porrige digitos, strecket die Finger aus. Begreift Ihr das nun?«

»Gewiß,« erwiederte Aramis, der ein Vergnügen an dieser Abhandlung zu haben schien, »gewiß, aber die Sache ist sehr kitzeliger Natur.«

»Die Finger,« wiederholte der Jesuit; »der heilige Petrus segnete mit den Fingern. Der Papst segnet also auch mit den Fingern. Und mit wie viel Fingern segnet er? Mit drei Fingern. Einen für den Vater, einen für den Sohn und einen für den heiligen Geist.«

Alle Anwesenden bekreuzten sich.

D’Artagnan glaubte dieses Beispiel nachahmen zu müssen.

»Der Papst ist der Nachfolger des heiligen Petrus und stellt die drei göttlichen Gewalten dar. Der Rest, ordines inferiores der kirchlichen Hierarchie, erscheint im Namen der heiligen Erzengel und Engel. Die niedersten Geistlichen, wie unsere Diakone und Sakristane, segnen mit den Weihwedeln, welche als eine unbegränzte Zahl von segnenden Fingern zu betrachten sind. Dies ist der ganze auf seine Einfachheit zurückgeführte Gegenstand, Argumentum omni denutatum ornamento. Aus diesem,« fuhr der Jesuit fort, »wollte ich zwei Bände von dem Umfang des Folianten hier machen.«

Und in seiner Begeisterung schlug er auf den heiligen Chrysostomus in Folio, daß der Tisch sich unter seinem Gewichte bog.

D’Artagnan bebte.

»Ich lasse gewiß den Schönheiten dieser These Gerechtigkeit widerfahren,« sagte Aramis, »aber ich muß zu gleicher Zeit erkennen, daß ich ihrer Last erliegen würde. Ich hatte folgenden Text gewählt; sagt mir, lieber d’Artagnan, ob er Eurem Geschmack entspricht: Non inutile est desiderium in oblatione, oder besser: Etwas Bedauern bei dem Opfer, das ich dem Herrn darbringe, steht mir nicht übel an.«

»Halt!« rief der Jesuit, »diese These riecht nach Ketzerei. Es ist ein ähnlicher Vorschlag in dem Augustinus des Ketzervaters Jansen enthalten, dessen Buch früher oder später von Henkershand verbrannt werden wird. Nehmt Euch in Acht, mein junger Freund, Ihr neigt Euch zu falschen Lehren, Ihr richtet Euch zu Grunde, mein junger Freund.«

»Ihr richtet Euch zu Grunde,« sprach der Pfarrer schmerzlich den Kopf schüttelnd.

»Ihr berührt den bekannten Punkt vom freien Willen, der eine menschliche Klippe ist. Ihr greift die Insinuationen der Pelagianer und Semi-Pelagianer an.«

»Aber, ehrwürdiger Herr …,« versetzte Aramis, etwas betäubt von dem Hagel von Argumenten, der auf seinen Kopf fiel.

»Wie wollt Ihr beweisen,« fuhr der Jesuit fort, ohne daß er ihm zum Sprechen Zeit ließ, »wie wollt Ihr beweisen, daß man die Welt bedauern muß, wem. man Gott ein Opfer darbringt? Hört folgendes Dilemma: Gott ist Gott, und die Welt ist der Teufel. Die Welt bedauern, heißt den Teufel bedauern. Das ist mein Schluß.«

»Das ist auch der meinige,« sagte der Pfarrer.

»Aber ich bitte …« versetzte Aramis.

» Desideras diabolum! Unglücklicher!« rief der Jesuit.

»Er bedauert den Teufel. Ha! mein junger Freund,« sprach der Pfarrer seufzend, »bedauert den Teufel nicht, darum bitte ich Euch.«

D’Artagnan wirbelte es im Kopfe. Es kam ihm vor, als sei er in einem Narrenhaus und solle ein Narr werden, wie diejenigen, welche er vor sich sah. Nur war er genöthigt zu schweigen, da er die Sprache nicht verstand, welche man in seiner Gegenwart sprach.

»Aber hört mich doch,« sagte Aramis mit einer Höflichkeit, unter der etwas Ungeduld durchzuscheinen anfing; »ich sage nicht, daß ich bedaure, nein; ich werde nie dieses Wort aussprechen, welches nicht orthodox wäre …«

Der Jesuit hob die Arme zum Himmel auf und der Pfarrer that dasselbe.

»Nein, aber gebt wenigstens zu, daß es nicht sehr schön ist, dem Herrn nur das anzubieten, was man mit gänzlichem Ueberdruß und Widerwillen betrachtet. Habe ich Recht, d’Artagnan?«

»Ich glaube, bei Gott!« rief dieser.

Der Pfarrer und der Jesuit sprangen von ihren Stühlen auf.

»Folgendes ist mein Ausgangspunkt; es ist ein Syllogismus: Es fehlt der Welt nicht an Reizen, ich verlasse die Welt, folglich bringe ich ein Opfer; nun sagt aber die Schrift ganz bestimmt: Bringt dem Herrn ein Opfer dar.«

»Das ist wahr,« sprachen die Antagonisten.

»Und dann,« sagte Aramis, sich in das Ohr kneipend, um es roth zu machen, wie er die Hände schüttelte, damit sie weiß wurden, »und dann habe ich hierüber ein gewisses Ringelgedicht gemacht, das ich im vorigen Jahre Herrn Voviture mittheilte und worüber mir dieser große Mann tausend Komplimente sagte.«

»Ein Ringelgedicht?« sagte der Jesuit verächtlich.

»Ein Ringelgedicht?« sprach der Pfarrer maschinenmäßig.

»Sprecht, sprecht,« rief d’Artagnan, »das bringt ein wenig Abwechslung in die Sache.«

»Nein, es ist religiöser Natur,« antwortete Aramis, »es ist Theologie in Versen.«

»Teufel,« murmelte d’Artagnan.

»Hört,« sagte Aramis mit einer bescheidenen Miene, welche nicht ganz von einer gewissen Färbung von Heuchelei frei war:

O weinet nicht um früh entschwundne Freuden,
Vertraut auf Gott
In eurer Noth,
Er wird gewißlich enden eure Leiden.

D’Artagnan und der Pfarrer schienen erfreut, der Jesuit beharrte bei seiner Meinung.

»Hütet Euch vor dem profanen Geschmack im theologischen Styl. Was sagt der heilige Augustin? Severus sit clericorum sermo.«

»Ja, die Rede sei klar,« sprach der Pfarrer.

»Eure These,« unterbrach ihn der Jesuit rasch, als er sah, daß sein Acolyt vom rechten Weg abkam, »Eure These wird höchstens den Damen gefallen. Sie wird den Erfolg einer Proceßrede von Herrn Patrou haben.«

»Möge es Gott gefallen!« rief Aramis entzückt.

»Ihr seht es,« rief der Jesuit, »die Welt spricht noch mit lauter Stimme in Euch. Altissima voce. Ihr folgt der Welt, Freund, und ich fürchte, die Gnade ist noch nicht ganz wirksam.«

»Beruhigt Euch, ehrwürdiger Herr, ich stehe für mich.«

»Weltliche Anmaßung!«

»Ich kenne mich, mein Vater, mein Entschluß ist unwiderruflich.«

»Also besteht Ihr darauf, diese These auszuführen?«

»Ich fühle mich berufen, diese und keine andere zu behandeln. Ich will sie fortsetzen und Ihr werdet hoffentlich mit den Verbesserungen zufrieden sein, die ich nach Eurem Rathe daran vorgenommen habe.«

»Arbeitet langsam,« sprach der Pfarrer, »wir lassen Euch in vortrefflicher Stimmung zurück.«

»Ja der Boden ist ganz eingesäet,« sagte der Jesuit, »und wir haben nicht zu befürchten, daß ein Theil des Korns auf einen Felsen, ein anderer an den Weg falle, und daß die Vögel des Himmels das Uebrige fressen. Aves coeli comederunt illam.«

»Die Pest ersticke Dich mit Deinem Latein,« sagte d’Artagnan, der kaum mehr an sich halten konnte.

»Gott befohlen, mein Sohn,« sprach der Pfarrer, »morgen also.«

»Morgen, junger Verwegener,« sagte der Jesuit, »Ihr versprecht ein Licht der Kirche zu werden. Wolle der Himmel, daß dieses Licht zu einem verzehrenden Feuer werde.«

Die zwei schwarzen Männer standen auf, grüßten Aramis und d’Artagnan und gingen nach der Thüre. Bazin, der im Zimmer stehen geblieben war und die ganze Controverse mit frommem Jubel gehört hatte, stürzte ihnen entgegen, nahm das Brevier des Pfarrers, das Meßbuch des Jesuiten und marschirte ehrfurchtsvoll vor ihnen her, um ihnen den Weg zu bahnen.

Aramis begleitete sie bis unten an die Treppe und kam sogleich wieder zu d’Artagnan zurück, der noch in Träume versunken war.

Als die zwei Freunde einander allein gegenüber standen, beobachteten sie Anfangs ein verlegenes Stillschweigen. Einer mußte es jedoch brechen, und da d’Artagnan entschlossen schien, die Ehre seinem Freund zu überlassen, so fing dieser an: – »Ihr seht, daß ich zu meinem Grundgedanken zurückgekehrt bin.« – »Ha, die wirksame Gnade hat Euch berührt, wie dieser Herr so eben sagte.« – »Oh, der Plan, mich zurückzuziehen, hat sich längst gebildet, und Ihr habt mich bereits davon sprechen hören, nicht wahr, mein Freund?« – »Allerdings, aber ich glaubte, Ihr wolltet scherzen.« – »Mit solchen Dingen? Oh! d’Artagnan!« – »Gott verdamme mich, man scherzt auch mit dem Tode.« – »Und man hat Unrecht, d’Artagnan, denn der Tod ist die Pforte, welche zum Heil oder zum Verderben führt.« – »Einverstanden! aber lassen wir die Theologie bei Seite, wenn es Euch beliebt, Aramis. Ihr müßt für den Rest des Tages genug haben. Ich, meines Theils, habe das wenige Latein, was ich nie konnte, völlig vergessen. Dann muß ich gestehen, daß ich seit diesem Morgen um zehn Uhr ohne Speise und Trank geblieben bin und einen ganz teufelmäßigen Hunger habe.« – »Wir werden sogleich zu Mittag speisen, lieber Freund; nur erinnert Euch, daß es heute Freitag ist, und an einem solchen Tag kann ich weder Fleisch essen, noch essen sehen. Wollt Ihr Euch mit meinem Mittagsbrod begnügen? es besteht aus gekochten Vierecken und Obst.« – »Was versteht Ihr unter Vierecken?« fragte d’Artagnan unruhig. – »Ich verstehe darunter Spinat,« erwiederte Aramis. »Aber für Euch werde ich Eier beifügen lassen, und das ist eine schwere Verletzung der Vorschrift, denn die Eier sind Fleisch, da sie das Huhn erzeugen.« – »Dieses Mahl ist eben nicht sehr saftig; doch gleich viel, um bei Euch zu bleiben, will ich mich dem unterziehen.« – »Ich bin Euch dankbar für dieses Opfer,« sprach Aramis; »aber wenn es Eurem Körper nichts nützt, so wird es doch Eurer Seele nützen, das könnt Ihr überzeugt sein.« – »Also Ihr tretet entschieden in den geistlichen Stand ein, Aramis? Was werden Eure Freunde, was wird Herr von Treville sagen? sie werden Euch als Deserteur behandeln, das sage ich Euch zum Voraus.« – »Ich trete nicht in den geistlichen Stand ein, ich trete zu demselben zurück. Ich hatte die Kirche der Welt zu Liebe verlassen, denn Ihr wißt, daß ich mir Gewalt anthun mußte, um die Kasake des Musketiers zu nehmen.« – »Ich, ich weiß nichts davon.« – »Wie? Ihr wißt nicht, wie ich das Seminar verlassen habe?« – »Nein.« – »Hört meine Geschichte; übrigens sagt die Schrift, beichtet einander, und ich lege Euch meine Beichte ab, d’Artagnan.« – »Und ich gebe Euch zum Voraus die Absolution; Ihr wißt, daß ich ein guter Kerl bin.« – »scherzt nicht mit heiligen Dingen, mein Freund.« – »So sprecht also, ich höre.«

»Ich war im Seminar von meinem neunten Jahr und zählte jetzt einundzwanzig; noch drei Tage, und ich wäre Abbé geworden und Alles wäre abgethan gewesen. Als ich mich eines Abends meiner Gewohnheit gemäß in ein Haus begab, das ich oft besuchte – was wollt Ihr? man ist jung, man ist schwach – trat ein Offizier, der es mit eifersüchtigem Auge sah, daß ich der Gebieterin des Hauses das Leben der Heiligen vorlas, plötzlich und unangemeldet ein. Gerade an diesem Abend hatte ich eine Episode von Judith übersetzt und ich theilte meine Verse der Dame mit, welche mir alle mögliche Complimente darüber sagte und sie, über meine Schulter geneigt, mit mir zum zweiten Male las. Die Stellung, welche – ich kann es nicht läugnen – etwas nachlässig war, verletzte den Offizier: er sagte nichts, aber als ich wegging, folgte er mir; er holte mich ein und sprach: ›Herr Abbé liebt Ihr Stockschläge?‹

›Ich kann es nicht sagen, mein Herr,‹ erwiederte ich, ›da es Niemand gewagt hat, mir solche zu geben.‹

›Nun, so hört mich, Herr Abbé: wenn Ihr noch einmal in das Haus kommt, wo ich Euch getroffen habe, so werde ich es wagen.‹

»Ich glaube, ich hatte Furcht; ich wurde bleich, ich fühlte, daß die Beine beinahe unter mir brachen, ich suchte eine Antwort, fand keine und schwieg.

»Der Offizier erwartete eine Antwort, und da er sah, daß sie ausblieb, so lachte er, wandte mir den Rücken und ging in das Haus zurück.

»Ich begab mich in das Seminar.

»Ich bin ein guter Edelmann und habe lebhaftes Blut, wie Ihr bemerken konntet, mein lieber d’Artagnan. Die Beleidigung war furchtbar, und obgleich die Welt nichts davon erfahren hatte, so fühlte ich doch, daß sie in der Tiefe meines Herzens tobte. Ich erklärte meinen Oberen, ich sei nicht hinreichend für die Ordination vorbereitet, und auf meine Bitte verschob man die Ceremonie um ein Jahr.

»Dann suchte ich den besten Fechtmeister von Paris auf; ich schloß einen Vertrag mit ihm ab, dem zu Folge er mir jeden Tag eine Lection in der Fechtkunst zu geben hatte, und ein ganzes Jahr lang nahm ich diese Lection jeden Tag. Am Jahrestag der mir widerfahrenen Beleidigung hängte ich meine Sutane an einen Nagel, legte ein vollständiges Cavaliercostüm an und ging auf einen Ball, den eine mir befreundete Dame gab, wo ich meinen Mann zu treffen überzeugt sein konnte. Es war in der Rue des Francs-Bourgeois, ganz nahe bei der Force.

»Mein Offizier hatte sich wirklich eingefunden; ich näherte mich ihm, als er unter zärtlichen Blicken auf eine Dame ein Lieblingslied sang, und unterbrach ihn mitten in der ersten Strophe.

›Mein Herr,‹ sprach ich, ›mißfällt es Euch immer noch, wenn ich ein gewisses Haus der Rue Payenne besuche, und werdet Ihr mir immer noch Stockschläge geben, wenn es mir einfällt, Euch ungehorsam zu sein?‹

»Der Offizier sah mich erstaunt an und sagte:

›Was wollt Ihr von mir, mein Herr? ich kenne Euch nicht.‹

›Ich bin der kleine Abbé,‹ erwiederte ich, ›der das Leben der Heiligen vorliest und Judith in Verse übersetzt.‹

›Ah, ah, ich erinnere mich,‹ sprach der Offizier mit gleichgültigem Lachen, ›was wollt Ihr von mir?‹

›Ich wollte, Ihr hättet Muße, einen Spaziergang mit mir zu machen.‹

›Morgen früh, wenn Ihr wollt, und zwar mit dem größten Vergnügen.‹

›Nein, nicht morgen früh, wenn es Euch beliebt, sondern sogleich.‹

›Wenn Ihr es durchaus verlangt…‹

›Ja ich verlange es.‹

›So laßt uns gehen. – Meine Damen,‹ sprach der Offizier, ›laßt Euch nicht stören. Ich brauche nur so viel Zeit, um diesen Herrn zu tödten, und werde dann sogleich zurückkommen und meine zweite Strophe vollenden.‹

»Wir entfernten uns.«

»Ich führte ihn in die Rue Payenne gerade an die Stelle, wo er mir ein Jahr vorher zur selben Stunde das erwähnte Compliment gemacht hatte. Es war herrlicher Mondenschein. Wir nahmen den Degen in die Hand, und mit dem ersten Stoß streckte ich ihn maustodt zur Erde.«

»Teufel!« rief d’Artagnan.

»Da nun,« fuhr Aramis fort, »die Damen ihren Sänger nicht zurückkommen sahen und man ihn in der Rue Payenne mit einem gewaltigen Degenstich durch den Leib fand, so dachte man, ich hätte ihn aus diese Weise gebettet, und die Sache erregte Aufsehen. Ich war also genöthigt, für einige Zeit auf die Sutane zu verzichten. Athos, dessen Bekanntschaft ich um diese Zeit machte, und Porthos, der mir außer meinen Lectionen einige Fechterkunstgriffe beigebracht hatte, bestimmten mich, um eine Musketierkasake zu bitten. Der König, der meinen Vater, welcher bei der Belagerung von Arras getödtet worden war, sehr lieb gehabt hatte, bewilligte mir diese Gnade. Ihr begreift nun, daß heute für mich der Augenblick gekommen ist, in den Schoß der Kirche zurückzukehren.«

»Und warum eher heute, als gestern und morgen? Was ist Euch heute begegnet, das Euch auf so abscheuliche Gedanken bringt?« – »Diese Wunde, mein lieber d’Artagnan, war mir eine Verkündigung des Himmels.« – »Diese Wunde! bah! sie ist beinahe geheilt, und ich bin überzeugt, daß es heute nicht diese ist, welche Euch am meisten leiden macht.«

Aramis‘ Auge funkelte unwillkührlich.

»Ah!« sprach er, die Bewegung in seinem Innern unter einer geheuchelten Gleichgültigkeit verbergend, »sprecht mir nicht von solchen Dingen! Ich an dergleichen Dinge denken! Ich Liebeskummer haben! Vanitas vanitatum! Ich sollte mir, Eurer Meinung nach, das Hirn verdreht haben! Und für wen? Für eine Kammerjungfer oder irgend eine Bürgerdirne, der ich in einer Garnison den Hof gemacht hätte? Pfui!« – »Verzeiht, mein lieber Aramis, aber ich glaubte, Eure Blicke wären etwas höher gerichtet.« – »Höher, und was bin ich, was berechtigte mich, zu einem solchen Stolze? Ein bettelarmer, unbekannter Musketier, der die Sklaverei haßt und sich in der Welt durchaus nicht an seinem Platze sieht.« – »Aramis, Aramis!« rief d’Artagnan und schaute seinen Freund mit zweifelhafter Miene an. – »Staub, kehre ich in den Staub zurück,« fuhr Aramis fort. »Das Leben ist voll von Demüthigungen und Schmerzen,« sagte er düster werdend; »alle Fäden, die es mit dem Glücke verknüpfen, brechen nach einander in der Hand des Menschen ab, und besonders die goldenen Fäden. Oh! mein lieber d’Artagnan,« fuhr er mit einem leichten Anflug von Bitterkeit fort, »verbergt Eure Wunden wohl, wenn Ihr welche habt. Das Stillschweigen ist die letzte Freude der Unglücklichen. Hütet Euch wohl, irgend Jemand auf die Spur Eurer Schmerzen zu bringen. Die Neugierigen pumpen unsere Thränen aus, wie die Fliegen das Blut eines verwundeten Hirsches.« – »Ach! mein lieber Aramis,« sprach d’Artagnan ebenfalls einen Seufzer ausstoßend. »Was Ihr da sagt, ist gerade meine Geschichte.« – »Wie?« – »Ja, eine Frau, die ich liebte. die ich anbetete, ist mir mit Gewalt entführt worden. Sie ist vielleicht eingekerkert, vielleicht todt.« – »Aber Ihr habt doch wenigstens den Trost, Euch sagen zu können, daß sie Euch nicht freiwillig verlassen hat, daß ihr, wenn Ihr keine Kunde von ihr erhaltet, alle Verbindung mit Euch untersagt ist, während …« – »Während?« – »Nichts,« erwiederte Aramis, »nichts.« – »Also entsagt Ihr der Welt für immer? Das ist Euer fester, unwiderruflicher Entschluß?« »Für immer. Ihr seid heute mein Freund, morgen werdet Ihr für mich nur ein Schatten sein, oder vielmehr Ihr werdet gar nicht für mich bestehen. Was die Welt betrifft, so ist sie ein Grab und nichts Anderes.« – »Teufel! das ist sehr traurig, was Ihr mir da sagt.« – »Was wollt Ihr? Mein Beruf zieht mich fort, reißt mich hin.«

D’Artagnan lächelte und antwortete nicht. Aramis fuhr fort:

»Und dennoch hatte ich, während ich noch an der Welt halte, gerne mit Euch über Euch und über unsere Freunde gesprochen.«

– »Und ich,« sagte d’Artagnan, »hätte gerne über Euch selbst gesprochen; aber ich sehe Euch so sehr von Allein losgeschält. Die Liebe behandelt Ihr mit Pfui, die Freunde sind Schatten, die Welt ist ein Grab.« – »Ach, Ihr werdet es an Euch selbst erfahren,« sprach Aramis mit einem Seufzer. – »Es sei also unter uns nicht mehr die Rede davon,« sagte d’Artagnan, »und wir wollen diesen Brief verbrennen, der Euch ohne Zweifel eine neue Treulosigkeit von Eurer Grisette oder von Eurer Kammerjungfer ankündigte.« – »Welchen Brief?« rief Aramis lebhaft. – »Einen Brief, der in Eurer Abwesenheit für Euch eingetroffen ist, und den man mir für Euch übergeben hat.« – »Aber von wem ist dieser Brief?« – »Von irgend einer thränenreichen Zofe, von einer verzweiflungsvollen Grisette, vielleicht von der Kammerjungfer der Frau von Chevreuse, welche genöthigt gewesen sein wird, mit ihrer Gebieterin nach Tours zurückzukehren, und ohne Zweifel aus eitel Gefallsucht parfümiertes Papier genommen und ihren Brief mit einer Herzogskrone versiegelt hat.« – »Was sagt Ihr da?« – »Ich werde ihn wohl verloren haben,« sprach der junge Mann, indem er sich den Anschein gab, als suchte er das Schreiben. »Zum Glück ist die Welt ein Grab, die Menschen und folglich die Frauen nur Schatten, die Liebe ist ein Gefühl, über das Ihr Pfui macht.« – »Ah, d’Artagnan!« rief Aramis, »Du tödtest mich.« – »Da ist er endlich,« sprach d’Artagnan und zog den Brief aus seiner Tasche.

Aramis sprang auf, nahm den Brief und las oder vielmehr verschlang ihn; sein Antlitz strahlte.

»Die Zofe scheint einen hübschen Styl zu haben,« sagte d’Artagnan nachlässig.

»Ich danke, d’Artagnan!« rief Aramis beinahe außer sich. »Sie hat sich genöthigt gesehen, nach Tours zurückzukehren, Sie ist mir nicht ungetreu; sie liebt mich noch. Komm, mein Freund, komm, daß ich Dich umarme, das Glück erstickt mich!«

Und die zwei Freunde fingen an, um den ehrwürdigen Sankt Chrysostomus zu tanzen, und stampften mit den Füßen auf die Blätter der These, welche auf den Boden gefallen waren.

In diesem Augenblick trat Bazin mit dem Spinat und dem Eierkuchen ein.

»Fleuch, Unglücklicher!« rief Aramis, und warf ihm seine Calotte ins Gesicht. »Kehre dahin zurück, wo Du hergekommen bist, bringe dieses furchtbare Gemüse und die abscheuliche Beilage weg! Verlange einen gespickten Hasen, einen fetten Kapaun, eine Hammelskeule mit Knoblauch und vier Flaschen alten Burgunder.«

Bazin, der seinen Herrn anschaute und diese Veränderung durchaus nicht begreifen konnte, ließ schwermüthig den Eierkuchen in den Spinat und den Spinat auf den Boden fallen.

»Das ist der Augenblick, Euer Dasein dem König der Könige zu opfern,« sprach d’Artagnan, »wenn Ihr ihm eine Artigkeit erzeigen wollt. Non inutile desiderium in oblatione

»Geht zum Teufel mit Eurem Latein! Laßt uns trinken, lieber d’Artagnan, Tod und Teufel! laßt uns trinken und erzählt mir ein wenig, was da unten vorgefallen ist.«

XXVII.

Die Frau von Athos.

»Wir müssen uns nun noch Kunde von Athos verschaffen,« sagte d’Artagnan dem munter gewordenen Aramis, als er ihn von dem, was seit ihrer Abreise in der Hauptstadt vorgefallen war, in Kenntniß gesetzt, und nachdem ein vortreffliches Mittagsbrod den Einen seine These, den Andern seine Müdigkeit vergessen gemacht hatte.

»Glaubt Ihr also, es könnte ihm ein Unglück widerfahren sein?« fragte Aramis. »Athos ist so kaltblütig, so muthig und weiß seinen Degen so geschickt zu handhaben.« – »Allerdings, und Niemand ist mehr geneigt, als ich, den Muth und die Geschicklichkeit von Athos anzuerkennen, aber ich lasse mich lieber mit Lanzen als mit Knitteln angreifen. Ich fürchte, Athos ist von dem Bedientenvolk gestriegelt worden. Die Knechte sind Leute, welche gewaltig schlagen und nicht so bald aufhören. Das ist der Grund, warum ich so schnell als möglich abzureisen wünsche.« – »Ich werde es versuchen, Euch zu begleiten,« sagte Aramis, »obgleich ich mich kaum im Stande fühle, zu Pferd zu steigen. Gestern versuchte ich die Geißel, welche Ihr dort an der Wand seht, und der Schmerz nöthigte mich diese fromme Übung zu unterbrechen.« – »Man hat auch noch nie gesehen, mein lieber Freund, daß Büchsenschüsse mit Geißelhieben geheilt werden. Aber Ihr wäret krank, und Krankheit schwächt, weßhalb ich Euch entschuldige.« – »Und wann gedenkt Ihr abzureisen?« – »Morgen mit Tagesanbruch. Ruhet diese Nacht so gut als möglich, und morgen, wenn Ihr könnt, reisen wir mit Tagesanbruch.« – »Morgen also,« sagte Aramis, »denn so sehr Ihr auch von Eisen seid, so müßt Ihr doch wohl der Ruhe bedürfen.«

Als d’Artagnan am andern Morgen bei Aramis eintrat, stand dieser an seinem Fenster.

»Was betrachtet Ihr da?« fragte d’Artagnan. – »Meiner Treu! ich bewundere diese drei prächtigen Pferde, welche die Stallknechte am Zaume halten; es ist ein fürstliches Vergnügen, auf solchen Pferden zu reisen.« – »Nun, mein lieber Aramis, Ihr werdet Euch dieses Vergnügen machen, denn eines von den drei Pferden gehört Euch.« – »Ah! ah! und welches?« – »Dasjenige, welches Ihr auswählt. Ich gebe keinem den Vorzug.« – »Und die reiche Decke gehört auch mir?« – »Allerdings.« – »Ihr scherzt, d’Artagnan.« – »Ich scherze nicht mehr, seitdem Ihr wieder französisch sprecht.« – »Also gehören mir diese vergoldeten Halfter, diese Sammetschabracke, dieser silberbeschlagene Sattel?« – »Euch selbst, wie jenes sich bäumende Pferd mir, und das andere tänzelnde Athos gehört.« – »Teufel, das sind drei herrliche Thiere!« – »Es freut mich, daß sie Eurem Geschmack entsprechen.« – »Also der König hat Euch dieses Geschenk gemacht?« – »Sicherlich nicht der Kardinal, aber kümmert Euch nicht darum, woher sie kommen, und denkt nur daran, daß eines derselben Euch gehört.« – »Ich nehme das, welches der rothe Bediente hält.« – »Vortrefflich.« – »Bei Gott,« rief Aramis, »das befreit mich von dem Rest meines Schmerzes. Ich würde es mit dreißig Kugeln im Leibe besteigen. Ah, bei meiner Seele, die schönen Steigbügel! Hollah! Bazin, komm hieher; sogleich!«

Bazin erschien trübe und lahm auf der Schwelle.

»Putze meinen Degen, stülpe meinen Hut auf, bürste meinen Mantel und lade meine Pistolen!«

»Letzteres ist unnöthig,« unterbrach ihn d’Artagnan, »es sind geladene Pistolen in Euren Holstern.«

Bazin seufzte.

»Auf, Meister Bazin, beruhigt Euch. Man gewinnt das himmlische Reich in allen Lebenslagen.«

»Der gnädige Herr war ein so guter Theolog,« sagte Bazin weinerlich, »er wäre Bischof oder vielleicht Kardinal geworden.«

»Nun, mein armer Bazin, sieh und bedenke ein wenig: ich bitte Dich, wozu nützt es, ein Mann der Kirche zu sein? Man muß darum doch in den Krieg ziehen. Du siehst, daß der Kardinal den ersten Feldzug mit der Pickelhaube auf dem Kopf und mit der Partisane in der Faust macht, und Herr von Nogaret de la Valette – was sagst Du von ihm? er ist ebenfalls Kardinal. Frage seinen Lakai, wie oft er Charpie für ihn gezupft hat.«

»Ach, ich weiß es, gnädiger Herr,« seufzte Bazin. »Alles ist heutzutage verkehrt in der Welt.«

Während dieser Zeit waren die zwei jungen Leute und der arme Lakai die Treppe hinabgegangen.

»Halte mir den Steigbügel, Bazin,« sprach Aramis.

Und er sprang mit seiner gewöhnlichen Anmuth und Leichtigkeit in den Sattel; aber nach einigen Volten und Courbetten des edlen Thieres fühlte sein Reiter so unerträgliche Schmerzen, daß er erbleichte und wankte. D’Artagnan, der ihn in der Voraussicht dieses Unfalles nicht aus dem Gesicht verloren hatte, lief hinzu, faßte ihn in seinen Armen auf und führte ihn in sein Zimmer.

»Es ist gut, mein lieber Aramis, pflegt Euch,« sagte er, »und ich werde Athos allein aufsuchen.« – »Ihr seid ein eherner Mann,« erwiederte Aramis. – »Nein, ich habe Glück, das ist das Ganze. Aber wie wollt Ihr leben, bis ich zurückkomme? Keine These? keine Glosse über die Finger und die Segnungen mehr, nicht wahr?«

Aramis lächelte.

»Ich werde Verse machen,« sprach er.

»Ja, Verse so duftend wie das Billet der Kammerjungfer der Frau von Chevreuse. Lehrt Bazin die Verskunst, das wird ihn beruhigen. Was Euer Pferd betrifft, so reitet es jeden Tag ein wenig, damit Ihr Euch an seine Manöver gewöhnt.«

»O, was das betrifft, seid unbesorgt,« sprach Aramis, »Ihr werdet mich bereit finden. Euch zu folgen.«

Sie nahmen Abschied, und zehn Minuten nachher trabte d’Artagnan in der Richtung von Amiens, nachdem er zuvor seinen Freund der Wirthin und Bazin empfohlen hatte.

Wie sollte er Athos wiederfinden und durfte er ihn überhaupt zu finden hoffen?

D’Artagnan hatte Athos in einer äußerst kritischen Lage zurückgelassen und er konnte wohl unterlegen sein. Dieser Ge danke verdüsterte d’Artagnan’s Stirne und veranlaßte ihn zu ganz leisen Racheschwüren. Von allen seinen Freunden war Athos der älteste und folglich derjenige, welcher ihm in Geschmack und Sympathien scheinbar am wenigsten nahe stand. Er hegte jedoch für diesen Edelmann eine sichtbare Vorliebe. Das edle stolze Aussehen von Athos, diese Blitze von Größe, welche von Zeit zu Zeit aus den Schatten hervorsprangen, in denen er sich freiwillig eingeschlossen hielt, diese unveränderliche Gleichheit der Gemüthsart, die ihn zum angenehmsten Kameraden von der Welt machte, und diese beißende Heiterkeit, dieser Muth, den man hätte blind nennen können, wenn er nicht das Resultat der seltensten Kaltblütigkeit gewesen wäre, alle diese Eigenschaften nöthigten d’Artagnan mehr als Achtung, mehr als Freundschaft, sie nöthigten ihm volle Bewunderung ab.

Selbst Herrn von Treville, dem eleganten und edlen Hofmann gegenüber, konnte Athos in seinen Tagen schöner Laune mit Vortheil eine Vergleichung aushalten. Er war von mittlerer Gestalt, aber diese Gestalt war so bewundernswürdig gebaut, so verhältnißmäßig, daß er bei seinen Kämpfen mit Porthos diesen Riesen, dessen Körperkraft unter den Musketieren sprüchwörtlich geworden war, mehr als einmal bezwungen hatte. In seinem Kopf mit den blitzenden Augen, mit der Adlernase, mit dem Brutuskinn lag ein Charakter unbeschreiblicher Größe und Anmuth; seine Hände, auf die er keine Sorgfalt verwendete, brachten Aramis zur Verzweiflung, der die seinigen mit Hülfe von sehr viel Mandelteig und wohlriechendem Oel pflegte; der Ton seiner Stimme war zugleich durchdringend und melodisch, und dabei hatte Athos, der sich immer klein und dunkel machte, etwas ganz Unerklärliches an sich, diese genaue Vertrautheit mit der Welt und den Gebräuchen der guten Gesellschaft, diese Gewohnheit an ein vornehmes Leben, die sich ganz unwillkürlich selbst in seinen geringsten Handlungen kundgab.

Sollte ein Festmahl stattfinden, so vermochte es Niemand in der Welt besser zu ordnen, als er, indem er jeden Gast an den Platz und nach dem Range setzte, den er vermöge seiner Ahnen oder seines eigenen Verdienstes ansprechen durfte. War von heraldischer Wissenschaft die Rede, so kannte Athos alle edlen Familien des Königreichs, ihre Genealogie, ihre Verbindungen, ihre Wappen und den Ursprung ihrer Wappen. Die Etikette hatte keine, wenn auch noch so kleinliche Rücksichten, die ihm fremd gewesen wären; er war vertraut mit den Rechten der großen Grundeigenthümer, er besaß vollkommene Kenntnisse in dem Jagdwesen und in der Falknerei, und er hatte eines Tags, als er über diese große Kunst sprach, den König Ludwig XIII., der doch für einen Meister galt, in Erstaunen gesetzt. Wie alle große Herren dieser Zeit, war er ein vollendeter Reiter und ein ausgezeichneter Fechter.

Mehr noch: man hatte seine Erziehung, sogar hinsichtlich der scholastischen Studien, welche damals unter Edelleuten so selten zu finden waren, so wenig vernachlässigt, daß er oft bei den lateinischen Brocken, welche Aramis zum Besten gab und Porthos verstehen wollte, sich eines Lächelns nicht enthalten konnte. Einige Male war es sogar zum großen Erstaunen seiner Freunde vorgekommen, daß er, wenn Aramis sich eines Fehlers in den Rudimenten schuldig machte, das Verbum in sein Tempus und das Nomen in seinen Casus setzte. Ueberdies war seine Redlichkeit unantastbar in einem Jahrhundert, wo es die Kriegsmänner mit ihrer Religion und ihrem Gewissen, die Liebenden mit dem strengen Zartgefühl und die Armen mit dem siebenten Gebot des Herrn so leicht nahmen. Athos war also ein sehr ungewöhnlicher Mann.

Und doch sah man diese so ausgezeichnete Natur, dieses so schöne Geschöpf, dieses so gesund organisirte Wesen sich unmerklich dem materiellen Leben zuwenden, wie sich die Greise den körperlichen und geistigen Schwächen zuwenden. In seinen Mußestunden, und diese kamen sehr häufig vor, erlosch Athos ganz in seinem leuchtenden Theil, und seine glänzende Seite verschwand in einer tiefen Nacht. Wenn dann der Halbgott unsichtbar wurde, blieb kaum noch ein Mensch übrig. Mit gesenktem Kopf, mattem Auge und schwerer Zunge schaute Athos Stunden lang seine Flasche, sein Glas oder Grimaud an, der gewöhnt war, ihm auf Zeichen zu gehorchen, und in dem stummen Blick seines Gebieters sein geringstes Verlangen las, das er auch sogleich befriedigte. Fand in einem solchen Augenblick eine Zusammenkunft der vier Freunde statt, so war ein gewaltsam ausgestoßenes Wort das einzige Kontingent, das Athos zu ihrem Gespräche lieferte. Dagegen trank Athos ganz allein für vier, und zwar ohne daß dies durch etwas Anderes, als durch ein stärkeres Runzeln der Stirne und durch eine tiefere Traurigkeit sichtbar wurde.

D’Artagnan, dessen forschenden durchdringenden Geist wir kennen, hatte bis jetzt, so sehr ihm daran lag, auch seine Neugierde in dieser Beziehung zu befriedigen, noch keinen Grund für diese seltsame Erscheinung aufzufinden, und die Ereignisse die ihr vorangegangen sein mußten, noch nicht zu erforschen vermocht. Nie empfing Athos Briefe, nie that er einen Schritt, der nicht allen seinen Freunden bekannt gewesen wäre. Man konnte nicht sagen, der Wein versetzte ihn in diese Traurigkeit, denn er trank im Gegenteil nur, um diese Traurigkeit zu bekämpfen, welche sich, wie bemerkt, durch dieses Gegenmittel noch düsterer gestaltete. Man konnte dieses Uebermaß von Mißmuth nicht dem Spiel zuschreiben, denn im Gegensatz gegen Porthos, welcher alle Wechselfälle des Spieles mit seinen Flüchen oder Liedern begleitete, blieb Athos eben so unempfindlich, wenn er gewonnen, als wenn er verloren hatte. Man hat ihn in Gesellschaft der Musketiere an einem Abend dreitausend Pistolen gewinnen, sein Pferd, seine Waffen, ja sogar das goldgestickte Wehrgehänge für Galatage verlieren, und später das Alles und noch hundert Louisd’or dazu wieder gewinnen gesehen, ohne daß sich seine schönen schwarzen Augenbrauen auch nur um eine halbe Linie erhöht oder gesenkt hätten, ohne daß seine Hände ihre Perlmutterfarbe verloren, ohne daß seine Unterhaltung, welche an diesem Abend sehr angenehm war, aufgehört hätte, ruhig und freundlich zu sein.

Eben so wenig war es, wie bei unsern Nachbarn, den Engländern, ein atmosphärischer Einfluß, der sein Gesicht verdüsterte, denn diese Traurigkeit nahm gewöhnlich in der schönen Jahreszeit überhand: Juni und Juli waren die furchtbarsten Monate von Athos.

Für die Gegenwart hatte er keinen Kummer; er zuckte die Achseln, wenn man von der Zukunft mit ihm sprach. Sein Geheimniß lag also in der Vergangenheit, wie man dies auf eine unbestimmte Weise d’Artagnan gesagt hatte.

Diese geheimnißvolle, über seine ganze Person verbreitete Färbung machte den Mann noch viel interessanter, der nie, selbst nicht einmal im Zustand vollkommener Trunkenheit, weder mit den Augen noch mit dem Munde etwas verrathen hatte, so geschickt auch die Fragen gestellt gewesen sein mochten, die man an ihn richtete.

»Der arme Athos ist vielleicht schon todt,« dachte d’Artagnan, »und todt durch meine Schuld, denn ich habe ihn in diese Angelegenheit verwickelt, deren Ursprung er nicht kannte, deren Erfolg er nicht erfahren, und woraus er nicht den geringsten Nutzen ziehen wird.«

»Abgesehen davon, gnädiger Herr,« erwiederte Planchet, »daß wir ihm wahrscheinlich das Leben zu verdanken haben. Ihr erinnert Euch, wie er schrie: ›Fort, d’Artagnan, ich bin gefangen!‹ Und nachdem er seine zwei Pistolen abgefeuert hatte, was für einen furchtbaren Lärm machte er mit seinem Degen! man hätte glauben sollen, es wären zwanzig Menschen, oder vielmehr zwanzig rasende Teufel!«

Diese Worte verdoppelten den Eifer d’Artagnans, der sein Pferd antrieb, welches, keines Antriebs bedürftig, seinen Reiter im schnellsten Galopp forttrug. Gegen elf Uhr Morgens erblickte man Amiens; um halb zwölf Uhr war man vor der Thür« des schlimmen Wirthshauses.

D’Artagnan hatte oft gegen den treulosen Wirth auf eine Rache gesonnen, deren Hoffnung den Menschen tröstet. Er trat also, den Hut in die Augen gedrückt, die linke Hand am Degengriff und die Reitpeitsche mit der Rechten schwingend, in den Gasthof ein.

»Erkennt Ihr mich?« sprach er zu dem Wirthe, der ihm begrüßend entgegen trat.

»Ich habe nicht die Ehre, gnädigster Herr,« antwortete der Wirth, dessen Auge noch von dem glänzenden Aufzuge d’Artagnans geblendet war.

»Ah, Ihr kennt mich nicht?«

»Nein, gnädiger Herr.«

»Gut. Zwei Worte sollen Euch das Gedächtniß zurückgeben. Was habt Ihr mit dem Edelmann gemacht, den Ihr vor vierzehn Tagen der Falschmünzerei zu bezichtigen die Frechheit hattet?«

Der Wirth erbleichte, denn d’Artagnan hatte seine drohendste Stellung angenommen und Planchet formte sich nach seinem Gebieter.

»Ach, gnädiger Herr, sprecht mir nicht hievon!« rief der Wirth mit äußerst kläglicher Stimme. »Ach, gnädiger Herr, wie theuer mußte ich dieses Versehen bezahlen! Ach ich bin ein unglücklicher Mann!«

»Sprecht, was ist aus diesem Edelmann geworden?«

»Hört mich gnädigst an und verfahrt glimpflich. Habt die Gnade, setzt Euch.«

Stumm vor Zorn und Aufregung, setzte sich d’Artagnan drohend wie ein Richter. Planchet lehnte sich stolz an seinen Stuhl.

»Hört die ganze Geschichte, gnädiger Herr,« fuhr der Wirth zitternd fort; denn jetzt erkenne ich Euch. Ihr seid weggeritten, als ich den unseligen Streit mit dem Edelmann hatte, von dem Ihr sprecht.« – »Ja, das war ich. Ihr seht also, daß Ihr keine Gnade zu erwarten habt, wenn Ihr nicht die volle Wahrheit bekennt.« – »Wollt mich gnädigst anhören, und Ihr sollt Alles erfahren.« – »Ich höre.« – »Ich war von den Behörden in Kenntniß gesetzt worden, es würde ein berühmter Falschmünzer mit mehreren seiner Gefährten, die sich alle als Garden oder Musketiere verkleidet hätten, in meinen Gasthof kommen. Eure Pferde, Eure Lakaien, Eure Gesichter, gnädigster Herr, Alles war mir genau bezeichnet worden.« – »Weiter, weiter,« sprach d’Artagnan, welcher alsbald erkannte, woher ein so scharfes Signalement gekommen war. – »Ich ergriff also auf Befehl der Behörde, die mir eine Verstärkung von sechs Mann zuschickte, diejenigen Maßregeln, die ich für zweckmäßig hielt, um mich der angeblichen Falschmünzer zu versichern.« – »Auch noch!« rief d’Artagnan, dem der Ausdruck Falschmünzer furchtbar die Ohren erhitzte. – »Vergebt mir, gnädiger Herr, daß ich solche Dinge sage, aber sie dienen gerade zu meiner Rechtfertigung. Die Behörde hatte mir bange gemacht, und Ihr wißt, daß ein Wirth der Behörde gehorchen muß.« – »Aber noch einmal, wo ist dieser Edelmann? was ist aus ihm geworden? ist er todt? lebt er?« – »Geduld, gnädiger Herr, wir kommen sogleich daran. Es geschah, was Ihr wißt, und Eure schleunige Abreise schien zu dem Verfahren zu berechtigen,« fügte der Wirth mit einer Schlauheit bei, welche d’Artagnan nicht entging. »Dieser Edelmann, Euer Freund, vertheidigte sich wie em Verzweifelter. Sein Bedienter, der durch ein unvorhergesehenes Unglück Streit mit den Leuten von der Behörde gesucht hatte, welche als Stallknechte verkleidet waren …« – »Ha, Elender,« rief d’Artagnan, »Ihr wäret also einverstanden, und ich weiß nicht, warum ich Euch nicht sogleich Alle umbringe?« – »Ach, nein, gnädiger Herr, wir waren nicht alle einverstanden, wie Ihr sehen werdet. Euer Herr Freund (vergebt, daß ich ihn nicht bei dem ehrenwerthen Namen nenne, den er ohne Zweifel führt, aber wir wissen diesen Namen nicht). Euer Herr Freund zog sich, nachdem er zwei Menschen mit seinen zwei Pistolenschüssen kampfunfähig gemacht hatte, fechtend zurück, indem er sich mit seinem Degen vertheidigte, wobei er einen von meinen Leuten zum Krüppel hieb und mich durch einen Schlag mit der flachen Klinge betäubte.« – »He, Henkersknecht, wirst Du bald zu Ende kommen?« rief d’Artagnan. »Athos! was geschah mit Athos?« – »Indem er sich fechtend zurückzog, wie ich dem gnädigen Herrn gesagt habe, fand er hinter sich die Kellertreppe, und da die Thüre offen war, so sprang er hinein. Sobald er sich im Keller befand, zog er den Schlüssel ab und verrammelte sich von innen. Da man überzeugt war, daß man ihn hier wieder finden konnte, so ließ man ihn frei.« – »Ja,« sprach d’Artagnan, »man kümmerte sich nicht darum, ihn zu tödten, man suchte ihn nur einzukerkern.« – »Gerechter Gott! Ihn einzukerkern, gnädiger Herr? Er kerkerte sich selbst ein, das schwöre ich Euch. Er hatte zuvor ein tüchtiges Stück Arbeit gemacht. Ein Mann lag todt auf dem Platze, zwei andere waren schwer verwundet. Der Todte und die zwei Verwundeten wurden von ihren Kameraden weggebracht, und nie habe ich mehr von dem Einen oder von den Andern sprechen hören. Ich selbst, als ich wieder zum Bewußtsein kam, suchte den Herrn Gouverneur auf, dem ich Alles erzählte, was vorgefallen war; ich fragte ihn, was ich mit dem Gefangenen machen sollte, aber der Gouverneur sah aus, als wäre er aus den Wolken gefallen. Er sagte mir, er verstehe gar nicht, was ich da spreche, die Befehle, die ich erhalten, seien nicht von ihm ausgegangen, und wenn ich so unglücklich wäre, gegen irgend Jemand zu äußern, daß er den geringsten Antheil an diesem heillosen Streite gehabt habe, so würde er mich hängen lassen. Es scheint, ich hatte mich getäuscht, gnädiger Herr, und den Einen für den Andern genommen, und derjenige, welcher verhaftet werden sollte, war gerettet.« – »Aber Athos?« rief d’Artagnan, dessen Ungeduld sich noch durch die Art und Weise verdoppelte, wie die Behörde die ganze Sache von sich abgelehnt hatte; »was ist aus Athos geworden?« – »Da mir daran liegen mußte, eiligst mein Unrecht gegen den Gefangenen gut zu machen,« antwortete der Wirth, »so lief ich nach dem Keller, um ihn wieder in Freiheit zu setzen. Ach, gnädiger Herr, das war kein Mensch mehr, das war ein Teufel. Bei meinem Freiheitsantrag erklärte er, es sei eine Falle, die man ihm stellen wolle, und ehe er herausgebe, werde er Bedingungen machen. Ich erwiederte ihm ganz demüthig, denn ich verhehlte mir die schlimme Lage nicht, in die ich mich dadurch gebracht hatte, daß ich an einen Musketier Seiner Majestät Hand legte; ich erwiederte ihm, ich sei bereit, mich allen seinen Bedingungen zu unterziehen.« – »Vor Allem,« sprach er, »verlange ich, daß man mir meinen Bedienten vollständig bewaffnet zurückgibt.« – »Man beeilte sich, diesem Befehl zu gehorchen, denn Ihr begreift wohl, gnädiger Herr, daß wir bereit waren. Alles zu thun, was Euer Freund verlangte. Herr Grimaud (dieser hat seinen Namen genannt, obgleich er nicht viel spricht), Herr Grimaud wurde also, obschon verwundet, in den Keller hinabgelassen. Sobald er sich bei seinem Herrn befand, verrammelte dieser wieder die Thüre und befahl uns, in unserer Schenkstube zu bleiben.« – »Aber wo ist er denn?« rief d’Artagnan, »wo ist Athos?« –

»Im Keller, gnädiger Herr.« – »Wie, Unglücklicher? Ihr haltet ihn seit dieser Zeit im Keller fest?« – »Gütiger Gott! nein, gnädiger Herr. Wir ihn im Keller festhalten! Ihr wißt also nicht, was er in dem Keller gemacht hat? Ach! wenn Ihr ihn herausbringen könntet, ich wäre Euch mein ganzes Leben dankbar, ich würde Euch anbeten, wie meinen Schutzpatron!« – »Also ist er da? ich finde ihn dort?« – »Allerdings, gnädiger Herr. Er besteht darauf, nn Keller zu bleiben. Jeden Tag reicht man ihm durch das Luftloch Brod an einer Gabel, und Fleisch, wenn er es verlangt. Aber sein stärkster Verbrauch besteht leider nicht in Brod und Fleisch. Einmal versuchte ich es, mit zwei von meinen Aufwärtern hinabzusteigen, aber er gerieth in eine furchtbare Wuth. Ich hörte das Geräusch seiner Pistolen, die er lud, und seiner Muskete, die sein Bedienter lud. Als wir sie sodann fragten, was sie beabsichtigten, so antwortete er: sie hätten zusammen noch vierzig Schüsse abzufeuern, und sie würden sie eher abfeuern, als daß sie einem von uns den Eintritt in den Keller gestatteten. Ich ging sodann zu dem Gouverneur, gnädiger Herr, um mich zu beklagen. Dieser aber erwiederte mir, es geschehe mir ganz recht, und das würde mich wohl lehren, in Zukunft ehrenwerthe Edelleute, welche bei mir einkehren, nicht mehr zu beleidigen.« – »Und seit dieser Zeit …« versetzte d’Artagnan, der sich eines lauten Lachens über das erbarmungswürdige Gesicht des Wirthes nicht enthalten konnte. – »Und seit dieser Zeit, gnädiger Herr,« sprach dieser, »führen wir das traurigste Leben, das man sich denken kann, denn Ihr müßt wissen, daß alle meine Vorräthe im Keller aufbewahrt find: unser Flaschen- und unser Faßwein, das Bier, das Öl und die Specereien, der Speck und die Würste. Und da es uns verboten ist, hinabzusteigen, so sind wir genöthigt, den Reisenden, die bei uns ankommen, Essen und Trinken zu verweigern, so daß unser Gasthof von Tag zu Tag abnimmt. Verweilt Euer Freund noch eine Woche in unserm Keller, so sind wir geschlagene Leute.« – »Und das wäre nicht mehr als billig. Schuft! Sagt, hat man uns nicht an unserer Miene angesehen, daß wir Leute von Stand und keine Falschmünzer waren?« – »Ja, gnädiger Herr, ja, Ihr habt Recht. Aber hört, hört, wie er wüthet!« – »Ohne Zweifel wird man ihn gestört haben.« – »Man muß ihn wohl stören,« rief der Wirth. »Es sind soeben zwei vornehme Engländer bei uns angekommen.« – »Was weiter?« – »Was weiter! Die Engländer lieben den guten Wein, wie Ihr wißt, und diese haben vom besten verlangt. Meine Frau wird von Eurem Freund sich die Erlaubniß erbeten haben, eintreten zu dürfen, um diese Herren befriedigen zu können. Und er hat es wahrscheinlich wie gewöhnlich abgeschlagen. Ach, gütiger Gott! der Teufelslärm verdoppelt sich!«

D’Artagnan hörte wirklich auf der Seite des Kellers ein gewaltiges Getöse. Er stand auf. Der Wirth schritt, die Hände ringend, vor ihm her, Planchet folgte ihm, das geladene Gewehr in der Hand, und so näherte er sich dem Orte der Handlung.

Die zwei fremden Herren waren in Verzweiflung. Sie hatten einen langen Ritt gemacht, und starben beinahe vor Hunger und Durst.

»Das ist eine wahre Tyrannei!« riefen sie in sehr gutem Französisch, obgleich mit etwas fremdem Accent; »es ist eine wahre Tyrannei, daß dieser Hauptnarr die guten Leute nicht über ihren Wein verfügen lassen will. Aus! treten wir die Thüre ein, und wenn er zu wüthend ist, so schlagen wir ihn todt.«

»Warum nicht gar, meine Herren,« sagte d’Artagnan, seine Pistolen aus dem Gürtel ziehend. »Ihr werdet Niemand todtschlagen, wenn’s beliebt.«

»Gut, gut,« sprach Athos ruhig hinter der Thür, »man lasse sie nur ein wenig eintreten, diese Kleinkinderfresser, und wir werden sehen.«

So muthig die beiden englischen Herren sich geberdet hatten, so schauten sie doch jetzt zögernd einander an; man hätte glauben sollen, im Keller befinde sich ein ausgehungerter Wehrwolf, einer jener riesigen Helden der Volkssage, in deren Höhle Niemand ungestraft eindringt.

Nach einer kurzen Pause stieg der Händelsüchtigste von ihnen die fünf oder sechs Stufen der Treppe hinab, und gab der Thüre einen Fußtritt, daß eine Mauer hätte bersten müssen.

»Planchet,« sprach d’Artagnan, seine Pistolen rüstend, »ich übernehme den obern, übernimm Du den untern. Ah! meine Herren, Ihr wollt eine Schlacht! Ganz gut, sie soll Euch geliefert werden.«

»Mein Gott,« rief Athos mit hohler Stimme, »ich höre d’Artagnan, wie es mir scheint.«

»In der That!« schrie d’Artagnan, »ich bin es, mein Freund.«

»Ah, dann ist es gut,« sprach Athos, »wir wollen sie bearbeiten, diese Thürenstürmer!«

Die Fremden hatten ihre Degen ergriffen, aber sie fanden sich zwischen zwei Feuer gestellt; sie zögerten noch einen Augenblick; doch der Stolz trug wie das erste Mal den Sieg davon, und ein zweiter Fußtritt machte die Thüre in ihrer ganzen Höhe erkrachen.

»Halt‘ Dich fertig, d’Artagnan, halt‘ Dich fertig!« brüllte Athos, »halt‘ Dich fertig! ich schieße!«

»Meine Herren!« rief d’Artagnan, den die Ueberlegung nie verließ, »meine Herren, bedenkt wohl! Geduld, Athos. Ihr fangt einen schlimmen Handel an, bei dem Ihr sicherlich den Kürzeren ziehet. Ich und mein Bedienter, wir feuern dreimal, eben so viele Kugeln werden Euch vom Keller aus zugeschleudert; dann haben wir noch unsere Degen, mit denen mein Freund und ich ziemlich gut zu spielen wissen, das versichere ich Euch. Laßt mich Eure und meine Sache abmachen. Ihr werdet sogleich zu trinken bekommen, darauf gebe ich Euch mein Ehrenwort.«

»Wenn noch etwas übrig ist,« knurrte Athos mit spöttischer Stimme.

Dem Wirth lief der kalte Schweiß über den Rücken.

»Wie so? wenn noch etwas übrig ist!« murmelte er.

»Der Teufel! es wird wohl noch etwas übrig sein,« erwiederte d’Artagnan. »Seid unbesorgt, sie werden zu zwei nicht den ganzen Keller ausgetrunken haben. Meine Herren, steckt Eure Degen in die Scheide!«

»Gut, aber steckt Ihr ebenfalls Eure Pistolen in den Gürtel!«

»Gern!«

D’Artagnan gab das Beispiel, wandte sich sodann gegen Planchet um und deutete ihm durch ein Zeichen an, er solle seine Muskete abspannen.

Hiedurch überzeugt, steckten die Engländer ihre Degen brummend in die Scheide. Man erzählte ihnen die Geschichte der Einkerkerung von Athos, und da sie gute Edelleute waren, so gaben sie dem Wirth Unrecht.

»Nun, meine Herren,« sagte d’Artagnan, »geht in Euer Zimmer hinauf, und in zehn Minuten sollt Ihr Alles bekommen, dafür stehe ich Euch, was Ihr nur wünschet.«

Die Engländer grüßten und entfernten sich.

»Da ich jetzt allein bin, mein lieber Athos,« sagte d’Artagnan, »so öffnet mir gefälligst die Thüre.«

»Sogleich,« erwiederte Athos.

Dann vernahm man ein Geräusch von unter einander geworfenen Reißbündeln und knarrenden Balken. Dies waren die Contreescarpen und Basteien von Athos, welche der Belagerte selbst zerstörte. Nach einem Augenblick wankte die Thüre und man sah den bleichen Kopf von Athos erscheinen, der mit raschem Blick das Terrain musterte.

D’Artagnan warf sich ihm an den Hals und umarmte ihn zärtlich; dann wollte er ihn aus seinem feuchten Aufenthalt herausziehen. Nun aber merkte er erst, daß sein Freund wankte.

»Ihr seid verwundet,« sprach er.

»Nicht im Mindesten, ich bin schwer betrunken, das ist das Ganze. Und um dies zu bewerkstelligen, ist nie ein Mensch in der Welt besser verfahren. Bei Gott! Herr Wirth, ich habe für meinen Theil wenigstens hundert und fünfzig Flaschen getrunken.«

»Barmherzigkeit!« rief der Wirth, »wenn der Diener nur halb so viel getrunken hat, als der Herr, so bin ich zu Grund gerichtet.«

»Grimaud ist ein Lakai von gutem Hause, der sich nicht erlaubt haben würde, auf dieselbe Weise ein Tägliches zu sich zu nehmen, wie ich. Er trank nur aus dem Fasse. Halt! ich glaube, er hat vergessen, den Zapfen wieder hineinzustecken. Hört Ihr, das läuft!«

D’Artagnan brach in ein schallendes Gelächter aus, das den Schauder des Wirths in ein hitziges Fieber verwandelte.

In demselben Augenblick erschien auch Grimaud hinter seinem Herrn, die schwere Büchse auf der Schulter mit wackelndem Kopf, wie trunkene Satyrn auf den Gemälden von Rubens. Lr war hinten und vorn mit einer fetten Flüssigkeit benetzt, worin der Wirth sein bestes Olivenöl erkannte.

Der Zug ging durch den großen Saal und verfügte sich in das schönste Zimmer des Gasthofes, welches d’Artagnan aus eigener Machtvollkommenheit in Beschlag nahm.

Während dieser Zeit stürzten der Wirth und seine Frau in den Keller, der für sie so lange verschlossen gewesen war. Hier aber harrte ihrer ein furchtbares Schauspiel.

Jenseits der Festungswerke, die aus Reißbüscheln, Brettern, Balken und leeren Fässern bestanden, welche Athos nach allen Regeln der Strategie aufgehäuft, nun aber eingerissen hatte, um herausgehen zu können, sah man in Teichen von Oel und Wein die Gebeine aller verspeisten Schinken schwimmen, während eine Masse zerbrochener Flaschen den linken Winkel des Kellers füllte, und ein Faß, dessen Hahn offen geblieben war, durch diese Oeffnung die letzten Tropfen seines Blutes vergoß. Das Bild der Verwüstung und des Todes herrschte hier, nach den Worten eines alten Dichters, wie auf dem Schlachtfelde.

Von fünfzig an den Balken aufgehängten Würsten waren kaum noch zehn übrig.

Das Jammergeschrei des Wirthes und der Wirthin durchdrang nun das Kellergewölbe, und selbst d’Artagnan ward von ihrem lauten Wehklagen bewegt. Athos wandte nicht einmal den Kopf um.

Auf den Schmerz folgte die Wuth. Der Wirth bewaffnete sich mit einem Bratspieß und rannte in seiner Verzweiflung in das Zimmer, in das sich die zwei Freunde zurückgezogen hatten.

»Wein!« sprach Athos, als er den Wirth erblickte. – »Wein!« rief der Wirth ganz außer sich. »Wein! Ihr habt mir für mehr als hundert Pistolen getrunken, ich bin ein geschlagener, verlorener zu Grunde gerichteter Mann!« – »Bah!« sagte Athos, »unser Durst ist immer gleich geblieben.« – »Wenn Ihr Euch nur mit dem Trinken begnügt hättet, aber Ihr habt alle Flaschen zerbrochen.« – »Ei, warum mußtet Ihr mich aus einen Haufen treiben, der herunterrumpelte? Das ist Euer Fehler.« – »All mein Oel ist zu Grunde gegangen.« – »Das Oel ist ein vortrefflicher Balsam für die Wunden, und der arme Grimaud mußte doch die, welche Ihr ihm beigebracht habt, ein wenig einschmieren.« – »Alle meine Würste sind aufgegessen.« – Es gibt eine ungeheure Menge Ratten in diesem Keller.« – »Ihr werdet mir Alles bezahlen,« rief der Wirt verzweiflungsvoll. – »Dreifacher Schurke,« sagte Athos aufstehend, aber er fiel sogleich wieder zurück und gab dadurch einen Maßstab von seinen Kräften. D’Artagnan kam ihm, die Reitpeitsche schwingend, zu Hülfe.

Der Wirth wich einen Schritt zurück und machte sich durch einen Thränenstrom Luft.

»Das wird Euch die Gäste, welche Euch Gott schickt, auf eine höflichere Weise behandeln lehren,« sprach d’Artagnan.

»Gott schickt? sagt lieber der Teufel.«

»Mein lieber Freund,« erwiederte d’Artagnan, »wenn Ihr unsere Ohren noch länger peinigt, so schließen wir uns alle vier in den Keller ein, und wir werden dann sehen, ob der Schaden wirklich so groß ist, als Ihr sagt.«

»Ja, ja,« sprach der Wirth, »ich gestehe, ich habe Unrecht, aber es gibt Gnade und Barmherzigkeit für jede Sünde. Ihr seid vornehme Herren und ich bin ein armer Wirth; Ihr werdet Mitleid mit mir haben.«

»Ah! wenn Du so sprichst,« sagte Athos, »so zerreißest Du mir das Herz, und die Thränen entströmen meinen Augen, wie der Wein deinen Fässern entströmte. Man ist kein so eingefleischter Teufel, wie man aussieht. Komm her, schwatzen wir miteinander.«

Der Wirth trat unruhig näher.

»Komm her, sage ich Dir, und fürchte Dich nicht,« fuhr Athos fort. »In dem Augenblick, wo ich Dich bezahlen wollte, hatte ich meine Börse auf den Tisch gelegt.« – »Ja, gnädiger Herr.« – »Diese Börse enthielt sechszig Pistolen; wo ist sie!« – »In der Gerichtskanzlei deponirt; man sagte, es sei falsche Münze.« – »Gut! laß Dir meine Börse zurückgeben und behalte die sechszig Pistolen.« – »Aber, der gnädige Herr weiß doch, daß die Gerichtskanzlei nichts mehr zurückgibt, was sie einmal in ihrer Kasse hat; wenn es falsche Münze wäre, dann dürfte man noch hoffen, aber leider sind es gute Goldstücke.« – »Mach das mit der Kanzlei ab, mein braver Mann; darum kümmere ich mich um so weniger, als mir kein Livre mehr übrig bleibt.« – »Hört,« sagte d’Artagnan, »wo ist das alte Pferd von Athos?« – »Im Stalle.« – »Wie viel ist es werth?« – »Höchstens fünfzig Pistolen.« – »Es ist achtzig wert, nimm es und Alles ist abgethan’« – »Wie, Du verkaufst mein Pferd?« sprach Athos, »Du verkaufst meinen Bajazet? und auf was soll ich den Feldzug machen? auf Grimaud?« – »Ich bringe Dir ein anderes,« sagte d’Artagnan. – »Ein herrliches!« rief der Wirth. – »Wenn ein schöneres und jüngeres für mich vorhanden ist, so nimm das alte, und – jetzt Wein her!« – »Von welchem?« fragte der Wirth wieder erheitert. – »Von dem, welcher hinten bei den Latten liegt; es sind noch fünfundzwanzig Flaschen davon übrig; die andern zerbrachen insgesammt bei meinem Sturze. Rasch hinab!« – »Das ist ein wahrer Teufelskerl von einem Menschen,« sagte der Wirth bei Seite; bleibt er nur vierzehn Tage hier und bezahlt Alles, was er trinkt, so bin ich wieder geborgen.« – »Und vergiß nicht,« fuhr d’Artagnan fort, »vier Flaschen von demselben zu den englischen Herren hinaus zu tragen.« – »Nun, mein Freund,« sprach Athos, »während er den Wein holt, erzähle mir, was aus den Anderen geworden ist; laß hören.«

D’Artagnan theilte ihm mit, wie er Porthos mir einer Quetschung im Bette, und Aramis an einem Tische zwischen zwei Theologen gefunden hatte. Als er seine Erzählung endigte, erschien der Wirth mit den verlangten Flaschen und mit einem Schinken, der zu seinem Glück außerhalb des Kellers geblieben war.

»Das ist gut,« sagte Athos sein und d’Artagnans Glas füllend, »so viel von Porthos und Aramis; aber Ihr, mein Freund, was habt Ihr und was ist Euch persönlich begegnet? Ihr seht so trübselig aus.« – »Ach! ich bin wahrlich der Unglücklichste von uns Allen.« – »Du unglücklich, d’Artagnan?« sprach Athos. »Laß hören, sprich, auf welche Art bist Du unglücklich?« – »Später,« sagte d’Artagnan. – »Später, und warum später? weil Du glaubst, ich sei betrunken, d’Artagnan? Merke Dir wohl, ich habe nie klarere Ideen, als wenn ich im Wein schwimme. Sprich also, ich bin ganz Ohr.«

D’Artagnan erzählte sein Abenteuer mit Madame Bonacieux. Athos hörte ihm zu, ohne eine Miene zu verändern; als er vollendet hatte, rief der Musketier:

»Erbärmlichkeiten, lauter Erbärmlichkeiten!«

»Erbärmlichkeiten! das ist immer Euer Wort,« sprach d’Artagnan; »das steht Euch sehr schlecht. Euch, der Ihr nie geliebt habt.«

Das todte Auge von Athos flammte plötzlich, aber es war nur ein Blitz; es wurde wieder matt, wie vorher.

»Das ist wahr,« sagte er ruhig, »ich habe nie geliebt.« – »Ihr seht also wohl, Marmorseele,« sprach d’Artagnan, »daß Ihr Unrecht habt, gegen uns, die wir ein zärtlich Herz besitzen, hart zu sein.« – »Zärtliches Herz, durchlöchertes Herz.« – »Was sagt Ihr da?« – »Ich sage, daß die Liebe eine Lotterie ist, wo derjenige, welcher gewinnt, den Tod gewinnt. Glaubt mir, mein lieber d’Artagnan, Ihr seid sehr glücklich, daß Ihr verloren habt. Wenn ich Euch rathen soll, so verliert immer.« – »Sie hatte das Ansehen, als liebte sie mich so sehr.« – »Sie hatte das Ansehen.« – »Oh! sie liebte mich.« – »Kind! es gibt keinen Menschen, der nicht geglaubt hätte, sein Liebchen liebe ihn, und der nicht von seiner Geliebten betrogen worden wäre.« – »Euch ausgenommen, Athos, der Ihr nie geliebt habt.« – »Das ist wahr,« sprach Athos nach kurzem Stillschweigen, »ich habe nie geliebt. Laß uns trinken.« – »Aber unterstützt mich, belehrt mich, Ihr, der Ihr ein Philosoph seid,« sprach d’Artagnan, »ich bedarf der Weisheit und des Trostes.« – »Des Trostes, worüber?« – »Ueber mein Unglück.« – »Euer Unglück macht mich lachen,« sagte Athos die Achseln zuckend, »ich möchte wohl wissen, was Ihr sagtet, wenn ich Euch eine Liebesgeschichte erzählen würde.« – »Die Euch begegnet ist?« – »Oder einem von meinen Freunden, was ist daran gelegen?« – »Sprecht, Athos, sprecht.« – »Wir wollen trinken, das wird besser sein.« – »Trinkt und erzählt.« – »Wirklich, das läßt sich machen,« sagte Athos, sein Glas leerend und wieder füllend; »diese zwei Dinge gehen vortrefflich zusammen.«

Athos sammelte sich, aber je mehr er sich sammelte, desto bleicher sah ihn d’Artagnan werden; er hatte die Periode der Trunkenheit erreicht, wo gewöhnliche Trinker fallen und einschlafen.

»Ihr wollt es durchaus haben?« fragte er.

»Ich bitte Euch darum,« sagte d’Artagnan.

»Euerem Wunsche soll willfahrt werden. Einer von meinen Freunden, hört Ihr wohl? nicht ich,« sprach Athos sich mit einem düstern Lächeln unterbrechend; »einer von den Grafen meiner Provinz, das heißt im Berry, hochgeboren wie ein Dandolo oder ein Montmorency, verliebte sich in seinem fünfundzwanzigsten Jahr in ein sechszehnjähriges Mädchen, das so schön war wie eine Liebesgöttin. Durch die Naivetät ihres Alters leuchtete ein glühender Geist, kein Frauengeist, sondern ein Dichtergeist; sie gefiel nicht, sie berauschte; sie lebte in einem kleinen Dorf bei ihrem Bruder, der Pfarrer war. Beide waren in die Gegend gekommen, ohne daß man wußte, woher; aber wenn man sah, wie schön sie, und wie fromm ihr Bruder war, so dachte man nicht daran, sie zu fragen, woher sie kämen. Ueberdies behauptete man, sie seien von guter Herkunft. Mein Freund, welcher der Gebieter dieser Ländereien war, hätte sie nach seinem Belieben verführen oder mit Gewalt wegnehmen können, denn er war der Herr; wer wäre zwei Fremden, zwei Unbekannten zu Hülfe gekommen? Zu seinem Unglück war er ein ehrlicher Mann und heirathete sie. Der Narr, der Dummkopf, der Tropf!«

»Aber warum dies, da er sie liebte?« fragte d’Artagnan.

»Nur Geduld,« erwiederte Athos. »Er führte sie in sein Schloß und machte sie zur ersten Dame der Provinz; und man muß ihr hierin Gerechtigkeit widerfahren lassen; sie wußte ihren Rang vortrefflich zu behaupten.«

»Nun?« fragte d’Artagnan.

»Nun! eines Tages, als sie mit ihm auf der Jagd war,« fuhr Athos mit gedämpfter Stimme und sehr schnell sprechend fort, »fiel sie vom Pferde und wurde ohnmächtig; der Graf eilte ihr zu Hülfe, und da sie in ihren Kleidern beinahe erstickte, so schlitzte er diese mit seinem Dolche und entblößte ihre Schulter. Errathet, was sie auf ihrer Schulter hatte, d’Artagnan?«

»Kann ich es wissen?«

»Eine Lilie,« sprach Athos. »Sie war gebrandmarkt.« Und Athos leerte mit einem Zuge das Glas aus, das er in der Hand hatte.

»Gräßlich!« rief d’Artagnan, »was erzählt Ihr mir da?«

»Die Wahrheit, mein Lieber. Der Engel war ein Teufel. Das arme Mädchen hatte gestohlen.«

»Und was that der Graf?«

»Der Graf war ein hoher Herr; er hatte auf seinen Gütern die hohe und die niedere Gerichtsbarkeit; er zerriß die Kleider der Gräfin vollends, band ihr die Hände auf den Rücken und knüpfte sie an einem Baume auf.«

»Himmel! Athos, ein Mord!« rief d’Artagnan.

»Ja, ein Mord, nicht mehr« sprach Athos bleich wie der Tod. »Aber es scheint, es fehlt uns an Wein.«

Und er ergriff die letzte Flasche, welche noch übrig war, am Halse, setzte sie an den Mund und leerte sie auf einen Zug, als wäre es ein gewöhnliches Glas gewesen.

Dann ließ er den Kopf zwischen seine beiden Hände sinken, d’Artagnan aber blieb stumm vor Schrecken.

»Das heilte mich von allen Frauen, von den schönen, von den poetischen und von den verliebten,« sprach Athos sich wieder erhebend und ohne daran zu denken, die Fabel von dem Grafen fortzusetzen. »Gott gewähre Euch eben so viel! Trinken wir!«

»Sie ist also todt?« stammelte d’Artagnan.

»Beim Teufel!« erwiederte Athos. »Doch reicht mir Euer Glas. Schinken, Schuft!« rief er. »Wir können nicht mehr trinken!«

»Aber ihr Bruder?« fügte d’Artagnan schüchtern bei.

»Ihr Bruder?« versetzte Athos.

»Ja, der Priester.«

»Ich schickte nach ihm, um ihn ebenfalls aufhängen zu lassen, aber er war mir zuvorgekommen und hatte seinen Pfarrhof am Abend zuvor verlassen.«

»Wußte man, wer der Elende war?«

»Er war der erste Liebhaber und der Mitschuldige der Schönen, ein würdiger Mann, der sich den Anschein gab, als wäre er Pfarrer, um sie zu verheirathen und ihr eine Zukunft zu sichern; er wird hoffentlich geviertheilt worden sein.«

»Oh! mein Gott! mein Gott!« rief d’Artagnan ganz betäubt von dieser furchtbaren Begebenheit.

»Eßt doch von diesem Schinken, d’Artagnan, er ist vortrefflich,« sagte Athos und legte eine Schnitte auf den Teller des jungen Mannes. »Wie Schade, daß nicht wenigstens nur vier wie dieser in dem Keller gewesen sind! Ich hätte fünfzig Flaschen mehr getrunken.«

D’Artagnan vermochte dieses Gespräch nicht länger zu ertragen, denn es hätte ihn toll gemacht, er ließ den Kopf auf seine Hände sinken und stellte sich als entschliefe er.

»Die jungen Leute können nicht mehr trinken,« sprach Athos und schaute ihn mitleidig an, und doch ist dieser noch einer von den besten! …«

XIX.

Feldzugsplan.

D’Artagnan begab sich geraden Wegs zu Herrn von Treville. Er hatte überlegt, daß in einigen Minuten der Kardinal durch diesen verdammten Unbekannten, welcher sein Agent zu sein schien, benachrichtigt sein mußte, und dachte mit Recht, daß man keinen Augenblick verlieren dürfe.

Das Herz des jungen Mannes strömte vor Freude über. Ein Abenteuer, wobei Ruhm zu erwerben und Geld zu gewinnen war, bot sich ihm dar, und hatte ihn als erste Ermuthigung einer Frau näher gebracht, die er anbetete. Dieser Zufall that beinahe auf den ersten Schlag mehr für ihn, als er von der Vorsehung zu verlangen gewagt hätte.

Herr von Treville befand sich mit seinem gewöhnlichen Hofe von Edelleuten in seinem Salon. D’Artagnan, den man als einen Vertrauten des Hauses kannte, begab sich geradezu in sein Kabinet und ließ ihn benachrichtigen, daß er ihn in einer wichtigen Angelegenheit erwarte.

D’Artagnan war hier seit etwa fünf Minuten, als Herr von Treville eintrat. Beim ersten Blicke und aus der Freude, die aus seinem Antlitz strahlte, erkannte der würdige Kapitän, daß wirklich etwas Neues vorging.

Den ganzen Weg entlang hatte d’Artagnan sich gefragt, ob er sich Herrn von Treville anvertrauen oder ob er ihn nur bitten sollte, ihm Carte blanche in einer wichtigen Angelegenheit zu bewilligen. Aber Herr von Treville war stets so vollkommen gut gegen ihn gewesen, er war so sehr dem König und der Königin ergeben, er haßte den Richelieu so von ganzem Herzen, daß der junge Mann sich entschloß, ihm Alles zu sagen.

»Ihr habt mich bitten lassen, mein junger Freund?« sprach Herr von Treville. – »Ja, mein Herr,« sprach d’Artagnan, »und Ihr werdet mir diese Störung hoffentlich vergeben, wenn Ihr erfahrt, wie wichtig die Angelegenheit ist, um die es sich handelt.« – »Sprecht, ich höre!« – »Es handelt sich um nichts Geringeres,« sagte d’Artagnan, die Stimme dämpfend, »als um die Ehre, und vielleicht um das Leben der Königin.« – »Was sprecht Ihr da?« fragte Herr von Treville, indem er sich rings umschaute, ob sie auch gewiß allein seien, und heftete dann wieder seinen Blick auf d’Artagnan.

»Ich sage, gnädiger Herr, daß mir der Zufall ein Geheimniß in die Hände gespielt hat …« – »Das Ihr hoffentlich bewahren werdet, junger Mann! Bei Eurem Leben warne ich Euch!« – »Das ich aber Euch anvertrauen muß, gnädiger Herr, denn Ihr allein könnt mich in der Sendung unterstützen, die ich von der Königin erhalten habe.« – »Gehört das Geheimniß Euch?« – »Nein, der Königin.« – »Seid Ihr von Ihrer Majestät bevollmächtigt, es mir anzuvertrauen?« – »Nein, es ist mir im Gegentheil das tiefste Stillschweigen anempfohlen.« – »Und warum wollt Ihr es mir gegenüber brechen?« – »Weil ich, wie gesagt, ohne Euch nichts thun kann, und weil ich fürchte, Ihr könntet mir die Gnade, um die ich Euch bitte, abschlagen, wenn Ihr nicht wüßtet, in welcher Absicht ich Euch bitte.« – »Behaltet Euer Geheimniß, junger Mann, und nennt mir Euern Wunsch.« – »Ich wünsche, daß Ihr mir bei Herrn des Essarts einen Urlaub von vierzehn Tagen verschaffet.« – »Wann dies?« – »Noch in dieser Nacht.« – »Ihr verlaßt Paris?« – »Ich gehe in einem Auftrag.« – »Könnt Ihr mir sagen, wohin?« – »Nach London.« – »Hat Jemand ein Interesse dabei, daß Ihr Euer Ziel nicht erreicht?« – »Der Kardinal würde, glaube ich. Alles in der Welt dafür geben, wenn es mir nicht gelänge.« – »Und Ihr reist allein?« – »Ich reise allein.« – »In diesem Fall kommt Ihr nicht über Bondy hinaus; das sage ich Euch, so wahr ich Treville heiße.« – »Wie so?« – »Man läßt Euch ermorden.« – »Dann sterbe ich in der Erfüllung meiner Pflicht.« – »Aber Eure Sendung ist nicht vollzogen.« – Das ist wahr,« sprach d’Artagnan. – »Glaubt mir,« fuhr Treville fort, »bei dergleichen Unternehmungen müssen es vier sein, wenn einer ankommen soll.« – »Ihr habt Recht, gnädiger Herr,« sagte d’Artagnan, »aber Ihr kennt Porthos, Athos und Aramis und wißt, daß ich über diese verfügen kann.« – »Ohne ihnen das Geheimniß anzuvertrauen, das ich nicht wissen wollte?« – »Wir haben uns ein für allemal blindes Vertrauen und Ergebenheit unter jeder Bedingung geschworen. Ueberdies könnt Ihr ihnen sagen, daß Ihr volles Vertrauen in mich setzt, und sie werden nicht minder gläubig sein, als Ihr.« – »Ich kann nicht mehr thun, als jedem von ihnen einen Urlaub von vierzehn Tagen schicken: Athos, der immer noch an seiner Wunde leidet, um die Bäder von Farges zu besuchen; Porthos und Aramis, um ihrem Freunde zu folgen, den sie in einer so schmerzlichen Lage nicht verlassen wollen. Die Übersendung des Urlaubs wird ihnen zum Beweise dienen, daß ich die Reise billige.« – »Ich danke, gnädiger Herr, für diese hundertfache Güte.« – »Sucht sie also sogleich auf, und bringt Alles noch in dieser Nacht zur Ausführung. Doch schreibt mir vor Allem Euer Urlaubsgesuch an Herrn des Essarts. Vielleicht hattet Ihr einen Spion auf Euren Fersen, und Euer Besuch, der in diesem Falle dem Kardinal bereits bekannt ist, wird hierdurch legitimirt.«

D’Artagnan faßte die Meldung ab; Herr von Treville übernahm sie mit der Versicherung, vor zwei Uhr Morgens sollen die vier Urlaube in den Wohnungen der verschiedenen Reisenden sein.

»Habt die Güte, den meinigen zu Athos zu schicken,« sagte d’Artagnan. »Ich fürchte ein schlimmes Zusammentreffen, wenn ich nach Hause heimkehren würde.« – »Seid unbesorgt. Gott befohlen und glückliche Reise! Doch hört,« sagte Herr von Treville zurückrufend.

D’Artagnan kehrte noch einmal um.

»Habt Ihr Geld?«

D’Artagnan ließ den Sack erklingen, den er in seiner Tasche hatte.

»Genug?« fragte Herr von Treville. – »Dreihundert Pistolen.« – »Gut! damit kann man bis ans Ende der Welt kommen.«

D’Artagnan verbeugte sich vor Herrn von Treville, der ihm die Hand reichte; der junge Gardist drückte sie mit einer Mischung von Ehrfurcht und Dankbarkeit. Seit seiner Ankunft in Paris hatte er nur Rühmenswertes von diesem vortrefflichen Manne zu erfahren gehabt, den er stets würdig, redlich, groß in seinem ganzen Benehmen fand.

Zuerst suchte er Aramis auf; er war nicht mehr zu seinem Freunde gekommen seit dem bekannten Abend, wo er Frau Bonacieux folgte. Mehr noch, er hatte den jungen Musketier kaum gesehen, und so oft er ihn wiedersah, glaubte er das Gepräge tiefer Schwermuth auf seinem Antlitz wahrzunehmen.

Auch diesen Abend wachte Aramis düster und träumerisch; d’Artagnan richtete einige Fragen an ihn über diese lange anhaltende Schwermuth; Aramis entschuldigte sich mit einem Commentar über das neunzehnte Kapitel des heiligen Augustin, den er in lateinischer Sprache bis zur nächsten Woche schreiben müsse, was seinen Geist sehr in Anspruch nehme.

Die zwei Freunde hatten kaum einige Minuten miteinander geplaudert, als ein Diener von Herrn von Treville mit einem versiegelten Päckchen eintrat.

»Was ist das?« fragte Aramis. – »Der Urlaub, den der Herr verlangt hat,« antwortete der Lakai. – »Ich? ich habe keinen Urlaub verlangt.« – »Schweigt und nehmt,« sagte d’Artagnan. »Und Ihr, mein Freund, habt hier eine halbe Pistole für Euere Mühe. Ihr sagt Herrn von Treville, Herr Aramis lasse ihm von Herzen danken. Geht.«

Der Bediente verbeugte sich bis zur Erde und trat ab.

»Was soll das bedeuten?« fragte Aramis. – »Nehmt, was Ihr zu einer Reise von vierzehn Tagen braucht, und folgt mir.«

– »Aber ich kann Paris diesen Augenblick nicht verlassen, ohne zu wissen …«

Aramis hielt inne.

»Was aus ihr geworden ist, nicht wahr?« fuhr d’Artagnan fort. – »Aus wem?« – »Aus der Frau, welche hier war, aus der Frau mit dem gestickten Taschentuch.« – »Wer sagt Euch, daß eine Frau hier war?« fragte Aramis und wurde dabei bleich wie der Tod. – »Ich habe sie gesehen.« – »Und Ihr wißt, wer es ist?« – »Ich glaube es wenigstens zu vermuthen.« – »Hört,« sprach Aramis, »da Ihr so viele Dinge wißt, wißt Ihr vielleicht auch, was aus dieser Frau geworden ist?« – »Meiner Ueberzeugung nach ist sie nach Tours zurückgekehrt.« – »Nach Tours? ja, so hieß es; Ihr kennt sie. Aber warum ist sie nach Tours zurückgekehrt, ohne mir etwas davon zu sagen?« – »Weil sie verhaftet zu werden fürchtete.« – »Warum hat sie mir nicht geschrieben?« – »Weil sie Euch einer Gefahr auszusetzen fürchtete.« – »D’Artagnan, Ihr gebt mir das Leben wieder!« rief Aramis; »ich hielt mich für verachtet, für verrathen. Ich war so glücklich, sie wieder zu sehen, und konnte nicht glauben, daß sie ihre Freiheit für mich auf das Spiel setzen würde, und doch, aus welcher andern Ursache sollte sie nach Paris gekommen sein?« – »Aus derselben Ursache, die uns heute zu der Reise nach England veranlaßt.« – »Und was ist dies?« – »Ihr sollt es eines Tages erfahren, Aramis; für den Augenblick aber werde ich die Zurückhaltung der Nichte des Doctors nachahmen.«

Aramis lächelte, denn er erinnerte sich dessen, was er an einem gewissen Abend seinen Freunden erzählt hatte.

»Nun also, da sie Paris verlassen hat, und da Ihr es gewiß wißt, d’Artagnan, so hält mich nichts hier zurück, und ich bin bereit, Euch zu folgen. Ihr sagt, wir gehen …«

Zunächst zu Athos, und wenn Ihr mitkommen wollt, so bitte ich Euch um Eile, denn wir haben bereits viel Zeit verloren. Doch bald hätte ich vergessen, setzt Bazin davon in Kenntniß.«

»Wird uns Bazin begleiten?«

»Vielleicht. In jedem Falle ist es gut, wenn er uns vorläufig zu Athos folgt.«

Aramis rief Bazin und nachdem er demselben Befehl gegeben hatte, ihn bei Athos aufzusuchen, sagte er: »Nun wollen wir gehen.« Ehe er jedoch sein Zimmer verließ, nahm er seinen Mantel, seinen Degen und seine Pistolen, und öffnete vergeblich mehrere Schubladen, um nachzusehen, ob nicht etwa irgend ein verirrtes Goldstück zu finden wäre. Nachdem er sich von der Fruchtlosigkeit seiner Nachsuchung überzeugt hatte, folgte er d’Artagnan, indem er sich fragte, wie es komme, saß der junge Gardecadett so gut wie er selbst wisse, wer die Frau gewesen, der er Gastfreundschaft gegeben, und besser als er, was aus ihr geworden.

Als sie aus dem Hause traten, legte Aramis seine Hand auf d’Artagnan’s Arm, schaute ihn fest an und sagte:

»Ihr habt mit Niemand von dieser Frau gesprochen?« – »Mit Niemand auf dieser Welt.« – »Nicht einmal mit Athos und Porthos?« – »Ich habe nicht davon gehaucht.« – »Dann ist es gut.«

Und über diesen wichtigen Punkt beruhigt, setzte Aramis den Weg mit d’Artagnan fort und beide gelangten bald zu Athos.

Als sie eintraten, hielt er seinen Urlaub in der einen, den Brief des Herrn von Treville in der andern Hand.

»Könnt Ihr mir erklären, was dieser Brief und dieser Urlaub bedeuten sollen?« sprach Athos erstaunt.

»Mein lieber Athos, es ist mein Wille, da es Eure Gesundheit durchaus heischt, daß Ihr vierzehn Tage ausruht. Geht in die Bäder von Forges oder in jedes andere Bad, das Euch zusagen mag, und sorgt, daß Ihr Eure Gesundheit bald wieder herstellt.

Euer wohlaffectionirter
Treville

»Nun! dieser Urlaub und dieser Brief bedeuten, daß Ihr mir folgen sollt, Athos!« – »In die Bäder von Forges?« – »Dahin oder wo andershin.« – »Im Dienste des Königs?« – »Des Königs oder der Königin: sind wir nicht Diener Ihrer Majestäten?«

In diesem Augenblick trat Porthos ein.

»Bei Gott,« sagte er, »das ist eine seltsame Geschichte. Seit wann bewilligt man bei den Musketieren den Leuten einen Urlaub, wenn sie ihn nicht verlangen?« – »Seitdem es Freunde gibt, die einen solchen für sie erbitten,« erwiederte d’Artagna», – »Ah, ah,« sagte Porthos, »da scheint etwas Neues vorzugehen.« – »Ja, wir reisen,« sprach Aramis. – »Nach welchem Lande?« fragte Porthos. – »Meiner Treu‘, ich weiß es nicht,« erwiederte Athos. »Frage d’Artagnan.« – »Nach London, meine Herren,« sagte d’Artagnan. – »Nach London!« rief Porthos, »und was sollen wir in London machen?« – »Das kann ich Euch nicht sagen, meine Herren, Ihr müßt mir trauen.« – »Aber um nach London zu gehen,« fügte Porthos bei, »braucht man Geld und ich habe keines.« – »Ich auch nicht,« sagte Aramis. – »Ich eben so wenig,« sprach Athos. – »Ich aber habe,« versetzte d’Artagnan, zog seinen Schatz aus seiner Tasche und legte ihn auf den Tisch. »In diesem Sack sind dreihundert Pistolen. Jeder von uns nimmt fünf und siebzig davon. Das ist genug, um nach London zu reisen und wieder zurückzukehren. Ueberdies seid ruhig wir erreichen nicht alle London.« – »Und warum dies?« – »Weil aller Wahrscheinlichkeit nach einige von uns auf dem Marsche bleiben werden.« – »Wir unternehmen also einen Feldzug?« – »Und zwar einen sehr gefährlichen, das sage ich Euch.« – »Ei, da wir Gefahr laufen, uns umbringen zu lassen,« sprach Porthos, »so möchte ich wenigstens wissen, warum?« – »Du wirst bald der Sache auf dem Grunde sein,« sprach Athos. – »Ich bin indessen auch der Meinung von Porthos,« sagte Aramis. – »Hat der König die Gewohnheit, Euch Rechenschaft abzulegen? Nein; er sagt ganz einfach: Meine Herren, man schlägt sich in der Gascogne oder in Flandern. Begebt Euch dahin, schlagt Euch. Warum? Um das Warum habt Ihr Euch nicht zu kümmern.« – »D’Artagnan hat Recht,« sagte Athos. »Hier sind unsere drei Urlaube, welche von Herrn von Treville kommen, und hier dreihundert Pistolen, welche Gott weiß woher kommen. Lassen wir uns tödten, wo man uns sagt, daß wir hingehen sollen. Lohnt sich das Leben nur der Mühe, so viele Fragen darüber zu machen? D’Artagnan, ich bin bereit. Dir zu folgen.« – »Und ich auch,« sprach Porthos. – »Und ich ebenfalls,« rief Aramis. »Auch ist es mir gar nicht unangenehm, Paris zu verlassen. Ich bedarf der Zerstreuung.« – »Gut! seid nur ruhig, Ihr sollt Zerstreuung finden, meine Herren,« sagte d’Artagnan. – »Und nun, wann reisen wir?« fragte Athos. – »Sogleich,« antwortete d’Artagnan, »es ist keine Minute zu verlieren!« – »Holla, Grimaud, Planchet, Mousqueton, Bazin!« riefen die vier jungen Leute ihren Lakaien zu. »Schmiert unsere Stiefel und führt unsere Pferde vom Hotel herbei!«

Jeder Musketier ließ wirklich im allgemeinen Hotel wie in einer Kaserne sein Pferd und das seines Lakaien.

Planchet, Grimaud, Mousqueton und Bazin entfernten sich eiligst.

»Nun wollen wir einen Feldzugsplan entwerfen,« sagte Porthos. »Wohin gehen wir zuerst?«

»Nach Calais,« antwortete d’Artagnan. »Das ist die geradeste Linie, um nach London zu gelangen.«

»Nun so hört meinen Rath,« versetzte Porthos.

»Sprich!«

»Vier mit einander reisende Personen wären verdächtig; d’Artagnan wird jedem von uns seine Instruction geben. Ich reise voraus auf der Route von Boulogne, um den Weg zu lichten; Athos geht zwei Stunden später auf der Route von Amiens ab; Aramis folgt uns auf der von Noyon; d’Artagnan reist auf einer ihm beliebigen Straße in den Kleidern Planchets, während uns Planchet als d’Artagnan in der Uniform der Garden folgt.«

»Meine Herren,« sagte Athos, »es ist meine Ansicht, daß es nicht zuträglich sein kann, die Lakaien bei einer solchen Angelegenheit ins Vertrauen zu ziehen; ein Geheimnis wird von Edelleuten zufällig verrathen, aber von den Bedienten stets verkauft.«

»Der Plan von Porthos scheint mir unausführbar,« sprach d’Artagnan, »insofern ich selbst nicht weiß, welche Instructionen ich Euch geben soll. Ich bin der Ueberbringer eines Briefes, das ist das Ganze. Ich kann nicht drei Abschriften von dem Briefe machen, weil er versiegelt ist. Wir müssen also meiner Meinung nach in Gesellschaft reisen. Dieser Brief ist hier in meiner Tasche.« Und er deutete auf die Tasche, in welcher der Brief verwahrt war. »Werde ich getödtet, so nimmt ihn einer von Euch, und Ihr setzt den Marsch fort. Wird dieser getödtet, so ist die Reihe an einem Andern, u. s. f. Wenn nur einer ankommt, das ist genug.«

»Bravo, d’Artagnan, Dein Rath ist auch der meinige,« sprach Athos. »Man muß überdieß consequent sein. Ich will die Bäder gebrauchen; Ihr begleitet mich. Statt die Bäder von Forges zu gebrauchen, wähle ich Seebäder; das steht in meinem Belieben. Man will uns verhaften, ich zeige den Brief von Herrn von Treville, und Ihr zeigt Eure Urlaube; man greift uns an, wir vertheidigen uns; man stellt uns vor Gericht, wir behaupten steif und fest, daß wir nichts Anderes beabsichtigen, als uns ein Dutzendmal in das Meer zu tauchen; mit vier vereinzelten Menschen hätte man zu leichten Kauf, während wir zusammen eine Truppe bilden; wir bewaffnen die vier Lakaien mit Pistolen und Gewehren; schickt man eine Armee gegen uns, so liefern wir eine Schlacht, und der Ueberlebende bringt den Brief nach London, wie d’Artagnan gesagt hat.«

»Wohl gesprochen!« rief Aramis. »Du sprichst nicht viel, Athos, aber wenn Du sprichst, klingt es wie ein Evangelium. Ich schließe mich dem Plane von Athos an. Und Du, Porthos?

»Ich ebenfalls,« antwortete Porthos, »wenn er d’Artagnan zusagt. D’Artagnan ist als Ueberbringer des Briefes natürlich das Haupt der Unternehmung; er mag entscheiden, wir führen aus.«

»Gut!« sagte d’Artagnan; ich entscheide mich für den Plan von Athos, und wir reisen in einer halben Stunde.«

»Angenommen!« riefen im Chor die drei Musketiere.

Jeder von ihnen streckte die Hand nach dem Sacke aus, nahm fünf und siebenzig Pistolen und traf Anstalt zu schleuniger Abreise.

II.

Das Vorzimmer des Herrn von Treville.

Herr von Troisville, wie seine Familie in der Gascogne noch hieß, oder Herr von Treville, wie er sich selbst am Ende in Paris nannte, hatte wirklich gerade wie d’Artagnan angefangen, nämlich ohne einen Sou Geldeswerth, aber mit jenem Grundstock von Kühnheit, Geist und Ausdauer, worin der ärmste gascognische Krautjunker mehr an Hoffnungen zum väterlichen Erbtheil erhält, als der reichste Edelmann des Perigord oder Berry in Wirklichkeit empfängt. Sein kecker Muth und sein noch viel keckeres Glück in einer Zeit, wo die Schläge wie Hagel fielen, hatten ihn auf die Höhe der schwer erklimmbaren Leiter gehoben, die man Hofgunst nennt, und deren Stufen er vier und vier auf einmal erstiegen hatte.

Er war der Freund des Königs, der, wie Jedermann weiß, das Andenken seines Vaters Heinrich IV. sehr in Ehren hielt. Der Vater des Herrn von Treville hatte ihm in seinen Kriegen gegen die Ligue so treu gedient, daß er ihm in Ermangelung von baarem Geld – eine Sache, die dem Bearner sein ganzes Leben lang abging, denn er bezahlte seine Schulden stets mit dem einzigen Ding, das er nicht zu entlehnen brauchte, mit Witz – daß ihm in Ermangelung von baarem Geld, sagen wir, nach der Übergabe von Paris die Vollmacht verlieh, als Wappen eines goldenen Löwen im rothen Felde mit dem Wahlspruch: fidelis et fortis zu führen; das war viel in Bezug auf Ehre, aber mittelmäßig in Bezug auf Vermögen. Als der berühmte Gefährte des großen Heinrich starb, hinterließ er also seinem Herrn Sohn als einziges Erbe nur seinen Degen und seinen Wahlspruch. Dieser doppelten Gabe und dem fleckenlosen Namen, von dem sie begleitet war, hatte Herr von Treville seine Aufnahme unter die Haustruppen des jungen Fürsten zu verdanken, wo er sich so gut seines Schwertes bediente, und seiner Devise so treu war, daß Ludwig XIII., einer der besten Degen seines Königreichs, zu sagen pflegte, wenn er einen Freund hätte, der sich schlagen wollte, so würde er ihm den Rath geben, zum Secundanten zuerst ihn selbst und dann Herrn von Treville oder sogar vielleicht diesen vor ihm zu nehmen.

Ludwig XIII. hegte eine wahre Anhänglichkeit an Treville, eine königliche Anhänglichkeit, eine selbstsüchtige Anhänglichkeit allerdings, darum aber nicht minder eine Anhänglichkeit. In dieser unglücklichen Zeit strebte man mit aller Macht darnach, sich mit Männern von dem Schlage Treville’s zu umgeben. Viele konnten sich den Beinamen fortis geben, der die zweite Hälfte seiner Devise bildete, aber wenige Edelleute hatten Anspruch darauf, sich fidelis zu nennen, wie der erste Theil hieß. Treville gehörte zu den letzteren; er war eine von den seltenen Organisationen mit dem gehorchenden Verstande des Hundes, dem blinden Muth, dem raschen Auge, der schnellen Hand, ein Mann, dem das Auge nur gegeben schien, um zu sehen, ob der König mit Jemand unzufrieden war, und diesen Jemand, einen Besme, einen Maurevers, einen Poltrot von Meré, einen Vitry niederzuschlagen. Treville hatte bis jetzt nur die Gelegenheit gefehlt, aber er lauerte darauf, er hatte sich gelobt, sie beim Schopfe zu fassen, sobald sie in den Bereich seiner Hand käme. Ludwig XIII. machte Treville zum Kapitän seiner Musketiere, welche in Bezug auf Ergebenheit oder vielmehr auf Fanatismus für ihn dasselbe waren, was die schottische Leibwache für Ludwig XI. und die Ordinären für Heinrich III.

Der Kardinal seiner Seite blieb in dieser Beziehung nicht hinter dem König zurück. Als dieser zweite oder vielmehr erste König von Frankreich die furchtbare Eile wahrnahm, mit der sich Ludwig XIII. seine Umgebung schuf, wollte er ebenfalls seine Leibwache haben. Er hatte also seine Musketiere, wie Ludwig XIII. und man sah diesen mächtigen Nebenbuhler in allen Provinzen Frankreichs und sogar in auswärtigen Staaten die berühmtesten Kampfhähne ausheben. Ludwig XIII. und Richelieu stritten sich auch oft, wenn sie Abends eine Partie Schach spielten, über die Verdienste ihrer Anhänger. Jeder lobte den Muth und die Haltung der seinigen, und während sie sich laut gegen Zweikämpfe und Händel aussprachen, stachelten sie dieselben ganz in der Stille gegen einander auf, und das Unterliegen oder der Sieg ihrer Leute bereitete ihnen wahren Kummer oder eine maßlose Freude. So erzählen wenigstens die Memoiren eines Mannes, der bei einigen dieser Niederlagen und bei vielen von diesen Siegen betheiligt war.

Treville hatte seinen Herrn bei der schwachen Seite gefaßt, und dieser Geschicklichkeit verdankte er die lange und beständige Gunst eines Königs, der nicht den Ruf großer Treue in seinen Freundschaften hinterlassen hat. Mit einem verschmitzten Lächeln ließ er seine Musketiere vor dem Kardinal Armand Duplessis paradiren, wobei sich die Haare im Schnurrbart Sr. Eminenz vor Zorn sträubten. Treville verstand sich vortrefflich auf den Krieg dieser Zeit, wo man, wenn man nicht auf Kosten des Feindes leben konnte, auf Kosten seiner Landsleute lebte; seine Soldaten bildeten eine gegen Jedermann, nur gegen ihn nicht, unbotmäßige Legion lebendiger Teufel.

Hals und Brust entblößt, betrunken, verbreiteten sich die Musketiere des Königs, oder vielmehr des Herrn von Treville, in den Schenken, auf den Spaziergängen, bei den öffentlichen Spielen, schrieen, strichen ihren Schnurrbart, ließen ihre Degen klirren, versetzten aus lauter Muthwillen den Leibwachen des Herrn Kardinals Rippenstöße und zogen unter tausenderlei Scherzen am hellen Tag auf offener Straße vom Leder; sie wurden zuweilen getödtet, aber sie wußten gewiß, daß man sie in diesem Falle beweinte und rächte; zuweilen tödteten sie, aber sie wußten ebenso gewiß, daß sie nicht im Gefängniß zu verschimmeln hatten, denn Herr von Treville war da, um sie zurückzufordern. Das Loblied des Herrn von Treville wurde auch in allen Tonarten von diesen Leuten gesungen, die den Satan nicht fürchteten, aber vor ihm zitterten, wie Schüler vor ihrem Lehrer, seinem geringsten Worte gehorchten und stets bereit waren, sich tödten zu lassen, um einen Vorwurf abzuwaschen.

Herr von Treville hatte sich Anfangs dieses mächtigen Hebels für den König und die Freunde des Königs – dann für sich selbst und für seine Freunde bedient. Übrigens findet man in keinem Memoirenwerk dieser Zeit, welche so viele Memoiren hinterlassen hat, daß dieser würdige Edelmann, selbst nicht einmal von seinen Feinden – und er hatte deren so viele unter den Leuten von der Feder, als unter denen vom Degen – nirgends, sagen wir, findet man, daß dieser würdige Edelmann angeklagt worden wäre, er habe sich für die Mitwirkung seiner Seïden bezahlen lassen. Bei einem seltenen Talent für Intriguen, das ihn auf dieselbe Stufe mit den stärksten Intriganten stellte, war er ein ehrlicher Mann geblieben. Noch mehr, trotz der großen Stoßdegen, welche lendenlahm machen, und der angestrengten Übungen, welche ermüden, war er einer der galantesten Boudoirläufer, einer der feinsten Jungfernknechte, einer der gewürfeltsten Schönredner seiner Zeit geworden; man sprach von Treville’s Liebesglück, wie man zwanzig Jahre früher von Bassompierre gesprochen hatte, und das wollte viel sagen. Der Kapitän war also bewundert, gefürchtet und geliebt, und dies bildet wohl den Höhepunkt menschlicher Glücksumstände.

Ludwig XIV. verschlang alle kleinen Gestirne seines Hofes in seiner weiten Ausstrahlung, aber sein Vater, eine Sonne pluribus impar, ließ jedem seiner Günstlinge seinen persönlichen Glanz, jedem seiner Höflinge seinen eigenthümlichen Werth. Außer dem Lever des Königs und dem des Kardinals zählte man damals in Paris mehr als zweihundert einigermaßen besuchte Levers. Unter den zweihundert kleinen Levers war das von Treville eines von denjenigen, zu welchen man sich am meisten drängte.

Der Hof seines in der Rue du Vieux-Colombier gelegenen Hotels glich einem Lager, und dies von Morgens sechs Uhr im Sommer und von acht Uhr im Winter. Fünfzig oder sechzig Musketiere, welche sich hier abzulösen schienen, um stets eine imposante Zahl darzustellen, gingen beständig in völliger Kriegsrüstung und zu jedem Thun bereit umher. Auf einer der großen Treppen, auf deren Raum unsere moderne Civilisation ein ganzes Gebäude errichten würde, stiegen die Bittsteller von Paris aus und ab, die irgend eine Gunst zu erhaschen suchten; ferner die Edelleute aus der Provinz, deren höchster Wunsch war, ins Corps aufgenommen zu werden, und die in allen Farben verbrämten Lakaien, die an Herrn von Treville die Botschaften ihrer Gebieter überbrachten. In den Vorzimmern ruhten auf langen, kreisförmigen Bänken die Auserwählten, das heißt diejenigen, welche berufen waren. Das Gesumme dauerte vom Morgen bis zum Abend, während Herrn von Treville in seinem an dieses Vorzimmer stoßenden Kabinet Besuche empfing, Klagen anhörte, seine Befehle ertheilte und, wie der König auf seinem Balkon im Louvre, sich nur an das Fenster zu stellen hatte, um Menschen und Waffen Revue passiren zu lassen.

Den Tag, an welchem d’Artagnan sich hier einfand, war die Versammlung äußerst imposant, besonders für einen Provinzbewohner, der eben erst aus seiner Heimath anlangte; dieser Provinzbewohner war allerdings Gascogner, und damals besonders standen d’Artagnans Landsleute nicht im Rufe, als ließen sie sich so leicht einschüchtern. In der That, sobald man einmal durch die starke, mit langen viereckigen Nägeln beschlagene Thür gelangt war, gerieth man unmittelbar mitten in eine Truppe von Männern des Degens, die sich im Hofe herumtrieben, einander anriefen, mit einander stritten und spielten. Um sich durch diese brausenden Wogen eine Bahn zu brechen, hätte man ein Offizier, ein vornehmer Herr oder eine hübsche Frau sein müssen.

Mitten durch dieses Gedränge und diese Unordnung rückte unser junger Mann mit zitterndem Herzen, den langen Raufdegen an die magern Beine drückend und eine Hand an den Rand seines Filzes haltend, mit dem verlegenen provinzialen Halblächeln, das eine gute Haltung geben soll, sachte vorwärts. Hatte er eine Gruppe hinter sich, so athmete er freier; aber er begriff wohl, daß man sich umwandte, um ihm nachzuschauen, und zum ersten Mal in seinem Leben kam sich d’Artagnan, der bis auf diesen Tag eine ziemlich gute Meinung von sich selbst gehabt hatte, lächerlich vor.

Als er zur Treppe gelangte, war die Sache noch schlimmer: er fand hier auf den ersten Stufen vier Musketiere, die sich mit folgender Uebung belustigten, während zehn bis zwölf mit ihren Kameraden auf dem Ruheplatz der Treppe warteten, bis es an sie käme, an der Partie Theil zu nehmen. Einer von ihnen, der mit entblößtem Degen auf der obersten Stufe stand, verhinderte die Andern herauf zu steigen, oder er bemühte sich wenigstens, sie daran zu verhindern. Diese drei Andern fochten mit sehr behenden Degenstößen gegen ihn. D’Artagnan hielt Anfangs ihre Eisen für Fechtrappiere und glaubte, sie seien mit Knöpfen versehen; aber bald erkannte er an gewissen Schrammen, daß jede Waffe im Gegentheil gehörig zugespitzt und scharf geschliffen war. Und bei jeder von diesen Schrammen lachten nicht nur die Zuschauer, sondern auch die handelnden Personen, wie die Narren.

Derjenige, welcher in diesem Augenblick die oberste Stufe behauptete, hielt seine Gegner vortrefflich im Schach. Man bildete einen Kreis um sie. Es war Bedingung hiebei, daß bei jedem Stoße der Getroffene die Partie verlassen mußte, und dadurch seine Audienzreihe zu Gunsten des Berührenden verlieren sollte. In fünf Minuten waren drei gestreift, der eine an der Handwurzel, der andere am Kinn, der dritte am Ohr, während der Verteidiger, der ihnen diese Schrammen beibrachte, unberührt blieb, eine Geschicklichkeit, die ihm eine dreimalige Audienzreihe zu seinen Gunsten eintrug. So schwer auch unser junger Reisender in Erstaunen zu setzen war, oder wenigstens sein wollte, so verblüffte ihn doch dieser Zeitvertreib gewaltig: er hatte in seiner Provinz, auf diesem Boden, wo sich die Köpfe doch so schnell erhitzen, etwas mehr als Präliminarien zu Zweikämpfen gesehen, und die Gasconnade der vier Spieler erschien ihm als die stärkste unter allen, von denen er bis jetzt selbst in der Gascogne gehört hatte. Er glaubte sich in das berühmte Land der Riesen versetzt, wohin Gulliver ging und wo er so gewaltig bange hatte; und er war noch nicht einmal am Ziele: es blieben noch der Ruheplatz und das Vorzimmer.

Auf dem Ruheplatz der Treppe schlug man sich nicht, man erzählte sich Geschichten von Frauen, und im Vorzimmer Hofgeschichten. Auf dem Ruheplatz erröthete d’Artagnan, im Vorzimmer schauderte er. Seine rege, umherirrende Einbildungskraft, die ihn in der Gascogne für Kammermädchen und zuweilen sogar für junge Edeldamen furchtbar machte, hatte nie, selbst nicht einmal in den Augenblicken des Delirirens, die Hälfte dieser verliebten Abenteuer und den vierten Theil dieser Heldenthaten geträumt, bei denen die bekanntesten Namen herhalten mußten und die Details ganz und gar nicht verschleiert wurden. Aber wenn auf dem Ruheplatz sein Sittlichkeitsgefühl verletzt wurde, so bereitete man im Vorzimmer seiner Achtung vor dem Kardinal ein wahres Aergerniß. Hier hörte d’Artagnan zu seinem größten Erstaunen ganz laut die Politik, welche Europa erzittern machte, und das Privatleben des Kardinals kritisiren, für dessen Verunglimpfung so viele hochgestellte und mächtige Herren gestraft worden waren; dieser große, von Herrn d’Artagnan Vater verehrte Mann wurde verspottet von den Musketieren des Herrn von Treville, welche sich über seine krummen Beine und seinen gewölbten Rücken lustig machten; Einige sangen Spottlieder auf Madame d’Aiguillon, seine Geliebte, und auf Frau Combalet, seine Nichte, während Andere gegen die Pagen und die Leibwachen des Kardinal-Herzogs Pläne schmiedeten, lauter Dinge, welche d’Artagnan als monströse Unmöglichkeiten vorkamen.

Indessen kam zuweilen plötzlich und ganz unversehens der Name des Königs mitten unter diese kardinalistischen Scherze wie eine Art von Knebel, der für einen Augenblick allen Anwesenden den spöttischen Mund verstopfte; man schaute sachte um sich her und schien die Indiskretion der Scheidewand am Kabinet des Herrn von Treville zu fürchten. Aber bald brachte irgend eine Anspielung das Gespräch wieder auf Se. Eminenz, die Spöttereien wurden immer derber und keine seiner Handlungen blieb mit einer kräftigen Beleuchtung verschont.

»Gewiß sind dieß Leute, welche insgesammt nach der Bastille gebracht und gehängt werden,« dachte d’Artagnan mit Schrecken, »und ich ohne Zweifel mit ihnen, denn von dem Augenblick an, wo ich sie gehört und verstanden habe, wird man mich für ihren Mitschuldigen halten. Was würde mein Herr Vater sagen, der mir so dringend Achtung vor dem Kardinal eingeschärft hat, wenn er mich in Gesellschaft von solchen Lümmeln wüßte?«

D’Artagnan wagte es also, wie man sich leicht denken kann, nicht, an dem Gespräche Theil zu nehmen, er schaute nur mit beiden Augen, hörte nur mit beiden Ohren, er hielt seine fünf Sinne gierig gespannt, um nichts zu verlieren, und trotz seines Vertrauens auf die väterlichen Ermahnungen fühlte er sich, in Folge seiner Geschmacksrichtung und von seinen Instinkten hingerissen, mehr geneigt, die unerhörten Dinge, die sich in seiner Gegenwart ereigneten, zu loben als zu tadeln.

Da er indessen der Menge der Höflinge des Herrn von Treville völlig fremd war, und da man ihn zum ersten Male an diesem Ort bemerkte, so fragte man ihn, was er wünsche. Auf diese Frage nannte d’Artagnan demüthig seinen Namen; er berief sich aus seinen Titel als Landsmann und ersuchte den Kammerdiener, der diese Frage an ihn gerichtet hatte, Herrn von Treville für ihn um eine kurze Audienz zu bitten, welche Bitte man in hohem Gönnertone zu geeigneter Zeit und geeigneten Orts vorzutragen versprach.

D’Artagnan erholte sich allmälig von seinem ersten Staunen und hatte nun Muße, die Trachten und Gesichter ein wenig zu studiren.

Der Mittelpunkt der belebtesten Gruppe war ein Musketier von großer Gestalt, hochmüthigem Antlitz und höchst wunderlichem Aufzug, welcher die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn lenkte. Er trug in diesem Augenblick keine Uniform, wozu er auch in jener Zeit geringerer Freiheit, aber größerer Unabhängigkeit nicht durchaus verbunden war, sondern er hatte einen etwas abgetragenen Leibrock an, und auf diesem Kleide gewahrte man ein prachtvolles Wehrgehänge mit goldenen Stickereien, das funkelte, wie ein Wasserspiegel im vollen Sonnenschein. Ein langer, karmesinrother Mantel fiel anmuthig über die Schultern und ließ vorn nur das glänzende Wehrgehänge sehen, woran ein riesiger Raufdegen befestigt war.

Dieser Musketier war so eben von der Wache abgekommen, beklagte sich über Schnupfen und hustete von Zeit zu Zeit mit einer gewissen Affektation. Deßhalb hatte er den Mantel genommen, wie er zu seiner Umgebung sagte, und während er von oben herab sprach und verächtlich seinen Schnurrbart kräuselte, bewunderte man mit großer Begeisterung – d’Artagnan mehr, als jeder Andere – das gestickte Wehrgehänge.

»Was wollt Ihr, es kommt in die Mode,« sagte der Musketier; »es ist eine Thorheit, ich weiß es wohl, aber es ist einmal Mode. Ueberdies muß man doch auch sein anererbtes Vermögen draufgehen lassen.«

» Ah! Porthos!« rief einer von den Umherstehenden, »suche uns nicht glauben zu machen, dieses Wehrgehänge sei Dir durch die väterliche Großmuth zugefallen; die verschleierte Dame hat es Dir ohne Zweifel gegeben, mit der ich Dir an einem Sonntag in der Nähe der Porte Saint-Honoré begegnete.«

»Nein, auf Ehre und Edelmannsparole, ich habe es selbst und zwar um mein eigenes Geld gekauft,« antwortete derjenige, welchen man mit dem Namen Porthos bezeichnete.

»Ja, wie ich diese neue Börse mit Dem gekauft habe, was mir meine Geliebte in die alte gesteckt hat,« sprach ein anderer Musketier.

»Wahrhaftig, ich habe zehn Pistolen dafür bezahlt,« sagte Porthos.

Die Bewunderung verdoppelte sich, obgleich der Zweifel noch fortbestand.

»Nicht wahr, Aramis?« fragte Porthos, und wandte sich dabei gegen einen dritten Musketier um.

Dieser bildete einen vollständigen Contrast mit dem Fragenden, der ihn mit dem Namen Aramis bezeichnet hatte. Er war ein junger Mann von kaum zwei- bis dreiundzwanzig Jahren, mit naivem, süßlichem Gesichte, schwarzem, sanftem Auge und mit Wangen, so rosig, wie ein Pfirsich im Herbste; sein feiner Schnurrbart zog eine völlig gerade Linie auf seiner Oberlippe; seine Hände schienen sich vor dem Herabhängen zu hüten, weil ihre Adern anschwellen könnten, und von Zeit zu Zeit kniff er sich in die Ohren, um sie in einem zarten, durchsichtigen Incarnat zu erhalten. Er hatte die Gewohnheit, wenig zu sprechen, viel zu grüßen und geräuschlos zu lachen, wobei er seine schönen Zähne zeigte, auf die er, wie aus seine ganze Person, die größte Sorgfalt zu verwenden schien. Er beantwortete die Aufforderung seines Freundes mit einem bestätigenden Kopfnicken.

Diese Bestätigung schien allen Zweifeln in Beziehung auf das Wehrgehänge ein Ende zu machen; man bewunderte es fortwährend, aber man sagte nichts mehr davon, und das Gespräch ging in Folge einer der raschen Wendungen des Gedankens auf einen andern Gegenstand über.

»Was denkt Ihr von dem, was der Stallmeister von Chalais erzählt?« fragte ein anderer Musketier, ohne seine Worte unmittelbar an Einen von der Gruppe zu richten, sondern im Gegentheil sich an alle Umstehenden wendend.

»Und was erzählt er?« sagte Porthos in anmaßendem Tone.

»Er erzählt, er habe in Brüssel Rochefort, den Vertrauten des Kardinals, als Kapuziner verkleidet getroffen; der verfluchte Rochefort hatte in dieser Verkleidung Herrn von Laigues, gerade wie er ist, als einen wahren Einfaltspinsel gespielt.«

»Als einen wahren Einfaltspinsel,« fragte Porthos, »aber ist die Sache gewiß?«

»Ich habe es von Aramis gehört,« antwortete der Musketier.

»Wirklich?«

»Ei! Ihr wißt es wohl, Porthos,« sagte Aramis, »ich habe es Euch selbst gestern erzählt; sprechen wir nicht mehr davon.«

»Nicht mehr davon sprechen, meint Ihr?« erwiederte Porthos. »Nicht mehr davon sprechen? Zum Henker! Wie! der Kardinal läßt einen Edelmann ausspähen, er läßt ihm seine Korrespondenz durch einen Verräther, durch einen Dieb, durch einen Galgenstrick stehlen; läßt mit Hülfe dieser Späher und dieser Korrespondenz Chalais unter dem thörichten Vorwand, er habe den König ermordet und Monsieur mit der Königin verheirathen wollen, den Hals abschneiden! Niemand wußte etwas von diesem Räthsel, Ihr erfuhrt es gestern zum allgemeinen Erstaunen, und während wir über diese Neuigkeit noch ganz verwundert sind, kommt Ihr heute und sagt: Sprechen wir nicht mehr davon!«

»Sprechen wir also davon, wenn Ihr es wünscht,« erwiederte Aramis geduldig.

»Wäre ich der Stallmeister des armen Chalais,« rief Porthos, »so würde dieser Rochefort einen schlimmen Augenblick mit mir erleben.«

»Und ihr würdet einen schlimmen Augenblick mit dem Herzog Roth erleben,« versetzte Aramis.

»Ah! der Herzog Roth! bravo, bravo, der Herzog Roth!« erwiederte Porthos, in die Hände klatschend. »Der Herzog Roth, das ist allerliebst. Ich werde den Witz verbreiten, seid nur ruhig. Welch ein gescheidter Kerl doch dieser Aramis ist! Es ist ein wahres Unglück, daß Ihr Euren Beruf nicht verfolgen konntet, mein Lieber; was für ein köstlicher Abbé wäre doch aus Euch geworden!«

»Ah! das ist nur für den Augenblick hinausgeschoben,« entgegnete Aramis, »ich werde es später schon noch werden; Ihr wißt wohl, Porthos, daß ich zu diesem Behuf die Theologie zu studiren fortfahre.«

»Er thut, was er sagt,« rief Porthos, »er thut es früher oder später.«

»Früher,« sprach Aramis.

»Er wartet nur Eines ab, um sich gänzlich hiefür zu entscheiden und die Sutane zu nehmen, welche hinter seiner Uniform hängt,« sagte ein anderer Musketier.

»Und was wartet er denn ab?« fragte ein Dritter.

»Er wartet, bis die Königin der Krone Frankreich einen Erben geschenkt hat.«

»Scherzen wir nicht hierüber, meine Herren,« sprach Porthos; »sie ist, Gott sei Dank! noch in dem Alter, um der Krone einen Erben zu schenken.«

»Man sagt, Herr von Buckingham sei in Frankreich,« versetzte Aramis mit einem spöttischen Lächeln, das dieser scheinbar so einfachen Aeußerung eine ziemlich skandalöse Bedeutung verlieh.

»Aramis, mein Freund,« unterbrach ihn Porthos, »diesmal habt Ihr Unrecht; Eure Manie, Witze zu machen, läßt Euch beständig alle Grenzen überspringen; wenn Herr von Treville Euch hörte, so dürftet Ihr eine solche Sprache theuer zu bezahlen haben.«

»Wollt Ihr mir eine Lektion geben. Porthos!« rief Aramis, und durch sein sanftes Auge zuckte ein Blitz.

»Mein Lieber, seid Musketier oder Abbé, seid das Eine oder das Andere, aber nicht das Eine und das Andere,« erwiederte Porthos. »Hört, Athos hat Euch noch vor Kurzem gesagt: Ihr eßt an allen Raufen! Oh! erzürnt Euch nicht, es wäre vergeblich, Ihr wißt wohl, was zwischen Euch, Athos und mir abgemacht ist. Ihr geht zur Frau d’Aiguillon und macht ihr den Hof; Ihr geht zur Frau von Bois-Tracy, der Base der Frau von Chevreuse, und man sagt, Ihr stehet bedeutend in Gnade bei der Dame. Oh! mein Gott, Ihr braucht Euer Glück nicht einzugestehen; man fragt Euch nicht um Euer Geheimniß, denn man kennt Eure Discretion. Aber da Ihr diese Tugend besitzt, so macht in des Teufels Namen in Beziehung auf Ihre Majestät davon Gebrauch. Beschäftige sich mit dem König und dem Kardinal wer will und wie jeder will; aber die Königin ist geheiligt, und wenn man von ihr spricht, so muß es in Gutem geschehen.«

»Porthos, Ihr seid anmaßend, wie ein Narziß,« erwiederte Aramis. »Ihr wißt, daß ich die Moral hasse, außer wenn sie von Athos gepredigt wird. Was Euch betrifft, mein Lieber, Ihr habt ein viel zu prachtvolles Wehrgehänge, um in diesem Punkt stark zu sein. Ich werde Abbé, wann es mir beliebt; mittlerweile bin ich Musketier; in dieser Eigenschaft sage ich, was mir gefällt, und in diesem Augenblick gefällt es mir zu sagen, daß Ihr mich ungeduldig macht!«

»Aramis!«

»Porthos!«

»He, meine Herren! meine Herren!« rief man um sie her.

»Herr von Treville erwartet Herrn d’Artagnan,« unterbrach der Bediente, die Thür des Kabinets öffnend.

Bei dieser Ankündigung, während welcher die Thüre offen blieb, schwieg Jeder, und unter diesem Stillschweigen durchschritt der junge Gascogner das Vorzimmer und trat bei dem Kapitän der Musketiere ein, nicht ohne sich von ganzem Herzen Glück zu wünschen, daß er gerade zu rechter Zeit dem Ende dieses seltsamen Streites entging.

XX.

Die Reise.

Um zwei Uhr Morgens zogen die vier Abenteurer durch die Barriere St. Denis aus Paris; so lange es Nacht war, blieben sie stumm. Unter dem Einflüsse der Dunkelheit erblickten sie unwillkürlich überall Hinterhalte, erst bei den ersten Strahlen des Tages lösten sich ihre Zungen. Mit der Sonne kehrte ihre Heiterkeit wieder: es war wie am Vorabend einer Schlacht; das Herz klopfte in der Brust, die Augen lachten, man fühlte, daß das Leben, von dem man vielleicht scheiden sollte, am Ende doch ein schönes Ding war.

Der Anblick der Caravane hatte übrigens etwas Furchtbares: die Rappen der Musketiere, ihre martialische Tournure, die Gewohnheit der Schwadron, welche die edlen Gefährten der Soldaten regelmäßig marschiren läßt, hätten das strengste Incognito verrathen.

Die Bedienten folgten, bis an die Zähne bewaffnet.

Alles ging gut bis Chantilly, wo man gegen acht Uhr Morgens anlangte. Man mußte frühstücken und stieg vor einer Herberge ab, die sich durch einen Schild, den heiligen Martin darstellend, wie er die Hälfte seines Mantels einem Armen gibt, empfahl. Man schärfte den Lakaien ein, die Pferde nicht abzusatteln und sich zu schleunigem Wiederaufbruch bereit zu halten. Die vier Freunde traten in das gemeinschaftliche Wirthszimmer und setzten sich zu Tisch.

Ein Herr, welcher auf der Straße von Dampmartin angelangt war, saß an demselben Tisch und frühstückte. Er fing an von Regen und schönem Wetter zu sprechen. Die Reisenden antworteten; er trank ihre Gesundheit. Die Reisenden erwiederten diese Höflichkeit.

Aber in dem Augenblick, wo Mousqueton ankündigte, die Pferde seien bereit, und man vom Tische aufstand, schlug der Fremde Porthos die Gesundheit des Kardinals vor. Porthos antwortete: er sei ganz damit einverstanden, wenn der Fremde ebenfalls die Gesundheit des Königs trinken wolle. Der Fremde antwortete: er kenne keinen andern König, als Se. Eminenz. Porthos nannte ihn einen Trunkenbold; der Fremde zog seinen Degen.

»Ihr habt eine Albernheit begangen,« sprach Athos, »gleich viel, jetzt läßt sich nicht mehr zurückweichen. Tödtet diesen Menschen, und holt uns so schnell als möglich wieder ein.«

Und alle drei bestiegen wieder ihre Pferde und jagten mit verhängten Zügeln davon, während Porthos seinem Gegner versprach, er werde ihn mit allen in der Fechtkunst bekannten Stößen durchbohren.

»Dies der erste,« sagte Athos nach fünfhundert Schritten.

»Aber warum hat dieser Mensch eher Porthos, als jeden Andern angegriffen?« fragte Aramis.

»Weil Porthos viel lauter sprach als wir, weßhalb er ihn für unsern Führer gehalten hat.«

»Ich habe immer gesagt, dieser gascognische Kadett sei ein wahrer Brunnen der Weisheit,« murmelte Athos.

Und die Reisenden setzten ihren Marsch fort.

In Beauvais hielt man zwei Stunden an, sowohl um die Pferde ausschnaufen zu lassen, als um Porthos zu erwarten. Als dieser nach Verlauf von zwei Stunden nicht erschien und auch keine Nachricht von ihm eintraf, begab man sich wieder auf den Weg.

Eine Meile von Beauvais, an einer Stelle, wo die Straße zwischen zwei Böschungen eingezwängt war, stieß man auf acht bis zehn Menschen, welche, da man hier gerade das Pflaster aufgebrochen hatte, aussahen, als ob sie hier arbeiteten, um Löcher zu graben oder die Straße auszubessern.

Aramis, der seine Stiefel in diesem künstlichen Schlammloche zu beschmutzen fürchtete, redete sie mit harten Worten an. Athos wollte ihn zurückhalten, es war zu spät. Die Arbeiter fingen an, die Reisenden zu verspotten, und ihre Frechheit brachte den kalten Athos so sehr außer sich, daß er sein Pferd gegen einen von ihnen antrieb.

Nun wich jeder dieser Menschen bis zu dem Graben zurück und ergriff eine verborgene Muskete. Aramis wurde von einer Kugel getroffen, die durch seine Schulter drang, Mousqueton von einer andern, welche im fleischigen Theile der Lende stecken blieb. Mousqueton fiel indessen allein vom Pferde, nicht als ob er schwerer verwundet gewesen wäre; aber da er die Wunde nicht sehen konnte, so hielt er sich ohne Zweifel für viel gefährlicher verletzt, als er es in der That war.

»Das ist ein Hinterhalt!« rief d’Artagnan, »lassen wir unser Zündkraut unverbrannt, und vorwärts!«

Aramis nahm trotz seiner Wunde sein Pferd bei der Mähne, und dieses trug ihn mit den Andern fort. Das von Mousqueton holte sie wieder ein und galoppirte ganz allein und in seiner Reihe.

»Das gibt uns ein Pferd zum Wechseln,« sagte Athos.

»Ein Hut wäre mir lieber,« sprach d’Artagnan, »der meinige ist von einer Kugel fortgerissen worden. Es ist nur ein Glück, daß der Brief, den ich trage, nicht darin war.«

»Bei Gott! sie werden den armen Porthos tödten, wenn er vorüber kommt,« sprach Aramis.

»Wenn Porthos auf den Beinen wäre, so müßte er uns bereits eingeholt haben,« sagte Athos. »Meiner Meinung nach hat der Trunkenbold auf dem Kampfplatze den Rausch verloren.«

Und man galoppirte noch zwei Stunden lang, obgleich die Pferde so ermüdet waren, daß man befürchten mußte, sie werden bald den Dienst versagen.

Die Reisenden hatten einen Seitenweg eingeschlagen, in der Hoffnung, auf diese Art weniger beunruhigt zu werden; aber in Crevecour erklärte Aramis, er könne nicht weiter reiten. In der That hatte er seines ganzen Muthes bedurft, den er unter seiner eleganten Form und unter seinen höflichen Manieren verbarg, um bis hieher zu gelangen. Jeden Augenblick erbleichte er und man war genöthigt, ihn auf seinem Pferde zu unterstützen: man hob ihn vor der Thüre einer Schenke herab, ließ ihm Bazin, der übrigens bei einem Scharmützel mehr hinderlich als nützlich war, und zog weiter, in der Hoffnung, erst in Amiens Nachtlager zu halten.

»Beim Teufel!« sagte Athos, als sie sich auf zwei Herren und auf Grimaud und Planchet zusammengeschmolzen, wieder auf der Straße befanden, »beim Teufel! ich lasse mich nicht drankriegen, und stehe Euch dafür, daß mich von hier bis Calais Niemand dazu bringen wird, den Mund zu öffnen oder den Degen zu ziehen. Ich schwöre …«

»Schwören wir nicht,« sagte d’Artagnan, »galoppiren wir lieber, wenn es unsere Pferde gestatten.«

Die Reisenden spornten ihre Rosse so, daß sie ihre Kräfte wieder fanden. Man langte in Amiens um Mitternacht an und stieg vor der Herberge zur goldenen Lilie ab.

Der Wirth sah aus, wie der ehrlichste Mann von der Welt. Er empfing die Reisenden, seinen Leuchter in der einen, die baumwollene Mütze in der andern Hand; er wollte die zwei Reisenden jeden in einem vortrefflichen Zimmer einquartieren. Zum Unglück lag jedes von diesen Zimmern am äußersten Ende des Gasthauses. D’Artagnan und Athos weigerten sich. Der Wirth antwortete, er habe keine andere Ihrer Excellenzen würdige Zimmer; aber die Reisenden erklärten, sie würden in einer gemeinschaftlichen Stube jeder auf einer Matratze schlafen, die man auf den Boden werfen könne; der Wirth bestand auf seiner Meinung, die Reisenden gaben nicht nach, und er mußte thun, wie sie haben wollten.

Sie hatten ihr Bett geordnet und ihre Thüre von innen verbarrikadirt, als man vom Hof aus an ihre Läden klopfte. Sie fragten, wer da sei, erkannten die Stimme ihrer Bedienten und öffneten. Es waren wirklich Planchet und Grimaud.

»Grimaud kann allein die Pferde bewachen,« sagte Planchet. »Wenn die Herren erlauben, so werde ich mich quer vor ihre Thüre legen. Auf diese Art sind sie sicher, daß man nicht bis zu ihnen gelangt.«

»Und auf was willst Du schlafen?« sagte d’Artagnan.

»Hier ist mein Bett,« antwortete Planchet und zeigte einen Bund Stroh.

»Komm also,« sprach d’Artagnan, »Du hast Recht, das Gesicht des Wirthes will mir nicht zusagen, es ist zu freundlich.«

Planchet stieg durch das Fenster ein und legte sich quer vor die Thüre, während sich Grimaud in dem Stalle einschloß, nachdem er zuvor die Versicherung gegeben hatte, daß er und die Pferde um fünf Uhr Morgens bereit sein sollen.

Die Nacht ging ziemlich ruhig vorüber; man versuchte es wohl gegen zwei Uhr Morgens die Thüre zu öffnen; aber da Planchet plötzlich erwachte und: » Wer da!« rief, so antwortete man ihm, man habe sich getäuscht, und zog ab. Um vier Uhr Morgens vernahm man einen gewaltigen Lärm im Stalle. Grimaud hatte die Hausknechte wecken wollen und diese schlugen ihn. Als man das Fenster öffnete, sah man den armen Burschen bewußtlos auf der Erde ausgestreckt. Ein Hieb mit der Heugabel hatte ihm den Kopf verletzt.

Planchet ging in den Hof hinab und wollte die Pferde satteln: die Pferde lahmten; nur das von Grimaud, welches am Tage vorher fünf bis sechs Stunden ohne Herrn gereist war, hätte den Marsch fortsetzen können. Aber in Folge eines unbegreiflichen Irrthums hatte der Thierarzt, den man ohne Zweifel holen ließ, um dem Pferde des Wirthes zur Ader zu lassen, dem von Grimaud zur Ader gelassen.

Die Sache fing an beunruhigend zu werden: alle diese rasch aufeinander folgenden Begebenheiten waren vielleicht das Resultat des Zufalls, aber sie konnten ebensowohl die Frucht eines Komplottes sein. Athos und d’Artagnan gingen hinaus, während sich Planchet erkundigte, ob man nicht in der Gegend drei Pferde zu kaufen finden könne. Vor der Thüre standen wirklich zwei Pferde gesattelt und gezäumt, frisch und kräftig. Das fügte sich gut. Er fragte, wo die Herren seien, man antwortete ihm, sie haben die Nacht in dem Wirthshause zugebracht und bezahlen in diese Augenblick ihre Zeche.

Athos ging hinab, um die Rechnung zu berichtigen, während d’Artagnan und Planchet an der Hausthüre stehen blieben; der Wirth befand sich in einem unteren nach hinten gelegenen Zimmer; man bat Athos, dahin zu gehen.

Athos trat ohne Mißtrauen ein und zog zwei Goldstücke hervor, um zu bezahlen. Der Wirth war allein und saß vor einem Bureau, an dem eine der Schubladen halb offen war. Er nahm das Geld, das ihm Athos darbot, drehte es wiederholt in der Hand um und rief plötzlich, es sei falsch, und er werde ihn und seine Gefährten als Falschmünzer in Verhaft nehmen lassen.

»Schurke,« sprach Athos gegen ihn vorrückend, »ich werde Dir die Ohren abschneiden!«

Aber der Wirth bückte sich, nahm zwei Pistolen aus einer der Schubladen, und richtete sie, um Hülfe rufend, gegen Athos.

In demselben Augenblick traten vier bis an die Zähne bewaffnete Männer durch die Seitenthüren ein und warfen sich auf Athos.

»Ich bin verloren,« schrie Athos mit der vollen Gewalt seiner Lunge; »mach Dich fort, d’Artagnan, fort, fort!« Und er drückte seine beiden Pistolen ab.

D’Artagnan und Planchet ließen sich diesen Zuruf nicht wiederholen; sie machten die zwei Pferde, welche vor der Thüre standen, los, sprangen in den Sattel, stießen ihnen die Sporen in den Leib und jagten im stärksten Galopp davon.

»Weißt Du, was aus Athos geworden ist?« fragte d’Artagnan.

»Ach! gnädiger Herr,« erwiederte Planchet, »ich habe zwei auf seine Schüsse fallen sehen, und bei einem Blicke, den ich noch durch die Glasthüre warf, kam es mir vor, als fuchtelte er mit den andern.«

»Braver Athos!« murmelte d’Artagnan. »Wenn ich bedenke, daß man ihn so im Stiche lassen muß! Uebrigens erwartet uns vielleicht zehn Schritte von hier dasselbe Schicksal. Vorwärts! Planchet, vorwärts! Du bist ein wackerer Bursche.«

»Ich habe es Euch gesagt, gnädiger Herr,« antwortete Planchet, »die Picarden erkennt man erst beim Gebrauch; übrigens bin ich hier in meiner Heimath und das feuert mich an.«

Beide spornten auf das Schönste und gelangten in einem Zuge nach Saint-Omer. Hier ließen sie ihre Pferde ausschnaufen, wobei sie aus Furcht vor irgend einem Unfalle die Zügel um den Arm schlangen, und aßen, vor der Thüre stehend, einen Bissen aus der Faust, wonach sie ihren Marsch wieder fortsetzten.

Hundert Schritte vor den Thoren von Calais stürzte d’Artagnans Pferd es war unmöglich, dasselbe wieder auf die Beine zu bringen; das Blut lief ihm aus der Nase und aus den Augen; es war noch das Pferd Planchets übrig, aber dieses stand stille, und man konnte es keinen Schritt mehr weiter treiben.

Zum Glück waren sie, wie gesagt, nur noch hundert Schritte von der Stadt entfernt. Sie ließen die beiden Rosse aus der Landstraße und liefen nach dem Hafen. Planchet machte seinen Gebieter auf einen Herrn aufmerksam, der eben mit seinem Bedienten ankam und nur fünfzig Schritte vor ihnen ging.

Sie näherten sich rasch diesem Herrn, der große Eile zu haben schien. Seine Stiefel waren mit Staub bedeckt, und er fragte, ob er nicht sogleich nach England überfahren könnte.

»Nichts leichter als das,« antwortete der Patron eines segelfertigen Schiffes; aber diesen Morgen ist ein Befehl eingetroffen, Niemand ohne ausdrückliche Erlaubniß des Herrn Kardinals passiren zu lassen.«

»Ich habe diese Erlaubniß,« sagte der Herr, ein Papier aus seiner Tasche ziehend; »hier ist sie.«

»So laßt sie vom Hafen-Gouverneur unterzeichnen und gönnt mir den Vorzug vor den anderen Schiffen.«

»Wo kann ich den Gouverneur finden?«

»In seinem Landhause.«

»Und wo liegt dieses?«

»Eine Viertelmeile von der Stadt! Ihr seht es dort, am Fuße jener Anhöhe, mit dem Schieferdache.«

»Gut!« rief der Herr und schlug von seinem Bedienten gefolgt den Weg nach dem Landhause des Gouverneurs ein.

D’Artagnan und Planchet folgten dem Herrn in einer Entfernung von fünfhundert Schritten.

Sobald sie vor der Stadt waren, beschleunigte d’Artagnan seine Schritte und holte den Herrn ein, als er eben in ein kleines Gehölze eintrat.

»Mein Herr,« sprach d’Artagnan, »Ihr scheint mir große Eile zu haben.« – »Im höchsten Grade.« – »Bedaure sehr, denn da ich ebenfalls große Eile habe, so wollte ich Euch um einen Dienst bitten.« – »Um welchen?« – »Mich vorausgehen zu lassen. Ich habe sechzig Meilen in vier und vierzig Stunden zurückgelegt und muß morgen Mittag in London sein.« – »Ich habe denselben Weg in vierzig Stunden gemacht und muß morgen früh um zehn Uhr in London sein.« – »Bedaure, mein Herr, aber da ich zuerst angekommen, werde ich nicht als zweiter gehen.« – »Es thut mir unendlich leid ich bin als zweiter angekommen, aber ich werde zuerst gehen.« – »Im Dienste des Königs?« sprach der Herr. – »In meinem Dienste!« antwortete d’Artagnan. – »Ihr scheint mir Händel zu suchen?« – »Beim Teufel! wie soll es anders sein?« – »Was verlangt Ihr von mir?« – »Wollt Ihr es wissen?« – »Allerdings.« – »Nun! ich verlange den Befehl, den Ihr bei Euch tragt, insofern ich keinen habe und doch desselben nothwendig bedarf.« – »Ihr scherzt hoffentlich?« – »Ich scherze nie.« – »Laßt mich ziehen.« – »Ihr kommt nicht von der Stelle.« – »Mein braver junger Mann, ich werde Euch den Schädel zerschmettern. Holla! Lubin, meine Pistolen.« – »Planchet,« sagte d’Artagnan, »übernimm Du den Bedienten, ich nehme den Herrn.«

Durch die erste That ermuthigt, sprang Planchet auf Lubin, warf ihn, stark und kräftig, wie er war, auf den Boden und setzte ihm das Knie auf die Brust.

»Macht Euer Geschäft ab, gnädiger Herr,« sagte Planchet, »ich bin mit dem meinigen fertig.«

Dies gewahrend, zog der Unbekannte seinen Degen und fiel gegen d’Artagnan aus, aber er hatte es mit einem gewaltigen Gegner zu thun.

In drei Sekunden versetzte ihm d’Artagnan drei Degenstöße und bei jedem Stoße sagte er:

»Einen für Athos, einen für Porthos, einen für Aramis!«

Beim dritten Stoße stürzte der Unbekannte wie eine träge Masse zur Erde.

D’Artagnan hielt ihn für todt oder wenigstens für ohnmächtig, und näherte sich ihm, um den Befehl zu nehmen; aber in dem Augenblicke, wo er die Hand ausstreckte, um ihn zu suchen, brachte ihm der Verwundete, der seinen Degen nicht losgelassen hatte, einen Stich in die Brust bei und rief:

»Einen für Euch!«

»Und einen für Dich! Wer zuletzt lacht, lacht am besten!« schrie d’Artagnan wüthend und spießte ihn mit einem vierten Stoße durch den Bauch an den Boden.

Diesmal schloß der Fremde, ohnmächtig geworden, die Augen.

D’Artagnan durchsuchte die Tasche, in welche er ihn den Ueberfahrsbefehl hatte stecken sehen, und nahm ihn. Er war auf den Namen des Grafen von Wardes ausgestellt.

Einen letzten Blick auf den schönen jungen Mann werfend, der kaum fünfundzwanzig Jahre alt sein mochte, und den er hier auf der Erde ausgestreckt, das Bewußtsein beraubt, vielleicht gar todt zurücklassen mußte, seufzte er über das seltsame Geschick, welches die Menschen dahinbringt, daß sie einander umbringen im Interesse von Leuten, die ihnen fremd sind, und denen ihr Dasein häufig ganz unbekannt ist.

Bald aber wurde er seinen Betrachtungen durch Lubin entzogen, der ein furchtbares Jammergeschrei ausstieß und mit aller Gewalt um Hilfe rief.

Planchet faßte ihn bei der Gurgel und schnürte sie ihm aus Leibeskräften zusammen.

»Gnädiger Herr,« sagte er, »so lange ich ihn so halte, wird er sicherlich nicht schreien, das weiß ich gewiß, aber sobald ich ihn loslasse, wird er wieder zu kreischen anfangen. Es ist ein Normann und die Normannen sind hartnäckige Bursche.«

Lubin suchte wirklich, so gepreßt er auch war, einige Töne von sich zu geben.

»Warte!« sprach d’Artagnan, nahm sein Taschentuch und knebelte ihn.

»Nun wollen wir ihn an einen Baum binden!« sagte Planchet.

Dies wurde gewissenhaft ausgeführt. Dann schleppte man den Grafen von Wardes in die Nähe seines Bedienten, und da die Nacht bereits einbrach und beide, der Verwundete und der Geknebelte, sich mehrere Schritte in einem Gehölze befanden, so mußten sie offenbar bis am andern Tage hier bleiben.

»Und nun zum Gouverneur,« rief d’Artagnan.

»Es scheint mir, Ihr seid verwundet?« sagte Planchet.

»Das ist jetzt von keiner Bedeutung, wir wollen uns mit dem Dringenderen beschäftigen, und dann nach der Wunde fragen, die mir übrigens durchaus nicht gefährlich zu sein scheint.«

Und beide eilten mit großen Schritten nach dem Landhause des würdigen Beamten.

Man kündigte den Grafen von Wardes an.

D’Artagnan wurde eingeführt.

»Ihr habt einen vom Kardinal unterzeichneten Paß?« sagte der Gouverneur. – »Ja, mein Herr, hier ist er.« – »Ah, ah! er ist in Ordnung und mit guten Empfehlungen versehen,« sprach der Gouverneur. – »Das ist ganz einfach,« erwiederte d’Artagnan, »ich gehöre zu seinen getreuesten Anhängern.« – »Es scheint. Seine Eminenz will irgend Jemand verhindern, nach England zu kommen?« – »Ja, einen gewissen d’Artagnan, einen Bearner Edelmann, der mit drei von seinen Freunden von Paris abgereist ist, in der Absicht, sich nach London zu begeben.« – »Kennt Ihr ihn persönlich,« fragte der Gouverneur. –»Wen?« – »Diesen d’Artagnan.« – »Sehr gut!« – »Gebt mir sein Signalement.« – »Nichts leichter!«

D’Artagnan gab Zug für Zug das Signalement des Grafen von Wardes.

»Hat er einen Begleiter?« fragte der Gouverneur.

»Ja, einen Bedienten, Namens Lubin.«

»Man wird auf sie Acht haben, und wenn man ihrer habhaft wird, mag Seine Eminenz ruhig sein, sie sollen unter sicherem Geleite nach Paris zurückgeführt werden.«

»Wenn Ihr dies thut, mein Herr Gouverneur,« sprach d’Artagnan, »werdet Ihr Euch ein großes Verdienst um den Kardinal erwerben.«

»Ihr seht ihn wohl bei Eurer Rückkehr, mein Herr Graf?«

»Das versteht sich.«

»Sagt ihm gefälligst, ich sei sein getreuer Diener.«

»Ich werde nicht ermangeln.«

Erfreut über diese Versicherung, visirte der Gouverneur den Paß und stellte ihn d’Artagnan zu.

D’Artagnan verlor keine Zeit mit unnützen Komplimenten, verbeugte sich vor dem Gouverneur, dankte ihm und ging weg.

Sobald er mit Planchet aus dem Hause war, setzten sie sich in raschen Lauf, machten einen langen Umweg, um das Gehölze zu vermeiden, und gelangten durch ein anderes Thor nach der Stadt zurück.

Das Schiff war immer noch zur Abfahrt bereit. Der Patron wartete am Hafen.

»Nun, wie steht’s?« sagte er, sobald er d’Artagnan gewahr wurde. – »Hier ist der visirte Paß,« erwiederte dieser. – »Und der andere Herr?« – »Er wird heute nicht mehr abreisen,« sprach d’Artagnan, »aber seid ruhig, ich bezahle die Ueberfahrt für uns Beide.« – »In diesem Fall, zu Schiffe,« sagte der Patron. – »Zu Schiffe,« wiederholte d’Artagnan.

Und er sprang mit Planchet in den Nachen; fünf Minuten nachher waren sie an Bord.

Es war höchste Zeit; sie befanden sich kaum eine halbe Meile in See, als d’Artagnan eine Flamme bemerkte und einen Knall hörte.

Es war der Kanonenschuß, der das Schließen des Hafens ankündigte.

Nun mußte man sich endlich mit d’Artagnans Wunde beschäftigen. Zum Glück war sie, wie er selbst gedacht hatte, nicht gefährlich. Die Degenspitze hatte eine Rippe getroffen und war von dem Beine abgeglitten; überdieß hatte sich das Hemd an die Wunde festgeklebt und so waren nur einige Tropfen Blutes hervorgedrungen.

D’Artagnan war im höchsten Grad ermattet. Man breitete ihm eine Matratze auf dem Verdeck aus, er warf sich darauf und entschlummerte.

Am andern Morgen bei Tagesanbruch befand er sich noch drei bis vier Meilen von der Küste Frankreichs entfernt; der Wind war in der ganzen Nacht sehr schwach gewesen und man hatte eine kleine Strecke zurückgelegt.

Um zwei Uhr ging das Schiff in dem Hafen von Dover vor Anker.

Um halb drei Uhr setzte d’Artagnan den Fuß auf den Boden Englands und rief: »Endlich bin ich hier!«

Aber damit war es noch nicht genug. Man mußte London erreichen. In England war die Post ziemlich gut bedient. D’Artagnan und Planchet nahmen jeder einen Klepper. Ein Postillon ritt voraus, in vier Stunden langten sie vor den Thoren der Hauptstadt an.

Der Herzog befand sich mit dem König auf der Jagd.

D’Artagnan kannte London nicht. D’Artagnan verstand kein Wort Englisch; aber er schrieb den Namen Buckingham auf ein Papier und Jedermann zeigte ihm das Hotel des Herzogs.

D’Artagnan fragte nach dem ersten Kammerdiener Buckinghams, der ihn auf allen seinen Reisen begleitet hatte und vollkommen Französisch sprach. Er sagte ihm, er komme von Paris in einer Angelegenheit, bei der es sich um Leben und Tod handle, und müsse seinen Herrn sogleich sprechen.

Die Sicherheit, mit der d’Artagnan sein Verlangen ausdrückte, überzeugte Patrice, so hieß dieser Minister des Ministers. Er ließ zwei Pferde satteln und übernahm es, den jungen Gardisten zu begleiten. Planchet hatte man steif wie ein Rohr von seinem Rosse herabgehoben. Die Kräfte des armen Burschen waren völlig erschöpft. D’Artagnan schien von Eisen.

Man kam in dem Schlosse an und zog hier Erkundigung ein; der König und Buckingham waren auf der Beize in einem zwei bis drei Meilen von da entfernten Moore.

In zwanzig Minuten befand man sich an der bezeichneten Stelle. Bald hörte Patrice die Stimme seines Herrn, der seinen Falken zurückrief.

»Wen soll ich Mylord-Herzog ankündigen?« fragte Patrice.

»Den jungen Mann, der eines Abends auf dem Pont Neuf bei der Samaritaine Händel mit ihm gesucht hat.«

»Eine sonderbare Empfehlung!«

»Ihr werdet sehen, daß sie so viel werth ist, als irgend eine andere.«

Patrice setzte sein Pferd in Galopp, erreichte den Herzog und meldete ihm in den so eben erwähnten Worten einen Boten an, der seiner harrte.

Buckingham erkannte d’Artagnan sogleich, und da er vermuthete, daß in Frankreich etwas vorging, wovon man ihn in Kenntniß setzen wollte, so nahm er sich nicht die Zeit, zu fragen, wo der Bote sei, sondern galoppirte, als er von Ferne die Uniform der Garden erkannt hatte, gerade auf d’Artagnan zu. Patrice hielt sich aus Discretion entfernt.

»Es ist der Königin doch kein Unglück widerfahren?« rief Buckingham, alle seine Gedanken, seine ganze Liebe in diese Frage legend.

»Ich glaube nicht, aber ich bin der Ueberzeugung, daß sie eine große Gefahr läuft, der Eure Herrlichkeit allein sie entziehen kann.«

»Ich?« rief Buckingham. »Sollte ich so glücklich sein, ihr in irgendwie nützen zu können? Sprecht? sprecht!«

»Nehmt diesen Brief,« sagte d’Artagnan

»Diesen Brief? von wem kommt er?«

»Von Ihrer Majestät, wie ich glaube.«

»Von Ihrer Majestät,« sprach Buckingham und erbleichte dergestalt, daß d’Artagnan meinte, er würde in Ohnmacht fallen.

Er erbrach das Siegel.

»Woher dieser Riß?« sagte er und zeigte d’Artagnan eine Stelle, wo er durchbohrt war.

»Ah, ab!« rief d’Artagnan, »ich hatte das nicht gesehen. Der Degen des Grafen von Wardes wird dieses schöne Loch gemacht haben, als er ihn mir in die Brust stieß.«

»Ihr seid verwundet?« fragte Buckingham.

»O! nichts,« erwiederte d’Artagnan; »eine Schramme.«

»Gerechter Himmel! was habe ich gelesen?« rief der Herzog. »Patrice, bleibe hier, oder vielmehr suche den König auf, wo er auch sein mag, und sage Seiner Majestät, daß ich mich zu entschuldigen bitte; aber eine Angelegenheit von höchstem Belang rufe mich nach London zurück. Kommt, Herr, kommt!«

Und Beide schlugen im Galopp den Weg nach der Hauptstadt ein.

XXI.

Die Gräfin von Winter.

Den ganzen Weg entlang ließ sich der Herzog über Alles von d’Artagnan Bericht erstatten, nicht über Alles, was vorgefallen war, sondern über das, was d’Artagnan davon wußte. Indem er die Mittheilungen des jungen Mannes mit seinen Erinnerungen zusammenhielt, konnte er sich einen genauen Begriff von der Lage machen, von deren Mißlichkeit ihm der Brief der Königin, so kurz er auch war, einen Maßstab gab. Er wunderte sich besonders darüber, daß es dem Kardinal, dem so viel daran liegen mußte, daß der junge Mann England nicht erreichen konnte, nicht gelungen war, ihn auf dem Wege aufgreifen zu lassen. Als er sein Erstaunen hierüber kund gab, erzählte ihm d’Artagnan von den Vorsichtsmaßregeln, die er genommen, und wie er durch die aufopfernde Ergebenheit seiner drei Freunde, die er blutend und zerstreut auf der Straße zurückgelassen, mit einem Degenstiche sich durchgeschlagen, der durch das Billet der Königin gedrungen war, und den er dem Grafen von Wardes mit so furchtbarer Münze zurückbezahlt hatte. Während der Herzog auf diese Erzählung hörte, die mit der größten Einfachheit vorgetragen wurde, schaute er d’Artagnan mit erstaunter Miene an, als könnte er nicht begreifen, wie er so viel Muth, so viel Klugheit, so viel Ergebenheit mit einem Gesichte zusammenreimen sollte, das kaum zwanzig Jahre andeutete.

Die Pferde gingen wie der Wind, und in wenigen Minuten befanden sie sich vor den Thoren von London. D’Artagnan hatte geglaubt, der Herzog würde in der Stadt etwas langsamer reiten; aber dem war nicht so. Er setzte seinen Weg in größter Eile fort und kümmerte sich nicht darum, ob er die Leute auf der Straße niederwarf. Wirklich ereigneten sich mehrere Unfälle dieser Art während des Rittes durch die Stadt. Aber Buckingham drehte nicht einmal den Kopf um zu sehen, was aus denjenigen, welche er niederritt, geworden war. D’Artagnan folgte ihm mitten unter Schreien, welche viel Aehnlichkeit mit Verfluchungen hatten.

Im Hof seines Hotels sprang Buckingham von seinem Pferd, warf ihm gleichgültig den Zügel auf den Hals und stürzte nach der Treppe. D’Artagnan that dasselbe, jedoch mit etwas mehr Unruhe für diese edlen Thiers, deren Verdienst er würdigen gelernt hatte; aber zu seiner Befriedigung bemerkte er, daß drei bis vier Bedienten aus den Küchen und Ställen herbeiliefen und sich sogleich der Pferde bemächtigten.

Der Herzog ging so rasch, daß d’Artagnan Mühe hatte, ihm zu folgen. Er durchschritt nach einander mehrere Salons von einer Eleganz, von der selbst die vornehmen Herren Frankreichs keinen Begriff hatten, und gelangte endlich in ein Schlafgemach, das zugleich ein Wunder von Geschmack und Reichtum war. Im Alkoven dieses Gemachs war eine in der Tapete angebrachte Thüre, welche der Herzog mit einem kleinen goldenen Schlüssel öffnete, den er an einer Kette von demselben Metall am Halse trug. Aus Bescheidenheit war d’Artagnan zurückgeblieben. Aber in dem Augenblick, wo Buckingham die Schwelle dieser Thüre überschritt, drehte er sich um und sprach, als er das Zögern des jungen Mannes wahrnahm:

»Kommt, und wenn Ihr die Ehre habt, vor Ihrer Majestät erscheinen zu dürfen, so sagt ihr, was Ihr hier seht.«

Ermuthigt durch diese Aufforderung, folgte d’Artagnan dem Herzog, der die Thüre hinter sich schloß.

Beide befanden sich nun in einer kleinen mit persischer Seide tapezierten und mit Gold gestickten Kapelle, welche mit einer großen Anzahl von Kerzen stark beleuchtet war. Ueber einer Art von Altar und unter einem Prachthimmel von blauem Sammet, überragt von weißen und rothen Federn, gewahrte man ein Porträt in natürlicher Größe, Anna von Oesterreich so vollkommen ähnlich darstellend, daß d’Artagnan unwillkürlich einen Schrei des Erstaunens ausstieß. Man hätte glauben sollen, Ihre Majestät wäre im Begriff zu sprechen.

Auf dem Altar und unter dem Porträt stand das Kistchen, welches die diamantenen Nestelstifte enthielt.

Der Herzog näherte sich dem Altar, kniete davor nieder, wie ein Priester vor dem Christusbilde, und öffnete das Kistchen.

»Seht,« sprach er, indem er eine große ganz von Diamanten funkelnde blaue Bandschleife hervorzog, »seht, hier sind diese kostbaren Nestelstifte, mit denen ich mich begraben zu lassen geschworen hatte. Die Königin hat sie mir gegeben, die Königin nimmt sie mir wieder, ihr Wille geschehe, wie der Wille Gottes, in allen Dingen.«

Dann küßte er alle diese Stifte, von denen er sich trennen sollte, einen um den andern. Plötzlich stieß er einen furchtbaren Schrei aus.

»Was gibt es?« fragte d’Artagnan unruhig. »Was ist Euch, Mylord?«

»Alles ist verloren!« rief Buckingham, indem er todesbleich wurde; »zwei von diesen Nestelstiften fehlen; es sind nur noch zehn.«

»Hat Mylord sie verloren, oder glaubt er, man könnte sie ihm gestohlen haben?«

»Man hat sie mir gestohlen,« erwiederte der Herzog, »und das ist ein Streich des Kardinals! Seht, die Bänder, an denen sie befestigt waren, sind mit der Scheere durchschnitten.«

»Sollte Mylord vermuthen, wer den Diebstahl begangen hat? … Vielleicht sind sie noch in den Händen der Person.«

»Geduld!« rief der Herzog. »Ich trug diese Nestelstifte nur ein einziges Mal vor acht Tagen auf einem Ball des Königs in Windsor. Die Gräfin von Winter, mit der ich gespannt war, näherte sich nur auf diesem Ball. Diese Annäherung war eine Rache der eifersüchtigen Frau. Seitdem habe ich sie nicht wieder gesehen. Sie ist eine Agentin Richelieus.«

»Also gibt es auf der ganzen Welt Agenten von ihm?« rief d’Artagnan.

»Oh! ja, ja,« sprach Buckingham vor Zorn mit den Zähnen knirschend; »ja, er ist ein furchtbarer Gegner. Doch wann soll der bewußte Ball stattfinden?«

»Nächsten Montag.«

»Nächsten Montag! Fünf Tage also? Das ist mehr Zeit als wir brauchen. Patrice!« rief ver Herzog, die Thüre der Kapelle öffnend, »Patrice!«

Der Kammerdiener erschien.

»Meinen Juwelier und meinen Sekretär!«

Der Kammerdiener entfernte sich mit einer Geschwindigkeit, und Schweigsamkeit, woraus sich erkennen ließ, daß er an blinden und stummen Gehorsam gewöhnt war.

Aber obgleich man den Juwelier zuerst gerufen hatte, erschien doch der Sekretär vor diesem. Dies war ganz einfach, denn er wohnte im Hotel. Er fand Buckingham in seinem Schlafzimmer vor einem Tisch sitzend und eigenhändig einige Briefe schreibend.

»Herr Jakson,« sprach er, »Ihr begebt Euch stehenden Fußes zum Lordkanzler und sagt ihm, daß ich ihn mit Vollziehung dieser Befehle beauftrage. Ich verlange, daß sie sogleich bekannt gemacht werden sollen.«

»Aber, gnädigster Herr, wenn der Lordkanzler mich nach den Motiven fragt, die Eure Herrlichkeit zu so außerordentlichen Maßregeln veranlassen konnten, was soll ich antworten?«

»So habe es mir gefallen, und ich habe Niemand über meinen Willen Rechenschaft zu geben.«

»Ist das die Antwort, die er Seiner Majestät zu überbringen hat,« versetzte der Sekretär lächelnd, »wenn Seine Majestät zufällig so neugierig sein sollte, wissen zu wollen, warum kein Schiff aus den Häfen Großbritanniens auslaufen darf?«

»Ihr habt Recht, mein Herr,« antwortete Buckingham; »er mag in diesem Fall dem König sagen, ich habe den Krieg beschlossen, und diese Maßregel sei mein erster feindseliger Akt gegen Frankreich.«

Der Sekretär verbeugte sich und trat ab.

»Wir sind nun von dieser Seite her ruhig,« sprach Buckingham, sich gegen d’Artagnan umwendend. »Wenn die Nestelstifte noch nicht nach Frankreich abgegangen sind, so werden sie erst nach Euch ankommen.«

»Wie dies?«

»Ich habe einen Embargo aus alle Schiffe gelegt, welche sich zu dieser Stunde in den Häfen seiner Majestät befinden, und ohne besondere Erlaubniß wird es keines wagen, die Anker zu lichten.«

D’Artagnan betrachtete staunend diesen Mann, der die unbeschränkte Gewalt, womit ihn das Vertrauen des Königs bekleidet hatte, im Dienste seiner Liebschaften ausbeutete. Buckingham bemerkte am Gesichtsausdruck des jungen Mannes, was in seinem Innern vorging, und lächelte.

»Ja,« sagte er, »ja, Anna von Oesterreich ist meine wahre Königin, auf ein Wort von ihr verrathe ich mein Vaterland, meinen König, meinen Gott. Sie hat mich gebeten, den Protestanten von La Rochelle die Hülfe nicht zu schicken, die ich ihnen zugesagt hatte, und ich habe es gethan. Ich habe mein Wort gebrochen, aber gleich viel, ich gehorchte ihrem Wunsche; sagt, wurde ich nicht großmüthig für meinen Gehorsam bezahlt? denn diesem habe ich ihr Porträt zu verdanken.«

D’Artagnan staunte und bedachte, an welch schwachen und unbekannten Fäden oft die Geschicke der Völker und das Leben der Menschen hängen.

Er war ganz in Betrachtungen versunken, als der Goldschmied eintrat: er war ein Irländer und einer der geschicktesten Künstler seines Fachs; er gestand selbst, daß er jährlich hundert tausend Livres bei dem Herzog von Buckingham gewann.

»Herr O’Reilly,« sagte der Herzog, indem er ihn in die Kapelle führte, »betrachtet diese diamantenen Nestelstifte und sagt mir, was das Stück werth ist.«

Der Goldschmied warf einen Blick auf die zierliche Fassung, berechnete den Werth jedes einzelnen Diamants und antwortete ohne Zögern:

»Fünfzehnhundert Pistolen das Stück.«

»Wie viel Tage braucht man, um zwei solche Nestelstifte zu machen, wie diese sind? Ihr seht, daß zwei fehlen.«

»Acht Tage, Mylord.«

»Ich bezahle Euch dreitausend Pistolen für das Stück; übermorgen muß ich sie haben.«

»Mylord wird sie haben.«

»Ihr seid ein kostbarer Mann, Herr O’Reilly; aber das ist noch nicht Alles; diese Stifte kann man Niemand anvertrauen, sie müssen in meinem Palaste gemacht werden.«

»Unmöglich, Mylord, nur ich bin im Stande, die Arbeit so auszuführen, daß man den Unterschied zwischen den neuen und den alten nicht sieht.«

»Dann seid Ihr mein Gefangener, mein lieber Herr O’Reilly, und dürft den Palast von dieser Stunde an nicht mehr verlassen: entschließt Euch also. Nennt mir diejenigen Eurer Gehülfen, deren Ihr bedürft, und bezeichnet mir die Werkzeuge, die sie mitbringen sollen.«

Der Goldschmied kannte den Herzog! er wußte, daß jede Gegenbemerkung vergeblich gewesen wäre, und faßte also sogleich seinen Entschluß.

»Es wird mir erlaubt sein, meine Frau davon in Kenntniß zu setzen?« fragte er.

»Oh! es ist Euch auch erlaubt, sie zu sehen, mein lieber O’Reilly; seid unbesorgt, Euere Gefangenschaft soll mild sein, und da jede Störung eine Schadloshaltung heischt, so nehmt außer dem Preise für die zwei Nestelstifte, diese Anweisung auf tausend Pistolen, damit Ihr leichter die Beschwerde vergeht, die ich Euch verursache.«

D’Artagnan konnte sich von seinem Erstaunen über diesen Minister nicht erholen, der mit vollen Händen Menschen und Millionen in Bewegung setzte.

Der Goldschmied schrieb an seine Frau und schickte ihr die Anweisung auf tausend Pistolen, mit dem Auftrag, ihm dagegen seinen geschicktesten Gesellen, ein Sortiment von Diamanten, die er ihr dem Gewicht und Titel nach bezeichnete, und eine Anzahl von Instrumenten, deren er bedurfte, zuzusenden.

Buckingham führte den Goldschmied in das für ihn bestimmte Zimmer, welches nach Verlauf einer halben Stunde in eine Werkstätte verwandelt war; dann stellte er eine Wache vor jede Thüre mit dem strengen Verbot, irgend Jemand außer seinem Kammerdiener Patrice einzulassen. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß es dem Goldschmied O’Reilly und seinem Gehülfen unter keinem Vorwand gestattet war, den Palast zu verlassen.

Nachdem der Herzog diesen Punkt geordnet hatte, kehrte er zu d’Artagnan zurück.

»Nun, mein junger Freund,« sprach er, »nun gehört England uns beiden; was wollt Ihr, was wünscht Ihr?«

»Ein Bett,« antwortete d’Artagnan; »das ist in diesem Augenblick für mich das wesentlichste Bedürfniß.«

Buckingham gab d’Artagnan ein Zimmer, das an das seinige stieß. Er wollte den jungen Mann bei der Hand behalten, nicht als ob er ihm mißtraut hätte, sondern um einen Menschen bei sich zu haben, mit dem er beständig von der Königin sprechen konnte.

Eine Stunde nachher wurde in London der Befehl verkündigt, kein nach Frankreich bestimmtes Schiff aus den Häfen auslaufen zu lassen, nicht einmal das Briefpaquetboot. Dies war in Aller Augen eine Kriegserklärung zwischen den zwei Königreichen.

Am zweiten Tag um elf Uhr waren die diamantenen Nestelstifte vollendet und so genau nachgeahmt, so vollkommen ähnlich, daß Buckingham die neuen nicht von den alten unterscheiden konnte, und daß das geübteste Kennerauge sich getäuscht hätte.

Sogleich ließ der Herzog d’Artagnan rufen.

»Hier sind die diamantenen Nestelstifte, die Ihr holen wolltet. Seid mein Zeuge, daß ich Alles gethan habe, was in der Macht eines Menschen lag.«

»Seid unbesorgt, Mylord, ich werde erzählen, was ich gesehen habe, aber Ew. Herrlichkeit legen die Nestelstifte nicht wieder in das Kistchen.«

»Das Kistchen wäre unbequem für Euch. Ueberdies ist es für mich um so kostbarer, als es mir allein bleibt. Ihr werdet sagen, daß ich es behalte.«

»Euer Auftrag soll Wort für Wort vollzogen werden, Mylord.«

»Und nun,« sprach Buckingham und schaute dabei den jungen Mann fest an, »wie soll ich meine Schuld gegen Euch abtragen?«

D’Artagnan erröthete bis unter das Weiß der Augen. Er sah, daß der Herzog ihn bewegen wollte, irgend etwas anzunehmen, und der Gedanke, daß das Blut seiner Gefährten und das seinige mit englischem Golde bezahlt werden sollte, widerstrebte ganz und gar seiner Denkungsart.

»Verständigen wir uns, Mylord,« versetzte d’Artagnan, »wägen wir die Umstände vorher genau ab, damit nicht nachher ein Mißverständniß daraus entstehe. Ich bin im Dienste des Königs und der Königin von Frankreich und gehöre zu der Gardekompagnie des Herrn des Essarts, welcher, wie sein Schwager, Herr von Treville, Ihren Majestäten ganz besonders ergeben ist. Ich habe also Alles für die Königin und nichts für Ew. Herrlichkeit gethan. Ueberdieß hätte ich vielleicht von Allem dem gar nichts ausgeführt, wenn es sich nicht darum gehandelt hätte, einer Person angenehm zu sein, welche meine Dame ist, wie die Königin die Eure.«

»Ja,« sprach der Herzog lächelnd, »und ich glaube sogar die andere Person zu kennen; es ist …«

»Mylord, ich habe sie nicht genannt,« unterbrach ihn der junge Mann lebhaft.

»Das ist wahr,« sprach der Herzog. »Also muß ich dieser Person für Eure Aufopferung dankbar sein?«

»Ihr habt es gesagt, Mylord; denn gerade zu dieser Stunde, wo von einem Krieg die Rede ist, gestehe ich, daß ich in Ew. Herrlichkeit nur einen Engländer und folglich einen Feind sehe, dem ich noch viel lieber auf dem Schlachtfeld, als im Park von Windsor oder in den Gängen des Louvre begegnen würde, was mich indessen nicht abhalten soll, meine Sendung zu vollziehen und mich nötigenfalls in Erfüllung derselben tödten zu lassen; aber ich wiederhole Ew. Herrlichkeit, daß Ihr mir persönlich ebenso wenig für das zu danken habt, was ich bei diesem zweiten Zusammentreffen für mich thue, als für das, was ich bei dem ersten für Euch gethan habe.«

»Wir sagen: ›Stolz wie ein Schottländer,‹ murmelte Buckingham.

»Und wir sagen: ›Stolz wie ein Gascogner,‹ antwortete d’Artagnan. »Die Gascogner sind die Schottländer Frankreichs.«

D’Artagnan verbeugte sich vor dem Herzog und schickte sich an zu gehen.

»Nun? Ihr geht, wie Ihr da seid! Auf welchem Wege, wie?«

»Das ist wahr!«

»Gott verdamm mich! die Franzosen bedenken gar nichts.«

»Ich hatte vergessen, daß England eine Insel ist, und daß Ihr der König derselben seid.«

»Geht in den Hafen, fragt nach der Brigg Sund, stellt dem Kapitän diesen Brief zu; er wird Euch nach einer Bucht führen, wo man Euch gewiß nicht erwartet, und wo gewöhnlich nur Fischerschiffe landen.«

»Wie heißt diese Bucht?«

»Saint Valery. Doch wartet: hier angelangt, geht Ihr in eine schlechte Herberge ohne Namen und Schild, in eine wahre Matrosenschenke; Ihr könnt Euch nicht täuschen; es giebt nur eine daselbst.«

»Hernach?«

»Ihr fragt nach dem Wirthe und sagt ihm: Forward.«

»Was soll das heißen?«

»Vorwärts: das ist das Losungswort. Er wird Euch ein gesatteltes Pferd geben und den Weg nennen, den Ihr einzuschlagen habt; auf dieselbe Art findet Ihr vier Relais auf Euerer Route. Wenn Ihr wollt, so gebt Ihr jedem derselben Eure Adresse in Paris, und die vier Pferde werden Euch dahin folgen. Zwei davon kennt Ihr bereits und es schien mir, Ihr wußtet sie als Liebhaber zu schätzen. Es sind die beiden, welche wir ritten. Glaubt mir, die zwei andern stehen nicht hinter ihnen zurück. Diese vier Pferde sind für das Feld ausgerüstet. So stolz Ihr auch sein mögt; werdet Ihr Euch doch nicht weigern, eines für Euch und die drei andern für Eure Gefährten anzunehmen. Ihr nehmt sie ja, um damit Krieg gegen uns zu führen. Der Zweck heiligt das Mittel, wie ihr Franzosen sagt, nicht wahr?«

»Ja, Mylord, ich nehme Euer Anerbieten an,« sprach d’Artagnan, »und wir werden, wenn es Gott gefällt, einen guten Gebrauch von Euren Geschenken machen.«

»Nun, Eure Hand, junger Mann, vielleicht treffen wir uns bald auf dem Schlachtfelde, mittlerweile scheiden wir gewiß als gute Freunde.«

»Ja, Mylord, aber in der Hoffnung, bald Feinde zu werden.«

»Seid ruhig, ich verspreche es Euch.«

»Ich baue auf Euer Wort, Mylord.«

D’Artagnan verbeugte sich vor dem Herzog und lief rasch nach dem Hafen.

Dem Tower von London gegenüber fand er das bezeichnete Schiff, stellte den Brief dem Kapitän zu, der ihn von dem Hafengouverneur visiren ließ und sogleich unter Segel ging.

Fünfzig Schiffe warteten zum Auslaufen bereit. Als d’Artagnan Bord an Bord an einem derselben vorüberfuhr, glaubte er die Frau von Meung zu erkennen, dieselbe, welche der unbekannte Edelmann Mylady genannt, und die er selbst so schön gefunden hatte.

Aber mit Hülfe der raschen Strömung und eines guten Windes ging das Schiff so geschwind, daß er in einem Augenblick den übrigen Fahrzeugen aus dem Auge war.

Am andern Tage gegen neun Uhr Morgens ankerte man vor Saint Valery.

D’Artagnan wandte sich sogleich nach der bezeichneten Herberge und erkannte dieselbe aus dem Geschrei, welches daraus hervordrang; man sprach von dem Krieg zwischen England und Frankreich als von einer nahe bevorstehenden und unzweifelhaften Sache, und die Matrosen feierten zum Voraus ein lustiges Gelage.

D’Artagnan durchschritt die Menge, ging auf den Wirth zu und sprach das Wort » Forward« aus. Sogleich deutete ihm der Wirth durch ein Zeichen an, er möge ihm folgen, entfernte sich mit ihm durch eine Thüre, welche nach dem Hofe ging, führte ihn in den Stall, wo ein völlig gesatteltes und aufgezäumtes Pferd seiner harrte und fragte ihn, ob er sonst noch etwas bedürfe.

»Ich brauche nur den Weg kennen zu lernen, den ich einzuschlagen habe,« sagte d’Artagnan.

»Geht von hier nach Blangy, und von Blangy nach Neufchatel. In Neufchatel steigt an der Herberge zur goldenen Egge ab, sagt dem Wirthe das Losungswort, und Ihr werdet wie hier ein Pferd mit Sattel und Zeug finden.«

»Habe ich Euch etwas zu entrichten?« fragte d’Artagnan.

»Es ist Alles bezahlt,« antwortete der Wirth, »und zwar reichlich. Geht also, und Gott geleite Euch.«

»Amen!« erwiederte der junge Mann und ritt im Galopp von dannen.

Vier Stunden später war er in Neufchatel.

Er befolgte streng die Instruktion, welche er erhalten hatte. In Neufchatel, wie zuvor in Saint Valery, fand er ein Pferd mit Sattel und Zeug, das seiner harrte. Er wollte die Pistolen aus dem Sattel nehmen, den er verließ, und in den andern übertragen; die Halfter waren bereits mit ähnlichen Pistolen ausgerüstet.

»Eure Adresse in Paris?« – »Hotel der Garden, Kompagnie des Essarts.« – »Gut,« antwortete der Wirth. – »Welche Route soll ich nehmen?« fragte d’Artagnan.

»Die von Rouen. Ihr laßt aber die Stadt zu Eurer Rechten. In dem kleinen Dorfe Ecouis haltet Ihr an. Es giebt dort nur eine Herberge, die zum französischen Thaler. Beurtheilt sie nicht nach ihrem Aussehen. In ihrem Stalle findet Ihr ein Pferd, das so viel werth ist, wie dieses.«

»Dasselbe Losungswort?« – »Ganz dasselbe.« – »Gott befohlen, Meister!« – »Glückliche Reise, edler Herr. Bedürft Ihr sonst noch etwas?«

D’Artagnan machte mit dem Kopf ein verneinendes Zeichen und gab seinem Pferde die Sporen. In Ecouis wiederholte sich dieselbe Scene. Er fand einen eben so zuvorkommenden Wirth, ein frisches, ausgeruhtes Pferd, ließ seine Adresse zurück, wie er es vorher gethan hatte, und ritt mit derselben Eile nach Pontoise. In Pontoise wechselte er zum letzten Male, und um neun Uhr Abends sprengte er in vollem Galopp in den Hof des Herrn von Treville. Er hatte beinahe sechszig Lieues in zwölf Stunden zurückgelegt.

Herr von Treville empfing ihn, als ob er ihn an demselben Morgen gesehen hätte, nur drückte er ihm die Hand etwas lebhafter, als gewöhnlich. Er theilte ihm mit, daß die Kompagnie des Herrn des Essarts im Louvre die Wache habe, und daß er sich sogleich auf seinen Posten begeben könne.

XXII.

Das Ballet der Merlaison.

Am folgenden Tag sprach man in allen Straßen von Paris nur von dem Ball, den die Herren Schöppen der Stadt dem König und der Königin gaben, und wobei Ihre Majestäten das berühmte Ballet der Merlaison, das Lieblingsballet des Königs, tanzen sollten.

Man traf wirklich seit acht Tagen im Stadthaus alle Anstalten zu dieser feierlichen Soiree. Der Stadtwerkmeister hatte Gerüste aufgeschlagen, auf welchen die eingeladenen Damen ihre Plätze bekommen sollten. Die Krämer der Stadt hatten die Säle mit zweihundert Flambeaux von weißem Wachs geschmückt, was in jener Zeit als ein unerhörter Luxus zu betrachten war; endlich waren zwanzig Geiger bestellt worden, und man hatte ihnen das Doppelte des gewöhnlichen Lohnes bewilligt, in Betracht – sagt der Bericht – daß sie die ganze Nacht spielen mußten.

Um zehn Uhr Morgens erschien der Sieur de la Coste, Fähnrich der Garden des Königs, gefolgt von zwei Gefreiten und von mehreren Leibbogenschützen, und forderte von dem Rathsschreiber der Stadt, Namens Clement, alle Schlüssel der Thüren, der Zimmer und Bureaux des Stadthauses. Diese Schlüssel wurden ihm sogleich zugestellt. An jedem derselben war ein Zettelchen befestigt, damit man sich auskennen sollte, und von diesem Augenblick an war dem Sieur de la Coste die Bewachung aller Thüren und Zugänge übertragen.

Um elf Uhr kam du Hallier, Kapitän der Garden, mit fünfzig Bogenschützen, die sich sogleich in dem Stadthaus an den Thüren, die man ihnen bezeichnete, aufstellten.

Um drei Uhr langten zwei Kompagnien Garden an, eine französische und eine schweizerische. Die Kompagnie der französischen Garden bestand zur Hälfte aus der Mannschaft des Herrn du Hallier, zur Hälfte aus der des Herrn des Essarts.

Um sechs Uhr fingen die Eingeladenen an einzutreten. Bei ihrem Eintritt wurden ihnen Plätze im großen Saal auf den hiezu bestimmten Gerüsten angewiesen.

Um neun Uhr traf die Gemahlin des ersten Präsidenten ein. Da diese nach der Königin die bedeutendste Person des Festes war, so wurde sie von den Herren der Stadt empfangen und in die Loge derjenigen gegenüber geführt, welche die Königin einnehmen sollte.

Um zehn Uhr trug man in dem kleinen Saal, auf der Seite der St. Jean-Kirche, und zwar dem silbernen Büffet der Stadt gegenüber, das von vier Bogenschützen bewacht wurde, das Zuckerwerk für den König auf.

Um Mitternacht hörte man einen gewaltigen Lärmen und zahlreiche Zurufe. Es war der König, welcher durch die Straßen zog, die vom Louvre nach dem Stadthause führten und insgesammt durch farbige Lampen beleuchtet waren.

Die Herren Schöppen, vor denen Sergenten mit Fackeln in den Händen einhergingen, eilten, in ihre Tuchgewänder gekleidet, dem König bis auf die Treppe entgegen, wo ihn der Prevot der Kaufleute mit einer Anrede bewillkommte, die der König dadurch erwiederte, daß er sein spätes Erscheinen entschuldigte, und die Schuld auf den Herrn Kardinal schob, der ihn bis elf Uhr mit Staatsangelegenheiten aufgehalten habe.

Se. Majestät erschien in großer Gala, und sein Gefolge bestand aus Sr. Königl. Hoheit Monsieur, dem Grafen von Soissons, dem Großprior, dem Herzog von Longueville, dem Herzog d’Elbeuf, dem Grafen d’Harcourt, dem Grafen de la Roch-Guyon, Herrn von Liancourt, Herrn von Baradas, dem Grafen von Cramail und dem Chevalier Souveray. Jedermann bemerkte, daß der König traurig und mißgestimmt war.

Man hatte ein Kabinet für den König und ein anderes für Monsieur bereitet; in jedem von diesen Kabineten lagen Maskenkleider.

Dasselbe hatte man für die Königin und die Frau Präsidentin gethan. Die Herren und Damen vom Gefolge Ihrer Majestäten sollten sich zwei und zwei in Zimmern ankleiden, welche zu diesem Ende eingerichtet waren.

Ehe der König in das Kabinet eintrat, gab er Befehl, ihn sogleich zu benachrichtigen, wenn der Herr Kardinal erscheinen würde.

Eine halbe Stunde nach dem Eintritt des Königs ertönten neue Zurufe; diese verkündeten die Ankunft der Königin; die Schöppen der Stadt thaten dasselbe, was sie bereits gethan hatten, und gingen, Sergenten voran, ihrem erhabenen Gaste entgegen.

Die Königin erschien im Saal. Man bemerkte, daß sie, wie der König, traurig und angegriffen aussah.

Im Augenblick, wo sie eintrat, öffnete sich der Vorhang einer kleinen Tribüne, die bis jetzt geschlossen gewesen war, und man erblickte den bleichen Kopf Richelieu’s, der die Tracht eines spanischen Cavaliers angelegt hatte. Seine Augen hefteten sich auf die der Königin und ein Lächeln furchtbarer Freude umzuckte seine Lippen: die Königin trug ihre diamantenen Nestelstifte nicht.

Die Königin verweilte einige Zeit, um die Komplimente der Herren der Stadt in Empfang zu nehmen und die Begrüßungen der Damen zu erwidern.

Plötzlich erschien der König mit dem Kardinal an einer der Saalthüren. Der Kardinal sprach sehr leise mit ihm und der König war äußerst bleich.

Der König durchschritt die Menge; er war ohne Maske und hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, die Bänder seines Wammses knüpfen zu lassen; so näherte er sich der Königin und sprach mit erschütternder Stimme zu ihr:

»Madame, wenn ich fragen darf, warum tragt Ihr Euere diamantenen Nestelstifte nicht, da Ihr doch wißt, daß es mir angenehm gewesen wäre, dieselben zu sehen?«

Die Königin schaute um sich her und erblickte hinter sich den Kardinal, der mit wahrhaft teuflischer Miene lächelte.

»Sire,« antwortete die Königin mit bebender Stimme, »ich fürchtete, unter dieser großen Menschenmasse könnte mir damit ein Unglück begegnen.«

»Und Ihr habt Unrecht gehabt, Madame. Wenn ich Euch dieses Geschenk machte, so geschah es, damit Ihr Euch damit schmücken solltet. Ich wiederhole, Ihr habt Unrecht gehabt.«

Die Stimme des Königs zitterte vor Zorn. Jedermann sah und hörte mit Erstaunen und Niemand begriff, was vorging.

»Sire,« sagte die Königin, »ich kann sie im Louvre holen lassen, um den Wünschen Ew. Majestät zu entsprechen.«

»Thut das, Madame, thut das, und zwar so bald als möglich; denn in einer Stunde beginnt das Ballet.«

Die Königin verbeugte sich, um damit ihre Folgsamkeit anzudeuten, und begab sich mit ihren Damen in das für sie bestimmte Kabinet.

Der König kehrte ebenfalls in das seinige zurück.

Es herrschte einen Augenblick Unruhe und Verwirrung im Saale.

Jedermann konnte bemerken, daß etwas zwischen dem König und der Königin vorging; aber beide sprachen so leise, daß sich alle Anwesenden aus Ehrfurcht einige Schritte zurückzogen und somit Niemand etwas vernahm. Die Geigen ertönten mit aller Gewalt aber Niemand hörte sie.

Der König trat zuerst aus seinem Kabinet. Er trug ein äußerst elegantes Jagdcostüm, und Monsieur und die übrigen Großen hatten sich ebenso gekleidet. Es war dies das Costüm, welches dem König am besten stand, und worin er allerdings der erste Edelmann seines Königreichs zu sein schien.

Der Kardinal näherte sich dem König und übergab ihm ein Etui, der König öffnete es und fand darin zwei diamantene Nestelstifte.

»Was soll das bedeuten?« fragte er den Kardinal.

»Nichts,« antwortete dieser; »wenn die Königin Nestelstifte trägt, woran ich zweifle, so zählt sie, Sire, und wenn Ihr nur zehn findet, so fragt Ihre Majestät, wer ihr die Stifte, die Ihr hier in Händen habt, genommen haben könne.«

Der König schaute den Kardinal forschend an, aber er hatte nicht Zeit, eine Frage an ihn zu richten, ein Schrei der Verwunderung drang aus dem Munde aller Anwesenden. Schien der König der erste Edelmann seines Reiches zu sein, so war die Königin sicherlich die schönste Frau Frankreichs.

Die Tracht einer Jägerin stand ihr allerdings wunderbar schön. Sie trug einen Filzhut mit blauen Federn, ein durch Diamant-Agraffen befestigtes perlgraues Sammetoberkleid und ein durchaus mit Silber gesticktes Unterkleid von blauer Seide. Auf ihrer linken Schulter glänzten die Nestelstifte, gehalten von einer Schleife von derselben Farbe wie die Federn und das Unterkleid.

Der König bebte vor Freude, der Kardinal vor Zorn; doch in der Entfernung, in der sie von der Königin standen, konnten sie die Stifte nicht zählen. Die Königin hatte sie, so viel war gewiß; nur fragte es sich, hatte sie zehn oder zwölf?

In diesem Augenblick gaben die Geigen das Zeichen zum Ballet. Der König schritt gegen die Frau Präsidentin vor, mit der er tanzen sollte, und seine Hoheit Monsieur näherte sich der Königin. Man stellte sich in Ordnung und das Ballet begann.

Der König figurirte der Königin gegenüber, und so oft er an ihr vorüberkam, verschlang er mit seinen Blicken die Nestelstifte, die er nicht abzuzählen vermochte. Kalter Schweiß bedeckte die Stirne des Kardinals.

Das Ballet dauerte eine Stunde; es hatte sechszehn Entres.

Sobald das Ballet vorüber war, führte jeder Herr unter dem Beifallklatschen des ganzen Saales seine Dame an ihren Platz. Aber der König benützte das ihm zukommende Vorrecht, seine Dame da zu lassen, wo er sich gerade befand, um lebhaft auf die Königin zuzugehen.

»Ich danke Euch Madame,« sprach er, »für die Bereitwilligkeit, mit der Ihr meinen Wünschen Folge geleistet habt, aber ich glaube, es fehlen Euch zwei Nestelstifte, die ich Euch hier überbringe.«

Bei diesen Worten überreichte er die zwei Stifte, die ihm der Kardinal gegeben hatte.

»Wie, Sire!« sagte die Königin, die Erstaunte spielend, »Ihr gebt mir noch zwei andere, dann habe ich vierzehn.«

Der König zählte wirklich, und die zwölf Nestelstifte fanden sich an der Schulter Ihrer Majestät.

Der König rief den Kardinal und fragte in strengem Tone: »Ei, was soll das bedeuten, Herr Kardinal?«

»Sire,« antwortete der Kardinal, »das bedeutet, daß ich der Königin gerne diese Stifte verehrt hätte, und da ich es nicht wagte, dieselben Ihrer Majestät anzubieten, so wählte ich dieses Mittel.«

»Und ich bin Ew. Eminenz hiefür um so mehr zu Dank verpflichtet,« antwortete Anna von Oesterreich mit einem Lächeln, welches bewies, daß sie sich durchaus nicht von dieser geistreichen Galanterie täuschen ließ, »als ich die Ueberzeugung hege, daß diese zwei Stifte allein Euch mehr kosten, als die zwölf andern Seine Majestät gekostet haben.«

Dann zog sich die Königin, nachdem sie den König und den Kardinal gegrüßt hatte, wieder in das Zimmer zurück, wo sie sich angekleidet hatte und wo sie sich entkleiden sollte.

Die Aufmerksamkeit, welche wir am Anfang dieses Kapitels den von uns eingeführten hohen Personen schenken mußten, entfernte uns einen Augenblick von demjenigen, welchem Anna von Oesterreich den unerhörten Triumph zu verdanken hatte, den sie über den Kardinal davon trug, und der unbekannt, verloren unter der an der Thür sich drängenden Menge, diese Scene betrachtete, welche nur für vier Personen, für den König, die Königin, Seine Eminenz und ihn begreiflich war.

Die Königin hatte ihr Zimmer wieder erreicht und d’Artagnan schickte sich an abzugehen, als er fühlte, daß man leicht seine Schulter berührte; er wandte sich um und sah eine junge Frau, die ihn durch ein Zeichen aufforderte, ihr zu folgen. Das Gesicht dieser jungen Frau war mit einer schwarzen Sammetmaske bedeckt; aber trotz dieser Vorsichtsmaßregel, welche übrigens mehr Andern als ihm galt, erkannte er sogleich seine gewöhnliche Führerin, die heitere und geistreiche Frau Bonacieux.

Am Tag vorher hatten sie sich kaum bei dem Schweizer Germain, wohin sie d’Artagnan hatte rufen lassen, gesprochen, Die junge Frau eilte so sehr, der Königin die vortreffliche Nachricht von der Rückkehr ihres Boten zu überbringen, und somit konnten die beiden Liebenden nur sehr wenige Worte mit einander wechseln. Von einer doppelten Empfindung, von Liebe und Neugierde getrieben, folgte d’Artagnan Frau Bonacieux. Auf dem ganzen Weg und als es in den Hausfluren öde wurde, wollte d’Artagnan die junge Frau anhalten, ergreifen, betrachten, wenn auch nur für einen Augenblick; aber lebhaft wie ein Vogel entschlüpfte sie stets seinen Händen, und wenn er sprechen wollte, wurde er durch ihren, mit einer kleinen gebieterischen Miene voll Liebreiz auf den Mund gelegten Finger daran erinnert, daß er unter der Herrschaft einer Macht stand, der er blindlings gehorchen mußte und die ihm auch die leiseste Klage untersagte. Nachdem Beide ein paar Minuten lang die Kreuz und Quer gegangen waren, öffnete Frau Bonacieux eine Thüre und führte den jungen Mann in ein völlig dunkles Kabinet. Hier gab sie ihm ein neues Zeichen, stumm zu bleiben, schloß eine zweite, unter einer Tapete verborgene, Thüre auf, deren Oeffnung plötzlich ein lebhaftes Licht verbreitete, und verschwand.

D’Artagnan blieb einen Augenblick unbeweglich und fragte sich, wo er wäre; aber ein Lichtstrahl, der aus diesem Zimmer drang, die warme und von Wohlgerüchen geschwängerte Lust, die an ihn heranströmte, die Unterhaltung mehrerer Frauen in zugleich ehrfurchtsvoller und zierlicher Sprache, das mehrmals wiederholte Wort Majestät zeigten ihm plötzlich ganz klar, daß er sich in einem an das Zimmer der Königin stoßenden Kabinet befand.

Der junge Mann blieb im Schatten stehen und wartete der Dinge, die da kommen sollten.

Die Königin schien heiter und glücklich, worüber die Personen ihrer Umgebung ohne Zweifel gewaltig staunten, da sie im Gegenteil gewöhnlich beinahe kummervoll aussah. Die Königin schrieb dieses heitere Gefühl der Schönheit des Festes, dem Vergnügen, das ihr das Ballet verursacht habe, zu, und da es nicht erlaubt ist, einer Königin zu widersprechen, so überboten sich alle in Lobeserhebungen über die Galanterie der Herren Schöppen der Stadt Paris.

Obgleich d’Artagnan die Königin nicht kannte, so unterschied er doch bald ihre Stimme von den übrigen, einmal an dem etwas fremdartigen Accent und dann an jenem Gefühl der Oberherrschaft, das allen fürstlichen Reden ein eigenthümliches Gepräge verleiht. Er hörte, wie sie sich der offenen Thüre näherte und sich von derselben entfernte. Er sah sogar zwei- oder dreimal, wie der Schatten eines Körpers das Licht unterbrach. Endlich kamen plötzlich eine Hand und ein Arm von bewunderungswürdiger Form und Weiße durch die Tapete hervor. D’Artagnan begriff, daß dieß seine Belohnung war. Er warf sich auf ein Knie, ergriff diese Hand und drückte ehrfurchtsvoll seine Lippen darauf. Dann zog sich diese Hand zurück und ließ in der seinigen einen Gegenstand, in welchem er einen Ring erkannte. Alsbald schloß sich die Thüre wieder und d’Artagnan befand sich in völliger Finsterniß.

D’Artagnan steckte den Ring an seinen Finger und wartete abermals. Offenbar war noch nicht Alles zu Ende. Auf die Belohnung seiner Ergebenheit mußte der Lohn seiner Liebe folgen. Das Ballet war allerdings getanzt, aber das Fest hatte kaum seinen Anfang genommen. Man speiste um drei Uhr zu Nacht und die Glocke von St. Jean hatte bereits vor einiger Zeit drei Viertel nach zwei geschlagen.

Der Lärm der Stimmen nahm in der That in dem anstoßenden Zimmer allmählig ab. Dann hörte man, wie er sich entfernte; die Thüre des Kabinets, in welchem sich d’Artagnan befand, öffnete sich wieder und Frau Bonacieux trat heraus.

»Endlich kommt Ihr!« rief d’Artagnan.

»Stille!« sprach die junge Frau und legte ihre Hand auf seine Lippen; »stille! und geht auf demselben Weg zurück, aus dem Ihr gekommen seid.«

»Aber wo und wann werde ich Euch wiedersehen?« rief d’Artagnan.

»Ein Billet, das Ihr bei Eurer Rückkehr zu Hause findet, wird Euch das sagen. Geht, geht!«

Bei diesen Worten öffnete sie die Flurthüre und drängte d’Artagnan aus dem Kabinet.

D’Artagnan gehorchte wie ein Kind ohne Widerstand, ohne Einwendung, woraus hervorgeht, daß er wirklich sehr verliebt war.

XVI.

Worin der Herr Siegelbewahrer Seguier mehrmals die Glocke suchte, um zu läuten, wie er auch sonst gethan.

Man kann sich unmöglich einen Begriff von dem Eindruck machen, den diese paar Worte bei Ludwig XIII. hervorriefen. Er wurde abwechselnd blaß und roth, und der Kardinal sah sogleich, daß er mit einem einzigen Schlag das verlorene Terrain wieder gewonnen hatte.

»Herr von Buckingham in Paris!« rief der König. »Und was hat er hier gemacht?«

»Ohne Zweifel mit den Hugenotten und den Spaniern, Euern Feinden, conspirirt.«

»Nein, bei Gott, nein! er hat mit Frau von Chevreuse, Frau von Longueville und dem Condé gegen mein Glück conspirirt.«

»Oh, welcher Gedanke, Sire! Die Königin ist zu klug, zu vernünftig und liebt Ew. Majestät zu sehr.«

»Das Weib ist schwach, mein Herr Kardinal,« sprach der König, »und was die allzugroße Liebe betrifft, so habe ich meine eigene Ansicht darüber.«

»Nichtsdestoweniger behaupte ich,« sagte der Kardinal, »daß der Herzog von Buckingham in rein politischen Zwecken nach Paris gekommen ist.«

»Und ich bin überzeugt, daß er anderer Dinge wegen sich hier eingefunden hat, mein Herr Kardinal. Aber wenn die Königin sich verfehlt hat, so mag sie zittern!«

»Obgleich mein Geist nur mit dem größten Widerwillen bei einem solchen Verrathe verweilt,« erwiederte der Kardinal, »so bringen mich Ew. Majestät doch auf einen Gedanken: Frau von Lannoy, die ich auf Ew. Majestät Befehl wiederholt befragt habe, sagt mir, Ihre Majestät habe in der letzten Nacht sehr lange gewacht, diesen Morgen viel geweint und den ganzen Tag geschrieben.« »So ist’s,« sprach der König; »gewiß an ihn. Kardinal, ich muß die Papiere der Königin haben.«

»Aber wie diese nehmen, Sire! Es scheint mir, daß weder ich, noch Ew. Majestät einen solchen Auftrag vollziehen kann.«

»Wie hat man’s bei der Marschallin d’Ancre gemacht?« rief der König, im höchsten Grade zornig. »Man hat zuerst ihre Schränke und dann sie selbst untersucht.«

»Die Marschallin d’Ancre, Sire, war nur die Marschallin d’Ancre, eine florentinische Abenteurerin, und weiter nichts, während die erhabene Gemahlin Eurer Majestät, Anna von Oesterreich, Königin von Frankreich, das heißt eine der größten Fürstinnen der Welt ist.«

»Sie ist darum nur um so schuldiger, mein Herr Herzog! Je mehr sie ihre hohe Stellung vergessen hat, desto tiefer ist sie hinabgestiegen. Ich bin überdieß schon längst entschlossen, allen diesen kleinen politischen Intriguen und Liebeshändeln ein Ende zu machen. Sie hat auch einen gewissen la Porte bei sich …«

»Den ich für den Hauptschuldigen beim Ganzen halte,« sagte der Kardinal.

»Ihr glaubt also wie ich, daß sie mich täuscht?« sprach der König.

»Ich glaube und wiederhole Ew. Majestät, daß die Königin gegen die Macht ihres Königs conspirirt; aber ich habe keineswegs gesagt, gegen seine Ehre.«

»Und ich sage Euch, gegen Beides. Ich sage Euch, daß die Königin mich nicht liebt; ich sage Euch, daß sie einen Andern liebt; ich sage Euch, daß sie den Herzog von Buckingham liebt! Warum habt Ihr ihn nicht während seines Aufenthalts in Paris verhaften lassen?«

»Den Herzog verhaften! Den ersten Minister Karls I. verhaften! Bedenkt doch, Sire, welches Aufsehen dies machen müßte, und wenn es sich zeigte, daß der Verdacht Eurer Majestät nicht grundlos gewesen wäre, woran ich immer noch zweifle, welch ein furchtbarer Lärm! welch ein verzweifelter Scandal!«

»Aber da er sich wie ein Vagabund, wie ein Dieb bloßstellte, mußte man …«

Ludwig XIII. hielt erschrocken über das, was er zu sagen im Begriff war, selbst inne, während Richelieu mit großer Spannung vergeblich das Wort erwartete, das auf seinen Lippen fest hielt.

»Man müßte …?«

»Nichts,« sagte der König, »aber Ihr habt ihn doch während der ganzen Zeit, die er sich in Paris aufhielt, nicht aus dem Gesichte verloren?«

»Nein, Sire.«

»Wo wohnte er?«

»In der Rue de la Harpe, Nro. 75.«

»Wo ist dies?«

»Neben dem Luxemburg.«

»Und Ihr seid überzeugt, daß die Königin und er sich nicht gesehen haben?«

»Ich glaube, daß die Königin zu fest an ihren Pflichten hängt, Sire.«

»Aber sie wechselten Briefe, an ihn hat die Königin den ganzen Tag geschrieben. Mein Herr Herzog, ich muß diese Briefe haben.«

»Sire, wenn indessen …«

»Mein Herr Herzog, ich will sie haben, um welchen Preis es auch sein mag.«

»Ich erlaube mir indessen, Ew. Majestät zu bemerken …«

»Verrathet Ihr mich also auch, Herr Kardinal, daß Ihr Euch stets auf diese Art meinem Willen widersetzt? Seid Ihr im Einverständniß mit dem Spanier und dem Engländer? mit Frau von Chevreuse und der Königin?«

»Sire,« antwortete der Kardinal lächelnd, »ich glaubte mich vor einem solchen Verdachte geschützt.«

»Mein Herr Kardinal, Ihr habt mich verstanden, ich will diese Briefe haben.«

»Es dürfte nur ein Mittel geben.«

»Welches?«

»Man müßte den Herrn Siegelbewahrer Seguier damit beauftragen. Die Sache gehört ganz zu den Verpflichtungen seines Amtes.«

»Man soll ihn sogleich holen lassen.«

»Er muß bei mir sein, Sire. Ich habe ihn zu mir bestellt, und als ich in den Louvre ging, Befehl gegeben, ihn warten zu lassen, wenn er sich einfinden würde.«

»Man hole ihn sogleich hieher.«

»Die Befehle Ew. Majestät sollen vollzogen werden, aber …«

»Was aber?«

»Aber die Königin wird sich vielleicht weigern, zu gehorchen.«

»Meinen Befehlen?«

»Ja, wenn sie nicht weiß, daß diese Befehle von dem König herrühren.«

»Gut! damit sie daran nicht zweifelt, will ich sie selbst in Kenntniß setzen.«

»Ew. Majestät werden nicht vergessen, daß ich Alles, was in meinen Kräften lag, gethan habe, um einen Bruch abzuwenden.«

»Ja, Herzog, ja, ich weiß, daß Ihr vielleicht zu nachsichtig seid, und ich sage Euch, daß wir später hierüber sprechen müssen.«

»Wann es Ew. Majestät belieben wird; aber ich werde stets glücklich und stolz sein, Sire, mich dem guten Einvernehmen aufzuopfern, von dem ich wünsche, daß es beständig zwischen dem König und der Königin von Frankreich herrschen möge.«

»Gut, Kardinal, gut. Aber laßt mir mittlerweile den Herrn Siegelbewahrer holen.«

Und Ludwig XIII. öffnete die Verbindungsthüre und ging in die Flur, welche von seinen Zimmern in die Gemächer Anna’s von Oesterreich führte.

Die Königin befand sich inmitten ihrer Frauen; um sie her saßen Frau von Guitaut, Frau von Sablé, Frau von Montbazon und Frau von Guémené. In einem Winkel stand die spanische Kammerfrau, Donna Estefania, die ihr von Madrid gefolgt war. Frau von Guémené las vor, und Alle horchten aufmerksam auf die Vorleserin, mit Ausnahme der Königin, welche im Gegentheil diese Lektüre befohlen hatte, um, während sie sich den Anschein gab zu hören, dem Faden ihrer eigenen Gedanken folgen zu können.

Diese Gedanken waren, so sehr sie auch durch einen letzten Widerschein der Liebe vergoldet wurden, darum nicht minder trauriger Natur. Des Vertrauens ihres Gatten beraubt, verfolgt von dem Hasse des Kardinals, der ihr nicht vergeben konnte, daß sie ein zärtlicheres Gefühl zurückgewiesen, das Beispiel der Königin Mutter vor Augen, welche von diesem Hasse ihr ganzes Leben hindurch gequält wurde, obgleich Maria von Medicis, wenn man den Memoiren jener Zeit glauben darf, Anfangs dem Kardinal ein Glück zugestanden, das Anna von Oesterreich beständig verweigerte – hatte sie ihre ergebensten Diener, ihre innigsten Vertrauten, ihre liebsten Günstlinge fallen sehen. Sie brachte Unglück über Alles, was sie berührte; ihre Freundschaft war ein unseliges Zeichen, das Verfolgung hervorrief. Frau von Chevreuse und Frau von Vernet waren verbannt; La Porte verbarg seiner Gebieterin nicht, daß er jeden Augenblick einer Verhaftung entgegen sah.

Während sie aber in ihre düsteren Gedanken vertieft war, öffnete sich die Thüre und der König trat ein.

Die Vorleserin schwieg sogleich, alle Damen standen auf und es herrschte allgemeines Stillschweigen. Der König enthielt sich aller Höflichkeitsbezeigungen, blieb vor der Königin stehen und sagte mit bebender Stimme:

»Madame, Ihr erhaltet einen Besuch von dem Herrn Kanzler, der Euch gewisse Angelegenheiten mittheilen wird, mit denen ich ihn beauftragt habe.«

Die unglückliche Königin, welche man beständig mit Ehescheidung, Verbannung und sogar mit einem Urtheile bedrohte, erbleichte unter der Schminke, und konnte nicht umhin zu erwiedern:

»Aber warum dieser Besuch, Sire? was wird mir der Herr Kanzler sagen, das mir Ew. Majestät nicht selbst sagen könnten?«

Der König wandte sich auf den Fersen um, ohne eine Antwort zu geben, und beinahe in demselben Augenblicke kündigte der Kapitän der Garden, Herr von Guitaut, den Besuch des Herrn Kanzlers an.

Als der Kanzler erschien, war der König bereits durch eine andere Thüre abgegangen.

Der Kanzler trat halb lächelnd, halb erröthend ein, wie wir ihn im Verlaufe dieser Geschichte wieder finden werden. Es kann nicht schaden, wenn unsere Leser sogleich seine Bekanntschaft machen.

Dieser Kanzler war ein drolliger Mensch. Des Roches le Masler, Kanonikus bei Notre-Dame, früher Kammerdiener des Kardinals, schlug ihn Seiner Eminenz als einen ergebenen, zuverlässigen Mann vor. Der Kardinal vertraute hierauf und befand sich gut dabei.

Man erzählte sich gewisse Geschichten von ihm; unter andern folgende:

Nach einer stürmischen Jugend hatte er sich in ein Kloster zurückgezogen, um wenigstens eine Zeit lang die Thorheiten seiner Jugend zu büßen; aber bei seinem Eintritte konnte der arme Reumüthige nicht so schnell die Thüre schließen, daß die Leidenschaften, welche er floh, nicht mit ihm eingezogen wären. Er war ohne Unterlaß von ihnen belagert, und der Superior, dem er dieses Unglück anvertraut hatte, empfahl ihm, er solle, um sich vor diesen Anfällen zu schützen und den versuchenden Teufel zu beschwören, seine Zuflucht zu der Glocke nehmen und mit aller Gewalt läuten. Dadurch würden die Mönche benachrichtigt werden, daß die Versuchung einen Bruder belagere, und die ganze Gemeinde würde Gebete für sein Heil verrichten.

Der Rath schien dem zukünftigen Kanzler gut. Er beschwor den bösen Geist mit starker Unterstützung der Gebete, welche die Mönche verrichteten. Aber der Teufel läßt sich nicht leicht aus einem Orte vertreiben, wo er seine Garnison eingelegt hat.

In demselben Maße, wie man die Exorcismen verdoppelte, verdoppelte er seine Versuchungen, so daß die Glocke Tag und Nacht ertönte und das heiße Verlangen des Reumüthigen nach Abtödtung des Fleisches kund gab.

Die Mönche hatten Tag und Nacht keine Ruhe mehr; sie mußten den ganzen Tag die Treppe auf- und abspringen, welche zu der Kapelle führte; in der Nacht waren sie außer den Completen und Frühmetten noch genöthigt, sich zwanzigmal aus ihren Betten zu erheben und auf den Boden ihrer Zellen niederzustürzen.

Man weiß nicht, ob der Teufel nachließ, oder ob die Mönche müde wurden; nur so viel ist gewiß, daß der Reumüthige nach Verlauf von drei Monaten mit dem Ruf des furchtbarsten Besessenen, der je gelebt, wieder in der Welt erschien.

Als er das Kloster verließ, trat er in die Magistratur, wurde nach seinem Oheim Parlaments-Präsident, schlug sich auf die Partei Richelieu’s, was nicht wenig Scharfsinn verrieth, erhielt seine Ernennung als Kanzler, diente Sr. Eminenz mit dem größten Eifer in seinem Hasse gegen die Königin Mutter und in seiner Rache gegen Anna von Oesterreich; stachelte die Richter in der Angelegenheit von Chalais auf, unterstützte die Versuche des Herrn von Laffemas, Großwildmeisters von Frankreich, und erhielt endlich, in das volle, so wohl erworbene Vertrauen des Kardinals eingesetzt, den seltsamen Auftrag, zu dessen Vollstreckung er sich bei der Königin einfand.

Die Königin stand noch bei seinem Eintritte, aber so bald sie ihn gewahr wurde, setzte sie sich nieder in ihr Fauteuil und gab ihren Frauen ein Zeichen, auf ihre Kissen und Tabourets niederzusitzen. In höchst stolzem Tone fragte Anna von Oesterreich:

»Was wollt Ihr, mein Herr? und in welcher Absicht erscheint Ihr hier?«

»Um hier im Namen des Königs und in aller Ehrfurcht, die ich Ew. Majestät schuldig bin, eine genaue Durchsuchung Eurer Papiere anzustellen.«

»Wie? mein Herr! eine Durchsuchung meiner Papiere! Mir dies! Das ist eine unwürdige Handlungsweise.«

»Wollt mir vergeben, Madame, aber unter diesen Umständen bin ich nur das Werkzeug, dessen sich der König bedient. Ist Se. Majestät nicht so eben von hier weggegangen? Hat er Euch nicht selbst aufgefordert, dieses Besuchs gewärtig zu sein?«

»Sucht also, mein Herr. Ich bin, wie es scheint, eine Verbrecherin; Estefania, gebt ihm die Schlüssel zu meinen Tischen und meinen Secretären.«

Der Kanzler suchte der Form wegen in diesen Meubeln, aber er wußte wohl, daß die Königin den Brief, welchen sie am Tage geschrieben, in keinem derselben verschließen würde.

Nachdem der Kanzler zwanzigmal die Schubladen des Secretärs geöffnet und wieder verschlossen hatte, mußte er, wie sehr er auch zögerte, seinen Auftrag zu Ende führen, das heißt, die Königin selbst durchsuchen. Der Kanzler trat gegen Anna von Oesterreich vor und sagte mit äußerst verlegenem Ton und verwirrter Miene:

»Nun habe ich noch die Hauptdurchsuchung vorzunehmen.«

»Welche?« fragte die Königin, die nicht begriff oder vielmehr nicht begreifen wollte.

»Seine Majestät weiß gewiß, daß heute ein Brief von Euch geschrieben worden und daß derselbe noch nicht an seine Adresse abgegangen ist. Dieser Brief findet sich weder in Eurem Tische noch in Eurem Secretär, und doch ist er irgendwo.«

»Solltet Ihr es wagen, Hand an Eure Königin zu legen!« rief Anna von Oesterreich, sich hoch aufrichtend und einen Blick auf den Kanzler heftend, dessen Ausdruck beinahe drohend wurde.

»Ich bin ein getreuer Unterthan des Königs, Madame, und Alles, was Seine Majestät mir befiehlt, werde ich thun.«

»Wohl, das ist wahr,« sprach Anna von Oesterreich, »und der Herr Kardinal ist von seinen Spionen gut bedient worden. Ich habe heute einen Brief geschrieben und dieser ist noch nicht abgegangen. Hier ist der Brief.«

Und die Königin legte hiebei ihre schöne Hand an den Leib.

»Dann gebt mir diesen Brief, Madame,« sprach der Kanzler.

»Ich werde ihn nur dem König geben, mein Herr,« sagte Anna.

»Wäre es des Königs Wille gewesen, den Brief selbst in Empfang zu nehmen, so würde er ihn von Euch gefordert haben. Aber ich wiederhole Euch, er hat mich beauftragt, ihn zu fordern, und wenn Ihr mir denselben nicht geben solltet…«

»Nun?«

»So bin ich ebenfalls beauftragt, ihn zu nehmen.«

»Wie? was wollt Ihr damit sagen?«

»Daß meine Befehle weit gehen, Madame, und daß ich bevollmächtigt bin, das verdächtige Papier sogar an der Person Eurer Majestät zu suchen.«

»Wie abscheulich!« rief die Königin.

»Wollt Euch also etwas leichter ergeben, Madame.«

»Dieses Benehmen ist eine schändliche Gewaltthat; wißt Ihr das, mein Herr?«

»Der König befiehlt, Madame, entschuldigt.«

»Ich werde es nicht dulden, nein, nein, eher sterben!« rief die Königin, bei der sich das kaiserliche Blut der Spanierin und Oesterreicherin empörte.

Der Kanzler machte eine tiefe Verbeugung; mit der klaren Absicht, keinen Zollbreit von der Erfüllung des Auftrags, den er übernommen, zurückzuweichen, und wie es etwa ein Henkersknecht in der Folterkammer hätte thun mögen, näherte er sich Anna von Oesterreich, aus deren Augen man jetzt Thränen der Wuth hervorstürzen sah.

Die Königin war, wie gesagt, eine große Schönheit. Der Auftrag konnte als äußerst delikat angesehen werden, aber der König war durch seine Eifersucht gegen Buckingham so weit gekommen, daß er gegen Niemand mehr Eifersucht fühlte.

Ohne Zweifel suchte der Kanzler Seguier in dieser Minute mit seinen Augen den Strang der berüchtigten Glocke, da er ihn aber nicht fand, so faßte er seinen Entschluß und streckte die Hand nach dem Orte aus, wo das Papier nach dem Geständniß der Königin verwahrt war. Anna von Oesterreich wurde so bleich, daß man hätte glauben sollen, sie würde sterben; einen Schritt rückwärts machend, stützte sie sich, um nicht zu fallen, mit der linken Hand auf einen Tisch, der hinter ihr stand, zog mit der rechten ein Papier aus ihrem Busen hervor, und reichte es dem Siegelbewahrer.

»Nehmt, hier ist der Brief!« rief die Königin mit zitternder Stimme, »nehmt und befreit mich von Eurer gehässigen Gegenwart.«

Der Kanzler, der ebenfalls von einer leicht begreiflichen Aufregung zitterte, nahm den Brief, verbeugte sich bis zur Erde und trat ab.

Kaum war die Thüre hinter ihm geschlossen, als die Königin halb ohnmächtig in die Arme ihrer Frauen sank.

Der Kanzler trug den Brief zum König, ohne ein einziges Wort zu lesen. Der König ergriff ihn mit zitternder Hand, suchte die Adresse, welche fehlte, wurde sehr bleich, öffnete ihn langsam und las den Inhalt sehr rasch, als er bei den ersten Worten bemerkte, daß er an den König von Spanien gerichtet war.

Es war ein förmlicher Angriffsplan gegen Richelieu. Die Königin forderte ihren Bruder und den Kaiser von Oesterreich auf, sich zu stellen, als würden sie, verletzt durch die Politik Richelieu’s der sich unablässig mit der Erniedrigung des Hauses Oesterreich beschäftigte, Frankreich den Krieg erklären, und sodann als Friedensbedingung die Entfernung des Kardinals zu fordern; aber von Liebe stand kein Wörtchen in dem Briefe.

Hocherfreut darüber, erkundigte sich der König, ob der Kardinal noch im Louvre sei. Man sagte ihm. Seine Eminenz erwarte im Arbeitskabinet die Befehle Sr Majestät.

Der König begab sich sogleich zu ihm.

»Hört, Herzog,« sprach er, »Ihr hattet Recht, und ich hatte Unrecht. Die ganze Intrigue ist politischer Natur, und die Liebe wird in diesem Briefe von keiner Silbe berührt. Dagegen ist sehr viel von Euch die Rede.«

Der Kardinal nahm den Brief und las ihn mit der größten Aufmerksamkeit. Nachdem er damit zu Ende war, las er ihn noch einmal.

»Gut, Ew. Majestät,« sagte er. »Ihr seht, wohin meine Feinde zielen. Man bedroht Euch mit zwei Kriegen, wenn Ihr mich nicht entfernt. An Eurer Stelle, Sire, würde ich in der That bei so mächtigem Andringen nachgeben, und ich würde mich wahrhaft glücklich fühlen, mich von den Geschäften zurückziehen zu dürfen.«

»Was sagt Ihr da, Herzog?«

»Ich sage, Sire, daß meine Gesundheit in diesen Kämpfen zu Grunde geht; ich sage, daß ich aller Wahrscheinlichkeit nach die Strapazen der Belagerung von La Rochelle nicht aushalten kann, und daß Ihr besser Herrn von Condé oder Herrn von Bassompierre oder irgend einen tapfern Mann, der seinem Stande nach zum Kriegsführen bestimmt ist, hiezu ernennen würdet, aber nicht mich, der ich ein Mann der Kirche bin, und den man beständig von seinem Beruf abzieht, um ihn zu Dingen zu gebrauchen, für welche er keine Geschicklichkeit besitzt. Ihr werdet glücklicher im Innern und, ich zweifle nicht daran, auch nach außen größer sein.«

»Mein Herr Herzog,« sprach der König, »ich begreife, seid nur ruhig. Alle diejenigen, welche in diesem Briefe genannt sind, und die Königin selbst, sollen nach Verdienst bestraft werden.«

»Was sagt Ihr, Sire? Gott behüte mich, daß die Königin meinetwegen die geringste Unannehmlichkeit erfahre; sie hat mich immer für ihren Feind gehalten, Sire, obgleich Ew. Majestät bezeugen kann, daß ich stets ihre Partie, sogar gegen Euch genommen habe. Oh! wenn sie Ew. Majestät in Beziehung auf die Ehre verriethe, dann wäre es etwas Anderes und ich wäre der Erste, der sagen müßte: keine Gnade für die Schuldige! Zum Glück ist dem nicht so, und Eure Majestät haben einen neuen Beweis hiefür erlangt.«

»Das ist wahr, Herr Kardinal,« erwiederte der König, »und Ihr habt Recht, wie immer. Aber die Königin verdient darum nicht minder meinen ganzen Zorn.«

»Ihr habt den ihrigen auf Euch gezogen, Sire, und wenn sie Ew. Majestät ernstlich grollen würde, so könnte ich es wohl begreifen! …«

»So werde ich stets meine Feinde und die Eurigen behandeln, Herzog, so hoch sie gestellt sein mögen, und welche Gefahr ich auch bei strenger Behandlung derselben laufen könnte.«

»Die Königin ist meine Feindin, aber nicht die Eurige, Sire. Sie ist im Gegenteil eine gehorsame und tadellose Gattin. Laßt mich also für sie ein Wort einlegen.« –

»Sie demüthige sich und komme mir zuerst entgegen.«

»Im Gegentheil, Sire, gebt Ihr das Beispiel. Ihr habt zuerst Unrecht gehabt, denn in Euch ist der Verdacht gegen die Königin entstanden.«

»Ich den ersten Schritt thun?« sagte der König. »Nie!«

»Sire, ich flehe Euch an.«

»Uebrigens, wie sollte ich ihr zuerst entgegenkommen?«

»Indem Ihr irgend Etwas veranstaltet, wovon Ihr wißt, daß es ihr angenehm ist.«

»Was?«

»Gebt einen Ball. Ihr wißt, wie gerne die Königin tanzt. Ich stehe dafür, daß ihr Groll gegen eine solche Aufmerksamkeit nicht Stand halten wird.«

»Mein Herr Kardinal, es ist Euch bekannt, daß ich die weltlichen Freuden nicht liebe.«

»Die Königin wird Euch um so dankbarer sein, weil sie Eure Antipathie gegen dieses Vergnügen kennt. Ueberdies wird es ihr eine Gelegenheit bieten, die schönen Diamant-Nestelstifte zu tragen, die Ihr Eurer Gemahlin an ihrem Namenstag geschenkt habt, ohne daß sie sich bis jetzt damit schmücken konnte.«

»Wir werden sehen, Herr Kardinal, wir werden sehen,« sagte der König, der, voll Freude darüber, daß die Königin eines Verbrechens, um das er sich nichts kümmerte, schuldig, und in Betreff eines Vergehens, das er so sehr fürchtete, unschuldig befunden worden, sehr geneigt war, sich mit ihr auszusöhnen; »wir werden sehen, aber bei meiner Ehre, Ihr seid zu nachsichtig.«

»Sire,« sprach der Kardinal, »überlaßt die Strenge Euren Ministern, die Nachsicht ist eine königliche Tugend; wendet sie an, und Ihr werdet Euch überzeugen, daß Ihr Euch gut dabei befindet.«

Als der Kardinal sodann die Uhr elf schlagen hörte, machte er eine tiefe Verbeugung, bat den König, sich beurlauben zu dürfen, und forderte ihn, ehe er sich entfernte, noch einmal auf, sich mit der Königin zu versöhnen.

Anna von Oesterreich, welche in Folge des ihr abgenommenen Briefes Vorwürfe erwartete, war sehr erstaunt, als sie den König am andern Tage Annäherungsversuche machen sah. Ihre erste Bewegung war zurückweisend. Der Stolz der Frau und die Würde der Königin waren so grausam verletzt worden, daß sie sich nicht sogleich von diesem Schlag erholen konnte. Doch ließ sie sich von den Frauen ihrer Umgebung bereden und that, als wollte sie allmählig vergessen. Der König benützte den ersten Moment eines Entgegenkommens, um ihr zu sagen, er gedenke ein Fest zu geben.

Ein Fest war etwas so Seltenes für die arme Anna von Oesterreich, daß bei dieser Ankündigung, wie es der Kardinal vorhergesehen hatte, die letzte Spur ihres Grolles, wenn nicht in ihrem Herzen, doch wenigstens auf ihrem Gesichte verschwand. Sie fragte, an welchem Tage dieses Fest statt haben sollte, aber der König antwortete, er müsse sich über diesen Punkt mit dem Kardinal verständigen.

Der König fragte den Richelieu wirklich jeden Tag, wann das Fest gegeben werden solle, und jeden Tag schob Richelieu eine bestimmte Aeußerung darüber unter irgend einem Vorwande hinaus.

Am achten Tage nach der von uns mitgetheilten Scene bekam der Kardinal einen Brief mit dem Stempel von London, der nur folgende Zeilen enthielt:

»Ich habe sie, aber ich kann London nicht verlassen, weil es mir an Geld fehlt; schickt mir fünfhundert Pistolen, und vier bis fünf Tage nach Empfang derselben bin ich in Paris.«

An demselben Tag, wo der Kardinal diesen Brief empfangen hatte, richtete der König seine gewöhnliche Frage an ihn.

Richelieu zählte an den Fingern und sagte ganz leise zu sich selbst:

»Sie wird, schreibt sie, vier bis fünf Tage nach Empfang des Geldes ankommen; das Geld braucht vier bis fünf Tage, um dort anzukommen, sie braucht vier bis fünf Tage, um hierher zu kommen: das macht zehn Tage; nun rechnen wir noch conträre Winde, etwaige Unfälle, Weiberschwäche dazu, und setzen wir zwölf Tage.«

»Nun, Herr Herzog,« sprach der König, »habt Ihr Eure Rechnung gemacht?«

»Ja, Sire, heute ist der 20. September; der Rath der Stadt Paris giebt am 3. Oktober ein Fest. Das trifft vortrefflich zusammen: dann sieht es nicht aus, als ob Ihr Euch so große Mühe gäbet, um die Königin zu versöhnen.«

»Doch,« fügte der Kardinal bei, »vergeßt nicht, Sire, am Vorabend des Festes Ihrer Majestät zu sagen, daß Ihr zu sehen wünscht, wie ihr die diamantenen Nestelstifte stehen.«

XVII.

Die Haushaltung Bonacieux.

Es war das zweite Mal, daß der Kardinal der diamantenen Nestelstifte gegen den König erwähnte. Ludwig XIII. war über diese Wiederholung betroffen und dachte, es müsse ein Geheimniß dahinter liegen, daß er ihm diesen Gegenstand so dringend empfahl.

Mehr als einmal hatte sich der König dadurch gedemüthigt gesehen, daß der Kardinal, der eine vortreffliche Polizei besaß, obgleich diese noch nicht die Vollendung der modernen Polizei erreicht hatte, über das, was in seinem eigenen Haushalt vorging, besser unterrichtet war, als er selbst. Er hoffte nun aus einem Gespräch mit Anna von Oesterreich einiges Licht zu gewinnen und sodann mit irgend einem Geheimniß, das der Kardinal mühte, zur Eminenz zurückzukehren, was ihn in den Augen seines Ministers unendlich erhöhen müßte.

Er suchte deßhalb die Königin auf und knüpfte seiner Gewohnheit gemäß die Unterredung mit neuen Drohungen gegen ihre Umgebung an. Anna von Oesterreich senkte den Kopf, ließ den Strom verlaufen, ohne zu antworten, und hoffte, er werde am Ende von selbst stille stehen; aber das war es nicht, was Ludwig XIII. wollte. Ludwig XIII. wollte einen Wortwechsel, aus dem irgend ein Lichtfunke hervorspringen würde, denn er war überzeugt, daß der Kardinal einen Hintergedanken habe und ihm eine von jenen furchtbaren Ueberraschungen bereite, welche Seine Eminenz herbeizuführen wußte. Er gelangte zu diesem Ziele durch seine Beharrlichkeit im Anschuldigen.

»Aber,« rief Anna von Oesterreich, dieser unbestimmten, schwankenden Angriffe müde, »aber, Sire, Ihr sagt mir nicht Alles, was Ihr auf dem Herzen habt; was habe ich denn gethan? Sprecht, welches Verbrechen habe ich begangen? Es ist nicht möglich, daß Ew. Majestät all diesen Lärmen wegen eines Briefes machen, den ich an meinen Bruder geschrieben.«

Seinerseits so direct angegriffen, wußte der König nicht, was er antworten sollte. Er dachte, dies sei der geeignete Augenblick, die Aufforderung anzubringen, die er erst am Vorabend des Festes machen sollte.

»Madame,« sprach er mit Hoheit, »es wird alsbald ein Ball im Rathhaus stattfinden. Ich erwarte, daß Ihr unsern braven Rathsherrn die Ehre anthun werdet, daselbst in Ceremonienkleidern und besonders mit den diamantenen Nestelstiften, die ich Euch an Euerem Namensfest gegeben habe, zu erscheinen. Das ist meine Antwort.«

Die Antwort war furchtbar; Anna von Oesterreich glaubte, Ludwig XIII. wisse Alles, und der Kardinal habe ihn zu dieser sechs- bis siebentägigen Verstellung bestimmt, die übrigens in seinem Charakter lag. Sie wurde todesblaß, stützte ihre bewunderungswürdig schöne Hand, welche jetzt von Wachs zu sein schien, auf eine Console, schaute den König mit erschrockenen Augen an und antwortete keine Sylbe.

»Ihr versteht, Madame,« sagte der König, der sich an dieser Verlegenheit in seiner ganzen Ausdehnung ergötzte, aber ohne die Ursache zu errathen, »Ihr versteht?«

»Ja, Sire, ich verstehe,« stammelte die Königin.

»Ihr werdet auf diesem Balle erscheinen?«

»Ja!«

»Mit Euren Nestelstiften?«

»Ja!«

Die Blässe der Königin nahm wo möglich noch zu, der König bemerkte es und waidete sich daran mit jener kalten Grausamkeit, welche eine der schlimmsten Seiten seines Charakters bildete.

»Dann ist die Sache abgemacht,« sprach der König, »und das ist Alles, was ich Euch zu sagen hatte.«

»Aber an welchem Tage soll der Ball stattfinden?« fragte Anna von Oesterreich.

Ludwig XIII. fühlte instinktmäßig, daß er auf diese Frage, welche die Königin mit beinahe ersterbender Stimme gethan hatte, nicht antworten durfte.

»Sehr bald, Madame,« sagte er, »aber ich erinnere mich nicht mehr genau des Datums und werde den Kardinal fragen.«

»Also hat Euch der Kardinal dieses Fest angekündigt!« rief die Königin. – »Ja, Madame,« erwiederte der König erstaunt. »Aber warum dies?« – »Er hat Euch gesagt, Ihr sollet mich auffordern, dabei mit diesen Nestelstiften zu erscheinen.« – »Das heißt, Madame …« – »Er, Sire!« – »Was liegt daran, ob er oder ich? Ist diese Aufforderung etwa ein Verbrechen?« – »Nein, Sire!« – »So werdet Ihr also erscheinen?« – »Ja, Sire!« –»Gut,« sprach der König sich entfernend, »ich zähle darauf.«

Die Königin machte eine Verbeugung, weniger aus Etikette, als weil ihre Kniee unter ihr brachen.

Der König schien entzückt.

»Ich bin verloren,« murmelte die Königin, »verloren, denn der Kardinal weiß Alles. Und er ist es, der den König antreibt, welcher nichts weiß, aber bald Alles erfahren wird. Ich bin verloren! Mein Gott! mein Gott! mein Gott!«

Sie knieete auf ein Kissen nieder und betete, den Kopf zwischen die zitternden Arme gesenkt.

Ihre Lage war in der That furchtbar. Buckingham war nach London zurückgekehrt. Frau von Chevreuse befand sich in Tours. Strenger als je überwacht, hatte die Königin eine geheime Ahnung, daß sie von einer ihrer Frauen verrathen wurde, ohne sich sagen zu können, von welcher. La Porte konnte den Louvre nicht verlassen. Sie hatte nicht eine Seele auf der Welt, der sie sich anvertrauen durfte.

Bei dem Unglück, das sie bedrohte, und bei der Verlassenheit, der sie preisgegeben war, brach sie in heftiges Schluchzen aus.

»Kann ich Ew. Majestät nichts nützen?« sprach plötzlich eine Stimme voll Sanftmuth und Mitleid.

Die Königin wandte sich lebhaft um, denn man konnte sich im Ausdruck dieser Stimme nicht täuschen: es war eine Freundin, welche so sprach.

An einer der Thüren, welche in das Gemach der Königin führten, erschien wirklich die hübsche Frau Bonacieux; sie war, als der König eintrat, damit beschäftigt gewesen, Kleider und Weißzeug in einem Kabinet zu ordnen. Sie konnte sich nicht entfernen und hatte Alles gehört. Die Königin stieß einen durchdringenden Schrei aus, als sie sich überrascht sah; denn in ihrer Angst erkannte sie anfangs die junge Frau nicht, die ihr La Porte gegeben hatte.

»O, fürchtet nichts, Madame,« sagte die junge Frau, die Hände faltend und selbst über die Bangigkeit der Königin weinend. »Ich gehöre Ew. Majestät mit Leib und Seele, und so fern ich Euch stehe, so untergeordnet meine Stellung ist, so glaube ich doch das Mittel gefunden zu haben, Ew. Majestät aller Pein zu entziehen.«

»Ihr! O Himmel, Ihr!« rief die Königin. »Aber seht, schaut mir ins Gesicht. Ich bin von allen Seiten verrathen; kann ich mich Euch anvertrauen?«

»O, Madame!« rief die junge Frau auf die Kniee fallend, »o, bei meiner Seele, ich bin bereit, für Euch zu sterben!«

Dieser Ruf kam aus der Tiefe des Herzens und man konnte sich über seine Wahrheit so wenig täuschen, als bei dem ersten.

»Ja,« fuhr Frau Bonacieux fort, »ja es gibt Verräther hier. Aber bei der heiligen Jungfrau beschwöre ich Euch, daß Niemand ergebener sein kann, als ich es Ew. Majestät bin. Diese Nestelstifte, welche der König fordert, habt Ihr dem Herzog von Buckingham gegeben, nicht wahr? Diese Nestelstifte waren in einem Kistchen von Rosenholz verschlossen, das er unter seinem Arm trug. Täusche ich mich? ist es nicht so?«

»Oh! mein Gott! mein Gott!« murmelte die Königin, der die Zähne vor Angst klapperten.

»Nun,« fuhr Frau Bonacieux fort, »man muß diese Nestelstifte wieder bekommen.« – »Ja, allerdings, das muß sein!« rief die Königin, »aber wie soll man dies machen, wie dazu gelangen?« – »Man muß Jemand zu dem Herzog schicken.« – »Aber wen? … wem mich anvertrauen?« – »Habt Vertrauen zu mir, Madame; erweist mir diese Ehre, und ich werde den Boten finden.« – »Aber ich werde schreiben müssen!« – »Oh! ja, das ist unerläßlich. Zwei Worte von Ew. Majestät Hand und Euer Privatsiegel.« – »Aber diese zwei Worte sind meine Verdammung, die Ehescheidung, die Verbannung!« – »Ja, wenn sie in böse Hände fallen. Aber ich stehe dafür, daß diese zwei Worte ihrer Adresse zugestellt werden.« – »O mein Gott! Ich muß also mein Leben, meine Ehre, meinen Ruf in Eure Hände legen.« – »Ja, ja, Madame, das muß sein, und ich werde Alles dies retten!« – »Aber wie? sagt mir dies wenigstens.« – »Mein Gatte ist vor zwei oder drei Tagen in Freiheit gesetzt worden, ich habe noch nicht Zeit gehabt, ihn zu sehen; er ist ein braver, ehrlicher Mann, der weder Haß noch Liebe für irgend Jemand hegt. Er wird thun, was ich haben will. Er wird auf einen Befehl von mir abreisen, ohne zu wissen, was er mit sich trägt, und den Brief Ew. Majestät an seine Adresse abgeben, ohne zu erfahren, daß er von Eurer Majestät herrührt.«

Die Königin ergriff die zwei Hände der jungen Frau mit leidenschaftlicher Begeisterung, schaute sie an, als wollte sie in der Tiefe ihres Herzens lesen, und küßte sie zärtlich, als sie nur Aufrichtigkeit in ihren schönen Augen gewahr wurde.

»Thu‘ dies,« rief sie, »und Du hast mir das Leben, Du hast mir die Ehre gerettet!« – »O, schlaget den Dienst, den ich Euch zu leisten so glücklich bin, nicht allzuhoch an. Ich habe Ew. Majestät, die nur das Opfer treuloser Komplotte ist, nichts zu retten.« – »Das ist wahr, das ist wahr, mein Kind,« sprach die Königin, »und Du hast Recht.« – »Gebt mir also den Brief, Madame, die Zeit drängt.«

Die Königin lief nach einem Tischchen, worauf sich Dinte, Papier und Federn befanden. Sie schrieb zwei Zeilen, versiegelte den Brief mit ihrem Siegel und stellte ihn Frau Bonacieux zu.

»Nun aber,« sagte die Königin, »nun aber vergessen wir eine sehr notwendige Sache.« – »Welche?« – »Das Geld.«

Frau Bonacieux erröthete.

»Ja, das ist wahr,« sagte sie, »und ich gestehe Eurer Majestät, daß mein Mann …« – »Dein Mann hat keines, nicht wahr, das willst Du mir sagen?« – »Gewiß, er hat, aber er ist sehr geizig, das ist sein Fehler. Uebrigens dürfen sich Ew. Majestät hiedurch nicht beunruhigen lassen, wir werden Mittel finden …« – »Ich habe auch keines,« sprach die Königin (diejenigen, welche die Memoiren der Frau von Moteville lesen, werden über diese Antwort nicht staunen), »aber warte!«

Anna von Oesterreich eilte nach ihrem Geschmeidekästchen.

»Halt,« sagte sie, »hier ist ein Ring von großem Werthe, wie man mich versichert. Er kommt von meinem Bruder, dem König von Spanien; er gehört mir, und ich kann darüber verfügen. Nimm diesen Ring, mach ihn zu Gelde und schick Deinen Mann auf die Reise.«

»In einer Stunde soll Euch gehorcht sein.«

»Du siehst die Adresse,« fügte die Königin bei, indem sie so leise sprach, daß man kaum hören konnte, was sie sagte: »An Mylord Herzog von Buckingham in London.«

»Der Brief soll ihm selbst eingehändigt werden.«

»Edelmüthiges Kind!« rief Anna von Oesterreich.

Frau Bonacieux küßte der Königin die Hände, verbarg das Parier in ihrem Schnürleib und verschwand mit der Leichtigkeit eines Vogels.

Zehn Minuten nachher war sie in ihrem Hause. Sie hatte, wie sie der Königin gesagt, ihren Gatten, seid er in Freiheit gesetzt worden war, nicht wieder gesehen und wußte nichts von der Veränderung, welche in ihm, in Beziehung auf den Kardinal vorgegangen war; einer Veränderung, die durch die Schmeichelei und das Geld seiner Eminenz bewerkstelligt und seitdem durch einige Besuche des Grafen von Rochefort gekräftigt worden, welche der beste Freund von Bonacieux wurde und diesen ohne alle Mühe glauben machte, die Entführung seiner Frau sei nicht durch irgend eine Schuld herbeigeführt worden, sondern er habe sie nur als eine politische Vorsichtsmaßregel zu betrachten.

Sie fand Herr Bonacieux allein: der arme Mann brachte mit großer Anstrengung wieder Ordnung in das Haus, dessen Geräthe er beinahe alles zertrümmert, und dessen Schränke er beinahe leer fand, da die Gerechtigkeit nicht zu den drei Dingen gehört, von denen der König Salomo sagt, daß sie keine Spuren ihres Erscheinens zurücklassen. Die Magd war bei der Verhaftung ihres Herrn entflohen. Des armen Mädchens hatte sich ein solcher Schrecken bemächtigt, daß sie von Paris bis in ihr Heimathland Burgund eilte.

Der würdige Krämer hatte sogleich nach seiner Rückkehr in sein Haus seine Frau benachrichtigt, und diese hatte ihm hieraus mit ihrem Glückwunsche und mit der Ankündigung geantwortet, daß der erste Augenblick, wo sie sich ihren Verpflichtungen entziehen könne, vollständig einem Besuche bei ihm gewidmet werden solle.

Dieser erste Augenblick ließ fünf Tage auf sich warten, was unter allen andern Umständen Meister Bonacieux sehr lange vorgekommen sein würde: aber er hatte in dem Besuche, den er dem Kardinal gemacht, und in den Besuchen, die ihm Rochefort machte, reichlichen Stoff zum Nachdenken gefunden, und bekanntlich verkürzt nichts die Zeit so sehr, als das Nachdenken. Ueberdies waren die Betrachtungen von Bonacieux insgesammt rosenfarbig. Rochefort nannte ihn seinen Freund, seinen lieben Bonacieux, und versicherte ihn unaufhörlich, der Kardinal halte große Stücke auf ihn. Der Krämer sah sich bereits auf dem Weg der Ehre und des Glückes.

Frau Bonacieux hatte ihrerseits auch nachgedacht, allerdings über etwas ganz Anderes, als über den Ehrgeiz. Unwillkürlich kam ihr immer und immer wieder der schöne, muthige, junge Mann in den Sinn, der so verliebt schien. Mit achtzehn Jahren an Herrn Bonacieux verheirathet, stets unter den Freunden ihres Gatten lebend, welche gar wenig geeignet waren, einer jungen Frau, deren Herz hoch über ihrer bürgerlichen Stellung stand, Gefühle einzuflößen, war Madame Bonacieux unempfindlich für gewöhnliche Verführung geblieben; der Titel eines Edelmannes übte besonders in dieser Epoche einen großen Einfluß auf das Bürgerthum aus, und d’Artagnan war Edelmann; überdies trug er die Uniform der Garden, welche nach der Musketier-Uniform bei den Damen in der höchsten Achtung stand. Er war, wir wiederholen es, schön, jung, abenteuerlich. Er sprach von Liebe wie ein Mann, welcher liebt und nach Gegenliebe dürstet; darin lag mehr, als es bedurfte, um ein dreiundzwanzigjähriges Köpfchen zu verdrehen. Und Frau Bonacieux war gerade bei diesem glücklichen Lebensalter angelangt.

Die zwei Gatten trafen also, obgleich sie sich seit mehr als acht Tagen nicht gesehen hatten, obgleich im Verlauf dieser Woche wichtige Ereignisse unter ihnen vorgefallen waren, nicht ohne allen Zwang wieder zusammen; dessenungeachtet gab Herr Bonacieux eine wahre Freude kund und ging mit offenen Armen auf seine Frau zu.

Frau Bonacieux bot ihm die Stirne.

»Sprechen wir ein wenig,« sagte sie.

»Wie?« fragte Bonacieux erstaunt.

»Ja, allerdings; ich habe Dir eine Sache von der größten Wichtigkeit mitzutheilen.«

»In der That, ich habe ebenfalls einige sehr ernsthafte Fragen an Dich zu richten. Ich bitte Dich, erkläre mir ein wenig Deine Entführung.«

»Es handelt sich in diesem Augenblicke nicht hievon,« sagte Frau Bonacieux.

»Und wovon handelt es sich denn? von meiner Gefangenschaft?«

»Ich habe sie an demselben Tage erfahren; aber da Du keines Verbrechens, keiner Intriguen schuldig warst, da Du nichts wußtest, was Dich oder sonst Jemand hätte gefährden können, so legte ich nicht mehr Gewicht auf dieses Ereigniß, als es verdiente.«

»Ihr sprecht freundlich, Madame!« versetzte Bonacieux verletzt durch die geringe Theilnahme, welche seine Frau für ihn an den Tag legte. »Wißt Ihr, daß ich einen Tag und eine Nacht in einem Kerker der Bastille saß!«

»Ein Tag und eine Nacht sind bald vorüber. Lassen wir Deine Gefangenschaft und kommen wir auf das, was mich hieher führt.«

»Wie? was Dich hieher führt! Also nicht das Verlangen, einen Gatten wiederzusehen, von dem Du seit acht Tagen getrennt bist?« fragte der Krämer in äußerst gereiztem Tone.

»Zuerst dies und dann etwas Anderes.«

»Sprich!«

»Eine Sache von dem größten Interesse, wovon vielleicht unser zukünftiges Glück abhängt.«

»Unser zukünftiges Glück hat sich bedeutend verändert, seitdem ich Dich nicht mehr gesehen habe, und es sollte mich nicht wundern, wenn uns in einigen Monaten gar viele Leute darum beneiden würden.«

»Ja, besonders wenn Du die Anweisungen befolgen willst, die ich Dir geben werde.«

»Mir?«

»Ja, Dir! Es ist eine gute und heilige Handlung zu vollbringen, mein Freund, und vielleicht viel Geld dabei zu gewinnen.«

Frau Bonacieux wußte, daß sie ihren Mann bei der schwachen Seite faßte, wenn sie von Geld sprach.

Aber ein Mensch, und wäre es auch ein Krämer, ist, wenn er zehn Minuten mit dem Kardinal von Richelieu gesprochen hat, nicht mehr derselbe Mensch.

»Viel Geld zu gewinnen!« – sagte Bonacieux. –»Ja, viel!«

– »Wie viel ungefähr?« – »Etwa tausend Pistolen.« – »Was Du von mir zu verlangen hast, ist also sehr wichtig?« – »Ja!«

– »Was ist zu thun?« – »Du reisest sogleich ab, ich gebe Dir ein Papier, das Du unter keinem Vorwand aus Deinen Händen lassest, und nur an seine Adresse abgibst.« – »Und wohin soll ich reisen?« – »Nach London.« – »Ich nach London! Geh, Du scherzest; ich habe nichts in London zu thun!« – »Aber für Andere ist es nothwendig, daß Du dahin gehst.« – »Wer sind die Anderen? Ich sage Dir, daß ich nichts mehr blindlings thue, und will nicht nur wissen, welchen Gefahren ich mich aussetze, sondern für wen ich mich aussetze.« – »Eine vornehme Person schickt Dich, eine vornehme Person erwartet Dich. Die Belohnung wird Deine Wünsche übertreffen. Das ist Alles, was ich Dir versprechen kann.« – »Abermals Intriguen! immer Intriguen! ich danke, ich traue jetzt nicht mehr, und der Herr Kardinal hat mich hierüber aufgeklärt.« – »Der Kardinal?« rief Frau Bonacieux, »hast Du den Kardinal gesehen?« – »Er hat mich rufen lassen,« antwortete der Krämer stolz. – »Und Du hast seiner Einladung Folge geleistet, unkluger Mann?« – »Ich muß gestehen, daß es nicht in meiner Wahl stand, mich zu ihm zu begeben oder nicht; denn ich befand mich zwischen zwei Wachen. Ich kann nicht läugnen, daß ich, da ich damals Seine Eminenz nicht kannte, sehr entzückt gewesen wäre, mich von diesem Besuche frei machen zu können.« – »Er hat Dich also mißhandelt? er hat Dich bedroht?« – »Er hat mir die Hand gereicht und mich seinen Freund genannt – seinen Freund! hörst Du wohl? Ich bin der Freund des großen Kardinals!« – »Des großen Kardinals!« – »Wollt Ihr ihm vielleicht diesen Titel streitig machen, Madame?« – »Ich bestreite nichts, ich sage nur, daß die Gunst eines Ministers eine Eintagsfliege ist, und daß man ein Thor sein muß, um sich an einen Minister zu hängen. Es gibt Gewalten, die über den seinigen stehen, und nicht auf der Laune eines Menschen oder dem Ausgang eines Ereignisses beruhen; mit diesen Gewalten muß man sich verbinden.« – »Es thut mir leid, Madame, aber ich kenne keine andere Gewalt, als die des großen Mannes, dem ich zu dienen die Ehre habe.« – »Du dienst also dem Kardinal?« – »Ja, Madame, und als sein Diener werde ich nicht zugeben, daß Ihr Euch in Komplotte gegen die Sicherheit des Staates einlasset, und eine Frau, die keine Französin ist und ein spanisches Herz hat, in ihren Intriguen unterstützt. Zum Glück ist der große Kardinal da. Sein wachendes Auge dringt bis in die Tiefe des Herzens.«

Bonacieux wiederholte Wort für Wort eine Phrase, die er vom Grafen von Rochefort gehört hatte. Aber die arme Frau, die auf ihren Gatten gerechnet und sich in dieser Hoffnung bei der Königin für ihn verantwortlich gemacht hatte, zitterte darum nicht minder über die Gefahr, in die sie sich beinahe gestürzt, so wie über die Ohnmacht, in welche sie sich versetzt sah. Da sie jedoch die Schwäche und besonders die Habgier ihres Mannes kannte, so verzweifelte sie noch nicht daran, ihn zu ihrem Ziele zu lenken.

»Ah, Ihr seid ein Kardinalist, mein Herr,« rief sie, »ah! Ihr dient der Partei derjenigen, welche Eure Frau mißhandeln und Eure Königin beleidigen!« – »Die Privatinteressen sind nichts den allgemeinen Interessen gegenüber. Ich bin für diejenigen, welche den Staat retten,« sagte Bonacieux mit Pathos.

Das war abermals eine Phrase des Grafen von Rochefort, die er im Kopfe behalten hatte und hier gut angebracht glaubte.

»Und wißt Ihr, was der Staat ist, von dem Ihr sprecht?« sagte Frau Bonacieux die Achseln zuckend. »Begnügt Euch, ein Bürger ohne alle seine Unterscheidungen zu sein, und haltet Euch auf die Seite, welche Euch am meisten Vortheil bietet.« – »Ei, ei!« erwiederte Bonacieux, und schlug auf einen Sack mit gerundetem Wanste, der einen silbernen Ton von sich gab. »Was sagt Ihr hievon, Frau Predigerin?« – »Woher kommt dieses Geld?« – »Ihr errathet es nicht?« – »Vom Kardinal?« – »Von ihm und von meinem Freunde, dem Grafen von Rochefort.« – »Von dem Grafen von Rochefort! Aber das ist ja derjenige, welcher mich weggeschleppt hat.« – »Das kann sein, Madame.« – »Und Ihr nehmt Geld von diesem Menschen an?« – »Habt Ihr mir nicht gesagt, diese Entführung sei ganz politischer Natur gewesen?« – »Ja, aber der Zweck dabei war, mich zu einem Verrath an meiner Gebieterin zu veranlassen, mir durch Foltern Geständnisse zu erpressen, welche die Ehre und vielleicht das Leben der erhabenen Fürstin bloßstellen sollten.« – »Madame,« entgegnete Bonacieux, »Eure erhabene Fürstin ist eine treulose Spanierin, und was der große Kardinal thut, ist wohlgethan.« – »Mein Herr,« sprach die junge Frau, »ich kannte Euch als feig, geizig und einfältig, aber ich wußte nicht, daß Ihr ehrlos seid!« – »Madame,« sagte Bonacieux, der seine Frau nie zornig gesehen hatte und vor dem ehelichen Grimme zurückwich; »Madame, was sagt Ihr da?« – »Ich sage, daß Ihr ein Elender seid!« fuhr Madame Bonacieux fort, der es nicht entging, daß sie wieder einigen Einfluß auf ihren Gatten gewann. »Ah! Ihr treibt Politik, Ihr! und zwar kardinalistische Politik! Ah! Ihr verkauft um schnödes Gold Leib und Seele an den Teufel!« – »Nein, aber an den Kardinal.« – »Das ist ganz dasselbe. Wer Richelieu sagt, sagt Satan.« – »Schweigt, Madame, schweigt, man könnte Euch hören!« – »Ihr habt Recht, und ich würde mich Eurer Feigheit schämen.« – »Aber was verlangt Ihr denn von mir? laßt hören!« – »Ich habe Euch gesagt, mein Herr, daß Ihr stehenden Fußes abreisen und den Auftrag, dessen ich Euch würdige, sogleich vollziehen sollt, unter dieser Bedingung vergebe ich Alles, vergesse ich Alles; mehr noch« – sie reichte ihm die Hand – »ich schenke Euch wieder meine Freundschaft.«

Bonacieux war feig und geizig, aber er liebte seine Frau; er ließ sich erweichen. Ein Mann von fünfzig Jahren grollt einer Frau von dreiundzwanzig nicht lange. Madame Bonacieux sah, daß er schwankte, und sagte:

»Nun, seid Ihr entschlossen?« – »Aber, meine liebe Freundin, bedenkt doch einen Augenblick, was Ihr von mir fordert; London ist weit von Paris, sehr weit, und es ist vielleicht mit dem Auftrag, den Ihr mir gebt, Gefahr verbunden.« – »Was ist daran gelegen, wenn Ihr sie vermeidet?« – »Hört, Madame Bonacieux, hört,« sagte der Krämer, »ich widersetze mich entschieden Euerem Ansinnen: die Intriguen machen mir bange. Ich habe die Bastille gesehen. Brrrr! Die Bastille ist furchtbar. Wenn ich nur daran denke, überläuft mich eine Schauer. Man hat mich mit der Folter bedroht. Wißt Ihr, was die Folter ist? steile, die man einem zwischen die Beine treibt, bis die Knochen krachen! Nein, ich bin entschlossen, ich gehe nicht. Ei, der Teufel! warum geht Ihr nicht selbst? Denn in der That, ich glaube, daß ich mich jetzt in Beziehung auf Euere Person nicht getäuscht habe: Ihr seid ein Mann und noch dazu einer der wüthendsten.« – »Und Ihr, Ihr seid ein Weib, ein elendes, albernes, dummes Weib. Ah! Ihr habt Furcht! Nun wohl! wenn Ihr nicht in diesem Augenblick reist, lasse ich Euch auf Befehl der Königin verhaften und in die Bastille setzen, die Ihr so sehr fürchtet.«

Bonacieux versank in tiefes Nachdenken; er erwog reiflich in seinem Gehirne die zwei Grimme, den des Kardinals und den der Königin: der des Kardinals gewann in einem ungeheuer Grade die Oberhand.

»Laßt mich im Namen der Königin verhaften,« sprach er; »ich fordere meine Freilassung von Seiner Eminenz.«

Madame Bonacieux sah ein, daß sie zu weit gegangen war, und erschrack darüber, daß sie sich hatte so fortreißen lassen. Sie betrachtete einen Augenblick nicht ohne Bangigkeit dieses alberne Gesicht, auf dem eine unüberwindliche Entschlossenheit zu lesen war, wie gewöhnlich bei Albernen, welche Furcht haben.

»Nun gut, es sei so!« sagte sie, »Ihr habt vielleicht am Ende Recht; ein Mann sieht in der Politik weiter, als ein Weib, und Ihr besonders, Herr Bonacieux, der Ihr mit dem Kardinal gesprochen habt; aber dennoch ist es sehr hart,« fügte sie bei, »daß mein Gatte, daß ein Mann, aus dessen Liebe ich rechnen zu dürfen glaubte, mich so unfreundlich behandelt und meine Launen nicht befriedigt.«

»Weil Euere Launen zu weit führen könnten,« entgegnete Bonacieux triumphirend, »und weil ich nicht traue.«

»Ich werde also Verzicht leisten,« sprach die junge Frau seufzend, »gut, reden wir nicht mehr davon.«

»Wenn Ihr nur wenigstens sagen wolltet, was ich in London zu thun hätte,« fragte Bonacieux, dem es etwas spät einfiel, daß ihm Rochefort aufgetragen hatte, er solle die Geheimnisse seiner Frau zu erforschen suchen.

»Ihr braucht es nicht zu wissen,« antwortete die junge Frau, welche ein instinktmäßiges Mißtrauen nun wieder zurücktrieb, »es handelte sich um eine Bagatelle, wie sie die Frauen oft zu bekommen wünschen, um einen Einkauf, wobei viel zu gewinnen gewesen wäre.«

Aber je mehr sich die junge Frau vertheidigte, desto mehr kam Bonacieux auf die Meinung, das Geheimniß, welches sie ihm anzuvertrauen sich weigerte, müsse von großem Belang sein. Er beschloß deßhalb, sogleich zu dem Grafen von Rochefort zu laufen und ihm mitzutheilen, die Königin suche einen Boten, um ihn nach England zu schicken.

»Verzeiht, wenn ich Euch verlasse, meine liebe Madame Bonacieux,« sagte er, »aber da ich nicht wußte, daß Ihr kommen würdet, so hatte ich mich mit einem von meinen Freunden zusammenbestellt, ich komme sogleich wieder, und wenn Ihr eine halbe Minute auf mich warten wollt, so hole ich Euch ab, sobald ich meinen Freund abgefertigt habe, und führe Euch, da es bereits spät zu werden anfängt, in den Louvre zurück.«

»Ich danke, mein Herr,« erwiederte Madame Bonacieux. »Ihr seid nicht muthig genug, um mir von irgend einem Nutzen zu sein, und ich werde allein in den Louvre zurückkehren.«

»Wie es Euch gefällig ist, Madame Bonacieux,« versetzte der Exkrämer. »Werde ich Euch bald wieder sehen?«

»Ohne Zweifel; in der nächsten Woche wird mir mein Dienst hoffentlich einige Freiheit gönnen, und ich gedenke diese zu benützen, um die Ordnung in unsern Sachen wieder herzustellen, welche ein wenig durcheinander gebracht worden sein müssen.«

»Gut, ich erwarte Euch; Ihr seid mir nicht böse?«

»Ich! nicht im mindesten.«

»Also, auf baldiges Wiedersehen?«

»Gewiß.« Bonacieux küßte seiner Frau die Hand und entfernte sich rasch.

»Schön,« sagte Madame Bonacieux, als ihr Mann die Hausthüre geschlossen hatte und sie sich allein befand, »diesem Schwachkopf fehlte nichts mehr, als daß er ein Kardinalist wurde. Und ich, die ich der Königin dafür stand, ich, die ich meiner armen Gebieterin versprochen habe … Ah! mein Gott! mein Gott! sie wird mich für eine von den Elenden halten, von denen der Palast wimmelt und die man in ihre Nähe gebracht hat, um sie auszuspioniren. Ah! Herr Bonacieux, ich habe Euch nie sehr geliebt, aber jetzt steht es noch schlimmer! Ich hasse Euch und gebe Euch mein Wort, Ihr sollt es mir bezahlen.«

In dem Augenblicke, wo sie diese Worte sprach, vernahm sie einen Schlag an den Plafond, sie hob den Kopf in die Höhe und eine Stimme, welche durch die Decke kam, rief ihr zu: »Liebe Madame Bonacieux, öffnet mir die kleine Thüre und ich komme zu Euch hinab.«