Eines der vierzig Fluchtmittel des Herrn von Beaufort

La Ramée erwartete am Pfingsttage die sechste Abendstunde mit ebensoviel Ungeduld, als der Prinz. Schon am Morgen beschäftigte er sich mit allen Einzelheiten, und da er sich in dieser Beziehung nur auf sich selbst verließ, so machte er dem Nachfolger des Vaters Marteau einen persönlichen Besuch. Dieser hatte sich selbst übertroffen, er zeigte ihm eine wahre Ungeheuerpastete, auf dem Deckel verziert mit dem Wappen des Herrn von Beaufort. Die Pastete war noch leer, aber neben ihr lagen ein Fasan und zwei Feldhühner, so niedlich gespickt, daß sie aussahen, wie Nadelkissen. Das Wasser lief La Ramée im Munde zusammen, und er kehrte, sich die Hände reibend, ins Zimmer des Herzogs zurück.

Um das Maß des Glückes voll zu machen, hatte Herr von Chavigny, wie wir erzählt haben, im vollen Vertrauen auf La Ramée, eine kleine Reise unternommen und sich auch bereits an demselben Morgen entfernt, wodurch La Ramée Untergouverneur des Schlosses geworden war.

Grimaud sah verdrießlicher als je aus.

Herr von Beaufort hatte am Morgen mit La Ramée eine Partie Ball gespielt, und Grimaud hatte ihm hierbei durch ein Zeichen zu verstehen gegeben, er möge auf alles acht geben.

Vorwärts marschierend bezeichnete Grimaud den Weg, den man am Abend verfolgen sollte. Der Ort, an dem das Ballspiel stattfand, hieß der innere Schloßhof. Es war ein ziemlich verlassener Platz, der nur in dem Augenblick, wo Herr von Beaufort seine Partie machte, mit Wachen besetzt wurde. Bei der Höhe der Mauer schien sogar diese Vorsichtsmaßregel überflüssig.

Man hatte drei Türen zu öffnen, ehe man zu diesem Hofe gelangte. Jede Türe wurde mit einem andern Schlüssel geöffnet, und La Ramée trug diese drei Schlüssel bei sich.

Als Grimaud in den Hof kam, setzte er sich wie zufällig in eine Schießscharte und ließ die Beine außen an der Mauer hinabhängen. Offenbar sollte hier die Strickleiter befestigt werden.

Dieses, für den Herzog von Beaufort leichtbegreifliche Manöver war natürlich für La Ramée nicht verständlich.

Die Partie begann. Diesmal war Herr von Beaufort im Zuge, und man hätte glauben sollen, er lege mit der Hand die Bälle dahin, wohin sie nach seinem Willen fallen sollten. La Ramée wurde gänzlich geschlagen.

Vier von den Wachen waren Herrn von Beaufort gefolgt und hoben die Bälle auf. Als das Spiel vorüber war, machte sich Herr von Beaufort über die Ungeschicklichkeit La Ramées lustig und bot ihm für die Wachen zwei Louisd’or an, um mit ihren vier andern Kameraden auf seine Gesundheit zu trinken.

Die Wachen baten um die Erlaubnis hierzu, und La Ramée erteilte sie ihnen auch, aber erst für den Abend. Bis dahin mußte sich La Ramée mit wichtigen Dingen beschäftigen. Da er Gänge zu machen hatte, so wünschte er, daß man während seiner Abwesenheit den Gefangenen nicht aus dem Gesichte verliere.

Endlich schlug es sechs Uhr; obgleich man sich erst um sieben Uhr zu Tische setzen sollte, so war das Abendessen doch schon bereit und aufgetragen. Auf einem Schenktisch stand die kolossale Pastete mit dem Wappen des Herzogs, und nach der goldenen Farbe der Kruste zu urteilen, schön gar gebacken. Die übrigen Bestandteile des Mahles standen ganz im Verhältnis zu der Pastete.

Alle waren ungeduldig: die Wachen wollten trinken gehen, La Ramée wollte sich zu Tische setzen, und Herr von Beaufort wollte entweichen.

Grimaud allein blieb immer gleich geduldig. Man hätte glauben sollen, Athos habe ihn nur in der Voraussicht dieses großen Ereignisses erzogen.

Es gab Augenblicke, wo der Herzog von Beaufort, wenn er ihn anschaute, sich fragte, ob er nicht träume, und ob dieses Marmorgesicht wirklich ihm zu Dienste sei und sich im gegebenen Moment beleben würde.

La Ramée entließ die Wachen, indem er ihnen noch anempfahl, auf die Gesundheit des Prinzen zu trinken. Sobald sie weggegangen waren, schloß er die Türen, steckte die Schlüssel in seine Tasche und deutete, gegen den Prinzen gewendet, mit einer Miene aus den Tisch, die sagen wollte: Wenn es Monseigneur gefällig wäre?

Der Prinz schaute Grimaud an. Grimaud schaute die Uhr an. Es war erst ein Viertel auf sieben Uhr, die Flucht war auf sieben Uhr bestimmt. Man hatte also noch drei Viertelstunden zu warten.

Um eine Viertelstunde Zeit zu gewinnen, schützte der Prinz eine Lektüre vor, die ihn sehr anspreche, und bat, das Kapitel vollenden zu dürfen. La Ramée näherte sich und schaute ihm über die Schultern, um zu sehen, was für ein Buch so anziehend für den Prinzen sei, daß es ihn abhielt, sich zu Tische zu setzen, wenn die Mahlzeit schon aufgetragen war.

Es waren die Kommentare Cäsars, die er selbst, gegen die Befehle Chavignys, dem Prinzen vor drei Tagen verschafft hatte.

La Ramée gelobte sich, nie mehr der Gefängnisordnung zuwiderzuhandeln.

Mittlerweile öffnete er die Flaschen und roch an der Pastete.

Um halb sieben Uhr erhob sich der Prinz und sagte mit großem Ernste:

Cäsar war entschieden der größte Mann des Altertums. – Ihr findet dies, Monseigneur? sprach La Ramée. – Ja. – Nun wohl, und ich, versetzte La Ramée, ich ziehe Hannibal vor. – Und warum dies, Meister La Ramée? fragte der Herzog. – Weil er keine Kommentare hinterlassen hat, erwiderte La Ramée mit einem schweren Seufzer.

Der Herzog begriff die Anspielung, setzte sich zu Tische und bedeutete La Ramée, er möge ihm gegenüber Platz nehmen.

Der Gefreite ließ sich dies nicht zweimal sagen.

Es gibt kein so ausdrucksvolles Gesicht, wie das eines Gourmands, der sich vor einer guten Tafel befindet. Als La Ramée aus den Händen Grimauds seinen Suppenteller empfing, malte sich auf seinem Gesicht das Gefühl vollkommener Glückseligkeit. Der Herzog schaute ihn lächelnd an.

Ventre-saint-gris! La Ramse! rief er; wißt Ihr, daß ich, wenn man mir sagte, es gebe in diesem Frankreich einen glücklicheren Menschen, als Ihr, es nicht glauben würde?

Und meiner Treu‘! Ihr hättet recht, Monseigneur, sprach La Ramée; ich gestehe, daß ich Hunger habe. Ich kenne keinen lieblicheren Anblick, als eine wohlbestellte Tafel, und wenn Ihr beifügt, fuhr La Ramée fort, daß der, welcher die Honneurs dieser Tafel macht, der Enkel Heinrichs des Großen ist, so werdet Ihr begreifen, Monseigneur, daß die Ehre, die einem zu teil wird, das Vergnügen, das man genießt, verdoppelt.

Der Prinz verbeugte sich, und ein unmerkliches Lächeln erschien auf dem Antlitz Grimauds, der hinter La Ramée stand.

Mein lieber La Ramée, sprach der Herzog, in der Tat, nur Ihr versteht es, ein Kompliment zu drehen. – Nein, Monseigneur, erwiderte La Ramée aus übervollem, ehrlichem Herzen, nein, ich spreche wahrhaftig bloß, was ich denke. Es liegt kein Kompliment in dem, was ich Euch hier sage. – Also seid Ihr mir zugetan? fragte der Prinz. – Das heißt, erwiderte La Ramée, ich wäre untröstlich, wenn Eure Hoheit Vincennes verließe. – Eine sonderbare Manier, Eure Zuneigung kundzugeben. – Aber, Monseigneur, entgegnete La Ramée, was würdet Ihr außen machen? Irgend eine Tollheit, durch die Ihr Euch mit dem Hofe überwerfen würdet, brächte Euch in die Bastille, statt nach Vincennes. Herr von Chavigny ist, ich gebe es zu, nicht liebenswürdig, fuhr La Ramée, ein Glas Madeira schlürfend, fort? aber Herr du Tremblay ist noch viel schlimmer. – In der Tat? sprach der Herzog, der sich über die Wendung belustigte, die das Gespräch nahm, und von Zeit zu Zeit auf die Pendeluhr schaute, deren Zeiger mit verzweiflungsvoller Langsamkeit vorrückte. – Was wollt Ihr von dem Bruder eines in der Schule des Kardinals von Richelieu gefütterten Kapuziners mehr erwarten? Ah, Monseigneur, es ist ein großes Glück, daß die Königin, die Euch stets wohlwollte, wie ich wenigstens sagen hörte, die Idee hatte, Euch hierher zu schicken, wo es einen schönen Spaziergang, Ballspiel, gute Tafel, gute Lust gibt. – In der Tat, sprach der Herzog, wenn man Euch hört, La Ramée, bin ich sehr undankbar, daß ich einen Augenblick den Gedanken gehabt habe, mich von hier zu entfernen. – O! Monseigneur, das ist der höchste Grad von Undankbarkeit, versetzte La Ramée; aber Eure Hoheit hat wohl nie im Ernste daran gedacht. – Allerdings, sprach der Herzog, und ich muß Euch gestehen, es ist vielleicht eine Torheit, ich leugne es nicht, aber ich denke von Zeit zu Zeit noch daran. – Immer durch eines von Euren vierzig Mitteln, Monseigneur? – Gewiß, versetzte der Herzog. – Monseigneur, sagte La Ramée, da wir unsere Herzen gerade so erschließen, so nennt mir doch eines von den vierzig Mitteln, die Eure Hoheit ersonnen hat. – Gern, sprach der Herzog. Grimaud, gebt mir die Pastete. – Ich höre, sagte La Ramée, lehnte sich in seinem Stuhl zurück, hob sein Glas in die Höhe und blinzelte mit dem Auge, um die untergehende Sonne durch den flüssigen Rubin zu sehen, den es enthielt.

Der Herzog warf einen Blick auf die Pendeluhr. Noch zehn Minuten, und es schlug sieben Uhr.

Grimaud stellte die Pastete vor den Prinzen, der sein Messer mit der silbernen Klinge nahm, um den Deckel abzuheben. Aber La Ramée reichte, voll Besorgnis, es könnte dem schönen Stück ein Unheil widerfahren, dem Herzog sein eigenes Messer, das eine eiserne Klinge hatte.

Ich danke, La Ramée, sprach der Herzog und griff nach dem Messer.

Nun, Monseigneur, sagte der Wächter, das ausgezeichnete Mittel?

Soll ich es Euch nennen? versetzte der Herzog, dasjenige, auf das ich am meisten rechnete, das Mittel, das ich zuerst anzuwenden entschlossen war?

Ja, gerade dieses, antwortete La Ramée.

Gut, sprach der Herzog, mit einer Hand die Pastete aufhebend und mit der andern mittelst seines Messers Kreise beschreibend. Ich hoffte vor allem zum Wächter einen braven Burschen zu haben, wie Ihr seid, Herr La Ramée.

Schön, sagte La Ramée, Ihr habt ihn, Monseigneur. Hernach?

Und ich freue mich darüber.

La Ramée verbeugte sich.

Ich sagte mir, fuhr der Prinz fort, habe ich einmal in meiner Nähe einen braven Burschen, wie La Ramée, so werde ich danach trachten, ihm durch einen Freund von mir, von dem er nicht weiß, daß ich in Verbindung mit ihm stehe, einen Menschen empfehlen zu lassen, der mir ergeben ist, und mit dem ich mich über die Vorkehrungen zu meiner Flucht verständigen kann.

Gut, gut, sagte La Ramée, gar nicht übel ersonnen.

Nicht wahr? versetzte der Prinz, zum Beispiel den Diener irgend eines braven Edelmannes, eines Feindes von Mazarin.

Still, Monseigneur, sprechen wir nicht über Politik.

Habe ich diesen Menschen bei mir, fuhr der Herzog fort, und er ist geschickt und weiß meinem Wächter Vertrauen einzuflößen, so wird dieser sich auf ihn verlassen, und ich erhalte Nachricht von außen.

Ah ja, aber wie dies, Nachricht von außen? fragte La Ramée.

O! nichts leichter, antwortete der Herzog von Beaufort, bei einer Ballpartie zum Beispiel.

Beim Ballspiel! rief La Ramée, der mit der größten Aufmerksamkeit dem Herzog zuzuhören anfing.

Ja, hört. Ich schleudere einen Ball in den Graben; es ist ein Mensch da, der ihn aufhebt. Der Ball enthält einen Brief. Statt den Ball zurückzuwerfen, um den ich ihn gebeten habe, wirft er mir einen andern zurück. Dieser Ball enthält auch einen Brief. Auf diese Art tauschen wir unsere Gedanken aus, und niemand hat etwas davon gesehen.

Teufel! Teufel! sagte La Ramée, sich hinter den Ohren kratzend, Ihr tut wohl daran, es mir zu sagen. Ich werde die Ballaufheber überwachen.

Der Herzog lächelte.

Aber, fuhr La Ramée fort, das ist am Ende doch nur ein Mittel, zu korrespondieren. – Mir scheint, das ist schon viel. – Doch noch nicht genug. – Ich bitte um Vergebung. Zum Beispiel, ich schreibe meinen Freunden: Findet Euch an dem und dem Tag, zu der und der Stunde mit zwei Reitpferden jenseits des Grabens ein. – Nun, und hernach, sagte La Ramée mit einer gewissen Unruhe, wenn diese Pferde nicht Flügel haben, um den Wall zu ersteigen und Euch abzuholen? – Ei mein Gott, erwiderte der Prinz in nachlässigem Tone, es ist nicht nötig, daß die Pferde Flügel haben, um den Wall zu ersteigen, es genügt, daß ich ein Mittel habe, um hinabzukommen. – Welches? – Eine Strickleiter. – Jawohl, versetzte La Ramée und suchte zu lachen; aber eine Strickleiter kann man nicht wie einen Brief in einem Balle schicken. – Nein, aber man schickt sie in etwas anderem. – In etwas anderem? In was denn? – In einer Pastete zum Beispiel. – In einer Pastete? – Ja; denkt Euch einmal, mein Haushofmeister Noirmont habe den Laden des Vaters Marteau gekauft. – Und dann? fragte La Ramée schaudernd. – La Ramée, ein Gourmand, erblickt seine Pasteten, findet, daß sie besser aussehen, als die seiner Vorgänger, und erbietet sich, mich davon kosten zu lassen. Ich nehme es an, unter der Bedingung, daß La Ramée mit mir davon kostet. Zu größerer Bequemlichkeit entfernt La Ramée die Wachen und behält nur Grimaud, um uns zu bedienen. Grimaud ist der Mann, den mir einer meiner Freunde gegeben hat, der treue Diener, mit dem ich mich verständige, bereit, mich in jeder Beziehung zu unterstützen. Als Augenblick meiner Flucht ist sieben Uhr bezeichnet. Einige Minuten vor sieben Uhr … – Einige Minuten vor sieben Uhr? versetzte La Ramée, dem der Schweiß auf der Stirne zu perlen anfing. – Einige Minuten vor sieben Uhr, antwortete der Herzog, die Tat mit dem Worte verbindend, nehme ich den Deckel von der Pastete ab. Ich finde darin zwei Dolche, eine Strickleiter und einen Knebel. Ich setze einen der Dolche La Ramée auf die Brust und sage zu ihm: Mein Freund, es tut mir unendlich leid, aber wenn du nur eine Gebärde wagst, wenn du den geringsten Schrei ausstößt, bist du verloren.

Der Herzog hatte, wie gesagt, seinen Worten unmittelbar die Tat folgen lassen. Er stand bei La Ramse und hielt ihm die Spitze seines Dolches mit einem Ausdruck auf die Brust, der keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit übrig ließ.

Währenddessen zog der allezeit schweigsame Grimaud aus der Pastete einen zweiten Dolch, die Strickleiter und die Maulbirne hervor.

La Ramée folgte jedem dieser Gegenstände mit wachsendem Schrecken.

O, Monseigneur! rief er und schaute den Herzog mit einem erstaunten Entsetzen an, das diesen unter allen andern Verhältnissen hätte laut auflachen lassen, Ihr seid nicht der Mann, mich zu töten. – Nein, wenn du dich nicht meiner Flucht widersetzt. – Aber Monseigneur, wenn ich Euch fliehen lasse, bin ich verloren. – Ich zahle dir den Preis deiner Stelle zurück. – Ihr seid fest entschlossen, den Turm zu verlassen? – Bei Gott! – Alles, was ich Euch zu sagen vermag, ist nicht im stände, eine Änderung in Eurem Entschluß herbeizuführen? – Ich will noch diesen Abend frei sein. – Und wenn ich mich verteidige, wenn ich rufe, wenn ich schreie? – So töte ich dich, so wahr ich ein Edelmann bin. In diesem Augenblick schlug die Uhr.

Sieben Uhr! sagte Grimaud, der noch kein Wort gesprochen hatte.

Sieben Uhr! rief der Herzog, du siehst, ich bin noch zurück.

La Ramée machte eine Bewegung, die sein Gewissen beschwichtigen sollte.

Der Herzog runzelte die Stirne, und der Gefreite fühlte, daß die Klinge des Dolches, die seine Kleider durchdrungen hatte, nun auch seine Brust durchdringen wollte.

Gut, Monseigneur, sagte er, das genügt, ich werde mich nicht rühren. – Beeilen wir uns, sprach der Herzog. – Monseigneur, eine letzte Gnade. – Welche? Sprich geschwind! – Bindet mich gut, Monseigneur. – Warum dich binden? Damit man mich nicht für Euern Schuldgenossen hält. – Die Hände, sagte Grimaud. – Nicht von vorn, von hinten. – Aber womit? sagte der Herzog. – Mit Eurem Gürtel, Monseigneur, versetzte La Ramée.

Der Herzog machte seinen Gürtel los und gab ihn Grimaud, der La Ramée auf die gewünschte Weise die Hände band.

Die Füße, sprach Grimaud.

La Ramée streckte die Beine aus. Grimaud nahm eine Serviette, zerriß sie in Streifen und band La Ramée.

Nun meinen Degen, sprach La Ramée, bindet den Griff.

Der Herzog riß seinen Hosenträger ab und erfüllte das Verlangen seines Wärters.

Jetzt die Maulbirne, sprach der arme La Ramée; ich verlange sie, denn man würde mir sonst den Prozeß machen, weil ich nicht geschrieen habe. Drückt sie hinein, Monseigneur, drückt sie hinein!

Grimaud schickte sich an, den Wunsch des Gefreiten zu erfüllen, welcher durch eine Bewegung andeutete, er habe noch etwas zu sagen.

Sprecht, rief der Herzog.

Monseigneur, antwortete La Ramée, wenn mir Euretwegen ein Unglück widerfährt, so vergeßt nicht, daß ich eine Frau und vier Kinder habe.

Sei ruhig. Stopf zu, Grimaud!

In einer Minute war La Ramée geknebelt und auf den Boden gelegt. Einige Stühle wurden umgeworfen, als hätte ein Kampf stattgefunden. Grimaud nahm aus den Taschen des Gefreiten alle Schlüssel, welche sie enthielten, öffnete zuerst die Türe des Zimmers, verschloß sie dann wieder doppelt, als sie hinausgegangen waren, und beide schlugen den Weg nach der Galerie ein, die in den kleinen Hof führte. Die drei Türen wurden hintereinander mit einer Behendigkeit geöffnet und geschlossen, die Grimaud alle Ehre machte. Endlich gelangte man auf den Ballspielplatz; er war völlig verlassen, keine Wachen, niemand am Fenster.

Der Herzog lief nach dem Walle und erblickte jenseits des Grabens drei Reiter mit zwei Handpferden. Er wechselte ein Zeichen mit ihnen: sie waren also seinetwegen da.

Inzwischen band Grimaud die Strickleiter an.

Vorwärts, sprach der Herzog.

Ich zuerst, Monseigneur? fragte Grimaud.

Allerdings, antwortete der Herzog. Wenn man mich erwischt, so wage ich nicht mehr, als das Gefängnis. Erwischt man dich, so wirst du gehenkt.

Das ist richtig, sagte Grimaud und fing sogleich das gefahrvolle Hinabsteigen an. Der Herzog sah ihm mit unwillkürlicher Bangigkeit nach; er hatte bereits drei Vierteile der Mauer hinter sich, als plötzlich der Strick zerriß … Grimaud stürzte in den Graben.

Der Herzog stieß einen Schrei aus; aber Grimaud ließ keinen Seufzer vernehmen, und dennoch mußte er schwer verwundet sein, denn er blieb auf der Stelle liegen, auf die er gefallen war.

Sogleich glitt einer der Männer, die jenseits warteten, in den Graben herab, band unter den Schultern Grimauds das Ende eines Strickes an, und die zwei andern, welche das entgegengesetzte Ende hielten, zogen Grimaud zu sich hinauf.

Steigt herab, Monseigneur! rief der Mensch, der im Graben war. Die Entfernung beträgt nicht über fünfzehn Fuß, und der Rasen ist weich.

Der Herzog war bereits am Werke. Er hatte eine schwierige Arbeit, denn durch den Bruch waren die Stützpunkte teilweise verloren gegangen; er konnte nur mit Hilfe seiner Faustgelenke herabkommen, und dies aus einer Höhe von mehr als fünfzig Fuß. Aber der Prinz war, wie gesagt, geschickt, kräftig und kaltblütig; in weniger als fünf Minuten befand er sich am Ende des Strickes. Er ließ los und fiel auf seine Füße, ohne sich zu beschädigen.

Sogleich stieg er die Böschung des Grabens hinan, auf dessen Höhe er Rochefort fand; die zwei andern Edelleute waren ihm unbekannt. Den ohnmächtigen Grimaud hatte man bereits auf ein Pferd gebunden.

Meine Herren, sprach der Prinz, ich werde Euch später danken, aber jetzt ist kein Augenblick zu verlieren. Vorwärts also, vorwärts, wer mich liebt, folge mir!

Und er schwang sich auf ein Pferd, ritt im gestreckten Galopp von dannen, atmete mit voller Brust und rief mit einem Ausdruck unbeschreiblicher Freude: Frei… frei!… frei…

D’Artagnan kommt gerade zur rechten Zeit

D’Artagnan nahm in Blois die Summe in Empfang, die Mazarin, in dem Verlangen, ihn wieder bei sich zu sehen, ihm für seine zukünftigen Dienste zu geben sich entschlossen hatte.

Von Blois nach Paris waren es vier Tagereisen für einen gewöhnlichen Reiter. D’Artagnan langte um vier Uhr nachmittags am dritten Tage vor der Barrière Saint-Denis an. In früheren Zeiten hätte er nur zwei gebraucht. Wir haben bereits gesehen, daß Athos drei Stunden nach ihm abgereist, aber vierundzwanzig Stunden vor ihm angekommen war.

Planchet hatte die Gewohnheit scharfer Ritte verloren, d’Artagnan machte ihm seine Weichlichkeit zum Vorwurf.

Ei, Herr, vierzig Meilen in drei Tagen, ich finde, das ist sehr anständig für einen Menschen, der mit gerösteten Mandeln handelt.

Bist du wirklich Kaufmann geworden, Planchet, und gedenkst du im Ernste, jetzt, da wir uns wiedergefunden haben, in deinem Laden fortzuvegetieren?

Ach, versetzte Planchet, Ihr allein seid für ein tätiges Leben geschaffen. Seht Herrn Athos an; wer würde in ihm den abenteuerlichen Rittersmann wiedererkennen? Er lebt jetzt als wahrer Landedelmann, als wahrer Herrenbauer. Gnädiger Herr, es gibt in der Tat nichts Wünschenswerteres, als ein ruhiges Dasein.

Heuchler, sprach d’Artagnan, man sieht wohl, daß du dich Paris näherst, und daß es in Paris für dich einen Galgen und einen Strick gibt.

Als sie jetzt in Paris einritten, drückte Planchet seinen Hut ins Gesicht, da er durch Straßen ziehen sollte, wo er sehr bekannt war, und d’Artagnan strich seinen Bart in die Höhe.

Sie bogen in die Rue Tiquetonne, wo Porthos in der Rehziege des Freundes harren sollte. Der Herr von Bracienx, der gelangweilt zum Fenster hinausschaute, bemerkte auch die beiden Reiter sofort und stand augenblicks auf der Schwelle des Gasthauses.

Ah, mein Freund, sagte er, wie schlecht haben’s meine Pferde hier!

In der Tat! versetzte d’Artagnan, es tut mir unendlich leid um diese schönen Tiere.

Und ich auch, sprach Porthos, ich habe es auch schlecht hier, und wäre nicht die Wirtin, fuhr er, sich mit seiner selbstzufriedenen Miene auf den Beinen wiegend, fort, die ziemlich zuvorkommend ist und einen Spaß versteht, so würde ich anderswo ein Lager gesucht haben.

Die schöne Madeleine, die sich während dieses Gespräches genähert hatte, machte einen Schritt rückwärts und wurde bleich wie der Tod, als sie Porthos‘ Worte hörte. Sie glaubte, die Scene mit dem Schweizer würde sich wiederholen; aber zu ihrem großen Erstaunen änderte d’Artagnan keine Miene und sagte, statt sich zu ärgern, lachend zu Porthos:

Ja, ich begreife, lieber Freund, die Luft der Rue Tiquetonne ist nicht so gut wie die im Tale von Pierrefonds. Aber beruhigt Euch, Ihr sollt eine bessere bekommen. – Wann dies? – Meiner Treu bald, hoffe ich. – Ah, desto besser!

Mein lieber Du Vallon, da Ihr in voller Kleidung seid, so führe ich Euch auf der Stelle zum Kardinal. – Bah! wirklich? fragte Porthos, die Augen weit aufreißend. – Ja, mein Freund. – Eine Vorstellung? – Erschreckt Euch das? – Nein, aber es bringt mich in Verwirrung. – O! seid unbesorgt, Ihr habt es nicht mehr mit dem früheren Kardinal zu tun, und dieser wird Euch nicht durch seine Majestät niederschmettern. – Gleichviel, Ihr begreift, d’Artagnan, der Hof! – Ei, mein Freund, es gibt keinen Hof mehr. – Die Königin! – Ich wollte sagen, es gibt keine Königin mehr. Die Königin? Beruhigt Euch, wir werden sie nicht sehen. – Und Ihr sagt, wir gehen auf der Stelle ins Palais Royal? – Auf der Stelle. Nur werde ich, um nicht zögern zu müssen, eines von Euern Pferden entlehnen. – Nach Belieben, sie stehen Euch alle vier zu Diensten. – Ah, ich bedarf in diesem Augenblick nur eines. – Nehmen wir unsere Bedienten nicht mit? – Ja, nehmt Mousqueton, das wird nicht übel sein. Planchet hat seine Gründe, nicht an den Hof zu gehen. – Mouston, sprach Porthos – seit der Erhöhung Porthos‘ zum Großgrundbesitzer, die diesen veranlaßt hatte, seinen Namen ungewöhnlich zu verlängern. hatte Mousqueton den seinen durch Kürze verfeinert – sattelt Vulkan und Bayard!

Ihr habt recht, fuhr Porthos fort, der mit Wohlgefallen seinem alten Diener nachschaute; Ihr habt recht, d’Artagnan, Mouston genügt, Mouston sieht hübsch aus.

D’Artagnan lächelte.

Und Ihr? sagte Porthos, kleidet Ihr Euch nicht um? –

Nein, ich bleibe, wie ich bin. – Aber Ihr seid mit Schweiß und Staub überzogen, und Eure Stiefel sind ganz schmutzig. – Dieses Reisenegligé wird zum Beweis für den Eifer dienen, mit dem ich dem Befehle des Kardinals Folge leistete.

In diesem Augenblick kam Mousqueton mit den drei Pferden zurück. D’Artagnan schwang sich in den Sattel, als ob er seit drei Tagen ausgeruht hätte.

Sie entfernten sich rasch und gelangten gegen ein Viertel auf acht Uhr zu dem Palais-Kardinal. Eine Menge von Menschen trieb sich in den Straßen umher, denn es war gerade das Pfingstfest. Und diese Menge sah mit Erstaunen die zwei Kavaliere vorüberziehen, von denen der eine so frisch aussah, als käme er aus einer Kleiderhandlung, und der andere so bestaubt, als kehre er unmittelbar vom Schlachtfeld zurück. Mousqueton zog ebenfalls die Blicke der Müßiggänger auf sich, und da der Roman Don Quixote damals sehr viel gelesen wurde, so sagten einige, er sei Sancho Pansa, der, nachdem er einen Herrn verloren, zwei gefunden habe.

Als sie in das Vorzimmer gelangten, fand sich d’Artagnan wieder im bekannten Lande. Musketiere von seiner Kompagnie hielten gerade Wache. Er ließ den Huissier rufen und zeigte ihm den Brief des Kardinals, der ihm einschärfte, unverzüglich zurückzukehren. Der Huissier verbeugte sich und trat bei Seiner Eminenz ein.

D’Artagnan wandte sich gegen Porthos um und glaubte ein leichtes Zittern an ihm wahrzunehmen. Er lächelte, näherte sich seinem Ohr und sagte zu ihm:

Guten Mut, mein braver Freund, laßt Euch nicht einschüchtern; glaubt mir, das Auge des Adlers ist geschossen, und wir haben es nur mit einem einfachen Reiher zu tun. Haltet Euch aufrecht, wie damals in der Bastei Saint-Gervais, und verbeugt Euch nicht zu tief vor diesem Italiener; das würde ihm einen armseligen Begriff von Euch geben.

Gut, gut, antwortete Porthos.

Der Huissier erschien wieder und sagte: Tretet ein, meine Herren, seine Eminenz erwartet Euch.

Mazarin war dabei, so viele Namen als immer möglich von einer Pensions- und Unterstützungsliste zu streichen. Er sah aus einem Winkel seines Auges d’Artagnan und Porthos eintreten, und obgleich sein Blick bei der Meldung des Huissiers gefunkelt hatte, so schien er doch nicht im geringsten bewegt.

Ah, Ihr seid es, mein Herr Leutnant? sagte er. Ihr habt Euch beeilt; gut, seid willkommen.

Ich danke, Monseigneur. Ich bin hier auf Befehl Eurer Eminenz, und ebenso Herr Du Ballon, einer von meinen ehemaligen Freunden, der seinen Adel unter dem Namen Porthos verbarg.

Porthos verbeugte sich vor dem Kardinal.

Ein herrlicher Kavalier, sprach Mazarin.

Porthos drehte den Kopf rechts und links und machte Schulterbewegungen voll Würde.

Der beste Degen des Königreichs, Monseigneur, sprach d’Artagnan. Dies wissen viele Leute, die es nicht sagen und nicht sagen können.

Porthos verbeugte sich vor d’Artagnan.

Mazarin liebte die schönen Soldaten beinahe ebensosehr, wie später der König Friedrich von Preußen. Er bewunderte die nervigen Hände, die breiten Schultern und das feste Auge von Porthos. Es kam ihm vor, als hätte er das Heil seines Ministeriums und des Königreichs aus Fleisch und Knochen geschnitten vor sich.

Und Eure zwei anderen Freunde? sagte er.

Porthos öffnete den Mund, denn er glaubte, es sei für ihn jetzt Zeit, auch ein Wort anzubringen. D’Artagnan machte ihm aus dem Augenwinkel ein Zeichen.

Unsere anderen Freunde sind in diesem Augenblick verhindert, sie werden später mit uns zusammentreffen.

Mazarin hustete leicht.

Und dieser Herr ist wohl freier als sie und tritt gerne wieder in den Dienst? fragte Mazarin. – Ja, Monseigneur, und zwar aus reiner Ergebenheit, denn Herr de Bracieux ist reich. – Reich? sagte Mazarin, dem dieses einzige Wort stets große Achtung einflößte. – Fünfzigtausend Livres Renten, sagte Porthos.

Dies war das erste Wort, das er aussprach.

Aus reiner Ergebenheit, versetzte Mazarin mit seinem feinen Lächeln, aus reiner Ergebenheit? – Monseigneur glaubt vielleicht nicht recht an dieses Wort? fragte d’Artagnan. – Und Ihr, Herr Gascogner? sagt Mazarin, seine Ellenbogen auf seinen Schreibtisch und sein Kinn aus seine zwei Hände stützend. – Ich, erwiderte d’Artagnan, glaube an die Ergebenheit, wie z. B. an einen Taufnamen, auf den natürlich ein irdischer Name folgen muß. Es gibt ja mehr oder minder ergebene Naturen; aber am Ende jeder Ergebenheit muß immer irgend etwas sein. – Und Euer Freund, was würde er am Ende seiner Ergebenheit wünschen? – Monseigneur, mein Freund hat drei herrliche Güter. Er wünschte nun, Monseigneur, daß eines von diesen drei Gütern zu einer Baronie erhoben würde. – Weiter nichts? sagte Mazarin, dessen Augen vor Freude glänzten, als er sah, daß er Porthos‘ Ergebenheit belohnen konnte, ohne die Börse zu öffnen. Weiter nichts? Die Sache wird sich machen lassen. – Ich werde Baron! rief Porthos und tat einen Schritt vorwärts. – Ich habe es Euch gesagt, versetzte d’Artagnan, indem er ihn bei der Hand zurückhielt, und Monseigneur wiederholt es Euch. – Und Ihr, Herr d’Artagnan, was wünscht Ihr? – Monseigneur, sprach d’Artagnan, im September sind es zwanzig Jahre, daß mich der Herr Kardinal von Richelieu zum Leutnant bei den Musketieren gemacht hat. – Und Ihr wollt, daß Euch der Kardinal Mazarin zum Kapitän mache?

D’Artagnan verbeugte sich.

Nun wohl, dies ist nicht unmöglich. Man wird sehen, meine Herren, man wird sehen. Sagt nun, Herr Du Ballon, sprach Mazarin, welchen Dienst zieht Ihr vor? den in der Stadt? den im Felde?

Porthos öffnete den Mund, um zu antworten.

Monseigneur, sagte d’Artagnan, Herr Du Ballon ist wie ich, er liebt den außerordentlichen Dienst, d. h. die Unternehmungen, welche man für tollkühn und unmöglich hält.

Diese Gasconnade mißfiel Mazarin nicht.

Ich muß aber gestehen, ich habe Euch kommen lassen, um Euch einen sitzenden Posten zu geben. Ich hege eine gewisse Unruhe. Aber was ist das? sprach Mazarin.

Man vernahm in der Tat einen gewaltigen Lärm im Vorzimmer; beinahe zu gleicher Zeit öffnete sich die Türe des Kabinetts, und ein mit Staub bedeckter Mann stürzte herein und schrie:

Herr Kardinal! Wo ist der Herr Kardinal?

Mazarin glaubte, man wolle ihn ermorden, und mich, seinen Stuhl vor sich schiebend, zurück. D’Artagnan und Porthos machten eine schnelle Bewegung, die sie zwischen den Eindringling und den Kardinal brachte.

Ei, mein Herr, sagte der Kardinal, was gibt es denn, daß Ihr hier eintretet, wie in die Hallen?

Monseigneur, erwiderte der Offizier, an welchen dieser Vorwurf gerichtet war, ich wünschte Euch sogleich und insgeheim zu sprechen. Ich bin Herr de Poms, Offizier bei den Wachen im Dienste des Gefängnisses von Vincennes.

Der Offizier war so bleich, so entstellt, daß Mazarin, überzeugt, den Überbringer einer wichtigen Nachricht vor sich zu sehen, d’Artagnan und Porthos durch ein Zeichen bedeutete, sie sollten dem Boten Platz machen.

D’Artagnan und Porthos zogen sich in einen Winkel des Kabinetts zurück.

Sprecht, mein Herr, sprecht geschwind, sagte Mazarin, was gibt es? – Monseigneur, antwortete der Bote, Herr von Beaufort ist soeben aus dem Schlosse Vincennes entwichen.

Mazarin stieß einen Schrei aus und wurde noch bleicher, als der Überbringer der Nachricht. Er fiel wie vernichtet in seinen Lehnstuhl zurück.

Entwichen! sagte er, Herr von Beaufort entwichen? – Monseigneur, ich habe ihn von der Terrasse herab entfliehen sehen. – Und Ihr habt nicht auf ihn schießen lassen? – Er war außerhalb der Schußweite. – Aber was tat Herr von Chavigny? – Er war abwesend. – Und La Ramée? – Man fand ihn gebunden im Zimmer des Gefangenen, einen Knebel in seinem Munde und einen Dolch neben ihm. – Aber der Mensch, den er sich beigegeben hatte? – Er war ein Genosse des Herzogs und entsprang mit ihm.

Mazarin stieß einen Seufzer aus.

Monseigneur, sagte d’Artagnan und machte einen Schritt gegen den Kardinal. – Was? fragte Mazarin. – Es scheint mir, Eure Eminenz verliert eine kostbare Zeit. – Wieso? – Wenn Eure Eminenz Befehl erteilte, dem Gefangenen nachzusetzen, so könnte man ihn vielleicht noch einholen. Frankreich ist groß und die nächste Grenze sechzig Meilen entfernt. – Und wer wird ihm nachsetzen? rief Mazarin. – Ich, bei Gott! – Und Ihr würdet ihn festnehmen? – Warum nicht? – Ihr würdet den Herzog im Felde bewaffnet festnehmen? – Wenn Monseigneur mir Befehl erteilte, den Teufel zu verhaften, so faßte ich ihn bei den Hörnern und führte ihn hierher. – Ich auch, sprach Porthos. – Ihr auch? versetzte Mazarin und schaute die zwei Männer voll Anstaunen an. Aber der Herzog wird sich nicht ohne blutigen Kampf ergeben? – Es sei! rief d’Artagnan, dessen Augen sich entflammten. Zur Schlacht! Wir haben uns seit langer Zeit nicht mehr geschlagen? nicht wahr. Porthos? – Zum Kampfe! sprach Porthos. – Und Ihr glaubt, Ihr könnt ihn wieder einholen? – Ja, wenn wir besser beritten sind, als er. – Dann nehmt, was Ihr von Wachen hier findet, und eilt ihm nach. – Ihr befehlt es, Monseigneur? – Ich unterzeichne, sprach Mazarin, nahm ein Papier und schrieb einige Zeilen. – Fügt bei, Monseigneur, daß wir alle Pferde nehmen können, die wir auf dem Wege treffen. – Ja, ja, sagte Mazarin, Dienst des Königs. Nehmt und eilt! – Gut, Monseigneur. – Herr Du Vallon, fügte Mazarin bei, Eure Baronie sitzt hinter dem Herzog von Beaufort auf dem Rosse; Ihr braucht ihn nur zu fassen. Was Euch betrifft, mein lieber d’Artagnan, Euch verspreche ich nichts, aber wenn Ihr ihn tot oder lebendig zurückbringt, so mögt Ihr fordern, was Ihr haben wollt. – Zu Pferde, Porthos! rief d’Artagnan und faßte seinen Freund bei der Hand. – Hier, antwortete Porthos mit erhabener Kaltblütigkeit.

Und sie stiegen die große Treppe hinab, nahmen die Wachen mit, die sie auf ihrem Wege fanden, es waren etwa zehn Mann, und riefen: Zu Pferd! Zu Pferd!

D’Artagnan und Porthos schwangen sich, der eine auf Vulcan, der andere auf Bayard, Mousqueton setzte sich auf Phöbus.

Folgt mir, rief d’Artagnan.

Marsch, sprach Porthos.

Und sie stießen die Sporen in die Flanken ihrer edlen Renner, und diese flogen wie der Sturmwind durch die Rue Saint-Honors.

Nun, Herr Baron, ich hatte Euch Leibesübung versprochen, Ihr seht, daß ich Wort halte.

Ja, mein Kapitän, antwortete Porthos.

Sie wandten sich um; Mousqueton hielt sich, mehr schwitzend als sein Pferd, in schuldiger Entfernung. Hinter Mousqueton galoppierten die zehn Garden. Erstaunt traten die Bewohner der anliegenden Häuser auf die Türschwellen, und aufgejagte Hunde folgten bellend den Reitern.

An der Ecke des Saint-Jean-Kirchhofes warf d’Artagnan einen Mann nieder, aber es war dies ein zu geringfügiges Ereignis, um Leute, die so große Eile hatten, aufzuhalten. Die galoppierende Truppe setzte ihren Weg fort, als hätten ihre Pferde Flügel.

Ach! nichts auf der Welt ist geringfügig, und wir werden sehen, daß durch diesen scheinbar nichtsbedeutenden Unfall beinahe die Monarchie verloren gegangen wäre.

Die lange Straße

Sie ritten in gleicher Eile durch das ganze Faubourg Saint-Antoine und den Weg nach Vincennes entlang. Bald befanden sie sich außerhalb der Stadt, bald im Walde, bald im Angesichte des Dorfes.

Die Pferde schienen sich bei jedem Schritt immer mehr zu beleben, und ihre Nüstern fingen an, rot zu werden, wie glühende Öfen. D’Artagnan, der seinem Pferd beständig die Sporen eindrückte, war höchstens zwei Fuß vor Porthos voraus. Mousqueton folgte auf zwei Pferdelängen, die Garden ritten in einer Entfernung je nach der Tüchtigkeit ihrer Tiere.

Von einer Anhöhe herab erblickte d’Artagnan eine Gruppe von Personen, die auf der andern Seite des Grabens standen, vor dem Teile des Turmes, der eine Aussicht nach Saint-Maur bot. Er sagte sich, daß der Gefangene in dieser Richtung entflohen sei, und daß er hier Auskunft erhalten würde. In fünf Minuten gelangte er zu diesem Punkte, wo ihn nach und nach die Garden wieder einholten.

Die Menschen, welche die erwähnte Gruppe bildeten, waren sehr geschäftig. Sie betrachteten die nahe an der Schießscharte hängende und zwanzig Fuß vom Boden abgebrochene Strickleiter; sie maßen mit ihren Augen die Höhe und tauschten allerlei Vermutungen aus. Oben auf dem Walle gingen Wachen mit bestürzter Miene auf und ab.

Ein Posten von Soldaten, von einem Sergeanten befehligt, entfernte die Bürger von der Stelle, wo der Herzog zu Pferde gestiegen war.

D’Artagnan ritt gerade auf den Sergeanten zu.

Mein Offizier, sprach der Sergeant, man darf sich nicht hier aufhalten. – Dieser Befehl ist nicht für mich, erwiderte d’Artagnan. Hat man die Flüchtlinge verfolgt? – Ja, mein Offizier; aber leider sind sie gut beritten. – Wie viele sind es? – Vier Gesunde und ein Fünfter, den sie verwundet mitgenommen haben. – Vier! sprach d’Artagnan und schaute dabei Porthos an. Hört Ihr, Baron, es sind ihrer nur vier.

Ein freundliches Lächeln erleuchtete Porthos‘ Antlitz.

Und wieviel haben sie Vorsprung? – Zwei und eine Viertelstunde, mein Offizier. – Zwei und eine Viertelstunde? das ist nichts. Wir sind gut beritten, nicht wahr. Porthos?

Porthos stieß einen Seufzer aus; er dachte an das, was seiner armen Pferde harrte.

Sehr gut, sagte d’Artagnan; und nun sprecht, in welcher Richtung sind sie weggeritten?

Was das betrifft, mein Offizier, so hat man verboten, es zu sagen.

D’Artagnan zog aus seiner Tasche ein Papier und erwiderte:

Befehl des Königs! – Dann sprecht mit dem Gouverneur. – Und wo ist der Gouverneur? – Im Felde.

Der Zorn stieg d’Artagnan ins Gesicht, seine Stirne faltete sich; seine Schläfe wurden blutrot.

Ha, Elender! sagte er zu dem Sergeanten.

Er öffnete das Papier, bot es mit einer Hand dem Sergeanten und nahm mit der andern aus seinen Halftern eine Pistole, die er spannte.

Befehl des Königs, sage ich dir. Lies und antworte, oder ich schieße dich über den Haufen. Welchen Weg haben sie eingeschlagen?

Der Sergeant sah, daß d’Artagnan ernsthaft sprach.

Straße nach Vendome, antwortete er.

Und durch welches Tor sind sie entflohen?

Durch das Tor von Saint-Maur.

Wenn du mich täuschest, Elender, sprach d’Artagnan, so wirst du morgen gehenkt.

Und wenn Ihr sie einholt, so kommt Ihr nicht wieder, um mich hängen zu lassen.

D’Artagnan zuckte die Achseln, machte seiner Eskorte ein Zeichen und ritt weiter.

Hier durch, meine Herren, hier durch, rief er und wandte sich nach dem Tor des bezeichneten Parkes.

Aber nun, da der Herzog entkommen war, hatte es der Torwächter für geeignet erachtet, das Tor doppelt zu verschließen. Man mußte ihn zwingen, es zu öffnen, wie man den Sergeanten gezwungen hatte, und dadurch gingen wieder zehn Minuten verloren.

Als das letzte Hindernis überwunden war, setzte die Truppe ihren Ritt mit derselben Geschwindigkeit fort. Doch nicht alle Pferde bewährten sich gleich gut; einige konnten den zügellosen Lauf nicht lange aushalten. Drei hielten nach einer Stunde inne; eines fiel.

D’Artagnan, der den Kopf nicht umwandte, bemerkte es nicht einmal. Porthos sagte es ihm mit ruhiger Miene.

Wenn wir nur zu zwei ankommen, erwiderte d’Artagnan, das genügt, da sie nur zu vier sind.

Das ist wahr, sprach Porthos. Und er stieß seinem Pferde wieder die Sporen in den Bauch.

Nach zwei Stunden hatten die Pferde zwölf Meilen, ohne anzuhalten, zurückgelegt. Ihre Beine fingen an zu zittern, und der Schaum, den sie schnaubten, befleckte die Wämser der Reiter, während der Schweiß durch ihre Hosen drang.

Ruhen wir einen Augenblick, um die unglücklichen Tiere Atem holen zu lassen, sagte Porthos.

Nein, reiten wir sie zu Tode, rief d’Artagnan, und erreichen so das Ziel. Ich sehe frische Spuren; erst vor einer Viertelstunde sind sie hier vorübergekommen.

Die Oberfläche der Straße war wirklich von Pferdehufen zerstampft, wie man bei den letzten Strahlen der Sonne bemerkte.

Sie setzten sich wieder in Marsch; aber nach zwei Meilen stürzte das Pferd Mousquetons.

Gut! sprach Porthos, Phöbus ist verloren. – Der Kardinal wird ihn mit tausend Pistolen bezahlen. – O, rief Porthos, darüber bin ich weg. – Reiten wir vorwärts und das im Galopp, – ja, wenn wir können.

D’Artagnans Pferd weigerte sich tatsächlich, weiterzugehen; es atmete nicht mehr. Ein letzter Spornstreich ließ es zusammenbrechen.

Ah, Teufel, sagte Porthos, Vulkan ist verschlagen.

Mord und Teufel! schrie d’Artagnan und faßte sich mit der Faust bei den Haaren. Man soll also hier stille halten! Gebt mir Euer Pferd, Porthos. Doch, was zum Teufel macht Ihr?

Bei Gott! ich falle, erwiderte Porthos, oder vielmehr Bayard bricht zusammen.

D’Artagnan wollte das Pferd zum Aufstehen bringen, während sich Porthos, so gut er konnte, aus den Steigbügeln zog; aber er bemerkte, daß dem Tiere das Blut aus den Nüstern schoß.

Drei sind hin! sagte er. Nun ist alles vorbei!

In diesem Augenblick ließ sich ein Wiehern vernehmen.

Stille! sprach d’Artagnan. – Was gibt es? – Ich höre ein Pferd. – Es ist das eines unserer Kameraden, die uns einzuholen suchen. – Nein, versetzte d’Artagnan, es ist voraus. – Dann ist es etwas anderes, sprach Porthos, und er horchte ebenfalls, das Ohr in der von d’Artagnan angegebenen Richtung vorstreckend.

Gnädiger Herr, sagte Mousqueton, der, nachdem er sein Pferd auf der Straße zurückgelassen hatte, seinen Herrn zu Fuß einholte, gnädiger Herr, Phöbus konnte nicht wieder stehen, und…

Stille doch, versetzte Porthos.

In diesem Augenblick drang wirklich ein zweites Gewieher, von dem Nachtwind herbeigetragen, zu der kleinen Gruppe.

Es ist fünfhundert Schritte von hier! Vorwärts! rief d’Artagnan. – In der Tat, gnädiger Herr, sagte Mousqueton, fünfhundert Schritte von uns liegt ein kleines Jägerhaus. – Mousqueton, deine Pistolen! – Ich habe sie in der Hand. – Porthos, nehmt die Eurigen aus Euern Halftern. – Ich habe sie. – Gut, sprach d’Artagnan, indem ei ebenfalls nach den seinigen griff. – Ihr versteht nun Porthos? – Nicht ganz. – Wir reisen im Dienste des Königs. – Nun? – Für den Dienst des Königs verlangen wir diese Pferde. – So ist es, sprach Porthos. – Darum kein Wort mehr und ans Werk!

Alle drei rückten in der Nacht schweigsam wie Gespenster vor. An einer Wendung der Straße sahen sie ein Licht mitten unter Bäumen glänzen.

Hier ist das Hans, sprach d’Artagnan ganz leise; laßt mich gewähren, Porthos, und macht es mir nach.

Sie schlichen von Baum zu Baum und gelangten, ohne gesehen zu werden, bis auf zwanzig Schritte zu dem Hause. In dieser Entfernung erblickten sie beim Scheine einer unter einem Schuppen hängenden Laterne vier stattliche Pferde. Ein Knecht striegelte sie. Neben ihm lagen ihre Sättel und Zäume.

D’Artagnan näherte sich rasch und machte dabei seinen zwei Gefährten ein Zeichen, sich einige Schritte hinter ihm zu halten.

Ich kaufe diese Pferde, sagte er zu dem Knecht.

Dieser wandte sich erstaunt um, jedoch ohne etwas zu sprechen.

Hast du nicht gehört, Bursche? versetzte d’Artagnan. – Allerdings, erwiderte er. – Warum antwortest du nicht? – Weil diese Pferde nicht zu verkaufen find. – Dann nehme ich sie. Und er legte die Hand an das, welches in seinem Bereiche war. Seine Gefährten erschienen in diesem Augenblick und taten dasselbe.

Aber, meine Herren, rief der Lakai, sie haben eine Strecke von sechs Meilen zurückgelegt und sind kaum eine halbe Stunde abgesattelt.

Eine halbe Stunde Ruhe genügt, versetzte d’Artagnan, und sie sind dann nur um so besser im Atem.

Der Knecht rief um Hilfe.

Eine Art von Verwalter kam gerade in dem Augenblick heraus, wo d’Artagnan und seine Genossen den Pferden die Sättel auf den Rücken legten.

Der Verwalter wollte Lärm machen.

Mein lieber Freund, sagte d’Artagnan, wenn Ihr ein Wort sprecht, schieße ich Euch zusammen.

Und er zeigte ihm den Lauf einer Pistole, die er sogleich wieder unter seinen Arm steckte, um sein Geschäft fortzusetzen.

Aber mein Herr, sagte der Verwalter, wißt Ihr, daß diese Pferde dem Herrn von Montbazon gehören?

Desto besser, erwiderte d’Artagnan, es müssen gute Tiere sein!

Herr, sprach der Verwalter, während er Schritt für Schritt zurückwich und die Tür zu erreichen suchte, ich sage Euch, daß ich meine Leute rufe.

Und ich die meinigen, antwortete d’Artagnan, ich bin Leutnant bei den Musketieren des Königs, habe zehn Wachen, die mir folgen, und Ihr … holt … hört Ihr sie galoppieren? Wir wollen doch sehen! Seid Ihr fertig. Porthos? fuhr er fort. – Ich bin fertig. – Und Ihr, Mouston? – Ich auch. – Dann zu Pferde und vorwärts!

Alle drei schwangen sich auf ihre Rosse.

Herbei! rief der Verwalter. Herbei, Bediente, und die Karabiner heraus!

Vorwärts! sprach d’Artagnan; es könnte hier Musketenfeuer geben.

Und alle drei ritten wie der Wind davon.

Zu Hilfe! brüllte der Verwalter, während der Knecht nach dem benachbarten Hause lief.

Hütet Euch, Eure Pferde zu töten! rief d’Artagnan und brach in ein schallendes Gelächter aus.

Feuer! antwortete der Verwalter.

Ein Schimmer, dem eines Blitzes ähnlich, beleuchtete den Weg, und zu gleicher Zeit mit dem Knalle hörten die drei Reiter die Kugeln Pfeifen, welche sich in der Luft verloren.

Sie schießen wie Bedientenvolk, sagte Porthos; zur Zeit des Kardinals von Richelieu schoß man besser. Erinnert Ihr Euch der Straße nach Grevecoeur, Mousqueton? – Ja, gnädiger Herr, die rechte Hinterbacke tut mir noch weh.

– Wißt Ihr gewiß, daß wir auf der Spur sind, d’Artagnan? fragte Porthos. – Bei Gott! habt Ihr denn nicht gehört? Was? – Daß diese Pferde Herrn von Montbazon gehören?

– Nun! Herr von Montbazon ist der Gatte der Frau von Montzabon. – Weiter? – Und Frau von Montzabon ist die Geliebte des Herrn von Beaufort. – Ah, ich? begreife, sagte Porthos, sie hatte Relais gelegt. – Richtig. – Und wir eilen dem Herzog mit den Pferden nach, die er zurückgelassen hat. – Mein lieber Porthos, Ihr besitzt wirklich einen erhabenen Verstand, sprach d’Artagnan mit seiner halb süßen, halb sauren Miene. – Bah! sagte Porthos, wie ich bin, so bin ich.

So ritt man eine Stunde, die Pferde waren weiß vom Schaum, und das Blut floß ihnen vom Bauch.

He! was habe ich da unten gesehen? sagte d’Artagnan. – Ihr seid sehr glücklich, wenn Ihr in einer solchen Nacht etwas seht! versetzte Porthos. – Funken! – Ich habe sie auch gesehen, sprach Mousqueton. – Ah, ah! sollten wir sie eingeholt haben? – Gut, ein totes Pferd, sagte d’Artagnan, indem er sein Roß von einer Wendung zurücklenkte, die es gemacht hatte. Es scheint, sie sind auch mit ihrem Atem zu Ende. – Es kommt mir vor, als hörte ich das Geräusch einer Truppe von Reitern, sprach Porthos, auf die Mähne seines Pferdes vorgebeugt. – Unmöglich; sie sind zahlreich. Dann ist es etwas anderes. – Noch ein Pferd, sagte Porthos. – Tot? – Nein, verendend. – Gesattelt oder abgesattelt? – Gesattelt. – Dann sind sie es! – Mut! Wir haben sie! – Aber sie sind zahlreich, sprach Mousqueton. Wir haben sie nicht, sondern sie haben uns. – Bah, versetzte d’Artagnan, sie werden uns für stärker halten, da wir sie verfolgen; dann werden sie Furcht bekommen, und wir werden sie zerstreuen. – Das ist sicher, sagte Porthos. –, Ah! seht Ihr! rief d’Artagnan. – Ja, abermals Funken. Diesmal habe ich sie auch wahrgenommen, sprach Porthos. – Vorwärts, vorwärts! sagte d’Artagnan mit seiner scharfen Stimme, und in fünf Minuten werden wir lachen.

Und sie jagten abermals fort. Wütend vor Schmerz, flogen die Pferde auf der finstern Landstraße hin, auf deren Mitte man eine Masse, düsterer, dunkler, als der übrige Horizont, zu erblicken anfing.

Das Zusammentreffen

So rasten sie noch ungefähr zehn Minuten vorwärts.

Plötzlich lösten sich zwei schwarze Punkte von der Masse, traten hervor, wurden immer dicker und nahmen, je dicker sie wurden, immer mehr die Form von zwei Reitern an.

Oho! sprach d’Artagnan, man kommt uns entgegen.

Desto schlimmer für die Kommenden, versetzte Porthos.

Wer da? rief eine rauhe Stimme.

Die drei Reiter hielten nicht an und antworteten auch nicht. Man hörte nur das Geklirre von Degen, die aus der Scheide gezogen wurden, und das Knarren von Pistolenhähnen, welche die zwei schwarzen Gestalten spannten.

Zügel in die Zähne! sagte d’Artagnan.

Porthos begriff; d’Artagnan und er zogen jeder mit der linken Hand eine Pistole aus ihren Halftern und spannten ebenfalls.

Wer da? rief man zum zweiten Male. Keinen Schritt mehr, oder Ihr seid des Todes!

Bah! antwortete Porthos, beinahe erstickt durch den Staub und an seinem Zügel kauend wie sein Pferd am Gebiß. Bah! wir haben schon andere gesehen.

Bei diesen Worten versperrten die zwei Schatten den Weg, und man sah beim Mondenschein den Lauf ihrer gesenkten Pistolen glänzen.

Zurück! rief d’Artagnan, oder Ihr seid des Todes!

Zwei Pistolenschüsse antworteten auf diese Drohung.

Aber die zwei Angreifenden kamen mit einer solchen Geschwindigkeit heran, daß sie in demselben Augenblick vor ihren Gegnern waren. Es krachte ein dritter Pistolenschuß, von d’Artagnan abgefeuert, und sein Feind fiel. Porthos stieß mit solcher Heftigkeit auf den andern, daß er, obgleich sein Degen abgeglitten war, ihn mit einem Stoße zehn Schritte vom Pferde schleuderte.

Mach fertig, Mousqueton, sagte Porthos.

Und er jagte vorwärts an der Seite seines Freundes, der bereits seine Verfolgung wieder fortgesetzt hatte.

Nun? fragte Porthos.

Ich habe ihm den Kopf zerschmettert, erwiderte d’Artagnan; und Ihr?

Ich habe ihn nur niedergeworfen. Doch halt!

Man hörte einen Karabinerschuß. Es war Mousqueton, der im Vorüberreiten den Befehl seines Herrn vollstreckte.

Frisch auf! sprach d’Artagnan. Das geht gut; die erste Partie haben wir gewonnen!

Ah, ah! versetzte Porthos; hier sind neue Spieler.

Es erschienen in der Tat zwei Reiter, die sich von der Hauptgruppe getrennt hatten, um abermals den Weg zu versperren. Jetzt wartete d’Artagnan nicht einmal, bis man das Wort an ihn richtete.

Platz! rief er, Platz!

Was wollt Ihr? fragte eine Stimme.

Den Herzog! brüllten Porthos und d’Artagnan zugleich.

Ein schallendes Gelächter antwortete, endigte jedoch in einem Seufzer. D’Artagnan hatte den Lacher mit seinem Degen durchbohrt.

Zu gleicher Zeit machten zwei Knalle nur einen Schlag; es waren Porthos und sein Gegner, welche aufeinander schossen.

D’Artagnan wandte sich um und sah Porthos ganz in seiner Nähe.

Bravo, Porthos, sagte er, es scheint mir, Ihr habt ihn getötet.

Ich habe nur das Pferd getroffen, antwortete Porthos.

Was wollt Ihr, mein Lieber? Man trifft nicht mit jedem Schlag eine Fliege, und darf sich nicht beklagen, wenn einmal ein Stich verloren geht.

Was Teufels hat Euer Pferd? sagte Porthos und hielt das seinige an.

Das Pferd d’Artagnans stolperte und fiel auf die Knie, röchelte sodann und streckte sich nieder.

Es hatte die Kugel des ersten Gegners von d’Artagnan in die Brust erhalten.

D’Artagnan stieß einen Fluch aus, daß der Himmel hätte bersten sollen.

Will der gnädige Herr ein Pferd? sagte Mousqueton. – Bei Gott! ob ich eines will? rief d’Artagnan. – Hier, versetzte Mousqueton. – Wie Teufels kommst du zu zwei Handpferden? fragte d’Artagnan und schwang sich auf eines derselben. – Ihre Herren sind tot; ich dachte, sie könnten uns nützlich sein und nahm sie mit.

Während dieser Zeit hatte Porthos seine Pistolen wieder geladen.

Rasch! sprach d’Artagnan, hier sind wieder zwei. – Bei Gott, mir scheint, das geht bis morgen so fort, rief Porthos.

Wirklich rückten zwei weitere Reiter in Eile heran.

He, gnädiger Herr, sagte Mousqueton, der, den Ihr niedergeworfen habt, erhebt sich wieder.

Warum hast du es nicht gemacht, wie mit dem ersten?

Ich hatte keine Hand frei, weil ich zwei Pferde hielt.

Es wurde ein Schuß abgefeuert.

Mousqueton stieß ein Schmerzgeschrei aus.

Ah, gnädiger Herr, rief er, in den andern, gerade in den andern! Dieser Schuß ist das Seitenstück zu dem auf der Straße von Amiens.

Porthos wandte sich wie ein Löwe um und jagte auf den abgesessenen Reiter zu, der seinen Degen zu ziehen versuchte; aber ehe er aus der Scheide war, hatte ihm Porthos einen so furchtbaren Schlag mit seinem Schwertknaufe beigebracht, daß er zusammenstürzte, wie der Ochse unter der Axt des Fleischers.

Seufzend hatte sich Mousqueton von seinem Pferde herabgelassen, denn die Wunde, die er erhalten, gestattete ihm nicht mehr, auf dem Sattel zu bleiben.

Als d’Artagnan die Reiter erblickte, hielt er stille und lud seine Pistolen wieder. Überdies hatte sein neues Pferd einen Karabiner am Sattel befestigt.

Hier bin ich, sagte Porthos, warten wir, oder greifen wir an?

Greifen wir an! sprach d’Artagnan.

Angegriffen! wiederholte Porthos.

Sie stießen ihren Pferden die Sporen in den Bauch.

Die Reiter waren nur noch zwanzig Schritte von ihnen entfernt.

Im Namen des Königs! rief d’Artagnan, laßt uns vorüber.

Der König hat hier nichts zu tun, erwiderte eine düstere, vibrierende Stimme, die aus einer Wolke zu kommen schien, denn der Reiter war von oben bis unten in Staub gehüllt.

Es ist gut, wir werden sehen, ob der König nicht überall durchkommt, versetzte d’Artagnan.

Seht immerhin! rief dieselbe Stimme.

Zwei Pistolenschüsse gingen beinahe gleichzeitig los, der eine von d’Artagnan, der andere von Porthos‘ Gegner abgefeuert. Die Kugel d’Artagnans riß seinem Feinde den Hut fort, die Kugel des Gegners von Porthos drang in den Hals seines Pferdes, das einen Seufzer ausstieß und tot niederstürzte.

Zum letzten Male, wohin wollt Ihr? fragte dieselbe Stimme.

Zum Teufel! antwortete d’Artagnan.

Gut, dann seid ruhig, Ihr werdet zu ihm kommen.

D’Artagnan sah, wie sich der Lauf einer Muskete gegen ihn senkte. Er hatte nicht Zeit, in seine Halfter zu greifen, erinnerte sich jedoch eines Rates, den ihm Athos einst gegeben hatte, und ließ sein Pferd sich bäumen.

Die Kugel schlug dem Tier in den vollen Bauch. D’Artagnan fühlte, daß es unter ihm zusammenbrach, und warf sich mit wunderbarer Behendigkeit auf die Seite.

Ei, bei Gott! sprach dieselbe vibrierende, spöttische Stimme, das ist eine Pferdeschlächterei und kein Männerkampf. Heraus mit dem Schwerte, mein Herr!

Und er sprang von seinem Pferde.

Mit zwei Sprüngen war d’Artagnan seinem Feinde gegenüber, dessen Eisen er an dem seinigen fühlte. D’Artagnan hatte mit seiner gewöhnlichen Geschicklichkeit den Degen in Terz gelegt, was seine Lieblingslage war.

Während dieser Zeit hielt Porthos, hinter seinem sich im Todeskampfe wälzenden Pferde knieend, in jeder Hand eine Pistole.

Mittlerweile hatte der Kampf zwischen d’Artagnan und seinem Gegner begonnen. D’Artagnan griff seiner Gewohnheit gemäß heftig an; aber er fand diesmal einen so meisterlichen Gegner, daß er bedenklich wurde. Zweimal im Quart gefaßt, machte d’Artagnan einen Schritt rückwärts; sein Gegner rührte sich nicht. D’Artagnan kehrte zurück und legte abermals in Terz aus.

Es wurden mehrere Stöße von beiden Seiten ohne Resultate geführt. Die Funken sprangen in Garben von den Degen auf.

Endlich dachte d’Artagnan, es sei der geeignete Augenblick, seine Lieblingsfinte zu benutzen. Er leitete sie geschickt ein und stieß mit Blitzesgeschwindigkeit und mit solcher Kraft, daß er sich für unwiderstehlich hielt.

Der Stoß wurde pariert.

» Mordious!« rief er mit seinem gascognischen Accent.

Bei diesem Ausruf sprang sein Gegner zurück, neigte das entblößte Haupt und bemühte sich, durch die Finsternis das Gesicht d’Artagnans zu unterscheiden. Dieser, der eine Finte befürchtete, hielt sich in der Defensive.

Nehmt Euch in acht, sprach Porthos zu seinem Gegner, ich habe noch meine zwei Pistolen geladen.

Ein Grund mehr für Euch, zuerst zu schießen, antwortete dieser.

Porthos schoß; ein Blitz erleuchtete die Walstätte. Bei diesem Schimmer stießen die zwei andern Kämpfer jeder einen Schrei aus.

Athos! sagte d’Artagnan.

D’Artagnan! sprach Athos.

Athos hob seinen Degen in die Höhe, d’Artagnan senkte den seinen.

Aramis! rief Athos, schießt nicht!

Ah! ah! Ihr seid es, Aramis? sagte Porthos.

Und er warf seine Pistolen weg, während Aramis die seinigen in seine Halfter steckte.

Mein Sohn, sprach Athos und reichte d’Artagnan die Hand.

Athos, erwiderte d’Artagnan, die Hände ringend. Ihr verteidigt ihn also? Und ich habe geschworen, ihn tot oder lebendig zurückzubringen. Ah! ich bin entehrt!

Tötet mich! entgegnete Athos, seine Brust entblößend, wenn Eure Ehre meines Todes bedarf.

O! wehe mir! wehe mir! Es gab nur einen Menschen auf dieser Welt, der mich aufhalten konnte, und das Unglück bringt mir gerade diesen in den Weg! Ah! was werde ich dem Kardinal sagen!

Ihr werdet ihm sagen, mein Herr, antwortete eine mächtige, gebieterische Stimme, er habe gegen mich die zwei einzigen Menschen geschickt, welche die vier Gegner niederwerfen, mit dem Grafen de la Fère und dem Chevalier d’Herblay unbesiegt kämpfen und nur von fünfzig Mann zur Ergebung gebracht werden können.

Der Prinz! sprachen zu gleicher Zeit Athos und Aramis und wandten sich etwas seitwärts, um dem Prinzen Raum zu geben, während d’Artagnan und Porthos einen Schritt rückwärts machten.

Fünfzig Reiter! murmelte d’Artagnan und Porthos.

Schaut um Euch her, wenn Ihr daran zweifelt, sagte der Herzog.

D’Artagnan und Porthos schauten umher; sie waren tatsächlich von einer Truppe berittener Männer umringt.

Bei dem Lärm, den Euer Kampf, mein Herr, verursachte, sagte der Herzog, glaubte ich, Ihr wäret wenigstens zu zwanzig Mann, und ich bin mit allen, die mich umgaben, zurückgekehrt, weil ich nicht immer fliehen, sondern auch einmal das Schwert ziehen wollte; Ihr wäret Euer aber nur zwei?

Ja, Monseigneur, versetzte Athos; aber, wie Ihr gesagt habt, zwei, die so viel wert sind, als zwanzig.

Vorwärts, meine Herren, Eure Degen, sprach der Herzog.

Unsere Degen! rief d’Artagnan, den Kopf erhebend und wieder erwachend. Unsere Degen? Nie!

Nie! wiederholte Porthos.

Einige von den Reitern machten eine Bewegung.

Einen Augenblick, Monseigneur, sprach Athos, nur zwei Worte.

Und er näherte sich dem Prinzen, der sich zu ihm herabneigte, und sagte ihm leise einige Worte ins Ohr.

Wie Ihr wollt, Graf, sprach der Prinz, ich habe zu große Verbindlichkeiten gegen Euch, um Euch Eure erste Bitte abzuschlagen. Entfernt Euch, meine Herren, sagte er zu seiner Eskorte. Meine Herren, d’Artagnan und du Vallon, Ihr seid frei.

Der Befehl wurde sogleich ausgeführt, und d’Artagnan und Porthos bildeten den Mittelpunkt eines weiten Kreises.

Nun d’Herblay, sprach Athos, steigt vom Pferde und kommt.

Aramis stieg ab und näherte sich Porthos, während Athos sich d’Artagnan näherte.

Freund, sagte Athos, bedauert Ihr immer noch, unser Blut nicht vergossen zu haben?

Nein, antwortete d’Artagnan; ich bedaure, uns als Gegner zu sehen, nachdem wir stets so schön vereinigt waren. Ah, fortan wird uns nichts mehr gelingen!

O, mein Gott, nein! Das ist vorbei! versetzte Porthos.

Wohl, so tretet zu uns über! sprach Aramis.

Still, d’Herblay! sagte Athos. Man macht Männern, wie diese hier, keine solchen Vorschläge. Sind sie auf Mazarins Seite getreten, so geschah es, weil ihr Gewissen sie aus diese Seite trieb, wie uns das unsrige auf die Seite des Prinzen trieb.

So sind wir Feinde! rief Porthos. Gottes Blut! wer hätte dies je geglaubt!

D’Artagnan sprach nichts, aber er stieß einen Seufzer aus.

Athos schaute sie an und nahm ihre Hände in die seinigen.

Meine Herren, sprach er, das ist eine recht ernste Sache, und mein Herz leidet, als ob Ihr es durchstochen hättet. Ja, wir sind getrennt, das ist die große, die traurige Wahrheit. Aber Wir haben uns noch nicht den Krieg erklärt; vielleicht haben wir uns noch Bedingungen zu machen; eine letzte Unterredung ist unerläßlich.

Die drei andern stimmten bei.

Wählen wir einen Versammlungsort, fuhr Athos fort, der im Bereich von uns allen liegt, und verabreden wir einfürallemal unser künftiges gegenseitiges Verhältnis. – Place Royale, wenn es Euch zusagt, versetzte d’Artagnan. Place Royale, es sei! sprach Athos als die andern zustimmend nickten. – Und wann? – Morgen abend, wenn Ihr wollt. – Seid Ihr bis dahin zurück? – Ja. – Um welche Stunde? – Um zehn Uhr nachts, wenn es Euch genehm ist. – Ganz recht. – Davon, versetzte Athos, wird Krieg oder Friede abhängen, aber unsere Ehre, meine Freunde, ist dann wenigstens unverletzt. – Ach, murmelte d’Artagnan, unsere Soldatenehre ist verloren! –D’Artagnan, sprach Athos ernst, ich schwöre Euch, es tut mir wehe, daß Ihr daran denkt, während ich nur an eines denke, nämlich, daß wir gegeneinander die Schwerter gekreuzt haben. Ja, fuhr er, schmerzlich den Kopf schüttelnd, fort, ja, Ihr habt es gesagt, das Unglück ist über uns. Kommt, Aramis. – Und wir, Porthos? sagte d’Artagnan, kehren wir zurück und bringen wir dem Kardinal unsere Schande? – Und sagt ihm vor allem, rief eine Stimme, daß ich noch nicht zu alt zur Tätigkeit sei.

D’Artagnan erkannte die Stimme Rocheforts.

Vermag ich etwas für Euch zu tun? fragte der Prinz. – Zeugnis davon ablegen, daß wir getan haben, was wir konnten, Monseigneur. – Seid unbesorgt, es wird geschehen. Gott befohlen, meine Herren. In einiger Zeit sehen wir uns wieder, wie ich hoffe … vor Paris oder vielleicht in Paris, und dann könnt Ihr Eure Revanche nehmen.

Bei diesen Worten grüßte der Herzog mit der Hand, setzte sein Pferd wieder in Galopp und verschwand mit seiner Eskorte in der Dunkelheit.

D’Artagnan und Porthos befanden sich allein auf der Landstraße, mit einem Manne, der zwei Pferde in der Hand hielt.

Sie glaubten, es sei Mousqueton, und näherten sich ihm.

Was sehe ich! rief d’Artagnan. Du bist es Grimaud?

Grimaud! sagte Porthos.

Grimaud bedeutete den zwei Freunden durch ein Zeichen, daß sie sich nicht täuschten.

Und wem gehören die Pferde? fragte d’Artagnan.

Wer gibt sie uns? fragte Porthos.

Der Herr Graf de la Fère.

Athos, Athos! murmelte d’Artagnan, Ihr denkt an alles und seid bei Gott der wahre Edelmann.

Vortrefflich, sagte Porthos. Mir war schon bange, den Marsch zu Fuß machen zu müssen.

Und er schwang sich in den Sattel. D’Artagnan saß bereits zu Pferde.

Nun, wo gehst du hin, Grimaud? Du verläßt deinen Herrn?

Ja, antwortete Grimaud, ich begebe mich wieder zu dem Herrn Vicomte von Bragelonne bei der Armee in Flandern.

Sie machten nun schweigend einige Schritte auf der Landstraße nach Paris; aber Plötzlich hörten sie Klagen, die aus einem Graben zu kommen schienen.

Was ist das? fragte d’Artagnan. – Das ist Mousqueton, antwortete Porthos. – Jawohl, gnädiger Herr, ich bin es, rief eine klägliche Stimme, während sich ein Schatten am Rande der Straße erhob.

Porthos ritt auf seinen Intendanten zu und sagte: Solltest du gefährlich verwundet sein, mein lieber Mouston? – Nein, gnädiger Herr, ich glaube nicht: aber ich bin auf eine sehr unbequeme Weise verwundet. – Du kannst also nicht zu Pferde steigen? – Ah, was schlagt Ihr mir da vor? – Kannst du zu Fuß gehen? – Ich werde es versuchen bis zum ersten Hause. – Was ist zu tun? sprach d’Artagnan. Wir müssen doch nach Paris zurückkehren. – Ich übernehme Mousqueton, versetzte Grimaud. – Ich danke, mein guter Grimaud, sagte Porthos und schlug, einigermaßen über die erste Fürsorge für seinen lieben Intendanten beruhigt, mit d’Artagnan den Weg nach Paris ein.

Drei Stunden nachher wurden sie von einem mit Staub bedeckten Eilboten überholt; es war ein Bote des Herzogs mit einem Briefe, in dem der Prinz seinem Versprechen gemäß Mazarin von dem, was Porthos und d’Artagnan getan hatten, Mitteilung machte.

Mazarin brachte eine sehr schlimme Nacht zu, als er diesen Brief empfing, worin ihm der Prinz ankündigte, er sei frei und stehe im Begriff, einen Krieg auf Leben und Tod mit ihm zu beginnen.

Der Kardinal las ihn zwei- bis dreimal, faltete ihn dann zusammen und steckte ihn in seine Tasche.

Was mich bei der verfehlten Expedition d’Artagnans tröstet, sagte er, ist, daß er wenigstens in seiner Hast diesen Broussel niedergeritten hat. Der Gascogner ist offenbar ein kostbarer Mann und dient mir sogar bei seinen Ungeschicklichkeiten.

Der Mann nämlich, den d’Artagnan bei seinem Ausritt aus Paris niedergeworfen hatte, war niemand anders als der Rat Broussel.

Der Abbé Scarron

Es gab in der Rue des Tournelles eine Wohnung, die alle Sänftenträger und alle Lakaien von Paris kannten, und dennoch gehörte diese Wohnung weder einem vornehmen, noch einem reichen Herrn. Man speiste da nicht, man spielte nicht und man tanzte wohl auch nicht. Dennoch war es der Sammelplatz der schönen Welt, und ganz Paris begab sich dahin. Diese Wohnung war die des kleinen Scarron.

Man lachte so viel bei diesem witzigen Scarron, man gab so viele Neuigkeiten zum besten, diese Neuigkeiten waren in Märchen oder Epigramme verwandelt, daß jeder den Wunsch hatte, eine Stunde bei dem kleinen Scarron zuzubringen, zu hören, was er sagte, und was er gesagt hatte, weiterzuerzählen. Viele brannten vor Begierde, ihren Witz dort anzubringen; war er gut, so konnten sie sich auf eine freundliche Aufnahme gefaßt machen. Der kleine Abbé Scarron, dessen Abbéschaft übrigens nicht von dem Besitz einer geistlichen Pfründe oder der Zugehörigkeit zu einem geistlichen Orden herstammte, war einst einer der zierlichsten Präbendare der Stadt Mans gewesen, wo er wohnte. An einem Karnevalstage aber wollte er dieser guten Stadt, deren Seele er war, einen ganz außerordentlichen Genuß bereiten. Er ließ sich daher von seinem Bedienten mit Honig überstreichen, öffnete sodann ein Federbett, in welchem er sich umwälzte, und wurde so der groteskeste Vogel, den man sehen konnte. Dann machte er in diesem seltsamen Aufzug Besuche bei seinen Freunden und Freundinnen. Anfangs folgte man ihm mit Verwunderung, dann mit Gezisch, dann beleidigten ihn die Arbeiter auf den Straßen, dann warfen die Kinder Steine nach ihm, und endlich war er genötigt, die Flucht zu ergreifen, um den Wurfgeschossen zu entgehen. Vom Augenblick an, wo er floh, wurde er von allen Seiten verfolgt, gedrängt, beworfen. Scarron fand kein anderes Mittel, seinen Verfolgern zu entkommen, als daß er sich in den Fluß warf. Er schwamm wie ein Fisch, aber das Wasser war eisig. Scarron troff von Schweiß. Er erkältete sich, und als er das andere Ufer erreichte, war er gliederlahm.

Man versuchte ihm durch alle möglichen bekannten Mittel den Gebrauch seiner Glieder wiederzugeben; er hatte durch die Behandlung so viel auszustehen, daß er alle Ärzte fortschickte, mit der Erklärung, er wolle lieber krank sein und krank bleiben. Dann kam er nach Paris, wo sein Ruf als Mann von Geist bereits gegründet war. Hier ließ er sich einen Stuhl nach seiner eigenen Erfindung verfertigen, und als er eines Tages in diesem Stuhle der Königin Anna von Österreich einen Besuch machte, fragte ihn diese, entzückt über seinen Witz, ob er nicht irgend einen Titel wünsche?

Ja, Eure Majestät, es gibt einen, nach dem ich von ganzer Seele verlange, antwortete Scarron.

Und welcher ist dies? fragte Anna von Österreich. Der Eures Kranken, erwiderte der Abbé.

Und Scarron wurde zum Kranken der Königin mit einer Pension von 1500 Livres ernannt.

Von diesem Augenblick an führte Scarron, dem seine Zukunft keine Sorgen mehr machte, ein lustiges Leben.

Eines Tags jedoch gab ihm ein Emissär des Kardinals zu verstehen, er habe unrecht, den Herrn Koadjutor zu empfangen.

Und warum dies? fragte Scarron. Ist er nicht ein Mann von Geburt? – Allerdings. – Liebenswürdig? – Unbestreitbar. – Witzig? – Er hat leider nur zu viel Witz. – Nun wohl, versetzte Scarron, warum soll ich einen solchen Mann nicht ferner sehen? – Weil er schlecht denkt. – Wirklich? und von wem? – Vom Kardinal. – Wie! rief Scarron; ich sehe fortwährend Herrn Gilles Despréaux, und Ihr wollt, ich solle den Herrn Koadjutor nicht mehr sehen, weil er schlecht von einem andern denkt? Unmöglich!

Hiermit endigte das Gespräch, und Scarron sah aus Widerspruchsgeist Herrn von Conti nur noch öfter.

An dem Morgen aber, bei welchem wir angelangt sind, war der Verfalltag seiner vierteljährlichen Pension. Scarron schickte seiner Gewohnheit gemäß durch seinen Bedienten den Empfangschein ab, um das betreffende Geld bei der Pensionskasse einziehen zu lassen; aber man antwortete ihm: Der Staat hat kein Geld für den Herrn Abbé Scarron.

Als der Lakai Scarron diese Antwort brachte, war gerade der Herzog von Longneville bei ihm, der ihm das Doppelte der von Mazarin entzogenen Pension anbot; aber der schlaue Gliederlahme hütete sich wohl, es anzunehmen. Er machte seine Sache so gut, daß um vier Uhr nachmittags die ganze Stadt die Weigerung des Kardinals kannte. Es war gerade Donnerstag, Empfangstag bei dem Abbé. Man kam in Masse zu ihm, und in der ganzen Stadt entrüstete man sich höchlichst über diese neuste Knauserei Mazarins.

Es trifft sich gut, daß wir heute abend dahin gehen, sprach Athos zu dem Vicomte; wir machen dem armen Mann unser Kompliment.

Aber wer ist denn dieser Herr Scarron, der ganz Paris in Aufruhr bringt? fragte Raoul. Ein in Ungnade gefallener Minister?

Nein, o mein Gott, nein, Vicomte, er ist nichts als ein kleiner Edelmann von großem Geist, der wahrscheinlich bei dem Kardinal in Ungnade gefallen ist, weil er irgend eine gereimte Strophe gegen ihn geschrieben hat.

Schreiben denn Edelleute Verse? fragte Raoul naiv; ich glaubte, das verstoße gegen die Standesehre.

Ja, mein lieber Vicomte, versetzte Athos lachend, wenn man sie schlecht macht; aber wenn man sie gut macht, so adelt es noch mehr.

Herr Scarron ist also Dichter? sagte Raoul.

Ja, Vicomte. Gebt wohl acht in diesem Hause. Sprecht wenig und hört lieber zu.

Ja, Herr, antwortete Raoul.

Ihr werdet mich viel mit einem mir befreundeten Edelmann plaudern sehen: das ist der Abbé d’Herblay, von dem ich oft mit Euch sprach.

Ich erinnere mich.

Nähert Euch zuweilen, als ob Ihr mit uns sprechen wolltet, sprecht aber nicht, hört auch nicht. Es soll dies nur dazu dienen, daß uns nicht mißliebige Personen stören.

Sehr gut, ich werde Euch Punkt für Punkt gehorchen.

Athos machte noch zwei Besuche in Paris. Um sieben Uhr wandten sie sich zur Rue des Tournelles. Die Straße war beinahe versperrt durch Sänftenträger, Pferde und Bedienten. Athos bahnte sich einen Weg und trat mit Raoul ein. Die erste Person, die er beim Eintritt erblickte, war Aramis, der sich neben einem weiten, mit einem Tapetenhimmel bedeckten Rollstuhl aufhielt, unter dem sich, in eine Brokatdecke gehüllt, ein ziemlich junges, ziemlich fröhliches Gesicht bewegte, das jedoch zuweilen erbleichte, ohne daß seine Augen aufhörten, einen lebhaften, witzigen oder anmutigen Ausdruck zu zeigen. Das war der Abbé Scarron, beständig lachend, spottend, komplimentierend, leidend und sich mit einem kleinen Stäbchen kratzend.

Sobald Aramis Athos erblickte, ging er auf ihn zu, nahm ihn bei der Hand und stellte ihn Herrn Scarron vor, der dem neuen Gast ebensoviel Freude als Achtung bezeigte und ihm ein sehr geistreiches Kompliment über den Vicomte machte. Raoul war verblüfft von der geistvollen Art des Mannes, er verbeugte sich jedoch mit viel Anmut. Athos empfing sodann die Komplimente von mehreren adligen Herren, denen Aramis ihn vorstellte. Bald aber verlor sich das bei seinem Eintritt entstandene kleine Geräusch wieder, das Gespräch wurde allgemein und erlitt erst wieder eine Unterbrechung, als Fräulein Paulet eintrat, eine vielgerühmte Schönheit, die zu besuchen Heinrich IV. eben im Begriff war, als er ermordet wurde, und der man wegen ihrer machtvollen Stellung in der Gesellschaft den Beinamen »die Löwin« gegeben hatte.

In diesem Augenblick öffnete sich die Türe, und der Lakai kündigte den Herrn Koadjutor an.

Bei diesem Namen wandten sich alle um, denn es war ein Name, der sehr berühmt zu werden anfing. Athos machte es wie die andern. Er kannte den Abbé von Conti nur dem Namen nach.

Er sah einen kleinen, schwarzen, schlecht gewachsenen Mann eintreten, dessen Hände zu allem ungeschickt waren, außer den Degen zu führen und die Pistole zu gebrauchen. Der Ankömmling ging anfangs gerade auf den Tisch zu, den er beinahe umgeworfen hätte. Scarron wandte sich nach ihm um und kam ihm in seinem Stuhle entgegen. Fräulein Paulet begrüßte ihn von ihrem Platz aus mit der Hand.

Nun, sprach der Koadjutor, der Scarron erst erblickte, als er dicht vor ihm stand, Ihr seid also in Ungnade, Abbé?

Dies war eine Phrase, die man an diesem Abend wohl hundertmal ausgesprochen hatte, und die Scarron hundertmal zu einer geistreichen Erwiderung veranlaßt hatte. Er antwortete beim hundert und ersten Male:

Der Herr Kardinal hat die Güte gehabt, an mich zu denken. – Aber wie wollt ihr uns noch fernerhin empfangen? fuhr der Koadjutor fort. Wenn Eure Renten sinken, so werde ich genötigt sein, Euch zum Kanonikus von Notre-Dame zu ernennen. – O! nun, versetzte Scarron, ich würde Euch zu sehr kompromittieren. – Dann habt Ihr Quellen, die wir nicht kennen. – Ich entlehne von der Königin. – Aber Ihre Majestät hat selbst nichts, sprach Aramis. Lebt sie nicht unter der Verwaltung der Gemeinheit?

Der Koadjutor wandte sich um und lächelte Aramis zu, indem er ihm zugleich mit der Fingerspitze ein Freundschaftszeichen machte.

Verzeiht, mein lieber Abbe, sagte er zu ihm, Ihr seid im Rückstand, und ich muß Euch ein Geschenk machen.

Womit? fragte Aramis.

Mit einer Hutschnur.

Jedermann wandte sich nach dem Koadjutor um, der aus seiner Tasche eine seidene Schnur von sonderbarer Form zog.

Das ist eine Schleuder (fronde) sagte Scarron.

Ganz richtig erwiderte der Koadjutor, man macht gegenwärtig alles à la fronde. Fräulein Paulet, ich habe für Euch einen Fächer à la fronde. Ich überlasse Euch meinen Handschuhhändler, d’Herblay, er macht Handschuhe à la fronde; und Euch, Scarron, meinen Bäcker mit unbeschränktem Kredit, er macht vortreffliche Brote à la fronde.

Aramis nahm das Band und knüpfte es um seinen Hut.

In diesem Augenblick öffnete sich die Türe, und der Lakai rief mit lauter Stimme: Die Frau Herzogin von Chevreuse.

Beim Namen der Frau von Chevreuse erhoben sich alle Anwesenden. Scarron wandte rasch seinen Stuhl der Türe zu. Athos machte Aramis ein Zeichen, und dieser stellte sich in eine Fenstervertiefung. Während sie von allen Seiten achtungsvoll begrüßt wurde, schien sie etwas zu suchen. Endlich bemerkte sie Raoul, und ihre Augen funkelten; sie erblickte Athos und wurde nachdenklich; sie sah Aramis in seiner Fenstervertiefung und machte hinter ihrem Fächer eine kaum wahrnehmbare Bewegung des Erstaunens.

Ei, sagt, sprach sie, als wollte sie die Gedanken vertreiben, die sich ihrer unwillkürlich bemeisterten, wie geht es dem armen Voiture? Wißt Ihr es vielleicht, Scarron?

Wie, Herr Voiture ist krank? fragte einer der Umstehenden; wie ist das gekommen?

Er hat bei leidenschaftlichem Spiel vierhundert Taler verloren und hat sich dann, als er sich aufgeregt in die kalte Nachtluft begab, auf den Tod erkältet.

Steht es so schlimm mit dem lieben Voiture? fragte Aramis, halb hinter seinem Fenstervorhang verborgen.

Ach! antwortete ein Herr Menage, der in diesem Kreise eine große Rolle spielte, es steht sehr schlimm, der große Mann wird uns wahrscheinlich verlassen.

Ah bah! sprach Fräulein Paulet mit einer gewissen Bitterkeit; er sterben? Das hat keine Not! Er ist umgeben von Sultaninnen, wie ein Türke. Frau von Saintot ist herbeigelaufen und gibt ihm Fleischbrühe, die Renaudot wärmt ihm seine Tücher, und alle Welt, unsere Freundin, die Marquise von Rambouillet, nicht ausgenommen, schickt ihm Tisanen.

Ihr liebt ihn nicht, meine liebe Parthenie, sagte Scarron lachend.

O! welche Ungerechtigkeit, mein lieber Kranker! Ich hasse ihn so wenig, daß ich mit Vergnügen Messen für die Ruhe seiner Seele lesen ließe.

Nicht umsonst nennt man Euch die Löwin, meine Liebe, sagte Frau von Chevreuse, Ihr beißt scharf.

In dieser Weise mußte der kranke Dichter noch lange den Stoff für zahlreiche mehr oder minder witzige Bemerkungen liefern.

Raoul war dem Gespräch mit Spannung gefolgt, jetzt wurde aber seine ganze Aufmerksamkeit durch eine junge Person, die in Scarrons Nähe stand, gefesselt; sie war reizend, aber schwächlich und traurig, von hübschen schwarzen Haaren umrahmt, mit blauen, sammetartigen Augen.

Raoul gelobte sich, den Salon nicht zu verlassen, ohne das hübsche junge Mädchen mit den Sammetaugen gesprochen zu haben, das ihn infolge eines seltsamen Gedankenspiels, obschon keine Ähnlichkeit vorhanden war, an seine arme kleine Louise erinnerte, die er leidend im Schlosse la Balliere zurückgelassen und inmitten dieser Gesellschaft einen Augenblick vergessen hatte.

Während dieser Scene näherte sich Aramis dem Koadjutor, der ihm mit lachender Miene ein paar Worte ins Ohr sagte. Aramis konnte sich trotz seiner Selbstbeherrschung einer leichten Bewegung nicht enthalten.

Lacht doch, sagte Herr von Retz, man beobachtet uns. Und er verließ ihn, um mit Frau von Chevreuse zu plaudern, die einen großen Kreis um sich versammelt hatte.

Aramis stellte sich, als lache er, um die Aufmerksamkeit einiger neugieriger Zuhörer abzulenken, und da er bemerkte, daß Athos sich in die Vertiefung des Fensters zurückgezogen hatte, so warf er rechts und links ein paar Worte hin und ging dann wieder zu ihm, auf eine Art, wie wenn dies ohne irgend eine Absicht geschähe.

Sobald sie wieder beisammen waren, knüpften sie ein offenbar sehr inhaltreiches Gespräch an. Raoul näherte sich ihnen, wie ihm Athos aufgetragen hatte.

Der Herr Abbé gibt mir ein Ringelgedicht von Voiture zum besten, sagte Athos mit lauter Stimme, und ich finde es ganz unvergleichlich.

Raoul blieb einige Augenblicke in ihrer Nähe und gesellte sich dann zu der Gruppe der Frau von Chevreuse.

Ich meinesteils, sagte der Koadjutor, möchte mir die Freiheit nehmen, nicht ganz der Meinung des Herrn von Scudery zu sein; ich finde im Gegenteil, daß Herr von Voiture ein Dichter ist; aber ein reiner Dichter. Die politischen Gedanken fehlen ihm ganz und gar. – Also? fragte Athos. – Morgen, erwiderte Aramis hastig. – Um wieviel Uhr? – Um sechs Uhr. – Wo? – In Saint-Mandè. – Wer hat es Euch gesagt? – Der Graf von Rochefort.

Es näherte sich jemand.

Und die philosophischen Ideen? Sie fehlen diesem armen Voiture ebenfalls. Ich schließe mich der Ansicht des Herrn Koadjutors an: ein reiner Dichter.

Raoul erfuhr inzwischen von Scarron, daß das reizvolle Mädchen mit den blauen Augen ein Fräulein d’Aubigné sei und aus Martinique stamme, weshalb er sie nur die Indianerin nannte.

Ruft doch den Herrn Grafen de la Fère, sagte Frau von Chevreuse zu dem Koadjutor, ich muß ihn sprechen.

Und ich, erwiderte der Koadjutor, muß mir den Anschein geben, als spreche ich nicht mit ihm. Ich liebe und bewundere ihn, denn ich kenne seine früheren Abenteuer, wenigstens zum Teil; aber ich kann ihn nicht wohl vor übermorgen begrüßen.

Und warum übermorgen? fragte Frau von Chevreuse.

Ihr sollt es morgen abend erfahren, antwortete der Koadjutor lachend.

In der Tat, mein lieber Conti, sagte die Herzogin, Ihr sprecht wie die Apokalypse. Herr d’Herblay, fügte sie, sich nach Aramis umwendend, bei: wollt Ihr wohl heute abend noch einmal mein Diener sein? …

Wie, Herzogin, sagte Aramis, heute abend? Morgen, immer, befehlt!

Wohl, so holt mir den Grafen de la Fère, ich will mit ihm sprechen.

Aramis näherte sich Athos und kehrte mit ihm zurück.

Mein Herr Graf, sagte die Herzogin, Athos einen Brief zustellend, hier ist das, was ich Euch versprochen habe. Unser Schützling wird eine vortreffliche Aufnahme finden.

Madame, sprach Athos, er ist sehr glücklich, daß er Euch etwas zu verdanken hat.

Ihr habt ihn in dieser Beziehung nicht zu beneiden; denn ich verdanke Euch seine Bekanntschaft, versetzte die boshafte Frau mit einem Lächeln, das Athos und Aramis an Marie Michon erinnerte.

Und bei diesen Worten stand sie auf und befahl ihren Wagen. Fräulein Paulet war bereits weggegangen, Fräulein von Scudery ging eben weg.

Vicomte, sagte Athos, sich an Raoul wendend, folgt der Frau Herzogin von Chevreuse, bittet sie um die Gnade, beim Hinabsteigen Eure Hand zu nehmen, und bedankt Euch bei ihr.

Die schöne Indianerin näherte sich Scarron, um sich von ihm zu verabschieden.

Ihr geht schon? sagte er.

Ich bin eine von den Letzten, wie Ihr seht. Wenn Ihr Nachricht von Herrn Voiture bekommt und dieselbe erfreulich ist, so habt die Güte, mir sie morgen zukommen zu lassen.

O, nun kann er sterben! rief Scarron.

Wieso? sagte das Mädchen mit den Sammetaugen.

Ganz gewiß; seine Lobrede ist gemacht.

Und man trennte sich lachend. Das junge Mädchen wandte sich, um den armen Lahmen teilnehmend anzuschauen. Der arme Lahme folgte ihr voll Liebe in den Augen.

Allmählich lichteten sich die Gruppen. Scarron stellte sich, als bemerkte er nicht, daß einige von seinen Gästen geheimnisvoll miteinander gesprochen hatten, daß Briefe für mehrere gekommen waren und daß seine Abendgesellschaft überhaupt einen geheimen Zweck gehabt zu haben schien, der sich weit von der Literatur entfernte, über die man so viel Worte gemacht hatte. Aber was lag Scarron daran? Man konnte jetzt in seinem Hause nach Gefallen schmähen und intrigieren, seit diesem Morgen war er, wie er gesagt hatte, nicht mehr der Kranke der Königin.

Raoul begleitete wirklich die Herzogin bis zu ihrem Wagen, wo sie Platz nahm, indem sie ihm ihre Hand zu küssen gab. Dann aber ergriff sie ihn in einer jener tollen Launen, die sie so anbetungswürdig und besonders so gefährlich machten, plötzlich beim Kopf, küßte ihn auf die Stirne und sprach: Vicomte, möchten Euch meine Wünsche und dieser Kuß Glück bringen.

Hierauf stieß sie ihn wieder zurück und befahl ihrem Kutscher, nach dem Hotel Luynes zu fahren. Der Wagen entfernte sich. Frau von Chevreuse machte dem jungen Manne ein letztes Zeichen durch den Schlag, und Raoul stieg ganz verblüfft wieder die Treppe hinauf.

Athos begriff, was vorgegangen war.

Kommt, Vicomte, sagte er, es ist Zeit zum Rückzüge. Ihr reist morgen zur Armee des Prinzen ab; schlaft Eure letzte bürgerliche Nacht gut.

Ich werde also Soldat, sagte der Jüngling. O Herr, Dank! Aus vollem Herzen Dank!

Adieu, Graf, sprach der Abbe d’Herblay; ich kehre in mein Kloster zurück.

Adieu, Abbé, sagte der Koadjutor; ich predige morgen und habe mich heute abend noch über zwanzig Texte zu besinnen.

Adieu, meine Herren, rief der Graf, ich werde vierundzwanzig Stunden hintereinander schlafen, denn ich sinke vor Müdigkeit beinahe um.

Die drei Männer begrüßten sich und gingen weg, nachdem sie einen letzten Blick gewechselt hatten.

Scarron sah ihnen verstohlen durch die Türvorhänge seines Salons nach.

Keiner von ihnen tut, was er sagte, murmelte er mit seinem affenartigen Lächeln; aber sie mögen es so halten, die braven Leute! Wer weiß, ob sie nicht arbeiten, daß ich meine Pension zurückbekomme? Sie können die Arme bewegen, das ist viel! Ach! ich habe nur die Zunge, aber ich werde zu beweisen suchen, daß dies auch etwas ist. Holla! Champenois; es hat elf Uhr geschlagen; rolle mich nach meinen, Bette. In der Tat, Fräulein d’Aubigné ist sehr reizend!

Hierauf verschwand der arme Lahme in seinem Schlafzimmer, dessen Türe sich hinter ihm schloß, und die Lichter erloschen allmählich im Salon der Rue des Tournelles.

Saint-Denis

Der Tag graute, als Athos aufstand und sich ankleiden ließ; an seiner außergewöhnlichen Blässe und einem ruhelosen Ausdruck in seinen Augen ließ sich leicht erkennen, daß er beinahe die ganze Nacht schlaflos zugebracht haben mußte. Gegen die Gewohnheit des sonst so festen und entschiedenen Mannes lag an diesem Morgen etwas Langsames, Unentschlossenes in seinem ganzen Wesen.

Dies kam daher, daß er sich mit den Vorbereitungen zur Abreise Raouls beschäftigte und Zeit zu gewinnen suchte. Zuerst putzte er selbst ein Schwert, das er aus einer Scheide von seinem Leder nahm, untersuchte, ob der Griff gehörig lag und ob die Klinge gut am Griffe befestigt war.

Dann warf er in ein für den jungen Mann bestimmtes Felleisen ein Säckchen voll Louisd’or, rief Olivain – so hieß der Lakai, der ihm von Blois gefolgt war – und ließ ihn den Mantelsack in seiner Gegenwart packen, wobei er genau darüber wachte, daß alle für einen ins Feld ziehenden jungen Menschen erforderlichen Gegenstände hineingelegt wurden.

Nachdem er beinahe eine Stunde auf alle diese Dinge verwendet hatte, öffnete er die Tür, die in das Zimmer des Vicomte führte, und trat sachte ein.

Die bereits strahlende Sonne drang in das Zimmer durch die breiten Fensterflügel, deren Vorhänge zu schließen Raoul, da er spät zurückgekehrt war, vergessen hatte. Den Kopf anmutig auf den Arm gelehnt, schlief er noch. Seine langen, schwarzen Haare bedeckten halb seine reizende Stirne, die feucht war von dem Schweiß, der in Perlen an den Wangen des müden Jungen herabrollte.

Athos näherte sich und schaute, den Körper vorbeugend, in schwermütiger Haltung lange den Jüngling mit dem lächelnden Munde, mit den halbgeschlossenen Augenlidern an, dessen Traum süß, dessen Schlaf leicht sein mußte, so viel Liebe und Sorgfalt verwandte sein Schutzengel auf seine stumme Bewachung. Allmählich versank Athos im Angesicht dieser so reichen, so reinen Jugend in eine zauberhafte Träumerei. Seine Jugend tauchte wieder in seinem Innern auf, mit allen ihren süßen Erinnerungen, welche mehr Wohlgerüche sind, als Gedanken. Aber dann dachte er daran, daß der ganze erste Teil seines Lebens von einer Frau zertrümmert worden war, und er überlegte sich mit Schrecken, wie verhängnisvoll die Liebe auf eine zugleich so zarte und so kräftige Organisation wirken könnte.

In diesem Augenblick erwachte Raoul; seine Augen hefteten sich auf die von Athos, und er begriff ohne Zweifel alles, was in dem Herzen dieses Mannes vorging, der sein Erwachen erwartete, wie ein Liebender auf das Erwachen der Geliebten harrt, denn sein Blick nahm nun ebenfalls den Ausdruck unendlicher Liebe an.

Ihr wart hier? sprach er ehrfurchtsvoll. – Ja, Raoul, ich war hier, erwiderte der Graf. – Und Ihr wecktet mich nicht? – Ich wollte Euch noch einige Augenblicke diesem guten Schlaf überlassen, mein Freund. Ihr müßt müde sein von dem gestrigen Tage her, der sich bis in die Nacht hinein verlängert hat. – O Herr, wie gut seid Ihr! rief Raoul.

Athos lächelte und sagte: Wie befindet Ihr Euch? – Vollkommen wohl, Herr, und völlig ausgeruht und heiter. – Ihr wachset noch, fuhr Athos mit der väterlichen Teilnahme des reifen Mannes für den Jüngling fort, und die Anstrengungen wirken doppelt in Eurem Alter. – Ah! Herr, ich bitte um Vergebung, sprach Raoul, beschämt durch so große Zuvorkommenheit, aber ich werde im Augenblick angekleidet sein.

Athos rief Olivain, und nach Verlauf von zehn Minuten war der Jüngling mit der Pünktlichkeit, die ihn Athos gelehrt hatte, zum Aufbruch bereit.

Nun besorge mein Gepäck, sagte Raoul zu dem Lakaien.

Euer Gepäck erwartet Euch, Raoul, sprach Athos; ich habe Euer Felleisen unter meinen Augen packen lassen, und es wird Euch nichts fehlen. Es muß bereits nebst dem Mantelsack des Lakaien auf den Pferden sein, wenn man die Befehle, die ich gegeben, befolgt hat.

Alles ist nach dem Willen des Herrn Grafen geschehen, sagte Olivain, und die Pferde harren unten.

Und ich schlief! rief Raoul, während Ihr, Herr, die Güte hattet, Euch mit allen diesen kleinen Sorgen zu bemühen! O! in der Tat, Ihr überhäuft mich mit Wohltaten!

Ihr liebt mich also ein wenig, wie ich hoffe? versetzte Athos mit beinahe gerührtem Tone.

O Herr! rief Raoul, der, um seine innere Erschütterung nicht durch einen Ausbruch von Zärtlichkeit kundzugeben, sich bis zum Ersticken zusammennahm. O! Gott ist mein Zeuge, daß ich Euch liebe und verehre!

Seht, ob nichts vergessen ist, sprach Athos und gab sich den Anschein, als suche er noch etwas, um seine Rührung zu verbergen.

Nein, Herr, sprach Raoul.

Der Lakai näherte sich Athos zögernd und sagte leise zu ihm: Der Herr Vicomte hat keinen Degen, denn der Herr Graf hieß mich gestern den, welchen er ablegte, wegnehmen.

Schon gut, antwortete Athos, das ist meine Sache.

Raoul schien dieses Zwiegespräch nicht zu bemerken. Er stieg hinab und schaute dabei jeden Augenblick den Grafen an, um zu sehen, ob der Augenblick des Scheidens gekommen sei. Aber Athos‘ Gesicht veränderte sich nicht im geringsten. Als Raoul die Freitreppe erreichte, erblickte er drei Pferde.

O Herr! rief er ganz strahlend, Ihr begleitet mich also?

Ich will Euch ein wenig führen, antwortete Athos.

Die Freude glänzte in Raouls Augen, und er schwang sich leicht auf sein Pferd. Athos bestieg langsam das seinige, nachdem er zuvor leise ein Wort zu dem Lakaien gesagt hatte, der, statt unmittelbar zu folgen, sich wieder in die Wohnung zurück begab. Entzückt, in der Gesellschaft des Grafen zu sein, bemerkte Raoul nichts oder stellte sich wenigstens, als bemerke er nichts.

Die Edelleute schlugen den Weg nach dem Pont neuf ein und gelangten eben an die Rue Saint-Denis, als der Lakai sie wieder einholte. Der Weg wurde stillschweigend zurückgelegt. Raoul fühlte wohl, daß der Augenblick der Trennung herannahte. Die Blicke des Grafen waren noch zärtlicher und liebevoller. Von Zeit zu Zeit entschlüpften ihm eine Betrachtung oder ein Rat, und seine Worte waren voll wohlwollender Fürsorge.

Als sie den Pont Saint-Denis hinter sich hatten und auf die Höhe des Rekollektenklosters gelangt waren, warf Athos einen Blick auf das Pferd des Vicomte und sagte: Nehmt Euch wohl in acht, Raoul, Ihr habt eine schwere Hand, ich hab‘ es Euch oft gesagt, Ihr müßt das nicht vergessen, denn das ist ein großer Fehler für einen Reiter. Seht, Euer Pferd ist bereits müde, es schäumt, während das meinige gerade aus dem Stalle zu kommen scheint. Ihr macht ihm ein hartes Maul, wenn Ihr das Gebiß so stark anzieht, und könnt es dann nicht mit der erforderlichen Behendigkeit manövrieren lassen. Das Glück eines Reiters hängt zuweilen von dem raschen Gehorsam seines Pferdes ab. Bedenkt wohl, in acht Tagen manövriert Ihr nicht mehr in einer Reitschule, sondern auf einem Schlachtfelde.

Ich habe noch etwas anderes bemerkt, fuhr er fort, Ihr haltet beim Pistolenschießen den Arm zu gestreckt; durch diese Spannung verliert der Schuß die Pünktlichkeit. Unter zwölfmal verfehlt Ihr dreimal das Ziel.

Das Ihr zwölfmal träfet, erwiderte Raoul lächelnd.

Weil ich den Arm etwas bog und so die Hand auf meinem Ellenbogen ruhen ließ. Begreift Ihr wohl, was ich damit sagen will?

Ja, Herr, ich habe seitdem, wenn ich allein schoß, Euern Rat beachtet, und meine Bemühungen waren vom günstigsten Erfolg begleitet.

Seht, versetzte Athos, das ist gerade wie beim Fechten: Ihr greift Euern Gegner zu sehr an. Ich weiß wohl, das ist ein Fehler Eures Alters, aber die Bewegung des Körpers beim Angreifen bringt stets den Degen von der Linie ab, und wenn Ihr es mit einem Manne von kaltem Blut zu tun hättet, so würde er Euch bei Eurem ersten Schritt durch einfaches Losmachen Eurer Klinge oder durch einen geraden Stoß überwinden.

Ja, Herr, wie Ihr es oft getan habt. Aber nicht jeder besitzt Eure Geschicklichkeit und Euren Mut.

Welch ein frischer Wind! sprach Athos. Doch hört, wenn Ihr ins Feuer geht, und das wird nicht ausbleiben, denn Ihr seid einem jungen General empfohlen, der das Pulver ungemein liebt, so erinnert Euch wohl: im Einzelkampfe schießt nie zuerst; wer zuerst schießt, trifft selten seinen Mann, denn er schießt mit der Furcht, einem bewaffneten Feind gegenüber entwaffnet zu bleiben. Dann wenn Euer Gegner schießt, laßt Euer Pferd sich bäumen; dieses Manöver hat mir zwei- oder dreimal das Leben gerettet.

Ich werde es anwenden, und wäre es nur aus Dankbarkeit.

Dann noch etwas Wichtiges, Raoul: wenn Ihr bei einem Angriff verwundet werdet, wenn Ihr vom Pferde fallt und es bleibt Euch noch etwas Kraft, so schleppt Euch von der Linie ab, die Euer Regiment verfolgt hat; denn es kann zurückgeführt werden, und die Pferde zertreten Euch mit den Hufen. Jedenfalls schreibt mir sogleich oder laßt mir schreiben, wenn Ihr verwundet seid; wir verstehen uns auf Wunden, fügte Athos bei.

Ich danke Euch, Herr, antwortete der junge Mensch ganz bewegt.

Ah, wir sind in Saint-Denis, murmelte Athos.

Sie gelangten wirklich zu dem Tore dieser Stadt, an dem zwei Soldaten Wache standen. Der eine sagte zum andern: Das ist ein junger Edelmann, der aussieht, als wollte er sich zum Heere begeben.

Sie zogen durch die Straßen der Stadt, die des Festtags wegen voll Menschen waren, und man gelangte vor die alte Basilika, in der die erste Messe gelesen wurde.

Steigt ab, Raoul, sprach Athos. Du, Olivain, bewache unsere Pferde und gib mir den Degen.

Athos nahm den Degen in die Hand, den ihm der Lakai reichte, und die beiden Edelleute traten in die Kirche.

Athos bot Raoul Weihwasser. Der Jüngling berührte Athos‘ Hand und bekreuzte sich.

Athos sagte ein Wort zu einem der Wächter; dieser verbeugte sich und schritt der Gruft zu.

Kommt, Raoul, sagte Athos, wir wollen diesem Manne folgen.

Der Wächter öffnete das Gitter der königlichen Gräber und blieb auf der obersten Stufe stehen, während Athos und Raoul hinabstiegen. Die Grufttreppe war in der Tiefe von einer silbernen Lampe beleuchtet, die auf der untersten Stufe brannte, und gerade über dieser Lampe ruhte, in einen weiten, mit goldenen Lilien bestreuten Mantel von veilchenblauem Sammet gehüllt, ein von eichenen Gestellen getragener Katafalk.

Der Jüngling war langsamen, feierlichen Schritts hinabgestiegen und stand mit entblößtem Haupte vor dieser sterblichen Hülle des letzten Königs.

Es herrschte einen Augenblick Stillschweigen. Dann hob Athos die Hand auf und deutete mit dem Finger auf den Sarg.

Dieses unsichere Grab, sprach er, ist das eines schwachen, aller Größe ermangelnden Menschen, dessen Regierung jedoch voll ungeheurer Ereignisse war, denn über diesem König wachte der Geist eines andern Mannes, wie die Lampe hier über diesem Sarge wacht und ihn beleuchtet. Dies war der wahre König, Raoul; der andere war nur ein Phantom, in das er seine Seele legte. Und dennoch ist die monarchische Majestät so mächtig bei uns, daß dieser Mann nicht einmal die Ehre eines Grabes zu den Füßen dessen genießt, für den er sein ganzes Leben aufgebraucht hat. Denn, vergeßt nicht, Raoul, wenn dieser Mann den König klein gemacht hat, so hat er das Königtum groß gemacht; zweierlei gibt es im Louvre: den König, der stirbt, und das Königtum, das nicht stirbt. Diese Regierung ist vorüber. Raoul, es ist mir, als erblickte ich Eure Zukunft wie durch eine Wolke; sie ist, glaube ich, besser als die unsere. Während wir einen Minister ohne König hatten, werdet Ihr einen König ohne Minister haben. Ihr könnt also dem König dienen, ihn lieben und achten. Ist dieser König aber ein Tyrann, was leicht sein könnte, so dient dem Königtum, das heißt, der unfehlbaren Sache, dem Geiste Gottes auf Erden, diesem himmlischen Funken, der den Staub so groß und so heilig macht, daß wir Edelleute, wenn auch von hoher Geburt, doch vor diesem auf der obersten Stufe der Leiter weilenden Körper so wenig sind, als dieser Körper selbst vor dem Throne Gottes.

Ich werde Gott anbeten, Herr, sprach Raoul; ich werde das Königtum ehren, dem König dienen und danach trachten, daß ich, wenn ich sterbe, für den König, für das Königtum oder für Gott sterbe. Habe ich Euch wohl begriffen?

Athos lächelte und sprach: Ihr seid eine edle Natur, hier ist Euer Degen.

Raoul setzte ein Knie auf die Erde.

Er wurde von meinem Vater, einem wackern Edelmanne, getragen; ich habe ihn ebenfalls getragen und ihm zuweilen Ehre gemacht, wenn sein Griff in meiner Hand lag und seine Scheide an meiner Seite hing.

Herr, sprach Raoul, den Degen aus den Hand des Grafen empfangend, ich habe Euch alles zu verdanken, doch dieses Schwert ist das kostbarste Geschenk, das Ihr mir gemacht habt. Ich schwöre Euch, ich werde es mit dankerfülltem Herzen tragen.

Und er näherte seine Lippen dem Griff, den er ehrfurchtsvoll küßte.

Gut, sprach Athos. Steht auf, Vicomte, und umarmen wir uns.

Raoul stand auf und warf sich mit der vollen Glut seiner Gefühle Athos in die Arme.

Gott befohlen, murmelte der Graf, der sein Herz zerschmelzen fühlte, Gott befohlen und denkt an mich.

O! ewig! ewig! rief der Jüngling. O! ich schwöre Euch, Herr, wenn mir Unglück widerfährt, ist Euer Name der letzte, den ich ausspreche, die Erinnerung an Euch mein letzter Gedanke.

Athos stieg rasch wieder die Treppe hinauf, um die heftige Bewegung seines Gemütes zu verbergen, gab dem Wächter der Gräber ein Goldstück, verbeugte sich vor dem Altar und erreichte mit großen Schritten die Kirchenpforte, vor der Olivain mit den zwei andern Pferden wartete.

Olivain, sagte er, du begleitest jetzt den Herrn Vicomte, bis Grimaud Euch eingeholt hat; ist er gekommen, so verläßt du den Herrn Vicomte. Ihr versteht, Raoul, Grimaud ist ein alter Diener, voll Mut und Klugheit; Grimaud wird Euch folgen.

Ja, Herr, sprach Raoul.

Auf, zu Pferde, daß ich Euch wegreiten sehe.

Raoul gehorchte.

Gott befohlen, Raoul, Gott befohlen, mein lieber Junge!

Gott befohlen, Herr! rief Raoul, Gott befohlen, geliebter Beschützer!

Eine Nachtrunde

Zehn Minuten nachher entfernte sich die kleine Truppe durch die Rue des Bons-Enfants. Der Anblick der Stadt bot alle Merkmale großer Aufregung; zahlreiche Gruppen durchzogen die Straßen und blieben stille stehen, um die sechs Reiter mit drohenden und spöttischen Mienen vorüberziehen zu sehen. Von Zeit zu Zeit vernahm man Lärm aus der Gegend der Hallen. Flintenschüsse knallten in der Richtung der Rue Saint-Denis, und zuweilen begann plötzlich, ohne daß man wußte warum, von der Volkslaune in Bewegung gesetzt, eine Glocke zu läuten.

D’Artagnan verfolgte seinen Weg mit der Sorglosigkeit eines Mannes, auf den dergleichen Lappalien keinen Eindruck machen. Hielt sich eine Gruppe mitten in der Straße, so spornte er sein Pferd gegen sie, ohne Achtung zu rufen, und siehe da, Rebellen oder Nichtrebellen, sie schienen zu wissen, mit wem sie es zu tun hatten, sie öffneten ihre Reihen und ließen die Patrouille durchziehen. Der Kardinal beneidete ihn um diese Ruhe, die er der Gewöhnung an Gefahren zuschrieb, aber er faßte darum nicht minder für den Offizier, unter dessen Befehle er sich für den Augenblick gestellt hatte, jene Achtung, welche selbst die Klugheit dem sorglosen Mute zugesteht.

Als man sich dem Posten der Barriere des Sergens näherte, rief die Wache: Wer da? D’Artagnan antwortete und rückte, nachdem er den Kardinal um das Losungswort gefragt hatte, vor.

Dort ist Herr von Comminges, der diesen Posten befehligt, sagte d’Artagnan zu dem Kardinal.

Der Kardinal lenkte sein Pferd auf diesen Offizier zu, der mit einem anderen berittenen Offizier plauderte. D’Artagnan blieb aus Diskretion zurück.

Bravo, Guitaut, sprach der Kardinal zu dem Reiter, ich sehe, haß Ihr trotz Eurer vierundsechzig Jahre immer noch derselbe seid, immer munter, immer rüstig; was sagtet Ihr zu diesem jungen Manne?

Monseigneur, ich sagte ihm, daß der heutige Tag sehr einem aus der Zeit der Ligue gleiche, die ich in meinen Jugendjahren gesehen habe. Wißt Ihr, daß sie schon von Barrikadenbauen reden?

Und was antwortete Euch Herr von Comminges, mein lieber Guitaut?

Monseigneur, sprach Comminges, ich antwortete, zu einer Ligue fehlt heute etwas Wesentliches, nämlich ein Herzog von Guise; überdies macht man nicht zweimal das Gleiche.

Nein, aber sie werden statt einer Ligue eine Fronde machen, sagte Guitaut.

Was ist das, eine Fronde?

Monseigneur, das ist der Name, den sie ihrer Partei geben.

Und woher kommt dieser Name?

Der Rat Bachaumont soll vor einigen Tagen im Palaste gesagt haben, alle Empörer gleichen den Burschen, welche in den Gräben von Paris mit der Schleuder spielen (französisch: fronder ) und sich zerstreuen, sobald der Polizeileutnant kommt, um sich abermals zu versammeln, wenn er vorübergegangen ist. Sie haben das Wort aufgeschnappt, und nennen sich Frondeurs; heute und gestern war alles à la Fronde, das Brot, die Hüte, die Handschuhe, die Muffe, die Fächer; doch halt, hört einmal. – Man hörte ganz deutlich singen:

Ein Frondewind
Bläst frisch und munter,
Bläst Mazarin
Den Hut herunter.

Der Unverschämte! murmelte Comminges. Soll ich diesem Kerl eine Kugel zuschicken, um ihn besser singen zu lehren?

Nein, nein, rief Mazarin. Diavolo, mein lieber Freund, Ihr würdet alles verderben; es geht im Gegenteil vortrefflich. Ich kenne Eure Franzosen vom ersten bis zum letzten, wie wenn ich sie gemacht hätte: sie singen und werden bezahlen. Komm, Guitaut, komm, wir wollen nachsehen, ob man bei Quinze-Vingts ebensogut Wache hält, als an der Barriere des Sergens.

Das ist richtig, murmelte Comminges, als er ihn wegreiten sah, wenn man ihn nur bezahlt, mehr verlangt er nicht.

Man schlug wieder den Weg in die Rue Saint Honoré ein, wobei man fortwährend Gruppen auseinander sprengte. In diesen Gruppen sprach man nur von den Edikten; man beklagte den jungen König, der auf diese Art, ohne es zu wissen, sein Volk zu Grunde richtete; man warf die ganze Schuld auf Mazarin; man sprach davon, sich an den Herzog von Orleans und an den Prinzen zu wenden; man pries Blancmesnil und Broussel.

D’Artagnan ritt mitten durch diese Gruppen so sorglos, als ob er und sein Pferd von Eisen wären; Mazarin und Guitaut plauderten ganz leise miteinander; die übrigen Musketiere, die endlich den Kardinal erkannt hatten, folgten stillschweigend.

Man kam in die Rue Saint-Thomas-du-Louvre, wo der Posten der Quinze-Vingts war, und ritt, da sich hier alles ruhig verhielt, zu dem dritten Posten an der Butte Saint Roch. Diesen befehligte der Kapitän der Garden des Königs, Villequier, der dem Kardinal heftig grollte. Er hatte sich besonders zurückgesetzt gefühlt, weil Mazarin seinerzeit die Verhaftung des Herzogs von Beaufort nicht durch ihn, obwohl er der einzig Berechtigte dazu gewesen sei, sondern durch Guitaut habe ausführen lassen.

Auf Befehl Mazarins, der sich selbst zurückhielt, ritt sein Begleiter aus Villequier zu.

Ah, Ihr seid es, Guitaut, sprach dieser mit seinem gewöhnlichen übellaunigen Tone. Was zum Teufel wollt Ihr hier?

Ich komme, um Euch zu fragen, ob es hier etwas Neues gebe?

Was zum Teufel soll es hier geben? Man ruft: Es lebe der König und nieder mit Mazarin! Das ist nichts Neues: wir sind schon seit geraumer Zeit an dieses Geschrei gewöhnt.

Und Ihr macht Chorus dazu, erwiderte Guitaut lachend.

Meiner Treu, ich fühle oft große Lust in mir, und ich finde, daß sie ganz recht haben, Guitaut. Gern gäbe ich fünf Jahre von meinem Gehalt, wenn der König fünf Jahre älter wäre.

Wirklich! Und was würde geschehen, wenn der König fünf Jahre älter wäre?

Dann käme doch der Augenblick, wo der König volljährig würde und seine Befehle selbst geben müßte, und, wahrlich, es ist doch mehr Vergnügen dabei, dem Enkel Heinrichs IV., als dem Sohne des Pietro Mazarin zu gehorchen. Für den König, Mord und Hölle, ließe ich mich mit Vergnügen töten; wenn ich aber für Mazarin getötet würde, wie dies heute Eurem Neffen beinahe widerfahren wäre, so könnte kein Paradies, so schön es auch wäre, mich je darüber trösten!

Und er wandte sich auf den Fersen um und kehrte, eine Fronde-Melodie pfeifend, in die Wachtstube zurück.

Mazarin kam ganz nachdenklich in seinen Palast zurück. Was er nach und nach von Comminges, von Guitaut und von Villequier gehört hatte, bestätigte ihn in der Ansicht, daß er im Fall ernster Ereignisse niemand für sich hätte, als die Königin, und auch die Königin hatte so oft ihre Freunde verlassen, daß ihre Unterstützung dem Minister, trotz der Vorsichtsmaßregeln, die er getroffen, sehr ungewiß und zweifelhaft erschien.

Während dieses ganzen nächtlichen Rittes hafte der Kardinal einen Mann prüfend betrachtet. Dieser Mann, welcher bei dem Drohgeschrei des Volkes ganz gleichgültig geblieben war, und dessen Gesicht sich bei den Scherzen Mazarins, sowie den Anspielungen der andern nicht im mindesten verändert hatte, dieser Mensch erschien ihm ein ganz besonderes, in der Gegenwart und in der nächsten Zukunft recht brauchbares Wesen.

Überdies war ihm der Name d’Artagnan nicht ganz unbekannt, und obgleich er erst gegen 1634 oder 1635, d. h. sieben oder acht Jahre nach den von uns in den Drei Musketieren, erzählten Ereignissen, nach Frankreich gekommen war, so schien es dem Kardinal doch, als hätte er von ihm als von einem Manne gehört, der sich als ein Muster von Mut, Gewandtheit und Ergebenheit bemerkbar gemacht hatte.

Dieser Gedanke bemächtigte sich seiner so sehr, daß er sich ungesäumt Licht zu verschaffen beschloß. Aber die Auskunft, die er über d’Artagnan zu erhalten wünschte, durfte er nicht von d’Artagnan selbst verlangen. An den wenigen Worten, die der Leutnant der Musketiere gesprochen hatte, erkannte der Kardinal seinen gascognischen Ursprung, und Italiener und Gascogner kennen einander zu gut und gleichen sich zu sehr, um gegenseitig an das zu glauben, was sie von sich sagen. Als er daher an den Garten des königlichen Schlosses gelangte, ersuchte er d’Artagnan, ihn im Schloßhofe zu erwarten, und machte Guitaut ein Zeichen, ihm in den Garten zu folgen.

Mein lieber Guitaut, sprach er sodann, sich auf den Arm des alten Kapitäns der Garden stützend, ich nahm Euch mit, um Euch zu fragen, ob Ihr unsern Musketierleutnant bemerkt habt? – Ich habe nicht mehr nötig gehabt, ihn zu bemerken, denn ich kenne ihn seit geraumer Zeit. – Was ist er für ein Mensch? – Wie denn? sprach Guitaut, über diese Frage erstaunt. Er ist ein Gascogner. – Ja, ich weiß das, aber ich wollte Euch fragen, ob er ein Mann sei, in den man Vertrauen setzen könne? – Herr von Treville hält große Stücke auf ihn, und Herr von Treville ist, wie Ihr wißt, einer der ergebensten Freunde der Königin. – Ich wünschte zu wissen, ob er ein Mann ist, der seine Proben bestanden hat? – Wenn Ihr darunter versteht, ob er ein braver Soldat sei, so kann ich Euch mit ja antworten. Bei der Belagerung von La Rochelle und bei Perpignan hat er, wie ich hörte, mehr als seine Pflicht getan. – Aber Ihr wißt, Guitaut, wir armen Minister bedürfen oft noch anderer Männer, als der Tapferen. Wir brauchen geschickte Leute. War Herr d’Artagnan zur Zeit des Kardinals nicht in eine Intrigue verwickelt, in der er sich dem Gerüchte zufolge mit großer Gewandtheit benommen hat? – Monseigneur, sagte Guitaut, der wohl einsah, daß ihn der Kardinal zum Sprechen bringen wollte, in dieser Beziehung sehe ich mich genötigt, Eurer Eminenz zu sagen, daß ich nicht mehr weiß, als was Ihr selbst durch öffentliche Gerüchte erfahren konntet. Ich meinerseits habe mich nie in Intriguen gemischt und bin immer nur ein Kriegsmann gewesen. Wendet Euch an irgend einen Intriganten der Zeit, von der Ihr sprecht, und Ihr werdet bekommen, was Ihr haben wollt, wohl verstanden, wenn Ihr bezahlt. – Ei, bei Gott, versetzte Mazarin mit einer Grimasse, die er unwillkürlich zu machen pflegte, wenn man bei ihm die Geldfrage im Sinne Guitauts berührte … man wird bezahlen … wenn man es nicht anders machen kann. – Fordert mich Monseigneur im Ernste auf, ihm einen Mann zu nennen, der in alle Kabalen dieser Zeit verwickelt war? – Per Bacco! versetzte Mazarin, der nachgerade ungeduldig wurde, wer ist dieser Mann? – Der Graf von Rochefort. – Der Graf von Rochefort? – Leider ist er seit bald vier oder fünf Jahren verschwunden, und ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. – Ich werde es erfahren, Guitaut, sprach Mazarin. Ihr glaubt also, Rochefort … – Er war der ergebenste Anhänger des Kardinals, Monseigneur. Aber ich sage Euch zum voraus, es wird Euch viel kosten, der Kardinal war verschwenderisch gegen seine Kreatur. – Ja, ja. Guitaut, sagte Mazarin, er war ein großer Mann, aber er hatte diesen Fehler; ich danke, Guitaut, ich werde Euren Rat benutzen und zwar noch diesen Abend.

Und da in diesem Augenblick die zwei Sprechenden zu dem Hof des Palais Royal gelangt waren, so grüßte der Kardinal Guitaut mit einem Zeichen der Hand und näherte sich einem Offizier, den er auf- und abgehen sah.

Es war d’Artagnan, der nach dem Befehl des Kardinals ihn erwartete.

Kommt, Herr d’Artagnan, sprach Mazarin mit seiner flötenweichsten Stimme, ich habe Euch einen Auftrag zu geben.

Der Kardinal ging in sein Zimmer, schrieb ein paar Zeilen auf ein Blatt, faltete es zusammen, siegelte es und sprach: Herr d’Artagnan, Ihr tragt diese Depesche in die Bastille und bringt die Person zurück, auf die sie sich bezieht. Nehmt einen Wagen und berittene Begleitung und bewacht den Gefangenen sorgfältig.

D’Artagnan nahm den Brief, legte die Hand an seinen Hut, drehte sich auf dem Absatz um, wie es nur der geschickteste Sergeant beim Vorexerzieren machen kann, ging hinaus, und einen Augenblick nachher hörte man ihn mit seinem kurzen Ton kommandieren: Vier Mann Eskorte, einen Wagen, mein Pferd!

Fünf Minuten nachher vernahm man Wagengerassel und den Hufschlag der Pferde auf dem Pflaster des Hofes.

Marie Michons Abenteuer

Ungefähr um dieselbe Stunde, wo die Fluchtpläne zwischen dem Herzog von Beaufort und Grimaud entworfen wurden, ritten zwei Männer, gefolgt von einem Bedienten, durch die Rue du Faubourg Saint-Marcel in Paris ein. Diese zwei Männer waren der Graf de la Fère und der Vicomte von Bragelonne.

Die Reisenden hielten in der Rue du Vieux-Colombier vor dem Gasthof Zum grünen Fuchs an. Athos kannte die Taverne seit geraumer Zeit. Hundertmal war er mit seinen Freunden dahingekommen; aber seit zwanzig Jahren waren, bei den Wirtsleuten anzufangen, vielfache Veränderungen in diesem Hotel vorgegangen.

Die Reisenden überließen ihre Pferde den Knechten, und da es edle Tiere waren, so befahlen sie, ihnen nur Stroh und Hafer zu geben und die Brust und die Beine mit warmem Weine zu waschen. Sie hatten zwanzig Meilen in einem Tage zurückgelegt. Nachdem sie sich, wie sich’s für echte Kavaliere ziemt, zuerst mit ihren Pferden beschäftigt hatten, verlangten sie zwei Zimmer für sich.

Ihr werdet Toilette machen, Raoul, sprach Athos, ich stelle Euch jemand vor.

Heute, Herr? fragte der Jüngling.

Der Jüngling verbeugte sich.

Nicht so ausdauernd wie Athos, der von Eisen zu sein schien, würde er vielleicht ein Bad in der Seine vorgezogen haben. Dann wäre ihm wohl ein Bett willkommener gewesen, aber der Graf de la Fère hatte gesprochen, und er dachte nur daran, ihm zu gehorchen.

Kleidet Euch sorgfältig, Raoul, sagte Athos, man soll Euch schön finden.

Ich hoffe, Herr, erwiderte der Jüngling lächelnd. Es handelt sich doch nicht um eine Heirat? Ihr kennt meine Verbindung mit Luise.

Athos lächelte ebenfalls.

Nein, seid ruhig, sprach er, obgleich ich Euch einer Dame vorstellen werde.

Einer Dame? sagte Raoul.

Ja, ich wünsche sogar, daß Ihr sie liebt.

Der junge Mensch schaute den Grafen mit einer gewissen Unruhe an; aber Athos‘ Lächeln beruhigte ihn bald wieder.

Und wie alt ist sie? fragte der Vicomte von Bragelonne.

Mein lieber Raoul, sagte Athos, vernehmet ein- für allemal, daß dies eine Frage ist, die man nie tut. Wenn Ihr auf dem Gesicht einer Frau ihr Alter lesen könnt, so ist es unnütz, sie zu fragen; könnt Ihr es nicht, so ist es indiskret.

Ist sie schön?

Vor sechzehn Jahren galt sie nicht nur für die schönste, sondern auch für die anmutigste Frau Frankreichs.

Diese Antwort beruhigte den Vicomte völlig. Athos konnte ihn nicht mit einer Frau verbinden wollen, die schon ein Jahr vor seiner Geburt für die hübscheste und anmutigste Dame Frankreichs gegolten hatte.

Er zog sich also in sein Zimmer zurück und bemühte sich, mit der Koketterie, die der Jugend so gut steht, Athos‘ Auftrag Folge zu leisten, das heißt, sich so schön als möglich zu machen. Bei dem aber, was die Natur für ihn getan hatte, war dies ein Leichtes.

Als er wieder erschien, empfing ihn Athos mit dem väterlichen Lächeln, mit dem er einst d’Artagnan empfangen hatte, das aber Raoul gegenüber eine noch tiefere Zärtlichkeit abspiegelte.

Athos warf einen Blick auf Füße, auf Hände und Haare des Jünglings, diese drei aristokratischen Kennzeichen. Seine schwarzen Haare waren gleichmäßig abgeteilt, wie man sie in jener Zeit trug, und fielen, sein Gesicht umrahmend, auf die Schultern herab. Handschuhe von grauem Damhirschleder, welche mit seinem Hute im Einklang standen, hoben eine feine, elegante Hand hervor, während seine Stiefel von derselben Farbe, wie seine Handschuhe und sein Hut, einen Fuß umspannten, der einem zehnjährigen Kinde zu gehören schien.

Gut, murmelte er; wenn sie nicht stolz auf ihn ist, so muß sie sehr anspruchsvoll sein.

Es war drei Uhr nachmittags, das heißt, die schickliche Stunde zu Besuchen. Die zwei Reisenden gingen nach der Rue de Grenelle, schlugen den Weg nach der Rue des Rosiers ein, traten in die Rue Saint-Dominique und hielten vor einem prachtvollen Hotel an, das den Jakobinern gegenüber lag und mit dem Wappen des Hauses Luynes geschmückt war.

Hier ist es, sprach Athos.

Er trat in den Palast mit dem festen, sichern Schritte, der dem Portier andeutet, daß der Eintretende das Recht hat, so zu handeln. Er stieg die Treppe hinauf, wandte sich an einen Bedienten, der in großer Livree wartete, und fragte, ob die Frau Herzogin von Chevreuse den Herrn Grafen de la Fère empfangen könne.

Einen Augenblick nachher kam der Lakai zurück und sagte, obgleich die Frau Herzogin von Chevreuse nicht die Ehre habe, den Herrn Grafen de la Fère zu kennen, so bitte sie ihn doch, eintreten zu wollen.

Athos folgte dem Bedienten, der ihn eine lange Reihe von Zimmern durchwandern ließ, und blieb endlich vor einer geschlossenen Türe stehen. Man fand sich in einem Salon. Athos machte dem Vicomte von Bragelonne ein Zeichen, da zu verweilen, wo er war.

Der Lakai öffnete und meldete den Herrn Grafen de la Fère.

Frau von Chevreuse, von der wir so oft in den Drei Musketieren gesprochen haben, ohne sie selbst unsern Lesern vorzustellen, galt immer noch für eine sehr schöne Frau. Obgleich sie zu dieser Zeit 44 bis 45 Jahre alt war, so schien sie doch kaum 38 bis 39 zu zählen. Sie besaß immer noch ihre schönen blonden Haare, ihre großen, lebhaften, verständigen Augen, welche die Intrige so oft geöffnet und die Liebe so oft geschlossen hatte, und ihren Nymphenwuchs, der sie, wenn man sie von hinten erblickte, immer wie ein junges Mädchen erscheinen ließ.

Sie war übrigens immer noch das tolle Geschöpf, das seinen Liebschaften ein solches Gepräge von Originalität verliehen hatte, daß ganz Frankreich davon erfüllt war.

Die Herzogin befand sich in einem überaus prächtigen kleinen Boudoir, dessen Fenster aus den Garten ging. Sie hielt in der Hand ein halb geöffnetes Buch, und der Arm, der das Buch hielt, ruhte auf einem Kissen. Bei der Meldung des Bedienten erhob sie sich ein wenig und reckte neugierig den Kopf vor.

Athos erschien. Er war in veilchenblauen Samt mit ähnlichen Posamenten gekleidet. Die Nesteln waren von mattem Silber, seine Mantel hatte eine goldene Stickerei, und eine einzige veilchenblaue Feder schwankte an seinem schwarzen Hut.

Er trug Stiefel von schwarzem Leder, und an seinem Gürtel hing der Degen mit dem prachtvollen Griffe, den Porthos so oft in der Rue Feron bewundert hatte. Herrliche Spitzen bildeten den zurückgeschlagenen Kragen seines Hemdes, Spitzen fielen auch an seinen Stiefeln herab.

In der ganzen Person des Mannes, den man unter einem Frau von Chevreuse völlig unbekannten Namen gemeldet hatte, kam so sehr der vollkommene Edelmann zum Ausdruck, daß sie sich halb erhob und ihm mit einem anmutigen Zeichen bedeutete, er möge sich in ihrer Nähe niedersetzen.

Athos grüßte und gehorchte. Der Lakai war im Begriff, sich zurückzuziehen, als ihn Athos durch ein Zeichen bleiben hieß.

Madame, sprach er zu der Herzogin, ich habe nie Kühnheit gehabt, mich in Eurem Hotel einzufinden, ohne Euch bekannt zu sein. Diese Kühnheit ist mir gelungen, denn Ihr hattet die Gnade, mich zu empfangen; nun wage ich es noch, Euch um eine Unterredung von einer halben Stunde zu bitten.

Ich bewillige sie Euch, mein Herr, antwortete Frau von Chevreuse mit ihrem anmutigsten Lächeln.

Doch das ist noch nicht alles, Madame; oh! ich bin ein gewaltig ehrgeiziger Mensch, ich weiß es wohl. Die Unterredung, die ich mir von Euch erbitte, ist eine Unterredung unter vier Augen, in der ich wünschen muß, nicht unterbrochen zu werden.

Ich bin für niemand zu Hause, sagte die Herzogin von Chevreuse zu dem Bedienten; geht!

Die Herzogin von Chevreuse unterbrach zuerst das Stillschweigen, das nach der Entfernung des Lakaien eingetreten war.

Nun, mein Herr, sagte sie lächelnd, seht Ihr nicht, daß ich mit Ungeduld warte? – Und ich, Madame, erwiderte Athos, schaue mit Bewunderung. – Mein Herr, sprach Frau von Chevreuse, entschuldigt mich, aber ich wünschte sogleich zu wissen, mit wem ich spreche. Ihr seid ein Mann vom Hofe, das ist unbestreitbar, und dennoch habe ich Euch nie bei Hofe gesehen. Kommt Ihr etwa aus der Bastille? – Nein, Madame, antwortete Athos lächelnd, aber vielleicht bin ich aus dem Wege, der dahin führt. – Ah, dann sagt mir geschwind, wer Ihr seid, und geht, erwiderte die Herzogin mit dem lustigen Tone, der bei ihr einen so großen Zauber ausübte; denn ich bin in dieser Beziehung bereits arg genug kompromittiert und kann mich nicht noch mehr kompromittieren. – Wer ich bin, Madame? Man hat Euch meinen Namen gesagt: der Graf de la Fère. Diesen Namen habt Ihr nie gekannt; ich führte einst einen andern, den Ihr vielleicht gewußt, aber sicherlich vergessen habt. – Nennt ihn immerhin, mein Herr. – Früher, versetzte der Graf de la Fère, nannte ich mich Athos.

Frau von Chevreuse machte große, verwunderte Augen. Offenbar hatte sich dieser Name in ihrem Gedächtnisse nicht ganz verwischt, obgleich er mit vielen alten Erinnerungen vermengt war.

Athos? sagte sie, wartet doch ein wenig …

Und sie legte ihre Hände an die Stirne.

Soll ich Euch helfen, Madame? sagte Athos lächelnd. – Ja doch, erwiderte die Herzogin, des Suchens bereits müde; Ihr tut mir einen Gefallen damit. – Dieser Athos stand in Verbindung mit drei jungen Musketieren, und diese drei Musketiere hießen d’Artagnan, Porthos und …

Und Aramis, sprach die Herzogin lebhaft. – Und Aramis, so ist es, versetzte Athos. Ihr habt also diesen Namen nicht gänzlich vergessen? – Nein, sprach sie, nein! Armer Aramis! er war ein reizender Kavalier, elegant, verschwiegen und machte artige Verse. Ich glaube, es hat eine schlimme Wendung mit ihm genommen. – Äußerst schlimm: er ist Abbé geworden. – Ah, welch ein Unglück! rief Frau von Chevreuse, nachlässig mit ihrem Fächer spielend. In der Tat, mein Herr, ich danke Euch. – Wofür, Madame? – Daß Ihr diese Erinnerung in mir zurückgerufen habt, denn sie gehört zu den angenehmsten Erinnerungen meiner Jugend. – Dann erlaubt Ihr mir also, eine zweite in Euch zurückzurufen? – Welche mit dieser in Verbindung steht? – Ja oder nein. – Meiner Treu, versetzte Frau von Chevreuse, sprecht immerhin. Bei einem Manne, wie Ihr seid, wage ich alles.

Athos verbeugte sich.

Aramis, fuhr er fort, stand in Verbindung mit einer Näherin in Tours. – Mit einer Näherin in Tours? fragte Frau von Chevreuse. – Ja, einer Verwandten von ihm, die Marie Michon hieß. – Ah, ich kenne sie! rief Frau von Chevreuse; es ist diejenige, an welche er aus dem Lager vor La Rochelle schrieb, um sie von einem Komplott in Kenntnis zu setzen, das man gegen den armen Buckingham angesponnen hatte. – Ganz richtig; wollt Ihr mir erlauben, von ihr zu sprechen?

Frau von Chevreuse schaute Athos an und sagte nach kurzem Stillschweigen: Ja, vorausgesetzt, daß Ihr mir nicht zu viel Schlimmes von ihr sagt. – Ich wäre ein Undankbarer, erwiderte Athos. – Ihr, undankbar gegen Marie Michon! rief Frau von Chevreuse, und suchte in Athos‘ Augen zu lesen. Wie könnte dies sein? Ihr habt sie nie persönlich gekannt. – Ei, Madame, wer weiß! versetzte Athos. – Oh! fahrt fort, mein Herr, fahrt fort, sagte Frau von Chevreuse lebhaft. Ihr könnt nicht glauben, wie angenehm mir diese Unterhaltung ist. – Ihr ermutigt mich, und ich fahre fort. Diese Base von Aramis, diese junge Näherin hatte trotz ihres niedrigen Standes die höchsten Bekanntschaften. Sie nannte die vornehmsten Damen des Hofes ihre Freundinnen, und die Königin, so stolz sie auch in ihrer doppelten Eigenschaft als Österreicherin und Spanierin war, nannte sie ihre Freundin.

Oh! sprach Frau von Chevreuse mit einem leisen Seufzer und einer kleinen Bewegung der Augenbrauen, die nur ihr eigentümlich war, die Dinge haben sich seit jener Zeit gewaltig verändert.

Und die Königin hatte recht, fuhr Athos fort, denn sie war ihr sehr ergeben, so ergeben, daß sie ihr als Vermittlerin bei ihrem Bruder, dem König von Spanien, diente.

Was ihr jetzt als ein großes Verbrechen angerechnet wird, versetzte die Herzogin.

So groß, fuhr Athos fort, daß der Kardinal, der wahre Kardinal, der andere, an einem schönen Morgen beschloß, die arme Marie Michon verhaften und nach dem Schlosse Loges führen zu lassen. Glücklicherweise ließ sich die Sache nicht so geheim ausführen, daß der Plan nicht ruchbar geworden wäre. Man hatte den Fall vorhergesehen: wenn Marie Michon von irgend einer Gefahr bedroht wäre, sollte ihr die Königin ein in grünen Samt gebundenes Gebetbuch zuschicken.

So ist es, mein Herr, Ihr seid gut unterrichtet.

Eines Morgens kam das Buch, überbracht von dem Prinzen von Marsillac. Es war keine Zeit zu verlieren. Glücklicherweise wußten Marie Michon und ihre Dienerin, eine gewisse Ketty, sich auf eine bewundernswürdige Weise in Männerkleidern zu bewegen. Der Prinz verschaffte ihnen solche, Marie Michon eine Kavalierstracht und Ketty einen Lakaienanzug und übergab ihnen zwei Pferde. Die Flüchtigen verließen rasch Tours und erreichten Spanien, zitternd bei dem geringsten Geräusche, auf Fußpfaden im Walde, weil sie es nicht wagten, auf der Landstraße zu reisen, und Gastfreundschaft ansprechend, wenn sie keine Herberge fanden.

In der Tat, es ist durchaus so, rief Frau von Chevreuse, in die Hände klatschend; es wäre wirklich seltsam … sie hielt inne.

Wenn ich den zwei Flüchtlingen bis ans Ende ihrer Reise folgte? sprach Athos. Nein, Madame, ich werde Ihre Augenblicke nicht so sehr mißbrauchen, und wir begleiten sie nur bis in ein kleines Dorf im Limousin zwischen Tulle und Angoulème, in ein kleines Dorf, das man Roche-l’Abeille nennt.

Frau von Chevreuse stieß einen Schrei des Erstaunens aus und betrachtete Athos mit einem Ausdruck von Verwunderung, der den ehemaligen Musketier lächeln ließ.

Geduld, Madame, fuhr Athos fort; denn was ich Euch noch zu sagen habe, ist viel seltsamer, als das bereits Gesagte.

Mein Herr, sprach Frau von Chevreuse, ich halte Euch für einen Zauberer und bin auf alles gefaßt. Aber gleichviel, fahrt nur fort.

Diesmal war die Tagereise lang und ermüdend gewesen. Es herrschte bereits eine lästige Kälte, denn es war am 11. Oktober. Das Dorf, das die beiden Flüchtenden erreicht hatten, bot weder ein Schloß noch eine Herberge. Die Bauernhöfe sahen armselig und schmutzig aus. Marie Michon war eine sehr aristokratische Person und, wie die Königin, ihre Schwester, an gute Gerüche und seine Wäsche gewöhnt. Sie beschloß also, sich Gastfreundschaft im Pfarrhause zu erbitten.

Athos machte eine Pause.

Oh, fahrt fort, sprach die Herzogin, ich sagte Euch bereits, ich sei auf alles gefaßt.

Die Reisenden klopften an die Türe. Es war spät, der Priester hatte sich bereits zu Bette gelegt, er rief ihnen zu, sie möchten eintreten. Sie traten ein, denn die Türe war nicht geschlossen. Es brannte eine Lampe in dem Zimmer, wo sich der Priester befand; Marie Michon, die den reizendsten Kavalier der Welt vorstellte, stieß die Türe auf, steckte den Kopf hinein und verlangte Gastfreundschaft.

Sehr gern, mein junger Kavalier, sprach der Priester, wenn Ihr Euch mit den Überresten meines Abendessens und der Hälfte meines Zimmers begnügen wollt.

Die Reisenden berieten sich einen Augenblick. Der Priester hörte, wie sie in ein Gelächter ausbrachen: dann erwiderte der Herr oder vielmehr die Herrin: Ich danke, Herr Pfarrer, und nehme es an.

Dann speist und macht so wenig als möglich Geräusch, versetzte der Priester, denn ich bin auch den ganzen Tag umhergelaufen, und es wäre mir nicht unangenehm, diese Nacht schlafen zu können.

Frau von Chevreuse ging augenscheinlich von Verwunderung zu Erstaunen und von Erstaunen zu Verwunderung über. Ihr Gesicht nahm, während sie Athos anschaute, einen Ausdruck an, der sich nicht wohl beschreiben läßt. Man sah, daß sie gern gesprochen hätte, und dennoch schwieg sie, um nicht ein einziges von seinen Worten zu verlieren.

Hernach? fragte sie.

Hernach, sagte Athos, ah! das ist gerade das Schwierige.

Sprecht, sprecht, sprecht! man kann mir alles sagen. Überdies geht es mich nicht an; es ist Marie Michons Geschichte.

Ah, das ist richtig, versetzte Athos … Nun, also Marie Michon verzehrte die Überreste des Abendbrotes mit ihrer Dienerin und kehrte, nachdem sie gegessen hatte, der ihr gegebenen Erlaubnis zufolge in das Zimmer zurück, wo ihr Wirt ruhte, während Ketty es sich in einem Lehnstuhl, im ersten Zimmer, das heißt in dem, wo man gespeist hatte, bequem machte.

In der Tat, mein Herr, sprach Frau von Chevreuse, wenn Ihr nicht der Teufel in Person seid, so weiß ich nicht, wie Ihr alle diese einzelnen Umstände zu kennen vermöget.

Es war eine reizende Frau, diese Marie Michon, fuhr Athos fort, eines von den tollen Geschöpfen, denen unablässig die seltsamsten Gedanken in den Kopf kommen, eines von den Wesen, die geboren sind, uns allen die Verdammnis zu bringen. Während sie nun bedachte, daß ihr Wirt ein Priester war, kam es dem koketten Ding in den Kopf, es möchte neben so vielen lustigen Erinnerungen, die sie hatte, eine sehr lustige Erinnerung für ihr Alter sein, einen Abbé in die Verdammnis gebracht zu haben.

Graf! rief die Herzogin, auf mein Ehrenwort, Ihr erschreckt mich!

Ach, versetzte Athos, der arme Abbé war kein heiliger Ambrosius, und ich wiederhole, Marie Michon war ein anbetungswürdiges Geschöpf.

Mein Herr, sprach die Herzogin und ergriff Athos bei den Händen, sagt mir sogleich, woher Ihr alle diese Umstände wißt, oder ich lasse einen Mönch aus dem Augustinerkloster kommen und Euch beschwören.

Athos brach in ein Gelächter aus.

Nichts leichter, Madame. Ein Kavalier, der mit einer wichtigen Sendung beauftragt war, kam eine Stunde vor Marie Michon in das Pfarrhaus und erbat sich Gastfreundschaft, und zwar in dem Augenblick, wo der Pfarrer, zu einem Sterbenden gerufen, nicht nur sein Haus, sondern das Dorf für die ganze Nacht verließ. Voll Vertrauen zu seinem Gaste, der übrigens ein Edelmann war, hatte der Geistliche diesem sein Haus, sein Mahl und sein Zimmer überlassen. Marie Michon hatte also vom Gast des guten Abbé und nicht vom Abbé selbst Gastfreundschaft gefordert.

Und dieser Kavalier, dieser Gast, dieser Edelmann, der vor ihr ankam?

War ich, der Graf de la Fère, sprach Athos aufstehend und sich ehrfurchtsvoll vor der Herzogin von Chevreuse verbeugend.

Die Herzogin blieb einen Augenblick ganz verblüfft; dann fing sie plötzlich an, laut zu lachen.

Ah! meiner Treue, sagte sie, das ist drollig. Und diese tolle Marie Michon fand es besser, als sie erwartet hatte. Setzt Euch, lieber Graf, und fahrt in Eurer Erzählung fort.

Nun bleibt mir nur noch übrig, mich anzuklagen, Madame. Ich sagte Euch vorhin, daß ich selbst in einer dringenden Sendung reiste. Schon bei Tagesanbruch ging ich geräuschlos aus dem Zimmer und ließ meinen reizenden Lagergefährten schlafen.

Im ersten Zimmer schlief ebenfalls, den Kopf auf einen Lehnstuhl zurückgelegt, die Kammerfrau, in allem ihrer Gebieterin würdig. Ihr hübsches Gesicht fiel mir auf, ich näherte mich ihr und erkannte die kleine Ketty, die unser Freund Aramis bei ihr untergebracht hatte. So erfuhr ich, die schöne Reisende sei …

Marie Michon, fiel Frau von Chevreuse lebhaft ein.

Marie Michon, versetzte Athos. Ich verließ nun das Haus, ging in den Stall, fand mein Pferd gesattelt und meinen Bedienten bereit; wir reisten ab.

Und Ihr seid nie mehr durch dieses Dorf gekommen? fragte Frau von Chevreuse.

Ein Jahr nachher, Madame.

Nun?

Nun, ich wollte den guten Pfarrer wieder besuchen. Er war sehr bekümmert wegen eines Ereignisses, das er nicht begreifen konnte. Er hatte acht Tage vorher in einer kleinen Wiege einen reizenden Knaben von drei Monaten nebst einer wohlgespickten Börse und einem Billett erhalten, auf dem nur die einfachen Worte standen: 11. Oktober 1633.

Das war das Ende des seltsamen Abenteuers, versetzte Frau von Chevreuse.

Ja, aber er begriff nichts davon, denn er wußte nur, daß er diese Nacht bei einem Sterbenden zugebracht hatte; Marie Michon hatte das Pfarrhaus vor seiner Rückkehr wieder verlassen.

Ihr wißt, mein Herr, daß Marie Michon, als sie im Jahr 1643 wieder nach Frankreich kam, sogleich Kunde über dieses Kind einziehen ließ. Auf ihrer Flucht konnte sie es nicht behalten; aber nun, in Paris, wollte sie es bei sich erziehen lassen.

Und was sagte ihr der Abbé? fragte Athos.

Ein vornehmer Herr, den er nicht kenne, habe sich für die Zukunft des Kindes verbürgt und es mitgenommen.

Es war die Wahrheit.

Ah, dann begreife ich. Dieser Herr waret Ihr, es war sein Vater.

Stille, sprecht nicht so laut, Madame. Er ist da!

Er ist da! rief Frau von Chevreuse rasch aufstehend, er ist da, mein Sohn, der Sohn der Marie Michon ist da! Ich will ihn sogleich sehen.

Gebt wohl acht, Madame, er kennt weder seinen Vater, noch seine Mutter.

Ihr habt das Geheimnis bewahrt und bringt ihn mir hierher, weil Ihr denkt, Ihr macht mich sehr glücklich. Oh! ich danke, ich danke, mein Herr, rief Frau von Chevreuse, faßte seine Hand und suchte sie an ihre Lippen zu führen, ich danke. Ihr habt ein edles Herz.

Ich bringe ihn Euch, sagte Athos, seine Hand zurückziehend, damit Ihr ebenfalls etwas für ihn tun möget. Bis jetzt sorgte ich allein für seine Erziehung, und ich habe, glaube ich, einen vollendeten Edelmann aus ihm gemacht; aber der Augenblick ist gekommen, wo ich mich abermals genötigt sehe, das umherirrende, gefährliche Leben eines Parteigängers zu ergreifen. Schon morgen stürze ich mich in ein gefährliches Unternehmen; dann hat er niemand mehr als Euch, der ihn fördern und hüten könnte

Oh! seid ruhig, rief die Herzogin; leider habe ich nicht mehr viel Ansehen, aber was mir davon übrig geblieben ist, gehört ihm. Was sein Vermögen und seinen Titel betrifft …

Darüber beunruhigt Euch nicht, Madame. Ich habe ihn zum Erben von Bragelonne eingesetzt, wodurch er den Titel Vicomte und 10 000 Livres Renten bekommt.

Bei meiner Seele, mein Herr, sprach die Herzogin, Ihr seid ein wahrhafter Edelmann. Aber es drängt mich, unsern jungen Vicomte zu sehen; wo ist er denn?

Dort in dem Salon; ich will ihn holen, wenn Ihr wollt.

Athos machte eine Bewegung nach der Türe. Frau von Chevreuse hielt ihn zurück.

Ist er hübsch? fragte sie.

Athos lächelte und erwiderte: Er gleicht seiner Mutter.

Hierauf machte er dem jungen Menschen ein Zeichen, und dieser erschien aus der Schwelle.

Frau von Chevreuse konnte sich eines Freudenschreis nicht enthalten, als sie einen so reizenden Kavalier erblickte, der ihre stolzesten Hoffnungen übertraf.

Vicomte, nähert Euch, sagte Athos; Frau von Chevreuse erlaubt Euch, ihr die Hand zu küssen.

Der Jüngling näherte sich mit seinem anmutsvollen Lächeln und mit entblößtem Kopf, setzte ein Knie aus die Erde und küßte die Hand der Frau von Chevreuse.

Nun, Herr Graf, sprach er, sich gegen Athos umwendend, habt Ihr mir nicht, um meine Schüchternheit zu schonen, gesagt, Madame sei die Herzogin von Chevreuse, und ist es nicht vielmehr die Königin?

Nein, Vicomte, erwiderte Frau von Chevreuse, nahm ihn ebenfalls bei der Hand, hieß ihn zu sich sitzen und schaute ihn mit Augen an, die vor Vergnügen glänzten. Nein, leider bin ich nicht die Königin, denn wenn ich es wäre, so würde ich sogleich alles für Euch tun, was Ihr verdient. Aber sagt mir, so wie ich bin, fügte sie bei, indem sie sich kaum enthalten konnte, ihre Lippen auf seine so reine Stirne zu drücken, sagt mir, welche Laufbahn wünscht Ihr einzuschlagen?

Athos schaute, dabei stehend, beide mit einem Ausdruck unaussprechlichen Glückes an.

Madame, sagte der Jüngling mit seiner zugleich weichen und sonoren Stimme, es scheint mir, es gibt für einen Edelmann nur eine Laufbahn, die der Waffen. Der Herr Graf hat mich, wie ich glaube, in der Absicht erzogen, einen Soldaten aus mir zu machen, und er machte mir Hoffnung, mich in Paris jemand vorzustellen, der mich vielleicht dem Herrn Prinzen empfehlen könnte.

Ja, ich begreife, es steht einem jungen Soldaten, wie Ihr seid, gut an, unter einem jungen General zu dienen, wie er ist. Doch Geduld … persönlich bin ich durchaus nicht mit ihm befreundet, wegen der Streitigkeiten der Frau von Montbazon, meiner Schwiegermutter, mit Frau von Longueville. Aber durch den Prinzen von Marsillac … Ei, wahrhaftig, Graf, so geht es. Der Herr Prinz von Marsillac ist ein alter Freund von mir, er wird unsern jungen Freund an Frau von Longueville empfehlen, die ihm einen Brief an ihren Bruder, den Prinzen, gibt, welcher sie zu zärtlich liebt, um nicht sogleich für sie alles zu tun, was sie von ihm verlangt.

Nun wohl, das geht vortrefflich, sprach der Graf; nur nehme ich mir die Freiheit, Euch den größten Eifer anzuempfehlen. Ich habe Gründe, zu wünschen, daß der Vicomte morgen abend nicht mehr in Paris sei.

Soll man wissen, daß Ihr Euch für ihn interessiert, Herr Graf?

Es wäre vielleicht besser für seine Zukunft, wenn man gar nicht wüßte, daß er mich je gekannt hat.

O! Herr, rief der Jüngling.

Ihr wißt, Bragelonne, sprach der Graf, daß ich nie etwas ohne Grund tue.

Ja, antwortete der Jüngling, ich weiß, daß die höchste Weisheit in Euch herrscht, und werde Euch gehorchen, wie ich dies gewohnt bin.

Nun wohl, Graf, überlaßt ihn mir, sagte die Herzogin; ich will Befehl geben, daß man den Prinzen von Marsillac aufsuche, der glücklicherweise in diesem Augenblick in Paris ist, und ich gehe nicht eher von ihm, als bis die Angelegenheit zu Ende gebracht ist.

Schön, Frau Herzogin, tausend Dank. Ich habe selbst heute mehrere Gänge zu machen, und bei meiner Rückkehr, das heißt gegen sechs Uhr abends, erwarte ich ihn im Hotel.

Was macht Ihr heute abend?

Wir gehen zu dem Abbé Scarron, an den ich einen Brief habe, und bei dem ich einen von meinen Freunden finden soll.

Das ist gut, sagte die Herzogin von Chevreuse, ich werde selbst einen Augenblick dahin kommen; verlaßt also seinen Salon nicht eher, als bis Ihr mich gesehen habt.

Athos verbeugte sich vor Frau von Chevreuse und schickte sich an, wegzugehen.

Wie, Herr Graf, sagte die Herzogin lachend, verläßt man seine alten Freunde auf eine so zeremoniöse Weise?

Ah, murmelte Athos, ihr die Hand küssend, wenn ich früher gewußt hätte, daß Marie Michon ein so reizendes Geschöpf sei …

Und er entfernte sich seufzend.

Athos‘ Diplomatie

D’Artagnan war kein Langschläfer. Kaum hatte die Morgenröte seine Vorhänge vergoldet, als er aus dem Bette sprang und seine Fenster öffnete: es kam ihm vor, als sähe er durch den Laden einen Menschen im Hof umhergehen, der es vermeide, Lärm zu machen. Gemäß seiner Gewohnheit, nichts, was in seinen Bereich kam, vorübergehen zu lassen, ohne sich zu versichern, was es sei, beobachtete d’Artagnan aufmerksam, aber geräuschlos und erkannte das dunkelrote Wams und die braunen Haare Raouls.

Der junge Mensch, denn er war es wirklich, öffnete die Stalltüre, zog das braunrote Pferd heraus, das er am Tag vorher geritten hatte, sattelte und zäumte es mit ebensoviel Geschicklichkeit als Geschwindigkeit, ließ das Tier sodann durch den geraden Gang des Gemüsegartens gehen, stieß eine kleine Seitentüre auf, die nach einem Fußpfad führte, zog sein Pferd hinaus, verschloß die Türe wieder, und d’Artagnan sah ihn nun wie einen Pfeil, sich bückend unter den herabhängenden und blütenbedeckten Zweigen der Akazien und Ahornbäume, hinschießen.

D’Artagnan hatte am Tage zuvor bemerkt, daß dieser Pfad nach Blois führen mußte.

Ei, ei, sagte der Gascogner, das ist ein Spitzbube, der bereits seine eigenen Wege geht und mir Athos‘ Haß gegen das schöne Geschlecht nicht zu teilen scheint. Er zieht nicht auf die Jagd, denn er hat weder Gewehr noch Hunde. Er vollzieht keinen Auftrag, denn er verbirgt sich. Vor wem verbirgt er sich? … Vor mir oder vor seinem Vater? Denn ich bin überzeugt, der Graf ist sein Vater. Bei Gott, was das betrifft, so werde ich es erfahren, denn ich spreche ohne alle Umstände mit Athos.

Der Tag nahm zu. Alles Geräusch, das d’Artagnan in der Nacht nach und nach hatte erlöschen hören, erwachte wieder. D’Artagnan blieb am Fenster, um niemand zu erwecken; als er aber die Türen und die Läden des Schlosses sich öffnen gehört hatte, gab er seinen Haaren einen letzten Strich, seinem Schnurrbart eine letzte Biegung, bürstete aus Gewohnheit die Aufschläge seines Hutes mit dem Ärmel seines Wamses und ging hinab. Kaum war er die letzte Stufe der Freitreppe hinabgestiegen, als er Athos gegen den Boden gebückt und in der Stellung eines Mannes, der einen Taler im Sande sucht, erblickte.

Ei, guten Morgen, lieber Wirt, sagte d’Artagnan.

Guten Morgen, lieber Freund; war die Nacht gut?

Vortrefflich, Athos, wie Euer Bett, wie Euer Abendbrot gestern, das mich zum Schlafe führen mußte, wie Euer Empfang bei meiner Ankunft. Aber was betrachtet Ihr so aufmerksam? Solltet Ihr etwa Liebhaber von Tulpen geworden sein?

Ihr müßt deshalb meiner nicht spotten. Auf dem Lande verändert sich der Geschmack, und man gelangt am Ende ganz unvermerkt dazu, die schönen Dinge zu lieben, welche der Blick Gottes aus dem Erdboden hervorkommen läßt, und die man in den Städten verachtet. Ich betrachte ganz einfach einige Iris, welche ich bei diesem Beete gepflanzt hatte, und die mir diesen Morgen niedergetreten worden sind. Diese Gärtner sind doch die ungeschicktesten Leute von der Welt. Nachdem sie das Pferd zum Trinken geführt, ließen sie es ohne Zweifel in die Beete treten.

D’Artagnan lächelte.

Ah, sagte er, Ihr glaubt?

Und er erzählte, was er gesehen hatte, und schaute dabei forschend seinem Wirte ins Gesicht.

Ah, ich errate jetzt alles, sagte Athos mit einer leichten Bewegung der Schultern. Der arme Junge ist nach Blois geritten. – Was dort tun? – Ei, mein Gott, um sich nach der kleinen La Vallière zu erkundigen. Ihr wißt, das Kind, das sich den Fuß verstaucht hat. – Ihr meint? versetzte d’Artagnan ungläubig. – Ich meine nicht nur, sondern ich weiß es gewiß. Habt Ihr nicht bemerkt, daß Raoul verliebt ist? – Gut! In wen? In dieses siebenjährige Kind? – Mein Lieber, in Raouls Alter ist das Herz so voll, daß man es auf irgend etwas, sei es Traum oder Wirklichkeit, ausströmen lassen muß. Nun, seine Liebe gehört halb dem einen, halb der andern an. – Ihr scherzt! Dieses kleine Mädchen … – Habt Ihr es nicht angeschaut? Es ist das niedlichste kleine Geschöpf der Welt. Silberblonde Haare und blaue Augen, bereits herausfordernd und schmachtend zugleich. – Aber was sagt Ihr zu dieser Liebe? – Ich sage nichts, ich lache und spotte über Raoul; aber diese ersten Bedürfnisse des Herzens sind so gebieterisch, dieses Aufkeimen der verliebten Schwermut ist so süß und so bitter, daß es zuweilen alle Kennzeichen der Leidenschaft zu haben scheint. Ich erinnere mich, daß ich mich in Raouls Alter in eine griechische Statue verliebte, die der gute König Heinrich IV. meinem Vater geschenkt hatte, und daß ich vor Schmerz verrückt zu werden glaubte, als man mir sagte, die Geschichte von Pygmalion sei nur eine Fabel. – Das ist Folge des Müßiggangs. Ihr beschäftigt Raoul nicht genug, und er sucht sich seinerseits zu beschäftigen. – Nichts anderes. Auch gedenke ich ihn von hier zu entfernen. – Und Ihr tut wohl daran. – Allerdings, aber es wird ihm das Herz brechen, und er wird so viel leiden, wie bei einer wahren Liebe. Seit drei bis vier Jahren und gleichsam selbst noch ein Kind, hat er sich daran gewöhnt, das kleine Idol, das er eines Tags anbeten würde, wenn er hier bliebe, zu schmücken und zu bewundern. Diese Kinder träumen jeden Tag miteinander und plaudern über tausend ernsthafte Dinge, als ob sie ein zwanzigjähriges Liebespaar wären. Lange Zeit hat diese Geschichte den Eltern La Vallière Spaß gemacht. Aber ich glaube, sie fangen an, die Stirne zu runzeln. – Kinderei, Raoul bedarf der Zerstreuung. Entfernt ihn rasch von hier, oder Ihr macht nie einen Mann aus ihm. – Ich glaube, sprach Athos, ich werde ihn nach Paris schicken. – Ah! rief d’Artagnan.

Und er dachte, der Augenblick zur Eröffnung der Feindseligkeiten sei gekommen.

Wenn Ihr wollt, sprach er, so können wir diesem jungen Menschen ein Schicksal machen. – Ah! rief Athos ebenfalls. – Ich will Euch sogar über etwas um Rat fragen, was mir im Kopf herumgeht. – Tut es. – Glaubt Ihr, die Zeit sei gekommen, um Dienst zu nehmen? – Aber Ihr seid ja noch im Dienste, d’Artagnan. – Verstehen wir uns recht, tätigen Dienst. Hat das ehemalige Leben nichts Verlockendes mehr für Euch und wenn Euch wirklich Vorteile erwarten, würdet Ihr nicht gern in meiner und unseres Freundes Porthos Gesellschaft die Unternehmungen unserer Jugend wieder ausnehmen? – Macht Ihr mir einen Vorschlag? sagte Athos. – Frei und offenherzig. – Wieder ins Feld zu ziehen? – Ja. – Von wem und gegen wen? fragte Athos plötzlich und heftete sein so klares und so wohlwollendes Auge auf den Gascogner. Hört mich wohl, d’Artagnan. Es gibt nur eine Person, oder vielmehr eine Sache, der ein Mann wie ich nützlich sein kann: die Sache des Königs. – Das ist es gerade, sprach der Musketier. – Aber verständigen wir uns, versetzte Athos ernst. Wenn Ihr unter der Sache des Königs die des Herrn von Mazarin versteht, so hören wir auf, uns zu begreifen. – Ich sage das nicht gerade, antwortete der Gascogner verlegen. – Hört, d’Artagnan, sprach Athos, spielen wir nicht weiter. Euer Zögern, Eure Umwege sagen mir, von welcher Seite Ihr kommt. Diese Sache wagt man allerdings nicht laut zu gestehen, und wenn man für dieselbe wirbt, so tut man es mit gesenktem Ohr und mit verlegnem Ton. – Ah, mein lieber Athos! rief d’Artagnan. – Ei, Ihr wißt wohl, versetzte Athos, daß ich nicht von Euch spreche, der Ihr die Perle der braven und kühnen Männer seid. Ich spreche von dem schmutzigen, intriganten Italiener, von dem Pedanten, der eine Krone auf sein Haupt zu setzen versucht, die er unter einem Kopfkissen gestohlen hat, von dem Schurken, der seine Partei die Partei des Königs nennt und die Prinzen von Geblüt in das Gefängnis zu stecken trachtet, da er es nicht wagt, sie zu töten, wie es unser Kardinal machte, der große Kardinal; ein Wucherer, der seine Goldtaler abwägt und die beschnittenen behält, weil er, obschon ein Betrüger, sie am nächsten Tag beim Spiel zu verlieren fürchtet; ein Schuft, der, wie man versichert, die Königin mißhandelt, was ihr übrigens recht geschähe, und der in drei Monaten einen Bürgerkrieg anfangen wird, um seine Pensionen zu behalten. Das ist der Herr, den Ihr mir vorschlagt, d’Artagnan? Großen Dank! – Gott vergebe mir, Ihr seid lebhafter, als früher, sprach d’Artagnan, und die Jahre haben Euer Blut erhitzt, statt es abzukühlen. Wer sagt Euch, daß dies mein Herr ist, und daß ich Euch denselben aufdringen will?

Teufel! hatte der Gascogner zu sich gesagt, einem so schlecht gestimmten Manne wollen wir unsere Geheimnisse nicht anvertrauen.

Gut, sagte dagegen Athos bei sich, d’Artagnan ist Mazarin.

Von diesem Augenblick an beobachtete er ihn mit außerordentlicher Klugheit.

D’Artagnan seinerseits spielte verschlossener, als je.

Was ist dann eigentlich Euer Wunsch? sprach Athos laut. – Ich wollte Euren Rat hören und dann erst handeln, denn ohne einander sind wir immer unvollständig. – Allerdings. Wie ist’s mit Porthos; habt Ihr ihn bestimmt, Glück zu suchen? Er besitzt doch Vermögen? – Ganz gewiß. Doch der Mensch ist einmal so, er wünscht immer etwas anderes. – Und was wünscht Porthos? – Den Baronstitel! – Ah, das ist wahr; ich hatte es vergessen, sprach Athos lachend.

Es ist wahr? dachte d’Artagnan, und woher hat er es erfahren? Sollte er mit Aramis im Briefwechsel stehen? Ah, wenn ich das wüßte, so wüßte ich alles.

Hier endigte die Unterredung, denn gerade in diesem Augenblick erschien Raoul. Athos wollte ihn ohne Bitterkeit tadeln, aber der junge Mensch sah so betrübt aus, daß er nicht den Mut hatte und sich unterbrach, um ihn zu fragen, was ihm sei.

Sollte es bei unserer jungen Nachbarin schlimmer gehen? sprach d’Artagnan.

Ach! Herr, versetzte Raoul, vom Schmerz fast erstickt, ihr Fall ist sehr ernster Art, und der Arzt befürchtet, sie werde, wenn auch ohne sichtbare Verunstaltung, ihr ganzes Leben lang hinken.

Ah, das wäre furchtbar! sprach Athos.

D’Artagnan hatte einen Scherz auf den Lippen; als er aber sah, welchen Anteil Athos an dem Unglück nahm, hielt er ihn zurück.

O, Herr, was mich am meisten hierbei in Verzweiflung bringt, versetzte Raoul, ist der Umstand, daß ich die Ursache dieses Unglücks bin.

Wie, du, Raoul? fragte Athos.

Allerdings: ist sie nicht, um zu mir zu laufen, von dem Holzstoß herabgesprungen?

Es bleibt Euch kein anderes Mittel, mein lieber Raoul, als sie zur Sühne zu heiraten, sagte d’Artagnan.

Mein Herr, entgegnete Raoul, Ihr scherzt mit einem wahren Kummer; das ist nicht recht!

Und Raoul, der der Einsamkeit bedurfte, um nach Herzenslust weinen zu können, ging in sein Zimmer, das er erst zur Frühstücksstunde wieder verließ.

Das gute Einverständnis der zwei Freunde hatte durch das Scharmützel am Morgen nicht im mindesten gelitten; sie frühstückten mit dem besten Appetit und schauten von Zeit zu Zeit den armen Raoul an, der, mit feuchten Augen und schwerem Herzen, die Speisen kaum berührte.

Gegen Ende des Frühstücks kamen zwei Briefe, die Athos mit der größten Aufmerksamkeit las, ohne sich eines wiederholten Bebens enthalten zu können. D’Artagnan, der ihn über den Tisch hinüber diese Briefe lesen sah und ein äußerst scharfes Gesicht besaß, glaubte ganz deutlich Aramis‘ kleine Handschrift zu erkennen. Beim andern Brief nahm er eine lange, schwankende Frauenhand wahr.

Kommt, sagte d’Artagnan zu Raoul, als er sah, daß Athos allein zu bleiben wünschte, entweder um die Briefe zu beantworten oder um darüber nachzudenken; kommt, wir wollen im Fechtsaale einen Gang miteinander tun, das wird Euch zerstreuen.

Der junge Mensch schaute Athos an, der seinen Blick mit einem Zeichen der Beistimmung beantwortete.

D’Artagnan und Raoul gingen in einen Saal, in welchem Rappiere, Handschuhe, Bruststücke und ähnliche zum Fechten gehörige Gegenstände hingen.

Nun? fragte Athos, als er nach einer Viertelstunde im Saale erschien.

Er hat bereits Euere Hand, mein lieber Athos, antwortete d’Artagnan, und wenn er auch Euer kaltes Blut bekommt, so habe ich Euch nur mein Kompliment zu machen.

Der junge Mensch war etwas beschämt. Für die paar Male, die er d’Artagnan am Arm oder am Schenkel berührt hatte, hatte ihn dieser zwanzigmal auf den vollen Leib getroffen.

In diesem Augenblick trat Charlot ein und überbrachte einen sehr eiligen Brief für d’Artagnan, den ein Bote soeben abgegeben hatte.

Nun war die Reihe an Athos, aus einem Winkel des Auges zu beobachten.

D’Artagnan las den Brief ohne eine sichtbare Bewegung und sagte, nachdem er ihn gelesen hatte, mit leichtem Kopfschütteln:

Seht, mein lieber Freund, was der Dienst ist, und Ihr habt meiner Treu recht, nicht wieder eintreten zu wollen: Herr von Treville ist krank geworden, die Kompagnie kann mich nicht entbehren, und mein Urlaub geht somit verloren. – Ihr kehrt nach Paris zurück? sprach Athos lebhaft. – Ei, mein Gott! ja, erwiderte d’Artagnan; aber kommt Ihr nicht auch selbst dahin?

Athos errötete ein wenig und antwortete:

Wenn ich dahin käme, würde ich mich sehr glücklich schätzen. Euch zu sehen.

Holla! Planchet! rief d’Artagnan aus der Tür, wir reisen in zehn Minuten; gib den Pferden Hafer. Dann sich gegen Athos umwendend:

Es ist mir, als fesselte mich etwas hier, und es tut mir in der Tat unendlich leid. Euch verlassen zu müssen, ohne den guten schweigsamen Grimaud gesehen zu haben.

Grimaud? versetzte Athos. Ach! es ist wahr, ich wunderte mich, daß Ihr Euch nicht nach ihm erkundigtet. Ich habe ihn einem meiner Freunde geliehen.

Der seine Zeichen versteht? sagte d’Artagnan.

Ich hoffe es.

Die zwei Freunde umarmten sich herzlich. D’Artagnan drückte Raoul die Hand, nahm Athos das Versprechen ab, ihn zu besuchen, wenn er nach Paris käme, und ihm zu schreiben, wenn er nicht käme. Planchet, pünktlich wie immer, saß bereits im Sattel.

Kommt Ihr nicht mit mir? sprach d’Artagnan lachend zu Raoul; ich reite durch Blois.

Raoul wandte sich gegen Athos um, der ihn durch ein unmerkliches Zeichen zurückhielt.

Mein Herr, antwortete der Jüngling, ich bleibe bei dem Herrn Grafen.

In diesem Falle lebt alle beide wohl, sprach d’Artagnan und drückte ihnen zum letztenmal die Hand, und Gott beschütze Euch, wie wir zu sagen pflegten, wenn wir uns zur Zeit des seligen Kardinals trennten.

Athos machte ihm ein Zeichen mit der Hand, Raoul eine Verbeugung, und d’Artagnan entfernte sich mit Planchet.

Der Graf folgte ihnen mit den Augen, die Hand auf die Schulter des jungen Menschen gestützt, dessen Höhe beinahe der seinigen gleichkam, aber sobald sie hinter der Mauer verschwunden waren, sagte Athos: Raoul, wir reisen heute abend nach Paris.

Wie! rief der Jüngling erbleichend.

Du kannst Frau von Saint-Remy in deinem und meinem Namen Lebewohl sagen. Ich erwarte dich hier um sieben Uhr.

Der Jüngling verbeugte sich mit einem von Schmerz und Dankbarkeit gemischten Ausdruck und ging weg, um sein Pferd zu satteln.

D’Artagnan war kaum aus der Sehweite, als er den Brief aus der Tasche zog, um ihn noch einmal zu lesen:

Kommt auf der Stelle nach Paris zurück.

J. M.

Der Brief ist trocken, murmelte d’Artagnan, und wenn nicht eine Nachschrift dabei wäre, hätte ich ihn vielleicht nicht verstanden, aber zum Glück findet sich eine Nachschrift.

Und er las die herrliche Nachschrift, die ihn die Trockenheit des Briefes vergessen ließ.

N. S. Geht zu dem Schatzmeister des Königs in Blois; nennt ihm Euern Namen und zeigt ihm diesen Brief; Ihr werdet zweihundert Pistolen erhalten.

Diese Prosa liebe ich, sprach d’Artagnan, und der Kardinal schreibt besser, als ich glaubte. Vorwärts, Planchet, wir wollen dem Schatzmeister des Königs einen Besuch machen, und dann die Sporen eingesetzt! Nach Paris!

Und beide ritten in starkem Trab die Straße entlang.

Herr von Beaufort

Was hatte sich inzwischen in Paris ereignet und d’Artagnans Rückkehr dorthin notwendig gemacht?

Als Mazarin seiner Gewohnheit gemäß eines Abends, als alle Welt sich entfernt hatte, zu der Königin ging und am Saale der Wachen vorüberkam, dessen eine Türe nach dem Vorzimmer ging, hörte er drinnen laut sprechen; er wollte wissen, worüber die Soldaten sich unterhielten, näherte sich, ebenfalls seiner Gewohnheit gemäß, mit Wolfstritten, stieß die Türe etwas auf und steckte durch die Öffnung den Kopf hinein.

Es war ein Streit unter den Wachen über die Erfüllung einer Vorhersagung Coysels, über deren Inhalt der neugierige Kardinal erst Auskunft erhielt, als einer sagte:

Ei, mein Gott, glaubt Ihr, die Menschen können ihrem Geschicke entgehen? Wenn es da oben geschrieben steht, daß Herr von Beaufort sich flüchten soll, so wird er sich flüchten, und alle Vorsichtsmaßregeln des Kardinals können es nicht verhindern.

Mazarin bebte. Er war Italiener, das heißt, abergläubisch. Rasch trat er mitten unter die Wachen, die bei seinem Anblick ihr Gespräch abbrachen.

Was sagtet Ihr, meine Herren? sprach er mit seinem schmeichelnden Lächeln. Ich glaubte zu hören, Herr von Beaufort sei entwichen.

O! nein, Monseigneur, sprach ein Soldat, für den Augenblick ist noch keine Gefahr. Man sagt nur, er werde entweichen.

Und wer sagt dies?

Wiederholt Eure Geschichte, Saint-Laurent, sagte der Gefragte, sich zu dem früheren Erzähler wendend.

Monseigneur, sprach dieser, ich erzählte nur diesen Herren, was ich von der Weissagung eines gewissen Coysel gehört habe, der behauptet, so gut auch Herr von Beaufort bewacht sei, so werde er doch vor Pfingsten entkommen.

Und dieser Coysel ist ein Träumer? ein Narr? versetzte der Kardinal, beständig lächelnd.

Nein, antwortete der Mann. Er weissagte viele Dinge, die geschehen sind, z. B., die Königin werde einen Sohn gebären, Coligny in einem Duell mit dem Herzog von Guise getötet, der Koadjutor zum Kardinal ernannt werden. Die Königin gebar nicht nur einen ersten Sohn, sondern auch zwei Jahre später einen zweiten, und Herr von Coligny wurde getötet.

Ja, sagte Mazarin, aber der Herr Koadjutor ist noch nicht Kardinal.

Nein, Monseigneur, aber er wird es werden.

Mazarin machte eine Grimasse, welche sagen wollte: er hat das Barett noch nicht. Dann fügte er bei:

Es ist also Eure Meinung, mein Freund, Herr von Beaufort werde sich flüchten?

Ich glaube dies so fest, Monseigneur, sprach der Soldat, daß ich, wenn Ew. Eminenz mir zu dieser Stunde die Stelle des Herrn von Chavigny, das heißt, die Gouverneursstelle vom Schloß Vincennens anböte, dieselbe nicht annehmen würde. Ja, am Tage nach Pfingsten wäre es etwas anderes.

Es gibt nichts Überzeugenderes, als eine feste Überzeugung. Mazarin entfernte sich also ganz in Gedanken versunken.

Statt seinen Weg nach dem Zimmer der Königin fortzusetzen, kehrte er wirklich nach seinem Zimmer zurück, rief Bernouin und gab Befehl, man solle ihm am andern Morgen bei Tagesanbruch den Gefreiten holen, den er Herrn von Beaufort beigegeben habe, und ihn wecken, sobald er kommen würde.

Der Soldat hatte die schmerzlichste Wunde des Kardinals mit dem Finger berührt. Seit den fünf Jahren, die Herr von Beaufort im Gefängnisse saß, verging kein Tag, an dem Mazarin nicht dachte, Herr von Beaufort werde früher oder später entkommen. Man konnte einen Enkel Heinrichs IV. nicht sein ganzes Leben lang gefangen halten, besonders wenn dieser Enkel Heinrichs IV. kaum dreißig Jahre alt war. Und welchen Haß mußte er nicht in seiner Gefangenschaft gegen den angehäuft haben, dem er sie zu danken hatte, … der ihn, den reichen, tapfern, berühmten Prinzen, den Liebling der Damen und den Schrecken der Männer, festgenommen hatte, um von seinem Leben die schönsten Jahre abzuschneiden, denn im Gefängnis leben ist kein Dasein. Mittlerweile verdoppelte Mazarin seine Wachsamkeit gegen Herrn von Beaufort, nur glich er dem Geizigen in der Fabel, der neben seinem Schatze nicht schlafen konnte. Oft erwachte er plötzlich in der Nacht bei dem Traum, man habe ihm Herrn von Beaufort gestohlen. Dann erkundigte er sich nach ihm, und bei jeder Erkundigung, die er einzog, mußte er zu seinem Schmerz erfahren, der Gefangene spiele, trinke, singe und befinde sich ganz vortrefflich. Aber mitten im Spielen, Trinken und Singen unterbreche er sich immer wieder, um zu schwören, Mazarin solle ihm das Vergnügen, das er ihn in Vincennes zu genießen nötige, teuer bezahlen.

Als man ihn am nächsten Morgen um 7 Uhr weckte, fuhr er erschreckt auf und fragte, ob Herr von Beaufort ausgebrochen sei. Nein, antwortete ihm Bernouin, aber sein Wächter La Ramée aus Vincennes, den Ihr herbefohlen habt, ist da.

Der Offizier trat auf Mazarins Wink ein. Es war ein großer, dicker, pausbäckiger Mann von gutem Aussehen. Er hatte eine zuversichtliche Miene, die Mazarin beunruhigte.

Dieser Bursche sieht aus wie ein Dummkopf, murmelte er.

La Ramée blieb aufrecht und still an der Türe stehen.

Nähert Euch, mein Herr, sagte Mazarin. Wißt Ihr, was man hier sagt?

Nein, Monseigneur.

Nun wohl, man sagt, Herr von Beaufort werde aus Vincennes entweichen, wenn er es nicht bereits getan hat.

Das Gesicht des Offiziers drückte das tiefste Erstaunen aus. Er öffnete zugleich seine kleinen Augen und seinen großen Mund, um den Scherz besser zu kosten, den Se. Eminenz an ihn zu richten beliebte. Da er bei einer solchen Voraussetzung den Ernst nicht länger behaupten konnte, so brach er in ein so mächtiges Gelächter aus, daß seine dicken Glieder wie von einem heftigen Fieber bei dieser Heiterkeit geschüttelt wurden.

Mazarin war entzückt über diesen nicht sehr respektvollen Ausbruch; aber er behielt dessenungeachtet seine ernste Miene bei. Als La Ramée genug gelacht und sich die Augen abgetrocknet hatte, dachte er, es sei Zeit zu sprechen, um die Unschicklichkeit seines Lachens zu entschuldigen.

Entweichen, sprach er, entweichen? Ew. Eminenz weiß also nicht, wo Herr von Beaufort ist? – Allerdings, mein Herr, ich weiß, daß er im Kerker von Vincennes ist. – Ja, Monseigneur, in einem Zimmer, dessen Mauern sieben Fuß tief sind, mit Fenstern mit gekreuzten Gittern, an denen jede Stange armsdick ist. – Mein Herr, sagte Mazarin, mit Geduld dringt man durch alle Mauern, und mit einer Uhrfeile durchsägt man eine eiserne Stange. – Aber Monseigneur weiß nicht, daß er acht Wachen bei sich hat, vier in seinem Vorzimmer und vier in seinem Zimmer, und daß diese Wachen ihn nie verlassen. – Aber er verläßt sein Zimmer, treibt das Kolbenspiel oder das Ballspiel. – Monseigneur, solche Unterhaltungen sind den Gefangenen gestattet; wenn jedoch Seine Eminenz will, so wird man ihm dieselben entziehen. – Nein, nein. Ich frage nur, mit wem er spielt? – Monseigneur, er spielt mit dem Offizier von der Wache, oder mit mir, oder auch mit den andern Gefangenen. – Aber nähert er sich beim Spiele nicht den Mauern? – Monseigneur, Ew. Eminenz kennt die Mauern nicht? Die Mauern sind sechzig Fuß hoch, und ich bezweifle, daß Herr von Beaufort so lebensmüde ist, daß er es wagen würde, von oben herabzuspringen und den Hals zu brechen. – Hm, sagte der Kardinal, der nun ruhiger zu werden anfing, Ihr meint also, mein lieber La Ramée … – Wenn Herr von Beaufort nicht Mittel findet, sich in ein Vögelchen zu verwandeln, so stehe ich für ihn. – Nehmt Euch in acht, Ihr behauptet zu viel, versetzte Mazarin. Herr von Beaufort sagte zu den Wachen, welche ihn nach Vincennes führten, er habe oft an den Fall einer Einkerkerung gedacht und habe für diesen Fall vierzigerlei Arten gefunden, aus dem Gefängnis zu entkommen. – Monseigneur, wenn unter den vierzig Arten eine einzige gute wäre, antwortete La Ramée, glaubt mir, so wäre er längst heraus. – Aber, wenn sich Herr von Chavigny entfernt? – Wenn er sich entfernt, bin ich da. – Aber wenn Ihr Euch selbst entfernt? – O, wenn ich mich selbst entferne, so ist an meiner Stelle ein kluger Bursche da, der Gefreiter Seiner Majestät zu werden trachtet und gute Wache hält, dafür stehe ich. Seit ich ihn vor drei Wochen in meinen Dienst genommen habe, kann ich ihm nur zum Vorwurf machen, daß er zu hart gegen den Prinzen ist. – Und wer ist dieser Cerberus? fragte der Kardinal. – Ein gewisser Grimaud, Monseigneur. – Was machte er, ehe er zu Euch nach Vincennes kam? – Er war in der Provinz, wie mir der sagte, der mir ihn empfohlen hat. Er hat sich dort wegen eines bösen Streites irgend eine schlimme Geschichte zugezogen, und es wäre ihm vielleicht erwünscht, sich Straflosigkeit unter der Uniform des Königs zu erwerben. – Und wer hat ihn Euch empfohlen? – Der Intendant des Herrn Herzogs von Grammont. – Man kann also Eurer Meinung nach auf ihn vertrauen? – Wie auf mich selbst, Monseigneur. – Er ist kein Schwätzer? – Jesus Christus, Monseigneur, ich glaubte lange, er sei stumm. Er spricht und antwortet nur durch Zeichen. Es scheint, sein früherer Herr hat ihn so abgerichtet. – Nun wohl, sagt ihm, mein lieber La Ramée, versetzte der Kardinal, wenn er gut und getreulich Wache halte, so werde man die Augen über seinen Streichen in der Provinz schließen, ihm eine Uniform aus den Rücken legen, um ihm Achtung zu verschaffen, und in die Taschen dieser Uniform einige Pistolen stecken, daß er auf die Gesundheit des Königs trinken könne.

Mazarin ging sehr weit in Versprechungen. Er war das gerade Gegenteil des von La Ramée gerühmten guten Grimaud, der wenig sprach und viel handelte.

Nach vielen weiteren Fragen entließ der Kardinal, einigermaßen beruhigt, den Offizier, kleidete sich an und eilte zur Königin, um ihr, die nicht minder abergläubisch war, haarklein den Bericht La Ramées zu wiederholen.

Ach! sagte die Königin, als er zu Ende war, daß wir nicht bei dem Prinzen einen Grimaud haben!

Geduld, sprach Mazarin mit seinem italienischen Lächeln; das wird vielleicht eines Tages kommen, aber mittlerweile …

Nun mittlerweile?

Werde ich immerhin meine Vorsichtsmaßregeln nehmen.

Und daraufhin hatte er d’Artagnan geschrieben, er möge seine Rückkehr beschleunigen.