8. Kapitel. Ein Besuch in der Bastille

Athos nahm kurz nach dieser Szene von d’Artagnan und Rudolf Abschied und trat die Heimkehr an. Als d’Artagnan ihm die Hand zum Abschied reichte, erklang hinter ihm die Frage: »Ich hätte mit Ihnen zu reden, Herr Chevalier.« – Der Kapitän sah sich um und erblickte ein kleines, unscheinbares Männchen, das bescheiden nähertrat. »Potzblitz!« rief er, »das ist Baisemeaux. Es ist wahr, ich hatte Ihnen geschrieben, es sei ein neuer Kostgänger abzuholen, aber es wird nichts draus. Athos, erlauben Sie, daß ich Ihnen Herrn Baisemeaux, den Gouverneur der Bastille vorstelle. Sie müssen sich übrigens kennen. Es ist ja Baisemeaux, mein Leibgardist, mit dem wir einst unter dem Kardinal manchen Streich ausgeführt haben.« – »Es ist mir erinnerlich,« sagte Athos. – »Das ist der Graf de la Fère,« flüsterte der Kapitän den Gouverneur ins Ohr. – »Ja, ja, einer der vier Famosen,« sagte Baisemeaux. – »Ganz recht! doch warum sind Sie selbst gekommen?« fragte der Chevalier, während Athos mit einem letzten Gruße hinwegritt. – »Weil ich mit Ihnen zu reden hatte. Also wird nichts aus der Verhaftung? Will der König die fragliche Person nicht einsperren lassen? Das ist sehr bedauerlich.«

»Wieso?« rief d’Artagnan lachend. – »Jenun, meine Gefangnen sind doch mein Einkommen,« antwortete der Gouverneur. – »Ei, Sie sagen das ja wie jemand, der nicht das Salz aufs Brot hat. Sie müssen doch ein sehr hübsches Sümmchen im Jahre herausschlagen. Doch kommen Sie mit auf mein Zimmer, dort reden wir in aller Ruhe.«

Baisemeaux folgte dem Chevalier. – »Nun, alter Freund,« fuhr d’Artagnan fort, als sie einander gegenübersaßen. »Ich wette doch, Sie ziehen aus den Täubchen, die Sie in dem allerliebsten Käfig der Bastille halten, jährlich Ihre 50 000 Livres. Man sieht es ja auch, Sie sind rund und wohlbeleibt wie ein Fäßchen.« – »Das ist alles gut und schön,« antwortete Baisemeaux kopfschüttelnd. »Sie vergessen nur die Hauptsache dabei. Sie haben Ihren schönen Posten vom König erhalten, ich aber verdanke meine Stelle den Herren von Tremblay und von Louvières.« – »Das heißt also, Sie haben sie nicht umsonst bekommen,« sagte der Kapitän. – Der Gouverneur nickte. »Ich habe an jeden 50 000 Livres zahlen müssen, und obendrein haben sie mir noch ganz unerhörte Bedingungen auferlegt. Ich mußte ihnen nämlich noch drei Jahre meines Einkommens verpfänden.« – »Also nochmals 150 000 Livres?« – »Zahlbar an drei genau festgesetzten Terminen.« – »Das ist ja schauderhaft,« sagte d’Artagnan. »Das ist ja unglaublich.« – »Ja, und wenn ich eine der Zahlungen nicht leiste, so fällt die Stelle an die beiden Herren zurück. Der König hat das selbst unterzeichnet.«

»Dann sind Sie freilich zu bedauern, Baisemeaux,« sagte der Chevalier. »Aber warum hat Mazarin Ihnen diese Gnade erwiesen, die doch eigentlich gar keine zu sein scheint. Es wäre leicht gewesen, sie Ihnen zu verweigern.« – »Er wurde durch meinen Gönner gewissermaßen dazu gezwungen.« – »Und wer ist dieser Gönner?« – »Ein Freund von Ihnen, Herr d’Herblay.« – »Aramis!« rief d’Artagnan. – »Ganz recht! Aramis. Als ich aus seinen Diensten treten wollte, legte er ein gutes Wort bei Tremblay und Louvières für mich ein und leistete außerdem Bürgschaft für die drei Zahlungen. Zu den ersten beiden Zahlungen hat er mir auch pünktlich die 50 000 Livres gegeben, aber nun ist der dritte Termin herangerückt, und wenn ich morgen nicht zahle, dann geht es mir zu guter Letzt doch noch an den Kragen. Ich habe dann drei Jahre umsonst gearbeitet. Und in dieser Not komme ich zu Ihnen. Sie kennen doch den Abbé d’Herblay. Ich habe ihn in seiner Wohnung gesucht; er ist nicht mehr da. Können Sie mir sagen, wo er sich jetzt aufhält?«

»So wissen Sie nicht, daß er Bischof von Vannes geworden ist?« antwortete d’Artagnan. – »Von Vannes in der Bretagne? O weh!« rief der kleine Mann und raufte sich die Haare aus. »Wie soll ich bis morgen nach Vannes und zurück? Ich bin ein verlorener Mann! Ich muß mich dem König zu Füßen werfen.« – »Werfen Sie noch nicht die Flinte ins Korn,« antwortete der Chevalier. »Gehen Sie zu Fouquet!« – »Was soll mir der?« versetzte der Gouverneur. – »Einfältiger! Vannes liegt in der Diözese Belle-Ile, und Belle-Ile gehört Herrn Fouquet. Der Minister hat Herrn d’Herblay zu diesem Bistum verholfen. Gehen Sie zu ihm und sagen Sie ihm, Sie wünschten den Bischof zu sprechen. Der Minister ist hier. Heute abend können Sie ihn allerdings nicht mehr erreichen, weil er beim König ist, aber morgen in aller Frühe wird er zu sprechen sein.« – »Ich werde hingehen. Wärmsten Dank für Ihren guten Rat!« antwortete der Gouverneur, sich verabschiedend. – »Eine sonderbare Geschichte!« sprach der Musketier zu sich selbst, »was für einen Zweck hat Aramis, indem er diesem Herrn Baisemeaux unter die Arme greift? Das muß ich zu erfahren suchen.«

D’Artagnan hatte den Gouverneur richtig beschieden; Fouquet war beim König und nahm an der Spielpartie teil. Monsieur, Buckingham und Graf von Guiche waren ebenfalls zugegen. Der Brite war zerstreut; doch achtete er nicht darauf, wieviel Geld er verlor, hatte er doch sein Herz verloren. Madame spielte mit dem König, und ihr Gatte sah ihr zu und freute sich über den beträchtlichen Gewinn, den sie bereits eingestrichen hatte. Sie schien sich weder um Guiche noch um Buckingham zu kümmern und an die bevorstehende Abreise des letzteren überhaupt nicht zu denken. Der feinfühlende, stolze Engländer empfand diese Kälte und sah nur selten zu ihr hinüber. Ihn erbitterte die Fröhlichkeit dieser Prinzessin, die doch genau wissen mußte, was in seinem Herzen vorging. Ja fast schien es, als ob sie ihrer Laune noch mehr als sonst die Zügel schießen lasse, um ihren Landsmann in letzter Stunde noch einmal nach Herzenslust zu peinigen. Der König, der sich über die besonderen Gründe ihrer Heiterkeit keine Gedanken machte, überließ sich ganz dem unaussprechlichen Reiz, den ihr Frohsinn auf ihn ausübte. Er fand sie bezaubernd schön, und es war nur begreiflich, daß er fehlerhaft spielte. Der Königin-Mutter und der Gattin Ludwigs entging es nicht, daß Madame mit wunderbarem Geschick die erste Rolle in der Umgebung des Königs an sich riß. Mit der Gebärde einer Siegerin triumphierte sie über ihren Erfolg und ließ keinen Zweifel darüber, daß sie willens sei, ihren Platz zu behaupten und jede Nebenbuhlerin – selbst die rechtmäßige Gattin – in Schatten zu stellen. Anna von Oesterreich, alt geworden in der Diplomatie, beugte sich alsbald vor ihr, allein Maria-Theresia, die Infantin von Spanien, schien nicht geneigt, die Macht der Engländerin anzuerkennen. Sie sah sich die Sache ein Weilchen mit an und erhob sich dann ziemlich brüskiert, erklärte das Spiel für beendet und zog sich in ihre Gemächer zurück. Den andern Damen blieb nichts weiter übrig, als ebenfalls zu gehen. Aber selbst hierbei fügte Lady Henriette ihren Triumphen nur noch einen neuen bei: Ludwig XIV. reichte ihr, ohne sich um seinen Bruder zu kümmern, galant den Arm und führte sie bis zur Tür des Salons. Mit einem Seufzer ließ er ihre Hand los – und dieser Seufzer war laut genug gewesen, um von den nächsten Damen und Höflingen gehört zu werden. Madame seufzte auch, aber ganz leise; doch war dieser leise Seufzer um so verhängnisvoller für die Ruhe des Königs.

Man sah darauf den König sehr zerstreut zurückkehren und erst aus seinen tiefen Gedanken erwachen, als Colbert, der Intendant, sich ihm näherte und leise ein paar Worte sprach. Der König sah auf, nickte und trat dann lächelnd zu dem Oberintendanten Fouquet, der sich mit Lord Buckingham unterhielt. – »Verzeihung, wenn ich Ihr Gespräch unterbreche,« sagte Ludwig, »aber ich bedarf Ihrer, Herr Fouquet.« – »Ich stehe meinem Könige stets zur Verfügung,« antwortete Fouquet. – »Auch Ihre Kasse?« fragte der König lachend. – »Die in erster Linie,« erwiderte der Minister gelassen.

»Nun, Herr Fouquet,« sagte der König, »ich beabsichtige in Fontainebleau ein großes Fest zu veranstalten, das vierzehn Tage dauern soll, und dazu brauche ich –« er stockte und warf einen Seitenblick auf Colbert – »dazu brauche ich vier Millionen.« – »Vier Millionen,« antwortete Fouquet und verneigte sich. Dabei preßte er die Finger so fest auf die Brust, daß die kostbare Spitze seines Jabots zerriß. »Und wann, Majestät?« – »Sobald als möglich.« – »Man braucht Zeit –« sagte Fouquet, und als er den triumphierenden Blick sah, der in Colberts Augen aufleuchtete, setzte er kalt hinzu, »um eine solche Summe abzuzählen. An je einem Tage kann nur eine Million gezählt werden.« – »Also vier Tage,« sagte Colbert. – »Meine Beamten tun Wunder, wenn es einen besonderen Dienst gilt,« antwortete Fouquet lächelnd. »Sie sollen das Geld in drei Tagen haben.« – Colbert erblaßte, Fouquet verneigte sich und schritt, den Tod im Herzen, hinaus.

Er befahl sofort seinen Wagen und fuhr in seinen Palast, wo Aramis ihn schon erwartete. Er saß im samtnen Schlafrock am Schreibtische, mit Briefen beschäftigt. Als er den Oberintendanten erblickte, ließ er die Feder fallen, stand auf und rief: »Sie haben wie immer verloren?« – »Mehr als immer,« war die Antwort. – »Aber Sie wissen den Verlust gut zu ertragen,« sagte Aramis. »War es heute so viel?« – Fouquet lächelte schmerzlich und ließ sich in einen Sessel fallen. »Vier Millionen,« sagte er. – »Aber soviel können Sie doch nicht verspielt haben?« rief Aramis erstaunt, denn eine solche Summe zu hören, hatte er nicht erwartet. – »Doch. Colbert war mein Partner,« antwortete der Minister mit unheimlichem Lächeln.

»Jetzt verstehe ich,« sagte d’Herblay. »Und auf Colberts Rat hin verlangt der König diese Summe.« – »Mit höchsteigenem Munde hat er sie verlangt,« sprach der Oberintendant. »Mit einem holdseligen Lächeln, als ahnte er nicht im mindesten, daß er mich zugrunde richtet.« – »Eine große Summe, allerdings,« erwiderte d’Herblay. »Aber selbst eine Forderung von vier Millionen bringt Ihnen noch nicht den Untergang. Haben Sie zugesagt?« – »Was sollte ich anders tun?« sagte Fouquet. »Wenn ich das Geld nicht auftreibe, treibt Colbert es auf, und dann bin ich verloren. In drei Tagen soll’s da sein. Majestät scheint es diesmal besonders eilig zu haben. Und ich weiß, es wird schwer halten, das Geld zusammenzubringen. Und gelingt es auch diesmal noch, woher das nächste Mal nehmen? Glauben Sie mir, es hat damit noch kein Ende. Wenn die Könige einmal das Geld gekostet haben, dann sind sie wie die Tiger, die Blut geleckt haben. Es wird eine Zeit kommen, wo ich sagen muß: Majestät, ich kann nicht mehr.«

Aramis zuckte die Achseln. »Not macht erfinderisch,« sagte er. »Wenn alles verloren scheint, wird etwas Unerwartetes aufgefunden werden, und Sie sind gerettet.« – »Und wer wird dieses Unerwartete auffinden?« – »Sie selbst!« antwortete Aramis, »oder ich. Haben Sie vergessen, was ich einst zu Ihnen sagte? Solange Sie Mut haben, können Sie unbesorgt sein. Ein Mann in Ihrer Stellung ist verloren, wenn er verloren sein will. Und Sie brauchen den Mut nicht sinken zu lassen.« – »Sie meinen, im entscheidenden Moment werden Sie mir zu Hilfe kommen?« fragte Fouquet. – »Ich werde dann nur meine Schuld bei Ihnen abtragen,« antwortete der Bischof. »Für heute allerdings muß ich selbst es bedauern, daß Sie schlecht bei Kasse sind, weil ich Sie um Geld bitten wollte.« – »Um wieviel?« – »Um 50 000 Livres.« – »O,« rief Fouquet beruhigt. »Soviel hat man doch immer. Ich wünsche, Colbert, der Schurke, wäre mit ebenso Wenigem zufrieden. Wann brauchen Sie das Geld?« – Morgen früh.« – »Gut, und –«

»Natürlich, Sie wollen wissen, wozu es verwendet werden soll,« sagte Aramis lächelnd. – »Nein, bitte sehr, es bedarf keiner näheren Erklärung,« antwortete der Minister. – »Morgen ist Zahlungstermin für einen unserer Schuldscheine,« erklärte der Bischof. »Das letzte Drittel der verbürgten 150 000 Livres für Herrn Baisemeaux, den Gouverneur der Bastille, ist fällig.« – »Ach richtig, ja! Wir haben für ihn gutgesagt, als wir ihm die Stelle verschafften. Der Mann hat uns eigentlich noch gar nichts genützt.« – »Kann es aber immer noch,« antwortete d’Herblay. »Ein Gouverneur der Bastille ist zu jeder Zeit eine sehr wertvolle Bekanntschaft. Wir haben Dichter, die uns preisen, Ingenieure, die für uns bauen, Zeitungsschreiber, die für uns Reklame machen, und wir haben auch unsern Gefängnisdirektor. Und, gnädigster Herr,« setzte er hinzu, »wir sind ja doch immer in der Gefahr, der Bastille einen Besuch machen zu müssen.« Dabei tat er seine blassen Lippen auf und zeigte dieselben schönen Zähne, die vor dreißig Jahre schon von Maria Michon bewundert worden waren.

Am nächsten Vormittag war Baisemeaux, der Gouverneur, bereit zur Ausfahrt, um den Minister Fouquet aufzusuchen, als ein Schließer zu ihm eintrat mit der Meldung, daß ein fremder Herr, der seinen Namen nicht nennen wolle, ihn zu sprechen wünsche. Von einer frohen Ahnung beseelt, befahl der Gouverneur, den Fremden einzulassen. Seine Hoffnung betrog ihn nicht: es war Aramis, der Chevalier d’Herblay, der Bischof von Vannes, und wenn er kam, das wußte Baisemeaux, dann kam auch das Geld mit ihm. »Wie freue ich mich, Eure Herrlichkeit zu sehen!« rief der Gouverneur und empfing ihn mit aller Höflichkeit, deren ein von Herzen dankbarer Mensch fähig ist. »Ach, gnädigster Herr, gnädigster Herr, Sie sind doch eben immer ein Mann von Wort!«

»In Geschäftssachen,« antwortete d’Herblay, »ist die Pünktlichkeit keine Tugend, sondern eine Pflicht. Sie waren aber doch wohl nicht ohne Besorgnis dieserhalb? Nun, ich wollte gestern schon kommen, aber ich war zu ermüdet, und deshalb komme ich nun heute so zeitig. Und ich tat auch wohl, mich zu beeilen, wie es scheint, denn Sie wollten eben ausfahren.« – »Ich muß gestehen –« stammelte Baisemeaux und suchte nach einem Vorwande, denn er wollte Aramis nicht wissen lassen, wohin er hatte fahren wollen, da erklang aus dem Hofe herauf eine Stimme: »Fährt der Herr Gouverneur noch zu Herrn Fouquet?« – Der Bischof von Vannes lächelte. »Wie? Zu Herrn Fouquet wollten Sie fahren? Wozu denn?« – »Jenun,« platzte Baisemeaux in seiner Verlegenheit heraus, »Herr d’Artagnan sagte mir, ich würde Sie dort treffen.« – »Wie? Herr d’Artagnan?« fragte Aramis. »So haben Sie mit diesem Herrn gesprochen? Sie trauen mir nicht, Herr Gouverneur?« – »O, nicht doch, nicht doch, gnädigster Herr!« rief Baisemeaux untröstlich. »Ich traf ihn zufällig, und da er ein Freund von Ihnen ist, erkundigte ich mich nebenher nach Ihrer Adresse. Wir sprachen im übrigen nur von meinen Geschäften, die, wie Sie wissen, sehr schlecht stehen.«

»Schon gut, schon gut,« versetzte der Bischof. »Sie zahlen ja nun das letzte Mal, dann beginnt eine bessere Zeit. Wie viele Gefangene haben Sie jetzt?« – »Sechzig.« – »Nun, das geht doch an.« – »Ach, gnädigster Herr,« seufzte der Gouverneur. »Früher gab es Jahre mit 200. Ja doch, jedem andern würden 60 Gefangene 150 Pistolen eintragen, aber ich füttere sie zu gut. Rechnen Sie doch, für einen Prinzen von Geblüt bekomme ich täglich 50 Livres –« – »Aber Sie haben jetzt keinen Prinzen von Geblüt hier, nicht wahr?« fragte Aramis. – »Leider nicht,« antwortete Baisemeaux mit einem aufrichtigen Seufzer. »Weiter, für jeden Marschall bekomme ich 36 Livres. Habe aber leider auch keinen Marschall. Dann kommen die Generalleutnants – mit Livres pro Tag. Deren habe ich zwei. Dann die Parlamentsräte mit 15 Livres. Deren sind vier da. Dann geht’s aber auch gleich bis auf 10 Livres hinab für die Richter, Anwälte und Geistlichen. Sind ihrer sieben da.« – »Nun also, da müssen Sie doch ganz gut wirtschaften können,« sagte d’Herblay lächelnd. – »Ach mein Gott,« erwiderte Baisemeaux. »Ein einigermaßen guter Fisch kostet mich 4 bis 5 Livres, ein einigermaßen fettes Huhn anderthalb Livres. Ich mäste ja selbst Geflügel, aber das will doch auch gefüttert sein. Und das Korn ist teuer. Zumal wir hier ein wahres Heer von Ratten haben, gegen die gar nichts zu machen ist. Es gibt in der Bastille am Tage drei Mahlzeiten, denn die Gefangenen haben nichts zu tun, da ist Essen immer ein angenehmer Zeitvertreib. Infolgedessen kommt mich jeder, für den ich 10 Livres erhalte, allein schon auf 7 Livres 10 Sous zu stehen.«

»Haben Sie keine Gefangene unter 10 Livres?« fragte Aramis.« – »Doch. Die Advokaten und gewöhnlichen Bürgersleute. Es werden 5 Livres für sie gezahlt. Na ja, denen kann man natürlich nicht alle Tage Hühner und Fisch vorsetzen, sie kriegen dreimal wöchentlich ein gutes Essen. Wenn ein Fünfzehner mal sein Huhn nicht hat aufessen können, dann bekommt es der Fünfer, und das ist dann ein Schmaus für den armen Teufel. Man muß doch christliche Barmherzigkeit haben.«

»Und was wirft so einer zu 5 Livres für Sie ab?« – »Dreißig Sous, so wahr ich ehrlich bin. Aber bei denen, die mit 3 Livres taxiert sind, bei den Gerichtsschreibern und Leuten aus dem Volke, setze ich zu.« – »Hoffentlich lassen die Fünfer öfters was für sie übrig,« sagte der Bischof. – »O, was denken Sie?« antwortete Baisemeaux. »Die sind selbst froh, wenn sie satt werden. Nein! die Leute aus dem Volke und die Gerichtsschreiber mache ich dadurch glücklich, daß ich ihnen hin und wieder mal einen Rebhuhnflügel, einen Rehrücken, eine Gänsekeule vorsetze – nämlich die Ueberbleibsel der Vierundzwanziger. Das verschlingen sie dann, rufen überm Essen: Es lebe der König! und segnen die Bastille. Denn in der Freiheit haben sie solche Leckerbissen nicht kennen gelernt. Daher kommt es auch – was eine Ehre für die Bastille ist – daß mancher, der kaum herausgekommen ist, sich binnen kurzem wieder einsperren läßt. Warum auch nicht? Bei so vorzüglicher Küche?«

Aramis lächelte. – »Glauben Sie es nicht?« fuhr der Gouverneur fort. »Ich kann Ihnen das Register zeigen, Sie sollen sich mit eignen Augen überzeugen.« Mit diesen Worten trat er an einen Schrank und nahm ein großes Buch heraus. Er schlug es auf. »Sehen Sie hier,« sagte er. »Buchstabe M. Martinier, Januar 1659. – Martinier, März 1660. – Martinier, Juni 1661. Verhaftet wegen Druckschriften gegen Mazarin. Das ist ja nur ein Vorwand. Er hat sich selbst denunziert, um wieder hier zu dinieren.«

Der Bischof blätterte, wie es schien, gedankenlos in dem Register. »Seldon,« sagte er, innehaltend. »Der Name kommt mir bekannt vor. Sprachen Sie nicht einmal von einem jungen Manne –« – »Ganz recht! Das ist ein armer Student, der einen Spottvers auf die Jesuiten gedichtet hat.« – »Eine harte Strafe!« murmelte der Bischof. – »Sie verwendeten sich damals schon für ihn, gnädigster Herr,« antwortete der Gouverneur, »und seitdem halte ich ihn, Ihnen zu gefallen, wie einen Fünfzehner,« – »Also wie etwa diesen hier,« sagte Aramis und hielt bei einem Namen inne, der kurz vor Martinier verzeichnet stand. »Ist das übrigens ein Italiener, dieser Marchiali?« fragte er und deutete mit dem Finger auf das Blatt.

»Still!« rief Baisemeaux ängstlich. – »Warum?« versetzte Aramis, und seine weiße Hand ballte sich unwillkürlich. – »Ich glaube, ich habe Ihnen das schon einmal gesagt,« flüsterte der Gouverneur. – »Nein,« antwortete der Bischof, »ich höre den Namen zum ersten Male. Wohl ein alter Sünder, wie?« – »Im Gegenteil, ein ganz junger Mensch.« – »Dann ist sein Verbrechen also sehr groß. Hat er gemordet? Brand gestiftet?« – »Nein, nein, es ist doch der Jüngling, der die Kühnheit besitzt, eine Aehnlichkeit zu haben mit –« – »Ach, ja doch, ja doch,« unterbrach ihn Aramis. »Jetzt erinnere ich mich. Sie haben mir das schon vorm Jahre mal erzählt. Das Verbrechen schien mir aber unbedeutend, oder vielmehr kann doch der arme Kerl eigentlich nichts dafür. Er sitzt in der Bertaudière, nicht wahr, so heißt doch wohl der Turm –« – »Der Turm, den Sie dort linker Hand von uns sehen. Ja, dort sitzt er im zweiten Stock.«

»Und im ersten Stock sitzt der Dichter jenes Spottverses auf die Jesuiten, wenn ich nicht irre,« fuhr Aramis fort. »Ja, ja, lieber Baisemeaux, von diesem Poeten haben Sie mir alles erzählt, aber wenn die Rede auf den Herrn vom zweiten Stock kommt, dann sagen Sie: Pst! pst! Als ob das ein so furchtbares Staatsgeheimnis wäre.« – »Das ist es auch, gnädigster Herr.« – »Ei was, die große Aehnlichkeit besteht sicherlich nur in Ihrer Phantasie,« sagte der Bischof. »Ich habe doch schon mehrmals junge Leute gesehen, die diese Aehnlichkeit auch hatten –« – »Ja,« fiel der Gouverneur ihm ins Wort, »aber zwischen Aehnlichkeit und Aehnlichkeit ist ein Unterschied. Diese hier ist gar zu frappant. Ueberzeugen Sie sich nur einmal selbst davon.«

»Ich bin nicht neugierig,« erwiderte Aramis, anscheinend gleichgültig. »Und dann – ich glaube, ich werde den Eindruck nie wieder los, wenn ich erst mal solch einen Unglücklichen zwischen Kerkermauern gesehen habe.« – »Ah bah,« versetzte Baisemeaux, »er ist guter Dinge. Hat sich in sein Schicksal gefügt, denn er weiß, daß er zu immerwährender Gefangenschaft verurteilt ist.« – »Aber warum das?« – »Potzblitz, sein Verbrechen währt, solange er lebt, also muß er auch bestraft sein, solange er lebt; denn sie begreifen, falls er nicht etwa die Blattern bekommt, was nicht anzunehmen ist, wird diese Ähnlichkeit –« – »Und so soll dieser Unglückliche nie das Ende seiner Leiden erleben?« – »Seiner Leiden? Es werden 15 Livres täglich für ihn bezahlt, und ein Fünfzehner hat keine Leiden,« antwortete der Gouverneur. »Sehen Sie ihn sich nur mal an! Er ist von Geburt nicht zu einem so vornehmen Tische geboren, wie er ihn hier führen kann.« – »Nun, da Sie soviel davon hermachen, so wollen wir ihn uns mal ansehen,« sagte Aramis, anscheinend noch immer mit Widerstreben.

Der Gouverneur rief einen Schließer, der ihnen voranging. Sie schritten über den Hof und betraten den Turm, den Baisemeaux bezeichnet hatte. Aramis war weder ein Träumer noch ein gefühlvoller Mensch; er war vielmehr kalt und herzlos. Doch als er jetzt die abgetretenen Steinstufen hinanstieg, als ihn die Luft dieser finstern, tränenfeuchten Mauern umschloß, da war ihm seltsam zumute, traurig senkte er den Kopf, und seine Augen verschleierten sich. Er sprach kein Wort mehr, bis der Gouverneur eine Tür ausschließen ließ.

»Wir sind im ersten Stock,« sagte er. – »Es ist mir recht,« sprach Aramis leise. »Machen wir bei diesem den Anfang.«

Sie traten ein und sahen einen jungen Menschen von 18 Jahren und fast noch knabenhaftem Aussehen vor sich. Er hob den Kopf und sprang auf, als er den Gouverneur erblickte. – »Meine Mutter! Meine Mutter!« rief er, die Hände faltend und mit so herzzerreißender Stimme, daß Aramis erbebte. – »Ich bringe Ihnen ein Extragericht, lieber Freund,« sagte der Gouverneur lächelnd, »und Konfekt zum Nachtische.« – »O, mein Herr,« rief der junge Mann, »kommen Sie ein ganzes Jahr lang nicht her, geben Sie mir ein ganzes Jahr lang nichts als Wasser und Brot, aber versprechen Sie mir, daß ich nach diesem Jahre die Freiheit wiedererlangen werde – daß ich meine Mutter wiedersehen werde!« – »Lieber Freund,« erwiderte Baisemeaux, »Ihre Mutter ist arm – Sie haben es hier besser.« – »Besser? Man hat es am besten nur in der Freiheit! Und warum entzieht man der Armen die einzige Stütze?« – »Lieber Freund,« antwortete der Gouverneur, »Sie wissen, daß das nicht meine Sache ist – von mir hängt nur Ihre Verpflegung ab, und über die können Sie sich nicht beklagen.« – »O, mein Gott!« schrie der Jüngling, taumelte und stürzte rücklings auf den Boden. – »Gehen wir!« flüsterte Aramis, »ich werde für den armen Menschen um Begnadigung bitten.« – »Und wenn Sie die Begnadigung nicht erlangen,« sagte der Gouverneur, »bitten Sie wenigstens darum, daß man ihn auf zehn Livres setze, damit ist dann uns beiden, mir und ihm, geholfen.«

Sie gingen weiter, und Aramis fühlte, daß er, um keinen Verdacht zu erwecken, alle Kraft und Geistesgegenwart zusammennehmen müsse. Baisemeaux blieb stehen und schloß die Tür auf. Man sah in dem Lichtschein, der zu dem vergitterten Fenster hereinfiel, einen schönen jungen Mann von mittlerer Größe, mit kurzgeschnittenem Haar und einem Flaum auf Kinn und Oberlippe. Er saß aus einem Schemel. Sein Rock war aus schwarzem Samt, und er trug ein überaus feines schneeweißes Battisthemd.

Als der Gouverneur eintrat, wendete er sich um, stand auf und grüßte höflich. Sein Blick fiel auf Aramis, und der Bischof erblaßte, von Schauder erfaßt, der Hut entsank seiner Hand. Er hatte das Gefühl, als ob ein Schlag ihn streifte. Baisemeaux war frei von allen derartigen Gefühlen. – »Sie sehen recht wohl aus,« redete er den Häftling an. »Es geht Ihnen gut?« – »Sehr gut, ich danke,« antwortete der Jüngling. – Der Klang dieser Stimme erschütterte Aramis; er tat einen Schritt nach vorn, mit weitgeöffneten Augen und zitternden Lippen. Als Baisemeaux sich nach ihm umdrehte, konnte er nur mit Mühe die Spuren seiner Erregung verbergen.

»Da sehen Sie’s,« sagte der Gouverneur zu d’Herblay. »Sie glauben nicht, daß er sich wohl fühle. Nicht wahr,« wandte er sich wieder an den Gefangenen. »Sie haben nie zu klagen?« – »Nie.« – »Und langweilen sich auch nie?« fragte Aramis. – »Nie.« – »Dagegen ist nichts einzuwenden,« sagte Aramis zu dem Gouverneur. »Wollen Sie noch ein paar Fragen an ihn richten? Dann, bitte, fragen Sie zunächst einmal, ob ihm bekannt ist, weshalb er hier ist.« – Der Gouverneur tat die Frage, und der junge Mann antwortete ruhig: »Nein, ich weiß es nicht.« – »Aber das ist doch nicht möglich,« rief d’Herblay, indem er sich von seinem Gefühl hinreißen ließ. »Sie müssen doch außer sich sein vor Grimm, daß Sie nicht einmal den Grund Ihrer Gefangenschaft kennen.« – »In der ersten Zeit war ich es auch,« antwortete der junge Mann ruhig. – »Und jetzt sind Sie’s nicht mehr?« – »Ich habe mich eines Bessern besonnen.« – »Inwiefern?« – »Ich sage mir jetzt; wenn auch die Menschen mich strafen, Gott kann mich nicht strafen, weil ich nichts verbrochen habe.« – »Gleichviel, eine Strafe bleibt es doch,« rief Aramis. – »Ich weiß nicht; aber ich denke und fühle jetzt eben ganz anders als vor sieben Jahren.« antwortete der Gefangene. – »Seltsam! Wenn man Sie so reden hört, möchte man glauben, der Kerker sei Ihnen lieb geworden.« – »Ich ertrage meine Haft mit Geduld,« war die Antwort. – »In der sichern Erwartung, einmal frei zu werden?« – »Erwartung? O nein! Aber Hoffnung trotz allem noch, wenn sie auch mit jedem Tage mehr schwindet.«

»Wie alt sind Sie?« – »Ich weiß es nicht.« – »Wie heißen Sie?« – »Ich habe den Namen vergessen, den man mir gegeben hat.« – »Haben Sie Ihre Eltern gekannt?« – »Nein.« – »Aber doch Ihre Pflegeeltern?« – »Sie nannten mich nie ihren Sohn.« – »Hatten Sie sonst jemand lieb, ehe Sie hierher kamen?« – »Meine Amme, meine Blumen, meinen Diener.« – »Sie haben Amme und Diener wohl sehr vermißt?« – »Ich habe viel geweint, als sie starben.« – »Sind die beiden inzwischen gestorben oder bevor Sie herkamen?« – »Beide am Tage meiner Gefangennahme.« – »Beide am gleichen Tage?« – »Zu gleicher Zeit.« – »Wie geschah Ihre Verhaftung?« – »Ein Mann holte mich ab, hieß mich in einen Wagen steigen und brachte mich hierher.« – »Würden Sie diesen Mann wiedererkennen?« – »Er war maskiert.«

»Seltsame Geschichte, nicht wahr?« raunte Baisemeaux dem Bischof zu. – Aramis wagte kaum zu atmen. »Ja, sehr seltsam,« murmelte er. – »Aber das sonderbarste ist, daß er noch nie zuvor so viel aus seinem Leben erzählt hat wie eben jetzt Ihnen,« setzte der Gouverneur hinzu. – »Vielleicht, weil Sie ihn nie ausgefragt haben,« meinte Aramis. – »Mag sein,« antwortete Baisemeaux, »ich bin grundsätzlich nicht neugierig.«

»Erinnern Sie sich,« fragte der Bischof, »eines Besuchs von einem fremden Herrn oder einer Dame?« – »Eine Dame war dreimal hier und stellte die gleichen Fragen an mich wie Sie vorhin; nämlich, ob ich mich wohl fühlte und ob ich mich nicht langweilte.« – »Und wenn sie ging?« – »Dann drückte sie mich ans Herz und küßte mich.« – »Würden Sie diese Dame wiedererkennen, wenn der Zufall Sie mit ihr zusammenführte?« – »Ganz gewiß.« – Aramis lächelte unwillkürlich; dann schien er alles zu wissen, was er hatte hören wollen, und wandte sich an den Gouverneur. »Wollen wir gehen?« – »Wenn es Ihnen gefällig ist,« antwortete Baisemeaux. Und sie verließen den Kerker. Der junge Mann grüßte höflich und setzte sich ruhig wieder auf seinen Schemel.

»Nun, was sagen Sie dazu?« fragte der Gouverneur draußen. – »Ich habe das Geheimnis entdeckt,« antwortete der Bischof. »In diesem Hause ist ein Mord begangen worden. Der Diener und die Amme sind an einem Tage und zu gleicher Zeit gestorben. Verstehen Sie? Vergiftet ohne Zweifel.« – »Das kann schon sein.« – »Vielleicht hat jener Knabe die Verbrecher gesehen, und man fürchtet, er könnte schwatzen.« – »Teufel, wenn ich das wüßte –« murmelte der Gouverneur. – »Was würden Sie dann tun?« – »Doppelt wachsam sein.« – »Er sieht nicht danach aus, als sänne er auf Flucht.« – »Man kann nie wissen.« – »Bekommt er Bücher?« – »Nein, das ist streng verboten, Mazarin hat das Verbot eigenhändig geschrieben. Sie können es sehen, wenn wir wieder unten sind. Es ist in dem Erlaß eine Stelle ausgestrichen. Mazarin hatte nämlich zuerst geschrieben, es sollten täglich 50 Livres für ihn bezahlt werden.« – »Also so viel wie für einen Prinzen von Geblüt.« – »Aber nachher hat der Kardinal wohl gesehen, daß er sich irrte, die Null ausgestrichen und vor die 5 eine 1 gesetzt. Doch Sie sagen ja gar nichts über die Ähnlichkeit.«

»Aus dem einfachen Grunde, weil sie überhaupt nicht vorhanden ist,« antwortete d’Herblay. »Und wäre sie vorhanden, so würden Sie gut tun, gar nicht davon zu reden. Ludwig XIV. würde sicherlich sehr böse werden, wenn er erführe, daß einer seiner Untertanen sich erkühne, ihm wie ein Zwillingsbruder ähnlich zu sein.« – »Das ist wahr,« versetzte Baisemeaux erschrocken, »aber ich habe es ja auch nur gesagt, weil ich auf Ihre Diskretion rechne.« – »Seien Sie ohne Sorge,« antwortete Aramis, »und nun noch die Notiz von Mazarin!« – Sie waren in Baisemeaux‘ Wohnung zurückgekehrt. Der Gouverneur suchte ein Buch hervor, blätterte darin, schlug den Buchstaben M auf und ließ den Bischof folgende in Mazarins Handschrift eingetragene Bemerkung lesen:

»Keinerlei Lektüre – feinste Wäsche – eleganteste Kleidung. Nicht spazieren gehen lassen – immer den gleichen Kerkermeister – und kein Umgang mit andern. Musikalische Instrumente sind gestattet. Für alle Bequemlichkeit ist zu sorgen. 15 Livres tägliches Kostgeld. Herr Beaisemeaux kann mehr fordern, wenn das nicht ausreicht.« – »Sieh da,« rief der Gouverneur. »Das hatte ich ganz vergessen. Ich werde sogleich mehr fordern.«

Aramis klappte das Buch zu. »Ja, es ist Mazarins Handschrift,« sagte er. »Ich kenne sie. Und nun, lieber Baisemeaux, sind unsere Geschäfte erledigt. In diesem Beutel ist Ihr Geld. Stellen Sie mir eine ganz einfache Quittung aus, und zwar über die nun erhaltene Gesamtsumme von 150 000 Livres.« – »Ich habe Ihnen aber schon zwei Quittungen gegeben,« sagte Baisemeaux schüchtern. – »Hier sind sie,« antwortete d’Herblay, »und ich zerreiße sie vor Ihren Augen.« – Der Gouverneur schrieb den Empfangsschein, und Aramis steckte ihn in die Tasche, scheinbar, ohne ihn gelesen zu haben. Dann wandte er sich zum Gehen. – »Nicht wahr, sagte er auf der Schwelle, »Sie sind mir nicht böse, wenn ich Ihnen einen Gefangenen entführe? Ich meine natürlich, indem ich seine Begnadigung erwirke,« setzte er hinzu, als er das ängstliche Gesicht des Gouverneurs sah. »Der arme Seldon, der Poet jenes Spottverses, tut mir so leid.« – »Das ist Ihre Sache,« antwortete Baisemeaux. »Ich weiß, Ihr Arm reicht weit, und Ihre Hand ist stark.«

9. Kapitel. Neue Eifersucht

Seit Buckinghams Abreise glaubte Guiche, die Welt gehöre nur ihm allein. Monsieur, von der Eifersucht erlöst, gewährte in seinem Hause ein so freies Leben, daß die Ungenügsamsten damit zufrieden sein konnten. Auch der König, der an der Gesellschaft der koketten Prinzessin Gefallen fand, trug das Seine dazu bei, die Lustbarkeit zu steigern. So verstrich kein Tag ohne eine Festlichkeit am Hofe Monsieurs. Ueberdies rückte nun das große Fest immer näher, das in Fontainebleau veranstaltet werden sollte, und die Damen hatten alle Hände voll zu tun, um das Programm durch neue Nummern zu bereichern, ihre Toiletten zu entwerfen und deren Herstellung zu überwachen.

Madame gab sich diesem geräuschvollen Leben mit aller ihr eigenen Ungezwungenheit hin, und da Graf von Guiche in Sachen der Toilette und in allem, was Zerstreuung und glänzenden Zeitvertreib anbetraf, ein Meister war, unerschöpflich an immer neuen Ideen und unfehlbar im Geschmack, so war es nur natürlich, daß sie zur Zeit ihn ganz offenkundig bevorzugte. Nur wenn der König selbst zugegen war, mußte Guiche zurückstehn, allein Ludwig XIV. machte ihm keine Konkurrenz. Obwohl überaus galant und in alle Frauen verliebt – sogar in seine eigene – war er doch sehr zurückhaltend, solange er mit seinem Urteil noch nicht im klaren war. Er behandelte alle Damen mit gleicher Höflichkeit, und noch konnte keine sich rühmen, von ihm vor den andern ausgezeichnet worden zu sein. Man konnte voraussehen, daß, wenn er eine zu seiner Geliebten erklärte, diese eine zu unumschränkter Herrschaft gelangen würde; aber noch geschah nichts dergleichen. Der eigentliche König dieses galantes Hofes war also – wenn auch zu seinem Unglück nur auf kurze Zeit – der Graf von Guiche.

Das fiel natürlich auf, und es war selbstverständlich, daß Chevalier von Lorraine, der stets auf Kriegsfuß mit Guiche stand, weil er sein erfolgreichster Nebenbuhler in der Gunst Monsieurs war, diesen Anlaß benutzte, eine Intrige gegen den Grafen anzuzetteln. Das beste Mittel, seinen Zweck rasch zu erreichen, war für den Chevalier, sich zu entfernen und ein paar Tage lang nicht bei Hofe zu erscheinen. Monsieur war seit kurzem fast stündlich mit dem Chevalier zusammen gewesen und vermißte ihn nun. Da er ihn nirgends fand, machte er sich auf die Suche nach seinem andern Freunde, dem Grafen von Guiche. Der kam endlich, blieb aber nur ein paar Minuten, weil er begreiflicherweise die Gesellschaft Madames vorzog. So war denn Monsieur wieder allein und langweilte sich zum Sterben. Er war der unglücklichste Mensch von der Welt und kam in dieser Stimmung auf den Einfall, mal zu seiner Frau zu gehen.

Dort fand er eine überaus lustige Gesellschaft von lachenden, plaudernden Herren und Damen. Madame selbst saß auf einem Sofa, und Guiche kniete vor ihr und breitete Perlen und Edelsteine aus, zwischen denen die Prinzessin mit ihren weißen Fingern die schönsten herauszusuchen schien. In einer Ecke saß ein Gitarrenspieler und klimperte eine niedliche Weise herunter.

Monsieur war sehr ärgerlich, daß man sich hier so köstlich amüsierte, während er vor Langeweile vergehen mußte. Er rief im Tone kindischen Neides: »Hier geht’s ja lustig her, und ich blase da drüben Trübsal!« – Guiche sprang auf, der Gitarrespieler hielt inne, Malicorne versteckte sich hinter der Montalais, Manicamp warf sich in die Brust. Madame allein blieb ganz ruhig und rief ihrem Gatten zu: »Das ist doch die Stunde, wo Sie Toilette zu machen pflegen.« – »Und wo man hier Tollheiten treibt!« rief der Prinz zurück. – Diese übelgewählten Worte waren das Signal zu allgemeiner Flucht. Die Damen stoben auseinander wie eine Schar aufgescheuchter Vogel; die Herren schlichen beiseite. Nur von Guiche blieb zurück. Er und die Prinzessin hielten wacker den Angriff des mißvergnügten Gatten aus.

»Warum flieht alles, wenn ich mich sehen lasse?« rief Monsieur ungehalten. – »Aus Respekt vorm Herrn des Hauses,« antwortete Madame mit leisem Spott. Dabei machte sie ein so schelmisches Gesicht, daß Monsieur nichts weiter tun konnte, als ein recht dummes Gesicht zu machen. Er fühlte wohl auch das Lächerliche seiner Lage und warf nun einen so grimmigen Blick auf Guiche, daß dieser es doch für geraten hielt, mit einer höfischen Verneigung hinauszugehen.

»Was soll das nun heißen, Madame?« begehrte der Prinz auf, als er mit seiner Gemahlin allein war. »Das ist ja, als wenn ich gar nicht hergehörte!« – Madame ließ ihre Perlen fallen, lachte nicht mehr, schien aber auch nicht geneigt, eine Antwort zu geben. – Monsieur drehte sich um und stürmte zornig hinaus. – Draußen stieß er fast mit Fräulein von Montalais zusammen. Sie machte eine tiefe Verbeugung. – »Warum sind Sie alle fortgelaufen?« rief Philipp. »Hier wird gescherzt, gelacht, musiziert, und wenn ich herkomme, um mich auch ein bißchen zu erheitern, entfernt man sich. Geschieht denn hier etwas Unziemliches, wenn ich nicht da bin?« – »Gnädigster Herr, hier geschieht alle Tage dasselbe,« antwortete das Ehrenfräulein. – »Wie? Man lacht und musiziert hier alle Tage?« – »Alle Tage ist hier dieselbe Gesellschaft, die Königliche Hoheit eben gesehen haben.«

»Was, alle Tage Gitarre?« – »Dieses Instrument ist jetzt Mode, und wir Frauen würden uns ohne Musik langweilen.« – »Und die Männer?« – »Was denn für Männer?« fragte die Montalais mit jener Unschuld, die sie so trefflich zu heucheln wußte. – »Nun, Malicorne, Manicamp und Graf Guiche – und wie sie alle heißen mögen.« – »Sie gehören alle zur Hofhaltung Eurer Hoheit.« – »Sie haben recht, Fräulein,« antwortete der Prinz, kehrte in sein Zimmer zurück und warf sich in einen Sessel. Ganz gegen seine Gewohnheit sah er nicht in den Spiegel; er wußte, daß er jetzt häßlich aussehen würde.

»Wo ist Chevalier von Lorraine?« rief er. – »Nicht zu finden.« – »Immer dieselbe Antwort!« brummte Philipp, und sein Zorn ward so groß, daß er mit dem Fuße gegen ein Ziertischchen stieß, das umfiel und in Stücke brach. Darauf ging er mit der größten Kaltblütigkeit in die Galerie und warf eine Emaillevase, eine Kanne aus Porphyr und einen Kandelaber aus Bronze um. Der Lärm rief die ganze Dienerschaft zusammen. – »Was befehlen Hoheit?« fragte der Kammerherr vom Dienst. – »Nichts,« versetzte Philipp. »Ich mache mir nur selbst Musik.« – Der Kammerherr war willens, den Arzt rufen zu lassen, als sich Malicorne melden ließ mit dem Bescheid, er habe den Chevalier von Lorraine gefunden.

Der Herzog von Orléans konnte seine Freude nicht unterdrücken, als er den Chevalier erblickte. »Ha, das ist schön! Warum blieben Sie mir fern!« rief er aus. »Warum verschwanden Sie?« – »Ich war hier unnütz, Hoheit,« antwortete der Günstling. – »Aber wieso denn?« – »Hoheit haben Leute um sich, die Ihnen besser zusagen und mit denen ich es nicht aufnehmen kann. Deshalb zog ich mich zurück.« – »Schon wieder eifersüchtig auf Guiche?« rief Philipp. – »Hoheit wissen doch,« versetzte Lorraine, »Graf Guiche gehört zu meinen besten Freunden.« – »Ich will aber wissen, weshalb du verschwandest?« beharrte der Prinz. – »Ich will es sagen,« antwortete der Höfling, »aber Sie dürfen es mir nicht übelnehmen. Ich hatte das Gefühl, als ob ich Madame im Wege sei. Sie ist vielleicht neidisch auf die Gunst, die Eure Hoheit mir widmen. Auch spricht sie nie mehr mit mir, seit Guiche, der ihr besser zu gefallen scheint, zu jeder Stunde Zutritt zu ihr hat.«

»Zu jeder Stunde?« rief der Herzog ernst und errötete. »Was willst du damit sagen?« – »Ich sage nichts mehr, denn ich errege Ihr Mißfallen,« antwortete Lorraine mit einer steifen Verbeugung. – »Ich wünsche es, sprechen Sie!« rief Orléans ungeduldig. – »Hoheit behandeln mich ja wie einen Angeklagten, den man verhört,« erwiderte der Chevalier. »Nun ja, es behagte mir nicht, daß Graf von Guiche mir vorgezogen wurde, nicht nur von Ihnen, sondern vor allem auch von Madame. Das nennen Hoheit nun Eifersucht? Mag sein; aber sind denn Hoheit nicht eifersüchtig – Pardon! würden Hoheit nicht eifersüchtig sein, wenn Sie sähen, daß eine bestimmte männliche Person sich beständig in der Nähe Ihrer Frau befindet, zu jeder Zeit dort willkommen ist, immer sein Plätzchen frei hat. Doch das gehört freilich nicht hierher,« brach Lorraine ab.

»Es ist mir gleichgültig, ob Graf von Guiche sich mit besonderm Eifer um die Person meiner Gemahlin bemüht,« warf der Prinz hin, und dennoch nahm er den Kopf zwischen beide Hände und wühlte mit den Fingern in den Locken herum. – »Selbstverständlich,« sagte Lorraine. »Sie lieben Ihre Gattin, und da ich weiß, daß Ihre Liebe immer nur einem Gegenstand gilt, so hielt ich den Zeitpunkt gekommen, meiner Wege zu gehen. Denn Ihre Gemahlin wird es dahin bringen, daß Sie ihr zu Gefallen eben auch den Grafen von Guiche vorziehen. Und ein geringschätziger Blick von Ihnen, Hoheit, wäre mein Tod. Deshalb wollte ich das Feld meiden, trotz aller aufrichtigen Freundschaft und Bewunderung, die ich für Sie hege.«

»Lorraine,« rief Philipp, »wir haben schon einmal über die Narretei Buckinghams in diesem Tone gesprochen. Buckingham war ein Narr – du öffnetest mir die Augen, was ihn anbetrifft. Wird jetzt von Guiche dasselbe geredet wie vorher von Buckingham?« – »Hoheit, es wäre hundertmal besser gewesen, mich in meiner Einsamkeit zu lassen, als daß Sie nun aus meinem Bedenken einen Argwohn gegen Madame schöpfen – man würde ihr damit nur Unrecht tun. Ich würde an Ihrer Stelle, Königliche Hoheit, diese lustige Gesellschaft gewähren lassen, dann kommen alle Gerüchte, sofern solche im Umlauf sind, ganz von selbst zum Schweigen.«

Der Herzog schüttelte den Kopf. »Ich werde es mir überlegen,« murmelte er.

Die Stunde des Diners war gekommen, und Philipp schickte zu seiner Gemahlin, erhielt jedoch den Bescheid, die Herzogin wolle nicht bei der Tafel erscheinen, sondern in ihren Gemächern speisen. – »Dann speisen wir allein,« sagte Orleans. »Es ist meine Schuld, ich habe heute vormittag den Eifersüchtigen gespielt.« – »Wir waren sonst zu dritt,« warf Lorraine hin. – »Ja, Guiche fehlt, aber er wird nicht lange schmollen,« sagte Philipp mißmutig. – »Gnädigster Herr, es tut mir leid, Sie zum Unwillen gereizt zu haben. Ich will es wieder gutmachen,« sprach der Chevalier, »und selbst Vermittler sein, indem ich Guiche herhole.« – »Mir sehr lieb, geh nur!« rief der Herzog.

Lorraine hatte überall bei Hofe gute Freunde, und er fand ohne Schwierigkeiten einen Diener, der es übernahm, sich zu erkundigen, ob Graf von Guiche bei Madame sei. Nach fünf Minuten war er wieder beim Herzog. »Guiche ist leider nicht zu finden,« sagte er. »Entflohen, wie es scheint, unsichtbar.« – »Ha! Der Auftritt heute morgen wird ihn kopfscheu gemacht haben. Sicherlich ist er sofort mit Extrapost auf seine Güter gereist. Der arme Graf! Na, da essen wir eben zu zweit.«

»Ich habe eine neue Idee,« sagte Lorraine mit gut gespielter Verstellung. »Gnädigster Herr, Madame ist böse auf Sie. Wie wäre es, wenn Sie, da Madame nicht zu Ihnen kommen will, zu Madame gingen? Suchen Sie sie auf und speisen Sie mit ihr. Besonders jetzt, wo Sie diesen goldgestickten Frack anhaben, der Ihnen entzückend steht.« – »Hm, wäre am Ende gar nicht schlecht. Ja! ich will gehen.« – Und Philipp von Orléans machte sich auf den Weg zu den Gemächern seiner Gemahlin. Unterwegs flüsterte Lorraine dem getreuen Kammerdiener zu: »Stelle Leute vor die kleine Tür, daß niemand nach dorthin entweichen kann. Mach schnell!« Und als der Türhüter den Herzog bei Madame melden wollte, trat Lorraine rasch vor und sagte: »Bleibe jeder, wo er ist! Königliche Hoheit wollen überraschen.«

Monsieur trat ein wie jemand, der eine Freude bereiten will. Er blieb wie versteinert auf der Schwelle stehen. Madame drehte sich im Tanze am Arme des Grafen von Guiche. Die Montalais sah bewundernd zu, Fräulein von Lavallière saß still in einer Ecke. Man hatte anscheinend das Diner über das Tanzen vergessen. Als Monsieur eintrat, hielt das Paar mit jähem Ruck inne. Der Chevalier lächelte mit dem Ausdruck aufrichtiger Bewunderung. Der Prinz aber erblaßte, sein Mund verzog sich zitternd, seine Hände ballten sich.

»Entzückend!« sagte er mit tonloser Stimme. »Ich erwartete, Madame unpäßlich zu finden. Wie freut es mich, daß dies nicht der Fall ist. Mein Haus ist ja vielmehr das lustigste von der Welt. Warum laden Sie mich nicht ein, Madame, wenn es bei Ihnen so hoch hergeht? Ich bin ein sehr verlassener Prinz.« – Guiche hatte inzwischen die Fassung wiedererlangt. »Gnädigster Herr,« sagte er mit dem stolzen Ausdruck, der ihn so gut kleidete, »Sie wissen, mein ganzes Leben ist Ihrem Dienst geweiht, ich bin jederzeit willens, es für Sie zu opfern. Heute aber gilt es nur zu tanzen, und deshalb tanze ich.«

»Sehr richtig,« versetzte Philipp kalt. »Aber von Madame ist es nicht recht, mir meine Freunde zu entführen. Madame, Guiche gehört mir, nicht Ihnen. Wenn Sie nicht mit mir speisen wollen, Madame, so speisen Sie mit Ihren Damen. Wenn ich aber ohne Sie speisen muß, so will ich wenigstens meine Kavaliere dabei haben.« – Madame fühlte, daß in diesen Worten eine Zurechtweisung lag und antwortete: »Fürwahr, ich wußte nicht, daß am französischen Hofe die Frauen wie in der Türkei gehalten werden, wo Männern der Zutritt verboten ist. Doch wenn es sein muß, ich halte es aus. Genieren Sie sich nicht, Monsieur, wenn Sie etwa noch eiserne Gitter vor die Fenster legen wollen.«

Der Prinz geriet von neuem in Zorn. »Da sehe ich, wie ich in meinem eigenen Hause geachtet werde,« rief er aus. Und er wendete sich so rasch zum Gehen, daß er Madame fast gestoßen hätte. Er eilte in sein Zimmer zurück, Lorraine folgte ihm. – »Gib mir deinen Rat!« rief der Prinz. »Es kann nicht so bleiben. Das sind ja unausstehliche Zustände.« – »Allerdings,« seufzte der Chevalier. »Man glaubte Ruhe zu haben, als man Buckingham los war –« – »Und nun wird es nur noch schlimmer,« setzte Orléans hinzu. »Buckingham wäre nie so weit gegangen. Das dulde ich nicht länger. Ich werde auch keine Rücksicht nehmen, wenn man mit mir keine nimmt.«

Und er eilte hinaus und fragte, ob die Königin-Mutter aus der Kapelle zurück sei. Anna von Oesterreich wußte noch nichts von der Wendung, die die Dinge in den letzten Stunden genommen hatten; sie freute sich vielmehr über das Glück, das am Hofe ihres jüngeren Sohnes zu herrschen schien, und war stolz auf ihre beiden Söhne, auf den König, der sich, seit er selbständig regierte, trefflich bewährt hatte, und auf Philipp, der in Lady Henriette eine glänzende Partie gemacht zu haben schien. Da trat nun plötzlich Philipp vor sie hin mit dem Ausruf: »Mutter, so kann es nicht länger bleiben!«

Anna von Oesterreich sah ihn mit ihren schönen Augen an und fragte mit der ihr eigenen Sanftmut: »Wovon sprichst du denn?« – »Von meiner Frau!« – »Wie? hat Buckingham etwa geschrieben?« – »Nein, von Buckingham ist nicht die Rede. An seine Stelle ist schon wieder ein anderer getreten. Graf von Guiche.« – Die Königin-Mutter schlug in die Hände und lachte. – »Philipp, deine Eifersucht ist keine Schwäche mehr,« sagte sie, »sie artet zur Krankheit aus.« – »Gleichviel, Frau Mama, ich leide darunter,« antwortete Philipp. – »Und erwartest, man solle ein Uebel beseitigen, das nur in deiner Einbildung vorhanden ist?« versetzte die Königin-Mutter. – »Ich sehe, Sie wiederholen über diesen nur, was Sie über jenen sagten,« meinte Orleans ärgerlich. – »Weil du dich gegen diesen ebenso töricht benimmst, wie gegen jenen, mein Sohn,« erwiderte Anna. »Doch gut, du bist mein Sohn, ich bin dir mütterliche Nachsicht und Hilfe schuldig. Mit deiner Gattin kann ich nicht gut darüber sprechen, denn junge Frauen sind sehr feinfühlend und halten selbst einen leisen Wink schon für einen schweren Vorwurf.« – »Was also wollen Sie tun, Frau Mama?« rief Philipp. »Sie fürchten, zuweit zu gehen, wo doch Madame sich nicht drum sorgt, ob sie zuweit geht! Und geht sie nicht zuweit, wenn sie sich bei mir wegen Unpäßlichkeit entschuldigen läßt und zur selben Stunde in ihren Gemächern mit dem Grafen von Guiche Tänze aufführt?«

Anna von Oesterreich runzelte die Stirn. – »Das ist allerdings unbesonnen,« räumte sie ein. – »Kurz und gut, ich verlange, daß Guiche mein Haus verläßt!« rief der Herzog. »Ich werde das vom König fordern, und wenn der König nicht auf mich hört und von Guiche sich weigert zu gehen, so werde ich ihn in meiner Badewanne ertränken lassen.« – Der Prinz erwartete, seine Mutter würde über diese Drohung heftig erschrecken; sie blieb aber ganz ruhig und antwortete: »Tu das, mein Sohn.«

»Ich sehe schon, niemand nimmt sich meiner an,« rief Philipp weinerlich, denn er war von weibischer Schwäche. »Selbst meine Mutier hält es mit meinen Feinden.« – »Du ließest mich vorhin nicht ausreden,« unterbrach ihn Anna. »Ich meinte, ich kann wohl nicht mit deiner Gattin sprechen, aber mit dem König kann ich über den Punkt in aller Ruhe einmal verhandeln. Ich erwarte Seine Majestät hier. Es ist die Stunde, zu der er sonst kommt. Er kann jeden Augenblick da sein.«

Als sie dies sprach, hörte man Schritte an der Tür. Philipp erschrak, wurde zaghaft und schlüpfte rasch zu einer Seitentür hinaus. Die Königin-Mutter fing an zu lachen und lachte noch, als Ludwig XIV. eintrat. Es war seine Gewohnheit, sich alle Morgen nach ihrem Befinden zu erkundigen. Gleichzeitig wollte er ihr ankündigen, daß alle Vorbereitungen, den Hof nach Fontainebleau zu verlegen, getroffen seien. Anna von Oesterreich ergriff seine Hand. »Weißt du,« sagte sie, »ich bin doch stolz darauf, eine Spanierin zu sein. Die Spanierinnen scheinen immer noch besser als die Engländerinnen. Auch du hast eine Spanierin zur Gemahlin und bist doch schon einige Zeit verheiratet, ohne daß du dich bei mir jemals beklagt hättest. Dein Bruder aber ist erst seit vierzehn Tagen Ehemann und beschwert sich schon zum zweiten Male über Madame.«

»Immer noch über Buckingham?« fragte Ludwig lächelnd. – »Nein, diesmal über den Grafen von Guiche.« – »Ei, so ist Madame eine Kokette – mein armer Bruder!« – »Lache nicht! Er ist außer sich. Er will Guiche ertränken lassen.« – »Das ist etwas stark,« sagte Ludwig. »Da müssen wir eingreifen. Nun, ich bin allen dreien wohlgesinnt, meinem Bruder, seiner Gattin und feinem Freunde – oder ihrem Freunde, wenn Sie wollen. Ich will versuchen, ob ich es einrenken kann. Freilich, in solchen Dingen hat selbst die königliche Gewalt ihre Grenzen. Eine Frau bessern? – O! mit einem Manne kann man’s allenfalls versuchen. Den Grafen will ich mit einem Worte kirren – aber Madame! Das ist schwieriger. Doch wir haben heute abend Balletprobe, da werde ich ihr zwischen einer Tour die Leviten verlesen. Ich werde ihr eine kleine Kapuzinerpredigt halten.« – »Nun, hoffentlich hast du Glück,« sagte Anna von Oesterreich.

»Da fällt mir noch etwas anderes ein,« fuhr der König fort. »Es wäre vielleicht besser, wenn ich Madame auf ihrem Zimmer besuchte.« – »Das gibt der Sache aber ein etwas förmliches Ansehen,« meinte die Königin-Witwe. – »Das wohl, aber wer eine Predigt halten will, den kleidet ja das Förmliche, und ein bißchen Feierlichkeit fördert den Erfolg. Ja, ich will zu ihr gehen. Mutter, ich küsse Ihnen die Hände – diese schönsten Hände von Frankreich!« – »Nun, stelle nur den Frieden im Hause wieder her.« – »Ich bediene mich ja keines Abgesandten – das heißt, ich werde meinen Zweck erreichen,« antwortete Ludwig XIV. lächelnd und ging hinaus. Und noch immer lächelnd, klopfte er unterwegs ein wenig Puderstaub von der Goldborde seines Gewandes.

4. Kapitel. Freundschaft und Haß

Am folgenden Tage nahmen die Festlichkeiten mit königlichem Pomp ihren Fortgang. Die Reise nach Paris begann. Von Guiche hatte gehofft, man werde Buckingham mit dem Admiral nach England zurückschicken; doch wußte der Lord der Königin-Witwe einzureden, es sei unziemlich, eine englische Prinzessin ganz allein in Paris einziehen zu lassen. Der junge Herzog wählte sich unter den Engländern, die bis nach Havre mitgekommen waren, einen Hof von Offizieren und Edelleuten aus, und der Zug, den er nach Paris führte, glich fast einem Heere. Rudolf verstand es auch in der Folgezeit, seinen doppelten Einfluß auf Buckingham und auf Guiche vorteilhaft anzuwenden und beide in Schranken zu halten. Was den Briten betraf, so fühlte er sich seit jener inhaltsschweren Unterredung vor den Zelten zu Havre sehr zu dem jungen Vicomte hingezogen und sprach oft von ihm, von seinem Vater oder von d’Artagnan, ihrem gemeinsamen Freunde, den Buckingham ebenso bewunderte wie Rudolf.

Namentlich wenn von Wardes anwesend war, lenkte Rudolf das Gespräch auf den neuen Generalkapitän der Musketiere, und von Wardes, der den Vicomte um die Rolle beneidete, die er in der letzten Zeit bei seinem Gönner, dem Grafen von Guiche, spielte, machte dann kein Hehl aus seinem Haß und seiner Mißgunst. Eines Abends, als man in Nantes Rast machte, lehnten von Guiche und von Wardes an einer Barriere, während Buckingham und Rudolf plaudernd auf und ab gingen.

»Gestehe es, du bist krank,« sagte Wardes zum Grafen, »und dein Hofmeister kann dich nicht heilen.« – »Ich verstehe dich nicht,« versetzte Guiche. – »Tröste dich,« fuhr der junge Mann lauernd fort, »Madame wird nicht gleichgültig bleiben gegen deine Qualen. Sie nimmt schon jetzt so regen Anteil daran, daß sie sich kompromittiert. Du siehst es doch wohl selbst, daß sie dich ganz besonders sanft anschaut und einen ganz eigenartigen Ton anschlägt, wenn sie mit dir redet. Und alle Morgen klagt sie dir, sie habe schlecht geschlafen.« – Von Guiche machte eine unruhige Bewegung, obwohl die Worte seines falschen Freundes ihm schmeichelten. – »Hörst du, sie ruft dich,« setzte dieser hinzu. – Der Graf wendete sich nach der Seite, wo die Prinzessin im Gespräch mit Manicamp saß. Er vermochte nicht zu widerstehen und trat hinzu. – »Nun ja, geh nur,« sagte von Wardes, »dein Hofmeister sieht nicht hin.«

»Sie irren sich,« erklang jetzt Rudolfs Stimme, und er trat vor Wardes. »Der Hofmeister sieht es doch und hört auch, was Sie sagen.« – Der junge Mann fuhr auf und zog das Schwert halb aus der Scheide. – »Stecken Sie es nur ruhig wieder ein,« sagte Bragelonne. »Sie wissen, daß es vor Beendung unserer Reise zu keiner solchen Auseinandersetzung kommen darf. Aber mäßigen Sie Ihre Zunge. Warum wollen Sie in das Herz des Mannes, den Sie Freund nennen, alles Gift Ihres eigenen Herzens gießen? Sie sind in meinen Augen ein Elender und ein Verräter.« – »Herr!« rief Wardes. »Ich hatte also recht, als ich Sie einen Hofmeister titulierte. Der Ton, den Sie anschlagen, die Manier, der Sie sich befleißen, paßt für einen Jesuiten, aber nicht für einen Edelmann. Mir gegenüber aber legen Sie diesen Ton gefälligst ab. Sie ändern nichts daran, daß ich Herrn d’Artagnan hasse, weil er eine Niederträchtigkeit an meinem Vater begangen hat.« – »Sie lügen!« rief Bragelonne. – »Ha! Sie nennen mich einen Lügner und ziehen nicht das Schwert?« versetzte von Wardes. – »Weil ich mir vorgenommen habe, Sie erst dann zu töten, wenn wir diese Reise hinter uns haben,« antwortete Rudolf. – »Nehmen Sie sich in acht,« drohte Wardes, »wenn Sie mir nicht Genugtuung geben, so werde ich jedes Mittel ergreifen, mich zu rächen.«

»Oho!« ließ sich jetzt Lord Buckingham vernehmen, indem er hinzutrat, »diese Worte klingen ja fast nach Meuchelmord und ziemen sich nicht für einen Edelmann. Sie beleidigen meinen Freund und werden mir Rede stehen!« – Von Wardes drehte sich nach dem Herzog um.

»Es scheint doch aber,« versetzte er, »als ob ich Ihren Freund nicht beleidige, denn er hat ein Schwert an der Seite und läßt es unberührt.« – »Aber Sie beleidigen den Chevalier d’Artagnan,« rief Buckingham aufbrausend, »und der Chevalier ist der ehrenwerteste Kavalier, den ich kenne. Ich bin ihm persönlich verpflichtet, und es wird mich freuen, meine Dankesschuld durch einen derben Schwertstreich in Ihr falsches Angesicht abzutragen.«

Mit diesen Worten zog Buckingham den Degen und drang auf Wardes ein, aber Rudolf trat mit gezückter Klinge zwischen beide. »Halt, meine Herren!« rief er. »Das lohnt nicht der Mühe. Herr von Wardes schmäht den Chevalier und kennt ihn doch nicht einmal. Nein, Sie kennen ihn nicht, Herr! Sie wissen ja nicht einmal, wo er wohnt. Nun, ich will es Ihnen sagen. Chevalier d’Artagnan wohnt im Louvre, wenn er Dienst hat, und in der Lombardstraße, wenn er dienstfrei ist. Sie haben mit ihm abzurechnen, und wenn Sie ein Ehrenmann sind, so werden Sie ihn nach unserer Ankunft in Paris aufsuchen und zur Rede stellen, damit er Ihnen die Genugtuung gebe, die Sie von jedermann, nur nicht von ihm zu verlangen scheinen. Was gebärden Sie sich hier als Raufbold? Das schickt sich nicht für einen Edelmann; denn Sie wissen recht wohl, der König hat die Duelle streng verboten.«

»Eitle Entschuldigungen!« rief von Wardes. – »Was Sie da sagen, ist dummes Geschwätze, Herr,« versetzte der Vicomte. »Herr von Buckingham ist ein tapferer Mann, der sich in mehreren Feldzügen schon bewährt hat, und ich habe mich bei Lens, bei Blenau, bei den Dünen geschlagen und war dort hundert Schritte vor der Linie, während Sie, beiläufig gesagt, hundert Schritte dahinter waren. Dort unten, freilich, waren so viele Menschen, daß niemand auf Ihre Heldentaten achtgegeben hätte, deshalb strengten Sie sich wohl auch nicht an. Jetzt aber wollen Sie von sich reden machen, auf welche Art es immer sei. Dazu werde ich Ihnen nicht behilflich sein.«

Von Wardes stürzte mit gezücktem Schwert auf Rudolf los, der rasch zur Seite trat. – »Ich sage Ihnen, ich schlage mich jetzt nicht!« rief Bragelonne. »Wenn wir in Paris sind, führe ich Sie zu d’Artagnan, das verspreche ich Ihnen, und d’Artagnan wird den König um Erlaubnis bitten, Ihnen einen Schwertstreich zu versetzen. Wenn Sie den erhalten haben, werden Sie still sein.« – »Ha!« rief von Wardes, erbost über diese Gelassenheit. »Man sieht es, daß Sie ein Bastard sind, Herr von Bragelonne!«

Rudolf wurde totenbleich. Sein Auge flammte auf, so daß Wardes unwillkürlich zurückwich. – »Wohl, ich kenne nur den Namen meines Vaters,« stieß Rudolf hervor. »Aber der Graf de la Fère ist ein Mann von Ehre, und ich brauche nicht zu befürchten, daß auf meiner Geburt ein Makel läge. Daß ich den Namen meiner Mutter nicht kenne, ist für mich also nur ein Unglück, keine Schmach. Wenn Sie mir solch ein Unglück zum Vorwurf machen, so verstoßen Sie gegen die guten Sitten. Aber die Beleidigung ist ausgesprochen worden, und diesmal halte ich mich in der Tat für beleidigt. Machen wir also ein Ende!« – Und mit ausgestrecktem Schwerte trat er auf Wardes zu.

»Was tun Sie?« rief Buckingham. – »Seien Sie unbesorgt,« versetzte Rudolf kaltblütig. »Es wird nicht lange dauern.« – Von Wardes ging in Fechterstellung, die Klingen kreuzten sich. Aber von Wardes stürzte mit solcher Hast auf Bragelonne, daß Buckingham gleich nach den ersten Degenstößen wußte, auf wessen Seite der Vorteil lag und wer den Sieg davontragen würde. Rudolf schien nur zu spielen, er parierte mit der größten Ruhe, dann stieß er eine Finte und fing die Klinge seines Gegners so geschickt ab, daß von Wardes den Griff verlor und der Stahl im Bogen durch die Luft sauste. Rudolf warf darauf sein Schwert weg, packte den andern um den Leib und schleuderte ihn über die Barriere. Von Wardes erhob sich, leichenfahl im Gesicht. – »Wir sprechen uns noch,« keuchte er, hob sein Schwert auf und ging davon.

»Lieber Vicomte,« sagte Buckingham, »tragen Sie von jetzt ab einen Panzer. Der Mensch wird Sie morden.« – Rudolf zuckte mit unsäglicher Geringschätzung die Achseln. »Mein Vater,« antwortete er, »ist zwanzig Jahre lang von einem noch furchtbareren Feinde bedroht worden und lebt heute noch.« – »Ihr Vater hatte gute Freunde,« sagte der Brite. – »Ja, Freunde, wie es heute keine mehr gibt,« seufzte Bragelonne. – »O, sagen Sie das nicht in dem Augenblick, Vicomte, wo ich Ihnen meine Freundschaft anbiete,« erwiderte der Lord und schloß den jungen Mann in die Arme. »In meiner Familie,« setzte er hinzu, »opfert man sein Leben für die, die man der Freundschaft wert hält. Sie wissen das recht wohl, Herr von Bragelonne.« – »Ich weiß es,« nickte Rudolf.

*

Die Prinzessin erreichte wohlbehalten Paris. Ihr Weg glich einem Siegeszuge, denn überall machte ihre Schönheit den tiefsten Eindruck und gewann ihr alle Herzen im Fluge. Nicht nur die Edelherren waren begeistert von ihrem Liebreiz, auch die Edelfräulein priesen ohne Neid und in schwärmerischen Worten die Anmut und unnachahmliche Grazie Henriettens. Man bedauerte allgemein, daß die Reihe der Ehrendamen schon vollzählig sei, und beneidete die jungen Mädchen, denen es geglückt war, eine Stelle an ihrem Hofe zu erhalten.

Am Weichbilde von Paris hatte Monsieur, ihr künftiger Gemahl, sie empfangen, und die schwerfällige Reisekutsche war gegen eine prunkvolle Karosse vertauscht worden. Die Begleiter der Prinzessin wurden Monsieur vorgestellt, und alsbald fiel dem Prinzen das seltsame Benehmen Lord Buckinghams unangenehm auf. Chevalier von Lorraine, sein zweiter Günstling, ließ es sich, intrigant wie er war, nicht entgehen, den Stachel der Eifersucht in das Herz des Bräutigams zu senken. Orléans runzelte die Stirn, dann schüttelte er die Locken und sagte mit dem fast weibischen Schmollen, das ihm eigen war: »Weshalb soll ich mir wegen meiner Kusine das Herz schwer machen? Kenne ich sie denn nicht? Bin ich nicht mit ihr großgeworden? Habe ich sie nicht als Kind im Louvre gesehen?« – »Es ist ein Unterschied, Hoheit,« versetzte der Chevalier. »Damals war sie noch nicht so lebhaft – vor allem noch nicht so stolz – konnte sich auch nicht so vorteilhaft, so kokett kleiden wie heute. Besinnen Sie sich noch darauf, Monsieur, daß der König eines Abends nicht mit ihr tanzen wollte, weil er ihre Toilette abgeschmackt fand?« – Orléans wandte sich mißmutig ab, denn in dieser Erinnerung lag nichts eben Schmeichelhaftes für ihn.

Die Prinzessin und ihre Mutter wurden im Louvre einquartiert, in demselben Palast, wo sie während ihres Exils alle Bitternis des Elends durchgekostet hatten. Jetzt aber sah es anders darin aus, anders empfing man sie jetzt. Die Zimmer waren gesäubert, geheizt und aufs prachtvollste eingerichtet. Die Dienerschaft, die ihnen früher fast geringschätzig begegnet war, betätigte sich mit allem Eifer tiefster Ergebenheit, überall salutierten die Ehrenwachen, ein ganzer Troß von Hofleuten tummelte sich in den Antichambres. Schöne junge Damen warteten der königlichen Braut auf Schritt und Tritt auf, und auf demselben Tische, auf dem zur Zeit der Verbannung kaum ein Stückchen Brot gelegen hatte, wurde jetzt ein köstliches Mahl serviert, das ihnen zur ersten Erfrischung nach der langen Reise dienen sollte. Nachdem die Prinzessinnen von ihren Gemächern Besitz genommen hatten, war das Ehrengeleit entlassen.

5. Kapitel. Ein Wiedersehen

Rudolf von Bragelonne wollte seinen Vater aufsuchen, aber Athos war schon wieder nach Blois gereist. Auch d’Artagnan fand er nicht; der Chevalier war mit der Einrichtung eines neuen königlichen Militärinstituts beschäftigt. Graf Guiche hatte auch keine Zeit; denn er war fest entschlossen, den Kampf mit Buckingham um die Gunst Henriettens bis aufs äußerste auszufechten, und sollte er sich darüber ruinieren. Buckingham war aus diesem Grunde ebenfalls nicht zu sprechen; er verschwendete ein Vermögen, um so prunkvoll wie möglich aufzutreten und alle andern Kavaliere in den Schatten zu stellen. Da Bragelonne nun gar nicht wußte, was er mit seiner Zeit beginnen sollte, so schrieb er an Fräulein von Lavallière. Er schrieb ihr Briefe, erhielt aber keine Antwort.

Da meldete eines Morgens sein Diener »Herrn von Malicorne« an. »Soll warten,« versetzte Rudolf mürrisch. »Was will der Kerl von mir?« – »Der Herr kommt aus Blois,« antwortete der Diener. – »O, dann laß ihn gleich herein!« rief der Vicomte. – Malicorne, wie ein echter und rechter Kavalier von vornehmstem Geblüt aufgeputzt, trat herein, grüßte anmutig und begann: »Herr Graf von Bragelonne, ich habe Grüße von einer Dame zu überbringen.« – Rudolf errötete. – »Von einer Dame aus Blois?« fragte er. – »Ja, Herr Vicomte, von Fräulein Aure von Montalais.« – »Ah so, jetzt besinne ich mich,« rief Rudolf. »Was wünscht das Fräulein von mir?« – Malicorne zog vier Briefe aus der Tasche und gab sie dem Grafen. – »Meine Briefe!« rief dieser erblassend. »Und noch nicht geöffnet!« – »Herr Vicomte, sie haben die Person, an die sie gerichtet sind, nicht mehr in Blois erreicht. Fräulein von Montalais, die Ihre Schrift und Ihr Siegel erkannt hat, schickt sie Ihnen zurück.« – »Sehr liebenswürdig,« sagte Rudolf, »das war Fräulein Aure ja immer. Also ist Fräulein von Lavallière nicht mehr in Blois? Wo ist sie denn? In Paris?« – »Vielleicht sagt Ihnen dieser Brief das Nähere,« antwortete Malicorne, ein zweites Päckchen hervorziehend. – Rudolf erbrach das Siegel. Das Schreiben war von der Montalais und lautete: »Wenn Sie Fräulein Luise wiedersehen wollen, so seien Sie am Tage der Vermählungsfeier im Palais-Royal zu Paris.« – »Was bedeutet das?« rief der Vicomte. »Können Sie es mir sagen, Herr Malicorne?« – »Ich weiß nicht,« antwortete dieser mit diskretem Lächeln. »Fräulein von Montalais hat mir’s streng verboten. Ich möchte Sie um eine Gefälligkeit bitten, Herr Graf.« – »Zum Lohn für diese Botschaft?« – »Ganz recht. Ich möchte gern die Vermählungsfeier sehen und habe keine Einlaßkarte. Könnten Sie mir eine verschaffen?« – »Sehr gern.«

So kam es, daß man am Tage der Vermählungsfeier, die in Gegenwart einer Anzahl streng ausgesuchter Höflinge stattfand, das bescheidene Antlitz des Herrn Malicorne darunter erblickte, sehr zur Verwunderung des Fräulein von Montalais, deren neugierige Augen jeden einzelnen der Anwesenden aufmerksam musterten.

Graf Guiche hatte sein prächtigstes Gewand angelegt, doch stand der schwermütige Ausdruck seines Gesichts im Widerspruch dazu; das gleiche konnte man von Buckingham sagen, der blaß wie ein Toter war. Der Prinz von Condé betrachtete mit Befremden diese beiden Bilder der Trostlosigkeit, die wie regungslose Säulen zu beiden Seiten der Kapelle standen.

Nach beendeter Trauung begaben sich der König und die Königin in den Prunksaal, wo sie sich Madame und ihr Gefolge vorstellen ließen. Man bemerkte, daß der König von der Schönheit seiner Schwägerin sehr angenehm überrascht war und ihr herzliche Komplimente sagte. Man bemerkte auch, daß Anna von Oesterreich einen langen träumerischen Blick auf den Herzog von Buckingham warf, worauf sie zu Frau von Motteville sagte: »Finden Sie Aehnlichkeit mit seinem Vater?« – Man bemerkte endlich, daß Monsieur seine Augen unstet umherschweifen ließ und sich nicht glücklich zu fühlen schien.

Eine Anzahl von jungen Mädchen trat nun in den Saal, geführt von Frau von Noailles, und jeder Kenner von Frauenschönheit mußte die Auswahl bewundern, die man unter den jugendfrischsten Aristokratinnen Frankreichs getroffen hatte. Die Vorstellung der Ehrendamen begann mit einer jungen Blondine von 21 Jahren. »Fräulein von Tonnay-Charente,« sagte die alte Frau von Noailles zu Monsieur. – »Diese scheint ganz passabel zu sein,« flüsterte Prinz von Condé Rudolf zu. »Ich bin neugierig, ob man geschmackvoll gewählt hat. Sehen Sie da! Schon wieder eine Schönheit.«

Frau von Noailles stellte vor: »Fräulein Aure von Montalais!« – Rudolfs Blick richtete sich auf die nächste Dame. »Großer Gott!« klang es leise von seinen Lippen. – »Was gibt es?« flüsterte Condé erstaunt. – »Nichts, Hoheit, nichts!« – »Ah, Sie bewundern die kleine Blondine, die nun an die Reihe kommt. Wunderhübsche Augen – ein bißchen mager, aber sehr anmutig.« – Und Frau von Noailles stellte vor: »Fräulein von Labaume-Leblanc und von Lavallière.« – Rudolf hatte das Gefühl, als legte sich eine Wolke über seine Augen. »Luise hier!« murmelte er. »Luise Ehrenfräulein bei der Prinzessin!« – Da begegnete sein Blick den funkelnden Augen der Montalais, die sich an seinem Erstaunen zu weiden schien. Luise ihrerseits stand wie geblendet da, ihr Busen hob sich stürmisch, und sie zog sich so rasch wie möglich aus der Nähe des herzoglichen Paares zurück.

Plötzlich stutzte Rudolf. Ganz in seiner Nähe war Luisens Name genannt. Er sah sich um und erblickte die Herren von Guiche, von Lorraine und von Wardes, die sich leise unterhielten. Es ist eine Kunst, die nur der gewandte Höfling vollkommen beherrscht, sich zu unterhalten, ohne die bei höfischen Zeremonien vorgeschriebene Haltung zu ändern. Während bei den Cercles nur die Majestäten sprechen dürfen und alle Anwesenden tiefstes Schweigen zu wahren haben, werden da oft unter abgesonderten Gruppen verstohlene Gespräche geführt, bei denen die Schmeichelei nicht immer die vorherrschende Note bildet.

Es war die Stimme von Wardes‘, die an Rudolfs Ohr schlug. »Was ist das für eine Montalais?« flüsterte er. »Was ist das für eine Lavallière? Was für eine Provinz haben wir da erhalten?« – »Die Montalais ist ein nettes Ding,« sagte Chevalier von Lorraine. »Sie wird uns viel Spaß machen. Die Lavallière ist bildschön, wenn sie auch hinkt.« – »Vorsicht, meine Herren!« murmelte Graf Guiche, der Rudolf bemerkt hatte. Von Wardes folgte dem Blick Guiches und erkannte Bragelonne. Ohne sich an Guiches Warnung zu kehren, fragte er: »Wer sind die Geliebten dieser beiden Damen?« – »Sie sind noch zu haben,« meinte Lorraine. »Wer sie will, hat sie.« – »Meine Herren, nehmen Sie sich doch in acht,« sprach Graf von Guiche. »Madame sieht nach uns.«

Rudolf zerknitterte vor Zorn seine Spitzenkrause. »Die arme Luise,« dachte er, »sie wird hier meines Schutzes bedürfen. Die Vorstellung war beendet. Der König verließ mit seiner Gattin und seiner Mutter den Saal. Chevalier von Lorraine nahm seinen Platz an der Seite Monsieurs wieder ein und während er ihn begleitete, flößte er ihm ein paar Tropfen jenes Giftes ein, das er in den letzten Stunden angesammelt hatte. Ein Teil der Gesellschaft war mit dem König hinausgegangen, aber diejenigen Herren, die sich gern das Ansehen der Unabhängigkeit gaben, blieben zurück und näherten sich nun den Damen. Prinz von Condé knüpfte ein Gespräch mit Fräulein von Tonnay-Charente an, Buckingham machte den Damen von Chalois und von Lafayette den Hof, welche sich der besonderen Gunst Madames erfreuten. Graf von Guiche sprach mit Madame von Valentinois, seiner Schwester, und mit den Fräulein von Acquay und von Chantillon.

Inmitten dieser plaudernden, lachenden, kokettierenden Gruppen suchte Rudolf Fräulein von Lavallière. Er begrüßte sie mit der größten Ehrerbietung. Luise verneigte sich errötend und wußte nicht, was sie sagen sollte. Doch die Montalais kam ihr zu Hilfe. – »Sie wünschen eine Erklärung, Herr Vicomte?« rief sie. »Sie begreifen nicht, wie es kommt, daß wir hier sind?« – »Allerdings,« antwortete Rudolf. »Fräulein von Lavallière Ehrenfräulein bei Madame? Und Sie auch? – meinen Glückwunsch dazu, meine Damen!« – »Sie sagen das nicht eben mit einer Gratulantenmiene,« schmollte Fräulein Aure. – »Herr von Bragelonne denkt vielleicht, dieser Platz sei über meinem Stande,« sagte Luise.

»Nicht doch, mein Fräulein!« rief Rudolf. »Daß ich das nicht denke, wissen Sie recht wohl. Mich würde es nicht befremden, wenn Sie den Platz einer Königin einnähmen. Mich wundert nur, daß ich es erst heute und ganz zufällig erfahren habe.« – »Das ist wahr,« sagte die Montalais rasch. »Aber das ist mein Werk. Er hat vier Briefe an dich geschrieben, Luise, aber da deine Mutter noch in Blois war und die Briefe ihr auf keinen Fall in die Hände geraten durften, ließ ich sie zurückgehen.« – »Wie? Und du hast dem Herrn Vicomte nichts mitgeteilt? Ich bat dich doch darum,« sagte Luise vorwurfsvoll. – »Mein Himmel! es hat ja auch soviel mit Toiletten und andern wichtigen Anschaffungen zu tun gegeben, daß ich wahrlich keine Zeit hatte, mir den Kopf mit dem Herrn Vicomte zu beschweren,« versetzte die Montalais ausgelassen. »Er weiß es jetzt und damit gut.« Und sich umdrehend, setzte sie hinzu: »Kommen Sie, Herr Malicorne! Geben Sie mir die Hand. Wir müssen die beiden Herrschaften hier ein Weilchen allein lassen.« – »Pardon, Fräulein Aure,« rief Rudolf mit einem Ernst, der zu ihrer Lustigkeit in scharfem Widerspruch stand, »darf ich wenigstens den Namen des Gönners erfahren, der Ihnen und Fräulein Luise diese Stelle verschafft hat.« – »Hier steht er,« war die Antwort. – Rudolf war ganz bestürzt; er wollte sich an Malicorne wenden, um näheres zu erfahren, aber die Montalais zog den jungen Mann rasch mit sich fort.

Fräulein von Lavallière machte eine Bewegung, als wollte sie ihrer Freundin folgen, doch Rudolf hielt sie zurück. »Ich bitte um ein Wort, Luise.« – »Aber wir sind allein,« antwortete Luise errötend. »Man wird uns suchen.« – »Seien Sie unbesorgt. Wir beide sind keine so wichtigen Personen, daß unsere Abwesenheit auffallen wird. Und Ihr Dienst beginnt erst morgen. Gönnen Sie mir einige Minuten!« – »Sie sind so ernst, Rudolf,« sagte Luise zaudernd. – »Weil die Umstände ernst sind, mein Fräulein. Hören Sie mich an! Sie wissen, Luise, ich habe Sie seit meiner Kindheit geliebt und Sie zur Teilhaberin all meines Kummers, all meiner Freuden gemacht. Sie erwiderten meine Freundschaft und brachten mir unbegrenztes Vertrauen entgegen? Warum haben Sie das jetzt nicht auch getan? Warum haben Sie mir dies verheimlicht? Ich war des Glaubens, Sie liebten mich und willigten in die Pläne, die ich zu unserm beiderseitigen Glück geschmiedet habe? Sie antworten nicht, Luise? Lieben Sie mich denn nicht mehr? Dann sagen Sie es mir! Denn ich habe die ganze Hoffnung meines Lebens auf Sie gesetzt. Und nun sehe ich Sie hier in der Atmosphäre des Hofes, wo alles Reine in kurzer Zeit verdorben wird vom Hauch des Lasters, wo die Jugend schnell altert, Keuschheit und Zartheit rasch entschwindet. Luise, schließen Sie die Ohren, um all die schmutzigen Worte nicht zu hören, die hier umherschwirren, schließen Sie die Augen, um die vielen bösen Beispiele nicht zu sehen, die hier jeder Tag mit sich bringt, schließen Sie die Lippen, um die vergiftete Luft nicht einzuatmen. O, Luise, ich liebe Sie mehr als je, nun ich Sie hier in Gefahr sehe! Ich bin entschlossen, Sie vor frechen Händen zu schützen, und an diesem Hofe, wo eine Prinzessin von leichtfertiger Natur, eine Freundin der Koketterie herrscht, hier dürfen Sie nicht lange bleiben. Wir müssen uns heiraten, Luise. Hier ist meine Hand, schlagen Sie ein!«

»Mein Gott!« rief Luise. »Aber Ihr Vater …«

»Er läßt mir freie Wahl. Doch gut, ich will noch einmal mit ihm sprechen. Schon jetzt kann ich Ihnen versichern, mein Vater wird Ja sagen. O geben Sie mir Ihre Hand! Lassen Sie mich doch nicht glauben, ein einziger Schritt ins Königsschloß hätte genügt, Sie völlig umzuwandeln.«

Als Rudolf diese Worte gesprochen, wurde Luise plötzlich totenblaß, ohne Zweifel, weil sie fürchtete, der junge Mann werde zu heftig werden. Blitzschnell legte sie ihre kleinen Hände in die seinen, drückte sie rasch, entzog sie ihm dann ebenso schnell wieder und verschwand, ohne sich nach ihm umzusehen. Rudolf empfand einen leisen Schauer bei der Berührung dieser Hände. Er nahm den stillen Schwur wie ein feierliches Gelübde hin, das die Liebe der jungfräulichen Schamhaftigkeit abgerungen.

Er verließ das Palais-Royal, stieg zu Pferde und machte sich ohne Umstände auf den Weg nach Blois. Er legte die Strecke in achtzehn Stunden zurück. Athos saß in seinem Zimmer, als Rudolf, dem Grimaud voranging, hereintrat.

Auf den ersten Blick erkannte Athos, daß ein besonders wichtiges Anliegen seinen Sohn herführe. Er fragte danach. – »Ja, Vater,« antwortete der junge Mann, »und ich will ohne weiteres meine Sache vorbringen. Es handelt sich um Fräulein von Lavallière. Sie ist jetzt Ehrenfräulein bei Madame. Ich habe mich reiflich geprüft und alles wohl erwogen; ich kann, ich darf sie nicht auf diesem Posten lassen, wo ihr Ruf, vielleicht sogar ihre Tugend gefährdet ist. Ich möchte sie also heiraten und bitte um Ihre Einwilligung.«

Athos schwieg und sah seinen Sohn ernst und bekümmert an. – »Und hast du es wohl überlegt?« fragte er nach einer Pause. – »Ja, Vater.« – »Ich glaube, ich habe dir meine Meinung über diese Verbindung bereits gesagt.« – »Ich weiß,« versetzte Rudolf, »doch sagten Sie, wenn ich durchaus dabei beharrte –« – »Und das tust du?« – Bragelonne antwortete mit einem Ja, zu dem er alle Kraft aufbieten mußte, so schwer ward es ihm, gegen den geliebten Vater den Willen durchzusetzen. –

»Deine Liebe muß sehr groß sein,« fuhr Athos fort, »daß du trotz meiner Abneigung nicht von dem Mädchen läßt. Gut, meine persönlichen Anthipatien tun nichts zur Sache; es kommt nur auf deine Meinung dabei an Du bittest also um mein Jawort?« – »Ja, Vater, und um Fürsprache beim König. Schreiben Sie an Majestät und bitten Sie um Erlaubnis zu der Heirat, denn ich stehe ja im königlichen Dienst.« – »Ein guter Gedanke, Rudolf; denn du unterziehst dich dadurch einer doppelten Prüfung. Ich werde sogleich deinen Wunsch erfüllen.« Er trat ans Fenster und rief hinaus: »Grimaud! Meine Pferde!«

»Was bedeutet das, Vater?« – »Daß wir in zwei Stunden nach Paris reiten,« antwortete der Graf. »Ich will, statt zu schreiben, persönlich mit dem König sprechen. Wie ist Seine Majestät gegen dich gesinnt?« – »Er will mir wohl. Ich weiß es aus seinem eignen Munde.« – »Wann hat er dir das gesagt?« – »Erst gestern noch, auf eine Empfehlung des Chevaliers d’Artagnan hin. Majestät lobten mein Verhalten bei dem kleinen Aufruhr auf dem Grèveplatze. Doch, mein Vater! Seien Sie nicht so ernst, so förmlich zu mir, ich könnte es sonst doch noch bereuen, einem unwiderstehlichen Drange nachgegeben zu haben.« – »Das sagtest du schon einmal, Rudolf, ist aber nicht nötig. Du verlangst meine Einwilligung – ich gebe sie. Damit gut! Reden wir nicht mehr davon.«

Rudolf biß sich in die Lippen. Er fühlte, daß ihm das Blut in die Wangen stieg. – »Mein Vater, wir müssen davon reden. Vergessen Sie nicht, Ihr Sohn ist ein Mann.« – »Daß du mein Sohn bist, beweisest du keineswegs – nun, so beweise mir, daß du ein Mann bist,« antwortete der Graf de la Fère in strengem Tone. »Junge, ich bat dich zu warten. Ich hätte dir in den Reihen des erlauchten Adels eine Frau ausgesucht; ich wollte dich glänzen sehen im doppelten Licht des Reichtums und des Ruhmes. Den Adel des Geschlechts hast du – –«

»Vater,« unterbrach ihn Rudolf mit Ungestüm, »mir wurde es vor kurzem zum Vorwurf gemacht, daß ich meine Mutter nicht kenne –« – Athos fuhr auf, wie von einer Nadel getroffen. – »Was hast du geantwortet?« rief er. – »Ich zog das Schwert, schlug meinem Gegner den Degen aus der Hand, daß er über eine Barriere flog, und schickte ihn selber hinterher.« – »Und stachest ihn nicht nieder?« – »Seine Majestät hat die Duelle verboten, und ich war in diesem Augenblick des Königs Abgesandter.«

»Gut,« antwortete Athos. »Ein Grund mehr, nach Paris zu reisen und mit dem König zu sprechen. Er wird mir erlauben, gegen den, der diese Beleidigung ausgesprochen, das Schwert zu ziehen. Nenne mir seinen Namen.« – »Ich werde nicht dulden, daß Sie Ihr Leben aufs Spiel setzen.« – »Seinen Namen!« rief de la Fère. – »Vicomte von Wardes.« – »Den kenne ich. – Unsere Pferde stehn bereit – wir reisen auf der Stelle!«

2. Kapitel. Der Empfang

Vier Tage später kam die glänzende Gesellschaft in Havre an. Es war fünf Uhr nachmittags, und man wußte noch nichts Genaues über die Ankunft der englischen Prinzessin. Manicamp aber war da und wartete auf Herrn von Guiche, der eben seine Dienerschaft auf die Suche nach Wohnungen ausschicken wollte, als sein lockerer Freund, ein rechter Hans-Dampf-in-allen-Gassen, zu ihm heranritt mit den Worten: »Gib dir keine Mühe, Guiche. Ich habe bereits ausgekundschaftet, daß sämtliche Häuser von Havre schon im voraus mit Beschlag belegt sind. Jedes einzelne Zimmer ist vermietet.« – »Alle Wetter! Wer hat sie gemietet?« – »Der Quartiermacher der Prinzessin, Lord Buckingham.« – »Vielleicht zehn, zwölf Häuser,« rief Guiche, »aber Havre hat deren hundert.« – »Und sie sind alle hundert vermietet,« antwortete Manicamp.

Es war Nacht geworden. Am Stadttore und auf dem Marktplatze wimmelte es von Fackeln, Pagen, Lakaien, Stallknechten, Pferden und Kutschen. Das Wasser des Kanals schimmerte rot von dem vielfältigen Fackellicht, und auf der anderen Seite des Hafendamms sah man Matrosen und Einwohner der Stadt, die sich nichts von dem Schauspiel entgehen lassen wollten.

»Was kann Lord Buckingham dazu bewogen haben,« fragte von Guiche, »eine solche Menge von Wohnungen zu mieten?« – Manicamp warf einen Blick auf Bragelonne und von Wardes, die neben Guiche hielten, neigte sich zum Ohre des Grafen und flüsterte: »Die Liebe.« – »Das verstehe ich nicht,« sagte der Graf achselzuckend. – »Man hält es für ausgemacht, Monsieur werde der unglücklichste Ehemann sein.« – »Wie, Herzog von Buckingham–?« – »Dieser Name bringt den Prinzen des Hauses Frankreich Unglück. Buckingham soll wahnsinnig in die junge Prinzessin verliebt sein. Er will nicht dulden, daß jemand anderes als er sich ihr nähere.« – »Ich danke dir, Manicamp,« antwortete Guiche. »Sorge dafür, daß diese Handlungsweise Buckinghams nicht ruchbar wird, während wir fort sind, sonst können vielleicht die Schwerter die Empfangsmusik spielen.« – »Jenun, was kümmert es uns,« meinte Manicamp, »ob es Monsieur ebenso ergehen wird wie dem verstorbenen König? Buckingham-Vater für die Königin, Buckingham-Sohn für die Prinzessin, Gott für uns alle.« – »Still!« rief der Graf.

»Warum still?« fiel von Wardes ein. »Wir haben es gehört. Und es ist eine für die französische Nation sehr ehrenvolle Tatsache. Sind Sie nicht auch dieser Meinung, Graf von Bragelonne?« – »Was soll eine ehrenvolle Tatsache sein?« fragte Rudolf zerstreut. – »Daß die Engländer der Schönheit unserer Königinnen und Prinzessinnen in dieser Weise huldigen,« sagte von Wardes. – »Ich weiß nicht, wovon die Rede ist.« versetzte Rudolf. – »Buckingham-Vater mußte nach Paris kommen,« erklärte Wardes, »um Ludwig XIII. darauf aufmerksam zu machen, daß die Königin eine der schönsten Frauen bei Hofe sei; und nun soll Buckingham-Sohn dafür sorgen, daß der Schönheit einer Prinzessin von französischem Geblüt durch die Anbetung, die er ihr zollt, die gebührende Huldigung erwiesen werde. Engländern Liebe einzuflößen, wird künftighin als Maßstab für Schönheit gelten.«

»Ueber solche Dinge,« antwortete Bragelonne, »höre ich nicht gern scherzen. Wir Edelleute sind die Ehrenwächter der Königinnen und Prinzessinnen. Wenn wir schon über sie spotten, was sollen die Lakaien tun?« – »Oho, Herr Graf!« rief von Wardes. »Wie soll ich das deuten?« – »Wie Sie wollen, mein Herr,« versetzte Rudolf. – »Meine Herren,« rief Graf Guiche dazwischen, alt er sah, daß von Wardes Miene machte, auf Bragelonne loszureiten. »Keinen Streit auf offener Straße.«

»Ruht Euch erst aus, ehe Ihr Euch schlagt,« setzte Manicamp hinzu. »Ihr würdet sonst nichts Vernünftiges ausrichten.« – »Vorwärts, meine Herren!« rief Graf Guiche. »Ich werde dem stolzen Engländer doch einen Strich durch die Rechnung machen!« Und er ritt auf den Marktplatz. Der ganze Zug folgte ihm.

Am folgenden Tage wehte ein ziemlich scharfer Wind, und die See ging hoch. Von den Mastkörben der vor Anker liegenden Schiffe wurde scharfe Ausschau gehalten, und gegen elf Uhr vormittags erklang der Ruf: »Schiff in Sicht!« – Man erkannte ein mit vollen Segeln herannahendes Schiff, dem zwei andere in geringer Entfernung folgten. Bald ließ sich unterscheiden, daß die Fahrzeuge die englische Flagge führten, das vordere außerdem noch den Admiralswimpel. Dies also war das Schiff, auf dem die Prinzessin sich befand. Der ganze französische Adel versammelte sich nun am Hafen; das Volk füllte die Quais und die Hafendämme. Kurz vor dem Eingang zum Hafen gingen die Schiffe, die bei dem herrschenden Seegang nicht zu landen wagten, vor Anker und salutierten mit zwölf Kanonenschüssen, die vom Hafen erwidert wurden. Allein infolge des stürmischen Wetters getraute sich nun auch keines der Empfangsbote auf die See hinaus, und die allgemeine Begrüßungsfahrt des versammelten Adels, die geplant war, unterblieb zum großen Verdruß der anwesenden Edelleute, die viel darum gegeben hätten, ein günstigeres Wetter herbeizuzaubern.

»Rudolf,« sagte von Guiche, der um jeden Preis seinen Auftrag, die Prinzessin auf hoher See zu empfangen, ausführen wollte, »sollen wir, starke, energische Kriegsmänner, der rohen Kraft des Wassers und des Windes weichen? Das wäre doch schmachvoll.« – »Das ist auch meine Meinung,« antwortete Rudolf. – »Nun, wollen wir das Lotsenboot dort besteigen? Es scheint mir standfest genug. Bist du dabei, Wardes?« – »Nehmen Sie sich in acht,« warf Manicamp ein, »Sie ertrinken.« – »Sie erreichen bei diesem Gegenwind die Schiffe im ganzen Leben nicht,« setzte Wardes hinzu. – »Du willst also nicht mitfahren?« fragte Graf Guiche nochmals. – »Im Kampfe gegen Menschen setze ich mein Leben gern aufs Spiel« antwortete von Wardes, mit einem Seitenblick auf Bragelonne. »Aber mich mit Salzwasser zu messen, ist nicht nach meinem Geschmack.« – »Und ich würde meinen letzten saubern Rock dabei einbüßen«, meinte Manicamp. »Salzwasser richtet alles zugrunde.« – »Aber seht doch nur, dort drüben am Stern stehen die Prinzessinnen und schauen zu uns herüber!« rief von Guiche. – »Ein Grund mehr, vor ihren Augen kein lächerliches Bad zu nehmen!« versetzte Manicamp. – »Dann fahre ich allein,« entschied der Graf. – »Nicht doch,« rief Bragelonne. »Ich komme mit.« Er erkannte wirklich die Größe der Gefahr, in die er sich begeben wollte; aber er ließ sich zu dem Wagnis verleiten, weil von Wardes nicht den Mut dazu fand.

»Hollah, Lotse!« rief Graf Guiche dem Boote zu, das sich eben anschickte, die Fahrt zu wagen. »Wir wollen mit.« Er wickelte ein paar Silbermünzen in ein Stück Papier und warf es dem Patron zu. – »Sie scheinen keine Angst vor Salzwasser zu haben, junge Herren,« rief der Lotse zurück. – »Wir haben vor nichts Angst,« erwiderte der Graf. – »Na, dann nur zu!« sagte der Schiffer. Die beiden jungen Männer sprangen ins Boot. »In dieser Börse,« rief Guiche, sie den Matrosen zeigend, »sind noch zwanzig Pistolen. Sie sind euer, wenn wir das Admiralsschiff erreichen.« – Die Leute legten aus, und das Boot tanzte auf den Wellen.

Die Tausende von Menschen, die den Hafen umstanden, beobachteten voll Spannung den Fortgang der Barke. Sie schien einen Augenblick auf der Spitze der Wogen zu schweben, im nächsten Augenblick glitt sie in einen brausenden Abgrund; aber so schwer sie auch zu kämpfen hatte, sie kam vorwärts, sie arbeitete sich näher und näher an das englische Schiff heran, das nun auch zwei Schaluppen aussetzte, um ihr zu Hilfe zu kommen. Auf dem Heck des Admiralsschiffes standen unter einem Baldachin von Samt und Hermelin die verwitwete Königin Henriette-Marie und ihre Tochter Henriette-Anna, an ihrer Seite der Admiral, der junge Graf Norfolk. Sie sahen angstvoll nach dem mit dem wilden Element kämpfenden Boote aus. Die Matrosen, die Gewandtheit des Lotsen und die Kraft der Ruderer bewundernd, ließen ein Hurrah nach dem andern hören.

Einstimmiger Jubel empfing die beiden Edelleute. Graf Norfolk selbst ging ihnen entgegen und führte sie zu den Fürstinnen. Von Guiche stand nun vor der Braut, deren Bild er im Zimmer ihres künftigen Gemahls so aufmerksam betrachtet hatte. Er verglich das Original mit diesem Gemälde, und als er das etwas bleiche Gesicht, die lebhaft funkelnden Augen, das wunderschöne, kastanienbraune Haar und den frischen, etwas schmollenden Mund sah, da wurde er von der Schönheit dieser Erscheinung so tief ergriffen, daß er geschwankt haben würde, hätte Rudolf ihn nicht rasch und unmerklich gestützt. Der erstaunte Blick Bragelonnes brachte ihn zur Besinnung. Mit wenigen Worten erklärte er, was ihm aufgetragen worden sei, und begrüßte im Namen seines Herrn und seines Landes die Hoheiten und ihre Begleitung.

Rudolf wurde vorgestellt und mit großer Liebenswürdigkeit aufgenommen, wußte doch jedermann, welchen großen Anteil sein Vater an der Wiedereinsetzung Karls II. hatte. Da Rudolf sehr gut Englisch sprach, konnte er nun als Dolmetscher zwischen seinem Freunde und den britischen Kavalieren dienen. Unter diesen fiel ein junger Mann von schöner Erscheinung und überaus vornehmer Tracht besonders auf. Er trat zu den Prinzessinnen und sagte im Tone mühsam bekämpfter Ungeduld: »Königliche Hoheiten, es ist Zeit zu landen.« – »Gemach, Mylord von Buckingham,« antwortete der Admiral, »eine Landung ist jetzt noch unmöglich. Die See geht zu hoch. Vor vier Uhr wird der Wind nicht abflauen so daß wir also erst gegen Abend landen können.«

»Sie halten die Damen zurück, Admiral,« versetzte Buckingham, ohne seine Gereiztheit zu verbergen, »dazu haben Sie gar kein Recht. Die eine dieser Damen gehört Frankreich an, und Sie sehen, Frankreich ruft sie durch die Stimme seiner Abgesandten.« – »Es wird nicht die Absicht dieser Herren sein,« antwortete Norfolk, »das Leben der Prinzessinnen in Gefahr zu bringen.« – »Die Herren sind trotz des Windes glücklich an Bord gekommen,« entgegnete der Lord. »Die Gefahr wird für die Damen nicht größer sein, zumal man landwärts mit dem Winde fährt.« – Buckingham war offenbar eifersüchtig auf Norfolk und entbrannte vor Verlangen, die Prinzessin von dem Boden zu entführen, auf dem der Admiral Herrscher war. – »Mylord,« antwortete ihm der Seemann, »ich trage die Verantwortung, daß Madame, die königliche Braut, wohlbehalten nach Frankreich kommt. Ich habe versprochen, sie gesund hinüberzubringen, und dieses Versprechen werde ich halten.« – »Aber es ist doch –« begann Buckingham. – »Mylord,« fiel ihm Norfolk ins Wort, »gestatten Sie mir, daran zu erinnern, daß hier niemand zu befehlen hat als ich.« – »Mylord!« brauste Buckingham auf, »wissen Sie, was Sie da sagen?« – »Ich weiß es sehr wohl,« antwortete der Admiral. »und wiederhole es. Hier befehle nur ich, und jedermann hat mir zu gehorchen.« – Diese Worte sprach er mit edlem Ausdruck, und Buckingham bebte am ganzen Leibe. Das Blut schoß ihm in die Augen, und seine Hand fuhr nach dem Degen.

»Mylord,« rief jetzt die Königin, »erlauben Sie mir zu bemerken, daß ich ganz der Meinung des Admirals bin. Und wenn das Wetter auch nicht so nebelig und stürmisch wäre, so würden wir es doch dem Offizier, der uns sorgsam bis hierher gebracht hat, schuldig sein, ihm noch ein paar Stunden zu schenken, zumal er uns an der französischen Küste verlassen muß.« – Buckingham gab keine Antwort, sondern sah die Prinzessin an. – Madame aber achtete auf den Wortwechsel nicht; sie schien augenblicklich nur Augen für den Grafen von Guiche und Rudolf zu haben. Das war ein neuer Schlag für Buckingham, glaubte er doch in ihren Blicken ein tieferes Gefühl als bloße Neugierde zu erkennen. Er ließ die Hände sinken und ging mit einem Seufzer fort.

Bei Tische in der Kapitänskajüte harrte seiner eine neue Demütigung, denn Madame ließ von Guiche und von Bragelonne an ihrer Seite sitzen, und Buckingham sah sich an einen entfernten Platz verwiesen. Von Guiche, den sein Glück noch blässer machte, als seinen Nebenbuhler der Zorn, nahm fast zitternd seinen Sitz neben der Prinzessin ein, deren seidnes Gewand ihn leise berührte. Nach der Mahlzeit eilte Buckingham auf die Prinzessin zu, um ihr die Hand zu reichen.

»Mylord,« sagte Graf von Guiche, »haben Sie die Güte, sich von jetzt ab nicht mehr zwischen Ihre königliche Hoheit und mich zu drängen. Von diesem Augenblick an gehört Lady Henriette Frankreich an, und wenn sie mir die Ehre erweist, meine Hand zu berühren, so berührt sie damit die Hand Monsieurs, ihres Gemahls.«

Rudolf beobachtete seinen Freund scharf. Er liebte ja selbst unglücklich und verstand alles. Er warf ihm einen vielsagenden Blick der Teilnahme zu.

Gegen zwei Uhr schlug das Wetter um; die Sonne kam zum Vorschein, der Wind legte sich, und das Meer wurde glatt wie ein Spiegel. Der Nebel zerriß gleich einem Schleier, der in kleinen Stücken davonfliegt. Das freundliche Gestade Frankreichs grüßte herüber mit seinen grünen Hügeln und weißen Häuschen.

3. Kapitel. Zwei Liebende

Der Befehl zum Landen wurde gegeben, und Buckingham atmete freudig auf. Doch alsbald sah er sich abermals um eine Hoffnung betrogen, denn die Königin-Witwe rief ihn zu sich. »Mylord,« sagte sie zu ihm, »Sie dürfen meine Tochter nicht an Land fahren lassen, ohne sich zu vergewissern, ob die Wohnungen in Ordnung sind. Fahren Sie also bitte voraus.« – Lord Buckingham errötete, aber es gab keine Widerrede. Er mußte darauf verzichten, die Prinzessin zu begleiten. Er warf einen Blick der Verzweiflung auf die Gruppe, die von Lady Henriette, dem Admiral und den beiden Franzosen gebildet wurde, trat an Bord und sprang so blindlings hinab in das kaum ausgesetzte Boot, daß er es fast zum Kentern gebracht hätte. – »Mylord scheint den Verstand verloren zu haben,« sagte Norfolk kalt. – »Das fürchte ich in der Tat,« antwortete Bragelonne.

Die Ruderer legten sich in die Riemen, das Boot fuhr davon. Aber Buckingham blieb aufrecht darin stehen und wandte kein Auge von dem Fahrzeug, das einige Minuten später mit der Prinzessin das Schiff verließ. Als Buckingham an Land war, stürmte er in die Stadt hinein. Er sah nicht nach den vielen Kähnen, die vom Ufer abstießen, um der Prinzessin entgegenzufahren, er hörte nicht auf die Kanonenschüsse, die zu ihrer Begrüßung abgefeuert wurden. Er lief auf den Marktplatz zum Rathause, um hier nach dem Rechten zu schauen. Da sah er zu seiner Bestürzung eine Anzahl von Zelten errichtet, auf denen die französische Flagge wehte und die im Halbkreis das Rathaus umschlossen. Pagen und Soldaten hielten davor Wache. Zwischen den luftigen Bauten aber sah man eine große Anzahl von Offizieren und Edelleuten hin und her schreiten oder plaudernd herumstehen. Buckingham trieb sein Pferd mitten hinein in die bunte Menge, und rasend vor Wut richtete er sich im Sattel empor. »Was hat das hier zu bedeuten?« schrie er, um sich schauend.

Ein Mann trat zu ihm heran. »Was gibt’s?« fragte er ganz gelassen. »Wer macht hier solchen Lärm?« Buckingham betrachtete die lange, hagere Gestalt, die vor ihm stand, mit unverhohlener Geringschätzung. – »Wer sind Sie?« rief er. – »Wer sind denn Sie?« fragte der Mann mit der größten Ruhe. – »Ich bin Herzog von Buckingham,« war die Antwort, »ich habe alle Häuser um das Rathaus herum gemietet; die Häuser gehören also mir, und da ich sie gemietet habe, um ungehindert zum Rathause zu gelangen, so haben Sie kein Recht, mir den Weg zu versperren.« – »Es steht Ihnen ja frei, ins Rathaus zu gehen,« versetzte der andere. – »Ihre Schildwachen halten mich auf,« rief der Engländer. – »Weil Sie zu Pferde hin wollen, und der Befehl lautet, nur Fußgänger durchzulassen.«

»Hier hat niemand Befehle zu erteilen als ich,« rief Buckingham. – »Wieso?« lautete die gelassene Antwort. »Erklären Sie mir das, bitte.« – »Weil die Häuser und dieser ganze Platz mein ist!« – »Sie sind im Irrtum, mein Herr. Der Platz gehört dem König, wir sind Abgesandte des Königs, also gehört der Platz uns.« – »Mein Herr, ich habe Sie schon einmal gefragt, wer Sie sind!« schrie jetzt der Brite erbost. – »Ich heiße Manicamp,« antwortete der Franzose. – »Sie haben die Zelte da wegzuräumen, verstanden!« rief der Lord.

In diesem Augenblick kamen Graf Guiche und Rudolf von Bragelonne an. Sie hatten geahnt, daß Buckingham beim Anblick der Zelte, die seinen schönen Plan zunichte machen sollten, in Zorn geraten würde, und aus Furcht, daß ein ernster Streit die Folge sein könnte, hatten sie sich beeilt, den Rathausplatz zu erreichen. Gleichzeitig kam auch von Wardes hinzu, der im Rathause zu tun gehabt hatte.

»Mylord,« rief Graf Guiche, heranreitend, »belieben Sie sich an mich zu wenden. Auf meinen Befehl sind diese Zelte errichtet worden.« – »Ich habe bereits gesagt,« rief Buckingham, vor Wut bebend, »sie müssen weg!« – »Unmöglich,« antwortete von Guiche, indem er sich auf einen Blick Rudolfs hin zur Ruhe zwang. »Wir haben damit nur gegen Ihren eigenen Mißbrauch Front gemacht, Mylord. Sie kommen einfach hierher und legen die ganze Stadt in Beschlag, ohne sich darum zu kümmern, wo wir Franzosen Obdach finden können. Das ist nicht brüderlich gehandelt von dem Vertreter einer befreundeten Nation.« – »Die Erde gehört dem, der zuerst von ihr Besitz ergreift,« versetzte Buckingham. – »Nicht in Frankreich, Mylord.« – »Warum nicht in Frankreich?« – »Weil es das Land der Höflichkeit ist.«

»Was wollen Sie damit sagen?« brauste Buckingham auf. Sein Pferd bäumte sich unter dem Ruck seiner Faust, daß die Umstehenden erschrocken zurückwichen. Graf Guiche verzog keine Miene. »Ich will damit sagen,« versetzte er, »ich ließ diese Zelte für mich und meine Freunde, für die Abgesandten des Königs von Frankreich, errichten, als einziges Obdach, das Ihre Rücksichtslosigkeit uns gelassen hat. Wir werden darin wohnen, bis ein mächtigerer Wille als der Ihrige uns abruft.« – »Herr Graf, ich fordere Genugtuung!« schrie Buckingham und riß an seinem Degen.

Da legte sich Rudolfs Hand auf seine Schulter. – »Ein Wort, Mylord.« sagte Bragelonne ruhig. – »Zuerst will ich mein Recht!« rief der ungestüme Mann. – »Eben über diesen Punkt will ich mit Ihnen reden,« antwortete Rudolf. »Eine einzige Frage: Wer wird die Enkelin Heinrichs IV. heiraten, Sie oder der Herzog von Orléans?« – Buckingham trat verblüfft zurück. »Was soll das?« stammelte er. – »Antworten Sie mir, bitte, Mylord,« sagte der Vicomte gelassen. – »Wollen Sie Spott mit mir treiben?« murmelte der Brite. – »Nun, auch das ist eine Antwort, die mir genügt,« antwortete Rudolf. »Sie geben also zu, daß Sie die Prinzessin Stuart nicht heiraten werden.« – »Mich dünkt, das wissen Sie recht wohl, Graf.« – »Pardon, nach Ihrem Benehmen schien das nicht ganz klar zu sein.« –

»Zur Sache, Vicomte!« rief der Lord. »Was haben Sie mir zu sagen?« – Rudolf trat ganz dicht an ihn heran. »Ihr Zorn,« sprach er, »sieht ganz der Eifersucht ähnlich, wissen Sie das, Mylord? Solche Eifersucht auf eine Dame steht jedem schlecht an, der weder ihr Gemahl noch ihr Geliebter ist, um so mehr jedoch, wenn diese Dame eine Prinzessin ist.« – »Graf, wollen Sie Lady Henriette beleidigen?« stieß Buckingham hervor. – »Sie beleidigen sie, mein Herr,« versetzte Bragelonne unbeirrt. »Nehmen Sie sich in acht. Auf dem Admiralschiffe haben Sie schon großes Aergernis gegeben.« – »Herr! Sie führen eine Sprache, der man Einhalt tun muß!« murmelte Buckingham. – »Wägen Sie Ihre Worte, Mylord,« sagte Rudolf mit stolzem Ernst. »Ich bin von einem Geschlechte, das sich nicht Einhalt tun läßt, solange es auf dem rechten Wege ist. Sie aber sind von einem Geschlecht, dessen Leidenschaft den guten Franzosen verdächtig ist. Nochmals, nehmen Sie sich in acht, Mylord!«

»Wollen Sie mir etwa drohen?« – »Ich bin der Sohn des Grafen de la Fère und drohe nie, weil ich immer gleich dreinschlage. Wir wollen uns also verständigen. Bei dem ersten Worte über Ihre königliche Hoheit, das die Grenzen des Anstandes verletzt – o, bleiben Sie ruhig, Mylord, ich bin es ja auch.« – »Sie?!« – »Allerdings. Solange Madame auf englischem Boden war, schwieg ich. Jetzt steht sie auf französischem Boden, und wir sind im Namen des Prinzen hier, sie zu empfangen. Bei der ersten Schmach, die Sie in Ihrer sonderbaren Ergebenheit dem Hause Frankreich antun könnten, stehen mir zwei Wege offen: entweder ich verkündige öffentlich, von welchem Wahnwitz Sie besessen sind, und sorge dafür, daß Sie schimpfbedeckt nach England zurückgeschickt werden, oder aber ich stoße Ihnen in voller Versammlung den Dolch in die Kehle. Das letztere Mittel scheint mir das bessere, und ich werde es wohl anwenden.«

Buckinghams Gesicht wurde weiß wie die Spitzenkrause, die seinen Hals schmückte. »Herr von Bragelonne,« stammelte er, »sind das wirklich die Worte eines Edelmanns?« – »Ja, nur sind sie an einen Wahnsinnigen gerichtet,« antwortete Rudolf. »Genesen Sie, Mylord, und er wird anders zu Ihnen sprechen.« – »Herr von Bragelonne,« murmelte der Brite. »Sie sehen meinen Zustand – es bleibt mir nur eins –« – »Das wäre in der Tat ein großes Glück,« antwortete Rudolf mit seinem unerschütterlichen Gleichmut. »Dadurch würde mancher üblen Nachrede über die erlauchten Personen, die Sie kompromittieren, vorgebeugt.« – »Sie haben recht, Sie haben recht!« sagte der junge Mann außer sich. »Ja, ja, lieber sterben, als so leiden zu müssen!« – Er zog einen juwelengeschmückten Dolch hervor.

Rudolf stieß seine Hand zurück. – »Sind Sie von Sinnen, Mylord!« flüsterte er ihm zu. »Wenn Sie sich jetzt erstechen, machen Sie sich lächerlich und beflecken das königliche Brautkleid mit Blut.« – Buckingham stand ein Weilchen atemlos da, seine Lippen zuckten, auf seinen Wangen wechselten Blässe und Röte. Dann sagte er plötzlich: »Sie sind der edelste Charakter, den ich kenne, Bragelonne; Sie sind der würdige Sohn des vollendetsten Edelmannes unserer Zeit.« Er fiel dem Vicomte um den Hals.

Erstaunt über das unerwartete Ende dieser Unterredung, die die Umstehenden nicht verstanden hatten, über deren kritischen Inhalt aber niemand in Zweifel bleiben konnte, klatschte die Menge in die Hände, und tausendstimmiger Jubelruf erscholl. Engländer und Franzosen, die sich schon fast mit feindseligen Blicken gemustert hatten, schlossen Freundschaft.

Jetzt erschien der Zug der Prinzessin, welche ohne Bragelonnes beherzte Ermahnung über den ausgestreuten Blumen zwei Heerhaufen in blutigem Kampfe angetroffen haben würde. Die Menge bildete beim Anblick der Banner zu beiden Seiten des Marktplatzes Spalier.

Madame empfing auf ihrem Einzug in die Stadt einstimmige Glückwünsche. Von allseitiger Ehrerbietung begleitet, schritt sie einher wie eine Königin. Ihre Mutter zeigte den Franzosen, obwohl man sie dort zur Zeit ihres Unglücks sehr schlecht behandelt hatte, ein huldvolles Gesicht, war doch Frankreich ihre eigentliche Heimat.

Als der feierliche Empfang beendet war und ringsum nächtliche Ruhe herrschte, trat von Guiche in sein Zelt und ließ sich auf einen Schemel nieder. Sein Gesicht zeigte einen so tiefen Ausdruck des Schmerzes, daß Bragelonne kein Auge von ihm abwandte, bis er ihn seufzen hörte. Da ging Rudolf zu ihm heran. Der Graf stützte die Ellbogen auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen.

»Du bist erschöpft, Freund,« sagte Bragelonne. »Der Tag war sehr anstrengend.« – »Ja, ich möchte schlafen,« antwortete Guiche. – »Soll ich dich allein lassen?« – »Nein, ich habe mit dir zu reden.« – »Zuerst habe ich ein paar Fragen an dich zu richten,« sagte Rudolf, »dann erst werde ich mit mir reden lassen. Weißt du, weshalb Buckingham so wütend war?« – »Ich vermute es.« – »Er liebt die Prinzessin, nicht wahr?« fragte Rudolf. – »Wenigstens möchte man das glauben, wenn man ihn ansieht,« sagte Graf Guiche. – »Nun, es ist nichts daran,« warf Rudolf hin, mit einem scharfen Blicke auf seinen Freund. »Lord Buckingham ist nicht gefährlich.«

»Gefährlich?« antwortete der Graf zaudernd. »Mag sein, nein. Aber zudringlich – lästig. Hätte er nicht bald das ganze Fest verdorben? Wenn du nicht gewesen wärest, es hätte wahrlich blutige Köpfe gegeben. Was hast du zu ihm gesagt? Und glaubst du wirklich, er liebt sie nicht?«

Diese Worte sprach von Guiche mit einem seltsamen Nachdruck. – »Was ich zu ihm gesagt habe, lieber Freund,« antwortete Rudolf in eindringlichem Tone, »das will ich dir wiederholen. Höre mich an. Ich sagte folgendes: Herr, Sie werfen lüsterne, begehrliche Blicke auf die Schwester Ihres Königs; sie ist nicht Ihre Braut, sie ist nicht Ihre Geliebte, sie kann beides nicht sein. Sie beleidigen also diejenigen, die gekommen sind, das junge Mädchen dem Gatten zuzuführen. Ich bin sogar noch weitergegangen; ich sagte noch folgendes: Was würden Sie wohl denken, wenn einer von uns die Vermessenheit, die Treulosigkeit besäße, für eine unserm Herrn bestimmte Prinzessin andere Gefühle als reinste Ehrerbietung zu hegen?«

Der Graf erblaßte und zitterte plötzlich, so offenbar waren diese Worte auf ihn gemünzt. Er preßte die Hand auf die Stirn. – »Doch Gott sei Dank!« fuhr Rudolf fort, »die Franzosen, die man für leichtfertig und sittenlos hält, wissen in Fragen der Wohlanständigkeit stets sicher zu entscheiden. Wir Franzosen opfern dem Dienst unsers Königs nicht nur Gut und Leben, sondern auch unsere Leidenschaften. Wenn uns der böse Geist einmal einen Gedanken eingibt, der eine Sünde an unserm König wäre, so löschen wir diese Flamme, sei es auch mit unserm Blute. Auf diese Weise retten wir dreifach die Ehre: die des Vaterlandes, die des Königshauses und die eigene. So handeln wir, Herr Buckingham, und so muß jeder charaktervolle Mann handeln. Du siehst, Guiche, der Lord hat sich meinen Gründen gefügt.«

Der Graf, den Rudolfs Worte niedergedrückt hatten, richtete sich jetzt stolz auf; seine Augen flammten; er faßte Bragelonnes Hand und sagte mit gepreßter Stimme: »Brav gesprochen, Rudolf, habe Dank! und nun – laß mich allein. Ich bedarf der Ruhe. Mein Herz ist erschüttert, mein Geist beklommen. Wenn du morgen wiederkommst, werde ich ein anderer Mensch sein.« – Der Vicomte ging hinaus. – »Wie stark belagert ist das arme Mädchen,« dachte er bei sich. »Da ist das Fräulein von Montalais wahrlich keine sehr zuverlässige Besatzung!«

7. Kapitel. Porthos

In einer Verkleidung, die ihn halb als herrschaftlichen Diener, halb als Bauer erscheinen ließ, ritt d’Artagnan in jenem Teil der bretonischen Küste, der der »schönen Insel«, oder Belle-Ile, gegenüberlag, von einem Fischerdorf zum andern, überall die Augen aus, überall die Ohren gespitzt. Es währte nicht lange, so hatte er festgestellt, daß in diesem Lande Herr Fouquet König, ja Gott war. Am meisten fielen ihm die vielen Barken auf, die mit Steinladungen nach Belle-Ile hinüberfuhren. »Herr Fouquet bessert alle Jahre die Schloßmauer aus,« sagte man ihm, als er ganz im Tone eines neugierigen Provinzlers, der zum ersten Male das Treiben am Meeresstrande beobachtet, die Leute fragte. In dem Dorfe Croissic beschloß er, einen Kahn zu suchen, der ihn nach Belle-Ile hinüberbringen könnte. Er ging vorsichtig zu Werke, um ja keinen Verdacht zu erregen, und schlenderte stundenlang hin und her, ehe er sich endlich, wie einer, der sich nach langem Bedenken zu etwas entschließt, wovon er sich kein rechtes Vergnügen verspricht, das er aus Neugierde aber doch mitmachen möchte, an ein paar Fischer wendete mit der Frage, ob sie ihn mal auf eine kleine Fahrt mitnehmen möchten.

»Warum nicht, Mann?« antwortete der Patron des Kahnes. »Wir warten nur auf die Flut, dann gehn wir auf den Fang.« – »Wo fischt ihr denn heute?« – »Drüben bei Belle-Ile.« – »Ist das weit von hier?« – »Vier Meilen.« – »O, das ist ja schon eine kleine Reise. Da werde ich wohl seekrank werden, was meint Ihr?« – »Das kann schon sein. Aber wenn’s zu schlimm kommt, können wir Euch ja in Belle-Ile an Land setzen,« meinte der Fischer. – »Darf man denn dort landen?«

»Wir dürfen,« war die Antwort, »wir verkaufen oft unsere Fische an die Korsaren.« – »An was für Korsaren?« fragte der Gaskogner. – »Herr Fouquet rüstet zwei Korsarenschiffe aus, um auf die Holländer und die Engländer Jagd zu machen.« – »Sieh da,« dachte der verkappte Musketier. »Er baut Festungswerke und hält Korsarenschiffe, da hat der König vielleicht doch nicht unrecht. Fouquet ist, soweit ich ihn kenne, ein Feind, vor dem man allen Respekt haben muß. Ich will ihn scharf aufs Korn nehmen.«

Die Flut kam, die Barke ging in See. In zwei Stunden war sie schon außer Sicht des Landes. Die Fischer gingen ihrem Handwerk nach, und es fiel ihnen nicht auf, daß ihr Passagier, obwohl die See ziemlich hoch ging, nicht die geringste Spur von Seekrankheit zeigte. Sie machten einen guten Fang an Schellfischen und Meeraalen und erklärten, der Fremde brächte ihnen Glück. D’Artagnan half schließlich beim Heraufholen der Netze mit und vergaß über den Fischfang ganz seine politische Mission, bis der Patron ihn daran erinnerte, indem er aufs Meer hinauszeigte. »Belle-Ile!« sagte er. – D’Artagnan ließ einen großen Aal, der sich zwischen seinen Fingern wand, entwischen, fuhr herum und sah in geringer Entfernung dunkelgraue Felsen emporragen, die von den weißen Mauern eines prachtvollen Schlosses gekrönt waren. Die Mittagssonne warf goldene Strahlen aufs Meer, und die Zauberinsel war von schimmernder Atmosphäre umhüllt, in der die jenseits des Schlosses sich erstreckenden Wiesen und Waldungen verschwammen. Er stand im Anschauen verloren, aber bald besann er sich, daß es seines Amtes nicht sei, landschaftliche Schönheiten zu bewundern, und er ließ sein Auge forschend an der Insel entlangwandern. Da erkannte er alsbald, daß tatsächlich Festungswerke gebaut wurden.

»Potzblitz,« rief er plötzlich, »da sind ja auch Soldaten!« – »Natürlich,« antwortete der Fischer. »Es liegen 1700 Mann auf der Insel. Jede einzelne Garnison ist mit 22 Kompagnien Infanterie besetzt.« – »Alle Wetter!« dachte d’Artagnan. »Ich glaube immer mehr, der König hat recht.«

Die Barke landete, und während die Fischer mit ihrem Kahn und ihrem Fang beschäftigt waren, entfernte sich d’Artagnan langsam und unauffällig von ihnen und schlenderte am Strande entlang. Rings sah er Barken, mit Steinen beladen, und überall gingen die Schubkarren hin und her. Die Ausdehnung der Bauarbeiten konnte d’Artagnan vorläufig nicht übersehen. Welchem Zweck sie dienten, darüber war er als Soldat keinen Augenblick im Zweifel. An den beiden Enden des Hafens waren zwei Batterien errichtet, von denen aus die Landungsstellen ins Kreuzfeuer genommen werden konnten. Die Batterien schienen zur Aufnahme schwerer Geschütze bestimmt, doch waren diese selbst noch nicht da, obwohl alle Vorbereitungen zu ihrer Aufstellung schon getroffen waren.

Nachdem d’Artagnan die Küstenbatterien betrachtet, wendete er seine Aufmerksamkeit auf die Festungswerke und unterschied, daß diese nach einem ganz neuen System angelegt waren, welches ihm der Graf de la Fère einmal eingehend erläutert hatte. Das Neue an dieser Bauart war, daß die Werke nicht als Schanzen über den Erdboden emporragten, sondern in Form von Gräben unterhalb des Niveaus lagen, so daß sie feindlichen Geschützen kein Ziel boten. Zugleich hatten sie den Vorteil, daß sie jederzeit durch Schleusen vom Meere aus unter Wasser gesetzt werden konnten. Die Arbeiten waren beinahe beendet, die Leute legten die letzten Steine auf, unter dem Befehl eines Mannes, der den ganzen Bau zu leiten schien. Er trug ein prächtiges Wams, an dem man gleich erkannte, daß er nicht zu der Klasse der Leute gehörte, die er beaufsichtigte. Er hatte einen Federhut, und vor ihm auf einem Steine lag ein Plan, nach welchem er die Arbeiten anordnete. Er betrachtete eben sechs Männer, die alle Kraft aufboten, um einen gewaltigen Stein ein wenig zu lüften und ein Querholz unterzuschieben. Der Stein war ihnen aber schon zweimal aus den Händen geglitten, ohne daß sie ihn hoch genug hatten heben können, um Raum für den Balken zu schaffen. Der Mann mit dem Federhut verlor die Geduld und trat hinzu.

»Ihr seid samt und sonders schlappe Kerle!« rief er. »Macht Platz! Ich will euch zeigen, wie man das anzustellen hat.« – »Alle Wetter!« dachte d’Artagnan, »er will doch nicht etwa den Steinkoloß allein heben?« – Die Arbeiter traten kopfschüttelnd auf die Seite; der Ingenieur bückte sich, legte die Hände an den Stein, spannte die herkulischen Muskeln und hob den Quaderstein mit der Ruhe und Sicherheit einer Maschine vom Boden auf. Der Arbeiter schob rasch den Hebebaum darunter. – »Alle Wetter!« rief d’Artagnan unwillkürlich. »Ich kenne nur einen, der so etwas fertig bringt.« – »Was?« fragte der bärenstarke Mensch und drehte sich um.

»Porthos!« rief der Gaskogner. »Porthos in Bellelle!« – Der Mann mit dem Federhut sah die spießbürgerliche Gestalt an, die vor ihm stand, und erkannte sie trotz der Verkleidung. – »D’Artagnan!« rief er. Die beiden Freunde hatten sich erkannt und wußten im selben Moment auch, daß ein jeder sein besonderes Geheimnis hatte, das er nicht gern preisgeben wollte. – »Was zum Teufel hat Porthos in Belle-Ile zu suchen?« Diese Frage legte sich d’Artagnan vor, doch ohne sie laut auszusprechen. – Porthos jedoch, der kein so feiner Diplomat war wie der Gaskogner, dachte mit Worten. »Was zum Teufel haben Sie in Belle-Ile zu suchen?« fragte er, und da mußte d’Artagnan wohl oder übel sofort antworten.

»Ei, meiner Treu,« lachte er, »Sie suche ich hier.« Und ehe sein Freund Zeit hatte, darüber nachzudenken, setzte er hinzu: »Ich habe Sie in Pierrefonds aufgesucht. Und da ich Sie nicht fand –« – »Aber Mousqueton kann Ihnen doch nicht gesagt haben, daß ich hier bin. Er weiß es ja selber nicht.« – »Das schon, allein ein so vornehmer Herr wie Sie hinterläßt doch, wenn er auf Reisen ist, eine Spur, nach der man sich richten kann, und die hat mich hierher geführt.« – »Wie kann ich eine Spur hinterlassen haben?« versetzte Porthos, »bin ich doch verkleidet hergereist.« – »So, so?« meinte d’Artagnan, »Sie haben sich verkleidet?« – »Ja, als Müller, und ich habe meine Rolle sehr gut gespielt. Wie konnten Sie mich da auffinden?« – »Jenun, ich habe Sie eben doch gefunden. Nur nicht ungeduldig!« antwortete d’Artagnan. »Aramis hatte Ihnen doch einen Brief nach Pierrefonds geschrieben, und darin stand, Sie möchten vor der Tag- und Nachtgleiche zur Stelle sein, nicht wahr?« – »Das ist richtig.« – »Na also!« schloß d’Artagnan, als wenn diese Worte die selbstverständlichste Lösung des Rätsels enthielten. – Porthos schien seinen Geist gewaltig anzustrengen. »Ach so, nun verstehe ich,« sagte er endlich. »Aramis hatte mir geschrieben, und nun sagten Sie sich, wo Aramis ist, da ist auch Porthos. Sie suchten einfach zu erfahren, wo Aramis stecke; und da Sie herausbrachten, daß er in der Bretagne weilte, so war es für Sie klar, daß ich auch in der Bretagne sei.« – »Getroffen, Freund! Daß Sie nun gerade in Belle-Ile seien, das wußte ich allerdings nicht. Ich hatte nur von den prachtvollen Bauten gehört, die hier aufgeführt würden, und bin aus Neugierde einmal herübergefahren.« – Die beiden Freunde schlossen sich noch einmal in die Arme, und Porthos drückte den Chevalier so fest an die Brust, daß ihm alle Luft ausging. – »Noch immer alle Kraft in den Armen!« stöhnte d’Artagnan, als er ihn losließ, und bei sich selbst setzte er hinzu: »Ich werde also hier kein leichtes Spiel haben.«

»Warum haben Sie sich denn in so einen Spießbürgerkittel gesteckt?« fragte Porthos; aber der Gaskogner war glücklicherweise auf diese Frage gefaßt. »Ich bin jetzt Spießbürger und kleide mich nur standesgemäß.« – »Sie als Musketier?« – »Bin ich nicht mehr – habe den Abschied genommen.« – Porthos schlug die Hände zusammen. »Das ist ja erstaunlich!« rief er. »Und warum das?« – »Der König gefiel mir nicht – da warf ich meinen Reitermantel ins Unkraut. Mein erstes, nachdem ich frei geworden, war, zu Ihnen nach Pierrefonds zu eilen.« – »Sieh da, sieh da!« rief Porthos. »Brauchen Sie vielleicht Geld – in diesem Falle wissen Sie –«

»Danke, bin versehen. Ich habe nämlich mein Erspartes bei Planchet angelegt, und der zahlt mir Zinsen dafür. Sie staunen? Warum soll ich nicht ebensogut wie andere Leute sparen? Natürlich ist’s nicht so viel, wie Sie, der Herr Baron du Vallon, haben; denn Sie sind ja ein Millionär. Aber 200 000 Livres ist auch schon ganz hübsch.« – »Wo haben Sie denn diesen Reichtum her?« rief Porthos verblüfft. – »Das werde ich Ihnen später erzählen. Erst erzählen Sie mal –«

»Ich erzählen? Was denn?« – »Na, zum Beispiel, wie Aramis –« – »Ach so, wie Aramis Bischof von Vannes wurde –« – »So, so? Aramis ist Bischof von Vannes? Er hat doch eben Glück, der Aramis.« – »Ja, und obendrein, was ihm noch in Aussicht steht.« – »Was denn? Soll er etwa gar Kardinal werden?« – »Es ist ihm bestimmt versprochen worden.« – »Vom König?« – »Von jemand, der noch mächtiger ist als der König.« – »Also von Fouquet. So, so! Der hat ihm den Kardinalshut versprochen? Sagen Sie doch –« Aber Porthos nahm eine sehr zurückhaltende Miene an, und d’Artagnan hielt es für besser, dem Gespräch eine Wendung zu geben. Er sah sich rings um und sagte dann: »Die Festungswerke, die Sie da bauen, sind ganz prachtvoll. Sie sind doch der Bauleiter, vermute ich, der geniale Ingenieur, der dieses Rattennest uneinnehmbar macht?« – Porthos warf sich in die Brust. – »Ich kann nur staunen und bewundern,« fuhr d’Artagnan fort. »Ich hoffe, Sie zeigen mir alles genau.« – »Das ist leicht,« antwortete du Vallon, »hier ist der Plan.« Und er beugte sich über den Stein und erklärte seinem Freunde die ganze Anlage. D’Artagnan erfuhr auf diese Weise jede Einzelheit. Während er den Bauriß betrachtete, erkannte er unter den imposanten Schriftzügen des Barons eine feine, zierliche Handschrift, die mit Radiergummi fast ganz ausgemerzt worden war. Bei diesem Anblick erinnerte er sich gewisser an Marie Michon adressierter Briefe, die er vor vielen Jahren zu Gesicht bekommen hatte. – »So,« sagte Porthos, faltete den Plan zusammen und steckte ihn ein, »nun wissen Sie alles.« – »Nur noch eins!« antwortete d’Artagnan. »Wer ist der Herr, der dort unten auf und ab geht?« – »Das ist Gétard, der Architekt des Hauses.« – »Des Hauses? Sie sagen das, als wären Sie hier zu Hause? Gehören Sie denn zu Fouquets Haushalt?« – Porthos biß sich auf die Lippe. »Wieso?« versetzte er verdrießlich. »Gétard ist Fouquets Architekt, damit gut. Mit den Festungswerken hat er gar nichts zu tun, die sind ganz meine Sache. Wollen wir jetzt zu Tisch gehn?« – »Einverstanden!« – »Doch, um es gleich zu sagen, ich habe nur zwei Stunden Zeit.« – »Dann müssen wir uns danach einrichten,« sagte der Chevalier. »Aber warum nur zwei Stunden?« – »Weil um ein Uhr die Flut kommt und ich dann nach Vannes fahre,« antwortete der Baron. – »Um Aramis zu besuchen?« rief der Gaskogner. »Hollah, da komme ich mit – wie lange dauert die Reise?« – »Sechs Stunden. Drei zu Wasser bis Sarzeau, und drei zu Lande von Sarzeau bis Vannes.« – »Sehr bequem. Da Sie so nahe sind, gehen Sie wohl öfter nach Vannes?« – »Alle Woche einmal,« antwortete du Ballon. – »Hm,« meinte d’Artagnan, zu sich selbst sprechend, »ich glaube, ich kenne jetzt den wahren Urheber dieser Befestigungswerke.«

Zwei Stunden später trat Flut ein, und d’Artagnan und Porthos fuhren zusammen nach Sarzeau hinüber. Die Fahrt ging auf einem jener leichtgebauten Korsarenschiffe, von denen der Chevalier schon unterwegs gehört hatte, leicht und rasch von statten. Es war dem schlauen Gaskogner nicht schwer zu entdecken, daß sein Freund Porthos von Staatsgeheimnissen nicht viel wußte. Diese Unkenntnis der herrschenden Verhältnisse war bei Porthos keine Verstellung, das wußte d’Artagnan; denn wenn der Baron in irgend etwas eingeweiht gewesen wäre, so hätte er damit nicht hinterm Berge halten oder doch seine Mitwissenschaft gegen die schlauen Kreuz- und Querfragen des Gaskogners nicht wirksam verteidigen können. – »In Vannes,« dachte der Chevalier, »werde ich in einer halben Stunde mehr erfahren, als ich von Porthos in zwei Monaten erfahren könnte. Allerdings muß ich dafür sorgen, daß meine Ankunft den guten Aramis unvorbereitet trifft.«

In Sarzeau standen zwei Pferde bereit, die Aramis für Porthos und dessen Knappen hingeschickt hatte. Der Knappe blieb zurück, und d’Artagnan nahm das Pferd für sich. – »Als Gäule eines Bischofs sind sie sehr gut,« meinte der Chevalier. »Aramis ist freilich ein Bischof, wie man selten einen findet.« – »Ein gar frommer Mann!« sprach Porthos in näselndem Tone, indem er die Augen gen Himmel kehrte. – »Dann hat er sich offenbar sehr geändert,« sagte der Chevalier. »Wir haben ihn doch als einen ziemlich sündhaften Kumpan gekannt.«

»Das Licht der Gnade ist über ihn gekommen,« warf du Vallon hin. – »Sehr gut!« rief der Gaskogner. »Ich bin begierig, ihn wiederzusehen.«

Sie plauderten von dem und jenem, vom Lande, vom Wetter, von ihren Pferden, von sich selbst, bis du Ballon die Hand ausstreckte und rief: »Da ist Vannes.«

»Sieh da – gar kein übles Nest,« sagte d’Artagnan. – »Ich finde es düster,« meinte der Baron. »Der Turm dort ist die Kathedrale, die Peterskirche – links davon, mehr am Rande des Ortes, ist Sankt-Paternus, Aramis‘ Lieblingskirche. Das große, weiße Gebäude mit den vielen Fenstern ist das Jesuiten-Kolleg, und daneben das große Haus mit den Türmchen, das ist die Wohnung unsers Freundes. Aramis wohnt nämlich lieber in der Vorstadt, und außerdem ist der eigentliche Bischofssitz eine Ruine. Aramis‘ Haus liegt hart am Wasser, und wenn unser Korsarenschiff nicht acht Schuh Tiefgang hätte, dann hätten wir mit vollen Segeln bis unter seine Fenster fahren können.«

Sie ritten in die Vorstadt ein und bemerkten zu ihrer Verwunderung, daß die Straßen mit Blumen und frischen Blättern bestreut waren. Teppiche hingen zu den Fenstern heraus, und alle Häuser schienen leer zu sein, als ob sämtliche Bewohner sich an einem bestimmten Punkt der Stadt versammelt hätten. Es währte nicht lange, so schlug Gesang an das Ohr der Reiter. Dann sah man eine bunt geputzte Menschenmenge erscheinen, und leichte Wolken von Weihrauch stiegen in die Luft. Darüber hinweg waren die Prozessionsfahnen und das Kruzifix zu erkennen. Soldaten mit Blumensträußen auf den Bajonettspitzen, Mädchen in Weißen Kleidern eröffneten den feierlichen Zug einer Prozession. Eine Schar von kirchlichen Würdenträgern, Jesuiten und Dominikanern begleitete den Baldachin, unter dem ein Mann mit blassem, edlem Gesicht, schwarzen Augen, schwarzem, schon von silbernen Fäden durchzognem Haar und ausdrucksvollem Munde einherging. Die Bischofsmütze verlieh diesem majestätischen Antlitz das Gepräge der Hoheit und Strenge.

»Aramis!« rief der Musketier unwillkürlich, als diese stolze Erscheinung an ihm vorüberging. – Der Prälat stutzte, sah rasch nach der Seite, von wo dieser Ruf kam und erkannte sofort Porthos und d’Artagnan. Ein flüchtiges Erröten huschte über seine Wangen, dann sah er wieder so streng und gebieterisch aus wie zuvor. Aber hinter dieser Ruhe seines Antlitzes verbarg sich nun der Gedanke: »Was will d’Artagnan hier?« – Denn Aramis war noch immer der Alte und hatte stets irgendein Geheimnis zu behüten. Der Blick des Gaskogners hatte ihm verraten, daß sein Freund ein Spürhund geworden war, vor dem er sich in acht zu nehmen hatte.

»Ein guter Mensch!« murmelte Porthos. »Sehen Sie nur, wie rasch er jetzt geht. Er beeilt sich, um möglichst bald zu seinen Freunden zu kommen. Er sehnt sich danach, uns zu begrüßen.« – D’Artagnan antwortete nicht. Bei sich selber aber sagte er: »Er hat mich nun gesehen, der Fuchs, und kann sich bequem auf die Unterredung mit mir vorbereiten.« – Sie begaben sich unverzüglich zum bischöflichen Palast und warteten dort. Nach zehn Minuten erschien Aramis wie ein Triumphator, die Soldaten präsentierten wie vor einem General, und die Bürger begrüßten ihn auf seinem Wege mehr wie einen Freund und Gönner als wie ein kirchliches Oberhaupt. D’Artagnan achtete auf alle Vorgänge mit größter Aufmerksamkeit. »Porthos ist dicker, Aramis aber größer geworden,« dachte er bei sich.

8. Kapitel. Aramis

Nach einer Viertelstunde, während welcher Porthos und d’Artagnan lange Gesichter machten und die Daumen umeinander drehten, öffnete sich endlich eine Tür, und Seine Herrlichkeit erschien im Prälatenkleid. Er trug das Haupt hoch, wie jemand, der gewohnt war zu befehlen. Das weite, violette Gewand war an der Seite zurückgeschlagen, und er stemmte eine Hand auf die Hüfte. Er trug noch den zierlichen Schnurrbart und den langen Knebelbart à la Louis XIII. Ohne Umstände ging er auf den Musketier zu und schloß ihn in die Arme. Dann reichte er Porthos die Hand, die der Herkules mit seinen riesigen Fäusten ungestüm ergriff. D’Artagnan wunderte sich nicht, daß es die linke Hand war: die mit Ringen geschmückte rechte hatte ihm Porthos wohl schon mal zu arg gequetscht. Darauf bot Aramis dem Musketier einen Stuhl, den er so stellte, daß das Licht seinem Freunde ins Gesicht fiel, während er selbst sich in den Schatten setzte.

D’Artagnan entging dieser Kniff nicht, er ließ sich aber nichts merken. Er dachte: Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Aramis begann das Gespräch. »Lieber alter Freund, welch glücklicher Zufall!« rief er. – »Allerdings ist es ein Zufall, hochwürdiger Freund,« antwortete der Gaskogner. »Meine Freundschaft zu Ihnen bewog mich, Sie zu suchen, wie ich dies stets getan habe, wenn ich ein paar Stunden frei war.« – »Wahrlich, er hat Sie gesucht, Aramis,« bestätigte Porthos, »und dabei mich in Belle-Ile gefunden.« – »Da haben wir’s,« dachte der Chevalier, »Porthos muß doch immer mit der Tür ins Haus fallen.« – »In Belle-Ile? Soweit ist er gekommen. Sehr liebenswürdig von ihm!« sagte Aramis. – »Und da habe ich ihm erzählt, Sie seien in Vannes,« setzte Porthos hinzu. – »Das wußte ich so schon,« sagte d’Artagnan. »Und nun sagen Sie mal, lieber Aramis, wollen Sie sich hier zeitlebens begraben? So weit von Paris?« – »Lieber Freund,« antwortete d’Herblay, »Vannes ist ein Bistum, das 20 000 Livres im Jahre einbringt. Das ist für einen armen Prälaten ganz hübsch. Und dann: ich werde alt; das großstädtische Treiben fällt mir auf die Nerven. Mit meinen 57 Jahren sehne ich mich nach Ruhe. Und die habe ich in dieser alten ehrwürdigen Stadt gefunden. Einkehr halten und Gott näherkommen, das ist’s, was mir jetzt nottut.«

»Ein vollkommener Mann der Kirche!« rief der Gaskogner, »beredsam, weise, bescheiden!« – »Lieber Freund, Sie sind doch aber gewiß nicht hergekommen, um mir ein paar Schmeicheleien zu sagen. Also, was führt Sie zu mir? Kann ich Ihnen irgendwie von Nutzen sein?« – »Gott sei Dank, lieber Freund,« erwiderte der Chevalier, »ich bin vermögend und unabhängig. Das heißt, nicht im Vergleich zu Ihnen. 15 000 Livres Rente habe ich jetzt im Jahre.« – Aramis sah ihn mißtrauisch an. Er mochte nicht glauben, daß d’Artagnan mit einem Male so viel Geld haben solle, zumal er ihn in ziemlich schäbigem Anzug vor sich sah. Daraufhin erzählte nun der Chevalier sein englisches Abenteuer. Der Prälat hörte mit großem Interesse, und seine Augen blitzten manchmal recht weltlich auf. Porthos brach ab und zu in seiner urwüchsigen Weise in laute Rufe des Beifalls aus. – »Sie sehen also,« schloß d’Artagnan, »ich habe mächtige Freunde in England gewonnen und besitze dort ein Landgut und in Frankreich einen Schatz. Und das wollte ich Sie wissen lassen.« – So fest sein Blick auch war, er konnte dem des Prälaten doch nicht standhalten, wich zur Seite und fiel auf Porthos.

»Hm,« versetzte Aramis, »Sie haben einen recht seltsamen Reiseanzug gewählt.« – »Jenun, ich wollte weder als ehemaliger Offizier noch als vornehmer Herr reisen,« erwiderte der Chevalier, »seit ich reich bin, bin ich geizig.«

»Und Sie sind also nach Belle-Ile gefahren?« fragte Aramis. – »Ja, ich wußte, daß ich Sie und Porthos dort finden würde,« antwortete d’Artagnan. – »Mich? Ei, ich bin nicht ein einziges Mal auf See gewesen.« – »Jenun, ich wußte nicht, daß Sie solch ein Stubenhocker geworden seien.« – »Ich bin nicht mehr der Alte, Freund, ich bin ein armer, kränkelnder Priester, dem nur noch zu tun ist um seine Aussöhnung mit dem Himmel.« – »Auch gut! Wir werden wahrscheinlich Nachbarn werden, denn ich habe vor, ein paar Salinen zwischen Pirrac und Croissic zu kaufen. Man soll 12 Prozent dabei verdienen.«

Aramis sah Portos an, wie um ihn zu fragen, ob dies alles wahr sei oder ob irgendeine Falle dahinter stecke. »Ich hörte,« sagte er, »Sie hätten sich mit dem Hof ein wenig überworfen, aber es scheint ja noch glücklich abgelaufen zu sein.« – »Jenun,« antwortete der Gaskogner, »ich habe meinen Abschied genommen.« – »Aha, und dann haben Sie Ihre alten Freunde gesucht und nicht gefunden, worauf Sie ganz allein, Sie wunderbarer Mann, ausführten, was Sie mit uns zusammen vollbringen wollten. Ich dachte mir gleich, daß Sie bei der Rückkehr Karls II. die Hand im Spiele hätten. Was macht denn Athos? – »Es geht ihm sehr gut.« – »Und Rudolf?« – »Er scheint die Gewandtheit seines Vaters und die Kraft seines Vormunds Porthos geerbt zu haben. Erst am Tage meiner Abreise konnte ich mich noch davon überzeugen. Lassen Sie sich erzählen! Auf dem Grèveplatz brach anläßlich einer Hinrichtung ein Aufruhr aus. Da mußten wir vom Leder ziehen, und er hat seine Sache ausgezeichnet gemacht.« – »Ein Aufruhr? und weshalb?« fragte Aramis. – »Zwei Finanzpächter wurden gehenkt – zwei Freunde Fouquets,« bemerkte der Gaskogner, indem er Aramis fixierte. »D’Eymeris und Lyodot hießen sie – waren sie Ihnen bekannt?«

»Nein,« antwortete der Prälat in geringschätzigem Tone. – »Fouquet hat es geschehen lassen, daß seine Freunde hingerichtet wurden?« rief Porthos. »Wäre ich an seiner Stelle gewesen –« – »Es geschah auf Befehl des Königs,« sagte d’Herblay, und aus Furcht, Porthos würde eine Dummheit sagen, brach er das Gespräch ab. »Genug von fremden Leuten!« rief er aus. »Reden wir von Ihnen, lieber d’Artagnan!«

»Ich habe Ihnen ja alles erzählt,« antwortete dieser. »Reden wir also vielmehr von Ihnen, lieber d’Herblay!« – »Ich bin nicht mehr der alte, wie ich Ihnen schon sagte. Gott hat mich hierher gesetzt, in eine Stelle, die all meine Hoffnungen übertrifft.« – »Gott? Ach!« versetzte der Gaskogner. »Ich dachte, Fouquet wäre es gewesen. Bazin sagte mir’s wenigstens.« – »Der Esel! Ich habe Fouquet nie gesehen,« entgegnete Aramis. – »Nun, was wäre auch dabei?« erwiderte der Chevalier. »Fouquet ist ein netter Mensch und ein großer Staatsmann – mächtiger als der König. Und hier gehört ja alles Fouquet, Dörfer, Schiffe, Soldaten, Inseln mit Festungswerken – was weiß ich alles!« – »Ich bin, Gott sei Dank, von keinem Menschen abhängig, außer dem Papst und dem König. Ich bin mein eigener Herr,« antwortete der Prälat.

Das für alle drei nicht eben angenehme Gespräch wurde durch die Meldung, das Abendessen sei aufgetragen, beendet. Bei Tisch sprach man von nebensächlichen Dingen, denn ein jeder mochte wohl erkennen, daß jetzt nichts weiter herauszukriegen sei. Der Gaskogner plauderte von Kriegs- und Finanzsachen, von schönen Frauen und ließ erst ganz zuletzt, wie einen lange aufgesparten Trumpf, den Namen Colbert fallen. – »Wer ist denn das?« fragte d’Herblay. – Aber nun wußte d’Artagnan ganz genau, daß er wirklich auf der Hut sein müsse, denn Aramis hatte sich während des ganzen Gesprächs unwissend gestellt. Daß er jedoch noch nichts von Colbert wissen wollte, das war dem Chevalier denn doch zu bunt. Indessen sagte er, als wenn er gar nichts merkte, von Colbert alles, was er selbst wußte. Das Abendessen währte bis ein Uhr. Punkt zehn Uhr war Porthos eingeschlafen und schnarchte wie eine Orgel. Man weckte ihn und schickte ihn zu Bett. – »Ich glaube, ich bin eingenickt,« sagte er. »Das Gespräch war übrigens sehr interessant.« – Aramis geleitete d’Artagnan in das für ihn bestimmte Schlafzimmer und schied mit einem herzlichen Kuß von ihm.

Kaum war in d’Artagnans Zimmer das Licht erloschen, so trat Aramis in das Zimmer des wackern Porthos, der schon im festen Schlafe lag. Der Prälat, der allen Lärm vermeiden wollte, rüttelte ihn an der Schulter, und der Herkules fuhr in die Höhe und brüllte mit Donnerstimme: »Was ist los?« – »Still! still!« beschwichtigte ihn Aramis. »Ich bin’s. Sie müssen sogleich fort, Porthos.« – »Fort? Wohin denn?« – »Nach Paris!« – »O, pfui Teufel! das sind ja hundert Meilen.« – »Hundertundvier,« verbesserte der Bischof. »Morgen vormittag können Sie dort sein. Auf, auf! es ist keine Zeit zu verlieren.« – »Zum Kuckuck!« brummte Porthos, der sich schon wieder auf die Seite gelegt hatte. »Ist es denn durchaus notwendig?« – »Durchaus! durchaus! Machen Sie sich fertig!« sagte Aramis in jenem Tone, der keine Wahl läßt. »Und verhalten Sie sich mäuschenstill dabei, daß niemand wach wird!«

Das erste war, daß Porthos Schwert; Gürtel und Börse fallen ließ und ein lautes Gelächter anschlug. – »Leise, Porthos, leise!« flüsterte der Bischof aufgebracht.

»Richtig! Ich hatte es schon wieder vergessen,« antwortete Porthos. »Es ist sonderbar, gerade wenn man sich recht beeilen will, geht alles besonders langsam, und man macht nie mehr Lärm, als wenn man recht ruhig sein will. Aber die Sache scheint wirklich Eile zu haben.«

»Allerdings, wenn nicht ein großes Unglück geschehen soll. D’Artagnan hat Sie ausgefragt, nicht wahr?« – »Nicht daß ich wüßte.« – »Denken Sie nur mal recht nach. Hat er am Ende gar unsern Befestigungsplan zu sehen bekommen?« – »Gewiß, aber Ihre Schrift hatte ich ausradiert. Er kann nicht ahnen, daß Sie daran beteiligt sind.« – »Unser Freund kann aber sehr gut sehen,« sagte d’Herblay. »Es ist damit zu rechnen, daß alles entdeckt ist, und da gilt es, ein großes Unglück zu verhüten. Ich habe dafür gesorgt, daß d’Artagnan vor Tagesanbruch nicht fort kann. Aber Sie müssen auf der Stelle reiten. Wenn er um fünf Uhr auf den Beinen ist, können Sie schon 15 Meilen weit sein. Die ganze Strecke können Sie in 30 Stunden hinter sich haben.«

Wie der geschickteste Kammerdiener half er ihm beim Ankleiden, trieb ihn wieder und wieder zur Eile an und führte ihn in den Hof hinab, wo ein Pferd reisefertig dastand. Er sorgte dafür, daß kein Geräusch gemacht wurde, und hielt selbst dem Tier die Nüstern zu, damit es nicht wieherte. »Und nun, Porthos,« sagte er dann, »in einem Atem bis Paris! Keine Rast! Zu Pferde essen und trinken, keine Minute verlieren, und sollten Sie ein halb Dutzend Pferde totreiten! Dieses Schreiben geben Sie an Fouquet ab, und koste es, was es wolle, morgen mittag muß er es haben.« – »Er soll es haben.« – »Dann werden Sie Herzog und Pair werden.« – »Oho!« rief Porthos, und seine Augen funkelten. »Dann soll die Reise nur 24 Stunden dauern. Vorwärts!« – Er drückte dem Pferde die Sporen in den Leib und jagte davon.

D’Artagnan glaubte wunders wie schlau er wäre, als er um fünf Uhr aufstand. »Aramis hat gesagt, ich sollte um acht Uhr bereit sein,« dachte er bei sich. »Ich weiß, was das bedeutet. Ich werde ihn in aller Frühe überraschen.« Er trat ans Fenster. Der Morgen graute eben; allem Anschein nach schlief noch alles. D’Artagnan, der in Aramis‘ Schlafgemach getreten war, merkte jedoch, daß dieser sich nur schlafend stellte, denn er mußte Aramis zweimal an der Schulter rütteln. Er wußte aber von früher her, daß der Prälat einen sehr leisen Schlaf hatte und beim geringsten Geräusch, bei der leisesten Berührung zu erwachen pflegte. – »Ah, Sie sind’s!« rief der Mann der Kirche. »Ich hatte über Nacht ganz vergessen, daß Sie bei mir sind. Es ist wohl noch sehr früh. Hatten wir uns nicht auf acht Uhr verabredet?« – »Das ist möglich, aber ich dachte, je früher desto besser,« antwortete der Gaskogner. »Ich bin nun einmal ans Frühaufstehen gewöhnt.« – »Dann lassen Sie mich wenigstens meine Morgenandacht halten.« – »Gut, ich gehe inzwischen zu Porthos. – »Ja, tun Sie das,« antwortete Aramis, ohne eine Miene zu verziehen.

Der Gaskogner entfernte sich, kam aber schon nach zwei Minuten wieder. – »Porthos ist nicht mehr auf seinem Zimmer,« sagte er, den Prälaten ansehend, den er jetzt in Gesellschaft zweier Ordensbrüder traf. – »Was Sie sagen?« rief er, mit meisterlich gespielter Verwunderung. »Wo mag er wohl sein? Haben Sie sich schon erkundigt?« – »Man hat mir gesagt, er sei ausgegangen.« – »Ah, er wird fortgeritten sein, um uns eine Ueberraschung zu machen. Am Kanal von Vannes gibt es viele Wildenten, da wird er ein paar zum Frühstück schießen. Reiten Sie ihm nach!« – »Das will ich tun,« sagte d’Artagnan. – Er ließ sich ein Pferd satteln und trieb sich zwei Stunden lang am Kanal herum, in der Hoffnung, die kolossale Gestalt seines Freundes zu entdecken; aber er fand keine Spur von ihm. Als er zurückkehrte, erwartete ihn Aramis. – »Es tut mir leid,« Freund,« rief er ihm zu, »daß Sie sich einen vergeblichen Weg gemacht haben. Ein Pfarrer war eben bei mir, der Porthos begegnet ist. Er hat ihn ersucht, uns mitzuteilen, daß er nach Belle-Ile hinübergefahren sei, weil er die Aufsicht doch nicht dem Architekten Gétard allein überlassen will.«

D’Artagnan nahm am Frühstück teil, aber eine fieberhafte Ungeduld ließ keinen rechten Appetit bei ihm aufkommen. Er entfernte sich mit dem Vorgeben, nun doch noch ein wenig auf die Jagd zu gehen, da er auf feinem Morgenritt wirklich schönes Federwild getroffen habe.« In Wahrheit aber ritt er zum Hafen, mietete eine Barke und fuhr schleunigst nach Belle-Ile. Vom Turm seines Hauses aus ließ Aramis vermittels eines Fernrohrs den Hafen beobachten, so daß d’Artagnans Abfahrt ihm nicht verborgen blieb. Der Gaskogner suchte nun auch in Belle-Ile vergebens nach dem Baron, und nun begann ihm ein Licht aufzugehen. Sofort fuhr er nach dem Festlande zurück und eilte nach Vannes, um seinem Freunde Aramis wegen des falschen Spiels heftige Vorwürfe zu machen. Als er im Hause des Prälaten ankam, übergab man ihm einen Brief, der folgendermaßen lautete:

»Lieber Freund! Dringende Geschäfte rufen mich in meine Diözese. Ich hoffte, Sie vor meiner Abreise noch einmal zu sehen. Aber Sie werden vermutlich ein paar Tage bei unserm Freunde Porthos in Belle-Ile bleiben wollen. Leben Sie also wohl. Es tut mir unendlich leid, daß ich das schöne Vergnügen Ihrer Gesellschaft nicht länger haben kann.«

»Alle Wetter!« rief d’Artagnan, »ich bin hinters Licht geführt worden. Ich Esel! Genarrt – genarrt wie ein Affe, der eine hohle Nuß bekommt!« – Er gab in seiner Wut dem süßlich grinsenden Kammerdiener eine Ohrfeige und stürmte von dannen. Auf der Postanstalt wählte er das beste Pferd aus.

9. Kapitel. Schachzüge

Dreißig Stunden nach den eben erzählten Ereignissen, fuhr ein Wagen, mit vier Pferden bespannt, im Hofe des Fouquetschen Palasts zu Saint-Mandé vor. Der Reisende nannte seinen Namen und wurde vom Diener sofort angemeldet, Fouquet öffnete alsbald sein Zimmer und erschien auf der Schwelle. – »O, armer Freund!« rief er. »In welchem Zustande –?« – »Ja, todmüde, wie Sie sehen!« antwortete Aramis keuchend. »Hauptsache, ich bin da!« – »Was aber ist die Ursache?« fragte Fouquet und zog ihn ins Zimmer. »Reden Sie!« – »Ist du Vallon angekommen?« – »Ja.« – »Und Sie haben meinen Brief erhalten?« – »Ja. Scheint ja bedenklich zu sein, zumal Sie nun selbst nachkommen.« – »Höchst bedenklich. Hat du Vallon Ihnen nichts gesagt, als er den Brief überbrachte?« – »Nein. Ich hörte einen Höllenlärm, eilte ans Fenster und sah einen Reiter, der einer Marmorsäule glich. Ich ging hinunter, er gab mir den Brief, und das Pferd brach tot unter ihm zusammen. Man hob den Reiter auf und trug ihn in ein Bett. Da liegt er noch und schnarcht wie ein Bär. Ich ließ ihm die Stiefel von den Füßen schneiden, denn man konnte sie ihm nicht ausziehen, so geschwollen waren seine Füße. Wir haben ihm Rotwein und Kraftbrühe eingeflößt, er ist darüber nicht munter geworden. Nochmals, was ist die Ursache dieser Anstrengung?«

»Sie haben den Chevalier d’Artagnan kennen gelernt, nicht wahr?« fragte der Bischof. – »Ja,« antwortete der Minister, »ein Mann, der Kopf und Herz auf dem rechten Fleck hat, obwohl er mit am Tode meiner Freunde Lyodot und d’Eymeris schuld war.« – »Haben Sie denn über diese Hinrichtung nachgedacht? Haben Sie eingesehen, daß darin ein scharfer Vorstoß gegen Ihre Oberherrlichkeit liegt?« fuhr d’Herblay fort. »Nochmals, dieser d’Artagnan – bei welcher Gelegenheit lernten Sie ihn kennen?« – »Er holte sich Geld auf eine Anweisung vom König.« – »Nun, sehen Sie, d’Artagnan ist nach Belle-Ile gefahren, verkleidet, mit dem Vorgeben, für jemand Salinen kaufen zu sollen. D’Artagnan hat keinen anderen Herrn als den König, er ist also ein Abgesandter Seiner Majestät. Und nun hat er Porthos – Verzeihung! den Baron du Vallon getroffen und weiß nun, daß Belle-Ile befestigt ist.«

»Und Sie glauben, der König habe ihn abgesandt?« fragte Fouquet sinnend. »Dieser d’Artagnan ist also in den Händen des Königs ein gefährliches Werkzeug?« – »Das gefährlichste, das es geben kann. Der mutigste, schlaueste und gewandteste Mann in ganz Frankreich.« – »Ich muß ihn um jeden Preis an mich fesseln.« – »Das wird Ihnen nicht gelingen. Dazu ist es jetzt zu spät. Er hatte sich mit dem Hofe überworfen, diese Gelegenheit haben wir vorübergelassen. Dann ging er nach England und erwarb sich durch die tollkühne Gefangennahme Monks ein Vermögen. Nun nahm ihn der König wieder in Dienst. Wir haben einstweilen nur einen Feind in ihm zu erblicken und seine Pläne zu vereiteln.«

»Und wie das?« fragte der Minister unruhig. »Lassen Sie uns das überlegen. Wir haben ja Zeit genug dazu. Ohne Zweifel haben Sie doch guten Vorsprung.« – »Zehn Stunden.« – »Nun, in zehn Stunden–« Allein Aramis schüttelte sein bleiches Haupt. – »Sehen Sie die Wolken am Himmel, sehen Sie die Schwalben in der Luft; ich sage Ihnen, d’Artagnan ist schneller als diese!« – »Sie übertreiben.« – »Ich sage Ihnen, er hat etwas Übermenschliches; ich kenne ihn seit fünfunddreißig Jahren,« rief der Prälat. »Lassen Sie mich rechnen: den Baron du Vallon habe ich um zwei Uhr nachts abgeschickt. Wann kam er an?« – »Vor vier Stunden etwa.« – »Sie sehen, ich bin um vier Stunden schneller gereist als er. Porthos ist schwer und wird mehrere Pferde totgeritten haben. Ich habe Eilpostpferde genommen, aber ich habe die Gicht und bin steinleidend, da verträgt man’s nicht mehr so gut. In Tours mußte ich aus dem Sattel heraus und einen Wagen mieten. Daher habe ich gegen Porthos nur vier Stunden gutmachen können. D’Artagnan wiegt keine dreihundert Pfund wie Porthos und ist nicht steinleidend wie ich. Wenn ich auch zehn Stunden Vorsprung vor ihm hatte, so wird er doch zwei Stunden nach mir ankommen.« – »Mein Gott, welch ein Mann!« – »Ja, ein Mann, den ich bewundere, weil er gut und edel ist, und weil er den Höhepunkt menschlicher Kraft und Gewandtheit darstellt. Aber bei aller Bewunderung ist er eben doch zu fürchten, denn ich sehe voraus, was er tun wird. Er wird zum König eilen und ihm sagen, was er in Belle-Ile gesehen hat. Kommen Sie ihm zuvor – das ist das einzige, was noch zu tun ist; fahren Sie schleunigst zum Louvre und –«

»Und?« stieß Fouquet hervor, von Aramis‘ Eifer mit fortgerissen. – »Und schenken Sie dem König Belle-Ile!« – Fouquet sank in einen Stuhl. »O, d’Herblay, d’Herblay!« rief er. So wäre alles fehlgeschlagen.« – »Hier hilft kein Verzweifeln!« rief der Prälat. »Hier gilt es allein, keinen Augenblick zu versäumen. Eilen Sie! D’Artagnan kommt von Minute zu Minute näher. Bedenken Sie, daß er nicht erst über Saint-Mandé zu reiten braucht, sondern geradeswegs zum Louvre galoppieren kann. Wir müssen also von dem Vorsprung, den wir haben, sogar noch eine Stunde abrechnen.« – »In fünfundzwanzig Minuten bin ich im Louvre!« rief Fouquet, riß die Fenster auf und schrie hinaus, man solle seine englischen Pferde anspannen. Fünf Minuten später war er unterwegs nach Paris. – Aramis ließ sich in ein Zimmer führen und sank völlig erschöpft auf ein Ruhebett.

*

Der König arbeitete mit Colbert. »Herr Intendant,« sagte er nachdenklich, »ich habe manchmal bei mir gedacht, die beiden Finanzpächter, deren Verurteilung Sie beantragten, sind vielleicht doch nicht so schuldig gewesen –« – »Sire, wir haben sie aus dem großen Haufen herausgerissen, und an dieser Rotte mußte einmal ein Exempel statuiert werden. Das war durchaus notwendig.« – »Es waren Fouquets beste Freunde, nicht wahr?« – »Ja, sie hätten für ihn ihr Leben hingegeben.« – »Und haben es nun ja auch hingegeben,« sagte der König. »Wieviel Geld mögen die beiden wohl beiseitegebracht haben?« – »Zehn Millionen – sechs sind konfisziert worden.« – »Und in meine Kasse geflossen?« – »Ja. Aber diese Konfiskation war nur eine Drohung für Herrn Fouquet, noch kein Schlag. Er hat eine Bande von Strauchdieben mobil gemacht, die die beiden Verurteilten der königlichen Gerechtigkeit entreißen sollten, und er wird, wenn es sich um seine Person handelt, eine Armee aufbieten, um sich der Strafe zu entziehen.« – »Was denken Sie eigentlich über das Benehmen des Oberintendanten? Rund herausgesagt, Colbert!« – »Ich denke,« antwortete der Intendant, »Herr Fouquet geht geradezu darauf aus, die Macht Eurer Majestät zu verkleinern, Eure Majestät in den Hintergrund zu verdrängen und sich selbst zum allergewaltigsten Manne des Reichs aufzuschwingen. Noch mehr, Sire! er plant das nicht nur, er geht sogar schon daran, es auszuführen! Ich habe aus sicherer Quelle erfahren, daß er Belle-Ile befestigt, daß er dort Korsarenschiffe und Soldaten erhält. Und weshalb das? Offenbar doch, um sich im Notfalle gegen Eure Majestät verteidigen zu können.« – »Aber, Colbert, wenn dies der Fall ist, so muß Fouquet auf der Stelle verhaftet und unter Anklage des Majestätsverbrechens gestellt werden.«

»Sie können einstweilen nichts gegen Fouquet tun, Sire,« antwortete Colbert achselzuckend. »Als Finanzminister hat er das Parlament für sich; er hat durch seine Freigebigkeit und Gastfreundschaft die gesamte literarische Welt auf seiner Seite, und durch Geschenke hat er sich den ganzen Adel gewonnen.« – »Das heißt also, ich bin ohnmächtig gegen Fouquet?« rief der König. »Sie sind ein Ratgeber, der keinen Rat zu geben weiß, Colbert!« – »Sire, durch Geld ist Fouquet groß geworden, durch Geld kann er wieder gestürzt werden. Ruinieren Sie ihn! Majestät haben jetzt eben eine günstige Gelegenheit dazu.« – »Erklären Sie sich deutlicher!« – »Eurer Majestät Bruder vermählt sich in nächster Zeit. Fordern Sie also eine Million von Herrn Fouquet. Er kann ja den Leuten statt 5000 Livres 20 000 auszahlen, also wird er auch eine Million für Eure Majestät flüssig machen können.«

»Das will ich tun,« sagte der König. – In diesem Augenblick trat der Türhüter ein und meldete: »Herr Fouquet!« – Ludwig erblaßte, Colbert ließ die Feder fallen. – Der Minister trat ein und übersah mit dem Scharfblick des gewiegten Hofmannes sofort die Situation. In Colberts kleinen, zusammengekniffenen Augen, die vor Neid schillerten, in Ludwigs klaren, freimütigen Augen, die vor Zorn funkelten, las er die Gefahr, die ihm drohte. Der Minister trat näher. – »Sire,« begann er, das verlegene Schweigen des Königs benützend, »ich bin in großer Ungeduld zu Ihnen geeilt, um Ihnen eine erfreuliche Nachricht zu überbringen. Geruhen Majestät diese Arbeit eines Blickes zu würdigen.« Mit diesen Worten legte er ein Papier auf den Tisch, das der König langsam auseinanderfaltete.

»Das sind ja Pläne,« sagte Ludwig XIV. – »Eine neue Art der Fortifikation,« antwortete Fouquet, »die ich praktisch erprobt habe.« – »So? Sie beschäftigen sich also mit Taktik und Strategie?« rief Ludwig im Tone des Mißtrauens. – »Ich beschäftige mich mit allem, was dem Reiche Eurer Majestät förderlich werden kann,« antwortete Fouquet unbefangen. »Hier sehen Majestät die Ringmauern, die Forts, die Außenwerke –« – »Und was ist das hier ringsherum?« – »Das ist das Meer.« – »Also stellt dieser Plan eine Insel dar?« fragte der König. – »Es ist Belle-Ile, Majestät.« – Colbert fuhr bei Nennung dieses Namens heftig auf. Fouquet schien das gar nicht zu bemerken. –

»Wie?« rief Ludwig XIV. ungehalten, »Sie haben Belle-Ile befestigen lassen?« – »Jawohl, und lege hier Eurer Majestät die Rechnungen vor,« antwortete Fouquet. »Es sind 1 600 000 Frank dafür ausgegeben worden.« – »Wozu das?« fragte Ludwig kalt. – »Das liegt auf der Hand. Majestät standen auf gespanntem Fuß mit England.« – »Aber seit Karls Thronbesteigung besteht ein Bündnis mit England.« – »Erst seit Monatsfrist,« versetzte Fouquet. »Die Befestigungsarbeiten sind aber schon vor einem halben Jahre begonnen worden.« – »Sind aber nun unnütz,« warf der König ein. – »Festungen sind nie unnütz, Majestät,« erwiderte der Minister. »Brauchen wir Belle-Ile nicht gegen die Engländer, so können wir’s gegen die Holländer brauchen, mit denen es über kurz oder lang zu ernsten Differenzen kommen muß.«

Der König schwieg einen Augenblick, dann fragte er: »Sie sind ja wohl der Eigentümer von Belle-Ile?« – »Nein, die Insel gehört Eurer Majestät,« antwortete der Minister. – Colbert erschrak, als wenn sich ein Abgrund vor seinen Füßen aufgetan hätte. Der König konnte sich eines Gefühls der Bewunderung nicht erwehren, hatte doch Fouquet es trefflich verstanden, seinen Vorstoß gegen die königliche Oberherrschaft als gutgemeinte Wachsamkeit und als edelsinnige Aufopferung hinzustellen. – »Belle Ile war mein Besitz, und auf meine Kosten habe ich die Insel befestigen lassen. Ich mache sie Eurer Majestät zum Geschenk. Sie können nun auf diesem festen Platze eine zuverlässige Garnison halten.« – Colbert wäre auf dem spiegelglatten Fußboden fast gefallen und mußte sich an einem Stuhle festhalten. – »Sie haben mit dieser Arbeit einen großen Beweis von taktischer Geschicklichkeit geliefert, Herr Fouquet,« sagte der König huldreich. – »Ich habe einen sehr tüchtigen Ingenieur gehabt,« antwortete der Minister bescheiden. – »Wie heißt der Mann?« – »Baron du Vallon.« – »Ist mir nicht bekannt,« sagte Ludwig XIV. »Herr Colbert, es ist mir nicht lieb, daß mir die Namen solcher talentvollen Männer, die meinem Lande zur Zierde gereichen, unbekannt bleiben. Sie werden sich diesen Namen merken, Herr Colbert.«

Colbert verneigte sich; sein Gesicht war weißer als seine flandrischen Spitzenmanschetten. Der König wendete sich wieder an den Oberintendanten. »Sie müssen sehr reich sein, Herr Fouquet, daß Sie eine solche Befestigung von Ihrem Gelde anfertigen lassen konnten.« – »Eure Majestät sind reich,« antwortete der Minister diplomatisch. »Belle-Ile ist ja eine königliche Domäne.« – »Trotzdem aber fehlt es mir an Bargeld,« versetzte Ludwig. »Morgen wird mein Bruder sich mit Lady Henriette Stuart vermählen, das kostet Geld. Ich brauche dazu –« Er zögerte und drehte sich nach Colbert um. Ihn wollte er den Schlag führen lassen, und der Intendant setzte denn auch in triumphierenden Tone hinzu: »Eine Million.«

»Majestät,« entgegnete Fouquet in geringschätzigem Tone, »was wollen Sie mit einer Million anfangen?«

»Es scheint mir aber doch –,« begann Ludwig, doch der Minister unterbrach ihn mit den Worten: »Soviel gibt der kleinste deutsche Fürst bei seiner Vermählung aus. Majestät brauchen mindestens zwei Millionen. Eine halbe kosten ja allein die Pferde. Ich werde Eurer Majestät heute abend 1 600 000 Livres senden. Ich weiß,« fuhr er fort, »es fehlen dann noch 400 000. Aber dieser Herr,« und er deutete mit dem Daumen nach seinem Rivalen, »hat von mir 900 000 in der Kasse. Er hat vor acht Tagen 1 600 000 Livres erhalten. 100 000 hat er an die Garde bezahlt, 75 000 an die Hospitäler, 25 000 an die Schweizer, 30 000 an das Proviantamt, 60 000 an das Arsenal und 10 000 für kleine Ausgaben. Es sind also noch 900 000 übrig. Diese Summe werden Sie heute noch Seiner Majestät zukommen lassen, Herr Intendant.« – »Aber das macht ja eine halbe Million über zwei,« sagte der König. – »Ich weiß, Majestät,« antwortete Fouquet, »den Ueberschuß weisen Sie Ihrem königlichen Bruder zum Taschengeld an.« – Damit verneigte er sich und ging hinaus, ohne Colbert, der vor Aerger seine Spitzenmanschetten zerriß, eines Blickes zu würdigen. Fouquet war noch in der Tür, als ein Lakai hereintrat und meldete: »Ein Kurier aus der Bretagne!«

»D’Herblay hat Recht behalten,« murmelte der Minister. »Eine Stunde nach mir! Es war die höchste Zeit!«

D’Artagnan trat eilig ein, und über und über voll Staub und Straßenschmutz, mit glühendem Gesicht, mit von Schweiß zusammengeklebtem Haar, mit steifen Beinen und blutbespritzten Stiefeln. Fouquet begrüßte den Mann, der ihm, wäre er eine Stunde früher gekommen, den Tod gebracht hätte, mit seinem freundlichen Lächeln. Der Chevalier erwiderte den Gruß flüchtig und eilte zum König, der bei seinem Anblick Colbert entließ. – »Ein treuer Diener wie Sie, Chevalier, darf schon in solchem Aufzuge kommen,« begrüßte er ihn, indem er lächelnd auf das abgerissene Kostüm des Musketiers blickte. – »Vor allem mußte ich zu Ihnen, Sire. Umziehen kann ich mich nachher,« versetzte der Gaskogner. – »Sie bringen also wichtige Nachricht?« fragte der König. – »Sehr wichtige, Majestät,« antwortete der Chevalier. »In kurzen Worten: Belle-Ile ist befestigt, und zwar sehr gut, hat Außenwerke, Zitadellen und Forts. Im Hafen ankern drei Korsarenschiffe, und die Küstenbatterien harren nur noch der Kanonen.«

»Das alles weiß ich bereits,« erwiderte Ludwig XIV. – »Was? Majestät wissen das schon?« rief der Musketier erstaunt. – »Hier ist sogar der Plan der Befestigungen,« sagte der König, und d’Artagnan sah zu seiner Verblüffung jenen Grundriß, den Porthos ihm gezeigt hatte. Er runzelte die Stirn. »Ha!« stieß er hervor. »Majestät haben die Sache also nicht mir allein anvertraut, sondern noch einen andern Boten in die Bretagne geschickt? Nun, Majestät, es war wirklich nicht der Mühe wert, daß ich die Reise gemacht und mich dabei zwanzigmal der Gefahr ausgesetzt habe, mir sämtliche Knochen zu brechen, wenn ich hier bei meiner Rückkehr mit einer solchen Antwort empfangen werden soll. Sire, wenn man jemand nicht traut oder ihn für unfähig hält, so soll man ihm überhaupt erst gar keinen Auftrag erteilen.«

Der König sah ihn triumphierend an. »Ich bin nicht nur genau unterrichtet über Belle-Ile,« sagte er, »sondern die Insel ist sogar mein Eigentum.« – »Es ist gut, Sire,« versetzte der Haudegen, »ich verlange von Eurer Majestät nichts weiter – als meinen Abschied. Ich besitze zuviel Selbstgefühl, um das Brot Eurer Majestät zu essen, wenn ich es so schlecht verdiene. Ich bitte um den Abschied.« – »Sind Sie mir böse, Chevalier?« lachte der König. – »Potz Sporn und Degenknauf! ich habe wohl Ursache dazu,« rief der Musketier. »Ich komme zweiunddreißig Stunden nicht aus dem Sattel, reite Tag und Nacht so schnell wie der wilde Jäger, bin bei meiner Ankunft steif wie einer, der eine Nacht lang am Galgen gebaumelt hat – und stehe dennoch da als Schafskopf. Donnerwetter! Meinen Abschied, Sire – oder ich nehme ihn mir einfach.«

»Im Gegenteil, Chevalier,« antwortete Ludwig XIV. fröhlich und zog ein Dokument aus seinem Schreibtische, »hier ist Ihre Ernennung zum General-Kapitän der Musketiere. Sie haben’s verdient, Herr Chevalier.« – D’Artagnan faltete das Papier auseinander und las es zweimal. Er wollte seinen Augen nicht trauen. – »Und dieses Patent ist Ihr Lohn für Ihre Reise nach Belle-Ile und für Ihr wackeres Auftreten bei der Hinrichtung auf dem Grèveplatze. Sie haben mir da einen trefflichen Dienst erwiesen.« – »Majestät haben das erfahren?« antwortete d’Artagnan. »O, da war ich nicht allein der Macher – da hatte ich einen Helfer – und zwar einen sehr guten.« – »Es war ein junger Mann, nicht wahr?« fragte der König. »Colbert hat mir auch über ihn viel Gutes berichtet.« – »Colbert? So!« brummte der Kapitän. »Das ist sein Glück. Hat auch nur Recht damit.« – »Ja, der junge Mann scheint sehr brav zu sein,« sagte der König.– »Brav, Majestät?« erwiderte d’Artagnan. »Das will ich meinen!« – »Also kennen Sie ihn schon länger?« – »Seit 25 Jahren, Sire.« – »Ei, er soll ja kaum 25 Jahre alt sein,« rief Ludwig XIV. – »Ich kenne ihn auch von der Geburt an. Der junge Mann ist der Sohn meines besten Freundes!« – »Der Graf von Bragelonne?« – »Jawohl, Sire! Er ist der Sohn des Grafen de la Fère, der dem König von England so tatkräftig geholfen hat. O, Bragelonne entstammt einem tapferen Geschlecht.«

»Der Graf de la Fère ist also ein wackerer Krieger?«

»Der Graf,« versetzte der Chevalier, »hat für Höchstdero seligen Vater öfter das Schwert gezogen, als Eure Majestät Tage in Ihrem Leben zählen.« – »Gut, Chevalier,« antwortete Ludwig und biß sich auf die Lippe. »Wollen Sie Ihren jungen Freund sehen?« Und er klingelte und rief dem Türhüter zu: »Graf von Bragelonne soll zu mir kommen.« – »Wie?« rief d’Artagnan. »Rudolf ist hier?« – »Ja, er ist mit der Garde des Prinzen auf Wache im Schlosse,« antwortete der König.

Im nächsten Augenblick trat Rudolf ein. Der Chevalier, ohne sich an die Anwesenheit des Königs zu kehren, lief auf ihn zu und drückte ihn an die Brust. Der junge Graf verneigte sich mit Anmut und Ehrfurcht vor der Majestät. – »Herr Graf,« sprach Ludwig, »ich habe den Prinzen von Condé gebeten, Sie mir abzutreten. Eben ist seine Antwort angekommen. Er ist damit einverstanden und Sie gehören seit diesem Morgen also mir an. Condé war ein guter Herr, und ich hoffe nur, Sie machen keinen schlechten Tausch.« – »O, sei nur getrost, Rudolf,« rief der Musketier dazwischen, »es ist gut auskommen mit dem König.« – »Majestät,« sagte Rudolf in der ihm eigenen herzgewinnenden Weise, »ich gehöre Ihnen nicht erst seit heute morgen an.«

»Ah, Sie spielen auf jenen Aufruhr am Grèveplatz an?« erwiderte der König. »Ja, da hielten Sie in der Tat zu mir.« – »Ich meine auch nicht diesen Tag, denn es würde mir schlecht anstehn, an einen so unbedeutenden Dienst zu erinnern; ich meine vielmehr einen Umstand, der in meinem Leben einen wichtigen Abschnitt darstellt und mich seit dem 16. Lebensjahre an Eure Majestät gebunden hat.« – »O, lassen Sie mich wissen, Graf –« – »Auf meinem ersten Kriegszug bei der Armee des Prinzen von Conds begleitete mich der Graf de la Fère bis nach Saint-Denis, und dort ließ er mich bei der Asche Ludwigs XIII. schwören, daß ich allzeit dem Königtum, das nun in der Person Eurer Majestät verkörpert sei, in Gedanken, Worten und Taten treu und eifrig dienen wolle! Ich leistete den Schwur, den Gott und die seligen Herrscher, Eurer Majestät Ahnen, empfangen haben. Seit zehn Jahren nun hatte ich nicht so oft, wie ich gewünscht hätte, Gelegenheit, danach zu handeln. Ich bin also schon lange Eurer Majestät Soldat; jetzt habe ich nicht den Herrn, sondern nur die Garnison gewechselt.« Er schwieg und verneigte sich, während Ludwig XIV. noch immer lauschte, als hörte er eine liebliche Melodie, welche seinem Ohre wohltat.

»Potz Sporn und Degenknauf!« rief der Musketier. »Das ist brav gesprochen!« – »Sie reden nur die Wahrheit, Vicomte,« sagte der König gerührt. »Ueberall, wo Sie waren, sind Sie für den König eingetreten. Sie sollen nun aber bei dem Garnisonwechsel eine Ihrer würdige Beförderung erhalten. Chevalier,« wendete er sich an d’Artagnan, »haben Sie mir noch etwas zu melden?« – »Jawohl, Sire – eine traurige Nachricht!« antwortete der Kapitän. »Als ich durch Blois kam, vernahm ich, daß Ihr Oheim, Gaston von Orleans, gestorben sei.« – »Monsieur, mein Oheim!« rief der König. »Und ich habe noch keine Nachricht erhalten!« – »Seien Sie deshalb nicht böse,« versetzte d’Artagnan, »die Kuriere von Blois können nicht so schnell reiten wie Höchstdero gehorsamster Diener. Der Bote wird erst in zwei Stunden hier sein, und man kann ihn dann noch nicht einmal der Saumseligkeit zeihen.« – »Mein Ohm Gaston!« murmelte Ludwig XIV. und preßte die Hand auf die Stirn. Aber man sah es ihm an, daß die Nachricht ihm nicht sonderlich naheging. Durch die Intrigen, die der Verstorbene seinerzeit gegen Ludwig XIII. angezettelt hatte, war er auch dem Sohne fremd und unsympathisch geblieben.

»Doch ich vergesse, Chevalier,« sagte der König mit einer huldreichen Handbewegung, »Sie haben 110 Meilen im Galopp zurückgelegt und bedürfen der Ruhe. Gehen Sie und sorgen Sie für einen meiner besten Soldaten. Wenn Sie ausgeruht haben, stellen Sie sich wieder zu meiner Verfügung.«

1. Kapitel. Protektion

Malicorne, der Verehrer des Fräuleins Aure von Montalais, der junge Mann, auf den die gute Frau von Saint-Rémy sehr schlecht zu sprechen war und von dem sie im ersten Kapitel unserer Erzählung in wenig schmeichelhafter Weise gesprochen hat, war der Sohn des Stadtsyndikus von Orléans. Malicorne, der Vater, hatte die Ehre, der Bankier und Geldleiher Seiner königlichen Hoheit des Prinzen von Condé zu sein, und diese Beziehungen des Vaters zu den höchsten Kreisen hatten in dem Sohne den Ehrgeiz entstehen lassen, in der vornehmen Welt eine Rolle zu spielen – ein Verlangen, das er mit zielbewußter Energie zur Wirklichkeit zu machen strebte. Dank einer immer vollen Börse stand er auf dem besten Fuße mit einem immer geldbedürftigen Adeligen, einem echten und rechten Windbeutel namens Manicamp, welcher aber bei aller Lüderlichkeit den Vorzug hatte, ein intimer Freund des Grafen von Guiche zu sein, welcher wiederum ein bevorzugter Günstling Philipps, des jungen Herzogs von Anjou, war. Dieser Philipp, der jüngere Bruder Ludwigs XIV., hatte nach dem Tode Gastons von Orléans dessen Titel und Würden geerbt, und da seine Vermählung mit Henriette Stuart, der Schwester des Königs von England, bevorstand, so war man bereits mit der Bildung eines prinzlichen Hofstaates beschäftigt. Malicorne war nun entschlossen, sich diese günstige Gelegenheit zur Erlangung einer Hofstelle nicht entgehen zu lassen. Sein erster Schritt war, daß er sich die dauernde Gunst seiner Angebeteten, des Fräuleins von Montalais, sicherte. Nach Gastons von Orléans Tode hatte das Fräulein keine Lust mehr, am Hofe der verwitweten Prinzessin zu bleiben, zumal dieselbe an einem schmutzigen Geize litt und das freudlose Dasein in ihrer Umgebung keinen Reiz für ein lebenslustiges Mädchen haben konnte. Die Montalais hatte es sich in den Kopf gesetzt, Ehrenfräulein bei der zukünftigen jungen Herzogin von Orléans, bei Henriette Stuart, zu werden, und Malicorne trat alsbald in Aktion, indem er seinem adeligen Freunde aus der Geldverlegenheit half und sich zum Lohn dafür ein Ehrenfräuleinpatent für die Montalais beschaffen ließ. Das kostete Herrn von Manicamp nur ein paar Worte an den Grafen von Guiche, und dieser hatte weiter nichts nötig, als Monsieur, dem Bruder des Königs, das Papier zur Unterschrift vorzulegen.

Kaum hatte aber die Montalais ihren Willen erreicht, so erinnerte sie sich ihrer Busenfreundin, der Luise von Lavallière, der Tochter der Frau von Saint-Rémy. Luise ging traurig umher und weinte schon jetzt bei dem Gedanken, allein in Blois zurückbleiben zu müssen. Kurz entschlossen, wandte die Montalais sich noch einmal an Malicorne und verlangte ein zweites Patent für ihre Freundin, mit dem Bemerken, daß sie selbst auf das ihrige verzichten wolle, wenn er nicht auch für Luise eines beschaffen könne. Malicorne, der um keinen Preis die Gunst der Montalais verscherzen wollte, da er sich mit dem festen Vorsatz trug, sie zu seiner Frau zu machen und durch die Ehe mit einer Adeligen sich selbst zu diesem Stande emporzuschwingen, machte gute Miene zum schlechten Spiele und griff ein zweitesmal in den Geldbeutel, um die Fürsprache seines Freundes Manicamp zu erkaufen.

Auf diese Weise geschah es nun, daß Luise von Lavallière von Blois nach der Residenz kam, wo sie eine so große Umwälzung hervorrufen sollte. Das arme Kind, das einstweilen noch unbefangen und heiter am Arme ihrer Mutter in dem stillen Schloßgarten von Blois einherging, hatte keine Ahnung, welche seltsame Zukunft ihr beschieden sei.

Die Montalais und Malicorne waren die beiden Mittelspersonen, durch welche Blois mit Orléans und wiederum Orléans mit Paris verknüpft war. Denn der junge Mann brachte stets interessante Neuigkeiten aus der Hauptstadt mit und tauschte dagegen die ergötzlichsten Anekdoten aus dem Leben der alten Herzogin ein, die er brühwarm seinem Freunde Manicamp weitererzählte. Und Manicamp hatte natürlich nichts Eiligeres zu tun, als alle diese Geschichten zum Totlachen dem Grafen von Guiche aufzutischen, der seinerseits sie dem jungen Prinzen zutrug. Der alte Malicorne, der Syndikus von Orléans, der täglich in seinem altmodischen Frack auf dem Katharinenplatze zu Orléans spazierenging, ließ es sich nicht träumen, daß alles schelmische Kichern, alles hämische Geflüster, alle kleinen Kabalen und Intrigen, die eine 45 Meilen lange Kette von Blois bis zum Palais-Royal bildeten, aus seiner Börse bezahlt wurden.

Malicorne, der Sohn, war mit seinem Freunde Manicamp einig geworden, auch die Lavallière sollte die Stelle eines Ehrenfräuleins bei der jungen Gemahlin Philipps von Orléans erhalten. Aber damit war Malicorne noch nicht zufrieden. Er hatte den Entschluß gefaßt, einfach selbst einmal zum Grafen von Guiche zu gehen und für seine eigene Person das Eisen zu schmieden. Gegen die stattliche Summe von 500 Pistolen, die er Manicamp in klingender Münze auf den Tisch zahlte, erhielt er von diesem das hierzu nötige Empfehlungsschreiben und ein Dokument, das dem Bruder des Königs nur zur Unterschrift vorgelegt zu werden brauchte. In froher Zuversicht machte sich der junge Mann auf den Weg; endlich sollte er nun das heißersehnte Ziel erreichen. Er hatte das Patent zu einer Hofstelle in der Tasche, es kostete dem Prinzen nur einen Federstrich, so war Malicornes Sehnsucht erfüllt.

Als Malicorne in Orléans eintraf, erfuhr er, daß der Graf von Guiche bereits nach Paris abgereist sei. Malicorne ruhte zwei Stunden und reiste dann weiter. Er kam in der Nacht zu Paris an und begab sich am andern Morgen zeitig in das Palais Grammont. Es war die höchste Zeit, denn der Graf wollte eben fort, um sich von Monsieur, dem Bruder des Königs, zu verabschieden, ehe er nach Havre reiste, wo die Blüte des französischen Adels Madame, die Braut Philipps, bei ihrer Ankunft aus England empfangen und nach Paris geleiten sollte. Malicorne berief sich auf seinen Freund Manicamp und wurde sogleich vorgelassen. Der Graf von Guiche stand im Schloßhofe und sah zu, wie seine Stallburschen und Kutscher Pferde und Wagen reisefertig machten. – »Manicamp?« rief der Graf. »Er ist willkommen! Her mit ihm!«

Malicorne trat näher. »Verzeihung, gnädigster Herr,« sagte er geschmeichelt, »es ist nur ein Abgesandter von ihm.« – »Warum kommt er denn nicht selbst?« fragte der Graf. »Er hat wohl wieder kein Geld? Was macht er denn mit dem vielen Gelde?« – Malicorne zuckte die Achseln. – »Also wird er wohl nicht mit nach Havre kommen?« fragte von Guiche weiter. »Das ist arg – alle Welt reist hin. Wo steckt er denn? Noch in Orléans? Und Sie, mein Herr,« fuhr er fort, Malicornes Rock betrachtend, »scheinen übrigens ein Mann von Geschmack zu sein; mit wem habe ich denn eigentlich die Ehre?« – »Ich heiße Malicorne.« – »Sie tragen im einen wunderschönen Rock, so fein wird in der Provinz nicht zugeschnitten.« – »Der Rock kommt allerdings direkt aus Paris, Herr Graf.« – »Das dachte ich mir – man sieht es gleich. Also was schreibt mir Manicamp?« fragte von Guiche, den Brief lesend. »Wie? Er will noch eine zweite Dame zum Ehrenfräulein machen? Wer war denn gleich das erste?« – »Fräulein von Montalais,« antwortete Malicorne. »Ein sehr hübsches Ehrenfräulein.« – »Ah, Sie kennen sie, Herr von Malicorne?« – »Sie ist meine Braut – das heißt, wir sind so gut wie verlobt,« sagte der junge Mann lächelnd. – »So, so?« versetzte der Graf. »Gratuliere vielmals. Und wer soll das zweite Ehrenfräulein sein?« – »Fräulein von Labaume-Leblanc und von Lavallière.« – »Mir nicht bekannt,« sagte Guiche. »Na, wollen mit Monsieur darüber reden. Adelig ist das Fräulein doch?« – »Aus sehr gutem Hause. Sie ist Ehrenfräulein der verwitweten Herzogin.« – »Schön. Wollen Sie mich zu Monsieur begleiten?« – »Gewiß, wenn Sie mir diese Ehre erweisen wollen. Doch,« setzte er hinzu, als er sah, das Graf Guiche den Brief Manicamps in die Tasche steckte, »Sie haben noch nicht alles gelesen, gnädigster Herr. Es waren zwei Billette in dem Umschlag.« – »So?« antwortete der Graf. »Dann müssen wir noch einmal nachlesen. In der Tat.« Und er entfaltete das Papier. »Aha! Eine Anweisung auf eine Stelle in der Hofhaltung Monsieurs. Manicamp ist unersättlich. Scheint damit geradezu Schacher zu treiben.« – »Nein, Herr Graf, er will ein Geschenk damit machen.« – »Wem?« – »Mir,« sagte Malicorne. – »Haha! Sie müssen ein ganz ausgezeichneter Mensch sein und viele wertvollen Eigenschaften haben, daß Manicamp, dieser Egoist, Ihnen etwas schenken will. Aber nein, seien Sie aufrichtig, er macht es doch wohl nicht ganz umsonst. Ich erinnere mich übrigens, daß es in Orléans einen Mann, namens Malicorne gibt, der dem Prinzen von Condé Geld leiht. – »Das ist mein Vater, Herr Graf.« – »Der Prinz hat den Vater, und Manicamp, der gierige, hat den Sohn. Nehmen Sie sich in acht, er saugt Sie aus bis aufs Blut.« – »Der Unterschied ist nur, ich leihe ihm Geld ohne Zinsen.« – »Da sind Sie ja sozusagen ein Heiliger. Na, Sie sollen die Stelle erhalten, so wahr ich ein Graf Guiche bin.« Er schritt zur Türe und winkte Malicorne, ihm zu folgen.

Ein junger Mann trat herein, ein Kavalier von etwa 25 Jahren, mit blassem Gesicht, braunen Locken und stechenden Augen. – »Guten Morgen!« rief er dem Grafen zu. – »Sie hier, von Wardes?« rief Graf Guiche. »Reisefertig, wie ich sehe. Morgen wird kein vernünftiger Mensch mehr in Paris sein. Gestatten Sie, Herr Malicorne – Herr von Wardes.« Die beiden verneigten sich, und der Graf fuhr fort: »Sagen Sie mal, von Wardes, Sie wissen doch genau, wieviel Stellen am Hofe Monsieurs noch zu vergeben sind.« – »Warten Sie mal – ich glaube, die Stelle des Oberstallmeisters,« antwortete der junge Mann. – »O, so hoch versteigen sich meine Wünsche nicht,« warf Malicorne ein. – Von Wardes musterte ihn mit einem raschen, durchdringenden Blick. »Um diese Stelle bekleiden zu können,« sagte er, »muß man Herzog und Pair sein.« – »Ich trachte auch nur nach einem ganz bescheidenen Posten,« antwortete Malicorne. »Ich schätze mich nicht höher ein, als ich stehe.« – »Ohne Rang und Geburt,« fuhr Wardes fort, »kann man überhaupt nicht hoffen, eine Anstellung bei Monsieur zu erhalten.« – »Zum Teufel ja!« rief von Guiche, »die Etikette ist streng, daran hatte ich gar nicht gedacht.« – »O, das ist ja ein großes Malheur für mich,« sagte Malicorne. – »Dem aber hoffentlich abzuhelfen sein wird,« setzte Guiche hinzu. – »Sehr leicht, Herr,« rief Wardes, »man macht Sie einfach zum Edelmann. Kardinal Mazarin hat den ganzen Tag über nichts weiter gemacht.« – »Still, von Wardes,« unterbrach ihn der Graf. »Keinen unzeitigen Scherz! Allerdings ist der Adel käuflich, aber das ist für uns, die wir ihm durch Geburt angehören, ein Unglück, und Edelleute sollten nicht darüber lachen.«

»Herr Graf von Bragelonne!« meldete ein Diener.

»Ah, willkommen, lieber Rudolf!« rief der Günstling Monsieurs. »Auch gestiefelt und gespornt. Also soll’s auch nach Havre gehn?« – Bragelonne trat hinzu und grüßte die jungen Leute mit Anmut. Von Wardes erwiderte seinen Gruß mit auffallender Kälte. Von Guiche stellte vor, und die Herren wechselten eine steife Verbeugung. Bragelonne und von Wardes schienen einander vom ersten Augenblick an unsympathisch. – »Sei Schiedsrichter zwischen mir und von Wardes, Rudolf,« sagte von Guiche. »Er behauptet, es würde Mißbrauch mit Titeln getrieben, und ich erkläre, Titel sind ganz unnütz.« – »In diesem Falle hast du recht,« antwortete Bragelonne. – »Aber auch ich habe recht,« warf von Wardes ein. »Ich behaupte, man tut in Frankreich alles, um die Edelleute zu demütigen.« – »Wer täte das?« versetzte Rudolf. – »Der König selbst. Er umgibt sich mit Leuten, die nicht einmal auf vier Generationen zurück die Ahnenprobe aushalten. Soll ich ein Beispiel nennen? Weißt du, von Guiche, wer zum Generalkapitän der Musketiere ernannt worden ist? Wer diese Stelle erhalten hat, die mehr wert ist als die Pairswürde und Anspruch auf den Marschallstab verleiht? Diese Stelle, die der König einem Günstling seines Oheims verweigert hat, ist einem Gaskogner, einem gewissen Chevalier d’Artagnan verliehen worden, der dreißig Jahre lang sein Schwert in den Antichambres herumgeschleppt hat.«

Rudolf wurde blutrot. »Erlauben Sie, daß ich Sie unterbreche, Herr von Wardes,« sagte er, sich zur Ruhe zwingend, »Sie scheinen den Mann, von dem Sie sprechen, nicht zu kennen.« – »Ich sollte den Chevalier d’Artagnan nicht kennen?« rief der junge Mann. »Mein Gott, wer kennt ihn nicht?« – »Nun, wer ihn kennt, mein Herr,« fuhr Rudolf fort, »der weiß, daß er an Mut und Edelsinn keinem König der Welt nachsteht, wenn er auch von Geburt kein so guter Edelmann ist wie der König. Doch das ist nicht sein Verschulden. Ich, mein Herr, kenne den Chevalier d’Artagnan seit meiner Geburt.« – Von Wardes wollte antworten, aber von Guiche unterbrach ihn, denn er merkte, daß das Gespräch auf dem Punkte stand, eine feindselige Wendung zu nehmen. – »Meine Herren,« sagte der Graf, »wir müssen uns jetzt trennen, denn ich muß zu Monsieur. Von Wardes, Sie kommen mit in den Louvre, Rudolf, du verwaltest inzwischen mein Haus und beaufsichtigst die Vorbereitungen zur Abreise. Ich vergaß,« setzte er hinzu, »mich nach dem Befinden des Grafen de la Fère zu erkundigen.« Bei diesen Worten beobachtete er scharf de Wardes Gesicht und sah in dessen Augen einen Blitz des Hasses aufflammen. – »Ich danke,« antwortete Rudolf, »der Graf befindet sich wohl.« – »Wir treffen uns also im Hofe des Palais-Royal,« sagte Guiche, Rudolf die Hand schüttelnd. »Folgen Sie mir, Malicorne!« – Bragelonne stutzte, als er diesen Namen hörte, doch konnte er sich nicht darauf besinnen, wo er ihn schon früher einmal vernommen habe.

Von Guiche begab sich mit seinen zwei Begleitern in das Palais-Royal, wo Monsieur wohnte. Malicorne blieb bescheiden zurück, er ahnte, daß die beiden Edelleute sich etwas zu sagen hatten. – »Sind Sie denn nicht bei Sinnen, von Wardes?« begann der Graf von Guiche, sobald sie ein paar Schritte gegangen waren, »Sie lassen in Rudolfs Gegenwart beleidigende Worte gegen d’Artagnan fallen. Warum hassen Sie ihn? Was hat er Ihnen getan?« – »Fragen Sie den Schatten meines Vaters,« versetzte Wardes düster. – »Ich muß mich wundern, Freund,« sprach Guiche, »d’Artagnan ist kein Mensch, der eine Rechnung unausgeglichen läßt. Ihr Vater war, soweit ich gehört habe, ein tapferer Mann, und es gibt keine Feindschaft, die nicht durch einen biedern Schwertstreich abgetan werden könnte.« – »Mein Vater hat seinen Haß auf mich übertragen. Als ich noch Kind war, lehrte er mich diesen d’Artagnan hassen. Es ist ein besonderes Vermächtnis, das er mir neben meinem Erbteil hinterlassen hat.« – »Und beschränkt sich dieser Haß auf d’Artagnan allein?« – »Er ist mit seinen Freunden zu innig verbunden, als daß das Uebermaß nicht auch auf sie sich erstrecken sollte. Das Maß des Hasses ist voll, und die andern werden sich über ihren Anteil nicht zu beklagen haben.« Er sprach diese Worte mit einem kalten Lächeln, und von Guiche, ihn betrachtend, erbebte unwillkürlich, von dunkeln Ahnungen berührt. – »Gegen Herrn von Bragelonne persönlich habe ich nichts,« setzte von Wardes hinzu. »Ich kenne ihn noch kaum.« – »Jedenfalls werden Sie nicht vergessen,« antwortete der Graf, »Rudolf ist mein bester Freund.« – Von Wardes verneigte sich.

Sie hatten das Palais-Royal erreicht. Von Guiche ließ seine beiden Begleiter an der großen Treppe zurück und ging geradeswegs zu Monsieur hinauf. Er fand den jungen Prinzen in Gesellschaft des Chevaliers von Lorraine, mit welchem Guiche ein wenig auf gespanntem Fuße stand. Philipp war damit beschäftigt, sich zu schminken, während Lorraine im Hintergrunde des Zimmers auf einer Chaiselongue lag. – »Ah, du bist’s, Guiche,« rief der Prinz. »Komm her und sage mir die Wahrheit. Denke dir, der Chevalier hat mir wehgetan. Er behauptet, Lady Henriette sei als Frau hübscher wie ich als Mann. Sieh mich aufmerksam an, Guiche, und dann betrachte hier ihr Porträt. Beeile dich nicht, Guiche – laß dir Zeit.«

Der Graf schaute lange auf das allerliebste Miniaturgemälde, das Monsieur ihm reichte. Dann sagte er: »In der Tat, ein ganz reizendes Antlitz, Königliche Hoheit.« – »Und nun sieh mich an – so sieh mich doch an!« rief der junge Prinz, die Locken schüttelnd. – »Wundervoll, wundervoll!« wiederholte Guiche, noch immer im Anschauen des Bildes versunken. – »Man könnte glauben, du hättest das kleine Mädel noch nie gesehen,« sagte Philipp ungehalten. – »Ich habe sie gesehen, Hoheit, aber es sind nun fünf Jahre her, und zwischen einem zwölfjährigen Kinde und einer siebzehnjährigen Jungfrau ist ein großer Unterschied.« – »So sage doch wenigstens deine Meinung!« – »Hoheit können sich glücklich schätzen, eine so schöne Braut zu haben,« sagte Guiche. – »Ich will doch deine Meinung über mich hören,« erwiderte Philipp mit fast weiblichem Schmollen. – »Meine Meinung ist, Sie sind für einen Mann viel zu schön,« antwortete Guiche.

Chevalier von Lorraine brach in ein lautes Lachen aus. Der Prinz runzelte die Stirn. »Ich habe recht ungalante Freunde,« sagte er verdrießlich und fuhr fort sich zu schminken. Als er fertig war, betrachtete er sich sehr selbstgefällig im Spiegel. Offenbar war er mit seinem Aussehen sehr zufrieden. »Ich fürchtete schon,« sagte er zu Guiche, »du würdest ohne Abschied reisen. Du hast gewiß noch ein Anliegen vor dem Aufbruch. Um was handelt es sich?« – »Um ein Patent für ein Ehrenfräulein.« – »Ei, Guiche, du bist mir ein sauberer Gönner,« lachte der Prinz. »Wirst du dich denn immer nur für Plaudertaschen bei mir verwenden?« – »Ich bin nicht unmittelbar der Gönner der betreffenden Dame,« antwortete von Guiche. »Ein Freund von mir bewirbt sich in ihrem Namen.« – »So? Wie heißt denn dieser Schützling deines Freundes?« – »Fräulein von Labaume-Leblanc und von Lavallière, bereits Ehrendame bei Ihrer Hoheit der Herzogin-Witwe.« – »O, die hinkt ja,« rief Lorraine dazwischen. – »Was? Sie hinkt?« sagte Philipp. »Madame sollte so etwas vor Augen haben? Das wäre gefährlich für ihre Schwangerschaften.« – Chevalier von Lorraine lachte abermals laut auf. – »Chevalier,« sagte Graf von Guiche, »Sie handeln nicht eben freundlich. Ich komme mit einer Bitte, und Sie verderben es mir.« – »Pardon, Graf!« versetzte Lorraine, betroffen über den Ton, in dem Guiche diese Worte gesprochen hatte. »Ich kann mich ja auch irren. Jedenfalls verwechsle ich diese Dame mit einer andern.« – »Das ist auch in der Tat so,« sagte der Graf. – »Liegt dir denn sehr viel daran, lieber Guiche?« fragte Orléans. – »Sehr viel, gnädigster Prinz.« – »Dann ist es bewilligt – doch nun suche auch kein Patent mehr nach, es ist keine Stelle mehr frei.« – Er unterzeichnete das Papier, das der Graf vor ihn hinlegte.

Draußen eilte Malicorne erfreut auf den Grafen zu und nahm das Patent mit Worten des Dankes in Empfang. Allein er schien noch etwas zu erwarten. – »Geduld, Herr Malicorne,« sagte Guiche. »Der Chevalier von Lorraine war da, und ich hätte alles verdorben, wenn ich zuviel auf einmal verlangt hätte. Es muß für später bleiben. Schicken Sie mir Manicamp her! Uebrigens, ist es wahr, daß Fräulein von Lavallière hinkt?« – Als er diese Worte sprach, machte hinter ihm ein Pferd mit jähem Ruck halt. Guiche drehte sich um und erblickte Rudolf von Bragelonne, der die letzte Frage gehört hatte, und erblaßte. – »Warum wird hier von Luise gesprochen?« dachte der Vicomte bei sich. »Von Wardes lächelt spöttisch. Er soll sich nicht einfallen lassen, in meiner Gegenwart ein herabwürdigendes Wort über sie zu sagen.«

Ein Zug von Reitern, Wagen und Dienern war Rudolf gefolgt, und die mit flatternden Bändern, Schärpen und Federbüschen reich geschmückte Schar zog jetzt an den Fenstern des jungen Prinzen vorüber. Philipp erschien und wurde mit Jubel begrüßt. Gleich darauf war der Zug am Palais vorüber.