4. Kapitel. Das Geheimnis der Jesuiten

An einer anderen Stelle des königlichen Gartens sah man den Oberintendanten Fouquet an der Seite des Bischofs von Vannes. Der Minister musterte die festlichen Vorkehrungen, die man von seinem Gelde hergerichtet hatte, und suchte mit den Blicken in der Schar von Höflingen und Edelherren, die plaudernd umherstanden, den Mann, mit dem er sich in der letzten Zeit so viel zu beschäftigen hatte, Colbert, den emsigen Minierer, der sich’s in den Kopf gesetzt hatte, Fouquets Größe zu untergraben. – »Da ist er,« sagte er zu seinem Begleiter. »Man beweihräuchert ihn von allen Seiten, sehen Sie nur! Er ist wirklich schon eine Macht.« – Colbert näherte sich, von einer ganzen Schar von Höflingen umringt, deren jeder ihm etwas Schmeichelhaftes zu sagen hatte. Fouquet begrüßte ihn mit etwas spöttischer Miene. – »Nun, gnädigster Herr,« sagte Colbert, »gefällt Ihnen, was wir hier zustande gebracht haben?«

»Sehr gut,« antwortete Fouquet trocken. – »Wie nachsichtig,« versetzte der Intendant spitz. »Wir Leute des Königs sind arm. Fontainebleau kann sich nicht mit Vaux vergleichen. Wir haben getan, was wir mit unsern geringen Hilfsmitteln vermochten. Aber von Ihrer Prachtliebe läßt es sich wohl erwarten, daß Sie dem König zu Ehren ein Fest in Ihren eigenen Gärten veranstalten werden – in jenen Gärten, die Ihnen jährlich sechs Millionen kosten.« – »Sieben,« berichtigte Fouquet. »Und glauben Sie, Majestät würde meine Einladung annehmen?« – »Daran zweifle ich nicht,« antwortete Colbert. »Ja, ich würde dafür einstehen?« – »Sehr gütig,« erwiderte Fouquet. »Wenn ich auf Sie zählen kann, so werde ich es mir überlegen.« – »Ueberlegen, wenn der König –?« unterbrach ihn Colbert. – »Jawohl, ich will überlegen, für welchen Tag ich am besten den König einladen könnte,« sagte Fouquet. »Meine Herren, ich möchte gleich auch Sie alle einladen,« setzte er hinzu und sah sich lächelnd rings um, »aber Sie wissen, wo Majestät zu Gaste ist, da ist er der Herr. Sie müssen also die Einladung vom König selbst erwarten.« – Er grüßte und entfernte sich.

»Eitler Prahler!« murmelte Colbert hinter ihm her. »Du nimmst es an und weißt doch, daß es dich zehn Millionen kosten wird.« – »Ich bin ruiniert!« sagte Fouquet im Weggehen. – »Sie sind gerettet,« antwortete Aramis ruhig.

Fouquet ließ sich beim König melden. – »Fouquet?« rief Ludwig. »Ich habe ihm geschrieben, er solle früh in Fontainebleau sein, und jetzt ist es zwei Uhr morgens. Das nenne ich Eifer! Er soll kommen.« – Fouquet trat ein, und Ludwig stand auf, ihn zu empfangen. – »Guten Abend, Herr Fouquet,« sagte er mit huldvollem Lächeln, »freut mich, daß Sie so pünktlich sind. Sie können doch aber meine Botschaft erst spät erhalten haben.« – »Um neun Uhr abends,« antwortete der Minister. – »Sie haben in diesen Tagen viel gearbeitet, Herr Fouquet,« sagte der König. »Man hat mir versichert, Sie hätten in der letzten Zeit so viel gearbeitet, daß Sie wochenlang nicht aus Ihrem Kabinett gekommen seien.« – »Allerdings, Sire,« erwiderte Fouquet, sich verneigend. »Ich arbeitete in Ihrem Dienst, und da ich nach so langer Zeit wieder vor Sie trete, Majestät, darf ich wohl um eine Gunst bitten, die von Ihnen bewilligt worden ist, um eine Audienz für meinen Begleiter, den Bischof von Vannes. Eure Majestät haben geruht, ihn auf meine Empfehlung hin vor drei Monaten zum Bischof zu ernennen.« – »Das ist möglich,« antwortete der König, der unterzeichnet hatte, ohne zu lesen. »Ist er da?« – »Ja, Majestät, Bischof d’Herblay wartet draußen.«

»D’Herblay?« murmelte Ludwig XIV., als erinnere er sich, diesen Namen früher einmal gehört zu haben. »Lassen Sie ihn hereinkommen.« – Fouquet gab dem Türsteher einen Wink, und Aramis trat ein. Der König ließ ihn die Begrüßungsworte sprechen und heftete währenddem einen langen Blick auf das charakteristische Gesicht, das niemand, der es einmal gesehen, vergessen konnte. – »Sie sind Bischof von Vannes?« fragte Ludwig XIV. – »Ja, Sire.« – »Vannes liegt in der Bretagne, und nahe am Meer?« – »Einige Meilen von Belle-Ile,« antwortete Aramis, sich abermals verneigend. – »Man sagt, Herr Fouquet habe dort ein schönes Schloß.« – »Ja, so sagt man,« erwiderte Aramis mit einem gleichgültigen Blick auf den Minister. – »Sagt man? Wie? So haben Sie selbst wohl Belle-Ile noch gar nicht gesehen?« – »O, wir armen Diener der Kirche,« sagte Aramis, »bleiben, wo wir wohnen.« – »Bringt Vannes so wenig ein?« fragte Ludwig. – »6000 Livres, Majestät.« – »Aber Sie sind doch wohl vermögend?« – »Ich besitze nichts, Sire. Doch Herr Fouquet bezahlt für einen Kirchenstuhl jährlich 12 000 Livres an mich.«

»Ich werde an Sie denken. Herr d’Herblay,« sagte der König. – Aramis verneigte sich; denn er wußte, daß die Audienz beendet war. Der König verneigte sich ebenfalls. Mit seiner schlichten Landpfarrermiene ging Aramis hinaus.

»Ein merkwürdiges Gesicht,« murmelte der König, ihm nachsehend. »Herr Fouquet,« wandte er sich an den Minister, »wir haben in diesen Tagen viel ausgegeben. Werden Sie nicht böse sein?« – »Majestät haben noch zwanzig Jugendjahre vor sich,« antwortete der Oberintendant, »und dürfen in diesen zwanzig Jahren noch eine Milliarde ausgeben.« – »Nun, in den nächsten zwei Monaten werde ich Sie nicht mehr in Anspruch nehmen,« sagte der König. – »Ich werde die Zeit benützen, für Sie zu sparen,« entgegnete der Minister. »Majestät haben übrigens auch an Herrn Colbert und mir zwei schätzenswerte Diener.« – Dieses dem Feinde gespendete Lob flößte dem König Bewunderung ein. Er streckte die Waffen vor dieser Klugheit und diesem Edelmut. – »Sie loben Herrn Colbert?« fragte er, nur mit Mühe sein Erstaunen verbergend. – »Gewiß. Herr Colbert hat hier alles trefflich angeordnet.« erwiderte Fouquet, »und verdient auch das Lob Eurer Majestät.«

Herr Fouquet verstand es meisterhaft, in den Ton dieser Worte ein gewisses Etwas zu legen, das absprechend klang. Ludwig hatte für solche Feinheiten ein ebenso feines Gefühl und erkannte, daß nach Fouquets Meinung die Festlichkeiten in Fontainebleau noch glänzender hätten sein können. Er empfand nun etwas von jenem Aerger des Provinzlers, der in prächtigen Kleidern nach Paris kommt und wenig beachtet wird. Die zurückhaltende, feine Aeußerung Fouquets flößte dem König noch mehr Respekt vor dem Charakter und den Fähigkeiten dieses Mannes ein. Als Ludwig XIV. sich in dieser Nacht das ganze Fest noch einmal vergegenwärtigte, fand er nachträglich auch einiges auszustellen. Fouquet aber hatte durch seine Höflichkeit und sein Lob Colbert mehr geschadet, als dieser durch seine Heimtücke dem Finanzminister bisher je hatte schaden können.

Aramis begab sich nach der Audienz in den Gasthof von Fontainebleau, der den Namen »Zum schönen Pfau« führte. Dort waren an diesem Tage – ein seltenes Ereignis für die Herberge – sieben Reisende eingekehrt, wobei die Dienerschaft der Herren gar nicht mitgezählt ist: ein Brigadier von der deutschen Armee, namens Wostpur, mit einem Sekretär, einem Arzt, drei Bedienten und sieben Pferden – ein spanischer Kardinal namens Herrebia mit zwei Neffen, zwei Sekretären, einem Diener und zwölf Pferden; ein reicher Kaufmann aus Bremen mit einem Diener und zwei Pferden; ein venetianischer Senator mit Frau und Tochter, der sich Signor Marini nannte; ein schottischer Laird mit sieben Hochländern und dem stolzen Namen Mac Cumnor; und ein Oesterreicher aus Wien, den man nur den »Herrn Rat« nannte; endlich eine Dame, welche ebenfalls keinen Familiennamen nannte, sondern nur als »die flämische Dame« einkehrte. Obwohl alle diese Reisenden an ein und demselben Tage ankamen, entstand im Gasthof keine Verwirrung, denn die Zimmer waren schon seit einer Woche bestellt und instand gesetzt.

Als sie sich auf ihre Stuben verteilt hatten, langte vor dem Gasthof eine Sänfte an, aus der man einen Franziskanermönch, der schwerkrank zu sein schien, heraushob. Für ihn war ein kleines Zimmer, ganz abseits von den andern gelegen, bereitgehalten worden. Man brachte ihn dorthin. Er ließ sich in einen Lehnstuhl setzen und rief den Wirt herbei.

»Guter Mann,« sagte er zu ihm, »schicken Sie die Leute da nicht weg, ohne ihnen eine Kleinigkeit für ihren guten Willen zu verabreichen. Ich bin ein armer Bettelmönch, der nichts übrig hat. Hätten sie mich aber nicht, halbverschmachtet wie ich war, von der Straße aufgehoben und hierher gebracht, so läge ich jetzt vielleicht tot im Graben.« – Der Wirt machte große Augen, dann verneigte er sich, ohne etwas zu antworten, sehr ehrerbietig vor dem armen Pilger und ging mit den Bauern hinaus, die sich nicht wenig darüber wunderten, daß der Besitzer des Hauses einem armen Bettelmönch so große Achtung erwies.

Der Franziskaner strich mit der vom Fieber ausgedörrten Hand über die gelbliche Stirn. In seinen Augen glühte ein unheimliches Feuer, das, dem Erlöschen nahe, noch einmal in aller Kraft aufzuflackern schien. Er zog ein Pack Papiere aus der Kutte und wühlte darin herum. Aber bald sank er matt zurück; stöhnend sah er sich um. Die Tür öffnete sich, er verbarg seine Dokumente und wandte sich mit einem Stöhnen dem Eintretenden zu. – »Sie sind der Arzt Grisart?« fragte er. »Kommen Sie her. Es ist keine Zeit zu verlieren. Befühlen Sie meinen Puls und geben Sie Ihr Urteil ab.« – »Der Wirt hat mir versichert, ich hätte es hier mit einem Jünger Jesu zu tun,« antwortete der Arzt. – »Dem ist so,« erwiderte der Mönch. »Sagen Sie mir also die Wahrheit.« – Der Arzt ergriff die welke Hand des Greises. – »Ein böses Fieber,« murmelte er. – »Herr Doktor,« versetzte der Franziskaner schroff, »keine Ausflüchte! Sie stehen vor einem Meister, vor einem Jesuit im elften Grade. Ich will wissen, wie es mit mir steht.« – »Nun denn, Ihr Zustand ist hoffnungslos,« war die Antwort des Arztes. »Sie haben noch zwei Stunden zu leben.«

»Zwei Stunden?« rief der Kranke. »In zwei Stunden läßt sich viel tun. Ich werde sie zum Ruhme des Ordens ausnützen und einen Würdigen zu meinem Nachfolger bestimmen. Gehen Sie, Herr Doktor, ich danke Ihnen. Schicken Sie mir den Wirt herein!« – Der Wirt kam. – »In Ihrem Hause weilen acht Personen, mit denen ich sprechen muß. Lassen Sie zuerst den deutschen Baron, Herrn von Wostpur, zu mir kommen. Sagen Sie ihm, der Erwartete sei angekommen.« – Gleich darauf hörte man schnelle Schritte auf dem Korridor. Der Baron trat ein, hocherhobenen Hauptes, als wenn er mit seinem Federbusch die Decke hätte einstoßen wollen. Er sah sich in dem kleinen, schmucklosen Zimmer um und fragte erstaunt: »Wer hat mich rufen lassen?«

»Ich,« antwortete der Franziskaner. – Der Baron näherte sich dem Platze des Greises und wollte sprechen. Der Mönch winkte mit der Hand. »Sie sind hierhergekommen,« sprach er, »einer Unterredung wegen. Sie hoffen, zum General des Jesuitenordens gewählt zu werden?« – »Ich hoffe es.« – »Und Sie wissen, was von dem Manne gefordert wird, der auf diese hohe Würde Anspruch macht, der durch diese Würde zum Herrn über die Könige der Erde, zum Bruder des Papstes werden will?« – »Wer sind Sie?« fragte der Baron mit einem hochmütigen Blick auf den armen Franziskaner. »Wie kommen Sie dazu, ein Verhör mit mir anzustellen?«

Statt aller Antwort drehte der unscheinbare Mönch einen Ring, den er am Finger trug, herum, so daß ein bis dahin verborgener Stein sichtbar wurde. Er zeigte ihn dem Deutschen, der erbleichte und zurücktrat. Er hatte das Merkzeichen des Jesuitengenerals erkannt, des Obersten dieses über die ganze Erde verbreiteten, damals allgewaltigen Ordens.

»Sie sind es, hochwürdiger Herr!« rief der Baron. »Und Sie wohnen in diesem erbärmlichen Zimmer? Und Sie sind hier, um selbst Ihren Nachfolger zu bestimmen?«

»Keine unnützen Worte, die Zeit ist kostbar,« antwortete der General. »Erfüllen Sie rasch die Hauptbedingung: offenbaren Sie dem Orden ein Geheimnis von solcher Tragweite, daß der Orden auf grund desselben sich einen der großen Höfe Europas für alle Zeit dienstbar machen kann. Sie haben in Ihrem schriftlichen Gesuch versichert, ein solches Geheimnis zu besitzen. Reden Sie!« – »Ich verfüge über eine Truppe von 50 000 Mann, die an der Donau lagert; meine Offiziere sind gewonnen. In acht Tagen kann ich den Kaiser von Oesterreich stürzen, der, wie Ihnen bekannt ist, gegen den Orden arbeitet, und kann einen dem Orden ergebenen Prinzen an seine Stelle setzen.« – »Ist das alles?« versetzte der Franziskaner. – »Mein Plan birgt eine Umwälzung ganz Europas in sich,« erwiderte der Deutsche. – »Herr Baron, Sie werden Antwort erhalten. Einstweilen haben Sie binnen einer Viertelstunde von Fontainebleau abzureisen.« – Wostpur verneigte sich und ging.

»Das ist ein Komplott, aber kein Geheimnis,« murmelte der Mönch. »Und Europas Zukunft hängt nicht mehr vom Hause Oesterreichs ab.« Mit diesen Worten nahm er einen Notstift und strich den Namen des Barons von der Liste der Kandidaten. Abermals wurde der Wirt gerufen. – »Ich möchte den Kardinal Herrebia sprechen,« sagte der Kranke, und der Wirt ging und holte den Spanier, der bleich und unruhig hereintrat. – »Ich werde hierher gebeten,« sprach er und raffte seinen Purpur zusammen, um mit der unscheinbaren Kutte des Franziskaners nicht in Berührung zu kommen. »Was kann ich für Euch tun, armer Bruder?«

Der Ring des Generals verfehlte auch bei ihm seine Wirkung nicht. – »Und nun erfüllen Sie die Bedingung,« sagte der Franziskaner. »Schnell, wir haben nicht viel Zeit, denn ich bin todkrank. Ihr Geheimnis! – Sie können spanisch sprechen.« – »Sie wissen, hochwürdiger Herr,« begann der Kardinal in reinstem Kastilianisch, »als der König von Frankreich die Infantin von Spanien heiratete, mußten Maria-Theresia und ihr Gemahl auf jede Apanage von seiten Spaniens ausdrücklich verzichten. Daraus folgt, daß der Friede und das freundschaftliche Zusammengehen beider Reiche von der Beobachtung dieser Klausel des Ehekontrakts abhängt. Ein Mann, der in die Zukunft zusehen vermag, könnte eine ungeheure Katastrophe verhüten und die kommenden Ereignisse zum größten Vorteil des Ordens ausnützen. Mir ist genau bekannt, daß der König von Frankreich beim ersten einigermaßen brauchbaren Anlaß, zum Beispiel beim Tode des Königs von Spanien oder des Bruders der Infantin mit den Waffen in der Hand das Erbteil der Maria-Theresia einfordern wird. Ludwigs XIV. Feldzugsplan befindet sich in meinen Händen.« – »Von wessen Hand geschrieben?« fragte der General. – »Von der meinen,« antwortete Herrebia.

»Haben Sie nichts mehr zu sagen?« fragte der General weiter. – »Ich glaube doch sehr viel gesagt zu haben,« erwiderte der Kardinal. – »Gewiß, Sie haben dem Orden einen Dienst erwiesen,« antwortete der Franziskaner. »Wie sind Sie in den Besitz der genauen Kunde gelangt?« – »Die untere Dienerschaft des Königs von Frankreich steht in meinem Solde,« versetzte der Kastilianer. – »Sehr sinnreich,« sagte der General, »Sie werden Antwort erhalten. Reisen Sie binnen einer Viertelstunde von Fontainebleau ab.«

Als der Kardinal gegangen war, machte der Franziskaner ein Kreuz vor seinen Namen und befahl dem Wirt, den venetianischen Kaufmann zu schicken. Sein Geheimnis war: der Papst fürchte, daß der Orden, der sich immer weiter ausdehnte, zu mächtig werden könne, und sänne infolgedessen darauf, alle Höfe Europas zur Austreibung des Jesuiten-Ordens aus ihren Reichen zu bestimmen. Der Venetianer nannte auch diejenigen Politiker, die dem Papst dabei am eifrigsten Hilfe leisteten, und er bezeichnete sogar sie Insel, die als Verbannungsort der Obersten des Ordens ins Auge gefaßt worden sei. Seine Mitteilung war kein geringer Dienst, doch schien der General auch ihr keine allzu weittragende Bedeutung beizumessen.

»Diese Leute,« sprach er bei sich selbst, als der Venetianer gegangen war, »sind allesamt Spione oder Sbirren, aber keiner eignet sich zum General, sie haben ein Komplott, aber kein Geheimnis entdeckt. Es ist uns nicht um Krieg und Vernichtung zu tun, sondern durch geheimnisvolles Wissen, durch geistige Ueberlegenheit wollen wir unsere Macht behaupten. Nein, noch ist der Mann nicht gefunden, der nach mir herrschen soll. Und mein Ende ist nahe – die zwei Stunden sind bald vorüber – die Uhr bald abgelaufen.«

Während er diesen Gedanken nachhing, öffnete sich die Tür, und Aramis trat ein, näherte sich dem Bett und bekreuzte sich. »Hochwürdiger Herr General,« begann er und zeigte sich damit als den ersten, der, ohne den Ring gesehen zu haben, die wahre Würde des armen Mönchs erkannte, »verzeihen Sie, daß ich unaufgefordert vor Sie trete. Ihr Zustand läßt mich befürchten, daß der Tod Sie ereilen möchte, ehe die Reihe an mich kommt, denn ich bin der letzte auf Ihrer Liste.« – »Sie sind der Chevalier d’Herblay, auch Aramis genannt, Bischof von Vannes?« – »Ja, hochwürdiger Vater.« – »Sie treten als Mitbewerber auf?« fuhr der General fort, »nun, was haben Sie mir zu sagen?«

»Ein Geheimnis von so großer Wichtigkeit teilt man nicht mündlich mit,« antwortete Aramis. »Wir sind allein, aber die Luft kann eine einzige kleine Schallwelle an ein aufmerksames Ohr tragen, und ein einmal mitgeteilter Gedanke ist nicht mehr Eigentum dessen, der ihn gefaßt hat. Ich habe mein Geheimnis niedergeschrieben.«

»Aber mich dünkt,« versetzte der Franziskaner, »die Schrift ist noch gefährlicher als die Sprache.« – »Hochwürdiger Herr, in diesem Umschlag,« antwortete der Bischof von Vannes, »werden Sie eine Schrift finden, die nur uns beiden verständlich ist. Es sind jene Zeichen, die Ihr verstorbener Sekretär Juan Jujan benützte.« – »Und die sind Ihnen bekannt?« fragte der General betroffen. – »Ihr Sekretär hatte sie von mir,« erwiderte Aramis und verneigte sich.

» Ecce homo6 murmelte der Franziskaner und öffnete das Kuvert, das d’Herblay ihm reichte. Er las mit fliegender Hast, dann ergriff er die Hand des Prälaten. – »Durch wen ist Ihnen dies Geheimnis zuteil geworden?« fragte er. – »Durch Frau von Chevreuse, die Freundin der Königin-Mutter.« – »Und diese Frau von Chevreuse?« – »Ist tot.« – »Wußte sonst noch jemand darum?« – »Nur ein Mann und eine Frau aus dem Volke, die ihn aufgezogen hatten. Aber sie sind auch tot.« – »Und nun sind Sie der einzige, der darum weiß? Seit wie langer Zeit besitzen Sie das Geheimnis?« – »Seit fünfzehn Jahren.« – »Und haben es bewahrt?« – »Es hätte mich das Leben gekostet.« – »Und Sie vertrauen es nun dem Orden an, ohne auf Belohnung zu rechnen, ohne ehrgeizige Absichten?« – »Nein, mit ehrgeizigen Absichten und mit der Hoffnung auf Belohnung,« erwiderte Aramis. »Sie kennen mich jetzt, hochwürdiger Vater. Werden Sie mich zu dem machen, was ich sein, was ich werden muß?« – »Ja, ich mache dich zu meinem Nachfolger!« rief der Franziskaner, und mit diesen Worten zog er den Ring ab und schob ihn dem Bischof auf den Finger. »Krank an Körper, aber gesund an Geist, gebe ich freiwillig und aus eigenem Antrieb und aufrichtigster Ueberzeugung diesen Ring, das Zeichen der Allgewalt, Ihnen, Herr d’Herblay, Bischof von Vannes, und ernenne Sie zu meinem Nachfolger, zum General des Ordens Jesu.«

Aramis erblaßte; sein höchster Ehrgeiz war befriedigt. – »Mit diesem Zeichen,« fuhr der Franziskaner fort, »stürzen Sie um und bauen Sie auf. In hoc signo vinces! 7 Hören Sie, noch vieles ist zu sagen, und meine Kraft erlischt. Der Papst hat gegen den Orden konspiriert, er muß sterben.« – »Er wird sterben,« antwortete Aramis. – »Sechs Malteserritter – ihre Namen finden Sie unter diesen Papieren – haben durch Indiskretion eines Jüngers des elften Grades die dritten Mysterien entdeckt. Es muß ermittelt werden, in welcher Weise diese Leute ihre Mitwisserschaft ausgebeutet haben. Der Unbesonnene erhält eine Rüge.« – »Es soll geschehen.« – »Drei unzuverlässige Jünger sind verurteilt zur Verbannung nach Tibet, wo sie sterben sollen. Hier sind ihre Namen.« – »Das Urteil wird vollzogen werden.« – »In Antwerpen lebt eine Nichte Ravaillacs, die gewisse, den Orden kompromittierende Papiere besitzt. Sie erhält seit Jahren ein Schweigegeld von fünfzigtausend Livres. Das ist eine lästige Ausgabe – der Orden ist nicht reich. Man soll die Papiere gegen eine einmalige Abfindungssumme sich herausgeben lassen, oder das Schweigegeld einfach nicht mehr zahlen.« – »Ich werde das Nötige anordnen.« – »Von Lima wird ein Schiff erwartet. Es ist angeblich mit Schokolade, in Wahrheit aber mit Gold befrachtet. Jeder Goldbarren ist unter einer Schicht Schokolade verborgen. Das Schiff ist Eigentum des Ordens und 17 Millionen wert. Hier sind die Ladungsbriefe. Lassen Sie es in den Hafen von Bayonne einlaufen.«

Der Franziskaner hielt inne. Er konnte nicht mehr sprechen. Das Blut drang ihm aus Mund und Nase. Er sank zurück und war tot. Der Arzt eilte herbei. – »Herr Grisart,« sagte Aramis, auf ein Glas deutend, »Ihre Medizin hat gewirkt. Reinigen Sie das Glas. Von dem, was Sie auf Befehl des Großen Rats hineingetan haben, darf keine Spur zurückbleiben.« Dann steckte er die Papiere des Toten zu sich und entfernte sich rasch.

Er begab sich in den Palast Fouquets. Der Minister arbeitete am Schreibtisch. Er legte die Feder nieder und wandte dem Bischof ein trauriges Antlitz zu.

»Schon wieder schwermütig, Herr Oberintendant?« rief Aramis. – »Es geht doch alles, wie wir es wünschen.« – »Das könnte ich nicht behaupten,« antwortete der Minister, »aber Ihr nimmer rastender Geist, Herr d’Herblay, findet immer neue Mittel und Wege, den Zusammenbruch aufzuhalten. Nur fürchte ich, er ist nicht mehr lange aufzuhalten.« – »Immer neue Mittel und Wege, sehr richtig,« sagte der Bischof zuversichtlich, »und ich habe auch jetzt wieder ein neues. Haben Sie schon einmal an die kleine Lavallière gedacht?« – Fouquet sah mit skeptischem Lächeln auf. – »Im Ernst, Herr Oberintendant,« fuhr Aramis fort, »das kleine Fräulein ist sehr gern gesehen beim König, wie man sagt. Sie müssen sich um ihre Gunst bewerben. Sie wissen doch ganz genau, wieviel es wert ist, bei Frauen gut angeschrieben zu sein.«

»Und Sie meinen – –?« fragte Fouquet. – »Ich meine, rundheraus gesagt, Sie müssen der Kleinen eine richtige Liebeserklärung machen. Schreiben Sie ihr! Nach meiner Meinung ist das Interesse des Königs für die Lavallière nur ein Deckmantel, hinter dem er seine Liebe zu Madame verbergen will. Aber eben darum muß die Lavallière in das Geheimnis dieser beiden Liebenden eingeweiht sein, und ich brauche Ihnen nicht zu sagen, was ein gescheiter Mann mit einem solchen kompromittierenden Geheimnis anfangen kann. Die Lavallière ist arm, sie hat noch keine große Stellung bei Hofe – nun, Sie werden ihr Geld und Stellung verschaffen und sich auf diese Weise eine neue wertvolle Helferin erwerben. Wollen Sie einen Brief an sie schreiben?«

Fouquet nickte zerstreut; anscheinend legte er der Sache keine große Bedeutung bei; allein gewöhnt, die Ratschläge d’Herblays zu befolgen, ergriff er die Feder und sagte: »So diktieren Sie. Mir ist der Kopf so schwer, daß ich die richtige Form nicht finden würde.« – Aramis diktierte: »Mein Fräulein! Ich habe Sie gesehen und, was Sie nicht wundern wird, schön gefunden. Aber es fehlt Ihnen noch die Ihrer würdige Stellung; Sie verkümmern bei Hofe. Die Liebe eines hochgestellten Mannes kann Ihnen, sofern Sie Ehrgeiz haben, förderlich sein. So lege ich Ihnen meine Liebe zu Füßen. Wenn Sie sie erwidern, werde ich Ihnen meine Dankbarkeit erweisen, indem ich Sie auf immer frei und unabhängig mache.« – Der Minister sah auf. – »Unterzeichnen Sie!« sprach Aramis. – »Ist das durchaus notwendig?« fragte Fouquet. – »Ihre Unterschrift unter diesem Briefe ist eine Million wert, vergessen Sie das nicht, Herr Oberintendant.« – Fouquet setzte seinen Namen darunter. – »Und nun schicken Sie ihn durch einen zuverlässigen Boten an die Adressatin,« schloß der Bischof. – »Es mag geschehen,« sprach der Minister, »aber wenn Sie meinen, daß mir die Gunst einer Lavallière helfen könnte, so teile ich diese Zuversicht nicht. Ich sage Ihnen, wenn der König die Einladung, zu der Colbert mich zwingt, annimmt, so bin ich verloren. Nur das Geld gibt mir Macht über den König, und das Geld wird bald verbraucht sein.«

»Es wird sich Neues finden,« antwortete d’Herblay.

»Wo? das möchte ich wissen,« seufzte der Minister.

»Ich werde Ihnen sechs Millionen geben – wenn es sein muß, sogar zehn.« – »In der Tat, d’Herblay. Sie setzen mich in Erstaunen,« versetzte Fouquet. »Sie erlauben mir doch, daß ich diese Worte ein wenig skeptisch auffasse? Oder sollte ich mich in Ihnen irren? Sollten Sie etwas anderes sein, als mir bekannt ist? Sollten Sie geheime Absichten verfolgen?«

»Ich verfolge nur die Absicht,« antwortete der Bischof, »auf dem Thron von Frankreich einen König zu haben, der ein Freund des Herrn Fouquet ist.« – »Das wird der König nie sein,« erwiderte der Oberintendant. – » Der König nicht,« sprach Aramis. Fouquet stutzte. »Ich verstehe Sie nicht,« murmelte er.

»Kann nicht auch ein anderer als Ludwig XIV. König sein?« setzte der Prälat hinzu. – »Sie sind von Sinnen!« rief Fouquet. »Kein anderer als Ludwig XIV. kann König sein. Ich wüßte wenigstens keinen andern, es sei denn Monsieur.« – »Aber ich weiß einen andern,« entgegnete der Bischof. »Und mein König wird auch Ihr König sein. Also seien Sie unbesorgt.«

»Herr d’Herblay, Sie sagen das in einem Tone, der mich mit Schauder erfüllt,« sagte Fouquet. »Sie machen mir ja förmlich Angst.« – Aramis lächelte. – »Und nun lachen Sie gar noch?« – »Sie werden auch lachen – aber vorläufig muß ich es allein,« antwortete Aramis. »Fürchten Sie nichts. Wenn es Zeit ist, werde ich mein Geheimnis offenbaren. Der Tag wird kommen, wo Ihnen die Schuppen von den Augen fallen werden. Zehnmal schon sind Sie dem Abgrund entronnen, in den Sie ohne meine führende Hand gestürzt wären. Sie sind vom General-Prokurator zum Intendanten, vom Intendanten zum Oberintendanten aufgerückt, und Sie werden von diesem Range noch zu dem eines » Maire du palais« gelangen.«

»Sie haben noch nie so zu mir gesprochen – Sie haben sich noch nie so zuversichtlich, das heißt, so verwegen, gezeigt,« rief Fouquet. – »Man kann vermessen sein, wenn man mächtig ist!« antwortete Aramis. – »Sie haben mir zehn Millionen geboten, Sie haben von der Entthronung und Einsetzung von Königen gesprochen –« – »Man kann davon sprechen, wenn man selbst über den Thronen und Königen dieser Welt steht,« versetzte Aramis. – »Dann sind Sie ja allmächtig,« stammelte Fouquet. – »Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt und wiederhole es,« antwortete der neue Jesuitengeneral mit leuchtenden Augen und triumphierender Miene.

  1. hier im Sinne von: »Das ist der Rechte.« (Anmerkung des Uebersetzers.)
  2. In diesem Zeichen wirst du siegen.

5. Kapitel. Pariert

Fräulein Aure von Montalais ging mit ihrer Freundin Luise, der sie sich jetzt wieder mit ganz besonderm Eifer widmete, im Park spazieren. »Gott sei Dank, daß man wieder eine freie Stunde hat!« sagte sie. »Seit gestern steht jedermann auf der Lauer, und ein Kreis von Aufpassern und Spionen umgibt uns, als wenn wir die gefährlichsten Hochverräter wären.« – Luise schlug die Augen nieder und schwieg. Sie handelte wie im Traume. Zuviel war in den letzten Stunden auf sie eingestürmt, als daß sie darüber schon mit sich selbst ins klare hätte kommen können. – »Nur meine unbedachtsame Aeußerung ist an allem schuld,« sagte sie nach einer Weile. »Darüber hält sich nun alle Welt auf.« – »Ja, und alle Welt schmückt dieses Ereignis mit immer neuen Phantasieblüten aus. Du hast die Ehre, daß der ganze Hof sich mit deiner Person beschäftigt,« fuhr die Montalais fort. »Was jedoch deine Lage wiederum ein wenig kritisch macht. Sprich, war es dir wirklich Ernst mit dem, was du gesagt hast?«

»Ich würde alles drum geben, wenn ich vergessen könnte, was ich gesagt habe,« antwortete Luise, »wenn ich es ungesagt machen könnte. Aber wie kannst du daran zweifeln, daß mir’s mit meinen Worten heiliger Ernst gewesen sei?« – »Liebst du denn nicht den Vicomte von Bragelonne?« rief die Montalais, und diese Frage war wie das erste Wurfgeschoß, das eine feindliche Armee in eine belagerte Stadt schleudert. – »Ob ich Rudolf liebe? meinen Bruder, meinen Jugendgespielen?« – »Du entschlüpfst mir nicht,« versetzte die Montalais. »Ich frage nicht, ob du Rudolf, deinen Jugendgespielen liebst, sondern ob du Rudolf, deinen Verlobten, liebst.«

»O, mein Gott, liebe Montalais, wie genau du es nimmst!« entgegnete Luise. – »Antworte mir nur auf meine Frage!« beharrte Aure. – »Du fragst nicht wie eine Freundin, aber ich werde dir wie eine Freundin antworten,« erwiderte die Lavallière. »Mein Herz ist schwer zugänglich, und ein sprödes Schloß liegt vor meinen weiblichen Gefühlen. Kein Mensch hat je in die Tiefe meines Gemüts geschaut.«

»Das weiß ich,« versetzte die Montalais. »Wenn ich hineinschauen könnte, so würde ich vielleicht also zu dir sprechen: Luise, du bist zu beneiden; Herr von Bragelonne ist ein liebenswürdiger Mensch und eine gute Partie für ein armes Mädchen, denn sein Vater wird ihm eine Rente von 15 000 Livres hinterlassen. Sieh nicht nach rechts und nicht nach links. Geh mit deinem Vicomte geradeswegs zum Traualtar.« – »Und für diesen Rat würde ich dir danken,« antwortete Luise, »obgleich er mir nicht gut erscheint. Aber es freut mich, daß du so sprichst, wie du es meinst.« – »Und nimm noch folgenden Rat, liebe Luise,« fuhr die Montalais fort, »es ist sehr gefährlich, tagelang sich von der Gesellschaft der andern auszuschließen, einsame Wege im Garten aufzusuchen und Buchstaben in den Sand zu schreiben, die weit eher dem L als dem B gleichen. Es ist sehr bedenklich, sich abenteuerliche Grillen in den Kopf zu setzen. Es gibt ein Märchen von einem armen, trübseligen Mädchen, das bildete sich ein, ein Prinz liebe sie; aber der Prinz liebte eine weit vornehmere Dame und benutzte das arme Kind nur zum Deckmantel, um die wahre Liebe zu verbergen. Denke dir, liebe Luise, wie tödlich für dieses arme Mädchen die Enttäuschung gewesen sein muß. Es war zuerst von allen umschwärmt, dann von allen verspottet, dann starb es in der Einsamkeit.«

Luise wurde bleich wie Leinwand und zitterte heftig.

»Still!« flüsterte sie, »es kommt jemand.« – »In der Tat,« sagte die Montalais, »wer mag das sein? Alle Welt ist mit dem König in der Messe oder mit Monsieur im Bade. Luise, es ist Rudolf! Er kommt wie gerufen, er soll Schiedsrichter zwischen uns sein.« – »O, Montalais, Montalais!« rief Luise, »sage ihm um Gotteswillen nichts! Du warst grausam, sei nicht noch unerbittlich!«

»O, Herr Vicomte!« rief Aure dem jungen Manne zu, »Sie sind wahrlich schön wie Amadis. Und wie dieser auch gestiefelt und gespornt!« – »Weil ich abreise,« antwortete Bragelonne, sich vor den Damen verneigend. – Luise erschrak. »Sie reisen ab? Wohin denn?« rief sie. – »Liebe Luise,« sprach Rudolf, »ich gehe auf Befehl des Königs nach England.« – »Auf Befehl des Königs!« rief die Montalais, und beide Mädchen wechselten einen Blick der Verwunderung, den Bragelonne wohl bemerkte, aber nicht verstand. – »Majestät hat sich daran erinnert, daß der Graf de la Fère bei Karl II. gut angeschrieben steht,« sagte der Vicomte. »Heute morgen rief der König mich zu sich, als er mich erblickte, und befahl mir, zu Herrn Fouquet zu gehen, von dem ich Briefe an den König von England in Empfang nehmen sollte. Diese Briefe habe ich persönlich zu überbringen.«

»Mein Gott!« murmelte Luise, von unklaren Ahnungen erfaßt. – »So schnell schickt man Sie fort?« sagte die Montalais. »Das hat ja mit einem Male große Eile.« – »Ja, in der Tat, man hat mir schleunigen Aufbruch dringend ans Herz gelegt,« antwortete Rudolf. »Deshalb habe ich Sie aufgesucht, denn ich konnte nicht warten, bis wir uns im Schlosse wiedersehen. Luise!« sprach er und ergriff ihre Hand. »O, Ihre Hand ist eisig kalt« – »Es ist nichts,« murmelte sie. – »Die Kälte erstreckt sich nicht bis auf Ihr Herz, nicht wahr?« fuhr er fort. – »O, Sie wissen ja,« brachte sie mühsam hervor, »mein Herz kann gegen einen Freund wie Sie nie kalt sein.« – »Ich danke Ihnen, Luise,« sagte der Vicomte. »Ich kenne ja Ihr Herz und Ihr Gemüt und weiß, daß die darin wohnende Zärtlichkeit nicht nach der Berührung der Hand beurteilt werden kann. Luise, Sie wissen, ich liebe Sie innig, und mein Leben ist Ihnen geweiht. Es ist freilich abgeschmackt, mit Kummer von Ihnen zu gehen, allein trotzdem fällt mir der Abschied doch sehr schwer.«

»Werden Sie denn lange fortbleiben?« fragte Luise mühsam. – »Nein, wahrscheinlich nur vierzehn Tage. Doch es ist seltsam,« sagte Rudolf, »ich habe oft Abschied von Ihnen genommen, um auf gefahrvolle Unternehmungen auszuziehen. Doch da ging ich freudigen Herzens und träumte von meinem Glück, galt es auch, den Kugeln der Wallonen die Stirn, den Hellebarden der Spanier die Brust zu bieten. Heute gehe ich auf eine ganz ungefährliche Reise, und sogar mit der Hoffnung, die Gunst eines Königs zu gewinnen; und doch bin ich niedergeschlagen, mutlos, von unsagbarem Kummer erfüllt. Ich weiß nicht, weshalb – mir ist, als ließe ich etwas zurück, das ich nie wiederfinden werde!«

Luise zerfloß in Tränen und sank ihrer Freundin in die Arme. Auch der Montalais, die doch nicht zu den zartesten Naturen gehörte, traten die Tränen in die Augen. Rudolf kniete nieder und bedeckte Luisens Hand mit Küssen; man sah, er legte sein ganzes Herz in diese Liebkosung. Dann stand er rasch auf und ging. Wenige Minuten später hörte man auf der Landstraße die Hufschläge eines galoppierenden Pferdes.

An diesem Abend war bei Madame große Gesellschaft. Gegen acht Uhr stellten die Gäste sich ein. Da ihre Soireen immer einen ganz besonderen Reiz hatten, so fehlte niemand. Eine große Schar von Edelherren, Poeten, Gelehrten und geistreichen Männern und Frauen war man gewohnt bei ihr zu sehen. An diesem Abend versprach man sich, nachdem des Königs Abenteuer mit der Lavallière, einem Ehrenfräulein Madames, bekannt geworden war, noch ganz besondere Überraschungen.

Monsieur erschien in Gesellschaft des Herrn von Guiche. Als letzter stellte der König sich ein, in Begleitung seines Hofmeisters, des Grafen von Saint-Aignan Madame stand auf, um ihn zu begrüßen, warf aber im selben Moment einen Seitenblick auf Fräulein von Lavallière, die zwischen der Montalais und der Tonnay-Charente in der Reihe der Ehrendamen saß. Alle Häupter neigten sich vor Seiner Majestät, bei dessen Eintritt sich jedoch – da man ihn heute in fast unköniglicher Haltung, zwanglos und fröhlich, kommen sah – alsbald eine heitere Stimmung verbreitete. Der König nahm Platz, und der Kreis schloß sich um ihn her. Er ließ seine Blicke in der Runde schweifen, und Madame fand es unerhört, daß er sich nicht genierte, die Lavallière besonders lange aufmerksam zu betrachten. Um ihn abzulenken, bestürmte sie ihn mit Fragen, verstand doch niemand das Ausfragen besser als sie.

»Madame fragen zu viel,« antwortete schließlich der König und versuchte umsonst die Kälte seiner Worte durch ein liebenswürdiges Lächeln zu verbergen. »Ich muß Sie an Saint-Aignan verweisen, der kann besser erzählen als ich.« – »Ei, was soll ich erzählen?« rief Saint-Aignan, der nur auf einen Anlaß gewartet hatte, seiner Schwatzhaftigkeit Genüge zu tun. »Vielleicht die Geschichte von den drei Schäferinnen, die mir neulich eine indiskrete Dryade erzählte?« – Bei diesen Worten warf er einen Blick auf die drei Ehrendamen, von denen in den letzten Stunden soviel die Rede gewesen war, und die ganze Gesellschaft rückte mit einem Murmeln der Befriedigung noch enger zusammen. Man erwartete nun bestimmt die heiß ersehnte Sensation.

Saint-Aignan war als seiner Gesellschafter und gewandter Erzähler bekannt. Das tiefe Schweigen, das ringsum herrschte, die vielen Blicke, die er voll Spannung auf sich gerichtet sah, brachten ihn daher nicht aus der Fassung. Er begann: »Königliche Hoheit, die Dyraden wohnen in Bäumen des Waldes und ziehen besonders schöne und alte Bäume vor.« – Alle Zuhörer wußten, daß dies eine Anspielung auf die Königseiche war, und manches Herz klopfte laut vor Neugierde und Unruhe. »Da es in Fontainebleau sehr schöne Bäume gibt,« fuhr Saint-Aignan fort, »namentlich einige prachtvolle Eichen, so wird man mir glauben, wenn ich beteuere, daß es in Fontainebleau auch Dryaden gibt. Folgendes nun erzählte mir die Dryade des Parks von Fontainebleau. In dieser schönen, uns allen so lieben Ortschaft wohnen zwei Schäfer, von denen der eine Tirsis heißt. Er ist jung und schön, und seine Tugenden und Vorzüge machen ihn zum ersten, zum König der Schäfer. Seine Kraft ist so groß wie sein Mut. Er ist der Gewandteste auf der Jagd und der Weiseste im Rat. Natürlich erfreut sich der König der Schäfer hoher Gunst bei den Schönen seines Landes. Wer Tirsis gesehen und gehört hat, muß ihn lieben. Wer ihn liebt und von ihm wiedergeliebt wird, der hat das Glück gefunden. Tirsis hatte einen Gefährten, welcher sein untertänigster Diener war. Er hieß Amyntas. Von ihm ist wenig zu sagen. Neben Tirsis verblaßt er vollständig. Er ist keines Vergleiches mit ihm würdig. Er verlangt nichts anderes als einen Platz zu den Füßen des schönen Tirsis. Sein höchstes Glück ist, wenn Tirsis sich manchmal an ihn wendet und ihn zum Vertrauten seiner Herzensgeheimnisse macht. Er ist etwas älter als Tirsis und nicht ganz von der Natur vernachlässigt. Er sucht nicht zu glänzen, aber es verlangt ihn nach Liebe, und diese würde ihm gewiß zuteil werden, wenn man ihn richtig beurteilte.«

Diese Phrase galt dem Fräulein von Tonnay-Charente, dem der Graf bei diesen Worten einen eindringlichen Blick zuwarf, aber die Dame hielt diesen Angriff ganz ruhig aus. Lauter Beifall erklang; man rief dem Erzähler zu fortzufahren, und der König gab selbst durch Kopfnicken das Signal dazu.

»Eines Abends lustwandelte Tirsis mit Amyntas im Walde, und beide traten in ein tiefes Gebüsch, um hier einander ihr Liebesleid zu klagen. Da vernahmen sie plötzlich Stimmen.« – »Ha, jetzt, wird’s interessant!« flüsterte jemand, und Madame warf, gleich einem General, der wachsam auf seine Armee aufpaßt, einen zurechtweisenden Blick auf die Montalais und die Tonnay-Charente, die sich nicht zu beherrschen wußten.

»Diese lieblichen Stimmen,« erzählte der Graf weiter, »gehörten einigen Schäferinnen an, die sich ebenfalls im kühlen Walde ergingen und einen entlegenen Platz aufgesucht hatten, um ihre Gedanken über das Schäferdasein auszutauschen. Die Dryade hat mir versichert, alle drei seien sehr hübsch gewesen. Sie hat mir auch ihre Namen genannt: Phyllis, Amaryllis und Galathee. Sie plauderten also –«

»O, Herr Graf,« unterbrach ihn Madame lachend, »erzählen Sie hübsch der Reihe nach! Erst die Porträts der drei Schönen.« – Saint Aignan warf einen Blick auf den König, und Ludwig, der selbst schon ein wenig unruhig zu werden begann, fürchtete das gleiche von der Herzogin und glaubte, eine so gefährliche Fragestellerin nicht noch zur Neugier reizen zu sollen. Er gab durch ein Kopfnicken sein Einverständnis zur ausführlichen Beschreibung der drei Schäferinnen.

»Phyllis also,« erzählte Saint-Aignan weiter, »ist weder brünett noch blond, weder groß noch klein, weder kalt noch schwärmerisch. Aber sie ist geistreich wie eine Prinzessin und kokett wie eine Teufelin. Ihr Gesicht ist sehr anziehend. Sie gleicht einem Vogel, der beständig zwitschernd gern von einer Blume zur andern flattert und allen Vogelstellern trotzt, welche das Netz nach ihm stellen.«

Diese Schilderung war so ähnlich, daß aller Augen sich sogleich auf Fräulein von Montalais richteten; diese aber machte ein ganz unbefangenes Gesicht und hörte mit der größten Seelenruhe zu. – »Ich gehe zu Amaryllis über,« fuhr der Erzähler fort. »Sie ist die älteste der drei Schäferinnen, hat jedoch noch nicht die zwanzig erreicht. Sie ist groß, hat üppiges Haar, das sie in griechischer Art trägt, einen majestätischen Gang und würdevolle Manieren. Sie gleicht daher mehr einer Göttin als einer Sterblichen. Sie ist eine Diana, die ihre Pfeile ins Herz aller armen Schäfer schießt, welche in den Bereich ihrer Augen und ihres Bogens kommen.« Die Tonnay-Charente, die bisher ein wenig finster dreingeschaut hatte, lächelte jetzt heiter. –

»O, diese böse Schäferin!« rief Madame. »Wird nicht einmal eines der Geschosse, die sie unbarmherzig nach rechts und links abschießt, auf sie selbst zurückfliegen?« – »Das hoffen alle Schäfer,« antwortete Saint-Aignan. – »Und ganz besonders der Schäfer Amyntas, nicht wahr?« fragte Madame. – »Amyntas,« erwiderte Saint-Aignan und setzte seine bescheidenste Miene auf, »ist so schüchtern, daß niemand erfahren hat, ob er eine solche Hoffnung wirklich hegt. Er verbirgt sie in seines Herzens tiefster Tiefe.«

»Und Galathee?« fragte Madame, »ich bin auf dieses letzte Porträt besonders gespannt.« – »Galathee,« begann der Erzähler, »hat eine Haut, weiß wie Milch, ein Blondhaar, zart und sein wie Gold, Augen, rein und klar wie das Blau des Himmels. Wem sie ihr Herz schenkt, der ist glücklich zu preisen. Ihre jungfräuliche Liebe macht ihn zum Gott.« – Niemand zollte dieser Schilderung Beifall; Madame schwieg kalt, und die ganze Gesellschaft schien von diesem frostigen Gefühl angesteckt zu werden. Saint-Aignan hatte sein ganzes Erzählertalent aufgeboten und war sehr enttäuscht, als das rauschende Händeklatschen, das er erwartet hatte, sich nicht einstellte.

»Nun, Majestät,« unterbrach Henriette endlich die Pause, »was sagen Sie zu diesen drei Porträts?« – »Amaryllis könnte mir gefallen,« antwortete Ludwig.

»Mir ist Phyllis lieber,« sagte Monsieur, »sie scheint mir ein wenig burschikos. Das habe ich gern.« – Ein allgemeines Gelächter erscholl. Die Montalais errötete bis über die Ohren.

»Nun, und was erzählten sich die Schäferinnen?« fragte Madame, ehe noch jemand etwas über das Porträt der Galathee sagen konnte. – »Die Schäferinnen gestanden sich Herzensgeheimnisse,« fuhr Saint-Aignan fort. »Sie sagten, die Liebe sei ein gefährlich Ding, aber ohne Liebe zu leben, sei dem Tode gleich zu erachten. Und daraus folgerten sie, daß man lieben müsse. Eine Schäferin erklärte sich entschieden gegen jede Liebe, konnte dabei aber doch nicht verhehlen, daß auch sie das Bild eines Schäfers im Herzen trüge.« – »Das Bild des Tirsis?« fragte die Madame. – »Nein, Hoheit, des Amyntas,« antwortete Saint-Aignan. »Allein die sanfte Galathee mit den Märchenaugen antwortete, man könne doch unmöglich Amyntas lieben oder Tityrus oder Alphesibeus, oder wie sie heißen mochten, solange es einen Tirsis gebe. Tirsis verdunkle alle Männer, gleichwie die Eiche alle Bäume überrage. Und sie entwarf nun von Tirsis eine Schilderung, daß er, der dabei selbst im verborgenen zuhörte, sich geschmeichelt fühlte bei all seiner Größe. So waren denn Tirsis und Amyntas von Galathee und Phillis ausgezeichnet worden, das Geheimnis zweier Herzen hatte sich im Schatten der Nacht verraten. Das ist es, was die Dryade mir erzählt hat. Ich habe es nur nacherzählt.«

»Und Sie sind nun fertig, nicht wahr, Herr von Saint-Aignan?« fragte Madame mit einem Lächeln, das den König zittern machte. »Sie haben indessen einen Fehler begangen, daß Sie nur auf eine Dryade gehört haben, Sie hätten sich auch noch bei der Najade von Fontainebleau erkundigen sollen. Sie ist ebenso schwatzhaft und sogar noch besser unterrichtet als jene.« – »Eine Najade!« riefen mehrere Stimmen, begierig auf die Fortsetzung der Geschichte. – »Sie haust ganz in der Nähe der Königseiche in einem hübschen, kleinen Quell, der dort zwischen Vergißmeinnicht und Schlüsselblumen sprudelt,« fuhr Madame fort, scheinbar ohne zu bemerken, wie unruhig und erwartungsvoll der König sie ansah. »Hören Sie, was diese Najade mir erzählt hat, als ich gestern abend dort vorüberging. ›Stellen Sie sich vor, meine liebe Prinzessin,‹ sagte sie, denn wir beide sind gute Bekannte, ›was für ein ergötzliches Schauspiel ich gestern abend beobachten konnte. Zwei neugierige Schäfer, die wohl auf Liebesabenteuer ausgingen, haben sich nämlich von drei lustigen Schäferinnen auf ganz scharmante Weise nasführen lassen.‹«

Diese Worte trieben dem König das Blut in die Wangen, während man die Lavallière leichenblaß werden sah. Madame erzählte weiter: »›Diese zwei Schäfer,‹ fuhr meine Najade fort, ›folgten den drei Schäferinnen, und diese hatten es wohl bemerkt, und man kann es ihnen nicht verübeln, wenn sie beschlossen, sich einen Spaß mit ihnen zu machen. Sie setzten sich unter die Königseiche, und da sie die Horcher so nahe wußten, daß ihnen kein Wort entgehen konnte, machten sie ihnen nun die feurigsten Liebeserklärungen. Alle Männer sind von sich selbst eingenommen. Sentimentale Schäfer am meisten. Die Worte, die die Horcher vernahmen, waren daher ihren Ohren eine überaus süße Melodie.«

Man hörte Kichern und Lachen; der König erhob sich; ein Blitz sprühte aus seinen Augen. – »Meiner Treu, ein köstlicher Scherzi« rief er, »und sehr amüsant erzählt! Aber haben Sie die Sprache der Najade auch richtig verstanden?« – »Ich ließ sie ihre Erzählung vor einigen Damen meines Gefolges wiederholen,« antwortete Madame. »Sie werden bestätigen, daß meine Wiedergabe sich genau mit den Worten der Göttin deckt. Nicht wahr, Fräulein von Montalais, es ist so gewesen?« – »Jawohl, Madame,« antwortete Aure ohne Zaudern. – »War es so, Fräulein von Tonnay-Charente?« fragte Madam«. – »Es ist die reine Wahrheit,« erwiderte Athenais. – »Und Fräulein von Lavallière wird es auch bestätigen,« sagte die Herzogin.

Das arme Kind fühlte den forschenden Blick des Königs auf sich gerichtet; sie wagte weder zu leugnen noch zu lügen; sie nickte flüchtig, aber ein eisiger Schauer, schmerzlicher als der Hauch des Todes, durchbebte sie. Gegen dieses dreifache Zeugnis wußte der König nichts zu sagen; Saint-Aignan stammelte mit erzwungener Heiterkeit: »Ein famoser Spaß! Und auch ganz hübsch gespielt von diesen drei Schäferinnen.« – »Die gerechte Strafe für die Neugierde,« sagte der König mit heiserer Stimme. »Wer möchte sich nach einer solchen Zurechtweisung, wie sie Tirsis und Amyntas erfahren haben, noch für die Herzensgeheimnisse von Schäferinnen interessieren? Ich gewiß nicht mehr, meine Herren!«

»Ei, Graf!« rief Monsieur, sich mit lautem Lachen an Guiche wendend, »du sagst ja gar nichts. Bedauerst du etwa die Herren Tirsis und Amyntas?« – »Ja, ich bedaure sie von ganzem Herzen,« antwortete der Graf ernst. »Die Liebe ist ein so süßer Wahn, daß, um ihn betrogen zu werden, schlimmer ist als der Verlust des Lebens. Wenn die beiden Schäfer, die sich geliebt glaubten und an diesem Glauben ihr Glück fanden, nun einsehen müssen, daß es nur Spott war, dann halte ich Tirsis und Amyntas für die unglücklichsten Männer, die ich kenne.«

»Graf, Sie haben recht,« sagte der König. »Der Tod ist eine gar harte Strafe für ein bißchen Neugierde.« – Bei diesen Worten heftete er einen vernichtenden Blick auf Luise von Lavallière, die einer Ohnmacht nahe war. Ludwig, der sonst sehr lange an den Gesellschaften bei Madame teilnahm, empfahl sich, um in seine Gemächer zurückzukehren. Madame frohlockte über ihren Triumph.

Saint-Aignan folgte dem König; er war, als er ging, ebenso niedergeschlagen, wie er heiter gewesen war, als er kam. Aber das Fräulein von Tonnay-Charente, auf das der Graf einen nicht minder majestätischen Blick warf, als Ludwig auf Luise geworfen, war nicht so zartfühlend wie die Lavallière und blieb ganz gelassen.

6. Kapitel. Ein Strich durch die Rechnung

Der König kehrte rasch in seine Gemächer zurück. Vielleicht ging er so schnell, um nicht zu wanken. Niemand war im Zweifel darüber, was ihn bewog, die Gesellschaft so plötzlich zu verlassen. Madame war darüber nicht betrübt. Sie glaubte dem König gezeigt zu haben, daß er eine ihm ebenbürtige fürstliche Person lieben könne, ohne Skandal befürchten zu müssen; ja er war dann des Einverständnisses, der Verschwiegenheit, der Ehrerbietung aller gewiß. Sobald er sich aber auf einen gemeinen Liebeshandel einlasse, so stoße er sogleich auf scharfen Tadel, selbst bei seinen geringsten Untertanen, und bringe sich selbst um den Nimbus der Unverletzlichkeit. Bei Ludwig aber war die Eigenliebe noch größer als die Liebe, und indem Madame ihn beschämt hatte, war es ihr gelungen, sich wirksam für die durch Ludwig erlittene Zurücksetzung zu rächen.

Dennoch faßte sie die Dinge keineswegs tragisch auf. Leichtfertig wie sie war, kannte sie keine tiefen Leidenschaften, weder im Guten noch im Bösen. Sie war jung und schön, geistig regsam und kokett und ließ sich nur durch ihre Laune, ihre Phantasie und ihren Ehrgeiz leiten. Sie beurteilte den König nach sich selbst und meinte, er würde, wenn er die augenblickliche Verstimmung überwunden habe, über die Lavallière lachen und einsehen, daß die Prinzessin unendlich hoch über diesem unscheinbaren Mädchen stände und es eine Torheit gewesen sei, das Ehrenfräulein der Herzogin vorziehen zu wollen.

Sie irrte sich in ihrem Urteil über den König. Ludwig war weit tiefer und schmerzlicher verwundet, als sie glaubte. Wenn ihm ein ähnlicher Schlag aus dem Volk heraus, in Gestalt eines Aufruhrs, versetzt worden wäre, dann hätte er sich mit aller Kraft dagegen verwahrt. Aber gegen Frauen konnte er nicht kämpfen, an Frauen konnte er sich nicht vergreifen. Es war wohl eine entsetzliche Schmach für einen König, von einem Provinzfräulein angeführt worden zu sein, aber durch jede Maßnahme, die auch nur eine Spur von Zorn verraten hätte, würde die Schmach nur noch größer geworden sein. Ja, er durfte sich nicht einmal ungehalten zeigen, um keinen neuen Grund zum Lachen zu geben. In aller Stille mußte die Blamage hinuntergeschluckt werden, und unveränderte Leutseligkeit, selbst gegen die Missetäterinnen, war das einzige Mittel, über seinen Groll hinwegzutäuschen.

Wenn die Prinzessin die Anstifterin des ganzen Vorfalls gewesen wäre, so hätte sie recht gehabt. Das gab der König zu. Hatte er sich ihr nicht mit süßen Liebesworten genähert? War sie nicht nur seiner verführerischen Stimme gefolgt, indem sie ihn liebte? Und nun sah sie sich durch eine Untreue belohnt, die um so demütigender war, als sie wegen einer tief unter ihr stehenden Nebenbuhlerin erleiden mußte. Hatte sie aber keinen Teil an der Täuschung, dann hatte der König auch keinen Grund, ihr zu zürnen.

Das naive Bekenntnis der Lavallière hatte dem königlichen Herzen unendlich wohlgetan; er hatte an diese unschuldige, uneigennützige, reine Liebe geglaubt. Seine Seele, selbst noch naiv und jugendlich, war dieser andern Seele, die sich ihm offenbarte, entgegengeflogen. Und nun sollte es Lug und Trug gewesen sein: ein Fastnachtsscherz, eine Fopperei. Ein anspruchsloses Mädchen aus der Provinz, dem man im Grunde alles: Schönheit, Geburt, Geist, absprechen konnte, hatte den König genarrt – den König, der wie ein asiatischer Sultan nur mit den Augen zu suchen, nur die Hand auszustrecken, nur sein Taschentuch fallen zu lassen brauchte.

Und dieser König hatte sich 24 Stunden lang nur mit diesem Mädchen beschäftigt, ihr Bild im Herzen getragen und, nur an sie denkend, nach ihr schmachtend, die vielen schönen Frauen nicht beachtet, die seinen Hof belebten. In der Tat, es war zu viel! Und doch, es ließ sich gar nichts tun. Es blieb nichts weiter übrig, als die Sache auf sich beruhen zu lassen.

Als Ludwig zu diesem für seine gekränkte Eitelkeit schmerzhaften Ergebnis seiner Betrachtungen gelangte, trat ein Lakai herein und überreichte ein offenbar von Frauenhand geschriebenes Billett. – »An Seine Majestät,« sagte er. – »Von wem?« fragte der König. – »Das weiß ich nicht. Es ist mir von einem Hausoffizier übergeben worden,« war die Antwort. – Der König trat an den Leuchter, und im Schein der Wachskerzen öffnete er das Briefchen und las: »Sire, verzeihen Sie meine Zudringlichkeit, verzeihen Sie mir vor allem, daß ich gewisse Vorschriften außer acht lasse, aber ich kann nicht anders. Ich bin von Schmerz und innerm Kampfe erschöpft und bitte Eure Majestät um die Gnade einer Audienz, in welcher ich meinem König die volle Wahrheit sagen werde. Luise von Lavallière.«

Der König glaubte zu träumen. Aber ein unsagbar frohes, wonniges Gefühl wallte plötzlich über ihn hin, als wenn ihn der Hauch des Frühlings gestreift hätte. Er rief Saint-Aignan, der im Nebenzimmer seiner Befehle harrte. »Graf, nimm deinen Mantel und begleite mich!« gebot er, ohne sich zu besinnen. »Weißt du, wo die Ehrenfräulein der Herzogin von Orléans wohnen?« – »Gewiß.« – »Kennst du jemand, der uns Zutritt verschaffen kann?« – »Ja, ich kenne einen jungen Mann, der mit einem Fräulein sehr gut bekannt ist.« – »Mit der Tonnay-Charente?« – »Nein, leider nur mit der Montalais.« – »Wie heißt er?« – »Malicorne.« – »Ein häßlicher Name. Und meinst du, daß er uns helfen kann?« – »Ich denke, ja.« – »So laß uns gehen.«

Am Fuße der Treppe, die zu dem Zwischenstock führte, wo die Ehrendamen logierten, blieb Saint-Aignan stehen und ließ durch einen vorübergehenden Lakai Herrn Malicorne rufen. Er erschien nach zehn Minuten, der König zog sich in den dunkelsten Teil des Korridors zurück. Als Saint-Aignan seinen Wunsch zu erkennen gab, antwortete Malicorne ausweichend. – »Einlaß in die Wohnung der Ehrendamen?« sagte er, »das geht nicht gut, Herr Graf. Da muß man doch wissen, in welcher Absicht Sie hinein wollen.« – »Das kann ich Ihnen leider nicht mitteilen, lieber Herr Malicorne. Sie müssen mir also schon so über den Weg trauen – wir kennen uns ja doch.« – »Wenn schon, Herr Graf, und es wäre vielleicht nicht so bedenklich, wenn noch alle Ehrendamen hier wären, aber Madame hat die andern alle wieder in ihre Privatzimmer zurückkehren lassen und in diesem nur die Fräulein von Lavallière und von Montalais zurückbehalten. Sie begreifen – ich könnte nur zwei Herren Einlaß gewähren: dem Grafen von Bragelonne und dem König selbst.«

»So lassen Sie den König ein, ich befehle es Ihnen,« sagte Ludwig XIV., indem er vortrat und den Mantel auseinanderschlug. »Das Fräulein von Montalais wird zu Ihnen herunterkommen, während wir zu Fräulein von Lavallière gehen, denn ihr allein gilt unser Besuch.« – »Seine Majestät!« stammelte Malicorne, indem er dem Monarchen zu Füßen fiel. – »Ja, der König, der Ihnen sowohl für Ihren Widerstand wie für Ihre Nachgiebigkeit Dank weiß. Stehen Sie auf und lassen Sie uns ein.« – »Wie Majestät befehlen,« sagte Malicorne und schritt die Treppe voran.

»Rufen Sie Fräulein von Montalais heraus,« sagte der König, oben angelangt. »Sie darf nicht wissen, daß ich hier bin, verstanden?« – Malicorne verneigte sich. Aber während Malicorne öffnete und eintrat, besann sich Ludwig eines andern und erschien gleichzeitig mit ihm in dem Zimmer. Die Lavallière ruhte in einem Lehnstuhl, die Montalais stand vor einem Spiegel und kämmte sich das Haar. Als die Männer eintraten, stieß sie einen Schrei aus und entfloh. – Malicorne ging ihr nach. Saint-Aignan trat in eine Ecke des Gemachs; der König schritt auf Luise zu. Sie richtete sich wie ein galvanisierter Leichnam in die Höhe und sank gleich darauf in den Stuhl zurück.

»Sie wünschen eine Audienz, mein Fräulein,« begann Ludwig XIV., »ich bin bereit, Sie anzuhören.« – Die Lavallière erhob sich abermals. Zitternd stand sie vor dem König. Sie vermochte nur die Worte zu stammeln: »Majestät, verzeihen Sie mir!« – »Was soll ich Ihnen denn verzeihen?« fragte Ludwig. – »O, ich habe einen großen Fehler begangen, ja ein schweres Verbrechen: ich habe Eure Majestät beleidigt,« sagte Luise.

»Nicht im geringsten,« antwortete der König. – »Sire, ich bitte Sie inständigst, lassen Sie mich durch diesen furchtbaren Ernst nicht Ihren gerechten Zorn fühlen! Ich fühle es, ich habe Sie beleidigt, aber ich muß Ihnen erklären, daß dies ganz gegen meinen Willen geschehen ist.« – »Inwiefern haben Sie mich beleidigt, Fräulein?« versetzte Ludwig XIV., »ich sehe es nicht ein. Etwa durch jenen mädchenhaften Scherz? Was ist dabei, wenn sich ein junges Mädchen über einen leichtgläubigen jungen Mann lustig macht? Jede andere an Ihrer Stelle hätte ebenso gehandelt.«

»O, Eure Majestät geben mir mit diesen Worten den Todesstoß!« – »Ist das alles, was Sie mir zu sagen hatten?« fragte der König, indem er einen Schritt zurücktrat. – Die Lavallière aber folgte ihm und sah ihn mit ihren großen, verweinten Augen an. – »Majestät haben alles gehört, was ich unter der Königseiche gesprochen habe?« stammelte sie. – »Kein Wort ist mir entgangen,« antwortete Ludwig. – »Und haben Majestät wirklich auch nur auf einen Augenblick geglaubt, ich hätte Ihre Leichtgläubigkeit mißbrauchen wollen? Können Majestät sich nicht denken, daß ein armes Mädchen, wie ich, bisweilen gezwungen sein kann, sich stumm dem Willen anderer zu beugen?«

»Ich verstehe nicht,« erwiderte der König, »wie jemand, der den Mut hat, sich so frei zu äußern, wie Sie es unter der Königseiche taten, nachher sich von andern ducken lassen soll.« – »Aber die Drohung, Majestät –«

»Drohung?« rief Ludwig. »Wer hat Ihnen gedroht? wer hat es gewagt?« – »Jemand, der das Recht dazu hat. Verzeihen Sie, Sire, es gibt in Ihrer Umgebung hochstehende Personen, die sich für befugt halten, ein Mädchen ohne Zukunft und Vermögen, das nichts hat als ihren guten Namen, zugrunde zu richten.«

»Mein Fräulein,« antwortete der König streng, »ich liebe es nicht, daß man sich entschuldigt durch Verdächtigung anderer. Sie hätten es leicht, sich zu rechtfertigen. Es tut mir weh, daß Sie zu Vorwürfen und Anschuldigungen greifen.« – »Majestät schenken mir also keinen Glauben?« rief Luise. – Der König schwieg. Sie schlug die Hände zusammen. »Sie glauben mir nicht!« rief sie. »Sie glauben nur, ich hätte mich erdreistet, diesen lächerlichen Scherz zu treiben! Sie halten mich dieser schändlichen Frechheit fähig!« – »Es war weder lächerlich noch schändlich,« antwortete Ludwig. »Es war harmlos und spaßhaft, weiter nichts. Was ist denn natürlicher? Der König horcht; er will sich vielleicht auf Ihre Kosten einen Scherz machen. Also rasch den Spieß herumgedreht! Rasch die Fabel erdichtet, ich liebte ihn; der König ist ja naiv und außerdem so sehr von sich selbst eingenommen, daß er es glauben wird. Und dann erzählen wir die Geschichte aller Welt und lachen uns satt.«

»O, das zu denken, ist entsetzlich!« rief die Lavallière. »Sire, kein Wort mehr, ich bitte Sie! sehen Sie nicht, daß Sie mich zu Tode martern?« Sie sank auf die Knie nieder und faltete die Hände. »Sire, ich ziehe die Schmach der Lüge vor! Wenn ich Ihnen Vernunft und Ehre opfere, werden Sie dann an die Aufrichtigkeit meiner Gefühle glauben? Was Madame Ihnen heute abend erzählt hat, war eine Lüge. Was ich unter der Königseiche gesagt habe, war die Wahrheit. Und wenn ich vor Scham sterben müßte an dieser Stelle, wo meine Knie festgewurzelt sind, so werde ich doch, solange ich Atem habe, wieder und wieder bekennen: Ich liebe Sie! Ich liebe Sie so, wie ich es sagte! Ich liebe Sie, Sire, seit jenem Tage, da ich Sie in Blois zum ersten Male sah, seit jenem Tage, da Ihr leuchtender Blick wie Sonnenschein in meine Einsamkeit fiel. Ich weiß, es ist ein Majestätsverbrechen, wenn ein armes Mädchen wie ich den König liebt und es zu ihm sagt. Bestrafen Sie mich für meine Verwegenheit – verachten Sie mich wegen meiner Schamlosigkeit – aber sagen Sie nicht, ich hätte Sie verspottet, ich hätte meinen Scherz mit Ihnen getrieben. Ich bin aus einem Geschlecht, das dem Königtum stets ergeben war – und ich liebe meinen König – ich liebe ihn! O, ich kann nicht mehr.«

Ihre Kräfte waren erschöpft, ihre Stimme erlosch, sie sank ohnmächtig zu Boden. Den König hatte ihr leidenschaftliches Geständnis tief ergriffen. Jetzt nahm er die Ohnmächtige in die Arme, hielt sie fest umfangen und drückte sie an sein Herz. Aber die Lavallière gab kein Lebenszeichen von sich – ihr Kopf sank auf seine Schulter.

Erschrocken rief der König seinen Hofmeister. Der Graf war diskret in seinem Winkel geblieben und eilte nun herbei. Er brachte die Bewußtlose in ihren Lehnstuhl und bespritzte sie mit aromatischem Wasser. »Kommen Sie doch wieder zu sich, mein Fräulein!« rief er, »es ist ja alles gut, der König glaubt Ihnen! Er verzeiht Ihnen. Aber wenn Sie so lange ohnmächtig bleiben, das fällt dem König auf die Nerven, und Majestät hat ein sehr feines Gefühl. Fräulein, Fräulein, so hören Sie doch! Sie müssen wirklich wieder zu sich kommen – es ist die höchste Zeit – mein Gott, wie fatal – nehmen Sie sich doch ein bißchen zusammen!«

Aber Saint-Aignan redete umsonst; der König wußte ein besseres Belebungsmittel. Er kniete nieder und heftete glühende Küsse auf die Hand Luisens. Endlich schlug sie die Augen auf, sah den König schmachtend an und flüsterte: »Haben Eure Majestät mir wirklich verziehen?« – Der König konnte vor Bewegung nicht antworten. – »Und nun, Sire,« fuhr die Lavallière fort, »habe ich mich – so hoffe ich wenigstens – vor Ihnen gerechtfertigt. Gestatten Sie mir jetzt, mich in ein Kloster zurückzuziehen. Dort will ich mein Leben lang meinen König segnen und bis an meinen Tod Gott für diesen Tag des Glückes danken.« – »Nein, nein, Sie bleiben hier,« rief Ludwig. »Danken Sie Gott, ja! aber lieben Sie auch Ihren König, lieben Sie Ludwig, der Ihr Leben verschönern will – Ludwig, der, das schwört er Ihnen, Sie wiederliebt!«

Und seine Küsse wurden so glühend, daß Saint-Aignan es für geraten hielt, sich wieder in seine Ecke zurückzuziehen. – »O, Majestät,« flüsterte die Lavallière, von der Inbrunst des Königs entflammt, »soll ich denn meine Aufrichtigkeit bereuen? Soll ich denn glauben, Majestät verachteten mich?« – »Mein Fräulein,« antwortete Ludwig, »nichts auf der Welt liebe und ehre ich mehr als Sie, das schwöre ich Ihnen bei Gott! Niemand soll hinfort Ihnen gleich geachtet werden. Meine stürmischen Küsse waren nur der Ausdruck meiner Liebe – aber ich kann Ihnen beweisen, daß ich Sie nicht nur liebe, sondern auch über alles hochschätze. Sie stehen unter meinem Schutze. Sagen Sie niemand, welche Schmerzen ich Ihnen bereitet habe, und verzeihen Sie auch den andern die trüben Stunden, die Sie erlitten. Künftighin werden Sie so hoch über allen andern stehen, daß Sie niemand mehr zu fürchten brauchen.«

Er rief Saint-Aignan, verneigte sich vor Luise und sagte noch: »Ich schicke Ihnen Ihre Freundin sogleich zurück. Leben Sie wohl, mein Fräulein, und vergessen Sie mich nicht in Ihrem Gebet.« – »O, Sire,« antwortete die Lavallière, »Sie wohnen zusammen mit Gott in meinem Herzen.« – Diese letzten Worte erfüllten den König mit einem Gefühl hoher Freude und Wonne. Er kehrte mit seinem Hofmeister in seine Zimmer zurück. – Madame hatte diese Wendung nicht vorausgesehen: die Dryade und Najade wußten nichts davon.

Der folgende Tag war düster und schwül. Dennoch befahl der König, die Spazierfahrt nicht ausfallen zu lassen, und die Blicke aller Damen und Herren, die daran teilzunehmen hatten, richteten sich voll Besorgnis zum Himmel empor. Schon schwebte ein leichter Nebel auf den Gipfeln der Bäume, und die Sonne vermochte den dicken Wolkenschleier nicht zu durchdringen. Ludwig sah zum Fenster hinaus und versprach sich nichts Gutes von diesem Wetter; aber was ihn bewog, trotzdem die Ausfahrt nicht abzubestellen, das war das erhoffte Zusammentreffen mit der Lavallière, und er wollte es selbst dem Himmel nicht gestatten, ihm einen Strich durch seine Liebessehnsucht zu machen.

Ludwig ging wie sonst zur Messe, aber er vergaß an diesem Tage über ein gewisses erschaffenes Wesen den Schöpfer und zählte ungeduldig die Minuten, die ihn noch von dem Wiedersehen trennten. Von dem Auftritt, der am verflossenen Tage zwischen Ludwig und der Lavallière stattgefunden, hatte niemand etwas erfahren. Saint-Aignan erkannte den tiefen Ernst dieser Liebschaft und wußte, daß in diesem Falle seine Mitwissenschaft ein kostbarer Besitz sei. Die Montalais hätte gern geplaudert – schwatzhaft wie sie war – aber Malicorne hatte es ihr auf die Seele gebunden zu schweigen, wenn anders sie nicht sich und ihn ins Verderben stürzen wollte.

Ludwig war so glücklich, daß er der Herzogin von Orléans nicht grollen konnte. Er konnte sich ja auch im Grunde über ihre Täuschung nicht beklagen; denn ohne diese würde er keinen Brief von der Lavallière erhalten und sich nicht mit ihr ausgesprochen haben. Er war so zufrieden mit der Lösung der Dinge, daß in seinem Herzen kein Raum für Unmut war.

Da die Spazierfahrt erst gegen zwölf Uhr stattfand, so verblieben dem König noch ein paar Stunden, die er der Arbeit mit Colbert und Fouquet widmen wollte. Aramis, der sich in der Gesellschaft des Oberintendanten befand, mischte sich unter die Höflinge, die auf den Korridoren hin und her schritten.

»Sire,« sprach Fouquet, als die Arbeit beendet war und er sich verabschiedete, »Sie überhäufen mich seit einigen Tagen mit Anzeichen der Gnade. Gewiß haben Majestät besonderen Anlaß, mir ein so huldvolles Lächeln zu gönnen.« – »Sie stellen Mutmaßungen an?« erwiderte Ludwig. »Sie irren sich; ich bin vielmehr ärgerlich auf Sie. Jawohl, im Ernst!« – »Majestät erschrecken mich. Ich wüßte nicht, was ich getan –« –»Ich hörte von einem großen Fest, das Sie in Vaux geben wollen.« – Fouquet lächelte wie ein Kranker bei dem ersten Schauer eines vergessenen und wiederkehrenden Fiebers. – »Und zu diesem Fest haben Sie mich noch nicht eingeladen,« setzte Ludwig hinzu.

»Sire,« antwortete der Minister, »ich hatte gar nicht mehr an dieses Fest gedacht. Auch konnte ich ja nicht hoffen, daß Eure Majestät geruhen würde, aus Ihrer erhabenen Sphäre herabzusteigen und mein Haus mit Ihrer Königlichen Gegenwart zu beehren. Ich erwähnte deshalb das Fest nicht, weil noch gar nichts entschieden war und ich von Eurer Majestät eine ablehnende Antwort fürchtete. Und dennoch hegte ich den lebhaften Wunsch –«

»Daß Ihre Einladung huldreich aufgenommen würde, nicht wahr?« antwortete Ludwig. »Verständigen wir uns! Sie wünschen mich einzuladen, ich wünsche eingeladen zu werden. Laden Sie mich also ein, und ich werde erscheinen.« – »Wie? Majestät geruhen, meine Einladung anzunehmen?« stammelte der Minister. – »Ich glaube sogar noch mehr zu tun,« versetzte der König lachend, »mich dünkt, ich lade mich selbst ein.« – »Innigsten Dank, mein König,« antwortete Fouquet mit einer tiefen Verneigung, scheinbar frohlockend über diese Huld, die nach seiner Meinung doch sein Tod war. »Sie machen mich zum glücklichsten Menschen der Welt. Geruhen Majestät den Tag zu bestimmen.« – »Heute über einen Monat. Und bis dahin wünsche ich Sie recht viel um mich zu sehen.« – »Sire, ich habe die Ehre, heute an Ihrer Spazierfahrt teilzunehmen.« – »Schon, Herr Fouquet. Dort kommen bereits die Damen.«

Der König eilte mit von liebendem Verlangen beflügeltem Schritt hinaus.

Die Wagen fuhren vor, die Reitpferde stampften auf dem Pflaster des Schloßhofes. Der König ging hinunter und begrüßte seine Gattin, die eben mit Madame in einen Wagen stieg. Sein Gruß fiel ein wenig zerstreut aus, denn er erblickte die Lavallière, die mit drei anderen Ehrenfräulein in einer Kalesche Platz nahm. Die Königin befahl den Vorreitern die Richtung nach Apremont einzuschlagen. Der König schwang sich in den Sattel und blieb ein Weilchen neben dem Wagen der Prinzessinnen.

Die Hitze war drückend, das Wetter sah noch immer drohend aus, aber da der König daran keinen Anstoß nahm, so wagte niemand, eine Befürchtung zu äußern. Madame war in guter Stimmung; denn sie fühlte, daß der König nicht seiner Gattin wegen neben ihrem Wagen ritt. Sie glaubte daher, ihn durch ihr Manöver vom verflossenen Abend wieder an sich gefesselt zu haben. Allein schon nach einer Viertelstunde empfahl sich der König mit einer anmutigen Verneigung, hielt das Pferd an und ließ die Wagen und Reiter an sich vorbeidefilieren. Erst als der Wagen der Lavallière vorüberkam, ritt er weiter. Er begrüßte die Damen und hielt sich an ihrer Seite, als plötzlich die ganze Wagenreihe halt machte. Der König fragte nach der Ursache und erfuhr, Madame habe Halt befohlen; sie wünsche zu Fuß weiterzugehen. Wahrscheinlich hoffte Madame, der König würde es verschmähen, zu Fuße neben den Ehrendamen herzugehen.

Man befand sich mitten im Walde, an einem Kreuzungspunkte, von dem drei schöne schattige Alleen abzweigten. Maria-Theresia verließ den Wagen und gab damit für alle andern das Zeichen auszusteigen. Sie nahm den Arm ihrer Ehrendame, warf einen verdrießlichen Seitenblick auf den König und schlug einen Seitenweg ein, der zu beiden Seiten von dichtem Laub eingefaßt war. Nach der Königin stieg Madame aus und sah alsbald den Grafen von Guiche am Wagenschlag, der sich verneigte und ihr den Arm anbot. Monsieur hatte es vorgezogen, ins Bad zu gehen, und, in der festen Ueberzeugung, keinen Grund zur Eifersucht zu haben, Herrn von Guiche beurlaubt.

Es fanden sich noch mehrere Gruppen von Herren und Damen zusammen, die sich nun rings über die lauschigen Wege des Parks verstreuten. Der König war an der Seite der Lavallière geblieben. Als der Kutschenschlag geöffnet wurde, stieg er vom Pferde und bot Luise die Hand. Die Montalais und die Tonnay-Charente entfernten sich sofort mit einer tiefen Verbeugung und begnügten sich mit der Gesellschaft der Herren Malicorne und Saint-Aignan.

Das Gewitter kam näher; doch da der König es nicht sah, glaubte niemand das Recht zu haben, es zu sehen. Ludwig reichte der Lavallière den Arm und zog sie auf einem der Waldwege mit sich fort. Da er sah, daß der größte Teil der Gesellschaft Miene machte, ihm zu folgen, so schlug er ohne Zaudern einen schmalen Seitenpfad ein, wo ihm niemand mehr das Geleit zu geben wagte.

Nicht weit von diesem Paar schritten zwei Männer durch den Wald. Sie schienen sich ebenfalls um das drohende Gewitter nicht zu kümmern, denn sie waren in ein offenbar sehr angelegentliches Gespräch vertieft. Plötzlich zuckte ein Blitz durch die Luft, und der Donner rollte dumpf über den Wald hin. »Das Gewitter ist da, lieber d’Herblay!« rief der eine der beiden Männer. »Wollen wir zu den Kutschen zurückeilen?« – Aramis blickte umher. »O, es wird nicht so schlimm werden. Herr Oberintendant,« sagte er, »ich weiß eine Grotte in der Nähe, die uns Schutz gewährt. Folgen Sie mir.«

Fouquet eilte hinter ihm her. Dicke Tropfen fielen schon raschelnd in das Laub. – »Sie haben den König vor der Abfahrt noch gesprochen?« fragte der Bischof. »Wie fanden Sie ihn?« – »Sehr huldvoll. Er hat sich zu meinem Feste eingeladen, mit einer Dringlichkeit, in der ich Colberts Werk erkannt habe. Es soll in einem Monat stattfinden. Es wird mich mehrere Millionen kosten.« – »Sagen wir neun,« antwortete d’Herblay. »Sechs versprach ich Ihnen – drei können Sie selbst beschaffen.« – »Ich verstehe Sie nicht,« erwiderte der Oberintendant, »vor einigen Tagen noch konnten Sie nicht einmal die 50.000 Livres an Baisemeaux aus Ihrer Tasche bezahlen, und jetzt bieten Sie mir sechs Millionen.«

»Weil ich vor einigen Tagen so arm war wie Hiob, jetzt aber reicher bin als der König.« – »Ich weiß, Sie werden Ihr Wort halten und Ihr Geheimnis nicht brechen,« versetzte der Minister, »reden wir also nicht mehr davon.«

In diesem Augenblick geschah ein heftiger Donnerschlag. – »Ich sagte es ja,« rief Fouquet, »zurück zu den Kutschen!« – »Dazu ist es zu spät,« antwortete Aramis. »Mit wenigen Schritten sind wir bei der Grotte.« – Eine Regenflut prasselte auf das Laubdach des Waldes herab, und rasch begannen die Tropfen durchzusickern. »Hier ist die Grotte,« sagte der Bischof. »Doch still, ich höre Stimmen.« – »Nur hinein in den Schlupfwinkel, sagte Fouquet, bückte sich und trat in die kleine Steinhöhle, die, halb verborgen, im Gesträuch sich öffnete, »wer zuerst kommt, hat das Anrecht.«

»Wahrhaftig,« murmelte Aramis, »dort kommt ein Herr und eine Dame – aber sie wissen nichts von dem Vorhandensein unserer Grotte, denn der Herr späht nur nach einem dichten Baum aus. Meiner Treu, Herr Fouquet, es ist der König mit Fräulein von Lavallière.«

»Verstecken Sie sich,« flüsterte der Minister, »vielleicht fügt es der Zufall, daß sie in unserer Nähe stehenbleiben. Es wäre immerhin interessant zu hören, was Seine Majestät der kleinen Luise zu sagen hat.«

In der Tat machte Ludwig unter einer dicken, breitästigen Eiche unmittelbar neben der Grotte halt, in der Fouquet und Aramis Schutz gesucht hatten. Er hielt den Arm der Lavallière unter dem seinigen und beschützte sie mit seinem breiten Hute, obwohl große Tropfen sein Haar benetzten. – »Mein Fräulein,« sagte er, »ich bedaure aufrichtig, Sie von der Gesellschaft fortgeführt zu haben. Sie sind bereits durchnäßt. Ist Ihnen kalt? Sie zittern –« – »Aus Furcht, Sire, meine Abwesenheit könnte übel gedeutet werden.« – »Ich würde Ihnen den Vorschlag machen, zu den Kutschen zurückzukehren, doch urteilen Sie selbst; ob es in diesem Augenblick möglich ist, auch nur einen Schritt zu tun. Und wie sollte man es zu Ihrem Nachteil auslegen, daß Sie bei mir sind? Bin ich nicht der König von Frankreich und der erste Kavalier des Reiches?« – »Gewiß, Sire,« sagte die Lavallière, »und es ist eine große Ehre für mich. Ich fürchte auch nicht um meinetwillen die üble Nachrede, sondern nur Ihretwillen –« – »Ich verstehe Sie nicht,« sagte der König lächelnd. – »Haben denn Majestät schon vergessen, was sich gestern bei Madame ereignet hat?« – »O, erinnern Sie mich nicht daran! Doch ja, erinnern Sie mich, denn dies war die Ursache, weshalb Sie mir schrieben, und für diesen Brief danke ich Ihnen immer wieder.«

Die Lavallière lächelte. – »O, Sire,« sagte sie dann, »es regnet in Strömen, und Sie stehen entblößten Hauptes da.« – »Sprechen wir doch nur von Ihnen, mein Fräulein,« entgegnete Ludwig. – »O, ich bin ein Mädchen vom Lande und an jedes Wetter gewöhnt,« versetzte Luise, »auch kann es meinen Kleidern, wie Majestät sehen, nicht viel Schaden zufügen.« – »In der Tat, Fräulein, ich habe schon bemerkt, daß Sie alles Ihrer Person, nicht Ihren Toiletten verdanken. Sie sind gar nicht kokett, und das gefällt mir vor allem an Ihnen.« – »Ich bin nicht reich,« antwortete Luise offenherzig. – »Also lieben Sie doch das Schöne?« fragte Ludwig. – »Ich finde nur das Erreichbare schön,« antwortete sie. »Alles, was für mich zu hoch ist –«

»Nichts soll für Sie zu hoch sein,« sagte der König. »Ich werde dafür sorgen, daß Sie an meinem Hofe eine Ihnen gebührende Stellung einnehmen.« – »O, Sire, lassen Sie doch alles wie es ist,« antwortete die Lavallière. »Meine Wünsche waren erfüllt, als mir die Ehre zuteil wurde, in der Hofhaltung Ihrer Königlichen Hoheit der Herzogin von Orléans aufgenommen zu werden. Lasten Sie mich in meiner Mittelmäßigkeit! Nehmen Sie nicht meinen Gefühlen das freudige Bewußtsein der Uneigennützigkeit!« – »Welche herrliche, edle Sprache!« rief der König.

»Das ist wahr,« flüsterte Aramis dem Oberintendanten zu, »er ist nicht daran gewöhnt.« – »Es ist oft eine schlaue Berechnung, sich vor einem König uneigennützig zu zeigen,« meinte Fouquet. – »Das dachte ich eben auch,« sagte Aramis. »Wollen Sie nicht uneigennützig sein und dem König Ihren Platz anbieten?« – »Ich will im Gegenteil weiter zuhören,« antwortete der Minister.

Luise seufzte tief. – »Fräulein, so schwere Gedanken? Was kann Sie betrüben,« fragte der König, »da Sie doch unter meinem Schutze stehen?« – »Ich will es Ihnen sagen, Majestät,« sagte sie, ihre schönen blauen Augen zu ihm aufschlagend. »Sie gehören nicht sich selbst, Sie sind vermählt, Sire; jedes Gefühl, das Eure Majestät mir schenken, entziehen Sie der Königin, die Sie mit leicht begreiflicher Innigkeit liebt. Da sie das Glück gehabt hat, einen solchen Gemahl zu gewinnen, so bittet sie den Himmel mit Tränen, daß er nur ihr gehören möge. O, es wäre ein großes Unrecht, der Königin Ursache zur Eifersucht zu geben – verzeihen Sie mir dieses Wort, Majestät. Mein Gott, ich weiß, es ist unmöglich oder sollte es doch sein, daß die größte Königin der Welt auf ein armes Mädchen, wie ich bin, eifersüchtig wäre. Aber die Königin hat das Herz einer Frau, und böse Zungen können ihr Argwohn zutragen. Sire denken Sie an die Königin, nicht an mich!«

»Mein Fräulein, Sie verwandeln durch diese Worte meine Achtung in Bewunderung!« rief der König. – »Majestät legen in meine Worte einen Sinn, der nicht darin ist. Sie halten mich für besser, als ich bin. Sie machen mich größer, als Gott mich gemacht hat. Erbarmen Sie sich, Sire! Wenn ich den König nicht für den edelherzigsten Mann hielte, so würde ich glauben, er treibe Spott mit mir, daß er so zu mir spricht.« – »Ich bin ein unglücklicher Fürst,« sagte der König in aufrichtiger Betrübnis, »ich habe nicht einmal die Macht, die Person, die mir das Teuerste auf Erden ist, die mit ihrem Zweifel mir das Herz bricht, von der Wahrheit meiner Worte zu überzeugen.«

»Sire,« sagte Luise, den König sanft von sich wehrend, »ich glaube, der Regen läßt nach, das Gewitter hat sich verzogen. Noch einmal, Sire,« setzte sie hinzu und bewog Ludwig durch einen Druck der Hand, mit ihr fortzugehen, »bedenken Sie, welchen Unannehmlichkeiten Sie sich meinetwegen aussetzen wollen! Man sucht Sie jetzt schon. Die Königin wird besorgt sein – und Madame!« Und sie verstummte, als sei es vor Furcht.

Der König stutzte. »Was ist es mit Madame?« fragte er. – Luisens sonst schüchtern ausweichender Blick begegnete dem des Königs. – »Madame ist ebenfalls eifersüchtig,« stammelte sie. – »Madame hat kein Recht zur Eifersucht,« versetzte der König. »Sie ist ja sozusagen eine Schwester von mir.« – »Sire, es geziemt sich nicht für mich,« erwiderte Luise, »in die Geheimnisse Ihres Herzens zu dringen.« – »Wie? Sie glauben also auch –?« rief der König. – »Ich glaube, daß Madame eifersüchtig ist, ja,« antwortete die Lavallière. – »Hat Madame Sie das fühlen lassen?« rief Ludwig. »Hat Madame Sie vielleicht durch die Ihnen erwiesene Behandlung –« – »Keineswegs, ich bin ja viel zu unbedeutend,« erwiderte Luise. »Doch, man kommt, Sire – es regnet nicht mehr.«

»Was liegt daran, mein Fräulein?« rief Ludwig. »Mag kommen, wer will! Wer darf es wagen, daran Anstoß zu nehmen, daß ich dem Fräulein von Lavallière Gesellschaft geleistet habe? Ich habe, indem ich Sie schützte, nur meine Pflicht als Kavalier getan. Wehe dem, der die seinige vergessen hat und an dem Verhalten des Königs Kritik üben will!«

Man sah in der Tat einige neugierige Köpfe in der Allee erscheinen. Der junge König und das Fräulein von Lavallière wurden bemerkt, die Höflinge nahmen den Hut ab, zum Zeichen, daß sie den König erkannt hatten. Ludwig kehrte sich nicht daran, sondern führte Luise mitten durch die Schar der Herren und Damen zum Wagen zurück. Er hielt sogar, da noch immer einige Tropfen fielen, den Hut schützend über ihr Haupt, und alle sahen, daß sein eigenes Haar ganz naß geworden war. Die Königin und die Herzogin von Orléans bemerkten diese übertriebene Höflichkeit, und Madame vergaß darüber so sehr alle Etikette, daß sie ihre Schwägerin mit dem Ellbogen anstieß und flüsterte: »Sehen Sie doch nur!« – Die Königin schloß die Augen, legte die Hand über das Gesicht und verschwand rasch im Wagen. Madame stieg zu ihr.

Der König war neben dem Wagen der Ehrenfräulein stehengeblieben, bis die Lavallière Platz genommen hatte, dann schwang er sich aufs Pferd und ritt neben ihr her. – Jetzt erst verließen Fouquet und Aramis die Grotte. – »Sie liebt ihn leidenschaftlich,« sagte der Bischof, »und was noch schlimmer ist, er liebt sie. Sicherlich wird diese kleine Person den ersten Platz im Herzen des Königs einnehmen, und wir haben einen großen Fehler gemacht, Herr Fouquet!« – »Sie meinen den Liebesbrief, den ich an die Lavallière geschrieben habe?« antwortete der Minister. »Ich dachte auch daran« – »Sie müssen ihn um jeden Preis zurückholen,« sagte d’Herblay.– Fouquet nickte. Er war zu lange Zeit an den Intrigen des Hofes beteiligt gewesen, um die Gefahr geringzuschätzen, in die ihn ein indiskreter Gebrauch dieses Briefes, seit der König um die Liebe der Lavallière warb, stürzen konnte. Sobald die Gesellschaft in den Palast zurückgekehrt war, suchte Fouquet daher um eine Unterredung mit Fräulein von Lavallière nach und wurde von ihr mit jener Unbeholfenheit empfangen, die sie als Provinzdame noch nicht völlig abgelegt hatte. Sie war noch zu sehr Neuling im Hofleben, und der plötzliche Glanz der königlichen Gunst verwirrte sie vollends. Fouquet wußte als durchgebildeter Menschenkenner und vollendeter Kavalier den rechten Ton zu treffen, stellte sehr geschickt seine Fragen und erfuhr auf diese Weise, ohne sich selbst eine Blöße zu geben, daß die Lavallière den von ihm geschriebenen Brief gar nicht erhalten hatte. Das war zunächst beruhigend für ihn, aber die Frage, wohin der Brief geraten sei, drängte sich doch dazwischen und stimmte den Minister sehr bedenklich. Nach Hause gekommen, teilte er Aramis das Ergebnis der Unterredung mit. D’Herblay machte ein saures Gesicht und mochte nicht recht an die Ehrlichkeit der Lavallière glauben. Man ließ den Diener kommen, dem der Brief zur Bestellung übergeben worden war. Der Diener, ein Mann mit schlau blinzelnden Augen, dünnen Lippen und gekrümmtem Rücken, beteuerte, den Brief, wie ihm befohlen, im Zimmer der Lavallière an einer bestimmten Stelle niedergelegt zu haben, und erklärte, es wäre nur die eine Möglichkeit vorhanden, daß das Fräulein ihn bis jetzt dort noch nicht gefunden hätte. Er machte sich anheischig, ihn zurückzubringen, und Fouquet, der fest an die Treue des Alten glaubte, schickte ihn fort. Man wollte ja auch jedes Aufsehen vermeiden und der ganzen Angelegenheit nach außen hin keine große Wichtigkeit beilegen. Fouquet und Aramis warteten, aber der Diener kam nicht wieder. Als sie nach ihm forschten, stellte es sich heraus, daß er entflohen war.

»Nun denn, das Unglück ist geschehen,« sagte Aramis, »warten wir ab, was daraus wird. Wir haben immer noch Mittel genug, uns zu verteidigen. Das Fatalste ist, der Brief war nicht datiert.« – »Vor allen Dingen müssen wir den verräterischen Diener wiederfinden,« sagte Fouquet. – »O, den werden Sie nicht wiederfinden,« antwortete der Bischof. »Wenn er Ihnen wert war, so legen Sie nur Trauer um ihn an.«

7. Kapitel. Die neue Gottheit des Hofes

Anna von Oesterreich war seit einigen Tagen leidend und sank vom Höhepunkt ihrer Schönheit herab mit jener Schnelligkeit, mit der bei allen Frauen, die ein stürmisches Leben hinter sich haben, die weiblichen Reize verblassen. Die bedenklichen Aeußerungen des Arztes waren ihr weit weniger schmerzlich als die unerbittliche Kälte der Höflinge, die sich von ihr zurückzuziehen begannen, gleich den Ratten, die das im Sturme leck gewordene Schiff verlassen. Auch der König vernachlässigte sie jetzt; früher war er alle Morgen eine volle Stunde bei ihr gewesen; dann hatte er sein Bleiben auf eine halbe Stunde beschränkt, und jetzt fing er an, die Besuche allmählich ganz fallen zu lassen. Man sah sich in der Messe oder bei der Prinzessin, in deren Salon seit einiger Zeit die größten Réunions stattfanden. Anna hatte versucht, diese Gesellschaften in ihre Gemächer zu verlegen, aber sie mußte vor der jungen Herzogin die Waffen strecken. Nun machte sie verzweifelte Anstrengungen, sich auf der Höhe zu erhalten, und sie benutzte eine Zeitlang die Königin als Vermittlerin, allein die stets betrübte Gemahlin Ludwigs, die sich verlassen wie eine Witwe fühlte, hatte keine Energie zu einem Kampfe mit den höfischen Intrigen. Die Königin-Mutter mußte auf andere Mittel sinnen. Sie hatte in ihrem Leben viele Ränke gesponnen, zumal in jener Zeit, wo sie eine Freundin hatte, die fast noch ungestümer, noch feuriger war als sie. Diese Freundin war dann verbannt worden, und nun hatte sie sich jahrelang mit Frau von Motteville oder mit der Molena, ihrer spanischen Amme, begnügen müssen. Aber keine von beiden hatte ihr auch nur im entferntesten jene Freundin ersetzen können, Madame von Chevreuse, die Meisterin der Intrige. Und wenn sie jetzt an diese geistvolle Frau dachte, die nie um das rechte Mittel verlegen war, dann schien es, als wenn sie vor ihr stände und ihr mit ihrem charakteristischen feinen Lächeln einen Rat erteilte: »Alle diese Leute am Hofe brauchen Geld, um ihre Genußsucht zu befriedigen. Nur mit Geld können Sie sie an sich fesseln.« – Und Anna von Oesterreich handelte dementsprechend; sie verteilte Geschenke an die Personen, deren Einfluß sie sich sichern wollte, sie hatte die schönsten Juwelen von ganz Frankreich, und namentlich ihre Perlen waren so groß, daß sie dem König, sobald er sie sah, einen Seufzer entlockten, weil, mit ihnen verglichen, die Perlen seiner Krone nur Hirsekörner waren. Diese Schmucksachen machte nun Anna von Oesterreich zum Gegenstand von Lotterien, die in ihren Salons ausgespielt wurden, und es gelang ihr auch, sich auf diese Weise einen großen Kreis von Getreuen zu verschaffen und vor allem die Freundschaft Madames zu erringen, die an diesen vorzeitigen Erbschaften Geschmack fand.

Eines Abends bildeten zwei kostbare Armbänder den Gegenstand der Verlosung. Diese Schmucksachen waren weniger durch die darin verarbeiteten Juwelen, als vielmehr durch die antike Arbeit selbst wertvoll, denn es waren einzigartige Kabinettstücke einer vor mehreren Jahrhunderten üblichen Kunst und als Rarität von ganz unschätzbarer Kostbarkeit. Die Liste der zur Lotterie zugelassenen Personen war nach der strengsten Etikette aufgesetzt worden und wurde, als nach Erscheinen des Königs die Gesellschaft vollzählig war, unter großer Spannung verlesen. Es waren dreihundert Gäste bei der Königin-Witwe, und jedermann fragte sich, ob er mit zu den Bevorzugten gehören werde. Als die Verlesung beendet war, wandte Madame sich an Anna von Oesterreich.

»Wie?« flüsterte sie, »die neue Gottheit des Hofs, die kleine Lavallière, haben Sie ausgelassen? Das ist schade. Wenn sie das Glück gehabt hätte, die Armbänder zu gewinnen, so hätte sie sie versteigern und aus dem Erlös eine Aussteuer kaufen können, denn sie darf noch nicht heiraten, weil sie ihrem Gemahl keine Morgengabe mitbringen kann.« – »Die Arme!« entgegnete Anna von Oesterreich, »hat sie denn keine Kleider?« – »Ich glaube nicht,« versetzte Lady Henriette. »Wenigstens hat sie jetzt dasselbe Kleid an wie heute morgen auf der Promenade, wo es nur dank der Sorgfalt des Königs, der sie vor dem Regen schützte, sauber geblieben ist.«

Man sah den König vor Unwillen erröten, als er erkannte, daß die Lavallière von der Teilnahme am Spiel ausgeschlossen worden war. Luise bekundete weder durch eine Bewegung noch durch den Ausdruck ihres Gesichts, daß sie sich verletzt fühlte. Sie fühlte jedoch freudige Bewegung, als sie den Blick des Königs mit unverhohlener Innigkeit auf sich gerichtet sah. Unter den Vergessenen befanden sich auch die Montalais und Herr Malicorne, die sich gegenseitig über ihr Mißgeschick zu trösten suchten.

Nun wurden die Lose verteilt; der König bekam das seine zuerst, dann die Königin, dann die Königin-Mutter, Monsieur, Madame und nach der königlichen Familie die Herren und Damen vom Adel gemäß der Abkunft und Rangabstufung. Die Königin-Witwe öffnete darauf einen Lederbeutel, in welchem sich zweihundert Kugeln aus Perlmutter mit eingravierten Ziffern befanden, und die Verlosung begann. Die Gewinnnummer fiel auf den König. Die ganze Gesellschaft bejubelte dieses erfreuliche Ergebnis, wenngleich sich niemand des Eindrucks erwehrte, daß die ganze Sache von vornherein abgekartet gewesen sei. Das war auch wirklich der Fall; Anna von Oesterreich rechnete darauf, daß der König die Armbänder Madame schenken werde; sie hoffte sich auf diese Weise die dauernde Gunst sowohl ihres Sohnes als ihrer Schwägerin zu sichern. Mitten unter den beglückwünschenden Zurufen der Versammlung nahm der König die Armbänder in Empfang.

»Sie sind also sehr wertvoll, diese Dingerchen?« fragte er, sie betrachtend. – »Sehen Sie sich nur einmal die Diamanten an,« erwiderte Anna von Oesterreich.– »Eine Schönheit für Kenner,« sagte der König. »In der Tat, die Arbeit dieser Kameen ist wundervoll. Ich habe noch nie so meisterhafte Ziselierung gesehen.« – Er reichte den Schmuck der Königin hin, doch mit einer Gebärde, daß niemand daran zweifeln konnte, er wünsche ihn nicht seiner Gattin zum Geschenk zu machen. Aber da Maria-Theresia zu erkennen glaubte, daß er auch nicht im Sinne habe, ihn Madame zu schenken, so war sie zufrieden, warf nur einen flüchtigen Blick darauf und gab ihn an Monsieur weiter. Der Herzog von Orléans musterte die Kostbarkeiten lange mit lüsternem Blick und reichte sie seufzend seiner Gemahlin. Madame sagte nur ein einziges Wort, das aber aus ihrem Munde mehr besagte als eine lange Lobrede: »Prachtvoll!« Dann reichte sie die Armbänder der ihr zunächst sitzenden Dame, und nun machten sie die Runde durch die ganze Reihe der Versammelten. Unterdessen sprach der König ununterbrochen und ganz ruhig mit den Herren Fouquet und von Guiche, aber man sah, er war zerstreut und behielt den wandernden Schmuck scharf im Auge.

Das Fräulein von Tonnay-Charente war die letzte auf der Liste der Lotterie-Teilnehmer gewesen, und sie gab jetzt die Armbänder an die erste derjenigen, die nicht für würdig erachtet worden: an Fräulein Aure von Montalais, die ihrerseits sie an die Lavallière weiterreichte. Die Gesellschaft schien der Meinung, als würde dem Geschmeide durch die unscheinbaren Hände, die es jetzt betasteten, aller Wert genommen. – »Du siehst diese wundervollen Armbänder so gleichgültig an, Luise,« sagte Fräulein von Montalais. »Begeistern sie dich nicht?« – »O, doch,« antwortete Luise, »aber warum etwas wünschen, was mir nie gehören kann?« – Und sie streckte die Hand aus, um die Armbänder weiterzugeben.

In diesem Augenblick erklang die Stimme des Königs: »Halt! Die Armbänder bleiben, wo sie jetzt sind.« Dabei stand er auf und ging auf die Lavallière zu. »Fräulein,« sprach er, »Sie sind im Irrtum; als Dame haben Sie ebensoviel Anspruch wie jede andere auf Damengeschmeide. Die Armbänder gehören Ihnen. Der König bittet Sie, das Kleinod nicht zu verschmähen.« – Die Lavallière erschrak heftig und wollte dem König das Kästchen in die Hand drücken, aber Ludwig XIV. wehrte lächelnd ab.

Eine tiefe Stille, ein Todesschweigen lag über der Versammlung; alle waren starr vor Erstaunen. Madame biß sich so heftig auf die Lippe, daß das Blut hervorsickerte. Die junge Königin sah von Madame zu Luise und fing zuletzt zu lachen an. Anna von Oesterreich starrte fassungslos den König an, der ihre kluge Rechnung so unbedacht vereitelte.

10. Kapitel. Ein gefährlicher Nebenbuhler

Anna von Oesterreich hatte recht: das Erscheinen des Königs bei Madame gab den Dingen nach allem, was vorgefallen war, einen feierlichen Zug. Es war im Jahre 1662 keine Kleinigkeit, wenn Monsieur über Madame Klage führte und der König sich in Privatangelegenheiten seines Bruders mischte. Daher sah man denn auch plötzlich die Höflinge ganz auffällig sich von Guiche fern halten, und der Graf, ebenfalls von Schrecken erfaßt, begab sich schleunigst in seine Wohnung.

Der König trat bei der jungen Herzogin mit freundlichem Gruß ein. Die Ehrendamen verneigten sich fast bis zur Erde. Der König sah sich um und musterte mit einem raschen Blick die ganze Reihe von errötenden Schönheiten, die am Eingang zu den Gemächern Spalier bildeten. Er begab sich in das Innenkabinett, wo seine Schwägerin in halb liegender Stellung auf weichen Kissen ruhte. Sie stand auf, machte eine Verbeugung und dankte mit ein paar befangenen Worten für die Ehre dieses Besuches. Dann setzte sie sich wieder, von lieblicher Röte übergossen.

»Liebe Schwägerin,« begann Ludwig, »ich möchte fragen, zu welcher Zeit Ihnen heute abend die Ballettprobe genehm wäre.« – »Ah, Majestät,« antwortete die Prinzessin und schüttelte ihre Locken, »ich wollte mich eben bei Ihnen entschuldigen lassen, ich fühle mich nicht Wohl und werde nicht erscheinen.« – »Nicht wohl?« rief Ludwig. »Ei, so will ich die Aerzte rufen lassen.« – »Die vermögen nichts gegen meine Krankheit,« erwiderte Lady Henriette. »Mir tut nur eins not: ich muß nach England zurück.« – »Ist das Ihr Ernst?« versetzte der König betroffen. – »Ja. Es tut mir sehr leid, es sagen zu müssen; aber ich fühle mich am Hofe Eurer Majestät unglücklich. Ich will zu meiner Familie zurück. O, Sire,« rief sie aus, als sie sah, daß Ludwig sie unterbrechen wollte, »ich bin an Leiden gewöhnt. Schon in frühester Jugend bin ich schlecht behandelt und gedemütigt worden – sagen Sie nicht, das sei übertrieben! Aber damals konnte ich dem unglücklichen Geschick die Schuld geben. Doch jetzt befinde ich mich wieder auf den Stufen eines Thrones, mein Bruder ist wieder König, und durch die Verbindung mit einem französischen Prinzen glaubte ich noch einen Schritt höher zu steigen und auch mein Lebensglück zu finden. Aber ich habe nur einen Mann gefunden, der mich unterjochen, mich zur Sklavin herabdrücken will – und das empört mich. Nun kommen Sie zu mir, Sire! Doch sicher nicht, mich zur Balletprobe einzuladen. Sie wissen alles, was geschehen ist, und wollen dem, was Ihr Bruder an mir getan hat, gar noch königlichen Nachdruck verleihen? O, Sire, ich bitte um die Erlaubnis, nach England zurückzukehren!«

Der König war durch diesen unerwarteten Angriff nicht nur in Verlegenheit gesetzt, sondern völlig entwaffnet. »O, Schwägerin!« rief er, kaum wissend, was er sagen sollte, »Sie nach England zurückzulassen, das ist ja ganz unmöglich. Bedenken Sie das doch! Was hat man Ihnen denn getan?« – Madame lächelte matt; sie wußte, daß sie gesiegt hatte; war doch der König gekommen, um zu fragen: »Was haben Sie meinem Bruder getan?« und nun fragte er statt dessen: »Was hat man Ihnen getan?«

»Was man mir getan hat?« versetzte sie. »Das kann nur eine Frau nachfühlen. Man hat mich weinen gemacht.« Und mit ihren schneeweißen Fingerchen deutete sie auf ihre Augen, die eben noch frohlockend gestrahlt hatten und jetzt sich schon wieder von Tränen trübten. – »Schwägerin, ich bitte Siel« rief der König, sprang hinzu und ergriff diese Hand, die sie ihm zitternd überließ. – »Was man mir getan hat?« fuhr Madame fort. »Zuerst hat man einen Freund meines Bruders, den Lord Buckingham, aus meiner Nähe verjagt – jawohl, verjagt, leugnen Sie es nicht! Er war ein Landsmann, er kannte mich, kannte meine Liebhabereien, wir haben so manche Fahrt zusammen auf den Gewässern von St. James gemacht.« – »Aber bedenken Sie doch, Madame, Villiers war in Sie verliebt!« wandte der König ein. »Was schadet das?« versetzte sie naiv. »Würden Sie zufrieden sein, wenn bloß ein Untertan Sie liebte?« – Sie lächelte dabei so zärtlich, daß dem König das Herz höher schlug. – »Und diesen Landsmann,« fuhr sie fort, »hat man vertrieben, man hat ihm die Tür gewiesen, wie einem schnöden Handelsmann, wie einem gemeinen Abenteurer. Das ist des galantesten Hofes nicht würdig.« »Schwägerin, ich bin daran nicht schuld,« beteuerte Ludwig. »Mir gefiel Buckingham sehr gut.« – »Ah, Sie sind nicht schuld daran?« rief Henriette. »Das freut mich! Nun weiß ich doch, auf wessen Betreiben es geschah. Ich glaubte nun Ruhe zu haben – doch nein, Monsieur findet einen neuen Vorwand.« – »Und an Buckinghams Stelle tritt ein anderer,« setzte der König scherzend hinzu. »Das ist ja auch ganz natürlich. Sie sind schön, Madame; man wird Sie immer lieben.«

»Gut, ich will eine Einöde um mich her schaffen,« versetzte sie. »Darauf allein ist es ja abgesehen. Doch nein, ich werde nach London zurückkehren, dort denkt man nicht so kleinlich; dort kann ich meine Freunde um mich versammeln, ohne daß sie gleich für Liebhaber gehalten werden. O pfui, wie schnöde! Ich hielt Monsieur für einen Kavalier, aber durch diese Verdächtigung hat er sehr in meinen Augen verloren. Er ist ein Tyrann!« – »O, nicht doch,« antwortete Ludwig. »Der einzige Fehler meines Bruders ist, er liebt Sie!« – »Er und mich lieben! Haha!« Sie lachte laut auf. »Monsieur wird nie ein Weib lieben. Er liebt nur sich selbst.«

»Nun, dann werden Sie aber doch zugeben, daß von Guiche Sie liebt,« sagte nun der König, der auf diesen Einwand der Prinzessin allerdings nichts zu erwidern wußte. – »Ist mir ganz neu,« versetzte sie. – »Aber das müssen Sie doch sehen; ein Verliebter verrät sich.« – »Von Guiche hat das bis jetzt noch nicht getan.« – »Schwägerin – Schwägerin, Sie verteidigen ihn noch!« »Ich? Ihn verteidigen? Das fehlte noch, daß auch Sie mich verdächtigen, Sie, der König!« rief sie aus.

»Nicht doch! Werden Sie nicht wieder traurig,« entgegnete Ludwig lebhaft. »Ich beschwöre Sie, bleiben Sie ruhig.« – Sie weinte schon wieder, große Tränen fielen auf ihre Hand, und diesmal beugte sich die Majestät herab und sog eine dieser flüssigen Perlen mit den Lippen auf. Sie sah ihn dabei so zärtlich an, daß ihm weich ums Herz wurde. »Sie fühlen also nichts für Herrn von Guiche?« fragte er in unruhigerem Tone, als sich für einen Vermittler geziemte. – »Nein, gar nichts.« – »Und ich kann meinen Bruder beruhigen?« – »Ihn? O, nichts wird ihn beruhigen. Er ist gar nicht eifersüchtig, man hat ihn nur aufgehetzt, und Monsieur ist von unruhigem Temperament.« – »Das kann man wohl sein, wenn Sie im Spiele sind,« antwortete der König und hielt noch immer ihre Hand.

Als Madame nach langer Pause endlich diese Hand langsam zurückzog, hielt sie darin die Palme des Sieges.

»Madame, ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen,« sagte der König. »Statt sich auf einen nicht recht schicklichen Umgang zu beschränken, statt uns durch Ihre Zurückgezogenheit zu beunruhigen, sollen Sie sich uns recht oft zeigen, sollen Sie täglich mit uns zusammen sein. Ich weiß, Graf Guiche ist ein liebenswürdiger Mensch, aber wenn wir auch nicht so geistreich sind wie er –« – »O, Sire,« unterbrach sie ihn, »Sie spielen den Bescheidenen.« – »Nein, selbst ein König kann einsehen, daß er sich hier und dort weniger Hoffnung machen darf zu gefallen, als mancher seiner Kavaliere.« – »Das glauben Sie selbst nicht,« rief sie dazwischen. – »Gleichviel! Sie sollen nicht die Zeit mit fremden Herren zubringen, sondern in unserer Gesellschaft. Sie sind die Sonne unsers Hofes. Alles Licht kommt von Ihnen.«

»Majestät,« antwortete Henriette ernst und setzte ihrem Triumph stolz die Krone auf, »ein Umstand nur läßt mich zweifeln, ein Umstand, den auch Sie nicht beseitigen können – die Erinnerung an das Vergangene.«

»Wie meinen Sie das? Ich verstehe Sie nicht recht,« entgegnete der König, der jedoch nur zu wohl verstanden hatte. – »Sire, ich habe das Unglück gehabt,« fuhr die Herzogin fort, »Ihnen so lange zu mißfallen, daß ich fast das Recht habe, mich heute zu fragen, wie Sie mich zur Schwägerin annehmen konnten.« – »Madame, unser Bündnis beginnt heute,« rief der König mit ungeheuchelter Wärme. »Lassen wir die Vergangenheit, wir haben es nur mit der Gegenwart zu tun. Und die Gegenwart sind Sie!« – »Es wird dennoch ein unzuverlässiges Bündnis,« wandte sie ein. – »Soll ich schwören?« rief der König. – »O, einen ehrlichen Schwur weise ich nicht zurück,« antwortete sie, und der König kniete nieder und ergriff ihre Hand. Mit einem unbeschreiblich süßen Lächeln reichte sie ihm beide Hände, die Ludwig an die glühende Stirn drückte. Dann sprang er auf und eilte hinaus. Die Höflinge bemerkten, daß er rote Wangen hatte, und schlossen daraus, die Unterredung habe einen etwas stürmischen Verlauf genommen. Nur Herr von Lorraine sagte: »Meine Herren, wenn der König zornig ist, wird er blaß.«

Als Ludwig die junge Herzogin verließ, befand er sich in einer Aufregung, die er sich selbst nicht erklären konnte. Er stand mit einem Male ganz in ihrem Banne, bezaubert von ihrer Schönheit, von ihrer Anmut und von der koketten Geschmeidigkeit ihrer Worte. Dabei verhehlte er sich jedoch nicht, daß ihre Ehe mit seinem Bruder für ihn ein unübersteigliches Hindernis sei. Was die Prinzessin anbetrifft, so war sie als gefallsüchtige Natur, nachdem sie von Buckingham und von Guiche vergöttert worden war, ohne weiteres bereit, ihrem Ehrgeiz auf seinem erfolgreichen Wege zum höchsten Ziele freien Lauf zu lassen. Von dem immer noch streng denkenden englischen Lord zu dem skrupellosen französischen Grafen war schon ein Fortschritt gewesen. Hätte sie nun gegen die Bewunderung, die der König ihr zollte, unempfindlich bleiben sollen? War doch Ludwig XIV. nicht nur die erste Person seines Landes, sondern wirklich auch einer der schönsten, geistreichsten Männer seiner Zeit.

Der König zeigte seinem Bruder alsbald an, der Friede sei wiederhergestellt, Madame verdiene die aufrichtigste Hochachtung und Zuneigung und sei nur etwas stolz und leicht verletzlich, so daß man sie mit Schonung behandeln müsse. Das bedeutete für Philipp nichts weiter als eine Zurechtweisung. Man hatte also nicht ihm, sondern seiner Frau recht gegeben. Er antwortete dem König, daß nicht sie, sondern er sich beleidigt fühlen könne. – Der König versetzte in gereiztem Tone: »Madame ist, Gott sei Dank, über jeden Tadel erhaben.« – »Ueber den anderer, das gebe ich zu,« antwortete Orléans. »aber nicht über den meinigen.« – »Bruder,« sagte der König, dem eine innere Stimme zuflüsterte, daß Monsieur nicht ganz im Unrecht sei, »ich habe mich davon überzeugt, daß deine Klagen grundlos waren. Was sonst etwa noch in dieser Sache zu tun ist, das wird von mir aus geschehen.« – Diese Worte enthielten zugleich einen Befehl und einen Trost; Philipp fühlte das und ging.

Zur selben Zeit stattete Chevalier von Lorraine dem Grafen von Guiche einen Besuch ab. Er gab sich das Ansehen, als wolle er den Grafen über die Stimmung Monsieurs beruhigen. In Wahrheit befürchtete er, Guiche würde plötzlich abreisen, und wollte ihn nur zurückhalten, da er noch immer glaubte, das Renkontre vom Vormittag würde verhängnisvolle Folgen für Guiche haben, und natürlich verhindern wollte, daß der Graf sich ihnen entzöge. Von Guiche war nur zu sehr geneigt, den tröstlichen Worten des Chevaliers Glauben zu schenken, da sie seinen innersten Wünschen zuvorkamen. Abreisen zu müssen, wäre ja für ihn ein Stich ins Herz gewesen. – »Monsieur hat über die Dinerszene nur gelacht,« sprach Lorraine, »Majestät hat auch gelacht, und da Madame die einzige war, die nicht lachte, so ist Majestät zu ihr gegangen und hat ihr gut zugeredet. Am Programm des Tages wird nichts geändert, das ist der beste Beweis dafür, daß alles beim alten bleibt. Die Ballettprobe fällt nicht aus.«

»Wie? sie soll heute abend stattfinden?« rief der Graf. »Wissen Sie das gewiß? Sie raten mir also –? – »Ich rate Ihnen, ganz ruhig hier zu bleiben,« antwortete Lorraine. – In diesem Augenblick trat Rudolf ein. »Und ich,« rief er sogleich mit finsterer Miene, »rate Ihnen das Gegenteil. Werfen Sie sich aufs Pferd und reiten Sie auf Ihre Güter. Und dann können Sie den Rat des Chevaliers befolgen und ganz ruhig dort bleiben.« – »Aber warum sollte der Herr Graf abreisen?« fragte Lorraine, den Erstaunten spielend. – »Weil alle Welt bei Hofe von einem stürmischen Auftritt zwischen Monsieur und Herrn von Guiche spricht,« antwortete Rudolf. »Und weil ein solcher Auftritt schlimme Folgen haben kann. Ich weiß, Monsieur hat gedroht, und Madame hat geweint.« – »Madame hat geweint!« rief Guiche, die Hände faltend, – »Das ist das Neueste, was ich höre,« rief Lorraine. »Herr Vicomte, da sind Sie ja besser unterrichtet als ich.« – »Und deshalb eben gebe ich Herrn von Guiche den Rat abzureisen. Er muß fort. Um des Königs willen! Denn der König hat sich dieser Sache angenommen.«

»Bah, der König ist dem Herrn Grafen sehr zugetan,« wandte der Chevalier ein. »Und überdies würde eine Abreise einem Bekenntnis der Schuld gleichkommen.«

»Man kann auch reisen aus Verdruß, aus Kränkung,« entgegnete Bragelonne. »Und wenn wir beide versichern, daß wir alles getan haben, Herrn von Guiche zurückzuhalten – Sie wenigstens können das ja mit bestem Gewissen sagen – dann wird man uns glauben, daß Graf Guiche sich verletzt gefühlt habe, weil er sich unschuldig wisse und sich trotzdem aber eine Verantwortung nicht erlauben dürfe. Seine freiwillige Verbannung wird überdies nur von kurzer Dauer sein, er kann zurückkehren, wann er will, und wird dann allseitig freudiges Entgegenkommen finden. Eine üble Laune des Königs aber kann ein Ungewitter herbeiführen, für dessen Folgen niemand einstehen kann.«

»Lieber Freund,« beendete nun Guiche selbst den Streit, »es ist bei mir fest beschlossen: ich bleibe!« – »Dann wehe dir, Guiche!« antwortete Rudolf. »Ich habe meine Pflicht getan.« – »Rudolf, heute abend ist Ballettprobe–« – »Liegt dir daran so viel?« – »Das nicht! ich meine damit nur, ein Hof, an dem so flott getanzt wird, ist nicht zu inneren Kriegen gerüstet.« – »Ich habe nichts mehr zu sagen,« erwiderte Bragelonne achselzuckend.– »Sie glauben gut unterrichtet zu sein, Herr Vicomte,« sagte Lorraine, »aber wie wollen Sie es besser wissen als ich, der ich doch zu den vertrautesten Freunden Monsieurs gehöre?« – »Vor dieser Erklärung strecke ich das Gewehr,« antwortete Rudolf. »Sie müssen es besser wissen, das sehe ich ein. Und da ein Edelmann nichts anderes sagen kann, als was er weiß, und nicht anders sprechen kann, als wie er denkt, so erkläre ich mich für überwunden und räume Ihnen das Feld. Guiche, ob es nun gut oder böse abläuft, in jedem Falle dürfen Sie auf mich zählen. Adieu!«

Die Ballettprobe fand am Abend statt. Ludwig XIV. ließ die Herren und Damen, denen man Rollen bei der geplanten Tanzveranstaltung überwiesen hatte, in ihren verschiedenen Charakterkostümen Revue passieren. Monsieur allein hatte kein Kostüm angelegt. Er war noch in so verdrießlicher Stimmung, daß selbst eine Anprobe neuer kostbarer Gewänder an diesem Tage keinen Reiz für ihn hatte. Ludwig dagegen schien in bester Laune: er äußerte lachenden Mundes Beifall oder Tadel, lachenden Mundes machte er Glückliche und Unglückliche. Plötzlich fiel sein Blick auf den Grafen von Guiche, der in der Tracht eines Königs des Lenzes erschien. Ludwigs Lippen preßten sich zusammen – das Lachen verschwand, die heitere Stirn zog sich in Falten. – »Meine Herren und Damen!« rief er, sich abwendend. »Ich erhalte eben die Nachricht, daß zur Abreise nach Fontainebleau alles bereit ist. Morgen bricht der Hof auf. Sie alle sind eingeladen, mir zu folgen.« – Nach diesen Worten drehte er sich plötzlich um und trat einen Schritt auf Herrn von Guiche zu. – »Sieh da, Herr Graf,« rief er laut. »Ich hatte Sie noch nicht bemerkt. Es ist jetzt die Zeit der zweiten Aussaat. Ihre Pächter in der Normandie werden sich freuen, wenn Sie sich dort mal ein wenig um den Betrieb kümmern.« – Darauf wendete er dem Unglücklichen wieder den Rücken zu.

Von Guiche taumelte. Dann raffte er sich gewaltsam auf und trat auf den König zu. Hochaufgerichtet stand er vor ihm und begegnete stolz dem Blicke der Majestät. – »Habe ich recht verstanden?« stieß er hervor. – Ludwig sah über die Schulter mit jenem kalten, festen Ausdruck, der wie ein unbiegsames Schwert den in Ungnade Gefallenen ins Herz drang. »Ich sprach von Ihren Gütern,« wiederholte er langsam und scharf. – Dem Grafen trat der Schweiß auf die Stirn, der Hut entsank seinen zitternden Fingern. Er sah sich starren Auges um und erblickte Madame. Die Prinzessin plauderte lächelnd mit Frau von Noailles. Sie schien gar nichts gehört zu haben. Die Gesellschaft zerstreute sich – Guiche blieb allein zurück.

Als er über den Korridor schritt, trat Rudolf zu ihm. – »Nun, hatte ich recht?« fragte er. – »Du hattest recht,« stammelte der Graf tonlos. – »Und sie?« fragte Bragelonne. – »Sie! Sie!« rief der Unglückliche und hob die geballte Faust. »Sie lacht dazu!«

1. Kapitel. Noch immer eifersüchtig

Seit vier Tagen befand sich der königliche Hof in Fontainebleau. Die prachtvollen Gärten boten einen feenhaften Anblick, und namentlich in der Nacht verbreiteten die von Colbert unter großem Kostenaufwand geschaffenen Beleuchtungseffekte märchenhaften Glanz über den herrlichen Park. Fouquet hatte die vier Millionen abgeliefert, von denen nun Colbert dieses Fest bezahlte. Aber er bemerkte bald zu seinem Entsetzen, daß das Geld ebenso rasch verpuffte, wie die Feuerwerkskörper, die allabendlich abgebrannt wurden. Jeder der unglaublich farbenschönen Raketenregen kam auf 100 000 Livres zu stehen, jede Beleuchtung der Wasserkunst kostete 30 000, und die Kleider für die Waldgötter, die Nymphen und Dryaden, die in den Balletten auftraten, waren ebenfalls sehr teuer. Kurz und gut, Colbert bemerkte, daß trotz aller Sparsamkeit die Ebbe in seiner Kasse nahe bevorstand.

Madame war die Königin aller Feste. Sie empfing mit unnachahmlicher Anmut die verschiedenen Deputationen von Abgesandten fremdartiger oder längst ausgestorbener Völkerschaften: die Skythen, die Hyperboräer, die Kaukasier und Patagonier. Sie war die Diana jeder einzelnen Jagd und fand an jedem Tage Gelegenheit, ihren Witz und ihre Unerschöpflichkeit an entzückenden Gedanken zu zeigen. Sie nahm die Huldigungen in Empfang, die ihr von allen Seiten dargebracht wurden, und man verglich den König mit dem Sonnengott und sie mit Phoebe. Von Monsieur war bei allem gar nicht die Rede, ganz als ob der König nicht mit Maria-Theresia von Spanien, sondern mit Lady Henriette von England vermählt gewesen sei.

Das freudetrunkene Paar drückte sich verstohlen die Hände und genoß in langen Zügen den durch Jugend, Schönheit, Macht und Liebe versüßten Trank des Glücks. Niemand konnte mehr im Zweifel darüber sein, daß Madame die erste Dame des Hofes geworden war. Man nannte sie ganz leise die Königin. Das hatte zur Folge, daß Monsieur, statt die zweite Person des Reiches zu sein, auf den dritten Platz gedrängt worden war. Und er mußte erkennen, daß es nach der Verbannung seines zweiten Feindes, des Grafen von Guiche, abermals schlimmer geworden war. Dem Grafen hatte er wenigstens Furcht einjagen können – jetzt aber stand ihm der König selbst im Wege. Und was konnte er gegen diesen tun? Ueberdies kam Madame an jedem Abend völlig erschöpft von den vielen Lustbarkeiten des Tages in ihre Gemächer und war für ihn auch dann nicht mehr zu sprechen.

Eines Tages war Monsieur spät aufgestanden, kleidete sich sehr sorgfältig an und nahm sich vor, mit Madame und seinem Hofstaat nach Moret zu fahren, um dort zu soupieren. Er begab sich in den Pavillon seiner Gemahlin und entdeckte zu seiner Verwunderung, daß die gesamte Dienerschaft verschwunden war. Nur eine Näherin fand er, die ihm berichtete, Madame sei mit allem Gefolge ins Bad gefahren. – »Das ist eine gute Idee,« dachte Monsieur. »Es ist eine drückende Hitze, ich will auch ein Bad nehmen.« – Aber als er nun ein Pferd verlangte, erfuhr er, daß weder Pferde noch Stallknechte da seien; es war alles ausgeflogen.

In höchst verdrießlicher Stimmung machte er sich – Muttersöhnchen, das er war – abermals auf den Weg zur Frau Mama. Im Begriff einzutreten, sah er, daß Ludwigs Gattin, Maria-Theresia von Spanien, bei Anna von Oesterreich war. Monsieur, der bereits die Portiere in die Höhe gehoben hatte, trat leise zurück und wollte nun mit anhören, was die beiden Frauen sprachen. Aber leider führten sie ihre Unterhaltung in spanischer Sprache, und der Prinz konnte nur aus dem Tonfall der Worte entnehmen, daß die junge Königin sich beklagte. Auch hörte er sie weinen. Er zweifelte nicht daran, daß sie Beschwerde über den König führte, der nur auf Vergnügungen bedacht war, an denen sie keinen Teil hatte.

Anna von Oesterreich tröstete ihre Schwiegertochter, doch schien diese sich nicht trösten zu lassen. Monsieur hörte, daß sie sich zum Gehen anschickte, und da er sich nicht beim Horchen überraschen lassen wollte, so trat er jetzt ein. Bei seinem Anblick trocknete die junge Königin sich rasch die Augen und setzte eine gleichgültige Miene auf. Monsieur bewahrte trotz aller Verstimmung den Takt des Hofmannes und belästigte die Damen nicht durch Fragen nach der Ursache ihrer Betrübnis.

»Verzeihung,« begann er, »ich glaubte, Madame hier zu finden.« – »Madame ist im Bade,« antwortete Anna von Oesterreich. – »Und der König?« fragte Monsieur in einem Tone, bei dem seine Mutter unwillkürlich erbebte. – »Ist auch im Bade,« sagte Maria-Theresia, »mitsamt dem ganzen Hofe.« – »Außer Ihnen, Majestät,« sagte Philipp. – »O, ich bin ein Schrecken für alle, die sich vergnügen,« murmelte die Infantin von Spanien. – »Ich scheinbar auch,« ergänzte Orléans.

Anna von Oesterreich gab ihrer Schwiegertochter einen Wink, und die Königin zog sich zurück. »Nun, was gibt es denn wieder?« wandte sie sich an ihren Sohn. – »Wissen Sie es nicht schon von meiner Schwägerin?« versetzte der Herzog. »Sie hat Ihnen doch eben ihr Leid geklagt.« – »Mein Gott, sie ist kindisch eifersüchtig,« antwortete Anna. – »Ich auch, Frau Mama,« sagte Philipp. »Jawohl! Der König fährt mit meiner Frau zum Bade, und seine Frau läßt er zu Hause. Und meine Frau geht mit und sagt mir nicht einmal was davon. Da soll ich nun wohl nicht einmal drüber böse sein?« – »Lieber Philipp, du übertreibst,« erwiderte die Fürstin. Du hast Buckingham vertrieben, du hast Guiche verbannen lassen, möchtest du nun vielleicht gar den König vom Hofe verjagen?« – »Das maße ich mir nicht an,« entgegnete er. »Aber ich kann meiner Wege gehen.« – »Wie? Eifersüchtig auf den König – auf den eigenen Bruder?« – »Ja, Mama! Eifersüchtig auf den König! eifersüchtig auf den Bruder! Eifersüchtig, eifersüchtig!« – »Wahrhaftig, Philipp,« antwortete sie mit erkünsteltem Unwillen, »ich muß glauben, du hast es drauf abgesehen, mir die Ruhe zu rauben. Ich muß dich dir selbst überlassen; denn gegen solche hirnverbrannten Ideen habe ich keine Waffen.« Damit ging sie hinaus.

Monsieur stand verblüfft da, dann erwachte sein Zorn; er eilte in seine Zimmer, zertrümmerte das beste Porzellan und legte sich dann gestiefelt und gespornt ins Bett.

Die Hofgesellschaft kehrte vom Bade zurück. Der prächtige Zug bewegte sich die Allee entlang, über der das Laub der zu beiden Seiten stehenden Bäume sich zu einem grünen Dach vereinte. Madame war schöner als je; der Aufenthalt im Wasser hatte sie erfrischt. Ihr noch feuchtes, rabenschwarzes Haar wallte auf den Nacken hernieder, und aus ihren schönen Augen strahlten Frohsinn und Gesundheit. Sie ritt einen andalusischen Zelter, dessen langer Schweif den Boden fegte. Man erzählte sich, daß Majestät sie in den Sattel gehoben und sie dabei den Arm um seinen Nacken geschlungen habe. Jetzt ritt der König an ihrer Seite und wich keinen Augenblick von ihr. Sie waren in ein sehr lebhaftes Gespräch vertieft, von dem jedoch die in gemessener Entfernung folgenden Kavaliere und Damen nichts verstanden. Nur hin und wieder schlug ein halb ersticktes Lachen oder ein leiser Schrei der Freude an die trotzdem neugierig gespitzten Ohren.

In das Schloß zurückgekehrt, begab sich Madame sogleich zu Monsieur, und der König wollte zu seiner Gattin. Aber sie ließ ihn nicht vor, und er mußte sich mit seiner Mutter begnügen, die ihm nun über ihre Unterredungen mit Maria-Theresia und mit Monsieur berichtete. In verdrießlicher Stimmung ging er auf sein Privatzimmer; dort brachte man ihm einen Brief. Er öffnete den Umschlag und las: »Kommen Sie geschwind, ich habe Ihnen tausend Dinge zu sagen. Ihre Schwägerin.«

In fünf Minuten war er bei Madame. Allein sie hatte, um jedes Aufsehen zu vermeiden, ihre Wohnung verlassen und war mit ihrem Gefolge in den Garten gegangen, unter dem Vorwande, eine Jagd auf Nachtschmetterlinge halten zu lassen. Sie saß in der Mitte eines großen Rasenplatzes auf einer Bank, von der aus man alles übersehen konnte, auch selbst von allen Seiten sichtbar war, jedoch keine Lauscher zu fürchten hatte. Sie wählte diesen Platz mit Absicht und erwartete hier den König, der, anscheinend von der Schönheit des Abends verlockt, das Schloß verließ und sich beim Anblick der fröhlichen Gesellschaft sofort nach dieser Seite des Gartens wendete. Darin konnte selbst das argwöhnischste Auge keine Verabredung vermuten.

»Mein Billett hat Sie überrascht, Sire?« begann die Prinzessin. – »Erschreckt sogar,« antwortete der König. »Aber ich habe Ihnen noch etwas viel Wichtigeres zu sagen.« – »Als ich Ihnen?« unterbrach ihn Henriette. »Unmöglich! Denken Sie sich, mein Mann hat mich heute abend nicht vorgelassen.« – »Meine Frau mich auch nicht,« sagte Ludwig. »Statt ihrer empfing mich meine Mutter mit einer großen Gardinenpredigt. Der langen Rede kurzer Sinn ist: Monsieur ist jetzt eifersüchtig auf mich.« – »Wir haben doch gar keine Veranlassung gegeben,« antwortete die Herzogin. »Ich wenigstens nicht.« – »Monsieur bezichtigt Sie der Koketterie. Er scheint obendrein noch ungerecht zu sein,« sagte Ludwig. »Nun will er sich nicht mehr beruhigen lassen.« – »Er hätte besser getan, sich gar nicht erst zu beunruhigen,« sagte Madame. »Eine böse Welt, daß nicht einmal Bruder und Schwester miteinander umgehen können, ohne Verdacht zu erregen. Wir tun doch nichts Böses und haben auch gar nicht die Absicht.«

Sie warf dabei dem König den ihr eigenen halb unschuldigen, halb verführerischen Blick zu, der selbst den kältesten Mann bezaubert haben würde.

»Für mich sind Sie ein Bruder,« fuhr sie fort; »wenn ich Ihre Hand halte, empfinde ich dabei nicht wie eine Liebende, sondern eben nur –« – »O, schweigen Sie!« rief Ludwig, »Sie foltern mich unbarmherzig.« – »Wieso denn?« fragte sie harmlos. – »Sie sagen es ja gerade heraus, daß Sie nichts für mich fühlen. Glauben Sie, ich sei von Marmelstein wie Sie? O, Henriette! Alle unsere Gespräche, die heimlichen Blicke, der oft getauschte Händedruck – das alles sollte –« – »Vorsicht,« warnte Madame, »Ihr Hofmeister Saint-Aignan sieht auf uns.«

»Ja doch!« rief Ludwig zornig. »Nie Freiheit, nie Aufrichtigkeit! Man glaubt, man hat einen Freund, und es ist ein Spion – man glaubt, man hat eine Freundin, und es ist nur eine Schwester.« – »Aber Monsieur ist doch eifersüchtig!« lispelte sie und sah ihn mit einem glühenden Blicke an. »Gegen Sie freilich hegt niemand Argwohn. Die Ruhe Ihres Hauses wird nicht gestört.« – »Ich sagte Ihnen doch schon, meine Frau ist auch eifersüchtig!« rief Ludwig. »Ich werde das Vergnügen haben, fortwährend schmollende Lippen und rotgeweinte Augen zu sehen.« – »Arme Majestät!« sagte Henriette und streichelte die Hand des Königs.

Sie schwiegen beide. Ihre Haare berührten sich, ihr Atem verschmolz zu einem, ihre Hände hielten sich fest. So vergingen fünf Minuten. Lady Henriette sah Ludwig in die Augen und erblickte im Innersten seines Herzens die Liebe, gleichwie ein Taucher die Perle in der Tiefe des Meeres wahrnimmt.

»Es gibt nur zwei Wege,« sagte sie leise. »Entweder ich kehre nach England zurück –« – »Das ist unmöglich, nennen Sie den zweiten!« fiel Ludwig ihr ins Wort. – »Oder,« fuhr sie fort, »man führt den Eifersüchtigen irre. Man tut so, als ob man einer andern den Hof machte.« – »Das ist ein sinnreiches Mittel, Henriette,« antwortete Ludwig, »und ich soll nun also unter den Damen Ihres Hofes eine auswählen, die wir als Scheinpüppchen gut verwenden können? Wie denken Sie über Fräulein von Tonnay-Charente?« 5 – »Sie ist ein wenig zu blond,« antwortete die Prinzessin und nannte damit den einzigen Fehler, den man an der sonst so vollkommenen Schönheit der späteren Madame von Montespan finden konnte.

»Ei, so wählen Sie selbst die Dame,« sagte Ludwig, »aber treffen Sie eine gute Wahl, damit ich meine Rolle auch einigermaßen glaubhaft spielen kann, damit ich nicht, während ich jene andere ansehen soll, doch nur nach Ihnen schaue, nicht zu Ihnen spreche, wenn ich mit jener reden soll, kurz damit ich nicht mit Herz, Mund und Augen doch nach wie vor an Ihnen allein hänge!« – Diese Worte entströmten wie eine Liebesflut den Lippen des jungen Königs, und die Prinzessin errötete wonnetrunken und fand keine Antwort; ihr Durst nach Huldigungen war befriedigt.

»Ich werde nicht nach Ihrem Wunsche wählen,« sagte Madame nach langem Schweigen; »denn aller Weihrauch, den Sie auf dem Altar einer andern Göttin opfern, würde mich eifersüchtig machen. Ich werde daher mit Ihrer Erlaubnis diejenige unter meinen Damen wählen, die mir am wenigsten geeignet erscheint, Eure Majestät zu zerstreuen und einen Schatten auf mein Bild zu werfen. Sehen Sie dort drüben am Rande des Gebüsches die einzelne Dame sitzen, die allein sich nicht an der Jagd beteiligt?« – »Ganz recht, es ist die Lavallière,« antwortete Ludwig, »und sie jagt nicht mit, weil sie lahmt. Aber Sie wollen mir doch nicht dieses Mädchen bestimmen, Henriette? Sie ist eine langweilige Person. Nein, nein, Henriette!« – Madame blieb unerbittlich. – »Sie hinkt, aber es ist kaum bemerklich,« sprach sie. »Sie schweigt fast immer, aber wenn sie spricht, zeigt sie die wunderschönsten Zähne, und sie ist sanft wie ein Lamm und wird sich’s gefallen lassen, von ihrem Könige getäuscht zu werden. Und wir werden endlich Ruhe haben.«

»Aber man wird sagen, ich habe einen sehr schlechten Geschmack!« rief Ludwig verdrießlich. »Das ist nicht sehr schmeichelhaft für mich.« – »Ei, alles was der König berührt, verwandelt sich in Gold,« antwortete Madame. »Man kommt. Majestät! Bieten Sie alle Vorsicht und Klugheit auf.« – »Nun, wenn es denn sein muß!« seufzte Ludwig. »Ich werde noch heute abend mit meiner Rolle beginnen.« – »Gemach!« versetzte Henriette. »Man würde nicht an die Echtheit des Gefühls glauben, wenn es so rasch aufloderte. Ein König sinkt nicht in einer Stunde von einer Henriette Stuart zu einer Lavallière herab. Jede Sache will ihre Vorbereitung, ihre Einleitung haben. Doch da kommen meine Damen mit den Schmetterlingen, die sie erbeutet haben. Wir müssen uns trennen.« – Sie reichte dem König die Hand und ging der heraneilenden Gruppe von Damen und Herren entgegen.

  1. Sie wurde später die Mätresse des Königs; die Geschichte kennt sie jedoch nur unter dem Namen ihres Mannes, von Montespan.

2. Kapitel. Das Spiel mit dem Feuer

Der Abend, an welchem das mit so großer Sorgfalt vorbereitete Ballett aufgeführt werden sollte, war herangekommen. Die Tribünen waren errichtet, die Schaubühne erstrahlte im Glänze von tausend Lampen, und jenseits des an diese Arena grenzenden Teichs war ein Feuerwerk aufgestellt, prächtiger als alle, die man bisher veranstaltet hatte. Am wolkenlosen Himmel strahlten die Sterne, als wenn die Natur selbst an diesem sonderbaren Einfall des Fürsten Gefallen gefunden hätte. Die Zuschauer fanden sich ein; der Platz der Königinnen, eine mit Samt, Seide und Brokat ausgeschlagene Loge, wurde von Anna von Oesterreich und Maria-Theresia eingenommen: die Sitzreihen füllten sich mit einem Kranze von Herren und Damen in Galatoiletten. Das Spiel begann.

Man sah zuerst auf der mit einigen Gebüschen verzierten Szene Waldgötter hin und her tanzen. Dann erschienen Dryaden – Feen des Waldes, auf die die Faune Jagd machten. Dann erschien, von allgemeinem Jubel begrüßt, der König als Gott des Frühlings, in einer über und über mit Blumen geschmückten Tunika, die seine wohlgeformte Gestalt erkennen ließen. Sein Bein – das zierlichste am Hofe – zeigte sich sehr vorteilhaft in rosaseidnem Strumpfe, und sein zarter Fuß trug einen lilafarbnen mit ein paar Blättern und Blüten befetzten Schuh.

Dann kam die Prinzessin auf die Bühne, schön wie eine Venus, in einen Schleier von Spitzen und zartem Mull gehüllt – eine wandelnde Wolke, auf der das Licht der Lampen perlmutterartige Reflexe hervorrief. Der Beifall wurde so laut, daß man die Musik nicht mehr hörte.

Der Hofmeister des Königs, Saint-Aignan, benutzte den Jubel, den Madames Auftreten hervorrief, um sich Ludwig zu nähern. – »Majestät,« flüsterte er, »ein fatales Versehen! Wir haben vergessen, in der Musik die Stelle zu streichen, die den Tanz des Grafen von Guiche begleitet. Und sie muß doch nun wegfallen. Was machen wir da? was machen wir da?« – »Sehr unangenehm!« antwortete Ludwig. »Es darf keine Stockung eintreten. Fünf Minuten ohne Musik ist langweilig – das kann uns den ganzen Erfolg verderben.« – »Majestät, darf ich darauf aufmerksam machen, daß Graf Guiche da ist?« wagte Saint-Aignan zu bemerken. – »Was? er ist hier?« fragte der König. – »Im Kostüm seiner Rolle,« antwortete Saint-Aignan. »Geruhen Majestät nach rechts zu schauen.«

Ludwig XIV. drehte sich um und erblickte den Grafen, der, in seinem prächtigen Kleide als Bote des Lenzes, hinter einem Gebüsche stand, bereit, aufzutreten, sobald die Takte seines Tanzes begannen. Der König war nicht minder erstaunt als der Herzog von Orléans, der von seinem Platz aus Guiche sehen konnte, und als Lady Henriette, die auf einer Rasenbank saß und mit unverhohlener Freude die schöne Gestalt ihres verbannten Verehrers musterte. Von Guiche näherte sich, verneigte sich vor dem König und sagte leise: »Verzeihung, Majestät, Ihr demütigster Untertan kommt, Ihnen einen Dienst zu erweisen, leichterer Art als so mancher, den er Ihnen schon auf dem Felde des Ruhms erweisen durfte. Die schönste Szene des Balletts würde verloren gehen, wenn der Tanz des Frühlingsboten fehlen müßte. Ich wollte nicht, daß der Erfolg der von Eurer Majestät so glücklich entworfenen Aufführung durch meine Schuld vereitelt würde; deshalb verließ ich meine Güter und eilte hierher.«

»Ohne meine Aufforderung?« sprach der König; doch in einem Tone, der erkennen ließ, daß die wohlgesetzte Schmeichelei des Grafen ihn ebenso erfreute wie sein kühnes Handeln. »Gut! Tanzen Sie, das weitere werden wir nachher sehen.«

Die Musik intonierte die Takte, und der Frühlingsbote zeigte sich dem Publikum, von Händeklatschen empfangen. Doch das galt ihm gleich – sein Blick haftete an der Göttin des Balletts, und ihr Auge schien zu sprechen: »Bravo, Herr Graf! Und da man einmal eifersüchtig ist, so kann der Argwohn getrost auch noch auf Sie fallen. Wer gegen zwei Nebenbuhler mißtrauisch ist, hat eigentlich gar kein Mißtrauen.«

Das Ballett nahm seinen Fortgang.

Als die Aufführung beendet war und die vornehme Gesellschaft sich zerstreute, um in einzelnen Gruppen über das Gesehene und Geschehene zu plaudern, fanden sich zu einer dieser Gruppen die drei Freundinnen Montalais, Tonnay-Charente und Lavallière zusammen. Ihr Dienst war beendet, und sie konnten ein paar Stunden ungestört im Garten lustwandeln.

»Nun, wie hat das alles euch gefallen?« rief die Montalais, deren Wangen noch rosig erglühten. – »Mir gar nicht,« antwortete die Lavallière. – »Ach, du bist unausstehlich,« rief Fräulein Aure. »Ich bin hierhergekommen, um zu scherzen, und du steckst gleich wieder dein Nonnenantlitz auf.« – »Ich habe auch keine Lust, ernst zu sein,« sagte die Tonnay-Charente. »Es ist lustig gewesen, die ganze Geschichte mit dem König und dem Grafen von Guiche. Ich könnte ihn lieben! Sie nicht, Fräulein Luise?« – »Das gehört ja gar nicht hierher,« antwortete Luise. »Wir haben uns vorgenommen, diese Nacht in angenehmer Weise zuzubringen, ohne von Sicherheitswachen oder männlicher Begleitung behelligt zu sein. Das Wetter ist prachtvoll, und der Mond umspinnt die Baumwipfel mit Silberduft. Da ist es eine Freude, in Freiheit zu lustwandeln. Kommen Sie dort unter die hohen Bäume.« – »Ja, ehe wir gestört werden,« sagte die Tonnay-Charente, »denn vom Schlosse her kommen schon Lichter. Wahrscheinlich wollen sich noch andere die schöne Nacht in gleicher Weise zunutze machen.«

Sie hoben mit zierlichem Anstande ihre langen seidenen Kleider und eilten leichten Schrittes über den Rasen hin, bis sie im Schatten der dichten Gebüsche angelangt waren. Hier war es still und einsam, und nur leise klang das Summen der vorm Schlosse sich vergnügenden Menge, klangen die Töne der noch immer spielenden Musikanten herüber.

Die drei Mädchen gingen langsam und nicht ohne Scheu durch das Dunkel des Waldes, bis sie einen hohen Baum, die sogenannte Königseiche, erreicht hatten, wo aufgehäuftes Moos eine rohe Bank bildete, deren Lehne der gewaltige Stamm des Baumes selbst abgab.

»Wie schön ist es,« begann die Montalais, »daß man mal ein paar ganz freie Stunden hat! Daß man mal ganz offen und alles Zwanges ledig miteinander schwatzen kann!« – »Ja,« sagte die Tonnay-Charente, »so prunkvoll ein Königshof auch ist, hinter jeder Sammetfalte steckt doch eine Lüge.« – »Ich lüge nie,« sprach die Lavallière, »wenn ich nicht die Wahrheit sagen kann, so schweige ich.« – »Dann werden Sie nicht lange in Gunst sein, liebe Luise,« sagte die Montalais. »Denn hier ist es nicht wie in Blois, wo wir die alte Herzogin getrost mal auslachen durften.« – »Sie werden sich hoffentlich hier wohler fühlen,« sagte die Tonnay-Charente. »Wir haben hier doch eine Fülle von angenehmen Kavalieren, mit denen man über die gewagtesten Dinge geschmackvoll plaudern kann.«

»Was ist das für ein Geräusch?« fragte die Lavallière, erschreckend. – »Vermutlich ein Reh, das durchs Gebüsch streicht,« antwortete die Montalais sorglos. – »Wenn es nur nicht ein Mann war!« flüsterte die Tonnay-Charente. – »Ach gehen Sie, Athenais,« versetzte Fräulein Aure. »Das wäre Ihnen ja doch viel lieber. Zum Beispiel Herr von Montespan –« –»Ich finde den Grafen von Guiche schöner,« meinte Athenais. – »O, sprechen Sie nicht von dem armen Grafen,« sagte Luise. »Er kann mir leid tun. Madame macht sich ein Vergnügen, ihn zu quälen. Sie weiß nicht, was Liebe ist. Sie spielt mit diesem Gefühl, wie ein Kind mit dem Feuer spielt, ohne zu wissen, daß ein Funke einen Palast in Brand stecken kann. Sie will ihr ganzes Leben nur mit Freude ausfüllen, und dazu ist ihr jedes Mittel recht. Und wenn Graf Guiche sie noch zehnmal so innig liebt, sie wird ihn nie lieben.«

»Seien Sie froh, daß nur unsere Ohren das hören, liebe Luise,« antwortete die Tonnay-Charente. »Uebrigens muß ich Madame in Schutz nehmen. Man muß eine gewisse Herrschaft über seine Gefühle behalten und sich auch von der Liebe nicht völlig unterjochen lasten, nur dann bleibt man Königin. Solange man jung ist, darf man sich lieben und anbeten lassen, ohne selbst allzu sehr wiederzulieben. Wenn man alt und nicht mehr schön ist, dann mag das Herz, das zärtliche Gefühl, die Wärme von innen die Mängel des Aeußeren zu ersetzen suchen.« – »Sehr gut, Athenais!« rief die Montalais. »Sie werden es noch zu etwas bringen.« – »Das nennt man kokett sein,« fuhr die künftige Madame von Montespan fort, »in Wahrheit ist es nur Lebensklugheit. Aber ich gestehe, es gehört eine gewisse Begabung dazu, diese seine Mischung von Sprödigkeit und Gewährung richtig zu treffen, Huldigungen auszuteilen und doch keine Lücke in dem festen Panzer des Herzens zu zeigen, unüberwindlich zu bleiben und doch alle Männer an sich zu fesseln. Wer die Kunst besitzt, hat den Marschallstab der weiblichen Herrscherin.« – »O, wie klug Sie sind!« rief Fräulein Aure. – »Abscheulich!« flüsterte die Lavallière. »Sie sprechen, als hätten Sie nichts von allem dem, was uns zu Menschen macht! Und es ist doch eine so schöne Welt!«

»Wahrlich, eine schöne Welt!« versetzte die Tonnay-Charente, ein wenig pikiert, »wo der Mann die Frau durch Schmeicheleien kirrt und, sobald sie gefallen ist, mit Hohn von sich stößt.« – »Warum muß sie denn fallen?« antwortete Luise. – »Eine neue Theorie!« rief Athenais. »Wie wollen Sie sich dagegen schützen, besiegt zu werden, wenn Sie sich einmal von der Liebe fortreißen lassen?«

»O, Sie wissen nicht, was ein liebendes Herz ist!« sagte Luise und schlug die schönen blauen Augen zum Himmel auf. »Ein liebendes Herz hat ja viel mehr Macht als all Ihre Koketterie. Den Wahn, von Koketten angebetet zu werden, lasse man den alten Gecken. Ein echter und rechter Mann glaubt nur an echte und rechte Liebe – und er liebt, wenn er sich geliebt weiß. Sinnenrausch, Verblendung, Tollheit – dazu kann eine Kokette den Mann fortreißen; aber Liebe wird sie ihm nie einflößen. Aber nicht von einer Seite darf das Opfer kommen, es muß eine völlige Hingebung zweier Seelen sein, die ineinanderfließen, ganz eins zu werden streben.«

»O, der glückliche Rudolf von Bragelonne!« sagte Athenais spitz. »Er kann stolz sein, daß er so geliebt wird!« – Und sie schlug ein lautes Gelächter an, in das Montalais einstimmte. – »Bragelonne und glücklich?« sagte diese. »Er liebt sie schon seit zwölf Jahren und ist heute noch keinen Schritt weiter als am ersten Tage.« – »Dann ist Ihre Liebe nichts weiter als eine Unterabteilung der Koketterie, liebe Luise,« sprach Athenais. »Sie üben diese Koketterie nur aus, ohne zu ahnen, daß es eine solche ist. Es ist bei Ihnen dasselbe Manöver wie bei mir: ein zweckloses Anfachen der Leidenschaften.«

»Was du nur redest, Aurel« rief die Lavallière. »Vor zwölf Jahren war ich fünf Jahre alt. Die Hingebung eines Kindes kann dem Mädchen nicht angerechnet werden.« – »Jetzt aber bist du 17 Jahre,« antwortete Aure. »Nehmen wir also nur drei Jahre an, so bist du doch aber diese drei Jahre lang systematisch grausam gegen den Grafen von Bragelonne gewesen.« – »Was soll ich dagegen sagen?« erwiderte Luise kleinlaut. »Vielleicht glaube ich nur zu lieben – liebe aber in Wahrheit nicht – ich weiß es selbst nicht – vielleicht ist meine Zeit noch nicht gekommen.«

»Luise, Luise!« rief die Montalais, »dann sei wenigstens nicht länger grausam gegen den armen Vicomte! Wenn du ihn nicht liebst, so sage es ihm offen.« – »Und dabei bedauerten Sie doch eben noch so warmherzig den Grafen von Guiche?« setzte die Tonnay-Charente hinzu. »Sie haben mit ihm also mehr Mitleid als mit Bragelonne?« – »Verspotten Sie mich nur,« antwortete die Lavallière, »Sie verstehen mich ja doch nicht!« – »Wie? Tränen, Luise?« sagte die Montalais. »Nicht doch, wir scherzen ja nur. Sieh Athenais an – sie macht Herrn von Montespan Hoffnungen und liebt ihn doch nicht. Sieh mich an! Ich lache über Malicorne und reiche ihm doch die Hand zum Kusse. Und doch sind wir nicht viel älter als du. O, wir haben alle drei eine große Zukunft.«

»Wie närrisch ihr seid!« rief die Lavalliere. – »Da haben Sie ein wahres Wort gesprochen!« lachte die Tonnay-Charente. »Und so lieben Sie Herrn von Bragelonne nicht?« – »Sie ist sich noch nicht klar darüber,« sagte die Montalais. »Aber wenn sie ihn frei gibt, dann kann ich Ihnen nur raten, liebe Athenais, sehen Sie ihn sich einmal näher an. Er ist ein stattlicher Kavalier.« – »O, er kann sich doch mit Herrn von Guiche nicht messen,« meinte Athenais. – »Herr von Guiche wird bald wieder in Ungnade fallen, verlassen Sie sich darauf,« antwortete Fräulein Aure. – »Nun, dann haben wir noch den Herrn von Saint-Aignan, der ist auch etwas wert, nicht wahr, liebe Lavallière?«

»Warum fragen Sie mich danach?« erwiderte diese. »Mir sind alle gleich.« – »Wie? so hat Ihnen in der glänzenden Versammlung, die wir heute sahen, keiner besonders gefallen?« fragte Athenais. – »Das sage ich nicht,« entgegnete Luise. – »Dann lassen Sie hören, wer Ihr Ideal ist.« – »Wahrhaftig, ich begreife Sie nicht!« rief die Lavallière, in die Enge getrieben. »Wie kann man von den Herren Bragelonne, Guiche, Aignan, oder wie sie heißen mögen, sprechen, wenn man den König gesehen hat!«

Diese Worte, die sie offenbar in der Uebereilung aussprach, riefen bei ihren Freundinnen einen wahren Sturm der Ueberraschung hervor. – »Der König! Der König!« riefen beide wie aus einem Munde. – Die Lavallière erschrak nun selbst über die Unbedachtsamkeit, neigte den Kopf und schlug die Hände vors Gesicht. – »Das muß man sagen, Geschmack haben Sie,« sprach die Tonnay-Charente. »Mit dem König läßt sich schlechterdings keiner vergleichen. Aber Sie sehen da ein bißchen zu weit, liebe Luise. »Der König steht jenseits der Kavaliere, auf die uns armen Mädchen die Augen zu richten vergönnt ist.« – »Warum soll ich nicht die Sonne anschauen dürfen?« versetzte die Lavallière schwärmerisch. »Ist es doch meine Sache, ob meine Augen geblendet werden!«

Als Luise diese Worte gesprochen, erklang ein Rascheln und Knistern in dem Gebüsch neben den Damen; sie schreckten auf und ergriffen rasch die Flucht; glaubten sie doch, ein Wildschwein oder gar ein Wolf habe sich in ihre Nähe geschlichen. Sie liefen auf der ersten besten Allee entlang, die aus dem Walde herausführte, und blieben erst stehen, als sie die nächste Rasenfläche erreicht hatten. Hier schmiegten sie sich aneinander und schöpften Atem. Die Lavallière war ganz erschöpft. Sie hatte sich nur mit größter Anstrengung an der Seite ihrer leichtfüßigeren Freundinnen halten können; jetzt vermochte sie nicht weiterzugehen. Aure und Athenais wollten sie führen, denn sie erkannten jetzt an einigen durch die Gesträuche schimmernden Lichtern die Richtung, in der das Schloß lag.

»Wir sind noch glücklich davongekommen,« sagte die Montalais. – »Ach, Freundinnen,« antwortete Luise, »ich fürchte, es war noch etwas Schlimmeres als ein Wolf. O, wie konnte ich nur so sprechen!« Sie ließ den Kopf sinken, ihre Knie wankten, die Kräfte verließen sie. Bewußtlos fiel sie auf den Rasen.

Die drei fliehenden Mädchen hatten die Königseiche kaum verlassen, als zwei Männer aus dem Gebüsch, in dem sie es hatten rascheln hören, hervortraten. – »Majestät,« sagte der eine von ihnen, »nun haben wir sie vertrieben.« – »Wir müssen sie einholen, Saint-Aignan,« sagte der zweite, kein anderer als Ludwig XIV. – »Und ich glaube, sie werden sich gern einholen lassen, wenn sie nur erst merken, daß wir keine wilden Tiere sind,« antwortete der Hofmeister. – »Wieso meinst du –?« – »Nun, die eine hat Eure Majestät nach ihrem Geschmack gefunden, die andere mich,« erwiderte Saint-Aignan. »Wir müssen auskundschaften, wer diese drei Nymphen gewesen sind.« – »O, die eine wenigstens werde ich sofort an der Stimme wiedererkennen,« sagte der König. »Die Holde, die von mir sprach, hatte ein seltsam schönes, weiches und warmes Organ.«

»Die Stimme allein macht es nicht, Majestät,« sagte der Hofmeister. »Oder wollen Sie über die bloßen Klänge dieser Stimme schon die kleine Schwärmerei vergessen, zu deren Vertrauten Sie mich eben zu machen geruhten? Schöne Augen sind doch mehr wert als eine schöne Stimme – und die Augen der kleinen Lavallière –!« – »Du bist ein schrecklicher Schwätzer, Saint-Aignan,« sagte der König mit gut gespieltem Verdruß. »Wehe dir aber, wenn du plauderst! Wenn ich erfahre, daß morgen schon alle Welt um meine Absichten auf die Lavallière weiß, dann werde auch ich wissen, wer mich verraten hat, denn niemand als dir habe ich etwas davon gesagt.«

»O, welche Heftigkeit, Sire!« – »Du begreifst doch, ich möchte das arme Kind nicht kompromittieren. Versprich mir also –« – »Mein Wort darauf!« – »Gut,« dachte Ludwig, »morgen weiß es der ganze Hof, daß ich heute nacht der Lavallière nachgelaufen bin. Und nun,« setzte er laut hinzu, »laß uns ein wenig Jagd auf diese Schönen machen. Ich muß gestehen, dieses naive Geständnis, diese ganz uneigennützige Vergötterung von seiten eines Mädchens, das vielleicht von mir niemals beachtet werden wird, mit einem Wort, das Geheimnisvolle dieses Abenteuers reizt mich, und wenn ich es nicht auf die Lavallière abgesehen hätte –« – »O, deshalb hätten Majestät immer noch zu einem kleinen Abstecher in der Liebe Zeit genug; man sagt, die Lavallière sei sehr spröde.« – »Du reizest mich noch mehr, Saint-Aignan. Ich würde sie gern finden!« rief der König. – Er log: es lag ihm nichts daran, aber er hatte eine Rolle zu spielen.

Sie eilten über den Rasen. Da schlugen plötzlich Hilferufe an ihr Ohr. Sie liefen nun schnell der Stelle zu und fanden drei Damen, von denen eine am Wege stand und rief, während die zweite neben der am Boden liegenden dritten kniete. Der König trat ohne Umstände herzu. – »Was gibt es, meine Damen?« rief er. – »O Gott, Seine Majestät!« rief die Montalais und ließ in ihrer Bestürzung den Kopf der Lavallière fallen, die nun vollends auf den Rasen sank. – »Ja, ich bin es, und ich will Ihnen helfen. Was ist Ihrer Freundin geschehen?« antwortete Ludwig. »Wer ist sie?« – »Das Fräulein von Lavallière, Sire. Sie ist in Ohnmacht gefallen.« – »Das arme Kind!« rief der König. »Saint-Aignan, eilen Sie, einen Arzt zu holen. Doch nein, ich will selbst gehen. Bleiben Sie so lange bei den Damen!« Der König sprach diese Worte zwar mit großer Besorgnis und entfernte sich auch in großer Hast, doch hatte Saint-Aignan dennoch das Gefühl, als käme ihm diese Teilnahme nicht von Herzen. Ton und Gebärde erschienen ihm kalt.

Saint-Aignan wartete nicht, sondern rief einige Parkhüter herbei, die die Ohnmächtige trugen. Sie kam jedoch schon unterwegs zur Besinnung und konnte den Weg zum Schlosse zu Fuße vollenden. Inzwischen eilte der König, froh, einen Anlaß zu einem Besuche zu haben, in die Gemächer der Herzogin von Orléans.

»Sire, das sieht nicht nach Gleichgültigkeit aus,« sagte Madame scherzend. – »Wir haben einen Vertrag abgeschlossen, der meine Kräfte übersteigt,« antwortete Ludwig. »Haben Sie schon von dem Unfall gehört? Doch nein, ich komme ja eben her, es Ihnen zu erzählen. Das Fräulein von Lavallière, unsere Marionette, wenn ich so sagen darf, hat im Park einen Ohnmachtsanfall erlitten.« – »Das arme Kind,« sagte die Herzogin. »Wie ist es zugegangen? Und Sie wollen eine feurige Liebe zu diesem Mädchen zur Schau tragen und sind bei mir, während sie ohnmächtig ist.« – »Sie denken an alles, Henriette,« antwortete der König, »Sie haben mehr Talent als ich, eine Rolle zu spielen. Gut, ich verlasse Sie, um mich persönlich davon zu überzeugen, ob es der Kranken besser geht.«

Unterwegs begegnete der König dem Grafen von Saint-Aignan. – »Sire,« rief der Hofmeister, »denken Sie doch nur, die drei Damen, die wir getroffen haben, waren unsere drei Schwätzerinnen. Ich habe die Stimme derjenigen erkannt, die sich so lebhaft für meine Person interessierte. Es ist das Fräulein von Tonnay-Charente.« – »Entschieden eine Eroberung, Graf,« antwortete die Majestät. »Mich beschäftigt jetzt aber nur die Ohnmächtige. Wie geht es ihr? Führen Sie mich in das Zimmer, in das Sie sie gebracht haben.« – »Majestät werden Ihre Bewunderin auch leicht an der Stimme wiedererkennen,« sagte Saint-Aignan mit vielsagendem Lächeln.

Wenige Minuten später trat Ludwig XIV. bei Fräulein Luise von Lavallière ein. Sie ruhte in einem Armstuhle am offenen Fenster und atmete die würzige Nachtluft. Durch die zerdrückten Spitzen ihres Hemdes schimmerte das zarte Rosa des Busens; die blonden Locken fielen entfesselt auf die Schultern. In ihren schmachtenden Augen standen Tränen. Die Blässe ihres Gesichts hatte einen unbeschreiblichen Reiz, und etwas Rührendes, Edles lag in der Haltung ihrer regungslosen Arme, ihres anscheinend noch leblosen Körpers. Der König trat ein, ohne daß sie ihn zunächst bemerkte, und betrachtete das liebliche Gesicht, auf das der milde Schein des Mondes fiel. – »Mein Gott,« sagte er, »sie ist wohl tot?« – »Nein, Majestät,« flüsterte die Montalais, »sie befindet sich vielmehr besser. Luise, Seine Majestät geruhen, sich nach deinem Befinden zu erkundigen.«

»Der König!« rief die Lavallière und richtete sich plötzlich auf, von jäher Nöte übergossen. »Der König fragt nach mir? Der König ist selbst gekommen?« – »O, diese Stimme!« flüsterte Ludwig seinem Hofmeister zu, der mit dem Kopf nickte. – »Majestät haben recht,« sagte der Graf leise, »es ist die Sonnenverehrerin.« – »Still!« gebot der König und trat auf Luise zu. »Sie sind nicht wohl. Fräulein?« Soeben sah ich Sie in Ohnmacht. Wie ist das gekommen?« – »Majestät, ich weiß es selbst nicht,« stammelte die Lavallière. – »Sie sind gewiß zu weit gelaufen und müde geworden,« sagte Ludwig. – »Nein, Majestät, wir haben ja ganz still unter der Königseiche gesessen,« warf die Montalais ein. »Wir plauderten miteinander, da glaubten wir, einen Wolf oder sonst ein Tier im Gebüsch hinter uns zu hören, und das hat uns allen einen heftigen Schreck verursacht.«

»O, Fräulein,« rief der König mit einer Teilnahme, die er nicht mehr zu verbergen vermochte, »fürchten Sie nichts: es war nur ein zweibeiniger Wolf.« – »Ein Mann?« fragte die Lavallière. »O, mein Gott, so hat man gehört, was ich gesprochen habe.« – »Und schadet das denn etwas?« antwortete der König. »Haben Sie etwas gesagt, das niemand hören durfte?« – Luise verbarg den Kopf in den Händen. »O, mein Gott!« stammelte sie. »wer war es denn, der uns belauschte?« – »Ich,« antwortete der König und ergriff ihre Hand. »Fürchten Sie nichts von mir!«

Die Lavallière stieß einen lauten Schrei aus. Abermals schwanden ihre Kräfte, und sie wäre ohnmächtig auf den Boden gefallen, wenn der König nicht aufgesprungen wäre und sie in die Arme genommen hätte. Die beiden andern Mädchen, die Montalais und die Tonnay-Charente, waren selbst so bestürzt über die Lösung des Rätsels, daß sie nicht zuzugreifen wagten.

Ludwig XIV kniete auf dem Teppich und hielt Luise umfangen. Ihr entfesselter Busen lag vor seinem Blicke bloß, ihr Kopf ruhte auf seiner Schulter, ihre Locken fielen über seine Brust. Er vernahm das stürmische Klopfen ihres Herzens. Tief ergriffen, war er selbst nahe daran, die Besinnung zu verlieren, in so heftiger Wallung strömte ihm das Blut zu Kopfe, als er diese schöne jugendliche Gestalt so eng umschlungen hielt. Da sprang endlich die Montalais beherzt hinzu und hob Luise auf.

»Meiner Treu, das ist ein Ereignis!« rief Saint-Aignan. »Ich muß der erste sein, der das weitererzählt.«

Der König trat mit bebenden Lippen und geballter Faust auf ihn. »Graf!« flüsterte er, »kein Wort darüber!« – Aber die arme Majestät vergaß, daß sie vor einer Stunde noch dem Grafen denselben Befehl gegeben hatte, freilich in ganz entgegengesetzter Absicht – nämlich mit dem Wunsche, er möchte trotzdem indiskret sein. Der zweite Befehl wurde nun infolgedessen auch nicht ernst genommen.

Eine halbe Stunde später wußte denn auch ganz Fontainebleau, daß die Montalais, Tonnay-Charente und Lavallière bei einem intimen Gespräch, in welchem die letztere ihre Liebe zum König ausgeplaudert hatte, von diesem selbst belauscht worden waren, und daß der König gleich darauf gar noch die ohnmächtige Lavallière fast fünf Minuten lang in den Armen gehalten. Das war natürlich ein großes Ereignis, und alle Welt schwur darauf, Majestät liebe die Lavallière. Die Königin-Mutter hatte nichts Eiligeres zu tun, als die Nachricht ihrem zweiten Sohne zu überbringen, mit dem Bemerken, er brauche nicht mehr eifersüchtig zu sein. Den gleichen Trost spendete sie ihrer Schwiegertochter, der Infantin von Spanien. – Philipp von Orléans frohlockte und suchte seine Gemahlin auf. Madame wußte nicht recht, was sie davon halten sollte, nahm jedoch in der festen Ueberzeugung, es sei dabei manches stark übertrieben, und eine Lavallière könne ihr das Herz des Königs nicht streitig machen, die Nachricht zunächst ein wenig skeptisch auf. – »Ei,« sagte sie, »die Lavallière soll doch verlobt sein?« – »Ganz recht, mit dem Grafen von Bragelonne,« antwortete Philipp, »aber das Merkwürdige ist ja eben, daß der König selbst sich gegen dieses Verhältnis erklärt hat, indem er sein Einverständnis zur Eheschließung verweigert hat.« – »Was sie sagen?« rief Madame, ein wenig betroffen. »Nun, so müssen die Liebenden warten, bis Majestät andern Sinnes wird. Das Paar ist jung, sie haben beide noch Zeit. Und dieses offenherzige Bekenntnis, das die Lavallière unter der Königseiche sprach – wann hat sie es denn eigentlich abgelegt?« – »Etwa vor zwei Stunden.« – Nun stutzte Madame ernstlich. »Wie?« murmelte sie wie zu sich selbst, »der König war seitdem schon wieder bei mir und hat mir gar nichts davon gesagt.« – »Begreiflich!« lachte Orléans, »hat er doch befohlen, nichts auszuplaudern. Es sollte alles ganz geheim gehalten werden.« – Die Prinzessin fühlte sich verletzt. Unbedingt mußte sie sofort mit dem König selbst sprechen. Sobald sie allein war, sandte sie ihm ein Billett, und Majestät erschien, denn obwohl sich in wenigen Stunden eine so große Wandlung mit ihm vollzogen hatte, daß er für die Prinzessin nichts mehr empfand, so zeigte er sich doch noch immer liebenswürdig und zuvorkommend.

Da er das Gespräch nicht auf Fräulein von Lavallière lenkte, so fragte Madame nach dem Befinden ihrer Ehrendame. – »Immer noch schlecht,« antwortete Ludwig anscheinend gleichgültig. – »Das Gerücht, das wir unter die Leute bringen wollten,« sagte sie, »hat sich sehr rasch verbreitet.« – »Fast rascher, als wir wünschten,« antwortete der König zerstreut. – Madame schwieg und wartete, ob er etwas von dem Abenteuer unter der Königseiche erzählen würde; aber er sprach kein Wort davon. Madame kam auch nicht darauf zu sprechen, so daß, als der König Abschied nahm, beiderseits jede vertrauliche Mitteilung unterblieben war.

Kaum war der König gegangen, so beschied sie Saint-Aignan zu sich, und von ihm erfuhr sie nun alles bis auf die kleinsten Einzelheiten; denn er wünschte sich nichts Besseres, als die Anekdote einem Mitglieds der königlichen Familie zu erzählen. – »Und glauben Sie denn, Herr Graf,« fragte sie, »das Geständnis der Lavallière habe einen tiefen Eindruck auf den König gemacht?« – »Sie hat ihn mit der Sonne verglichen,« antwortete er, »und das ist sehr schmeichelhaft.« – »Der König läßt sich durch solche Schmeicheleien nicht fangen,« meinte sie. – »Der König ist ebensosehr Mensch wie Sonne,« sagte der Hofmeister, »und ich habe es eben mitangesehen, wie er die Lavallière im Arm gehalten hat. Ihr Busen ruhte an seiner Brust, ihre Locken fielen über seine Schulter, ja ihre Wange ruhte an der des Königs.« – Madame stieß ein krampfhaftes Gelächter aus. »Ich danke Ihnen, Graf!« rief sie, »Sie sind ein scharmanter Erzähler.«

3. Kapitel. Unter der Königseiche

Madame rief am folgenden Abend Athenais von Tonnay-Charente zu sich. »Führen Sie mich doch einmal zu jener Königseiche, liebe Athenais,« sagte sie. »Ich möchte doch gar zu gern den Schauplatz dieses romantischen Abenteuers, in das Sie ja auch verwickelt sind, mit eigenen Augen sehen. Glauben Sie wirklich, der König habe alles gehört, was Sie gesprochen haben?«

»Jedenfalls hat er alles gehört, was die Lavallière gesprochen hat,« antwortete Athenais boshaft; denn sie durchschaute das Spiel der eifersüchtigen Herzogin. – »Ich würde gern einmal eine Probe anstellen, ob wirklich dort die Akustik so gut ist,« lachte Madame. Aber ihr Lachen klang doch recht gezwungen, wie der Ton einer Trompete, die einen Sprung hat. »Zeigen Sie mir diese famose Eiche.«

Athenais führte die Herzogin. – »Hier ist es, Königliche Hoheit.« – »Nun wollen wir doch gleich einmal hören, ob man wirklich verstehen kann –« – »Still!« flüsterte Athenais und hielt Madame mit einer Heftigkeit zurück, die gegen die Etikette war. »Hören Sie wohl? Hören Sie nun, daß man alles versteht?« – »In der Tat, es spricht jemand,« flüsterte Madame. Sie hielt den Atem an und vernahm nun die folgenden, von einer wohlklingenden Stimme gesprochenen Worte: »Ich sage dir, Rudolf, ich liebe sie rasend, ich werde sie lieben, koste es mich auch das Leben!«

Die Prinzessin fühlte sich von einem Schauer der Freude durchbebt, als sie diese Stimme hörte; ihre Augen blitzten. Sie zog ihre Begleiterin ein Stück weit zurück, bis man nichts mehr hören konnte. »Warten Sie hier, Athenais,« befahl sie leise, »und geben Sie acht, daß niemand uns überrascht. Ich glaube nämlich, in diesem Gespräch dort drüben ist von Ihnen die Rede. Da will ich einmal horchen. Wenn wir beide zusammen hier bleiben, könnten wir entdeckt werden. Erwarten Sie mich am Saum des Waldes.« Und da die Tonnay-Charente zögerte, setzte sie schroff hinzu: »Gehen Sie!« – Athenais raffte ihr seidenes Kleid und entfernte sich langsam. Die Herzogin kehrte zu dem Gebüsch zurück, in dessen tiefem Schatten sie sich verbarg. – »Ich bin doch begierig, zu hören,« dachte sie. »was Graf von Guiche, dieser verliebte Narr, Herrn Rudolf von Bragelonne von mir zu sagen hat.«

Nach einem kurzen Schweigen ergriff Rudolf das Wort. Er lehnte am Stamme, während sein Freund auf der Bank von Moos saß. – »Lieber Junge,« sprach Bragelonne, »deine Liebe ist dein Unglück. Sie wächst über dich selbst hinaus. Du gehörst dir nicht mehr selbst; der Wahnsinn schlägt über deinem Haupte zusammen wie eine Flut, die dich verschlingt, wie ein Feuer, das dich verzehrt. Und das schlimmste ist, deine Liebe ist so groß, daß sie nicht mehr zu verbergen ist. Alle Welt sieht sie dir an. Du kannst kein Geheimnis mehr daraus machen. Deine Rückkehr ist eine entsetzliche Unbesonnenheit gewesen. Wenn du nicht in letzter Stunde noch dich gewaltsam aufraffst, so steht die Katastrophe nahe bevor; und daß sie ein dir verhängnisvolles Ende nehmen muß, darüber bist du dir wohl nicht im Zweifel. Wer soll dich retten? Sie etwa? Auch sie kann dich von der Anklage dieser sträflichen Liebe, mag sie selbst auch sie nicht geteilt haben, nicht erretten.«

»Mag es so kommen,« antwortete der Graf. »Was ist der Tod? Ich lebe ja jetzt schon nicht mehr; denn ich lebe nur durch sie. Ich bin kein Mensch mehr; meine Kräfte sind erschöpft, meine letzten Entschlüsse sind verschwunden – ich gebe den Kampf auf. Sieh, als ich in dem Ballett trotz der königlichen Verbannung erschien, da dachte ich: du wagst dein Leben, es ist so nicht mehr viel wert. Und sie empfing mich freundlich; ich lebte auf in neuer Hoffnung. Was ist daraus geworden? Nicht ein Wort hat sie mit mir gesprochen – nicht einen Blick hat sie mir nachher noch vergönnt. Als der Tanz beendet war, hatte auch meine Person wieder ausgespielt. Zuerst habe ich mit mir selber gekämpft, dann habe ich gegen Buckingham gekämpft – mit dem König aber kann ich es nicht aufnehmen. Und selbst wenn der König zurücktritt, wo ist die Gewähr, daß ich glücklich würde? Sie ist ja gefühllos.«

»Du kannst ihr keinen Vorwurf machen,« erwiderte Bragelonne, »es ist ihr Temperament: ein wenig leichtfertig und wetterwendisch. Ich gebe zu, wer sein Herz noch nicht vergeben hat, kann sie nicht ansehen, ohne sie zu lieben, denn sie ist schön. Aber du solltest in ihr doch den Rang ihres Gemahls achten und vor allem auf deine eigene Selbstachtung und Sicherheit bedacht sein.« – »O, sprich nicht soviel Gutes von ihr,« fiel Guiche ihm ins Wort. »Ich kenne sie besser: sie ist nicht leichtsinnig, sondern frivol, nicht wetterwendisch, sondern charakterlos. Kurz, sie ist eine raffinierte Kokette ohne Herz. Sie könnte mit kaltem Blute ihr Opfer sterben sehen. O. Rudolf, ich habe Mut und kenne keine Furcht; ich liebe alle Gefahren leidenschaftlich – aber hier ist eine Gefahr, die meine Kraft und meinen Mut übersteigt. Und dennoch will ich noch über sie triumphieren. Ich werde vor sie hintreten und ihr zurufen: Ich liebte Sie bis zum Wahnsinn, ich warf mich vor Ihnen in den Staub, aber Sie haben mich in herzloser Laune und in kalter Grausamkeit mit den Füßen getreten. Ob Sie auch eine Prinzessin von königlichem Blute sind, Sie sind der Liebe eines Ehrenmannes nicht wert. Meine Liebe war eine Torheit, für die ich mir selbst die Todesstrafe auferlege, aber ich werde sterben mit dem Gefühl des Hasses wider Sie! Ich verlasse mein Vaterland, in der Fremde wird vielleicht ein Ungar, ein Kroate oder ein Türke die Barmherzigkeit haben, mir eine Kugel in die Brust zu jagen.«

Von Guiche verstummte. Das Gebüsch teilte sich – eine weibliche Gestalt, bleich, doch mit königlicher Haltung erschien vor den jungen Männern. Sie erkannten Lady Henriette. Der Graf sprang auf und stand da wie versteinert. Rudolf war keines Wortes fähig. – »Herr von Bragelonne,« sagte die Herzogin mit leise bebender Stimme, »haben Sie die Güte, sich umzuschauen, ob meine Damen in der Nähe sind. Sie, Graf Guiche, bleiben hier. Ich bin ermüdet. Geben Sie mir Ihren Arm.« – Bragelonne ging wie ein Träumender.

Von Guiche stand hochaufgerichtet vor Henriette, die diese Worte in kaltem, strengem Tone gesprochen hatte. Dann verneigte er sich mit der Grazie, die ein Hofmann noch auf dem Schafott bewahren würde, und reichte Henriette den Arm. Sie waren allein – rings um sie her lag der dunkle, schweigende Wald. Madame führte den Grafen von dem indiskreten Baume fort, der so vieles gehört und wiedergesagt hatte, bis sie eine Lichtung erreichten. – »Ich gehe hierher mit Ihnen.« sagte sie, »weil dort, wo wir zuerst standen, alles zu hören war.«

»Hoheit, wollen Sie damit sagen –?« – »Daß ich alles gehört habe, was Sie sprachen, ja!« – »O, mein Gott, das hat noch gefehlt,« stieß Guiche hervor. – »Und Sie beurteilen mich im Ernst so schlecht?« fragte sie. – Guiche senkte den Kopf und schwieg. – »Gut,« fuhr sie fort, »diese Aufrichtigkeit ist mir lieber als eine Schmeichelei. Ich bin für Sie also eine verachtungswürdige Kokette –« – »Verachtungswürdig?« rief der Graf. »Sie? O, nein, das kann ich nicht gesagt haben. Ich kann nicht verachtungswürdig genannt haben, was mir das Kostbarste auf Erden ist.«

»Ein Weib, das ruhig zusieht, wie ein Mann an dem von ihr angezündeten Feuer umkommt, ist verachtungswürdig,« antwortete Henriette. »Nun, Herr Graf. Sie sollen nicht durch mich ums Leben kommen. Ich will anders gegen Sie sein. Aufrichtig bin ich schon immer gewesen, ich will nun auch wahr sein. Und deshalb, Herr Graf, bitte ich Sie, lieben Sie mich nicht mehr und vergessen Sie, daß ich jemals einen Blick, ein Wort mit Ihnen getauscht habe. Verzeihen Sie mir meine Koketterie, und ich will Ihnen verzeihen, daß Sie mich sogar frivol und charakterlos genannt haben. Lassen Sie die Todesgedanken und erhalten Sie Ihrer Familie, dem König und den Damen einen Kavalier, der von allen geachtet und von vielen geliebt wird.« – Sie sprach diese letzten Worte in einem so zärtlichen Tone, daß dem armen Guiche das Herz zerspringen wollte. – »Madame, Madame!« rief er. – »Wenn Sie meine Bitte erfüllt haben,« fuhr die Herzogin fort, »dann wird an die Stelle dieser Liebe aufrichtige Freundschaft treten. Wenn Sie mir diese bieten, so werde ich sie von ganzem Herzen aufnehmen.«

Dem Grafen rann kalter Schweiß von der Stirn; er hatte den Tod im Herzen, ein Schauer durchbebte ihn; er biß sich auf die Lippe und murmelte tonlos: »Das kann nie geschehen. Aus Freundschaft kann wohl Liebe werden – doch aus Liebe, aus wahrer Liebe wird nimmermehr Freundschaft! Madame, Sie können mich verstoßen, Sie können mich verfluchen – Sie werden recht daran tun, denn ich habe Sie beleidigt. Aber es geschah aus Liebe. Ich will den Tod erleiden, aber sterbend noch werde ich Sie lieben.«

»Dann,« antwortete sie mit heiterem Lächeln, »ist das Uebel unheilbar und muß mit schmerzstillenden Mitteln behandelt werden. Geben Sie mir Ihre Hand! O, wie kalt ist sie.« – Von Guiche kniete ungestüm nieder und preßte die Lippen nicht auf eine, sondern auf beide Hände der Prinzessin. Sie zog ihn zu sich empor. – »Da es nicht anders sein kann,« flüsterte sie, »so lieben Sie mich nur!« – Guiche zitterte am ganzen Körper, und die Prinzessin fühlte dieses Beben und erkannte daran, wie tief seine Liebe war. – »Ihren Arm, Graf!« sagte sie. »Lassen Sie uns nach Hause gehen.« – »Königliche Hoheit,« stammelte der Graf, »haben ein drittes Mittel gefunden, mich zu töten.« – »Aber es ist glücklicherweise das langwierigste,« antwortete sie.

6. Kapitel. Eifersucht

Anna von Oesterreich saß in ihrem Zimmer und schrieb, als ihr Sohn, Monsieur, der Herzog von Orléans, eintrat. Er war um seines hübschen Gesichts willen der Liebling der Mutter und von ihr fast noch mehr verwöhnt und verhätschelt worden als Ludwig, der ältere. Anna hätte sehr gern eine Tochter gehabt und fand in diesem weibisch veranlagten Sohn einen Ersatz dafür.

Philipp küßte seiner Mutter zerstreut die Hand und nahm Platz, ohne von ihr dazu aufgefordert zu sein. Das war ein Verstoß gegen die Etikette, den die sehr auf Konvenienz haltende Königin gewiß nicht ungerügt gelassen hätte; doch hielt sie ihn der offenbaren Zerstreuung ihres Sohnes zugute.

»Was fehlt dir, Philipp?« fragte sie befremdet. – »Vielerlei, Mama,« antwortete er in kläglichem Tone. Und er schien bereit, allem Verdruß, den er empfand, Luft zu machen; doch ganz plötzlich hielt er inne und schwieg seufzend. – »Nun, so sprich doch, Philipp,« sagte Anna. »Handelt es sich um Madame, deine Gemahlin? Dann tu dir keinen Zwang an. Ich bin deine Mutter, und sie ist meine Schwiegertochter. Ich werde dir mit Teilnahme zuhören.«

»Nun, Frau Mama, frei heraus – ist Ihnen selbst nichts aufgefallen?« fragte der Prinz. – »Was denn? du drückst dich sehr unklar aus –« – »Sie wissen, Frau Mama, ich wollte noch nicht heiraten und habe es nur mit Widerstreben getan –« – »Philipp, wie du das sagst! Mit was für einem Gesicht!« rief die Königin-Witwe. »Nimm dich in acht! Man wird glauben, du seiest mit deiner Ehe nicht zufrieden.« – »Bin ich auch nicht – mache gar kein Hehl daraus. Offen gesagt, Frau Mama, ich habe mir das Leben als Ehemann anders gedacht. Was denn? Meine Gemahlin gehört ja eigentlich gar nicht mir. Wann ist sie denn bei mir? Sie wird von allen möglichen Leuten besucht und in Anspruch genommen, schreibt nachmittags Briefe und gibt abends Bälle und Konzerte.«

»Also eifersüchtig, Philipp?« – »Gott bewahre, das überlasse ich andern. Aergerlich bin ich.« – »Was du da vorgebracht hast, das sind lauter harmlose Dinge, und solange du nichts Ernsthaftes –« – »Muß denn eine Frau gleich schuldig sein? Sie kann einem trotzdem schon das Leben schwer machen. Sie kann gewisse andere Herren in einer Weise bevorzugen, die selbst einen nichts weniger als eifersüchtigen Ehemann außer sich bringen kann.«

»Und wen bevorzugt Madame in solcher Weise?« fragte Anna. – Philipp kreuzte die Arme und sah seine Mutter mit einem Blicke an, als wenn er überzeugt sei, daß sie auf das, was er nun sagen werde, nichts zu antworten wissen würde. – »Den schönen Herzog von Buckingham,« sagte er. »Wenn Sie schon Madame in Schutz nehmen, werden Sie auch ihn verteidigen. Er ist in Madame verliebt.«

Anna von Oesterreich errötete und lächelte. Der Name Buckingham erweckte süße Erinnerungen in ihr. – »Buckingham,« wiederholte sie leise. – »Ja, ein richtiger Don Juan, wie mir scheint.« – »Die Buckinghams sind brav und gut,« erwiderte Anna. – »Ei, Frau Mama nehmen einen Galan in Schutz?« rief Philipp erbittert. – »Mein Sohn,« unterbrach ihn die Königin-Witwe mit Wärme. »Dieser Ausdruck ist deiner unwürdig. Deine Gemahlin kann keinen Galan haben, und ein Buckingham kann kein Galan sein. Er stammt aus einem makellosen Geschlecht.« – »Er ist ein Engländer,« erwiderte Philipp, »und die Engländer haben wenig Respekt vor fremdem Eigentum.« – Die Königin-Witwe errötete. – »Du sprichst ohne Ueberlegung,« fiel sie ihm ins Wort. – »Da ist nichts zu überlegen,« versetzte er. »Habe ich denn keine Augen?«

»Nun, was zeigen dir deine Augen?« – »Daß Buckingham nicht von der Seite meiner Frau weicht. Er macht ihr Geschenke, und sie nimmt sie an.« – »Nun, sie sind Landsleute, es ist nichts Schlimmes dabei,« antwortete die Königin-Witwe. »Deine Torheiten erinnern mich schmerzlich an deinen Vater – er hat mir auch oft wehgetan.« – »Buckingham, der Vater, war gewiß zurückhaltender als Buckingham, der Sohn,« sagte Philipp unbesonnen.

Anna von Oesterreich preßte die Hand auf die Brust. 3 Nur mit Mühe faßte sie sich. »Nun, was willst du denn eigentlich von mir?« fragte sie. – »Mich beschweren – aufs nachdrücklichste,« antwortete Monsieur. »Ich werde mir von Buckingham nichts gefallen lassen und mich im Notfall an den König selbst wenden. Oder,« setzte er in einem Tone der Festigkeit hinzu, der sonst seiner weibischen Natur fremd war, »mir selbst mein Recht verschaffen.«

»Was verstehst du darunter?« fragte Anna. – »Ich will, daß Buckingham meine Frau in Ruhe läßt. Er muß fort aus Frankreich – und ich werde ihm das sagen lassen.« – »Das wirst du nicht tun, Philipp,« rief die Königin-Mutter. »Es wäre gegen das Gastrecht, und du würdest den König erzürnen. Ein unhöfliches Benehmen gegen Buckingham wäre eine Spitze gegen England selbst und könnte zum Zwiespalt führen. Und hier liegt außerdem eine faktische Beleidigung gar nicht vor. Es ist nichts als Eifersucht auf deiner Seite. Ich ermahne dich daher zur Geduld.«

»Ich habe keine Lust mehr, mich narren zu lassen,« rief Philipp und erhob sich. »Wenn Buckingham nicht mein Haus verläßt, so werde ich es ihm verbieten.« – Anna von Oesterreich erhob sich ebenfalls – steif und förmlich. – »Dann allerdings muß mit dem König darüber gesprochen werden,« sagte sie bewegt. – »Frau Mama!« rief Philipp. »Sprechen Sie doch jetzt mit mir als Mutter, nicht als Königin, denn ich spreche ja auch mit Ihnen als Sohn. Was soll ich denn tun?« – »Ueberlasse alles mir,« antwortete sie in wärmerem Tone. »Laß dir weder gegen deine Gemahlin, noch gegen den König, noch gegen Buckingham etwas merken. Sage dem Herzog, wenn du ihn siehst –« – »Wie soll ich ihn nicht sehen?« unterbrach sie der Sohn. »Er ist ja stets in den Zimmern meiner Frau –« – »Sage ihm nichts weiter,« fuhr die Königin fort, »als daß ich ihn um einen Besuch bitte.« – Philipp küßte seiner Mutter die Hand und ging.

Lord Buckingham folgte der Einladung der Königin-Mutter und ließ sich eine halbe Stunde später bei ihr melden. Die Königin stand auf und erwiderte mit huldvollem Lächeln die graziöse Begrüßung des Herzogs. Anna von Oesterreich war noch immer schön. Trotz ihres Alters erregte ihr blondes Haar und das frische Rot ihrer Lippen die Bewunderung aller, die sie sahen. In diesem Augenblick verlieh ihr die zärtliche Erinnerung, der sie sich überließ, einen besonderen Reiz, und sie schien noch so berückend, wie in den Tagen ihrer Jugend, als der junge, leidenschaftliche Vater dieses Buckingham vor ihr stand – jener Unglückliche, der nur für sie gelebt und mit ihrem Namen auf den Lippen gestorben war.

Sie warf auf den Herzog einen Blick, der zwischen dem einer liebenden Mutter und dem einer sich noch schön fühlenden Frau zu schwanken schien, und bat ihn auf englisch Platz zu nehmen. Es war eine große Zuvorkommenheit, daß die ältere Dame den jungen Kavalier in der Sprache seines Landes anredete. Buckingham wußte das und war durch diesen freundlichen Empfang tief ergriffen. »Mylord,« begann Anna von Oesterreich, »wie finden Sie Frankreich?« – »Ein schönes Land, Majestät.« – »Aber wie jeder Engländer ziehen Sie Ihr Vaterland vor?« fragte die Königin weiter. – »Mein Vaterland, ja,« antwortete der Herzog diplomatisch. »Aber wenn die Frage zwischen London und Paris liegt, so ist mir Paris lieber.« – »Ich habe gehört, Sie besitzen drüben schöne Güter und bewohnen einen prachtvollen Palast,« sagte Anna. – »Es ist meines Vaters Palast,« antwortete der Herzog, die Augen niederschlagend.

»Teure Erinnerungen müssen Sie an diesen Ort knüpfen,« sprach die Fürstin, selbst von solchen Erinnerungen berührt. »Da werden Sie gewiß Frankreich bald verlassen, um diesen Schätzen wieder nahe zu sein.« – Buckingham sah befremdet auf. – »Ich glaube im Gegenteil,« versetzte er rasch, »ich werde England verlassen, um dauernd in Frankreich zu wohnen.« – »Ah,« rief Anna, »so stehen Sie bei dem neuen König nicht in Gunst?« – »Im Gegenteil, der König schenkt mir unbegrenztes Wohlwollen.« – »Dann müssen Sie einen geheimen Grund haben,« sagte Anna.

»Nein,« erwiderte Buckingham lebhaft. »es ist gar nichts Geheimes dabei. Es gefällt mir in Frankreich – ich fühle mich wohl an diesem Hofe – man findet hier Geschmack und feine Sitte – und Genüsse, die es in meiner Heimat nicht gibt.« – »Aber ein Mann von Ihrem Range darf doch über die Genüsse nicht vergessen –« begann die Königin. – »Majestät scheinen zu viel Gewicht auf diesen Punkt zu legen,« unterbrach der Brite sie. – »Das Leben in der Heimat geht über alles, Herzog,« fuhr die Königin-Witwe fort, »ich bin lange von meinem Vaterlande fort, und doch ist kein Jahr verflossen, wo ich mich nicht danach gesehnt hätte.«

»Kein einziges?« erwiderte der Lord. »Auch keins von denen, wo Majestät die Königin der Schönheit waren – was Sie übrigens heute noch sind?« – »O, keine Schmeicheleien, Mylord,« rief Anna. »Ich bin eine alte Frau – ich könnte Ihre Mutter sein.« – Sie sagte diese Worte in seltsam warmem Tone. – »Ja, Mylord,« fuhr sie fort, »ich könnte Ihre Mutter sein, und deshalb gebe ich Ihnen einen guten Rat.«

»Nach London zurückzukehren?« rief er. – »Ja, Mylord,« antwortete sie. – Er faltete mit einem Ausdruck des Entsetzens die Hände. – »Wie, ich soll abreisen? Mich selbst verbannen?« rief er. – »Ei, möchte man doch fast glauben, Sie seien in Frankreich daheim!« sagte die Fürstin. – »Majestät, ein Liebender ist dort daheim, wo die Geliebte weilt.« – »»Kein Wort mehr, Mylord!« fiel Anna ihm ins Wort. »Sie vergessen, mit wem Sie reden. Sie verraten sich!« – Buckingham sank aufs Knie. – »Ich habe nichts gesagt – ich weiß nichts,« stammelte er. »Und übrigens, wir reden ja unter vier Augen – es weiß ja niemand, daß Majestät mit mir darüber sprechen.« – »Doch, Mylord, man weiß es,« antwortete Anna. – »Wie?« rief der Herzog außer sich. »Wer hat mich denunziert? Madame, es gibt Geheimnisse, die denen, die sie aufdecken, das Leben kosten!« – »Wie töricht! Der, der Ihr Geheimnis entdeckt hat, ist Ihrem Arm entrückt: er ist mit allem Recht gewaffnet und obendrein ein Ehemann voller Eifersucht. Es ist mein Sohn, der Herzog von Orléans.«

Buckingham erblaßte. – »Majestät sind grausam,« stieß er hervor. – Die Königin ergriff seine Hand, »Villiers,« sagte sie mit Ungestüm, »was verlangen Sie? soll eine Mutter ihren Sohn opfern? soll eine Königin dulden, daß Schmach über ihr Haus kommt? Schlagen Sie sich das aus dem Sinn! Sie reden von den Verstorbenen; die waren wenigstens ehrerbietig und gehorsam – fügten sich geduldig in die Verbannung und nahmen die Verzweiflung mit sich wie einen Schatz, den sie in ihr Herz schlossen.«

Verstörten Antlitzes stand Buckingham auf. »Majestät haben recht,« versetzte er; »doch jene, von denen Sie reden, erhielten den Befehl der Verbannung aus einem geliebten Munde – man trieb sie nicht fort – man bat sie abzureisen.« – »Und wer treibt denn Sie fort? Ich rede hier ja nur für mich selbst. Ich verlange einen Gefallen, den Sie mir persönlich tun sollen. Ich möchte auch dies noch einem Ihres Namens zu verdanken haben.« – »Ich bin in Verzweiflung, Majestät – was Sie sagen, ist wohl ein Trost, doch er wird mir nicht genügen–« – »Freund,« erwiderte die Königin mit huldvollem Lächeln, »haben Sie Ihre Mutter gekannt?« – »Nur wenig,« antwortete er, »doch erinnere ich mich, daß die edle Dame mich mit Küssen bedeckte, wenn ich weinte.«

»Villiers,« flüsterte die Königin und schlang den Arm um den Hals des jungen Mannes, »ich fühle für Sie wie eine Mutter – und ich will nicht, daß Sie weinen.« – »Dank, gnädigste Frau,« antwortete er bewegt, »ich fühle, mein Herz hat noch für ein tieferes, sanfteres Gefühl als die Liebe Raum. Wann soll ich reisen?« – »Uebermorgen abend; es darf nicht auffallen,« antwortete sie, ihm die Hand drückend. »Kündigen Sie jedoch heute schon Ihren Entschluß an.« – »Und ich darf nie nach Frankreich zurückkehren?« – Anna schwieg einen Moment, dann rief sie heiter: »Nun, kommen Sie in zwei Jahren wieder. Ich lese trotz aller augenblicklichen Trauer in Ihrem Antlitz, daß die Gedanken, die Sie heute bestürmen, in sechs Monaten vergessen sein werden.« – »Die Zeit geht am Herzen eines Buckingham spurlos vorüber,« antwortete der Lord. – »Still, still!« fiel Anna ihm ins Wort und küßte ihn auf die Stirn. »Nicht weich werden – ich bin die Königin, Sie sind Untertan Karls II. Ihr Souverän erwartet Sie. Villiers, farewell!« – »For ever!« 4 rief Buckingham und eilte, die Tränen verschluckend, hinaus. Anna preßte die Hand aufs Herz. – »Arme Königin!« flüsterte sie. »Jawohl, die Zeit geht für das hier drinnen spurlos vorüber. In einem Winkel des Herzens bleibt man immer zwanzig Jahre alt.«

  1. Annas Liebesverhältnis mit Herzog von Buckingham ist historische Tatsache.
  2. farewell – lebewohl! – for ever – auf ewig!

7. Kapitel. Feindseligkeit

Am Abend desselben Tages, an welchem Lord Buckingham diese Unterredung mit der Königin-Witwe hatte, trafen die Grafen de la Fère und von Bragelonne in Paris ein. Rudolf ließ sofort für seinen Vater um eine Audienz beim König bitten. Majestät hatte eben die Spielpartie aufgehoben, um noch mit Fouquet und Colbert zu arbeiten. – »Ich habe noch eine Stunde für mich,« sagte der König. »Man lasse den Grafen de la Fère vor.«

Athos wurde mit jenem Wohlwollen empfangen, das Ludwig XIV. mit einem für seine Jugend überraschenden Takt zu äußern verstand. »Graf,« sagte er, »gestatten Sie mir zu hoffen, daß Sie etwas von mir zu erbitten haben.« – »Ich komme wirklich mit einer Bitte, Majestät,« antwortete Athos. »Doch nicht für mich, Sire, sondern für den Grafen von Bragelonne.« – »Das ist für mich dasselbe, als wenn es sich um Ihre eigene Person handelte,« sagte der König. »Sprechen Sie Herr Graf.« – »Mein Sohn wünscht sich zu vermählen. Er bittet um die Einwilligung Eurer Majestät.«

»Hat er ein reiches, standesgemäßes Fräulein ausgesucht?« fragte Ludwig XIV. – Athos zögerte. »Die Braut ist adelig,« antwortete er dann. »Doch nicht reich.« – »Das ist ein Uebel, dem wir abhelfen werden,« erwiderte der junge Monarch. – »Darum ist es mir nicht zu tun mit meiner Herkunft,« antwortete Athos fest. – »Nun, kein falsches Zartgefühl, Graf,« sagte der König. »Wie heißt die Braut?« – »Fräulein von Labaume-Leblanc und von Lavallière.« – »Den Namen kenne ich,« sagte Ludwig XIV. nachsinnend. »Ein Marquis von Lavallière – doch er ist tot, wie? Ganz recht, und die Witwe heiratete noch einmal – einen Herrn von Saint-Rémy. Nun, der verdirbt die Familie ein bißchen, aber Lavallière ist gut. Das Fräulein ist jetzt Ehrendame bei Madame, nicht wahr? Mich dünkt, Graf, die Dame ist nicht sehr hübsch.« – »Mein Sohn liebt sie,« antwortete Athos. – »Ich habe nichts Besonderes an ihr gefunden,« sagte der König. »Hübsches blondes Haar allerdings und schöne blaue Augen – aber sonst –«

Athos zuckte die Achseln. – »Sie setzen mich in Erstaunen, Graf,« fuhr die Majestät fort. »Sie bitten um die Einwilligung zu dieser Heirat, aber Ihnen selbst scheint nicht viel daran gelegen zu sein. Doch, doch! Ich täusche mich selten, so jung ich auch bin. Sie tun es mit offenbarem Widerstreben.« – »Ich will ganz offen reden, Sire,« antwortete Athos, sich verneigend. »Bragelonne erträumt sich von dieser Ehe ein Paradies, und sein Glück liegt auch mir am Herzen. Doch gestehe ich aufrichtig, ich glaube nicht recht an die Liebe des Fräuleins. Sie ist fast noch ein Kind. Sie ist nun am Hofe einer jungen schönen Prinzessin, da wird sie in ihrer Freude an dem Hofleben nicht viel Sinn für einen zärtlichen Liebhaber übrig haben. Kurz, ich fürchte, es wird eine Ehe, wie wir deren viele bei Hofe haben. Doch Bragelonne will es so, also möge es geschehen.«

»Nun, auch mir liegt das Glück des Grafen von Bragelonne am Herzen,« antwortete der König entschlossen, »und deshalb verweigere ich meine Einwilligung.« – »O, Sire! welch ein Schlag für Bragelonne!« – »Den Schlag werde ich ihm selbst geben. Uebrigens sage ich ja auch gar nicht, daß er das Fräulein von Lavallière nicht heiraten solle. Ich verlange nur, daß er warte. Ich gedenke ihn besonders auszuzeichnen, er soll sich dieser Gunst erst würdig zeigen. Und auch dem Fräulein muß man Zeit lassen, ihr Glück bei Hofe zu machen. Die beiden sind noch jung. Kurz und gut, ich will, daß sie warten. Hatten Sie mir sonst noch etwas zu sagen?«

»Nichts weiter, Sire – ich nehme meinen Urlaub, um meinem Sohne diesen Bescheid zu bringen.« – »Ersparen Sie sich diese unangenehme Botschaft. Sagen Sie ihm nur, ich würde morgen vormittag selbst mit ihm sprechen. Herr Graf, Sie werden heute abend an meiner Spielpartie teilnehmen.« – Athos ging mit einer Verneigung hinaus. Draußen erwartete ihn Bragelonne. – »O, Sie bringen mir keine gute Nachricht!« rief der junge Mann nach einem Blick auf das Gesicht seines Vaters. – »Majestät ist sehr gütig zu uns,« antwortete de la Fère. »Er will morgen selbst mit dir sprechen. Mehr kann ich dir vorerst nicht sagen.«

Rudolf schwieg bestürzt. Sie schritten nebeneinander die Treppe hinab. – »Da ich einmal hier bin,« sagte Athos, »so könnte ich meinem Freunde d’Artagnan guten Tag sagen. Führe mich nach seinem Zimmer, Rudolf.« – Sie wandten sich dem Flügel des Schlosses zu, wo der Kapitän der Musketiere wohnte, als ihnen ein Lakai in der Livree des Grafen von Guiche entgegentrat. Er reichte Rudolf einen Brief. – »Sie erlauben, lieber Vater,« sagte Bragelonne und öffnete das Schreiben. Von Guiche bat ihn, augenblicklich zu ihm zu kommen, es handle sich um eine sehr wichtige Angelegenheit. Kaum hatte er diesen Brief gelesen, so trat ein Diener in der Livree des Herzogs von Buckingham auf ihn zu und überreichte ihm ein Billet. – »Du bist ja beschäftigt wie ein kommandierender General, Rudolf,« rief Athos lachend. »Nun, ich verlasse dich. Ich werde den Weg zum Chevalier schon finden.« – »Ich sehe Sie morgen noch vor Ihrer Heimreise,« sagte Rudolf. Dann öffnete er das Schreiben des Engländers.

»Herr von Bragelonne,« schrieb der Herzog, »von allen Franzosen, die ich kennen gelernt habe, sind Sie mir der liebste. Ich werde Ihrer Freundschaft bedürfen. Ich erhalte eben eine in gutem Französisch geschriebene Nachricht, die ich als Engländer nicht recht zu verstehen fürchte. Der Schreiber ist ein Mann von gutem Namen. Kommen Sie, bitte, zu mir; Sie sind ja schon wieder von Blois zurück, wie ich höre. Ihr ergebener Villiers, Herzog von Buckingham.«

Rudolf ging zuerst zu Herrn von Guiche, den er in der Gesellschaft Manicamps und de Wardes‘ antraf. Er schüttelte seinem Freunde die Hand und warf einen Seitenblick auf die beiden jungen Männer, um zu erkunden, was in ihrem Geiste vorgehe. Manicamp betrachtete ein paar neue prächtige Möbel, und von Wardes stand regungslos da, kalt und undurchdringlich. Von Guiche ging mit Rudolf in ein Nebenzimmer. – »Wie geht es dir, Rudolf? Du siehst gut aus,« sagte er. – »Das wundert mich,« antwortete Bragelonne. »Denn ich bin nicht sehr lustig gestimmt.« – »Geht dir’s wie mir? Unglück in der Liebe! Ach, Rudolf, mir geht es aber doch noch schlechter, denn ich bin nicht nur unglücklich, sondern muß auch noch lauter glückliche Menschen um mich her sehen. Rudolf,« rief der Graf, »vergebens habe ich gegen die Leidenschaft angekämpft, die du in mir entstehen sahest; umsonst habe ich mir den Abgrund vergegenwärtigt, in den ich zu stürzen bereit bin. Ich kann nicht zurück.« – »Und doch stehst du schon hart am Rande,« unterbrach Rudolf ihn. »Ein Schritt weiter – und es ist dein Tod.« – »Weiß ich – und dennoch!« – »Wie? Bildest du dir etwa ein, Madame liebe dich?« – »Ich bilde mir nichts ein – aber die Hoffnung! sie lebt doch einmal im Menschen; man fristet sein Dasein von ihr bis ins Grab hinein.« – »Aber, Freund, zugegeben, du erlangst dieses erhoffte Glück,« sagte Rudolf, »so bist du dann ja nur noch sicherer verloren, als wenn du es nicht erlangst.«

»Unterbrich mich nicht, Rudolf,« antwortete der junge Mann. »Du überzeugst mich doch nicht; ich sage dir im voraus, ich will mich nicht überzeugen lassen. Ich bin so weit gegangen, daß ich nicht mehr zurück kann. Ich habe so viel gelitten, daß ich den Tod als Wohltat begrüße. Ich liebe nicht nur bis zum Wahnsinn, ich bin auch eifersüchtig bis zur Raserei.« – »Sehr nett!« rief Rudolf mißvergnügt. – »Nett oder nicht nett, das ist einerlei,« fuhr von Guiche fort. »Madame vergnügt sich, eine Freude jagt die andere, und inmitten dieser Lustbarkeiten stellt sich der Schatten eines andern immer wieder zwischen sie und mich und verdunkelt mich mehr und mehr. In ihr Ohr dringt stets eine schmeichlerische Stimme die doch nicht die meine ist. Seit drei Tagen, Rudolf, schwindelt mir der Kopf, ich bin nicht mehr Herr meiner Sinne, mein Blut ist in Wallung, ich muß diesen Schatten verscheuchen, diese Stimme verstummen machen.«

»Du sprichst von Buckingham?« antwortete Rudolf. »So bist du es, der ihm geschrieben hat?« – »Woher weißt du das?« fragte Guiche erstaunt. – »Er ließ es mir sagen. Sieh her,« und Rudolf reichte seinem Freunde den Brief des Engländers. Der Graf las und sagte dann: »Daran erkennt man einen wackern Menschen.« – »Das ist der Herzog auch. Und ich hoffe nur, du hast ihm in ebenso höflicher Form geschrieben.« – »Ich habe ihn gebeten, mich morgen oder übermorgen – wann es ihm nun genehm ist – in Vincennes zu erwarten.« – »Bedenke, was du tust!« rief Rudolf warnend. – »Ich glaube, ich habe dir schon gesagt, daß ich alles überlegt habe,« versetzte Guiche ungeduldig. – »Der Herzog ist ein Fremder und in einer Mission hierher gekommen, die ihn unverletzlich macht. Und Vincennes liegt in der Nähe der Bastille.« – »Die Folgen nehme ich auf mich,« erwiderte der Graf. »Dem Herzog wird es ebenso erwünscht sein, wie mir, denn er muß mich nicht minder hassen als ich ihn.« – »Der Herzog hat mir geschrieben, er wolle mich sprechen,« antwortete Rudolf. »Er wird bei der Spielpartie des Königs zu finden sein. Wir wollen beide hingehen. Laß Herrn von Manicamp mitkommen.«

Sie gingen zu viert in den Hof hinab und fuhren im Wagen des Grafen zum Palais-Royal. Unterwegs sann Rudolf nach, auf welche Weise er eine Aussöhnung der beiden Feinde herbeiführen könnte. Bei dem Eintritt in den blendend erleuchteten Saal, der von erlauchten Herren und Damen erfüllt war, konnte Rudolf nicht umhin, einen Augenblick Herrn von Guiche zu verlassen, um Luise anzuschauen, die unter den andern Ehrenfräulein, einer scheuen Taube gleich, den von Diamanten und Gold erstrahlenden königlichen Cercle betrachtete. Die Umgebung stand, der König allein saß. Rudolf bemerkte Buckingham, der mit Fouquet sprach. Sie unterhielten sich ganz laut über Belle-Ile. – »Ich kann in diesem Moment nicht zu ihm,« flüsterte Bragelonne seinem Freunde zu. – »So passe den günstigsten Augenblick ab, doch mach‘ schnell, die Ungeduld verzehrt mich.« – »Siehe, der dort kann uns helfen,« sagte Rudolf und deutete auf den Chevalier d’Artagnan, der in seiner prächtigen Uniform als Generalkapitän der Musketiere in martialischer Haltung hereinkam. Rudolf trat sofort auf den Chevalier zu.

»Graf de la Fère hat Sie gesucht,« sagte er. – »Ich habe ihn eben verlassen,« antwortete der Chevalier. »Wir wissen, wo wir uns wiedertreffen können.« – Bei diesen Worten schweiften d’Artagnans Blicke rings im Saale umher; er schien jemand zu suchen. – »Sie können mir einen Dienst erweisen, Chevalier,« sagte Bragelonne. »Ich möchte ein paar Worte mit dem Herzog von Buckingham sprechen, der dort mit Herrn Fouquet spricht.« – »Ah, Fouquet ist da?« rief d’Artagnan. »Wir kennen uns – und er sieht eben auch nach mir. Gut, ich gehe gleich hin.«

D’Artagnan schritt geradeswegs auf die Gruppe zu und begrüßte die Herren mit kriegerischer Würde. – »Ah, guten Abend, Chevalier,« rief Fouquet. »Wir sprechen eben von Belle-Ile –« – »Herr Fouquet,« setzte Buckingham hinzu, »sagte mir, er habe diese schöne Besitzung dem König geschenkt. Kennen Sie Belle-Ile?« – »Ich bin ein einzigesmal dort gewesen,« antwortete d’Artagnan. – »Und wie lange hielten Sie sich auf?« fragte Fouquet. – »Einen einzigen Tag,« sagte der Kapitän. – »Und was haben Sie dort gesehen?« – »Was man bei so kurzem Aufenthalt eben sehen kann.« – »Ein Tag ist viel für einen Mann Ihres Scharfblicks,« antwortete Fouquet. – D’Artagnan verneigte sich. –

»Herr Minister,« sagte nun Lord Buckingham, »ich lasse Sie mit dem Chevalier allein – ein Freund winkt mir zu.« – Er verließ die Gruppe und ging zu Rudolf, der ihm entgegenkam, während von Guiche auf seinem Platze blieb. Die beiden jungen Männer befanden sich nun in dem freien Raume zwischen dem Spieltisch und der Galerie. In diesem Augenblick trat Monsieur zur Tür herein und geriet nun zwischen die beiden feindlichen Parteien. – »Mylord, sehr erwünscht,« sprach der Prinz ohne weiteres. »Was muß ich eben zu meiner Bestürzung hören?«

Buckingham erblaßte und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. – »Eine Nachricht, die den ganzen Hof in Trauer versetzen wird,« fuhr Monsieur fort. – »Zu gütig, königliche Hoheit, sofern Sie damit auf meine Abreise anspielen,« antwortete der Brite. »Das kann doch nur für mich ein trauriges Ergebnis sein.« – Von Guiche erschrak. »Er reist ab,« murmelte er bei sich selbst. – Rudolf wechselte einen raschen Blick mit seinem Freunde. Monsieur fuhr fort: »Ich begreife, der König von Großbritannien kann einen Edelmann von Ihrem Wert nicht lange entbehren; aber auch wir sehen Sie nur mit Bedauern scheiden.« – »Gnädigster Herr,« unterbrach der Lord den Prinzen, »seien Sie versichert, ich verlasse den französischen Hof nur, weil –« – »Weil Sie zurückgerufen werden,« fiel der Herzog von Orléans ihm ins Wort, »ich weiß. Aber wenn Sie meinen, daß mein Wunsch einiges Gewicht bei Seiner Majestät Karl II. haben könnte, so will ich ihn gern bitten, daß er Sie uns noch ein kleines Weilchen hier lasse.« – »Ich habe gemessenen Befehl, Hoheit,« versetzte Buckingham. »Nur allzu lange schon bin ich hier geblieben.« – »Und wann reisen Sie ab?« fragte Philipp mit gut gespielter Teilnahme. – »Morgen, Hoheit.« – Monsieur antwortete mit einer Handbewegung, die zu sagen schien: »Nun, gegen einen so festen Entschluß läßt sich wohl nichts tun,« und schritt mit einer leichten Verneigung weiter.

Von der entgegengesetzten Seite trat Graf Guiche heran. Rudolf befürchtete, sein ungestümer Freund wolle seine Forderung selbst vorbringen, und schritt rasch dazwischen. – »Nein, Rudolf, nun ist ja alles erledigt,« sagte von Guiche und streckte dem Herzog von Buckingham die Hand hin. »Verzeihen Sie mir, Mylord, was ich Ihnen geschrieben habe. Ich war ein Tor.« – »In der Tat,« antwortete der Herzog mit schwermütigem Lächeln, »Sie können mir nun nicht mehr böse sein. Wir werden uns nicht wiedersehen.«

Rudolf fühlte, daß er bei dem Gespräch der beiden überflüssig sei, und trat zurück. Dadurch kam er in die Nähe des Marquis von Wardes, der mit Chevalier von Lorraine sprach. – »Ein kluger Rückzug,« sagte der Marquis spöttisch. »Der Herzog erspart sich auf diese Weise ein paar Schwertstreiche.« Und er lachte dazu. – Rudolf fühlte abermals jenen Zorn aufsteigen, der ihn fast beim bloßen Anblick des Herrn von Wardes ergriff. – »Mein Herr,« sagte er, »Sie wollen es also nicht unterlassen, Abwesende zu verunglimpfen? Gestern war’s Chevalier d’Artagnan, heute ist’s Herzog von Buckingham.« – »Der Herr Vicomte weiß recht wohl,« versetzte Wardes höhnisch, »daß ich manchmal auch Anwesende verunglimpfe.« – Sie standen voreinander und maßen sich mit funkelnden Blicken; der eine war auf dem Höhepunkt seines Hasses, der andere hatte seine Geduld erschöpft.

Eine höfliche Stimme hinter ihnen sprach die Worte: »Mich dünkt, man nannte meinen Namen.« – Wardes sah sich um und erblickte d’Artagnan, der ihn lächelnd begrüßte. »Herr von Wardes, ich habe mit Ihnen zu reden. Du kannst bleiben, lieber Rudolf,« setzte er hinzu, als Bragelonne diskret zurücktreten wollte. »Jedermann kann mit anhören, was ich diesem Herrn zu sagen habe.« – Sein Lächeln verschwand, sein Blick wurde kalt und hart wie eine Degenspitze. – »Ich stehe zu Diensten,« antwortete Wardes.

»Der Ort hier eignet sich nicht dazu,« fuhr der Chevalier fort. »Folgen Sie mir in meine Wohnung. Sie sind wahrscheinlich mit mehreren Freunden hier, nicht wahr? Bringen Sie sie mit. Komm, Rudolf – ich erwarte Sie, Herr von Wardes!« – Mit diesen Worten wandte er sich um und verließ den Saal zusammen mit Bragelonne. Sie traten beide in das Zimmer des Kapitäns und fanden dort den Grafen de la Fère. D’Artagnan hatte kaum Zeit, seinem Freunde zu sagen, daß Wardes zu ihm kommen werde, so öffnete sich die Tür, und der junge Mann trat ein, begleitet von den Herren von Guiche, von Buckingham, von Manicamp, und noch drei anderen Edelherren. Der Kapitän empfing seine Gäste mit allem Anstand, den er bei einem so unangenehmen Anlaß zu äußern vermochte. Er bat die Herren um Entschuldigung, daß er ihre Zeit in Anspruch nehme, und wandte sich dann sogleich an von Wardes. »Mein Herr,« begann er, »hier können wir ungehindert reden. Erfahren Sie denn, weshalb ich Sie um Ihren Besuch bat und die Herren hier mitkommen ließ. Ich habe von meinem Freunde, dem Grafen de la Fère erfahren, daß Sie in beleidigender Weise von mir gesprochen haben. Sie betrachten mich als Ihren Todfeind, weil ich der Todfeind Ihres Vaters gewesen. Ich fordere Sie hiermit auf, Ihre Beschuldigungen vorzubringen.«

»In Gegenwart dieser Herren?« versetzte von Wardes. – »Jawohl, vor diesen Zeugen! Sie sehen, ich habe solche gewählt, auf deren Urteil in Ehrensachen man sich verlassen kann.« – »Sie wissen mein Zartgefühl nicht zu schätzen,« antwortete Wardes. »Ich habe Sie beschuldigt, aber ich behielt die Dinge, deren ich Sie beschuldigte, für mich. Ich begnügte mich, meinen Haß in Gegenwart von Personen zur Schau zu tragen, für die es geradezu Pflicht war, es Ihnen wiederzusagen. Sie haben nun meine Diskretion außer acht gelassen, obwohl Ihnen daran gelegen sein mußte, daß alles in Ruhe abginge. Das spricht gegen Ihre gewohnte Klugheit, Herr Chevalier.«

»Mein Herr, ich habe Sie aufgefordert, Ihre Anklagen vorzubringen,« antwortete d’Artagnan. »Reden Sie, wir alle hören.« – »Nun, meinetwegen! Es handelt sich also,« begann von Wardes, »um ein Unrecht, nicht gegen mich, sondern gegen meinen Vater; aber gewisse Dinge bringt man nur mit Widerwillen zur Kenntnis anderer, zumal wenn es sich dabei um eine schmachvolle Tat eines sonst geachteten und achtbaren Mannes handelt.« – Die Zeugen dieser Szene sahen sich unruhig an; allein d’Artagnan verlor nicht im mindesten die Fassung. – »Hören Sie,« fuhr von Wardes fort, als der Chevalier ihn durch eine Handbewegung aufforderte weiterzusprechen. »Mein Vater liebte ein edelgeborenes Mädchen und wurde von ihr wiedergeliebt. Der Chevalier d’Artagnan fing Briefe ab, in denen sie sich mit ihrem Geliebten verabredete, traf dann in Verkleidung an dem bestimmten Ort ein und mißbrauchte die Dunkelheit, das Mädchen zu hintergehen.«

»Das ist wahr,« sagte der Kapitän. »Ich habe diese schlechte Tat begangen. Aber unparteiisch wie Sie sein wollen, Herr von Wardes, hätten Sie hinzufügen sollen, daß ich zu jener Zeit noch nicht 21 Jahre alt war. Es war ein Betrug, den ich mir zeitlebens zum Vorwurf gemacht habe. Ich bin älter und besonnener geworden, auch ehrenhafter, wie ich wohl sagen darf. Diese Jugendsünde ist durch lange Reue gebüßt worden. Es geschah im Jahre 1626, meine Herren, und damals, das werden Sie alle wissen, nahm es niemand mit der Liebe genau. Wir waren junge Soldaten, die fortwährend auf dem Kriegsfuß lebten, mit dem Tode Brüderschaft getrunken und im beständigen Kampfe alles Gefühl verloren hatten. Dennoch bereute ich die Tat und bereue sie noch heute.«

»Begreiflich,« versetzte Wardes. »War es doch auch ein Streich, der der Reue wert war. Sie haben die Dame ins Verderben gestürzt. Im Gefühl ihrer Schmach verließ sie Frankreich, und niemand hat erfahren, was aus ihr geworden ist.« – »O,« ließ Graf de la Fère sich vernehmen, indem er mit unheimlichem Lächeln den Arm gegen Wardes ausstreckte, »man hat es doch erfahren, ja, man hat sie gesehen und weiß, daß sie sich in England verheiratet hat. Das wußten Sie nicht, Herr von Wardes?« fragte Athos, als er den Ausruf des Erstaunens hörte, den der junge Mann laut werden ließ. »Sie sehen, wir sind besser unterrichtet. War Ihnen nicht bekannt, daß man sie Mylady nannte, ohne einen Namen beizufügen?« – »Das wußte ich,« sagte Wardes. – »Mein Gott!« murmelte Buckingham. – »Die Dame hat dreimal versucht, Herrn d’Artagnan zu ermorden. Das war ihr Recht, ja doch, er hatte sie beleidigt. Aber unrecht von ihr war es, daß sie in England einen jungen Mann namens Felton, der in Diensten des Lord Winter stand, durch ihre Reize gefangennahm. Sie erblassen, Lord Buckingham, Zorn und Schmerz malen sich in Ihren Zügen. Sie können die Erzählung selbst beenden und Herrn von Wardes sagen, wer jenes Weib war, das dem Mörder Ihres Vaters das Messer in die Hand gab.«

Ein Schrei entfuhr allen Anwesenden. Lord Buckingham wischte den Schweiß von der Stirn. Ein langes Schweigen folgte. – »Sie sehen, Herr von Wardes,« ergriff nun d’Artagnan das Wort, »meine Tat hat keinen so unseligen, vernichtenden Einfluß auf diese Seele gehabt. Sie war bereits verdorben, verloren, als ich an die Reihe kam. Und nun, Herr von Wardes, habe ich Sie um Verzeihung gebeten; ich würde diese Bitte auch an Ihren Vater gerichtet haben, wenn ich ihn noch am Leben getroffen hätte, als ich nach Karls I. Tode nach Frankreich zurückkehrte. Ich hoffe, daß damit zwischen uns beiden alles abgetan ist und Sie mich fortan nicht mehr schmähen werden.« – Von Wardes verneigte sich, ein paar Worte murmelnd. – »Ich hoffe auch, Sie werden überhaupt gegen niemand mehr Verunglimpfungen äußern, wie es leider Ihre Manier ist. Denn wenn Sie solche Gewissensreinheit zur Schau tragen, daß Sie einem alten Soldaten nach 35 Jahren eine Jugendeselei vorwerfen, so sollten Sie es auch in andern Dingen mit Ehre und Gewissen genauer nehmen. Wie kommt es, daß Sie, der Sie hier ein so strenges Gerechtigkeitsgefühl an den Tag legten, Herrn Vicomte von Bragelonne vorgeworfen haben, er kenne seine Mutter nicht?«

Von Wardes biß sich auf die Lippe und ballte die Fäuste. Rudolf trat flammenden Auges vor und rief: »Herr Chevalier, erlauben Sie, das ist eine Sache, die nur mich angeht.« – »Unterbrich mich nicht, junger Mann,« versetzte der Kapitän, ihn mit dem Arme zurückschiebend. »Ich verhandle hier eine Angelegenheit, die mit dem Schwerte nicht beizulegen ist. Ich habe deshalb diese Ehrenmänner herkommen lassen, die alle mehr als einmal das Schwert gezogen haben. Ich wiederhole daher meine Frage. In welcher Absicht haben Sie, Herr von Wardes, diesen jungen Mann beleidigt, indem Sie seine Eltern schmähten?« – »Mich dünkt,« versetzte von Wardes, »Worte sind jedem frei, der bereit ist, für sie einzustehen mit allen einem Ehrenmann zu Gebote stehenden Mitteln.«

»Ei, sagen Sie mir doch, welche Mittel stehen denn einem Ehrenmann zu Gebote, solche Gemeinheiten zu unterstützen?« antwortete der Chevalier. »Wissen Sie, ein Ehrenmann bringt solche Gemeinheiten gar nicht erst über die Lippen. Es fehlt Ihnen nicht nur an der Fähigkeit, folgerichtig zu denken, sondern auch an Religion und an Ehre. Sie setzen durch Ihr schändliches Geschwätz das Leben mehrerer Männer aufs Spiel, ganz zu schweigen von Ihrem eigenen Leben, das mir allerdings sehr abenteuerlich zu sein scheint. Den Zweikampf hat seine Majestät durch ein sehr strenges Gesetz verboten, das wissen Sie doch. Sie werden sich also bei Herrn von Bragelonne förmlich entschuldigen und mit dem Ausdruck des Bedauerns Ihre unbedachten Worte zurücknehmen. Sie werden um Verzeihung bitten, wie ich es eben vor Ihrem kaum erst keimenden Schnurrbart getan habe.«

»Und wenn ich es nicht tue?« versetzte Wardes. – »Dann,« erwiderte d’Artagnan ruhig, »gehe ich zum König, bei dem ich sehr gut angeschrieben stehe und bitte ihn, diesen Haftbefehl zu unterzeichnen, den ich nur mit Ihrem Namen auszufüllen brauche.« Mit diesen Worten zog er eine der berüchtigten, »Lettres de cachet« hervor. »Ich werde zum König sagen: Sire, dieser Mann hat Herrn Vicomte von Bragelonne in der Person seiner Mutter schändlich beschimpft. Geruhen, Majestät, da Sie den Zweikampf verboten haben, den Beleidiger auf drei Jahre in die Bastille zu stecken.« – Von Wardes erblaßte, denn der bloße Name der Bastille hatte damals etwas Schreckenerregendes. Er trat auf Bragelonne zu und sagte: »Herr Graf, ich bitte Sie in der von Herrn d’Artagnan formulierten Weise um Entschuldigung – ich sehe mich dazu gezwungen.«

»Nein!« rief d’Artagnan. »Das ist nicht die richtige Form. Sie haben nicht zu sagen: ich sehe mich dazu gezwungen, sondern: ich fühle mich vor meinem Gewissen dazu verpflichtet. Glauben Sie mir, so klingt es besser und drückt auch Ihre Empfindungen besser aus.« – »Ich willige ein,« antwortete von Wardes. »Aber Sie werden zugeben, meine Herren, ein Schwertstreich von ehedem war besser als solche Vergewaltigung.« Darauf wiederholte er d’Artagnans Worte, sah sich nun im Kreise um und rief: »Ist das nun alles?« – »Alles,« antwortete der Chevalier. »Und man ist mit Ihnen zufrieden.« – »Sie sind als Friedensstifter indessen nicht sehr glücklich,« sagte der junge Mann schon wieder mit seinem spöttischen Lächeln. »Herr von Bragelonne und ich werden nur noch erbitterter als zuvor auseinandergehen.« – »Von mir aus nicht,« sagte Rudolf. »Ich hege nicht den mindesten Groll gegen Sie.« – Das war ein neuer Schlag für Wardes. Er sah sich verlegen um, aber niemand würdigte ihn eines Blickes. Die Herren nahmen höflich von dem Chevalier Abschied und gingen. Keiner sprach ein Wort an Wardes, der trotzig den Kopf zurückwarf und allein seines Weges ging.