Der Herzog von Beaufort im Kerker

Der Gefangene, der dem Herrn Kardinal so bange machte, und dessen geweissagte Entweichung die Ruhe des ganzen Hofes störten, hatte schwerlich eine Ahnung von der Angst, die man seinetwegen im Palais Royal empfand. Er sah sich so bewundernswürdig bewacht, daß er die Fruchtlosigkeit seiner Versuche erkannte; seine ganze Rache bestand darin, daß er zahllose Verwünschungen und Schmähworte gegen Mazarin ausstieß.

Der Herzog war der Enkel Heinrichs IV. und Gabrieles d’Estrées, ebensogut, ebenso brav und besonders ebensosehr Gascogner, wie sein Großvater, aber bedeutend weniger in den Wissenschaften bewandert. Nachdem er eine Zeitlang nach dem Tode König Ludwigs XIII. der Erste am Hofe gewesen war, mußte er eines Tages seinen Platz an Mazarin abtreten und wurde der Zweite. Und am folgenden Tag, da er so wahnsinnig war, seinen Ärger über diese Herabsetzung laut zu äußern, ließ ihn die Königin verhaften, durch Guitaut nach Vincennes führen und dort fünf Jahre in einem nichts weniger als königlichen Turmzimmer festhalten. In dieser langen Zeit befestigte sich in seinem stolzen Herzen der Trotz gegen den verachteten Kardinal nur noch mehr.

Nachdem er sich vergeblich in Epigrammen an Mazarin zu rächen versucht hatte, griff er zur Malerei, und da ihm seine ziemlich mittelmäßigen Talente in dieser Kunst nicht gestatteten, eine große Ähnlichkeit zu erreichen, so schrieb er, um keinen Zweifel über das Original des Porträts zu lassen, darunter: » Ritratto dell' illustrissimo Facchino Mazarini.« Bildnis des erlauchten Lumpenhundes Mazarini. Als Herr von Chavigny dies erfuhr, machte er dem Herzog einen Besuch und bat ihn, sich einen andern Zeitvertreib zu wählen oder wenigstens Porträte ohne Kommentar zu malen. Am andern Tag war das Zimmer voll von Bildern mit Erklärungen. Herr von Beaufort glich, wie alle Gefangenen, den Kindern, die das am liebsten tun, was man ihnen verbietet.

Herrn von Chavigny wurde von dieser Profilsammlung – an Bildnisse en face wagte sich des Herzogs junge Kunst noch nicht – Mitteilung gemacht, worauf er, als Herr von Beaufort draußen Ball spielte, alle Zeichnungen abwaschen und das Zimmer übermalen ließ.

Herr von Beaufort dankte Herrn von Chavigny, teilte diesmal seine Wände in Felder und widmete jedes einem Zuge aus dem Leben des berühmten Kardinals von Mazarin.

Das erste Feld sollte den hochwürdigsten Schurken Mazarin darstellen, wie er eine Tracht Prügel von dem Kardinal Bentivoglio empfing, dessen Bedienter er gewesen war.

Das zweite den hochwürdigsten Schurken Mazarini, wie er die Rolle des Ignaz von Loyola in der Tragödie dieses Namens spielte.

Das dritte den hochwürdigsten Schurken Mazarini, wie er das Portefeuille des ersten Ministers Herrn von Chavigny stahl, der es bereits in den Händen zu haben glaubte.

Das vierte endlich den hochwürdigsten Schurken Mazarini, wie er La Porte, dem Kammerdiener Ludwigs XIV., Leintücher verweigert und behauptet, es sei für einen König von Frankreich hinreichend, alle Vierteljahre die Leintücher zu wechseln.

Es waren dies großartige Entwürfe, die offenbar den Umfang des Talents des Gefangenen überstiegen, und so begnügte er sich, die Rahmen zu zeichnen und die Inschriften hineinzusetzen.

Aber diese Rahmen und die Inschriften genügten, um die Empfindlichkeit des Herrn von Chavigny zu erregen, der ihm, als er eines Tages im Gefängnisgarten spazieren ging, sein Feuer, mit dem Feuer seine Kohle, mit der Kohle seine Asche wegnahm, so daß er nicht das geringste mehr fand, woraus er einen Zeichenstift hätte machen können.

Herr von Beaufort fluchte, tobte, heulte und sagte, man wolle ihn vor Kälte und Feuchtigkeit sterben lassen, worauf Herr von Chavigny antwortete, er habe nur sein Wort zu geben, daß er auf das Zeichnen Verzicht leiste. Herr von Beaufort gab sein Wort nicht und blieb die übrige Zeit des Winters ohne Feuer.

Herr von Beaufort kaufte nun einem seiner Wächter einen Hund, namens Pistache, ab; da es den Gefangenen nicht verboten war, Hunde zu besitzen, so gab Herr von Chavigny Erlaubnis, daß das vierfüßige Tier seinen Herrn wechsle. Herr von Beaufort blieb oft stundenlang mit seinem Hunde eingeschlossen. Als Pistache hinreichend abgerichtet war, lud sein Herr eines Tages Herrn von Chavigny und die Offiziere von Vincennes zu einer großen Vorstellung ein, die er in seinem Zimmer gab. Die Eingeladenen erschienen, das Zimmer war mit so vielen Kerzen beleuchtet, als Herr von Beaufort sich hatte verschaffen können. Die Übungen begannen.

Der Gefangene hatte mit einem von der Mauer abgelösten Stück Gips mitten durch das Zimmer eine lange Linie gezogen, die einen Strick darstellte. Pistache setzte sich auf den ersten Befehl seines Herrn auf diese Linie, stellte sich sodann auf seine Hinterpfoten und fing an, einen Kleiderausklopfstock zwischen seinen Vorderpfoten haltend, der Linie mit allen Windungen zu folgen, die ein Seiltänzer macht. Nachdem er die Länge der Linie zwei- oder dreimal vor- und rückwärts durchlaufen hatte, gab er den Stock Herrn von Beaufort zurück und machte dieselben Bewegungen ohne Balancierstange.

Das gescheite Tier wurde mit Beifallsbezeigungen überhäuft.

Hierauf zeigte Herr von Chavigny Pistache seine Uhr. Es war halb sieben Uhr.

Pistache hob und senkte die Pfote sechsmal, und bei dem siebenten Mal blieb dieselbe in der Luft. Man konnte unmöglich deutlicher sein. Eine Sonnenuhr hätte nicht besser geantwortet.

Dann handelte es sich darum, zu erkennen, wer der beste Kerkermeister aller Gefängnisse von Frankreich sei.

Der Hund machte dreimal die Runde und legte sich auf die ehrfurchtvollste Weise Herrn Chavigny zu Füßen.

Herr von Chavigny stellte sich, als fände er den Scherz vortrefflich, und lachte aus vollem Halse. Als er genug gelacht hatte, biß er sich auf die Lippen und fing an die Stirne zu runzeln.

Endlich legte Herr von Beaufort Pistache die so schwer zu lösende Frage vor, wer der größte Dieb in der Welt sei?

Pistache machte die Runde im Zimmer, hielt aber vor niemand stille, sondern ging an die Türe und fing an zu kratzen und zu winseln.

Seht, meine Herren, sprach der Prinz, da dieses interessante Tier hier nicht findet, was es will, so beabsichtigt es außen zu suchen. Aber seid unbesorgt, seine Antwort soll Euch deshalb nicht entzogen sein. Pistache, mein Freund, fuhr Her Herzog fort, kommt hierher. Der Hund gehorchte. Ist der größte Dieb der bekannten Welt, sprach der Prinz, der Herr Sekretär des Königs, Le Camus, der mit zwanzig Livres nach Paris gekommen ist und jetzt sechs Millionen besitzt?

Der Hund schüttelte den Kopf zum Zeichen der Verneinung.

Ist es, fuhr der Prinz fort, Herr d’Emery, der seinem Sohne, Herrn Thoré, bei seiner Verheiratung 300,000 Livres Renten und einen Palast gegeben hat, neben dem die Tuilerien eine Baracke und der Louvre ein Rattennest sind?

Der Hund schüttelte abermals den Kopf.

Der ist es auch nicht, sprach der Prinz. Nun, wir wollen suchen. Sollte es zufällig der hochwürdigste Facchino Mazarini di Piscina sein?

Pistache machte die eifrigsten Zeichen der Bejahung, indem er den Kopf acht- bis neunmal hob und senkte.

Meine Herren, Ihr seht, sprach Herr von Beaufort zu den Anwesenden, die diesmal nicht zu lachen wagten, der hochwürdigste Facchino Mazarino di Piscina ist der größte Dieb der bekannten Welt. Pistache behauptet es wenigstens. Gehen wir zu einer andern Übung über.

Meine Herren, fuhr Herr von Beaufort fort, indem er das Stillschweigen seiner Gäste benutzte und das Programm der dritten Abteilung der Abendunterhaltung verkündigte, Ihr wißt, daß der Herzog von Guise alle Hunde von Paris für Fräulein de Pons, die er für die Schönste der Schönen erklärte, springen lehrte. Nun, meine Herren, das war nichts; denn diese Tiere gehorchten mechanisch und sprangen für jeden. Pistache wird Euch, sowie dem Herrn Gouverneur zeigen, daß er hoch über seinen Genossen steht. Herr von Chavigny, habt die Güte, mir Euern Stock zu leihen.

Herr von Chavigny reichte Herrn von Beaufort seinen Stock.

Herr von Beaufort hielt ihn wagrecht einen Fuß hoch.

Pistache, mein Freund, sagte er, mache mir das Vergnügen und springe für Frau von Montbazon.

Jedermann lachte. Man wußte, daß der Herzog von Beaufort im Augenblick seiner Verhaftung der erklärte Liebhaber der Frau von Montbazon gewesen war.

Pistache, mein Freund, fuhr Beaufort fort, springe für die Königin, und er hob den Stock sechs Zoll höher.

Der Hund sprang ehrfurchtsvoll über den Stock.

Pistache, mein Freund, sagte der Herzog und erhöhte den Stock abermals um sechs Zoll, springe für den König.

Der Hund nahm einen Ansatz und sprang trotz der Höhe leicht hinüber.

Und nun, aufgemerkt, sagte der Herzog und erniedrigte den Stock beinahe bis zum Boden. Pistache, mein Freund, springe für den hochwürdigsten Facchino Mazarini di Piscina.

Der Hund wandte dem Stock den Rücken zu.

Nun, was ist das? sagte Herr von Beaufort, indem er einen Halbkreis vom Schweif zum Kopfe des Tieres beschrieb und ihm abermals den Stock vorhielt. Spring doch, Pistache!

Aber Pistache machte abermals eine halbe Wendung und bot dem Stock den Rücken.

Herr von Beaufort wiederholte seine Bewegung und seine Worte. Doch diesmal war die Geduld des Tieres zu Ende. Er warf sich wütend auf den Stock, riß ihn dem Prinzen aus den Händen und zerbrach ihn zwischen seinen Zähnen.

Herr von Beaufort nahm ihm die zwei Stücke aus der Schnauze, überreichte sie Herrn von Chavigny unter tausend Entschuldigungen und sagte, die Abendunterhaltung sei nun geschlossen; wenn er aber in drei Monaten einer zweiten Vorstellung beiwohnen wolle, so würde Pistache neue Stücke gelernt haben.

Drei Tage nachher war Pistache vergiftet – niemals erfuhr man, von wem.

Herr von Beaufort ließ ihm ein Grabmal mit folgender Inschrift errichten: Hier ruht Pistache, einer der gescheitesten Hunde, welche je gelebt haben.

Herr von Chavigny, der ziemlich rachsüchtiger Natur war, fing jetzt an, Herrn von Beaufort seine Kränkungen zurückzugeben. Er nahm ihm die ihm bis jetzt gelassenen eisernen Messer und die silbernen Gabeln und ließ ihm dafür silberne Messer und hölzerne Gabeln geben. Herr von Beaufort beklagte sich, aber Herr von Chavigny ließ ihm antworten: er sei benachrichtigt worden, der Kardinal habe zu Frau von Vendome gesagt, ihr Sohn müsse sein ganzes Leben im Kerker von Vincennes bleiben, und er habe befürchtet, bei dieser unglücklichen Kunde könnte sein Gefangener sich zu einem Selbstmordsversuch verleiten lassen. Vierzehn Tage nachher fand Herr von Beaufort zwei Reihen Bäume, so dick wie ein kleiner Finger, an den Weg gepflanzt, der zum Ballspielplatz führte. Er fragte, was dies zu bedeuten habe, und man antwortete ihm, es sei, um ihm eines Tages Schatten zu geben. Eines Morgens endlich suchte ihn der Gärtner auf und meldete ihm, wie wenn er etwas Angenehmes zu berichten hätte, man lege Spargelbeete für ihn an. Es ist bekannt, daß diese Pflanzungen erst in vier bis fünf Jahren genießbares Gemüse liefern. Diese Höflichkeit versetzte Herrn von Beaufort in Wut.

Herr von Beaufort dachte nun zu einem seiner vierzig Mittel zu greifen und versuchte es zuerst mit dem einfachsten, nämlich La Ramée zu bestechen. Aber La Ramée, der seine Stelle um 1500 Taler gekauft hatte, hielt große Stücke auf sein Amt. Statt auf die Absicht des Gefangenen einzugehen, eilte er stehenden Fußes zu Herrn von Chavigny und machte ihm Meldung. Sogleich stellte Herr von Chavigny acht Mann in das Zimmer des Prinzen, verdoppelte die Wachen und verdreifachte die Posten. Von diesem Augenblick an ging der Prinz nur noch wie ein Theaterkönig einher, nämlich mit vier Mann vor sich und vier Mann hinter sich, die nicht zu rechnen, die in einem Hinterglied marschierten.

Herr von Beaufort lachte anfangs über diese Strenge, die ihm eine Zerstreuung bereitete. Er wiederholte so oft als möglich: Das belustigt mich, das ergötzt mich! Dann fügte er bei: Wenn ich mich übrigens Euern Ehrenbezeigungen entziehen wollte, so hätte ich noch neununddreißig andere Mittel.

Aber diese Zerstreuung wurde am Ende eine Langweile. Aus Prahlerei hielt es Herr von Beaufort sechs Monate aus. Als er aber nach Ablauf von sechs Monaten sah, daß die acht Mann sich setzten, wenn er sich setzte, aufstanden, wenn er aufstand, stehen blieben, wenn er stehen blieb, so fing er an, die Stirne zu runzeln und die Tage zu zählen.

Diese neue Verfolgung führte einen verdoppelten Haß gegen Mazarin herbei. Der Prinz fluchte vom Morgen bis zum Abend und sprach nur vom Zerhacken und Einmachen Mazarinischer Ohren. Es war schaudererregend. Der Kardinal, der alles erfuhr, was in Vincennes vorging, drückte unwillkürlich sein Barett bis zum Halse hinab.

Eines Tages versammelte Herr von Beaufort die Wächter und hielt, obwohl seine Unfähigkeit, sich fließend auszudrücken, sprichwörtlich war, folgende Rede, die er allerdings einstudiert hatte:

Meine Herren, werdet Ihr es dulden, daß ein Enkel des guten Heinrich IV. mit Beleidigungen und Schmach überhäuft wird? Ventre-saint-gris! wie mein Großvater sagte, ich habe in Paris beinahe geherrscht, wißt Ihr! Die Königin schmeichelte mir damals und nannte mich den rechtschaffensten Mann des Reiches. Meine Herren Bürger, bringt mich jetzt hinaus: ich gehe geradeswegs nach dem Louvre. Ich drehe Mazarin den Hals um. Ihr werdet meine Leibwache, ich mache Euch alle zu Offizieren, und zwar mit guten Pensionen. Ventre-saint-gris! vorwärts, marsch!

Aber so pathetisch auch die Beredsamkeit des Enkels von Heinrich IV. war, so rührte sie doch diese Steinherzen nicht; nicht einer bewegte sich von der Stelle. Als Herr von Beaufort dies sah, sagte er zu ihnen, sie seien insgesamt Lumpenkerle, und machte sie sich dadurch zu grausamen Feinden.

Wenn ihn zuweilen Herr von Chavigny besuchte, was er regelmäßig zwei- bis dreimal in der Woche tat, so benutzte der Herzog diese Gelegenheit, ihm zu drohen.

Was werdet Ihr tun, mein Herr, sprach er zu ihm, wenn Ihr eines Tages ein Heer bis unter die Zähne bewaffneter Pariser erscheinen seht, um mich zu befreien?

Monseigneur, antwortete Herr von Chavigny, indem er sich tief vor dem Prinzen verbeugte, ich habe auf meinen Wällen zwanzig Feldstücke und in meinen Kasematten dreißigtausend Schüsse: ich werde sie nach Kräften mit meinen Kanonen bearbeiten.

Ja, aber wenn Ihr Eure dreißigtausend Schüsse abgefeuert habt, so werden sie den Turm nehmen, und wenn sie den Turm genommen haben, so bin ich genötigt, Euch von ihnen hängen zu lassen, was mir allerdings sehr leid tun wird.

Und der Prinz verbeugte sich ebenfalls mit der größten Höflichkeit vor Herrn von Chavigny.

Ich aber, Monseigneur, versetzte Herr von Chavigny, wäre, sobald der erste die Schwelle meiner Schloßpforten betreten oder den Fuß auf meinen Wall setzen würde, zu meinem größten Bedauern genötigt, Euch mit eigener Hand zu töten, da Ihr mir ganz besonders anvertraut seid und ich Euch tot oder lebendig zurückgeben muß.

Und er verbeugte sich abermals vor Sr. Hoheit.

Ja, fuhr der Herzog fort; da aber diese braven Leute sicherlich nicht hierherkommen würden, ohne vorher Herrn Giulio Mazarini gehenkt zu haben, so würdet Ihr Euch wohl hüten, Hand an mich zu legen, und ließet mich wohl leben, um nicht auf Befehl der Pariser von vier Pferden zerrissen zu werden, was noch viel unangenehmer ist, als das Hängen.

Diese süßsauren Scherze gingen so zehn Minuten, eine Viertelstunde, zwanzig Minuten höchstens fort und endigten stets auf folgende Weise.

Herr von Chavigny wandte sich nach der Türe um und rief:

Holla, La Ramée!

La Ramée trat ein.

La Ramée! fuhr Herr von Chavigny fort, ich empfehle Euch Herrn von Beaufort ganz besonders. Behandelt ihn mit aller seinem Namen und Range schuldigen Rücksicht und verliert ihn zu diesem Zwecke nicht einen Augenblick aus dem Gesicht.

Dann entfernte er sich, Herrn von Beaufort mit einer ironischen Höflichkeit grüßend, die diesen so zornig machte, daß er blau wurde.

La Ramée war also der unvermeidliche Tischgenosse des Prinzen, sein ewiger Wächter, der Schatten seines Leibes geworden. Man muß aber dabei gestehen, die Gesellschaft La Ramées, eines heitern Lebemannes, eines angenehmen Kumpans, eines trinkfesten Mannes, eines großen Ballspielers, kurz eines Burschen, der im Grund seines Herzens ein guter Kerl war und für Herrn von Beaufort keinen andern Fehler hatte, als daß er sich nicht bestechen ließ, war für den Prinzen mehr eine Zerstreuung, als eine Pein.

Mit dem Offizier stand es aber ganz anders. La Ramée war verheiratet und ein sehr zärtlicher Gatte und Vater. Er fand daher seine unaufhörliche Fesselung an den Gefangenen außerordentlich lästig und schließlich unerträglich und ergriff mit erklärlichem Eifer das Anerbieten seines Freundes, des Intendanten des Marschalls von Grammont, ihm einen Gehilfen zu verschaffen. Herr von Chavigny erklärte sich mit dem Plan einverstanden, wenn sich eine passende und zuverlässige Person finde, und als solche wurde eben der unsern Lesern aus den Drei Musketieren wohlbekannte Diener von Athos, der schweigend beredte Grimaud empfohlen.

Grimaud tritt sein Amt an

Grimaud fand sich also im Turme von Vincennes ein. Herr von Chavigny glaubte, ein unfehlbares Auge zu haben. Er prüfte also aufmerksam den Bewerber und kam zu dem Schluß, daß die nahe zusammenlaufenden Augenbrauen, die dünnen Lippen, die hakenförmige Nase und die hervorstehenden Backenknochen vollkommen genügende Anzeichen der Befähigung zum Wächteramt seien.

Er richtete nur zwölf Worte an ihn, Grimaud antwortete vier.

Das ist ein ausgezeichneter Bursche, und so habe ich ihn auch sogleich beurteilt, sprach Herr von Chavigny. Geht zu Herrn La Ramée und sagt ihm, Ihr entsprechet mir in jeder Beziehung.

Grimaud besaß gerade die Eigenschaften, welche einen Offizier veranlassen können, ihn zum Unteroffizier zu haben. Nach tausend Fragen, die je nur zum Viertel Antwort erhielten, rieb sich La Ramée, bezaubert durch diese Mäßigkeit in Worten, die Hände und nahm Grimaud an.

Der Befehl? fragte Grimaud.

Folgendes: den Gefangenen nie allein lassen, ihm jedes stechende oder schneidende Instrument nehmen, ihn verhindern, den Leuten außen Zeichen zu machen oder zu lange mit seinen Wächtern zu sprechen.

Dies ist alles? fragte Grimaud.

Für den Augenblick ja, antwortete La Ramée. Neu eintretende Umstände führen neue Befehle herbei.

Gut, antwortete Grimaud.

Und er trat bei dem Herzog von Beaufort ein. Der Herzog war eben im Begriff, seinen Bart zu kämmen, den er, wie auch seine Haupthaare, wachsen ließ, um Mazarin mit der Schaustellung seines Elends und seines schlechten Aussehens zu ängstigen. Da er aber einige Tage vorher von der Höhe seines Turmes herab die schöne Frau von Montbazon, deren Andenken ihm immer noch teuer war, in einem Wagen zu sehen geglaubt hatte, so wollte er für sie nicht das sein, was er für Mazarin war, und verlangte einen bleiernen Kamm, der ihm auch bewilligt wurde.

Grimaud sah bei seinem Eintritt den Kamm, den der Prinz soeben auf den Tisch gelegt hatte, und nahm ihn mit einer Verbeugung weg.

Der Herzog schaute die seltsame Person staunend an, die den Kamm in ihre Tasche steckte.

Holla, he! was ist das? rief der Herzog. Wer ist dieser Bursche?

Grimaud antwortete nicht, sondern verbeugte sich zum zweiten Male.

Bist du stumm? rief der Herzog.

Grimaud machte ein verneinendes Zeichen.

Was bist du denn? Antwort! Ich befehle es dir, sagte der Herzog.

Wächter, antwortete Grimaud.

Wächter! rief der Herzog, gut, es fehlte mir nur noch dieses Galgengesicht zu meiner Sammlung. Holla! La Ramée! Herbei!

La Ramée erschien. Zum Unglück für den Prinzen wollte er sich, im Vertrauen auf Grimaud, eben nach Paris begeben. Er befand sich bereits im Hofe und kam ärgerlich zurück.

Was gibt es, mein Prinz? fragte er. – Wer ist dieser Halunke, der meinen Kamm nimmt und ihn in seine Tasche steckt? fragte Herr von Beaufort. – Einer von Euern Wächtern, Monseigneur, ein sehr wackerer Bursche, den Ihr sicherlich schätzen werdet, wie Herr von Chavigny und ich. – Warum nimmt er mir meinen Kamm? – In der Tat, sagte La Ramée, warum nehmt Ihr Monseigneurs Kamm?

Grimaud zog den Kamm aus seiner Tasche, strich mit dem Finger darüber, betrachtete und zeigte den dicken Zahn und sprach nur das einzige Wort:

Stechend! – Das ist wahr, sagte La Ramée. – Was sagt dieses Vieh? fragte der Herzog. – Es sei von dem König jedes stechende Instrument für Monseigneur verboten. – Ei, seid Ihr verrückt, La Ramée? Ihr selbst habt mir diesen Kamm gegeben. – Und ich hatte großes Unrecht, Monseigneur, denn ich setzte mich dadurch in Widerspruch mit dem Befehl.

Der Herzog schaute Grimaud, der den Kamm La Ramée übergeben hatte, wütend an.

Ich sehe voraus, daß mir dieser Bursche ungeheuer mißfallen wird, murmelte der Prinz.

Grimaud aber wollte nicht schon am ersten Tage unmittelbar mit dem Gefangenen brechen. Er entfernte sich also, um vier Wachen Platz zu machen, die, vom Frühstück zurückkommend, ihren Dienst wieder bei dem Prinzen versehen konnten.

Der Prinz dachte seinerseits an einen neuen Spaß, der ihn ganz in Anspruch nahm. Er hatte für sein Frühstück am nächsten Tage Krebse verlangt und gedachte am heutigen einen kleinen Galgen zu verfertigen, an dem er den schönsten mitten im Zimmer hängen wollte. Die rote Farbe, die ihm das Sieden geben mußte, konnte keinen Zweifel über die Anspielung übrig lassen, und so hatte er das Vergnügen, den Kardinal in effigie zu hängen, bis er einmal in Person gehenkt würde, ohne daß man ihm zum Vorwurf machen konnte, etwas anderes als einen Krebs gehenkt zu haben.

Der Tag verstrich unter den Vorbereitungen zur Hinrichtung. Der Prinz ging wie gewöhnlich spazieren, brach einige kleine Zweige ab, die dazu bestimmt waren, eine Rolle bei der Hinrichtung zu spielen, und fand nach langem Suchen ein Stück zerbrochenes Glas, was ihm das größte Vergnügen machte. In sein Zimmer zurückgekehrt, faserte er sein Sacktuch aus.

Nichts hiervon entging dem beobachtenden Auge Grimauds.

Am andern Morgen war der Galgen bereit; um ihn mitten in seinem Zimmer aufschlagen zu können, schabte Herr von Beaufort ein Ende mit seinem zerbrochenen Glase ab.

La Ramée schaute seinem Treiben mit der Neugierde eines Vaters zu, der seine Kinder mit einem neuen Spielzeug spielen sieht.

Grimaud trat ein, als der Prinz soeben sein Stück Glas niedergelegt hatte, obgleich das Zuspitzen des Galgenfußes noch nicht vollendet war; er hatte sich unterbrochen, um den Faden an das entgegengesetzte Ende des Galgens zu binden.

Als er hiermit fertig war und mit dem Glase fortfahren wollte, bemerkte er, daß dieses verschwunden war.

Wer hat mir mein Glas genommen? fragte der Prinz, die Stirne runzelnd.

Grimaud machte ein Zeichen, daß er es sei.

Wie? Du abermals! Warum hast du es mir genommen?

Ja, fragte La Ramée, warum habt Ihr Seiner Hoheit das Stück Glas genommen?

Grimaud, der das Glasstück in der Hand hielt, fuhr mit dem Finger darüber und sagte: Schneidend.

Das ist richtig, Monseigneur, sprach La Ramée. Teufel, was für einen kostbaren Gehilfen haben wir da bekommen!

Herr Grimaud, rief der Prinz, in Eurem eigenen Interesse beschwöre ich Euch, seid darauf bedacht, nie in den Bereich meiner Hand zu kommen.

Grimaud machte eine Verbeugung und zog sich ans Ende des Zimmers zurück.

Still, still, Monseigneur, sagte La Ramée, gebt mir Euren Galgen, ich will ihn mit meinem Messer zuspitzen. – Ihr? sagte der Herzog lachend. – Ja, ich; war das nicht Euer Wunsch? – Allerdings. – Schön, das wird nur noch drolliger werden, sprach der Herzog. Hier, mein lieber La Ramée.

La Ramée spitzte den Fuß des Galgens auf das niedlichste zu.

Gut, sagte der Herzog; macht mir nun ein kleines Loch in den Boden, während ich den armen Sünder hole.

La Ramée kniete mit einem Fuße nieder und höhlte den Boden aus. Während dieser Zeit hing der Prinz seinen Krebs an den Faden. Dann pflanzte er den Galgen mitten im Zimmer aus und brach in ein lautes Gelächter aus. La Ramée lachte auch aus vollem Herzen, ohne recht zu wissen, warum er lachte, und die Wachen machten Chorus.

Grimaud allein lachte nicht. Er näherte sich La Ramée, deutete auf den Krebs, der sich am Ende des Fadens drehte, und sagte: Kardinal.

Gehenkt von Sr. Hoheit, dem Herzog von Beaufort, versetzte der Prinz, immer stärker lachend, und von Meister Jacques Chrysostomo La Ramée, Gefreitem des Königs.

La Ramée stieß einen Schrei des Schreckens aus und stürzte nach dem Galgen, den er aus der Erde riß und in kleine Stücke zerbrach, die er zum Fenster hinauswarf. Er hatte so gänzlich den Kopf verloren, daß er auch den Krebs hinauswerfen wollte, als Grimaud ihm denselben aus den Händen nahm und sagte: Gut zum Essen. Und er steckte den Krebs in seine Tasche.

Aber die Geschichte von dem Krebs machte zur größten Verzweiflung La Ramées bald im Innern des Gefängnisses die Runde und durch Herrn von Chavigny, der in der Tiefe seines Herzens den Kardinal verabscheute, auch außerhalb.

Mittlerweile hatte der Herzog unter seinen Wachen einen Mann von ziemlich gutem Aussehen bemerkt, den er um so freundlicher behandelte, als ihm Grimaud jeden Augenblick mehr mißfiel. Eines Morgens, als er diesen Mann beiseite genommen hatte und mit ihm einige Zeit allein sprach, trat Grimaud ein, betrachtete, was vorging, näherte sich ehrfurchtsvoll der Wache und dem Prinzen und nahm die Wache beim Arme.

Was wollt Ihr? fragte der Prinz mit hartem Tone.

Grimaud führte die Wache einige Schritte weg, deutete auf die Türe und sagte: Geht. Die Wache gehorchte.

Ihr seid mir ganz unerträglich! rief der Prinz. Grimaud verbeugte sich ehrfurchtsvoll.

Ich breche Euch die Knochen entzwei, schrie der Prinz in Verzweiflung. Grimaud verbeugte sich und wich zurück.

Herr Spion, fuhr der Herzog fort, ich erdroßle Euch mit meinen Händen. Grimaud verbeugte sich abermals und wich immer mehr zurück.

Und zwar, versetzte der Prinz, der es für das beste hielt, sogleich ein Ende zu machen, sofort, in diesem Augenblick.

Und er streckte seine krampfhaft geballten Hände gegen Grimaud aus, der nun die Wache hinausstieß und die Türe hinter ihr schloß. In diesem Augenblick fühlte er, wie die Hände des Prinzen sich auf seine eisernen Schultern herabsenkten. Aber statt zu rufen oder sich zu verteidigen, beschränkte er sich darauf, langsam seinen Zeigefinger in die Höhe seiner Lippen zu führen und mit dem freundlichsten Lächeln leise das Wort: Stille! zu sagen.

Ein Lächeln, eine Gebärde und ein Wort von Grimaud war etwas so Seltenes, daß Seine Hoheit plötzlich, voll Staunen inne hielt.

Grimaud benutzte diesen Augenblick, um aus dem Futter seines Wamses ein zierliches Briefchen mit aristokratischem Siegel hervorzuziehen, dem sein langer Aufenthalt in Grimauds Kleidern seinen früheren Wohlgeruch nicht hatte benehmen können, und reichte es dem Herzog, ohne ein Wort zu sprechen.

Immer mehr erstaunt, ließ der Herzog Grimaud los, nahm den Brief und rief, die Handschrift erkennend: Von Frau von Montbazon! Grimaud machte ein bejahendes Zeichen mit dem Kopfe.

Der Herzog zerriß rasch den Umschlag, fuhr mit der Hand über die Augen und las:

Mein lieber Herzog!

Ihr könnt Euch vollkommen dem braven Burschen anvertrauen, der Euch dieses Billett zustellt, denn er ist der Bediente eines Edelmannes, der zu uns gehört und für ihn als einen durch zwanzigjährige Treue erprobten Mann bürgt. Er hat sich dazu verstanden, in den Dienst Eures Gefreiten zu treten und sich mit Euch in Vincennes einzuschließen, um Eure Flucht, die wir planen, vorzubereiten und zu unterstützen.

Der Augenblick der Befreiung ist nahe; faßt Geduld und Mut und bedenkt, daß trotz Zeit und Abwesenheit alle Eure Freunde die Gefühle bewahrt haben, die sie für Euch hegten.

Euere stets und immer wohlgeneigte
Marie von Montbazon.

Der Herzog blieb einen Augenblick wie betäubt. Was er seit fünf Jahren suchte, ohne es zu finden, einen Diener, einen Beistand, einen Freund, das fiel ihm plötzlich vom Himmel zu und zwar in einem Augenblick, wo er es am wenigsten erwartete. Er schaute Grimaud erstaunt an, nahm dann den Brief wieder vor und las ihn noch einmal von Anfang bis zu Ende.

Oh! teure Marie, murmelte er dann, sie ist es also gewesen, die ich im Hintergrunde ihres Wagens wahrgenommen habe. Wie, sie denkt noch an mich nach einer Trennung von fünf Jahren! Bei Gott, das ist eine himmlische Beständigkeit.

Dann fügte er, sich gegen Grimaud umwendend, bei:

Und du, mein braver Junge, du willst uns also helfen? – Grimaud machte ein bejahendes Zeichen. – Du bist nur deshalb hierhergekommen? – Grimaud wiederholte sein Zeichen. – Und ich wollte dich erdrosseln! rief der Herzog. – Grimaud lächelte. – Doch halt, sprach der Herzog und suchte in seinen Taschen. – Warte, fuhr er dann, seinen fruchtlosen Versuch erneuernd, fort, man soll nicht sagen, eine solche Aufopferung für einen Enkel Heinrichs IV. bleibe unbelohnt.

Als Grimaud die Enttäuschung und den Ärger des Herzogs bemerkte, zog er aus seiner Tasche eine Börse voll Gold, überreichte sie ihm und sagte: Das ist es, was Ihr sucht.

Der Herzog öffnete die Börse und wollte sie in Grimauds Hände leeren, Grimaud aber schüttelte den Kopf und sprach zurückweichend: Ich danke, Monseigneur, ich bin bezahlt.

Der Herzog fiel aus einem Erstaunen ins andere. Er reichte ihm die Hand; Grimaud näherte sich und küßte sie ehrfurchtsvoll. Athos‘ vornehme Manieren waren eine Schule für Grimaud gewesen.

Und nun, fragte der Herzog, was werden wir tun?

Es ist elf Uhr, versetzte Grimaud. Um zwei Uhr verlange Monseigneur eine Partie Ball mit La Ramée zu spielen und schleudere zwei bis drei Bälle über den Wall.

Wohl, und dann?

Dann … wird sich Monseigneur der Mauer nähern und einem Manne, der im Graben arbeitet, zurufen, er solle sie ihm zurückwerfen.

Ich begreife, sagte der Herzog.

Grimauds Gesicht schien eine lebhafte Befriedigung auszudrücken; bei dem geringen Gebrauch, den er von der Gewohnheit der Sprache machte, wurde ihm das Reden schwer, doch bat er noch den Herzog, ihn weiter so verächtlich zu behandeln wie zuvor.

Da klopfte man an die Türe.

Der Herzog steckte den Brief und die Börse in die Tasche und warf sich auf sein Bett. Man wußte, daß dies seine Zuflucht in seinen großen Augenblicken des Ärgers und der Langweile war. Grimaud öffnete; es war La Ramée, der vom Kardinal zurückkehrte, wo die von uns erzählte Scene vorgefallen war.

La Ramée warf einen forschenden Blick um sich her, und als er immer noch dieselben Symptome des Widerwillens zwischen dem Gefangenen und seinem Wächter wahrnahm, lächelte er voll innerer Zufriedenheit und sagte zu Grimaud:

Gut, mein Freund, gut; man hat geeigneten Orts von Euch gesprochen, und ich hoffe, Ihr sollt bald eine Neuigkeit erfahren, die Euch nicht unangenehm sein wird.

Grimaud grüßte mit einer Miene, die er freundlich zu machen suchte, und entfernte sich.

Nun, Monseigneur, sprach La Ramée mit seinem plumpen Lachen, Ihr schmollt immer noch mit diesem armen Burschen?

Ah! Ihr seid es, La Ramse, sagte der Herzog; meiner Treu, es war Zeit, daß Ihr kamet. Ich hatte mich auf mein Bett geworfen und die Nase der Wand zugedreht, um der Versuchung nicht nachzugeben, mein Wort zu halten und diesen Schurken Grimaud zu erdrosseln. – Ich zweifle, erwiderte La Ramée, daß der mundfaule Bursche Eurer Hoheit etwas Unangenehmes gesagt hat. – Bei Gott, ich glaube wohl; ein Stummer aus dem Orient. Ich schwöre Euch, es war Zeit, daß Ihr zurückkamet, La Ramée, und es drängte mich. Euch wiederzusehen. – Monseigneur ist zu gütig, versetzte La Ramée, von dem Komplimente geschmeichelt. – Ja, fuhr der Herzog fort, in der Tat, ich fühle mich heute von einer Ungeschicklichkeit, die Euch Vergnügen gewähren wird. – Wir machen also eine Partie Ball? sagte La Ramée mechanisch; nur bitte ich Eure Hoheit um Vergebung, ich bedarf einer halben Stunde Frist. – Und warum dies? – Weil Monseigneur Mazarin, von dem ich komme, obgleich nicht von so hoher Geburt, doch viel stolzer ist, als Ihr, und mich zum Frühstück einzuladen vergessen hat. – Nun wohl, so will ich Dir ein Frühstück hierher bringen lassen. – Nein, Monseigneur, ich muß Euch sagen, daß der Pastetenbäcker, der dem Schlosse gegenüber wohnte, und den man den Vater Marteau nannte … – Nun? – Vor acht Tagen sein Besitztum an einen Pastetenbäcker von Paris verkauft hat, dem die Ärzte, wie es scheint, die Landluft anrieten. – Was geht das mich an? – Wartet doch, Monseigneur. Dieser verdammte Pastetenbäcker hat vor seiner Bude eine Masse von Dingen, die einem den Mund wässerig machen. – Leckermaul! – Ei, mein Gott, Monseigneur, versetzte La Ramée, man ist doch kein Leckermaul, wenn man gern gut ißt. Es liegt in der Natur des Menschen, daß er in Pasteten, wie in allen andern Dingen möglichst Vollkommenes sucht. Dieser Spitzbube von einem Pastetenbäcker, Monseigneur, kam nun, als er mich vor seiner Bude still stehen sah, dummdreist auf mich zu und sagte mir: Herr La Ramée, ich muß die Kundschaft der Gefangenen bekommen. Ich habe dieses Etablissement von meinem Vorgänger gekauft, weil er mir die Versicherung gab, er liefere für das Schloß, und auf meine Ehre, Herr von Chavigny hat seit den acht Tagen, die ich hier bin, noch kein Törtchen bei mir holen lassen. – Dies ist ohne Zweifel der Fall, antwortete ich ihm, weil Herr von Chavigny befürchtet. Euer Gebäck sei nicht gut. – Nicht gut, mein Gebäck! Nun wohl, Herr La Ramée, Ihr sollt selbst Richter sein, und zwar auf der Stelle! – Ich kann nicht, antwortete ich, denn ich muß sogleich ins Schloß zurückkehren. – Nun wohl, sagte er, so macht Eure Geschäfte ab, da Ihr Eile zu haben scheint, und kommt in einer halben Stunde wieder. – In einer halben Stunde? – Ja. Habt Ihr gefrühstückt? – Meiner Treu, nein! – Seht, hier ist eine Pastete, die Euch mit einer Flasche Burgunder erwartet. – Und Ihr begreift, Monseigneur, da ich noch ganz nüchtern bin, so möchte ich mit Erlaubnis Ew. Hoheit …

Und La Ramée verbeugte sich.

Geh also, Vieh, sprach der Herzog, aber merke dir wohl, ich gebe dir nur eine halbe Stunde. – Darf ich dem Nachfolger von Vater Marteau Eure Kundschaft versprechen? – Ja, vorausgesetzt, daß er mir keine giftigen Schwämme in seine Pasteten tut.

La Ramse entfernte sich in größter Eile.

Die Pasteten des Pariser Bäckers

Eine halbe Stunde nachher kehrte La Ramée munter und vergnügt zurück, wie ein Mensch, der gut gegessen und besonders gut getrunken hat. Er hatte vortreffliche Pasteten und köstlichen Wein gefunden.

Das Wetter war schön und gestattete die beabsichtigte Partie, bei der es dem Herzog, da sie das sogenannte Langballspiel betrieben, leicht fallen mußte, das zu tun, was ihm Grimaud empfohlen hatte, das heißt, die Bälle in den Graben zu schleudern.

Solange es indessen nicht zwei Uhr geschlagen hatte, war der Herzog nicht zu ungeschickt, denn zwei Uhr war die bestimmte Stunde. Er verlor jedoch die bis dahin eingegangenen Partien, wodurch er ein Recht erhielt, zornig zu werden und Fehler auf Fehler zu machen.

Als es zwei Uhr schlug, fingen die Bälle an, den Weg nach dem Graben zu nehmen und zwar zur großen Freude La Ramées, der bei jedem Hinaus, das der Prinz machte, fünfzehn Punkte gewann.

Die Hinaus nahmen so zu, daß es bald an Bällen fehlte. La Ramée schlug nun vor, jemand hinabzuschicken, um sie aus dem Graben zu holen. Aber der Herzog bemerkte, das wäre verlorene Zeit, näherte sich dem Walle, der an dieser Stelle wenigstens fünfzig Fuß hoch war, und erblickte einen Mann, der in einem der tausend Gärtchen jenseit des Grabens arbeitete.

He, Freund! rief der Herzog.

Der Mann schaute empor, und der Prinz war im Begriff, einen Schrei des Erstaunens auszustoßen. Dieser Mann, dieser Bauer, dieser Gärtner war Rochefort, den der Prinz in der Bastille vermutete.

Nun, was gibt es da oben? fragte der Mann.

Habt die Gefälligkeit, unsere Bälle zurückzuwerfen, rief der Herzog.

Der Gärtner machte ein Zeichen mit dem Kopf und begann die Bälle zurückzuwerfen, die La Ramée und die Wachen aufhoben. Einer fiel vor die Füße des Herzogs, und da dieser offenbar für ihn bestimmt war, so steckte er ihn in seine Tasche. Dann machte er dem Gärtner ein Zeichen des Dankes und kehrte zu seiner Partie zurück. Er erklärte aber, er schäme sich so großer Ungeschicklichkeit und wolle nicht weiter spielen.

La Ramée war entzückt, einen Prinzen von Geblüt völlig geschlagen zu haben.

Der Prinz kehrte in sein Zimmer zurück und legte sich nieder. Das tat er beinahe den ganzen Tag, seitdem man ihm seine Bücher genommen hatte.

La Ramée nahm die Kleider des Prinzen, unter dem Vorwand, sie seien mit Staub bedeckt und er müsse sie ausbürsten lassen, in Wirklichkeit aber, um sicher zu sein, daß sich der Prinz nicht von der Stelle bewegte. Er war ein vorsichtiger Mann, dieser La Ramée.

Glücklicherweise hatte der Prinz Zeit gehabt, den Ball unter seinem Kopfpfühl zu verbergen.

Sobald die Türe geschlossen war, zerriß der Herzog den Umschlag des Balles mit seinen Zähnen, denn man ließ ihm kein schneidendes Instrument; zum Essen hatte er nur Messer mit silbernen Klingen, die nicht schnitten. In dem Umschlag steckte ein Brief, der folgende Zeilen enthielt:

»Monseigneur, Eure Freunde wachen, und die Stunde Eurer Befreiung naht. Verlangt übermorgen eine Pastete zu essen von dem neuen Pastetenbäcker, der den Laden des früheren gekauft hat und niemand anders ist, als Noirmont, Euer Hausmeister. Öffnet die Pastete erst, wenn Ihr allein seid. Ich hoffe, Ihr werdet mit ihrem Inhalt zufrieden sein.

Ew. Hoheit stets ergebener Diener,
in der Bastille wie anderswo,

Graf von Rochefort.«

Der Herzog von Beaufort verbrannte den Brief, wie er dies zu seinem großen Bedauern mit dem Billet der Frau von Montbazon getan hatte. Kaum daß er es getan hatte, so trat der wachsame La Ramée ein und fragte: Bedarf Monseigneur etwas?

Mit großer Kunst wußte der Herzog das sich zwischen ihm und Ramée entspinnende Zwiegespräch so zu lenken, daß sein Wächter selbst die Fragen stellte, die er hören wollte. So lud er La Ramée, von dem wir wissen, daß er ein Feinschmecker war, für den übernächsten Tag, den Pfingsttag, zu einem leckeren Mahle unter vier Augen ein, ohne daß sein Partner seine Absicht merken konnte.

Das Anerbieten war verführerisch, aber La Ramée war ein alter Pfiffikus, der alle Fallen kannte, die ein Gefangener stellen kann. Herr von Beaufort hatte, wie er sagte, vierzig Mittel vorbereitet, um aus dem Gefängnis zu entfliehen. Verbarg dieser Schmaus nicht etwa doch eine List? Er dachte einen Augenblick nach.

Nun, fragte der Herzog, geht es? – Ja, Monseigneur, unter einer Bedingung. – Unter welcher? – Daß uns Grimaud bei Tafel serviert.

Nichts konnte dem Prinzen angenehmer sein. Er hatte sich jedoch so weit in der Gewalt, daß er seinem Gesicht einen starken Anflug übler Laune gab.

Zum Teufel mit Eurem Grimaud! rief er, er wird mir den ganzen Schmaus verderben. – Ich befehle ihm, sich hinter Eurer Hoheit zu halten, und da er kein Wort spricht, so wird ihn Eure Hoheit weder sehen noch hören und mit etwas gutem Willen sich einbilden, er sei hundert Meilen entfernt. – Mein Lieber, entgegnete der Herzog, wißt Ihr, was ich am klarsten in allem dem sehe? Daß Ihr mir mißtraut. – Monseigneur, es ist übermorgen Pfingsten. – Was geht mich Pfingsten an? Ist Euch bange, der heilige Geist könnte in der Gestalt einer feurigen Zunge herabsteigen, um mir die Türe meines Kerkers zu öffnen? – Nein, Monseigneur, aber Ihr wißt, was der Magier prophezeit hat. – Und was hat er prophezeit? – Der Pfingsttag werde nicht vorübergehen, ohne daß Eure Hoheit sich außerhalb Vincennes befinde. – Du glaubst also an Magier, Dummkopf? – Ich? sagte La Ramée, ich kümmere mich nicht so viel darum, und er schnalzte mit den Fingern, aber Monsignor Giulio kümmert sich darum; als Italiener ist er abergläubisch.

Der Herzog zuckte die Achseln.

Nun wohl, es sei, sagte er mit vortrefflich gespielter Nachgiebigkeit, ich nehme Grimaud an, denn sonst würde die Sache nie zu stande kommen; aber ich will niemand außer Grimaud. Ihr besorgt alles und bestellt ein Abendbrot, wie Ihr es für gut findet; das einzige Gericht, das ich bezeichne, ist eine von den Pasteten, von denen Ihr gesprochen habt. Ihr bestellt sie für mich, damit der Nachfolger von Vater Marteau sich selbst übertrifft, und Ihr versprecht ihm meine Kundschaft für die ganze Zeit, die ich im Kerker bleibe.

Monseigneur, sagte La Ramée, ich will das Abendessen bestellen. – Und Ihr glaubt, Ihr werdet etwas aus Eurem Zögling machen können? – Ich hoffe es, antwortete La Ramée.

An der Tür blieb er stehen und fragte: Wen befiehlt Monseigneur hierherzuschicken? – Wen Ihr wollt, nur Grimaud nicht. – Den Offizier der Wache also. Mit seinem Schachspiel? – Ja.

La Ramée entfernte sich.

Fünf Minuten nachher trat der Offizier der Wache ein, und der Herzog schien sich ganz in die seltsamen Kombinationen des Schachspiels zu vertiefen.

Es ist ein eigentümliches Ding um den Geist! Welche Wirkungen bringen darin manchmal ein Zeichen, ein Wort, eine Hoffnung hervor! Der Herzog war seit fünf Jahren im Gefängnis, und ein Blick rückwärts ließ ihm diese fünf Jahre minder lang erscheinen, als die achtundvierzig Stunden, die ihn noch von der zu seiner Entweichung bestimmten Stunde trennten. Alle Hoffnung und alle Zweifel stürmten zugleich auf ihn ein. Kein Wunder, daß es beim Schach ging wie beim Ballspiel: der Herzog machte Fehler über Fehler, und der Offizier der Wache schlug ihn am Abend, wie La Ramée am Morgen.

Aber seine fortwährenden Niederlagen hatten einen Vorteil; es waren drei Stunden gewonnen, dann sollte die Nacht kommen und mit der Nacht der Schlaf.

So dachte der Herzog wenigstens, aber der Schlaf ist eine sehr launenhafte Gottheit, und als sie sich ihm endlich hingab, wurde sein Schlummer durch die unruhigsten Träume gestört.

Als am nächsten Morgen La Ramée eintrat, fand er ihn so bleich und abgemattet, daß er ihn fragte, ob er krank sei.

In der Tat, sprach eine der Wachen, die im Zimmer gelegen hatte und wegen eines Zahnwehs infolge der Feuchtigkeit nicht hatte schlafen können, Monseigneur hat eine sehr unruhige Nacht gehabt und zwei- oder dreimal im Traum um Hilfe gerufen.

Was fehlt denn Monseigneur? fragte La Ramée.

Du bist es, Dummkopf, sagte der Herzog, der mir mit seinem albernen Entweichungsgeschwätz gestern den Kopf verwirrt hat; du bist schuld, daß mir träumte, ich fliehe und breche auf der Flucht den Hals.

La Ramée brach in ein Gelächter aus.

Ihr seht, Monseigneur, sprach La Ramée, das ist eine Stimme vom Himmel; ich hoffe auch, Monseigneur wird nie die Unklugheit begehen, die Eure Hoheit geträumt hat. – Und Ihr habt recht, mein lieber La Ramée, erwiderte der Herzog, den Schweiß abtrocknend, der noch über seine Stirne lief, obgleich er völlig wach war, ich will nur noch an Essen und Trinken denken. – St! flüsterte La Ramée.

Und er entfernte die Wachen eine nach der andern unter irgend einem Vorwand.

Nun? fragte der Herzog, als sie allein waren. – Euer Mahl ist bestellt, antwortete La Ramée. – Und worin wird es bestehen? laßt hören, mein Herr Obersthofmeister. – Monseigneur hat versprochen, sich auf mich zu verlassen. – Es wird eine Pastete dabei sein? – Ich glaube wohl, so dick wie ein Turm. – Von dem Nachfolger des Vaters Marteau? – Wie befohlen. – Und du hast gesagt, sie sei für mich? – Ich habe es ihm gesagt. – Und was antwortete er? – Er wolle tun, was in seinen Kräften stehe, um Eure Hoheit zufriedenzustellen. – Vortrefflich! rief der Herzog, sich die Hände reibend. – Teufel! Monseigneur, sprach La Ramée, wie Ihr Euch Plötzlich auf ein leckeres Mahl freut; seit fünf Jahren habe ich Euch nie so vergnügt gesehen, wie in diesem Augenblick.

Der Herzog sah, daß er sich nicht genug bemeistert hatte; aber da Grimaud gehorcht und begriffen hatte, daß La Ramée von seinen Gedanken abgebracht werden müsse, trat er in diesem Augenblick ein und bedeutete La Ramée durch ein Zeichen, er habe ihm etwas zu sagen.

La Ramée näherte sich Grimaud, der ganz leise mit ihm sprach.

Der Herzog gewann mittlerweile seine Ruhe wieder und sagte:

Ich habe diesem Menschen bereits verboten, sich ohne meine Erlaubnis hier zu zeigen. – Monseigneur, erwiderte La Ramée, man muß ihm vergeben, denn ich habe ihn bestellt. – Warum habt Ihr ihn bestellt?… weil Ihr wißt, daß er mir mißfällt? – Monseigneur erinnert sich, was verabredet worden ist, erwiderte La Ramée, und daß er uns bei dem bekannten Abendessen bedienen muß. Monseigneur hat das Abendessen vergessen. – Nein. Aber ich hatte Herrn Grimaud vergessen. – Monseigneur weiß, daß es ohne ihn kein Abendessen gibt. – Nun, so macht, wie Ihr wollt. – Tretet näher, mein Lieber, sprach La Ramée, und hört, was ich Euch sage.

Grimaud näherte sich mit seinem griesgrämigsten Gesicht. La Ramée fuhr fort: Monseigneur erweist mir die Ehre, mich auf morgen zum Abendessen unter vier Augen einzuladen.

Grimaud machte ein Zeichen, durch das er sagen wollte, er wisse nicht, was ihn das angehe.

Doch, doch, erwiderte La Ramée, die Sache geht Euch allerdings an, denn Ihr sollt die Ehre haben, uns zu servieren, abgesehen davon, daß, so guten Appetit und so großen Durst wir auch haben werden, immer noch etwas auf dem Grunde der Schüsseln und auf dem Boden der Flaschen zurückbleiben wird, und dieses Etwas ist für Euch.

Grimaud verbeugte sich zum Danke.

Und nun, Monseigneur, sprach La Ramée, bitte ich Eure Hoheit um Entschuldigung. Es scheint, Herr von Chavigny entfernt sich auf einige Tage, und er läßt mir sagen, er habe vor seiner Abreise noch einige Befehle zu geben.

Geht, sagte der Herzog zu La Ramée, und kommt bald zurück.

Will Monseigneur Revanche für die Ballpartie von gestern haben?

Grimaud machte ein unmerkliches Zeichen von oben nach unten.

Ja, sagte der Herzog, aber nehmt Euch in acht, mein lieber La Ramée, die Tage folgen sich, aber sie gleichen sich nicht.

La Ramée entfernte sich, Grimaud folgte ihm mit den Augen, ohne daß sein übriger Körper nur um eine Linie von seiner Richtung abging; als er die Türe wieder geschlossen sah, zog er rasch einen Bleistift und ein Blatt Papier aus seiner Tasche und sagte: Schreibt; Monseigneur.

Und was soll ich schreiben?

Grimaud machte ein Zeichen mit dem Finger und diktierte:

Alles ist für morgen abend bereit; habt acht von sieben bis neun Uhr, bringt zwei Reitpferde mit, wir steigen durch das erste Fenster der Galerie hinab.

Der Herzog unterzeichnete.

Hat Monseigneur den Ball verloren? fragte Grimaud. – Welchen Ball? – Den, der den Brief enthielt. – Nein, ich dachte, er könnte uns nützlich sein. Hier ist er.

Und der Herzog zog den Ball unter dem Kopfpfühl hervor und reichte ihn Grimaud.

Grimaud lächelte so angenehm, als es ihm nur immer möglich war.

Nun? fragte der Herzog. – Ich nähe das Papier in den Ball, und wenn Ihr spielt, werft Ihr ihn in den Graben. – Aber vielleicht geht er verloren? – Seid unbesorgt, es ist einer da, der ihn aufhebt. – Ein Gärtner? – Grimaud machte ein bejahendes Zeichen. – Der von gestern?– Grimaud wiederholte sein Zeichen.

Der Graf von Rochefort also?

Grimaud machte zum drittenmal ein bejahendes Zeichen.

Aber sage mir doch etwas über die Art und Weise, wie wir fliehen sollen, sprach der Herzog. – Es ist mir vor dem Augenblick der Ausführung verboten. – Wer sind die, welche mich auf der andern Seite des Grabens erwarten werden? – Ich weiß es nicht, Monseigneur. – Aber teile mir doch wenigstens mit, was die Pastete enthalten wird, wenn du nicht willst, daß ich verrückt werden soll. – Monseigneur, sie wird zwei Dolche, einen Strick mit Knoten und eine Maulbirne (einen Knebel mit Sprungfeder) enthalten. – Gut, ich begreife. – Monseigneur sieht, daß für alles gesorgt ist. – Wir nehmen für uns die Dolche und den Strick, sagte der Herzog. – Und lassen La Ramée die Birne essen, versetzte Grimaud. – Mein lieber Grimaud, sprach der Herzog, du sprichst nicht oft, aber man muß dir Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn du sprichst, sprichst du goldene Worte.

Die zwei Hüte

Als sie allein waren, brach Aramis zuerst das Stillschweigen mit den Worten: Woran denkt Ihr, d’Artagnan, und welcher Gedanke macht Euch lächeln? – Ich denke, mein Lieber, daß Ihr Euch, solange Ihr Musketier waret, stets dem Abbé zuneigtet, und jetzt, da Ihr Abbé seid; Euch bedeutend dem Musketier zuzuneigen scheint. – Das ist wahr, sagte Aramis lachend. Der Mensch ist, wie Ihr wißt, ein seltsames Wesen und besteht ganz aus Kontrasten. Seitdem ich Abbé bin, denke ich nur an Schlachten. – Nun, mein lieber Aramis, Ihr fragtet mich, warum ich Euch aufgesucht habe? sagte d’Artagnan, den es drängte, zum Ziele zu kommen.– Nein, mein Lieber, ich fragte Euch nicht, sondern ich erwartete, daß Ihr es mir sagen würdet. – Wohl, ich suchte Euch auf, um Euch ganz einfach ein Mittel zu bieten, Herrn von Marsillac zu töten, wenn Ihr das wünscht, obgleich er ein Prinz ist. – Halt, halt, halt! sagte Aramis, das ist ein Gedanke. – Den ich Euch zu benutzen einlade, mein Lieber. Laßt hören, seid Ihr bei Eurer Pfründe von tausend Talern und bei den zwölftausend Livres, die Ihr Euch verdient, reich? Sprecht offenherzig. – Ich bin arm, wie Hiob, und wenn Ihr alle Taschen und Koffer durchwühlt, werdet Ihr, glaube ich, keine hundert Pistolen hier finden. – Pest! hundert Pistolen! sagte d’Artagnan ganz leise zu sich selbst. Er nennt das arm wie Hiob. Ich würde mich für so reich halten wie Krösus, wenn ich sie immer vor mir hätte. Dann ganz laut: Seid Ihr ehrgeizig? – Wie Enceladus. – Nun wohl, mein Freund, ich bringe Euch etwas, wodurch Ihr reich, mächtig werden und Euch die Freiheit verschaffen könnt, alles zu tun, was ihr wollt.

Ein Schatten zog über die Stirne von Aramis hin, so rasch wie die Wolke, die im August über den Getreidefeldern schwebt; aber so rasch er auch war, so entging er doch d’Artagnan nicht.

Sprecht, sagte Aramis. – Vorher noch eine Frage. Beschäftigt Ihr Euch mit Politik?

Ein Blitz zuckte aus Aramis‘ Augen, rasch wie der Schatten, der über seine Stirne gezogen war, aber nicht so rasch, daß d’Artagnan es nicht gesehen hätte.

Nein, antwortete Aramis. – Dann werden Euch alle Vorschläge genehm sein, da Ihr für den Augenblick keinen andern Herrn habt, als Gott, sagte lachend der Gascogner. – Das ist möglich. – Mein lieber Aramis, habt Ihr zuweilen an die schönen Tage unserer Jugend gedacht, die wir lachend, trinkend und uns schlagend zubrachten? – Ja, gewiß, ich habe sie mehr als einmal zurückgewünscht. Es war eine glückliche Zeit. – Ei, mein Lieber, diese schönen Tage können wiederkommen, diese glückliche Zeit kann zurückkehren. Ich habe den Auftrag erhalten, meine Kameraden aufzusuchen, und fing bei Euch an, der Ihr die Seele unserer Verbindung waret.

Aramis verbeugte sich mehr höflich, als freundlich.

Ich soll mich wieder in die Politik mengen? sprach er mit leiser Stimme und sich in seinen Stuhl zurücklehnend. Ah, lieber d’Artagnan, seht doch, wie regelmäßig und bequem ich lebe. Wir haben Undankbarkeit von den Großen erfahren, wie Ihr wißt. – Das ist wahr, erwiderte d’Artagnan; vielleicht bereuen die Großen ihren Undank. – In diesem Fall wäre es etwas anderes, sprach Aramis. Barmherzigkeit jedem Sünder. Überdies habt Ihr in einem Punkte recht; wenn uns die Lust erfaßte, uns in die Staatsangelegenheiten zu mischen, so wäre, glaube ich, der rechte Augenblick gekommen. – Woher wißt Ihr dies, da Ihr Euch nicht mit Politik beschäftigt? – Mein Gott, während ich mich mit Liebesgeschichten unterhielt, war ich mit einigen tätigen Freunden in Verbindung. So ist mir die politische Bewegung nicht ganz entgangen. – Ich vermutete es wohl, sagte d’Artagnan. – Übrigens, mein Lieber, nehmt das, was ich Euch sage, nur für Worte eines Klosterpfaffen, eines Mannes, der wie ein Echo spricht und nur wiederholt, was er hat sagen hören, versetzte Aramis. Ich habe nämlich gehört, der Kardinal Mazarin sei in diesem Augenblick sehr unruhig über den Gang der Dinge. Es scheint, man widmet seinen Befehlen nicht alle Achtung, die man einst für die Befehle unserer seligen Vogelscheuche hatte, deren Porträt Ihr hier seht; denn was man auch sagen mag, mein Lieber, man muß gestehen: Richelieu war ein großer Mann. – Ich widerspreche Euch in dieser Hinsicht nicht, versetzte d’Artagnan, er hat mich zum Leutnant gemacht. – Meine erste Meinung war ganz für den Kardinal gewesen: ich hatte mir gesagt, ein Minister sei nie geliebt, aber mit dem Genie, das man ihm nachsagt, müsse er am Ende über seine Feinde triumphieren. Dies war also meine erste Meinung. Ich habe mich aber in meiner Unwissenheit und Demut eines andern belehren lassen. Nun, mein lieber Freund …

Aramis machte eine Pause.

Was nun? fragte d’Artagnan. – Nun wohl, versetzte Aramis, Personen von verschiedenartigem Geschmack und Ehrgeiz antworteten mir, Herr von Mazarin sei kein Mann von Genie, wie ich es glaubte. – Bah! rief d’Artagnan. – Nein, er ist ein unbedeutender Bursche, der Bedienter des Kardinals Bentivoglio war und sich durch Intrigen hinaufgearbeitet hat, ein Emporkömmling, ein Mann ohne Namen, der in Frankreich nur das Los eines Parteigängers haben wird. Er wird viele Taler aufhäufen, die Einkünfte des Königs verschleudern, sich selbst alle Pensionen bezahlen, welche der verstorbene Kardinal Richelieu an alle Welt bezahlte, aber nie durch das Recht des Stärksten, des Größten oder des Geehrtesten herrschen. Es scheint überdies, dieser Minister ist nicht Edelmann von Manier und von Herz; er ist eine Art von Bouffon, von Pulcinell, von Pantalon. Kennt Ihr ihn? ich kenne ihn nicht. – Gewiß, sprach d’Artagnan, es ist etwas Wahres an dem, was Ihr sagt. Aber Ihr habt von ihm persönlich und nicht von seiner Partei und seinen Mitteln gesprochen. – Es ist wahr. Er hat die Königin für sich. – Das ist etwas, wie es mir scheint. – Aber er hat den König nicht für sich. – Ein Kind! – Das in vier Jahren volljährig sein wird. – Das ist nicht die Gegenwart. – Ja, aber es ist die Zukunft, und in der Gegenwart hat er weder das Parlament, noch das Volk, das heißt, er hat das Geld nicht für sich; er hat weder den Adel, noch die Prinzen, das heißt, er hat das Schwert nicht für sich.

D’Artagnan kratzte sich hinter dem Ohr; er mußte sich selbst zugestehen, daß dies nicht nur weitsichtig, sondern auch richtig gedacht war.

Seht, mein armer Freund, ob ich immer noch mit meinem gewöhnlichen Scharfsinn ausgerüstet bin. Es ist vielleicht unrecht von mir, so offenherzig mit Euch zu sprechen, denn es scheint mir, Ihr neigt Euch auf die Seite Mazarins. – Ich! rief d’Artagnan: ich! ganz und gar nicht! – Ihr spracht von einem Auftrage. – Sprach ich von einem Auftrage? Ich hatte unrecht. Nein, ich sagte mir, wie Ihr es tut: die Angelegenheiten verwickeln sich. Wohl, werfen wir die Feder in die Luft, gehen wir in der Richtung, in der der Wind sie fortträgt, fangen wir unser abenteuerliches Leben wieder an. Wir waren vier mutige Ritter, vier zärtlich vereinigte Herzen; vereinigen wir abermals, nicht unsere Herzen, denn diese waren nie getrennt, sondern unser Glück und unsern Mut. Die Gelegenheit ist günstig, um etwas Besseres zu erobern, als einen Diamanten.

Ihr hattet recht, d’Artagnan, immer recht, erwiderte Aramis; alle Welt bedarf gegenwärtig der Hilfstruppen; man hat mir Anträge gemacht, es verlautete etwas von unseren früheren Waffentaten, und ich muß Euch frei gestehen, daß mich der Koadjutor zum Sprechen brachte. – Herr von Conti, der Feind des Kardinals! rief d’Artagnan. – Nein, der Freund des Königs, versteht Ihr! – Der König hält es mit Herrn von Mazarin, mein Lieber. – Der Tat, nicht dem Willen nach, dem Scheine, nicht dem Herzen nach, und das ist gerade die Falle, welche die Feinde des Königs dem armen Kinde stellen. – Was Ihr mir da vorschlagt, ist ganz einfach der Bürgerkrieg, mein lieber Aramis. – Der Krieg für den König. – Aber der König wird an der Spitze der Armee stehen, bei der auch Mazarin ist. – Er wird mit dem Herzen bei dem Heere sein, das Herr von Beaufort befehligt. – Herr von Beaufort? Er ist in Vincennes. – Habe ich Herr von Beaufort gesagt? versetzte Aramis; Herr von Beaufort oder ein anderer. Herr von Beaufort oder der Prinz. – Der Prinz geht zu der Armee ab und ist ganz auf der Seite des Kardinals. Seht Ihr übrigens große Vorteile bei dieser Partei? – Ich sehe darin die Protektion mächtiger Prinzen. – Mit der Proskription der Regierung. – Für nichtig erklärt durch die Parlamente und die Meutereien. – Alles könnte sich so machen, wie Ihr sagt, wenn es gelänge, den König von seiner Mutter zu trennen. – Dazu wird es kommen. – Nie! rief d’Artagnan, diesmal zu seiner Überzeugung zurückkehrend. Ich berufe mich auf Euch, Aramis, auf Euch, der Ihr Anna von Österreich so gut kennt, wie ich. Glaubt Ihr, sie könnte je vergessen, daß ihr Sohn ihre Sicherheit, ihr Palladium, das Pfand ihrer Achtung, ihres Glückes, ihres Lebens ist? Wenn sie Mazarin verließe, müßte sie mit dem König auf die Partei der Prinzen übergehen, aber Ihr wißt besser, als irgend jemand, daß sie mächtige Gründe hat, ihn nie zu verlassen. – Ihr habt vielleicht recht, sagte Aramis nachsinnend; ich werde mich also zu nichts verpflichten. – Gegen diese Leute, versetzte d’Artagnan; aber gegen mich? – Gegen niemand. Ich bin Priester, was habe ich mit der Politik zu tun? Ich lese kein Brevier, aber ich habe eine kleine Kundschaft von geistreichen, spitzbübischen Abbés und reizenden Damen. Je mehr sich die Angelegenheiten verwirren, desto weniger werden meine Streiche Aufsehen machen; alles geht vortrefflich, ohne daß ich mich darein mische, und, mein lieber Freund, ich bin entschieden, mich nicht darein zu mischen. – Schön, mein Wertester, sprach d’Artagnan; auf Ehre, Eure Philosophie steckt mich an, und ich will mich auch den Reizen des Privatlebens ergeben; ich werde also Porthos‘ Einladung annehmen und auf seinen Gütern jagen; Ihr wißt, daß Porthos Güter besitzt? – Ganz gewiß weiß ich es; er besitzt zehn Meilen Wälder, Sümpfe und Täler und prozessiert über Lehensrechte mit dem Bischof von Noyon. – Gut, sagte d’Artagnan zu sich selbst, das wollte ich wissen, Porthos ist in der Picardie. Dann fügte er laut bei:

Und er hat seinen alten Namen du Vallon wieder angenommen. – Und ihm den Namen Bracieux beigefügt, von einem Gute, das baronisiert worden ist. – Also werden wir Porthos als Baron sehen. – Ich zweifle nicht daran; besonders die Baronin Porthos wird bewundernswürdig sein.

Die zwei Freunde brachen in ein schallendes Gelächter aus.

Ihr wollt also nicht zu Mazarin übergehen? fragte d’Artagnan. – Und Ihr nicht zu den Prinzen? – Nein. Gehen wir zu niemand über und bleiben wir Freunde. Wir wollen weder Kardinalisten, noch Frondeurs werden. – Ja, sagte Aramis, seien wir Musketiere. – Gott befohlen also, sprach d’Artagnan. – Ich halte Euch nicht zurück, mein Lieber, erwiderte Aramis, da ich nicht wüßte, wo ich Euch eine Lagerstätte geben sollte, und ich Euch schicklicherweise nicht die Hälfte von Planchets Schuppen anbieten kann. – Überdies bin ich nur drei Meilen von Paris entfernt. Die Pferde sind ausgeruht, und in weniger als einer Stunde bin ich zurück.

Und d’Artagnan schenkte sich ein letztes Glas Wein ein und sprach: Auf unsere alte Zeit! – Ja, versetzte Aramis, leider ist es eine vergangene Zeit. – Bah! rief d’Artagnan, sie wird wiederkehren. In jedem Fall, wenn Ihr meiner bedürft, Rue Tiquetonne, Gasthaus zur Rehziege. – Und mich findet Ihr im Jesuitenkloster; von sechs Uhr morgens bis acht Uhr abends durch die Türe, von acht Uhr abends bis sechs Uhr morgens durch das Fenster. – Adieu, mein Lieber.

Aramis pfiff Bazin und rief ihm, als er endlich schlaftrunken erschien, zu: Auf, auf! Siebenschläfer, die Leiter!

Aber, sagte Bazin mit einem Gähnen, das ihm die Kinnbacken auszurenken drohte, die Leiter ist am Fenster geblieben.

Die andere, die vom Gärtner; hast du nicht bemerkt, daß Herr d’Artagnan Mühe hatte, heraufzusteigen, und daß es ihm noch größere Mühe machen wird, hinabzusteigen.

D’Artagnan wollte Aramis versichern, er würde sehr gut hinabkommen, als ihm ein Gedanke kam; dieser Gedanke ließ ihn schweigen.

Bazin stieß einen tiefen Seufzer aus und entfernte sich, um die Leiter zu suchen. Einen Augenblick nachher stand eine feste hölzerne Leiter am Fenster.

Vorwärts, sprach d’Artagnan; das ist ein solides Verbindungsmittel; eine Frau würde an einer solchen Leiter auf- und absteigen.

Ein durchdringender Blick von Aramis schien den Gedanken seines Freundes bis in die Tiefe seines Herzens suchen zu wollen, aber d’Artagnan hielt den Blick mit bewundernswürdiger Naivität aus.

In zwei Sekunden war er auf dem Boden. Bazin blieb am Fenster.

Bleib hier, sagte Aramis, ich komme zurück.

Alle beide gingen auf den Schuppen zu; als sie sich demselben näherten, kam Planchet, die zwei Pferde an den Zügeln haltend, heraus.

Schön, sagte Aramis, das ist ein tätiger, wachsamer Diener, nicht wie der träge Bazin, der zu nichts mehr taugt, seitdem er Kirchenmann geworden ist. Folgt uns, Planchet, wir gehen plaudernd bis ans Ende des Dorfes.

Die zwei Freunde durchwanderten wirklich, über gleichgültige Dinge plaudernd, das ganze Dorf. Als sie die letzten Häuser erreicht hatten, sagte Aramis: Geht, lieber Freund, verfolgt Eure Laufbahn, das Glück lächelt Euch, laßt es nicht entschlüpfen, erinnert Euch, daß es eine Kurtisane ist, und behandelt es danach; ich bleibe in meiner Niedrigkeit und Trägheit; Gott befohlen.

Es ist also entschieden, versetzte d’Artagnan, mein Anerbieten sagt Euch nicht zu?

Es würde mir im Gegenteil sehr zusagen, wenn ich ein Mensch wäre, wie andere; aber ich wiederhole Euch, ich bin aus Kontrasten zusammengesetzt; was ich heute hasse, werde ich morgen anbeten, und umgekehrt … Ihr seht wohl, daß ich mich nicht verpflichten kann, wie Ihr zum Beispiel, da Ihr feste Ansichten habt.

Du lügst, Duckmäuser, sagte d’Artagnan zu sich selbst; du bist im Gegenteil der einzige, der sich ein Ziel zu wählen weiß und im finstern darauf losgeht.

Sie umarmten sich. Planchet war bereits zu Pferde, d’Artagnan schwang sich ebenfalls in den Sattel, und sie drückten sich noch einmal die Hand. Aramis blieb unbeweglich mitten aus der Straße stehen, bis er sie aus dem Angesicht verloren hatte.

Aber nach zweihundert Schritten hielt d’Artagnan plötzlich an, sprang zu Boden, warf den Zügel seines Pferdes Planchet über den Arm, nahm seine Pistolen aus den Halftern und steckte sie in den Gürtel.

Was habt Ihr, gnädiger Herr? fragte Planchet ganz erschrocken.

Was ich habe? sagte d’Artagnan; so schlau er auch sein mag, so lasse ich mich doch nicht von ihm an der Nase herumführen. Bleib hier und rühre dich nicht; stelle dich nur auf die Feldseite des Weges und erwarte mich.

Bei diesen Worten sprang d’Artagnan auf die andere Seite des Grabens und eilte durch die Ebene, um das Dorf zu umgehen. Er hatte zwischen dem von Frau von Longueville bewohnten Hause und dem Jesuitenkloster einen leeren Raum bemerkt, der nur von einer Hecke umgeben war.

Eine Stunde vorher hätte er vielleicht Mühe gehabt, diese Hecke wieder aufzufinden, aber der Mond war soeben ausgegangen, und obgleich er von Zeit zu Zeit von den Wolken bedeckt wurde, so sah man doch sogar während dieser Verdunkelungen genug, um den Weg wiederzufinden.

D’Artagnan erreichte die Hecke und verbarg sich dahinter. Als er an dem Hause vorüberkam, wo die von uns erzählte Scene stattgefunden hatte, bemerkte er, daß dasselbe Fenster abermals erleuchtet war, und er war überzeugt, daß Aramis noch nicht in seine Wohnung zurückgekehrt sein konnte, und daß er, wenn er zurückkehrte, nicht allein zurückkehren würde.

Nach ein paar Minuten hörte er wirklich Tritte, die sich näherten, und etwas wie ein Geräusch von Stimmen, die halblaut miteinander sprachen. Am Anfang der Hecke hielten die Tritte an. D’Artagnan kniete mit einem Fuße nieder und suchte die dickste Stelle der Hecke, um sich dahinter zu verbergen.

In diesem Augenblick erschienen zwei Männer, zum großen Erstaunen d’Artagnans; bald aber verschwand sein Erstaunen, denn er hörte eine weiche, harmonische Stimme vibrieren; der eine von den zwei Männern war eine als Kavalier verkleidete Frau.

Seid ruhig, mein lieber René, sprach die weiche Stimme, dieselbe Sache wird sich nicht wiederholen; ich habe eine Art von Gang entdeckt, der unter der Erde hinläuft, und wir dürfen nur eine von den Platten, die vor der Türe sind, wegnehmen, um Euch einen Eingang und einen Ausgang zu öffnen.

Oh! sprach eine andere Stimme, in welcher d’Artagnan die von Aramis erkannte; ich schwöre Euch, Prinzessin, wenn Euer Ruf nicht von all diesen Vorsichtsmaßregeln abhinge und ich nur mein Leben dabei wagte …

Ja, ich weiß, daß Ihr mutig und verwegen seid, wie irgend ein Weltmann; aber Ihr gehört nicht mir allein, Ihr gehört unserer Partei. Seid also klug, seid behutsam.

Ich gehorche immer, Madame, sagte Aramis, wenn man mir mit einer so süßen Stimme zu befehlen weiß.

Und er küßte ihr zärtlich die Hand.

Ah! rief der Kavalier mit der weichen Stimme.

Was gibt es? fragte Aramis.

Seht Ihr denn nicht, daß der Wind meinen Hut fortgenommen hat?

Aramis stürzte dem flüchtigen Hute nach. D’Artagnan benutzte diesen Umstand, um eine minder dichte Stelle der Hecke zu suchen, von wo sein Blick frei bis zu dem problematischen Kavalier dringen konnte. Vielleicht ebenso neugierig, wie der Offizier, trat der Mond gerade in diesem Moment hinter einer Wolke hervor, und bei seiner indiskreten Helle erkannte d’Artagnan die großen blauen Augen, die goldenen Haare und den edlen Kopf der Herzogin von Longueville.

Aramis kehrte lachend, einen Hut auf dem Kopf und einen unter dem Arm, zurück, und beide setzten ihren Weg nach dem Jesuitenkloster fort.

Gut! sagte d’Artagnan, sich erhebend und sein Knie abwischend, als die beiden sich in der Richtung nach dem Jesuiten-Kloster zu entfernten, nun habe ich dich, du bist Frondeur und der Geliebte der Frau von Longueville.

Herr Porthos du Vallon de Bracieux de Pierrefonds

Von Aramis hatte d’Artagnan erfahren, daß Porthos sich nach dem Namen eines seiner Güter de Bracieux nannte und wegen dieses Gutes einen Prozeß mit dem Bischof von Noyon führte. Er mußte also dieses Gut in der Gegend von Noyon, das heißt an der Grenze der Picardie suchen.

Planchet, der sich noch nicht ohne Gefahr glaubte in Paris wieder zeigen zu dürfen, erklärte, er werde d’Artagnan bis ans Ende der Welt folgen. Er bat nur seinen ehemaligen Herrn, abends abzureisen, weil die Finsternis mehr Sicherheit biete.

So schlugen sie abends acht Uhr von der Rehziege die Straße nach Dammartin ein, wo der Weg sich gabelte und also Erkundigungen eingezogen werden mußten. Sie erhielten auch in der Herberge die bereitwillige Auskunft, das Gut Bracieux liege einige Meilen von Villers-Cotterets entfernt.

D’Artagnan kannte Villers-Cotterets, wohin er zwei- oder dreimal dem Hof gefolgt war; denn zu jener Zeit war Villers-Cotterets eine königliche Residenz. Er ritt also nach dieser Stadt zu und stieg in seinem gewöhnlichen Gasthause, das heißt im Goldenen Delphin, ab.

Hier teilte man ihm mit, bis Bracieux habe er noch einen Weg von vier Meilen, daß er aber Porthos dort nicht suchen dürfe. Porthos lag wirklich im Streite mit dem Bischof wegen des Gutes Pierrefonds, das an das seinige grenzte. Um allen Prozessen, von denen er nichts verstand, ein Ende zu bereiten, hatte er Pierrefonds gekauft und daher diesen neuen Namen seinen alten beigefügt. Er nannte sich nun du Vallon de Bracieux de Pierrefonds und wohnte auf seinem neuen Eigentum.

Man mußte bis zum andern Morgen warten. Die Pferde hatten zehn Meilen in einem Tage zurückgelegt und waren müde. Allerdings hätte man andere nehmen können, aber man mußte durch einen großen Wald reiten, und Planchet liebte bekanntlich die Wälder bei Nacht nicht. Außerdem liebte er auch nicht das Reisen mit nüchternem Magen, und als d’Artagnan aufwachte, fand er daher sein Frühstück völlig bereit. Sie brachen also erst um neun Uhr auf.

Es war ein schöner Frühlingsmorgen. Die Vögel sangen in den großen Bäumen, breite Sonnenstrahlen schossen durch die Lichtungen und erschienen wie Vorhänge von Goldgaze. An andern Stellen drang das Licht kaum durch das dicke Gewölbe der Blätter, und die Stämme der alten Eichen waren in Schatten getaucht. Ein herzerquickender Wohlgeruch von Kräutern, Blumen und Blättern stieg empor, und d’Artagnan dachte, wenn man drei aufeinandergepfropfte Herrschaftsnamen führe, müsse man in einem solchen Paradiese sehr glücklich sein. Dann schüttelte er den Kopf und sprach: Wenn ich Porthos wäre und d’Artagnan käme zu mir und machte mir einen Vorschlag, wie ich ihn Porthos machen will, so wüßte ich wohl, was ich d’Artagnan antworten würde.

Planchet dachte nichts, er verdaute.

Am Saume des Waldes gewahrte d’Artagnan den Weg, den man ihm bezeichnet hatte, und am Ende des Weges die Türme eines ungeheuren feudalen Schlosses.

Oh, oh! murmelte er, es scheint mir, dieses Schloß gehörte dem älteren Zweige der Orleans. Sollte Porthos mit dem Herzog von Longueville unterhandelt haben?

Meiner Treu, gnädiger Herr, sagte Planchet, das sind gut gebaute Anwesen, und wenn sie Herrn Porthos gehören, so werde ich ihm mein Kompliment machen.

Pest! rief d’Artagnan, nenne ihn nicht Porthos, auch nicht einmal du Vallon, sondern de Bracieux oder de Pierrefonds. Meine Botschaft ist sonst verfehlt.

Am Ende des Weges eröffnete sich vor d’Artagnan ein reizendes Tal, in dessen Hintergrund man an einem niedlichen kleinen See einige zerstreute Häuser ruhen sah, die niedrig und teils mit Ziegeln, teils mit Stroh bedeckt, als souveränen Gebieter ein hübsches, in der Zeit Heinrichs IV. erbautes, von Wetterfahnen überragtes Schloß anzuerkennen schienen. Diesmal zweifelte d’Artagnan nicht, daß er Porthos‘ Wohnung vor Augen hatte.

Der Weg führte geradezu nach dem hübschen Schlosse, das sich zu seinem Ahnherrn, dem Schlosse auf dem Berg, ungefähr so verhielt wie ein Modeherr zu einem eisengeharnischten Ritter. D’Artagnan setzte sein Pferd in Trab und folgte dem Weg; Planchet regelte den Schritt seines Kleppers nach dem seines Herrn.

Nach zehn Minuten fand sich d’Artagnan am Ende einer regelmäßig gepflanzten Allee von schönen Pappelbäumen, die nach einem eisernen Gitter ausmündete, dessen Spieße und Querbänder vergoldet waren.

Mitten in dieser Allee erblickte man einen Herrn, der grün und golden anzuschauen war, wie das Gitter. Er saß auf einem dicken Rosse. Zu seiner Rechten und zu seiner Linken waren zwei galonierte Bediente. Eine große Anzahl von Leuten, die sich um ihn versammelt hatten, machten ehrfurchtsvolle Verbeugungen vor ihm.

Ah, sagte d’Artagnan zu sich selbst, sollte dies der edle Herr du Vallon de Bracieux de Pierrefonds sein? Ei, mein Gott, wie er zusammengeschrumpft ist, seit er sich nicht mehr Porthos nennt!

Vielleicht ist er es nicht, sprach Planchet, die Frage beantwortend, die d’Artagnan an sich selbst gestellt hatte. Herr Porthos war beinahe sechs Fuß hoch, und dieser hat kaum fünf.

Man macht indessen sehr tiefe Verbeugungen vor diesem Herrn, versetzte d’Artagnan.

Als die beiden Reiter näher kamen, wandte sich der Mann zu Pferde langsam und mit sehr vornehmer Miene um, und die Reisenden konnten die großen funkelnden Augen, das pausbackige Gesicht und das so beredte Lächeln Mousquetons sehen.

Es war wirklich Mousqueton, der speckfette und von Gesundheit strotzende Mousqueton. Ganz das Widerspiel von dem heuchlerischen Bazin, glitt er, sobald er d’Artagnan erkannte, flugs von seinem Pferd herab und ging, mit dem Hut in der Hand, auf den Offizier zu, so daß die Ehrfurchtserweisungen der Versammelten sich der neuen Sonne zuwandten, welche die alte verdunkelte.

Herr d’Artagnan, Herr d’Artagnan! rief Mousqueton fortwährend mit seinen dicken Backen und schweißtriefend vor Eifer. Ah, welche Freude für meinen gnädigen Herrn und Meister, Herrn du Vallon de Bracieux de Pierrefonds!

Der gute Mousqueton! Dein Herr ist also hier!

Ihr seid auf seinen Besitzungen.

Aber wie schön, wie fett, wie blühend du aussiehst! sprach d’Artagnan, immer noch erstaunt den ehemaligen Ausgehungerten betrachtend.

Ah, ja, Gott sei Dank, gnädiger Herr, ich befinde mich ziemlich wohl, sprach Mousqueton.

Aber sagst du gar nichts zu deinem Freunde Planchet?

Zu meinem Freunde Planchet! Planchet, solltest du es etwa sein? rief Mousqueton, die Arme öffnend und die Augen voll Tränen.

Planchet und Mousqueton umarmten sich mit rührender Innigkeit. Und nun, gnädiger Herr, sagte Mousqueton, sich von der Umarmung Planchets losmachend, der vergebens versucht hatte, seine Hände hinter dem Rücken seines Freundes zusammenzubringen, erlaubt mir, Euch zu verlassen, denn mein Gebieter soll die Kunde von Eurer Ankunft von keinem andern, als von mir erhalten. Er würde mir nie vergeben, wenn ich einen andern zuvorkommen ließe.

Dieser liebe Freund, sagte d’Artagnan, hat mich also nicht vergessen?

Vergessen! er! rief Mousqueton, das heißt, es ist kein Tag vergangen, wo wir nicht die Nachricht erwarteten, Ihr seiet entweder für Herrn von Gassion oder für Herrn von Bassompierre zum Marschall ernannt worden.

Und ihr, Bauern, fuhr Mousqueton, sein Pferd besteigend, fort, bleibt bei dem Herrn Grafen d’Artagnan und erweist ihm jede Ehre, während ich den gnädigen Herrn auf seine Ankunft vorbereite.

Ah, das kündigt sich gut an, sagte d’Artagnan. Hier finden sich keine Geheimnisse, keine Politik. Man lacht aus vollem Halse, man weint vor Freude. Die Natur selbst kommt mir festtäglich vor, es ist mir, als wären die Bäume, statt mit Blüten und Blättern, mit grünen und rosenfarbigen Bändchen bedeckt.

Und mir, sagte Planchet, mir kommt es vor, als röche ich von hier aus den köstlichsten Bratenduft, als erblickte ich Küchenjungen, die sich in Reihe und Glied aufstellen, um uns vorüberziehen zu sehen. Ah! gnädiger Herr, welchen Koch muß Herr de Pierrefonds haben, der schon so gern gut und viel aß, als man ihn nur Herr Porthos nannte.

Halt! sagte d’Artagnan, du machst mir bange. Wenn die Wirklichkeit dem Anschein entspricht, so bin ich verloren. Ein so glücklicher Mann wird seine herrliche Lage nie verlassen, und ich scheitere bei ihm, wie ich bei Aramis gescheitert bin.

D’Artagnan ritt durch das Gitter und befand sich vor dem Schlosse. Er sprang zu Boden, als eine riesige Gestalt auf der Freitreppe erschien. Zu d’Artagnans Ehre müssen wir mitteilen, daß ihm, mit Hintansetzung aller selbstsüchtigen Ideen, beim Anblick dieser hohen Gestalt und des martialischen Gesichtes, das ihn an einen braven, guten Kerl erinnerte, das Herz gewaltig schlug.

Er lief auf Porthos zu und stürzte sich in seine Arme. In ehrerbietiger Entfernung einen Kreis bildend, schaute das ganze Gesinde mit demütiger Neugierde zu. Mousqueton trocknete sich in der ersten Reihe die Augen. Der arme Bursche weinte unaufhörlich, seitdem er d’Artagnan und Planchet wiedererkannt hatte.

Porthos nahm seinen Freund beim Arme.

Ah! welche Freude, Euch wieder zu sehen, lieber d’Artagnan! rief er mit einer Stimme, die sich vom Bariton in Baß verwandelt hatte. Ihr habt mich also nicht vergessen?

Euch vergessen! Ach, lieber du Vallon, vergißt man die schönsten Tage seiner Jugend, seine ergebensten Freunde und die gemeinschaftlich bestandenen Gefahren? Während ich Euch wiedersehe, gibt es keinen Augenblick unserer alten Freundschaft, der mir nicht vor die Augen träte.

Ja, ja, sprach Porthos und versuchte es, seinem Schnurrbart die kokette Drehung zu geben, die er in der Einsamkeit verloren hatte. Ja, wir haben unserer Zeit schöne Dinge gemacht und dem Kardinal Nüsse aufzuknacken gegeben.

Und er stieß einen Seufzer aus. D’Artagnan schaute ihn an.

In jedem Fall, fuhr Porthos mit betrübtem Tone fort, seid mir willkommen, mein Freund. Ihr werdet mir wieder zu einiger Fröhlichkeit verhelfen. Wir jagen morgen den Hasen in meinen schönen Feldern oder das Reh in meinen herrlichen Waldungen. Ich besitze vier Windhunde, welche für die leichtesten der Provinz gelten, und eine Meute, die ihresgleichen auf zwanzig Meilen in der Runde nicht hat.

Und Porthos stieß einen zweiten Seufzer aus.

Oh! oh! sagte d’Artagnan ganz leise zu sich selbst, sollte mein Bruder minder glücklich sein, als es den Anschein hat? Dann fügte er laut bei:

Vor allem werdet Ihr mich Madame du Vallon vorstellen; denn ich erinnere mich eines gewissen sehr verbindlichen Einladungsschreibens von Eurer Hand, dem sie unten einige Zeilen beizufügen die Güte hatte.

Dritter Seufzer von Porthos.

Ich habe Madame du Vallon vor zwei Jahren verloren, sprach er, worüber ich noch ganz betrübt bin. Deshalb verließ ich mein Schloß du Vallon bei Corbeil, um auf dem Gute Bracieux zu wohnen, eine Veränderung, welche mich veranlaßte, dieses Gut hier zu kaufen.

Ihr seid also reich und frei? sprach d’Artagnan.

Ach, erwiderte Porthos, ich bin Witwer und habe vierzigtausend Livres Renten. Wollen wir frühstücken?

Sehr gerne, sagte d’Artagnan, die Morgenluft hat mir Appetit gemacht.

Ja, versetzte Porthos, die Luft hier ist vortrefflich.

Sie traten in das Schloß. Es war nichts als Gold von oben bis unten. Die Karniese waren vergoldet, die Gesimse waren vergoldet, die Gestelle der Lehnstühle waren vergoldet. Die Tafel war mit allem, was man sich wünschen mochte, bedeckt. Speisen und Wein waren von erlesenstem Geschmack und hätten sich auf einer königlichen Tafel sehen lassen können. Trotzdem stieß Porthos einen neuen Seufzer aus; es war, wie d’Artagnan gezählt hatte, der fünfte.

Mein Freund, sagte d’Artagnan, begierig das Rätsel zu ergründen, man sollte glauben, es betrübe Euch etwas. Solltet Ihr leidend sein? … Ist Eure Gesundheit … – Vortrefflich, besser als je. Ich würde einen Ochsen mit einem Faustschlag töten. – Familienkummer also? – Familienkummer? Zum Glück habe ich nur mich auf dieser Welt. – Was macht Euch dann seufzen? – Mein Lieber, sagte Porthos, ich werde offenherzig gegen Euch sein: ich bin nicht glücklich. – Ihr nicht glücklich, Porthos? Ihr, der Ihr ein Schloß, Wiesgründe, Berge, Wälder besitzt; Ihr, der Ihr vierzigtausend Livres Renten habt, Ihr seid nicht glücklich? – Mein Lieber, ich habe alles dies, es ist wahr, aber ich bin allein mitten unter diesen Dingen. Madame du Ballon, fuhr er fort, war von zweifelhaftem Adel. Sie hatte in erster Ehe, wie Ihr wißt, einen Prokurator geheiratet. Sie fanden das ekelhaft. Ihr begreift, das war ein Ausdruck, für den man dreißigtausend Mann umbringen könnte. Ich habe zwei getötet; das bewog die andern, zu schweigen. Ich wurde dadurch aber nicht ihr Freund. Auf diese Weise habe ich keine Gesellschaft mehr, ich lebe allein, ich langweile mich, ich kümmere mich ab.

D’Artagnan lächelte; er sah den Fehler am Küraß und schickte sich zum Stoße an.

Nun aber, sagte er, seid Ihr für Euch allein, und Eure Frau kann Euch nicht mehr Eintrag tun.

Ja, aber alle diese Leute, die Vicomtes oder Grafen sind, haben den Vortritt vor mir in der Kirche, bei öffentlichen Feierlichkeiten, überall, und ich kann nichts dagegen sagen. Wäre ich nur …

Baron, nicht wahr? sprach d’Artagnan, den Satz seines Freundes vollendend.

Ah! rief Porthos, dessen Züge sich ausdehnten, ah, wenn ich Baron wäre!

Gut! dachte d’Artagnan, es wird mir gelingen.

Als beide hinreichend gefrühstückt hatten, machten sie einen Gang in einem herrlichen Garten; Alleen von Kastanienbäumen und Linden schlossen einen Raum von wenigstens dreißig Morgen ein. Um die dicht verwachsenen Büsche sah man Kaninchen laufen, die von Zeit zu Zeit spielend unter dem hohen Gras verschwanden.

Meiner Treu, rief d’Artagnan, der Park entspricht allem übrigen, und wenn es so viele Fische in Eurem Teich als Kaninchen in Euren Gehegen gibt, so seid Ihr ein glücklicher Mann, mein lieber Porthos, vorausgesetzt, Ihr habt den Sinn für Jagd bewahrt und an Fischen Geschmack gefunden.

Mein Freund, erwiderte Porthos, ich überlasse die Fischerei Mousqueton; das ist ein Vergnügen für gemeine Leute. Aber ich jage zuweilen, das heißt, wenn ich mich langweile, setze ich mich auf eine von diesen Marmorbänken, lasse mir meine Flinte bringen, Gredinet, meinen Lieblingshund, herbeiführen und schieße Kaninchen.

Das ist sehr unterhaltend, sprach d’Artagnan.

Ja, antwortete Porthos mit einem Seufzer, das ist sehr unterhaltend.

D’Artagnan zählte die Seufzer nicht mehr.

Dann sucht Gredinet die Kaninchen, fügte Porthos bei, und bringt sie dem Koch; er ist dazu dressiert. – Ach, das vortreffliche Tier! rief d’Artagnan. Doch kommen wir auf unser früheres Gespräch zurück. Ihr wünscht den Baronstitel zu erlangen. Was würdet Ihr tun, wenn ich ihn Euch verschaffte?– Kein Opfer wäre mir zu groß dafür. – Nur sage ich Euch, lieber Freund, damit Ihr nicht behauptet, ich habe Euch als Verräter überfallen, Ihr müßt Euer Leben völlig verändern. – Wieso? – Ihr müßt den Harnisch wieder nehmen, den Degen umschnallen, Abenteuern nachlaufen, etwas Fleisch auf den Straßen lassen, wie in vergangenen Zeiten; Ihr wißt unsere Art und Weise von ehemals. – Ah, Teufel! rief Porthos. – Ja, ich begreife, Ihr seid verweichlicht, Ihr habt einen Bauch bekommen, und die Faust hat nicht mehr die Elastizität, von der die Leibwachen des Kardinals so viele Proben erhielten. – Ah! die Faust ist noch gut, das schwöre ich Euch, erwiderte Porthos und streckte eine Hand aus, ähnlich einem Hammelsbug. – Desto besser. – Wir sollen also Krieg machen? – Ei, mein Gott, ja. – Und gegen wen? – Seine Eminenz will Euch in seinen Diensten haben. – Und wer hat von mir bei Seiner Eminenz gesprochen? – Rochefort. Ihr erinnert Euch, unser Gegner, der dann unser Freund geworden ist? – Nein, ich erinnere mich nicht. Ah, er hat keinen Groll mehr? – Ihr täuscht Euch, Porthos, versetzte d’Artagnan, ich habe keinen mehr.

Porthos begriff nicht ganz, aber man erinnert sich, das Begreifen war nicht seine Stärke.

Ihr sagt also, der Graf von Rochefort habe von mir mit dem Kardinal gesprochen? – Ja, und dann die Königin. – Wie, die Königin? Und Ihr sagt, Ihr habt gewisse Bedingungen für mich gemacht? – Herrliche, mein Lieber, herrliche, Ihr habt Geld, nicht wahr? Vierzigtausend Livres Renten, wie Ihr sagt.

Porthos wurde mißtrauisch.

Ei, mein Gott, versetzte er, man besitzt nie genug Geld. Madame du Ballon hat eine etwas verwickelte Erbschaft hinterlassen. Ich verstehe mich wenig auf die Rechnerei und lebe so gewissermaßen von einem Tag in den andern.

Also, sprach d’Artagnan, trotz Eurer vierzigtausend Livres Renten und vielleicht gerade wegen Eurer vierzigtausend Livres Renten scheint es mir, als ob sich eine kleine Krone gar nicht übel auf Eurer Karrosse machen würde. Wie? – Allerdings, antwortete Porthos. – Nun wohl, mein Lieber, gewinnt sie, sie hängt an Eurer Degenspitze. Wir werden uns nicht schaden. Euer Ziel ist ein Titel, mein Ziel ist Geld. Wenn ich genug erwerbe, um d’Artagnan wieder aufzubauen, das meine durch die Kreuzzüge verarmten Voreltern seit jener Zeit in Trümmer zerfallen ließen, und um etliche dreißig Morgen Landes umher zu kaufen, so brauche ich nicht mehr; ich ziehe mich zurück und sterbe in Ruhe. – Und ich, sprach Porthos, ich will Baron sein. – Ihr werdet es. – Habt Ihr nicht auch an unsere andern Freunde gedacht? fragte Porthos. – Allerdings, ich habe Aramis gesehen. – Und was will er? Bischof werden? – Aramis, erwiderte d’Artagnan, welcher Porthos nicht entzaubern wollte, Aramis ist, denkt Euch nur, Mönch und Jesuit geworden. Er lebt wie ein Bär und denkt nur an sein Seelenheil. Meine Anerbietungen konnten ihn nicht bestimmen. – Desto schlimmer, sagte Porthos. Er hatte Geist. Und Athos? – Ich habe ihn noch nicht gesehen, werde ihn aber besuchen, wenn ich Euch verlasse. Wißt Ihr, wo ich ihn finden kann? – Bei Blois, auf einem kleinen Landgut, das er, ich weiß nicht von welchem Verwandten, geerbt hat. – Und dieses heißt? – Bragelonne. Begreift Ihr wohl, mein Lieber, Athos, welcher adelig war, wie der Kaiser, und ein Gut erbt, das den Grafschaftstitel hat! Was wird er mit allen diesen Grafschaften machen? Grafschaft La Fère, Grafschaft Bragelonne? – Dabei hat er keine Kinder? fragte d’Artagnan. – O! rief Porthos, man hat mir gesagt, er habe einen jungen Menschen angenommen, der ihm von Gesicht ungemein ähnlich sei.

Ich werde ihm morgen Kunde von Euch bringen. Unter uns gesagt, ich fürchte, der Wein hat ihn sehr alt gemacht und entartet. – Ja, sprach Porthos, es ist wahr, er trank viel. – Und dann war er älter, als wir alle. – Nur um einige Jahre, versetzte Porthos. Seine ernste Miene gab ihm ein so altes Aussehen. – Ihr habt recht. Wenn wir Athos haben, desto besser; wenn nicht, so werden wir ihn zu entbehren wissen. Wir zwei sind so viel wert, als zehn. – Ja, sprach Porthos lächelnd bei der Erinnerung an seine alten Heldentaten; aber wir vier wären so viel wert gewesen, als sechsunddreißig, um so mehr, als das Handwerk rauh sein wird, wie Ihr sagt. – Rauh für Rekruten, ja, aber für uns, nein. – Wird es lange währen? – Gott verdamm mich, es kann drei bis vier Jahre dauern. – Wird man sich viel schlagen? – Ich hoffe es. – Desto besser! rief Porthos. Ihr habt keinen Begriff, mein Lieber, wie mir die Knochen jucken, seitdem ich hier bin.

Damit schlugen die Freunde den Weg nach dem Schlosse ein.

Nachdem Porthos seinen Gast hatte ein Reh erjagen lassen, nachdem er ihn von seinen Waldungen auf seinen Berg, von seinem Berg an seine Teiche geführt, nachdem er ihm seine Windhunde, seine Meute, Gredinet, kurz alles, was er besaß, gezeigt und darauf weitere verschwenderische Mahle gegeben hatte, forderte er von d’Artagnan, der ihn nun verlassen mußte, um seinen Weg fortzusetzen, bestimmte Instruktionen.

So hört, mein Freund, erwiderte der Abgesandte, ich brauche vier Tage von hier nach Blois, einen Tag bleibe ich dort, drei bis vier Tage brauche ich zur Rückkehr nach Paris. Reist also in einer Woche mit Eurer Equipage ab; nehmt Euer Absteigquartier in der Rue Tiquetonne im Gasthof zur Rehziege und erwartet dort meine Rückkehr. – Abgemacht, sprach Porthos.

Ich mache eine hoffnungslose Reise zu Athos, sagte d’Artagnan; aber obgleich ich fürchte, daß ihn Wein und Alter unfähig gemacht haben, so muß man doch gewisse Rücksichten gegen seine Freunde beobachten.

Wenn ich mit Euch ginge, versetzte Porthos, das würde mich vielleicht zerstreuen.

Es ist möglich, antwortete d’Artagnan, und mich auch; aber Ihr hättet keine Zeit mehr, um Eure Vorbereitungen zutreffen.

Das ist wahr. Geht also und guten Mut. Ich für meinen Teil bin voll Eifer.

Vortrefflich! sprach d’Artagnan.

Und sie trennten sich auf der Grenze des Gebietes von Pierrefonds, bis wohin Porthos seinen Freund begleitete.

Wenigstens, sprach d’Artagnan, den Weg nach Villers-Cotterets einschlagend, wenigstens werde ich nicht allein sein. Dieser Teufel von einem Porthos besitzt noch tüchtige Kräfte. Kommt Athos hinzu, so sind wir zu drei und können über Aramis, diesen kleinen Glücksjäger, spotten.

In Villers-Cotterets schrieb er an den Kardinal:

Monseigneur, ich kann Ew. Eminenz bereits einen anbieten, und dieser eine ist zwanzig Mann wert. – Ich reise nach Blois ab, der Graf de la Fère wohnt in der Nähe dieser Stadt im Schlosse Bragelonne.

Darauf schlug er nach einer Beratung mit Planchet den Weg nach Blois ein.

Zwei Engelsköpfe

Der Weg war lang, das kümmerte aber d’Artagnan nicht; er wußte, daß sich seine Pferde an den reichen Raufen des Gebieters von Bracieux gestärkt hatten. Er ging also getrost an die vier oder fünf Tagemärsche, die er mit seinem treuen Planchet zu machen hatte.

Um die Langeweile zu vertreiben, ritten die beiden Männer beständig nebeneinander und plauderten. D’Artagnan fiel es nicht ein, den Herrn herauszukehren, und Planchet hatte die Lakaienhaut gänzlich abgestreift. Er war ein Schlaukopf, der sich als Bürger sehr oft nach den leckern Mahlen der Landstraße, sowie nach den Gesprächen und der glänzenden Gesellschaft von Edelleuten zurückgesehnt hatte und in einem Gefühl persönlicher Würde darunter litt, daß er durch die beständige Berührung mit Leuten von platten Lebensanschauungen selbst herunterkam.

Er erhob sich also bald bei dem, den er noch seinen Herrn nannte, zum Rang eines Vertrauten. D’Artagnan seinerseits hatte seit langen Jahren sein Herz nicht erschlossen. So kam es, daß die zwei Männer, als sie sich wiederfanden, sich aufs vortrefflichste zu verständigen wußten.

Auf dem Wege sagte d’Artagnan, den Kopf schüttelnd und auf den Gedanken zurückkommend, der ihn beständig beschäftigte:

Ich weiß wohl, daß mein Schritt bei Athos vergeblich und töricht ist, aber ich schulde diesen Versuch einem alten Freund, einem Manne, der den Stoff zu dem hochherzigsten, edelmütigsten Menschen in sich trug.

Oh, Athos war ein tüchtiger, stolzer Edelmann! rief Planchet. – Nicht wahr? versetzte d’Artagnan.

Ein Herr, der Geld ausstreute, wie der Himmel hageln läßt, fuhr Planchet fort, ein Mann, der das Schwert mit königlichem Ansehen in die Hand nahm. Erinnert Ihr Euch, Herr, des Zweikampfes mit den Engländern in der Umfriedung des Karmeliterklosters? Ach, wie schön und herrlich anzuschauen war Herr Athos an diesem Tage, als er zu seinem Gegner sagte: Ihr habt verlangt, daß ich Euch meinen Namen sage, mein Herr, desto schlimmer für Euch, denn ich werde genötigt sein, Euch zu töten. Ach, gnädiger Herr, ich wiederhole, er war ein tüchtiger, stolzer Edelmann.

Ja, versetzte d’Artagnan, das ist wohl wahr; aber durch einen einzigen Fehler wird er alle seine schönen Eigenschaften verloren haben.

Ich erinnere mich, erwiderte Planchet. Er liebte den Trunk, oder vielmehr: er trank. Aber er trank nicht wie andere. Seine Augen sagten alles, wenn er das Glas an die Lippen setzte. In der Tat, nie war ein Stillschweigen so sprechend. Mir kam es vor, als hörte ich ihn murmeln: Tritt ein, Trank, und verjage meinen Kummer. Und wenn er den Fuß eines Glases oder den Hals einer Flasche zerbrach, so tat er dies auf eine so vornehme Weise, daß kein anderer es ihm gleichtun konnte.

Wohl, versetzte d’Artagnan, aber welch ein trauriges Schauspiel harrt unser heute! Dieser treffliche Edelmann mit dem stolzen Auge, dieser schöne Kavalier, der unter den Waffen so glänzend aussah, daß man sich stets wunderte, daß er einen einfachen Degen statt eines Kommandostabes in der Hand hielt, er wird sich in einen krummbuckeligen, rotnasigen und triefäugigen alten Mann verwandelt haben. Wir werden ihn auf irgend einem Rasen liegend finden, von wo er uns mit seinen matten Augen anschaut und vielleicht nicht erkennt. Gott ist mein Zeuge, fügte d’Artagnan bei, ich würde dieses traurige Schauspiel fliehen, wenn mir nicht alles daran läge, dem glorreichen Schatten des erhabenen Grafen de la Fère, den wir so sehr liebten, meine Achtung zu bezeugen.

Planchet schüttelte den Kopf und sagte nichts; man sah, daß er die Befürchtungen seines Herrn teilte.

Und dann, fuhr d’Artagnan fort, diese Hinfälligkeit, denn Athos ist jetzt alt; auch Armut vielleicht … er wird das wenige, was er besaß, vernachlässigt haben. Und dann der schmutzige Grimaud, stummer als je und noch trunksüchtiger als sein Herr … Höre, Planchet, alles dies schneidet mir ins Herz.

Es ist mir, als sähe ich ihn lallend und taumelnd vor mir, sprach Planchet in kläglichem Tone. Jedenfalls, gnädiger Herr, werden wir bald hierüber Licht bekommen, denn ich glaube, jene hohen Mauern, welche die untergehende Sonne rötet, sind die Mauern von Blois.

In diesem Augenblick stießen die beiden Reiter auf einen von den schweren, mit Ochsen bespannten Wagen, die das in den schönen Waldungen der Gegend gefällte Holz bis nach den Häfen der Loire führen. Der den Wagen begleitende Mann sagte ihnen in dem reinen Französisch, das den Leuten dieser Gegend eigen ist, auf d’Artagnans Frage: Wenn Ihr diesem Weg hier folgt, so werdet Ihr nach einer halben Meile rechts ein Schloß erblicken. Man sieht es hier noch nicht wegen einer Wand von Pappelbäumen, die es verbirgt. Dieses Schloß ist nicht Bragelonne, sondern La Balliere. Ihr reitet daran vorbei; aber drei Büchsenschüsse weiter ist ein großes weißes Haus mit einem Schieferdache, auf einem von ungeheuren Maulbeerfeigenbäumen beschatteten Hügel. Dies ist das Schloß des Herrn Grafen de la Fère.

D’Artagnan dankte dem Ochsentreiber und gab seinem Rosse die Sporen. Aber unwillkürlich beunruhigt durch den Gedanken, den seltsamen Mann wiederzusehen, den er so sehr geliebt, der durch seine Ratschläge und sein Beispiel so viel zu seiner Erziehung als Edelmann beigetragen hatte, ließ er sein Pferd wieder langsamer gehen und senkte träumerisch den Kopf.

An der Biegung des Weges erschien das Schloß La Vallière, wie der Ochsentreiber gesagt hatte, vor den Augen der Reisenden, dann eine Viertelmeile weiter hob sich das weiße Haus, umgeben von seinen Maulbeerfeigenbäumen, auf dem Grunde einer dichten Gruppe von Bäumen hervor, welche der Frühling mit einem Blütenschnee bestreut hatte.

Bei diesem Anblick fühlte d’Artagnan, der gewöhnlich nur sehr wenig in Aufregung geriet, eine seltsame Unruhe in der Tiefe seines Herzens. So mächtig sind das ganze Leben hindurch die Jugenderinnerungen. Planchet, der nicht dieselben Motive zu solchen Eindrücken hatte, schaute, voll Verwunderung über die Bewegung seines Herrn, bald d’Artagnan, bald wieder das Haus an.

Der Musketier ritt noch einige Schritte vorwärts und befand sich vor einem geschmackvoll gearbeiteten Gitter, durch das man einen sorgfältig gepflegten Küchengarten, einen geräumigen Hof, in dem mehrere von Bedienten in verschiedenen Livreen gehaltene Reitpferde stampften, und einen mit zwei Pferden bespannten Wagen erblickte.

Wir täuschen uns, oder dieser Mann hat uns getäuscht, sagte d’Artagnan, hier kann Athos nicht wohnen. Mein Gott, sollte er tot sein und dieses Gut einem seines Namens gehören? Steig ab, Planchet, und erkundige dich. Ich gestehe, daß ich meinesteils nicht den Mut dazu habe.

Planchet stieg ab.

Du erklärst, sagte d’Artagnan, ein vorüberziehender Edelmann wünsche die Ehre zu haben, den Herrn Grafen de la Fère zu begrüßen, und wenn du mit der Auskunft, die du erhältst, zufrieden bist, so nennst du mich.

Wohnt hier der Herr Graf de la Fère? fragte Planchet, nachdem auf das von ihm gegebene Glockenzeichen ein weißhaariger Diener erschienen war. – Ja, Herr. – Ein Seigneur, der sich vom Dienst zurückgezogen hat, nicht wahr? – Ganz richtig. – Und der einen Lakaien namens Grimaud hatte, versetzte Planchet, der mit seiner gewöhnlichen Klugheit nicht genug Erkundigungen einziehen zu können glaubte. – Herr Grimaud ist in diesem Augenblick vom Schlosse abwesend, erwiderte der Diener und begann, an solche Verhöre nicht gewöhnt, Planchet vom Kopf bis zu den Füßen zu betrachten. – Dann sehe ich, rief Planchet strahlend, daß es derselbe Graf de la Fère ist, den wir suchen. Wollt mir also öffnen, denn ich wünsche dem Herrn Grafen meinen Herrn, einen ihm befreundeten Edelmann, zu melden, der ihn zu begrüßen beabsichtigt. – Warum sagtet Ihr mir das nicht früher? sprach der Diener, das Gitter öffnend. Aber wo ist Euer Herr? – Hinter mir, er folgt mir.

Der Diener ging Planchet voraus, und dieser winkte d’Artagnan, der mit pochendem Herzen in den Hof einritt.

Als Planchet auf der Freitreppe war, hörte er eine Stimme, die aus einem untern Saale kam und sagte:

Nun, wo ist denn dieser Edelmann, und warum wird er nicht hierhergeführt?

Diese Stimme, die bis zu d’Artagnan drang, erweckte in seinem Innern tausend vergessene Erinnerungen, tausend Gefühle. Er sprang rasch vom Pferde, während Planchet lächelnd aus den Herrn des Hauses zuging.

Ah, ich kenne diesen Burschen, sagte Athos, als er Planchet auf der Schwelle erblickte.

Oh ja, Herr Graf, Ihr kennt mich, und ich kenne Euch auch sehr gut. Ich bin Planchet, Herr Graf, Planchet, Ihr wißt wohl… Der ehrliche Diener konnte nicht mehr sprechen, so verblüfft war er von dem unerwarteten Anblick des Edelmanns.

Wie, Planchet! rief Athos. Sollte Herr d’Artagnan hier sein?

Hier bin ich, Freund, hier bin ich, teurer Athos, rief d’Artagnan stammelnd und beinahe wankend.

Bei diesen Worten trat eine sichtbare Bewegung auf Athos‘ schönem Antlitz und ruhigen Zügen hervor. Er machte rasch zwei Schritte gegen d’Artagnan, ohne ihn aus dem Blicke zu verlieren, und schloß ihn zärtlich in seine Arme. D’Artagnan, welcher sich etwas von seiner Unruhe erholte, drückte ihn mit einer Herzlichkeit, die aus den Tränen seiner Augen leuchtete, an seine Brust.

Athos nahm ihn nun an der Hand und führte ihn in den Salon, wo mehrere Personen versammelt waren. Alle Anwesenden standen auf.

Ich stelle Euch, sprach Athos, den Herrn Chevalier d’Artagnan, Leutnant bei den Musketieren Seiner Majestät des Königs, vor, einen sehr ergebenen Freund und einen der bravsten und liebenswürdigsten Edelleute, die ich kennengelernt habe.

Dem Gebrauche gemäß empfing d’Artagnan die Komplimente der Versammelten, gab sie nach Kräften zurück, nahm im Kreise Platz und fing an, Athos prüfend anzuschauen, während das einen Augenblick unterbrochene Gespräch wieder allgemein wurde.

Seltsamerweise hatte Athos kaum gealtert. Frei von den blauen Ringen, den Spuren von Nachtwachen und Orgien, schienen seine schönen Augen größer und von reinerem Glanze, als zuvor; sein etwas verlängertes Gesicht hatte an Majestät gewonnen; seine trotz der Weiße und Weichheit noch bewundernswürdig nervige Hand trat blendend unter der Manschette hervor, wie gewisse Hände von Titian und Van Dyk; er war schlanker, als früher; seine breiten, gut geformten Schultern kündigten ungewöhnliche Stärke an; seine nun langen, leicht mit Grau vermischten, schwarzen Haare fielen zierlich und wellenförmig in natürlicher Biegung auf die Schultern herab; seine Stimme war so frisch, wie die eines fünfundzwanzigjährigen Mannes, und seine prächtigen, weiß und unverletzt erhaltenen Zähne verliehen seinem Lächeln einen unaussprechlichen Zauber.

Die Gäste des Grafen, welche merkten, daß die zwei Freunde allein zu sein verlangten, schickten sich mit der ganzen Kunst und Artigkeit früherer Zeiten zum Weggehen an, als man im Hofe Hundegebell vernahm und mehrere Personen zu gleicher Zeit sagten: Ah! Raoul kommt heim.

Athos schaute bei dem Namen Raoul d’Artagnan an und schien die Neugierde zu beobachten, die dieser Name auf seinem Gesicht hervorbringen müßte. Aber d’Artagnan begriff noch nichts; er hatte sich von seinem Staunen noch nicht erholt und wandte sich daher beinahe mechanisch um, als ein hübscher junger Mann, einfach, aber geschmackvoll gekleidet, seinen mit langen roten Federn geschmückten Hut anmutig abnehmend, in den Salon eintrat.

Diese neue, ganz unerwartete Erscheinung berührte ihn übrigens ungemein. Eine ganze Welt von Gedanken stellte sich vor seinen Geist und erläuterte ihm durch alle Quellen seines Verstandes die Veränderung von Athos, die ihm unerklärlich vorgekommen war. Eine auffallende Ähnlichkeit zwischen dem Edelmann und dem Jüngling enträtselte ihm das Geheimnis dieses wiedergeborenen Lebens. Er wartete schauend und horchend.

Ihr seid zurück, Raoul, sprach der Graf.

Ja, Herr, antwortete der Jüngling ehrfurchtsvoll, und ich habe mich des Auftrags entledigt, den Ihr mir gegeben.

Aber was habt Ihr? fragte Athos besorgt; Ihr seid bleich und scheint aufgeregt?

Es kommt daher, erwiderte der Jüngling, daß unserer kleinen Nachbarin ein Unglück widerfahren ist.

Dem Fräulein de la Vallière? versetzte Athos lebhaft.

Was denn? fragten mehrere Stimmen.

Sie ging mit ihrer guten Marcelline in der Einfriedigung spazieren, wo die Holzfäller ihre Bäume abvieren, als ich im Vorüberreiten sie wahrnahm und anhielt. Sie bemerkte mich ebenfalls und wollte von einem Holzstoß, auf den sie gestiegen war, herabspringen, aber das arme Kind knickte, als es die Erde berührte, mit einem Fuße um, und konnte sich nicht mehr erheben. Sie hat sich, glaube ich, den Knöchel verstaucht.

Oh! mein Gott! rief Athos, und ist Frau von Saint-Remy, ihre Mutter, davon benachrichtigt?

Nein, Herr. Frau von Saint-Remy ist in Blois bei der Frau Herzogin von Orleans. Ich fürchtete, die erste Hilfe könnte nicht richtig geleistet werden, und eilte hierher, um Euch um Rat zu fragen.

Schickt geschwind nach Blois, Raoul, oder vielmehr, nehmt Euer Pferd und reitet schleunigst selbst dahin.

Raoul verbeugte sich.

Aber wo ist Luise? fuhr der Graf fort.

Ich habe sie bis hierher gebracht und bei der Frau von Charlot untergebracht, welche sie mittlerweile den Fuß in Eiswasser stellen ließ.

Nach dieser Erklärung, welche eine Gelegenheit zum Aufbruch bot, nahmen die Gäste Abschied von Athos; der alte Herzog von Barbé allein, der infolge einer zwanzigjährigen Freundschaft auf vertrautem Fuße mit dem Hause de la Vallière stand, suchte die kleine Luise auf, die weinte, aber beim Anblick Raouls ihre schönen Augen trocknete und wieder lächelte.

Der Herzog machte nun den Vorschlag, sie in seinem Wagen nach Blois zu führen.

Ihr habt recht, gnädiger Herr, sagte Athos, sie wird früher bei ihrer Mutter sein; Ihr, Raoul, werdet wohl unbesonnen gehandelt haben und seid an diesem Unfall schuld.

Oh! nein, nein, Herr, ich schwöre es Euch! rief das Mädchen, während der junge Mann bei dem Gedanken, vielleicht die Ursache dieses Unfalls zu sein, erbleichte.

Oh! Herr, ich versichere Euch, murmelte Raoul.

Ihr geht nichtsdestoweniger nach Blois, fuhr der Graf wohlwollend fort, und entschuldigt Euch und mich bei Frau von Saint-Remy; dann kehrt Ihr zurück.

Die Farben erschienen wieder auf den Wangen des Jünglings; nachdem er mit den Augen den Grafen gefragt hatte, nahm er das kleine Mädchen, dessen hübscher, vom Schmerz bewegter und zugleich lächelnder Kopf auf seinen Schultern ruhte, in seine kräftigen Arme und trug es sacht in den Wagen; dann sprang er mit der Leichtigkeit und Eleganz eines vollendeten Stallmeisters zu Pferde, begrüßte Athos und d’Artagnan und entfernte sich rasch, neben dem Schlage des Wagens reitend, in dessen Inneres seine Blicke beständig geheftet blieben.

Das Schloß Bragelonne

D’Artagnan hatte während dieser ganzen Scene mit aufgesperrten Augen und offenem Munde dagestanden; alles entsprach seinen Voraussetzungen so wenig, daß er sich von seinem Erstaunen gar nicht erholen konnte.

Athos reichte ihm den Arm und führte ihn in den Garten.

Während man uns ein Abendessen bereitet, sagte er lächelnd, wird es Euch, lieber Freund, gewiß nicht unangenehm sein, ein wenig Licht über dieses ganze Geheimnis zu bekommen, das Euch in Träume versenkt?

Allerdings, Herr Graf, erwiderte d’Artagnan, der fühlte, wie Athos allmählich die ungeheure aristokratische Überlegenheit wieder über ihn gewann, die er immer gehabt hatte.

Athos schaute ihn mit seinem sanften Lächeln an.

Vor allem, mein lieber d’Artagnan, sprach er, gibt es hier keinen Herrn Grafen. Wenn ich Euch Chevalier nannte, so geschah es, weil ich Euch meinen Gästen vorstellte und damit sie wußten, wer Ihr seid, aber für Euch bin ich hoffentlich stets Athos, Euer Gefährte, Euer Freund. Wir wollen zu unseren Gewohnheiten zurückkehren und vor allen Dingen offenherzig sein. Alles setzt Euch hier in Erstaunen? – In ein tiefes Erstaunen. – Aber worüber Ihr Euch am meisten wundert, sagte Athos lächelnd, das bin ich, gesteht es nur. – Ich gestehe es. – Ich bin noch jung, nicht wahr, trotz meiner neunundvierzig Jahre? Ich bin noch zu erkennen. – Ganz im Gegenteil, erwiderte d’Artagnan, bereit, die von ihm verlangte Offenherzigkeit zu übertreiben. Ihr seid es nicht mehr. – Ah! ich begreife, sprach Athos leicht errötend, alles hat sein Ende, d’Artagnan, die Narrheit, wie jede andere Sache. – Sodann ist eine Veränderung in Euren Vermögensumständen vorgegangen. Ihr seid herrlich quartiert; dieses Haus gehört Euch, wie ich voraussetze. – Ja, das ist das kleine Gut, Ihr wißt, mein Freund, von dem ich, als ich den Dienst verließ, Euch sagte, daß ich es geerbt hatte. – Ihr habt einen Park, Pferde, Equipagen.

Athos lächelte und erwiderte:

Der Park hat zwanzig Morgen, wozu der Küchengarten und die Gesindewohnungen gehören. Die Zahl meiner Pferde beläuft sich auf zwei, wobei ich, wohlverstanden, den Stumpfohr meines Bedienten nicht rechne. Meine Equipagen beschränken sich auf vier Leithunde, zwei Windhunde und einen Hühnerhund. Und dieser ganze Meuteluxus ist nicht einmal für mich, fügte Athos lächelnd bei.

Ich begreife, versetzte d’Artagnan, er ist für den jungen Menschen, für Raoul.

Und d’Artagnan schaute Athos mit unwillkürlichem Lächeln an.

Ihr habt es erraten, mein Freund, sprach Athos.

Und der junge Mensch ist Euer Tischgenosse, Euer Taufpate, vielleicht Euer Vetter! Ah! wie habt Ihr Euch doch verändert, mein lieber Athos. – Dieser junge Mensch, erwiderte Athos ruhig, dieser junge Mensch ist eine Waise, d’Artagnan, den seine Mutter bei einem armen Landpfarrer zurückgelassen hatte; ich habe ihn aufgezogen. – Der Knabe muß sehr anhänglich an Euch sein? – Ich glaube, er liebt mich, als wäre ich sein Vater. – Er ist sehr dankbar? – Oh! was die Dankbarkeit betrifft, versetzte Athos, so ist sie gegenseitig, ich bin ihm ebensoviel schuldig, als er mir, und, ich sage es ihm nicht, aber Euch, ich bin ihm noch verpflichtet. – Wie dies? fragte der Musketier erstaunt. – Ei, mein Gott, ja! Er hat in mir die Veränderung hervorgebracht, die Ihr wahrnehmt. Ich verdorrte wie ein armer, alter Baum, der durch kein Band mehr mit der Erde zusammenhängt; nur eine tiefe Neigung konnte mich wieder im Leben Wurzel schlagen lassen. Eine Geliebte? ich war zu alt. Freunde? ich hatte Euch nicht mehr bei mir. Dieser Knabe ließ mich nun alles wiederfinden, was ich verloren hatte; ich hatte nicht mehr den Mut, für mich zu leben, ich lebte für ihn. Gute Lehren sind viel für ein Kind; das Beispiel ist noch mehr wert. Ich gab ihm das Beispiel, d’Artagnan. Die Fehler, welche ich hatte, legte ich ab, die Tugenden, die ich nicht hatte, gab ich mir den Anschein zu besitzen. Ich glaube nicht, daß ich mich täusche, d’Artagnan, Raoul ist bestimmt, ein so vollkommener Edelmann zu sein, wie unser verarmtes Zeitalter nur immer zu liefern vermag.

D’Artagnan schaute Athos mit steigender Bewunderung an; sie wandelten unter einer schattigen, kühlen Allee, durch die einige Strahlen der untergehenden Sonne schräg hereinfielen. Einer dieser goldenen Strahlen beleuchtete Athos, und seine Augen schienen die abendliche Glut, welche sie beschien, wieder auszustrahlen.

Der Gedanke an Mylady regte sich in d’Artagnan.

Und Ihr seid glücklich? sagte er zu seinem Freunde.

Das scharfe Auge von Athos drang bis in die Tiefe von d’Artagnans Herzen und schien darin seine Gedanken zu lesen.

So glücklich, als es einem Geschöpfe Gottes auf Erden zu sein gestattet ist. Aber vollendet Euren Gedanken, d’Artagnan, Ihr habt ihn mir nicht ganz gesagt. – Ihr seid furchtbar, Athos, und man kann Euch nichts verbergen. Nun wohl, ja, ich wollte Euch fragen, ob Ihr nicht zuweilen plötzliche Beängstigungen habt, die … – Gewissensbissen gleichen? fuhr Athos fort. Ich vollende Euern Satz, mein Freund. Ja oder nein, ich habe keine Gewissensbisse, weil jene Frau nach meiner festen Überzeugung die Strafe verdiente, die sie ausstehen mußte. Ich habe keine Gewissensbisse, denn wenn wir sie am Leben gelassen hätten, so würde sie ohne Zweifel ihr Zerstörungswerk fortgesetzt haben; damit ist aber nicht gesagt, mein Freund, daß wir zu unserer Tat berechtigt waren. Vielleicht heischt jedes vergossene Blut eine Sühnung; sie hat die ihrige vollendet, möglicherweise kommt die Reihe auch noch an uns. – Zuweilen dachte ich wie Ihr, Athos. – Diese Frau hat einen Sohn? – Ja. – Habt Ihr von ihm sprechen hören? – Nie. – Er muß dreiundzwanzig Jahre alt sein, murmelte Athos. Ich denke oft an diesen jungen Mann, d’Artagnan. – Das ist sonderbar. Ich hatte ihn vergessen.

Athos lächelte schwermütig.

Und Lord Winter, habt Ihr Nachricht von ihm? – Ich weiß, daß er bei Karl I. sehr in Gunst war. – Er wird seinem Glücke gefolgt sein, und dieses ist zur Zeit schlecht. Halt, d’Artagnan, fuhr Athos fort; hier trifft wieder zu, was ich Euch soeben sagte: er ließ das Blut Straffords vergießen; Blut heischt Blut. Und die Königin? – Welche Königin? – Henriette von England, die Tochter Heinrichs IV.? – Sie ist im Louvre, wie Ihr wißt. – Ja, wo es ihr an allem gebricht, nicht wahr? Während der großen Kälte in diesem Winter war ihre kranke Tochter, wie man mir gesagt hat, in Ermangelung von Holz genötigt, im Bette liegen zu bleiben. Begreift Ihr das? fügte Athos, die Achseln zuckend, bei. Die Tochter Heinrichs IV. zähneklappernd, weil es ihr an Holz gebricht! Warum hat sie nicht den ersten besten von uns um Gastfreundschaft gebeten, statt Mazarin darum zu bitten? Es würde ihr an nichts gefehlt haben. – Kennt Ihr sie denn, Athos? – Nein, meine Mutter hat sie als Kind gesehen. Habe ich Euch nie gesagt, daß meine Mutter Ehrendame der Maria von Medici gewesen ist? – Nie. Ihr sprecht von dergleichen Dingen nicht. – Ah! mein Gott, doch, wie Ihr seht, versetzte Athos, aber es muß sich eine Gelegenheit dazu bieten. – Porthos würde nicht so geduldig warten, sagte d’Artagnan lächelnd. – Jeder hat seine eigene Natur, mein lieber d’Artagnan. Porthos besitzt trotz einiger Eitelkeit vortreffliche Eigenschaften. Habt Ihr ihn wiedergesehen? – Ich verließ ihn vor fünf Tagen, antwortete d’Artagnan.

Und nun erzählte er mit dem Erguß seiner gascognischen Laune, wie herrlich und in Freuden Porthos in seinem Schlosse Pierrefonds lebe.

Ich bewundere, sprach Athos, durch des Freundes Lebhaftigkeit in die alte Zeit zurückversetzt, ich bewundere, daß wir durch Zufall eine Gemeinschaft gebildet haben, welche trotz zwanzigjähriger Trennung noch so eng zusammenhält. Die Freundschaft schlägt tiefe Wurzeln in redlichen Herzen, d’Artagnan; glaubt mir, nur schlechte Menschen leugnen die Freundschaft, weil sie sie nicht kennen. Und Aramis?

Ich habe ihn auch gesehen, antwortete d’Artagnan, aber er ist mir sehr kalt vorgekommen.

Ah! Ihr habt ihn auch gesehen, versetzte Athos, indem er d’Artagnan forschend ansah. Ihr macht ja eine wahre Pilgerfahrt nach dem Tempel der Freundschaft.

Allerdings, erwiderte d’Artagnan verlegen.

Aramis, fuhr Athos fort, ist, wie Ihr wißt, von Natur kalt; dann ist er immer in Weiberintrigen verwickelt.

Ich glaube, gerade in diesem Augenblick in eine sehr ausgedehnte, sprach d’Artagnan.

Athos gab dem Gespräch geflissentlich eine andere Richtung.

Ihr seht, sagte er, indem er d’Artagnan darauf aufmerksam machte, daß sie nach einem Spaziergang von einer Stunde zu dem Schlosse zurückgekommen waren, wir haben die Runde auf allen meinen Besitzungen gemacht.

Alles ist hier reizend, und besonders hat alles ein adeliges Aussehen, erwiderte d’Artagnan.

In diesem Augenblick hörte man den Tritt eines Pferdes.

Raoul kehrt zurück, sprach Athos, wir bekommen Nachricht von der armen Kleinen.

Der junge Mensch erschien wirklich am Gitter und ritt, ganz mit Staub bedeckt, in den Hof ein, sprang dann von seinem Pferd, das er einem Knecht überließ, und begrüßte den Grafen und d’Artagnan mit ehrfurchtsvoller Höflichkeit.

Dieser Herr, sagte Athos, seine Hand auf d’Artagnans Schulter legend, dieser Herr ist der Chevalier d’Artagnan, von dem Ihr mich so oft sprechen hörtet, Raoul.

Gnädiger Herr, sprach Raoul, sich abermals und noch tiefer verbeugend, der Herr Graf hat mir Euern Namen als Beispiel genannt, so oft er einen unerschrockenen, hochherzigen Edelmann bezeichnen wollte.

Dieses kleine Kompliment machte einen angenehmen Eindruck auf d’Artagnan, sein Herz geriet in eine sanfte Bewegung; er reichte Raoul eine Hand und sprach: Alle Lobeserhebungen, die man mir spenden mag, fallen auf den Herrn Grafen zurück, denn ihm verdanke ich meine Erziehung in allen Dingen, und es ist nicht seine Schuld, wenn der Zögling sie schlecht benutzte. Aber ich bin überzeugt, es wird ihm bei Euch besser gelingen. Eure Erscheinung gefällt mir, Raoul, und Eure Höflichkeit hat mich gerührt.

Athos war unbeschreiblich entzückt; er schaute d’Artagnan dankbar an und heftete dann auf Raoul ein befriedigtes Lächeln.

Nun, sagte d’Artagnan zu sich selbst, denn das stumme Mienenspiel war ihm nicht entgangen, nun bin ich meiner Sache gewiß.

Laß hören, sprach Athos, der Unfall wird hoffentlich keine Folge haben?

Man weiß es noch nicht, Herr; der Arzt konnte wegen der Geschwulst nichts sagen; er fürchtet jedoch, es werde ein Nerv verletzt sein.

Ihr seid nicht länger bei Frau von Saint-Remy geblieben?

Ich fürchtete, zur Stunde Eures Abendessens nicht zurück zu sein, erwiderte Raoul, und Euch folglich warten zu lassen.

In diesem Augenblick meldete ein kleiner Junge, halb Bauer, halb Lakai, das Abendbrot sei aufgetragen.

Athos führte seinen Gast in einen sehr einfachen Speisesaal, dessen Fenster jedoch auf der einen Seite nach dem Garten, auf der andern nach einem Gewächshause gingen, in dem herrliche Pflanzen blühten.

D’Artagnan warf einen Blick auf den Tisch; das Geschirr war prachtvoll; man sah, es war von dem alten Silberzeug der Familie.

Das Mahl war sehr belebt. Athos und d’Artagnan tauschten alte Erinnerungen, und Raoul hörte, bewundernd und mit allen Fibern nach gleichen Abenteuern und gleichem Ruhme lechzend, von den Heldentaten der Freunde in der Bastei von Saint-Gervais und den bewundernswerten Duellen d’Artagnans.

Der Jüngling hätte gerne das Gespräch die ganze Nacht hindurch ausgedehnt, aber Athos bemerkte, ihr Gast müsse müde sein und der Ruhe bedürfen.

D’Artagnan legte sich zu Bette, weniger um zu schlafen, als um allein zu sein und an alles zu denken, was er an diesem Abend gesehen und gehört hatte. Da er gutmütiger Natur war und gleich im Anfang zu Athos eine instinktartige Zuneigung gefaßt hatte, welche in aufrichtige Freundschaft übergegangen war, so war er entzückt, einen Mann von glänzendem Geist und ungeschwächter Körperkraft statt des Trunkenbolds zu finden, den er zu sehen erwartet hatte. Er unterwarf sich sogar ohne alles Sträuben der beständigen Überlegenheit von Athos, und statt Eifersucht und Ärger darüber zu fühlen, wie dies bei einer minder edelmütigen Natur der Fall gewesen sein dürfte, hegte er eine aufrichtige Freude und die günstigsten Hoffnungen für sein Unternehmen.

Indessen kam es ihm vor, als fände er Athos nicht offenherzig und klar über alle Punkte. Wer war der junge Mensch, den er adoptiert zu haben behauptete, und der eine so große Ähnlichkeit mit ihm hatte? Was bedeutete diese Rückkehr zum geselligen Leben und diese übertriebene Mäßigkeit, die er bei Tisch wahrgenommen hatte? Eine scheinbar geringfügige Sache, die Abwesenheit Grimauds, von dem sich Athos ehedem nicht trennen konnte, und dessen Name trotz wiederholter Anspielungen nicht einmal genannt worden war … alles dies beunruhigte d’Artagnan. Er besaß also das Vertrauen seines Freundes nicht mehr, oder Athos war durch eine unsichtbare Kette gebunden oder gar zum voraus gegen den Besuch, den er ihm machte, eingenommen.

Unwillkürlich dachte er an Rochefort und an das, was ihm dieser in Notre-Dame gesagt hatte. Sollte Rochefort ihm bei Athos zuvorgekommen sein?

D’Artagnan hatte keine Zeit mit langen Studien zu verlieren. Er beschloß auch, schon am andern Tag eine Erklärung herbeizuführen. Er entwarf seinen Angriffsplan, und obgleich er wußte, daß Athos ein hartnäckiger Gegner war, so stellte er doch den entscheidenden Vorstoß auf den folgenden Tag nach dem Frühstück fest.

Der Abbé d’Herblay

Am Ende des Dorfes wandte sich Planchet links und hielt unter dem erleuchteten Fenster. Aramis sprang zu Boden und schlug dreimal in seine Hände. Sogleich öffnete sich das Fenster, und eine Strickleiter fiel herab.

Mein Lieber, sagte Aramis, wenn Ihr hinaufsteigen wollt, so wird es mich sehr freuen, Euch zu empfangen.

Ah, so tritt man bei Euch ein? sprach d’Artagnan.

Wenn es neun Uhr vorüber ist, muß man es bei Gott so machen, erwiderte Aramis. Die Klosterordnung ist äußerst streng. Aber Ihr steigt nicht hinauf?

Steigt voraus, ich folge Euch.

Wie der selige Kardinal zu dem seligen König sagte: Um Euch den Weg zu zeigen, Sire.

Und Aramis stieg leicht die Leiter hinauf und hatte in einem Augenblick das Fenster erreicht.

D’Artagnan folgte ihm, aber langsamer; er war offenbar mit solchen Wegen weniger vertraut als sein Freund.

Gnädiger Herr, rief Planchet, als er sah, daß d’Artagnan auf dem Punkte war, den Aufstieg zu vollenden, das geht gut für Herrn Aramis, das geht auch gut für Euch, es ginge wohl auch für mich, aber die Pferde können nicht wohl an der Strickleiter hinaufsteigen.

Führt sie unter jenen Schuppen, mein Freund, sagte Aramis und deutete auf eine Hütte, welche in der Ebene sichtbar war. Ihr findet dort Stroh und Hafer für sie.

Aber für mich?

Ihr kommt unter dieses Fenster, klatscht dreimal in Eure Hände, und wir lassen Euch Lebensmittel hinab. Mord und Tod! Seid unbesorgt, man verhungert hier nicht.

Aramis zog die Leiter zurück und schloß das Fenster.

D’Artagnan betrachtete das Zimmer. Nie hatte er eine zugleich kriegerischere und elegantere Stube gesehen. In jeder Ecke des Zimmers waren Waffentrophäen, welche dem Blicke und der Hand Schwerter aller Art boten, und vier große Gemälde stellten in ihren Schlachtrüstungen den Kardinal von Lothringen, den Kardinal von Richelieu, den Kardinal von Lavalette und den Erzbischof von Bordeaux dar. Die Tapeten waren von Damast, die Teppiche kamen aus Alençon, und das Bett glich mehr der Lagerstätte einer Favoritin, als der eines Mannes, der das Gelübde getan hatte, den Himmel durch Geißelung und Enthaltsamkeit zu gewinnen.

Ihr schaut mein Kämmerchen an? sagte Aramis. Ah, mein Lieber, entschuldigt, ich wohne wie ein Karthäuser. Aber was sucht Ihr denn mit Euren Augen? – Ich suche die Person, die Euch die Leiter zugeworfen hat; ich sehe niemand, und sie kann doch nicht ganz allein herabgekommen sein. – Nein, nein, Bazin hat es getan. – Ah, ah! rief d’Artagnan. – Mein Bazin ist ein guter, wohlabgerichteter Bursche, fuhr Aramis fort; da er sah, daß ich nicht allein kam, zog er sich aus Diskretion zurück. Bazin, mein Freund, komm her!

Die Türe öffnete sich, und Bazin erschien. Als er aber d’Artagnan gewahr wurde, gab er einen Ausruf von sich, der einem Schrei der Verzweiflung glich.

Mein lieber Bazin, sprach d’Artagnan, ich sehe mit Vergnügen, mit welcher bewunderungswürdigen Haltung Ihr selbst in der Kirche lügt.

Gnädiger Herr, erwiderte Bazin, ich habe von den würdigen Vätern Jesu gelernt, daß das Lügen erlaubt sei, wenn man in einer guten Absicht lüge.

Schon gut, Bazin, d’Artagnan hat großen Hunger, und ich auch. Trage uns ein Abendbrot auf, so gut du immer kannst, und bring uns vor allen Dingen vom besten Wein, der sich findet.

Bazin verbeugte sich zum Zeichen des Gehorsams, stieß einen schweren Seufzer aus und entfernte sich.

Jetzt, da wir allein sind, mein lieber Aramis, sagte d’Artagnan, seine Augen vom Zimmer auf den Eigentümer wendend, sagt mir, wo zum Teufel Ihr herkamt, als Ihr hinter Planchet auf sein Pferd spranget?

Ei, Ihr seht wohl, vom Himmel herab! erwiderte Aramis.

Vom Himmel? versetzte d’Artagnan, den Kopf schüttelnd. Ihr scheint ebensowenig von dort zu kommen, als dahin zu gehen.

Nun, sagte Aramis, wenn ich nicht vom Himmel kam, so kam ich wenigstens aus dem Paradies, was beinahe dasselbe besagen will.

Das Paradies, über dessen Lage sich die Gelehrten schon so viel gestritten haben, ist also in Noisy-le-Sec auf der Stelle, wo das Schloß des Herrn Erzbischofs von Paris liegt. Man verläßt es nicht durch die Türe, sondern durch das Fenster. Man steigt nicht auf den Marmorstufen eines Säulenganges, sondern an den Ästen einer Linde herab, und der Engel mit dem feurigen Schwerte, der es bewacht, hat ganz das Aussehen, als hätte er seinen himmlischen Namen Gabriel in den irdischeren des Prinzen von Marsillac verwandelt.

Aramis brach in ein schallendes Gelächter aus.

Ihr seid immer noch der lustige Kamerad, mein Lieber, sprach er, und Eure vortreffliche gascognische Laune hat Euch noch nicht verlassen. Es ist wohl etwas an dem, was Ihr da sagt. Nur wollt nicht glauben, ich sei in Frau von Longueville verliebt.

Den Teufel, ich werde mich wohl hüten, sagte d’Artagnan. Nachdem Ihr so lange in Frau von Chevreuse verliebt gewesen seid, werdet Ihr nicht versucht sein. Euer Herz ihrer tödlichsten Feindin darzubringen.

Ja, das ist wahr, sagte Aramis mit einer treuherzigen Miene. Ja, ich habe diese arme Herzogin einst sehr geliebt, und ich muß ihr die Gerechtigkeit widerfahren lassen, sie ist uns äußerst nützlich gewesen. Aber was wollt Ihr? Sie wurde genötigt, Frankreich zu verlassen. Es war ein schlimmer Gegner, dieser verdammte Kardinal, fuhr Aramis fort und warf einen Blick auf das Bild des ehemaligen Ministers. Er hatte den Befehl gegeben, sie zu verhaften und nach dem Schlosse Loches zu führen. Aber sie flüchtete sich, als Mann verkleidet, mit ihrer Kammerfrau, der armen Ketty. Wie ich sagen hörte, ist ihr in irgend einem Dorf ein seltsames Abenteuer mit irgend einem Geistlichen begegnet, von dem sie Gastfreundschaft forderte, und der, da er nur ein Zimmer hatte und sie für einen Kavalier hielt, ihr das Anerbieten machte, dieses Zimmer mit ihr zu teilen. Sie trug mit unglaublicher Gewandtheit Männerkleider, diese arme Marie. Ich kenne nur eine einzige Frau, die sie ebensogut trägt. Man hat auch einen Vers auf sie gemacht.

Und Aramis stimmte das Lied an:

»Labboisière, sagt mir doch,
Geh‘ ich nicht wie ein Mann?

Bravo! rief d’Artagnan, Ihr singt immer noch vortrefflich, mein Lieber, und ich sehe, daß die Messe Eure Stimme nicht verdorben hat.

Mein Lieber, Ihr begreift wohl, zur Zeit, wo ich Musketier war, bezog ich die Wache so wenig, als ich nur konnte; heute, wo ich Abbé bin, lese ich so wenig Messen, als ich kann. Doch auf die arme Herzogin zurückzukommen …

Auf welche? Auf die Herzogin von Chevreuse oder auf die Herzogin von Longueville?

Mein Lieber, ich habe Euch bereits gesagt, daß zwischen mir und der Herzogin von Longueville kein Verhältnis stattfindet. Koketterien vielleicht, nicht mehr. Habt Ihr sie seit ihrer Rückkehr von Brüssel nach dem Tode des Königs gesehen?

Ja, gewiß, und sie war noch sehr schön.

Allerdings, sagte Aramis, ich habe sie zu dieser Zeit auch ein wenig gesehen und ihr vortreffliche Ratschläge gegeben. Ich schwor bei meinem Leben, Mazarin sei der Geliebte der Königin. Sie wollte mir nicht glauben und sagte, sie kenne Anna von Österreich, sie sei zu stolz, um einen solchen Schurken zu lieben. Mittlerweile stürzte sie sich in die Kabalen des Herzogs von Beaufort, der Schurke ließ den Herzog verhaften und verbannte Frau von Chevreuse.

Ihr wißt, sagte d’Artagnan, daß sie die Erlaubnis erhalten hat, zurückzukehren?

Ja und auch, daß sie zurückgekommen ist … Sie wird abermals dumme Streiche machen.

Oh, diesmal wird sie wohl Euern Rat befolgen.

Diesmal habe ich sie nicht wieder gesehen; sie hat sich gewaltig verändert.

Es ist nicht wie bei Euch, mein lieber Aramis, denn Ihr seid immer derselbe. Ihr habt immer noch Eure schönen schwarzen Haare, Eure zierliche Taille, Eure Frauenhände, die bewundernswürdige Prälatenhände geworden sind.

Ja, sagte Aramis, das ist wahr, ich pflege mich. Aber was macht denn das Vieh von Bazin? Bazin, tummle dich doch! Wir werden wütend vor Hunger und Durst.

Bazin, der in diesem Augenblick eintrat, hob seine Hände, von denen jede eine Flasche trug, zum Himmel empor.

Endlich, sagte Aramis, sind wir einmal fertig?

Ja, gnädiger Herr, sogleich, sagte Bazin. Aber ich brauchte Zeit um alle diese…

Weil du immer glaubst, du habest deine Mesnerkutte auf dem Rücken, unterbrach ihn Aramis, und weil du dein ganzes Leben damit hinbringst, dein Brevier zu lesen. Aber ich sage dir, daß ich, wenn du bei deinem fortwährenden Putzen der Gegenstände in den Kapellen meinen Degen zu putzen verlernst, aus allen deinen geweihten Bildern ein großes Feuer mache und dich darauf rösten lasse.

Voll frommen Ärgers machte Bazin das Zeichen des Kreuzes mit der Flasche, die er in der Hand hielt. Mehr als je erstaunt über den Ton und die Manieren des Abbé d’Herblay, die so sehr mit denen des Musketiers Aramis kontrastierten, blieb d’Artagnan mit aufgesperrten Augen seinem Freunde gegenüber sitzen.

Bazin bedeckte rasch den Tisch mit einem Damasttuch und legte darauf so viele vergoldete, duftende und leckere Dinge, daß d’Artagnan ganz verblüfft war.

Ihr wartet auf jemand? fragte der Offizier. – Ah! ich habe immer einigen Vorrat. Dann wußte ich auch, daß Ihr mich aufsuchen würdet. – Von wem? – Von Meister Bazin, der Euch für den Teufel hielt, mein Lieber, und herbeilief, um mich von der Gefahr zu benachrichtigen, die meine Seele bedrohte, wenn ich so schlechte Gesellschaft, wie die eines Musketieroffiziers, sehen würde. – Ach, gnädiger Herr! rief Bazin mit gefalteten Händen und flehender Miene. – Still, keine Heuchelei, du weißt, daß ich sie nicht liebe. Du wirst besser daran tun, ein Fenster zu öffnen und ein Brot, ein Huhn und eine Flasche Wein deinem Freunde Planchet hinabzulassen, der sich seit einer Stunde zu Tode klatscht.

Bazin gehorchte, band die drei genannten Gegenstände an einen Strick und ließ sie Planchet hinab, der sich ganz zufrieden unter seinen Schuppen zurückzog.

Nun wollen wir zu Nacht speisen, sagte Aramis.

Die zwei Freunde setzten sich zu Tische, und Aramis begann mit vollendeter gastronomischer Geschicklichkeit junge Feldhühner und Schinken zu zerlegen.

Teufel, sagte d’Artagnan, wie Ihr Euch füttert!

Ja, ziemlich gut. Ich habe für die Festtage Dispense von Rom, die mir der Herr Coadjutor meiner Gesundheit wegen verschafft hat. Dann habe ich zum Koch den Exkoch von Lafollone genommen, Ihr wißt, von dem ehemaligen Freunde des Kardinals, dem berühmten Gourmand, der statt jedes Gebetes nach seinem Mittagsmahle sagte: Mein Gott, habe die Gnade, mich gut verdauen zu lassen, was ich so gut gegessen habe. – Was ihn indessen nicht abhielt, an einer Unverdaulichkeit zu sterben. – Was wollt Ihr? versetzte Aramis mit ergebener Miene, man kann seinem Geschicke nicht entfliehen. – Mein Lieber, vergebt die Frage, die ich an Euch machen will, versetzte d’Artagnan. – Macht sie immerhin, Ihr wißt, unter Freunden gibt es keine Indiskretion. – Ihr seid also reich geworden? – Oh! mein Gott, nein; ich bringe es auf ein Dutzend tausend Livres jährlich, abgesehen von einer kleinen Rente von tausend Talern, die mir der Herr Prinz hat zukommen lassen. – Und womit verdient Ihr Euch diese 12000 Livres? sagte d’Artagnan. Mit Euren Gedichten? – Nein, ich habe auf die Poesie Verzicht geleistet, wenn ich nicht zuweilen einige Trinklieder, einige galante Sonette oder ein unschuldiges Epigramm dichte. Ich mache Predigten, mein Lieber. – Wie, Predigten? – Ja, aber vortreffliche Predigten, wenigstens scheint es so. – Die Ihr abhaltet? – Nein, die ich verkaufe. – An wen? – An die von meinen Kollegen, die durchaus große Redner sein wollen. – Wirklich! Und Ihr habt nicht nach diesem Ruhme gestrebt? – Allerdings, mein Lieber. Wer die Natur hat den Sieg davongetragen. Wenn ich auf der Kanzel stehe, und es schaut mich zufällig eine Frau an, so schaue ich sie auch an; wenn sie lächelt, lächle ich auch. Dann fange ich an zu faseln. Statt von den Qualen der Hölle zu reden, spreche ich von den Freuden des Paradieses. Dies ist mir eines Tages in der Kirche Saint Louis im Marais begegnet. Ein Kavalier lachte mir in das Gesicht, ich unterbrach mich, um ihm zu sagen, er sei ein alberner Tropf. Das Volk ging hinaus, um Steine zusammenzuraffen; aber während dieser Zeit bekehrte ich die Anwesenden, daß sie ihn nicht steinigten. Allerdings fand er sich am andern Tag bei mir ein; er glaubte, er habe es mit einem Abbé zu tun, wie alle andern Abbés sind. – Und was war der Erfolg seines Besuches? sprach d’Artagnan, sich vor Lachen die Hüften haltend. – Der Erfolg war, daß wir uns den andern Tag auf die Place Royale bestellten. Bei Gott, Ihr wißt davon. – Sollte ich zufällig gegen diesen Unverschämten Euch als Sekundant gedient haben? fragte d’Artagnan. – Allerdings, Ihr wißt, wie ich ihn zurichtete.

Bazin, fuhr er fort, du wirst jetzt so gut sein, uns spanischen Wein zu servieren und dich zurückzuziehen, denn mein Freund d’Artagnan hat mir etwas Geheimes mitzuteilen! Nicht wahr, d’Artagnan?

D’Artagnan machte mit dem Kopfe ein bejahendes Zeichen, und Bazin zog sich zurück, nachdem er den spanischen Wein auf den Tisch gestellt hatte.

Richelieus Schatten

In einem Zimmer des ehemaligen Palais Kardinal saß an einem mit Papieren und Büchern bedeckten Tisch ein Mann, den Kopf in beide Hände gestützt. Hinter ihm war ein gewaltiger Kamin, dessen Glut das prachtvolle Gewand dieses Träumers von hinten beleuchtete, während das Licht eines mit Kerzen besteckten Kandelabers ihn von vorn bestrahlte.

Beim Anblick dieses roten Hausrockes und dieser reichen Spitzen, dieser bleichen, nachsinnend gebeugten Stirne, bei der Stille in den Vorzimmern und dem abgemessenen Tritt der Wachen auf dem Flur hätte man glauben können, der Schatten des Kardinals von Richelieu weile noch in diesem Gemach.

Ach! es war allerdings nur der Schatten des großen Mannes. Frankreichs Schwäche, das gesunkene Ansehen des Königs, die Wiedererstarkung und erneute Unbotmäßigkeit der Großen, die Anwesenheit des Feindes innerhalb der Landesgrenzen, alles bewies, daß Richelieu nicht mehr war.

Noch deutlicher erkannte man aber, daß das rote Hauskleid keineswegs das des alten Kardinals sein konnte, aus der herrschenden Ode, aus den von Höflingen leeren Vorzimmern, den von Wachen erfüllten Höfen, aus dem Gefühl von Hohn und Spott, das von der einmütig gegen den Minister gesinnten Stadt empor und durch die Scheiben drang, aus dem entfernten Knattern von Schüssen, die vom erbitterten Volke planlos gegen Garden, Schweizer, Musketiere und Soldaten in der Umgebung des jetzt auch nicht mehr Palais Kardinal, sondern Palais Royal genannten Schlosses abgegeben wurden. Dieser Schatten Richelieus war Mazarin.

Mazarin aber war allein und fühlte sich schwach. Fremder! murmelte er, Italiener! das ist ihr großes Wort. Mit diesem Worte haben sie Concini ermordet, aufgehängt, in den Abgrund gestürzt. Und am liebsten würden sie auch mich vernichten, obgleich ich ihnen nie ein anderes Leid zugefügt habe, als daß ich von ihnen ein wenig Geld erpreßte.

Ja, ja, fuhr der Minister mit seinem seinen Lächeln auf seinen bleichen Lippen fort, ja, euer Geschrei sagt mir, daß das Geschick der Günstlinge unsicher ist. Aber wenn ihr dies wißt, so müßt ihr auch wissen, daß ich kein gewöhnlicher Günstling bin! Der Graf von Essex besaß einen glänzenden Diamantring, den ihm seine königliche Geliebte geschenkt hatte. Ich besitze einen einfachen Ring mit einem Namenszeichen und einem Datum, aber dieser Ring ist in der Kapelle des Palais Royal gesegnet worden. Bekanntlich hatte Mazarin, der keine von den Weihen empfangen, welche die Ehe verbieten, Anna von Österreich geheiratet. Sie bemerken nicht, daß ich sie mit ihrem ewigen Geschrei: Nieder mit Mazarin! bald: Es lebe Herr von Beaufort! bald: Es lebe der Herr Prinz! bald: Es lebe das Parlament! schreien lasse. Nun wohl, Herr von Beaufort ist im Gefängnis zu Vincennes, der Herr Prinz wird demnächst zu ihm kommen, und das Parlament …

Hier nahm das Lächeln des Kardinals einen Ausdruck des Hasses an, dessen sein sanftes Gesicht unfähig zu sein schien … Und das Parlament … wir werden sehen, was wir damit machen; wir haben Orleans und Montargis! O, ich werde meine Zeit zu wählen wissen, die Reihe kommt an jeden.

Richelieu, den sie haßten, solange er lebte, und von dem sie beständig sprechen, seit er tot ist, stand tiefer als ich, denn er ist oft fortgejagt worden. Die Königin wird mich nie fortjagen, und wenn ich gezwungen werde, dem Volk zu weichen, so wird sie mit mir weichen, und wir werden dann sehen, was die Rebellen ohne ihren König und ihre Königin sind. Oh! wenn ich nur kein Fremder, wenn ich nur Franzose, wenn ich nur Edelmann wäre! – Und er versank wieder in seine Träumerei.

Die Lage war allerdings schwierig, und der soeben abgelaufene Tag hatte sie noch mehr verwickelt. Beständig von seinem schmutzigen Geiz angestachelt, erdrückte Mazarin das Volk mit Steuern, und dieses Volk hatte seit langer Zeit angefangen zu murren.

Doch das war noch nicht alles, denn wenn nur das Volk murrt, so hört es der Hof nicht, da er von ihm durch die Bürgerschaft und die Edelleute getrennt ist. Aber Mazarin hatte die Unklugheit gehabt, sich, an den Beamten zu vergreifen! Er hatte zwölf Staatsratsstellen verkauft, und da diese Beamten ihre Stellen sehr teuer bezahlten und die Beiordnung dieser zwölf neuen Kollegen den Preis herabdrücken mußte, so vereinigten sie sich und schwuren auf das Evangelium, diese Vermehrung nicht zu dulden und allen Verfolgungen des Hofes zu widerstehen, mit dem gegenseitigen Versprechen, falls einer von ihnen durch diese Rebellion seine Stelle verlieren sollte, ihm gemeinschaftlich den Kaufpreis zurückzuzahlen.

Am 7. Januar hatten sich sieben- bis achthundert Pariser Kaufleute versammelt und sich gegen eine neue Steuer erhoben, die man den Hausbesitzern auflegen wollte. Zehn von ihnen waren dann zum Herzog von Orleans geschickt worden. Diesem, der seiner Gewohnheit gemäß den Volksfreund spielte, erklärten sie, sie seien entschlossen, die Steuer nicht zu bezahlen, und müßten sie sich mit bewaffneter Hand dagegen wehren. Der Herzog hörte sie mit großer Leutseligkeit an, versprach, mit der Königin zu reden, und entließ sie mit dem gewöhnlichen Trostspruch der Fürsten: Man wird sehen!

Dasselbe Versprechen gab Mazarin den bei ihm mit Festigkeit und Kühnheit Beschwerde führenden Staatsräten.

Um zu sehen, versammelte man sodann den Rat und schickte nach dem Oberintendanten der Finanzen d’Emery.

Dieser d’Emery wurde vom Volke sehr verabscheut, einmal weil jeder Oberintendant der Finanzen verabscheut wird, und dann, weil er es einigermaßen verdiente. Er kam, als man ihn rufen ließ, ganz bleich und bestürzt herbei und sagte, sein Sohn sei an demselben Tag auf der Place du Palais beinahe ermordet worden. Das Volk war ihm entgegengetreten und hatte ihm den Luxus seiner Frau vorgeworfen, welche ein mit rotem Samt und goldenen Fransen tapeziertes Zimmer besaß. Ihr Vater, Nicolas Lecamus, der 1617 Sekretär des Königs war, war mit zwanzig Livres nach Paris gekommen und hatte neun Millionen unter seine Kinder verteilt, nachdem er sich eine Leibrente von vierzigtausend Franken vorbehalten hatte.

Der Sohn d’Emerys war beinahe erstickt worden. Einer von den Meuterern machte nämlich den Vorschlag, ihn zu pressen, bis er das Gold, welches er verschlungen, zurückgegeben hätte. Der Rat entschied an diesem Tage nichts, denn der Oberintendant war zu sehr von diesem Ereignis ergriffen, um den Kopf frei zu haben.

Am andern Tag wurde der erste Präsident, Mathieu Molé, dessen Mut dem des Herzogs von Beaufort und des Prinzen von Condé, das heißt der beiden tapfersten Männer jener Zeit gleich kam, ebenfalls angegriffen. Das Volk drohte ihm; aber der erste Präsident antwortete mit seiner gewöhnlichen Ruhe, wenn die Aufrührer nicht dem Willen des Königs gehorchten, so werde er Galgen auf den öffentlichen Plätzen errichten und sogleich die ärgsten Schreier aufknüpfen lassen. Diese erwiderten hierauf, es wäre ihnen nichts lieber, als Galgen errichten zu sehen, dann könne man doch die schlechten Richter hängen, welche die Gunst des Hofes mit dem Elend des Volkes erkaufen.

Das war noch nicht genug. Am 11. wurde die Königin, als sie zur Messe ging, von mehr als zweihundert Weibern verfolgt, welche schrieen und Gerechtigkeit forderten. Sie hatten indessen keine böse Absicht und wollten sich ihr nur zu Füßen werfen, um ihr Mitleid rege zu machen. Aber die Wachen verhinderten sie daran, und die Königin ging hochmütig und stolz, ohne auf ihr Geschrei zu hören, an ihnen vorüber.

Am Nachmittag versammelte sich der Rat abermals, und es wurde beschlossen, das Ansehen des Königs aufrechtzuhalten. Infolgedessen berief man das Parlament auf den nächsten Tag.

An diesem Tag, an dessen Abend unsere Geschichte beginnt, ließ der König, der damals zehn Jahre alt war, seine Garden, seine Schweizer und seine Musketiere ausrücken, stellte sie um das Palais Royal, auf den Quais und auf dem Pont Neuf auf und begab sich, nachdem er die Messe gehört hatte, in das Parlament, wo er nicht allein seine früheren Edikte bestätigte, sondern auch fünf bis sechs neue erließ, so daß der erste Präsident, der vorher für den Hof war, sich unerschrocken gegen diese Art der Gesetzgebung aussprach. Am entschiedensten protestierten aber gegen die neuen Steuern der Präsident Blanemesnil und der Rat Broussel.

Nachdem die Edikte erlassen waren, kehrte der König nach dem Palais Royal zurück. Eine große Volksmenge befand sich auf seinem Wege. Da man aber noch nicht wußte, ob er im Parlament dem Volke habe Gerechtigkeit widerfahren lassen oder es aufs neue bedrückt habe, so ertönte nicht ein einziger Freudenruf, um ihn zu seiner Wiederherstellung zu beglückwünschen. Alle Gesichter waren im Gegenteil düster und unruhig, einige sogar drohend.

Trotz seiner Rückkehr blieben die Truppen auf dem Platze, denn man befürchtete, es könnte eine Empörung ausbrechen, sobald man das Resultat der Parlamentssitzung erführe, und in der Tat hatte es kaum in den Straßen verlautet, daß der König die Steuern noch vermehrt habe, als sich Gruppen bildeten und von allen Seiten die Rufe erschollen: Nieder mit Mazarin! Es lebe Broussel! Es lebe Blancmesnil!

Man wollte diese Gruppen zerstreuen und das Geschrei ersticken, aber, wie dies in solchen Fällen geschieht, die Gruppen wurden zahlreicher, und das Geschrei verdoppelte sich. Man hatte den Leibwachen des Königs und den Schweizerwachen soeben Befehl gegeben, nicht nur den Platz vor dem Schloß zu halten, sondern auch in den besonders aufgeregten Straßen Saint-Denis und Saint-Martin zu patrouillieren, als man im Palais Royal den Vorsteher der Kaufmannschaft meldete. Dieser erklärte, wenn man nicht auf der Stelle diese feindseligen Demonstrationen aufgebe, werde ganz Paris in zwei Stunden unter den Waffen sein.

Man beratschlagte, was man tun solle, als Comminges, Leutnant bei den Garden, mit zerrissenen Kleidern und blutigem Gesicht erschien. Sobald die Königin ihn erblickte, stieß sie einen Schrei des Erstaunens aus und fragte ihn, was er habe.

Beim Anblick der Garden waren die Geister gänzlich in Wut geraten. Man hatte sich der Glocken bemächtigt und Sturm geläutet. Comminges hatte den Hauptaufrührer verhaftet und, um ein Beispiel zu geben, befohlen, ihn an der Croix du Trahoir aufzuhängen. Demzufolge hatten ihn die Soldaten fortgeschleppt. Aber in den Hallen waren sie mit Steinwürfen und Hellebarden angegriffen worden. Der Rebell hatte diesen Augenblick benützt, um zu entfliehen. Er hatte die Rue Tiquetonne erreicht und sich in ein Haus geworfen, dessen Türen man sogleich einstieß. Man fand aber den Mann nicht. Während Comminges sich nach Zurücklassung eines Postens nach dem königlichen Schloß begab, war er angegriffen worden und hatte selbst einen Steinwurf an die Stirne bekommen.

Die Erzählung des Leutnants bestätigte die Worte des Vorstehers der Kaufmannschaft. Man war nicht im stände, einer ernstlichen Empörung Trotz zu bieten. Der Kardinal ließ im Volk ausstreuen, die Truppen würden sich zurückziehen, und gegen vier Uhr abends konzentrierten sie sich wirklich nach dem Schlosse zu. Man stellte einen Posten an der Barriere des Sergens, einen andern bei den Quinze-Vingts, einen dritten bei der Butte Saint-Roch auf. Man füllte die Höfe und die Erdgeschosse mit Schweizern und Musketieren und wartete.

So standen die Dinge, als wir unsere Leser in Mazarins Zimmer einführten. Wir haben gesehen, in welchem Gemütszustand er das bis zu ihm dringende Gemurmel des Volkes und das Echo der Flintenschüsse in seinem Zimmer hörte.

Plötzlich erhob er das Haupt; die Stirne halb gefaltet, wie ein Mann, der seinen Entschluß gefaßt hat, heftete er seine Augen auf eine ungeheure Pendeluhr, die eben sechs schlug, nahm eine auf dem Tisch in seiner Nähe liegende Pfeife und pfiff zweimal.

Eine geheime Tapetentüre öffnete sich geräuschlos, ein schwarz gekleideter Mann trat stillschweigend hervor und blieb aufrecht hinter dem Lehnstuhl stehen.

Bernouin, sprach der Kardinal, ohne sich umzudrehen, denn da er zweimal gepfiffen hatte, so wußte er, daß es sein Kammerdiener sein mußte, welche Musketiere haben die Wache im Palais? – Die Kompagnie Treville von den schwarzen Musketieren, Monseigneur. – Gut. Ist ein Offizier dieser Kompagnie im Vorzimmer? – Der Leutnant d’Artagnan. – Ein guter, glaube ich. – Ja, Monseigneur. – Gib mir eine Musketieruniform und Hilf mir beim Ankleiden.

Der Kammerdiener entfernte sich ebenso schweigend, als er eingetreten war, und kam nach einem Augenblick mit dem verlangten Anzug zurück.

Still und nachdenklich begann nun der Kardinal sich zu entkleiden, und das militärische Kleid anzuziehen, das er, durch seine früheren Feldzüge in Italien geübt, mit ziemlicher Leichtigkeit trug. Als er vollständig angekleidet war, sagte er: Hole mir Herrn d’Artagnan.

Als der Kardinal allein war, betrachtete er sich mit einer gewissen Zufriedenheit im Spiegel; er war noch jung, denn er zählte kaum sechsundvierzig Jahre; Mazarin war ein Mann von zierlicher Gestalt, wenn auch etwas unter der Mittlern Größe, hatte eine lebhafte, schöne Gesichtsfarbe, einen feurigen Blick, eine große, jedoch ziemlich proportionierte Nase, eine breite, majestätische Stirne, kastanienbraune, etwas krause Haare und einen sehr dunklen Bart. Dann zog er sein Wehrgehänge an, beschaute seine schönen, sorgfältig gepflegten Hände, warf die zu der Uniform gehörigen Handschuhe von Damhirschleder, die er bereits genommen hatte, beiseite und schlüpfte in einfache seidene Handschuhe.

In diesem Augenblick öffnete sich die Türe wieder. Herr d’Artagnan, sprach der Kammerdiener. Der Eintretende war ein Mann von neununddreißig bis vierzig Jahren, von kleiner Gestalt, aber gut gebaut, mager, mit lebhaftem, geistreichem Blick, der Bart schwarz und die Haare mit Grau vermischt, wie dies immer geschieht, wenn man das Leben zu gut oder zu schlecht gefunden hat, und besonders wenn man sehr brünett ist.

D’Artagnan trat vier Schritte vor; er erkannte das Zimmer, wo er einmal zu Richelieus Zeit gewesen war. Da er niemand erblickte, als einen Musketier von seiner Kompagnie, so heftete er seine Augen auf diesen, und bei dem ersten Blick war er überzeugt, daß er den Kardinal vor sich habe.

Er blieb in ehrfurchtsvoller, aber würdiger Haltung stehen. Der Kardinal schaute ihn prüfend mit seinen mehr seinen, als tiefen Augen an und sagte nach kurzem Stillschweigen: Ihr seid Herr d’Artagnan? – Ja, Monseigneur, antwortete der Offizier.

Der Kardinal betrachtete noch einen Augenblick den klugen Kopf und das Gesicht, dessen übermäßige Beweglichkeit durch die Jahre und die Erfahrung gemildert worden war; aber d’Artagnan ertrug die Prüfung wie ein Mann, der einst den forschenden Blick weit durchdringenderer Augen ausgehalten hatte.

Mein Herr, sagte der Kardinal, Ihr werdet mit mir gehen, oder vielmehr, ich gehe mit Euch.

Zu Euren Befehlen, Monseigneur, antwortete d’Artagnan.

Ich will die Posten um das Palais Royal selbst visitieren; glaubt Ihr, daß Gefahr dabei ist?

Gefahr, Monseigneur? fragte d’Artagnan, und welche?

Das Volk soll äußerst aufgeregt sein.

Die Uniform der Musketiere des Königs ist sehr geachtet, Monseigneur, und wäre sie es nicht, so machte ich mich dennoch anheischig, mit vier Mann hundert von diesen Lumpenkerlen in die Flucht zu schlagen.

Ihr habt gesehen, was Comminges begegnet ist.

Herr von Comminges ist bei den Garden und nicht bei den Musketieren.

Womit Ihr sagen wollt, versetzte der Kardinal lächelnd, die Musketiere seien bessere Soldaten als die Garden.

Jeder liebt seine Uniform, Monseigneur.

Mich ausgenommen, sprach Mazarin, denn Ihr seht, daß ich die meinige abgelegt habe, um die eurige anzuziehen. Bernouin, meinen Hut!

Der Kammerdiener brachte einen breitkrempigen Uniformhut; der Kardinal setzte ihn sehr unternehmend auf und wandte sich dann wieder zu d’Artagnan um.

Ihr habt gesattelte Pferde im Stall, nicht wahr? – Ja, Monseigneur. – So gehen wir. – Wieviel Leute befiehlt Monseigneur? – Ihr sagtet, mit vier Mann würdet Ihr Euch anheischig machen, hundert solche Lumpenkerle in die Flucht zu schlagen; da wir zweihundert begegnen könnten, so nehmt acht. – Wann beliebt es Eurer Eminenz? – Ich folge Euch sogleich; leuchte uns, Bernouin.