Die Edelleute

Während Mordaunt nach dem Zelte Cromwells ging, führten d’Artagnan und Porthos ihre Gefangenen in das Haus, das ihnen von Cromwell als Wohnung in Newcastle angewiesen worden war.

Der Befehl, den Mordaunt dem Sergeanten erteilt hatte, war dem Gascogner nicht entgangen, und er hatte deshalb Athos und Aramis mit einem schnellen Blick die strengste Klugheit empfohlen. Aramis und Athos gingen schweigend neben ihren Besiegern, was ihnen nicht schwer wurde, denn jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.

War je ein Mensch erstaunt, so war es Mousqueton, als er von der Türschwelle aus die vier Freunde, gefolgt von dem Sergeanten und etwa einem Dutzend Leute, herbeikommen sah. Er rieb sich die Augen, denn er konnte sich nicht entschließen, an die Leibhaftigkeit von Athos und Aramis zu glauben, aber endlich mußte er sich dem unwiderleglichen Beweise der Sinne fügen. Er war auch im Begriff, sich in Ausrufungen Luft zu machen, als ihm Porthos mit einem jener Blicke, die keinen Widerspruch zulassen, Stillschweigen auferlegte.

Mousqueton blieb gleichsam an der Tür kleben, er wartete, bis diese seltsame Erscheinung sich aufklären würde; was ihn hauptsächlich störte, war, daß die Freunde aussahen, als ob sie einander gar nicht mehr kannten.

Das Haus, in das d’Artagnan und Porthos ihre Gefangenen führten, war das, welches sie seit dem vorhergehenden Tage bewohnten; es bildete die Ecke einer Straße, hatte einen kleinen Garten, und die Ställe gingen nach der andern Straße.

Die Fenster des Erdgeschosses waren, wie dies häufig in kleinen Provinzialstädten der Fall ist, vergittert und hatten dadurch große Ähnlichkeit mit denen eines Gefängnisses.

Die beiden Freunde ließen die Gefangenen vor sich eintreten und blieben auf der Schwelle stehen, nachdem sie Mousqueton den Befehl gegeben hatten, die vier Pferde in den Stall zu führen.

Warum gehen wir nicht mit ihnen hinein? sprach Porthos.

Weil wir zuvor sehen müssen, antwortete d’Artagnan, was der Sergeant und die acht oder zehn Mann, die ihn begleiten, wollen.

Der Sergeant und die acht bis zehn Mann stellten sich im Garten auf.

D’Artagnan fragte sie, was sie wollten und warum sie hier blieben.

Wir haben Befehl erhalten, Euch die Gefangenen bewachen zu helfen, erwiderte der Sergeant.

Hiergegen ließ sich nichts sagen, es war im Gegenteil eine zarte Aufmerksamkeit, für die man erkenntlich zu sein sich den Anschein geben mußte. D’Artagnan dankte also dem Sergeanten und schenkte ihm eine Krone, um auf die Gesundheit des Generals Cromwell zu trinken.

Der Sergeant antwortete, die Puritaner trinken nicht, steckte aber die Krone in seine Tasche.

Ah! sprach Porthos, was für ein abscheulicher Tag, mein lieber d’Artagnan.

Was sagt Ihr da, Porthos! Ihr nennt den Tag, an dem wir unsere Freunde wiedergefunden haben, einen abscheulichen Tag?

Ja, aber unter welchen Umständen?

Die Verhältnisse sind allerdings ziemlich schwierig, versetzte d’Artagnan; doch gleichviel, gehen wir zunächst zu ihnen hinein und suchen über unsere Lage völlige Klarheit zu gewinnen!

Sie ist sehr verwickelt, sprach Porthos, und ich begreife jetzt, warum mir Aramis so dringend empfohlen hat, diesen furchtbaren Mordaunt zu erwürgen.

Still, sprecht diesen Namen nicht aus.

Ich spreche doch Französisch, und sie sind Engländer, entgegnete Porthos und ging mit seinem Freunde auf die Tür zu. Porthos trat zuerst ein, d’Artagnan folgte ihm. D’Artagnan schloß die Tür sorgfältig und umarmte die Freunde nacheinander.

Athos war von einer tödlichen Traurigkeit befallen. Aramis schaute abwechselnd Porthos und d’Artagnan an, ohne etwas zu sagen; aber sein Blick war so ausdrucksvoll, daß d’Artagnan ihn begriff.

Ihr wollt wissen, wie es kommt, daß wir hier sind? Ei! mein Gott, das ist leicht zu erraten. Mazarin hat uns beauftragt, dem General Cromwell einen Brief zu überbringen. Aber wie kommt es, daß Ihr Euch an der Seite dieses Mordaunt befindet, sprach Athos, dieses Mordaunt, von dem ich Euch sagte, Ihr solltet ihm mißtrauen, d’Artagnan?

Den ich Euch zu erdrosseln empfahl, Porthos! sagte Aramis.

Mazarin ist auch davon die Ursache. Cromwell hat ihn an Mazarin geschickt, Mazarin schickte uns an Cromwell und hieß uns dessen Weisungen folgen.

Ja, Ihr habt recht, d’Artagnan, ein Unstern, der uns trennt und ins Verderben stürzt. Sprechen wir also nicht mehr davon, Aramis, und bereiten wir uns darauf vor, dem Schicksal zu erliegen!

Gottes Blut! rief d’Artagnan, sprechen wir im Gegenteil davon, denn es ist ein für allemal abgemacht, daß wir immer zusammenhalten, wenn wir auch einer entgegengesetzten Sache dienen.

Ja, einer sehr entgegengesetzten! sprach Athos lächelnd, denn ich frage Euch: Welcher Sache dient Ihr hier? Ach, d’Artagnan, seht, wozu Euch dieser elende Mazarin verwendet. Wißt Ihr, welches Verbrechens Ihr Euch heute schuldig gemacht habt? Der Gefangennehmung des Königs, seiner Schmach, seines Todes.

Oh! oh! versetzte Porthos, glaubt Ihr?

Ihr übertreibt, Athos, sprach d’Artagnan, wir sind noch nicht so weit.

Ei, mein Gott, wir sind im Gegenteil so weit. Warum nimmt man einen König gefangen? Wenn man die Absicht hat, ihn als Herrn zu achten, erkauft man ihn nicht wie einen Sklaven. Glaubt Ihr, daß ihn Cromwell mit zweimalhunderttaufend Pfund Sterling bezahlt hat, um ihn wieder auf den Thron zu setzen? Freunde, seid überzeugt, sie werden ihn töten, und das ist noch das geringste Verbrechen, das sie begehen können. Es ist besser, einen König enthaupten, als ihn beschimpfen.

Ich widerspreche Euch nicht, und es mag schließlich wohl sein, wie Ihr sagt, sagte d’Artagnan; aber was geht das uns an? Ich bin hier, weil ich Soldat bin, weil ich meinen Herren diene, das heißt denen, die mir meinen Sold bezahlen. Ich habe den Eid des Gehorsams geleistet und gehorche. Aber ihr, die ihr keine Eide geleistet habt, warum seid ihr hier, und welcher Sache dient Ihr?

Der heiligsten Sache, die es auf der Welt gibt, erwiderte Athos, der Sache des Unglücks, des Königtums, der Religion. Ein Freund, eine Gattin, eine Tochter haben uns die Ehre erwiesen, uns zu Hilfe zu rufen. Wir haben ihnen nach unsern schwachen Mitteln gedient, und Gott wird uns in Ermangelung der Kraft den guten Willen anrechnen. Ihr könnt anders denken, d’Artagnan, Ihr könnt die Sache anders ansehen, Freund, ich will Euch nicht davon abbringen, aber ich tadle Euch!

Oh! oh! sprach d’Artagnan, was geht es mich am Ende an, wenn Cromwell, der ein Engländer ist, sich gegen seinen König, einen Schotten, empört? Ich bin Franzose, alle diese Dinge berühren mich nicht; warum wolltet Ihr mich also dafür verantwortlich machen?

Darum, sagte Athos, weil alle Edelleute Brüder sind, weil Ihr ein Edelmann seid, weil die Könige aller Länder die ersten unter den Edelleuten sind, weil der blinde, undankbare, alberne Pöbel immer ein Vergnügen daran findet, das Erhabene zu erniedrigen; … und Ihr, d’Artagnan, der Mann der alten Ritterlichkeit, der Mann mit dem schönen Namen, der Mann mit dem guten Schwerte, Ihr habt dazu beigetragen, einen König an Bierbrauer, Schneider und Kärrner auszuliefern. Ah! d’Artagnan, als Soldat habt Ihr vielleicht Eure Pflicht getan, aber als Edelmann habt Ihr Euch mit einer Schuld befleckt, das sage ich Euch.

D’Artagnan kaute an einem Blumenstengel, antwortete nicht und fühlte sich unbehaglich, denn als er seinen Blick von Athos abwandte, begegnete er Aramis‘ Blick.

Und Ihr, Porthos, fuhr der Graf fort, als hätte er Mitleid mit der Verlegenheit d’Artagnans, Ihr, das beste Herz, der beste Freund, der beste Soldat, den ich kenne, Ihr, der vermöge seines Gemüts würdig wäre, auf den Stufen eines Thrones geboren zu sein, und dem ein einsichtsvoller König früher oder später seinen Lohn erteilen wird, Ihr, mein lieber Porthos, ein Edelmann durch Sitten, Neigung und Mut, Ihr seid ebenso schuldig, als d’Artagnan.

Porthos errötete mehr aus Vergnügen, als aus Scham, senkte aber doch den Kopf, als wäre er sehr gedemütigt.

Ja, ja, sagte er, ich glaube, Ihr habt recht, mein lieber Graf.

Athos erhob sich.

Hört, sprach er, auf d’Artagnan zugehend und ihm die Hand reichend, schmollt nicht, mein teurer Sohn, denn alles, was ich Euch gesagt, habe ich, wenn nicht mit dem Tone, doch mit dem Herzen eines Vaters gesagt. Glaubt mir, es wäre mir leichter geworden, Euch dafür zu danken, daß Ihr mir das Leben gerettet habt, und kein Wort von meinen Gefühlen zu sprechen.

Gewiß, gewiß, Athos, erwiderte d’Artagnan, ihm ebenfalls die Hand drückend, Ihr habt aber auch ganz verdammte Ideen, die nicht jedermann haben kann. Wer kann sich denken, daß ein vernünftiger Mensch sein Haus, Frankreich, sein Mündel, einen allerliebsten jungen Burschen, verlassen könne – um wohin zu eilen? einem verfaulten, wurmstichigen Königtum zu Hilfe, das eines Morgens wie eine alte Baracke zusammenstürzen wird. Das Gefühl, von dem Ihr sprecht, ist allerdings schön, so schön, daß es übermenschlich erscheint.

Wie dem sein mag, erwiderte Athos, ohne in die Falle zu gehen, die d’Artagnan mit seiner gascognischen Geschicklichkeit seiner väterlichen Liebe für Raoul stellte, wie dem sein mag, Ihr wißt, daß dieses Gefühl richtig ist; aber ich habe unrecht, mit meinem Herrn zu streiten … d’Artagnan, ich bin Euer Gefangener, behandelt mich als solchen.

Ah, bei Gott! versetzte d’Artagnan, Ihr wißt wohl, daß Ihr nicht lange mein Gefangener sein werdet.

Nein, sagte Aramis, denn man wird uns ohne Zweifel behandeln, wie die, welche man in Philipphaus gefangen genommen hat.

Wie hat man diese behandelt? fragte d’Artagnan.

Man hat die eine Hälfte gehängt und die andere erschossen, erwiderte Aramis.

Wohl, ich stehe euch dafür, daß ihr, solange ein Tropfen Blut in meinen Adern ist, weder gehängt noch erschossen werden sollt, sprach d’Artagnan. Gottes Blut! Sie mögen kommen! Überdies, seht Ihr diese Türe, Athos?

Nun?

Ihr geht durch diese Tür, wann Ihr wollt, denn von diesem Augenblick an seid Ihr und Aramis frei wie die Luft.

Daran erkenne ich Euch, mein braver d’Artagnan, erwiderte Athos, aber Ihr seid nicht mehr unser Herr, diese Tür wird bewacht, Ihr wißt es wohl, d’Artagnan.

Gut, ihr sprengt sie, sagte Porthos. Was ist dabei? Höchstens zehn Mann.

Das wäre nichts für uns vier, es ist aber zu viel für zwei. Nein, seht, geteilt wie wir jetzt sind, müssen wir untergehen. Erinnert Euch des unseligen Beispiels: auf der Straße wurdet Ihr, d’Artagnan, der Brave, und Ihr, Porthos, der Mutige, Starke, geschlagen. Heute sind wir’s, die Reihe ist an mir und Aramis. Nie aber ist uns dies begegnet, wenn wir alle vier vereint waren. Sterben wir also, wie Lord Winter gestorben ist; ich meinerseits erkläre, daß ich in eine Flucht nur dann einwillige, wenn wir alle vier miteinander fliehen.

Unmöglich, sprach d’Artagnan, wir stehen unter Mazarins Befehl.

Ich weiß es und dringe nicht weiter in Euch; meine Beweisgründe haben nichts gefruchtet, ohne Zweifel waren sie schlecht, da sie auf so verständige Leute, wie Ihr seid, keine Wirkung hervorbrachten.

Hätten sie auch eine Wirkung hervorgebracht, versetzte Aramis, so tun wir doch am besten, wenn wir zwei so vortreffliche Freunde, wie d’Artagnan und Porthos, nicht bloßstellen. Seid unbesorgt, meine Herren, wir werden euch sterbend Ehre machen. Ich meinesteils fühle mich ganz stolz, in Eurer Gesellschaft, Athos, den Kugeln und sogar dem Strang entgegenzusehen, denn Ihr seid mir nie so groß erschienen, wie heute.

D’Artagnan sagte nichts, aber nachdem er den Stengel seiner Blume zerkaut hatte, kaute er an den Nägeln.

Ihr denkt, man werde euch töten, sprach er endlich. Warum dies? Wer hat ein Interesse bei eurem Tode? Überdies seid ihr unsere Gefangenen.

Tor, dreifacher Tor! entgegnete Aramis, kennst du Mordaunt nicht? Ich habe nur einen Blick mit ihm gewechselt, und in diesem Blicke las ich, daß wir verurteilt sind.

Es tut mir in der Tat leid, daß ich ihn nicht erwürgte, wie Ihr es haben wolltet, Aramis, versetzte Porthos.

Ei, ich kümmere mich den Henker um Mordaunt, rief d’Artagnan; Gottes Blut! Kitzelt mich dieses Insekt zu sehr, so zertrete ich es. Flüchtet euch also nicht, es ist unnötig, denn ich schwöre euch, ihr seid hier ebenso sicher, als ihr es vor zwanzig Jahren, Ihr, Athos, in der Rue Ferou, und Ihr, Aramis, in der Rue Vaugirard wäret.

Halt! sprach Athos, seine Hand nach einem der vergitterten Fenster ausstreckend, die das Zimmer erhellten, Ihr werdet sogleich erfahren, woran Ihr Euch zu halten habt, denn er eilt eben herbei.

Wer?

Mordaunt.

Der Richtung folgend, die Athos‘ Hand andeutete, sah d’Artagnan jetzt einen Reiter im Galopp herbeisprengen.

Er war in der Tat Mordaunt.

D’Artagnan stürzte aus dem Zimmer.

Porthos wollte folgen.

Bleibt, sagte d’Artagnan, und kommt erst, wenn Ihr mit den Fingern an der Tür trommeln hört.

Die Unterredung

D’Artagnan lag an diesem Morgen in Porthos‘ Zimmer, da die Freunde in diesen unruhigen Zeiten aus Vorsicht stets in einem Zimmer schliefen. Unter ihrem Kopfkissen war ihr Degen, und auf dem Tisch, im Bereich ihrer Hand, lagen ihre Pistolen.

D’Artagnan schlief noch und träumte, der Himmel bedecke sich mit einer großen, gelben Wolke; aus dieser Wolke ströme ein Goldregen herab, und er halte seinen Hut unter eine Traufe.

Porthos träumte, sein Kutschenschlag sei nicht breit genug für das Wappen, das er darauf malen ließ.

Sie wurden um sieben Uhr von einem Diener ohne Livree geweckt, der d’Artagnan einen Brief brachte.

Von wem? fragte der Gascogner.

Von der Königin, antwortete der Diener.

D’Artagnan nahm schnell das Schreiben, öffnete es, las es und sagte:

Freund Porthos, hier drin stecken dein Barontitel und mein Kapitänspatent. Nimm, lies und urteile!

Porthos streckte die Hand aus, nahm den Brief und las folgende Worte von einer zitternden Hand: Die Königin will Herrn d’Artagnan sprechen … Er folge dem Überbringer.

D’Artagnan kleidete sich blitzschnell an.

Während Porthos, der immer noch im Bette lag, ihm seinen Mantel zuhäkelte, klopfte man zum zweiten Male an die Tür.

Herein, sprach d’Artagnan.

Ein zweiter Diener trat ein.

Von Seiner Eminenz, dem Herrn Kardinal Mazarin, sagte er.

D’Artagnan schaute Porthos an.

Die Sache wird verwickelt, sagte Porthos, wo anfangen? – Das kommt vortrefflich! versetzte d’Artagnan. Seine Eminenz bestellt mich in einer halben Stunde. – Gut. – Mein Freund, sprach, d’Artagnan, sich zu dem Bedienten umwendend, sagt Seiner Eminenz, in einer halben Stunde sei ich zu seinem Befehl.

Der Diener verbeugte sich und ging ab.

Es ist ein Glück, daß er den andern nicht gesehen hat, sagte d’Artagnan. – Du glaubst also, beide lassen dich wegen derselben Sache holen? – Ich glaube nicht, ich bin davon überzeugt. – Vorwärts, vorwärts, d’Artagnan, geschwind! Bedenke, daß die Königin dich erwartet, und nach der Königin der Kardinal, und nach dem Kardinal ich.

D’Artagnan rief den Bedienten Annas von Österreich, den er nach Abgabe des Schreibens hatte ins Nebenzimmer gehen und dort warten lassen, herein und sagte zu ihm: Ich bin bereit, mein Freund, führt mich.

Der Diener führte ihn durch die Rue des Petits-Champs und ließ ihn, mit einer Wendung nach links, durch die kleine Gartentüre eintreten, die nach der Rue de Richelieu ging. Dann erreichte man eine geheime Treppe, und d’Artagnan wurde ins Betzimmer eingeführt.

Ein leises Geräusch unterbrach die Stille des Betzimmers. D’Artagnan bebte, sah eine weiße Hand den Vorhang heben und erkannte an ihrer Form und Schönheit die königliche Hand, die man ihn eines Tags hatte küssen lassen. Die Königin trat ein.

Ihr seid es, Herr d’Artagnan! sprach sie, auf den Offizier einen Blick voll freundlicher Schwermut heftend, Ihr seid es, und ich erkenne Euch wieder. Schaut mich ebenfalls an; ich bin die Königin, erkennt Ihr mich? – Nein, Madame, antwortete d’Artagnan. – Aber wißt Ihr denn nicht mehr, fuhr Anna von Österreich mit jenem einschmeichelnden Tone fort, den sie, wenn sie wollte, ihrer Stimme zu verleihen vermochte, wißt Ihr denn nicht mehr, daß die Königin eines Tags eines jungen und ergebenen Kavaliers bedurfte, daß sie diesen Kavalier fand, und daß sie, obgleich er sich von ihr vergessen glauben konnte, im Grunde ihres Herzens einen Platz für ihn bewahrte? – Nein, Madame, ich weiß es nicht, sprach der Musketier. – Desto schlimmer, mein Herr, sagte Anna von Österreich, desto schlimmer, wenigstens für die Königin, denn die Königin bedarf heute desselben Mutes und derselben Ergebenheit. – Wie! rief d’Artagnan, die Königin, die von so treuen Dienern, von so weisen Räten, von so verdienstvollen und hochgestellten Männern umgeben ist, läßt sich herab, ihre Augen auf einen unbekannten Soldaten zu werfen!

Anna begriff diesen Vorwurf; sie wurde dadurch mehr gerührt, als gereizt. Die große Selbstverleugnung und Uneigennützigkeit des gascognischen Edelmannes hatte sie wiederholt gedemütigt. Sie hatte sich an Edelmut übertreffen lassen.

Alles, was Ihr mir da von meiner Umgebung sagt, ist vielleicht wahr, sprach die Königin, aber ich habe zu Euch allein Vertrauen. Ich weiß, daß Ihr dem Herrn Kardinal angehört; gehört aber auch mir an, und ich übernehme es, Euer Glück zu machen. Wollt Ihr für mich heute tun, was jener Edelmann, den Ihr nicht kennt, einst für die Königin getan hat?

Ich werde alles tun, was Ew. Majestät mir befiehlt, sprach d’Artagnan.

Die Königin dachte einen Augenblick nach und sagte sodann, als sie die ruhige Haltung des Musketiers wahrnahm:

Ihr liebt vielleicht die Ruhe? – Ich kann das nicht sagen, denn ich habe nie geruht, Madame. – Habt Ihr Freunde? – Ich habe drei; zwei von ihnen haben Paris verlassen, und es ist mir nicht bekannt, wohin sie gegangen sind. Ein einziger bleibt mir, aber dieser ist einer von denen, die, wie ich glaube, den Kavalier kennen, von dem Ew. Majestät mit mir zu sprechen geruht hat. – Es ist gut, sagte die Königin, Ihr und Euer Freund wägt eine ganze Armee auf. – Was soll ich tun, Madame? – Kommt um fünf Uhr zurück, und ich werde es Euch sagen. Aber sprecht mit keiner lebendigen Seele von dem Rendezvous, das ich Euch gebe. – Nein, Madame. – Schwört bei Christus. – Madame, ich habe nie mein Wort gebrochen; wenn ich nein sage, so bleibt es bei dem Nein!

Obgleich erstaunt über die Sprache, an die ihre Höflinge sie nicht gewöhnt hatten, zog doch die Königin daraus einen guten Schluß auf den Eifer, womit d’Artagnan sie bei der Ausführung ihres Vorhabens unterstützen würde.

Hat mir die Königin für den Augenblick nichts anderes mehr zu befehlen?

Nein, mein Herr, antwortete Anna von Österreich, und Ihr könnt bis zu dem bezeichneten Augenblick abtreten.

D’Artagnan verbeugte sich und trat ab.

Teufel, sagte er, als er vor der Tür war, es scheint, man bedarf hier meiner sehr.

Als sodann die halbe Stunde abgelaufen war, ging er durch die Galerie und klopfte an die Tür des Kardinals.

Bernouin führte ihn ein.

Ich stelle mich zu Euern Befehlen, Monseigneur, sprach der Gascogner.

Seiner Gewohnheit gemäß warf d’Artagnan einen raschen Blick um sich her, und er gewahrte auf dem Schreibtisch einen versiegelten Brief. Er lag auf der Vorderseite, so daß man die Adresse nicht lesen konnte.

Ihr kommt von der Königin? sprach Mazarin, d’Artagnan fest anschauend. – Ich, Monseigneur? Wer hat Euch das gesagt? – Niemand, aber ich weiß es. – Es tut mir unendlich leid, Monseigneur, sagen zu müssen, daß Ihr Euch täuscht, antwortete der Gascogner, gestählt durch das Versprechen, das er Anna von Österreich gegeben hatte, mit frecher Stirn.

Ich habe selbst das Vorzimmer geöffnet und Euch vom Ende der Galerie herkommen sehen.

Ich wurde über die geheime Treppe eingeführt.

Wie dies?

Ich weiß es nicht, es wird wohl ein Mißverständnis gewesen sein.

Mazarin wußte, daß man aus d’Artagnan nicht so leicht etwas herausbrachte, was er verbergen wollte. Er verzichtete also für den Augenblick darauf, das Geheimnis des Gascogners zu enthüllen.

Sprechen wir von meinen Angelegenheiten, sagte der Kardinal, da Ihr mir die Eurigen nicht mitteilen wollt.

D’Artagnan verbeugte sich.

Liebt Ihr das Reisen? fragte der Kardinal. – Ich habe mein Leben auf der Landstraße zugebracht. – Sollte Euch etwas in Paris zurückhalten? – Nichts würde mich in Paris zurückhalten, als ein höherer Befehl. – Gut. Hier ist ein Brief, der an seine Adresse überbracht werden muß. – An seine Adresse, Monseigneur, es ist keine darauf.

Auf der dem Siegel entgegengesetzten Seite war wirklich keine Schrift zu finden.

Der Brief hat einen doppelten Umschlag, versetzte Mazarin. – Ich begreife … ich soll den ersten zerreißen, wenn ich an Ort und Stelle angelangt bin. – Vortrefflich. Steckt den Brief ein und geht. Ihr habt einen Freund, Herrn du Vallon, ich liebe ihn sehr. Nehmt ihn mit Euch. Zögert Ihr? rief Mazarin. – Nein, Monseigneur, ich reise auf der Stelle, nur wünsche ich eins. – Was? sprecht! – Daß sich Ew. Eminenz zu der Königin begeben möge. – Wann? – Sogleich. – Zu welchem Behuf? – Um ihr nur folgende Worte zu sagen: ich schicke Herrn d’Artagnan irgendwohin und lasse ihn sogleich reisen. – Seht Ihr, sprach Mazarin. Ihr seid bei der Königin gewesen. – Ich hatte die Ehre, Ew. Eminenz zu sagen, es habe möglicherweise ein Mißverständnis stattgefunden. – Was soll dies bedeuten? fragte Mazarin. – Dürfte ich es wagen, Ew. Eminenz meine Bitte zu wiederholen? – Es ist gut, ich gehe, erwartet mich hier.

Mazarin schaute aufmerksam umher, ob kein Schlüssel an den Schränken zurückgeblieben war, und entfernte sich.

Es verliefen zehn Minuten, während deren d’Artagnan sich alle erdenkliche Mühe gab, um durch den ersten Umschlag zu lesen, was auf dem zweiten geschrieben stand, aber es gelang ihm nicht.

Mazarin kehrte bleich und mit äußerst sorgenvoller Miene zurück; er setzte sich an seinen Schreibtisch. D’Artagnan schaute ihn forschend an, wie er den Brief angeschaut hatte: aber die Umhüllung seines Gesichtes war beinahe ebenso undurchdringlich, als der Umschlag des Briefes.

Ei, ei, sagte der Gascogner, er sieht sehr ärgerlich aus. Sollte er gegen mich aufgebracht sein? Er besinnt sich; will er mich etwa in die Bastille schicken? Alles schön und gut, Monseigneur! Beim ersten Wort, das Ihr sprecht, erdroßle ich Euch und werde Frondeur. Man trägt mich im Triumph umher, wie Herrn Broussel, und Athos ruft mich als den französischen Brutus aus. Das wäre drollig!

Ihr habt recht, sagte Mazarin; mein lieber Herr d’Artagnan, Ihr könnt noch nicht reisen; ich bitte, gebt mir diese Depesche zurück.

D’Artagnan gehorchte. Mazarin versicherte sich, daß das Siegel unberührt war.

Ich werde Euer diesen Abend bedürfen, kommt in zwei Stunden zurück.

In zwei Stunden, Monseigneur, habe ich ein Rendezvous, bei dem ich nicht fehlen darf.

Das kümmere Euch nicht, versetzte Mazarin, es ist dasselbe.

Gut, dachte d’Artagnan; ich vermutete es.

Kommt also um fünf Uhr zurück und bringt mir den lieben Herrn du Vallon mit. Nur laßt ihn im Vorzimmer, ich will mit Euch allein sprechen.

Die Flucht

D’Artagnan grüßte, entfernte sich und lief heim, um Porthos die Botschaft zu bringen.

Trotz der Aufregung, die immer noch in der Stadt nachzitterte, bot das Palais-Royal, als d’Artagnan gegen fünf Uhr abends dahin ging, ein sehr heiteres Schauspiel. Darüber durfte man sich nicht wundern; die Königin hatte Broussel und Blancmesnil dem Volke zurückgegeben. Sie hatte jetzt nichts mehr zu befürchten, denn das Volk hatte nichts mehr zu verlangen.

Es fand ein kleines Festmahl statt, wobei die Rückkehr des Siegers von Lens als Vorwand diente. Die Prinzen und Prinzessinnen wurden eingeladen; ihre Karossen füllten den Hof seit Mittag. Nach dem Mahle sollte Spiel bei der Königin sein.

Anna von Österreich strahlte an diesem Tag von Geist und Anmut; nie hatte man sie so heiterer Laune gesehen. Die lockende Rache glänzte in ihren Augen und umspielte ihre Lippen. Im Augenblick, wo man von der Tafel aufstand, verschwand Mazarin. D’Artagnan war bereits an seinem Posten und erwartete ihn im Vorzimmer. Der Kardinal erschien mit lachender Miene, nahm ihn bei der Hand und führte ihn in sein Kabinett.

Mein lieber Herr d’Artagnan, sagte der Minister, sich setzend, ich will Euch den größten Beweis von Vertrauen geben, den ein Minister einem Offizier geben kann.

D’Artagnan verbeugte sich und erwiderte: Ich hoffe, daß Monseigneur ihn mir ohne Hintergedanken und mit der Überzeugung gibt, daß ich desselben würdig bin. – Die Königin hat beschlossen, mit dem König eine kleine Reise nach Saint-Germain zu machen. – Ah, ah! rief d’Artagnan, das heißt, die Königin will Paris verlassen? – Ihr begreift, Weiberlaune. – Ja, ich begreife sehr gut. – Deshalb ließ sie Euch diesen Morgen kommen und beauftragte Euch, heute abend um fünf Uhr abermals zu erscheinen. Man hat auf Euch die Augen geworfen, um den König und die Königin nach Saint-Germain zu bringen. – Doppelter Schelmenstreich! sprach d’Artagnan zu sich selbst. – Ihr seht wohl, versetzte Mazarin, als er das gleichgültige Wesen d’Artagnans wahrnahm, daß das Heil des Staates in Euern Händen ruhen wird. – Ja, Monseigneur, und ich fühle die ganze Verantwortlichkeit eines solchen Auftrags. – Ihr übernehmt ihn jedoch? – Ich willige stets ein. – Haltet Ihr die Sache für möglich? – Alles ist möglich. – Glaubt Ihr, Ihr werdet auf dem Wege angegriffen werden? – Es ist wahrscheinlich. – Was werdet Ihr in diesem Falle tun? – Ich werde durchbrechen. – Und wenn Ihr nicht durchbrecht? – Dann geht es den Angreifern schlecht, dann reite ich über sie weg. – Und Ihr bringt den König und die Königin wohlbehalten nach Saint-Germain? – Ja. – Bei Eurem Leben? – Bei meinem Leben. – Ihr seid ein Held, mein Teurer! sprach Mazarin und betrachtete den Musketier voll Bewunderung. – Und ich? sagte Mazarin nach kurzem Stillschweigen, d’Artagnan fest anschauend. – Wie, Ihr, Monseigneur? – Und ich, wenn ich reisen will? – Das wird schwierig sein. – Wieso? – Ew. Eminenz kann erkannt werden. – Selbst unter dieser Verkleidung? sagte Mazarin.

Und er hob einen Mantel auf, der ein Fauteuil bedeckte, auf dem ein vollständiger perlgrauer und granatfarbiger, ganz mit Silber verbrämter Reiteranzug lag.

Wenn Ew. Eminenz sich verkleidet, wird die Sache leichter.

Mazarin gab aufatmend ein gedehntes Ah! von sich.

Aber man wird tun müssen, was Ew. Eminenz, wie sie uns einst sagte, an unserer Stelle getan hätte. – Was meint Ihr? – Man muß Nieder mit Mazarin! schreien. – Ich werde schreien. – Aber in gutem Französisch, gebt wohl auf den Akzent acht. – Ich werde mein möglichstes tun. – Es sind viele bewaffnete Leute auf den Straßen, fuhr d’Artagnan fort; seid Ihr überzeugt, daß niemand den Plan der Königin kennt? – Ich traue nicht jedermann, sagte Mazarin lebhaft; zum Beweise mag dienen, daß ich Euch zu meinem Geleitsmann ausersehen habe. – Reist Ihr nicht mit der Königin? – Nein. – Dann reist Ihr nach der Königin? – Nein, erwiderte Mazarin. – Ah! rief d’Artagnan, der zu begreifen anfing. – Ja, ich habe meine Pläne, fuhr Mazarin fort; gehe ich mit der Königin, so verdopple ich ihre schlimmen Aussichten; nach ihrer Abreise verdoppeln sich meine; weiter … ist der Hof einmal gerettet, so kann man mich vergessen; die Großen sind undankbar. – Das ist wahr, sagte d’Artagnan und warf unwillkürlich einen Blick auf den Diamanten der Königin, den Mazarin am Finger trug.

Mazarin folgte der Richtung dieses Blickes und drehte sacht den Stein des Ringes nach innen.

Ich will daher vor ihnen abreisen, und Ihr werdet also vor allen Dingen mich aus Paris bringen, nicht wahr, mein lieber Herr d’Artagnan? – Ein schwerer Auftrag, antwortete d’Artagnan wieder mit ernster Miene. – Aber, versetzte Mazarin und schaute ihn so aufmerksam an, daß ihm kein Ausdruck seiner Physiognomie entgehen konnte, aber Ihr habt in Betreff des Königs und der Königin diese Einwendungen nicht gemacht?

Der König und die Königin sind mein König und meine Königin, Monseigneur, antwortete der Musketier, mein Leben gehört ihnen, ich bin es ihnen schuldig. Sie verlangen es von mir, ich habe nichts zu sagen.

Das ist richtig, murmelte Mazarin ganz leise, aber da dein Leben nicht mir angehört, muß ich es dir abkaufen, nicht wahr?

Und er begann mit einem Seufzer den Stein des Ringes nach außen zu drehen. D’Artagnan lächelte.

Doch Ihr begreift, sprach Mazarin, wenn ich diesen Dienst von Euch verlange, so geschieht es mit der Absicht, dankbar dafür zu sein.

Ist Monseigneur erst bei der Absicht?

Nehmt, sagte Mazarin, den Ring von seinem Finger ziehend, hier ist ein Diamant, der einst Euch gehört hat; es ist billig, daß er zu Euch zurückkehre; nehmt, ich bitte.

D’Artagnan machte Mazarin nicht die Mühe, in ihn dringen zu müssen; er nahm ihn, schaute den Stein an, ob es gewiß derselbe sei, und steckte den Ring, nachdem er sich von der Reinheit des Wassers überzeugt hatte, mit einem unbeschreiblichen Vergnügen an seinen Finger.

Ich hielt große Stücke darauf, sagte Mazarin, den Diamanten mit einem letzten Blick begleitend, aber gleichviel, es macht mir Freude, ihn Euch zu geben. – Und ich, Monseigneur, versetzte d’Artagnan, ich nehme ihn, wie er mir gegeben wird. Sprechen wir nun von Euern Angelegenheiten. Ihr wollt vor allen anderen abreisen? – Ja, es ist mir viel daran gelegen. – Um welche Stunde? – Um zehn Uhr. – Und die Königin? – Um Mitternacht. – Dann ist es möglich; ich bringe Euch aus Paris, ich lasse Euch vor der Barriere und kehre zurück, um sie abzuholen. – Vortrefflich; aber wie wollt Ihr mich aus Paris bringen? – Oh! da müßt Ihr mich machen lassen. – Ich gebe Euch Vollmacht, nehmt eine Eskorte so stark, als Ihr wollt.

D’Artagnan schüttelte den Kopf.

Aber wie wollen wir dann zu Werke gehen? – Ihr müßt mich machen lassen, Monseigneur, – Hm! brummte Mazarin. – Ihr müßt mir die Leitung des ganzen Unternehmens übergeben. – Doch … – Oder einen andern damit beauftragen, sagte d’Artagnan, den Rücken drehend. – Ah! sprach Mazarin ganz leise, ich glaube, er geht mit meinem Diamanten.

Und er rief ihn zurück.

Herr d’Artagnan, mein lieber Herr d’Artagnan, sprach Mazarin mit schmeichelndem Tone. – Monseigneur? – Steht Ihr mir für alles? – Ich stehe für nichts; ich werde mein möglichstes tun. – Euer möglichstes? – Ja. – Nun wohl, ich verlasse mich auf Euch. – Das ist ein Glück, sagte d’Artagnan zu sich selbst. – Ihr werdet also um halb zehn Uhr hier sein? – Und ich finde Ew. Eminenz bereit? – Ganz gewiß. – Abgemacht also. Will mich Monseigneur nun zu der Königin führen?

Nun gut, sagte Mazarin nach einigem Zögern, d’Artagnans unerschütterlichem Willen nachgebend, ich will Euch führen, aber kein Wort von unserer Unterredung. – Was unter uns gesprochen worden ist, geht nur uns an, Monseigneur. – Ihr schwört mir, stumm zu sein? – Ich schwöre nie, Monseigneur. Ich sage ja oder nein und halte mein Wort als Edelmann. – Ich sehe, daß ich mich ganz unbedingt Euch anvertrauen muß. – Glaubt mir, das ist das beste, Monseigneur. – Kommt.

Mazarin ließ d’Artagnan in das Betzimmer der Königin eintreten und hieß ihn warten. Nach fünf Minuten erschien die Königin in großer Gala.

Ihr seid es, Herr d’Artagnan? sagte sie freundlich lächelnd; ich danke Euch, daß Ihr darauf bestanden habt, mich zu sehen. – Ich bitte Ew. Majestät um Verzeihung, erwiderte d’Artagnan, aber ich wollte ihre Befehle nur aus ihrem eigenen Munde empfangen. – Ihr wißt, um was es sich handelt? – Ja, Madame. – Ihr übernehmt den Auftrag, den ich Euch anvertraue? – Dankbar übernehme ich den Auftrag. – Gut, seid um Mitternacht hier. – Ich werde mich einfinden. – Herr d’Artagnan, ich kenne Euren uneigennützigen Charakter zu gut, um in diesem Augenblick von meiner Dankbarkeit zu sprechen, aber ich schwöre Euch, daß ich diesen zweiten Dienst nicht vergessen werde, wie ich den ersten vergessen habe. – Es steht Ew. Majestät frei, sich zu erinnern und zu vergessen, und ich weiß nicht, was sie damit sagen will, erwiderte d’Artagnan sich verbeugend. – Geht, mein Herr, sprach die Königin mit ihrem bezauberndsten Lächeln, geht und kehrt um Mitternacht zurück.

Um halb zehn Uhr trat d’Artagnan in das Vorzimmer des Kardinals; Bernouin wartete und führte ihn ein.

Er fand den Kardinal in Reitertracht. Mazarin sah sehr gut aus in dieser Kleidung, die er mit großer Leichtigkeit trug; er war nur bleich und zitterte ein wenig.

Ganz allein? fragte Mazarin. – Ja, Monseigneur. – Und der gute Herr du Vallon, werden wir uns seiner Gesellschaft nicht erfreuen? – Allerdings, Monseigneur, er wartet in seinem Wagen. – Wo? – Am Gartentor vom Palais-Royal. – Wir reisen also in seinem Wagen? – Ja, Monseigneur. – Und ohne anderes Geleite als Euch beide? – Ist das nicht genug? Einer von beiden würde hinreichen. – In der Tat, mein lieber Herr d’Artagnan, sagte Mazarin, Ihr erschreckt mich mit Eurer Kaltblütigkeit. – Ich hätte eher geglaubt, sie müßte Euch Vertrauen einflößen. – Und kann ich Bernouin mitnehmen? – Es ist kein Platz für ihn, er kann Ew. Eminenz nachfolgen. – Gut, sagte Mazarin, da ich in allem tun muß, wie Ihr es haben wollt. – Monseigneur, es ist noch Zeit zurückzutreten, und Ew. Eminenz ist vollkommen frei. – Nein, nein, gehen wir.

Beide stiegen die geheime Treppe hinab; Mazarin stützte sich dabei auf d’Artagnan, und der Musketier fühlte, wie der Arm des Kardinals zitterte.

Sie durchschritten die Höfe des Palais-Royal, wo noch einige Wagen verspäteter Gäste aufgestellt waren, erreichten den Garten und gelangten zu der kleinen Tür.

Mazarin versuchte, sie mit Hilfe eines Schlüssels, den er aus der Tasche zog, zu öffnen, aber seine Hand zitterte dergestalt, daß er das Schlüsselloch nicht finden konnte.

Gebt, sagte d’Artagnan.

Mazarin gab ihm den Schlüssel, d’Artagnan öffnete und steckte dann den Schlüssel in seine Tasche; er gedachte auf diesem Weg zurückzukehren.

Der Fußtritt war heruntergelassen, der Kutschenschlag offen; Mousqueton stand am Schlag, Porthos saß im Wagen.

Steigt ein, Monseigneur, sprach d’Artagnan.

Mazarin ließ sich das nicht zweimal sagen und sprang in den Wagen.

D’Artagnan stieg hinter ihm ein; Mousqueton schloß den Schlag wieder und schwang sich mit vielen Seufzern hinter dem Wagen auf; er hatte einige Einwendungen gegen die Reise erhoben, unter dem Vorwand, seine Wunde schmerze ihn noch, aber d’Artagnan entgegnete ihm: Bleibt, wenn Ihr wollt, mein lieber Herr Mouston, aber ich mache Euch darauf aufmerksam, daß Paris in dieser Nacht abgebrannt wird.

Darauf hatte Mousqueton nichts mehr verlangt, sondern sich vielmehr bereit erklärt, seinem Gebieter und Herrn d’Artagnan bis ans Ende der Welt zu folgen.

Der Wagen ging in einem anständigen Trab, der nicht entfernt verriet, daß er Menschen enthielt, die große Eile hatten. Der Kardinal trocknete sich die Stirn mit seinem Taschentuch ab und schaute um sich her.

Er hatte zu seiner Linken Porthos, zu seiner Rechten d’Artagnan. Jeder bewachte einen Schlag, jeder diente ihm als Wall.

Auf dem Vordersitz lagen zwei Paar Pistolen, eines vor Porthos, ein anderes vor d’Artagnan; die Freunde hatten überdies ihre Degen an der Seite.

Hundert Schritte vom Palais-Royal hielt eine Patrouille den Wagen an.

Wer da? rief der Führer.

Mazarin! antwortete d’Artagnan und brach in ein schallendes Gelächter aus. Dem Kardinal standen die Haare zu Berge. Der Spaß kam den Bürgern beim Anblick dieses ohne Bewaffnete und ohne Geleite fahrenden Wagens vortrefflich vor.

Glückliche Reise! riefen sie und ließen den Wagen vorüberziehen.

Nun, sagte d’Artagnan, was denkt Monseigneur von dieser Antwort?

Ihr seid ein Mann von Geist! rief Mazarin.

Richtig, sprach Porthos, ich begreife.

Gegen die Mitte der Rue des Petits-Champs hielt eine zweite Patrouille den Wagen an.

Wer da? rief der Anführer.

Rückt zurück, Monseigneur, sagte d’Artagnan.

Mazarin schob sich dergestalt zwischen die zwei Freunde, daß er gänzlich hinter ihnen verschwand.

Wer da? wiederholte dieselbe Stimme ungeduldig.

D’Artagnan merkte zugleich, daß man die Pferde anhielt.

Er beugte sich mit dem halben Leib zum Wagen hinaus und rief: He! Planchet.

Der Führer näherte sich; es war wirklich Planchet. D’Artagnan hatte die Stimme seines ehemaligen Lakaien wiedererkannt.

Wie, Herr, Ihr seid es? sagte Planchet.

Ei, mein Gott, ja, mein Freund. Der liebe Porthos hat einen Degenstich bekommen, und ich führe ihn nach seinem Landhaus in Saint-Cloud.

Oh! wirklich? rief Planchet.

Porthos, versetzte d’Artagnan, teurer Porthos, wenn Ihr noch sprechen könnt, so sagt ein Wort zu diesem guten Planchet. Planchet, mein Freund, sprach Porthos mit gepreßter Stimme, ich bin sehr krank, und wenn du einen Arzt findest, so mach mir das Vergnügen, ihn zu mir zu schicken.

Ah! großer Gott, rief Planchet, welch ein Unglück! Wie ist es denn geschehen?

Ich werde es dir später erzählen, sprach Mousqueton.

Porthos stieß einen Seufzer aus.

Mach uns Platz, Planchet, sagte d’Artagnan ganz leise, oder er kommt nicht mehr lebendig nach Hause: die Lunge ist verletzt, mein Freund.

Planchet wandte sich gegen seine Mannschaft um und sagte: Laßt den Wagen vorbei, es sind Freunde.

Der Wagen fuhr weiter, und Mazarin wagte wieder zu atmen.

Bricconi (Schurken)! murmelte er.

Einige Schritte, ehe man zu der Porte Saint-Honoré kam, begegnete man einer dritten Gruppe; diese bestand aus Menschen von schlimmem Aussehen, die eher Banditen, als sonst etwas glichen; es waren die Leute des Bettlers von Saint-Eustache.

Aufgepaßt, Porthos, sagte d’Artagnan.

Porthos streckte die Hand nach seinen Pistolen aus.

Was gibt es? fragte Mazarin.

Monseigneur, ich glaube, wir sind in schlechter Gesellschaft.

Ein Mann trat, eine Art Sense in der Hand haltend, an den Kutschenschlag.

Wer da? fragte dieser Mann.

Ei, Bursche, sagte d’Artagnan, erkennt Ihr den Wagen des Prinzen nicht?

Prinz oder nicht, erwiderte der andere, öffnet! Wir haben die Torwache, und niemand kommt durch, ohne daß wir wissen, wer es ist.

Was ist zu tun? fragte Porthos.

Bei Gott, nichts anders, als fortzufahren, erwiderte d’Artagnan.

Wie dies? sagte Mazarin.

Mitten durch oder drüber weg. Kutscher im Galopp!

Der Kutscher hob die Peitsche.

Keinen Schritt mehr, sprach der Mann, welcher der Führer zu sein schien, oder ich schneide Euern Pferden die Sehnen durch.

Verdammt! versetzte Porthos, das wäre schade, die Tiere kosten mich zweihundert Pistolen.

Ich bezahle sie Euch doppelt, sagte Mazarin.

Ja, aber wenn man ihnen die Sehnen durchgeschnitten hat, so schneidet man uns den Hals ab.

Es kommt einer auf meine Seite, sprach Porthos; soll ich ihn töten?

Ja, mit einem Faustschlag, wenn Ihr könnt; wir wollen erst in der äußersten Not Feuer geben.

Ich kann es, erwiderte Porthos.

Kommt und öffnet also, sagte d’Artagnan zu dem Mann mit der Sense, nahm dann eine seiner Pistolen beim Lauf und schickte sich an, mit dem Kolben dreinzuschlagen.

Der Mann näherte sich; während er sich aber näherte, legte sich d’Artagnan, um freier in seinen Bewegungen zu sein, halb aus dem Schlage heraus; seine Augen hefteten sich auf die des Bettlers, den der Schimmer einer Laterne beleuchtete.

Ohne Zweifel erkannte er den Musketier, denn er wurde sehr bleich; ohne Zweifel erkannte d’Artagnan auch ihn, denn seine Haare sträubten sich auf dem Haupte.

Herr d’Artagnan! rief er, einen Schritt zurückweichend, Herr d’Artagnan! Laßt den Wagen vorbei.

Vielleicht war d’Artagnan im Begriff, zu antworten, als ein Schlag ertönte, wie wenn eine Keule auf den Schädel eines Ochsen fällt: Porthos hatte seinen Mann tot zu Boden gestreckt.

D’Artagnan wandte sich um und sah den Unglücklichen vier Schritte vom Wagen auf der Erde liegen.

Im stärksten Galopp! rief er dem Kutscher zu. Angetrieben! Zugefahren!

Der Kutscher versetzte seinen Pferden einen mächtigen Peitschenhieb. Die edlen Tiere sprangen auf. Man hörte ein Geschrei, wie von Menschen, die niedergeworfen werden. Dann fühlte man einen doppelten Stoß; zwei Räder waren über einen biegsamen, runden Körper gegangen.

Es wurde ein Augenblick still. Der Wagen fuhr aus dem Tore.

Nach dem Cours-la-Reine, rief d’Artagnan dem Kutscher zu.

Dann wandte er sich gegen Mazarin und sagte:

Jetzt, Monseigneur, könnt Ihr fünf Pater und fünf Ave beten, um Gott für Eure Befreiung zu danken. Ihr seid gerettet, Ihr seid frei!

Mazarin antwortete nur durch eine Art von Gestöhn; er konnte kaum an ein solches Wunder glauben. Fünf Minuten nachher hielt der Wagen an: er war bei dem Cours-la-Reine angelangt.

Ist Monseigneur mit seiner Eskorte zufrieden? fragte der Musketier.

Entzückt, mein Herr, antwortete Mazarin, und er wagte es endlich, den Kopf ein wenig aus dem Schlage zu legen; nur tut ebensoviel für die Königin.

Das wird weniger schwierig sein, sagte d’Artagnan zu Boden springend. Herr du Vallon, ich empfehle Euch Seine Eminenz.

Seid unbesorgt! sprach Porthos, die Hand ausstreckend.

D’Artagnan nahm Porthos‘ Hand und schüttelte sie.

Adieu! rief Porthos.

Was habt Ihr denn? – Ich glaube, ich habe mir das Faustgelenk verstaucht, erwiderte Porthos. – Den Teufel, Ihr schlagt auch wie verrückt drauf. – Ich mußte wohl, mein Mann wollte eine Pistole auf mich abdrücken; aber Ihr, wie habt Ihr Euch des Eurigen erledigt? – Oh! der meinige, sagte d’Artagnan, das war kein Mensch. – Was war es denn? – Ein Gespenst. – Und … – Ich habe es beschworen.

D’Artagnan nahm ohne weitere Erklärung die Pistolen, die auf dem Vordersitz lagen, steckte sie in seinen Gürtel, hüllte sich in seinen Mantel und wandte sich, da er nicht durch dieselbe Barriere zurückkehren wollte, durch die er herausgekommen war, nach der Porte Richelieu.

Der Wagen des Koadjutors

Statt durch die Porte Saint-Honoré zurückzukehren, machte d’Artagnan, der Zeit hatte, einen Umweg und kehrte durch die Porte Richelieu zurück. Man erkannte ihn, und als man an seinem Federhut und an seinem galonierten Mantel wahrnahm, daß er Offizier der Musketiere war, umgab man ihn und forderte ihn auf: Nieder mit Mazarin! zu rufen. Die erste Bewegung beunruhigte ihn anfangs; als er aber hörte, was man von ihm forderte, rief er das Verlangte so willig und laut, daß auch die Schwierigsten sich zufrieden gaben.

Er folgte der Rue de Richelieu und sann über die Art und Weise nach, wie er nun die Königin ebenfalls wegbringen sollte, da erblickte er auf einmal vor einem vornehmen Hause eine Equipage, und es erleuchtete ihn plötzlich ein Gedanke.

Ah! bei Gott! sagte er, das wäre dem Kriegsgebrauche gemäß.

Er näherte sich dem Wagen und schaute das Wappen an den Schlägen und die Livree des Kutschers an, der auf dem Bocke faß.

Diese Prüfung wurde ihm um so leichter, als der Kutscher fest schlief.

Das ist der Wagen des Koadjutors, sprach er; bei Gott, ich fange an zu glauben, daß die Vorsehung für uns ist.

Er stieg sacht in den Wagen, zog an der seidenen Schnur, die mit dem kleinen Finger des Kutschers in Verbindung stand, und sagte: Ins Palais-Royal!

Plötzlich erweckt, wandte sich der Kutscher nach dem bezeichneten Punkt, ohne zu vermuten, daß der Befehl von einem andern, als von seinem Herrn herrührte. Der Portier war im Begriff, die Gitter zu schließen; als er aber die prächtige Equipage erblickte, zweifelte er nicht daran, daß es ein Besuch von Bedeutung sein müsse, und ließ den Wagen durchfahren, der unter dem Säulengang anhielt.

Erst hier bemerkte der Kutscher, daß die Lakaien nicht hinter dem Wagen waren.

Er glaubte, der Koadjutor habe sie verschickt, sprang, ohne die Zügel aus der Hand zu lassen, vom Bock herab und öffnete.

D’Artagnan sprang ebenfalls heraus, und im Augenblick, wo der Kutscher, voll Schreck über die fremde Erscheinung, einen Schritt rückwärts machte, faßte er ihn mit der linken Hand beim Kragen und setzte ihm mit der rechten die Pistole vor die Brust.

Sprichst du ein einziges Wort, sagte d’Artagnan, so bist du des Todes.

Der Kutscher sah am Gesichtsausdrucke des Sprechenden, daß er in eine Falle gegangen war, und sperrte Mund und Augen ungeheuer auf.

Zwei Musketiere gingen im Hofe auf und ab; d’Artagnan rief sie bei ihren Namen.

Herr von Bellière, sagte er zu dem einen, habt die Güte, diesem braven Mann die Zügel abzunehmen, sich auf den Bock der Kutsche zu setzen, sie vor die geheime Treppe zu führen und mich dort zu erwarten; es betrifft eine wichtige Angelegenheit und gehört zum Dienste des Königs.

Der Musketier wußte, daß sein Leutnant unfähig war, einen schlechten Spaß in Beziehung auf den Dienst zu machen, und gehorchte, ohne ein Wort zu sagen, obgleich ihm der Befehl sonderbar vorkam.

Dann wandte sich d’Artagnan gegen den zweiten Musketier und sagte: Herr du Verger, helft mir diesen Menschen in Gewahrsam bringen.

Hierauf führte er den armen Kutscher in ein Zimmer mit vergitterten Fenstern und festem Schlosse, hieß den Musketier bei dem Gefangenen wachen und ihm beim ersten Versuche zu schreien oder zu fliehen den Degen durch den Leib stoßen. Dann nahm er dem Kutscher seinen Hut und Mantel ab, die er Bernouin übergab, und ließ sich von diesem zur Königin führen und bei ihr melden.

Die Königin hatte alles zur Flucht vorbereitet, der König war früh zu Bette gebracht worden, alle Hofdamen hatten sich nach dem Abendessen entfernt.

Als Bernouin an das Schlafzimmer der Königin klopfte, öffnete sie selbst.

Ihr seid es, Bernouin? sagte sie. Ist Herr d’Artagnan da?

Ja, Madame, in Eurem Betzimmer; er wartet, bis Ew. Majestät bereit ist.

Ich bin’s. Sagt Laporte, er solle den König wecken und ankleiden, dann geht zu dem Marschall von Villeroy und setzt ihn in meinem Namen in Kenntnis.

Bernouin verbeugte sich und ging. Die Königin trat in ihr Betzimmer, das eine einfache Lampe von venetianischem Glase beleuchtete. Sie erblickte d’Artagnan, der auf sie wartete.

Ihr seid es? sagte sie zu ihm. – Ja, Madame. – Ihr seid bereit? – Ich bin es. – Und der Kardinal? – Ist ohne Unfall hinausgekommen; er erwartet Ew. Majestät in Cours-la-Reine. – Aber in welchem Wagen fahren wir? – Ich habe alles besorgt, ein Wagen harrt unten auf Ew. Majestät. – Gehen wir zum König!

D’Artagnan verbeugte sich und folgte der Königin. Als sie in das Schlafzimmer eintrat, während d’Artagnan auf der Schwelle blieb, entschlüpfte der junge König den Händen Laportes und lief auf sie zu.

Die Königin machte d’Artagnan ein Zeichen, näherzukommen.

Mein Sohn, sprach die Königin und deutete auf den Musketier, der ruhig, aufrecht, mit entblößtem Haupte in ihrer Nähe stand, dies ist Herr d’Artagnan, ein so braver Mann, wie einer jener alten, tapfern Ritter, deren Geschichte Ihr Euch so gern von meinen Frauen erzählen laßt. Erinnert Euch seines Namens und schaut ihn wohl an, um sein Gesicht nicht aus dem Gedächtnis zu verlieren, denn er wird uns heute abend einen wichtigen Dienst leisten.

Der junge König schaute den Offizier mit seinem großen, stolzen Auge an und wiederholte: Herr d’Artagnan?

So ist es, mein Sohn.

Der junge König hob langsam seine kleine Hand auf und reichte sie dem Musketier; dieser setzte ein Knie auf die Erde und küßte sie.

Herr d’Artagnan, wiederholte Ludwig, es ist gut, Madame.

In diesem Augenblick hörte man, wie ein Geräusch näher kam.

Was ist das? sagte die Königin.

Oh, oh! antwortete d’Artagnan, zu gleicher Zeit sein feines Ohr und seinen scharfen Blick anstrengend, es ist der Lärm des Volkes, das sich empört.

Wir müssen fliehen, sagte die Königin.

Ew. Majestät hat mir die Leitung dieser Angelegenheit übertragen: wir müssen bleiben und erfahren, was man will.

Herr d’Artagnan!

Ich stehe für alles.

Nichts teilt sich rascher mit, als das Vertrauen. Die Königin, die selbst voll Mut und Kraft war, wußte diese beiden Tugenden bei andern sogleich zu erkennen.

Handelt, sagte sie, ich verlasse mich auf Euch.

Will mir Ew. Majestät erlauben, bei dieser ganzen Angelegenheit Befehle in Ihrem Namen zu geben?

Befehlt, mein Herr.

Was will denn dieses Volk wieder? fragte der König.

Wir werden es erfahren, Sire, antwortete d’Artagnan.

Und er verließ rasch das Zimmer.

Der Tumult wurde immer größer und schien gleichsam das ganze Palais-Royal einzuhüllen. Man hörte vom Zimmer aus Geschrei, dessen Sinn man nicht verstehen konnte; offenbar fand ein Aufruhr statt.

Der halbangekleidete König, die Königin und Laporte blieben horchend und wartend da, wo sie sich befanden.

Nun? fragte Anna von Österreich, als sie d’Artagnan wieder erscheinen sah, was gibt es?

Madame, es hat sich das Gerücht verbreitet, die Königin habe das Palais-Royal verlassen und den König mitgenommen; das Volk verlangt jetzt den Beweis vom Gegenteil, oder droht das Palais-Royal zu zerstören.

Ah! das ist zu stark, und ich will ihnen beweisen, daß ich nicht abgereist bin.

D’Artagnan sah am Gesichtsausdruck der Königin, daß sie irgend einen heftigen Befehl geben wollte. Er näherte sich ihr und sagte ganz leise: Hat Ew. Majestät immer noch Vertrauen zu mir?

Diese Stimme ließ sie erbeben.

Ja, mein Herr, alles Vertrauen, erwiderte sie.

Wird Ew. Majestät die Gnade haben, meinem Rat zu folgen?

Sprecht.

Ew. Majestät wolle Herrn von Comminges wegschicken und ihm befehlen, sich und seine dreihundert Leute in der Wachtstube und in den Ställen eingeschlossen zu halten.

Comminges schaute d’Artagnan mit dem neidischen Blick an, mit dem jeder Höfling ein neues Glück auftauchen sieht.

Ihr habt gehört, Comminges? sprach die Königin.

D’Artagnan ging auf ihn zu; er hatte mit seiner gewöhnlichen Scharfsicht diesen unruhigen Blick erkannt.

Herr von Comminges, sagte er zu ihm, vergebt mir; wir sind zwei alte Diener der Königin, nicht wahr? Es ist heute an mir, ihr nützlich zu sein.

Comminges verbeugte sich und ging.

Wohl, sprach d’Artagnan zu sich selbst, jetzt habe ich einen Feind mehr.

Und nun, sprach die Königin, sich an d’Artagnan wendend, was ist zu tun? Denn Ihr hört, der Lärm hört nicht auf, sondern wird immer ärger.

Madame, antwortete d’Artagnan, das Volk will den König sehen, es muß ihn sehen.

Wie, es muß! Auf dem Balkon?

Nein, Madame, hier, in seinem Bett, schlafend.

Oh! Ew. Majestät, Herr d’Artagnan hat vollkommen recht! rief Laporte.

Die Königin dachte einen Augenblick nach und lächelte dann, wie eine Frau, der die Hinterlist nicht fremd ist.

Es sei, murmelte sie.

Herr Laporte, sagte d’Artagnan, geht durch das Gitter des Palais-Royal, kündigt dem Volk an, es solle zufriedengestellt werden, es werde den König nicht nur sehen, sondern auch in seinem Bette sehen. Fügt bei, der König schlafe, und die Königin bitte, man möge sich still verhalten, um den König nicht aufzuwecken.

Aber sie dürfen doch nicht alle heraufkommen, sondern bloß eine Deputation von zwei, drei bis vier Personen?

Alle, Madame.

Bedenkt doch, sie werden uns bis zum Tage aufhalten.

In einer Viertelstunde sind wir mit ihnen fertig. Ich stehe für alles, Madame. Glaubt mir, ich kenne das Volk: es ist ein großes Kind, dem man schmeicheln muß. Vor dem entschlummerten König wird es stumm, sanft und schüchtern sein, wie ein Lamm.

Geht, Laporte, sagte die Königin.

Der junge König näherte sich seiner Mutter.

Warum tut man, was diese Leute verlangen? fragte er.

Es muß sein, sprach Anna von Österreich.

Aber wenn man mir sagt: es muß sein! so bin ich nicht mehr König.

Sire, sprach d’Artagnan, erlaubt mir Eure Majestät eine Frage?

Ludwig XIV. wandte sich um, ganz erstaunt, daß man es wagte, das Wort an ihn zu richten. Die Königin drückte dem König die Hand.

Ja, mein Herr, erwiderte der junge König.

Erinnert sich Ew. Majestät, wenn sie im Park von Fontainebleau oder in den Höfen des Palastes von Versailles spielte, plötzlich wahrgenommen zu haben, wie sich der Himmel bedeckte und der Donner zu rollen begann?

Allerdings.

Nun wohl, dieses Rollen des Donners sagte zu Ew. Majestät, so große Lust sie auch hatte, fortzuspielen: Kehrt um, Sire, es muß sein!

Das ist wahr, mein Herr, aber man sagte mir auch, das Getöse des Donners sei die Stimme Gottes.

Wohl, Sire, versetzte d’Artagnan, hört auf das Getöse des Volkes, und Ihr werdet finden, daß es große Ähnlichkeit mit dem des Donners hat.

In diesem Augenblick machte sich ein furchtbarer Lärm, durch den Nachtwind herbeigetragen, hörbar.

Plötzlich trat eine Stille ein.

Sire, sprach d’Artagnan, man hat soeben dem Volke gesagt, Ihr schlaft, und Ihr seht, daß Ihr immer noch König seid.

Die Königin schaute den seltsamen Mann an, den sein glänzender Mut den Bravsten, sein feiner, listiger Geist allen gleichstellte.

Laporte kehrte zurück.

Nun, Laporte? fragte die Königin.

Madame, antwortete er, die Prophezeiung des Herrn d’Artagnan ist in Erfüllung gegangen. Sie haben sich wie durch einen Zauber beruhigt. Man öffnete ihnen die Pforten, und in fünf Minuten werden sie hier sein.

Laporte, sagte die Königin, wenn wir einen Eurer Söhne an die Stelle des Königs legten? Wir könnten während dieser Zeit abreisen.

Wenn es Euere Majestät befiehlt, versetzte Laporte, so sind meine Söhne wie ich zu den Diensten der Königin.

Nein, sprach d’Artagnan; denn würde einer Seine Majestät kennen und den Betrug wahrnehmen, so wäre alles verloren.

Ihr habt recht, mein Herr, immer recht, sprach Anna von Österreich, bringt den König zu Bette.

Laporte legte den König ganz angekleidet, wie er war, in sein Bett; dann bedeckte er ihn bis an die Schultern mit dem Tuch.

Die Königin beugte sich über ihn herab und küßte ihn auf die Stirne.

Stellt Euch, als ob Ihr schliefet, sprach sie.

Ja, aber es soll mich keiner von diesen Menschen berühren.

Sire, ich bin da, versetzte d’Artagnan, und ich stehe Euch dafür, daß der erste, der diese Keckheit hätte, es mit dem Leben bezahlen müßte.

Was soll nun geschehen? fragte die Königin, denn ich höre sie.

Herr Laporte, geht ihnen entgegen und empfehlt ihnen abermals Stillschweigen. Madame, wartet dort an der Tür. Ich stehe zu den Häupten des Königs, bereit, für ihn zu sterben.

Laporte ging ab, die Königin stellte sich an die Tür, d’Artagnan schlüpfte hinter den Bettvorhang.

Man hörte sodann den dumpfen Tritt einer großen Menschenmenge. Die Königin hob selbst den Türvorhang auf und legte einen Finger auf ihren Mund.

Als diese Menschen die Königin sahen, blieben sie in ehrfurchtsvoller Haltung stehen.

Tretet ein, meine Herren, tretet ein, sagte die Königin.

Die Leute, die an der Spitze standen, stammelten und versuchten zurückzuweichen.

Tretet ein, meine Herren, da es die Königin gestattet, sagte Laporte.

Da wagte es einer, der wohl kühner war, als die andern, die Schwelle zu überschreiten, und ging auf der Fußspitze vor.

Alle andern ahmten ihm nach, und das Zimmer füllte sich in der größten Stille, als ob alle diese Menschen die demütigsten, ergebensten Höflinge gewesen wären. Außerhalb der Tür erblickte man die Köpfe derer, die nicht mehr eintreten konnten und sich daher auf den Fußspitzen erhoben.

D’Artagnan sah alles durch eine Öffnung, die er im Vorhang gemacht hatte. In dem Menschen, der zuerst eintrat, erkannte er Planchet.

Mein Herr, sagte die Königin, welche begriff, daß er der Anführer der ganzen Schar war, Ihr habt den König zu sehen gewünscht, und ich wollte ihn Euch selbst zeigen. Nähert Euch, schaut ihn an und sagt mir, ob wir aussehen, wie Menschen, die fliehen wollen!

Nein, gewiß nicht, antwortete Planchet, etwas verblüfft über die unerwartete Ehre, die ihm zuteil wurde.

Ihr werdet also meinen guten und getreuen Parisern sagen, versetzte Anna mit einem Lächeln, in dessen Ausdruck d’Artagnan sich nicht täuschte, Ihr habt den König schlafend in seinem Bette gesehen und die Königin im Begriff, sich ebenfalls niederzulegen.

Ich werde es sagen, Madame, und meine Begleiter werden dasselbe tun. Aber…

Aber was? fragte Anna von Österreich.

Eure Majestät verzeihe mir, ist es aber auch wirklich der König, der in diesem Bette liegt?

Anna von Österreich bebte und erwiderte: Ist einer unter Euch, der den König kennt, so nähere er sich und sage, ob dies wirklich Seine Majestät ist.

Ein Mann in einem Mantel, mit dem er sich das Gesicht verbarg, trat näher, beugte sich über das Bett und schaute.

Einen Augenblick glaubte d’Artagnan, der Mann habe eine schlimme Absicht, und legte die Hand an seinen Degen. Aber bei der Bewegung, die der Mann mit dem Mantel im Bücken machte, gewahrte er einen Teil seines Gesichts und erkannte den Koadjutor.

Es ist allerdings der König, sprach dieser Mann, sich erhebend, Gott segne Seine Majestät!

Ja, sagte der Führer halblaut, Gott segne Seine Majestät!

Und alle diese Menschen, die wütend herbeigekommen waren, segneten, vom Zorn zum Mitleid übergehend, ebenfalls das königliche Kind.

Nun laßt uns der Königin danken, meine Freunde, und abgehen, sprach Planchet.

Alle verbeugten sich und zogen allmählich und geräuschlos, wie sie gekommen, wieder ab. Planchet, der zuerst eingetreten war, ging zuletzt weg.

Die Königin atmete auf; d’Artagnan wischte sich seine feuchte Stirn ab; der König glitt von seinem Bett herab und sagte: Gehen wir nun!

In diesem Augenblick erschien Laporte wieder.

Nun, sagte die Königin.

Madame, antwortete der Kammerdiener, ich bin ihnen bis an die Gitter gefolgt. Sie teilten allen ihren Kameraden mit, sie haben den König gesehen, und die Königin habe mit ihnen gesprochen, so daß sie sich ganz stolz und triumphierend entfernten.

Oh, die Elenden! murmelte die Königin, sie sollen ihre Frechheit teuer bezahlen! Mein Herr, fuhr sie, zu d’Artagnan gewendet, fort, Ihr habt mir diesen Abend die besten Ratschläge gegeben, die mir in meinem ganzen Leben erteilt worden sind. Fahrt fort, was haben wir nunmehr zu tun?

Herr Laporte, sprach d’Artagnan, kleidet Seine Majestät vollends an.

Wir können also abreisen? fragte die Königin.

Wann Ew. Majestät will. Sie mag nur die geheime Treppe hinabsteigen und wird mich an der Tür finden.

Geht, mein Herr, sprach die Königin, ich folge Euch.

D’Artagnan ging hinab, der Wagen war an seinem Posten, der Musketier saß auf dem Bock.

D’Artagnan nahm das Päckchen, das Bernouin getragen hatte, und nahm den Mantel des Kutschers des Herrn von Gondy um seine Schultern und setzte den Hut auf.

Mein Herr, sprach d’Artagnan, Ihr gebt Eurem Gefährten, der den Kutscher bewacht, wieder die Freiheit. Ihr steigt sodann zu Pferde, reitet nach der Rue Tiquetonne ins Gasthaus zur Rehziege, nehmt dort mein Pferd und das von Herrn du Vallon, sattelt und zäumt sie kriegsmäßig, verlaßt dann Paris, die Pferde an der Hand führend, und begebt Euch nach Cours-la-Reine. Findet Ihr in Cours-la-Reine niemand mehr, so reitet Ihr bis nach Saint-Germain. Dienst des Königs.

Der Musketier legte die Hand an seinen Hut und entfernte sich, um die Befehle zu erfüllen, die er erhalten hatte.

D’Artagnan stieg auf den Bock. Er hatte ein paar Pistolen in seinem Gürtel, eine Muskete unter seinen Füßen, seinen bloßen Degen hinter sich.

Die Königin erschien. Ihr folgten der König und der Herzog von Anjou, sein Bruder.

Der Wagen des Koadjutors! rief sie, einen Schritt zurückweichend.

Ja, Madame, sprach d’Artagnan, aber steigt mutig ein, ich führe ihn.

Die Königin stieß einen Schrei des Erstaunens aus und stieg in den Wagen. Der König und Monsieur stiegen hinter ihr ein und setzten sich an ihre Seite.

Kommt, Laporte, sagte die Königin.

Wie, Madame? rief der Kammerdiener, in demselben Wagen mit Eurer Majestät?

Es handelt sich heute nicht um die Etikette, sondern um das Heil des Königs. Steigt ein, Laporte!

Laporte gehorchte.

Schließt die Schirmleder, sagte d’Artagnan.

Wird das nicht Mißtrauen einflößen? versetzte die Königin.

Ew. Majestät mag unbesorgt sein, erwiderte d’Artagnan, ich bin auf eine Antwort gefaßt.

Man schloß die Leder und entfernte sich im Galopp durch die Rue de Richelieu. Als man an das Tor gelangte, rückte der Anführer des Postens an der Spitze von etwa zwölf Mann, mit einer Laterne in der Hand, vor.

D’Artagnan bedeutete ihm durch ein Zeichen, er möge sich nähern.

Erkennt Ihr den Wagen? sagte er zu dem Sergeanten.

Nein, antwortete dieser.

Schaut das Wappen an!

Der Sergeant hielt seine Laterne an den Schlag.

Es ist das Wappen des Koadjutors, antwortete er.

Stille, er steht in Gunst bei Frau von Guemenée.

Der Sergeant lachte.

Öffnet das Tor, sagte er, ich weiß, wer es ist.

Dann näherte er sich dem herabgelassenen Schirmleder und sprach: Viel Vergnügen, Monseigneur.

Vorlauter Gesell! rief d’Artagnan, Ihr macht, daß man mich fortjagt.

Die Barriere ächzte auf ihren Angeln, und d’Artagnan peitschte, als er den Weg offen sah, kräftig auf die Pferde los, die sich in starkem Trab von der Stadt entfernten.

Fünf Minuten nachher hatte man den Wagen des Kardinals eingeholt.

Mousqueton! rief d’Artagnan, hebt die Schirmleder vom Wagen Seiner Majestät auf.

Er ist es! sagte Porthos.

Als Kutscher! rief Mazarin.

Und mit dem Wagen des Koadjutors! sagte die Königin.

Corpo di Duo! Herr d’Artagnan, sprach Mazarin, Ihr seid nicht mit Gold zu bezahlen!

Eine neue Prüfung

Mazarin wollte sogleich nach Saint-Germain abreisen, aber die Königin erklärte, daß sie die Personen, die sie nach Coursla-Reine beschieden, erwarten wolle. Nur bot sie dem Kardinal den Platz von Laporte an; der Kardinal nahm ihn an und ging von einem Wagen in den andern.

Nicht ohne Grund hatte sich das Gerücht verbreitet, der König solle in der Nacht Paris verlassen; zehn bis zwölf Personen waren seit sechs Uhr abends ins Geheimnis eingeweiht worden, und so verschwiegen sie auch gewesen, so hatten sie doch die Befehle zu ihrer Abreise nicht geben können, ohne daß die Sache ruchbar wurde. Überdies hatte jede dieser Personen zwei bis drei andere, für die sie sich interessierte, und da man nicht daran zweifelte, daß die Königin Paris mit furchtbaren Racheplänen verlasse, so hatte jeder seine Freunde oder Verwandten in Kenntnis gesetzt, so daß das Gerücht von dieser Abreise wie ein Lauffeuer die Stadt durcheilte.

Der erste Wagen, der nach dem der Königin ankam, war der Wagen des Prinzen; er enthielt Herrn von Condé, die Prinzessin und die Prinzessin-Witwe. Beide waren in der Nacht geweckt worden und wußten nicht, um was es sich handelte.

Der zweite enthielt den Herzog von Orleans, die Frau Herzogin, Grande-Mademoiselle und den Abbé de la Rivière, den unzertrennlichen Günstling und vertrauten Rat des Prinzen.

Der dritte enthielt Herrn von Longueville und den Prinzen von Conti, Bruder und Schwager des Prinzen. Sie stiegen aus, näherten sich der Karosse des Königs und der Königin und brachten den Majestäten ihre Huldigungen dar.

Die Königin senkte ihren Bück in die Tiefe des Wagens, dessen Schlag offen geblieben war, und sah, daß niemand mehr darin saß.

Aber wo ist denn Frau von Longueville? fragte sie.

In der Tat, wo ist denn meine Schwester? sagte der Herr Prinz.

Frau von Longueville ist leidend, Madame, antwortete der Herzog; sie hat mich beauftragt, sie bei Ew. Majestät zu entschuldigen.

Anna warf einen raschen Blick auf Mazarin, der mit einem unmerklichen Zeichen des Kopfes antwortete.

Was sagt Ihr dazu? fragte die Königin.

Ich sage, daß sie eine Geisel für die Pariser ist, erwiderte der Kardinal.

Warum ist sie nicht gekommen? fragte der Prinz seinen Bruder ganz leise.

Still, antwortete dieser, sie hat ohne Zweifel ihre Gründe.

Sie stürzt uns ins Verderben, murmelte der Prinz.

Sie rettet uns, sagte Conti.

Die Wagen kamen in Menge an. Die zwei Musketiere trafen ebenfalls, d’Artagnans und Porthos‘ Pferde an der Hand führend, ein. D’Artagnan und Porthos schwangen sich in den Sattel. Porthos‘ Kutscher nahm d’Artagnans Platz auf dem königlichen Bocke ein. Mousqueton ersetzte den Kutscher; er fuhr aus ihm bekannten Ursachen stehend, einem antiken Automedon ähnlich.

Obgleich in ihren Gedanken mit tausend Einzelheiten beschäftigt, suchte doch die Königin d’Artagnan mit den Augen, aber der Gascogner hatte sich mit seiner gewöhnlichen Klugheit wieder unter der Menge verloren.

Wir wollen die Vorhut bilden, sagte er zu Porthos, und uns gute Quartiere in Saint-Germain verschaffen, denn niemand wird an uns denken. Ich fühle mich sehr müde. – Ich ebenfalls, versetzte Porthos, ich sinke vor Schlaf um. Wer sollte glauben, daß wir nicht einmal den geringsten Kampf gehabt haben? Die Pariser sind doch wahre Dummköpfe. – Sind nicht wir vielmehr sehr gewandte Leute? versetzte d’Artagnan. – Vielleicht. – Und wie geht es mit Eurem Faustgelenk? – Besser; aber glaubt Ihr, daß wir sie diesmal bekommen? – Was? – Ihr Euern Grad und ich meinen Titel? – Meiner Treu, ja, ich wollte darauf wetten. Wenn sie sich übrigens nicht erinnern, so werde ich sie daran mahnen lassen. – Man hört die Stimme der Königin, sagte Porthos; ich glaube, sie will zu Pferde steigen. – Ah! sie wollte wohl, aber… – Was aber? – Aber der Kardinal will nicht. Meine Herren, fuhr d’Artagnan, sich an die zwei Musketiere wendend, fort, begleitet die Karosse des Königs und verlaßt die Kutschenschläge nicht. Wir lassen die Wohnungen in Bereitschaft setzen.

Und d’Artagnan ritt, von Porthos begleitet, gegen Saint-Germain.

Vorwärts, meine Herren, rief die Königin.

Der königliche Wagen begab sich auf den Weg, gefolgt von allen andern Karossen und von mehr als fünfzig Reitern.

Kaum hatte d’Artagnan unter Aufbietung aller seiner List ein einziges Bett für sich und Porthos errungen, als sich ein Offizier in dem Quartier meldete und nach d’Artagnan fragte.

Seid Ihr Herr d’Artagnan? sprach der Offizier. – Ja, mein Herr; was wollt Ihr? – Ich soll Euch holen. – In wessen Auftrag? – Im Auftrag Sr. Eminenz. – Sagt Monseigneur, ich wolle schlafen und rate ihm als Freund, dasselbe zu tun. – Se. Eminenz hat sich noch nicht niedergelegt und wird sich nicht niederlegen. Sie verlangt sogleich nach Euch. – Die Pest ersticke Mazarin, der nicht zu rechter Zeit zu schlafen weiß, murmelte d’Artagnan. Was will er von mir? Etwa mich zum Kapitän machen? Dann verzeihe ich ihm.

Und der Musketier stand brummend auf, nahm seinen Degen, seinen Hut, seine Pistolen, seinen Mantel und folgte sodann dem Offizier, während Porthos nunmehr der glückliche alleinige Besitzer des Bettes war.

Herr d’Artagnan, sprach der Kardinal, als er den Mann erblickte, den er zu so ungelegener Zeit hatte holen lassen, ich habe nicht vergessen, mit welchem Eifer Ihr mir dientet, und ich will Euch einen Beweis hiervon geben.

Schön! dachte d’Artagnan, das kündigt sich gut an.

Mazarin betrachtete den Musketier und sah, wie sich sein Gesicht erheiterte.

Herr d’Artagnan, sagte er, habt Ihr große Lust, Kapitän zu werden? – Ja, Monseigneur. – Und Euer Freund wünscht immer noch Baron zu sein? – In diesem Augenblick träumt er, er sei es, Monseigneur. – Dann nehmt diesen Brief und bringt ihn nach England, sprach Mazarin und zog aus einem Portefeuille den Brief, den er bereits d’Artagnan gezeigt hatte.

D’Artagnan schaute den Umschlag an; es war keine Adresse darauf.

Dürfte ich nicht erfahren, wem ich ihn zustellen soll?

Wenn Ihr in London ankommt, erfahrt Ihr es. Erst in London erbrecht Ihr den doppelten Umschlag.

Und meine Instruktionen?

Bestehen darin, daß Ihr in jeder Beziehung dem Manne zu gehorchen habt, an den dieser Brief gerichtet ist.

D’Artagnan wollte neue Fragen machen, als Mazarin beifügte:

Ihr reist nach Boulogne, wo Ihr im Wappen von England einen jungen Edelmann Namens Mordaunt findet.

Ja, Monseigneur. Und was soll ich mit diesem Edelmann machen?

Ihm folgen, wohin er Euch führen wird.

Auf d’Artagnans ungeschminkte Forderung verstand sich Mazarin endlich dazu, ihm als Reisekosten für ihn und Porthos zwölfhundert Taler zu geben.

Filz! murmelte d’Artagnan. Aber bei unserer Rückkehr, fügte er laut bei, können wir wenigstens, Herr Porthos auf seine Baronie und ich auf meinen Grad zählen, nicht wahr?

Bei meiner Treue!

Ein anderer Schwur wäre mir lieber, sagte d’Artagnan leise zu sich selbst und laut: Noch ein Wort, Monseigneur. Wenn man sich da schlägt, wohin ich gehe, soll ich mich schlagen?

Ihr werdet alles tun, was Euch die Person befiehlt, an die ich Euch adressiere.

Es ist gut, Monseigneur, sagte d’Artagnan, die Hand ausstreckend, um den Sack in Empfang zu nehmen; ich bezeuge Euch meine Achtung.

D’Artagnan steckte langsam den Sack in seine weite Tasche, wandte sich gegen den Offizier um und sprach zu diesem:

Mein Herr, wollt die Güte haben, Herrn du Vallon ebenfalls im Auftrag Sr. Eminenz zu wecken und ihm zu sagen, ich erwarte ihn in den Ställen.

D’Artagnan hatte sich unmittelbar in die Ställe begeben. Der Tag graute bereits. Er erkannte sein Pferd und das von Porthos. Beide waren an die Raufe gebunden, aber diese war leer. Er gab ihnen voll Mitleid etwas Stroh, das er in der Ecke bemerkte und auf dem Mousqueton schlafend lag. Er weckte diesen, der schnell das Pferd seines Herrn sattelte und das seinige bestieg.

Mittlerweile erschien Porthos mit einem sehr verdrießlichen Gesicht und war im höchsten Grad erstaunt, als er d’Artagnan in sein Schicksal ergeben fand.

Oho! sagte er, wir haben also, was wir wünschen, Ihr Euern Grad und ich meine Baronie!

Wir holen die Patente, sagte d’Artagnan, und bei unserer Rückkehr wird sie Meister Mazarin unterzeichnen.

Und wohin gehen wir? fragte Porthos.

Zuerst nach Paris, erwiderte d’Artagnan, ich will dort einige Angelegenheiten in Ordnung bringen.

Also nach Paris, versetzte Porthos.

Und beide schlugen den Weg nach Paris ein, das sie in höchster Aufregung und Wut über die Entweichung der Königin, des Königs und Mazarins fanden. Ohne Schwierigkeit gelangten sie zum Gasthaus zur Rehziege. Die schöne Madeleine lief d’Artagnan entgegen.

Meine liebe Madame Turquaine, sagte d’Artagnan, wenn Ihr Geld habt, vergrabt es rasch; wenn Ihr Juwelen habt, verbergt sie geschwind; wenn Ihr Schuldner habt, laßt sie bezahlen; wenn Ihr Gläubiger habt, bezahlt sie nicht. – Warum dies? fragte Madeleine. – Weil Paris in Asche gelegt wird, gerade wie Babylon, wovon Ihr ohne Zweifel gehört habt. – Und Ihr verlaßt mich in einem solchen Augenblick? – Sogleich, sagte d’Artagnan. – Und wohin geht Ihr? – Ah, wenn Ihr mir das sagen könnt, erweist Ihr mir einen großen Dienst. – Ach, mein Gott! mein Gott! – Habt Ihr Briefe für mich? fragte d’Artagnan und deutete seiner Wirtin mit einem Zeichen an, daß sie sich die Wehklagen ersparen solle, insofern dieselben überflüssig seien. – Soeben ist einer angekommen.

Und sie gab d’Artagnan den Brief.

Von Athos! rief d’Artagnan, die feste, große Handschrift des Freundes erkennend.

Ah! sprach Porthos, wir wollen doch sehen, was er sagt.

D’Artagnan öffnete den Brief und las:

Lieber d’Artagnan, lieber du Vallon, meine guten Freunde, vielleicht erhaltet Ihr zum letztenmal Nachricht von mir. Aramis und ich, wir sind sehr unglücklich. Aber Gott, unser Mut und die Erinnerung an unsere Freundschaft halten uns noch aufrecht. Denkt an Raoul. Ich empfehle Euch die Papiere, die in Blois liegen, und wenn ihr in dritthalb Monaten keine Nachricht von uns erhalten habt, nehmt Kenntnis davon. Umarmt den Vicomte von ganzem Herzen für Euern ergebenen Freund

Athos.

Ich glaube bei Gott wohl, daß ich ihn umarmen werde, sagte d’Artagnan. Überdies ist er auf unserm Weg, und wenn er das Unglück hat, unsern armen Athos zu verlieren, so wird er von diesem Tage an mein Sohn. – Und ich mache ihn zu meinem Universalerben, sprach Porthos. – Laßt doch sehen, was Athos noch sagt. – Trefft Ihr auf Euern Wegen einen Herrn Mordaunt, so mißtraut ihm; ich kann Euch in meinem Briefe nicht mehr sagen. – Herr Mordaunt! sagte d’Artagnan sehr erstaunt. – Es ist gut, sprach Porthos, man wird sich seiner erinnern. Aber seht, es ist noch eine Nachschrift von Aramis dabei. – In der Tat, versetzte d’Artagnan, und er las:

Wir verschweigen unsern Aufenthaltsort, teure Freunde, weil wir Eure brüderliche Ergebenheit kennen und wissen, daß Ihr kommen würdet, um mit uns zu sterben.

Sacrebleu! unterbrach Porthos den Lesenden mit einem Ausdruck, der Mousqueton in die andere Ecke des Zimmers jagte. Sind sie denn in Todesgefahr?

D’Artagnan fuhr fort:

Athos vermacht Euch Raoul, und ich vermache Euch eine Rache. Wenn Ihr so glücklich seid, einen gewissen Mordaunt unter die Hand zu bekommen, so sagt Porthos, er solle ihn in eine Ecke führen und ihm den Hals umdrehen. Ich wage es nicht, Euch in einem Brief mehr zu sagen.

Aramis.

Wenn es sonst nichts ist, sprach Porthos, das läßt sich leicht machen. – Im Gegenteil, erwiderte d’Artagnan mit düsterer Miene, das ist unmöglich. – Warum? – Gerade diesen Herrn Mordaunt suchen wir in Boulogne auf, und mit ihm gehen wir nach England. – Wenn wir nun, statt Herrn Mordaunt aufzusuchen, unsere Freunde aufsuchten? rief Porthos mit einer Gebärde, die einer Armee hätte Angst einjagen können. – Ich habe wohl daran gedacht, sagte d’Artagnan; aber der Brief hat weder Datum noch Stempel. – Das ist richtig, sprach Porthos.

Und er fing an wie ein Verrückter im Zimmer umherzugehen, machte allerhand Gebärden und zog alle Augenblicke seinen Degen zum dritten Teil aus der Scheide.

D’Artagnan blieb ganz bestürzt auf derselben Stelle, und der tiefste Kummer war auf seinem Antlitz ausgeprägt.

Vorwärts, sprach er dann, das führt zu nichts. Wir wollen abreisen und Raoul umarmen, wie wir gesagt haben; vielleicht hat er Nachricht von Athos.

Man stieg zu Pferde und entfernte sich. Als die Freunde in die Rue Saint-Denis gelangten, fanden sie einen großen Volksauflauf. Herr von Beaufort war soeben aus Vendome angelangt und wurde von dem Koadjutor den freudigen Parisern gezeigt. Mit Herrn von Beaufort hielten sie sich für unüberwindlich.

Die zwei Freunde ritten durch eine kleine Gasse, um dem Prinzen nicht zu begegnen, und ritten durch die Barriere Saint-Denis.

Da sie ihren Weg so schnell, als ihnen möglich war, zurücklegten, so gelangten sie zu guter Zeit ins Lager, wo sie Raoul in trüber Stimmung fanden. Er war mißmutig, weil der Marschall von Grammont und der Herzog von Guiche nach Paris zurückgekehrt waren, und traurig, weil er keine Nachricht von Athos hatte. Die Freunde trösteten ihn so gut sie konnten, und sagten ihm, da sie ihm die Wahrheit nicht sagen konnten, und d’Artagnan im Augenblick nichts anderes einfiel, der Graf sei mit dem Abbé d’Herblay nach Konstantinopel gegangen.

D’Artagnan gab Raoul noch fünfzig Pistolen, legte seinem Diener Olivain nachdrücklich seine Fürsorgepflichten für seinen Herrn ans Herz und schlug, nachdem er und Porthos den jungen Mann herzlich und kräftig umarmt hatten, den Weg nach Boulogne ein, wo sie gegen Abend auf Pferden, die mit Schweiß und weißem Schaum bedeckt waren, ankamen.

Zehn Schritte von dem Ort, wo sie Halt machten, ehe sie in die Stadt einritten, stand ein schwarz gekleideter junger Mann, der jemand zu erwarten schien und seit er sie erblickt hatte, die Augen unablässig auf sie geheftet hielt.

D’Artagnan näherte sich ihm und sagte, als er sah, daß er das Auge nicht von ihm abwandte: He, Freund, ich hab’s nicht gern, wenn man mich mißt.

Mein Herr, sprach der junge Mann, ohne auf d’Artagnans Bemerkung zu antworten, kommt Ihr von Paris?

D’Artagnan dachte, es sei ein Neugieriger, der Nachrichten von der Hauptstadt zu haben wünsche, und erwiderte mit sanfterem Tone:

Ja, mein Herr. – Sollt Ihr nicht im Wappen von England wohnen? – Ja, mein Herr. – Seid Ihr nicht mit einer Sendung von Seiner Eminenz, dem Herrn Kardinal von Mazarin, beauftragt? – Ja, mein Herr. – Dann habt Ihr mit mir zu tun, sprach der junge Mann; ich bin Herr Mordaunt.

Ah! sagte d’Artagnan ganz leise, der, vor dem uns Athos warnt.

Ah! murmelte Porthos, der, den uns Aramis zu erdrosseln rät.

Beide schauten den jungen Mann aufmerksam an. Dieser täuschte sich im Ausdruck ihres Blickes.

Solltet Ihr an meinem Wort zweifeln? sagte er; ich bin in diesem Fall bereit Euch jeden Beweis zu liefern.

Nein, mein Herr, antwortete d’Artagnan, wir sind zu Eurer Verfügung.

Wohl, meine Herren, sprach Mordaunt, wir werden ungesäumt abreisen. Es ist heute der letzte Tag der Frist, die der Herr Kardinal von mir gefordert hatte. Mein Schiff ist bereit, und wenn Ihr nicht gekommen wäret, so würde ich ohne Euch abgegangen sein, denn der General Oliver Cromwell muß meine Rückkehr mit Ungeduld erwarten.

Ah, ah, sagte d’Artagnan, wir sind also an den General Oliver Cromwell abgesandt?

Habt Ihr keinen Brief für ihn? fragte der junge Mann.

Ich habe einen Brief, dessen doppelten Umschlag ich erst in London erbrechen sollte. Da Ihr mir aber sagt, an wen er adressiert ist, so halte ich es für unnötig, bis dort zu warten.

D’Artagnan zerriß den Umschlag des Briefes, auf dem in der Tat stand:

»An Herrn Oliver Cromwell, General der Truppen der englischen Nation.«

Ah! murmelte d’Artagnan, ein sonderbarer Auftrag. Vorwärts, meine Herren, sprach Mordaunt ungeduldig, gehen wir. – Oh, oh! rief Porthos, ohne Abendessen? Kann Herr Cromwell nicht ein wenig warten? – Ja, aber ich … versetzte Mordaunt. – Nun, Ihr? … sagte Porthos. – Ich habe Eile. – Oh, wenn es Euretwegen geschehen soll! rief Porthos, das geht mich nichts an, und ich werde mit Eurer Erlaubnis oder ohne sie zu Nacht speisen.

Der schwankende Blick des jungen Mannes entflammte sich und schien bereit, einen Blitz zu schleudern, aber er bezähmte sich.

Mein Herr, sprach d’Artagnan, man muß hungrige Reisende entschuldigen. Überdies wird Euch unser Abendbrot nicht lang aufhalten, wir reiten rasch bis zu dem Gasthaus. Geht zu Fuß nach dem Hafen, wir essen einen Bissen und sind beinahe zu gleicher Zeit mit Euch dort. – Wie es Euch gefällt, meine Herren, wenn wir nur reisen, versetzte Mordaunt. – Das ist ein Glück, murmelte Porthos. – Der Name des Schiffes? fragte d’Artagnan. – Der Standard. – Gut, in einer halben Stunde sind wir an Bord.

Und beide gaben ihren Pferden die Sporen und eilten nach dem Gasthof zum »Wappen von England«.

Was sagt Ihr zu diesem jungen Menschen? fragte d’Artagnan während des scharfen Rittes.

Ich sage, daß er mir nicht im geringsten behagt, erwiderte Porthos, und daß ich das größte Gelüste in mir spürte, Aramis‘ Rat zu befolgen. – Davor hütet Euch wohl, mein lieber Porthos: dieser Mensch ist ein Abgesandter des Generals Cromwell, und ich glaube, wir würden uns einen erbärmlichen Empfang bereiten, wenn wir dem General meldeten, wir hätten seinem Vertrauten den Hals umgedreht. – Gleichviel, versetzte Porthos, ich habe immer wahrgenommen, daß Aramis ein Mann von gutem Rat ist. – Hört, sprach d’Artagnan, wenn unsere Botschaft beendigt ist … – Hernach? – Wenn er uns nach Frankreich zurückführt … – Nun? – Nun, wir werden sehen.

Die Freunde gelangten hierauf in den Gasthof, wo sie mit großem Appetit zu Nacht speisten, und begaben sich dann ungesäumt nach dem Hafen.

Eine Brigg war bereit, unter Segel zu gehen, und auf dem Verdeck dieser Brigg erkannten sie Mordaunt, der ungeduldig auf und ab ging.

Es ist unglaublich, sprach d’Artagnan, während die Barke sie an Bord des Standard führte, es ist erstaunlich, wie sehr dieser junge Mann jemand gleicht, den ich gekannt habe, doch vermag ich nicht zu sagen, wem.

Sie gelangten zu der Treppe und waren einen Augenblick nachher eingeschifft.

Der Schotte, treulos gegen Eid und Ehr‘, Gibt König Karl um einen Pfennig her

Und nun müssen unsere Leser den Standard ruhig, nicht nach London, wohin d’Artagnan und Porthos zu gehen glaubten, sondern nach Durham schwimmen lassen, wohin Briefe, die Mordaunt während seines Aufenthaltes in Boulogne erhielt, diesen beschieden hatten; und uns gefälligst in das royalistische Lager an der Tyne, unfern der Stadt Newcastle, folgen.

Hier, zwischen zwei Flüssen, an der Grenze von Schottland, aber auf englischem Boden, breiten sich die Zelte eines kleinen Heeres aus. Es ist Mitternacht. Männer, die man an ihren nackten Beinen, an ihren kurzen Röcken, an ihren buntscheckigen Plaids und an der Feder, die ihre Mütze ziert, als Hochländer erkennt, halten nachlässig Wache. Der Mond beleuchtet, durch dicke Wolken gleitend, bei jedem Zwischenraum, den er auf seinem Wege findet, die Musketen der Schildwachen und hebt kräftig die Mauern, Dächer und Türme der Stadt hervor, die Karl I. den Truppen des Parlaments übergeben hat.

An einem Ende dieses Lagers, bei einem ungeheuren Zelt, das voll von Offizieren ist, die unter dem Vorsitz des alten Grafen von Lewen, ihres Anführers, beratschlagen, schläft ein Mann in Reitertracht auf dem Rasen, die rechte Hand an sein Schwert gelegt.

Fünfzig Schritte davon plaudert ein anderer, ebenfalls in Reitertracht, mit einer schottischen Wache, und obgleich Ausländer, scheint er doch der englischen Sprache mächtig genug, um die Antworten zu verstehen, die ihm der andere in der Mundart der Grafschaft Perth gibt.

Als es in der Stadt Newcastle nachts ein Uhr schlug, erwachte der Schläfer, und nachdem er sich ganz wie ein Mensch gebärdet hatte, der die Augen nach tiefem Schlaf öffnet, schaute er aufmerksam um sich her, stand, da er sich allein sah, auf, machte einen Umweg und ging an dem Reiter vorbei, der mit der Schildwache plauderte. Dieser hatte ohne Zweifel keine Frage mehr zu stellen, denn nach einem Augenblick nahm er Abschied von der Wache und schlug, wie absichtslos, denselben Weg ein, den wir den ersten Reiter gehen sahen.

Im Schatten eines an der Straße aufgeschlagenen Zeltes erwartete ihn der andere.

Nun, mein lieber Freund? sagte er im reinsten Französisch.

Mein Freund, es ist keine Zeit zu verlieren, man muß den König benachrichtigen.

Was geht denn vor?

Jetzt fehlt die Zeit, es Euch zu sagen. Überdies werdet Ihr es sogleich hören. Hier kann das geringste Wort alles verderben. Wir wollen Mylord Winter aufsuchen.

Und beide wanderten nach dem entgegengesetzten Ende des Lagers. Da aber das Lager nicht mehr als eine Oberfläche von fünfhundert Quadratschuh bedeckte, so waren sie bald bei dem Zelte dessen, den sie suchten, angelangt.

Schläft Euer Herr, Tomby? fragte einer der zwei Reiter den Diener, der in einer als Vorzimmer benützten ersten Abteilung des Zeltes lag, auf englisch.

Nein, Herr Graf, antwortete der Lakai, ich glaube nicht, es müßte denn erst seit ganz kurzer Zeit der Fall sein, denn er ist, nachdem er den König verlassen, mehr als zwei Stunden lang umhergegangen, und das Geräusch seiner Tritte hat erst vor zehn Minuten aufgehört; übrigens könnt Ihr selbst sehen, fügte er, den Vorhang aufhebend, bei.

Winter saß vor einer fensterartigen Öffnung, welche die Nachtluft eindringen ließ, und folgte mit schwermütigen Blicken dem, wie gesagt, unter schweren, schwarzen Wolken sich verlierenden Monde.

Die zwei Freunde näherten sich dem Lord, der, den Kopf auf seine Hand gestützt, den Himmel anschaute; er hörte sie nicht kommen und verharrte in derselben Haltung bis zu dem Augenblick, wo er fühlte, daß eine Hand auf seine Schulter gelegt wurde.

Dann wandte er sich um, erkannte Athos und Aramis und reichte ihnen die Hand.

Habt ihr bemerkt, sagte er zu ihnen, wie der Mond diesen Abend blutfarbig ist? – Nein, erwiderte Athos, er kam mir wie gewöhnlich vor. – Schaut ihn an, versetzte Lord Winter. – Ich gestehe Euch, antwortete Aramis, es geht mir wie dem Grafen de la Fère, ich sehe nichts Besonderes daran. – Graf, sprach Athos, in einer so mißlichen Lage, wie die unsere ist, muß man die Erde betrachten und nicht den Himmel. Habt Ihr unsere Schotten beobachtet und seid Ihr derselben sicher? – Die Schotten? fragte Lord Winter; welche Schotten? – Die unseren, bei Gott! die, denen sich der König anvertraut hat. Die Schotten des Grafen von Lewen. – Nein, erwiderte Winter und fügte dann bei: Sagt mir, ihr seht also nicht, wie ich, die rötliche Farbe, welche den Himmel bedeckt? – Ganz und gar nicht, antworteten Athos und Aramis zugleich. – Sagt mir, fuhr der Lord, stets mit demselben Gedanken beschäftigt, fort, erzählt man sich nicht in Frankreich, daß Heinrich IV. am Vorabend seiner Ermordung, als er mit Herrn von Bassompierre Schach spielte, Blutflecken auf dem Schachbrett sah? – Ja, sprach Athos, der Marschall hat es mir oftmals selbst erzählt. – So ist es, murmelte Winter, und am andern Tag wurde Heinrich IV. ermordet. – Aber in welchem Zusammenhang steht die Vision Heinrichs IV. mit uns, Graf? fragte Aramis. – In keinem, meine Herren, und ich bin in der Tat ein Tor, daß ich Euch mit solchen Dingen unterhalte, während Eure Erscheinung in meinem Zelte zu dieser Stunde mir ankündigt, daß Ihr irgend eine wichtige Neuigkeit zu überbringen habt. – Ja, Mylord, versetzte Athos, ich wünschte den König zu sprechen. – Den König? Er schläft. – Ich habe ihm Dinge von großem Belang mitzuteilen. – Läßt sich die Sache nicht auf morgen verschieben? – Er muß es sogleich erfahren, und vielleicht ist es bereits zu spät. – Gehen wir hinein, meine Herren.

Lord Winters Zelt war neben dem königlichen; eine Art von Korridor führte von dem einen in das andere. Dieser Korridor wurde nicht von einem Soldaten, sondern von einem vertrauten Diener Karls I. bewacht.

Diese Herren gehören zu mir, sprach der Lord.

Der Lakai verbeugte sich und ließ sie vorübergehen.

Auf einem Feldbett liegend, ein schwarzes Wams auf dem Leib, seine langen Stiefel an den Beinen, den Gürtel gelöst, den Hut neben sich, war König Karl infolge eines unwiderstehlichen Bedürfnisses eingeschlafen. Die drei Männer schritten vorwärts, und Athos, der vorausging, betrachtete einen Augenblick stillschweigend das edle, so bleiche Antlitz, umrahmt von langen schwarzen Haaren, die der Schweiß eines unruhigen Schlummers an seine Schläfe klebte, und marmorartig durchzogen von dicken blauen Adern, die von den Tränen aus seinen müden Augen aufgeschwollen schienen.

Athos stieß einen Seufzer aus, und dieser Seufzer erweckte den König; so leicht war sein Schlaf.

Er schlug die Augen auf.

Ah! sagte er, sich auf den Ellenbogen erhebend, Ihr seid es, Graf de la Fère? – Ja, Sire, antwortete Athos. – Ihr wacht, während ich schlafe, und Ihr bringt mir irgend eine Nachricht? – Ach! Sire, erwiderte Athos, Ew. Majestät hat richtig erraten. – Dann ist die Nachricht schlecht, sprach der König mit schwermütigem Lächeln. – Ja, Sire. – Gleichviel, der Bote ist willkommen, und Ihr könnt nicht bei mir erscheinen, ohne mir stets Vergnügen zu machen, ein Mann wie Ihr, dessen Ergebenheit weder Vaterland noch Unglück kennt, und der mir von Henriette geschickt worden ist … was auch die Nachricht sein mag, die Ihr mir überbringt, sprecht unumwunden. – Sire, Cromwell ist in dieser Nacht in Newcastle eingetroffen. – Ah, rief der König, um mich zu bekämpfen? – Nein, um Euch zu kaufen. – Was sagt Ihr? – Ich sage, Sire, daß man dem schottischen Heer viermalhunderttausend Pfund Sterling schuldet. – An rückständigem Solde, ja, ich weiß es. Seit beinahe einem Jahre schlagen sich meine braven und getreuen Schotten für die Ehre.

Athos lächelte.

Wohl, Sire, obgleich die Ehre etwas Schönes ist, so sind sie doch müde geworden, sich dafür zu schlagen, und haben Euch heute nacht für zweimalhunderttausend Pfund Sterling verkauft, das heißt für die Hälfte dessen, was man ihnen schuldig war. – Unmöglich! rief der König; die Schotten verkaufen ihren König nicht um zweimalhunderttausend Pfund Sterling! – Die Juden haben ihren Gott um dreißig Silberlinge verkauft. – Und wer ist der Judas, der diesen schändlichen Handel abgeschlossen hat? – Der Graf von Lewen. – Wißt Ihr es gewiß? – Ich habe es mit meinen eigenen Ohren gehört.

Der König stieß einen tiefen Seufzer aus, als ob sein Herz brechen wollte, und ließ sein Haupt in seine Hände fallen.

Ah! die Schotten! rief er, die Schotten, die ich meine Getreuen nannte! die Schotten, denen ich mich anvertraute, während ich nach Oxford fliehen konnte! Die Schotten, meine Landsleute! Die Schotten, meine Brüder! Seid Ihr Eurer Sache auch gewiß, mein Herr? – Hinter dem Zelt des Grafen von Lewen, dessen Leinwand ich aufhob, scheinbar im Schlafe liegend, habe ich alles gesehen, alles gehört. – Und wann soll dieser abscheuliche Handel vollzogen werden? – Heute, diesen Morgen. Es ist daher, wie Ew. Majestät sieht, keine Zeit zu verlieren. – Um was zu tun, da Ihr sagt, ich sei verkauft? – Um über den Tyne zu setzen, um Schottland zu erreichen, um zu Lord Montrose zu gelangen, der Euch nicht verkaufen wird. – Und was soll ich in Schottland tun? Einen Parteigängerkrieg anfangen? Ein solcher Krieg ist eines Königs unwürdig. – Das Beispiel von Robert Bruce spricht Euch frei, Sire. – Nein! nein! ich kämpfe schon zu lange; haben sie mich verkauft, so mögen sie mich ausliefern, und die ewige Schmach ihres Verrates falle auf sie zurück. – Sire, sprach Athos, vielleicht soll ein König so handeln, nicht aber ein Gatte und Vater. Ich bin im Namen Eurer Gemahlin und Eurer Tochter gekommen, und im Namen Eurer Gemahlin und Eurer Tochter, sowie der zwei anderen Kinder, welche Ihr noch in London habt, sage ich Euch: Rettet Euer Leben, Sire, Gott will es.

Der König stand auf, zog seinen Gürtel fest, schnallte seinen Degen um und trocknete mit einem Taschentuch seine von Schweiß befeuchtete Stirne ab.

Nun, sagte er, was ist zu tun? – Sire, habt Ihr beim ganzen Heere ein Regiment, auf das Ihr Euch verlassen könnt? – Winter, baut Ihr auf die Treue des Eurigen? fragte der König. – Sire, es sind nur Menschen, und die Menschen sind sehr schwach oder sehr bösartig geworden. Ich glaube an ihre Treue, aber ich stehe nicht dafür; ich würde ihnen mein Leben anvertrauen, aber ich zögere, ihnen das Leben Ew. Majestät anzuvertrauen. – Wohl! sprach Athos, in Ermangelung eines Regiments sind drei ergebene Männer da, und das genügt; Ew. Majestät steige zu Pferde, begebe sich in unsere Mitte, wir setzen über den Tyne, erreichen Schottland und sind gerettet. – Ist das auch Eure Meinung, Winter? fragte der König. – Ja, Sire. – Und die Eurige, Herr d’Herblay? – Ja, Sire. – Es geschehe also, wie Ihr wollt, gebt Befehl, Winter.

Der Lord entfernte sich; der König kleidete sich mittlerweile vollends an. Die ersten Strahlen des Tages begannen, durch die Öffnungen des Zeltes zu dringen, als Lord Winter zurückkehrte.

Alles ist bereit, meldete er. – Und wir? fragte Athos. – Grimaud und Blaisois harren Euer mit den gesattelten Pferden. – Dann wollen wir keinen Augenblick verlieren, sprach Athos. – Laßt uns gehen, versetzte der König. – Sire, sagte Aramis, benachrichtigt Ew. Majestät Ihre Freunde nicht? – Meine Freunde! erwiderte Karl I. mit traurigem Kopfschütteln, ich habe noch Euch drei … einen Freund von zwanzig Jahren, der mich nie vergessen hat, zwei Freunde von acht Tagen, die ich nie vergessen werde. Kommt, meine Herren, kommt.

Der König verließ das Zelt und fand sein Pferd schon bereit. Es war ein isabellfarbiges Roß, das er seit drei Jahren ritt und ungemein liebte.

Das Tier wieherte vor Vergnügen, als es ihn sah.

Ah! sprach der König, ich war ungerecht: hier ist, wenn auch nicht ein Freund, doch ein Wesen, das mich liebt. Du wirst mir treu sein, nicht wahr, Arthus?

Und als hätte das Pferd diese Worte verstanden, näherte es seine dampfenden Nüstern dem Gesicht des Königs, hob seine Lippen auf und zeigte voll Freude seine weißen Zähne.

Ja, ja, sprach der König, das schöne Tier mit der Hand streichelnd, ja, es ist gut, Arthus, ich bin zufrieden mit dir.

Und mit der Behendigkeit, die den König zu einem der besten Reiter Europas machte, schwang sich Karl in den Sattel und sagte, sich gegen Athos, Aramis und den Grafen von Winter umdrehend: Nun, meine Herren, ich erwarte euch.

Aber Athos blieb unbeweglich, seine Hand und seine Augen nach einer schwarzen Linie gerichtet, die dem Tyneflusse folgte und sich doppelt so lang als das Lager ausstreckte.

Was für eine Linie ist dies? sprach Athos, der im letzten nächtlichen Dunkel, das mit den ersten Strahlen des Tages kämpfte, nicht gut zu unterscheiden vermochte. Was bedeutet diese Linie? Ich habe sie gestern nicht gesehen. – Ohne Zweifel ist es der Nebel, der vom Flusse aufsteigt, erwiderte der König. – Sire, es ist etwas Wesenhafteres, als ein Dunst. – In der Tat, es gleicht einer rötlichen Barriere, versetzte Winter. – Es ist der Feind, der von Newcastle auszieht und uns umschließt, rief Athos. – Der Feind! sprach der König. – Ja, der Feind. Es ist zu spät. Schaut! Seht ihr nicht dort unter jenem Sonnenstrahl von der Stadt her die eisernen Rippen glänzen?

So nannte man die Kürassiere, die Cromwell zu seinen Leibwachen gewählt hatte.

Ah! sprach der König, wir werden erfahren, ob es wahr ist, daß mich die Schotten verraten.

Was wollt Ihr tun, Sire? rief Athos.

Ihnen Befehl zum Angriff geben und diese elenden Rebellen mit ihnen niederreiten.

Und der König gab seinem Pferd die Sporen und jagte auf das Zelt des Grafen von Lewen zu.

Folgen wir ihm, sprach Athos.

Vorwärts! rief Aramis.

Sollte der König verwundet sein? fragte der Graf Winter. Ich sehe Blutflecken auf dem Boden. Und er sprengte den Freunden nach. Athos hielt ihn zurück.

Sammelt Euer Regiment, sagte er; ich sehe, daß wir desselben sogleich bedürfen werden.

Der Lord wandte sein Pferd um, und die zwei Freunde setzten ihren Weg fort. In zwei Sekunden hatte der König das Zelt des Grafen von Lewen, des Obergenerals der schottischen Armee, erreicht. Er sprang zu Boden und trat ein.

Der General befand sich mitten unter den vornehmsten Häuptlingen.

Der König! riefen sie aufstehend und sich anschauend.

Karl stand wirklich vor ihnen, den Hut auf dem Kopf, die Stirne gefaltet und mit der Reitpeitsche an seine Stiefel klopfend.

Ja, sprach er, der König, der Rechenschaft von Euch über das fordert, was vorgeht.

Was geht denn vor, Sire? fragte der Graf von Lewen.

Meine Herren, sprach der König, der sich vom Zorn fortreißen ließ, der General Cromwell ist diese Nacht in Newcastle angekommen; ihr wußtet es und habt mich nicht davon benachrichtigt; der Feind zieht aus der Stadt und versperrt uns den Übergang über den Tyne; eure Wachen mußten diese Bewegung sehen, und man hat mich nicht davon in Kenntnis gesetzt; ihr habt mich durch einen schändlichen Vertrag um zweimalhunderttausend Pfund Sterling an das Parlament verkauft, aber dieser Vertrag wenigstens ist mir bekannt. Das geht vor, meine Herren, antwortet und rechtfertigt euch, denn ich klage euch an.

Sire, stammelte der Graf von Lewen, Sire, Ew. Majestät wird durch einen falschen Bericht getäuscht worden sein.

Ich habe mit meinen eigenen Augen das feindliche Heer zwischen mir und Schottland sich ausbreiten sehen, versetzte Karl, und ich kann fast sagen, ich habe mit meinen eigenen Ohren gehört, wie die Bedingungen des Vertrags beraten wurden.

Die schottischen Häuptlinge schauten sich ebenfalls, die Stirne faltend, an.

Sire, murmelte der Graf von Lewen, gebeugt unter dem Gewicht der Schande, Sire, wir sind bereit, Euch jeden Beweis zu geben.

Ich verlange nur einen einzigen, sprach der König. Stellt das Heer in Schlachtordnung auf, und wir marschieren dem Feinde entgegen.

Das kann nicht sein, Sire, erwiderte der Graf.

Wie! es kann nicht sein! Und warum kann es nicht sein? rief Karl I.

Ew. Majestät weiß wohl, daß Waffenstillstand zwischen uns und dem englischen Heere stattfindet, antwortete der Graf.

Wenn Waffenstillstand stattfindet, so hat ihn das englische Heer dadurch gebrochen, daß es die Stadt gegen die Übereinkunft verließ; ich aber sage euch, ihr müßt euch mit mir durch dieses Heer schlagen und nach Schottland zurückkehren, und wenn ihr es nicht tut, nun so wählt zwischen den zwei Namen, die den Menschen der Verachtung und dem Fluche seiner Mitmenschen überantworten: entweder seid ihr Feiglinge, oder ihr seid Verräter.

Die Augen der Schotten flammten, aber sie gingen, wie dies so oft bei solchen Gelegenheiten geschieht, von der äußersten Scham zur äußersten Frechheit über, und zwei Clan-Häuptlinge schritten von zwei Seiten auf den König zu.

Nun wohl, ja, sagten sie, wir haben versprochen, Schottland und England von dem Manne zu befreien, der seit fünfundzwanzig Jahren das Blut und das Gold Schottlands und Englands trinkt. Wir haben es versprochen und halten unser Versprechen. König Karl Stuart, Ihr seid unser Gefangener.

Und beiden streckten zu gleicher Zeit die Hand aus, um den König zu ergreifen, aber ehe die Spitzen ihrer Finger seine Person berührten, stürzten beide, der eine tot, der andere ohnmächtig, nieder.

Athos hatte den einen mit dem Kolben seiner Pistole zu Boden geschlagen, Aramis hatte dem andern seinen Degen durch den Leib gerannt.

Als sodann der Graf von Lewen und die andern Häuptlinge, erschrocken vor dieser unerwarteten Hilfe zurückwichen, die dem Fürsten, den sie bereits für ihren Gefangenen hielten, vom Himmel zuzufallen schien, zogen Athos und Aramis den König aus dem meineidigen Kreise, in den er sich so unklugerweise gewagt hatte; dann sprangen alle drei auf die Pferde, welche die Lakaien bereithielten, und ritten im Galopp nach dem königlichen Zelte zurück.

Im Vorüberreiten gewahrten sie den Grafen Winter, der an der Spitze seines Regiments herbeieilte. Der König gab ihm ein Zeichen, sie zu begleiten.

Der Rächer

Alle vier traten in das Zelt; es war noch kein Plan gefaßt, und doch mußte man zu irgend einem Entschlusse kommen.

Der König sank in einen Lehnstuhl und rief: Ich bin verloren!

Nein, Sire, entgegnete Athos, Ihr seid nur verraten.

Der König stieß einen tiefen Seufzer aus.

Verraten, verraten durch die Schotten, in deren Mitte ich geboren bin, die ich immer den Engländern vorzog! Oh, die Elenden!

Sire, sprach Athos, es ist jetzt keine Zeit zu Klagen und Anschuldigungen, sondern der Augenblick, wo Ihr zeigen müßt, daß Ihr König und Edelmann seid. Erhebt Euch, Sire! denn Ihr habt wenigstens hier drei Männer, die Euch nicht verraten werden … Ihr könnt ruhig sein. Ach! wenn wir nur fünf wären, murmelte Athos, an d’Artagnan und Porthos denkend.

Was sagt Ihr? fragte Karl aufstehend.

Ich sage, Sire, daß es nur ein Mittel gibt. Mylord Winter bürgt für sein Regiment, wenigstens so ziemlich, wir wollen’s nicht zu genau nehmen; er stellt sich an die Spitze seiner Leute, wir stellen uns an die Seite Eurer Majestät, wir schlagen uns durch Cromwells Armee durch und erreichen Schottland.

Es gäbe noch ein Mittel, versetzte Aramis; einer von uns müßte die Kleidung und das Pferd des Königs nehmen. Während man diesen mit aller Hitze verfolgte, würde der König vielleicht durchkommen!

Der Rat ist gut, sagte Athos, und wenn Seine Majestät einem von uns diese Ehre erweisen wollte, so würden wir sehr dankbar dafür sein.

Was haltet Ihr von diesem Rate, Mylord Winter? sprach der König und schaute dabei voll Bewunderung die zwei Männer an, die kein anderes Verlangen hatten, als die Gefahren, die ihn bedrohten, auf ihr eigenes Haupt abzuziehen.

Ich denke, Sire, sprach Athos eindringlich, daß, wenn es ein Mittel gibt, Ew. Majestät zu retten, Herr d’Herblay dasselbe vorgeschlagen hat. Ich bitte also Ew. Majestät untertänig, sogleich Ihre Wahl zu treffen, denn wir haben keine Zeit zu verlieren.

Aber willige ich ein, so kommt der, welcher meinen Platz einnehmen will, entweder um sein Leben, oder wenigstens um seine Freiheit.

Aber ihm wird die Ehre zu teil, seinen König gerettet zu haben! rief Winter.

Der König schaute seinen alten Freund mit Tränen in den Augen an, machte das Band des Heiligen-Geist-Ordens, das er seinen zwei französischen Begleitern zu Ehren trug, los und schlang es um den Hals Winters, der knieend dieses Zeichen des Vertrauens und der Freundschaft seines Fürsten empfing.

Es ist nicht mehr als billig, sagte Athos, er dient ihm länger als wir.

Der König hörte diese Worte, wandte sich voll Rührung um und sprach: Meine Herren, wartet einen Augenblick, ich habe jedem von euch ebenfalls ein Band zu geben.

Dann ging er an einen Schrank, worin seine eigenen Orden eingeschlossen waren, und nahm zwei Insignien des Hosenbandordens heraus.

Diese Orden können nicht für uns sein, sprach Athos.

Warum nicht, mein Herr? versetzte Karl.

Diese Orden sind für Könige, und wir sind nur einfache Edelleute.

Laßt alle Throne der Erde an euern Augen vorüberziehen, sagte der König, und findet mir erhabenere Herzen, als die euren. Nein, nein, ihr laßt euch nicht Gerechtigkeit widerfahren, meine Herren, aber ich bin da, um dies zu tun. Auf die Knie, Graf.

Athos kniete nieder; der König schlang ihm das Band, wie es die Regel vorschrieb, von der Linken zur Rechten um, hob sein Schwert und sprach statt der herkömmlichen Formel (Ich mache Euch zum Ritter, seid tapfer, treu und redlich):

Ihr seid tapfer, treu und redlich, ich mache Euch zum Ritter, mein Herr Graf.

Dann sich an Aramis wendend, sprach er: Jetzt Ihr, Herr Chevalier.

Und dieselbe Zeremonie wurde mit denselben Worten wiederholt, während Winter, von Dienern unterstützt, seinen Panzer losmachte, um eher für den König gehalten zu werden.

Als Karl auch Aramis geschmückt hatte, umarmte er die beiden französischen Ritter.

Sire, sagte Lord Winter, der, ganz von dem Bewußtsein seines großen Opfers erfüllt, seine ganze Kraft und seinen ganzen Mut wiedergewonnen hatte, Sire, wir sind bereit.

Der König schaute die drei Edelleute an und sprach: Ich muß also fliehen?

Durch ein Heer fliehen, nennt man auf der ganzen Welt angreifen, erwiderte Athos.

Ich werde also mit dem Schwerte in der Hand sterben, rief Karl. Herr Graf, Herr Chevalier, wenn ich je König werde …

Sire, Ihr habt uns bereits mehr geehrt, als es einfachen Edelleuten gebührte; die Dankbarkeit ist also auf unserer Seite. Aber verlieren wir keine Zeit mehr, wir haben bereits zu viel verloren.

Der König reichte allen dreien zum letztenmal die Hand, vertauschte seinen Hut mit dem von Winter und ging hinaus.

Das Regiment Winters war auf einer Plattform aufgestellt, die das Lager beherrschte; der König wandte sich, gefolgt von diesen drei Freunden, nach dieser Plattform.

Das schottische Lager schien endlich erwacht zu sein; die Leute hatten ihre Zelte verlassen und standen in Reih‘ und Glied wie zu einer Schlacht.

Seht ihr, sprach der König, vielleicht bereuen sie es und sind bereit, zu marschieren.

Wenn sie bereuen, versetzte Athos, so werden sie uns folgen.

Wohl, was tun wir? fragte der König.

Wir wollen das feindliche Heer beobachten, erwiderte Athos.

Die Augen der kleinen Gruppe hefteten sich sogleich auf die Linie, die man bei Tagesanbruch für Nebel gehalten hatte, und die nun die ersten Sonnenstrahlen als ein in Schlachtordnung aufgestelltes Heer bezeichneten. Die Luft war rein und durchsichtig, wie gewöhnlich in dieser Morgenstunde. Man unterschied ganz genau die Regimenter, die Standarten, sowie die Farbe der Uniformen und Pferde.

Dann sah man auf einem niedrigen Hügel, etwas vor der feindlichen Front, einen kleinen, gedrungenen, schwerfälligen Mann erscheinen, der von einigen Offizieren umgeben war. Er richtete ein Augenglas nach der Gruppe um den König.

Kennt Ew. Majestät diesen Mann persönlich? fragte Aramis.

Karl erwiderte lächelnd:

Dieser Mann ist Cromwell. – Dann zieht Euern Hut herab, Sire, damit er Euch nicht erkennt. – Ah! sprach Athos, wir haben viel Zeit verloren. – Nun also den Befehl, erwiderte der König, und wir ziehen ab. – Gebt Ihr ihn, Sire? fragte Athos. – Nein, ich ernenne Euch zu meinem Generalleutnant, sprach der König. – Hört also, Mylord Winter, sagte Athos; entfernt Euch, Sire, ich bitte Euch; was wir sprechen wollen, geht Eure Majestät nichts an.

Der König machte lächelnd drei Schritte rückwärts.

Folgendes ist mein Vorschlag, fuhr Athos fort: Wir teilen Euer Regiment in zwei Schwadronen. Ihr stellt Euch an die Spitze der ersten, Seine Majestät und wir stellen uns an die Spitze der zweiten. Hindert uns nichts, so greifen wir alle zusammen an, um die feindliche Linie zu durchbrechen und uns in den Tyne zu werfen. Stoßen wir aber auf ein Hindernis, so laßt Ihr und Eure Leute Euch bis auf den letzten Mann töten, wir und der König setzen unsern Weg fort. Sind wir einmal am Ufer angelangt, so ist das weitere unsere Sache, und wären sie drei Glieder hoch aufgestellt, wenn nur Eure Leute ihre Schuldigkeit tun.

Zu Pferde, rief Lord Winter.

Zu Pferde, sprach Athos, alles ist bedacht und entschieden.

Vorwärts, meine Herren, sagte der König, vorwärts. Wählen wir das alte Kriegsgeschrei der Franzosen: Montjoie und Saint-Denis! Englands Kriegsgeschrei wird gegenwärtig von zu vielen Verrätern wiederholt.

Man schwang sich in den Sattel, der König nahm das Pferd Winters, Winter das des Königs; Winter stellte sich ins erste Glied der ersten Schwadron, und der König, mit Athos zu seiner Rechten und Aramis zu seiner Linken, in das erste Glied der zweiten.

Die ganze schottische Armee betrachtete diese Vorkehrungen mit der Unbeweglichkeit und dem Stillschweigen der Scham.

Man sah, wie einige Häuptlinge aus den Gliedern hervortraten und ihre Schwerter zerbrachen.

Das tröstet mich, sagte der König, ich sehe, daß nicht alle Verräter sind.

In diesem Augenblick ertönte Lord Winters Stimme.

Vorwärts! rief er.

Die erste Schwadron fing an, sich in Bewegung zu setzen, die zweite folgte ihr und stieg die Plattform hinab. Ein der Zahl nach gleich starkes Regiment Kürassiere entwickelte sich hinter dem Hügel und ritt im schnellsten Galopp entgegen.

Der König zeigte Athos und Aramis, was vorging.

Sire, sprach Athos, für diesen Fall ist vorgesehen, und wenn Lord Winters Leute ihre Schuldigkeit tun, so rettet uns dieses Ereignis, statt uns zu verderben.

In diesem Augenblick hörte man Lord Winter, den Lärm der galoppierenden und wiehernden Pferde beherrschend, mit kräftiger Stimme rufen:

Säbel in die Hand!

Alle Säbel fuhren aus den Scheiden und leuchteten wie Blitze.

Auf! meine Herren, rief der König ebenfalls, berauscht durch das Getöse und den Anblick; auf, meine Herren, den Säbel in die Hand!

Aber diesem Befehl, wobei der König das Beispiel gab, gehorchten nur Athos und Aramis.

Wir sind verraten, sagte der König ganz leise.

Wir wollen noch warten, versetzte Athos, vielleicht haben sie die Stimme Ew. Majestät nicht erkannt und harren noch des Befehls ihres Schwadron-Chefs.

Haben sie nicht den ihres Obersten gehört? Aber seht! seht! rief der König, sein Pferd so gewaltig herumreißend, daß es sich auf seinen Fußsehnen bog, und zugleich das von Athos am Zaume fassend.

Ha, Feiglinge! ha, Elende! ha, Verräter! rief Lord Winter, dessen Stimme man deutlich hörte, während seine Leute Reih‘ und Glied verließen und sich in der Ebene zerstreuten.

Kaum fünfzehn Mann waren um ihn gruppiert und erwarteten den Angriff der Kürassiere Cromwells.

Laßt uns mit ihnen sterben, sprach der König.

Laßt uns sterben, wiederholten Athos und Aramis.

Herbei, ihr treuen Herzen! rief Lord Winter.

Seine Stimme drang bis zu den zwei Freunden, die im Galopp hinzueilten.

Keine Gnade, rief auf französisch eine Stimme, die Lord Winter antwortete und alle drei erbeben ließ.

Lord Winter wurde bei dem Klang dieser Stimme bleich und wie versteinert.

Es war die Stimme eines Reiters, der auf einem prachtvollen Rappen an der Spitze eines Regiments angriff, dem er in seinem Eifer zehn Schritte voraneilte.

Er ist es! murmelte Lord Winter mit starren Augen und ließ den Säbel an seiner Seite hinabsinken.

Der König! der König! riefen mehrere Stimmen, getäuscht durch das blaue Band und das isabellfarbige Pferd des Lords, fangt ihn lebendig!

Nein, es ist nicht der König! rief der Reiter, laßt euch nicht täuschen. Nicht wahr, Mylord Winter, Ihr seid nicht der König? Nicht wahr, Ihr seid mein Oheim?

Und in demselben Augenblick richtete Mordaunt den Lauf einer Pistole gegen Winter. Der Schuß ging los, die Kugel durchbohrte die Brust des alten Edelmanns, der auf seinem Sattel aufsprang und Athos in die Arme sank. Er murmelte nur noch: Der Rächer!

Erinnere dich meiner Mutter! brüllte Mordaunt, während er, vom wütenden Galopp seines Pferdes fortgerissen, vorüberjagte.

Elender! schrie Aramis und drückte eine Pistole auf ihn ab, als er ganz nahe an ihm vorüberritt, aber das Zündkraut allein fing Feuer, und der Schuß ging nicht los.

In diesem Augenblick fiel das ganze Regiment über die zwei Männer her, die standgehalten hatten, und die Franzosen wurden umzingelt. Nachdem sich Athos überzeugt hatte, daß Lord Winter tot war, ließ er den Leichnam los, zog seinen Degen und rief: Auf, Aramis, für die Ehre Frankreichs!

Und die zwei Engländer, die sich zunächst bei den zwei Edelleuten befanden, stürzten tödlich getroffen von den Pferden.

In demselben Augenblick erscholl ein furchtbares Hurra, und dreißig Klingen funkelten über ihren Häuptern.

Plötzlich stürzt ein Mann mitten aus den englischen Reihen hervor, die er niederwirft, springt auf Athos zu, umschlingt ihn mit seinen nervigen Armen, entreißt ihm sein Schwert und flüstert ihm ins Ohr:

Still! ergebt Euch. Wenn Ihr Euch mir ergebt, habt Ihr Euch nicht ergeben.

Zu gleicher Zeit hat ein Riese Aramis‘ Handgelenk ergriffen, der sich vergebens dem furchtbaren Druck zu entziehen sucht.

Ergebt Euch! spricht er, ihn fest anschauend.

Aramis hebt den Kopf empor; Athos wendet sich um.

D’Art … ruft Athos, dem der Gascogner mit der Hand den Mund verschließt.

Ich ergebe mich, sagte Aramis, Porthos sein Schwert reichend.

Feuer! Feuer! rief Mordaunt, zu der Gruppe zurückkehrend, bei der die zwei Freunde waren.

Und warum Feuer? fragte der Oberst, alles hat sich ergeben.

Es ist der Sohn Myladys, sprach Athos zu d’Artagnan. – Ich habe ihn erkannt. – Es ist der Mönch, sagte Porthos zu Aramis. – Ich weiß es.

Zu gleicher Zeit fingen die Glieder an, sich zu öffnen. D’Artagnan hielt Athos‘ Pferd, Porthos Aramis‘ am Zügel. Jeder suchte seinen Gefangenen vom Schlachtfeld fortzuziehen.

Durch diese Bewegung wurde die Stelle sichtbar, wohin der Leichnam Winters gefallen war. Mit dem Instinkt des Hasses hatte Mordaunt den Toten wiedergefunden und betrachtete ihn, über sein Pferd herabgebeugt, mit einem entsetzlichen Lächeln.

Athos legte, bei all seiner Ruhe, die Hand an seine Halfter, in denen sich seine Pistolen noch befanden.

Was macht Ihr? sprach d’Artagnan.

Laßt mich diesen Menschen töten.

Keine Gebärde, die vermuten lassen könnte, Ihr kennt ihn, oder wir sind alle vier verloren.

Dann sich gegen den jungen Mann umwendend, rief er:

Gute Beute, gute Beute! Freund Mordaunt. Herr du Vallon und ich, wir haben jeder unsern Mann, Ritter vom Hosenbandorden, nichts Geringeres.

Aber mir scheint, es sind Franzosen! rief Mordaunt und schaute Athos und Aramis mit blutgierigen Augen an.

Meiner Treu, ich weiß es nicht. Seid Ihr ein Franzose, mein Herr? fragte er Athos.

Ich bin es, antwortete dieser mit ernstem Ton.

Wohl, mein lieber Herr, Ihr seid nun der Gefangene eines Landsmannes.

Aber der König? sprach Athos ängstlich, der König?

Ei, wir haben den König.

Ja, sagte Aramis, durch einen schändlichen Verrat.

Porthos preßte das Handgelenke seines Freundes gewaltig zusammen und sagte lächelnd zu ihm:

Ei, mein Herr, man führt den Krieg ebensowohl durch Geschicklichkeit, als durch Kraft, seht Ihr.

Man sah jetzt die Schwadron, die den Rückzug Karls beschützen sollte, den König, der allein zu Fuße in einem großen freien Raume ging, umgeben und dem englischen Regiment entgegenreiten. Der Fürst war scheinbar ruhig, aber man sah wohl, welche Anstrengung es ihn kostete, ruhig zu scheinen; der Schweiß lief ihm über das Gesicht, er trocknete Stirn und Lippen mit einem Tuch ab, das jedesmal mit Blut befleckt von seinem Munde wegkam.

Da ist Nebukadnezar, rief einer der Kürassiere Cromwells, ein alter Puritaner, dessen Augen sich beim Anblick des Mannes entflammten, den er den Tyrannen nannte.

Was sagt Ihr, Nebukadnezar? sprach Mordaunt mit einem furchtbaren Lächeln. Nein, es ist König Karl I., der gute König Karl, der seinen Untertanen die Haut abzieht, um sie zu gerben.

Karl schlug die Augen gegen den Frechen auf, der so sprach; er erkannte ihn nicht, aber die ruhige und religiöse Majestät seines Gesichtes bewirkte, daß Mordaunt seine Blicke senkte.

Guten Morgen, meine Herren, sagte der König zu den beiden Edelleuten, die er in d’Artagnans und Porthos‘ Händen sah. Der Tag war unglücklich, doch das ist, Gott sei Dank, nicht eure Schuld. Wo ist mein alter Winter?

Die zwei Edelleute wandten die Köpfe ab und schwiegen.

Suche, wo Strafford ist, sprach Mordaunt mit seiner scharfen Stimme.

Karl bebte, der Teufel hatte gut getroffen; Strafford war sein ewiger Gewissensbiß, der Schatten seiner Tage, das Gespenst seiner Nächte.

Der König schaute um sich und erblickte einen Leichnam zu seinen Füßen; es war Lord Winter.

Karl stieß keinen Schrei aus, vergoß keine Träne; aber eine Leichenblässe breitete sich über sein Gesicht; er setzte ein Knie auf die Erde, hob Winters Kopf in die Höhe, küßte ihn auf die Stirn, nahm das Band des Heiligen-Geist-Ordens, das er ihm um den Hals geschlungen hatte, und legte es auf seine Brust.

Lord Winter ist also getötet? fragte d’Artagnan, seine Augen auf den Leichnam heftend.

Ja, sprach Athos, und zwar von seinem Neffen.

Er ist der erste von uns, der dahingeht, murmelte d’Artagnan; er war ein braver Mann, er ruhe im Frieden.

Karl Stuart, sprach jetzt der Oberst des englischen Regiments, auf den König zureitend, der die Insignien des Königtums wieder angetan hatte; Ihr ergebt Euch als Gefangener?

Oberst Thomlison, sprach Karl, der König ergibt sich nicht; nur der Mensch weicht der Gewalt.

Euern Degen.

Der König zog seinen Degen und zerbrach ihn auf dem Knie.

In diesem Augenblick lief ein Pferd, von Schaum bedeckt, mit flammenden Augen und weit aufgerissenen Nüstern herbei und blieb, als es seinen Herrn erkannte, vor Freude wiehernd, stehen: es war Arthus.

Der König lächelte, liebkoste es mit der Hand, schwang sich leicht in den Sattel und rief: Vorwärts, meine Herren, führt mich, wohin Ihr wollt.

Dann sich rasch umwendend:

Halt, es kam mir vor, als bewege sich Lord Winter; lebt er noch, so verlaßt, bei allem, was euch heilig ist, diesen edlen Mann nicht.

Oh! seid unbesorgt, erwiderte Mordaunt, die Kugel hat ihm das Herz durchbohrt.

Flüstert kein Wort mehr, macht keine Gebärde, sehet weder mich, noch Porthos an, sagte d’Artagnan zu Athos und Aramis, denn Mylady ist nicht tot … ihre Seele lebt in dem Körper dieses Teufels! …

Und die Abteilung rückte, ihren königlichen Gefangenen mit sich führend, auf die Stadt zu, aber auf halbem Weg brachte ein Adjutant des Generals Cromwell dem Obersten Thomlison den Befehl, den König nach Holdenby-Castle zu führen.

Zu gleicher Zeit gingen Eilboten in allen Richtungen ab, um England und ganz Europa zu verkündigen, daß König Karl Stuart der Gefangene des Generals Oliver Cromwell geworden sei.

Der Bettler von St. Eustache

Es war von d’Artagnan wohl berechnet, daß er sich nicht unmittelbar ins Palais-Royal begab. Er ließ Comminges Zeit, vor ihm dahinzugehen und dem Kardinal die großen Dienste zu melden, die er, d’Artagnan, und sein Freund diesen Morgen der Partei der Königin geleistet hatten.

Beide wurden auf die schmeichelhafteste Weise von Mazarin empfangen, der ihnen viele Komplimente machte und erklärte, sie seien beide ihren Zielen um die Hälfte nähergerückt.

Unserem d’Artagnan wäre Geld lieber gewesen, denn er wußte, daß Mazarin leicht versprach und sehr schwer hielt. Die Versprechungen des Kardinals galten ihm so viel wie taube Nüsse, doch stellte er sich Porthos zu Liebe, den er nicht entmutigen wollte, als wäre er sehr zufrieden.

Während die zwei Freunde bei dem Kardinal waren, ließ die Königin diesen rufen. Mazarin dachte, seine Verteidiger würden sich zu verdoppeltem Eifer angespornt fühlen, wenn er ihnen die Danksagungen der Königin selbst verschaffte. Er bedeutete ihnen durch ein Zeichen, ihm zu folgen.

Die Königin Anna von Österreich war von zahlreichen fröhlich lärmenden Höflingen umgeben, denn nachdem man einen Sieg über den Spanier davongetragen hatte, war man nun auch siegreich aus einem Kampfe mit dem Volk hervorgegangen. Broussel war ohne Widerstand aus Paris geführt worden und mußte in diesem Augenblick im Gefängnis von Saint-Germain sein, und Blancmesnil, den man ebenfalls und ohne Schwierigkeit verhaftet hatte, war im Schlosse von Vincennes eingekerkert.

Comminges war bei der Königin, die ihn alles ausführlich berichten ließ, als er an der Tür hinter dem eintretenden Kardinal d’Artagnan und Porthos erblickte.

Ei, Madame, sagte er, auf d’Artagnan zuschreitend, hier ist einer, der Euch das besser als ich erzählen kann, denn er ist mein Retter. Ohne ihn hinge ich jetzt ohne Zweifel in den Netzen von Saint-Cloud, denn sie waren nahe daran, mich in den Fluß zu werfen. Sprecht, d’Artagnan, sprecht!

Seit d’Artagnan Leutnant bei den Musketieren war, hatte er sich wohl hundertmal in demselben Gemach mit der Königin befunden, aber nie hatte diese mit ihm gesprochen.

Wie, Herr, nachdem Ihr mir einen solchen Dienst geleistet habt, schweigt Ihr? sprach Anna von Österreich.

Madame, antwortete d’Artagnan, ich habe nichts zu sagen, außer daß mein Leben dem Dienste Eurer Majestät gehört, und daß ich nur an dem Tage glücklich sein werde, wo ich es für sie verliere.

Ich weiß das, mein Herr, ich weiß das, versetzte die Königin, und zwar seit geraumer Zeit. Ich bin auch entzückt, daß ich Euch dieses öffentliche Zeichen meiner Achtung und Dankbarkeit geben kann.

Erlaubt, Madame, daß ich einen Teil auf meinen Freund, einen ehemaligen Musketier aus der Kompanie Treville, übertrage, sprach d’Artagnan mit einem besondern Nachdruck auf die letzten Worte, denn dieser Mann hat Wunder getan, fügte er bei.

Der Name dieses Herrn?

Bei den Musketieren, antwortete d’Artagnan, nannte er sich Porthos (die Königin bebte); aber sein wahrer Name ist Chevalier du Vallon.

De Bracieux de Pierrefonds, fügte Porthos bei.

Diese Namen sind zu zahlreich, als daß ich sie alle im Gedächtnis behalten könnte, und ich will nur den ersten behalten, sprach die Königin huldreich.

Porthos verbeugte sich.

D’Artagnan machte zwei Schritte rückwärts.

In diesem Augenblick meldete man den Koadjutor. Er kam, um zu sehen, was ihm der Hof biete, und falls dies seinem Ehrgeiz genüge, seinen Frieden mit Mazarin zu machen. Aber die hochmütige Königin konnte sich in dem Moment der Siegesfreude nicht enthalten, den Koadjutor ihren Triumph fühlen zu lassen. Auf ihr stummes Zeichen fiel der ganze Hof mit Spott und Gelächter über den Prälaten her, so daß er schwer gekränkt davonging, und als er über die Schwelle des Palastes schritt, murmelte:

O undankbarer Hof! Treuloser Hof! Ich werde dich morgen lachen lehren, aber aus einer andern Tonart!

Während man jedoch am Hof von Freude übersprudelte, um die Heiterkeit der Königin zu steigern, verlor Mazarin, ein verständiger Mann, den schon die Furcht vorsichtig machte, seine Zeit nicht mit eitlen und gefährlichen Späßen. Er entfernte sich nach dem Koadjutor, schloß sein Gold ein und ließ durch vertraute Arbeiter Verstecke in den Wänden anbringen.

Als der Koadjutor in seine Wohnung zurückkehrte, fand er dort, seiner wartend, Louvières, den Sohn Broussels, noch ganz erschöpft und blutbespritzt vom Kampfe gegen die Garden.

Der Koadjutor ging auf ihn zu und reichte ihm die Hand. Der junge Mann schaute ihn an, als wollte er im Grunde seines Herzens, lesen.

Mein lieber Herr Louvières, sagte der Koadjutor, glaubt mir, ich nehme innigen Anteil an dem Unglück, das Euch widerfahren ist.

Ist es wahr und sprecht Ihr im Ernst? fragte Louvières.

Aus dem Grunde meines Herzens, sagte der Koadjutor.

Dann ist die Zeit der Worte vorüber, Monseigneur, und die Stunde des Handelns hat geschlagen. Wenn Ihr wollt, Monseigneur, ist mein Vater in drei Tagen aus dem Gefängnis, und in sechs Monaten seid Ihr Kardinal.

Der Koadjutor zitterte.

Wir wollen frei sprechen und ein offenes Spiel spielen, sagte Louvières. Man spendet nicht aus eitel christlicher Liebe für dreißigtausend Livres Almosen, wie Ihr seit sechs Monaten getan habt, das wäre gar zu schön. Ihr seid ehrgeizig, denn Ihr seid ein Mann von Genie und fühlt Euern Wert. Ich hasse den Hof und habe in diesem Augenblick nur einen einzigen Wunsch: die Rache. Gebt uns die Geistlichkeit und das Volk, worüber Ihr verfügt; ich gebe Euch die Bürgerschaft und das Parlament. Mit diesen vier Elementen gehört Paris in acht Tagen uns, und glaubt mir, Herr Koadjutor, der Hof gibt aus Furcht, was er aus Wohlwollen nie geben würde.

Der Koadjutor schaute Louvières ebenfalls mit seinem durchdringenden Auge an und versetzte: Aber, Herr Louvières, wißt Ihr, daß Ihr mir nichts anderes als den Bürgerkrieg vorschlagt? – Ihr bereitet ihn seit so geraumer Zeit vor, Monseigneur, daß er Euch willkommen sein muß. – Gleichviel, sprach der Koadjutor, Ihr begreift, daß die Sache Überlegung fordert. – Wieviel Stunden verlangt Ihr zum Überlegen? – Zwölf, mein Herr, ist das zu viel? – Es ist Mittag, um Mitternacht bin ich bei Euch. – Falls ich noch nicht zu Hause wäre, so wartet auf mich. – Gut, um Mitternacht, Monseigneur. – Um Mitternacht, mein lieber Herr Louvières.

Nach zwei Stunden hatte der Herr von Retz (der Nebenname des eigentlich Jean Gondy heißenden Koadjutors) dreißig Pfarrer aus den bevölkertsten und unruhigsten Kirchspielen von Paris um sich versammelt.

Retz erzählte ihnen die Beleidigung, die ihm im Palais Royal widerfahren war. Die Geistlichen fragten ihn, was zu tun sei.

Das ist ganz einfach, antwortete der Koadjutor. Ihr leitet die Gewissen, untergrabt das elende Vorurteil der Furcht und Achtung vor dem König, lehrt Eure Beichtkinder, die Königin sei eine Tyrannin, und wiederholt so lange und so kräftig, bis es jeder weiß, alles Unglück in Frankreich rühre von Mazarin, ihrem Liebhaber und Verderber, her. Beginnt das Werk heute, auf der Stelle, und in drei Tagen erwarte ich von Euch das gewünschte Resultat. Hat übrigens einer von Euch mir einen guten Rat zu geben, so bleibe er hier, und ich werde ihn mit Vergnügen anhören.

Drei Pfarrer blieben, der von Saint-Mery, der von Saint-Sulpice und der von Saint-Eustache.

Die andern entfernten sich.

Ihr glaubt mich also wirksamer unterstützen zu können als Eure Amtsgenossen? fragte der Koadjutor. – Wir hoffen es, erwiderten die Pfarrer. – Laßt hören, Herr Pfarrer von Saint-Mery. Fangt an. – Monseigneur, ich habe in meinem Quartiere einen Menschen, der Euch von größtem Nutzen sein könnte. – Wer ist das? – Ein Kaufmann, der den mächtigsten Einfluß auf die kleinen Handelsleute in seinem Quartier ausübt. – Wie heißt er? – Es ist ein gewisser Planchet. Er hat vor ungefähr sechs Wochen ganz allein einen Aufruhr erregt. Infolge dieses Aufruhrs aber ist er, da man ihn suchte, um ihn zu hängen, verschwunden. – Werdet Ihr ihn wiederfinden? – Ich hoffe es, denn ich glaube nicht, daß er verhaftet worden ist, und da ich Beichtiger seiner Frau bin, werde ich es wohl erfahren, wenn sie weiß, wo er ist. – Gut, mein lieber Herr Pfarrer. Sucht mir diesen Mann und bringt ihn hierher, wenn Ihr ihn findet. – Um welche Stunde, Monseigneur? – Um sechs Uhr. Wollt Ihr? – Wir werden um sechs Uhr bei Euch sein, Monseigneur. – Geht, mein lieber Pfarrer, geht, und Gott stehe Euch bei.

Der Pfarrer entfernte sich.

Und Ihr, mein Herr? sagte Retz, sich zu dem Pfarrer von Saint-Sulpice umwendend. – Ich, Monseigneur, erwiderte dieser, ich kenne einen Mann, der einem bei dem Volk sehr beliebten Prinzen große Dienste geleistet hat. Er würde einen vortrefflichen Volksführer geben, und ich kann ihn zu Eurer Verfügung stellen. – Wie heißt dieser Mann? – Der Graf von Rochefort. – Ich kenne ihn. Bringt ihn mir um acht Uhr, Herr Pfarrer, und Gott segne Euch, wie ich Euch segne.

Der Pfarrer verbeugte sich und ging ab.

Nun ist die Reihe an Euch, mein Herr, sagte der Koadjutor und wandte sich zu dem letzten Besucher um. Habt Ihr mir auch etwas anzubieten, wie die zwei Herren, die uns verlassen? – Etwas Besseres, Monseigneur. – Teufel! gebt wohl acht, daß Ihr da nicht eine furchtbare Verbindlichkeit übernehmt: der eine hat mir einen Kaufmann angeboten, der andere bietet mir einen Grafen an, Ihr wollt mir also einen Prinzen anbieten? – Ich biete Euch einen Bettler, Monseigneur. – Ah, ah, sprach Retz nachdenkend, Ihr habt recht, Herr Pfarrer, ein Mensch, der diese ganze Legion von armen Teufeln, die in den Sackgassen von Paris zusammengedrängt sind, zum Aufruhr brächte und sie so laut, daß es ganz Frankreich hören müßte, schreien ließe, Mazarin habe sie an den Bettelstab gebracht … – Ich habe gerade Euern Mann! – Bravo! und wer ist dieser Mann? – Ein einfacher Bettler, wie ich Euch sagte, Monseigneur, ein Mensch, der seit ungefähr sechs Jahren auf den Stufen der Saint-Eustache-Kirche Almosen fordert und Weihwasser reicht. – Und Ihr sagt, er übe einen großen Einfluß auf seinesgleichen aus? – Weiß Monseigneur, daß die Bettlerei eine organisierte Körperschaft, eine Art Verbrüderung der Besitzlosen gegen die Besitzenden ist, ein Bund, zu dem jeder seinen Teil beiträgt, und der unter einem Haupte steht? – Ja, ich habe davon gehört. – Der Mensch, den ich Euch biete, ist General-Syndikus; er nennt sich Maillard. – Meint Ihr, wir werden ihn zu dieser Stunde auf seinem Posten treffen? – Ganz gewiß. – Wir wollen Euern Bettler aufsuchen, Herr Pfarrer, und wenn er ist, wie Ihr sagt, so habt Ihr allerdings den wahren Schatz gefunden.

Retz legte eine Reitertracht an, setzte einen breitkrempigen Hut mit einer roten Feder auf den Kopf, gürtete ein langes Schwert um, schnallte die Sporen an seine Stiefel, hüllte sich in einen weiten Mantel und folgte dem Pfarrer.

Als sie in die Rue des Prouvaires gelangten, streckte der Pfarrer die Hand nach dem Vorhof der Kirche aus und sagte: Seht, dort ist er auf seinem Posten.

Gondy schaute in der angegebenen Richtung und erblickte einen Bettler, der, mit dem Rücken an ein Gesimse gelehnt, auf einem Stuhle saß; er hatte einen kleinen Eimer in seiner Nähe und hielt einen Sprengwedel in der Hand.

Hat er ein Privilegium, sich hier aufzuhalten? fragte Gondy. – Nein, Monseigneur, antwortete der Pfarrer; er hat seinem Vorgänger diesen Platz als Weihwassergeber abgekauft. – Abgekauft? – Ja, solche Plätze werden verkauft; ich glaube, daß dieser für den seinigen hundert Pistolen bezahlt hat. – Der Bursche ist also reich? – Manche von diesen Leuten hinterlassen bei ihrem Tode zwanzig-, fünfundzwanzig-, dreißigtausend Livres und noch mehr. – Hm! versetzte Gondy lachend, ich glaubte nicht, daß ich meine Almosen so gut anbrächte.

Man näherte sich indessen dem Vorhof; im Augenblick, wo der Pfarrer und der Koadjutor den Fuß auf die erste Stufe der Kirche setzten, erhob sich der Bettler und überreichte seinen Sprengwedel.

Es war ein Mensch von sechs- bis achtundsechzig Jahren, klein, ziemlich dick, mit grauen Haaren und falben Augen. Auf seinem Gesicht stand der Kampf zweier entgegengesetzten Prinzipe zu lesen … eine schlechte Natur, gezähmt durch den Willen, vielleicht auch durch die Reue.

Als er den Mann erblickte, der den Pfarrer begleitete, bebte er leicht und schaute ihn mit erstaunter Miene an.

Maillard, sagte der Pfarrer, dieser Herr und ich sind gekommen, um einen Augenblick mit Euch zu sprechen.

Mit mir? sagte der Bettler, das ist eine große Ehre für einen armen Weihwassergeber.

Im Tone des Bettlers lag ein Ausdruck von Ironie, den er nicht zu beherrschen wußte, und worüber der Koadjutor sich wunderte.

Nach einigen Worten fragte ihn Retz, ob er geneigt wäre, seine Macht in den bestehenden Wirren geltend zu machen, und Maillard erklärte sich bereit, wenn ihm Vergebung seiner früheren Sünden gewährt werde. Diese wurde ihm in Aussicht gestellt.

Haltet Ihr die Gewalt, die Ihr über Eure Genossen ausübt, für so groß, als mir der Herr Pfarrer soeben gesagt hat? fuhr der Koadjutor fort.

Ich glaube, daß sie eine gewisse Achtung vor mir haben, erwiderte der Bettler stolz, und daß sie nicht nur alles tun werden, was ich ihnen befehle, sondern auch, daß sie mir überallhin folgen, wohin ich gehe.

Könnt Ihr mir für fünfhundert entschlossene Männer, tüchtige gutgesinnte Tagediebe, kräftige Kehlen, stehen, die im stande sind, mit ihrem Geschrei: Nieder mit Mazarin, die Mauern des Palais-Royal umzustürzen, wie einst die von Jericho einstürzten?

Ich glaube, daß ich mit noch schwierigeren und wichtigeren Dingen beauftragt werden kann.

Ah! ah! Ihr würdet es also übernehmen, in einer Nacht ein Dutzend Barrikaden zu bauen?

Ich übernehme es, fünfzig zu bauen und sie, wenn der Tag kommt, zu verteidigen.

Bei Gott, sagte Retz, Ihr sprecht mit einer Sicherheit, die mir Freude macht, und da der Herr Pfarrer für Euch bürgt …

Ich verbürge mich, versetzte der Pfarrer.

Dieser Sack enthält fünfhundertundfünfzig Pistolen in Gold; trefft also Euere Anstalten und sagt mir, wo ich Euch heute abend um zehn Uhr finden kann.

Es müßte eine hohe Stelle sein, von wo aus man ein Signal geben könnte, das in allen Quartieren von Paris gesehen würde.

Soll ich Euch ein Wort an den Vikar von Saint-Jacques-la-Boucherie mitgeben? Er wird Euch in ein Zimmer des Turmes führen, sagte der Pfarrer.

Vortrefflich, erwiderte der Bettler.

Diesen Abend also um zehn Uhr, sprach der Koadjutor; bin ich mit Euch zufrieden, so könnt Ihr über einen zweiten Sack von fünfhundert Pistolen verfügen.

Die Augen des Bettlers glänzten vor Gier, aber er drängte diese Bewegung zurück und antwortete: Diesen Abend, mein Herr; es wird alles bereit sein.

Der Turm Saint-Jacques-la-Boucherie

Um drei Viertel auf sechs Uhr hatte Herr von Retz alle seine Gänge gemacht und war in den erzbischöflichen Palast zurückgekehrt.

Um sechs Uhr meldete man den Pfarrer von Saint-Mery, der auf des Koadjutors Wink mit Planchet eintrat.

Monseigneur, sagte der Pfarrer von Saint-Mery, hier ist die Person, von der ich mit Euch zu sprechen die Ehre gehabt habe.

Planchet grüßte mit der Miene eines Menschen, der sich in guten Kreisen bewegt hat.

Nach verschiedenen Fragen, auf die Planchet mit seinem gewöhnlichen Witz antwortete und durch die der Prälat erfuhr, daß der alte Musketierdiener es gewesen war, der Rochefort befreit hatte, sagte der Koadjutor:

Ihr seid ein gescheiter Bursche, mein Freund; kann man auf Euch zählen? – Ich glaubte, der Herr Pfarrer habe sich für mich verbürgt? – Allerdings, aber ich wünschte, diese Versicherung aus Euerem eigenen Munde zu vernehmen. – Ihr könnt auf mich zählen, Monseigneur, vorausgesetzt, daß es sich um einen allgemeinen Aufruhr handelt. – Gerade darum handelt es sich. Wieviel Mann glaubt Ihr diese Nacht zusammenbringen zu können? – Zweihundert Musketen und fünfhundert Hellebarden. – Wäret Ihr geneigt, dem Grafen von Rochefort zu gehorchen? – Ich würde ihm bis in die Hölle folgen, und das will nicht wenig sagen, denn ich halte ihn für fähig, sich dahin zu versteigen. – Bravo! – An welchem Zeichen wird man morgen die Freunde von den Feinden unterscheiden können? – Jeder Frondeur mag einen Strohknoten an seinem Hut befestigen. – Gut; gebt Ihr uns nur die Parole! – Braucht Ihr Geld? – Geld kann nie schaden, Monseigneur; hat man keins, so wird man sich so durchhelfen; hat man’s, so werden die Dinge nur rascher und besser gehen.

Retz ging an eine Kasse und zog einen Sack hervor.

Hier sind fünfhundert Pistolen, sprach er, und geht die Angelegenheit gut, so zählt morgen auf dieselbe Summe.– Ich werde getreulich über dieses Geld Rechenschaft ablegen, sagte Planchet und nahm den Sack unter den Arm. – Es ist gut, ich empfehle Euch den Kardinal. – Seid unbesorgt, er ist in guten Händen.

Kaum waren der Pfarrer und Planchet fort, so meldete man den Pfarrer von Saint-Sulpice.

Sobald das Kabinett sich öffnete, stürzte ein Mann herein; es war der Graf von Rochefort.

Ihr seid’s, mein lieber Graf? sagte der Prälat, ihm die Hand reichend. – Ihr seid also endlich entschlossen? versetzte Rochefort. – Ich bin es immer gewesen, erwiderte Gondy. – Sprechen wir nicht weiter davon, Ihr sagt es, und ich glaube Euch. Wir geben Mazarin einen Ball? – Ich hoffe es. – Wann soll der Tanz beginnen? – Die Einladungen sind für diese Nacht erlassen, sprach der Koadjutor, aber die Geiger werden erst morgen früh zu spielen anfangen. – Ihr könnt auf mich und auf fünfzig Mann zählen, die mir der Chevalier d’Humières versprochen hat, falls ich ihrer bedürfen sollte. – Auf fünfzig Soldaten? – Er wirbt Rekruten an und leiht sie mir; ist das Fest vorüber und es fehlen einige davon, so werde ich sie ersetzen. – Gut, mein lieber Rochefort, aber das ist noch nicht alles. – Was gibt es sonst noch? fragte Rochefort lächelnd. – Was habt Ihr mit Herrn von Beaufort gemacht? – Er ist in der Provinz Vendome, wo er wartet, bis ich ihm schreibe, daß er zurückkommen solle. – Schreibt ihm, es ist Zeit. – Ihr seid also Eurer Sache gewiß? – Ja, aber er muß eilen, denn kaum wird das Volk zur Empörung gebracht sein, so haben wir zehn Prinzen für einen, die sich an die Spitze stellen wollen; zögert er, so findet er den Platz besetzt. – Kann ich ihm den Rat in Euerem Auftrag geben? – Allerdings. – Darf ich ihm sagen, er könne auf Euch zählen? – Gewiß. – Und Ihr werdet ihm jede Gewalt überlassen? … – Für den Krieg, ja; was die Politik betrifft … – Ihr wißt, daß das nicht seine Stärke ist. – Er wird mich nach Belieben um einen Kardinalshut unterhandeln lassen. – Ist Euch hieran gelegen? – Da man mich zwingt, einen Hut von einer Form zu tragen, die mir nicht gefällt, so verlange ich wenigstens, daß dieser Hut rot sei. – Wir wollen nicht über Geschmack und Farben streiten, versetzte Rochefort lachend; ich stehe für seine Einwilligung. – Und Ihr schreibt ihm noch diesen Abend? – Ich tue etwas Besseres, ich schicke ihm einen Boten. – In wieviel Tagen kann er hier sein? – In fünf. – Er mag kommen und wird vieles anders finden. – Ich wünsche es. – Ich bürge Euch dafür. – Also? – Sammelt Eure fünfzig Mann und haltet Euch bereit. – Wozu? – Gibt es ein Vereinigungszeichen? – Ein Strohknoten am Hut. – Schön. Gott befohlen, Monseigneur. – Adieu, mein lieber Rochefort. – Ah! Herr Mazarin, sagte Rochefort, den Pfarrer, der bei dem ganzen Gespräch kein Wort hatte anbringen können, mit sich fortziehend, Ihr werdet sehen, ob ich zu einem Mann der Tat zu alt bin.

Es war halb zehn Uhr; der Koadjutor bedurfte einer halben Stunde, um sich von dem erzbischöflichen Palaste nach dem Turme Saint-Jacques-la-Boucherie zu begeben. Dort bemerkte er ein Licht an einem der höchsten Fenster des Turmes.

Gut, sagte er, unser Bettler ist an seinem Posten.

Er klopfte, man öffnete ihm. Der Vikar selbst harrte seiner und führte ihn voranleuchtend den Turm hinan; oben angelangt, zeigte er ihm eine kleine Tür, stellte das Licht in eine Ecke der Mauer, damit es der Koadjutor beim Weggehen finden könnte, und stieg wieder hinab.

Der Koadjutor klopfte, obgleich der Schlüssel in der Tür steckte.

Herein, rief eine Stimme, in der der Koadjutor die des Bettlers erkannte.

Der Herr von Retz trat ein. Es war wirklich der Weihwassergeber von Saint-Eustache, der, auf einem ärmlichen Bette liegend, wartete und, als er den Koadjutor eintreten sah, aufstand.

Es schlug zehn Uhr.

Nun, fragte Gondy, hast du mir Wort gehalten? – Nicht ganz. – Wieso? – Ihr habt fünfhundert Mann von mir gefordert, nicht wahr? – Ja. – Nun, ich werde zweitausend für Euch haben. – Du prahlst nicht? – Wollt Ihr einen Beweis? – Ja.

Es waren drei Lichter angezündet, jedes derselben brannte vor einem Fenster; das eine von diesen Fenstern ging nach der Altstadt, das andere nach dem Palais-Royal, das dritte nach der Rue-Saint-Denis.

Der Bettler ging schweigend zu jedem dieser Lichter und blies eines nach dem andern aus.

Der Koadjutor befand sich in der Finsternis; das Zimmer wurde nur durch einen unsicheren Strahl des Mondes beleuchtet, der durch schwarze Wolken hinzog, deren Enden er mit Silber befranste.

Was hast du gemacht? sagte der Koadjutor. – Ich habe das Zeichen gegeben. – Welches? – Das zum Barrikadenbau. – Ah! ah! – Wenn Ihr von hier weggeht, werdet Ihr meine Leute bei der Arbeit sehen. Nehmt Euch in acht, daß Ihr Euch nicht an einer Kette stoßt oder in ein Loch fallt und ein Bein brecht. – Gut. Hier ist deine Summe, dieselbe, die du bereits empfangen hast. Bedenke jetzt nur, daß du ein Anführer bist und betrink dich nicht. – Ich habe seit zwanzig Jahren nur Wasser getrunken.

Der Mann nahm den Sack aus den Händen des Koadjutors, der bald hörte, wie der Bettler mit seinen Fingern im Golde wühlte.

Ah! ah! sagte der Koadjutor, du bist geizig, mein Freund.

Der Bettler warf den Sack zurück und stieß einen Seufzer aus.

Werde ich denn immer derselbe sein? sagte er; wird es mir denn nie gelingen, den alten Menschen abzustreifen? O Elend, o Eitelkeit!

Du nimmst es doch?

Ja, aber ich gelobe vor Euch, daß ich alles, was mir davon übrig bleibt, zu frommen Werken verwenden werde.

Sein Gesicht war bleich und zusammengezogen, wie das eines Menschen, der einen schweren innern Kampf ausgestanden hat.

Seltsamer Mensch! murmelte der Prälat.

Und er nahm seinen Hut, um zu gehen; aber als er sich umwandte, sah er den Bettler zwischen der Tür und ihm selbst. Sein erster Gedanke war, dieser Mensch wolle ihm ein Leid zufügen. Bald sah er aber, daß er im Gegenteil die Hände faltete und auf die Knie fiel.

Monseigneur, sagte der Bettler, ehe Ihr mich verlaßt, gebt mir Euern Segen, ich bitte Euch.

Monseigneur! Mein Freund, du hältst mich für einen andern.

Nein, Monseigneur, ich halte Euch für den, der Ihr seid, für den Herrn Koadjutor; ich habe Euch mit dem ersten Blick erkannt.

Retz lächelte und erwiderte: Und du willst meinen Segen?

Ja, ich bedarf desselben.

Der Bettler sprach diese Worte mit einem Tone so großer Demut, so tiefer Reue, daß Herr von Retz seine Hand über ihn ausstreckte und ihm seinen Segen mit aller Salbung gab, deren er fähig war.

Nun besteht Gemeinschaft unter uns, sagte der Koadjutor, ich habe dich gesegnet, und du bist mir geheiligt, wie ich es meinerseits für dich bin. Sprich, hast du ein Verbrechen begangen, das die menschliche Gerechtigkeit verfolgt und wobei ich dich beschützen kann?

Der Bettler schüttelte den Kopf.

Das Verbrechen, das ich begangen habe, Monseigneur, ist nicht Sache der menschlichen Gerechtigkeit, und Ihr könnt mich nur dadurch befreien, daß Ihr mich oft segnet, wie Ihr es soeben getan habt. – Sei offenherzig, versetzte der Koadjutor, du hast nicht dein ganzes Leben lang das Gewerbe getrieben, das du gegenwärtig treibst. – Nein, Monseigneur, ich treibe es erst seit zehn Jahren. – Wo warst du vorher? – In der Bastille. – Und ehe du in die Bastille kamst? – Ich werde es Euch an dem Tage sagen, Monseigneur, wo Ihr mich Beichte hören wollt. – Es ist gut. Erinnere dich, daß ich zu jeder Stunde des Tages oder der Nacht, wo du dich bei mir einfindest, bereit bin, dir die Absolution zu geben. – Ich danke, sagte der Bettler mit dumpfem Tone, aber ich bin noch nicht bereit, sie zu empfangen. – Wohl denn. Gott befohlen. – Gott befohlen, sprach der Bettler, die Tür öffnend und sich vor dem Prälaten verbeugend.

Der Koadjutor nahm das Licht, stieg die Treppe hinab und verließ den Turm, in tiefe Gedanken versunken.

Der Aufstand

Es war ungefähr elf Uhr nachts, als der Herr von Retz wieder seiner Wohnung zuschritt. Aber er hatte keine hundert Schritte gemacht, als er überrascht eine seltsame Veränderung wahrnahm.

Die ganze Stadt schien von gespenstischen Wesen erfüllt; man sah schweigsame Schatten, hier die Pflastersteine aufreißen, dort Karren ziehen und umwerfen, dort wieder Gräben aushöhlen, die ganze Schwadronen verschlingen konnten. Alle diese so tätigen, rastlos hin und her laufenden Personen waren Bettler, Agenten des Weihwassergebers aus dem Vorhof der Saint-Eustache-Kirche, die Barrikaden für den andern Tag bereiteten.

Gondy betrachtete diese Männer der Finsternis, diese nächtlichen Arbeiter mit einem gewissen Schrecken; er fragte sich, ob er diese unreinen Geschöpfe, nachdem er sie aus ihren Schlupfwinkeln hervorgerufen, wieder würde dahinbringen können.

Er erreichte die Rue Saint-Honors und folgte dieser, nach der Rue de la Ferronnerie zuschreitend. Hier änderte sich die Gestalt der Dinge. Kaufleute liefen von Bude zu Bude; die Türen schienen geschlossen wie die Läden, aber sie waren nur angelehnt, so daß sie sich leicht öffneten und wieder zugemacht wurden, sobald die Menschen aus- und einschlüpfen wollten, die zu fürchten schienen, man könnte sehen, was sie trugen. Diese Leute waren die Ladeninhaber, die Waffen besaßen und denen, die keine hatten, solche liehen.

Ein Mensch ging gebeugt unter der Last von Schwertern, Büchsen, Musketen, Massen aller Art von Tür zu Tür und gab diese je nach Bedarf ab. Beim Schimmer einer Laterne erkannte der Koadjutor Planchet.

Der Koadjutor erreichte durch die Rue de la Monnaie den Quai; hier standen unbewegliche Gruppen von Männern in schwarzen oder grauen Mänteln, je nachdem sie der hohen oder der niedern Bürgerschaft angehörten, während einzelne von einer Gruppe zur andern gingen. Alle diese schwarzen oder grauen Mäntel deckten hinten einen Degen, vorn eine Büchse oder Muskete.

Als der Koadjutor auf den Pont-Neuf kam, fand er diese Brücke bewacht. Ein Mann näherte sich ihm.

Wer seid Ihr? fragte dieser Mann, ich erkenne Euch nicht als einen der Unsern.

Dann kennt Ihr Eure Freunde nicht, mein lieber Herr Louvières, sprach der Koadjutor, den Hut lüpfend.

Louvières erkannte ihn und verbeugte sich.

Gondy setzte seine Runde fort und ging bis zur Tour de Nesle hinab. Hier sah er eine lange Reihe von Menschen, die an den Mauern hinschlüpften. Man hätte glauben sollen, es sei eine Prozession von Gespenstern, denn sie hatten sich insgesamt in weiße Mäntel gehüllt. An eine gewisse Stelle gelangt, schienen alle diese Leute hintereinander zu verschwinden, als ob die Erde unter ihren Füßen gewichen wäre. Gondy lehnte sich in eine Ecke und sah sie von dem ersten bis zum vorletzten verschwinden. Aber ehe der letzte verschwand, sah er sich um, ohne Zweifel, um sich zu versichern, daß er und seine Genossen nicht bespäht würden, und erblickte Gondy trotz der Dunkelheit. Er ging gerade auf ihn zu und setzte ihm die Pistole auf die Brust.

Holla! Herr von Rochefort, sagte Gondy lachend, keinen Scherz mit Feuergewehren.

Rochefort erkannte die Stimme und erwiderte: Ah! Ihr seid es, Monseigneur.

Ich selbst. Aber was für Menschen führt Ihr da in die Eingeweide der Erde?

Meine fünfzig Rekruten vom Chevalier d’Humières; sie sind dazu bestimmt, bei den Chevaulegers einzutreten, und haben als Equipierung nichts erhalten, als ihre weißen Mäntel.

Und Ihr geht?

Zu einem meiner Freunde, einem Bildhauer; nur steigen wir durch die Falltür hinab, durch welche er seine Marmorblöcke hinunterläßt.

Sehr gut, sagte Gondy und drückte Rochefort die Hand; dieser stieg nun auch hinab und schloß die Falltür hinter sich.

Der Koadjutor ging wieder nach Hause. Es war ein Uhr morgens. Er öffnete das Fenster und neigte sich hinaus, um zu horchen.

Die ganze Stadt war von einem seltsamen, unerhörten, ungewöhnlichen Geräusch erfüllt; man fühlte, daß in allen diesen finstern Straßen etwas Ungewöhnliches, Furchtbares vorging. Von Zeit zu Zeit hörte man ein dumpfes Tosen, wie wenn ein Gewitter sich zusammenzieht oder die steigende Flut heranwogt; man hätte glauben sollen, es sei eines jener geheimnisvollen, unterirdischen Geräusche, wie sie dem Erdbeben vorhergehen.

Das Werk der Empörung dauerte so die ganze Nacht fort. Als Paris am andern Morgen erwachte, schien es bei seinem eigenen Anblick zu beben. Alles hatte das Aussehen einer belagerten Stadt. Bewaffnete Männer standen mit drohenden Augen und geschulterten Musketen bei den Barrikaden. Überall war man Zeuge von Patrouillen, Verhaftungen, sogar Exekutionen. Man packte die Federhüte und die goldenen Degen, um sie: Es lebe Broussel! Nieder mit Mazarin! schreien zu lassen, und wer sich gegen die Ceremonie sträubte, wurde ausgezischt, angespuckt und sogar geschlagen. Man tötete noch nicht, aber man fühlte, daß es bald dazu kommen würde.

Man hatte die Barrikaden bis in die Nähe des Palais-Royal fortgeführt. Von der Rue des Bons-Enfants bis zur Rue de la Ferronnerie, von der Rue Saint-Thomas du Louvre bis zum Pont-Neuf, von der Rue Richelieu bis zu der Porte Saint-Honors waren zehntausend bewaffnete Menschen, von denen die vordersten mit lautem Geschrei die unempfindlichen Schildwachen des Garderegiments herausforderten, die rings um das Palais-Royal aufgestellt waren, dessen Gitter man hinter ihnen wieder verschlossen hatte, eine Vorsichtsmaßregel, die ihre Lage sehr gefährlich machte. Mitten durch alles das schwärmten Banden von hundert, von hundertundfünfzig, von zweihundert abgemagerten, bleichen, zerlumpten Menschen, die eine Art von Standarten trugen, auf denen die Worte: »Seht das Elend des Volkes« geschrieben standen. Wohin diese Leute kamen, da vernahm man wütendes Geschrei, und es gab solcher Banden so viele, daß man überall schrie.

Man denke sich das Erstaunen Annas von Österreich und Mazarins, als man ihnen früh meldete, die am Abend zuvor noch so ruhige Stadt erhebe sich in fieberhafter Bewegung; weder die eine noch der andere wollte an die Berichte glauben, und beide sagten, sie würden sich in dieser Hinsicht nur auf ihre eigenen Ohren und Augen verlassen. Man öffnete ihnen ein Fenster: sie sahen, sie hörten und wurden überzeugt.

Mazarin zuckte die Achseln und gab sich den Anschein, als verachte er diesen Pöbel; aber er erbleichte sichtbar und lief zitternd in sein Kabinett, schloß sein Gold und seine Juwelen in seine Koffer und steckte seine schönsten Diamanten an die Finger. Wütend und von keinem fremden Willen beeinflußt, schickte die Königin nach dem Marschall de la Meilleraye, befahl ihm, so viel Mannschaft zu nehmen, als er wolle, und nachzusehen, was dieser Spaß zu bedeuten habe.

Der Marschall war gewöhnlich sehr verwegen und fürchtete sich vor nichts, denn er hegte gegen den Pöbel die gewöhnliche Verachtung des Militärs. Er nahm hundertundfünfzig Mann und wollte über den Pont de Louvre hinausreiten, aber hier traf er Rochefort mit seinen fünfzig Chevaulegers und wenigstens fünfzehnhundert Personen. Eine solche Barriere zu durchbrechen war nicht möglich. Der Marschall versuchte es nicht einmal und kehrte auf den Quai zurück.

Aber auf dem Pont-Neuf fand er Louvières und seine Bürger. Diesmal versuchte der Marschall einen Angriff, wurde aber mit Musketenschüssen empfangen, während die Steine hageldicht aus den Fenstern flogen. Er verlor dabei drei Mann. Er zog sich nach dem Quartier der Hallen zurück; hier aber fand er Planchet und seine Hellebardiere. Die Hellebarden wurden ihm drohend entgegengestreckt; er wollte über alle diese Graumäntel wegreiten, doch die Graumäntel hielten stand, und der Marschall wich, vier von seinen Garden auf dem Platz zurücklassend, nach der Rue Saint-Honoré zurück.

Er drang nun in diese Straße; hier aber stieß er auf die Barrikaden des Bettlers von Saint-Eustache. Sie waren nicht nur von bewaffneten Männern, sondern auch von Weibern und Kindern bewacht. Friquet, Besitzer eines Degens und einer Pistole – beides Geschenke von Louvières – hatte eine Bande von Bürschchen seines Gelichters organisiert und machte einen furchtbaren Lärm.

Der Marschall hielt diesen Punkt für schlechter bewacht, als die anderen, und wollte ihn mit Gewalt nehmen. Er ließ zwanzig Mann absitzen, um die Barrikade zu durchbrechen und zu öffnen. Die zwanzig Mann gingen, während er und der Rest seiner Truppe die Angreifenden zu Pferde beschützen sollten, auf das Hindernis los, aber nun begann hinter den Kothaufen hervor, zwischen den Rädern der Karren durch, von den Steinen herab ein furchtbares Schießen, und beim Gekrache dieses Kleingewehrfeuers erschienen die Hellebardiere Planchets an der Ecke des Kirchhofs des Innocents und die Bürger des Herrn von Louvières an der Ecke der Rue de la Monnaye.

Der Marschall de la Meilleraye wurde zwischen drei Feuer genommen.

Der Marschall de la Meilleraye war tapfer und beschloß, auf dem Platze zu sterben. Er gab Schuß für Schuß zurück, und Schmerzgeheul begann unter der Menge zu ertönen. Besser geübt, schossen die Garden richtiger; aber die Bürger waren viel zahlreicher und schmetterten sie unter einem wahren Bleihagel nieder. Seine Leute fielen um ihn her, nicht anders als in offener Feldschlacht. Fontrailles, seinem Adjutanten, wurde der Arm zerschmettert; sein Pferd bekam eine Kugel in den Hals, und er hatte große Mühe, es zu bemeistern, denn der Schmerz machte es beinahe wütend. Endlich trat der äußerste Augenblick ein, wo der Bravste den Schauer in seinen Adern und den Schweiß auf seiner Stirne fühlt, als plötzlich von der Rue de l’Arbre-Sec her die Menge unter dem Geschrei: Es lebe der Koadjutor! sich öffnete, und Gondy im bischöflichen Gewande erschien, ganz gelassen mitten durch das Gewehrfeuer wandelnd und rechts und links so ruhig seinen Segen spendend, als ob er die Fronleichnams-Prozession führe.

Alles fiel auf die Knie.

Der Marschall erkannte ihn, ritt auf ihn zu und sagte: Helft mir ums Himmels willen von hier weg, oder ich muß samt allen meinen Leuten die Haut hier lassen.

Es war ein solches Getöse, daß man das Rollen des Donners nicht gehört hätte. Gondy hob die Hände empor und forderte Stille. Man schwieg.

Meine Kinder, sprach er, hier ist der Marschall de la Meilleraye, in dessen Absichten Ihr Euch getäuscht habt; er macht sich verbindlich, bei seiner Rückkehr in den Louvre in Eurem Namen die Königin um die Freilassung unseres Broussel zu bitten. Macht Ihr Euch hierzu anheischig, Marschall? fügte Gondy, sich an la Meilleraye wendend, bei.

Bei Gott! rief dieser, ich mache mich allerdings hierzu anheischig. Ich glaubte nicht, so wohlfeilen Kaufes loszukommen.

Er gibt Euch sein adeliges Ehrenwort, sprach Gondy.

Der Marschall hob als Zeichen der Beipflichtung die Hand auf.

Es lebe der Koadjutor! rief die Menge. Einige Stimmen fügten sogar bei: Es lebe der Marschall! Alle aber wiederholten im Chor: Nieder mit Mazarin!

Die Menge wich auf beiden Seiten zurück; der Weg der Rue Saint-Honoré war der kürzeste. Man öffnete die Barrikaden, der Marschall und der Rest seiner Truppen zogen sich zurück, Friquet und seine Banditen voran, wobei die einen Trommeln, die andern Trompeten nachahmten.

Es war beinahe ein Triumphzug; nur schlossen sich die Barrikaden hinter dem Marschall wieder; der Marschall kaute an seinen Fingern.

Während dieser Zeit befand sich Mazarin, wie gesagt, in seinem Kabinett und brachte seine kleinen Angelegenheiten in Ordnung. Er hatte nach d’Artagnan geschickt, hoffte aber nicht, ihn mitten unter diesem Tumult zu sehen; d’Artagnan hatte keinen Dienst. Nach Verlauf von zehn Minuten erschien jedoch der Leutnant, mit seinem unzertrennlichen Porthos auf der Schwelle.

Ah! herein, herein, Herr d’Artagnan, rief der Kardinal, und seid nebst Eurem Freunde willkommen. Aber was geht denn in dem verdammten Paris vor?

Was vorgeht, Monseigneur? nichts Gutes, erwiderte d’Artagnan den Kopf schüttelnd; die Stadt ist in vollem Aufruhr, und soeben, als ich mit Herrn du Vallon hier, der Euer ergebener Diener ist, durch die Rue Montorgueil kam, wollte man uns trotz meiner Uniform und vielleicht gerade wegen meiner Uniform zwingen: Es lebe Broussel! zu rufen. Darf ich wohl sagen, was wir noch mehr rufen sollten?

Sprecht, sprecht.

Nieder mit Mazarin! Meiner Treu, das Wort ist heraus!

Mazarin lächelte, wurde aber sehr bleich und versetzte:

Und Ihr habt gerufen?

Wahrhaftig, nein, sprach d’Artagnan, ich war nicht bei Stimme, und Herr du Vallon ist heiser und hat ebensowenig gerufen. Dann, Monseigneur …

Was dann?

Schaut meinen Hut und meinen Mantel an.

Und d’Artagnan zeigte vier Löcher von Kugeln an seinem Mantel und zwei an seinem Hut. Ein Hellebardenstoß hatte Porthos‘ Rock an der Seite aufgeschlitzt, ein Pistolenschuß hatte seine Feder weggerissen.

Teufel! sagte der Kardinal nachdenkend und die zwei Freunde mit naiver Bewunderung anschauend, ich hätte gerufen. In diesem Augenblick kam der Lärm näher. Mazarin trocknete sich die Stirn ab und schaute umher. Er hatte große Lust, an das Fenster zu treten, aber er wagte es nicht.

Seht nach, was vorgeht, Herr d’Artagnan, sagte er.

D’Artagnan trat mit seiner gewöhnlichen Sorglosigkeit an das Fenster.

Oh! oh! rief er, was ist das? Der Marschall de la Meilleraye kommt ohne Hut zurück, Fontrailles trägt seinen Arm in der Binde, verwundete Garden, Pferde ganz mit Blut überzogen … Doch was machen die Schildwachen? Sie schlagen an, sie wollen schießen.

Sie haben Befehl erhalten, auf das Volk zu schießen, rief Mazarin, wenn es sich dem Palais-Royal nähern würde.

Wenn sie Feuer geben, ist alles verloren, sprach d’Artagnan.

Wir haben die Gitter.

Die Gitter! sie halten fünf Minuten; die Gitter! sie werden ausgerissen, umgedreht, zermalmt. Schießt nicht, Mord und Tod! rief d’Artagnan, das Fenster öffnend.

Trotz dieses Befehls, der mitten im Tumult nicht gehört werden konnte, erschollen drei oder vier Musketenschüsse, worauf ein furchtbares Feuer folgte: man hörte die Kugeln an der Fassade des Palais-Royal rasseln; eine flog unter d’Artagnans Arm durch und zerschmetterte einen Spiegel, in dem sich Porthos wohlgefällig betrachtete.

O weh! rief der Kardinal, ein venetianischer Spiegel.

Oh! Monseigneur; sprach d’Artagnan, ruhig das Fenster wieder schließend, weint noch nicht, es lohnt sich nicht, denn in einer Stunde wird wahrscheinlich nicht ein einziger von allen Euren Spiegeln mehr übrig sein.

Aber wozu ratet Ihr denn? sagte der Kardinal zitternd.

Zum Henker! ihnen Broussel herauszugeben. Was wollt Ihr mit einem Parlamentsrat machen? Er taugt zu nichts.

Und Ihr, Herr du Vallon, was ist Euere Meinung! Was würdet Ihr tun?

Ich würde Broussel herausgeben, erwiderte Porthos.

Kommt, kommt, meine Herren! rief Mazarin; ich will mit der Königin von der Sache sprechen.