Der Turm Saint-Jacques-la-Boucherie

Um drei Viertel auf sechs Uhr hatte Herr von Retz alle seine Gänge gemacht und war in den erzbischöflichen Palast zurückgekehrt.

Um sechs Uhr meldete man den Pfarrer von Saint-Mery, der auf des Koadjutors Wink mit Planchet eintrat.

Monseigneur, sagte der Pfarrer von Saint-Mery, hier ist die Person, von der ich mit Euch zu sprechen die Ehre gehabt habe.

Planchet grüßte mit der Miene eines Menschen, der sich in guten Kreisen bewegt hat.

Nach verschiedenen Fragen, auf die Planchet mit seinem gewöhnlichen Witz antwortete und durch die der Prälat erfuhr, daß der alte Musketierdiener es gewesen war, der Rochefort befreit hatte, sagte der Koadjutor:

Ihr seid ein gescheiter Bursche, mein Freund; kann man auf Euch zählen? – Ich glaubte, der Herr Pfarrer habe sich für mich verbürgt? – Allerdings, aber ich wünschte, diese Versicherung aus Euerem eigenen Munde zu vernehmen. – Ihr könnt auf mich zählen, Monseigneur, vorausgesetzt, daß es sich um einen allgemeinen Aufruhr handelt. – Gerade darum handelt es sich. Wieviel Mann glaubt Ihr diese Nacht zusammenbringen zu können? – Zweihundert Musketen und fünfhundert Hellebarden. – Wäret Ihr geneigt, dem Grafen von Rochefort zu gehorchen? – Ich würde ihm bis in die Hölle folgen, und das will nicht wenig sagen, denn ich halte ihn für fähig, sich dahin zu versteigen. – Bravo! – An welchem Zeichen wird man morgen die Freunde von den Feinden unterscheiden können? – Jeder Frondeur mag einen Strohknoten an seinem Hut befestigen. – Gut; gebt Ihr uns nur die Parole! – Braucht Ihr Geld? – Geld kann nie schaden, Monseigneur; hat man keins, so wird man sich so durchhelfen; hat man’s, so werden die Dinge nur rascher und besser gehen.

Retz ging an eine Kasse und zog einen Sack hervor.

Hier sind fünfhundert Pistolen, sprach er, und geht die Angelegenheit gut, so zählt morgen auf dieselbe Summe.– Ich werde getreulich über dieses Geld Rechenschaft ablegen, sagte Planchet und nahm den Sack unter den Arm. – Es ist gut, ich empfehle Euch den Kardinal. – Seid unbesorgt, er ist in guten Händen.

Kaum waren der Pfarrer und Planchet fort, so meldete man den Pfarrer von Saint-Sulpice.

Sobald das Kabinett sich öffnete, stürzte ein Mann herein; es war der Graf von Rochefort.

Ihr seid’s, mein lieber Graf? sagte der Prälat, ihm die Hand reichend. – Ihr seid also endlich entschlossen? versetzte Rochefort. – Ich bin es immer gewesen, erwiderte Gondy. – Sprechen wir nicht weiter davon, Ihr sagt es, und ich glaube Euch. Wir geben Mazarin einen Ball? – Ich hoffe es. – Wann soll der Tanz beginnen? – Die Einladungen sind für diese Nacht erlassen, sprach der Koadjutor, aber die Geiger werden erst morgen früh zu spielen anfangen. – Ihr könnt auf mich und auf fünfzig Mann zählen, die mir der Chevalier d’Humières versprochen hat, falls ich ihrer bedürfen sollte. – Auf fünfzig Soldaten? – Er wirbt Rekruten an und leiht sie mir; ist das Fest vorüber und es fehlen einige davon, so werde ich sie ersetzen. – Gut, mein lieber Rochefort, aber das ist noch nicht alles. – Was gibt es sonst noch? fragte Rochefort lächelnd. – Was habt Ihr mit Herrn von Beaufort gemacht? – Er ist in der Provinz Vendome, wo er wartet, bis ich ihm schreibe, daß er zurückkommen solle. – Schreibt ihm, es ist Zeit. – Ihr seid also Eurer Sache gewiß? – Ja, aber er muß eilen, denn kaum wird das Volk zur Empörung gebracht sein, so haben wir zehn Prinzen für einen, die sich an die Spitze stellen wollen; zögert er, so findet er den Platz besetzt. – Kann ich ihm den Rat in Euerem Auftrag geben? – Allerdings. – Darf ich ihm sagen, er könne auf Euch zählen? – Gewiß. – Und Ihr werdet ihm jede Gewalt überlassen? … – Für den Krieg, ja; was die Politik betrifft … – Ihr wißt, daß das nicht seine Stärke ist. – Er wird mich nach Belieben um einen Kardinalshut unterhandeln lassen. – Ist Euch hieran gelegen? – Da man mich zwingt, einen Hut von einer Form zu tragen, die mir nicht gefällt, so verlange ich wenigstens, daß dieser Hut rot sei. – Wir wollen nicht über Geschmack und Farben streiten, versetzte Rochefort lachend; ich stehe für seine Einwilligung. – Und Ihr schreibt ihm noch diesen Abend? – Ich tue etwas Besseres, ich schicke ihm einen Boten. – In wieviel Tagen kann er hier sein? – In fünf. – Er mag kommen und wird vieles anders finden. – Ich wünsche es. – Ich bürge Euch dafür. – Also? – Sammelt Eure fünfzig Mann und haltet Euch bereit. – Wozu? – Gibt es ein Vereinigungszeichen? – Ein Strohknoten am Hut. – Schön. Gott befohlen, Monseigneur. – Adieu, mein lieber Rochefort. – Ah! Herr Mazarin, sagte Rochefort, den Pfarrer, der bei dem ganzen Gespräch kein Wort hatte anbringen können, mit sich fortziehend, Ihr werdet sehen, ob ich zu einem Mann der Tat zu alt bin.

Es war halb zehn Uhr; der Koadjutor bedurfte einer halben Stunde, um sich von dem erzbischöflichen Palaste nach dem Turme Saint-Jacques-la-Boucherie zu begeben. Dort bemerkte er ein Licht an einem der höchsten Fenster des Turmes.

Gut, sagte er, unser Bettler ist an seinem Posten.

Er klopfte, man öffnete ihm. Der Vikar selbst harrte seiner und führte ihn voranleuchtend den Turm hinan; oben angelangt, zeigte er ihm eine kleine Tür, stellte das Licht in eine Ecke der Mauer, damit es der Koadjutor beim Weggehen finden könnte, und stieg wieder hinab.

Der Koadjutor klopfte, obgleich der Schlüssel in der Tür steckte.

Herein, rief eine Stimme, in der der Koadjutor die des Bettlers erkannte.

Der Herr von Retz trat ein. Es war wirklich der Weihwassergeber von Saint-Eustache, der, auf einem ärmlichen Bette liegend, wartete und, als er den Koadjutor eintreten sah, aufstand.

Es schlug zehn Uhr.

Nun, fragte Gondy, hast du mir Wort gehalten? – Nicht ganz. – Wieso? – Ihr habt fünfhundert Mann von mir gefordert, nicht wahr? – Ja. – Nun, ich werde zweitausend für Euch haben. – Du prahlst nicht? – Wollt Ihr einen Beweis? – Ja.

Es waren drei Lichter angezündet, jedes derselben brannte vor einem Fenster; das eine von diesen Fenstern ging nach der Altstadt, das andere nach dem Palais-Royal, das dritte nach der Rue-Saint-Denis.

Der Bettler ging schweigend zu jedem dieser Lichter und blies eines nach dem andern aus.

Der Koadjutor befand sich in der Finsternis; das Zimmer wurde nur durch einen unsicheren Strahl des Mondes beleuchtet, der durch schwarze Wolken hinzog, deren Enden er mit Silber befranste.

Was hast du gemacht? sagte der Koadjutor. – Ich habe das Zeichen gegeben. – Welches? – Das zum Barrikadenbau. – Ah! ah! – Wenn Ihr von hier weggeht, werdet Ihr meine Leute bei der Arbeit sehen. Nehmt Euch in acht, daß Ihr Euch nicht an einer Kette stoßt oder in ein Loch fallt und ein Bein brecht. – Gut. Hier ist deine Summe, dieselbe, die du bereits empfangen hast. Bedenke jetzt nur, daß du ein Anführer bist und betrink dich nicht. – Ich habe seit zwanzig Jahren nur Wasser getrunken.

Der Mann nahm den Sack aus den Händen des Koadjutors, der bald hörte, wie der Bettler mit seinen Fingern im Golde wühlte.

Ah! ah! sagte der Koadjutor, du bist geizig, mein Freund.

Der Bettler warf den Sack zurück und stieß einen Seufzer aus.

Werde ich denn immer derselbe sein? sagte er; wird es mir denn nie gelingen, den alten Menschen abzustreifen? O Elend, o Eitelkeit!

Du nimmst es doch?

Ja, aber ich gelobe vor Euch, daß ich alles, was mir davon übrig bleibt, zu frommen Werken verwenden werde.

Sein Gesicht war bleich und zusammengezogen, wie das eines Menschen, der einen schweren innern Kampf ausgestanden hat.

Seltsamer Mensch! murmelte der Prälat.

Und er nahm seinen Hut, um zu gehen; aber als er sich umwandte, sah er den Bettler zwischen der Tür und ihm selbst. Sein erster Gedanke war, dieser Mensch wolle ihm ein Leid zufügen. Bald sah er aber, daß er im Gegenteil die Hände faltete und auf die Knie fiel.

Monseigneur, sagte der Bettler, ehe Ihr mich verlaßt, gebt mir Euern Segen, ich bitte Euch.

Monseigneur! Mein Freund, du hältst mich für einen andern.

Nein, Monseigneur, ich halte Euch für den, der Ihr seid, für den Herrn Koadjutor; ich habe Euch mit dem ersten Blick erkannt.

Retz lächelte und erwiderte: Und du willst meinen Segen?

Ja, ich bedarf desselben.

Der Bettler sprach diese Worte mit einem Tone so großer Demut, so tiefer Reue, daß Herr von Retz seine Hand über ihn ausstreckte und ihm seinen Segen mit aller Salbung gab, deren er fähig war.

Nun besteht Gemeinschaft unter uns, sagte der Koadjutor, ich habe dich gesegnet, und du bist mir geheiligt, wie ich es meinerseits für dich bin. Sprich, hast du ein Verbrechen begangen, das die menschliche Gerechtigkeit verfolgt und wobei ich dich beschützen kann?

Der Bettler schüttelte den Kopf.

Das Verbrechen, das ich begangen habe, Monseigneur, ist nicht Sache der menschlichen Gerechtigkeit, und Ihr könnt mich nur dadurch befreien, daß Ihr mich oft segnet, wie Ihr es soeben getan habt. – Sei offenherzig, versetzte der Koadjutor, du hast nicht dein ganzes Leben lang das Gewerbe getrieben, das du gegenwärtig treibst. – Nein, Monseigneur, ich treibe es erst seit zehn Jahren. – Wo warst du vorher? – In der Bastille. – Und ehe du in die Bastille kamst? – Ich werde es Euch an dem Tage sagen, Monseigneur, wo Ihr mich Beichte hören wollt. – Es ist gut. Erinnere dich, daß ich zu jeder Stunde des Tages oder der Nacht, wo du dich bei mir einfindest, bereit bin, dir die Absolution zu geben. – Ich danke, sagte der Bettler mit dumpfem Tone, aber ich bin noch nicht bereit, sie zu empfangen. – Wohl denn. Gott befohlen. – Gott befohlen, sprach der Bettler, die Tür öffnend und sich vor dem Prälaten verbeugend.

Der Koadjutor nahm das Licht, stieg die Treppe hinab und verließ den Turm, in tiefe Gedanken versunken.

Der Aufstand

Es war ungefähr elf Uhr nachts, als der Herr von Retz wieder seiner Wohnung zuschritt. Aber er hatte keine hundert Schritte gemacht, als er überrascht eine seltsame Veränderung wahrnahm.

Die ganze Stadt schien von gespenstischen Wesen erfüllt; man sah schweigsame Schatten, hier die Pflastersteine aufreißen, dort Karren ziehen und umwerfen, dort wieder Gräben aushöhlen, die ganze Schwadronen verschlingen konnten. Alle diese so tätigen, rastlos hin und her laufenden Personen waren Bettler, Agenten des Weihwassergebers aus dem Vorhof der Saint-Eustache-Kirche, die Barrikaden für den andern Tag bereiteten.

Gondy betrachtete diese Männer der Finsternis, diese nächtlichen Arbeiter mit einem gewissen Schrecken; er fragte sich, ob er diese unreinen Geschöpfe, nachdem er sie aus ihren Schlupfwinkeln hervorgerufen, wieder würde dahinbringen können.

Er erreichte die Rue Saint-Honors und folgte dieser, nach der Rue de la Ferronnerie zuschreitend. Hier änderte sich die Gestalt der Dinge. Kaufleute liefen von Bude zu Bude; die Türen schienen geschlossen wie die Läden, aber sie waren nur angelehnt, so daß sie sich leicht öffneten und wieder zugemacht wurden, sobald die Menschen aus- und einschlüpfen wollten, die zu fürchten schienen, man könnte sehen, was sie trugen. Diese Leute waren die Ladeninhaber, die Waffen besaßen und denen, die keine hatten, solche liehen.

Ein Mensch ging gebeugt unter der Last von Schwertern, Büchsen, Musketen, Massen aller Art von Tür zu Tür und gab diese je nach Bedarf ab. Beim Schimmer einer Laterne erkannte der Koadjutor Planchet.

Der Koadjutor erreichte durch die Rue de la Monnaie den Quai; hier standen unbewegliche Gruppen von Männern in schwarzen oder grauen Mänteln, je nachdem sie der hohen oder der niedern Bürgerschaft angehörten, während einzelne von einer Gruppe zur andern gingen. Alle diese schwarzen oder grauen Mäntel deckten hinten einen Degen, vorn eine Büchse oder Muskete.

Als der Koadjutor auf den Pont-Neuf kam, fand er diese Brücke bewacht. Ein Mann näherte sich ihm.

Wer seid Ihr? fragte dieser Mann, ich erkenne Euch nicht als einen der Unsern.

Dann kennt Ihr Eure Freunde nicht, mein lieber Herr Louvières, sprach der Koadjutor, den Hut lüpfend.

Louvières erkannte ihn und verbeugte sich.

Gondy setzte seine Runde fort und ging bis zur Tour de Nesle hinab. Hier sah er eine lange Reihe von Menschen, die an den Mauern hinschlüpften. Man hätte glauben sollen, es sei eine Prozession von Gespenstern, denn sie hatten sich insgesamt in weiße Mäntel gehüllt. An eine gewisse Stelle gelangt, schienen alle diese Leute hintereinander zu verschwinden, als ob die Erde unter ihren Füßen gewichen wäre. Gondy lehnte sich in eine Ecke und sah sie von dem ersten bis zum vorletzten verschwinden. Aber ehe der letzte verschwand, sah er sich um, ohne Zweifel, um sich zu versichern, daß er und seine Genossen nicht bespäht würden, und erblickte Gondy trotz der Dunkelheit. Er ging gerade auf ihn zu und setzte ihm die Pistole auf die Brust.

Holla! Herr von Rochefort, sagte Gondy lachend, keinen Scherz mit Feuergewehren.

Rochefort erkannte die Stimme und erwiderte: Ah! Ihr seid es, Monseigneur.

Ich selbst. Aber was für Menschen führt Ihr da in die Eingeweide der Erde?

Meine fünfzig Rekruten vom Chevalier d’Humières; sie sind dazu bestimmt, bei den Chevaulegers einzutreten, und haben als Equipierung nichts erhalten, als ihre weißen Mäntel.

Und Ihr geht?

Zu einem meiner Freunde, einem Bildhauer; nur steigen wir durch die Falltür hinab, durch welche er seine Marmorblöcke hinunterläßt.

Sehr gut, sagte Gondy und drückte Rochefort die Hand; dieser stieg nun auch hinab und schloß die Falltür hinter sich.

Der Koadjutor ging wieder nach Hause. Es war ein Uhr morgens. Er öffnete das Fenster und neigte sich hinaus, um zu horchen.

Die ganze Stadt war von einem seltsamen, unerhörten, ungewöhnlichen Geräusch erfüllt; man fühlte, daß in allen diesen finstern Straßen etwas Ungewöhnliches, Furchtbares vorging. Von Zeit zu Zeit hörte man ein dumpfes Tosen, wie wenn ein Gewitter sich zusammenzieht oder die steigende Flut heranwogt; man hätte glauben sollen, es sei eines jener geheimnisvollen, unterirdischen Geräusche, wie sie dem Erdbeben vorhergehen.

Das Werk der Empörung dauerte so die ganze Nacht fort. Als Paris am andern Morgen erwachte, schien es bei seinem eigenen Anblick zu beben. Alles hatte das Aussehen einer belagerten Stadt. Bewaffnete Männer standen mit drohenden Augen und geschulterten Musketen bei den Barrikaden. Überall war man Zeuge von Patrouillen, Verhaftungen, sogar Exekutionen. Man packte die Federhüte und die goldenen Degen, um sie: Es lebe Broussel! Nieder mit Mazarin! schreien zu lassen, und wer sich gegen die Ceremonie sträubte, wurde ausgezischt, angespuckt und sogar geschlagen. Man tötete noch nicht, aber man fühlte, daß es bald dazu kommen würde.

Man hatte die Barrikaden bis in die Nähe des Palais-Royal fortgeführt. Von der Rue des Bons-Enfants bis zur Rue de la Ferronnerie, von der Rue Saint-Thomas du Louvre bis zum Pont-Neuf, von der Rue Richelieu bis zu der Porte Saint-Honors waren zehntausend bewaffnete Menschen, von denen die vordersten mit lautem Geschrei die unempfindlichen Schildwachen des Garderegiments herausforderten, die rings um das Palais-Royal aufgestellt waren, dessen Gitter man hinter ihnen wieder verschlossen hatte, eine Vorsichtsmaßregel, die ihre Lage sehr gefährlich machte. Mitten durch alles das schwärmten Banden von hundert, von hundertundfünfzig, von zweihundert abgemagerten, bleichen, zerlumpten Menschen, die eine Art von Standarten trugen, auf denen die Worte: »Seht das Elend des Volkes« geschrieben standen. Wohin diese Leute kamen, da vernahm man wütendes Geschrei, und es gab solcher Banden so viele, daß man überall schrie.

Man denke sich das Erstaunen Annas von Österreich und Mazarins, als man ihnen früh meldete, die am Abend zuvor noch so ruhige Stadt erhebe sich in fieberhafter Bewegung; weder die eine noch der andere wollte an die Berichte glauben, und beide sagten, sie würden sich in dieser Hinsicht nur auf ihre eigenen Ohren und Augen verlassen. Man öffnete ihnen ein Fenster: sie sahen, sie hörten und wurden überzeugt.

Mazarin zuckte die Achseln und gab sich den Anschein, als verachte er diesen Pöbel; aber er erbleichte sichtbar und lief zitternd in sein Kabinett, schloß sein Gold und seine Juwelen in seine Koffer und steckte seine schönsten Diamanten an die Finger. Wütend und von keinem fremden Willen beeinflußt, schickte die Königin nach dem Marschall de la Meilleraye, befahl ihm, so viel Mannschaft zu nehmen, als er wolle, und nachzusehen, was dieser Spaß zu bedeuten habe.

Der Marschall war gewöhnlich sehr verwegen und fürchtete sich vor nichts, denn er hegte gegen den Pöbel die gewöhnliche Verachtung des Militärs. Er nahm hundertundfünfzig Mann und wollte über den Pont de Louvre hinausreiten, aber hier traf er Rochefort mit seinen fünfzig Chevaulegers und wenigstens fünfzehnhundert Personen. Eine solche Barriere zu durchbrechen war nicht möglich. Der Marschall versuchte es nicht einmal und kehrte auf den Quai zurück.

Aber auf dem Pont-Neuf fand er Louvières und seine Bürger. Diesmal versuchte der Marschall einen Angriff, wurde aber mit Musketenschüssen empfangen, während die Steine hageldicht aus den Fenstern flogen. Er verlor dabei drei Mann. Er zog sich nach dem Quartier der Hallen zurück; hier aber fand er Planchet und seine Hellebardiere. Die Hellebarden wurden ihm drohend entgegengestreckt; er wollte über alle diese Graumäntel wegreiten, doch die Graumäntel hielten stand, und der Marschall wich, vier von seinen Garden auf dem Platz zurücklassend, nach der Rue Saint-Honoré zurück.

Er drang nun in diese Straße; hier aber stieß er auf die Barrikaden des Bettlers von Saint-Eustache. Sie waren nicht nur von bewaffneten Männern, sondern auch von Weibern und Kindern bewacht. Friquet, Besitzer eines Degens und einer Pistole – beides Geschenke von Louvières – hatte eine Bande von Bürschchen seines Gelichters organisiert und machte einen furchtbaren Lärm.

Der Marschall hielt diesen Punkt für schlechter bewacht, als die anderen, und wollte ihn mit Gewalt nehmen. Er ließ zwanzig Mann absitzen, um die Barrikade zu durchbrechen und zu öffnen. Die zwanzig Mann gingen, während er und der Rest seiner Truppe die Angreifenden zu Pferde beschützen sollten, auf das Hindernis los, aber nun begann hinter den Kothaufen hervor, zwischen den Rädern der Karren durch, von den Steinen herab ein furchtbares Schießen, und beim Gekrache dieses Kleingewehrfeuers erschienen die Hellebardiere Planchets an der Ecke des Kirchhofs des Innocents und die Bürger des Herrn von Louvières an der Ecke der Rue de la Monnaye.

Der Marschall de la Meilleraye wurde zwischen drei Feuer genommen.

Der Marschall de la Meilleraye war tapfer und beschloß, auf dem Platze zu sterben. Er gab Schuß für Schuß zurück, und Schmerzgeheul begann unter der Menge zu ertönen. Besser geübt, schossen die Garden richtiger; aber die Bürger waren viel zahlreicher und schmetterten sie unter einem wahren Bleihagel nieder. Seine Leute fielen um ihn her, nicht anders als in offener Feldschlacht. Fontrailles, seinem Adjutanten, wurde der Arm zerschmettert; sein Pferd bekam eine Kugel in den Hals, und er hatte große Mühe, es zu bemeistern, denn der Schmerz machte es beinahe wütend. Endlich trat der äußerste Augenblick ein, wo der Bravste den Schauer in seinen Adern und den Schweiß auf seiner Stirne fühlt, als plötzlich von der Rue de l’Arbre-Sec her die Menge unter dem Geschrei: Es lebe der Koadjutor! sich öffnete, und Gondy im bischöflichen Gewande erschien, ganz gelassen mitten durch das Gewehrfeuer wandelnd und rechts und links so ruhig seinen Segen spendend, als ob er die Fronleichnams-Prozession führe.

Alles fiel auf die Knie.

Der Marschall erkannte ihn, ritt auf ihn zu und sagte: Helft mir ums Himmels willen von hier weg, oder ich muß samt allen meinen Leuten die Haut hier lassen.

Es war ein solches Getöse, daß man das Rollen des Donners nicht gehört hätte. Gondy hob die Hände empor und forderte Stille. Man schwieg.

Meine Kinder, sprach er, hier ist der Marschall de la Meilleraye, in dessen Absichten Ihr Euch getäuscht habt; er macht sich verbindlich, bei seiner Rückkehr in den Louvre in Eurem Namen die Königin um die Freilassung unseres Broussel zu bitten. Macht Ihr Euch hierzu anheischig, Marschall? fügte Gondy, sich an la Meilleraye wendend, bei.

Bei Gott! rief dieser, ich mache mich allerdings hierzu anheischig. Ich glaubte nicht, so wohlfeilen Kaufes loszukommen.

Er gibt Euch sein adeliges Ehrenwort, sprach Gondy.

Der Marschall hob als Zeichen der Beipflichtung die Hand auf.

Es lebe der Koadjutor! rief die Menge. Einige Stimmen fügten sogar bei: Es lebe der Marschall! Alle aber wiederholten im Chor: Nieder mit Mazarin!

Die Menge wich auf beiden Seiten zurück; der Weg der Rue Saint-Honoré war der kürzeste. Man öffnete die Barrikaden, der Marschall und der Rest seiner Truppen zogen sich zurück, Friquet und seine Banditen voran, wobei die einen Trommeln, die andern Trompeten nachahmten.

Es war beinahe ein Triumphzug; nur schlossen sich die Barrikaden hinter dem Marschall wieder; der Marschall kaute an seinen Fingern.

Während dieser Zeit befand sich Mazarin, wie gesagt, in seinem Kabinett und brachte seine kleinen Angelegenheiten in Ordnung. Er hatte nach d’Artagnan geschickt, hoffte aber nicht, ihn mitten unter diesem Tumult zu sehen; d’Artagnan hatte keinen Dienst. Nach Verlauf von zehn Minuten erschien jedoch der Leutnant, mit seinem unzertrennlichen Porthos auf der Schwelle.

Ah! herein, herein, Herr d’Artagnan, rief der Kardinal, und seid nebst Eurem Freunde willkommen. Aber was geht denn in dem verdammten Paris vor?

Was vorgeht, Monseigneur? nichts Gutes, erwiderte d’Artagnan den Kopf schüttelnd; die Stadt ist in vollem Aufruhr, und soeben, als ich mit Herrn du Vallon hier, der Euer ergebener Diener ist, durch die Rue Montorgueil kam, wollte man uns trotz meiner Uniform und vielleicht gerade wegen meiner Uniform zwingen: Es lebe Broussel! zu rufen. Darf ich wohl sagen, was wir noch mehr rufen sollten?

Sprecht, sprecht.

Nieder mit Mazarin! Meiner Treu, das Wort ist heraus!

Mazarin lächelte, wurde aber sehr bleich und versetzte:

Und Ihr habt gerufen?

Wahrhaftig, nein, sprach d’Artagnan, ich war nicht bei Stimme, und Herr du Vallon ist heiser und hat ebensowenig gerufen. Dann, Monseigneur …

Was dann?

Schaut meinen Hut und meinen Mantel an.

Und d’Artagnan zeigte vier Löcher von Kugeln an seinem Mantel und zwei an seinem Hut. Ein Hellebardenstoß hatte Porthos‘ Rock an der Seite aufgeschlitzt, ein Pistolenschuß hatte seine Feder weggerissen.

Teufel! sagte der Kardinal nachdenkend und die zwei Freunde mit naiver Bewunderung anschauend, ich hätte gerufen. In diesem Augenblick kam der Lärm näher. Mazarin trocknete sich die Stirn ab und schaute umher. Er hatte große Lust, an das Fenster zu treten, aber er wagte es nicht.

Seht nach, was vorgeht, Herr d’Artagnan, sagte er.

D’Artagnan trat mit seiner gewöhnlichen Sorglosigkeit an das Fenster.

Oh! oh! rief er, was ist das? Der Marschall de la Meilleraye kommt ohne Hut zurück, Fontrailles trägt seinen Arm in der Binde, verwundete Garden, Pferde ganz mit Blut überzogen … Doch was machen die Schildwachen? Sie schlagen an, sie wollen schießen.

Sie haben Befehl erhalten, auf das Volk zu schießen, rief Mazarin, wenn es sich dem Palais-Royal nähern würde.

Wenn sie Feuer geben, ist alles verloren, sprach d’Artagnan.

Wir haben die Gitter.

Die Gitter! sie halten fünf Minuten; die Gitter! sie werden ausgerissen, umgedreht, zermalmt. Schießt nicht, Mord und Tod! rief d’Artagnan, das Fenster öffnend.

Trotz dieses Befehls, der mitten im Tumult nicht gehört werden konnte, erschollen drei oder vier Musketenschüsse, worauf ein furchtbares Feuer folgte: man hörte die Kugeln an der Fassade des Palais-Royal rasseln; eine flog unter d’Artagnans Arm durch und zerschmetterte einen Spiegel, in dem sich Porthos wohlgefällig betrachtete.

O weh! rief der Kardinal, ein venetianischer Spiegel.

Oh! Monseigneur; sprach d’Artagnan, ruhig das Fenster wieder schließend, weint noch nicht, es lohnt sich nicht, denn in einer Stunde wird wahrscheinlich nicht ein einziger von allen Euren Spiegeln mehr übrig sein.

Aber wozu ratet Ihr denn? sagte der Kardinal zitternd.

Zum Henker! ihnen Broussel herauszugeben. Was wollt Ihr mit einem Parlamentsrat machen? Er taugt zu nichts.

Und Ihr, Herr du Vallon, was ist Euere Meinung! Was würdet Ihr tun?

Ich würde Broussel herausgeben, erwiderte Porthos.

Kommt, kommt, meine Herren! rief Mazarin; ich will mit der Königin von der Sache sprechen.

Die Meuterei wird zur Empörung

Mazarin fand die Königin außer sich vor Unmut und Entrüstung über den offenen Aufruhr der Pariser. Soeben teilte ihr der Kanzler Seguier mit, wie er mit genauer Not dem Pöbel entgangen sei. Man habe seinen Wagen zerschlagen, und als er sich in sein Palais geflüchtet, auch dieses gestürmt; nur wie durch ein Wunder sei er durch eine Tapetentüre entkommen. Als er geendet, fragte sie ihn um Rat in dieser schwierigen Lage.

Madame, sprach der Kanzler zögernd, es wird nichts helfen, wir müssen Broussel freilassen.

Die schon vorher sehr bleiche Königin wurde zusehends noch bleicher, ihr Gesicht zog sich krampfhaft zusammen, und sie rief: Broussel freilassen … nie!

In diesem Augenblick hörte man Tritte im Vorsaal, und der Marschall de la Meilleraye erschien unangemeldet auf der Türschwelle.

Ah! Ihr seid hier, Marschall, rief Anna von Österreich hocherfreut. Ihr habt hoffentlich diese ganze Kanaille zur Vernunft gebracht?

Madame, antwortete der Marschall, ich verlor drei Mann auf dem Pont-Neuf, vier in den Hallen, sechs an der Ecke der Rue de l’Arbre-Sec und zwei vor dem Tore Eures Palastes, im ganzen fünfzehn. Ich bringe zehn bis zwölf Verwundete zurück. Mein Hut ist, von einer Kugel fortgerissen, ich weiß nicht wo geblieben, und ohne Zweifel würde ich mit meinem Hut geblieben sein, wäre nicht der Koadjutor gekommen und hätte mich aus der Klemme gezogen.

In der Tat, sprach die Königin, es hätte mich gewundert, wenn dieser krummbeinige Dachshund nicht bei der ganzen Geschichte die Hand im Spiel gehabt hätte.

Madame, versetzte la Meilleraye lachend, sagt in meiner Gegenwart nicht zu viel Schlimmes von ihm, denn der Dienst, den er mir geleistet hat, ist noch ganz warm.

Gut, erwiderte die Königin, seid dankbar gegen ihn, solange und soviel Ihr wollt, aber das legt mir keine Verbindlichkeit auf. Ihr seid gesund und wohlbehalten hier, mehr verlange ich nicht; seid willkommen, ich freue mich Eurer Rückkehr.

Wohl, Madame, aber ich bin unter einer Bedingung zurückgekehrt – ich habe Euch die Willensmeinung des Volkes zu überbringen.

Willensmeinung! sprach Anna von Österreich, die Stirn faltend. Oh! oh! Herr Marschall, Ihr müßt Euch in einer sehr großen Gefahr befunden haben, daß Ihr eine solche Botschaft übernahmt. Diese Worte wurden mit einer Ironie ausgesprochen, die dem Marschall nicht entging.

Um Vergebung, Madame, sagte der Marschall, ich bin kein Advokat, sondern ein Krieger, und verstehe mich folglich nur schlecht auf die Auswahl der rechten Worte; ich hätte den Wunsch und nicht die Willensmeinung des Volkes sagen sollen. Was die Antwort betrifft, mit der Ihr mich beehrtet, so glaube ich, Ihr wolltet damit sagen, ich habe Furcht gehabt.

Die Königin lächelte.

Nun wohl, Madame, ich habe Furcht gehabt; es ist das drittemal, daß mir dies begegnet, und dennoch bin ich bei zwölf ordentlichen Schlachten und ich weiß nicht bei wie vielen Gefechten und Scharmützeln gewesen; ja, ich habe Angst gehabt, und ich will lieber Eurer Majestät gegenüberstehen, so bedrohlich auch ihr Lächeln sein mag, als diesen höllischen Teufeln, die mich bis hierher begleitet haben.

Bravo! sagte d’Artagnan ganz leise zu Porthos, gut geantwortet.

Nun! sprach die Königin, sich in die Lippen beißend, während die Höflinge einander voll Verwunderung anschauten, was ist der Wunsch meines Volkes?

Daß man ihm Broussel zurückgebe, Madame, antwortete der Marschall.

Nie, rief die Königin, nie!

Ew. Majestät hat zu gebieten, sprach la Meilleraye sich verbeugend und ging einen Schritt rückwärts. – Wohin geht Ihr, Marschall? sagte die Königin. – Ich werde die Antwort Ew. Majestät denen überbringen, die darauf warten. – Bleibt, Marschall, ich will nicht das Ansehen haben, als unterhandle ich mit Rebellen. – Madame, ich habe mein Wort gegeben. – Das heißt? – Daß ich geneigt bin, hinabzugehen, wenn Ihr mich nicht verhaften laßt!

Annas Augen schleuderten Blitze.

Oh! das kann geschehen, mein Herr, sprach sie; ich habe Größere verhaften lassen, als Ihr seid. Guitaut.

Mazarin stürzte vor und sprach: Madame, dürfte ich Euch auch einen Rat geben … – Vielleicht ebenfalls, Broussel freizulassen? In diesem Fall könnt Ihr Euch die Mühe ersparen. – Nein, obgleich dieser Rat vielleicht so gut ist, wie jeder andere. – Was also sonst? – Den Koadjutor rufen zu lassen. – Den Koadjutor! rief die Königin, diesen abscheulichen Händelstifter! Er hat die ganze Meuterei angezettelt. – Ein Grund mehr, sprach Mazarin; hat er sie geschaffen, so kann er ihr auch wieder ein Ende machen.

Seht, Madame, sprach Comminges, der an einem Fenster stand, durch das er hinausschaute, seht, die Gelegenheit ist günstig, denn hier ist er und erteilt seinen Segen auf dem Platz des Palais-Royal.

Die Königin lief an das Fenster.

Es ist wahr, sagte sie, hier ist er, der Meister Heuchler!

Ich sehe, daß alle Welt vor ihm niederkniet, sprach Mazarin, obgleich er nur Koadjutor ist, während man mich, wenn ich an seiner Stelle wäre, in Stücke zerreißen würde. Madame, ich bestehe also auf meinem Wunsch (Mazarin legte einen besonderen Nachdruck auf dieses Wort), daß Ew. Majestät den Koadjutor empfange.

Die Königin blieb einen Augenblick in Gedanken versunken. Dann erhob sie ihr Haupt wieder und sprach: Herr Marschall, sucht den Koadjutor und bringt ihn her.

Und was soll ich dem Volke sagen? fragte der Marschall.

Es soll Geduld haben, ich habe auch Geduld.

In der Stimme der stolzen Spanierin lag ein so gebieterischer Ausdruck, daß der Marschall keine Bemerkung mehr machte, sondern sich verbeugte und abging.

Sodann ging Anna von Österreich auf Comminges zu und sprach ganz leise mit ihm. Mazarin schaute unruhig nach der Seite, wo d’Artagnan und Porthos standen. Die andern Anwesenden wechselten leise einzelne Worte.

Jetzt öffnete sich die Tür wieder, und der Marschall erschien mit dem Koadjutor.

Hier ist Herr von Gondy, Madame, sagte der Marschall, er beeilt sich, den Befehlen Ew. Majestät Folge zu leisten.

Die Königin ging ihm vier Schritte entgegen und blieb kalt, ernst, unbeweglich, die Unterlippe verächtlich vorgeschoben, stehen.

Gondy verbeugte sich ehrfurchtsvoll.

Nun, mein Herr, sprach die Königin, was sagt Ihr zu dieser Meuterei? – Daß es keine Meuterei mehr ist, Madame, antwortete der Koadjutor, sondern eine Empörung. – Empörung ist es von seiten derer, die glauben, mein Volk könne sich empören! rief Anna, unfähig, sich vor dem Koadjutor zu verstellen, den sie mit Recht als den Anstifter des ganzen Aufruhrs betrachtete. Empörung nennen die, welche sie wünschen, die Bewegung, die sie selbst gemacht haben; aber nur Geduld, die königliche Machtvollkommenheit wird bald ein Ende mit der Komödie machen. – Madame, antwortete der Koadjutor kalt, hat mich Ew. Majestät zur Ehre Ihrer Gegenwart zugelassen, um mir dies zu sagen? – Nein, mein lieber Koadjutor, versetzte Mazarin, sondern um Euch in der ärgerlichen Lage der Dinge, in der wir uns befinden, um einen Rat zu bitten. – Ist es wahr, sprach der Koadjutor mit erheucheltem Staunen, daß mich Ew. Majestät hat rufen lassen, um mich um Rat zu fragen? – Ja, sagte die Königin, man hat es gewollt.

Der Koadjutor verbeugte sich.

Ihre Majestät wünscht also…

Daß Ihr sagt, was Ihr an ihrer Stelle tun würdet, beeilte sich Mazarin zu antworten.

Der Koadjutor schaute die Königin an, diese machte ein bestätigendes Zeichen.

An der Stelle Ihrer Majestät, erwiderte Gondy kalt, würde ich nicht zögern, sondern Broussel sogleich herausgeben.

Und wenn ich ihn nicht herausgebe, rief die Königin, was glaubt Ihr, daß dann geschieht?

Ich glaube, daß dann morgen in Paris kein Stein mehr auf dem andern sein wird, sagte der Marschall.

Ich frage nicht Euch, sprach die Königin trocken und ohne sich umzuwenden, sondern Herrn von Gondy.

Wenn Ew. Majestät mich fragt, antwortete der Koadjutor mit derselben Ruhe, so sage ich ihr, daß ich aufs entschiedenste der Meinung des Herrn Marschalls bin.

Die Röte stieg der Königin ins Gesicht, ihre schönen blauen Augen schienen aus ihrem Kopf treten zu wollen; ihre karminroten Lippen, von allen Dichtern jener Zeit mit Granatblüten verglichen, erbleichten und zitterten vor Wut; sie erschreckte sogar Mazarin, der doch an die häuslichen Wutausbrüche dieser freudlosen Ehe gewöhnt war.

Broussel herausgeben! rief sie endlich mit einem schrecklichen Lächeln; ein schöner Rat, bei meiner Treu! Man sieht wohl, daß er von einem Priester herkommt!

Gondy blieb unbewegt. Die Beleidigungen schienen an diesem Tag ebenso an ihm abzugleiten, wie die Spottreden am vorhergehenden; aber der Haß und die Rache häuften sich still und Tropfen um Tropfen in seinem Herzen auf. Er schaute kalt die Königin an und sagte vollkommen ruhig: Madame, wenn Ew. Majestät den Rat nicht gutheißt, den ich ihr gegeben, so kommt es ohne Zweifel davon her, daß sie Besseres zu befolgen hat; ich kenne zu sehr die Weisheit der Königin und ihrer Räte, um annehmen zu können, man werde die Unruhe fortdauern lassen, die eine Staatsumwälzung herbeiführen kann. – Eurer Meinung nach, versetzte schnaubend die Spanierin und biß sich in die Lippen, kann, was gestern eine Meuterei war und heute eine Empörung ist, morgen eine Staatsumwälzung werden. – Ja, Madame, sprach der Koadjutor ernst. – Wenn man Euch hört, mein Herr, sind die Völker gänzlich zügellos geworden. – Das Jahr ist schlecht für die Könige, sprach Gondy, den Kopf schüttelnd; schaut nach England hinüber, Madame. – Ja, aber glücklicherweise haben wir in Frankreich keinen Oliver Cromwell, antwortete die Königin. – Wer weiß, versetzte Gondy; diese Leute gleichen dem Blitz, man lernt sie erst kennen, wenn sie schlagen.

Alle Anwesenden bebten, und es herrschte einen Augenblick tiefes Stillschweigen.

Während dieser Zeit hatte die Königin ihre beiden Hände auf die Brust gelegt; man sah, daß sie die heftigen Schläge ihres Herzens zurückdrängen wollte.

Eure Majestät, fuhr der Koadjutor unbarmherzig fort, wird also die Maßregeln ergreifen, die ihr angenehm sind. Aber ich sehe zum voraus, daß sie furchtbar sein und die Meuterer noch mehr aufbringen werden.

Nun wohl, mein Herr Koadjutor, Ihr, der Ihr so viel Macht über sie habt und unser Freund seid, sagte die Königin spöttisch, Ihr werdet sie dann wohl zur Ruhe bringen, indem Ihr ihnen Euern Segen spendet.

Das wird vielleicht zu spät sein, entgegnete Gondy eisig, und am Ende verliere ich selbst jeden Einfluß, während Eure Majestät, wenn sie ihnen Broussel zurückgibt, dem Aufruhr die Wurzel abschneidet und das Recht erhält, jedes Wiederbeginnen einer Empörung aufs strengste zu bestrafen.

Dieses Recht habe ich also nicht? rief die Königin.

Wenn Ihr es habt, so gebraucht es, antwortete Gondy.

Die Königin entließ mit einem Zeichen den ganzen Hof, Mazarin ausgenommen. Gondy verbeugte sich und wollte sich wie die andern entfernen.

Bleibt, mein Herr, sprach die Königin.

Gut, sagte Gondy zu sich selbst, sie wird nachgeben.

Die Königin schaute den Weggehenden nach. Als der letzte die Tür geschlossen hatte, wandte sie sich um. Man sah, daß sie sich auf unerhörte Weise anstrengte, ihren Zorn zu bewältigen; sie fächerte sich, sie roch an Räucherpfännchen, sie ging hin und her. Mazarin blieb auf dem Stuhl, auf den er sich gesetzt hatte, und schien nachzudenken. Gondy, der unruhig zu werden anfing, sondierte mit den Augen alle Tapeten, betrachtete das Panzerhemd, das er unter seinem langen Rock trug, und suchte von Zeit zu Zeit unter seinem Bischofsmäntelchen, ob der Griff eines guten spanischen Dolches, den er bei sich hatte, im Bereich seiner Hand war.

Laßt hören, sprach die Königin endlich stillstehend, wiederholt nun Euren Rat, da wir allein sind, Herr Koadjutor.

So hört, Madame: tut, als ob Ihr die Sache noch einmal überlegt hättet; gesteht öffentlich einen Irrtum ein, denn dadurch erweist sich die Kraft starker Regierungen; entlaßt Broussel aus seinem Gefängnis und gebt ihn dem Volke zurück.

Oh! mich so demütigen! rief Anna von Österreich. Bin ich Königin, oder bin ich es nicht? Ist diese ganze brüllende Kanaille nicht die Masse meiner Untertanen? Habe ich Freunde, Leibwachen? Ah! bei unserer lieben Frau! wie Königin Katharina sagte, fuhr sie, sich immer mehr in Wut hineinredend, fort, ehe ich ihnen diesen schändlichen Broussel zurückgebe, würde ich ihn lieber mit meinen eigenen Händen erdrosseln.

Und sie stürzte mit gefällten Fäusten auf Gondy zu, den sie in diesem Augenblick wenigstens ebensosehr haßte, als Broussel.

Gondy blieb unbeweglich; nicht eine Muskel seines Gesichts rührte sich; nur sein eisiger Blick kreuzte sich wie ein Schwert mit dem wütenden Blick der Königin.

Madame, rief der Kardinal, Anna von Österreich beim Arme fassend und zurückziehend, Madame, was macht Ihr!

Dann fügte er in spanischer Sprache bei: Anna, seid Ihr toll? Ihr fangt da wie ein Bürgerweib Händel an und seid eine Königin. Seht Ihr denn nicht, daß Ihr in der Person dieses Priesters das ganze Volk von Paris vor Euch habt, und daß Ihr, wenn dieser Priester will, in einer Stunde keine Krone mehr besitzt? Später könnt Ihr hartnäckig sein, jetzt ist aber nicht die Stunde dazu; heute müßt Ihr schmeicheln und liebkosen.

Dieser scharfe Verweis, der das Gepräge einer Beredsamkeit an sich trug, welche Mazarin charakterisierte, sobald er Italienisch oder Spanisch sprach, und die er gänzlich verlor, wenn er Französisch sprach, wurde mit einem unerforschlichen Gesicht gegeben, das Gondy, ein so geschickter Physiognomiker er auch war, nur die einfache Ermahnung, sich etwas zu mäßigen, ahnen ließ.

Auf diese strenge Rüge besänftigte sich die Königin alsbald, sie ließ gleichsam von ihren Augen das Feuer, von ihren Lippen den Zorn fallen. Sie setzte sich, ihre Arme sanken kraftlos an ihren beiden Seiten nieder, und sie sprach mit einer von Tränen feuchten Stimme: Verzeiht mir, Herr Koadjutor, und schreibt diese Heftigkeit dem Umstande zu, daß ich leide. Als Frau und folglich den Schwächen meines Geschlechts unterworfen, erschrecke ich vor dem Bürgerkrieg; als Königin und an Gehorsam gewöhnt, lasse ich mich beim ersten Widerstand hinreißen.

Madame, erwiderte Gondy, sich verbeugend, Eure Majestät täuscht sich, wenn sie meinen aufrichtigen Rat als Widerstand bezeichnet. Ew. Majestät hat nur ergebene und ehrfurchtsvolle Untertanen. Das Volk grollt nicht der Königin, es fordert Broussel, verlangt sonst nichts und schätzt sich glücklich, unter den Gesetzen Ew. Majestät zu leben, vorausgesetzt, daß Ew. Majestät ihm Broussel zurückgibt, fügte der Koadjutor lächelnd bei.

Also, mein Herr, sprach die Königin, Ihr fürchtet wirklich die Volksbewegung?

Ich fürchte sie in vollem Ernst, Madame, erwiderte Gondy, erstaunt, nicht weiter vorgerückt zu sein, ich fürchte, der Strom könnte, wenn er einmal seinen Damm durchbrochen hat, große Verwüstungen verursachen.

Und ich, sagte die Königin, ich glaube, daß man ihm in diesem Fall neue Dämme entgegensetzen muß. Geht, ich werde mir die Sache überlegen.

Gondy schaute Mazarin mit erstaunter Miene an; Mazarin näherte sich der Königin, um mit ihr zu sprechen. In diesem Augenblick hörte man einen furchtbaren Lärm auf dem Platze des Palais-Royal.

Gondy lächelte, der Blick der Königin entflammte sich, Mazarin wurde sehr bleich.

Was gibt es denn wieder? sagte er.

Comminges stürzte in den Salon.

Vergebt, Madame, sagte Comminges zu der Königin, das Volk hat die Wachen an die Gitter zurückgeworfen und zermalmt, es sprengt in diesem Augenblick die Tore; was befehlt Ihr?

Hört, Madame … sprach Gondy.

Das Tosen der Wellen, das Rollen des Donners, das Brüllen des entfesselten Orkans läßt sich nicht mit dem Sturme vergleichen, der sich in diesem Moment zum Himmel erhob.

Was ich befehle? rief die Königin. – Ja, die Zeit drängt. – Wieviel Mann habt Ihr ungefähr im Palais-Royal? – Sechshundert. – Stellt hundert Mann um den König, und mit dem Reste jagt mir diesen Pöbel von der Türe. – Madame, sprach Mazarin, was macht Ihr? – Geht, sagte die Königin.

Comminges entfernte sich mit dem leidenden Gehorsam des Soldaten. Plötzlich vernahm man ein furchtbares Krachen: eines der Tore begann nachzugeben.

Madame, rief Mazarin, Ihr stürzt uns alle ins Verderben, den König, Euch und mich.

Bei diesem aus der erschrockenen Seele des Kardinals dringenden Schrei wurde der Königin ebenfalls bange; sie rief Comminges zurück.

Es ist zu spät, sagte Mazarin, sich die Haare ausraufend, es ist zu spät!

Das Tor wich, und man hörte das Freudengebrüll des Volkes. D’Artagnan, den Mazarin mit seinem Freunde in einem nur durch einen Türvorhang vom Salon getrennten Kabinett gelassen hatte, von wo sie alles hören und sehen konnten, d’Artagnan nahm den Degen in die Faust und hieß Porthos durch ein Zeichen dasselbe tun. Rettet die Königin! rief Mazarin dem Koadjutor zu.

Gondy lief nach dem Fenster und öffnete es; er erkannte Louvières an der Spitze von ungefähr drei- bis viertausend Menschen.

Keinen Schritt weiter! rief er, die Königin unterzeichnet.

Was sagt Ihr? rief die Königin.

Die Wahrheit, Madame, sprach Mazarin, der Königin eine Feder und Papier reichend, es muß sein. Dann fügte er bei: Unterzeichnet, Anna, ich bitte Euch, ich will es.

Die Königin sank auf einen Stuhl, nahm die Feder und unterzeichnete.

Von Louvières zurückgehalten, hatte das Volk keinen Schritt mehr gemacht; aber das furchtbare Gemurmel, welches den Zorn der Menge andeutete, währte immer noch fort.

Der Koadjutor ergriff den von der Königin unterzeichneten Freilassungsbefehl, kehrte an das Fenster zurück und rief: Hier ist der Befehl.

Paris schien einen mächtigen Freudenschrei auszustoßen. Dann erscholl der Ruf: Es lebe Broussel! Es lebe der Koadjutor!

Und nun, da Ihr habt, was Ihr haben wolltet, sagte die Königin, so geht, Herr von Gondy. Und Gondy entfernte sich.

Ah! verfluchter Pfaffe! rief Anna von Österreich, die Hand nach der kaum geschlossenen Türe ausstreckend, ich werde dich eines Tages den Rest der Galle austrinken lassen, die du mir heute eingeschenkt hast.

Mazarin wollte sich ihr nähern. Laßt mich, Ihr seid kein Mann, rief die Königin und ging aus dem Salon.

Ihr seid keine Frau, murmelte Mazarin.

Dann nach kurzem Nachdenken erinnerte er sich, daß d’Artagnan und Porthos anwesend sein mußten und folglich alles gehört und gesehen hatten. Er runzelte die Stirn, ging gerade auf den Vorhang zu und hob ihn auf; das Kabinett war leer. Beim letzten Worte der Königin hatte d’Artagnan Porthos bei der Hand genommen und mit sich nach der Galerie gezogen.

Mazarin trat ebenfalls in die Galerie und fand die Freunde auf und ab gehend.

Warum habt Ihr das Kabinett verlassen, Herr d’Artagnan? sagte Mazarin.

Weil die Königin jedermann weggehen hieß, und ich dachte, dieser Befehl betreffe ebensowohl uns, als die andern.

Ihr seid also hier seit …

Seit einer Viertelstunde ungefähr, sprach d’Artagnan, schaute dabei Porthos an und bedeutete diesem durch ein Zeichen, er möge ihn nicht Lügen strafen.

Mazarin gewahrte dieses Zeichen und war überzeugt, daß d’Artagnan alles gesehen und gehört hatte, aber er wußte ihm Dank für die Lüge.

Herr d’Artagnan, sagte er, Ihr seid offenbar der Mann, den ich suchte, und könnt, sowie Euer Freund, auf mich zählen.

Dann grüßte er die zwei Freunde mit seinem verbindlichsten Lächeln und kehrte ruhiger in sein Kabinett zurück, denn nach Gondys Weggang hatte der Tumult wie durch einen Zauber aufgehört.

Oheim und Neffe

Lord Winter wurde von seinem Pferd und dem Lakaien an der Tür erwartet. Er ritt, ganz in Gedanken versunken, nach seiner Wohnung und schaute dabei von Zeit zu Zeit zurück, um die schwarze, schweigsame Fassade des Louvre zu betrachten. Da erblickte er einen Reiter, der sich sozusagen von der Mauer losmachte und ihm in einer gewissen Entfernung folgte; er erinnerte sich, bei seiner Entfernung aus dem Palais-Royal einen ähnlichen Schatten gesehen zu haben.

Lord Winters Lakai, der nur einige Schritte hinter ihm war, verfolgte diesen Reiter gleichfalls mit unruhigem Auge.

Tomy! sprach der Lord und machte dem Bedienten ein Zeichen, sich zu nähern.

Hier, gnädiger Herr.

Und der Bediente ritt an die Seite seines Herrn.

Hast du den Menschen bemerkt, der uns folgt? – Ja, Mylord. – Wer ist er? – Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß er Eurer Herrlichkeit von dem Palais-Royal an gefolgt ist, im Louvre angehalten hat, um Euern Abgang zu erwarten, und mit Eurer Herrlichkeit wieder vom Louvre weggeritten ist. – Ein Spion des Kardinals, sagte Winter zu sich selbst. Wir wollen uns stellen, als bemerkten wir seine Späherei gar nicht.

Lord Winter gab seinem Pferde die Sporen und ritt schnell durch ein Wirrsal von Gassen. Vor seinem Gasthause stieg er ab und ging in seine Wohnung hinauf, wobei er sich vornahm, den Spion beobachten zu lassen. Als er aber seine Handschuhe und seinen Hut auf einen Tisch legte, sah er in einem Spiegel vor sich eine Gestalt, die auf der Schwelle des Zimmers erschien.

Er wandte sich um, Mordaunt stand ihm gegenüber.

Lord Winter erbleichte und blieb unbeweglich stehen. Mordaunt hielt sich auf der Schwelle, kalt, drohend, einer Bildsäule ähnlich.

Einen Augenblick herrschte ein eisiges Stillschweigen zwischen diesen zwei Männern.

Mein Herr, ich glaubte Euch bereits begreiflich gemacht zu haben, daß mich diese Verfolgung ermüdet. Entfernt Euch also, oder ich rufe Leute und lasse Euch wegjagen, wie in London. Ich bin nicht Euer Oheim, ich kenne Euch nicht, sagte der Lord.

Mein Oheim, versetzte Mordaunt mit seinem höhnischen Tone, Ihr täuscht Euch, Ihr werdet mich diesmal nicht wegjagen lassen, wie Ihr in London getan habt! Nein, Ihr werdet es nicht wagen. Wenn Ihr leugnen wollt, daß ich Euer Neffe sei, so werdet Ihr dies wohl zweimal überlegen, da ich mancherlei Dinge erfahren habe, die ich vor einem Jahre nicht wußte.

Ei, was liegt mir an dem, was Ihr erfahren habt? entgegnete Lord Winter.

Oh! es liegt Euch viel daran, mein Oheim, das weiß ich gewiß, und Ihr werdet sogleich meiner Meinung sein, fügte er mit einem Lächeln bei, wobei dem Lord ein Schauer durch die Adern lief. Als ich mich zum ersten Male in London bei Euch einfand, geschah es, um Euch zu fragen, was aus meinem Erbgut geworden sei. Als ich mich zum zweiten Male bei Euch einfand, geschah es, um Euch zu fragen, wer meinen Namen befleckt habe. Diesmal stelle ich mich vor Euch, um eine Frage an Euch zu richten, die viel furchtbarer ist, als alle vorhergehenden, um Euch zu sagen: Mylord, was habt Ihr mit Eurer Schwester gemacht, mit Eurer Schwester, die meine Mutter war?

Lord Winter wich vor dem Feuer dieser glühenden Augen zurück.

Mit Eurer Mutter! sagte er.

Ja, mit meiner Mutter, Mylord, antwortete der junge Mann, mit dem Kopf nickend.

Winter tat sich große Gewalt an, tauchte in seine Erinnerungen, um einen neuen Haß daraus zu holen, und rief:

Sucht, was aus ihr geworden ist, Unglücklicher, und fragt die Hölle; vielleicht wird Euch die Hölle antworten.

Der junge Mann schritt nun im Zimmer vor, bis er Lord Winter unmittelbar gegenüber stand, und kreuzte die Arme. Ich habe den Henker von Bethune gefragt, sprach er mit dumpfer Stimme und einem Gesicht, das vor Schmerz und Zorn leichenblaß wurde, und der Henker von Bethune hat mir geantwortet.

Winter fiel auf einen Stuhl, als ob ihn der Blitz getroffen hätte, und bemühte sich vergebens, zu sprechen.

Ja, nicht wahr, fuhr der junge Mann fort, mit diesem Wort erklärt sich alles. Mit diesem Schlüssel öffnet sich der Abgrund. Meine Mutter hatte von ihrem Gatten geerbt, und Ihr habt meine Mutter ermordet! Mein Name sicherte mir das väterliche Erbteil, und Ihr habt mich meines Namens beraubt. Wenn man sich als Räuber weiß, ist es nicht ganz bequem, den Menschen, welchen man arm gemacht hat, seinen Neffen zu nennen; wenn man sich als Mörder weiß, will man nicht gern dem Menschen, den man zur Waise gemacht hat, den Titel seines Neffen gönnen.

Diese Worte brachten eine ganz andere Wirkung hervor, als Mordaunt erwartet hatte. Lord Winter erinnerte sich, welches Ungeheuer Mylady gewesen war. Er erhob sich ruhig und ernst und bezwang mit seinem strengen Blick das exaltierte Auge des jungen Mannes.

Ihr wollt in dieses furchtbare Geheimnis dringen, mein Herr? sprach er. Nun wohl, es sei! Erfahrt also, wer die Frau war, über die Ihr mir Rechenschaft abfordert: Diese Frau hat aller Wahrscheinlichkeit nach meinen Bruder vergiftet, und um mich zu beerben, wollte sie mich ebenfalls ermorden, dafür habe ich Beweise. Was sagt Ihr hierzu?

Ich sage, daß sie meine Mutter war!

Sie hat einen gerechten, guten und rechtschaffenen Mann, den Herzog von Buckingham, erdolchen lassen. Was sagt Ihr zu diesem Verbrechen, für das ich die Beweise habe?

Daß sie meine Mutter war!

Nach Frankreich zurückgekehrt, hat sie in dem Kloster der Augustinerinnen in Bethune eine Frau vergiftet, die einen ihrer Feinde liebte. Wird Euch dieses Verbrechen von der Gerechtigkeit der Strafe überzeugen? Ich habe die Beweise dafür. Was sagt Ihr dazu?

Daß sie meine Mutter war! rief der junge Mann, in immer stärkerem Tone.

Von Mordtaten und Ausschweifungen belastet, allen verhaßt, drohend wie ein blutdürstiger Panther, unterlag sie den Schlägen von Männern, die sie in Verzweiflung gebracht hatte, ohne daß diese Männer ihr je den geringsten Schaden zugefügt hätten. Ein verworfenes Mädchen, eine ehebrecherische Gattin, eine entartete Schwägerin, eine Giftmischerin, eine Mörderin, fluchwürdig bei allen Menschen, die sie kennen lernten, starb sie, verflucht von Himmel und Erde. Das ist das Bild dieser Frau.

Ein Schluchzen, das Mordaunt nicht zu bemeistern vermochte, zerriß ihm die Kehle und trieb das Blut in sein leichenbleiches Gesicht; er ballte die Fäuste, und mit schweißtriefendem Gesicht, mit emporgesträubten Haaren wie Hamlet, rief er in wütendem Grimm:

Schweigt, mein Herr, sie war meine Mutter. Ihr Leben kenne ich nicht, ihre Verbrechen kenne ich nicht! Aber ich weiß, daß ich eine Mutter hatte, daß fünf Männer, gegen eine Frau verbunden, sie heimlich, nächtlicherweise, schweigend wie Feiglinge ermordet haben. Ich weiß, daß Ihr dabei wart, mein Herr, daß Ihr dabei wart, mein Oheim, daß Ihr, wie die anderen und stärker als die anderen, spracht: Sie muß sterben! Ich sage Euch also, hört wohl auf diese Worte, und sie mögen sich in Euer Gedächtnis einprägen, damit Ihr sie nie vergesset: über diesen Mord, der mir alles geraubt hat, diesen Mord, der mich namenlos, der mich arm, der mich boshaft und unversöhnlich gemacht hat … werde ich zuerst von Euch und dann von Euern Genossen, sobald ich sie kenne, Rechenschaft verlangen!

Haß in den Augen, Schaum auf dem Munde, die Fäuste geballt, trat Mordaunt noch einen Schritt, einen furchtbar drohenden Schritt gegen Lord Winter näher.

Dieser griff mit der Hand nach dem Degen und sagte mit dem Lächeln des Mannes, der seit dreißig Jahren mit dem Tode spielt: Wollt Ihr mich ermorden, mein Herr? Dann erkenne ich Euch als meinen Neffen, denn Ihr seid der Sohn Eurer Mutter.

Nein, versetzte Mordaunt, und er zwang alle Fibern seines Gesichtes, alle Muskeln seines Körpers, ihren Platz wieder einzunehmen. Nein, ich werde Euch nicht töten, wenigstens in diesem Augenblick nicht; denn ohne Euch würde ich die andern nicht kennen lernen. Aber wenn ich sie kenne, dann zittert! Ich habe den Henker von Bethune erstochen; ich habe ihn ohne Barmherzigkeit erstochen, und er war der unschuldigste von Euch allen.

Nach diesen Worten entfernte sich der junge Mann und stieg ruhig genug, um nicht bemerkt zu werden, die Treppe hinab. Dann ging er aus dem inneren Treppenplatz an Tomy vorüber, der, an das Geländer gelehnt, nur auf einen Ruf seines Herrn wartete, um zu ihm hinaufzueilen.

Aber Lord Winter rief nicht. Im höchsten Grad erschüttert, blieb er mit gespanntem Ohr stehen. Erst als er den Tritt des Pferdes hörte, fiel er halb ohnmächtig auf einen Stuhl zurück und sprach: Mein Gott, ich danke dir, daß er nur mich kennt!

Vaterschaft

Während dieser furchtbaren Scene saß Athos am Fenster seines Zimmers, den Ellenbogen auf einen Tisch, den Kopf auf seine Hand gestützt, und hörte mit Augen und Ohren Raoul zu, der ihm die Abenteuer seiner Reise und die Einzelheiten der Schlacht erzählte.

Ihr habt also der großen Schlacht beigewohnt und daran Anteil genommen, Bragelonne? sprach mit dem Ausdruck eines reinen Glückes in seinem Antlitz der ehemalige Musketier. – Ja; Herr. – Und der Kampf war heiß, sagt Ihr? – Der Herr Prinz hat elfmal in Person angegriffen. Als wir uns dem Feinde näherten, geschah es im Schritt. Man hatte uns verboten, zuerst zu schießen, und wir marschierten gegen die Spanier, die sich, die Muskete auf dem Schenkel, auf einer Anhöhe hielten. Auf dreißig Schritte zu ihnen gelangt, wandte sich der Prinz nach den Soldaten um und sagte: Kinder, Ihr werdet eine furchtbare Ladung auszuhalten haben. Hernach aber, seid unbesorgt, habt Ihr nur noch geringe Arbeit. Es herrschte eine solche Stille, daß Freund und Feind diese Worte hörte. Dann seinen Degen erhebend, rief er: Blast, Trompeter! Als wir noch zehn Schritte näher gekommen waren, sahen wir alle Musketen sich wie eine glänzende Linie senken; denn die Sonnenstrahlen funkelten auf den Läufen. Im Schritt, Kinder, im Schritt! sprach der Prinz, dies ist der Augenblick! – War Euch bange, Raoul? sagte der Graf. – Ja, Herr, antwortete der Jüngling naiv. Ich fühlte eine große Kälte in meinem Herzen, und bei dem Worte Feuer, das in spanischer Sprache in den feindlichen Reihen ertönte, schloß ich die Augen und dachte an Euch. – Wirklich, Raoul? sprach Athos und drückte ihm die Hand. – Ja, Herr, in demselben Augenblick entstand ein solcher Lärm, daß man hätte glauben sollen, die Hölle öffne sich, und die, welche nicht getötet wurden, fühlten die Wärme der Flamme. Ich öffnete die Augen wieder, erstaunt, nicht tot oder wenigstens verwundet zu sein … Der dritte Teil der Schwadron lag verstümmelt und blutig auf der Erde. In diesem Moment begegnete ich dem Auge des Prinzen. Ich dachte nur noch an eins, daran, daß er mich anschaute. Ich gab meinem Pferd beide Sporen und befand mich mitten unter den feindlichen Reihen. – Und der Prinz war mit Euch zufrieden? – Er sagte es mir wenigstens, als er mich beauftragte, Herrn von Chatillon zu begleiten, der diese Neuigkeit der Königin mitzuteilen und die eroberten Fahnen zu überbringen hatte. Und ich bin gekommen, fügte Raoul bei und schaute den Grafen mit einem Lächeln tiefer Liebe an; denn ich dachte, es würde Euch Freude machen, mich wiederzusehen.

Athos zog den Jüngling zu sich und küßte ihn auf die Stirne, wie er es bei einem jungen Mädchen getan hätte.

So seid Ihr also in die Welt eingetreten, Raoul, sprach er, Ihr habt Herzoge zu Freunden, einen Marschall von Frankreich zum Paten, einen Prinzen von Geblüt zum Feldherrn und seid am Tage Eurer Rückkehr von zwei Königinnen empfangen worden. Das ist schön für einen Rekruten. – Ach! Herr! sprach Raoul plötzlich, auf einen Herrn deutend, der soeben in der Türöffnung erschien: Dort ist ein Herr, der mich schon, als ich vor der Königin Henriette erschien, nach Euch fragte.

Mylord Winter! rief der Graf, sich umwendend.

Athos, mein Freund!

Und die beiden Männer hielten sich einen Augenblick umschlossen. Dann nahm Athos den Engländer bei beiden Händen und sprach, ihn anschauend: Was habt Ihr, Mylord? Ihr scheint ebenso traurig, als ich heiter bin!

Ja, teurer Freund, es ist wahr. Und ich sage noch mehr: Euer Anblick verdoppelt meine Furcht.

Und Winter schaute um sich her, als wünsche er, allein zu sein. Raoul begriff, daß die zwei Freunde miteinander zu sprechen hatten, und entfernte sich in der Stille.

Nun, da wir allein sind, sprechen wir von Euch, sagte Athos. – Ja, erwiderte Lord Winter. Er ist hier. – Wer? – Der Sohn Myladys.

Abermals von diesem Namen getroffen, der ihn wie ein unseliges Echo zu verfolgen schien, zögerte Athos einen Augenblick, faltete leicht die Stirne und sprach dann mit ruhigem Tone:

Ich weiß es. – Ihr wißt es? – Ja, Grimaud hat ihn zwischen Bethune und Arras getroffen und ist mit verhängten Zügeln zurückgekehrt, um mich von seiner Gegenwart zu benachrichtigen. – Grimaud kannte ihn also? – Nein, aber er war an dem Sterbebett eines Menschen, der ihn kannte. – Des Henkers von Bethune! rief Winter. – Ihr wißt es? sprach Athos erstaunt. – Er verläßt mich in diesem Augenblick und hat mir alles gesagt, antwortete Lord Winter. Ach, mein Freund, was für eine furchtbare Scene! Warum haben wir nicht das Kind mit der Mutter vertilgt?

Was befürchtet Ihr? sagte Athos, durch Vernunftschlüsse von dem Schrecken sich erholend, den er anfangs empfunden hatte; sind wir nicht da, uns zu verteidigen? Ist dieser junge Mensch ein gewerbsmäßiger Heuchler, ein kaltblütiger Mörder geworden? Er konnte den Henker von Bethune in einem Anfall von Wut töten, aber seine Rache ist nun gestillt.

Lord Winter lächelte traurig und schüttelte das Haupt.

Ihr kennt also dieses Blut nicht mehr? sagte er.

Bah! sprach Athos, der ebenfalls zu lächeln suchte, es wird in der zweiten Generation von seiner Wildheit verloren haben. Wir können nichts anderes tun, als warten. Warten wir also. Aber was führte Euch nach Paris?

Wichtige Angelegenheiten, die Ihr später kennen lernen sollt. Doch was habe ich bei Ihrer Majestät der Königin von England sagen hören? Herr d’Artagnan ist Mazariner. Verzeiht mir meine Offenherzigkeit, Freund: ich hasse den Kardinal nicht, schmähe ihn auch nicht, und Eure Ansichten werden mir stets heilig sein … solltet Ihr zufällig auch diesem Menschen angehören?

Herr d’Artagnan ist im Dienste, antwortete Athos; er ist Soldat, er gehorcht der bestehenden Gewalt. Herr d’Artagnan ist nicht reich und bedarf, um zu leben, seiner Stelle als Leutnant. Die Millionäre wie Ihr, Mylord, sind in Frankreich selten.

Ach! sprach Lord Winter, ich bin heute so arm und noch ärmer als er. Aber kommen wir auf Euch zurück.

Gut! Ihr wollt wissen, ob ich Mazariner bin? Nein, tausendmal nein! Vergebt mir ebenfalls meine Offenherzigkeit, Mylord!

Lord Winter stand auf, schloß Athos in seine Arme und sprach:

Ich danke, Graf, für diese beseligende Kunde. Ihr seht mich glücklich und vergnügt. Aber seid Ihr frei? – Was versteht Ihr unter frei? – Ich frage Euch, ob Ihr nicht verheiratet seid? – Ah, nein, antwortete Athos lächelnd. – Der schöne, elegante, anmutige junge Mann … – Ist ein Kind, das ich erziehe und das nicht einmal seinen Vater kennt. – Sehr gut, Ihr seid immer derselbe, Athos, groß und edelmütig. – Laßt hören, Mylord, was wünscht Ihr von mir? – Ihr habt die Herren Porthos und Aramis immer noch zu Freunden? – Fügt auch d’Artagnan bei, Mylord, wir sind immer noch vier treu ergebene Freunde. Wenn es sich aber darum handelt, dem Kardinal zu dienen oder ihn zu bekämpfen, Mazariner oder Frondeurs zu sein, so sind wir nur noch zwei, ich und Aramis. – Könnt Ihr mich mit diesem so liebenswürdigen und so geistreichen Freund in Verbindung bringen? – Allerdings, sobald es Euch angenehm ist. – Könnt Ihr Euch anheischig machen, ihn mir morgen um zehn Uhr auf den Pont-du-Louvre zu bringen? – Ah, ah, sagte Athos lächelnd, Ihr habt ein Duell? – Ja, Graf, und zwar ein schönes Duell, ein Duell, dem Ihr hoffentlich anwohnen werdet. – Wohin gehen wir, Mylord? – Zu Ihrer Majestät der Königin von England, die mich beauftragt hat, Euch ihr vorzustellen, Graf. – Werdet Ihr mir die Ehre erzeigen, mit mir zu Nacht zu speisen, Mylord? – Ich danke, Graf. Der Besuch dieses jungen Menschen hat mir, ehrlich gestanden, den Appetit genommen und wird mir auch den Schlaf rauben. Was hat er in Paris zu tun? Er erschreckt mich, Graf; sein Anblick verkündet Blut. – Was macht er in England? – Er ist einer der eifrigsten Anhänger Oliver Cromwells. – Was hat ihn auf diese Seite getrieben? Seine Mutter und sein Vater waren, glaube ich, Katholiken. – Der Haß, den er gegen den König hegt. – Gegen den König? – Ja, der König hat ihn zum Bastard erklärt, ihn seiner Güter beraubt und ihm verboten, den Namen Winter zu führen. – Und wie heißt er jetzt? – Mordaunt. – Als Puritaner und als Mönch verkleidet, reist er allein auf den Landstraßen Frankreichs umher? – Als Mönch, sagt Ihr? – Ja, wußtet Ihr das nicht? – Ich weiß nichts, als was er mir selbst gesagt hat. – Und aus diese Art hat er den Henker beichten hören. – Dann errate ich alles. Er ist vom Cromwell abgesandt. – An wen? – An Mazarin. Und die Königin hatte recht, man ist uns zuvorgekommen. Alles erklärt sich jetzt. Gott befohlen, Graf. Morgen also!

Als der Graf am andern Morgen seine Augen öffnete, erblickte er Raoul an seinem Bette. Der junge Mann war bereits vollständig angekleidet und las ein neues Buch.

Schon aufgestanden, Raoul? sagte der Graf. – Ja, Herr, antwortete der junge Mann mit leichtem Zögern, ich habe schlecht geschlafen. – Ihr, Raoul, schlecht geschlafen! Es fehlte Euch also etwas? fragte Athos. – Herr, Ihr werdet sagen, ich habe große Eile, Euch zu verlassen, da ich kaum erst angekommen bin, aber … – Ihr habt also nur zwei Tage Urlaub, Raoul? – Im Gegenteil, Herr, ich habe zehn; ich wünschte nur, wenn Ihr es mir gestattet, einen Tag in Blois zuzubringen. Ihr schaut mich an und werdet über mich lachen. – Nein, im Gegenteil, erwiderte Athos, einen Seufzer unterdrückend, nein, ich lache nicht, Vicomte. Ihr habt Lust, Blois wiederzusehen, und das ist ganz natürlich. – Ihr erlaubt es mir also? rief Raoul freudig. – Gewiß, Raoul. – Ach, Herr, wie gut seid Ihr! rief der junge Mann und machte eine Bewegung, als wollte er Athos an den Hals springen; aber die Achtung hielt ihn zurück.

Athos öffnete ihm die Arme.

Also kann ich sogleich abreisen?

Sobald Ihr wollt, Raoul.

Raoul machte drei Schritte, um sich zu entfernen.

Herr, sprach er, da fällt mir eben noch etwas ein, nämlich, daß ich durch die Frau Herzogin von Chevreuse, die so gut gegen mich ist, bei dem Herrn Prinzen eingeführt worden bin. – Und daß Ihr der Herzogin einen Dank schuldig seid, nicht wahr, Raoul? – So scheint es mir; doch es hängt von Eurer Entscheidung ab. – Geht durch das Hotel Luynes, Raoul, und laßt fragen, ob Euch die Frau Herzogin empfangen kann. Ich sehe mit Vergnügen, daß Ihr die Schicklichkeit nicht vergeßt. Nehmt Grimaud und Olivain mit. – Beide, Herr? fragte Raoul erstaunt. – Beide.

Raoul verbeugte sich und ging.

Als ihn Athos die Türe schließen sah und hörte, wie er mit seiner fröhlichen und wohlklingenden Stimme Grimaud und Olivain rief, seufzte er.

Er verläßt mich sehr schnell, dachte er, den Kopf schüttelnd; aber er gehorcht dem gemeinsamen Gesetze. Die Natur ist so beschaffen; sie schaut vorwärts. Er liebt offenbar dieses Kind. Wird er mich aber darum weniger lieben, weil er auch andere liebt?

Athos gestand sich, daß er diese rasche Abreise nicht erwartet hatte. Aber Raoul war so glücklich, daß der Graf darüber die eigene Enttäuschung vergaß.

Noch eine Königin, die Beistand verlangt

Athos schickte schon am Morgen Aramis einen Brief, in dem er dem Freunde von Lord Winters Wunsch Mitteilung machte.

Um zehn Uhr fand er sich selbst mit seiner gewöhnlichen Pünktlichkeit auf dem Pont-du-Louvre ein. Er traf hier Lord Winter, der in demselben Augenblick erschien.

Sie warteten etwa zehn Minuten, und Lord Winter begann zu fürchten, Aramis möchte nicht kommen.

Geduld, sprach Athos, der seine Augen nach der Rue du Bac gerichtet hielt, Geduld, dort ist ein Abbé, der einem Menschen einen Faustschlag gibt und eine Frau grüßt; das muß Aramis sein.

Er war es in der Tat. Ein junger Bürger, der Maulaffen feil hielt, stand ihm im Wege, und Aramis schleuderte ihn, da er ihn mit Kot bespritzte, mit einem Faustschlag zehn Schritte von sich. Zu gleicher Zeit ging eins seiner reumütigen Beichtkinder an ihm vorüber, und da es eine hübsche, junge Person war, so grüßte Aramis sie mit seinem anmutigsten Lächeln. Einen Augenblick nachher war er bei den beiden Männern, die seiner harrten.

Wohin gehen wir? sprach Aramis, nachdem die ersten Höflichkeitsformen getauscht waren. Schlägt man sich? Ich habe keinen Degen bei mir und müßte mir erst einen holen.

Nein, sagte Lord Winter, wir machen Ihrer Majestät der Königin von England einen Besuch.

Ah, sehr gut, sagte Aramis, und in welcher Absicht geschieht dies? fuhr er, sich an Athos‘ Ohr neigend, fort.

Meiner Treu, ich weiß es nicht. Wir sollen vielleicht als Zeugen dienen.

Im Louvre ging Lord Winter den Freunden voraus. Ein einziger Portier stand an der Türe, und beim Tageslicht konnten Athos, Aramis und der Engländer sehen, wie abscheulich ärmlich die Wohnung ausgestattet war, die geiziges Mitleid der unglücklichen Königin bewilligt hatte. Große, von allen Möbeln entblößte Säle, verwitterte Wände, an denen einsame Stücke vergoldeter Leisten glänzten, Fenster, die nicht schlossen und keine Scheiben hatten, keine Teppiche, keine Wachen, keine Bedienten, das war es, was Athos sogleich in die Augen fiel, und worauf er schweigend seinen Gefährten aufmerksam machte, indem er ihn mit dem Ellbogen stieß und auf dieses Elend deutete.

Mazarin wohnt besser, sprach Aramis.

Mazarin ist beinahe König, versetzte Athos, und Madame Henriette ist beinahe nichts mehr.

Die Königin schien ungeduldig zu warten, denn bei der ersten Bewegung, die sie in dem Saale vor ihrem Zimmer hörte, kam sie selbst auf die Schwelle.

Tretet ein und seid willkommen, meine Herren, sprach sie.

Die Edelleute traten ein und blieben anfangs stehen. Aber auf eine Gebärde der Königin, die sie durch ein Zeichen sitzen hieß, gab Athos das Beispiel des Gehorsams. Er war ernst und ruhig, Aramis aber war wütend. Tiefer Jammer einer Königin hatte ihn außer sich gebracht.

Ihr betrachtet meinen Luxus, sprach Madame Henriette und warf einen traurigen Blick um sich her.

Madame, sagte Aramis, ich bitte Eure Majestät um Vergebung, aber ich bin nicht im stande, meine Entrüstung zu verbergen, da ich sehe, wie man am französischen Hofe die Tochter Heinrichs IV. behandelt.

Dieser Herr ist kein Kavalier? sprach die Königin zu Lord Winter.

Dieser Herr ist der Abbé d’Herblay, antwortete der Lord.

Aramis errötete.

Madame, sagte er, ich bin allerdings Abbé, aber wider meinen Willen. Ich hatte nie Beruf für den Mönchskragen. Meine Soutane hält nur an einem Knopf, und ich bin stets bereit, wieder Musketier zu werden. Ich zog heute früh dieses Gewand an, weil ich nicht wußte, daß ich die Ehre haben würde, Eure Majestät zu sehen. Darum bin ich aber nicht minder der Mann, den Eure Majestät als den ergebensten in ihrem Dienste finden wird, was sie auch befehlen mag.

Der Herr Chevalier d’Herblay, versetzte Lord Winter, ist einer von den tapfern Musketieren Seiner Majestät des Königs Ludwig XIII., von denen ich Euch erzählt habe, Madame. Dann sich nach Athos umwendend, fuhr er fort: Dieser Herr ist der edle Graf de la Fère, dessen Ruf Euch wohlbekannt ist.

Meine Herren, sprach die Königin, vor einigen Jahren hatte ich Edelleute, Schätze, Heere um mich. Auf ein Zeichen meiner Hand bewegte sich alles für meinen Dienst. Heute habe ich, um einen Plan auszuführen, der mir das Leben retten soll, niemand, als Lord Winter, einen Freund seit zwanzig Jahren, und Euch, meine Herren, die ich zum erstenmal sehe und nur als meine Landsleute kenne.

Das ist genug, Madame, sprach Athos, mit einer tiefen Verbeugung, wenn das Leben von drei Männern das Eurige zu erkaufen vermag.

Ich danke, meine Herren, aber hört mich, fuhr sie fort. Ich bin nicht nur die elendeste der Königinnen, sondern auch die unglücklichste der Mütter, die trostloseste der Gattinnen. Meine Kinder, zwei wenigstens, der Herzog von York und die Prinzessin Charlotte, sind fern von mir, den Streichen von Ehrgeizigen und Feinden preisgegeben. Der König, mein Gemahl, schleppt in England ein so schmerzliches Dasein hin, daß ich wenig sage, wenn ich Euch versichere, er suche den Tod als Befreier. Hier, meine Herren, ist der Brief, den er mir durch Mylord Winter überschickt hat. Lest ihn.

Athos und Aramis entschuldigten sich.

Lest, sprach die Königin.

Athos las mit lauter Stimme den Brief, in dem der König Karl fragte, ob ihm Frankreich Gastfreundschaft gewähren wolle.

Nun? fragte Athos, als er den Brief zu Ende gelesen hatte.

Nun, sagte die Königin, er hat es abgeschlagen.

Die Freunde tauschten ein Lächeln der Verachtung.

Und was ist nun zu tun, Madame? sprach Athos.

Habt Ihr Mitleid mit so viel Unglück? sagte die Königin bewegt.

Ich habe die Ehre gehabt, Eure Majestät zu fragen, was sie wünsche, daß Herr d’Herblay und ich für ihren Dienst tun sollen; wir sind bereit.

Ah, mein Herr, Ihr seid in der Tat ein edles Herz, rief die Königin mit einem Ausbruch von Dankbarkeit, während Lord Winter sie anschaute, als wollte er sagen: Habe ich mich nicht für sie verbürgt?

Aber Ihr, mein Herr?, fragte die Königin Aramis.

Ich, Madame, antwortete dieser, ich folge überall, wohin der Graf geht, und wäre es in den Tod, ohne zu fragen, warum. Wenn es sich aber um den Dienst Eurer Majestät handelt, fügte er, die Königin mit aller seiner Anmut anschauend, bei, so gehe ich dem Grafen voraus.

Wohl, wenn es so ist, wenn ihr euch dem Dienste einer armen Fürstin weihen wollt, welche die ganze Welt verlassen hat, so könnt ihr folgendes für mich tun: Der König ist allein mit einigen Edelleuten, die er jeden Tag zu verlieren fürchtet, mitten unter Schotten, denen er mißtraut, obgleich er selbst ein Schotte ist. Seit Lord Winter ihn verlassen hat, lebe ich nicht mehr, meine Herren. Ich verlange vielleicht zu viel, denn ich habe keinen Anspruch zu machen. Geht nach England, eilt zum König, seid seine Freunde, zieht an seiner Seite in die Schlacht und weicht nicht von ihm. Und für das Opfer, das ihr mir bringt, meine Herren, verspreche ich nicht, euch zu belohnen, ich glaube, dieses Wort würde euch beleidigen, sondern euch zu lieben, wie eine Schwester, und euch über alle zu stellen, mit Ausnahme meines Gemahls und meiner Kinder, das schwöre ich euch vor Gott!

Und die Königin schlug langsam und feierlich die Augen zum Himmel auf.

Madame, sagte Athos, wann sollen wir reisen?

Ihr willigt also ein? fragte die Königin voll Freude.

Ja, Madame. Wir dienen Gott, wenn wir einem so unglücklichen Fürsten und einer so tugendhaften Königin dienen. Madame, wir gehören Euch mit Leib und Seele.

Ah, meine Herren, sprach die Königin, bis zu Tränen gerührt, das ist der erste Augenblick der Freude und Hoffnung, den ich seit fünf Jahren erlebe. Ja, ihr dient Gott, und da meine Macht zu beschränkt ist, um einen solchen Dienst anzuerkennen, so wird Er ihn belohnen, der in meinem Herzen alles liest, was darin von Dankbarkeit gegen ihn und gegen euch liegt. Rettet meinen Gemahl, rettet den König, und obgleich ihr nicht empfänglich für den Preis seid, der euch auf Erden für diese schöne Handlung zukommen kann, so laßt mir doch die Hoffnung, daß ich euch wiedersehen werde, um euch selbst zu danken. Mittlerweile bleibe ich. Habt ihr mir etwas zu empfehlen? Ich bin von diesem Augenblick an eure Freundin, und da ihr meine Angelegenheiten besorgt, so muß ich mich mit den eurigen beschäftigen.

Madame, sprach Athos, ich habe nichts von Eurer Majestät zu verlangen, als ihre Gebete.

Und ich, sagte Aramis, ich bin allein auf dieser Welt und diene nur Eurer Majestät.

Die Königin reichte ihnen die Hand, die sie küßten, und sagte ganz leise zu Lord Winter: Wenn es Euch an Geld fehlt, Mylord, so zögert keinen Augenblick: zerbrecht die Juwelen, die ich Euch gegeben habe, nehmt die Diamanten heraus und verkauft sie an einen Juden. Ihr bekommt dafür fünfzig- bis sechzigtausend Livres, verwendet sie, wenn es notwendig ist; diese Edelleute sollen aber behandelt werden, wie sie es verdienen, das heißt königlich.

Die Königin hatte zwei Briefe bereit gehalten. Einer war von ihr, der andere von der Prinzessin Henriette, ihrer Tochter, geschrieben. Beide waren an den König Karl gerichtet. Den einen gab sie Athos, den andern Aramis, damit sie sich, wenn der Zufall sie trennen sollte, dem König einzeln zu erkennen geben könnten. Dann entfernten sie sich.

Unten an der Treppe blieb Lord Winter stille stehen und sprach:

Trennen wir uns, damit wir keinen Verdacht erwecken, und diesen Abend um neun Uhr finden wir uns an der Porte-Saint-Denis zusammen. Wir reiten mit meinen Pferden, soweit sie gehen können, dann nehmen wir die Post. Noch einmal Dank, meine Freunde, Dank in meinem Namen, Dank im Namen der Königin! Und die drei Edelleute drückten sich die Hände.

Nun, sprach Aramis, als sie allein waren, was sagt Ihr zu dieser Unternehmung, mein lieber Graf? – Sie ist schlimm, antwortete Athos, sehr schlimm. – Aber Ihr habt sie mit Begeisterung aufgenommen? – Wie ich stets die Verteidigung eines großen Grundsatzes aufnehmen würde, mein lieber d’Herblay. Die Könige können nur durch den Adel groß sein, der Adel aber kann nur durch die Könige groß sein. Unterstützen wir also den Monarchen, so unterstützen wir uns selbst. – Wir werden uns da drüben totschlagen lassen, sprach Aramis. Ich hasse die Engländer, sie sind plump, wie alle Leute, die Bier trinken. – Wäre es denn besser, hier zu bleiben, versetzte Athos, und einen Gang in die Bastille oder in den Kerker von Vincennes zu machen, nachdem wir die Flucht des Herrn von Beaufort begünstigt haben? Ach, meiner Treu, Aramis, glaubt mir, wir haben es nicht zu bereuen. Wir vermeiden das Gefängnis und handeln als Helden; die Wahl ist leicht.

Damit trennten sie sich. Athos machte einen Versuch bei Frau von Vendome, gab seinen Namen bei Frau von Chevreuse ab und schrieb folgenden Brief an d’Artagnan:

Lieber Freund, ich verreise mit Aramis in einer wichtigen Angelegenheit. Ich wünschte von Euch Abschied zu nehmen, aber es gebricht mir an Zeit. Vergeßt nicht, daß ich Euch schreibe, um zu wiederholen, wie sehr ich Euch liebe.

Raoul ist nach Blois gegangen und weiß nichts von meiner Abreise. Wacht über ihn während meiner Abwesenheit, so gut Ihr immer könnt, und wenn Ihr in drei Monaten keine Nachricht von mir erhaltet, so sagt ihm, er möge ein versiegeltes Paket unter seiner Adresse öffnen, das er in Blois in meiner Bronze-Kassette finden wird, zu der ich Euch den Schlüssel schicke.

Umarmt Porthos für Aramis und für mich. Auf Wiedersehen, vielleicht auf immer!

Zur bestimmten Stunde erschien Aramis. Er war als Kavalier gekleidet und hatte an seiner Seite das alte Schwert, das er so oft gezogen und mehr als je zu ziehen bereit war.

Ach, sagte er, ich glaube, wir haben unrecht, so abzureisen. ohne ein Wörtchen des Abschieds an Porthos und d’Artagnan zurückzulassen.

Das ist geschehen, lieber Freund, versetzte Athos; ich habe dafür gesorgt, ich habe alle beide für mich und für Euch gegrüßt. – Ihr seid ein bewundernswürdiger Mann, mein lieber Graf, sprach Aramis, Ihr denkt an alles. – Nun, habt Ihr Euch fest zu dieser Reise entschlossen? – Ganz und gar, und jetzt, da ich mir die Sache genauer überlegt habe, bin ich froh, Paris in diesem Augenblick zu verlassen. – Ich auch, versetzte Athos, nur bedaure ich, d’Artagnan nicht umarmt zu haben. Aber dieser Teufel ist so fein, daß er unsere Pläne erraten hätte.

Beim Schlusse des Abendessens kam Blaisois, der den Brief zu d’Artagnan getragen hatte, zurück und sagte: Gnädiger Herr, hier ist die Antwort von Herrn d’Artagnan.

Ich habe dir nicht gesagt, du solltest auf Antwort warten, Dummkopf, sprach Athos.

Ich ging auch ab, ohne darauf zu warten; aber er ließ mich zurückrufen und gab mir dies.

Und er bot Athos eine strotzende, klingende lederne Tasche.

Athos öffnete sie und zog zuerst ein folgendermaßen lautendes Billett hervor:

Mein lieber Graf!

Wenn man verreist, und besonders wenn man auf drei Monate verreist, hat man nie Geld genug. Ich erinnere mich unserer Zeiten der Armut und schicke Euch die Hälfte meiner Börse. Es ist Geld, das ich abgeschweißt habe. Macht also gefälligst keinen allzu schlimmen Gebrauch davon.

Was den Umstand betrifft, daß ich Euch nicht wiedersehen soll, so glaube ich kein Wort davon. Wenn man ein Herz und ein Schwert hat, wie Ihr, so kommt man überall durch. Auf Wiedersehen also, und nicht Gott befohlen! Es versteht sich von selbst, daß ich Raoul von dem Tage an, wo ich ihn zuerst sah, wie mein Kind liebte. Glaubt mir jedoch, daß ich Gott aufrichtig anflehe, er möge mich nicht seinen Vater werden lassen, obgleich ich auf einen solchen Sohn stolz wäre.

Euer d’Artagnan.

»N. S.
Wohlverstanden, die fünfzig Louisd’or, die ich Euch schicke, gehören Euch wie Aramis, Aramis wie Euch.«

Athos lächelte, und sein schöner Blick verschleierte sich unter einer Träne. D’Artagnan, den er stets zärtlich geliebt hatte, liebte ihn also ebenfalls immer noch, obgleich er ein Mazariner war.

Meiner Treu, sprach Aramis, die Börse auf den Tisch ausleerend, hier sind die fünfzig Goldstücke, alle nach dem Bildnis König Ludwigs XIII. Was macht Ihr mit diesem Gelde, Graf? Behaltet Ihr es, oder schickt Ihr es zurück? – Ich behalte es, Aramis, und würde es behalten, auch wenn ich seiner nicht bedürfte. Was aus gutem Herzen geboten wird, muß mit gutem Herzen angenommen werden. Nehmt fünfundzwanzig, Aramis, und gebt mir die andern fünfundzwanzig. – Das gefällt mir; in der Tat, es macht mich glücklich, zu sehen, daß Ihr meiner Ansicht seid. Aber gehen wir jetzt? – Wenn Ihr wollt; doch habt Ihr keinen Bedienten? – Nein; der alberne Bazin hat die Dummheit begangen, Mesner zu werden, wie Ihr wißt, und kann folglich Notre-Dame nicht verlassen. – Gut, dann nehmt Blaisois, mit dem ich nichts anzufangen weiß, da ich Grimaud habe. – Gern, sprach Aramis.

In diesem Augenblick erschien Grimaud auf der Schwelle.

Bereit, sagte er auf seine gewöhnliche lakonische Weise.

Vorwärts, sprach Athos.

Die Pferde warteten gesattelt und gezäumt. Die Freunde bestiegen jeder das seine, die Lakaien taten dasselbe.

An der Ecke des Quai begegneten sie Bazin, der ganz atemlos herbeilief.

Ach! gnädiger Herr, rief Bazin, Gott sei Dank, ich komme noch zu rechter Zeit! – Was gibt es? – Herr Porthos hat mir dies übergeben und dabei gesagt, es habe große Eile und müsse Euch vor Eurer Abreise eingehändigt werden. – Gut, erwiderte Aramis und nahm eine Börse, die ihm Bazin darreichte, was ist das? – Wartet, Herr Abbé, es ist auch ein Brief dabei. – Du weißt, daß ich dir bereits gesagt habe, ich schlage dir Arme und Beine entzwei, wenn du mich anders als Herr Chevalier nennest. Gib den Brief. – Wie wollt Ihr lesen? fragte Athos; es ist finster wie in der Hölle. – Wartet, sagte Bazin, schlug Feuer und zündete das Licht an, mit dem er seine Kerzen in der Kirche anzuzünden pflegte.

Beim Schein dieses Lichtes las Aramis:

Mein lieber d’Herblay!

Ich erfahre von d’Artagnan, der mich in Euerem und in des Grafen de la Fère Namen umarmt, daß Ihr in einem Unternehmen abreist, das vielleicht zwei bis drei Monate dauern wird: da ich weiß, daß Ihr nicht gern von Eueren Freunden fordert, so biete ich Euch. Hier sind zweihundert Pistolen, über die Ihr verfügen könnt; Ihr gebt sie mir bei Gelegenheit zurück. Fürchtet nicht, mich dadurch zu genieren; brauche ich Geld, so lasse ich mir von einem meiner Schlösser kommen; ich habe allein in Bracieux zwanzigtausend Livres in Gold. Ich bin, wie Ihr wohl nicht bezweifelt, Euer ergebener

Du Vallon de Bracieux de Pierrefonds.

Nun, sprach Aramis, was sagt Ihr dazu? – Ich sage, mein lieber d’Herblay, daß es ein arges Verbrechen ist, an der Vorsehung zu zweifeln, wenn man solche Freunde hat. – Also?

Also teilen wir Porthos‘ Pistolen, wie wir d’Artagnans Louisd’ors geteilt haben.

Die Schlange auf dem Wege

In Saint-Denis trafen die beiden Freunde mit Lord Winter zusammen und schlugen mit ihm den ihnen so wohlbekannten Weg nach der Picardie ein, der in Athos und Aramis einige der romantischsten Erinnerungen ihrer Jugend wach rief.

Wäre Mousqueton bei uns, sprach Athos, als sie zu der Stelle gelangten, wo sie mit den Straßenarbeitern Streit gehabt hatten, wie würde er zittern! Erinnert Ihr Euch, Aramis, hier bekam er die bekannte Kugel.

Meiner Treu, ich würde es ihm wohl hingehen lassen, denn ich selbst bebe einigermaßen bei dieser Erinnerung. Seht, dort jenseits des Baumes ist ein Punkt, wo ich glaubte, es sei aus mit mir.

Man setzte den Marsch fort. Bald kam an Grimaud die Reihe, sich in Erinnerungen zu vertiefen. Der Herberge gegenüber, wo sein Herr und er einst eine so ungeheure Schmauserei gehalten hatte, näherte er sich Athos, deutete auf das Luftloch des Kellers und sagte: Würste.

Athos lachte, denn diese Tollheit seiner Jugendjahre kam ihm so unglaublich lustig vor, als wenn man sie ihm von einem andern erzählt hätte.

Endlich nach einem Ritt von zwei Tagen und einer Nacht erreichten sie gegen Abend bei herrlichem Wetter Boulogne. Als man zu den Toren gelangte, sagte Lord Winter:

Meine Herren, machen wir es hier, wie in Paris. Trennen wir uns, um keinen Verdacht zu erregen. Ich habe eine wenig besuchte Herberge, deren Wirt mir ganz und gar ergeben ist. Ich will mich dahin begeben, denn es erwarten mich Briefe. Ihr geht in das nächste beste Gasthaus der Stadt, erfrischt Euch und findet Euch dann auf dem Hafendamme ein. Unsere Barke muß dort unser harren.

Die Sache wurde so verabredet. Lord Winter setzte seinen Weg die äußeren Bollwerke entlang fort, um durch ein anderes Tor in die Stadt zu gelangen, während die zwei Freunde durch das nächste einritten. Nach zweihundert Schritten fanden sie ein Gasthaus.

Man ließ den Pferden Futter geben, aber ohne sie abzusatteln. Die Lakaien nahmen ein Abendessen, denn es fing an spät zu werden, und die Herren, die es drängte, sich einzuschiffen, bestellten sie auf den Hafendamm, nachdem sie ihnen eingeschärft, mit keinem Menschen ein Wort zu wechseln.

Dieser Befehl betraf natürlich nur Blaisois; für Grimaud war er längst überflüssig geworden.

Athos und Aramis gingen nach dem Hafen hinab.

Durch ihre mit Staub bedeckten Kleider und ihre ganze Erscheinung zogen die beiden Freunde die Aufmerksamkeit einiger Spaziergänger auf sich. Besonders einer schien durch ihre Ankunft überrascht zu sein. Dieser Mensch, der ebenfalls aussah, als habe er eine eilige Reise hinter sich, ging traurig auf dem Hafendamme auf und ab. Sobald er sie erblickte, schaute er sie unablässig an, als brenne er vor Begierde, sie anzureden.

Er war jung und bleich, und hatte Augen von einem so unsichern Blau, daß sie, wie die des Tigers, je nach den Reflexen in allen Farben zu spielen schienen. Sein Gang war trotz der Langsamkeit seiner Bewegungen straff und keck. Er war schwarz gekleidet und trug mit viel Anstand ein langes Schwert.

Als Athos und Aramis den Hafendamm erreichten, blieben sie stehen, um ein kleines Schiff anzuschauen, das an einen Pfosten angebunden und ganz equipiert war, als ob es warte.

Das ist ohne Zweifel das unsere, sprach Athos.

Ja, antwortete Aramis, und die Schaluppe, die sich da unten segelfrei macht, sieht aus, als sollte sie uns an den Ort unserer Bestimmung führen. Wenn nur Lord Winter nicht auf sich warten läßt, fuhr er fort; es ist gar nicht lustig, hier zu verweilen; keine einzige Dame läßt sich blicken.

Stille, sagte Athos, man behorcht uns.

Der Unbekannte war, während die zwei Freunde aufs Meer hinausschauten, wiederholt hinter ihnen auf und ab gegangen und bei dem Namen Lord Winter plötzlich stehen geblieben, ohne jedoch in seinen Mienen eine Erregung zu zeigen. Mit großer Höflichkeit wandte er sich an die Freunde mit den Worten:

Meine Herren, verzeiht meine Neugierde, aber ich sehe, daß Ihr von Paris kommt oder wenigstens in Boulogne fremd seid. – Ja, mein Herr, wir kommen von Paris, antwortete Athos mit derselben Höflichkeit. Was steht zu Diensten? – Mein Herr, sprach der junge Mann, wollt Ihr wohl die Güte haben, mir zu sagen, ob der Herr Kardinal von Mazarin wirklich nicht mehr Minister ist? – Das ist eine seltsame Frage, sagte Aramis. – Er ist es und ist es nicht, antwortete Athos; das heißt, die eine Hälfte von Frankreich jagt ihn fort, während er die andere durch Intriguen und Versprechungen an sich kettet. Dieser Zustand kann sehr lange dauern. – Er ist also weder auf der Flucht begriffen, noch im Gefängnis? fragte der Fremde. – Nein, mein Herr, wenigstens nicht im Augenblick. – Meine Herren, empfangt meinen Dank für Eure Gefälligkeit, sprach der junge Mann und entfernte sich.

Was haltet Ihr von diesem Frager? sagte Aramis. – Aramis, Ihr werdet über mich spotten, Ihr werdet mich für einen furchtsamen Geisterseher halten. – Nun? – Wem findet Ihr, daß dieser junge Mann ähnlich ist? – Im Schönen oder im Häßlichen? fragte Aramis lachend. – Im Häßlichen, und soviel ein Mann einer Frau gleichen kann. – Ah, bei Gott! rief Aramis, Ihr bringt mich auf einen Gedanken. Nein, Ihr seid kein Geisterseher, mein lieber Freund. Und jetzt, wenn ich mir die Sache überlege … Ihr habt meiner Treu recht, dieser feine Mund, diese Augen, welche stets den Befehlen des Geistes und nie denen des Herzens zu gehorchen scheinen … Er ist ein Bastard von Mylady. – Aramis, Ihr lacht. – Nur aus Gewohnheit; denn ich schwöre Euch, ich wünschte dieser jungen Schlange ebensowenig als Ihr auf meinem Wege zu begegnen. – Ah, hier kommt Lord Winter, sprach Athos. – Gut, es fehlte jetzt nur noch eins, versetzte Aramis, daß unsere Lakaien auf sich warten ließen. – Nein, ich erblicke sie. Sie kommen zwanzig Schritte hinter Mylord. Ich erkenne Grimaud an seinem steifen Kopf und an seinen langen Beinen. Tomy trägt unsere Karabiner. – Wir schiffen uns alle bei Nacht ein? fragte Aramis mit einem Blick nach dem Westen, wo die Sonne nur eine goldene Wolke zurückließ, die, allmählich in das Meer sinkend, zu erlöschen schien. – Das ist wahrscheinlich, sagte Athos und ging auf Lord Winter zu. Aramis folgte ihm.

Was hat denn unser Freund? sprach Aramis; er gleicht den Verdammten Dantes, denen Satan den Hals umgedreht hat, so daß sie ihre Fersen anschauen müssen. Was zum Teufel hat er denn immer hinter sich zu sehen?

Als Lord Winter die Freunde erblickte, verdoppelte er seine Schritte und kam mit auffallender Raschheit zu ihnen.

Was habt Ihr denn, Mylord, sagte Athos, und was bringt Euch so außer Atem?

Nichts, sprach Lord Winter, nichts. Als ich jedoch an den Dünen vorüberging, kam es mir vor … und er wandte sich abermals um.

Athos schaute Aramis an.

Aber gehen wir, fuhr Lord Winter fort, das Boot muß uns erwarten, und unsere Schaluppe liegt vor Anker. Wenn wir nur schon darin säßen! Und er wandte sich noch einmal um.

He, sagte Aramis, habt Ihr denn etwas vergessen?

Nein, ein Gedanke beunruhigt mich.

Er hat ihn gesehen, sprach Athos ganz leise zu Aramis.

Man war zu der Treppe gelangt, die in die Barke führte; der Lord ließ zuerst die Lakaien hinabsteigen, welche die Waffen trugen, dann die Knechte mit dem Gepäck und fing endlich an, selbst hinabzusteigen.

In diesem Augenblick bemerkte Athos einen Menschen, der dem Rande des Meeres, parallel mit dem Hafendamm, folgte und seinen Gang beschleunigte, als wollte er auf der andern kaum zwanzig Schritte entfernten Seite des Hafens ihrem Einschiffen beiwohnen.

Er glaubte mitten im Schatten, der sich herabzusenken anfing, den jungen Menschen zu erkennen, der sie befragt hatte.

Oho, sagte er zu sich selbst, ist es wirklich ein Spion, und sollte er sich unserem Einschiffen widersetzen wollen? Da es aber, falls der Fremde diese Absicht gehabt hatte, zur Ausführung bereits zu spät gewesen wäre, so stieg Athos ebenfalls die Treppe hinab, ohne jedoch den jungen Menschen aus dem Gesicht zu verlieren. Dieser trat auf eine Schleuse vor.

Er hat es offenbar auf uns abgesehen, sprach Athos, aber schiffen wir uns immerhin ein. Sind wir einmal auf offener See, so mag er kommen.

Und Athos sprang in die Barke, die sich sogleich vom Ufer losmachte und unter der Anstrengung von vier Ruderern sich zu entfernen begann.

Aber der junge Mann bemühte sich, der Barke zu folgen oder vielmehr ihr vorauszueilen. Sie mußte zwischen der von dem Leuchtturme, der soeben angezündet worden, überragten Spitze des Hafendammes und einem überhängenden Felsen durchfahren. Man sah ihn von ferne den Felsen erklettern, so daß er die Barke beherrschen konnte, wenn sie vorüberkam.

Ah, sagte Aramis zu Athos, dieser junge Mensch ist offenbar ein Spion!

Was für ein Mensch? fragte Lord Winter, sich umdrehend.

Der, welcher uns folgte, uns ansprach und da unten erwartet. Seht!

Lord Winter folgte der Richtung des Fingers von Aramis. Der Leuchtturm übergoß mit Klarheit die kleine Meerenge, durch die man zu schiffen hatte, und den Felsen, auf dem der junge Mann stand, der mit entblößtem Haupte und gekreuzten Armen wartete.

Er ist es! rief Lord Winter, Athos beim Arme fassend, er ist es! Ich glaubte ihn zu erkennen und täuschte mich nicht. – Wer? fragte Aramis. – Der Sohn Myladys, antwortete Athos. – Der Mönch! rief Grimaud.

Der junge Mensch hörte diese Worte. Es war, als wollte er sich herabstürzen, so weit außen stand er auf dem Felsen über das Meer herabgebeugt.

Ja, rief er, ich bin’s, mein Oheim, der Sohn Myladys, der Mönch, der Sekretär und Freund Cromwells, und ich kenne Euch und Eure Gefährten.

In der Barke saßen drei Männer, tapfere Männer, deren Mut niemand zu bestreiten gewagt hätte. Jedoch bei dieser Stimme, bei diesem Tone, bei dieser Gebärde fühlten sie einen Schauder in ihren Adern.

Grimaud sträubten sich die Haare auf dem Haupt, und der Schweiß strömte von seiner Stirne.

Ah! sprach Aramis, es ist der Neffe, es ist der Mönch, es ist der Sohn Myladys, wie er selbst sagt.

Ja, murmelte Lord Winter.

Dann wartet, versetzte Aramis.

Und mit der Kaltblütigkeit, die er in den äußersten Gefahren besaß, nahm er eine der zwei Musketen, die Tomy hielt, spannte und legte auf den jungen Mann an, der, sie mit der Hand und mit dem Blicke verfolgend, aufrecht wie der Engel des Fluchs auf dem Felsen stand.

Feuer! rief Grimaud außer sich.

Athos warf sich auf den Lauf des Karabiners und hielt den Schuß zurück.

Der Teufel soll Euch holen! rief Aramis, ich faßte ihn so gut mit meiner Muskete, und die Kugel hätte ihn mitten in die Brust getroffen.

Es ist genug, daß wir die Mutter getötet haben, sprach Athos mit dumpfem Tone.

Die Mutter war eine Verbrecherin, die uns alle in uns selbst oder in denen, die uns teuer waren, getroffen hatte.

Aber der Sohn hat uns nichts getan.

Grimaud, welcher aufgestanden war, um die Wirkung des Schusses zu sehen, fiel entmutigt und die Hände ringend zurück.

Der junge Mann brach in ein Gelächter aus.

Ah! Ihr seid es, sagte er, Ihr seid es … ich kenne Euch nun.

Sein scharfes Gelächter und seine drohenden Worte gingen, vom Winde fortgetragen, über die Barke hin und verloren sich in den Tiefen des Horizonts.

Athos nahm Lord Winter bei der Hand und suchte das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu bringen.

Wann werden wir in England landen? fragte er den Lord; aber dieser hörte ihn nicht und gab keine Antwort.

Halt, Athos, sprach Aramis, vielleicht wäre es noch Zeit. Seht, er ist immer noch auf derselben Stelle.

Athos wandte sich mit einem gewissen Widerstreben um; der Anblick des jungen Mannes war ihm offenbar peinlich.

Er stand wirklich noch immer auf dem Felsen; der Leuchtturm verbreitete eine Art von Glorie um ihn.

In diesem Augenblick rief sie eine Stimme von der Schaluppe an. Der Lotse, der am Steuerruder saß, antwortete, und die Barke erreichte das Schiff.

In einer Minute war alles an Bord, der Patron erwartete nur die Passagiere, um abzugehen, und kaum hatten sie den Fuß aus das Verdeck gesetzt, als man gegen Hastings steuerte, wo man landen sollte.

Jetzt warfen die drei Freunde unwillkürlich noch einen Blick nach dem Felsen, wo der drohende Schatten, der sie verfolgte, immer noch sichtbar hervortrat.

Dann gelangte eine Stimme, die ihnen die letzte Drohung zusandte, bis zu ihnen.

Auf Wiedersehen, meine Herren, in England!

Das Tedeum für den Sieg von Lens

Die Nachricht von dem großen Siege bei Lens war entscheidend: der Hof gewann wieder das Übergewicht über das Parlament. Alle willkürlich auferlegten Steuern, gegen die sich das letztere erhob, waren stets durch die Notwendigkeit, die Ehre Frankreich aufrecht zu erhalten, und mit der Hoffnung auf einen Sieg begründet worden. Da man jedoch seit Nördlingen nur Schlappen erlitten hatte, so war es dem Parlament leicht, an Herrn von Mazarin vorwurfsvolle Fragen in Beziehung auf die stets versprochenen und immer wieder vertagten Siege zu stellen. Diesmal aber war man zu einem Ziele gelangt, man hatte einen vollständigen Triumph, so daß die Parteigänger des Hofes und selbst der junge König mit ihnen riefen:

Ah! meine Herren vom Parlament, wir wollen sehen, was Ihr dazu sagen werdet.

Die Königin drückte ihr königliches Kind, dessen stolzes, unbändiges Wesen so gut mit ihrem Charakter im Einklange stand, an ihr Herz. An demselben Abend fand ein Rat statt, wozu der Marschall de la Meilleraye und Herr von Villeroy, weil sie Mazariner waren, Chavigny und Seguier, weil sie das Parlament haßten, und Guitaut und Comminges, weil sie der Königin ergeben waren, berufen wurden.

Von dem, was im Rate beschlossen worden war, verlautete nichts, man erfuhr nur, daß am nächsten Sonntag ein Tedeum zu Ehren des Sieges von Lens gesungen werden sollte.

Am folgenden Sonntag erwachten also die Pariser sehr heiter: ein Tedeum war zu jener Zeit noch etwas Außergewöhnliches und Großartiges. Die Sonne erhob sich strahlend und vergoldete die düsteren Türme der bereits mit einer ungeheuren Menschenmenge gefüllten Hauptstadt; die dunkelsten Gassen der Altstadt hatten ein festliches Aussehen angenommen, und die Quais entlang sah man lange Reihen von Bürgern, Handwerkern, Frauen und Kindern, die, wie ein zu seiner Quelle zurückkehrender Fluß, Notre-Dame zuströmten.

Es herrschte indessen die größte Freiheit unter dieser ungeheuren Volksmasse; alle sprachen offen ihre Meinung aus und läuteten sozusagen Aufruhr, wie die tausend Glocken aller Kirchen von Paris Tedeum läuteten. Da die Polizei der Stadt durch die Stadt selbst besorgt wurde, so störte nichts die Einhelligkeit des allgemeinen Hasses, nichts machte die Worte in diesen schmähsüchtigen Mäulern zu Eis.

Indessen hatte sich schon um acht Uhr morgens das Regiment der Garden der Königin, unter dem Befehl Guitauts und seines Neffen Comminges, mit Trommeln und Trompeten an der Spitze, vom Palais Royal an bis zur Notre-Dame aufgestellt, ein Manöver, dem die auf Militärmusik und glänzende Uniformen allezeit versessenen Pariser ruhig zuschauten.

Friquet zog seinen Sonntagsstaat an und erhielt unter dem Vorwande einer Geschwulst, die er sich durch eine Anzahl in eine Mundseite geschobene Kirschensteine verschaffte, von Bazin, seinem Herrn, einen Urlaub auf den ganzen Tag. Anfangs schlug der Mesner den Urlaub ab, aber in seiner Gegenwart nahm die Geschwulst dergestalt an Umfang zu, daß er am Ende brummend nachgab. An der Tür spuckte Friquet die Geschwulst aus und sandte Bazin eine jener Gebärden zu, die einem Pariser Gamin seine Überlegenheit über alle Straßenjungen des Weltalls sichern. In seinem Gasthaus hatte er sich natürlich dadurch losgemacht, daß er vorgab, er müsse die Messe bedienen.

Friquet war also frei und hatte, wie gesagt, seine kostbarste Toilette gemacht; als ganz besondere Zier trug er eine jener schwer zu beschreibenden Mützen, die zwischen dem mittelalterlichen Barett und dem Hute aus der Zeit Ludwigs XIII. die Mitte halten. Seine Mutter hatte ihm diese seltsame Kopfbedeckung fabriziert und sich dabei, wahrscheinlich aus Mangel an gleichem Stoffe, um die Farben nicht sonderlich bekümmert, so daß dieses Meisterwerk der Kappenmacherei des siebzehnten Jahrhunderts auf der einen Seite gelb und grün, auf der andern weiß und rot war. Friquet aber schritt darum nicht minder stolz und triumphierend einher.

Als Friquet seinen Herrn verließ, lief er in der größten Eile nach dem Palais Royal. Er kam gerade in dem Augenblick an, wo das Regiment der Garden herausmarschierte, und da er aus keinem andern Grunde erschien, als um sich seines Anblicks zu erfreuen und sich an seiner Musik zu ergötzen, so nahm er seine Stelle an der Spitze des Regiments, trommelte mit zwei Stückchen Schiefer und ging von dieser Übung zu der Trompete über, die er mit dem Munde auf höchst kunstvolle Weise nachahmte.

Diese Unterhaltung dauerte von der Barriere des Sergens bis zum Platze Notre-Dame, und Friquet fand ein wahres Vergnügen daran. Dann aber erinnerte er sich, daß er nicht gefrühstückt hatte, und beschloß nach reiflicher Überlegung, der Rat Broussel solle die Kosten seines Mahles tragen.

Er lief rasch weg, gelangte atemlos vor die Türe des Brousselschen Hauses und klopfte heftig an.

Seine Mutter, die alte Dienerin Broussels, öffnete.

Was machst du hier, Taugenichts? sagte sie, und warum bist du nicht in Notre-Dame? – Ich war dort, Mutter Nannette, antwortete Friquet, aber ich sah, daß Dinge vorgingen, von denen Meister Broussel notwendig unterrichtet werden müßte, und mit Erlaubnis des Herrn Bazin, Ihr wißt wohl, Mutter Nannette, des Herrn Bazin, des Mesners, kam ich hierher, um mit Herrn Broussel zu sprechen. – Was willst du Herrn Broussel sagen, Affe? – Ich will mit ihm selbst sprechen. – Das kann nicht sein; er arbeitet. – Dann werde ich warten, antwortete Friquet.

Und er stieg rasch die Treppe hinauf, während Nannette langsamer folgte.

Aber sage mir doch, sprach sie, was willst du bei Herrn Broussel?

Ich will ihn benachrichtigen, antwortete Friquet, aus Leibeskräften schreiend, daß ein ganzes Regiment Garden in der Richtung nach diesem Hause marschiert. Da ich nun überall sagen hörte, es herrsche am Hof eine üble Stimmung gegen ihn, so will ich ihn warnen, damit er auf seiner Hut ist.

Broussel hörte das Geschrei des Jungen und eilte, erfreut über seinen rastlosen Eifer, in den ersten Stock hinab, denn er arbeitete in seinem Kabinett im zweiten.

Der Rat belehrte Friquet über seinen vermeintlichen Irrtum, lobte ihn aber wegen seines Eifers und hieß Frau Nannete dem Jungen Aprikosen und ein Stück Weißbrot geben.

Broussel selbst ging nun zu seiner Frau, verlangte sein Frühstück und setzte sich an das Fenster. Die Straße war gänzlich verlassen; aber in der Ferne hörte man, gleich dem Geräusche einer steigenden Flut, das ungeheure Tosen der Volkswogen, die um Notre-Dame her immer stärker anschwollen.

Dieses Geräusch verdoppelte sich, als d’Artagnan mit einer Kompanie Musketiere sich an den Pforten von Notre-Dame aufstellte, um den Kirchendienst verrichten zu lassen. Er hatte Porthos gesagt, er möge diese Gelegenheit benutzen, um die Ceremonie zu sehen. Porthos bestieg in großer Gala sein schönstes Pferd und machte den Ehrenmusketier, wie dies einst d’Artagnan so oft getan hatte.

Um zehn Uhr verkündigte die Kanone des Louvre den Aufbruch des Königs. Eine Bewegung wie die der Bäume, deren Gipfel der Sturmwind faßt und schüttelt, durchlief die Menge, die sich hinter den unbeweglichen Musketen der Garden hin und her trieb. Endlich erschien der König mit der Königin in einem ganz mit Gold überzogenen Wagen. Zehn andere Wagen folgten mit den Ehrendamen, den Offizieren des königlichen Hauses und dem ganzen Hofe.

Es lebe der König! rief man von allen Seiten.

Der Zug rückte langsam vor und brauchte beinahe eine Stunde, um den Raum zurückzulegen, welcher den Louvre von der Place Notre-Dame trennt. Hier begab er sich allmählich unter das ungeheure Gewölbe der düstern Kathedrale, und der Gottesdienst begann.

Als die Königin am Ende des Gottesdienstes bemerkte, daß Comminges in ihrer Nähe stand und die Bestätigung eines Befehles erwartete, den sie ihm, ehe sie den Louvre verließ, gegeben hatte, so sagte sie halblaut zu ihm: Geht, Comminges, und Gott stehe Euch bei!

Comminges entfernte sich sogleich, trat aus der Kirche und begab sich nach der Rue Saint-Christophe.

Friquet, der diesen schönen Offizier mit zwei Leibwachen bemerkte, machte sich das Vergnügen, ihm nachzugehen, und zwar mit um so größerer Geschwindigkeit, als die Ceremonie in demselben Augenblick endigte und der König wieder in seinen Wagen stieg.

In der Rue Cocatrix hielt ein Wagen mit Comminges‘ Wappen, den ein Gefreiter und vier Garden besetzt hielten. Der Gefreite schaute sich beständig um, und sobald er Comminges erscheinen sah, sagte er dem Kutscher ein Wort, worauf dieser die altertümliche Karosse in Bewegung setzte und vor Broussels Haus fuhr.

Comminges klopfte zur gleichen Zeit, wo der Wagen hier hielt, an die Tür.

Man öffnete. Der Offizier fragte den Bedienten und erfuhr, daß Meister Broussel wirklich zu Hause war und zu Mittag speiste. Comminges ging hinter dem Bedienten und Friquet hinter Comminges die Treppe hinauf.

Broussel saß mit seiner Familie bei Tische, ihm gegenüber seine Frau, zu seinen beiden Seiten seine Töchter und am Ende der Tafel sein Sohn Louvières.

Beim Anblick des Offiziers fühlte sich Broussel etwas bewegt; als er aber sah, daß Comminges höflich grüßte, stand er auf und grüßte ebenfalls.

Aber trotz dieser gegenseitigen Artigkeit drückte sich aus den Gesichtern der Frauen Unruhe aus. Auch Louvières wurde sehr bleich und erwartete ungeduldig die Erklärung des Offiziers.

Mein Herr, sprach Comminges, ich bin der Überbringer eines Befehles Seiner Majestät des Königs.

Sehr wohl, mein Herr, antwortete Broussel, was für ein Befehl ist es? Und er streckte seine Hand aus.

Ich habe Befehl, mich Eurer Person zu bemächtigen, mein Herr, sprach Comminges, immer in demselben Tone und mit derselben Höflichkeit, und wenn Ihr mir glauben wollt, so werdet Ihr Euch die Mühe ersparen, diesen langen Brief zu lesen, und mir folgen.

Hätte der Blitz mitten unter diese so friedlich versammelten Leute geschlagen, die Wirkung hätte nicht furchtbarer sein können. Broussel wich ganz zitternd zurück. Es war in jener Zeit etwas Schreckliches, infolge der Feindschaft des Königs eingekerkert zu werden. Louvières machte eine Bewegung, als wollte er nach seinem Degen laufen, der in einer Ecke des Speisezimmers auf einem Stuhle lag, aber ein Blick des guten Broussel, der den Kopf nicht verlor, hemmte diese Bewegung. Frau Broussel zerfloß in Tränen. Die Töchter hielten ihren Vater umfangen.

Auf! mein Herr, sprach Comminges, beeilen wir uns; man muß dem König gehorchen.

Mein Herr, sagte Broussel, ich habe eine leidende Gesundheit und kann mich in diesem Zustand nicht gefangen geben. Ich verlange Zeit.

Das ist unmöglich, erwiderte Comminges. Der Befehl ist bestimmt und muß sogleich vollstreckt werden.

Unmöglich? sprach Louvières; hüten Sie sich wohl, mein Herr, uns zur Verzweiflung zu treiben.

Unmöglich? rief eine kreischende Stimme im Hintergrunde des Zimmers.

Comminges wandte sich um und sah, mit dem Besen in der Hand, Frau Nannette, deren Augen in allen Feuern des Zornes glänzten.

Meine gute Nannette, halte dich ruhig, ich bitte dich, sprach Broussel.

Ich mich ruhig halten, wenn man meinen Herrn verhaftet, meinen Herrn, die Stütze, den Befreier, den Vater des armen Volkes? Ach ja, Ihr kennt mich wohl … Wollt Ihr gehen? sagte sie zu Comminges.

Comminges lächelte und sprach, sich an Broussel wendend: Ich bitte, bringt dieses Weib zum Schweigen und folgt mir.

Ich schweigen, ich? rief Nannette. Ach, ja, da müßte noch ein anderer kommen, als Ihr, mein schöner Königsvogel. Ihr werdet es wohl sehen.

Und Dame Nannette stürzte ans Fenster und schrie mit einer durchdringenden Stimme: Zu Hilfe! Man verhaftet meinen Herrn! Man verhaftet den Rat Broussel! Zu Hilfe!

Mein Herr, sagte Comminges, erklärt Euch sogleich: Werdet Ihr gehorchen oder gedenkt Ihr einen Aufruhr zu erregen?

Ich gehorche, ich gehorche, mein Herr, sprach Broussel, indem er sich aus den Armen seiner Töchter loszumachen und mit dem Blicke seinen Sohn zurückzuhalten suchte.

Comminges umfaßte inzwischen die Magd, die mit ihrem Geschrei nicht aufhörte, mit dem Arme und wollte sie fortreißen. Aber in demselben Augenblick heulte eine andere Stimme aus dem Zwischenstock hervor in Falsetton: Mörder! Feuer! Mörder! Man tötet Herrn Broussel! Man erwürgt Herrn Broussel!

Es war Friquets Stimme. Als Frau Nannette sich unterstützt fühlte, fuhr sie noch kräftiger fort.

Bereits erschienen neugierige Köpfe an den Fenstern, und Volk lief herbei, das schnell immer zahlreicher wurde. Als Friquet dies bemerkte, sprang er vom Zwischenstock auf den Kutschenhimmel und rief: Sie wollen Herrn Broussel verhaften; es sind Leibwachen im Wagen, und der Offizier ist da oben.

Das Volk fing an zu murren, und der Lärm nahm immer mehr zu. Die Straße konnte die Menge nicht mehr fassen, die von allen Seiten herbeiströmte. Das von dem Gefreiten hundertmal wiederholte Geschrei: Im Namen des Königs! vermochte nichts mehr gegen diese furchtbare Menge, sondern schien sie im Gegenteil noch mehr aufzubringen, so daß die jetzt zwischen Haus und Wagen aufgestellten Garden in die höchste Gefahr gerieten, als ein Reiter herbeieilte und, da er sah, daß die Soldaten bedroht wurden, mit dem Degen in der Faust mitten ins Gedränge stürzte und den Garden eine unerwartete Hilfe brachte.

Dieser Reiter, dessen Antlitz vor Zorn bleich war, war ein junger Mensch von kaum fünfzehn bis sechzehn Jahren. Er stieg ab, lehnte sich mit dem Rücken an die Wagendeichsel, machte sich einen Wall aus seinem Pferde, zog seine Pistolen aus den Halftern, steckte sie in den Gürtel und fing an, um sich zu schlagen, wie ein Mensch, der mit der Handhabung des Schwertes vollkommen vertraut ist. Zehn Minuten lang hielt er den Kampf mit dem Volke allein aus. Jetzt sah man Comminges erscheinen und Broussel vor sich her treiben.

Zerschlagen wir den Wagen! rief das Volk.

Zu Hilfe! schrie die Alte.

Mörder! schrie Friquet, der sich eifrig damit beschäftigte, die Leibwachen mit allem zu beschießen, was ihm unter die Hand kam.

Im Namen des Königs! rief Comminges.

Der erste, der einen Schritt tut, stirbt von meiner Hand! rief Raoul, der, als er sich hart bedrängt sah, seine Degenspitze einem Riesen zu spüren gab, der ihn hatte zermalmen wollen, nunmehr aber, da er sich verwundet fühlte, brüllend zurückwich.

Denn es war Raoul, der, seinem Versprechen gegen den Grafen de la Fère gemäß, nach einer fünftägigen Abwesenheit von Blois zurückgekehrt und jetzt, um die Ceremonie mit anzuschauen, durch die Straßen geritten war, welche ihn in kürzerer Zeit nach Notre-Dame führten.

Comminges warf Broussel fast in die Kutsche und sprang nach. In diesem Augenblick erkrachte ein Büchsenschuß; eine Kugel fuhr von oben herab durch Comminges‘ Hut und zerschmetterte einer Leibwache den Arm. Comminges schaute empor und sah mitten im Pulverdampf an einem Fenster des zweiten Stockes das drohende Gesicht Louvières‘.

Gut, mein Herr, rief Comminges, Ihr sollt von mir hören.

Und Ihr auch, mein Herr, erwiderte Louvières; wir werden sehen, wer lauter spricht.

Tod dem Offizier! Tod! heulte das Volk, aufgeregt durch den Flintenknall.

Und es begann eine gewaltige Bewegung.

Noch einen Schritt, rief Comminges, das Kutschenleder zurückschlagend, daß man gut in den Wagen sehen konnte, und zugleich Broussel seinen Degen auf die Brust setzend, noch einen Schritt, und ich töte den Gefangenen! Ich habe Befehl, ihn tot oder lebendig zu bringen. Ich bringe ihn tot, und dann ist alles abgemacht.

Man vernahm einen furchtbaren Schrei. Broussels Frau und Töchter streckten flehend ihre Hände nach dem Volke aus.

Das Volk begriff, daß der bleiche, entschlossene Offizier seinen Worten gemäß handeln würde, und wich, obschon unter beständigen Drohungen, zurück.

Comminges ließ den verwundeten Soldaten zu sich in den Wagen steigen und befahl den andern, den Schlag zu schließen. Fahr nach dem Palast, sagte er zum Kutscher, der mehr tot als lebendig auf dem Bocke saß.

Dieser peitschte seine Pferde, und das Volk gab Raum. Als man aber nach dem Quai kam, mußte man anhalten. Der Wagen stürzte um. Die Pferde wurden von der Menge getreten, erstickt, zermalmt. Raoul, der immer noch zu Fuß war, denn er hatte nicht Zeit gehabt, wieder zu Pferd zu steigen, begann, da er es müde war, mit der flachen Klinge dreinzuschlagen, die Degenspitze zu gebrauchen; dasselbe taten die Leibwachen. Aber dieses furchtbare letzte Mittel brachte das Volk vollends außer sich. Bereits sah man von Zeit zu Zeit in der Menge einen Flintenlauf oder die Klinge eines Degens glänzen. Es erkrachten einige Schüsse, die ohne Zweifel bloß in die Luft gefeuert waren, aber das Echo ließ darum die Herzen nicht minder beben. Aus den Fenstern regnete es fortwährend mit Wurfgeschossen. Das Geschrei: Tod den Garden! In die Seine mit dem Offizier; übertönte den Lärm, so groß er auch war. Den Hut zerknittert, das Gesicht blutig, fühlte Raoul, wie ihn nicht nur seine Kraft, sondern auch der Verstand verließ. Seine Augen schwammen in einem rötlichen Nebel, und durch diesen Nebel sah er hundert drohende Arme sich ausstrecken, bereit, ihn zu ergreifen, wenn er fallen würde. Comminges raufte sich in dem umgestürzten Wagen vor Wut die Haare aus. Die Garden konnten niemand mehr Hilfe bringen, denn jeder war mit seiner eignen Verteidigung beschäftigt. Alles war verloren, Wagen, Pferde, Wachen, Soldaten und vielleicht der Gefangene, alles sollte in Stücke zerrissen werden, als plötzlich eine Raoul wohlbekannte Stimme ertönte und ein breites Schwert in der Luft glänzte. In demselben Augenblick öffnete sich die Menge, durchbrochen, niedergeworfen. Rechts und links stechend und schlagend, eilte ein Musketieroffizier Raoul zu Hilfe und faßte ihn im Augenblick, wo er niedersinken wollte, in die Arme.

Gottes Blut! rief der Offizier, haben sie ihn ermordet, dann wehe ihnen!

Und er wandte sich um, so furchtbar anzuschauen in seiner Stärke, in seinem Zorn, in seiner drohenden Gebärde, daß die wütendsten Rebellen sich auseinander stürzten, um zu entfliehen, und daß mehrere sogar in die Seine fielen.

Herr d’Artagnan, murmelte Raoul.

Ja, Gottes Blut, und mir scheint zu Eurem Glücke, mein junger Freund! Hört, Ihr Leute! rief er, sich auf den Steigbügeln erhebend und sein Schwert schwingend, während er mit Stimme und Gebärde Musketiere herbeirief, die ihm so schnell nicht hatten folgen können. Auf, fegt alles vom Platze. Ergreift die Musketen! Macht Euch fertig! Schlagt an!

Bei diesem Befehl verschwanden die Volkshaufen so rasch, daß sich d’Artagnan eines homerischen Lachens nicht enthalten konnte.

Ich danke, d’Artagnan, sprach Comminges, die Hälfte seines Leibes durch den Schlag der umgeworfenen Kutsche streckend. Wie heißt der junge Mann, damit ich ihn der Königin nennen kann?

Raoul wollte antworten, als d’Artagnan sich gegen sein Ohr neigte und zu ihm sagte: Schweigt und laßt mich antworten!

Dann sich gegen Comminges neigend, sprach er: Verliert keine Zeit, Comminges, geht aus dem Wagen heraus, wenn Ihr könnt, und laßt einen andern herbeischaffen. – Welchen? – Bei Gott, den ersten besten, der über den Pont-neuf kommen wird. Die Leute, die darin fahren, werden es hoffentlich für ein Glück halten, wenn sie ihre Kutsche für den Dienst des Königs leihen dürfen. – Aber ich weiß nicht … erwiderte Comminges. – Geht doch, oder in fünf Minuten kommen alle diese Lumpenkerle mit Schwertern und Musketen zurück. Ihr werdet getötet, und Euer Gefangener ist befreit. Vorwärts, seht, dort kommt gerade eine Kutsche!

Mit Hilfe dieser Kutsche und dank d’Artagnans Entschlossenheit, der beim abermaligen übermächtigen Andrang des Volkes mit seinen Musketieren auf die Menge lossprengte und sie noch einmal zum Weichen brachte, gelang es endlich, den Gefangenen in Sicherheit zu bringen. Sobald er selbst entbehrlich zu sein glaubte, wandte sich d’Artagnan mit Raoul seitwärts und erreichte mit ihm glücklich die Rehziege.

Die schöne Madeleine meldete d’Artagnan, Planchet sei mit Mousqueton zurückgekommen, der heldenmütig das Ausziehen der Kugel ertragen habe und sich so wohl befinde, als es bei seinem Zustand nur immer möglich sei.

D’Artagnan befahl nun, Planchet zu rufen; aber so oft man ihn auch rief, Planchet erschien nicht: er war verschwunden. Dann machte er Raoul wohlgemeinte Vorwürfe darüber, daß er sich unberufen als Mazariner in die bürgerlichen Streitigkeiten gemischt habe, er sage ihm dies im Namen des abwesenden Grafen de la Fère. Zugleich stand er auf, ging zu seinem Sekretär, nahm einen Brief und bot ihn Raoul.

Sobald Raoul das Papier durchlaufen hatte, trübten sich seine Blicke.

O mein Gott, sagte er, seine schönen, tränenfeuchten Äugen zu d’Artagnan aufschlagend, der Herr Graf hat also Paris verlassen, ohne mich zu sehen? – Er ist vor vier Tagen abgereist, sprach d’Artagnan. Wollt Ihr’s Euch gefallen lassen, mich einstweilen als Vormund anzunehmen? – Gewiß, Herr d’Artagnan, erwiderte Raoul; Ihr seid ein so braver Mann, und der Herr Graf de la Fère liebt Euch so sehr. – Ei, mein Gott, liebt mich auch, ich werde Euch nicht sehr plagen, aber unter der Bedingung, daß Ihr Frondeur seid, mein junger Freund, und zwar sehr Frondeur. – Kann ich fortwährend Frau von Chevreuse besuchen? – Ei, mein Gott, ja! und den Herrn Koadjutor auch und ebenso Frau von Longueville. – Gut, ich werde Euch gehorchen, obgleich ich Euch nicht verstehe. – Es ist nicht nötig, daß Ihr mich versteht. Halt! rief d’Artagnan, sich nach der Tür, welche man eben öffnete, wendend, hier kommt Herr du Vallon mit ganz zerrissenen Kleidern.

Ja, sprach Porthos, von Schweiß triefend und ganz mit Staub überzogen, für die zerrissenen Kleider habe ich viele Häute zerrissen. Wollten mir diese Lumpenkerle nicht mein Schwert nehmen? Pest! was für eine Volksbewegung! fügte der Riese mit ruhiger Miene bei. Aber ich habe wenigstens zwanzig mit dem Knopfe meines Balmung totgeschlagen. Gebt mir einen Tropfen Wein, d’Artagnan.

O, ich kenne Euch, sprach der Gascogner, Porthos‘ Glas bis an den Rand füllend; doch wenn Ihr getrunken habt, sagt mir Eure Meinung.

Porthos leerte das Glas auf einen Zug. Als er es auf den Tisch gestellt und seinen Schnurrbart ausgesaugt hatte, fragte er: Worüber?

Hier ist Herr von Bragelonne, der mit aller Gewalt bei der Verhaftung Broussels helfen wollte, und den ich nur mit großer Mühe von der Verteidigung des Herrn von Comminges abhalten konnte.

Teufel! versetzte Porthos, was würde der Vormund gesagt haben, wenn er es erfahren hätte!

Seht Ihr! rief d’Artagnan, seid Frondeur, mein Freund, und bedenkt, daß ich in jeder Beziehung die Stelle des Herrn Grafen einnehme.

Dann sich gegen seinen Gefährten umwendend, sprach er: Kommt Ihr mit, Porthos?

Wohin? fragte Porthos, sich ein zweites Glas Wein eingießend.

Wir wollen dem Kardinal unsere Aufwartung machen.

Porthos leerte das zweite Glas mit derselben Ruhe, mit der er das erste getrunken hatte, nahm seinen Hut und folgte d’Artagnan.

Die Fähre

Unser Leser wird sich Raouls erinnern, den wir auf der Straße nach Flandern verließen. Sobald er seinen Beschützer aus den Augen verloren hatte, gab er seinem Pferde die Sporen, einmal um seinen schmerzlichen Gedanken zu entfliehen, und dann um vor Olivain seine große Erregung zu verbergen.

Eine Stunde raschen Rittes zerstreute bald die düsteren Gedanken. Das unbekannte Vergnügen, frei zu sein, ein Vergnügen, das selbst die angenehm empfinden, die nie unter einer Abhängigkeit zu leiden hatten, vergoldete für Raoul Himmel und Erde und besonders den fernen, azurblauen Horizont des Lebens, den man Zukunft nennt.

Als er aber nach verschiedenen Versuchen, mit Olivain ein anregendes Gespräch zu führen, dieses Bemühen als fruchtlos aufgab, stimmte ihn die Erinnerung an die allezeit geistreiche und belehrende Unterhaltung des Grafen wieder traurig, und dieses Gefühl steigerte sich noch, als er am Wege ein Schlößchen erblickte, das ein wenig La Vallière glich. Dieser Anblick versetzte Raoul fünfzig Meilen westwärts, und wehmütig rief er sich jedes Zusammensein mit seiner kleinen Luise ins Gedächtnis zurück.

Mit trübem Herzen und schwerem Kopf befahl er Olivain, die Pferde in eine kleine Herberge zu führen, die er an der Landstraße, ungefähr in einer halben Büchsenschußweite über dem Orte erblickte, zu dem man gelangt war.

Hier war es sein erstes, an seinen Wohltäter einen Brief voll zärtlicher Dankbarkeit zu richten, während er den vom Wirte eifrig aufgetischten Imbiß Olivain überließ.

Hier sowohl wie im nächsten Orte, wo er seinen Brief zur Post gab, erfuhr er, daß ein junger Edelmann mit seinem Hofmeister vor ihm her und ebenfalls zum Heere reise. Nur drei Viertelstunden sollte er voraus, aber gut beritten sein und tüchtig ausgreifen.

Wir wollen diesen Edelmann einzuholen suchen, sagte Raoul zu Olivain, dann werden wir angenehme Gesellschaft haben.

Um vier Uhr nachmittags gelangten sie nach Compiègne, wo Raoul mit gutem Appetit zu Mittag speiste und hörte, der junge Edelmann habe die Absicht geäußert, in Noyon über Nacht zu bleiben. Sofort beschloß Raoul, ebenfalls noch an diesem Tage bis Noyon zu reiten.

Vergebens protestierte Olivain mit der Bemerkung, die Pferde seien ermattet, und achtzehn Meilen für die erste Tagereise genug.

Raoul fühlte sich selbst müde; aber er wünschte seine Kräfte zu versuchen, und da er den Grafen tausendmal von Etappen von fünfundzwanzig Stunden hatte sprechen hören, wollte er nicht gar zu sehr hinter seinem Vorbild zurückbleiben.

Er ritt also immer fort, wobei er von Zeit zu Zeit den Gang seines Pferdes trotz der Bemerkungen Olivains zu beschleunigen suchte, und folgte einer reizenden schmalen Straße, welche zu einer Fähre führte und, wie man ihm versichert hatte, den Weg um eine Meile abkürzte. Auf dem Gipfel eines Hügels angelangt, erblickte er den Fluß vor sich. Ein kleiner Trupp von Berittenen hielt am Ufer und stand im Begriff, sich einzuschiffen. Da Raoul nicht zweifelte, daß es der Edelmann und sein Geleite sei, rief er, war aber noch zu weit entfernt, um gehört zu werden. Er setzte daher sein Pferd, so müde es auch war, in Galopp, aber eine wellenförmige Erhöhung entzog ihm bald den Anblick der Reisenden, und als er auf eine neue Anhöhe gelangte, hatte die Fähre das Ufer verlassen und schwamm nach dem entgegengesetzten Gestade.

Als Raoul sah, daß er nicht zeitig genug hinabgelangen konnte, um mit den Reisenden über den Fluß zu setzen, hielt er an und wartete auf Olivain.

In diesem Augenblicke hörte man einen Schrei, der vom Flusse zu kommen schien. Raoul wandte sich auf die Seite, von wo der Schrei erscholl, hielt die Hand über seine von der untergehenden Sonne geblendeten Augen und rief: Olivain, was seh‘ ich da unten!

Ein zweiter, noch durchdringenderer Schrei erscholl.

Ei, gnädiger Herr, sagte Olivain, das Seil der Fähre ist gerissen, und das Schiff treibt ab. Aber was seh‘ ich dort im Wasser?

Ja! rief Raoul, seine Blicke auf einen Punkt im Flusse heftend, es ist ein Pferd, ein Reiter! – Sie sinken! rief Olivain.

Raoul ließ sofort seinem Pferde die Zügel schießen, drückte ihm die Sporen in den Leib, und das Tier sprang, vom Schmerze gestachelt, über eine Art von Geländer, das den Landungsplatz umgab, und in den Fluß hinein, so daß Schaumwogen aufspritzten.

Ach, gnädiger Herr! rief Olivain, was macht Ihr? Mein Gott und Vater!

Raoul lenkte sein Pferd nach dem Unglücklichen, der in Gefahr schwebte. Es war dies übrigens ein ihm vertrautes Manöver. An den Ufern der Loire geboren, hatte er hundertmal den Strom zu Pferde durchschwommen.

O mein Gott! fuhr Olivain ganz in Verzweiflung fort, was würde der Herr Graf sagen, wenn er Euch erblickte!

Der Graf hätte es gemacht, wie ich, antwortete Raoul, sein Pferd kräftig antreibend.

Aber ich, aber ich! rief Olivain, der sich ganz bleich am Ufer hin- und hertrieb, wie soll ich hinüberkommen?

Spring, Hasenherz! rief Raoul, beständig schwimmend.

Dann wandte er sich an den Reisenden, der sich zwanzig Schritte vor ihm abarbeitete, und rief ihm zu: Mut, mein Herr, Mut, es kommt Hilfe!

Olivain ritt vor und wich zurück, ließ sein Pferd sich bäumen und warf sich endlich, von Scham überwältigt, wie Raoul in den Fluß, wobei er aber beständig vor sich hinbrummte: Ich bin tot! Wir sind verloren!

Die Fähre lief indessen, von der Strömung erfaßt, rasch den Fluß hinab, und man hörte ihre Insassen laut um Hilfe rufen.

Ein Mann mit grauen Haaren war aus der Fähre in den Fluß gesprungen und schwamm kräftig auf die Person zu, die dem Ertrinken nahe war. Aber er rückte nur langsam vorwärts, da er gegen den Strom schwimmen mußte.

Raoul bemerkte, wie Pferd und Reiter, denen er Hilfe bringen wollte, immer mehr untersanken. Das Tier hatte nur noch die Nüstern über dem Wasser, und der Reiter, der bei der Anstrengung gegen die Wellen die Zügel losließ, streckte die Arme aus und den Kopf vorwärts. Noch eine Minute, und alles war verschwunden.

Mut! rief Raoul, Mut!

Das Wasser lief bereits über den Kopf des Ertrinkenden und erstickte seine Stimme.

Raoul warf sich von seinem Pferde, dem er die Sorge für seine Selbsterhaltung überließ, und in drei bis vier Stößen war er bei dem Edelmann. Er ergriff sogleich das Pferd bei der Kinnkette und hob ihm den Kopf über das Wasser; das Tier atmete nun freier und verdoppelte seine Anstrengungen. Zugleich erfaßte Raoul eine der Hände des jungen Mannes und führte sie an die Mähne, an die sie sich augenblicklich mit der unwillkürlichen Zähigkeit des Ertrinkenden anklammerte. Überzeugt, daß der Reiter nicht mehr loslassen würde, beschäftigte sich Raoul nur noch mit dem Pferde, das er nach dem entgegengesetzten Ufer lenkte, während er es beim Durchschneiden des Wassers unterstützte und mit aufmunterndem Zuruf antrieb.

Bald stieß das Tier auf einen festen Grund und faßte Fuß auf dem Sande.

Gerettet! rief der Mann mit den grauen Haaren, der nun ebenfalls Fuß faßte.

Gerettet! murmelte mechanisch der junge Edelmann, ließ die Mähne los und glitt über den Sattel herab in Raouls Arme.

Raoul war nur zehn Schritte vom Ufer entfernt. Er trug den ohnmächtigen Jüngling dahin, legte ihn auf das Gras, riß die Schnüre seines Kragens auf und löste die Spangen seines Wamses.

Eine Minute nachher war der Mann mit den grauen Haaren bei ihm.

Allmählich kehrte durch die Bemühungen Raouls und des Alten das Leben auf die bleichen Wangen des Kavaliers zurück, der nun die Augen wieder öffnete, ganz verwirrt umherschaute, dann aber bald seine Blicke auf den heftete, der ihn gerettet hatte.

Ach, mein Herr! rief er, Euch suchte ich; ohne Euch war ich tot, dreimal tot!

Ei, man wird auch wieder lebendig, wie Ihr seht, mein Herr, antwortete Raoul, und Ihr seid mit einem Bade davongekommen.

Welchen Dank sind wir Euch schuldig! rief der Graukopf.

Ah, Ihr seid hier, mein guter d’Arminges! Ich habe Euch sehr geängstigt, nicht wahr? Aber daran seid Ihr selbst schuld. Ihr wart mein Lehrer, warum habt Ihr mich nicht besser schwimmen gelehrt?

Ach, Herr Graf, sprach der Greis, wenn Euch Unheil widerfahren wäre, ich hätte es nie wieder gewagt, mich vor dem Herrn Marschall zu zeigen!

Aber wie ist es denn zugegangen? fragte Raoul.

Ganz einfach, antwortete der Gerettete. Wir hatten ungefähr den dritten Teil des Flusses erreicht, als das Seil der Fähre zerriß. Bei dem Geschrei und den Bewegungen der Ruderer scheute mein Pferd und sprang in den Fluß. Ich schwimme schlecht und wagte es nicht, mich ins Wasser zu stürzen. Statt die Bewegungen meines Rosses zu unterstützen, lähmte ich sie und war nahe daran, aufs allerschönste zu ertrinken, als Ihr gerade zur rechten Zeit kamt, um mich aus dem Fluß zu ziehen. Wenn Ihr einverstanden seid, mein Herr, so gehören wir einander von nun an auf Leben und Tod.

Mein Herr, sprach Raoul, sich verbeugend, ich bin, das versichere ich Euch, ganz und gar Euer Diener.

Ich heiße Graf von Guiche, fuhr der Reiter fort. Mein Vater ist der Marschall von Grammont. Und nun, da Ihr wißt, wer ich bin, so werdet Ihr mir wohl die Ehre erzeigen, mir zu sagen, wer Ihr seid.

Ich bin der Vicomte von Bragelonne, sprach Raoul, errötend, weil er seinen Vater nicht nennen konnte, wie der Graf von Guiche es getan hatte.

Vicomte, Euer Gesicht, Eure Güte und Euer Mut ziehen mich zu Euch hin, Ihr besitzt bereits meine ganze Dankbarkeit. Umarmen wir uns, ich bitte Euch um Eure Freundschaft.

Mein Herr, entgegnete Raoul, indem er die Umarmung des Grafen erwiderte, auch ich liebe Euch bereits von ganzem Herzen. Betrachtet mich also, ich bitte Euch, als einen ergebenen Freund.

Und nun, wohin geht Ihr? fragte Guiche.

Zum Heere des Prinzen, Graf.

Ich ebenfalls, rief der junge Mann, höchst erfreut. O schön, wir tun den ersten Pistolenschuß miteinander.

So ist es gut; liebt Euch! sprach der Hofmeister. Beide noch jung, hat Euch ohne Zweifel Euer Stern zusammengeführt. Nun aber, fuhr er fort, müßt Ihr die Kleider wechseln. Eure Lakaien müssen bereits im Gasthof angelangt sein. Frische Wäsche und Wein sollen Euch erwärmen. Kommt! Die jungen Leute hatten gegen diesen Vorschlag nichts einzuwenden; sie stiegen wieder zu Pferde und schauten einander bewundernd an: es waren in der Tat zwei schmucke Reiter von schlankem, hohem Wuchs, zwei edle Gesichter mit offener Stirn, sanftem, stolzem Blick, redlichem, feinem Lächeln. Guiche mochte ungefähr achtzehn Jahre alt sein, aber er war kaum größer als Raoul, der erst fünfzehn zählte.

Sie reichten sich mit einer unwillkürlichen Bewegung die Hand, spornten ihre Pferde und ritten nebeneinander vom Flusse nach dem Gasthof.