6. Kapitel. Männerstolz vor Königsthronen

Ludwig XIV. hatte die Herren Fouquet und Colbert entlassen. Er fertigte die Staatsgeschäfte jetzt immer etwas rasch ab, um desto mehr Zeit für die Lavallière übrig zu haben. Mit Ungeduld wartete er auf Saint-Aignan, die einzige Person, mit der er von ihr sprechen konnte. – »Ah, Sie sind es, Graf!« rief er hocherfreut, als der Hofmeister eintrat. »Fouquet hat mich eben abermals nach Vaux eingeladen; und Sie werden mit von der Partie sein.« – »Ja, Majestät, wenn ich bis dahin nicht eine andere Partie machen muß, nämlich die Fahrt zum Styx,« antwortete der Kavalier. »Im Ernst, Sire! Ich bin dazu eingeladen worden, und zwar auf eine Weise, daß ich gar nicht weiß, wie ich davon loskommen soll.« – »Was willst du damit sagen?« fragte der König, betroffen über den Ton, den der Hofmeister anschlug. – »Damit will ich sagen, daß ich eine Forderung auf Pistolen von dem Vicomte von Bragelonne erhalten habe,« antwortete der Graf.

»Vom Vicomte von Bragelonne!« rief der König in höchster Bestürzung. Dann schwieg er, wischte sich den Schweiß von der Stirn und murmelte: »Von Bragelonne, dem Verlobten des Fräuleins von …« – »O, mein Gott, ja,« versetzte Saint-Aignan, »von dem Verlobten des Fräuleins von …« – Doch auch ihn unterbrach der König, ehe er aussprechen konnte. »Er war doch aber in London.« – »Ich weiß, indessen ist er jetzt in Paris, das heißt bei dem Kloster der Franziskaner, wo er auf mich wartet.« – »Also weiß er alles?« stieß der König hervor. – »Es scheint so,« sagte der Hofmeister. »Dieses Briefchen hier, in dem er mir den Besuch seines Sekundanten anmeldet, läßt es vermuten; denn ich fand es im Schloß der Tür, die zu dem Treppenzimmer führt.« – »So ist unser Geheimnis entdeckt!« rief der König achselzuckend. »Wie mag er dorthin gekommen sein?« – »Majestät, nur auf dem Wege der Treppe selbst – vom obern Zimmer durch die Falltür zum unteren Zimmer. Es ist gar nicht anders möglich!« setzte er hinzu, als der König Zweifel äußerte.

»Dann hat jemand das Geheimnis verkauft,« meinte Ludwig. – »Verkauft oder verschenkt,« sagte der Hofmeister. – »Wieso verschenkt?« – »Weil es gewisse Personen gibt, Sire, die zu hoch stehen, um sich wie Verräter bezahlen zu lassen.« – »Das geht auf Madame, nicht wahr?« fragte der König. »Und so meinst du, meine Schwägerin hätte Bragelonne von allem unterrichtet? Vielleicht gar ihn begleitet, ihn ins obere Zimmer geführt und von dort –?« – »Und von dort ins untere Zimmer, jawohl, Majestät,« antwortete Saint-Aignan. »Wissen Sie, Sire, ob Madame die Parfüms liebt?« – »Sie bevorzugt Eisenkraut,« sagte der König. – »Nun, und mein Zimmer hat nach Eisenkraut geduftet,« sprach der Hofmeister. »Doch, Majestät, die Stunde rückt heran; das Geheimnis soll in der Brust dessen sterben, der es sich angeeignet hat. Man muß gegen den Streich, den man uns gespielt hat, andere Streiche führen.« – »Ja, doch nicht von der Art, wie man sie im Walde von Vincennes führt,« antwortete der König streng.

»Majestät vergessen, ich bin ein Edelmann und gefordert worden,« versetzte der Kavalier. »Ich bin ehrlos, wenn ich ausbleibe.« – »Die größte Ehre eines Edelmannes ist der Gehorsam gegen seinen König,« entgegnete Ludwig XIV. »Du bleibst!« – »Sire!« – »Gehorche!« – »Eure Majestät haben nur zu befehlen.«

»Ich werde jetzt untersuchen, wer dieses kecke Spiel mit mir zu treiben sich erdreistet hat,« rief Ludwig zornig, »wer so frech in das Heiligtum der Dame gedrungen ist, die von mir geliebt wird. Das geht aber nicht dich an, denn man hat nicht deine Ehre angegriffen, sondern die meinige. Es ist hohe Zeit, gewissen Leuten zu zeigen, daß ich hier Herr im Hause bin.« – Kaum hatte der König diese Worte gesprochen, so trat ein Türhüter ein und sprach: »Majestät hatten befohlen, den Grafen de la Fère jederzeit vorzulassen, sobald er um Gehör bäte. Der Graf de la Fère ist hier und wartet.« – »Der Vater Bragelonnes,« murmelte der König und sah Saint-Aignan an. Doch nur einen Augenblick war er unentschlossen, dann sagte er: »Saint-Aignan, geh zu Luise und sage ihr, was geschehen ist, daß Madame abermals die Verfolgung aufnimmt und Leute ins Treffen führt, die besser daran täten, neutral zu bleiben. Wenn sie sich fürchtet, so sage ihr, die Liebe ihres Königs sei ein undurchdringlicher Schild, und ich würde sie diesmal nicht nur verteidigen,« setzte er, vor Zorn erglühend hinzu, »sondern rächen, und zwar so streng, daß fortan niemand mehr wagen wird, auch nur die Augen bis zu ihr zu erheben.« – »Ist das alles, Sire?« – »Ja, das ist alles, und bleibe mir treu, du, der du mitten in dieser Hölle stehst, ohne wie ich durch die Freuden des Paradieses entschädigt zu werden.« – Saint-Aignan küßte dem König die Hand und ging strahlend fort.

Ludwig faßte sich, um dem Grafen de la Fère ruhig gegenüberzutreten. Er fühlte voraus, daß eine heikle, schwierige Unterredung bevorstand. Athos, im Galaanzug, jenen Orden auf der Brust, den er allein am Hofe von Frankreich zu tragen berechtigt war, trat so ernst und feierlich ein, daß der König auf den ersten Blick erkannte, seine Ahnungen würden sich erfüllen. Er ging dem Grafen entgegen und reichte ihm lächelnd die Hand, auf die Athos sich voll Ehrerbietung niederbeugte.

»Herr Graf,« sprach der König, »Sie machen sich so selten, daß ich es als ein Glück betrachte, Sie bei mir zu sehen.« – Athos verneigte sich und antwortete: »Ich wünschte das Glück zu haben, stets bei Eurer Majestät sein zu können.« Und in dem Ton dieser Antwort lag der Zusatz: »Mein Rat würde Sie dann vor Fehltritten bewahren.« – Der König fühlte das, biß sich auf die Lippe und sprach: »Ich sehe, Sie haben mir etwas zu sagen.« – »Jawohl, denn sonst hätte ich es mir nicht erlaubt, die Zeit Eurer Majestät in Anspruch zu nehmen.«

»So reden Sie schnell,« antwortete der König und setzte sich, »es drängt mich, Sie zufriedenzustellen.« – »Ich bin überzeugt,« antwortete Athos, »Eure Majestät werden mir alle Genugtuung erweisen.«

»Wie?« rief der König stolz. »So haben Sie eine Beschwerde zu führen –« – »Es wird nur dann eine Beschwerde sein,« antwortete Athos, »wenn Eure Majestät – doch Verzeihung, Sire, ich will die Sache von vorn beginnen. Majestät werden sich erinnern, daß ich vor einiger Zeit die Ehre hatte, Sie um die Einwilligung zur Verheiratung meines Sohnes, des Grafen von Bragelonne, mit Fräulein von Lavallière zu bitten.« – »Da wären wir schon!« dachte der König. »Ja, ich erinnere mich,« sagte er laut. – »Und Majestät schlugen die Bitte ab,« fuhr Athos fort, »mit der Begründung, die Braut sei zu geringen Ranges, zu arm an Geld sowohl wie an Konnexionen und auch,« setzte de la Fère unerbittlich hinzu, »nicht schön genug.« – »Mein Herr, Sie haben ein sehr gutes Gedächtnis,« sprach der König. – »Das habe ich immer,« erwiderte Athos, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen, »wenn mir die große Ehre zuteil wird, mit dem König zu sprechen.«

»Ihr gutes Gedächtnis wird Ihnen dann auch ohne Zweifel noch sagen,« entgegnete Ludwig, »daß Sie selbst diese Verbindung nicht wünschten und die Bitte widerwillig an mich richteten.« – »Das ist wahr, Majestät.« – »Ich erinnere mich sogar noch recht gut Ihrer eigenen Worte: ›Ich glaube nicht daran,‹ sagten Sie, ›daß Fräulein von Lavallière Herrn von Bragelonne liebt.‹ War es so?«

Athos empfand den Hieb. Aber er wich nicht zurück. »Das war so,« antwortete er. »Majestät erklärten damals, die erbetene Verheiratung solle nur aufgeschoben werden. Herr von Bragelonne ist gegenwärtig so tiefunglücklich, daß er sie nicht länger aufschieben kann. Ich komme daher, um Eure Majestät in seinem Namen jetzt um eine Lösung zu bitten.«

Der König erblaßte. Athos sah ihn fest an. – »Und was verlangt Herr von Bragelonne?« – »Er erneuert seine Bitte um Ihre Einwilligung zu seiner Heirat,« sprach Athos. »Die Schwierigkeiten sind für uns nicht mehr vorhanden. Obwohl ohne Rang, ohne Geburtsadel, ohne Schönheit, ist Fräulein von Lavallière die einzige Partie, die für meinen Sohn paßt, einfach aus dem Grunde, weil er nur sie liebt.« – Der König preßte die Hände ineinander. – »Ich schlage das Gesuch ab,« antwortete er.

De la Fère schwieg einen Augenblick, dann sagte er in sanftem Tone: »Möge es uns nun vergönnt sein, nach der Ursache dieser Weigerung zu fragen?« – Der König stemmte beide Hände auf den Tisch und antwortete mit fester Stimme: »Eine Frage, wenn der König sagt: ich will es so? Sie haben die Sitten des Hofes verlernt, Graf. Den König fragt man nicht um Begründung seines Willens.« – »Das ist richtig, Sire; allein wenn man nicht fragen darf, so vermutet man.« – »Was vermutet man?« rief der König. – »Sire, die Verweigerung einer Auskunft bedeutet einen Mangel an Offenheit,« sprach Athos fest. – »Mein Herr!« – »Oder an Vertrauen,« setzte der Graf rasch hinzu.

»Ich glaube, Sie verirren sich,« sagte Ludwig, der seinen Zorn nicht länger bezähmen konnte. – »Sire, ich muß dann wohl anderswo suchen, was ich bei Eurer Majestät zu finden hoffte. Wenn ich von Ihnen keine Antwort erhalte, muß ich sie mir selber geben.« – Der König erhob sich. »Herr Graf,« sagte er kurz, »ich habe Ihnen jetzt soviel Zeit gewidmet, als ich gerade frei hatte.« – Das hieß in die gewöhnliche Sprache übertragen: »Machen Sie, daß Sie hinauskommen.« – »Majestät,« antwortete Athos, »ich habe gleichwohl noch nicht Zeit gehabt, Ihnen das zu sagen, was zu sagen ich herkam. Ich sehe Eure Majestät so selten, daß ich die Gelegenheit wahrnehmen muß –«

»Sie sprachen von Voraussetzungen, Graf,« sagte Ludwig XIV., »und wollten zu Beleidigungen übergehen –« »Den König beleidigen?« rief der Graf. »Ich? Niemals! Ich habe mein ganzes Leben hindurch den Standpunkt vertreten, daß die Könige über den andern Menschen stehen, nicht nur durch Rang und Macht, sondern durch den Adel ihres Herzens, durch die Stärke ihres Geistes. Ich werde nie der Meinung Raum geben. Majestät verberge in dem Worte, das Sie sprachen, einen Hintergedanken.« – »Was für einen Hintergedanken?«

»Ich werde mich erklären,« antwortete Athos kalt. »Wenn Eure Majestät die von uns gewünschte Heirat aufschieben wollen und, statt das Glück Ihres treuen Dieners, des Grafen von Bragelonne, zu fördern, damit nur den Zweck verfolgen, den Bräutigam des Fräuleins von Lavallière von ihr fernzuhalten –«

»Sie sehen wohl, Sie beleidigen mich.« – »Das habe ich überall sagen hören, Majestät. Alle Welt spricht von der Liebe Eurer Majestät zu Fräulein von Lavallière.« – Der König zerriß seine Manschetten, an denen er seit einigen Minuten ungeduldig zupfte. »Wehe denen,« brach er aus, »die sich in meine Angelegenheiten mischen! Mein Entschluß ist gefaßt, ich greife durch! ich werfe alle Hindernisse nieder!« – Der König hielt plötzlich inne, wie ein Pferd, dem man mit scharfem Ruck Kandare gibt. – »Was für Hindernisse?« fragte Athos ruhig. – »Ich liebe Fräulein von Lavallière,« sprach der König mit ebensoviel Stolz wie Innigkeit.

»Das ist für Eure Majestät kein Hindernis, Herrn von Bragelonne mit ihr zu vermählen,« erwiderte Athos schlicht. »Ein solches Opfer ist eines Königs würdig, und Herr von Bragelonne verdient es, da er ein wackerer Mann ist und sein Leben schon oft für seinen König in die Schanze geschlagen hat. Indem der König seiner Liebe entsagt, beweist er zugleich Edelmut, Erkenntlichkeit und Staatskunst.« – »Aber Fräulein von Lavallière,« versetzte Ludwig, »liebt Herrn von Bragelonne nicht!« – »Das wissen Majestät?« fragte Athos mit einem durchdringenden Blick. – »Ich weiß es.« – »Erst seit kurzem jedenfalls. Denn hätten Majestät es schon bei unserer ersten Unterredung gewußt, so würden Sie es mir gesagt haben.« – »Erst seit kurzem.«

Nach einem peinlichen Schweigen sprach Athos: »Ich begreife nicht, weshalb Majestät Herrn von Bragelonne nach London sandten. Diese Art von Verbannung befremdet mit Recht alle, denen die Ehre ihres Königs am Herzen liegt.« – »Wer spricht von der Ehre des Königs?« rief Ludwig. – »Die Ehre des Königs, Majestät, ist untrennbar von der Ehre des gesamten Adels. Wenn der König einen seiner Edelleute beschimpft, das heißt, ihm ein Stück seiner Ehre nimmt, so bringt er sich selbst dadurch um dieses Stück Ehre.« – »Herr de la Fère!« – »Majestät haben den Grafen von Bragelonne nach London geschickt, nicht zu einer Zeit, da Sie Fräulein von Lavallière noch nicht liebten, sondern erst als Sie sie liebten!« – Der König wollte Athos mit einer Gebärde verabschieden; doch dieser fuhr fort:

»Majestät, ich gehe von hier nur fort, nachdem mir Genugtuung geworden entweder durch Eure Majestät oder durch mich selbst. Und Genüge wird mir getan sein, wenn Sie mir bewiesen haben, daß Sie im Recht sind, oder wenn ich Ihnen bewiesen habe, daß Sie im Unrecht sind. O, Sie werden mich anhören, Sire! Ich bin alt, ich halte auf alles, was in Ihrem Königreiche wahrhaft groß und ehrenvoll ist. Ich bin ein Edelmann, der sein Blut für Ihren Vater vergossen hat, und auch schon für Sie, ohne dafür jemals etwas von Ihnen oder von Ihrem Vater verlangt zu haben. Ich habe noch keinem Menschen auf dieser Welt Unrecht getan und habe mir Könige zu Danke verpflichtet. Sie werden mich anhören! Ich verlange von Ihnen Rechenschaft, weshalb Sie einen Ihrer Edelleute an seiner Ehre gekränkt haben, indem Sie ihn in erlogener Sendung fortschickten. Ich weiß, Sie wollen mich meiner Freimütigkeit wegen züchtigen, aber ich weiß auch, welche Strafe ich von Gott für Sie fordern werde, wenn ich ihm Ihren Treubruch und das Unglück meines Sohnes klage.«

Der König durchmaß mit großen Schritten das Zimmer, sein Auge flammte, seine Hand zerknitterte das Spitzenjabot, das seine Brust schmückte. – »Mein Herr,« sprach er, »stände ich Ihnen jetzt als König gegenüber, so würden Sie schon gezüchtigt sein; aber ich stehe vor Ihnen als Mensch, der das Recht für sich beansprucht, die zu lieben, von der er geliebt wird.« – »Fern sei es von mir, Eurer Majestät dieses Recht streitig zu machen,« erwiderte Athos, »das dem ärmsten Ihrer Untertanen zusteht; allein Sie hätten es sich auf ehrliche Weise nehmen und Herrn von Bragelonne davon in Kenntnis setzen sollen, statt ihn zu verbannen.«

»Ich glaube, ich lasse mich hier wirklich dazu treiben, mich zu verantworten,« rief Ludwig XIV. mit jener Majestät, die er in Blick und Stimme so meisterlich auszudrücken wußte. – »Ich hoffte allerdings, Sie würden mir antworten,« sagte de la Fère. – »Sie werden meine Antwort bald genug vernehmen,« rief Ludwig. »Sie haben vergessen, daß Sie den König vor sich haben, das ist ein Verbrechen.« – »Und Sie haben vergessen, daß Sie zwei Menschen umbringen, das ist eine Todsünde.«

»Gehen Sie jetzt!« – »Nicht eher, als bis ich Ihnen gesagt habe, Sohn Ludwigs XIII., Sie fangen Ihre Regierung schlecht an, denn Ihr Anfang ist Raub und Verhöhnung des Gesetzes. Mein Geschlecht und ich selbst sind aller Ihnen schuldigen Zuneigung ledig, und die Achtung vor dem König, die ich bei den Gräbern von Saint-Denis, vor den Särgen Ihrer erlauchten Ahnen meinem Sohn ans Herz legte, ist dahin. Sie sind unser Feind geworden, Sire. Wir haben künftighin nur noch einen Herrn, den da droben. Merken Sie sich das!«

»Sie drohen mir?« – »O, wahrlich nicht,« erwiderte Athos traurig. »Trotz kenne ich ebensowenig wie Furcht. Noch jetzt würde ich für das Wohl der Krone all das Blut verspritzen, das mir eine zwanzigjährige Bürgerfehde und auswärtige Kriege übriggelassen haben. Allein ich sage Ihnen, Sie richten zwei treue Diener zugrunde, indem Sie in dem Vater den Glauben, in dem Sohne die Liebe töten. Der eine glaubt nicht mehr an das königliche Wort, der andere nicht mehr an die Reinheit der Frauen. Der eine ist der Achtung, der andere des Gehorsams ledig. Gott befohlen!«

Nach diesen Worten zerbrach Athos seinen Degen über dem Knie, legte die Stücke auf den Boden und verneigte sich vor dem König, der vor Wut und Beschämung dem Ersticken nahe war. Dann ging er hinaus. Ludwig brauchte ein paar Minuten, um zu sich zu kommen, dann klingelte er ungestüm und rief: »Man schicke mir Herrn d’Artagnan!«

Rudolf hatte vergebens beim Franziskaner-Kloster auf den Grafen von Saint-Aignan gewartet. Als er nach Hause zurückkehrte, fand er einen Brief, in welchem der Graf ihm klar und bündig mitteilte, daß er auf ausdrücklichen Befehl des Königs es sich habe versagen müssen, mit Herrn von Bragelonne zusammenzutreffen. Rudolf wußte nun, woran er war, es war ihm nicht einmal vergönnt, den Diener statt des Herrn zu strafen. »Ohnmächtig! ohnmächtig!« stöhnte er, mit den Zähnen knirschend. »Ich muß den Groll, den Gram hinunterwürgen. Es gibt gegen die Majestät keine Genugtuung, es gibt keine Strafe für einen gekrönten Räuber und Schänder!«

Athos war, wie schon gesagt, von d’Artagnan benachrichtigt worden und nach Paris geeilt; dort kam Rudolf zu ihm und erzählte ihm alles. »Ich glaube nicht daran,« war die Antwort seines Vaters gewesen. »Der König sollte einen Edelmann beschimpfen? Unmöglich! Warte hier, ich werde dir und mir Gewißheit verschaffen.« Und nun war Athos zum König gegangen. Als er nach der Unterredung, die eben mitgeteilt wurde, zu Rudolf zurückkehrte, saß der junge Mann, düster und in Gedanken versunken, noch an derselben Stelle. Er sah auf und erkannte an dem finstern Ausdruck des blassen Gesichts, mit dem sein Vater hereintrat, daß die Zuversicht, mit der er zum König gegangen war, ihn betrogen hatte.

»Du hast recht, mein Sohn,« sprach der Graf de la Fère, »der König liebt sie.« – »Und bekennt es gar?« – »Frei und offen.« – »Und sie?« – »Ich habe sie nicht gesehen.« – »Aber der König hat doch von ihr gesprochen?« – »Ja, und mir beteuert, sie liebe ihn.« – »O, mein Vater!« –»Rudolf, mein Sohn, ich habe dem König alles gesagt, was du ihm sagen könntest, und eindrucksvoller, glaube ich, als du es vermocht hättest. Rudolf, ich habe es ihm ins Gesicht gesagt, zwischen ihm und uns sei nun alles aus, wir seien nicht mehr seine Diener, sondern seine Feinde. Mir bleibt nun nur noch eins zu wissen übrig. Was denkst du zu tun? Hast du deinen Entschluß gefaßt?« – Rudolf ließ die Arme herabsinken. »Mein Vater!« sprach er, »vielleicht gelingt es mir eines Tages, diese Liebe aus meinem Herzen zu reißen. Ich hoffe dabei auf Gottes Hilfe und auf Ihre weisen Ratschläge.« – Athos schüttelte den Kopf und murmelte: »Armes Kind!«

In diesem Augenblick meldete der Lakai Herrn d’Artagnan. Athos erschrak unwillkürlich. Der Musketier trat lächelnd ein. Die beiden alten Freunde wechselten einen raschen Blick, dann trat der Kapitän zu dem jungen Manne. Rudolf sah, unwillkürlich betroffen, von einem zum andern. – »Nun, Athos,« sprach d’Artagnan freundlich, »trösten wir den unglücklichen Burschen.« – »Wollen Sie mir bei dem schwierigen Geschäft helfen?« antwortete Athos. »Sie sind doch immer gütig.« – »Ja, deshalb komme ich,« sagte der Chevalier, Athos die Hand schüttelnd. – »Sie kamen gerade dazu, wie mein Vater mir von seiner Unterredung mit dem König erzählte, Herr Kapitän,« sagte Rudolf, »Sie gestatten wohl, daß er in seinem Bericht fortfahre.«

»Ah, Sie haben mit dem König gesprochen, Athos?«

»Ja, ich komme eben von ihm.« – »Wußten Sie nichts davon, Herr d’Artagnan?« fragte Rudolf. – »Meiner Treu, nein.« – »Nun, das beruhigt mich,« rief Bragelonne, »denn ich fürchtete, mein Vater hätte seiner Liebe und seinem Schmerz zu heftig Ausdruck gegeben, und der König sei dann –« – »Nun, was denn? was denn? Sprechen Sie doch aus, Rudolf,« sagte d’Artagnan. – »Kurz, ich glaubte, Sie kämen nicht als Freund meines Vaters, sondern als Kapitän der Musketiere,« sagte Rudolf. – »Sie sind närrisch, armer Junge!« rief der Gaskogner lachend. »Und nun hören Sie noch einmal meinen Rat: zwingen Sie sich zur Ruhe! Schlafen Sie ordentlich aus und dann reiten Sie, bis Sie wieder schläfrig werden. Das ist die beste Medizin.«

Er zog ihn an sich und umarmte ihn, als sei er sein eigener Sohn. Bragelonne sah die beiden Männer noch einmal an, aber sein forschender Blick ward stumpf an dem lachenden Gesicht des einen und dem ruhigen, sanften Ausdruck des andern. – »Wohin gehst du jetzt?« fragte der Vater. – »Heim,« erwiderte der Sohn. – »So weiß man, wo man dich findet.« – »Glauben Sie, mir bald etwas sagen zu können?« fragte Rudolf. – »Ja, neuen Trost,« antwortete d’Artagnan und schob den jungen Mann zur Tür hinaus.

Rudolf begab sich in seine Wohnung. Unterwegs sah er nicht rechts noch links; sein Blick war in sein eignes Inneres gerichtet, und er suchte in der Nacht seiner Seele den rechten Weg zu finden. – »So ist es denn geschehen!« sprach er bei sich. »Es ist aus – mein Leben hat einen Riß bekommen – ist wie ein Gefäß, das eine böse Hand am Boden zerschellt hat. Es ist nur noch ein Traum, das große Glück, das ich seit zehn Jahren erhofft habe. Liebe und Glückseligkeit soll es für mich nicht geben. O, wenn ich sein könnte wie alle diese Spötter, die mir in den letzten Stunden das Herz zerrissen haben, dann würde ich lachen oder wohl gar meinen Nutzen aus dem allem ziehen. Bah! Was hat mein Vater getan, als er jung war und es ihm ebenso erging? Er hat mir’s oft erzählt: dem Trunk hat er sich ergeben. Warum soll ich nicht auch an die Stelle der Liebe das Vergnügen setzen? Ach, er hat ja aber ebenso gelitten wie ich, vielleicht noch mehr. Die Geschichte des einen Menschen ist die Geschichte des andern Menschen: eine längere oder kürzere Qual. Die Stimme der ganzen Menschheit ist nichts als ein langer Schrei. Ach, Luise, wir sind zusammen gewandelt durch den süßen Jugendmorgen unsers Lebens – und nun kommen wir an einen Kreuzweg, wo unsere Pfade sich scheiden – deiner führt in den Abgrund der Schande, meiner in den Abgrund des Leids. Vernichtet sind wir beide.«

Er langte zu Hause an und trat in sein Zimmer. Eine weibliche Gestalt erhob sich von einem Stuhle, schlug den Schleier zurück und trat vor ihn hin.

»Luise!« schrie er auf und wich zurück. – »Ja, ich bin es,« sagte sie leise. »Ich habe auf Sie gewartet. Ich mußte mit Ihnen reden – ganz allein. Und es muß geheim bleiben, Herr Graf, denn niemand außer Ihnen könnte begreifen, was ich da tue. Ich wage mehr als mein Leben, indem ich zu Ihnen komme. Setzen Sie sich und hören Sie mich an!« Ihre Stimme klang noch immer so süß, ihre Augen blickten noch immer so lieb und sanft. Rudolf preßte die Hand auf die Brust, schüttelte den Kopf und sank auf einen Stuhl. »Reden Sie!« stieß er hervor.

Luise fuhr sich mit einem Taschentuch über die Augen, dann sprach sie: »Rudolf, wenden Sie Ihren gütigen, freien Blick nicht von mir ab, Sie gehören nicht zu den Männern, die eine Frau verachten, weil sie einem andern ihr Herz schenkt. Nein, wenn auch meine Liebe zu jenem andern Sie unglücklich macht und Ihren Stolz verletzt, so werden Sie mich doch nicht verachten.« – Rudolf gab keine Antwort. »Ach, es ist nur zu wahr,« fuhr die Lavallière fort, »meine Sache steht schlecht, ich weiß nicht, wie ich beginnen soll. Ich werde Ihnen ganz einfach erzählen, wie es mir ergangen ist. Ich werde mich streng an die Wahrheit halten und so am besten alle Hindernisse, alles Dunkle überwinden, das sich mir dabei in den Weg stellen wird.« – Sie verstummte abermals, und Rudolf schwieg noch immer.

»O, ermutigen Sie mich doch durch ein einziges Wort!« Doch Bragelonne beharrte in seinem Schweigen, und Luise mußte fortfahren. »Herr von Saint-Aignan ist eben im Auftrag des Königs zu mir gekommen und hat mir gesagt –« dabei schlug sie die Augen nieder – »Sie wüßten alles und zürnten mir, wie es ja wohl auch nicht anders sein kann.« – Rudolf sah das junge Mädchen an – ein verächtliches Lächeln auf den Lippen. – »O, Rudolf, hegen Sie kein anderes Gefühl gegen mich als diesen Zorn!« rief sie aus. »Lassen Sie mich zu Ende sprechen! Fürs erste bitte ich Sie, den großherzigsten und edelsten der Männer, um Verzeihung! Wenn ich Sie auch nicht wissen ließ, was in mir vorging, so war es doch nicht meine Absicht, Sie zu hintergehen. O, Rudolf, ich bitte Sie auf den Knien, antworten Sie mir doch – und müßten Sie mich beleidigen! Lieber ein zorniges Wort als dieses verächtliche Lächeln!«

»So fein Sie auch die Worte spalten, Fräulein,« versetzte Rudolf, sich zur Ruhe zwingend, »ein Betrug bleibt eine Schlechtigkeit, deren ich Sie nicht fähig gehalten hätte.« – »Mein Herr, ich war lange Zeit des Glaubens, nur Sie zu lieben, und solange dieser Glaube währte, habe ich auch erklärt, ich liebte Sie. Der König kam nach Blois – und noch glaubte ich daran. Ich hatte es am Altar beschwören können. Dann aber kam ein Tag, der mir die Augen öffnete.« – »Und an demselben Tage, Fräulein, hätten Sie auch mir die Augen öffnen sollen, wenn Sie ehrlich handeln wollten.« – »An diesem Tage, da ich auf den Grund meines Herzens blickte, da ich eine andere Zukunft vor mir sah und erkannte, daß Sie mir nicht genügen würden, an diesem Tage waren Sie nicht bei mir.« – »Sie hätten schreiben können.« – »Das wagte ich nicht. Ich wußte, wie sehr Sie mich liebten, und zitterte bei dem Gedanken an den Schmerz, den ich Ihnen bereiten würde. Ach, Rudolf, diese Liebe schlug über mir zusammen wie ein Flammenmeer – ich gehörte mir selbst kaum noch – alle meine Gedanken, alle meine Gefühle waren wie ein Feuerbrand. Ich wußte mir selbst keinen Rat. Es ist ja meine einzige Entschuldigung, daß ich diesen andern mehr liebe als mein Leben, mehr als Gott! Verzeihen Sie mir oder zürnen Sie mir in Ewigkeit! Ich kam nicht hierher, mich zu verteidigen, sondern um Ihnen zu sagen: Sie wissen ja, was lieben heißt, nun, und ich liebe jenen andern so, daß ich ihm Leib und Seele opfere! Wenn er einmal aufhört, mich zu lieben, dann wird der Schmerz mich töten!«

»Gut,« versetzte Bragelonne, »Sie haben mir alles gesagt, was Sie mir zu sagen hatten – mehr noch, als ich zu erfahren wünschen konnte. Und nun bitte ich Sie um Vergebung, daß ich ein Hindernis in Ihrem Leben war, daß ich nicht nur mich selbst täuschte, sondern auch Sie veranlaßte, sich zu täuschen. Ich hätte klarer sehen sollen, da ich das Leben schon besser kannte als Sie. Auch ich kann zu meiner Entschuldigung nur meine große Liebe anführen. Luise, ich liebte Sie so innig, daß ich mein Blut tropfenweis für Sie hätte hingeben können, meinen Leib stückweis für Sie zum Opfer hätte bringen mögen. Ich liebte Sie so sehr, daß die Enttäuschung nun mein Herz zermalmt, allen Glauben in mir tötet. Mir ist, als sei ich blind geworden, Luise – die Nacht der Verzweiflung ist um mich her. Sie haben aus mir den unglücklichsten, den letzten der Menschen gemacht. Und nun – Gott befohlen!«

»Nicht, eh‘ Sie mir sagen, daß Sie mir verzeihen!«

»Habe ich es nicht schon getan?« rief er, die Hände vors Gesicht schlagend. »Ich sage Ihnen doch, ich kann nicht anders als Sie allezeit liebbehalten! Und Ihnen das sagen, Luise, Ihnen das in einem solchen Moment sagen, das heißt mein Todesurteil sprechen. Gott befohlen! Wir dürfen in dieser Welt einander nie mehr vor Augen kommen!«

Sie wollte rufen, doch er legte ihr leicht die Hand auf den Mund. Sie wollte diese Hand küssen – und wurde ohnmächtig. Bragelonne rief seinen Diener. – »Tragen Sie diese Dame zu Ihrer Kutsche!« befahl er. Als der Diener sie mit Rudolfs Hilfe aufhob, machte der Unglückliche eine Bewegung, als wollte er sie noch einmal ans Herz drücken, um ihr den ersten und letzten Kuß zu geben. Doch er bezwang sich und murmelte: »Nein! dieses Gut gehört nicht mehr mir. Ich bin nicht der König von Frankreich, daß ich rauben könnte.«

Als Rudolf seinen Vater und d’Artagnan verlassen hatte, sahen die beiden Freunde sich in die Augen. – »Und nun ohne Hehl,« sprach de la Fère, »Sie kommen, mich zu verhaften.« – »Getroffen,« sagte d’Artagnan. »Aber es hat keine Eile. Lassen Sie sich erzählen! Sie gingen gerade die letzten Stufen hinab, als der König mich rufen ließ. Freund, er war nicht mehr rot, er war violett. Ich sah auf dem Boden die Stücke eines zerbrochenen Degens, und nun wußte ich, was die Glocke geschlagen hatte. ›D’Artagnan!‹ schrie er mich an. ›Ich mag mit Herrn de la Fère nichts mehr zu tun haben. Er ist ein frecher Patron.‹ – ›Oho!‹ antwortete ich in einem Tone, über den er erschrak. – ›Kapitän,‹ rief er, ›Sie werden mich anhören und mir gehorchen.‹ – ›Wie es meine Pflicht ist,‹ war meine Antwort. – ›Nehmen Sie einen Wagen und verhaften Sie den Grafen de la Fère!‹ und da ich eine Bewegung machte, setzte er hinzu: ›Wenn es Ihnen nicht paßt, so kann ich auch meinen Gardekapitän rufen.‹ – ›Majestät,‹ sprach ich, ›Dienst ist Dienst, und damit gut! Ich warte nur noch auf den schriftlichen Befehl.‹ Das war dem Herrn nicht genehm, denn er mußte nun diesen Akt der Willkür schwarz auf weiß geben; dennoch schrieb er folgende Order: ›Kapitän d’Artagnan erhält Befehl, den Grafen de la Fère, wo immer er ihn antreffen mag, im Namen des Königs zu verhaften und in die Bastille zu schaffen.‹ So, nun wissen Sie es, alter Freund!«

»Also gehen wir!« antwortete Athos. »Ich habe hier nichts weiter zu besorgen. Erledigen wir die uns beiden widerliche Sache so rasch wie möglich. Muß ich vor oder hinter Ihnen gehen?« – »Wir gehen Arm in Arm.« Und d’Artagnan faßte unter und stieg mit dem Grafen die Treppe hinab. Gleich darauf saßen sie im Wagen, der rasch davonfuhr. – »Wir fahren geradeswegs zur Bastille?« fragte Athos ruhig. – »Wir fahren, wohin Sie wollen,« antwortete der Gaskogner ebenso ruhig. »Denken Sie etwa, ich will Sie dem Kerkermeister übergeben? Da hätte ich den Herrn Gardekapitän schicken lassen, statt selbst zu kommen.« – »Lieber Freund!« rief Athos, den Musketier umarmend, »daran erkenne ich Sie wieder!« – »Wir fahren also, wenn es Ihnen recht ist, zur Barrière du Cours-la-Reine, dort finden Sie ein Pferd – das beste, das ich auswählen konnte – und reiten schnurstracks nach Havre. Ich werde mich vor dem König erst wieder blicken lassen, wenn Ihr Vorsprung so groß ist, daß selbst ich Sie nicht einholen könnte. Von Havre fahren Sie nach England und begeben sich in das hübsche Haus, das General Monk mir zur Verfügung gestellt hat, oder genießen die Gastfreundschaft Karls II. Einverstanden?«

Aber Athos schüttelte den Kopf und antwortete: »Führen Sie mich in die Bastille!« – »Starrkopf!« rief d’Artagnan, »überlegen Sie sich das! Sie sind nicht mehr zwanzig Jahre alt. Ein Kerker ist für Leute in unsern Jahren tödlich. Ich denke nicht dran, Sie in einem Gefängnis schmachten zu lassen.« – »Die Ehre über alles, Freund!« entgegnete de la Fère. »Ich werde stark sein bis zum letzten Seufzer.« – »Das ist nicht mehr Stärke, das ist Wahnwitz.« – »Höchst vernünftig ist es. Glauben Sie mir, ich sorge mich gar nicht drum, daß Sie sich durch meine Rettung zugrunde richten. Ich hätte dasselbe für Sie getan. Entspräche die Flucht meinen Grundsätzen, so würde ich drein willigen. Aber es ist nicht drüber zu reden! und ich kenne Sie zu gut, um zu glauben, daß Sie in meiner Lage anders handeln würden. Mir liegt gerade dran verhaftet zu werden. Ließen Sie mich laufen, so würde ich selbst zurückkommen und mich stellen. Ich will diesem jungen Manne beweisen, daß er den Glanz seiner Krone verdunkelt, daß er nur dann der erste der Menschen ist, wenn er der Edelste und Weiseste ist. Indem er mich einsperrt und bestraft, mißbraucht er seine Gewalt, und ich will ihn fühlen lassen, was Gewissensbisse sind, und daß Gott den Ungerechten schwerer züchtigt, als je ein König einen Menschen züchtigen kann.«

»Bravo, Athos!« rief der Musketier. »Was Sie aus Heroismus tun, das hätte ich aus Dickköpfigkeit getan. Und wenn Sie überzeugt sind, Gott wird Sie rächen, so kann ich Ihnen versichern, ich kenne Leute auf Erden, die Gott dabei zur Hand gehn werden.«

Als sie vor Herrn Baisemeaux, den Gouverneur der Bastille, geführt wurden, war das erste, was sie erblickten: Aramis, der am Tische saß und mit Baisemeaux speiste. Man war allerseits sehr erstaunt, sich hier wiederzusehen. »Ei, welch ein Zufall!« rief d’Herblay sogleich, »wie kommt es nur –?« – »Danach wollten wir eben Sie befragen,« unterbrach d’Artagnan ihn rasch. – »Stellen wir lauter Gefangene vor?« rief Aramis heiter.

»Teufel ja, die Mauern riechen hier sehr nach Kerker,« antwortete der Gaskogner. »Doch nein, ich komme nur, weil Baisemeaux mich mal eingeladen hat, ihn zu besuchen. Sie tun ja, als wenn Sie aus den Wolken fielen, alter Freund!« setzte er hinzu, sich an den Gouverneur wendend, »haben Sie ein so schlechtes Gedächtnis? Sie waren zu mir gekommen und sprachen mit mir über gewisse Verpflichtungen gegen die Herren Tremblay und Louviere. Sie brauchten Geld und fragten nach der Adresse des Herrn d’Herblay.« – »Ah!« rief Aramis dazwischen. »Sie hatten also doch Angst, man würde Sie im Stich lassen, Baisemeaux?« – »Nicht doch, nicht doch!« versetzte der Gouverneur verlegen. »Ich fragte ja nur nach Ihrer Adresse. Ja, ja, Herr d’Artagnan, ich erinnere mich jetzt –«

»Und deshalb komme ich,« sagte der Gaskogner. »Und da ich unterwegs unsern alten Freund hier traf, so habe ich ihn mitgebracht.« – »Der Herr Graf ist mir willkommen,« sagte Baisemeaux mit einer Verbeugung. – Aramis sah von d’Artagnan zu Athos; ihm kam die Sache nicht recht geheuer vor, allein er fand die Lösung des Rätsels nicht. – »Lassen Sie den Herrn Grafen mitspeisen,« fuhr d’Artagnan fort, »ich armer Windhund muß meinem Dienst nachlaufen. Ich habe noch eine wichtige Besorgung, bin aber in einer halben Stunde wieder hier – so oder so, Athos,« setzte er leise hinzu. »Und plaudern Sie nichts aus, bei der Liebe Gottes!«

D’Artagnan verabschiedete sich mit diesen Worten, und Aramis hoffte nun den schlichten ehrlichen Athos auszuhorchen; aber der Graf besaß alle Tugenden: er konnte nicht nur trefflich reden, wenn es sein mußte, er konnte im Notfall auch ebenso trefflich schweigen; und diesmal sprach er keine Silbe. Die drei Herren saßen an dem mit allen Delikatessen gedeckten Tische, aßen, tranken und schwiegen. Und inzwischen war d’Artagnan mit dem Rufe: »Zum König, daß das Pflaster sprüht!« in den Wagen gesprungen und ins Palais zurückgefahren.

Ludwig XIV. gab sich Gedanken hin, die nicht sehr erfreulich waren; die Gewissensbisse, von denen Athos gesprochen, begannen sich schon leise zu regen. Er dachte an die Liebe der beiden jungen Leute, die er durch sein Dazwischentreten zerstört hatte, und bei diesem Gedanken peinigte ihn abermals die Eifersucht. Statt zur Kurzweil zu seiner Mutter, zur Königin oder zu Madame zu gehen, warf er sich in jenen breiten Lehnstuhl, in welchem sich sein erhabener Vater Ludwig XIII. so viele Tage und Jahre gelangweilt hatte. Da wurde der Türvorhang aufgehoben – es war kein Liebesbote von der Lavallière, wie Ludwig erwartete – es war der Kapitän seiner Musketiere.

»Ah, d’Artagnan!« rief der König. »Nun?« – »Befehl ausgeführt!« meldete der Musketier ernst. – »Was hat der Graf gesagt?« – »Nichts, Sire.« – »Wer er hat sich doch nicht verhaften lassen, ohne ein Wort zu sprechen?« rief Ludwig. – »Er sagte, er sei darauf gefaßt gewesen,« antwortete d’Artagnan. – Der König sah stolz empor und sprach: »Der Graf de la Fère hat doch nicht etwa seine rebellische Rolle weitergespielt?«

»Was nennen Majestät rebellisch?« fragte d’Artagnan ruhig. »Halten Sie den für einen Rebellen, der sich nicht bloß in die Bastille schleppen läßt, sondern sich sogar denen widersetzt, die ihn nicht dorthin führen wollten?«– »Die ihn nicht dorthin führen wollten?« rief Ludwig, »Sie sind wohl verrückt geworden?« – »Ich glaube nicht, Sire.« – »Na, hatten Sie etwa die Absicht, Herrn de la Fère nicht zu verhaften?« – »Allerdings, Sire!« – »Sie wollten trotz meines Befehls den Mann nicht verhaften, der mich beschimpft hat?« – »Ich war dazu fest entschlossen,« antwortete d’Artagnan. »Ich machte ihm den Vorschlag, ein Pferd zu besteigen, das ich für ihn bereitgestellt hatte, nach Havre zu reiten und sich nach England zu begeben.«

»Das ist Verrat, Kapitän!« rief Ludwig mit blitzenden Augen. – »Nichts anderes, Sire!« erwiderte der Musketier ganz gelassen. – Der König faßte sich; mit übermenschlicher Gewalt bezwang er seine lodernde Wut und sprach: »Sie müssen dazu zum mindesten einen Beweggrund gehabt haben.« – »Ich habe immer einen Grund, Sire,« versetzte d’Artagnan. – »Und der Grund der Freundschaft allein wäre hier keine Entschuldigung, denn ich stellte es Ihnen frei, von dem Befehl zurückzutreten.« – »Jawohl, Sire, aber Sie sagten, wenn ich es nicht machen wollte, so würden Sie Ihren Gardekapitän schicken – na, und der Gardekapitän hätte meinem Freunde doch gewiß nicht die Möglichkeit gelassen zu entfliehen.«

»Da sieht man Ihre Ergebenheit, Mann! Eine Treue mit Hintergedanken! Sie sind kein Soldat, Herr!«

»Wollen mir Majestät sagen, was ich bin?« – »Sie sind ein Frondeur!« rief Ludwig außer sich. – »Es gibt ja keine Fronde mehr,« antwortete der Gaskogner.

»Wenn aber das, was Sie sagen, wahr ist,« begann der König. – »Was ich sage, ist immer wahr,« unterbrach ihn der Chevalier. »Und ich sage hiermit: Graf de la Fère ist in der Bastille –« – »Und kam nicht durch Sie dorthin, wie mir scheint.« – »Das ist beinahe so, jawohl; aber kurz und gut, er befindet sich dort, und es ist vielleicht wichtig, daß Eure Majestät das wissen.«

»Ha, Herr d’Artagnan, Sie verhöhnen Ihren König?« – »Im Gegenteil, ich komme, um gleichfalls um meine Verhaftung zu bitten. Mein Freund langweilt sich in der Bastille, und ich bitte Eure Majestät, lassen Sie mich ihm Gesellschaft leisten. Eure Majestät brauchen nur ein Wort zu sprechen, und ich verhafte mich selbst; es bedarf dazu nicht des Gardekapitäns, dessen können Sie versichert sein.«

Der König stürzte zum Tische und ergriff die Feder. »Geben Sie acht, daß das nicht auf Lebenszeit ist!« schrie er. – »Darauf rechne ich eben,« erwiderte der Musketier. »Denn wenn Sie diese Absicht wirklich vollführt haben, werden Sie sich nie mehr getrauen, mir ins Gesicht zu sehen.« – Der König schleuderte die Feder weg und schrie: »Hinaus mit Ihnen!« – »Sire, nicht doch!« sagte d’Artagnan noch immer ganz ruhig, »ich kam, um in aller Güte mit Ihnen zu sprechen, Majestät geraten aber in Hitze, das ist schade; doch wird es mich nicht abhalten, Ihnen zu sagen, was ich zu sagen habe.« – »Ich entlasse Sie, mein Herr, ich entlasse Sie!« rief Ludwig.

»Sie wissen, Sire,« entgegnete der Chevalier, »daran liegt mir wenig, ich habe Sie schon einmal darum gebeten, als Eure Majestät in Blois dem unglücklichen König von England die Million ausschlugen, die ihm nachher mein Freund, der Graf de la Fère, gegeben hat. Sire, um meine Entlassung handelt es sich nicht. Eure Majestät hatten die Feder ergriffen, um mich zur Bastille zu verdammen. Warum änderten Sie Ihren Entschluß?«

»D’Artagnan, starrsinniger Gaskogner,« rief Ludwig, »wer ist König, Sie oder ich?« – »Sie, leider –« – »Was? Leider?« – »Ja, Majestät, denn wenn ich es wäre –« – »So würden Sie diese Rebellion des Herrn d’Artagnan ruhig hinnehmen –« sagte der König, die Achseln zuckend. – »Gewiß, Majestät, und ich würde den Kapitän meiner Musketiere mit den Augen eines Menschen, nicht mit zwei glühenden Kohlen anschauen und zu ihm sprechen: D’Artagnan, ich habe vergessen, daß ich der König bin. Ich habe meinen Thron verlassen und einen Edelmann beschimpft –« – »Herr! glauben Sie Ihrem Freund zu nützen, indem Sie seine Unverschämtheit überbieten?« rief der König.

»Ja, ich werde noch weiter gehen als er,« antwortete der Musketier, »und das wird Ihre eigene Schuld sein. Ich werde Ihnen das sagen, was de la Fère, dieser zartfühlendste aller Männer, nicht gesagt hat, nämlich folgendes: Sire, Sie haben seinen Sohn umgebracht, er hat seinen Sohn verteidigt; damit haben Sie auch ihn selbst zugrunde gerichtet. Er sprach im Namen der Ehre, der Religion, der Tugend; Sie haben ihn zurückgestoßen und gefangengesetzt! – Ja, ich werde noch härter sein und zu Ihnen sprechen: Sire, wählen Sie, wollen Sie Freunde oder Knechte, Soldaten oder Krummbuckler, große Männer oder Hanswurste? Soll man Ihnen dienen oder vor Ihnen im Staube kriechen? Soll man Sie lieben oder sich vor Ihnen fürchten? Wenn Ihnen Niedrigkeit, Intrige, Falschheit lieber sind, so sagen Sie es. Wir Kerle vom alten Schrot und Korn gehen dann, wir einzigen Ueberreste der ehemaligen Kraft und Tapferkeit. Wählen Sie, Sire, und zaudern Sie nicht. Erhalten Sie sich, was Ihnen an großen Männern noch übrig ist, Höflinge werden Sie immer genug haben. Schicken Sie mich zu meinem Freunde in die Bastille, denn da Sie den Grafen de la Fère nicht anzuhören verstanden, da Sie d’Artagnan nicht anhören können, die offene, derbe Stimme der Aufrichtigkeit, dann sind Sie ein schlechter König und werden morgen ein armer König sein. Die schlechten Könige verabscheut man, die armen vertreibt man. Das, Sire, wollte ich Ihnen sagen. Sie taten Unrecht, mich soweit zu treiben.«

Der König warf sich in den Lehnstuhl, starr und leichenblaß. Wenn ein Blitzstrahl zu seinen Füßen niedergefahren wäre, es hätte ihn nicht heftiger erschüttern können. Es war, als sei ihm der Atem ausgegangen. D’Artagnan aber nahm seinen Degen und legte ihn auf den Tisch. Der König machte eine wütende Gebärde und stieß die Waffe zurück, so daß sie auf den Boden fiel und dem Musketier vor die Füße rollte. So sehr d’Artagnan sich zu beherrschen vermochte, so erblaßte er jetzt doch und preßte vor Grimm die Zähne aufeinander. »Ein König kann die Ungnade über einen Soldaten aussprechen,« rief er, »er kann ihn verdammen und zum Tode verurteilen, aber wäre er auch hundertmal König, er hat nicht das Recht, ihn zu beschimpfen, indem er seinen Degen entehrt. Sire, noch nie hat ein König von Frankreich den Degen eines Mannes wie ich zurückgestoßen. Dieser befleckte Degen, Sire, merken Sie sich das, hat künftig keine Scheide mehr als Ihr Herz oder das meinige! Ich wähle meiniges – danken Sie dafür Gott und meiner Geduld!« Er riß den Degen empor und rief: »Mein Blut falle auf Ihr Haupt!« Dabei setzte er die Spitze des Degens an seine Brust.

Doch noch schneller stürzte der König hinzu, schlang den rechten Arm um den Hals des Musketiers, griff mit der linken Hand in die Degenklinge und schob sie schweigend in die Scheide. D’Artagnan, noch blaß, stumm und mit den Zähnen knirschend, ließ es geschehen. Dann kehrte Ludwig XIV. zum Tische zurück, schrieb ein paar Zeilen auf ein Blatt Papier und reichte es dem Kapitän.

»Sire, was ist das?« murmelte der Chevalier.

»Der Befehl an Herrn d’Artagnan, den Grafen de la Fère augenblicklich in Freiheit zu setzen,« antwortete Ludwig.

D’Artagnan ergriff die königliche Hand, küßte sie, steckte das Papier ein und stürzte hinaus. – »O, menschliches Herz, Kompaß der Könige!« sprach Ludwig vor sich hin. »Wann werde ich in deinen Falten wie in den Blättern eines Buches lesen können? O, nein, ich bin kein schlechter König – ich bin auch kein armer König. Aber ich bin noch ein Kind.«

1. Kapitel. Aramis als Beichtvater

Herr d’Artagnan holte seinen Freund Athos zur größten Ueberraschung Baisemeaux‘ und d’Herblays aus der Bastille zurück, nicht ohne daß der Gouverneur dem Grafen versicherte, er verliere etwas, indem ihm das gute Leben im Staatsgefängnis versagt bliebe. Trotz seiner guten Bekanntschaft mit den beiden Herren unterließ er es nicht, sich davon zu überzeugen, daß der Freilassungsbefehl ebenso wie der Haftbefehl eigenhändig vom König geschrieben war. D’Artagnan wiederum unterließ es nicht, dem Herrn Bischof zu imponieren, indem er erklärte, der König täte alles, was er wollte, und da er die Freilassung des Grafen verlangt hätte, so sei sie erfolgt. Allein Aramis sah tiefer und erkannte, daß der Musketier log. Seine Aufregung, sein noch immer blasses Gesicht, sein nervöses Gebahren verrieten, welchen Sturm er überstanden.

Der Gouverneur und der Bischof blieben allein zurück. Aramis, entschlossen, dem merkwürdigen Zwischenfall keine unnützen Gedanken zu widmen, kehrte alsbald zu seinen eigenen Geschäften zurück. – »Herr Baisemeaux,« sprach er, »es ist mir bekannt, daß Sie zu einer geheimen geistlichen Organisation gehören, deren Mitglieder untereinander zu bestimmten Dienstleistungen und Verbindlichkeiten verpflichtet sind. Im besondern haben alle dem Orden angehörenden Gefängnisleiter und Festungskommandanten die Pflicht, zu den Kranken oder Sterbenden ihrer Anstalten einen dem Orden angehörenden Beichtvater zu rufen. Ich hielt es für angebracht, Sie auf diesen Paragraphen der Ordensstatuten hinzuweisen.« – »Er ist mir bekannt,« antwortete Baisemeaux, etwas kleinlaut. »Allein – bei mir liegt zur Zeit niemand krank oder im Sterben.« – »Wissen Sie das so genau?« fragte Aramis in seltsamem Tone.

Kaum hatte er gesprochen, so erschien ein Sergeant und meldete: »Der Gefangene Marchiali fühlt sich krank und verlangt nach einem Beichtvater.« – In den Augen des Bischofs leuchtete es auf. – »Ah!« rief Baisemeaux erstaunt. »Es ist gut, gehen Sie, ich werde für das Weitere sorgen.« Und als der Sergeant sich entfernt hatte, sah er den Bischof von Vannes an. »Was nun?« – »Tun Sie Ihre Pflicht,« antwortete Aramis. – »Ja, ich werde einen Boten schicken und mir einen Beichtvater ausbitten,« stammelte der Gouverneur in sichtlicher Verlegenheit. – »Es ist nicht nötig,« versetzte Aramis, »der Beichtvater bin ich.« – Diese Worte wirkten auf Baisemeaux wie ein Donnerschlag. Er wurde totenbleich; es war ihm zumute, als seien die schönen Augen d’Herblays zwei leuchtende Fackeln, die bis in die Tiefe seiner Seele drangen. – »O, Monseigneur,« rief er, »wie hätte ich ahnen sollen –? Was ordnen Sie nun an, Monseigneur?« – »Ich?« antwortete Aramis lächelnd, »nichts! Ich bin nur ein armer Priester, ein schlichter Beichtiger. Befehlen Sie mir, den Kranken zu besuchen?« – »O, Monseigneur, ich befehle es Ihnen nicht – ich bitte Sie darum,« stammelte der Gouverneur.

Aramis wurde zu Marchiali geführt. Der junge Mann lag in dem Bett, welches mit feinster Leinwand bezogen war; sein Kopf ruhte auf seidenweichen Kissen. Während sonst nach dem Gefängnisstatut zu dieser Zeit schon alle Zellen finster sein mußten, hatte Marchiali noch Licht. Die auf dem Tische stehenden Teller bezeugten, daß er das Abendessen kaum angerührt hatte. Als Aramis eintrat, veränderte der junge Mann seine Lage nicht. Er hob nur den Kopf und fragte: »Was will man von mir?« – »Sie haben einen Beichtvater verlangt?« antwortete Aramis, »sind Sie krank?« – »Ja,« sprach er. »Sind Sie einer? Sie waren schon einmal bei mir.«

Aramis verneigte sich. Offenbar gefiel dem jungen Manne der verschmitzte, kalte Charakter nicht, der sich in den Zügen des Bischofs von Vannes ausprägte. »Es wird nicht nötig sein,« sagte er, wenig geneigt, diesem Manne sein Vertrauen zu schenken, »es geht mir jetzt besser.« – »Sie haben ein Briefchen in Ihrem Brote gefunden,« sagte Aramis ruhig, »worin Ihnen eine wichtige Mitteilung verheißen wurde.« – Der junge Mann stutzte. – »Wenn Sie der Mann sind, der sich darin ankündigte,« sprach er, »so ist es etwas anderes. Ich höre.«

D’Herblay betrachtete ihn genauer und erstaunte über diesen Ausdruck schlichter, lieblicher Majestät, den man nie erlangt, wenn Gott ihn uns nicht ins Blut gelegt hat. – »Setzen Sie sich,« sagte er, und Aramis, sich verneigend, nahm Platz. – »Gefällt es Ihnen noch immer in der Bastille?« begann Aramis. »Beklagen Sie nach wie vor nichts?« – »Was soll ich beklagen?« erwiderte Marchiali. – »Daß Sie nicht frei sind,« sagte der Bischof.

»Was verstehen Sie unter Freiheit?« antwortete der Gefangene. – »Die Blumen sehen, die Luft atmen, den Tag erschauen, die Sterne betrachten, das Glück haben herumzulaufen, wohin uns zwanzigjährige Beine tragen können.«

Der junge Mann lächelte. Es wäre schwer gewesen zu sagen, ob mit Resignation oder mit Verachtung. – »Ich habe die schönsten Rosen aus dem Garten des Gouverneurs hier,« antwortete er. »Warum sollte ich mir andere Blumen wünschen? Mein Fenster steht viel offen, es fehlt mir nicht an Luft. Auch sehe ich durch das Fenster die Sonne und den Tag, den Mond und die Nacht. Ist das nicht genug? Man hat mir gesagt, es gebe Unglückliche, die in Bergwerken arbeiten müssen und die Sonne nimmer schauen. Und die Sterne? Ihr Flimmern hat oft meine Augen erquickt. Das alles habe ich, mein Herr. Ich darf auch im Garten spazieren gehen. Die Menschen haben also alles für mich getan, was ich hoffen und wünschen kann.«

»Ich bin Ihr Beichtvater,« sprach der Bischof. »Als mein Beichtkind müssen Sie mir die Wahrheit sagen. Jeder Gefangene, der in einen Kerker geworfen wird, muß ein Verbrechen begangen haben. Was war Ihr Verbrechen?« – »Sie haben mich danach schon das erste Mal gefragt, als ich Sie sah,« antwortete Marchiali. – »Und Sie verweigerten die Antwort,« sagte Aramis. – »Warum sollte ich Ihnen heute antworten?« erwiderte der junge Mann. – »Weil ich heute als Beichtvater vor Ihnen stehe,« sprach der Bischof.

»Wenn ich Ihnen sagen soll, welches Verbrechen ich begangen, so sagen Sie mir erst, was ein Verbrechen ist. Ich habe mir selbst um nichts Vorwürfe zu machen und erkläre, ich bin kein Verbrecher.« – »Bisweilen ist man in den Augen der Großen ein Verbrecher, nicht weil man ein Verbrechen begangen, sondern weil man um Verbrechen weiß, die andere begangen haben.« – Der Gefangene nickte. – »Ich verstehe,« sagte er. »In dieser Hinsicht könnte ich in den Augen der Großen ein Verbrecher sein. Wenn ich schärfer darüber nachdenken wollte, so würde ich entweder verrückt werden oder sehr viele Dinge erraten.«

»Ah, Sie wissen etwas?« rief Aramis. – Doch Marchiali brach ab. »Ich bin zufrieden mit dem, was ich hier habe,« murmelte er düster. »Warum soll ich mich dem Verlangen nach anderem hingeben? Doch Siel« rief er aus, »Sie haben mich veranlaßt, einen Beichtvater zu rufen, und Sie kommen nun hierher mit dem Versprechen, mir vieles mitzuteilen. Warum schweigen Sie jetzt? warum soll ich reden? Wir tragen beide eine Maske, aber ich werde sie nur zusammen mit Ihnen ablegen.«

Aramis fühlte die Richtigkeit dieses Urteils. – »Hier habe ich es mit keinem gewöhnlichen Menschen zu tun,« dachte er. »Nun,« fragte er laut, »besitzen Sie Ehrgeiz?« – »Was ist Ehrgeiz?« erwiderte Marchiali.

»Der Trieb, mehr zu haben, als man hat,« sagte d’Herblay. – »Ich habe schon erklärt, ich bin hier zufrieden,« versetzte der Gefangene; »allein darin kann ich mich auch irren. Es ist möglich, daß ich Ehrgeiz habe. Können Sie mir das Gefühl des Ehrgeizes noch näher erläutern?« – »Ein Ehrgeiziger ist derjenige, der über seinen Stand hinaustrachtet.« – »Ich trachte nicht über meinen Stand hinaus,« sagte der Gefangene in einem so sichern Tone, daß Aramis stutzte.

»Sie haben mich belogen, als ich das erste Mal hier war,« sprach d’Herblay. – »Belogen?« rief Marchiali in so heftigem Tone und mit so flammenden Augen, daß Aramis erschrak. – »Ich will sagen,« fuhr er mit einer Verbeugung fort, »Sie haben mir verschwiegen, daß Sie etwas von Ihrer Jugend wissen.« – »Mein Herr, meine Geheimnisse gehören nicht dem ersten besten, der da herkommt.« – »Bin ich der erste beste, Monseigneur?« fragte Aramis mit einem Lächeln. – Dieser Titel verursachte dem Gefangnen Unruhe, doch schien er sich nicht zu wundern, daß man ihn so nannte. – »Mein Herr,« versetzte er, »Sie sind mir unbekannt.« – »O, wenn ich den Mut hätte,« entgegnete der Bischof, »würde ich Ihre Hand ergreifen und küssen.« – Der Gefangene machte eine Bewegung, als wollte er die Hand ausstrecken; aber das Leuchten seiner Augen erlosch am Rande der Wimpern, und die Finger zogen sich wieder kalt und mißtrauisch zurück.

»Einem Gefangenen die Hand küssen?« sagte er. »Wozu?« – »Sie trauen mir nicht,« fuhr Aramis fort. »Doch das begreife ich: denn wenn Sie wissen, was Sie wissen müßten, so können Sie nicht anders, als aller Welt mißtrauen.« – »Nun, so wundern Sie sich nicht darüber,« antwortete der junge Mann ruhig. – »O, Sie bringen mich in Verzweiflung, Monseigneur!« rief d’Herblay, betroffen über diesen hartnäckigen Widerstand. »Ich begreife, Sie müssen allen mißtrauen, aber machen Sie doch eine Ausnahme bei Ihren alten Freunden!« – »Gehören Sie zu meinen alten Freunden?« fragte Marchiali. – »Erinnern Sie sich nicht mehr?« antwortete der Bischof. »Sie sahen doch einst in jenem Dorfe, wo Sie Ihre Jugend verlebten –«

»Kennen Sie den Namen dieses Dorfes?« fragte der Gefangene. – »Noisy-le-Sec,« antwortete Aramis fest.

»Fahren Sie fort,« sprach der junge Mann, ohne merken zu lassen, ob er zustimmte oder verneinte. – »Gut, da Monseigneur durchaus dieses Spiel fortsetzen wollen,« erwiderte Aramis. »Gewiß, ich bin gekommen, Ihnen vieles zu sagen, aber Sie müssen mir auch zeigen, daß Sie Verlangen hegen, all das zu erfahren. Bevor ich diese Dinge preisgebe, die lange Jahre in meiner Brust eingeschlossen waren, erwarte ich von Ihnen, das werden Sie begreifen, ein wenig Entgegenkommen, ein wenig Sympathie, eine Spur von Vertrauen. Sie stellen sich unwissend – das schreckt mich ab. Und wenn Sie auch wirklich ganz unwissend sein sollten, so sind Sie doch nichtsdestoweniger derjenige, der Sie sind, und nichts, nichts, Monseigneur – auch keine Bastille – kann machen, daß Sie es nicht sind!«

»Ich werde Sie in aller Ruhe anhören,« entgegnete der Gefangene. »Nur glaube ich das Recht zu haben, die Frage zu wiederholen, die ich schon einmal an Sie stellte: Wer sind Sie?« – »Erinnern Sie sich, vor 15 oder 13 Jahren einen Reiter in Noisy-le-See gesehen zu haben, zusammen mit einer Dame, welche gewöhnlich ein schwarzseidenes Kleid und grellrote Bänder im Haar trug?« – »Ja, und ich fragte auch einmal nach seinem Namen. Man sagte, er heiße Abt d’Herblay und sei früher ein Musketier des Königs gewesen.« – »Und der ehemalige Musketier, der dann Abt wurde, dann Bischof von Vannes, ist jetzt Ihr Beichtiger. Ich bin d’Herblay«. – »Ich weiß es,« antwortete der junge Mann ruhig, »ich habe Sie wiedererkannt.«

»Nun, Monseigneur, wenn Sie das wissen,« erwiderte Aramis, »so muß ich etwas hinzufügen, was Sie nicht wissen, nämlich folgendes: Wäre es dem König bekannt, daß dieser Musketier, Abt, Bischof und Beichtvater heute abend hier hei Ihnen ist, so würde derselbe Mann, der alles aufs Spiel setzte, um zu Ihnen zu gelangen, morgen schon das Beil des Henkers in einem Kerker blitzen sehen, der viel tiefer und verborgener wäre, als der Ihrige.« – Als der junge Mann diese mit eindrucksvoller Stimme gesprochenen Worte hörte, richtete er sich in seinem Bette auf und versenkte den Blick mit Gier in die Augen des Beichtvaters. Er schien mehr Vertrauen gewonnen zu haben, lehnte sich zurück und sagte: »Ja, ich erinnere mich – jene Dame, von der Sie sprechen, kam einmal zusammen mit Ihnen und zweimal mit der Frau –« Er hielt inne.

»Mit der Frau, Monseigneur,« vollendete Aramis, »die Sie alle Monate besuchte?« – »Ja.« – »Wissen Sie, wer die Dame war?« – »Eine Dame des Hofes,« sagte der Gefangene. »Ich erinnere mich ihrer deutlich. Einmal kam sie mit einem Manne von etwa 45 Jahren, einmal sah ich sie mit Ihnen und jener Frau mit den roten Bändern im Haar. Diese vier Personen, mein Erzieher und die alte Perronnette sind – außer dem Kerkermeister hier und dem Gouverneur – die einzigen Menschen, die ich je gesehen habe.« – »Sie wurden aber auch in Noisy-le-Sec gefangengehalten.« – »Im Verhältnis zu diesem Kerker war ich dort frei. Nur daß der Garten eine hohe Mauer hatte, über die ich nicht hinwegsehen konnte. Ich war daran gewöhnt und sehnte mich nicht hinaus. Da ich folglich von dieser Welt so gut wie nichts gesehen habe, so kann ich auch nichts wünschen, und wenn Sie etwas von mir wollen, so müssen Sie sich erklären.«

»Das werde ich auch tun, Monseigneur,« antwortete Aramis, »denn es ist meine Pflicht.« – »Nun, so fangen Sie an. Wer war mein Erzieher?« – »Ein gutmütiger, ehrbarer Edelmann, Monseigneur, sehr geeignet, Ihren Leib und Ihre Seele zu schulen. Hatten Sie sich über ihn zu beklagen?« – »Keineswegs. Er sagte mir oft, mein Vater und meine Mutter seien tot. Hat er damit gelogen oder die Wahrheit gesagt?« – »Ihr Vater war tot,« antwortete Aramis. – »Und meine Mutter?« fragte Marchiali. – »Sie war für Sie gestorben,« erwiderte d’Herblay. – »Doch für die Welt lebt sie noch, nicht wahr?« – »Ja.« – »Und dennoch muß ich in der Finsternis eines Kerkers schmachten? Weil mein Erscheinen ein schweres Geheimnis aufdecken würde?«

»Ein gefährliches Geheimnis,« antwortete Aramis.

»Wenn ein Kind in dieser Weise in die Bastille gesperrt wird, dann muß sein Feind sehr mächtig sein.« – »Das ist er auch.« – »Mächtiger als meine Mutter.« – »Warum das?« – »Weil mich meine Mutter sonst gegen ihn verteidigt hätte.« – Aramis zauderte, dann sagte er: »Ja, er ist mächtiger als Ihre Mutter, Monseigneur.« – »Und mein Erzieher, meine Amme, waren meinem Feinde auch im Wege, daß er sie von mir nahm?«

»Ja,« antwortete Aramis ruhig, »sie erschienen ihm beide so gefährlich, daß er sie verschwinden ließ. Man vergiftete sie.«

Der junge Mann erbleichte, dann antwortete er: »Diese unschuldigen Personen sind ermordet worden, und zwar an einunddemselben Tage? Dann muß mein Feind sehr grausam sein, oder die Notwendigkeit muß ihn dazu gedrängt haben. Und ich habe da meine Vermutungen. Ich werde sie Ihnen mitteilen.« – »Sprechen Sie, Monseigneur,« versetzte Aramis, »ich sagte Ihnen ja schon, ich riskiere mein Leben, indem ich mit Ihnen rede.« – »Hören Sie!« erzählte der junge Mann. »Ursprünglich hat man wohl nicht die Absicht gehabt, mich auf Lebenszeit einzusperren, denn es wurde viel Sorgfalt auf meine Erziehung verwendet. Ich erhielt Unterricht in allen Wissenschaften und in den Fertigkeiten eines Kavaliers von Stande. Eines Morgens – es war sehr heiß – schlief ich im Zimmer ein. Bisher hatte ich noch niemals irgendwelchen Argwohn betreffs meiner Herkunft gefaßt. Ich zählte damals 15 Jahre.« – »Das war also vor acht Jahren,« unterbrach ihn d’Herblay. – »Ja. Mein Erzieher hatte mir stets gesagt, ich sei als arme, unbekannte Waise zur Welt gekommen und müsse mir viel Kenntnisse aneignen, um es in der Welt zu etwas zu bringen. Ich könnte auf keine Hilfe von anderer Seite rechnen. In diesem Glauben befand ich mich bis zu jenem Tage, von dem ich jetzt spreche. Ich war im Zimmer eingeschlafen – mein Erzieher befand sich in seiner Stube gerade über mir. Ich hörte ihn die Amme rufen, »Perronnette!« rief er. »Perronnette!« Sie war wohl im Garten, denn er lief die Treppe hinab. Ich stand auf, um zu sehen, was geschehen sei. Ich sah, wie mein Erzieher zu einem Brunnen ging, der am Rande des Gartens lag, fast unmittelbar unter den Fenstern seines Zimmers, hinabblickte und aufs neue nach der Amme zu rufen begann. Sie eilte herbei, und nun guckten beide in den Brunnen, mit unverkennbaren Gebärden des Schreckens. ›Es ist der letzte Brief von der Königin!‹ rief mein Erzieher. ›O, welch ein Unglück, welch ein Unglück!‹– ›Beruhigen Sie sich doch nur,‹ antwortete die Perronnette, ›das Wasser wird ihn rasch zerstören.‹– Als ich diese wenigen Worte vernahm, lauschte ich mit verdoppelter Aufmerksamkeit, denn es nahm mich Wunder, daß mein Erzieher, der mir stets Bescheidenheit und Demut empfahl, in Briefwechsel mit der Königin stand. – ›Wie ist er hier denn hereingekommen?‹ fragte die Amme. – ›Ich las ihn am Fenster,‹ antwortete er, ›ein Windstoß entriß ihn meiner Hand!‹ – ›Er ist hier unten so gut wie verbrannt,‹ meinte die Perronnette, ›und da die Königin, so oft sie kommt, ihre Briefe verbrennt–‹ So oft sie kommt, hören Sie wohl!« unterbrach sich der Gefangene. »Die Frau, die alle Monate kam, war also die Königin. – ›Ja, aber die Königin wird an einen solchen Zufall nicht glauben,‹ rief mein Erzieher untröstlich. ›Sie wird denken, ich wollte diesen Brief zurückbehalten, um ihn als Waffe gegen sie zu benützen, und dieser Mazarin ist ja so mißtrauisch. Er wird uns beide gefangensetzen. Sie wissen, wo es sich um Philipp handelt –.‹ Das war also mein Name,« unterbrach der Gefangene abermals seine Erzählung.

Aramis nickte. – »›Wir müssen jemand hinabsteigen und den Brief heraufholen lassen,‹ sagte mein Erzieher, und sie gingen beide fort, um jemand zu holen. Ich wußte nicht, was ich tat – mir schwindelte der Kopf von dem, was ich vernommen – ich schwang mich aus dem Fenster, lief rasch an den Brunnen und sah hinab. Auf dem dunkeln Spiegel des Wassers schwamm etwas Weißes. Und dieser weiße Gegenstand schien mich zu sich hinabzulocken, meine Augen waren starr, mein Atem ging keuchend, der Brunnen wehte mich mit seinem breiten Munde und seinem eisigen Atem an, und mir war, als läse ich auf dem weißen Zettel feurige Schriftzüge. Einem Instinkt gehorchend, rollte ich den Strick auf und ließ mich daran hinab. Noch während ich im Brunnen schwebte, ging das Papier unter. Aber das Wasser war zum Glück nicht tief, ich brauchte nur mit dem halben Leibe einzutauchen, um das Papier vom Grunde aufzufangen. Es zerriß aber unter meinen Fingern. Rasch kletterte ich wieder hinauf, rollte den Strick in fliegender Hast wieder auf und flüchtete in den Garten, wo ich mich an einem sonnigen Fleck versteckte, um mich trocknen zu lassen. Hier hatte ich Zeit genug, den kostbaren Brief zu lesen, dessen Schriftzüge schon zu verlöschen begannen.«

»Und was haben Sie gelesen, Monseigneur?« fragte d’Herblay. – »Genug, um zu glauben, daß ich von sehr hoher Abkunft sei, da Anna von Oesterreich und Kardinal Mazarin sich so sehr mit mir beschäftigten. Doch weiter! Der Mann, den man in den Brunnen steigen ließ, fand nichts, dagegen entdeckte man, daß der Strick und der Eimer naß waren, vermißte mich, suchte und fand mich. Meine noch feuchten Kleider verrieten mich, zudem ergriff mich tags darauf ein heftiges Fieber infolge des Wasserbads und der erlittenen Aufregung. Und im Delirium erzählte ich nun vollends alles, was der Brief mir gesagt hatte, den man dann unter meinem Kopfkissen fand.« – »Ah, nun verstehe ich alles,« sagte Aramis. – »Mein Erzieher getraute sich nun nicht, das Geheimnis weiter zu behüten, dessen ich durch Zufall teilhaftig geworden war, und schrieb der Königin alles. Darauf wurde ich in die Bastille gebracht, und Erzieher und Amme verschwanden.«

»Lassen wir die Toten ruhen,« sagte Aramis. »Beschäftigen wir uns mit den Lebenden. Haben Sie sich in Ihr Schicksal ergeben? Ohne Ehrgeiz, ohne Schmerz, ohne Hoffnungen? Sie schweigen?« – »Ich glaube genug gesagt zu haben,« versetzte der junge Mann. »Das Reden ist nun an Ihnen. Ich bin müde.« – Aramis sammelte sich. Sein Gesicht nahm einen feierlichen Ausdruck an, war er doch bei dem wichtigsten Teil der Rolle angelangt, die er im Gefängnis zu spielen hatte. – »Eine Frage zuerst, die von Bedeutung ist,« begann er. »In dem Hause zu Noisy-le-Sec gab es keine Spiegel?« – »Ich weiß nicht, was ein Spiegel ist,« erwiderte der junge Mann. – »Glas, das so präpariert ist,« erklärte d’Herblay, »daß man sich darin so deutlich sieht, wie Sie mich sehen.« – »Nein,« sagte der junge Mann, »so etwas gab es in dem Hause nicht.« – »Und auch hier gibt es keinen,« fuhr Aramis fort, sich umsehend. »Man gebraucht hier die gleiche Vorsicht. Doch Verzeihung! Man unterwies Sie also in Wissenschaft und allerlei Künsten. Lehrte man Sie auch die Geschichte kennen?«

»Man erzählte mir,« antwortete der junge Mann, »von Ludwig dem Heiligen, von Franz I., von Heinrich IV.« – »Also auch hier Berechnung,« sagte d’Herblay. »Ich will Ihnen in wenigen Worten mitteilen, was seit 23 oder 24 Jahren, also seit der Zeit Ihrer Geburt, in Frankreich geschehen ist. Auf Heinrich IV. folgte Ludwig XIII., ein großer König, voll hoher Entwürfe und schöner Gedanken. Leider mußte er sie unvollendet lassen, da er zu schwach war, seinen Willen gegen den allmächtigen Minister, den Kardinal Richelieu, durchzusetzen. Er fand in noch jungen Jahren ein trauriges Ende. Das Glück der Nachkommenschaft war ihm lange versagt geblieben; schon verzweifelte er, als seine Gemahlin, Anna von Oesterreich –« Der Gefangene zuckte jäh zusammen. – »Als Anna von Oesterreich,« fuhr der Beichtvater fort, »ihm eines Tages ankündigte, sie sei gesegneten Leibes. Am 5. September genas sie eines Sohnes.«

Aramis hielt inne und sah den jungen Mann, der erbleichte, fest an. Dann fuhr er fort: »Sie werden jetzt eine Geschichte hören, die gegenwärtig nur noch zwei Menschen zu erzählen wissen; ein Geheimnis, das man für begraben hält. Ich wage nichts dabei,« setzte er in etwas ironischem Tone hinzu, »daß ich es einem Gefangenen mitteile, der gar kein Verlangen trägt, die Bastille jemals zu verlassen. Die Königin gebar also einen Sohn. Der Hof stimmte ein Freudengeschrei an, und der König saß schon wieder vergnügt bei Tische, um mit seinen Günstlingen ein Freudenfest zu feiern, da wurde die Königin, die in ihrem Zimmer mit der Hebamme allein war, ein zweitesmal von Wehen befallen und brachte noch einen Sohn zur Welt. Diesen zweiten Sohn nahm die Hebamme, Frau Perronnette, in den Arm.«

»Frau Perronnette?« stammelte der junge Mann.

»Man schickte nach dem König, und seine Freude verwandelte sich in Entsetzen; denn in Frankreich kann man nur einen Kronprinzen gebrauchen. Kronprinz ist der ältere Sohn, so lautet das Gesetz, und die Aerzte erklärten, aus verschiedenen Gründen in diesem Falle nicht mit der absoluten Sicherheit entscheiden zu können, ob der zuerst zur Welt gekommene Sohn der ältere sei.« – Der Gefangene stieß einen dumpfen Schrei aus und wurde weiß wie das Laken seines Bettes. – »Sie begreifen nun,« fuhr Aramis fort, »weshalb der König so erschrocken war. Zwei gleichberechtigte Dauphins – das war ein ganz unhaltbarer Zustand. Der zweite Sohn hätte eines Tages zu den Waffen greifen und dem andern den Thron streitig machen können; was zu blutigem Hader geführt hätte. Und deshalb wurde einer dieser Zwillingssöhne, und zwar der zu zweit ans Licht getretene, beiseite geschafft, und deshalb ist es seitdem verschwunden, so daß in Frankreich niemand weiß, ob er noch lebt, ausgenommen seine Mutter, die ihn verlassen hat, jene Dame im schwarzen Kleide und den grellroten Bändern und –«

»Und endlich Sie!« fiel der Gefangene ein. »Sie, der Sie in meiner Seele Haß und Ehrgeiz und vielleicht den Durst nach Rache erwecken! Sie, der Mann, den ich erwartete, der Mann, den mir Gott sendet, und der, wenn er das ist, das bei sich haben muß –« – »Was?« fragte Aramis. – »Ein Porträt des Königs Ludwig XIV., der jetzt auf Frankreichs Thron sitzt.«

»Hier ist das Porträt,« sagte der Bischof und legte vor den Gefangenen ein schönes Emaillebild hin, auf dem Ludwig in all seinem Stolz, in all seiner Schönheit dargestellt war. – Der Gefangene ergriff es mit Gier und heftete den brennenden Blick darauf. – »Und hier, Monseigneur,« fuhr Aramis fort, »ist ein Spiegel.« – Der junge Mann sah hinein und verglich sein Antlitz mit dem des Königs.

»Was denken Sie davon?« fragte Aramis. – »Daß ich verloren bin,« murmelte der Gefangene. »Der König kann mich niemals neben sich dulden.« – »Und ich frage mich,« sagte der Bischof, mit einem leuchtenden Blick auf den Gefangenen, »welcher von beiden der König ist, der, den dieses Porträt darstellt, oder der, dessen Antlitz ich hier im Spiegel sehe!« – »Der König, Herr, ist der, der auf dem Throne sitzt,« erwiderte der junge Mann traurig, »der nicht im Gefängnis schmachtet, ja vielmehr dahin schickt, wen immer er will. Wer den Thron hat, hat die Macht – ich bin ohnmächtig.« – »Monseigneur,« antwortete Aramis mit einer Ehrerbietung, die er bis jetzt noch nicht gezeigt hatte, »der König werden Sie sein, wenn Sie nur wollen, und wenn Sie der Mann dazu sind, sich auf dem Throne zu behaupten, auf den Ihre Freunde Sie setzen werden.«

»Herr, führen Sie mich nicht in Versuchung,« versetzte der Gefangene in bitterem Tone. – »Monseigneur, keine Schwäche! Ich habe alle Beweise Ihrer Geburt mitgebracht. Ueberzeugen Sie sich selbst, daß Sie ein Königssohn sind, dann wollen wir weiter sehen.«

»Sie reden von Freunden?« rief der junge Mann mit einer Heftigkeit, die den Adel seines Bluts verriet. »Wie sollte denn ich zu Freunden kommen, ich, der keinen Menschen kennt und weder Freiheit, noch Geld, noch Macht besitzt?« – »Mich dünkt, ich hatte die Ehre,« antwortete Aramis, »mich Eurer Königlichen Hoheit zum – Freunde anzubieten.«

»O, nennen Sie mich nicht so, Herr, das ist Hohn, das ist Barbarei! Lassen Sie mein Sinnen nicht über diese Kerkermauern hinausgehen, lassen Sie mich in Finsternis und Sklaverei – ich will’s ertragen!«

»Monseigneur, wenn Sie, nachdem ich Ihnen Ihre Herkunft bewiesen, so arm an Geist, Willen und Leben sind, diese mutlosen Worte sprechen zu können, so will ich nach Ihrem Wunsche handeln und dem Dienste des Herrn entsagen, dem ich mein Leben und meinen Beistand zuzuschwören gekommen bin!« – »Herr, wäre es nicht besser gewesen, Sie hätten, ehe Sie mir das alles sagten, bedacht, daß Sie mir damit das Herz brechen?« rief der Prinz. »Sie lassen mich an Glanz denken, und hier ist Nacht um mich her. Sie schwärmen von Allmächtigkeit, und draußen im Korridor hallt der Tritt des Kerkermeisters – ein Schall, der Sie mehr zittern macht als mich. Wenn ich daran glauben soll, geben Sie mir ein Pferd, ein Schwert in die Hand und Sporen an die Füße. Dann vielleicht werden wir uns verstehen.«

»Es ist meine Absicht, Monseigneur, Ihnen das alles und noch mehr zu geben,« antwortete Aramis. »Nur – wollen Sie es auch?« – »Herr, ich weiß, es gibt Wachen auf jedem Korridor, Riegel und Barren vor jeder Tür, Posten auf allen Höfen. Wollen Sie alle diese Hindernisse durchbrechen?« – »Alle, Monseigneur,« erwiderte d’Herblay mit Zuversicht. – Der Prinz schüttelte den Kopf und fuhr fort: »Wem es gelänge, das für mich zu tun, der wäre schon mehr als ein Mensch. Aber es kommt noch hinzu, daß ich ein Prinz bin, ein Bruder des Königs. Wollen Sie mir den Rang und die Macht geben, die Mutter und Bruder mir genommen haben? Ich soll in ein Leben voll Streit und Haß hinein, wie soll ich da ohne Wunden bleiben oder gar Sieger werden? O, bedenken Sie das, Herr! Werfen Sie mich lieber in eine finstere Bergschlucht, wo ich das Rauschen eines Flusses hören und die freie Flut, den blauen Himmel schauen und genießen kann, und ich will mich damit begnügen. Sie können mir nicht mehr geben, und es wäre ein Verbrechen, mich zu täuschen!«

Nach kurzem Besinnen sprach Aramis: »Ich bewundere diesen festen, weisen Sinn, Monseigneur, und erkenne daran, daß ich meinen König gefunden habe.« – »Wieder? O, haben Sie Mitleid,« rief der Prinz und preßte die glühende Stirn in die eisigen Hände. »Verspotten Sie mich doch nicht. Ich brauche gar nicht König zu werden, um der glücklichste Mensch zu sein.« – »Aber ich will, daß Sie König seien,« antwortete Aramis schwärmerisch, »auf daß die Menschheit glücklich werde! Wenn Sie sich von mir leiten lassen, wenn Sie einwilligen, der mächtigste Fürst der Erde zu sein, dann dienen Sie den Interessen meiner Freunde, die für unsere Sache ihr Leben einsetzen und zwar an Zahl noch nicht groß, dafür aber sehr mächtig sind.«

»Aber mein Bruder?« fragte der Gefangene. – »Sie werden sein Los bestimmen. Beklagen Sie ihn?« – »Ihn, der mich hier sterben lassen will? Nein! Könnte er nicht herkommen und zu mir sprechen: Du bist mein Bruder! Gott hat uns geschaffen, daß wir uns lieben, nicht, daß wir uns befehden. Ein beklagenswertes Vorurteil war daran schuld, daß du im Dunkeln schmachten mußtest. Ich will dich an meiner Seite sitzen lassen und dir das Schwert unsers Vaters umgürten. Wirst du es gebrauchen, mein Blut zu verspritzen? – Und ich hätte geantwortet: Nein, nein, ich betrachte dich als meinen Erlöser, als meinen Herrn. Du gibst mir mehr, als Gott mir gegeben, nämlich die Freiheit und das Recht, Menschen zu lieben und von Menschen geliebt zu werden.«

»So aber –?« sprach Aramis. – »So habe ich Schuldige zu bestrafen und, da Gott mich zu gleicher Zeit mit meinem Bruder und ihm ähnlich geschaffen hat, die Gleichberechtigung herzustellen,« antwortete der Prinz. – »Und das will besagen,« sprach d’Herblay, »daß Sie mit Ihrem Bruder die Plätze tauschen werden. Er wandert ins Gefängnis, Sie besteigen den Thron.« – »O, im Gefängnis leidet man viel,« murmelte der Prinz, »zumal wenn man schon den Becher des Lebens an den Lippen gehabt hat.« – »Sie werden tun, was Ihnen gefällt, Hoheit,« antwortete der Beichtvater. »Haben Sie bestraft, so werden Sie auch verzeihen. Und nun genug, Hoheit. Sie werden von mir hören. Nur noch einmal werden Sie mich hier sehen, und zwar, wenn ich komme, Sie abzuholen. Bis dahin sprechen Sie mit niemand, wer es auch sei.«

Aramis verbeugte sich tief. Der Gefangene reichte ihm die Hand und sprach in einem Tone, der zu Herzen ging: »Mein Herr, nur noch ein Wort! Wenn Sie zu mir gekommen sind, als Werkzeug meiner Feinde, um mich zu vernichten, um mich zu einem Bekenntnis zu bewegen, das mein Tod sein soll, o, auch dann seien Sie gesegnet, denn Sie enden meinen Jammer und bringen Ruhe nach jahrelangen Qualen. Sind Sie aber gekommen, um mir einen Platz an der Sonne des Glücks und des Ruhms zu verschaffen, mir eine Stellung zu geben, in der ich mir durch ausgezeichnete Dienste und Taten einen Namen für alle Zeiten erringen kann – kurz, um mich aus dem Elend, in dem ich hier dahinsieche, zum Gipfel aller Macht und Würde zu erheben – nun denn! so schenke ich Ihnen unter Dank und Segen die Hälfte meiner Macht und meines Reichtums. Sie werden damit noch bei weitem nicht genugsam belohnt sein! Ich werde nie imstande sein, das Glück zu vergelten, das ich Ihnen verdanke!«

Aramis kniete nieder. »Der Adel Ihres Herzens,« sprach er, »erfüllt mich mit Bewunderung. Mein Dank wird in dem Glück der Völker liegen, über die Sie herrschen werden, in dem Lobe der Nachkommen, die von Ihrem Ruhme singen werden. Und dies,« sagte er und küßte die Hand des Gefangenen, »ist die erste Huldigung, die ich dem künftigen König darbringe. Wenn ich wieder hier eintrete, wird es mit dem Gruß sein: Guten Tag, Majestät!« – »Bis dahin,« sprach der junge Mann und legte die weißen, dünnen Finger auf seine Brust, »keine Träume, keine Täuschungen – es würde mir das Leben kosten! Ach, wie klein ist meine Zelle, wie schmal das Fenster, wie niedrig die Tür! Wie konnte nur soviel Stolz und Glückseligkeit dort hereinkommen und hier drinnen Raum finden!«

Aramis ging und wurde von dem Wachtposten zu Baisemeaux zurückbegleitet. »Welch eine Beichte!« rief der Gouverneur; »ich hätte nie geglaubt, daß dieser obskure Gefangene soviel auf dem Gewissen haben könne!«

1. Kapitel. In Ungnade

Am folgenden Tage fand die Rückkehr des gesamten Hofes nach Paris statt, und es war ein herrlicher Anblick, diese erlauchte Gesellschaft in Reisekleidern, diese stattliche Menge von prächtig gesattelten Pferden und prunkvollen Kaleschen zu sehen, diese unzählbare Schar von Kavalieren und Damen, von Pagen und Lakaien, von Bereitern und Troßknechten. Die Kutsche des Königs, die er mit seiner Mutter und seiner Gemahlin teilte, fuhr zuerst ab, dann folgte die des herzoglichen Paares und dann, dem Range entsprechend, die große Reihe der anderen.

Die Sonne schien drückend, und Madame war die erste, die sich über die große Hitze beklagte. »Ich hätte Sie für galanter gehalten,« sagte sie zu ihrem Gemahl, »Sie sollten doch mir den Wagen allein überlassen und den Weg zu Pferde zurücklegen.« – »Reiten? Bei der Glut?« versetzte Monsieur entsetzt. »Aber ich denke gar nicht daran, Madame! Ich habe auch kein Pferd hier.«

»Ich sehe doch aber dort Ihren Lieblingsfuchs,« antwortete sie, zum Fenster hinaussehend. »Ihr Stallmeister, Herr Malicorne, führt ihn am Zügel.« –

»Tatsächlich,« sagte Monsieur, sah auch hinaus und fiel gleich darauf zurück in die Kissen. »Das arme Tier! Ihm mag schön heiß sein.«

Inzwischen wurde es dem König ebenfalls zu eng im Wagen, doch weniger der Hitze wegen als aus Liebesverlangen. Er wünschte im Sattel zu sitzen, um an den Wagen der Ehrendamen zu reiten und sich am Anblick der geliebten Lavallière zu erfreuen. Die vielen Fragen der jungen Königin, die sich immer wieder nach seinem Befinden erkundigte, das Geschwätz der Königin-Mutter, die ihn um jeden Preis zerstreuen wollte, fielen ihm schwer auf die Nerven. Er klagte schließlich über Schmerzen in den Beinen, und Maria-Theresia fragte, ob er mit ihr aussteigen und ein Stück zu Fuß gehen wolle. Das war freilich ein Strich durch die Rechnung, aber er konnte es ihr nicht abschlagen. Nach wenigen Minuten merkte sie, daß ihm der Weg zu Fuß auch nicht besser behagte als die Fahrt im Wagen. Sie erklärte, sie wolle wieder einsteigen. Er führte sie an den Kutschenschlag, ließ sie aber allein Platz nehmen und sah sich, draußen stehenbleibend, nach einem Pferde um.

»Majestät haben einen Zelter verlangt?« rief eine Stimme hinter ihm, und Malicorne verneigte sich und bot dem König den Lieblingsfuchs Monsieurs an. – »Das ist kein Tier aus meinem Marstall,« sagte Ludwig. – »Es gehört Seiner Königlichen Hoheit,« antwortete Malicorne, »allein Monsieur reitet bei einer solchen Hitze nicht.« – Mit diesen Worten hielt er den Steigbügel, und Ludwig schwang sich hinauf. Lachend sprengte er an den Wagen der Königinnen. »Gott sei Dank, daß ich im Sattel sitze!« rief er ihnen zu. Dann hielt er an, ließ sie vorbeifahren und ritt im Galopp zurück. Anna von Oesterreich neigte sich zum Fenster hinaus und sah ihm nach.

Er ritt nicht weit; schon beim sechsten Wagen zog er die Zügel straff; der Fuchs blieb stehen. Ludwig XIV. zog anmutsvoll den Hut und grüßte mit einem glückseligen Lächeln Fräulein von Lavallière, die zusammen mit der Montalais fuhr. Er folgte dem Wagen ein Weilchen, ohne ein Wort, nur seine Augen führten eine beredte Sprache. Dann begann er eine belanglose Plauderei. – »Ich wäre erstickt im Wagen. Ein verständiger junger Mann erriet meinen Wunsch nach einem Reitpferd und erlöste mich von der furchtbaren Plage. Ich möchte seinen Namen wissen, denn ich kenne ihn noch nicht.« – Die Montalais ließ sich das nicht zweimal sagen. »Der Herr, der Eurer Majestät das Pferd gebracht hat,« sagte sie, »heißt Malicorne. Das war er doch, der dort drüben reitet, nicht wahr, Sire?« – Dabei wies sie auf ihren Verehrer, der natürlich hörte, daß von ihm die Rede war, sich aber mit heuchlerischer Miene das Ansehen gab, als sei er taub. – »Das war er, mein Fräulein,« antwortete Ludwig XIV. »Malicorne, ich werde mir den Namen merken.«

Nach kurzem Schweigen wandte der König sich an Fräulein von Lavalliere. »Nun ist die ländliche Freiheit zu Ende, mein Fräulein,« sagte er. »Mit der Rückkehr nach Paris wird Ihr Dienst bei Madame Sie mehr in Anspruch nehmen, und wir werden uns nur selten sehen.« – »Eure Majestät lieben Madame zu sehr, als daß Sie nicht oft zu ihr kommen werden,« antwortete Luise, »und wenn Majestät nur durchs Zimmer gehen …« – »Ah, das würde mir nicht genügen,« versetzte Ludwig, »und doch scheinen Sie damit zufrieden zu sein.« – Luise antwortete nur mit einem Seufzer. – »Sie haben sich sehr in der Gewalt,« sagte der König. »Gebrauchen Sie diese Kraft, um zu lieben, und ich werde Gott preisen, der sie Ihnen gegeben.«

Die Lavallière schwieg, doch ein seelenvoller Blick in des Königs Auge sagte mehr, als Worte vermocht hätten. Und als wäre dieser Blick wie ein brennender Strahl in sein Herz gedrungen, fuhr er mit der Hand an die Stirn und trieb das Pferd durch einen plötzlichen Druck der Schenkel vorwärts. Sie folgte dem schönen Reiter, dessen Hutfedern im Winde wallten. Sie lehnte sich zurück und verlor die geliebte Gestalt mit den schönen Locken nicht aus den Augen.

Nach wenigen Minuten schon war der König wieder an ihrer Seite. – »Fräulein,« sagte er, »es zerreißt mir das Herz, daß Sie so beharrlich schweigen. Sie sind unbarmherzig, so verschlossen zu bleiben. Ich muß das schließlich für Koketterie halten. Ich fürchte, Sie erwidern die tiefe Liebe nicht, die ich für Sie empfinde.« »O nein, Majestät,« erwiderte sie, »wenn ich lieben werde, so ist’s für’s ganze Leben!« – »Lieben werde!« rief er, »ah, da haben wir’s! Sehen Sie, daß ich recht habe, Sie der Koketterie, der Launenhaftigkeit anzuklagen!« – »O, nein, Sire, nein!« – »Versprechen Sie mir, für mich stets die gleiche zu bleiben!« – »O, immer, Majestät!«

»Ich liebe es, das, was mein Herz bewegt, unter die Bürgschaft eines Schwurs zu stellen,« sagte er. »Schwören Sie mir, wenn wir in dem Leben, das vor uns liegt, in diesem Leben, voll von Opfern, Geheimnissen, Schmerzen und vielleicht auch Zerwürfnissen, uns einmal falsch verstanden oder einander unrecht getan haben sollten, schwören Sie mir, Luise –«

Die Lavallière erbebte bis in den Grund ihrer Seele hinein, denn es war das erstemal, daß sie ihren Namen so vom Munde des Geliebten hörte. – »Schwören Sie mir,« fuhr er fort, »daß wir in einem solchen Falle, wenn eins dem andern fern ist, nie eine Nacht verstreichen lassen wollen, ohne einander aufzusuchen oder wenigstens einen beruhigenden oder erklärenden Brief zu wechseln.«

Luise nahm die heiße Hand des Geliebten in ihre beiden kalten Hände und drückte sie lange und zärtlich, bis ein Geräusch das Pferd erschreckte, das mit einem Satz vorwärts sprang. Sie hatten das Gelübde getauscht. »Majestät,« flüsterte Luise, »kehren Sie zu den Königinnen zurück – ich fühle es, dort droht mir ein Unwetter.«

Ludwig grüßte und ritt im Galopp zu dem Königswagen. Im Vorüberreiten sah er Monsieur – er schlief – sah er auch Madame – sie schlief nicht. – Die junge Königin lächelte ihm traurig zu und sprach nichts als die Worte: »Ist dir nun wohler, mein lieber Mann?«

In Paris begann der König sofort mit Colbert zu arbeiten, denn es galt, am folgenden Tage die Gesandten von Spanien und Holland zu empfangen: eine Aufgabe, die mit diplomatischem Geschick gelöst werden mußte, da in letzter Zeit die Beziehungen zwischen Frankreich und diesen beiden Reichen sich verhängnisvoll zugespitzt hatten. Während Majestät im Arbeitszimmer war, suchte Maria-Theresia, seine Gattin, die Königin-Mutter, auf, um ihr wieder einmal ihr Leid zu klagen. – »Ach, meine Mutter! der König liebt mich nicht mehr!« – Es war das alte Lied, aber es hatte diesmal eine neue Wirkung auf Anna von Oesterreich, nachdem sie unterwegs dem König aus dem Wagen nachgeschaut hatte. – »Was nennst du denn Liebe, mein Kind?« – »Wenn man immer an jemand denkt, sich immer nach jemand sehnt.« – »Und findest du, der König tue das? Ein König gehört seinem ganzen Reiche.«

»Und deshalb sind wohl auch fast alle Königinnen verlassen und vergessen,« sagte das arme Kind, »während andere Frauen Liebe, Ruhm und Ehren genießen. O, Mutter, der König ist so schön! Wie oft werden ihm andere das sagen! Und wenn ich daran denke, er könnte sich noch einen Herd neben dem unserigen schaffen – noch eine zweite Familie! Ach, wenn ich je Kinder vom König sähe, ich würde sterben!«

Anna von Oesterreich lächelte und faßte Maria bei der Hand: »Meine Tochter,« sagte sie, »trösten Sie sich: der König kann keinen Kronprinzen haben ohne Sie, Sie aber können einen haben ohne ihn.«

Madame ließ sich melden. Sie erschien mit einer Miene, die darauf deutete, daß sie einen bestimmten Plan entworfen habe und ein gewisses Ziel zu erreichen willens sei. – »Ich kam zu sehen,« begann sie, »ob die kleine Reise Ihre Majestäten angegriffen habe.« – »Mich gar nicht,« antwortete Anna. – »Mich ein wenig,« antwortete Maria-Theresia. – »Und dem König scheint sie gut bekommen zu sein, obwohl er bei der Hitze zu Pferde stieg.« – »Ich selbst habe ihm dazu geraten,« sagte Maria-Theresia. – »Haben Sie denn schon die schreckliche Geschichte vom Grafen Guiche erfahren?« fragte die Herzogin. – »Von seinem Kampf mit dem Eber, ja,« sagte Anna von Oesterreich. – Madame trat näher und sagte leise: »Es war ja ein Duell.«

»Ein Duell?« rief Maria-Theresia. »Und weshalb fand es statt?« – »Wegen einer meiner Ehrendamen,« antwortete Madame mit vielsagendem Blick. – »Etwa gar wegen der Lavallière?« fragte die Königin-Witwe. – »Ja, ihretwegen.« – »Sie ist wohl verlobt, wie ich höre, doch weder mit Herrn von Guiche, noch mit Herrn von Wardes,« fuhr Anna fort. »Alles in allem fängt diese Person nachgerade an, unausstehlich zu werden. Ich leide es nicht, daß an meinem Hofe die jungen Männer die Waffen miteinander kreuzen. Es ist ein Frevel, auf diese Weise meinem Sohne auch nur einen seiner Diener zu rauben. Aber nicht nur die Männer sind in solchem Falle zu bestrafen, sondern vor allem die koketten Dämchen, die die jungen Herren gegeneinander hetzen.« Sie wendete sich an die junge Königin und fragte: »Was soll mit dieser Lavallière geschehen?«

Maria-Theresia arbeitete an einer Stickerei, sah mit ^ einem eiskalten Blick auf und antwortete: »Lavallière? Kenne ich nicht.« Und sie zeigte dazu ein so frostiges Lächeln, wie es nur königlichen Lippen eigen ist. – »Man schickt sie in ihre Heimat zurück und gibt ihr eine Pension,« sagte Madame. – »Das ist meine Angelegenheit,« sprach die Königin-Witwe. – »Hoheit,« versetzte die Herzogin von Orléans, »sie ist eine meiner Ehrendamen.«

»Gleichviel!« antwortete Anna. »Ich bin des Königs Mutter und das Haupt der Familie. Kein Aufsehen, wenn ich bitten darf! Das alles muß en famille abgemacht werden. Lassen Sie das Mädchen hierher rufen, Madame! Und Sie, meine Tochter, begeben sich auf ein paar Augenblicke in Ihre Gemächer!«

Die Lavallière trat bei der Königin-Mutter ein, ohne zu ahnen, daß sich ein verhängnisvolles Komplott gegen sie entsponnen habe. Sie glaubte, es handle sich um eine dienstliche Angelegenheit, und im Dienst hatte die Königin-Mutter sich nie unfreundlich gezeigt. Sie näherte sich also der Fürstin mit jenem sanften Lächeln, das sie so gut kleidete. Da sie in gemessener Entfernung stehenblieb, der erwarteten Befehle harrend, rief Anna von Oesterreich: »Treten Sie nur ganz nahe heran, Fräulein, damit wir mit Ihnen plaudern, da doch schon alle Welt von Ihnen schwatzt.«

Die Lavallière erbleichte und sah auf Madame – aber die Herzogin trug eine Gleichgültigkeit zur Schau, die den Mutigsten entwaffnet hätte. – »Spielen Sie nur noch gar die Unwissende!« fuhr Anna fort. »Was sagen Sie zu dem Duell zwischen Herrn von Guiche und Herrn von Wardes?« – »Mein Gott, Königliche Hoheit, ich habe gestern erst davon gehört,« antwortete die Lavallière, die Hände faltend. – »Und haben nicht vorher schon gewußt, daß es dahin kommen würde?« – »Aber wie sollte denn ich das gewußt haben?« – »Weil Ihnen bekannt sein muß, weshalb die beiden Herren sich entzweit haben!« – »Das ist mir nicht bekannt, Königliche Hoheit.«

»Dieses System der Ausflüchte und des Leugnens sollte Ihnen selbst doch zu erbärmlich erscheinen,« begann Anna. – »Mein Gott, Eure Königliche Hoheit erschrecken mich!« rief die Lavallière. »Warum dieser eiskalte Ton? Sollte ich das Unglück haben, in Ungnade gefallen zu sein?« – »Man spricht zuviel von Ihnen, Fräulein,« versetzte die Königin-Mutter, »und ich sehe es nicht gern, wenn von den Mädchen des Hofes viel gesprochen wird.«

»Aber ich begreife nicht, Königliche Hoheit, wer sich mit mir beschäftigen sollte!« erwiderte Luise. – »Herr von Guiche zum Beispiel, der Sie verteidigt hat. Er ist Kavalier, und die schönen Abenteuerinnen haben es gern, wenn ein Kavalier eine Lanze für sie bricht. Ich hasse die Duelle, und ich hasse die Abenteuerinnen, die Ursache dazu geben.«

Die Lavallière machte eine tiefe Verneigung um sich stolz wieder aufzurichten. »Königliche Hoheit,« sprach sie leise, »ich habe gefragt, was mein Verbrechen sei. Noch habe ich es nicht vernommen, und Königliche Hoheit sollten mich nicht verdammen, ohne mir Gelegenheit zur Rechtfertigung zu geben.« – »Hören Sie nur die hübschen Redensarten, Madame!« rief Anna von Oesterreich. »Man sieht es, meine Allerschönste, wir haben schon viel gelernt durch den Verkehr mit gekrönten Häuptern. Nun, um deutlicher zu sprechen! Wenn Sie fortfahren, ein solches Benehmen zur Schau zu tragen, dann erniedrigen Sie uns Frauen dergestalt, daß wir uns schämen müssen, neben Ihnen zu figurieren. Werden Sie einfach, Fräulein! Uebrigens, was habe ich gehört? Sie sind Braut?« »Ja, Königliche Hoheit,« antwortete Luise, bleich wie eine Lilie. – »Verlobt mit einem Edelmann. Wie heißt er?« – »Graf von Bragelonne.« – »Wissen Sie auch, daß Sie da von Glück sagen können, Fräulein? Ein Mädchen ohne Vermögen, ohne Rang, ohne große persönliche Vorzüge sollte den Himmel preisen, der ihm eine solche Zukunft beschert. Wo ist Graf von Bragelonne?«

»In England,« mischte sich Madame ins Gespräch, »im Auftrag des Königs. Das Gerücht von den Erfolgen des Fräuleins wird wohl inzwischen schon zu ihm gelangt sein.«

»Man wird diesen jungen Mann zurückrufen, Fräulein,« fuhr Anna von Oesterreich fort, »und Sie werden Ihre Angelegenheiten mit ihm in Ordnung bringen. Sind Sie etwa anderer Meinung? Junge Mädchen haben manchmal wunderliche Ansichten. Ich gedenke Sie noch auf den guten Weg zurückzuführen. Ich nehme nun an, Sie haben mich verstanden.« – »Königliche –« – »Kein Wort mehr!« – »Königliche Hoheit, ich bin unschuldig an allem, was Sie mir vorwerfen! Sie sehen meine Verzweiflung –« – »Keine Komödie, wenn ich bitten darf!« unterbrach sie Anna von Oesterreich. »Ich könnte sonst eine gewaltsame Lösung des Knotens herbeiführen. Kehren Sie auf Ihr Zimmer zurück und beherzigen Sie diese Lektion!«

Luise wandte sich an die Herzogin von Orléans. »Nun, so bitten Sie für mich, Madame,« flehte sie. »Sie sind ja so gütig.« – »Ich?« erwiderte Henriette schadenfroh, »was fällt Ihnen denn ein, Fräulein?« – Und sie stieß brüsk die Hand des jungen Mädchens zurück. Die Lavallière gewann plötzlich all ihre Würde wieder. Statt in Tränen auszubrechen, wie die Fürstinnen erwartet hatten, sah sie diese ruhig an, verneigte sich und ging hinaus.

»Meinen Sie, daß sie wieder anfangen wird?« fragte Anna von Oesterreich. – »Diesen sanften Lämmern traue ich nicht,« erwiderte Madame. »Nichts besitzt so großen Mut wie ein duldsames Herz.« – »Ich bürge Ihnen dafür, sie wird sich sehr in acht nehmen,« antwortete die Königin-Mutter.

Es war halb sieben Uhr, als der König sein Mahl beendet hatte. Er stand auf, verließ die Tafel, nahm Saint-Aignans Arm und befahl, ihn zur Lavallière zu führen. Der Hofmeister erschrak. – »Was denn?« sagte der König. »Es wird mir doch zur Gewohnheit werden. Also fangen wir mal an!« – »Aber Sire, man muß uns sehen,« wandte der Graf ein, »es wäre doch ein Vorwand nötig.« – »Nichts von Vorwand! Ich mag nicht länger warten, ich habe genug von aller Geheimniskrämerei! Entehrt sich denn der König, wenn er mit einem geistreichen Mädchen spricht? Honny soit qui mal y pense9

»Und die Königin?« sprach Saint-Aignan. – »Na ja doch! Die Königin muß berücksichtigt werden. Gut! Diesen Abend will ich noch einmal so zur Lavallière gehen. Morgen will ich auf Vorwände sinnen.«

Darauf gab es nichts zu erwidern, und Saint-Aignan war nur froh, daß sie unbemerkt über den Hof und in den Seitenflügel gelangten, wo die Ehrendamen logierten. An der Tür wollte der Hofmeister sich entfernen, aber Ludwig hielt ihn zurück, er mußte dem König zur Lavallière folgen. Ludwig fand seine Geliebte in Tränen.

»Wie?« rief er aus. »Was haben Sie? was stimmt Sie traurig?« Doch sie weigerte sich, es zu sagen. – »Und Sie vermeiden es gar, mir ins Auge zu sehen?« fuhr der König fort, denn in der Tat wandte sie sich von ihm ab. »In des Himmels Namen, was ist vorgefallen? Hat man Sie verletzt, beleidigt vielleicht gar?«

»Nein, nein, Sire! mich hat niemand beleidigt.« – »Nun, so zeigen Sie mir wieder die schwärmerische Heiterkeit, die Mischung von Frohsinn und Melancholie, die mich so sehr an Ihnen entzückt.« – »Ja, mein Königlicher Herr –« – Ludwig stampfte mit dem Fuße. »Eine so tiefgehende Veränderung ist mir unerklärlich.« Er sah Saint-Aignan an, der sich ebenfalls über die düstere Einsilbigkeit der Lavallière wunderte.

Doch soviel der König auch in sie drang, soviel er auch nachsann, so sehr er sich auch bemühte, die traurige Stimmung zu besiegen – das Mädchen blieb wie erstarrt. Schließlich vermutete der König, sie sei an ihr Verlöbnis mit Bragelonne gemahnt worden und habe sich selbst der Treulosigkeit schuldig befunden. Dieser Argwohn lag nahe, da die Lavallière in ihrem Zimmer ein Jugendporträt des Grafen de la Fère hatte, welches seinem Sohne täuschend ähnlich sah.

Der König warf drohende Blicke auf dieses Bild. Die Lavallière, zu sehr mit ihrem Kummer beschäftigt, sah nichts davon. Ihr beharrliches Schweigen bestärkte Ludwig in seinem Verdacht, erinnerte ihn daran, daß der Graf de la Fère selber für seinen Sohn bei ihm um Luisens Hand angehalten hatte, und ließ ihn nun glauben, sie hätte bei ihrer Rückkehr nach Paris Briefe aus London erhalten. Von Eifersucht erfaßt, fragte er aufs neue, drang mit noch heftigerer Ungeduld auf Erklärung. Die Lavallière aber konnte und durfte nichts sagen, denn sie hätte sonst des Königs Mutter und des Königs Schwägerin anklagen müssen. Mit diesen zwei mächtigen Prinzessinnen aber konnte sie nicht in offene Fehde treten. Ueberdies bildete sie sich wirklich ein, sie brauche gar nichts zu sagen; wenn der König sie wahrhaft liebte, müsse er ahnen, was in ihr vorginge. Gab es eine Sympathie, so mußte sie vor allem der Liebe zu eigen sein. Sie schwieg also nach wie vor, seufzte, weinte und verbarg den Kopf in den Händen.

Diese Seufzer und Tränen hatten den König zuerst gerührt, dann erschreckt, jetzt erzürnten sie ihn. Opposition konnte er überhaupt nicht vertragen, am wenigsten aber die Opposition in Gestalt von Tränen. Nun wurden alle seine Worte scharf, fast verletzend. Aber sie schien entschlossen, selbst der Ungerechtigkeit von dieser Seite Trotz zu bieten. Statt aller Antwort schüttelte sie nur den Kopf und sprach nichts als die Worte: »Ach, mein Gott! Ach, mein Königlicher Herr!«

Diese sanften Laute reizten den König noch mehr, statt ihn zu beschwichtigen. Saint-Aignan blies obendrein noch in das Feuer seines Zorns, denn er hoffte angesichts dieser Szene, daß die dem ganzen Hofe unbegreifliche Liebe des Königs ein rasches Ende nehmen werde. Er erblickte in der armen Lavallière bereits eine gestürzte Größe und war zu sehr Hofmann, um nicht alsbald sein Verhalten danach einzurichten. Allein er kannte die Größe dieser königlichen Leidenschaft nicht.

Der König erhitzte sich noch mehr. Er ging hin und her, er lief zur Tür, als wollte er gehen. Endlich blieb er mit gekreuzten Armen vor der Lavallière stehen und rief: »Ein letztes Mal, mein Fräulein, wollen Sie sprechen? Wollen Sie sagen, weshalb Sie mit einem Male so anders, so verwandelt sind? Wollen Sie den Grund dieser Laune nennen?« – »Was soll ich sagen? Mein Gott, Sire, Sie sehen doch, Ihr Zorn zermalmt mich; ich bin jetzt nicht fähig zu denken, zu reden, etwas zu wollen.« – »Ist es denn so schwierig, die Wahrheit zu sagen? Sie hätten weniger Worte dazu gebraucht, als Sie jetzt vergeudet haben.« – »Was denn für eine Wahrheit?« – »Die ganze Wahrheit! Alles!« – Die Wahrheit drängte sich vom Herzen der Lavallière auf ihre Lippen. Sie wollte die Arme öffnen, doch sie sanken zurück, und ihr Mund blieb stumm. »Ich kann nichts sagen,« das war alles, was sie sprach. – »Das ist mehr als Koketterie, mehr als Laune,« rief der König. »Das ist Verrat!« Und er stürzte mit einer Gebärde des Zornes hinaus. Saint-Aignan folgte ihm. Auf der Treppe hielt Ludwig XIV. inne. »Da siehst du es, ich werde schändlich genarrt!« stieß er hervor. »Von Guiche hat sich im Namen dieses Bragelonne duelliert, und den Bragelonne liebt sie noch immer! Wahrlich, Saint-Aignan, ich würde vor Scham sterben, wäre in drei Tagen noch ein Atom von dieser Liebe in meinem Herzen!« – »Ich habe es Eurer Majestät immer gesagt,« murmelte Saint-Aignan, indem er dem König nacheilte und unterwegs zu den Hoffenstern hinaufsah.

Diesmal waren sie nicht so glücklich wie beim Hinweg: ein Vorhang wurde gelüftet. Das Gesicht der Herzogin von Orléans zeigte sich. Sie hatte den König aus den Räumen ihrer Ehrendamen weggehen sehen, verließ alsbald ihr Zimmer und eilte in das Gelaß, aus dem der König eben kam.

Die Lavallière sah dem Geliebten nach und hob die Arme, hob den Fuß, als wollte sie ihn zurückhalten, als wollte sie ihm nachgehen. Aber der Klang seiner Schritte verlor sich im hallenden Korridor. Kraftlos sank sie vor dem Kruzifix nieder. Da blieb sie gebrochen, zermalmt, zerschmettert von ihrem Schmerz liegen, unfähig, sich zu vergegenwärtigen, was eigentlich geschehen sei. Die Tür ging auf – sie hörte es wohl, aber sie sah nicht danach. Da schoß es ihr in den Kopf, es sei vielleicht der König, der zurückkehre. Sie hob das in Tränen gebadete Gesicht.

Madame stand vor ihr. Doch was lag ihr an der Herzogin? Sie sank zurück und ließ das Haupt wieder auf den Betstuhl fallen.

»Fräulein,« sprach Madame zornig, aufgeregt, »es ist sehr schön, auf den Knien zu liegen und die Fromme zu spielen. Doch da Sie dem König des Himmels so sehr ergeben sind, so geziemt es sich auch, ein wenig den Willen der irdischen Fürsten zu respektieren.« – Die Lavallière sah auf, ein starrer, fast unbewußter Blick bewies, daß sie kaum verstand, was zu ihr gesprochen wurde.

»Die Königin-Mutter hat Sie doch gewarnt, sich in acht zu nehmen, damit niemand Ursache fände, üble Gerüchte über Sie auszusprechen. Und jetzt ging doch schon wieder jemand von Ihnen fort, dessen Hiersein eine Ursache zu üblem Reden ist. Da mein Haus das der ersten Prinzessin ist, so soll es dem Hofe kein schlechtes Beispiel geben; und das geschieht durch Ihr Betragen. Ich erkläre Ihnen daher, Fräulein – ich sage es Ihnen ohne Zeugen, da ich Sie nicht öffentlich demütigen will – Sie sind von Stund ab frei und können zu Ihrer Mutter nach Blois zurückkehren.«

Die Lavallière antwortete nicht; nur ein Schauer, der ihren ganzen Körper erzittern ließ, verriet, daß sie verstanden hatte. Madame ging hinaus.

Luise lag noch lange regungslos da; sie betete nicht einmal mehr. Allmählich kehrten die Gedanken zurück – sie fing an zu begreifen, was geschehen war. Ein Strahl der Hoffnung schimmerte in die Nacht ihres Herzens, wie ein Strahl Tageslicht in den Kerker eines Verurteilten. Sie dachte an die Fahrt nach Paris, sie sah den König neben ihrem Wagen, sie hörte, wie er ihr süße Worte der Liebe, der Treue zuflüsterte, sie fühlte seine Hand in der ihren und erinnerte sich des Gelübdes, das sie einander getan. »Es soll nach einem Zerwürfnis keine Nacht verfließen, ohne daß wir einander aufsuchen oder uns durch Briefe verständigen!« Es war ja nicht möglich, daß der König sein Versprechen nicht hielte, hatte er selbst ihr doch diesen Schwur abgerungen, wie ein Despot, der Liebe ebenso verlangt wie Gehorsam. Wenn er nicht kam, dann bewies er damit eben, daß er keine Liebe hatte, oder daß dieses erste Hindernis auf dem Wege ihn schon zur Umkehr bewog.

Er mußte also kommen! – Und so wartete das arme Kind mit bangender Seele, Stunde um Stunde! – O, wenn er käme, wie würde sie ihm entgegeneilen – wie würde sie alles vergessen über der Freude, ihn wiederzusehen, wie wollte sie ihm sagen: »Nicht ich bin es, die Sie nicht liebt – jene sind es, die mich hindern wollen, Sie zu lieben!« – Indessen sie nachsann, mußte sie sich sagen, der König sei unschuldig. Er konnte nichts wissen. Wenn sie ihn in Gedanken beschuldigt hatte, an dem Komplott ihrer Feindinnen teilzuhaben, so war das unrecht von ihr. Ihr hartnäckiges Schweigen mußte ihn befremden. Ja ungeduldig, herrisch, reizbar, wie er war, hatte er sich wirklich lange genug bemüht, sie zum Sprechen zu bewegen. O, wenn er nur käme, wenn er nur käme, wie würde sie ihm beweisen, daß sie ihn liebte!

So verrann die Zeit, und der König kam nicht. Nun hoffte sie wenigstens auf eine Nachricht. Er würde Saint-Aignan schicken, sagte sie sich, und sie würde auch ihm ihr Herz ausschütten. Und sie wartete. Selbst als es elf Uhr schlug, verlor sie die Hoffnung nicht; konnte doch bis Mitternacht noch immer ein Bote kommen. Doch die Stunde kam – die Lichter im Schloß erloschen – und auch für das arme Mädchen erlosch das Licht der letzten Hoffnung. Der König hatte den Schwur gebrochen, den er am selben Tage erst geleistet. Also liebte der König sie nicht mehr; der schöne Traum hatte jäh geendet. Ihre Herrin hatte sie verstoßen – schmählich hinausgewiesen, und doch war der König die einzige Ursache dieser Beschimpfung.

Ein bitteres Lächeln spielte um ihren Mund, die einzige Spur von Zorn, die sich während dieses langen Kampfes auf dem Engelantlitz des Opfers zeigte. An wen sollte sie sich nun wenden, bei wem Zuflucht suchen, da der König der Erde sie verließ? Ihr blieb nur noch der König des Himmels! Und sie blickte auf das Kruzifix und murmelte: »Mein Gott, du selbst schreibst mir vor, was ich zu tun habe. Tu bist der Herr, der nimmer die Verlassenen und Vergessenen verläßt und vergißt. Dir will ich mich weihen.« – Sie sank wieder vor dem Betstuhl nieder, legte den Kopf auf die Platte. So lag sie, bis der Tag dämmerte.

Beseelt von einem festen Entschlüsse, stand sie auf, warf einen Mantel über und ging hinaus. Sie erreichte die Gartentür in dem Augenblick, als ein Posten der Schweizergarden eingelassen wurde. Sie schlüpfte hinaus, ehe noch der Patrouillenführer Zeit hatte, sich zu fragen, wer diese junge Frau sei, die so früh aus dem Palast entwich.

  1. Der Spruch des englischen Hosenbandordens: Schande dem, der Schlechtes dabei denkt.

2. Kapitel. Triumph und Demütigung

Luise eilte die Straße linker Hand hinab, ohne zu wissen, wohin sie in dieser Richtung gelangen würde. Es war das erste Mal, daß sie allein durch Paris ging, und obwohl es um diese Zeit überall noch menschenleer war, so erschrak sie doch über das Gewirr von Straßen und Gassen, das sich allenthalben vor ihren Blicken öffnete. Sie eilte weiter und gelangte an den Seine-Hafen. Hin und wieder begegnete ihr ein später Nachtschwärmer oder eine lichtscheue Gestalt, aber das einsame Mädchen blieb unbehelligt. So kam sie schließlich auf den Grèveplatz. Während sie sich ratlos auf dem Häuserviereck umsah, taumelten aus einem Gasthause ein paar Männer heraus, schritten schwankend über den Platz, erblickten die weibliche Gestalt und umringten sie plötzlich unter lautem Geschrei.

Ehe Luise wußte, wie ihr geschah, erkannte sie, daß sie verloren sei, wenn nicht im letzten Augenblick Hilfe käme. Die Füße versagten ihr vor Schreck den Dienst, sie fiel und stieß einen Schrei des Entsetzens aus. Da teilte sich der Kreis, der sie umringte; der eine der rohen Gesellen flog Hals über Kopf nach links und blieb stöhnend auf dem Pflaster liegen, der andere rollte in den Rinnstein, der dritte ergriff die Flucht.

Ein Offizier der Musketiere stand vor dem Mädchen. »Potzblitz!« rief er. »Das ist ja Fräulein von Lavallière!« – Die Lavallière sah auf, als sie ihren Namen hörte, und erkannte, halb betäubt, Herrn d’Artagnan. »Ja, ich bin es,« stammelte sie, sich auf seinen Arm stützend. »Nehmen Sie sich meiner an, ich bitte Sie!« – »Aber wohin wollen Sie zu dieser Stunde?« – »Nach Chaillot, Herr d’Artagnan!« – »Da müssen Sie in entgegengesetzter Richtung gehen, mein Fräulein.«

»So bringen Sie mich auf den rechten Weg und gehen Sie ein Stück mit mir. Doch wie kommt es, daß ich Sie hier treffe? Welche Gnade des Himmels hat es gefügt, daß Sie mir zu Hilfe kommen konnten? Fast möchte ich glauben, ich träumte.«

»Ich besitze ein Haus hier am Grèveplatz und habe gestern abend meine Miete einkassiert. Die Nacht über bin ich dort geblieben, und nun wollte ich frühzeitig ins Palais, um meine Posten zu revidieren.« – Er bot ihr den Arm. »Was mag sie nur so zeitig in Chaillot wollen?« dachte er bei sich. Doch stellte er nicht diese Frage, sondern eine andere: »Ohne Zweifel wissen Sie gar nicht, wo Chaillot liegt? Es ist sehr weit von hier. Eine reichliche Meile.« – »Ich werde hinkommen.« – D’Artagnan antwortete nicht; er hörte aus ihrem Ton den unerschütterlichen Entschluß heraus. – »Aber wohin wollen Sie denn dort, Fräulein?« fragte er nach kurzem Schweigen. – »Ins Kloster der Karmeliterinnen. Und da wir uns noch einmal getroffen haben, so nehmen Sie zu gleicher Zeit meinen Dank und meinen letzten Gruß!«

»Ihren letzten? Sie wollen ins Kloster? Sie?!« – Und in diesem Ausruf lag viel; Luise fühlte sich durch dieses Wort an alles erinnert, was in Blois geschehen war, als noch Rudolf sie besuchte, was in Fontainebleau geschehen, seit der König ihr seine Liebe erklärt hatte. – »Sie, die Sie mit Rudolf glücklich, mit dem König mächtig sein könnten, Sie wollen ins Kloster?« So sprach d’Artagnan zu ihr in diesem einen Wort.

»Ja, ich werde eine Dienerin des Herrn,« antwortete sie, »ich entsage der Welt. Sie kennen nun meinen Entschluß. Sie kennen mein Ziel. Ich habe nun nur noch eine letzte Bitte an Sie. Der König darf von meiner Flucht aus dem Palais nichts erfahren; er darf auch nicht wissen, wohin ich gegangen bin.« – »Fräulein, Sie berechnen die Tragweite dieses Schrittes nicht,« wandte der Gaskogner ein. »Niemand darf bei Hofe etwas tun, was der König nicht wissen darf.« – »Ich gehöre nicht mehr zum Hof,« erwiderte Luise.

Der Kapitän sah sie erstaunt an. – »Beunruhigen Sie sich nicht, Herr,« sagte sie. »Das alles ist berücksichtigt worden, und abgesehen davon ist es jetzt zu spät, von meinem Entschluß umzukehren. Die Würfel sind gefallen. Herr, bei dem Mitleid, das man einer Unglücklichen schuldet, bei dem Edelmut Ihres Herzens, bei der Treue eines Edelmanns fordere ich Sie auf, mir zu schwören, daß Sie dem König nicht sagen werden, wohin ich gegangen bin.«

»Das soll ich beschwören?« versetzte der Musketier, die Stirn runzelnd, »nein, Fräulein, das beschwöre ich nicht.« – »Warum nicht?« rief Luise trostlos. – »Weil ich den König kenne, weil ich Sie kenne, weil ich mich selber kenne, weil ich die ganze Menschheit kenne! Nein, das beschwöre ich nicht!« – »Dann,« rief die Lavallière mit einer Energie, die man ihr nicht zutraute, »dann sollen Sie statt der Segnungen, die ich von Stund ab mein Leben lang über Sie herabgefleht hätte, verflucht sein! Denn Sie machen mich zum unglücklichsten aller Geschöpfe!«

D’Artagnan erkannte, daß ein furchtbarer Ernst aus ihr sprach und ein längerer Widerstand sie töten könnte. »So geschehe denn, was Sie verlangen, Fräulein!« sagte er. »Ich werde dem König nichts sagen.« – »O, Dank, Dank!« rief Luise. »Sie sind der edelste der Menschen!« Und sie ergriff seine Hand und drückte sie. – »Potzblitz!« brummte er, »das ist eine, die dort anfängt, wo die andern aufhören. Das finde ich rührend.«

Er begleitete sie soweit, bis man das Kloster erblickte. Dann ging sie allein weiter. »Meiner Treu,« sagte er, während er ihr nachschaute, bis sie durch die Pforte der Umfassungsmauer verschwunden war, »das ist, was man eine heikle Geschichte nennt. Solch ein Geheimnis bewahren, heißt eine glühende Kohle in der Tasche tragen und erwarten, daß sie das Kleid nicht versenge. Das Geheimnis nicht bewahren, wie man es geschworen, hieße ehrlos handeln. Ich weiß wahrhaftig nicht, wie ich mich aus dieser Patsche ziehen soll!«

In den Palast zurückgekehrt, erkundigte er sich nach dem König. Majestät schlief noch. – »So hat sie mir die Wahrheit gesagt,« dachte er, »denn wüßte der König drum, so ginge jetzt hier alles drunter und drüber.«

Ludwig XIV. hatte bis spät in die Nacht hinein mit Colbert gearbeitet und alles für den Empfang der Gesandten vorbereitet. Als er den Minister entlassen, führten Stolz und Liebe einen heftigen Kampf in seinem Innern. Er war auf dem Punkte, zur Lavallière zurückzukehren; doch im letzten Moment entschied er sich noch zu bleiben. – Die Dienerschaft trat ein, ihn beim Zubettgehen zu bedienen. Die Königin wartete seit einer Stunde auf ihren Gemahl. Er ging mit einem Seufzer zu ihr.

Er wachte zeitig auf: ein Beweis, daß er schlecht geschlafen. Um sieben Uhr öffnete er die Tür und ließ Saint-Aignan rufen. D’Artagnan, der am Fenster stand, sah sie zusammen fortgehen, und wunderte sich nicht, daß sie den Weg zu den Ehrendamen einschlugen. Er pfiff den alten Musketiermarsch, den er nur bei sehr wichtigen Gelegenheiten hören ließ, und bedachte, was es wohl für einen Lärm geben würde, wenn der König entdeckte, daß die Lavallière verschwunden sei.

Ludwig XIV. trat in das Zimmer der Geliebten und fand nur Aure von Montalais. Sie konnte ihm keine Aufklärung geben. »Luise ist eine sentimentale Person,« sagte sie, »und ist oft schon bei Tagesanbruch spazieren gegangen; ich denke mir, sie wird im Park sein.« – Ludwig hielt dies für wahrscheinlich und ging in den Schloßgarten.

»Hm!« murmelte d’Artagnan, »Seine Majestät tut da Dinge, die er für Fräulein von Mancini gewiß nicht getan hätte. Seine Leidenschaft ist stärker, als ich glaubte.«

Nach einer Viertelstunde kam der König wieder, außer Atem und in großer Aufregung. Saint-Aignan fächelte ihm mit seinem Hute Luft zu und erkundigte sich unterwegs bei allen Lakaien und Türhütern nach der Vermißten. Niemand wußte etwas von ihr. Inzwischen war es acht Uhr geworden; um diese Zeit frühstückte der König gewöhnlich. Diesmal berührte er die Speisen kaum. Dann erschienen einige militärische Personen, denen Audienz gegeben war; er fertigte sie schnell ab. Mit Ungeduld wartete er auf Saint-Aignan, den er weggeschickt hatte, um Erkundigungen einzuziehen. Der Graf kam unterrichteter Dinge zurück.

Nun schlug es neun Uhr. Es war die Stunde, zu der die Gesandten beschieden waren, und Ludwig ging in den großen Saal. Die zu diesem Akt der Politik geladenen Personen waren bereits versammelt; die Königin-Mutter, die Königin und Madame waren kurz vorm König eingetreten. Der König begrüßte die Gesellschaft. Die Gesandten, drei für Holland, zwei für Spanien, wurden vorgestellt. Ludwig XIV. gab sich alle Mühe, jede Spur seiner heftigen Erregung zu tilgen, um das wichtige Geschäft mit Würde zu erledigen, doch gelang es ihm nur unvollkommen. Er hörte die Ansprache des spanischen Gesandten an und ergrimmte fast, daß dieser Mann ihn zwinge, die kostbare Zeit, die der Suche nach seiner Geliebten gewidmet sein sollte, an ihn zu verlieren. Als der Spanier mit einem Hinweis auf die Vorteile schloß, die Frankreich aus einer freundschaftlichen Allianz mit Spanien ziehen würde, antwortete Ludwig kurz: »Mein Herr, wenn eine Allianz gut für Frankreich wäre, so würde sie für Spanien sehr gut sein.« – Die beiden Königinnen erröteten, denn sie waren Spanierinnen und fühlten sich in ihrem Nationalstolz verletzt.

Der holländische Gesandte nahm das Wort. Ludwig ließ ihn nicht lange sprechen. »Mein Herr;« rief er, »wollen Sie sich beklagen, wo ich mich zu beklagen hätte? Wollen Sie es mir verübeln, wenn ich mich vorsehe gegen eine Regierung, die es duldet, daß beleidigende Pamphlete über mich in ihrem Lande gedruckt werden?« – »Sire, Sie können für ein Pamphlet nicht die Nation verantwortlich machen,« antwortete der Holländer. »Die Drucker suchen sich von Sensationen zu nähren, sonst müßten sie Hungers sterben.« – »Das sei zugegeben,« sagte Ludwig. »Wenn aber die Münze von Amsterdam Medaillen prägt, deren Inschrift eine Beleidigung für mich enthält, ist das auch das Werk einiger Hungerleider?« – »Was für Medaillen, Majestät?« erwiderte der Gesandte. – Ludwig warf einen Blick auf Colbert, von dem er eine nähere Erklärung erwartete, da trat d’Artagnan vor, nahm ein Münzstück aus der Tasche und zeigte es dem König. Ludwig XIV. sah es an und erblickte darauf eine Gestalt, in der sich Holland deutlich symbolisierte, welche die Hand Wider die Sonne erhob, über welche sich eine Wolke lagerte. Die Inschrift lautete: » In conspectu meo stetit sol10

»Nun werden Sie wohl nicht länger leugnen?« rief Ludwig in unverhohlnem Zorn dem holländischen Gesandten zu. Ein tiefes Schweigen herrschte ringsum, der Gesandte suchte nach einer Entschuldigung.

In diesem Schweigen vernahm man plötzlich die Stimme d’Artagnans, der laut zu Herrn von Saint-Aignan sagte: »Wissen Sie schon die Geschichte von Fräulein von Lavallière, Graf?« – Der König zuckte zusammen. – »Nein, was denn? was denn?« – »Das arme Kind ist ins Kloster gegangen,« sprach der Musketier. – »Ins Kloster?« rief Saint-Aignan. – »Ins Kloster?« rief der König dazwischen. – Nun begann der holländische Gesandte zu sprechen und versuchte den Vorfall zu erklären und als ganz harmlos hinzustellen. Der König hörte nicht auf ihn; sein Ohr war ganz bei d’Artagnan, der fortfuhr: »Ja, ins Kloster der Karmeliterinnen zu Chaillot.« – »Woher wissen Sie denn das?« fragte der Hofmeister. – »Von ihr selbst. Ich habe sie hingeführt.« – »Aber warum ist sie denn entflohen?« – »Weil man sie gestern von Hofe verjagt hat.«

Nun konnte der König sich nicht länger bezwingen. Er schnitt dem Holländer mit einer herrischen Gebärde und mit den Worten: »Ich habe genug gehört,« das Wort ab und trat auf den Kapitän zu: »Ist das wahr, was Sie da sagen?« rief er. – »Wahr wie die Wahrheit selbst, Majestät.« – Der König wurde bleich und ballte die Hände. – »Und es ist auch wahr, daß man sie verjagt hat?« stieß er hervor. – »Sire, erkundigen Sie sich,« antwortete der Musketier. – »Verjagt!« schrie der König. »Von wem?«

Er vergaß die Gesandten, die Politik, die Etikette, die Minister und die ganze Gesellschaft. Seine Mutter stand auf – Madame erhob sich neben ihr, unwillkürlich zitternd, die Königin bedeckte das Gesicht mit den Händen. – »Meine Herren,« rief Ludwig XIV., »die Audienz ist zu Ende; ich werde Spanien und Holland schriftlich meinen Willen kundtun.« Und er entließ die Gesandten mit einer gebieterischen Handbewegung.

»Geben Sie acht, mein Sohn,« sagte die Königin-Mutter im Tone des Unwillens, »Sie sind, wie mir scheint, nicht Herr über sich selbst.« – »Ha, Königliche Hoheit,« brüllte der junge Löwe in furchtbarem Grimm, »wenn ich nicht Herr über mich bin, so schwöre ich Ihnen, ich werde Herr über die sein, die mich beschimpfen! Folgen Sie mir, Herr d’Artagnan!« – Unter dem Entsetzen aller verließ er rasch den Saal. Die Gesandten bezogen seine letzten Worte auf sich selbst und ihre Länder, doch Colbert hatte Geistesgegenwart genug, sie zu beschwichtigen.

Ludwig XIV. eilte die Treppe hinab und stürmte durch den Hof. – »Majestät gehen falsch,« sagte d’Artagnan. – »Nein, ich will zum Marstall,« rief Ludwig. – »Nicht nötig, Sire. Ein Pferd steht schon bereit.« – Der König antwortete seinem Diener nur mit einem Blick, doch dieser Blick verhieß mehr, als der Ehrgeiz von drei d’Artagnans zu hoffen gewagt hätte.

Manicamp und Malicorne, die d’Artagnan als Begleiter mitnehmen wollte, weniger weil er sie für sehr geeignet hielt, als weil er niemand anders zur Hand hatte, saßen bereits im Sattel, und in zehn Minuten – denn der Musketier hatte die besten Pferde genommen – traf die Kavalkade in Chaillot ein. Ludwig klopfte ungestüm an die Pforte und ließ sich ins Sprechzimmer führen. Luise befand sich dort – sie lag vor einem großen Kruzifix auf den Knien. Der König behielt nur d’Artagnan bei sich. Als Luise das Geräusch der Eintretenden hörte, sah sie erschrocken auf, und beim Anblick des Königs stieß sie einen furchtbaren Schrei aus. Er sprang hinzu und zog sie in die Arme.

Die Aebtissinnen und mehrere Klosterschwestern eilten herbei und erhoben ein lautes Geschrei beim Anblick der zwei Männer; aber an der hoheitsvollen Haltung des einen erkannte die Vorsteherin, daß sie einen hochstehenden Herrn vor sich habe, und zog sich mit ihren Frauen zurück. Ludwig war bereits willens, einen seiner Kavaliere nach seinem Arzt zu schicken, als die Lavallière die Augen aufschlug und ihn erkannte.

»Ha!« stammelte sie, »so ist das Opfer noch nicht vollendet?« – »Nein, nein!« rief der König, »und wird es nie werden! Das schwöre ich Ihnen!« – Sie erhob sich. »Und doch muß es sein,« sagte sie, »man hindere mich nicht.« – »Ich werde nicht dulden, daß man Sie opfert!« erwiderte der König. – Bei diesen Worten verließ d’Artagnan das Zimmer.

»Sire,« fuhr die Lavallière fort, »treten Sie nicht zwischen mich und die einzige Zukunft, von der ich noch Heil zu erwarten habe; und opfern auch Sie nicht all Ihre Zukunft einem Gefühl, das doch nur Laune bleibt.«

»Laune!« rief der König. – »Ja, Sire, ob Sie auch anderer Meinung sind – dieses Gefühl muß zuletzt doch den Pflichten weichen, die Ihnen obliegen, Sie müssen mich vergessen!« – »Sie vergessen?« rief der König. – »Ja, Sie haben es ja auch schon getan. Sie können doch nicht eine Person lieben, in deren Tod Sie in dieser Nacht selbst eingewilligt haben. Oder muß ich Sie an das erinnern, was Sie mich gestern früh schwören ließen – was Sie selbst beschworen? Nie eine Nacht über einem Mißverständnis verstreichen zu lassen, ohne uns aufzusuchen oder Briefe auszutauschen?«

»O, verzeihen Sie mir, Luise, die Eifersucht hatte mich närrisch gemacht!« – »Sire, die Eifersucht ist ein böses Unkraut, das immer nachwächst. Sie werden wieder eifersüchtig sein und mich schließlich töten. Lassen Sie mich hier sterben!« – »Noch ein solches Wort, und Sie werden mich zu Ihren Füßen sterben sehen!« – »O, Sire. Sie werden sich doch nicht für eine Unglückliche, die alle Welt verachtet, zugrunde richten wollen!« – »Nennen Sie mir die, die Sie beschuldigen!« – »O, ich habe gegen niemand Klage zu führen, Majestät. Lassen Sie mich! Sie kompromittieren sich, indem Sie mit mir sprechen. Ueberlassen Sie mich Gott!«

»Nein, ich werde Sie selbst dem Himmel entreißen!«

»Sire,« versetzte Luise fest, »da müßten Sie mich zuvörderst den grausamen Feinden entreißen, die mir nach Ehre und Leben trachten. Wenn Sie den Mut haben, mich zu lieben, so haben Sie auch Macht genug, mich zu verteidigen. Und doch ist die, die Sie lieben, beschimpft, verhöhnt, verjagt worden. Sie sehn nun wohl, ich habe keinen andern Beschützer als Gott, keinen andern Trost als das Gebet, keine andere Zuflucht als das Kloster!«

»Sie werden in meinem Palast, an meinem Hofe bleiben. Fürchten Sie nichts mehr, Luise! Die Frauen, die Sie gestern verstoßen haben, sollen morgen vor Ihnen zittern. Mit blutigen Tränen sollen sie die Tränen bezahlen, die sie Ihnen verursacht haben. Nennen Sie mir nur Ihre Feinde!« – »Nimmermehr!« antwortete sie entschlossen. »Sire, diejenigen, die zu bestrafen wären, sind mächtig genug, die Hand des Königs gegen mich selbst zu wenden!« – »Sie kennen mich nicht!« rief Ludwig entrüstet. »Ich werde alles vernichten, was sich zum Feinde des sanftesten Geschöpfes auswirft, das Gott geschaffen hat.«

»Sire, ein letztes Mal, gehen Sie! Ueberlassen Sie mich der Ruhe, in die ich mich geflüchtet; ich fühle mich sicherer unter der Hand Gottes.« – »O, so sagen Sie erst, Sie lieben mich nicht und mein Schmerz sei Ihnen gleichgültig. Sie hätten nur mit mir gespielt, um Ihrem Stolze zu schmeicheln!« – »Majestät, glauben Sie, was Sie für gut befinden! Nur glauben Sie nicht, ich könnte einen Krieg gegen Ihre ganze Familie beginnen! Ich könnte es dulden, daß Sie sich meinetwegen mit Mutter, Gemahlin und Schwester entzweien.«

»Ah, endlich haben Sie Ihre Feindinnen genannt. Diese also waren es! Beim allmächtigen Gott, ich werde sie bestrafen.« – »Das eben ist es, was mir Angst vor der Zukunft einflößt, warum ich nicht will, daß Sie mich rächen sollen. Es ist genug der Schmerzen, Tränen und Klagen! Ich habe genug geweint, geseufzt und gelitten. Ich bedarf all meines Mutes, mein Opfer zu vollenden. Machen Sie mich nicht wankend!«

»So liebst du mich nicht?« – »O, Sire, wenn ich Sie nicht liebte, so würde ich drein willigen, daß Sie mich rächen. Ich würde als Entgelt für den mir angetanen Schimpf den süßen Triumph hinnehmen, meine Feinde gedemütigt zu sehen. O, Sire! Sie sehen ja, ich verlange nicht einmal, daß Sie mich lieben, und doch ist Ihre Liebe für mich soviel wie das Leben! Ja, ich wollte sterben, weil ich der Meinung war, Sie liebten mich nicht mehr.«

»Ja, nun erkenne ich, Sie sind die frömmste, die verehrungswürdigste der Frauen! Und drum soll keine so geehrt, so geliebt sein wie Sie Luise! Ich schwöre es Ihnen, ich werde alles zerschmettern, was sich erhebt, Sie mir zu rauben! Doch nein, Luise! Sie wünschen, daß alles in Liebe und Güte abgetan werde – diktieren Sie mir nur mein Verhalten, ich werde gehorchen.«

»O, Sire, was bin ich armes Mädchen, einem König, wie Sie sind, etwas vorzuschreiben!« – »Sie sind mein Leben und meine Seele – und die Seele regiert doch den Leib, nicht wahr?« – »O, Sie lieben mich also, mein teurer Herr? Sie lieben mich! Dann habe ich nichts mehr zu wünschen auf Erden! Dann ist mir alles Glück zuteil geworden das ich von diesem Leben erhoffe!« – »Ja, Luise, und dieses Glück soll dir erhalten bleiben, ich gelobe es! Keine Gedanken mehr von Trennung und düsterer Verzweiflung! Die Liebe ist unser Gott – und du mußt für mich leben, wie ich für dich!«

»O, Sire! ich kann ja nicht an den Hof zurück – man hat mich verbannt!« – »Verbannt? Wer verbannt, wen ich zurückrufe?« – »O, Sire, etwas, das über den Königen steht: die Welt und die öffentliche Meinung. Sie können keine Frau lieben, die man hinausgewiesen hat, die von Ihrer Mutter, von Ihrer Schwägerin mit Schande überhäuft worden ist!« – »Luise, ich werde Ihnen beweisen, wie sehr ich Sie liebe. Ich werde etwas tun, was ich für niemand anders täte – ich werde mit Madame sprechen, ich werde sie zwingen, ihren Urteilsspruch zu widerrufen, ja, wenn es sein muß, werde ich bitten!«

»O, Sire, demütigen Sie sich nicht um meinetwillen – lieber will ich sterben!« rief Luise, überwältigt von seiner großen Liebe. – »Ich werde lieben, wie Sie lieben, und ich werde leiden, wie Sie gelitten haben,« antwortete Ludwig. »So will ich sühnen, daß ich mein Gelübde vergaß! Ja, teures Fräulein, seien wir groß wie unser Schmerz, und stark wie unsere Liebe! Mein einziges Gut, mein Leben, folge mir!« – Sie sträubte sich nicht länger, sie ließ sich von ihm emporheben und hinaustragen. Draußen sah sie d’Artagnan. – »O,« murmelte sie schmerzlich, »so haben Sie mich doch verraten, Herr d’Artagnan. Sie hatten geschworen –«

»Ich hatte geschworen, dem König nichts zu sagen,« antwortete der Chevalier lächelnd. »Ich habe mein Wort gehalten, denn ich habe es nicht dem König, sondern Herrn von Saint-Aignan erzählt. Ich kann nichts dafür, wenn es der König gehört hat.« – Die Lavallière lächelte und reichte dem König die zitternde Hand. Ach, sie war ja nur zu glücklich, daß der Geliebte zu ihr gekommen war. – »D’Artagnan,« befahl der König, »lassen Sie eine Kutsche holen.« – »Sire, die Kutsche steht schon unten,« antwortete der Kapitän. – »Sie sind das Muster eines Dieners,« rief der König entzückt. Er trug das junge Mädchen auf seinen Armen hinab und hob sie in den Wagen. Dann ließ er sie in d’Artagnans Schutz und sprengte selbst zum Palast zurück, um alsbald Madame aufzusuchen.

Er war rot vom schnellen Ritt. Seine bestaubten, unordentlichen Kleider bildeten einen auffallenden Kontrast zu der sorgfältigen Toilette der Herzogin. Sie hatte die Aufregung der Szene im Empfangssaal noch nicht überwunden, und nun warf sein unerwarteter Besuch sie von neuem in die größte Verlegenheit zurück. Er ersparte sich jegliche Vorrede, setzte sich zu ihr und begann: »Königliche Hoheit, Sie wissen, Fräulein von Lavallière ist in ihrer Verzweiflung heute morgen entflohen und hat in einem Kloster Schutz gesucht.« – »Das erfahre ich jetzt erst von Eurer Majestät,« antwortete sie. – »Ich dachte, Sie hätten es heute früh beim Empfange der Gesandten erfahren,« sagte er. »Doch gleichviel! Warum haben Sie Fräulein von Lavallière weggeschickt?«

»Weil ich mit ihr nicht mehr zufrieden war,« antwortete sie. – Der König wurde blutrot, und seine Augen loderten auf. Doch hielt er an sich. – »Sie blamieren damit nicht nur das Mädchen, sondern dessen ganze Familie, und dazu bedarf es doch wohl eines sehr triftigen Grundes. Ein Ehrenfräulein wegschicken heißt, es eines Verbrechens, mindestens eines Fehlers beschuldigen. Welches Verbrechen hat Fräulein von Lavallière begangen?«

»Da Sie sich zum Beschützer dieses Mädchens aufwerfen, Majestät,« antwortete sie, »so will ich Ihnen eine Erklärung geben, die ich sonst niemand geben würde.« – »Wie? Niemand? auch dem König nicht?« rief Ludwig. »Madame, niemand in meinem Reiche darf sagen, er sei berechtigt, mir Erklärungen zu verweigern.« – »Ich nehme mir dieses Recht,« erwiderte sie trotzig, »und werde schweigen.« – Ludwig schämte sich schon ein wenig über seine Heftigkeit. »Madame, verstehen wir uns nicht falsch,« lenkte er ein, »Sie wissen, ich bin das Oberhaupt des gesamten Adels und habe über die Ehre aller Familien zu wachen. Wenn nun ein Ehrenfräulein – ob die Lavallière oder ein anderes –« Madame zuckte die Achseln. – »Ich wiederhole,« rief Ludwig, von neuem ungestüm, »ob sie oder eine andere durch Verbannung entehrt wird, so verlange ich eine Erklärung, damit ich dieses Urteil bestätigen oder verwerfen kann.«

»Verwerfen?« entgegnete sie stolz. »Wenn ich eine meiner Zofen wegschicke, so wollen Sie mir gebieten, sie wieder anzunehmen? Das war nicht nur ein Uebergriff, das wäre sogar eine Unanständigkeit!« – »Madame!« – »Jawohl! Wir reden ja unter vier Augen! Ich würde mich auflehnen gegen einen solchen Mißbrauch Ihrer Macht, der überhaupt gegen alle Würde ist, durch den Sie mich zu einer niedrigen Kreatur machen würden, noch niedriger als die, die ich fortschickte!«

Der König sprang voll Wut auf. – »Sie sind herzlos,« rief er. »Wenn Sie so an mir tun, so werde ich mit der gleichen Rücksichtslosigkeit gegen Sie verfahren.«

»Zur Sache, Sire!« antwortete sie, den Rückzug antretend. »Was verlangen Sie von mir?« – »Ich will zunächst wissen, inwiefern Fräulein von Lavallière gefehlt hat.« – »Sie hat Anlaß zu einem Duell gegeben, sie hat in einer Weise von sich reden machen, daß alle Welt empört ist. Ja, sie! denn unter dieser Hülle von Frommheit und Sanftmut birgt sich ein verschlagener, tückischer Geist. Ich kenne sie. Sie ist imstande, die ganze Königsfamilie gegeneinander zu hetzen. Hat sie nicht schon Zwietracht genug unter uns gesät? Wir beide zum Beispiel lebten in gutem Einvernehmen – sie hat mich bei Ihnen angeschwärzt.«

»Ich schwöre, es ist nie ein unwilliges Wort über ihre Lippen gekommen,« antwortete der König. »So zornig ich war, sie ließ sich dadurch nicht hinreißen, irgendwen anzuklagen. Ich versichere Ihnen, Sie haben keine ehrfurchtsvollere Freundin als sie!« – »Freundin!« rief Madame im Tone tiefster Verachtung. – »Madame,« versetzte der König erbittert, »ich sage Ihnen, die Lavallière wird das sein, was ich aus ihr mache, und wenn ich will, so setze ich sie auf einen Thron!« – »Er wird ihr wenigstens nicht durch Geburt zukommen,« antwortete die Herzogin kalt. »Sie können etwas tun für die Zukunft, aber nichts für die Vergangenheit.« – »Madame, Sie erinnern mich wieder daran, daß ich der Herr bin! Wollen Sie mir zugestehen, daß Fräulein von Lavallière zu Ihnen zurückkehren darf?« – »Wozu das, Sire, wenn Sie sie auf einen Thron setzen wollen?« – »Gut, ich muß wohl einen Waffenstillstand mit Ihnen schließen,« sagte Ludwig, wohl einsehend, daß er auf diesem Wege nicht zum Ziele kommen werde, »wollen Sie sich unserer Freundschaft erinnern, wollen Sie zu mir wie eine Schwester sein? Henriette! lassen Sie Ihr Herz sprechen! Denken Sie daran, daß Sie mich geliebt haben! Seien Sie nicht unbeugsam – um meinetwillen, Schwägerin, Schwester! Vergeben Sie der Lavallière!«

»Sire, alles in der Welt will ich für Sie tun – nur das nicht!« – »Treiben Sie mich nicht zur Verzweiflung – zwingen Sie mich nicht zum letzten äußersten Mittel – entfachen Sie nicht meinen Zorn – er könnte alles hinwegreißen–!« – »Sire, ich rate Ihnen Vernunft an.« – »O, Schwester, ich habe keine Vernunft mehr! Mitleid, Schwester! Es ist das erste Mal, daß ich bitte – meine letzte Hoffnung ist bei Ihnen!«

»O, Sire, Sie weinen!« – »Vor Wut, ja! vor Demütigung! Ich, der König, mußte mich erniedrigen, mußte bitten! Ich werde diesen Augenblick mein Leben lang verwünschen! Schwester, Sie haben mich in einer Sekunde mehr Böses erleiden lassen, als ich in der härtesten Bedrängnis meines Lebens erlitten habe!« – Der König stand auf und ließ seinen Tränen freien Lauf – Tränen des Zorns und der Scham. Madame empfand weder Rührung noch Mitleid; aber sie fürchtete, diese Tränen könnten alles Menschliche aus dem Herzen des Königs wegschwemmen.

»Sire, ehe Sie gedemütigt werden, muß ich mich der Demütigung unterziehen,« antwortete sie stolz, »befehlen Sie, ich werde dem König gehorchen.« – »Nun denn!« antwortete er, »nehmen Sie dieses arme Mädchen wieder an, vergeben Sie ihr?« – »Sie mag wieder in meinem Hause sein.« – »Und Sie werden sie aus Liebe zu mir gut behandeln, Schwester?« – »Ich werde sie behandeln, wie es einer Mätresse von Ihnen zukommt.«

Der König trat zurück. Durch dieses eine unglückselige Wort, das der stolzen Kokette entschlüpfte, vernichtete sie das ganze Verdienst ihres Opfers. Der König war ihr nichts mehr schuldig. – »Ich danke Ihnen, Madame,« sagte er, »und werde mich allzeit des mir erwiesenen Gefallens erinnern.« – Er verneigte sich förmlich und ging hinaus. An einem Spiegel vorübereilend, sah er, daß seine Augen gerötet waren, und stampfte mit dem Fuße. Es war zu spät; Malicorne und d’Artagnan, die an der Tür standen, hatten seine Augen gesehen. – »Der König hat geweint,« dachte Malicorne.

Der Kapitän aber näherte sich ehrfurchtsvoll und sagte leise: »Sire, Sie müssen über die kleine Treppe zurückkehren.« – »Warum?« – »Weil Sie noch Straßenstaub im Gesicht haben,« antwortete d’Artagnan. »Kommen Sie, Sire!«

  1. Wenn ich mich zeige, macht die Sonne halt. (Ludwig hatte die Sonne zu seinem Sinnbild.)

3. Kapitel. Bragelonne in England

Graf Rudolf weilte in Hampton Court, dem herrlich am Ufer der Themse gelegenen Lustschloß Karls II. Der prachtvolle Park mit den weiten Rasenflächen und imposanten Baumgruppen war der Schauplatz seiner träumerischen Spaziergänge, seiner Seufzer, seiner schwermütigen Gedanken. Kein Wunder, daß er mit seiner Vorliebe für die Einsamkeit eine interessante Figur an dem leichtlebigen Hofe Karl II. bildete, wo man in kokettem Flirt zwischen Kavalieren und Hofdamen dem Hofe Ludwig XIV. um nichts nachstand. Kein Wunder, daß sich die Damen oftmals in ihren Gesprächen mit Rudolf beschäftigten und daß er auch das Thema war, über das sich die zwei jungen Mädchen unterhielten, die an einem schönen, sonnigen Tage am Themseufer lustwandelten.

»Liebe Graffton,« rief die eine mutwillig, »wenn wir uns nach dieser Seite wenden, so kommen wir zu der Bank, wo der junge Franzose einsam sitzt und seufzt.«

»Nein, dorthin gehe ich nicht,« antwortete Miß Mary Graffton. »Doch sage mir, liebe Lady Stewart, du weißt ja um die kleinen Geheimnisse des Königs – warum ist Herr von Bragelonne in England, und was macht er hier?« – »Mein Gott,« antwortete Lady Stewart, »sein König hat ihn zu unserm König geschickt. Er hat wohl nichts Wichtiges hier zu tun. Das Schreiben, das er unserm Herrscher überbracht hat, war sehr kurz und nichtssagend – oder sehr vielsagend, wie man’s nimmt. Es lautete nämlich: ›Mein Bruder, ich sende Ihnen einen Edelmann, den Sohn eines Herrn, den Sie lieben. Behandeln Sie ihn gut und machen Sie ihm England angenehm.‹ Das habe ich über des Königs Achsel hinweg gelesen, Mary. Der König von Frankreich hat wahrscheinlich triftige Gründe, Bragelonne fernzuhalten und anderweitig – als in Frankreich – zu verheiraten.«

»Und deshalb hat Karl II. ihn also so fürstlich aufgenommen und behandelt ihn mit so großer Zuvorkommenheit?« – »Ja, und deshalb hat er dich mit ihm zusammengeführt. Du erscheinst ihm als das schönste Geschenk, das er dem Franzosen anbieten kann, du die Erbin von einer halben Million. Ich fürchte nur, Herr von Buckingham wird eifersüchtig werden.«

Als sie diese Worte sprach, trat Herzog von Buckingham, über die Terrasse schreitend, auf sie zu. »Sie irren sich, Miß Lucy Stewart, ich bin nicht eifersüchtig, wenn Miß Mary Graffton sich Herrn von Bragelonne widmet. Ja, ich bitte Sie, sich ihm jetzt wieder zu widmen, weil ich ein paar Worte mit Ihnen, Mylady, zu sprechen habe.« – Mit diesen Worten verneigte er sich vor Fräulein Graffton und ergriff dann zierlich Lady Lucys Fingerspitzen, um sie fortzuführen. Mary Graffton stand eine Weile zaudernd da, dann schritt sie quer über den Rasen zu jener Bank, auf der Rudolf von Bragelonne, in Gedanken versunken, saß.

»Man sendet mich zu Ihnen, mein Herr,« sprach sie. »Ist’s Ihnen recht?« – »Und wem verdanke ich diese Ehre, Fräulein?« fragte Rudolf. – »Herrn von Buckingham,« antwortete sie. »Sie sehen, es scheint sich alles zu verschwören, uns immer wieder und wieder zusammenzuführen. Einmal läßt der König mich bei der Tafel neben Ihnen sitzen, ein ander Mal wieder heißt Buckingham mich Sie aufsuchen. Macht man’s in Frankreich ebenso deutlich?«

»Miß Graffton, ich bin ja kaum ein Franzose,« antwortete Rudolf, ein wenig befangen, »ich habe viel in fremden Ländern gelebt, meistens im Kriegslager.« – »Und es gefällt Ihnen in England nicht?« fragte die Schöne. – Rudolf sagte nichts, erst nach einer Weile schaute er auf, erkannte wohl, daß das Fräulein eine Frage an ihn gestellt habe, und sagte: »Verzeihung, ich habe nicht gehört –« – »Man tat sehr unrecht, mich hierher zu schicken,« sagte Fräulein Mary. – »Ja, ich bin ein trauriger Gesellschafter, Gnädige. Sie langweilen sich bei mir. Aber wie kann Lord Buckingham Sie zu mir schicken – er liebt Sie doch, und Sie –«

»Nein, Buckingham liebt nur die Herzogin von Orléans,« antwortete Mary, »und ich hege auch keine Liebe zu ihm.« Rudolf sah das Fräulein erstaunt an. – »Aber dennoch hätte er mich nicht zu Ihnen schicken sollen, denn Sie lieben auch eine andere. Ihr Herz weilt in der Ferne, und kaum gönnen Sie mir das Almosen Ihres Geistes. Herr Graf, gestehen Sie es nur.« – »Ja, Fräulein, ich gestehe es,« sagte Rudolf. – Er war so schlicht und schön, sein Auge hatte so warmen Glanz, sein ganzes Wesen drückte so deutlich Freimütigkeit und festen Sinn aus, daß es einer ausgezeichneten Dame wie Mary Graffton nicht einfallen konnte, ihn für unhöflich zu halten. Sie begriff, er liebte mit der ganzen Innigkeit seines Herzens eine andere.

»Sie lieben ein Mädchen Ihrer Heimat,« sprach sie. »Weiß der Herzog von Buckingham um diese Liebe?«

»Nein? Warum sagen Sie es mir? Weil Sie glauben, ich hätte Sie vielleicht liebgewinnen können, und weil Sie viel zu sehr Edelmann sind, um einer flüchtigen Zerstreuung halber die Hand einer Dame zu nehmen. Ich danke Ihnen, Herr von Bragelonne. Wie sollte ich es Ihnen verargen, daß Sie eine Französin lieben? Bin ich doch selbst halb Französin; denn meine Mutter stammte aus Ihrem Vaterlande, Herr Graf. Ich habe auch jetzt noch eine Verwandte in Frankreich; eine Schwester. Sie ist Witwe. Marquise von Bellière – kennen Sie sie vielleicht?« Rudolf stutzte, als er diesen Namen hörte. Ja, er kannte sie dem Namen nach. Er wußte, daß sie die erklärte Geliebte des Herrn Fouquet war, und daß man von ihr erzählte, sie habe vor kurzem erst,, um den Oberintendanten aus einer argen Geldverlegenheit zu retten, all ihr Silbergeschirr und ihre sämtlichen Schmucksachen – man sagte, ihre Diamanten seien die schönsten von Paris – für anderthalb Millionen Livres an einen Goldschmied verkauft. – »Sie schreibt mir, sie liebe wieder und werde wiedergeliebt, also ist sie glücklich,« fuhr Mary Graffton fort. »Wir Grafftons haben sonst nicht viel Glück in der Liebe. Doch reden wir von Ihnen! Wer ist denn Ihre Geliebte?«

»Ein sanftes, blasses, armes Mädchen.« – »Aber wenn Sie von ihr geliebt werden, warum sind Sie so traurig?« – »Weil man mir sagt, sie liebe mich nicht mehr,« antwortete Rudolf. »Ich habe einen anonymen Brief erhalten; lesen Sie!« – Mary Graffton nahm das Schreiben, das der Vicomte schon hundertmal gelesen hatte; es lautete: »Vicomte! Amüsieren Sie sich wacker mit den Schönen in England, Sie tun recht daran, denn am Hofe Ludwigs wird die Hochburg Ihrer Liebe belagert. Bleiben Sie also für immer in London, armer Graf, oder aber kehren Sie schnell nach Paris zurück!«

»Anonym!« rief die Graffton. »Das ist gemein. Das glaubt man nie!« – »Täte ich auch nicht,« antwortete Rudolf. »Aber ich habe noch einen zweiten Brief erhalten, von einem guten, treuen Freunde. Als ich abreiste, sagte ich zu ihm: Wenn irgend etwas nicht in Ordnung sein sollte, dann schreibe mir nur die Worte: Komme zurück! Nun lesen Sie!« – Und Mary Graffton las: »Mein Freund! Ich bin verwundet und liege krank darnieder. Rudolf, kommen Sie zurück! Ihr Graf Guiche.« –

»Und was denken Sie nun zu tun?« fragte Mary Graffton. – »Ich habe den König um Urlaub gebeten. Aber der König antwortete, mein Gebieter hätte mich ja noch gar nicht zurückgerufen. Er hat recht – ich habe noch keinen Befehl zur Rückreise erhalten. Ich muß also bleiben.« – »Und Ihre Geliebte – schreibt sie Ihnen?« »Niemals.« – »O, dann liebt sie Sie nicht! Doch still, der Herzog kommt.«

Buckingham erschien am Ende der Allee und kam lächelnd näher. – »Haben Sie sich nun verständigt?« fragte er. – »Worüber?« versetzte die Graffton. – »Ueber das, was Sie glücklich und Rudolf weniger unglücklich machen könnte, liebe Mary,« antwortete der Herzog. – »Mylord, Herr von Bragelonne ist glücklich,« entgegnete Mary. »Er liebt und wird wiedergeliebt.« – »Herr von Bragelonne,« antwortete Buckingham ernst, »steht vor einer schweren Katastrophe. Er hat es mehr als jemals nötig, daß man für sein Herz Sorge trägt.«

»Mylord, ich verstehe Sie nicht!« rief Rudolf, »erklären Sie sich deutlicher! – »Nach und nach,« erwiderte Buckingham. »Doch kann ich Miß Mary sagen, was Sie noch nicht hören dürfen.« – »Sie spannen mich auf die Folter, Mylord!« entgegnete der Vicomte. – »Mylord, ja! was quälen Sie ihn? Ich habe Ihnen doch gesagt, er liebt ein Mädchen seiner Heimat,« sagte Miß Graffton.

»Er hat unrecht. Denn er liebt ein Weib, das seiner unwürdig ist,« sagte Buckingham mit jenem Phlegma, dessen nur ein Engländer fähig ist.

Miß Mary stieß einen Schrei aus; Bragelonne erbebte. »Herzog, was sagen Sie da! Ich werde keine Sekunde säumen, mir die nähere Erklärung in Paris zu holen!« rief er. – »Sie werden bleiben,« versetzte Buckingham. »Denn Sie haben kein Recht abzureisen. Man vernachlässigt königlichen Dienst nicht um eines Weibes willen.« – »So geben Sie mir Aufschluß!« – »Das will ich tun. Ich werde offen mit Ihnen sprechen.«

In diesem Augenblick erschien ein Lakai des Königs und forderte den Herzog auf, sich zu Seiner Majestät zu verfügen. Der Herzog gehorchte und fand den König vor seinem Schreibtische. – »Kommen Sie herein, lieber Buckingham,« sagte Karl II., »und machen Sie die Tür zu. Wie steht es mit unserm Franzosen?« – »Ich bin seinetwegen in Verzweiflung, Majestät,« antwortete der Herzog. »Die reizende Mary Graffton möchte ihn gern heiraten, aber er will nicht.« – »Sehr einfach, so läßt er’s bleiben,« sagte der König. – »Und dabei habe ich ihm schon angedeutet, daß seine Lavallière ihn hintergeht,« setzte Buckingham hinzu. – »Was sagte er dazu?«

»Er tat einen Sprung, als wolle er gleich über das Aermelmeer setzen,« sagte der Herzog. – »So ist er von neuem Willens abzureisen?« fragte Karl II. – »Anfangs schien es, als sei keine Macht der Erde imstande, ihn zurückzuhalten, aber Marys schöne Augen –« – »Nun, sieh, Buckingham,« unterbrach ihn der König, »niemand kann gegen seine Bestimmung. Und dieser junge Mann ist dazu bestimmt –« – »Bestimmt?« wiederholte Buckingham, »wozu?« – »Betrogen zu werden, was nichts ist, – und es mitanzusehen, was viel ist. Er kehrt nach Paris zurück.«

»Aber, Majestät, das ist ganz unmöglich!« rief Buckingham, »dieser junge Mann ist ein Löwe. Sein Zorn ist furchtbar, und wenn er sein Unglück vor Augen hat, dann wehe dem Urheber des Unglücks. Und ob es der König selbst ist, ich möchte dann nicht in seiner Haut stecken.« – »Hier lies und sage mir, was du an meiner Stelle tun würdest,« sagte Karl II. und reichte dem Herzog ein Schreiben, das ihm eben erst durch den Expreßboten aus Frankreich überbracht worden war.

Buckingham las: »Mein königlicher Bruder! Wenn Ihnen Ihre Ehre und meine Ehre und das Heil aller Unsrigen am Herzen liegt, so schicken Sie auf der Stelle Herrn von Bragelonne nach Frankreich zurück. Ihre Schwester Henriette Stuart, Herzogin von Orléans.« – »Was sagst du dazu, Villiers?« fragte Karl II. – »Nichts,« antwortete Buckingham. – »Du hast die Nachschrift nicht gelesen, Villiers. Es steht noch eine Zeile ganz versteckt am Rande.« – Buckingham sah noch einmal auf das Blatt und las die Worte: »Tausend herzliche Grüße allen, die mich lieben.« – Er erblaßte und sah zu Boden. Das Blatt Papier zitterte in seiner Hand.

»Bragelonne folge seinem Schicksal,« sprach Karl II., »wie wir dem unsern folgen mußten. Jeder trägt sein Kreuz auf dieser Welt. Ich habe sogar zwei tragen müssen, mein eigenes und das meiner Familie. Ich mache mir keine Sorgen mehr um andere Leute. Zum Teufel damit! Villiers, rufe mir den Franzosen!«

Bragelonne trat ein. »Herr Graf,« redete Karl II. ihn an, »Sie baten mich gestern um Urlaub, ich schlug es Ihnen ab mit der Begründung, der König von Frankreich habe Sie noch nicht zurückgerufen. Ich bin jetzt in der Lage, Ihrem Wunsche zu willfahren. Wenn Sie noch abreisen wollen, so können Sie es tun. Meine Erlaubnis haben Sie. Sie können heute abend noch in Dover sein. Um zwei Uhr früh ist Flut. Ich sage Ihnen also hiermit Lebewohl, Herr von Bragelonne, und wünsche Ihnen alles Glück. Empfehlen Sie mich mit herzlichen Grüßen dem Herrn Grafen de la Fère!« Er winkte huldvoll mit der Hand, Rudolf war entlassen. Buckingham folgte ihm.

In einem Vorsaal trafen sie Lucy Stewart und Mary Graffton. – »Miß Mary,« sagte Buckingham, »Herr von Bragelonne reist ab. O, bitten Sie ihn doch zu bleiben.« – »Ich werde ihn vielmehr bitten zu reisen,« antwortete Mary. »Ich gehöre nicht zu den Frauen, die mehr Stolz als Herz haben. Wenn er eine Geliebte in Frankreich hat, so kehre er dorthin zurück und segne mich dann, daß ich ihm geraten habe, treu zu bleiben. Wenn er in Frankreich nicht mehr geliebt wird, so kehre er nach England zurück, und ich werde ihn wieder lieben. Er wird durch sein Unglück in meinen Augen nichts verlieren. Das Wappen meines Hauses hat einen Spruch, nach dem ich immer gehandelt habe: »Dem Besitzenden wenig, dem Darbenden alles!«

»Ich bezweifle, Freund,« sagte Buckingham zu Rudolf, »daß Sie drüben so viel finden werden, wie Sie hier verlassen.« – »Ich hoffe wenigstens,« sagte Rudolf mit düsterer Stimme, »daß das, was ich liebe, meiner würdig ist. Ist es aber wahr, was Sie gesagt haben, und finde ich eine Unwürdige, so will ich sie aus meinem Herzen reißen, und sollte ich mir das Herz selbst mit der Liebe ausreißen!«

Nach diesen Worten verneigte er sich und ging.

»Ach, Herzog!« rief das junge Mädchen schluchzend und lehnte das Haupt an die Brust Buckinghams. »Er wird nie wiederkommen!« – »Nun denn, so sage ich Ihnen, Mary,« rief der Lord, »er findet in Frankreich sein Glück zerstört, seine Braut gehört einem andern, seine Ehre ist befleckt! Was wird ihm übrigbleiben, da er hier doch immerhin Ihre Liebe hat schätzen lernen?«

Miß Graffton sah träumerisch auf und sprach mit erstickter Stimme die Verse aus »Romeo und Julia«:

»Ich muß von hinnen und leben
Oder muß bleiben und sterben!«

Der König hatte recht gesprochen. Um zwei Uhr früh war Flut, und Rudolf von Bragelonne trat die Rückfahrt nach Frankreich an.

4. Kapitel. Frau von Chevreuse

Aramis, in seiner alten Tracht als Musketier, im malerischen Wams, mit dem Degen und dem breiten Hut – eine Erscheinung, der man den Bischof nicht ansah, – schritt in einer von Bäumen eingerahmten Allee wartend auf und nieder. Nicht lange, so fuhr ein Wagen vor, eine Dame stieg aus und wurde von einem bewaffneten Diener zu dem Chevalier geleitet. Sie hob den Schleier auf und enthüllte ein Gesicht, das nicht mehr jung und schön war, doch immer noch die stattlichen Züge einer einstmals imposanten Frau zeigte. Aramis reichte ihr graziös die Hand.

»Liebe Herzogin,« sagte er. »guten Tag!« – Es war beiden lieb, daß tiefer Schatten herrschte; sie hatten jeder für sich Ursache, ihr Mienenspiel nicht allzu deutlich zu zeigen. – »Mein lieber Aramis,« antwortete die Dame, »Sie haben seit unserm Zusammentreffen in Fontainebleau nichts mehr von sich hören lassen. Ich bekenne, es hat mich sehr gewundert, daß Sie in die Geheimnisse eines gewissen Ordens so vollständig eingeweiht waren. Sie haben mir das nicht erklärt, und wir sind doch so alte gute Freunde.«

»Werteste Frau von Chevreuse,« entgegnete d’Herblay, »trotzdem haben wir jetzt aber nicht mehr dieselben Interessen wie einstmals. Wie ist es Ihnen denn überhaupt gelungen, meine Adresse zu ermitteln?« – »Ich war neugierig, Chevalier,« antwortete Frau von Chevreuse. »Ich wollte wissen, was Sie jenem Franziskaner waren, mit dem ich zu tun hatte und der auf so sonderbare Weise gestorben ist. Als wir auf dem Kirchhof von Fontainebleau zusammentrafen, hat unsere Teilnahme für den armen Mönch uns beide so völlig unpersönlich gestimmt, daß wir ganz vergaßen, uns auszusprechen. Als wir uns getrennt hatten, tat es mir leid, und ich stellte Nachforschungen an – ich wußte ja, daß Sie ein Freund Fouquets seien, und so suchte ich Sie bei ihm.«

»Ein Freund – das sagt zuviel, Madame,« antwortete d’Herblay. »Ein armer Priester, den er begünstigt und der ihm deshalb treu ergeben ist.« – »Und den er zum Bischof gemacht hat,« fuhr Frau von Chevreuse fort; »für ihn haben Sie auch Belle-Ile zur Festung gemacht.« – »O nicht doch,« unterbrach Aramis sie lächelnd, »alles Kriegerische habe ich verlernt, seit ich ein Mann der Kirche bin.« Sie antwortete mit einem vielsagenden Lächeln. – »Genug! meinen Brief haben Sie in Saint-Mandé erhalten, wie ich sehe. Freuen wir uns gegenseitig, daß wir uns als gute alte Freunde wiedergefunden haben! Was brauche ich Ihnen da Schritt für Schritt aufzuweisen, wie ich Ihre Spur entdeckte? Sie hatten ja auch gar keine Ursache, sich vor mir zu verbergen, lieber Aramis. Und nun,« setzte sie hinzu, nachdem beide ein diplomatisches Lächeln getauscht hatten, »lassen Sie mich von der Angelegenheit sprechen, die ich mit Ihnen zu verhandeln habe.«

Er verneigte sich leicht und antwortete: »Es betrifft jenen Franziskaner, nicht wahr? Nun, was hatten Sie mit ihm?« – Sie sah ihn an, als wollte sie sagen: »Das wissen Sie jetzt jedenfalls ebensogut wie ich.« Aber sie antwortete nicht auf seine Frage, sondern stellte eine andere: »Sie wissen, daß meine Kinder mich zugrunde gerichtet haben?« – »O, welch ein Unglück, Herzogin!«

»Ja, mein Kredit ist erschöpft, bei Hofe darf ich mich nicht mehr sehen lassen, Freunde habe ich keine mehr, und wenn ich nicht eine gewisse Pension bezogen hätte –«

»Vom Orden der Jesuiten?« warf Aramis ein. – »Ja. Der General, eben jener Franziskaner, ließ sie mir auszahlen. Ohne diese Pension wäre ich der Armut preisgegeben. Dafür mußte ich nun aber zum Schein auch Dienste leisten, und ich wurde beauftragt, für den Orden zu reisen. Sie begreifen, es war nur Formalität. Dennoch reicht diese Pension nicht aus, mein Landgut Dampierre wohnlich herzurichten und aus der Hand meiner Gläubiger, die es völlig mit Beschlag belegt haben, zu lösen.« – »Und die Königin-Mutter, die Ihnen so viel Dank schuldig ist, sieht das alles gleichgültig mit an?« fragte Aramis. »Haben Sie nicht versucht, sich wieder in Gunst zu setzen?« – »Der junge König hat die Antipathie geerbt, die sein Vater gegen mich hegte. Doch weiter! Ich kam also als Reisende des Jesuitenordens nach Fontainebleau – jener Franziskaner hatte mich hinbestellt. Sie wußten doch wohl, daß er der General des Jesuitenordens war?« – »Ich habe es vermutet, Herzogin.« – »Woher kennen Sie ihn denn?« – »Ich habe mit ihm zusammen in Parma Theologie studiert – wir wurden Freunde, doch sind wir später nicht mehr zusammengekommen, bis wir uns nach vielen, vielen Jahren in Fontainebleau wiedersahen.« – »Und ganz durch Zufall?« fragte die Herzogin lauernd. »Zufällig an demselben Tage, wo so viele Reisende des Ordens dort zusammentrafen?« – »Ganz durch Zufall,« erwiderte Aramis ruhig. »Ich war zu einer Audienz beim König beschieden, die mir Herr Fouquet vermittelt hatte, und auf dem Wege begegnete ich dem Franziskaner. Ich erkannte ihn – er war sehr krank und ist ja dann auch in meinen Armen gestorben.«

»Und hinterließ Ihnen eine so große Macht,« murmelte Frau von Chevreuse, »daß Sie in seinem Namen unbeschränkte Befehle erteilen.« – »Er trug mir nur einige Besorgungen auf,« erwiderte d’Herblay. – »Auch etwas für mich?« – »Ja. Ich sollte 12 000 Livres an Sie auszahlen lassen. Sie haben die Summe doch inzwischen erhalten?« – »Allerdings. O, lieber d’Herblay, man hat mir gesagt, Sie hätten die Weisung mit einer solchen Bestimmtheit und in so geheimnisvoller Weise erteilt, daß man Sie allgemein für den Nachfolger des Generals hält.« – Aramis errötete leicht. – »Ich erkundigte mich daraufhin beim König von Spanien und erfuhr, daß jeder neue Jesuitengeneral von ihm ernannt werden und Spanier sein muß. Sie sind kein Spanier und auch nicht vom König von Spanien ernannt worden.«

»Da sehen Sie also, daß Sie im Irrtum waren,« sagte Aramis. – »Nun ja, allein ich weiß auch, daß Sie Spanisch sprechen, drei Jahre in Flandern und fünf Monate in Madrid gelebt haben. Das genügt, um berechtigt zu sein, sich in Spanien naturalisieren zu lassen, wenn man nur will, und,« setzte sie in bedeutungsvollem Tone hinzu, »ich bin gut angeschrieben beim König von Spanien.« – »Ich nicht schlecht,« antwortete Aramis trocken. »Ich danke Ihnen, Herzogin.« – Sie schwieg verdrießlich. »Ich hätte Ihnen gern einen Dienst erwiesen,« sprach sie dann, »weil ich nämlich auch an Sie eine Bitte habe. Ich brauche Geld, um die Schuldenlast zu tilgen, die auf meinem Gute Dampierre lastet.« – »Wieviel?« – »O, keine kleine Summe.« – »Schlimm! Ich bin nicht reich, wie Sie wissen.« – »Sie nicht – aber der Orden, und wenn Sie General gewesen wären –« – »Jenun, ich bin es doch einmal nicht.« – »Immerhin haben Sie Herrn Fouquet zum Freunde.«

»Herr Fouquet,« antwortete d’Herblay, der wohl wußte, daß sie nun auf den Punkt gekommen war, auf den sie die Unterredung hatte hinlenken wollen, »ist sogut wie zugrunde gerichtet.« – »Ich hörte, aber ich glaube es nicht,« erwiderte sie, »denn ich besitze einige Briefe vom Kardinal Mazarin, die über gewisse sonderbare Rechnungen aufklären, über entlehnte Gelder, verkaufte Renten, kurz, ich erinnere mich nicht genau. Nur das eine steht fest, nach diesen Briefen Mazarins hat der Oberintendant 13 Millionen der Staatskasse entnommen. Eine heikle Geschichte!«

»Solche Briefe haben Sie?« fragte Aramis, »und haben Herrn Fouquet nichts davon mitgeteilt?« – »Lieber Aramis, solche Dinge verschweigt und verwahrt man, um erst an einem Tage der Not damit herauszurücken.« – »Und dieser Tag der Not ist nun gekommen?« – »Ich verhehle es nicht.« – »Und Sie müssen, so schwer es Ihnen wird, zu dieser Hilfsquelle greifen,« fuhr Aramis fort, »um sich Geld zu verschaffen.« – »Ich brauche Geld. Doch wenn ich Böses hätte tun wollen,« sagte Frau von Chevreuse, »so hätte ich, statt den Ordensgeneral oder Herrn Fouquet um die 500 000 Livres zu bitten, die ich haben muß –« – »500 000 Livres!« rief Aramis.

»Finden Sie das viel? Soviel brauche ich für Dampierre mindestens,« antwortete die Herzogin. »Statt also Sie oder den Oberintendanten zu bitten, hätte ich bloß zur Königin-Mutter zu gehen brauchen. Mit meinen Briefen wäre ich vorgelassen worden. Und von ihr hätte ich das Geld bekommen. Woran denken Sie?« – »Ich addiere,« sagte Aramis. – »Und Herr Fouquet subtrahiert. Ich versuche zu multiplizieren. Nun, wir drei Rechenmeister,« sagte sie lachend, »werden uns doch wohl verständigen können. Antworten Sie! Ist’s ja oder nein?«

»Madame, es sollte mich sehr wundern, wenn Herr Fouquet zur Stunde noch über 500 000 Livres verfügte,« erwiderte Aramis kalt, »und sicherlich wird die Königin-Mutter für Sie tun, was der Oberintendant nicht tun kann.« – »Sie sagen also nein? Soll ich etwa selbst mit Herrn Fouquet über diese Briefe sprechen?« fragte Frau von Chevreuse, gleichwohl noch einmal einlenkend.

»Wie Sie wollen,« versetzte der Prälat. »Aber Herr Fouquet fühlt sich nicht schuldig, und wäre dies auch der Fall, so würde er zu stolz sein, es einzugestehen. Sie werden ihn mit Ihrer Drohung nur beleidigen.«

»Sie urteilen immer wie ein Engel!« sagte die Herzogin spöttisch. – »Also werden Sie Herrn Fouquet bei der Königin-Mutter denunzieren?« fragte Aramis. – »Denunzieren, o, welch häßliches Wort,« erwiderte die Chevreuse lächelnd. »Das sagt ein Diplomat? Partei nehmen gegen ihn – weiter nichts. Und bin ich bei der Königin-Mutter wieder in Gunst, so kann ich ihm allerdings gefährlich werden.« – »Herr Fouquet steht sehr gut mit dem König von Spanien, wissen Sie das?« entgegnete Aramis. – »Und infolgedessen auch mit dem Jesuitengeneral, wollen Sie sagen?« versetzte sie. »Der Orden wird mir also die Pension entziehen, die er mir bis jetzt gezahlt hat?« – »Das kann geschehen.« – »Ich werde mich zu trösten wissen,« sagte die Chevreuse. – »Es sind immerhin 48 000 Livres,« meinte der Bischof. »Und dann – Sie wissen, wenn man sich einmal mit dem Orden überworfen hat, so hat man einen schweren Stand. Wer Geheimnisse besitzt, die den Orden kompromittieren könnten, muß auf der Hut sein. Es gibt Gefängnisse, liebe Herzogin.«

Frau von Chevreuse heftete einen flammenden Blick auf Aramis. »Sehen Sie, das ist ernstlicher,« sagte sie nach kurzem Schweigen. »Ich werde mich in acht nehmen. Sagten Sie mir nicht auch, Herr Fouquet wäre schon jetzt sogut wie zugrunde gerichtet? Nach dem, was man spricht, wird er kaum zwei Monate noch Minister sein. Dennoch wäre eine Veröffentlichung der Briefe –« – »Herzogin,« schnitt Aramis ihr das Wort ab, »Sie kennen meine Meinung. Lassen Sie Gnade walten!«

Und er verneigte sich vor ihr und öffnete den Wagenschlag. Allein wenn er sie nun in der Ueberzeugung verließ, sie eingeschüchtert zu haben, so irrte er sich. Nur zum Schein hatte sie sich gefügig gezeigt. Die bejahrte Intrigantin ließ sich zu Herrn Colbert fahren. Man machte Schwierigkeiten, sie vorzulassen, denn der Bediente, der ihr ins Gesicht gesehen hatte, wußte, daß sein Herr keine alten Damen zu denjenigen Bekanntschaften zählte, von denen er Besuche in seinem Hause empfing. Da schrieb Frau von Chevreuse ihren Namen auf ein Blatt Papier – diesen Namen, der Ludwig XIII. und dem großen Kardinal oft unangenehm in den Ohren geklungen hatte. Sie schrieb ihn mit der großen schwerfälligen Schrift der vornehmen Gesellschaft jener Zeit und reichte dem Bedienten das Blatt mit so gebieterischer Miene, daß der Mann, gewohnt, feine Leute zu wittern, in ihr eine Prinzessin vermutete und sie einließ.

Als Colbert ihren Namen las, stieß er einen Schrei aus, der dem Diener verriet, daß es tatsächlich ein außergewöhnlicher Besuch sei. Er wartete daher auch nicht erst den Befehl seines Herrn ab, sondern öffnete ohne weiteres Frau von Chevreuse die Tür. Sie blieb an der Schwelle stehen und betrachtete den Mann, mit dem sie zum ersten Mal zusammenkam. Sie kannte ihn schon vom Hörensagen und fand ihn so, wie sie ihn sich nach allem, was man von ihm erzählte, vorstellte: vierschrötig, mit einem auffallend dicken, runden Kopf, dichten Brauen und einem grob geschnittnen Gesicht, das gleichwohl imponierend wirkte durch die gewaltigen Proportionen der leuchtenden Stirn. »Ich habe da meinen Mann gefunden,« das war der Eindruck, den sie von ihrer Musterung gewann.

Sie trat näher und setzte sich, von Colbert dazu eingeladen. – »Herr Colbert, Sie sind Finanz-Intendant?« begann sie. »Und trachten danach, Ober-Intendant zu werden?« – »Frau Herzogin!« verwahrte er sich. »Wie können Sie glauben, ich suchte meinen Vorgesetzten zu verdrängen!« – »Verdrängen? Habe ich das Wort gebraucht? Wir Diplomaten sagen: ersetzen. Sie suchen Herrn Fouquet zu ersetzen.« – »Nun, wenn der König Herrn Fouquet absetzen sollte,« erwiderte Colbert, »dann ja.« – »Und wenn Sie Herrn Fouquet bis jetzt noch nicht ersetzt haben,« fuhr Frau von Chevreuse fort, »so geschah es, weil Sie es noch nicht konnten. Ich bin Frau von Chevreuse, dieselbe Frau, die mit Richelieu Politik gemacht hat, und Sie als Mann von Geist werden sich sogleich sagen, daß ich nur zu dem Zweck zu Ihnen komme, um Ihnen das zu geben, was Ihnen noch fehlt.«

»Madame,« antwortete Colbert gemessen, »ich muß Ihnen da im voraus sagen, es laufen seit zehn Jahren Anklagen über Anklagen gegen Herrn Fouquet ein, und doch hat man ihm noch nicht das Geringste anhaben können.« – »Aber Sie haben noch keine Anklage von Frau von Chevreuse erhalten,« entgegnete sie, »noch keine solchen Beweise, wie es die sechs Briefe des Kardinals Mazarin sind, die sich in meinen Händen befinden und in denen das Vergehen aufgedeckt wird–« – »Ein Vergehen, das Herr Fouquet begangen hat?« rief Colbert lauernd. – »Ein Verbrechen, wenn das besser lautet. Nichts anderes! Ei, Herr Colbert, Sie empfingen mich mit kalter, nichtssagender Miene – jetzt strahlt Ihr Gesicht. Ich bin entzückt, daß meine Eröffnung Sie so freudig erregt.« – »O, Madame, was schließt dieses Wort Verbrechen nicht alles in sich –?!« – »In erster Linie Ihre Ernennung zum Ober-Intendanten,« fuhr Frau von Chevreuse ruhig fort. »Und dann Herrn Fouquets Verbannung zu lebenslänglichem Gefängnis. O, ich weiß, was ich sage!« rief sie und unterbrach ihn mit einer kalten Handbewegung, als er sprechen wollte. »Ich habe nicht so sehr weit von Paris gelebt und bin über alle Vorgänge unterrichtet. Der König haßt Fouquet und wird ihn vernichten, sobald er Grund dazu hat. Und ihm diesen Grund in die Hände zu geben, mache ich mich anheischig gegen Zahlung von 500 000 Livres.«

»Ich verstehe,« antwortete Colbert. »Da Sie einen Verkaufspreis festsetzen, so spezifizieren Sie bitte auch die Ware.« – »Sechs Briefe von Herrn Mazarin, aus denen unwiderleglich hervorgeht, daß der Kardinal zusammen mit Herrn Fouquet den Staatsschatz um 13 Millionen Livres betrogen hat. Wollen Sie lesen?« – »Gern. Sie geben mir wahrscheinlich nur die Abschriften?« – »Selbstverständlich,« antwortete die Herzogin und zog ein Päckchen aus dem Busen. Colbert entfaltete die Briefe, las und rief: »Vortrefflich! Aber es ist hierin nicht gesagt, um welches Geld im besondern –« – »Ah,« antwortete die Herzogin, »wenn wir einig sind, so werde ich diesen sechs Briefen noch einen siebenten hinzufügen, der die letzten Aufschlüsse gibt. Ist es abgemacht?« – »Sofern Sie Ihre Forderung ermäßigen–«

»Wie, Sie feilschen?« – »Weil mir daran liegt, redlich zu bezahlen. Ich zahle in bar – aber nur 200 000 Livres.«

Frau von Chevreuse lachte ihm gerade ins Gesicht. Dann schien sie sich eines andern zu besinnen. »Warten Sie! ein Vorschlag,« sagte sie. »Geben Sie mir 300 000, und ich will damit zufrieden sein, wenn Sie mir außerdem noch –« – »O, es ist nicht davon zu reden, Herzogin,« fiel Colbert ihr ins Wort. – »Beruhigen Sie sich, ich will ja kein Geld weiter, sondern nur einen Empfehlungsbrief an die Königin-Mutter.« – »Madame, Ihr Name hat bei Hofe keinen guten Klang – es könnte mich kompromittieren.« – »Mein Name soll auch gar nicht genannt werden, Herr Intendant,« antwortete die Chevreuse. »Ich will von Ihnen nur ein paar befürwortende Zeilen für eine Bettelnonne aus Brügge, die Ihrer Majestät ein Heilmittel gegen den Brustkrebs geben kann, an dem sie hinsiecht. Das wird Ihrem Renommee nichts schaden. Im Gegenteil, mir eine Zusammenkunft mit der Königin-Mutter ermöglichen, heißt sie vom Tode erlösen.«

»Hinter Ihrer großen Liebe für Anna von Oesterreich steckt doch wohl auch ein kleines persönliches Interesse«, sagte Colbert. – »Verhehle ich das?« versetzte sie. »Ich will von Ihnen nur 300 000 Livres, weil ich hoffe, daß Anna von Oesterreich mir für mein Heilmittel 200 000 geben wird. So kommen die 500 000 zusammen, die ich für meine Briefe haben will.« – »Gut, Frau Herzogin,« stimmte der Intendant bei, »ich werde die Ehre haben, Ihnen 100 000 Taler auszuzahlen. Wie aber erhalte ich die Originalbriefe?« – »Sie können Sie sofort haben gegen Ihre Gutschrift auf diese Summe.«

Colbert schrieb eine Anweisung und reichte sie der Herzogin. »Da!« sagte er, »Sie sind bezahlt.« – Sie machte eine leichte Verneigung, griff in den Busen, und sagte: »Hier sind die Papiere!«

Colberts dicke schwarze Brauen stiegen an seiner Stirn auf und ab wie zwei Fledermausflügel. Er lachte düster, und Herr Colbert lachte fast nie. Madame von Chevreuse lachte ebenfalls. Sie war zufrieden mit dem Geschäft, erhielt das ausbedungene Empfehlungsschreiben und nahm Abschied, um alsbald zu Hofe zu fahren.

Anna von Oesterreich war sehr krank geworden. Sie hatte an diesem Abend vergebens auf den König gewartet und befand sich in sehr schlechter Stimmung. Frau von Motteville und die spanische Amme Molina bemühten sich umsonst, sie zu erheitern. Das Wetter am Hofe deutete auf einen Sturm. Auf den Korridoren und in den Vorzimmern wichen die Höflinge und Ehrendamen einander aus, um nicht in ein Gespräch gefährlicher Art hineingezogen zu werden. Die drei Frauen machten in heuchlerischen Redensarten – denn keine wagte ohne Hehl zu sprechen – ihrer Verstimmung über die Lavallière Luft.

»O, diese Kinder!« seufzte die Königin-Mutter. »Habe ich ihnen nicht alles geopfert?!« Und sie hob die Augen zu dem blassen Porträt Ludwigs XIII. empor. Ein tiefes Schweigen folgte auf diese Worte. Dann sagte die spanische Amme: »Majestät, es ist die Stunde, da die Bettelnonne aus Brügge empfangen werden sollte, welche vorgibt, ein Heilmittel für Ihr Leiden zu besitzen.« – »Ist sie da?« – »Sie wartet draußen.« – »Gut, ich bin bereit,« antwortete die Fürstin. »Motteville, Ihr Dienst ist beendet. Gute Nacht!« – Frau von Motteville küßte der Königlichen Hoheit die Hand und ging hinaus.

»Führ‘ das Weib vor,« befahl Anna von Oesterreich. – Da öffnete sich die Tür, die Gestalt einer maskierten Dame zeigte sich und eine feste, zugleich sanfte Stimme sprach: »Hier ist das Weib, Königliche Hoheit, ich bin eine Beghine aus Brügge und bringe das Mittel, das Sie heilen wird.« – »Reden Sie!« antwortete die Königin-Mutter. – »Nur unter vier Augen,« versetzte die Maskierte. – Anna winkte der Spanierin, und die Amme ging hinaus.

Die Fremde trat dicht an die Königin-Witwe, machte eine tiefe Verbeugung und sah sie durch die Oeffnungen ihrer Maske fest und lange an. Die Fürstin erwiderte diesen Blick mißtrauisch und sprach: »Ich bin sehr krank. Mir täte Heilung not.« – »Doch nicht hoffnungslos krank, Hoheit,« antwortete die angebliche Beghine. – »So wissen Sie, woran ich leide?« – »Hoheit haben Freunde in Flandern.« – »Und diese haben hergeschickt? Nennen Sie sie.« – »Das ist nicht nötig,« antwortete die Nonne. »Ihr Gedächtnis, Hoheit, ist schon von Ihrem Herzen aufgeweckt worden.«

Anna hob den Kopf und suchte unter der dichten Maske und unter der geheimnisvollen Rede den Namen ihrer Besucherin zu entdecken. »Madame,« sagte sie dann, »man darf zu königlichen Personen nicht mit einer Maske vorm Gesicht sprechen.« – »Ich bitte mich zu entschuldigen,« antwortete die Fremde, »mein Gelübde bindet mich. Wir Schwestern haben geschworen, Leidenden zu helfen, ohne jemals unser Gesicht zu zeigen. Doch sollten Sie darauf bestehen, so müßte ich mich zurückziehen.« – »Es steht einer Leidenden nicht zu, die Tröstungen zu verschmähen, die Gott ihr sendet,« entgegnete Anna von Oesterreich. »Bleiben Sie also und reden Sie! Bringen Sie meinem Körper Linderung!«

»Lassen Sie uns zuerst von der Seele sprechen,« entgegnete die Beghine. »Sie leiden wohl auch seelisch. Es gibt verzehrende Krebsgeschwüre, Königliche Hoheit, nicht nur am Leibe – noch mehr an der Seele. Sie fressen den Geist an und zerreißen das Herz.« – »Die Uebel, von denen Sie reden,« antwortete die Königin-Mutter, »sind für uns Große der Erde unumgänglich. Wir wissen, Gott wird sie uns verzeihen, mögen sie noch so schwer sein. Soweit ich davon bedrückt bin, vermag ich sie noch zu tragen. Wenn Sie mir nichts weiter zu sagen haben als dies, so können Sie gehen. Ich mag eine Prophetin nicht anhören, denn ich fürchte mich vor der Zukunft.« – »Ich dachte vielmehr,« antwortete die Fremde, »Sie fürchteten sich vor der Vergangenheit.«

Anna von Oesterreich erhob sich und rief in kurzem, gebieterischem Tone: »Reden Sie – erklären Sie sich bündig und ohne Umschweife, oder –« – »Drohen Sie nicht, Königin! Sie werden sehen, daß ich Ihre Freundin bin! Ist Ihrer Majestät nicht vor 23 Jahren ein großes Unglück geschehen?« – »Ein großes Unglück –?« fragte die Königin, die Zähne aufeinanderpressend, »ich verstehe Sie nicht.« – »Wurde nicht am 5. September 1638 abends um acht Uhr der König geboren?« fuhr die Nonne fort. – »Und das nennen Sie ein Unglück?« versetzte Anna von Oesterreich, sich zur Ruhe zwingend.

»Das Unglück geschah danach, Majestät,« sagte die Beghine. »Eure Königliche Hoheit war in Gegenwart von Monsieur, Madame und den Prinzen und Prinzessinnen des Hauses entbunden worden. Man trug den neugeborenen Prinzen zum König, der wohlgemut soupierte. Die Freude war groß, die frohe Kunde lief in der Stadt um, alles Volk jauchzte. Eure Majestät waren allein mit der Hebamme und dem Diener Laporte und lauschten traumverloren auf das Geschrei des Dauphins, 11 als Sie plötzlich selbst einen furchtbaren Schrei ausstießen und die Hebamme herbeiriefen. Die Aerzte speisten in einem entlegnen Zimmer. Es war ein Viertel nach elf Uhr. Im Palast schlief schon alles, die Ehrenposten waren eingezogen worden, es standen nur noch die nächtlichen Außenposten.«

Anna von Oesterreich hatte den Kopf tief gesenkt. Ein Schüttelfrost lief durch ihren Leib; sie schwieg und atmete laut. – »Die Hebamme untersuchte Eure Majestät und schickte darauf Laporte zu dem König, um ihn herbeizuholen. Der König trat in dem Augenblick ein, als die Hebamme Eure Majestät von einem zweiten Prinzen entband. O, Königliche Hoheit, warum so traurig? Wenn Sie nun dieses Kind von Hofe entfernten, weil es nur einen Dauphin geben durfte, so sind Sie deshalb keine schlechte Mutter. Nein! es gibt Leute, welche recht wohl wissen, wieviel Tränen Sie um diesen Nachgeborenen geweint haben, wieviel Küsse Sie ihm in das dunkle, armselige Leben mitgaben, zu welchem die Rücksicht auf das Wohl des Staates den Zwillingsbruder Ludwigs XIV. verurteilt hat. Der König zitterte für das Heil Frankreichs, als er nun zwei Kronprinzen, gleich an Alter und Rechtsansprüchen, hatte; doch Kardinal Richelieu machte der Sache rasch ein Ende, indem er erklärte: » Ein Kronprinz ist Friede und Sicherheit, zwei Prinzen sind Krieg und Anarchie.« Und er verbannte den Unglücklichen auf ewige Zeiten.«

»Sie wissen davon nur zu viel!« schrie Anna von Oesterreich, sprang auf und stürzte auf die Fremde zu, als wenn sie sie zerreißen wollte. »Sie dringen in Staatsgeheimnisse ein. Nur von Freunden, die uns verraten haben, können Sie in den Besitz dieses Wissens gelangt sein, und diese falschen Freunde sind dann ihre Mitschuldigen. Herab mit der Maske, oder ich lasse Sie durch den Kapitän der Garden verhaften! Dieses Geheimnis wird mit Ihrem Leben erlöschen!«

»Lernen Sie die Treue und Verschwiegenheit Ihrer verlassenen Freunde kennen, Majestät,« antwortete die Beghine und nahm die Maske ab. – »Frau von Chevreuse!« rief die Königin-Mutter. – »Mit Ihrer Majestät die einzige, die um das Geheimnis weiß.« – »Umarmen Sie mich, Herzogin!« rief Anna. »Wie konnten Sie so mit meinem Schmerz spielen?« – Sie lehnte das Haupt an die Brust der Chevreuse, und ein Quell bitterer Tränen entströmte ihren Augen. – »O, wie jung Sie noch sind, Königliche Hoheit!« rief die Herzogin. »Sie können noch weinen. Verzeihen Sie mir, daß ich von diesen alten Leiden mit Ihnen sprach. Reden wir von etwas anderem, wir zwei alten, durch die Bosheit der Menschen getrennten Freundinnen. Ja ja, Majestät, es war schwer, es war bitter für mich, Sie verlassen zu müssen, fern von Ihnen zu leben!«

»Ach ja, der König ist Ihnen nicht freundlich gesinnt, Herzogin, doch könnte ich im stillen –« Aber die Chevreuse lächelte verächtlich. Anna fuhr fort: »Sie taten gut daran, sich wieder sehen zu lassen, sei es auch nur, um das Gerücht von Ihrem Tode Lügen zu strafen.«

»Bin ich wirklich totgesagt worden?« – »Allerorten. Und ich habe es auch geglaubt. Sind wir nicht alle sterblich? Der Tod kommt oft ganz schnell und unerwartet.«

»O, Königliche Hoheit, wenn ich gestorben wäre,« sagte die Chevreuse ganz ruhig, »dann hätten Sie davon hören müssen. So schwere Geheimnisse verlangen Erleichterung des Herzens, ehe man in die Grube fährt, und dann würden Hoheit auch an meinem Sterbetage alle die Papiere zurückerhalten, die ich noch von unserm stillen, geheimnisvollen Briefwechsel aufbewahrt habe.«

»Wie? Sie haben das nicht verbrannt?« rief Anna von Oesterreich entsetzt. – »Majestät, nur ein Verräter verbrennt eine königliche Korrespondenz,« versetzte die Herzogin. »Ein Getreuer aber bewahrt solche kostbaren Schätze, bis er eines Tages vor die betreffende königliche Person hintritt und zu ihr spricht: Majestät, ich werde alt; wenn ich plötzlich sterbe, könnten die Papiere gefunden, die Geheimnisse entdeckt werden. Nehmen Sie die kompromittierenden Papiere zurück und verbrennen Sie sie selber.«

Anna von Oesterreich fing an zu begreifen. – »Besonders ein Schreiben Eurer Majestät kommt hier in Frage,« fuhr die Herzogin ruhig fort, »in welchem Sie von diesem lieben unglücklichen Kinde – das sind Ihre Worte – sprechen und mich bitten, es zu besuchen.« – Ein tiefes Schweigen folgte. – »Ja, ein unglückliches Kind,« rief die Königin-Mutter dann. »Ein trauriges Dasein und dann ein grausames Ende.« – »So ist es tot?« rief die Herzogin. – »Tot und vergessen, tot und verwelkt wie eine arme Blume!« antwortete Anna von Oesterreich. »Gestorben in den Armen des treuen Erziehers, der den Verlust nicht lange überlebt hat.« – »Das ist begreiflich,« murmelte die Chevreuse. »Ein schwaches Herz bricht unter der Last eines solchen Geheimnisses zusammen. Hoheit,« fuhr sie dann rücksichtslos fort, »ich habe mich vor einigen Jahren in Noisy-le-Sec nach dem Schicksal dieses Kindes erkundigt. Man sagte allgemein, es gelte nicht für tot. Ich erfuhr, es sei eines Abends im Jahre 1645 von einer vornehmen, maskierten Dame abgeholt worden; tags darauf seien der Erzieher und die Wärterin verschwunden.«

»Das ist auch richtig. Doch wenige Tage später starb das Kind an einer jener verhängnisvollen Krankheiten, die das Kindesalter bedrohen.« – »Wenn Majestät es sagen, so muß es wohl wahr sein,« antwortete die Chevreuse, »obwohl mir mein Gewährsmann versichert, das Kind habe an dem Tage, wo es abgeholt wurde, blühend ausgesehen. Doch ich scheine Eure Hoheit zu ermüden – das will ich nicht. Ich erlaube mir daher, mich zu verabschieden.«

»Bleiben Sie noch, Herzogin,« erwiderte Anna. »Plaudern wir ein wenig von Ihnen. Sie sind ja meine älteste Freundin. Wir müssen trachten, einander wieder näherzukommen, ehe der Tod uns scheidet.« – »Königliche Hoheit, ich kann ja nicht an den Hof kommen,« antwortete die Chevreuse, »doch wenn Hoheit mir einen Beweis Ihrer Freundschaft geben und mich auf meinem Gute in Dampierre besuchen wollten – doch nein, was sage ich da, Dampierre ist nicht in dem Stande, der zu einem Empfang Ihrer Majestät erforderlich ist –« – »Wäre das alles?« antwortete Anna. – »Majestät, was denken Sie? Es ist eine große Gnade, um die ich Sie da bitte.« – »Ich gewähre sie Ihnen von Herzen gern und würde mich freuen, wenn mein Besuch Ihnen Nutzen brächte.« – »Nutzen? O nicht doch!« rief die Herzogin frohlockend. »Freude, unvergeßliches Glück!« Und sie bedeckte die Hand der Fürstin mit Küssen. – »Wollen Majestät mir vierzehn Tage Frist lassen?« fragte sie dann. »Da ich in Ungnade bin, wird es mir nicht leicht fallen, die 100 000 Taler aufzutreiben, die ich unbedingt haben muß, um Dampierre in empfangsfähigen Zustand zu setzen. Wenn man erfahren wird, daß ich das Geld brauche, um Eure Majestät zu bewirten, so werden mir gewiß alle Kassen offen stehen.«

»Wie?« fragte die Königin-Witwe. »Sie brauchen 100 000 Taler, um Ihr Landgut reparieren zu lassen? Aber, Herzogin, die will ich Ihnen leihen.« – »O, ich wagte nicht –« – »So wahr ich Königin bin. Es ist ja keine nennenswerte Summe. Ich schreibe Ihnen sogleich eine Anweisung auf Herrn Fouquet, er hat mich noch nie im Stich gelassen.«

Frau von Chevreuse hatte ihren Zweck erreicht: sie hatte aus ihren beiden Geheimnissen die Summe gezogen, mit der sie für den Rest ihres Lebens auszukommen hoffte, und auch Colbert hatte seinen Zweck erreicht, indem er dadurch, daß er Frau von Chevreuse mit einem Teil ihrer Forderung an Fouquet weisen ließ, dem Oberintendanten abermals eine Schlappe zufügte.

  1. Titel des Kronprinzen.

1. Kapitel. Porthos bei Hofe

Chevalier d’Artagnan hatte sich das Treiben in Fontainebleau zwei Tage lang mitangesehen, dann war er sich klar darüber geworden, daß dieser Mummenschanz nichts für seinen kriegerischen Gaumen sei. Fast alle Augenblicke wurde er von Leuten gefragt: »Chevalier, wie steht mir dieser Frack?« Und er antwortete dann mit grimmem Spott: »Prachtvoll! Sie sehen aus wie ein Affe vom Sankt-Lorenzmarkte.« – Und wenn ihn jemand fragte: »Chevalier, was werden Sie diesen Abend anziehen?« dann erwiderte er grimmig: »Ich werde mich ausziehen.« Worüber dann sogar die Damen lachen mußten. Als er sich überzeugt hatte, daß der König inmitten dieser Spiele Paris, Saint-Mandé und Belle-Ile vergessen zu haben schien, daß Colbert nur noch an Feuerwerk dachte, daß Fouquet sein Geld bereitwillig zu den unsinnigsten Albernheiten hergab, da trat er vor den König und bat »wegen Familienangelegenheiten« um Urlaub, der ihm auch alsbald bewilligt wurde. Er hauste nun wieder bei Planchet in der Lombardstraße. Aber Planchet wunderte sich darüber, daß er so verdrießlich war, daß er in der Nacht schlecht schlief und bei Tage zerstreut umherging, ohne Freude, ohne Teilnahme.

»Herr Chevalier,« sagte Planchet, »es fehlt Ihnen an Zeitvertreib. Gibt es nicht wieder einen König, dem man zum Throne verhelfen kann, nicht wieder einen General Monk, den man in einer Kiste übers Meer fahren kann?« – »Nein, Freund,« antwortete der Kapitän, »alle Könige sitzen auf ihren Thronen, zwar nicht so behaglich wie ich auf diesem Schemel, aber sie sitzen doch drauf.« – »Herr Chevalier, ich glaube, Sie werden mager,« sagte der Kaufmann. »Und das muß gerade in meinem Hause passieren. Das kann ich nicht dulden. Ich werde den Schurken aufsuchen, der an Ihrem Kummer schuld ist, und ich werde zu ihm sprechen: Herr d’Herblay, ich schneide Ihnen die Kehle ab!«

»Potzblitz!« rief der Chevalier, »was hat denn d’Herblay damit zu tun?« – »Er verursacht Ihnen schwere Träume!« antwortete Planchet. »Seit drei Nächten haben Sie Alpdrücken, und dann rufen Sie immer: Aramis, du Duckmäuser!« – »Rufe ich?« fragte d’Artagnan. »Träume sind Schäume. Ich interessiere mich eben immer noch für meine alten Freunde.« – »Schon recht, aber darüber darf man nicht mager werden,« versetzte der Handelsmann. »Machen Sie es wie ich; schaffen Sie sich Zerstreuung. Haben Sie nicht bemerkt, daß ich mich zu gewissen Zeiten entferne?« – »Ja. Am 15. und 30. jedes Monats.« – »Und zu welchem Zwecke? Was meinen Sie wohl?« – »Ei, in Geschäftssachen. Ich denke mir, du kaufst Reis, Zucker, Pflaumen, Sirup und so weiter. Ich wundere mich gar nicht mehr, daß du ein Krämer geworden bist. Dieser Beruf bringt viel Abwechslung und versüßt das Leben im buchstäblichen Sinne.« – »Sie irren sich,« schmunzelte Planchet, »Einkäufe stecken nicht dahinter. Nein, ich gehe dann immer auf mein Landhaus.« – »Was? Du hast ein Landhaus?« – »In Fontainebleau, ja.« – »Da komme ich ja her.« – »Ja, und nun sollen Sie mit mir wieder hin. Es ist sehr hübsch auf meinem Landhause. Sie werden sich amüsieren, ich gebe Ihnen mein Wort darauf.« – »Du bist ein toller Kerl, Planchet,« rief d’Artagnan, »ich bin doch nun schon viele, viele Jahre mit dir bekannt, und doch kenne ich dich noch nicht. Wie ich schon damals sagte, als du in Boulogne den Schurken Lubin, den Kammerdiener von Wardes‘ um ein Haar erwürgtest, du bist unerschöpflich an gescheiten Einfällen. Schön, ich komme mit!«

Aber als d’Artagnan sich auf seinem Zimmer befand, dachte er schon nicht mehr an die Zerstreuung, die Planchet für ihn im Sinne hatte, sondern seine Gedanken weilten abermals bei jenen Rätseln, die ihm in der letzten Zeit so sehr viel Kopfzerbrechen gemacht hatten. Wenn Planchet in dieser Nacht an der Tür des Chevaliers gehorcht hätte, wäre er von neuem auf den Herrn d’Herblay böse geworden; denn der Musketier träumte abermals von ihm, und als er am Morgen erwachte, wiederholte er sich: »Diese drei Rätsel lassen mir nun einmal keine Ruhe; ich muß sie ergründen. Erstens: Was hat Aramis mit Baisemeaux zu tun? Zweitens: Warum läßt Aramis gar nichts von sich hören? Drittens: Wo steckt Porthos? Da meine Freunde sich im verborgenen halten, so muß ich all meinen Scharfsinn anwenden.«

Am folgenden Morgen begab er sich zunächst in die Bastille, um Herrn Baisemeaux einen Besuch zu machen und ihn ein wenig auszuhorchen. Aber der Gouverneur der Bastille war kalt und undurchdringlich wie die Mauern seiner Kerker: es war nichts aus ihm herauszubringen. Als d’Artagnans Fragen ihm lästig wurden, entfernte er sich mit dem Vorwand, sich seinen Gefangenen widmen zu müssen, und blieb so lange weg, daß der Chevalier die Geduld verlor und die Bastille verließ, ohne Baisemeaux‘ Rückkehr abzuwarten. Da er sich sagte, Baisemeaux würde nichts Eiligeres zu tun haben, als Aramis von seinem – d’Artagnans – Besuch Nachricht zu geben, so wartete er in der Nähe des Gefängnistors, ob ein Bote erscheinen würde. Er irrte sich nicht. Nach einer Stunde etwa erschien ein Soldat, der einen Brief im Gürtel trug und sogleich die Richtung nach der Vorstadt Saint-Antoine einschlug. Ohne Frage betraf dieser Brief ihn, den Kapitän der Musketiere. Aber wie sollte er ihn in die Hände bekommen?

Während er noch darüber nachsann, kam ihm der Zufall zu Hilfe. Zwei Schutzleute erschienen, die einen anscheinend den besseren Kreisen angehörenden Mann zwischen sich führten. Als der Verhaftete den Soldaten erblickte, rief er ihn um Hilfe an, stürzte auf ihn zu und klammerte sich an ihm fest. Sofort sammelte sich eine Menge Volkes an, die teils für die Schutzleute, teils für den Gefangenen Partei ergriff. D’Artagnan zauderte nicht, sich die entstehende Verwirrung zunutze zu machen, trat von hinten an den Soldaten heran und entriß ihm den Brief. Dann eilte er in den nächsten Hausflur, öffnete das Schreiben, ohne das Siegel zu verletzen, und las folgendes: »An Herrn du Vallon, bei Herrn Fouquet in Saint-Mandé. – Lieber Herr Baron, lassen Sie Herrn d’Herblay wissen, Er sei dagewesen und habe versucht, auf den Strauch zu klopfen. Ihr ergebener Baisemeaux.« – »So!« sagte d’Artagnan, »nun weiß ich Bescheid, und nun brauche ich den Brief nicht mehr. Der arme Soldat soll meinetwegen nicht in die Patsche kommen.« Er trat auf die Straße und ließ das Papier fallen.

Der Streit war inzwischen zugunsten der Schutzleute entschieden worden, die ihren Häftling weiterführten. Der Soldat ging wieder seines Weges. Nach einigen Schritten fiel es ihm ein, an seinen Gurt zu fühlen, ob er auch seinen Brief noch bei sich habe, und als er merkte, daß er ihn verloren, sah er erschrocken ringsumher. Zu seiner Freude lag das Schreiben nicht weit von ihm auf dem Pflaster. Er hob es auf, wischte den Staub davon ab, betrachtete es, entdeckte, daß es geöffnet worden war, schien sich darüber aber keine Gedanken weiter zu machen, steckte es wieder in den Gürtel und ging weiter.

D’Artagnan folgte ihm in einiger Entfernung. Es war seine Absicht, eine Viertelstunde nach Ablieferung des Briefes bei Porthos zu erscheinen.

Der Türhüter machte Schwierigkeiten, doch als der Chevalier seinen Titel, »Generalkapitän der königlichen Musketiere«, nannte, siegte bei dem Lakai der Respekt des ehemaligen Soldaten über die Bedenklichkeit des gewissenhaften Dieners, und er ließ den Chevalier eintreten. Man wies ihn in einen entlegenen Teil des Palastes, und auf dem Wege dorthin hatte der Kapitän Gelegenheit, die wahrhaft königliche Einrichtung dieses Hauses zu bewundern. Es war ihm, als sei er in einem Feenschlosse, und der Gedanke, daß Porthos in einem solchen Eden wohne, flößte ihm eine höhere Meinung von seinem ehemaligen Waffenbruder ein; man sieht, selbst große Geister lassen sich von äußeren Eindrücken beherrschen.

D’Artagnan wurde in einen Salon geführt und brauchte nicht lange zu warten. Gleich darauf dröhnte der Boden des Nebenzimmers unter den wohlbekannten Tritten, die Tür wurde aufgestoßen, und Porthos, der Riese, warf sich mit einer gewissen Verlegenheit, die ihn ganz gut kleidete, in die Arme seines Freundes.

»Sie hier?« rief er. – »Und Sie hier?« antwortete der Gaskogner, »o, Sie Heimlichtuer!« – »Ja, Sie Wundern sich, mich in Herrn Fouquets Hause zu finden, nicht wahr?« versetzte der Baron lächelnd. – »Keineswegs! Weshalb sollten Sie nicht ein Freund des Herrn Fouquet sein?« entgegnete der Chevalier. »Herr Fouquet hat ja viele Freunde, namentlich unter den geistreichen Leuten.« – Porthos war jedoch so bescheiden, das Kompliment nicht auf sich zu beziehen. – »Nun ja, Sie haben mich ja in Belle-Ile gesehen,« sagte er. »Es ist wahr, ich kenne Herrn Fouquet.« – »Sie haben unverantwortlich gegen mich gehandelt, lieber Freund,« erklärte der Chevalier. »Ich war in Belle-Ile, und Sie wissen, ich stehe in königlichen Diensten. Ahnten Sie denn nicht, daß der König den verdienstvollen Mann, der den Bau dieser allgemein gelobten Befestigungen leitete, kennen zu lernen wünscht, daß der König mich abgeschickt hatte, um zu ermitteln, wer dieser Mann sei?« – »Wie? deshalb hatte der König Sie abgeschickt? Wenn ich das gewußt hätte!« rief Porthos. – »Dann hätten Sie nicht von Vannes Reißaus genommen, nicht wahr?« – »Jawohl. Aber was dachten Sie denn, als Sie mich nicht mehr fanden?«

»Ich habe die Wahrheit erraten,« antwortete d’Artagnan. »Ich dachte mir, Fouquet wolle es geheim halten, daß er Belle-Ile befestigen lasse, weil er dem König damit eine Ueberraschung bereiten wollte. Der Beweis dafür ist: Fouquet hat dem König die Besitzung zum Geschenk gemacht. Ja, ich war selbst dabei, wie er es dem König anbot. Und er hat zu ihm gesagt: ›Ein guter Freund von mir hat den Bau der Befestigungen geleitet: Herr du Vallon, Baron von Bracieux und Pierrefonds.‹–›Schön,‹ antwortete der König, ›stellen Sie mir diesen Mann vor.‹« – »Das hat der König geantwortet?« rief Porthos. – »So wahr ich d’Artagnan heiße!« – »Aber warum hat man mich dann nicht vorgestellt?« rief der Riese. »Man hat wohl davon gesprochen, aber noch heute warte ich darauf.«

»O, warten Sie nur getrost, der Tag wird ja wohl noch kommen,« meinte der Gaskogner spöttisch. »Uebrigens habe ich gehört, daß Sie in den ersten Tagen nach Ihrer Ankunft –« – »Mich nicht recht bewegen konnte, ja, das stimmt,« fiel Porthos ein. – »Wie? Sie konnten sich nicht bewegen? weshalb das?« fragte der Chevalier lächelnd. – »Nun ja,« versetzte Porthos, der nun einsah, daß er eine Dummheit gesagt hatte, »ich war auf schlechten Pferden hierher geritten.« – »Das dachte ich mir,« erwiderte d’Artagnan, »denn ich ritt hinter Ihnen her und fand sieben oder acht totgerittene Pferde auf der Landstraße.« –»Sie wissen, ich bin sehr schwer,« sagte Porthos. »Der Ritt hat mich kaputt gemacht. Nun, Fouquet schickte mir seinen Arzt, und ich war bald wieder wohl. Als ich mich das erste Mal wieder ankleidete, waren mir Hosen und Wams zuweit geworden. Stellen Sie sich mein Entsetzen vor!«

»Inzwischen hat sich dieser Schaden wieder ausgeglichen, wie ich sehe,« sagte der Chevalier. »Sie amüsieren sich jedenfalls in Gesellschaft unsers Freundes Aramis hier ausgezeichnet.« – »Aramis ist nicht hier, sondern in Fontainebleau,« entgegnete du Vallon. – »Aramis in Fontainebleau? Dort ist ja Fouquet auch. Armer Porthos,« sagte der Gaskogner, »dort wird niemand an Sie denken, denn man hat in Fontainebleau jetzt nur für Tanzmusik und Gelage Sinn. Aramis, lassen Sie sich das sagen, will die Früchte Ihrer Arbeit allein einheimsen. Er gibt sich als Ingenieur von Belle-Ile aus und sagt, Sie seien dort weiter nichts gewesen als Handwerker, als Maurermeister, als Taglöhner. Aber ich will ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Ich selbst werde Sie jetzt dem König vorstellen. Ich bin bei Hofe noch besser gelitten als Aramis, ja ich bin der vertraute Freund des Königs. Kommen Sie mit!«

»Aber Aramis wird mir böse sein –« – »Bah, ob Sie von ihm oder von mir vorgestellt werden, das ist doch gleichgültig. Hauptsache ist, daß Sie Ihren Zweck erreichen.« – »Ja, aber was wird Fouquet sagen, wenn ich sein Haus verlasse?« – »Sind Sie denn Gefangener, daß Sie gar nicht ausgehen?« – »Das nicht, aber ich hatte Herrn Fouquet versprochen, nicht ohne sein Einvernehmen sein Haus zu verlassen.« – »Nun, wechseln Sie nicht Briefe mit Aramis?« fragte d’Artagnan. – »Ja, ich schicke ihm Briefe.« – »Weshalb wollen Sie sie ihm nicht mal persönlich überbringen? Haben Sie jetzt solche Briefe?« – »Eben habe ich einen bekommen. Ich weiß nicht, ob er von Bedeutung ist, denn ich lese das Zeug nicht.« – »Nun, so haben Sie ja gleich eine Gelegenheit. Fahren Sie nach Fontainebleau, geben Sie Aramis den Wisch, und da der König in Fontainebleau ist, so werde ich Sie vorstellen.«

»Doch das Versprechen, das ich Fouquet gegeben?« wandte der Baron ein. – »Was denn? Fouquet ist ebenfalls in Fontainebleau, und Sie werden Ihr Versprechen, sich nicht aus dem Hause zu entfernen, ohne es ihm mitzuteilen, dadurch erfüllen, daß Sie vor ihn hintreten mit den Worten: Herr Fouquet, ich habe die Ehre, Ihnen bekannt zu geben, daß ich Saint-Mandé verlassen habe.« – »Und wenn er mich beim König sieht,« setzte Porthos hinzu, sich in die Brust werfend, »dann wird er mir keine Vorwürfe zu machen wagen.«

»Das wollte ich eben auch sagen, Porthos,« sagte d’Artagnan. »Aber Ihr Scharfsinn kommt mir in allem zuvor. Sie sind eben eine reich begabte Natur, an der die Jahre spurlos vorübergegangen sind. Es bleibt also dabei, Sie kommen mit nach Fontainebleau.«

»Es trifft sich gut, Fouquet hat mir zwei Pferde geschenkt,« sagte Porthos. – »Die lassen Sie lieber hier,« antwortete der Gaskogner. »Es ist vielleicht für später besser, Sie nehmen keine Geschenke von dem Oberintendanten an.« – Porthos ließ den Kopf hängen. »Lieber Freund,« sagte er, »das klingt, als wenn Politik im Spiele wäre, und Sie wissen, von der Politik lasse ich die Finger. Ich fürchte mich so sehr vor ihr, daß ich dann lieber doch nach Pierrefonds zurückkehre.«

»Sie würden recht haben, wenn es der Fall wäre,« versetzte d’Artagnan, »aber bei mir, lieber Porthos, ist von Politik nicht die Rede. Wer sich mit mir einläßt, erhält immer klaren Wein eingeschenkt. Sie haben an der Befestigung von Belle-Ile gearbeitet, der König wünscht den Baumeister kennen zu lernen, Sie sind bescheiden wie alle wahrhaft großen Männer, Aramis will Sie nicht vorstellen, um Ihr Licht unter den Scheffel zu stellen; also führe ich Sie beim König ein, damit Sie belohnt werden: das ist meine Politik.« – »Das kann die meinige auch sein,« antwortete Porthos mit Handschlag.

Als d’Artagnan mit seinem Freunde Fouquets Haus verließ, dachte er bei sich: »Porthos war Aramis‘ Gefangener; wir werden sehen, wie man seine Befreiung aufnimmt.«

Sie begaben sich zu Fuß in die Lombardstraße, und d’Artagnan führte den alten Waffenbruder zu Planchet, dem ehemaligen Kriegsgefährten. Der Handelsmann hatte noch dasselbe Herz wie früher; obgleich er nur noch inmitten von Waren lebte, war er dennoch keine Krämerseele geworden; trotz des herannahenden Alters hatte sein Gemüt sich jugendliche Frische bewahrt. Er empfing den Baron mit großer Herzlichkeit, obwohl er von seiner Seite für seine Warenvorräte viel zu fürchten hatte. Porthos interessierte sich sehr für Traubenrosinen, Mandeln und Haselnüsse und griff mit seinen großen Händen in die Säcke hinein, um sich den Mund wacker vollzustopfen. Die Nußschalen zersplitterten unter seinen mächtigen Zähnen, und der Fußboden war binnen kurzem mit Schalen bedeckt, die unter den Füßen der ein- und ausgehenden Kunden knackten. Dann löste er mit den Lippen die großen violetten Muskatrosinen mit solcher Gewandtheit von den Stengeln ab, daß er immer gleich ein halbes Pfund auf einmal verschlang. Das nannte Porthos die Bekanntschaft erneuern.

Die Ladenschwengel hatten sich vor dem Riesen respektvoll in eine Ecke verkrochen und starrten ihn aus gemessener Entfernung mit sehr geteilten Gefühlen an. Sie hatten einen Menschen wie Porthos noch nie gesehen. Das Geschlecht jener Titanen, die in den Rüstungen eines Hugo Capet, eines Franz I. gesteckt, war im Aussterben, und die engbrüstigen Handelsgehilfen fragten sich, ob dieser unheimliche Patron nicht der Werwolf aus dem Märchen sei, der nun den ganzen Laden des Herrn Planchet in seinen unersättlichen Magen schicken werde.

Während Porthos immerfort knackte, kaute und verschlang, sagte er von Zeit zu Zeit: »Sie haben da ein hübsches Geschäft, Herr Planchet.« – »Wir werden es bald zumachen können, wenn das so fort geht,« rief der erste Gehilfe in Heller Verzweiflung und ließ sich hinreißen, auf Porthos loszugehen, der vor einem Fasse gedörrter Aepfel stand. – »Was wünschten Sie, mein Freund?« fragte der Riese herablassend. – »Ich will ins andere Zimmer, bitte lassen Sie mich vorbei,« antwortete der Gehilfe. – »O, keine Umstände!« versetzte Porthos, hob den jungen Mann wie eine Puppe in die Höhe und setzte ihn jenseits des Fasses nieder. Dem Burschen schlotterten die Knie, und er fiel rücklings in eine Kiste voll geräucherter Heringe. Planchet machte gute Miene zum bösen Spiel, und als Porthos zur Abwechslung noch etwa ein halb Pfund Honig geschleckt und einen kleinen Eimer Wasser ausgetrunken hatte, fragte er den Kaufmann: »Wann wird bei Ihnen soupiert? Ich habe Appetit.« – »Wir nehmen nur einen kleinen Imbiß, denn wir reiten heute abend noch nach meinem Landhause,« antwortete Planchet. – »Ah, nach Ihrem Landhause?« rief Porthos, »da bin ich neugierig.« – »Sie erweisen mir zu viel Ehre, Herr Baron,« sagte Planchet.

Als die Ladendiener den unheimlichen Menschen, der doch immerhin kein Werwolf sein konnte, da man ihn »Herr Baron« titulierte, dem Laden den Rücken kehren sahen, atmeten sie auf und sagten: »Gott behüte deinen Ausgang und lasse dich nicht wiederkehren!«

Es war schon spät, als die drei Männer sich auf den Weg nach Fontainebleau machten. Sie legten die Strecke in der vergnügtesten Laune zurück. D’Artagnan beteiligte sich jedoch wenig an der Unterhaltung der beiden andern; er war in Gedanken versunken, und nur einmal sah er lachend auf, als der Baron, der in alter Freundschaft Planchet schon wieder mit Du anredete, dem guten Handelsmann, um seine Zufriedenheit auszudrücken, einen Schlag auf den Rücken gab, wobei das Pferd scheu wurde und mit einem gewaltigen Sprung vorwärts jagte.

»Sieh dich vor Planchet!« rief d’Artagnan, »wem Porthos allzu gut ist, den drückt er platt. Er ist immer noch stark wie ein Bär.« – »O, Mousqueton lebt auch noch, und der Herr Baron ist ihm doch sehr gut,« antwortete Planchet. – »Allerdings,« sagte Porthos mit einem Seufzer, »und ich habe Sehnsucht nach ihm.«

»Meine Herren, wir sind am Ziel,« rief Planchet und sprang aus dem Sattel. Man befand sich vor einem kleinen Häuschen an der Grenze der Ortschaft, hinter welchem man im Mondlicht die weißen Kreuze des Friedhofs schimmern sah. Planchet öffnete das Hoftor, und seine beiden Gefährten trieben ihre Pferde hinein, stiegen ab und folgten ihrem Wirt. Planchet rief einen alten Bauersmann herbei, der zur Besorgung der täglichen Wirtschaftsarbeiten angestellt war, übergab ihm die Pferde und führte seine Gäste in das Haus. Sie betraten ein kleines, gemütliches Zimmer, das durch eine Hängelampe erhellt wurde. Ihr Schein fiel auf ein schneeweißes Tischtuch und ließ die zwei sauberen Gedecke blitzen, die in Erwartung eines Besuchs zurechtgelegt waren. Hinter dem Tische saß in einem Lehnstuhl eine Frauensperson von etwa dreißig Jahren – eine dralle, runde Wirtschafterin mit rosigen Backen und kirschroten Lippen. Sie schlief und hatte eine schöngefleckte Katze auf dem Schoße.

»Ha, du Sybarit!« rief d’Artagnan, »jetzt begreife ich, weshalb du so oft von deinem Laden abwesend warst!«

»Bravo, Planchet, bravo!« fügte Porthos mit Donnerstimme hinzu. – Bei diesem Lärm setzte die Katze mit weitem Sprunge von ihrem warmen Plätzchen herab, und die Frau sprang auf, rieb sich die Augen und begrüßte die Herren mit einem freundlichen Lächeln. – »Erlauben Sie mir, Trudchen,« sagte Planchet, »Ihnen hier den Herrn Chevalier d’Artagnan und den Herrn Baron du Vallon, Bracieux und Pierrefonds vorzustellen.« – Porthos machte eine Verbeugung, mit der Anna von Oesterreich, die doch sehr viel auf Galanterie hielt, zufrieden gewesen wäre. D’Artagnan ergriff ihre Hand und verneigte sich mit ritterlichem Anstande. Planchet aber nahm sie in die Arme und gab ihr einen herzhaften Kuß.

»Das lasse ich mir gefallen,« sagte d’Artagnan, »Freund Planchet weiß sich das Leben zu verschönern.«

»Liebe Freundin,« sagte Planchet zu seiner Haushälterin, »ich habe Ihnen schon oft von diesen beiden Helden erzählt. Sorgen Sie dafür, daß sie hier bewirtet werden, wie es ihnen zukommt.« – »Es soll an nichts fehlen,« sagte die Frau mit merklich niederländischem Akzent. »Wo aber sind die beiden andern, die in Ihren Erzählungen die gleiche Rolle spielten wie diese zwei Herren?«

»Madame ist eine Holländerin?« fragte d’Artagnan. – »Ich bin aus Antwerpen,« erwiderte sie. – »Und sie heißt Frau Gechter,« setzte Planchet hinzu. – »Aber du nennst Madame nicht so?« – »Nein, ich nenne sie Trudchen.« – »Ein lieblicher Name!« – »Trudchen ist mit zweitausend Gulden aus Antwerpen hierhergekommen,« erklärte Planchet. »Sie war vor einem Haustyrannen geflüchtet, der sie mißhandelte. Da ich aus der Picardie bin, so habe ich die Artesierinnen immer gern gehabt. Von Artois nach Flandern ist ja nur ein Katzensprung. Sie suchte Schutz bei ihrem Vetter, meinem Vorgänger in der Lombardstraße und legte dann ihre zweitausend Gulden bei mir an. Ich habe das Geld arbeiten lassen so daß es inzwischen schon zehntausend Gulden geworden sind. Sie ist nun frei und vermögend, hat hier eine Kuh, eine Magd und den alten Bauer zur Dienerschaft, spinnt für mich Leinwand, strickt meine Strümpfe und sieht mich nur alle vierzehn Tage bei sich. Und dabei scheint sie sich sehr glücklich zu fühlen.«

»Ja, ich bin glücklich,« antwortete Trudchen lächelnd.

Porthos drehte in sehr verdächtiger Weise an seinem Schnurrbart herum. Trudchen schien ihm gar sehr zu gefallen. Die Haushälterin aber eilte hinweg und trieb ihre Magd und ihren Bauer an, so daß in erfreulich kurzer Zeit ein Souper hergestellt war, das selbst den anspruchsvollen Porthos befriedigte. Dazu gab es Wein aus Planchets Keller, der unerschöpflich schien wie sein Laden in Paris. Ueber den Flaschen erzählten die drei sich die Kriegsabenteuer längst vergangener Zeiten. In ziemlich schwüler Stimmung trennten sie sich schließlich, um zur Ruhe zu gehen.

Am andern Morgen sahen sie sich erst richtig um, guckten sich das Haus, den Garten und die Umgebung an und kamen dabei auch auf den Friedhof zu sprechen, den sie eben aus dem Fenster betrachteten, als der melancholische Gesang einer Beerdigung zu ihnen heraufscholl.

»Das ist nicht sehr heiter, Freund Planchet,« sagte d’Artagnan, »mich dünkt, du wirst hier sehr oft an die Vergänglichkeit alles Irdischen erinnert.« – »Das ist wahr,« antwortete Planchet, »aber es soll sehr gut sein, wenn der Mensch sich mit dem Gedanken an den Tod befreundet. Dies ist übrigens ein Begräbnis der niedrigsten Klasse,« setzte er hinzu, die Nase rümpfend. »Es ist nur der Chorknabe, der Meßner und ein Priester dabei. Wen tragen sie da zur Gruft, Trudchen?«

»Es soll ein armer Franziskaner-Mönch sein, der im Gasthause verstorben ist,« antwortete die Haushälterin. – »Es ist nicht der Mühe wert, sich das anzusehen,« meinte Planchet. – Allein d’Artagnan ging nicht vom Fenster weg, sondern sah mit großem Interesse zu.

Hinter der Bahre, die zwei Männer trugen, schritt ein einzelner Mann, in einen Mantel gehüllt, den er sich über das Gesicht gezogen hatte, als wünschte er von den Trägern und dem Totengräber nicht gesehen zu werden. Das Grab wurde zugeschüttet, die Leute zerstreuten sich, der Vermummte ließ sie gehen und warf dann die Kapuze zurück.

»Potzblitz!« rief d’Artagnan, »das ist ja Aramis!«

Er hatte recht gesehen. Es war der Bischof von Vannes, der dem toten Jesuiten-General die letzte Ehre erwiesen hatte. Er blieb stehen und sah sich um, da erschien eine Frau, die er mit Ehrerbietung begrüßte. – »Merkwürdig!« rief d’Artagnan, »der Herr Prälat trifft sich heimlich mit Damen. Er ist doch noch immer der Alte.« – Er lachte.

Aramis führte die Dame an eine Stelle, wo Kastanien und Trauerweiden dichte Schatten gaben, und unterhielt sich hier etwa eine halbe Stunde lang mit ihr. Dann verneigte sich die Dame sehr tief vor Aramis und entfernte sich. Aramis ging nach der entgegengesetzten Seite fort.

Der Gaskogner zauderte nicht, seine Neugierde ließ ihm keine Ruhe. Er eilte auf die Straße hinunter und lief hinter der Frau her, deren Gesicht er bis jetzt noch nicht hatte sehen können. Sie schritt, das Haupt senkend, langsam auf eine Kutsche zu, die am Saume des Waldes hielt. D’Artagnan stampfte mit Riesenschritten hinter ihr drein. Sie fürchtete wohl verfolgt zu werden und sah sich plötzlich um. D’Artagnan erschrak und blieb so jäh stehen, als hätte er eine Ladung Schrot in die Waden bekommen.

»Frau von Chevreuse!« 8 rief er. Dann machte er schnell kehrt, um nicht von ihr gesehen zu werden.

Unterwegs blieb er noch einmal stehen. »Und das soll ein armer Franziskaner gewesen sein, den sie da beerdigt haben,« dachte er bei sich. »Nein, dem hätte ein Aramis nicht das Geleit gegeben. Dahinter steckt mehr.«

*

Am folgenden Abend war im Schlosse große Audienz für die Deputierten der Provinzen und dann für die sonst noch neu vorzustellenden Personen. In einem Winkel des großen Empfangssaals saßen d’Artagnan und Porthos und warteten geduldig, bis die Reihe an sie käme. Der Chevalier stieß den Baron an. »Sehen Sie da!« flüsterte er, »Fouquet kommt mit Aramis, den er dem König vorstellen will, und als was? Als Ingenieur von Belle-Ile. Und Sie hat man in Saint-Mandé sitzen lassen, und wäre ich nicht gekommen, säßen Sie noch dort!« – Porthos seufzte tief auf.

Fouquet wendete sich an den König. »Sire,« sagte er, »ich habe Sie um eine Gnade zu bitten. Chevalier d’Herblay, der Bischof von Vannes, ist nicht ehrgeizig, aber er wünscht, Eurer Majestät zu nützen. Majestät brauchen jetzt gerade einen Agenten in Rom. Niemand eignet sich besser dazu als d’Herblay. Wir können ihm den Kardinalshut verschaffen.« – Der König runzelte die Stirn. – Fouquet sah dies und fügte hinzu: »Ich komme nicht oft mit einer Bitte, Sire.« – »Das ist eine Sache, über die ich nicht zu entscheiden habe,« antwortete der König. Das waren immer seine Worte, wenn er etwas von sich abwälzen wollte. – Fouquet konnte hierauf nicht antworten und sah Aramis an.

»Herr d’Herblay,« sagte der König, »kann uns ja auch in Frankreich dienstbar sein und viel nützen – zum Beispiel als Erzbischof.« – »Majestät überhäufen Herrn d’Herblay mit Huld,« erwiderte Fouquet mit der ihm eigenen Geschmeidigkeit. »Das Erzbistum kann ein Zusatz zum Kardinalshut sein; das eine braucht das andere nicht auszuschließen.«

Der König lächelte. »Hm,« meinte er, »gut gesagt! Selbst d’Artagnan würde nicht besser geantwortet haben.«

Der Kapitän sprang auf und trat rasch näher, seinen Freund mit sich ziehend. – »Majestät haben mich gerufen?« fragte er. – Aramis und Fouquet traten einen Schritt zurück. – »Erlauben Eure Majestät,« sagte d’Artagnan, ehe noch der König antworten konnte, »daß ich Ihnen Herrn Baron du Vallon, Bracieux und Pierrefonds vorstelle, einen der tapfersten Edelleute Frankreichs.« – Aramis erblaßte, als er Porthos sah; Fouquet ballte die Fäuste unter den Spitzenmanschetten. – D’Artagnan lächelte beide an, während Porthos sich verneigte.

»Porthos hier!« murmelte der Oberintendant. – »Still, da ist Verräterei im Spiele!« antwortete Aramis leise.

»Majestät,« fuhr der Gaskogner fort, »schon vor sechs Jahren hätte ich Ihnen den Baron du Vallon vorstellen sollen; aber manche Menschen gleichen gewissen Sternen, die nur nebeneinander zu leuchten vermögen. Das Plejadengestirn kann sich nicht auflösen, und deshalb nahm ich mir vor, den Baron du Vallon Eurer Majestät in dem Augenblick vorzuführen, wo Sie Herrn d’Herblay an seiner Seite sehen würden.« – »Wie? diese beiden Herren sind befreundet?« fragte der König verwundert. – »Sogar sehr befreundet, einer steht für den andern. Fragen Sie nur den Herrn Bischof von Vannes, wie Belle-Ile befestigt worden ist.« – Fouquet stutzte, doch Aramis antwortete rasch: »Belle-Ile ist von dem Herrn Baron befestigt worden.«

Ludwig sah schweigend von einem zum andern; die ganze Sache schien ihm nicht recht geheuer vorzukommen.

»Jawohl, Majestät,« bestätigte der Gaskogner, »aber fragen Sie nur auch den Baron, wer ihm bei diesen Arbeiten geholfen hat.« – »Aramis!« platzte Porthos heraus.

Nun machte Ludwig große Augen. »Wie?« rief er, »Herr d’Herblay, der Bischof von Vannes, heißt Aramis?« – »Es ist sein Spitzname aus den Tagen, da er noch Krieger war.« – »Ein Name, der im Freundeskreise üblich war,« setzte Aramis hinzu. – »Nur keine falsche Bescheidenheit!« rief der Kapitän der Musketiere. »In diesem Priester, Majestät, vereinen sich der brillanteste Offizier, der unerschrockenste Krieger und der gelehrteste Theologe Ihres Reiches.« – »Und ein Ingenieur,« setzte Ludwig hinzu, mit einem staunenden Blick auf Aramis.

»Gelegentlich auch Ingenieur,« antwortete d’Herblay, sich verneigend. – »Majestät, mein Waffenbruder bei den Musketieren,« fuhr d’Artagnan fort, »der Mann, dessen treffliche Ratschläge hundertmal die Minister Ihres Vaters aus den größten Schwierigkeiten retteten, das ist kein anderer als dieser Chevalier d’Herblay, der Bischof von Vannes. Und dieser Chevalier d’Herblay bildete mit dem Baron du Vallon, mit dem Grafen de la Fère und mit mir jenes vierblättrige Kleeblatt, das unter der Regierung Ihres hochseligen Vaters soviel von sich reden machte.«

»Und eben dieser d’Herblay,« sagte der König mit eigentümlicher Betonung, »hat jetzt Belle-Ile befestigt.«

»Um dem Sohn zu dienen, wie er dem Vater gedient hat.« – D’Artagnan sah Aramis durchdringend an, und selbst er ließ sich durch den warmen Ton aufrichtiger Ehrfurcht täuschen, den der Prälat in seine Worte legte. – »So spricht kein Lügner,« dachte er bei sich. Und auch König Ludwig war überzeugt, der Bischof spreche die Wahrheit. – »In diesem Falle,« sagte er zu Fouquet, »bewillige ich den Kardinalshut. Wir werden bei der nächsten Ernennung an Sie denken, Herr d’Herblay. Bedanken Sie sich bei Herrn Fouquet. Und Sie, Herr Baron du Vallon, was haben Sie auf dem Herzen? Auch einen Wunsch? Sprechen Sie! Ich belohne gern die treuen Diener meines Vaters!«

»Sire,« stammelte Porthos. – »Majestät,« rief d’Artagnan, seinem Freunde zu Hilfe kommend, »dieser tapfere Degen, der im Feuer von tausend Feinden wacker ausgehalten hat, ist durch die Gegenwart Ihrer erhabenen Person ein wenig aus der Fassung gebracht. Aber ich weiß, was er wünscht: ihn verlangt nur danach, Eure Majestät eine Viertelstunde lang betrachten zu dürfen.«

»Sie speisen heute abend bei mir,« sagte der König zu Porthos, und der Riese wurde kirschrot vor Freude. Darauf waren der Chevalier und der Baron entlassen. – »Aramis wird böse auf mich sein,« murmelte Porthos im Fortgehen. – »Er war Ihnen noch nie so gut, wie jetzt,« entgegnete d’Artagnan, »haben wir ihm doch zum Kardinalshut verholfen.« – »Das ist wahr,« meinte der Baron. »Sagen Sie, sieht der König es gern, wenn man an seiner Tafel viel ißt?« – »Das freut ihn sehr, denn er hat selber einen echt königlichen Appetit,« antwortete der Kapitän.

Auf dem Korridor trat Aramis zu ihnen. »Sie sind aus meinem Gefängnis entschlüpft?« sagte er zu Porthos, ihm die Hand drückend. – »Seien Sie ihm nicht gram, Freund,« antwortete d’Artagnan, »ich habe ihn entführt. Ihr geistlichen Herren seid sehr politisch, wir Kriegsmänner aber gehen immer gerade auf das Ziel los. Hören Sie also, wie es gekommen ist. Ich bin mal wieder zu meinem lieben Freunde Baisemeaux gegangen –« – »Da fällt mir ein,« rief Porthos dazwischen, »ich habe ja einen Brief von Baisemeaux an Aramis.« Und er überreichte ihn. Der Prälat öffnete das Schreiben und las es, ohne daß d’Artagnan, der ihm dabei zusah, die geringste Verlegenheit gezeigt hätte. Aramis selbst wußte sich so vortrefflich zu beherrschen, daß der Chevalier ihn aufs neue bewundern mußte.

»So? Sie haben also Baisemeaux besucht?« fragte der Bischof und steckte den Brief mit der größten Ruhe in die Tasche. – »Ja, dienstlich,« antwortete d’Artagnan, »und natürlich sprachen wir von unsern beiderseitigen Freunden. Ich muß sagen, Baisemeaux empfing mich kalt, so daß ich bald gegangen bin. Auf der Straße trat ein Soldat zu mir, der mich ohne Frage an der Uniform erkannte, und bat mich, ihm die Adresse eines Briefes vorzulesen, den er zu bestellen hatte. Der Bursche konnte selbst nicht lesen und hatte vergessen wo der Empfänger wohnte. Da las ich denn: An Herrn Baron du Vallon, bei Herrn Fouquet in Saint-Mandé. Halt, dachte ich da, ich will Porthos mal besuchen.« – »Und nun führten Sie ihn nach Fontainebleau?« – »Ja, in Planchets Häuschen.« – »Wie? Planchet wohnt in Fontainebleau?« fragte Aramis erstaunt. – »Ja, dicht beim Friedhof,« platzte Porthos heraus.

»Beim Friedhofe?« fragte Aramis argwöhnisch.– »Jawohl,« antwortete Porthos, »aber trotzdem ist’s sehr gemütlich bei ihm. Man braucht ja nicht hinzugucken, wenn solch eine trübselige Beerdigung stattfindet wie heute morgen –« – »Heute morgen?« wiederholte Aramis mit wachsender Unruhe. – D’Artagnan pfiff leise vor sich hin. – »Ah, es wurde ein armer Mann begraben,« sagte Porthos, »ich habe nicht hingeschaut, aber d’Artagnan scheint so etwas sehr gern zu sehen.«

Aramis erschrak und wendete sich zu dem Musketier, der aber bereits ein Gespräch mit Saint-Aignan angeknüpft hatte. D’Herblay fragte nun du Vallon noch weiter aus, und als er aus der riesigen Zitrone allen Saft ausgepreßt hatte, warf er die Schale weg. Er trat zu dem Gaskogner. »Auf ein Wort, lieber Freund. Sie haben doch noch fünf Minuten für mich übrig?« – »Zwanzig noch, denn solange wird es dauern, bis Majestät zu Tische geht.« – Sie setzten sich abseits auf eine Bank, und Aramis ergriff d’Artagnans Hand.

»Gestehen Sie, Freund, Sie haben Porthos eingeredet, mir sei nicht recht zu trauen,« begann der Bischof.

»Das gestehe ich – aber es war anders gemeint. Ich sah, Porthos langweilte sich, und beschloß, ihn dem König vorzustellen und damit etwas zu tun, was Sie selbst nie tun werden.« – »Das wäre?« – »Sie zu loben.« – »Das haben Sie allerdings getan,« antwortete Aramis mit seltsamem Lächeln. »Ich danke Ihnen.« – »Und den Kardinalshut, der schon in weiter Ferne zu entschwinden drohte, habe ich Ihnen wieder nähergebracht.« – »Ich muß gestehen,« sagte Aramis, »Sie verstehen es, Ihren Freunden zu helfen. Doch lassen Sie uns aufrichtig zu einander sein, aufrichtig und offen. Nicht wahr, Sie kamen im Auftrag des Königs nach Belle-Ile?« – »Selbstverständlich!« – »Sie wollten uns also die Freude rauben, dem König Belle-Ile in vollständig befestigtem Zustande anzubieten?« – »Um Ihnen diese Freude zu rauben, hätte ich doch erst um Ihre Absicht wissen müssen.« – »Und Sie haben nichts gewußt?« – »Jedenfalls nichts davon, daß Sie Ingenieur geworden seien und Festungen bauten. Und ebensowenig konnte ich ahnen, daß Porthos Baumeister geworden ist.«

»Als Sie dann aber hinter unser Geheimnis gekommen waren, hatten Sie nichts Eiligeres zu tun, als es dem König zu hinterbringen,« sagte d’Herblay. – »Sie hatten es jedenfalls noch eiliger,« antwortete d’Artagnan. »Wenn ein Mann von drei Zentnern auf Kurierpferden reist, wenn ein von der Gicht und der Steinplage befallener Prälat mehrere Pferde zu Tode jagt, so mußte ich doch wohl annehmen, daß diese zwei Freunde, die mir kein Wort von ihrer Abreise gesagt haben, höchst wichtige Dinge vor mir zu verbergen hätten. Da bin ich natürlich so schnell gereist, wie mir meine Magerkeit und meine gichtfreien Glieder erlaubten.«

»Lieber Freund, kam es Ihnen denn gar nicht in den Sinn, daß Sie damit mir und Porthos einen schlechten Streich spielen konnten?« – »Das schon, aber es kam mir auch in den Sinn, daß ich Ihnen und Porthos gegenüber auf Belle-Ile eine traurige Rolle gespielt habe.« – »Verzeihen Sie mir!« sagte Aramis. – »Und Sie mir,« sagte D’Artagnan.

»Und nun wissen Sie, daß ich sofort Herrn Fouquet in Kenntnis setzte, damit er Ihnen bei Seiner Majestät zuvorkommen konnte,« fuhr Aramis fort. – »Das Warum ist mir nicht recht klar,« antwortete der Gaskogner.

»Mein Gott, Herr Fouquet hat viele Feinde, und besonders einen, der ihm mehr als alle andern gefährlich ist. Um diesem Feinde die Spitze zu bieten, mußte Fouquet dem König ein großes Opfer bringen, und er hatte sich’s vorgenommen, Majestät eine große Überraschung zu bereiten, indem er ihm das fertig befestigte Belle-Ile zum Geschenk machte. Wenn Sie nun früher nach Paris gekommen wären, hätten Sie ihm die Freude verdorben. Denn hinterher hätte es so ausgesehen, als wenn er’s aus Furcht täte. Und das ist das ganze Geheimnis.«

»Da wäre es aber doch weit einfacher gewesen, mich auf Belle-Ile ins Vertrauen zu ziehen. Sie hätten doch bloß zu sagen brauchen: ›Lieber Freund, wir befestigen die Insel, um sie dem König zu schenken. Sagen Sie uns, wessen Freund Sie sind, ob Fouquets oder Colberts.‹ – Vielleicht hätte ich geschwiegen. Wenn Sie mich aber weitergefragt hätten: ›Sind Sie mein Freund?‹ so würde ich Ja geantwortet haben. Ich hätte dann zum König gesagt: ›Herr Fouquet macht eine starke Festung aus einer Insel, aber man hat mir diese Zeilen für Eure Majestät mitgegeben.‹ Dann wäre Ihr Geheimnis gewahrt geblieben, und ich hätte nicht die Rolle eines Einfaltspinsels gespielt. Dann brauchten wir uns auch jetzt nicht mit scheelen Blicken anzusehen.«

»Sie haben jedenfalls auch von Porthos erfahren,« fragte Aramis, sich auf die Lippe beißend, »wie es kam daß Porthos hinzugezogen wurde?« – »Nein,« antwortete d’Artagnan. »So neugierig ich bin, ich bin nie zudringlich, wenn ich merke, daß man etwas vor mir geheimhalten will.« – »Nun, ich will es Ihnen sagen.« – »Es lohnt nicht, sofern diese Mitteilung mich zu irgendetwas verpflichten soll.« – »Seien Sie unbesorgt,« antwortete d’Herblay. »Ich bin Porthos immer gut gewesen, er ist so aufrichtig und wahrhaftig, und ich hasse ja auch alle Falschheit und Intrige. So ließ ich ihn nun nach Vannes kommen, und Herr Fouquet, mein Gönner und Freund, fand Gefallen an ihm. Das ist das ganze Geheimnis. Und nun – wollen nicht auch Sie Fouquets Freund werden? Wollen Sie Marschall von Frankreich, Pair und Herzog werden, Besitzer eines Herzogtums, das eine Million wert ist?«

»Lieber Freund, was muß ich tun, um dies alles zu werden?« erwiderte d’Artagnan. – »Den Interessen Fouquets dienen.« – »Ich diene dem König.« – »Aber doch nicht ausschließlich?« – »Freund, wohl wünsche ich Marschall von Frankreich, Pair und Herzog zu werden, aber dazu wird mich der König machen.« – Aramis sah den Musketier scharf an. »Lieber Freund,« sagte er, »Könige sind undankbar, und wenn Ludwig Sie mal nicht mehr braucht –« – »Er wird mich einstweilen noch lange brauchen,« versetzte der Kapitän. »Sehen Sie, lieber Freund, wenn mal ein neuer Prinz von Condé zu verhaften ist, wer soll ihn verhaften? wer kann ihn verhaften? Dieses hier – sonst nichts in ganz Frankreich!« und bei diesen Worten schlug er stolz an sein Schwert.

»Da haben Sie recht,« sagte Aramis und erblaßte.

»Man ruft zum Souper,« sprach d’Artagnan. »Sie entschuldigen –« – »Ein Freund, wie Sie,« rief Aramis, »ist der schönste Edelstein der Krone.« Und sie trennten sich. »Ich dachte mir’s wohl,« sagte d’Artagnan zu sich selbst, »daß etwas dahinter steckt.« – »Die Mine muß in Brand gesetzt werden,« dachte d’Herblay, »d’Artagnan hat Lunte gerochen.«

  1. Man lese in dem Roman »Zwanzig Jahre nachher« das 10. Kapitel des 2. Teils. Herzogin von Chevreuse (vergleiche auch die Einleitung) ist die frühere Marie Michon und infolge eines pikanten Abenteuers Mutter des Grafen Rudolf von Bragelonne.

2. Kapitel. Madame und Graf von Guiche

Graf von Guiche lehnte in einer Nische, als ein Lakai der Herzogin von Orléans zu ihm trat. »Königliche Hoheit hat nach Ihnen gefragt, Herr Graf. Ist es Ihnen möglich, zu Madame zu kommen?« – »Ich stehe zu Ihrer königlichen Hoheit Befehl.« – »So belieben Sie mir zu folgen.« – Guiche trat bei Henriette ein und fand sie bleich und aufgeregt. – »Ah, Sie sind es, Herr Graf!« rief sie ihm entgegen. »Seien Sie willkommen. Fräulein von Montalais, Ihr Dienst ist zu Ende.« – Die Prinzessin blieb mit Guiche allein. – »Sagen Sie, Graf, finden Sie die Geschichte mit den Armbändern nicht sehr sonderbar? Glauben Sie an eine aufrichtige Liebe des Königs?« – Guiche sah sie lange an; sein Blick drang in ihr Herz; sie schlug die Augen nieder. – »Ich glaube, der König hat dabei nur die Absicht, jemand zu quälen,« antwortete er. »Sonst würde er es wohl kaum darauf ankommen lasten, ein junges Mädchen von tadellosem Rufe leichtsinnig zu kompromittieren.« – »O, die Schamlose!« rief Henriette außer sich. – »Hoheit,« entgegnete Guiche ehrfurchtsvoll, aber entschieden, »erlauben Sie mir zu erwidern, Fräulein von Lavallière wird von einem Manne geliebt, den man als Ehrenmann achten muß.« – »Bragelonne wohl, wie?« – »Mein Freund, ja, Madame.« – »Was kümmert’s den König, ob er ihr Freund ist?« – »Der König weiß um Bragelonnes Verlöbnis mit Fräulein von Lavallière; und da Rudolf sich im Dienst ausgezeichnet hat, wird Seine Majestät kein Unglück verursachen, das nicht wieder gutzumachen wäre.« – Madame antwortete mit einem Lachen, das den Grafen schmerzlich berührte. – »Ich wiederhole, Madame, ich glaube nicht, daß der König die Lavallière wirklich liebt. Ich möchte Sie fragen, wem der König damit einen Schabernack spielen will. Eure Hoheit wissen das vielleicht, denn es geht das Gerücht, Sie seien sehr intim mit dem König.« – Madame biß sich auf die Lippen, schien jedoch Guiches Worte zu überhören und sagte, wie zu sich selbst: »Wenn ich an die Armbänder denke, so könnte ich den Verstand verlieren.« – »Hoheit glaubten, der König würde sie Ihnen schenken?« fragte Guiche. – »Warum nicht?« – »Aber Hoheit sind nur des Königs Schwägerin – da wäre doch vor Ihnen erst die Königin selbst gekommen.« – »Und vor der Lavallière,« versetzte die Herzogin gekränkt, »kam ich – kam der gesamte Hof –« – »Wenn man Sie so reden hört, Madame, wenn man Ihre geröteten Augen und diese Träne sieht, die an Ihrer Wimper zittert, dann könnte man wirklich glauben. Königliche Hoheit wären eifersüchtig.«

»Eifersüchtig,« rief die Prinzessin stolz, »auf eine Lavallière?« – Sie erwartete, daß ihr hochfahrender Ton den Grafen überzeugen würde; er aber wiederholte fest und ruhig: »Jawohl, Madame, eifersüchtig auf die Lavallière.« – »Ich glaube, Herr Graf, Sie wollen mich insultieren?« rief sie. – »Ich glaube nicht, Madame,« erwiderte der Graf ein wenig gereizt. – »Gehen Sie!« herrschte sie ihn an, erbittert über seine Kaltblütigkeit.

Der Graf erhob sich, erblaßte, machte aber mit Ruhe seine Verbeugung und schickte sich an zu gehen. »Es war nicht der Mühe wert, mich rufen zu lasten, wenn Sie weiter nichts von mir wollen,« sagte er. – Doch er war kaum fünf Schritte gegangen, als Madame hinter ihm herstürzte, ihn beim Arme faßte und ungestüm zurückzog. »Ihre erheuchelte Ehrerbietung,« stieß sie zitternd hervor, »ist noch beleidigender als die Beleidigung selbst. Sprechen Sie meinetwegen Beleidigungen aus, aber sprechen Sie wenigstens!«

»Und Sie, Madame,« versetzte der Graf und zog den Degen, »durchstoßen Sie mir die Brust, aber martern Sie mich nicht langsam zu Tode!« – Sie weinte. – Guiche nahm sie in seine Arme und trug sie in den Fauteuil zurück. Sie sank wie ohnmächtig nieder. – »Warum bekennen Sie mir nicht Ihren Schmerz?« flüsterte er, ihr zu Füßen knieend. »Lieben Sie jemand anders? Sagen Sie es mir – es wird mich das Leben kosten – aber ehe ich sterbe, werde ich doch noch Ihren Schmerz lindern, Sie trösten, Ihnen dienen können.«

»Wie?« antwortete sie, plötzlich besänftigt, »so lieben Sie mich?« – »Ja, Madame, so liebe ich Sie.« – Sie reichte ihm beide Hände. – »Nun ja, ich liebe,« flüsterte sie so leise, daß die Worte kaum zu verstehen waren. – »Den König?« fragte er. – Sie schüttelte den Kopf und lächelte. »O, nein, in einem Herzen, das sich seines Wertes bewußt ist, wohnt eine andere Liebe. Ich bin auf einem Thron geboren und stolz auf meinen Rang. Graf, warum nähert der König sich unwürdigen Geschöpfen?« – »Madame,« erwiderte er. »Sie sprechen von einem Mädchen, das die Gattin meines Freundes werden wird.«

»Sind Sie wirklich so einfältig, das zu glauben?« fragte sie. – »Wenn ich es nicht glaubte, so würde Bragelonne morgen erfahren, was hier vorgeht,« antwortete der Graf. »Wenn ich glaubte, die Lavallière hätte den Schwur vergessen, den sie Rudolf geleistet – – doch nein! es wäre ein Verbrechen, einen Freund um seine Ruhe zu bringen.« – »Sie meinen, gar nichts davon zu wissen, sei besser?« fragte sie. – »Ich glaube es,« antwortete er. »Und dann – wo sind die Beweise? Einstweilen spricht noch der ganze Hof, der König liebe Sie, und Sie liebten den König.« – »Wie? Sie wollen dem unglücklichen jungen Manne nicht die Augen öffnen?« fragte Madame. »Sie wollen ruhig zusehen, wie er sie trotz allem weiterliebt?« – »Ja, bis ich mich überzeugt habe, daß die Lavallière wirklich treulos ist.«

Die Herzogin schwieg nachdenklich. Sie fühlte, Graf Guiche glaubte schon jetzt an die Treulosigkeit der Lavallière und an die Liebe des Königs, nur wollte er seine Meinung nicht rückhaltlos aussprechen, um ihr nicht wehzutun. Sie mußte sich gestehen, es war das erste Mal, daß ein Liebhaber das gewöhnliche Mittel verschmähte, einen Nebenbuhler aus dem Felde zu schlagen, indem er ihn des Verhältnisses mit einer andern verdächtigte. Kurz, sie erkannte so viel echten Edelmut im Herzen ihres Verehrers, daß ihr eigenes Herz bei der Berührung mit einer so reinen Flamme sich läuterte. Ihre Gefühle für ihn wurden dadurch um vieles inniger und wärmer. »Graf,« sagte sie, ihm die Hand reichend, »mag der König die Lavallière lieben oder nicht, mag die Lavallière den König lieben oder nicht, wir beide wollen uns nicht mehr darum kümmern. Ich bin zwar die Schwester des Königs, die Schwägerin seiner Gemahlin, aber ich will mich mit seinen Familiengeschichten nicht befassen, ich bin ja selbst verheiratet. Und das muß auch für Sie eine Mahnung sein, mir stets mit der größten Ehrerbietung zu nahen. Sie sehen also, Graf, ich habe auf zwei Rollen Bedacht zu nehmen, auf die Rolle der Schwägerin und auf die der Gemahlin –«

»O,« rief Graf Guiche und fiel ihr zu Füßen. – »Doch mich dünkt,« flüsterte sie, »ich habe daneben noch eine dritte Rolle, die ich trotz allem nicht vergessen darf: ich bin ein Weib und liebe!« – Er stand auf, sie breitete die Arme aus, beider Lippen berührten sich.

Hinter der Tapetentür hörte man Tritte. Die Montalais klopfte. »Madame,« rief sie, »man sucht den Grafen von Guiche.« – Der Graf verneigte sich vor der Herzogin und entfernte sich rasch. In seiner Wohnung fand er einen Kurier, der ihm ein Schreiben von Rudolf von Bragelonne überbrachte. Der Graf las es bei der brennenden Kerze.

»Lieber Freund! Auf meiner Reise habe ich Wardes getroffen. Sie wissen, er ist von Charakter gehässig und boshaft. Er sprach von Ihnen und Madame und ließ durchblicken, daß er um Ihre Liebe zur Herzogin wisse. Er sprach auch von einer Person, die mir sehr nahesteht, und zwar in eigentümlichen Ausdrücken des Bedauerns, die mich – so sehr ich mich dagegen sträube – mit ungewisser Furcht erfüllen. Ich weiß, er liebt es, den Geheimnisvollen zu spielen, aber er behauptete, bestimmte Nachricht vom Hofe zu haben. Er deutete an, der König habe seine Liebe inzwischen einer andern Dame zugewandt, von der man infolgedessen allerdings nicht viel Gutes spreche. Wardes ist im Begriff, nach Paris abzureisen; ich habe keine näheren Erklärungen von ihm verlangt, weil ich mich nicht erst wieder mit ihm einlassen wollte. Auf der Weiterreise habe ich mir nun allerhand Gedanken gemacht. Ganz sicher haben die Andeutungen Wardes‘ einen ganz bestimmten Sinn, sofern es sich um jene von mir geliebte Dame handelt. Ich wende mich nun an Sie. Suchen Sie zu erfahren, was er gemeint hat, wenn Sie es nicht schon wissen. Empfehlen Sie mich, lieber Freund, dem Fräulein von Lavallière, dem ich ehrerbietig die Hand küsse. Mit herzlichem Gruße Ihr Vicomte von Bragelonne. – Nachschrift: Sollte sich etwas Wichtiges ereignen, so senden Sie mir einen Eilboten mit dem einzigen Worte: »Kommen Sie!« und in 36 Stunden bin ich in Paris.«

Guiche steckte den Brief seufzend ein. »Eine dumme, dumme Geschichte!« murmelte er. »Wer weiß, wie das noch endet! Und Wardes,« setzte er mit drohender Gebärde hinzu, »mischt sich in meine Angelegenheiten und erlaubt sich, von meinem Verhältnis zu Madame zu sprechen? Warten Sie, Marquis, Sie werden es mit mir zu tun haben! Armer Rudolf, du hast mir ein deinem Herzen teures Gut anvertraut – nun, ich werde auf der Hut sein.«

Von Wardes traf am andern Tage bei Hofe ein und wurde freundlich aufgenommen. Er hatte sich so lange ferngehalten, um den unliebsamen Auftritt im Zimmer d’Artagnans bei allen, die dabei gewesen, in Vergessenheit geraten zu lassen, und nun wurde er namentlich von Monsieur, der gern einmal ein neues Gesicht sah, mit einer Freude begrüßt, die eines bessern würdig gewesen wäre. Das empfand selbst Chevalier von Lorraine, der zusammen mit Guiche diesem Empfange beiwohnte. Als Wardes vom Herzog entlassen worden war, traf Guiche mit ihm zusammen. Beide begrüßten sich nach höfischer Art und wechselten liebenswürdige Komplimente. »Glücklich wieder hier, Herr von Wardes?« sagte Graf Guiche. »Was bringen Sie Neues mit?« – »Nichts,« antwortete der junge Mann. »Neues hoffe ich hier zu erfahren.« – »Pardon, Sie haben doch erst vor kurzem einen meiner Freunde getroffen,« sagte der Graf. – »Richtig, ja, Bragelonne,« versetzte der Marquis, über den Ton des Grafen stutzend. »Ich muß gestehen, ich weiß nicht recht, was wir miteinander geredet haben. Sie wissen ja, es besteht eine gewisse Spannung zwischen uns.« Er merkte an der kalten, würdevollen Haltung Guiches, daß das Gespräch eine für ihn üble Wendung nehmen würde und beschloß, auf der Hut zu sein. »Die Geschichte mit der Lavallière habe ich wohlweislich verschwiegen,« setzte er hinzu.

»Was ist das mit der Lavallière?« fragte Guiche. »Das muß eine seltsame Geschichte sein, daß Bragelonne sie von Ihnen in Calais erfahren mußte, während er doch von hier kam.« – »Wie, Herr Graf! Fragen Sie das im Ernst, Sie, der bevorzugte Günstling unserer schönen Prinzessin?« – »Welcher Prinzessin?« rief Guiche und errötete vor Zorn. – »Ich kenne nur eine, Graf – Madame. Oder sollten Sie noch eine zweite im Herzen tragen?«

Ein Streit zwischen den beiden jungen Kavalieren war kaum noch zu umgehen. Aber von Wardes wollte es so wenden, daß die Prinzessin die Ursache sei, während von Guiche den Zwist nur in Sachen der Lavallière annehmen mochte. Er parierte daher die Finte des Marquis. »Von Madame ist hier gar keine Rede,« versetzte er, »sondern von Bragelonne und Fräulein von Lavallière oder vielmehr von einer Geschichte –« – »Die Ihnen ebenso bekannt ist wie mir,« sagte Wardes.

»Auf Ehre, nein!« – »Sie scherzen! Ich komme von weit her, und Sie haben den Hof keinen Augenblick verlassen. Sie haben mit eigenen Augen gesehen, was mir das Gerücht zugetragen, und Sie geben Ihr Ehrenwort, nichts zu wissen. Sie tun sehr verschwiegen – aber ja doch, die Klugheit gebietet es Ihnen.«

»Sie wollen also weder mir noch Bragelonne etwas sagen?« – »Bragelonne?« entgegnete Wardes. »Der wird sobald nicht wiederkommen. Oder glauben Sie etwa man habe ihn zum Spaße nach London geschickt? Nein, man will ihn sich recht lange vom Halse halten.«

»Ha, Marquis, wenn Sie das Bragelonne gegenüber angedeutet haben, so verstehe ich allerdings, daß er sehr besorgt an mich geschrieben hat,« sagte Graf Guiche.

»Er hat an Sie geschrieben? So!« antwortete der Marquis kalt. »Was denn?« – »Daß Sie boshafte Andeutungen über Fräulein von Lavallière gemacht und über seine Zuversicht zu ihrer Treue gelächelt hätten.«

»Das habe ich allerdings getan, aber der tapfere Bragelonne regte sich nicht auf,« antwortete Wardes. »Da würden Sie es gewiß anders machen, wenn ich Ihnen zum Beispiel sagte, die schöne Prinzessin habe Lord Buckingham nur deshalb weggeschickt, um sich Ihnen zu widmen.« – »Das würde mich gar nicht verletzen,« antwortete der Graf, »denn eine solche Gunst wäre Balsam für mich.«

»Mag sein, aber wenn mir’s um einen Streit zu tun wäre, dann würde ich noch weiter gehen und von einem gewissen Gebüsch sprechen, wo Sie mit der Prinzessin zusammentrafen, von einem Kniefall, von einem Handkusse – und Sie würden dann als diskreter Kavalier –« – »Nein, wahrlich nicht!« rief Guiche, obgleich er totenblaß war, »das würde mich nicht rühren – ich würde Ihnen nicht widersprechen. Alles, was meine Person betrifft, läßt mich kalt, ich erhitze mich nur für meine Freunde. Und für einen Freund besonders gehe ich ins Feuer!«

»Aber, lieber Graf,« erwiderte Wardes, »wir können doch unmöglich so viele Worte um Bragelonne und die unbedeutende Lavallière wechseln.« – In diesem Augenblick gingen mehrere Höflinge vorbei, und Wardes rief, als er dies sah, mit lauter Stimme: »Ja, Herr Graf, wenn die Lavallière kokett wäre, wie Madame, deren freilich harmlose Neckereien erst Lord Buckingham nach England zurückgetrieben und dann Sie in die Verbannung jagten –« – »Mein Gott!« erwiderte Guiche, das Spiel Wardes‘ durchschauend und entschlossen, ihn zu übertrumpfen, »ich bin nun mal ein Geck und bildete mir was ein; aber ich habe meinen Irrtum erkannt, Abbitte getan und meinen Fehler abgelegt. Ich bin ein anderer Mensch geworden und lache jetzt über Dinge, die mir vor vierzehn Tagen noch das Herz zerrissen hätten. Aber Rudolf liebt noch immer wahr und glaubt sich wiedergeliebt. Er kann noch nicht über die Gerüchte lachen, die Sie ihm hinterbracht haben, obwohl Sie so gut, wie einzelne der Herren dort, wissen, daß diese Gerüchte die reine Verleumdung sind.«

Die Herren traten näher, Saint-Aignan und Manicamp an der Spitze.

»Nichts als Verleumdung!« rief Graf Guiche. »Meine Herren, gestatten Sie, daß ich Sie zu Richtern in dieser Sache mache. Hier ist der Brief, den Bragelonne mir geschrieben hat. Er teilt mir darin mit, was Herr von Wardes zu ihm gesagt hat. Hören Sie es!« Und er las Rudolfs Schreiben vor. »Und nun kann ich eben nicht mehr daran zweifeln, daß Herr von Wardes durch boshafte Reden deren Grundlosigkeit er selber kannte, meinen teuren Freund unglücklich machen wollte.«

Von Wardes sah sich um und erkannte, daß er von den Umstehenden keinen Beistand erhoffen durfte; denn bei dem Gedanken, daß er die Lavallière, die jetzt die Göttin des Tages war, beleidigt hätte, schüttelte jedermann den Kopf. Das entging Herrn von Guiche nicht. »Meine Herren,« fuhr er fort, »mein Wortwechsel mit von Wardes darf nur bis hierher von Zeugen gehört werden; das weitere lassen Sie uns bitte unter vier Augen abmachen.« – »Aber, meine Herren!« rief Manicamp, in der Absicht zu vermitteln. – »Oder sollten Sie meinen, ich sei im Unrecht, wenn ich Fräulein von Lavallière gegen seine Beleidigungen in Schutz nehme?« fragte von Guiche. »In diesem Falle müßte ich allerdings –« – »O, keineswegs, keineswegs!« unterbrach ihn Saint-Aignan. »Fräulein von Lavallière ist ein Engel.« – »Sie ist die Tugend, die Keuschheit selbst,« setzte Manicamp hinzu. – »Sie sehen, Herr von Wardes, ich bin nicht der einzige, der das arme Kind verteidigt. Meine Herren, nochmals, lassen Sie uns allein!«

Die Kavaliere entfernten sich.

»Ich muß sagen, das haben Sie gut gemacht,« murmelte Wardes. »Man sieht, in der Provinz rostet man ein; Sie aber haben im Umgang mit gewandten Damen viel gelernt.« – »Herr von Wardes, alle Welt kennt Sie als einen boshaften Menschen. Ich im besonderen kenne Sie jetzt auch noch als Feigling.« – »Sie möchten mich gern totschießen, nicht wahr, Herr Graf?« entgegnete Wardes. »Ich bin aber willens, auf Herrn von Bragelonne zu warten. Er hat das Vorrecht.« – »Nein, Sie werden nicht auf ihn warten,« versetzte der Graf spöttisch. »Sie haben selbst gesagt, er wird lange fortbleiben. Sie wollen die Zeit benützen, um zu flüchten.«

»Sind Sie von Sinnen?« rief der Marquis zurücktretend. – »Sie sind ein erbärmlicher Fant. Wenn Sie sich nicht gutwillig schlagen, so soll der König erfahren, daß Sie das Fräulein von Lavallière beleidigt haben.« »Ah! also doch!« rief Wardes triumphierend, »und das nennen Sie Freundestreue, Herr Graf! Gut, ich nehme an. Setzen wir uns zu Pferde und wechseln wir drei Pistolenschüsse! Sie sind ja ein trefflicher Schütze.« – »Sie nicht minder,« antwortete Guiche. »Ja, Sie sind dabei im Vorteil, denn ich habe Sie mal Schwalben im Fluge schießen sehen.« – »Gut, es bleibt bei der Abrede. Ich lasse sogleich mein Pferd satteln. Wohin reiten wir?« – »In den Wald. Ich weiß einen guten Platz.« – »Reiten wir zusammen?« – »Warum nicht?«

Beide gingen zu den Pferdeställen und waren schon nach wenigen Minuten unterwegs nach einem Orte von dem vielleicht nur einer lebend wiederkehren würde.

3. Kapitel. Souper beim König

Während die beiden Kavaliere in einem nahen Walde ihren Ehrenhandel ausfochten tafelte der König inmitten einer glänzenden Gesellschaft. Ludwig XIV. war jung und kräftig und als leidenschaftlicher Jäger ungestümen Leibesübungen ergeben; er besaß daher jene natürliche Wärme des Blutes, die rasch verdauen hilft und bald frischen Appetit entstehen läßt. Er war ein gefürchteter Tischgenosse, der gern die Köche tadelte, aber wenn er ihren Leistungen Ehre erwies, dann geschah es gewöhnlich in sehr weitgehendem Maße.

Das Mahl begann in der Regel mit verschiedenen Suppen, zwischen die Ludwig je ein Glas alten Weins einschaltete. Er aß schnell und ziemlich gierig. Als Porthos, der neben d’Artagnan saß, den König wacker einhauen sah, flüsterte er dem Musketier zu: »Mich dünkt, man könnte auch anfangen. Majestät geht mit gutem Beispiel voran.« – »Der König plaudert aber dabei immer noch,« erwiderte der Musketier, »und wenn er Sie anspricht, so hüten Sie sich, mit vollem Munde zu antworten.« – »Soll ich da etwa gar nicht essen?« fragte Porthos. »Aber ich habe Hunger, und es riecht alles so gut. Ich lasse es darauf ankommen.« – »Nichts zu essen, wäre das Allerverkehrteste, das würde Majestät als Beleidigung auffassen,« sagte der Gaskogner. »Der König pflegt zu sagen: Wer wacker arbeitet, darf auch wacker essen. Er sieht’s nicht gern, wenn man bei Tische lange Zähne macht. Wenn er Sie anspricht, dann schlucken Sie nur rasch hinunter, ehe Sie antworten.«

Porthos nahm sich das zu Herzen und aß mit Enthusiasmus. Der König sah von Zeit zu Zeit über seine Tischgefährten hin. »Herr du Vallon!« rief er plötzlich. – Porthos verschlang einen großen Bissen Hasenfleisch.

»Majestät!« rief er mit erstickter Stimme. – »Man reiche Herrn du Vallon dieses Hammelfilet,« sagte der König. »Essen Sie so etwas gern, Herr du Vallon?« – »Ich esse alles gern, Majestät,« antwortete Porthos. – »Besonders das, was Eure Majestät mir zuschickt,« flüsterte d’Artagnan ihm zu, und Porthos wiederholte diese Worte. – Der König lächelte. »Wer wacker arbeitet, darf auch wacker essen,« sagte er. »Möchten Sie einmal diese Speise aus süßem Rahm kosten?«

»Majestät sind sehr gütig,« antwortete Porthos, »aber wenn ich die Wahrheit sagen darf, so mache ich mir nicht viel aus dem zuckrigen Geschlapper; diese Crèmes blähen den Magen auf und verrichten nichts; sie nehmen einen Platz weg, der mir viel zu kostbar erscheint, als daß man ihn schlecht ausfüllen sollte.« – »Ha, meine Herren!« lachte Ludwig, »da haben wir mal einen wahrhaften Gastronomen! So aßen unsere Väter, und sie wußten noch gut zu essen! Wir tun ja nur so.« – Dabei nahm er sich Geflügelragout, während Porthos ein Gemengsel von Lachs und Rebhuhn versuchte. Der Mundschenk füllte Ludwigs Glas. »Geben Sie von meinem Wein Herrn du Vallon!« sagte er. – Das war eine der großen Ehren bei Tafel. D’Artagnan drückte unterm Tische seinem Freunde das Knie.

»Herr du Vallon,« sagte der König, »wenn Sie den Wildschweinskopf da zur Hälfte verzehren, so mache ich Sie zum Herzog und Pair.« – »Ich will mich gleich darüber hermachen,« antwortete Porthos phlegmatisch, und er aß nicht nur die Hälfte davon, sondern drei Viertel. – »Wahrlich, ein Edelmann, der so tüchtig essen kann und so prachtvolle Zähne hat,« sagte der König, »muß der erste Kavalier meines Reiches sein.« Und zum größten Vergnügen der Gäste fuhren Ludwig XIV. und Porthos fort zu essen und ließen alle andern weit hinter sich zurück. Dann aber stieg dem König das Blut ins Gesicht – das erste Zeichen der Sättigung. Er dachte nun nicht mehr an Porthos, sondern sah nach der Tür, in der Erwartung, Saint-Aignan mit einer ersehnten Nachricht kommen zu sehen. Endlich trat der Graf ein – Ludwig XIV. stand auf – das Souper war zu Ende.

»Herr du Vallon,« sagte der König, schon auf der Türschwelle, »es hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen; es wird mir stets Freude machen, Sie wiederzusehen. Herr d’Artagnan, meinen Dank, daß Sie mich mit dem Herrn Baron bekannt gemacht haben. Meine Herren, morgen kehre ich nach Paris zurück, um die Gesandten von Spanien und Holland zu verabschieden.«

Der König zog seinen Hofmeister in ein Nebenzimmer und hörte dort, was jener ihm von Fräulein von Lavallière zu berichten hatte. Er brachte ein Briefchen, das Majestät mit großer Begierde öffnete und las. – »Sie schreibt, sie wäre in sehr erregter Stimmung. Weshalb das?« fragte er. – »O, wegen des Unfalls, der dem Grafen von Guiche zugestoßen ist,« antwortete Saint-Aignan. »Er hat eine Hand verloren, ist in der Brust verwundet worden und liegt auf den Tod. Herr von Manicamp hat es von einem Arzt gehört.« – »Wer hat ihm das getan?« rief der König. – »Man sagt, es sei ein Streit zwischen ihm und einem andern Edelmann entstanden,« sagte Saint-Aignan. »Und dann sei Guiche nicht im Duell, gegen das Eure Majestät ja sehr strenge Befehle erlassen haben, sondern aus dem Hinterhalt verwundet worden.« – »Und wer hat es getan?« – »Das weiß man nicht. Vielleicht kann Herr von Manicamp es sagen. Denn er hat mit noch einem andern den Verwundeten heimgeschafft.« – »Wo ist es geschehen?« – »Im Walde von Rochin, auf einer Lichtung,« antwortete der Hofmeister.

»Unbegreiflich,« sagte der König. »Rufen Sie d’Artagnan.« – Saint-Aignan gehorchte. – Der Musketier trat ein. – »Herr Kapitän,« sagte der König, »reiten Sie sofort nach der Lichtung im Walde von Rochin. Kennen Sie die Stelle? – »Sire, ich habe mich dort zweimal duelliert.« – Der König fuhr auf. – »Sire,« fügte d’Artagnan sogleich hinzu, »zu der Zeit, als noch Richelieu regierte.« – »Das ist etwas anderes,« sagte der König. »Reiten Sie hin. Es soll dort ein Mann tödlich verwundet worden sein. Stellen Sie eine genaue Untersuchung an und sagen Sie mir dann Ihre Meinung.« D’Artagnan ging, und der König sagte zu Saint-Aignan: »Und Sie, Herr Graf, holen Sie mir meinen Arzt.« – Der Mediziner kamen zehn Minuten später an, atemlos vom raschen Laufen. »Doktor,« sagte Ludwig XIV. zu ihm, »folgen Sie Herrn von Saint-Aignan, wohin er Sie führen wird, und berichten Sie mir dann ausführlich über den Zustand des Kranken, den Sie in dem Hause finden werden, wohin mein Hofmeister Sie bringt. Und Sie, Saint-Aignan, schicken mir noch Herrn von Manicamp her.«

Während Ludwig XIV. diese Befehle erteilte, sprengte d’Artagnan, eine Laterne am Gürtel, in den Wald von Rochin, stieg bei der Lichtung ab und untersuchte den Platz sorgfältig. Er ging ihn nach allen Seiten hin ab, maß, prüfte und überlegte und war nach einer halben Stunde wieder beim König.

»Nun, Kapitän, was haben Sie ermittelt?« rief Ludwig. – »Majestät, ich habe ein totes Pferd auf der Lichtung gefunden – das ist das erste,« begann d’Artagnan. »Ich habe die vier Wege untersucht, die zur Lichtung führen, und nur der von Fontainebleau aus wies frische Spuren auf. Dort sind zwei Pferde nebeneinander gegangen, die acht Hufe sind deutlich zu unterscheiden.« – »Sie sind also überzeugt, daß zwei Herren dorthin geritten sind?« fragte Ludwig. – »Ja. Sire. Am Rande der Lichtung haben sie haltgemacht, vielleicht um sich über die Bedingungen des Zweikampfes zu einigen. Dann ist einer von ihnen über die Lichtung geritten, um sich vor seinem Gegner aufzustellen. Der andere ist dann im Galopp geradeaus gesprengt, in der Meinung, er werde so auf den Gegner treffen, der aber hatte sich seitwärts im Walde versteckt. Es ist so finster gewesen, Sire – was es nebenbei jetzt auch noch ist – daß die beiden einander erst aus der Nähe sehen konnten.«

»Haben Sie irgendwelchen Anhalt, der auf die Personen hindeutet?« – »Ja, Sire, derjenige, der sich seitwärts versteckte, hat einen Rappen geritten.« – »Woher wissen Sie das?« – »Ein paar Haare vom Schweif sind an dem Brombeerstrauch hängen geblieben, der dort am Rande des Waldes steht. Was das andere Pferd anbetrifft, so ist es leicht zu erraten, wem es gehörte, denn es ist ja tot auf dem Platze geblieben.«

»Wie ist dieses Pferd getötet worden?« – »Durch einen Schuß in die Schläfe,« fuhr d’Artagnan fort. »Und zwar durch einen Pistolenschuß. Die Kugel ist also von der Seite gekommen, während die Spuren des Pferdes in gerader Richtung verlaufen, und daraus schließe ich, daß der Reiter dieses Pferdes seinen Gegner in gerader Richtung vermutete, während jener sich heimtückischerweise, die Dunkelheit benützend, seitwärts geschlagen hat, um seinem Feinde in die Flanke zu fallen. Weitre Einzelheiten beweisen das noch. Das Pferd war auf der Stelle tot.«

»Woher wissen Sie das?« – »Der Reiter hatte nicht mehr Zeit, aus dem Sattel zu springen. Er stürzte mit dem Pferde. Ich sah die Spur jenes Fußes, den er nur mit Mühe unter dem Leibe des gestürzten Tieres hervorgezogen hat. Der Sporn hat die Erde aufgerissen. Als er wieder auf den Beinen war, wußte er, wo er seinen Gegner zu suchen hatte, und ging geradeswegs auf ihn los. Er ist sehr schnell gelaufen. Als er auf Schußweite heran war, stemmte er die Hacken fest auf, um sicher zu stehen und gut zu zielen, und drückte auf seinen Gegner ab. Er hat gefehlt.« – »Und woher wissen Sie das?« – »Ich fand den von der Kugel durchbohrten Hut am Waldesrande.« – »Ah, das ist ein Beweisstück!« rief der König. – »Ein unzulängliches, Sire,« antwortete d’Artagnan, »denn der Hut hat keinerlei Merkzeichen, er ist von einer Art, die hunderte tragen.« – »Und dieser Mann mit dem durchlöcherten Hute?« fragte der König. – »Er hatte nun Zeit wieder zu laden, aber der Schuß seines Gegners hatte ihn erschreckt, daß seine Hand zitterte.« – »Woher wissen Sie denn nun das?«

»Er verschüttete die Hälfte des Pulvers und warf auch noch den Ladestock weg, da er keine Zeit mehr hatte, ihn an die Pistole zu stecken.« – »Herr Kapitän, was Sie da sagen, ist vortrefflich,« rief der König. »Man sieht, wie sich alles abgespielt hat, wenn man Sie anhört.« – »Ich habe nur Untersuchungen angestellt,« antwortete d’Artagnan, »die jeder Schnapphahn ebenso machen könnte.«

»Weiter! Nun also schoß der Mann, dem der Hut durchlöchert worden war?« – »Ja, und sein Schuß war furchtbar. Er traf den andern, der aufs Gesicht niederstürzte, nachdem er drei Schritte weit getaumelt war.« – »Wo ist er getroffen worden?« – »An der Hand und in der Brust.« – »Wie haben Sie das ermitteln können?«

»Sehr einfach; ich fand die Splitter eines zerschmetterten Ringes, den der Verwundete am kleinen Finger getragen haben mußte. Und dann sah ich dort zwei Blutstreifen im Grase, an dem einen hatte die Hand das Gras aus dem Boden gerissen, an dem andern war das Gras bloß durch das Körpergewicht niedergedrückt worden. Beide Streifen lagen so zueinander, daß, wenn der eine von der Hand herrührte, was nicht zu bezweifeln ist, der andere von der Brust herrühren muß.«

»Der arme Guiche!« rief der König –. – »Ah, Sie wissen, daß es Guiche war?« sagte d’Artagnan. »Ich hatte auch die Vermutung, doch wollte ich es nicht so ohne weiteres aussprechen. Das Zaumzeug des gestürzten Pferdes trägt nämlich das Wappen derer von Grammont, es ist also in der Tat aus Guiches Marstall.«

»Und können die Wunden schwer sein?« – »Herr von Guiche ist sehr schwer verwundet; denn er konnte sich nicht vom Platze bewegen. Nachher allerdings ist er, von zwei Freunden gestützt, nach Fontainebleau zurückgekehrt.« – »Sie sind ihm also begegnet?« – »Nein, aber ich habe die Spuren von drei Männern gesehen, und die mittlere deutete auf einen sehr schwerfälligen Gang und wies überdies hier und dort Blutstropfen auf.« – »Herr General-Kapitän, Sie haben den ganzen Zweikampf so vortrefflich ausgekundschaftet,« sagte der König, »daß Sie mir gewiß auch etwas über den Gegner des Herrn von Guiche sagen können.« – »Sire, ich kenne ihn nicht.« – »Sie haben aber doch alles andere ermittelt. Sie haben alles so genau gesehen.« – »Ich sehe wohl alles, Majestät, aber ich sage nicht alles,« versetzte der Musketier. »Der arme Teufel ist entschlüpft. Majestät gestatten mir also, seinen Namen zu verschweigen.« – »Aber wer sich duelliert, ist strafbar.« – »In meinen Augen nicht, Sire.« erwiderte d’Artagnan ruhig.

»Herr, wissen Sie, was Sie da sagen?« rief der König. – »Vollkommen, Sire! In meinen Augen ist ein Mann, der sich wacker schlägt, ein wackerer Mann. Das ist meine Meinung. Majestät können über diesen Punkt anderer Meinung sein, deshalb werde ich jedoch –« – »Herr d’Artagnan, ich habe Ihnen befohlen –« begann Ludwig XIV. ungestüm. – D’Artagnan unterbrach den König mit einer ehrfurchtsvollen Handbewegung. »Majestät haben mir aufgetragen,« antwortete er, »Ermittelungen über den Verlauf eines Zweikampfes anzustellen, das habe ich getan. Wenn Sie mir befehlen, den Gegner des Grafen von Guiche zu verhaften, so werde ich es tun. Wenn Sie mir aber befehlen, ihn zu denunzieren, so werde ich Ihnen den Gehorsam verweigern.«

»Nun denn, so verhaften Sie ihn!« – »Dann bitte ich um seinen Namen, Majestät.« – Ludwig stampfte mit dem Fuße. Nach kurzem Bedenken sprach er jedoch: »Sie haben zehnmal, zwanzigmal, hundertmal recht.« – »Das denke ich, Sire, und es freut mich,« sagte der Musketier, »daß Eure Majestät ebenso denken.« – »Sie haben mir noch nicht alles erzählt?« fragte Ludwig. »Was geschah, als von Guiche gefallen war?«

»Sein Gegner entfloh, ohne ihm zu helfen.« – »Der Elende!« – »Das kommt von Ihren Verordnungen, zum Teufel! Man ist beim Duell dem Tode entronnen, man will ihn nicht durchs Gericht finden.« – »Und so wird man feige!« – »Nein, aber klug. Der Gegner des Grafen von Guiche ritt ins Schloß, und dann sind zwei Männer zu Fuße hingegangen und haben den Grafen geholt.« – »Und woran haben Sie erkannt, daß diese Männer erst nach dem Zweikampf gekommen sind?« – »Daran, daß während des Kampfes Regen fiel, so daß die Tritte der Pferde sich sehr tief in den Boden gedrückt haben. Nachher aber war es wieder trocken, und die Fußspuren haben sich nur wenig eingeprägt.«

»Herr d’Artagnan,« rief der König und klatschte unwillkürlich in die Hände, »Sie sind wahrlich der durchtriebenste Mann in meinem Reiche.« – »Sire,« antwortete d’Artagnan, »das war im stillen auch Richelieus Meinung, und Mazarin hat sie sogar ausgesprochen.« – »Nun bleibt uns nur übrig, Ihre Ermittelungen nachzuprüfen und festzustellen, ob Ihre Vermutungen dem wahren Sachverhalt entsprechen. Ich habe Herrn von Manicamp herbestellt.« – »Meinen Sie, daß er das Geheimnis weiß?« fragte der Chevalier. – »Graf Guiche hat vor Manicamp keine Geheimnisse,« antwortete Ludwig. – Der Musketier schüttelte den Kopf. »Ich wiederhole, Majestät, bei dem Kampfe war niemand zugegen,« sagte er. »Manicamp kann also höchstens einer der beiden Männer gewesen sein, die Herrn von Guiche ins Schloß gebracht haben.« – »Still,« unterbrach ihn der König. »Da kommt er. Bleiben Sie hier und hören Sie zu.«

Manicamp und Saint-Aignan erschienen in der Tür. Der erste verneigte sich, der letztere trat zu d’Artagnan. Der König erwiderte den Gruß des jungen Kavaliers. – »Herr von Manicamp, ich habe Sie rufen lassen, um von Ihnen zu hören, auf welche Weise Herr von Guiche zu den Wunden gekommen ist, an denen er darniederliegt. Waren Sie dabei?«

Herr von Manicamp erkannte an dem Ton, den der König anschlug, daß er sich auf eine schwierige Unterredung gefaßt machen mußte. Er erwog im Geiste rasch seine Lage und beschloß bei sich, keinesfalls seinen Freund Guiche bloßzustellen. Die Gefahr war für den Grafen ebenso schwer wie für von Wardes, denn nach dem Gesetz waren beide Duellanten der Todesstrafe verfallen.

»Ich war nicht unmittelbar dabei,« antwortete der junge Kavalier zögernd. – »Aber wenige Augenblicke nach dem Geschehnis betraten Sie den Schauplatz?«

»Jawohl, Sire, eine halbe Stunde später.« – »Es geschah auf einer Lichtung im Walde von Rochin, nicht wahr?« – »Ja, Majestät, auf dem bekannten Sammelplatz der Jäger.« – »Nun, so erzählen Sie, was Sie von dem Unglück wissen.«

»Vielleicht sind Majestät schon unterrichtet, und ich würde durch die Wiederholung nur ermüden,« antwortete Manicamp diplomatisch. – »Das brauchen Sie nicht zu befürchten,« erwiderte der König. – Der junge Kavalier sah nach den beiden Herren, aber Ludwig XIV. behielt auch diese scharf im Auge, so daß sie ihm nicht einmal durch Blicke einen Wink geben konnten. Er mußte daher seinen Weg ganz allein suchen.

»Majestät wissen ja,« begann er, »es kommen sehr häufig Unfälle auf der Jagd vor – zumal auf dem Anstand.« – »Auf der Jagd? auf dem Anstand?« rief Ludwig erregt, denn er haßte die Lüge. »Geschah es auf dem Anstand? Und auf welches Wild war es denn da abgesehen?« – »Auf einen Eber, Sire,« antwortete Manicamp. – »Wie kommt aber Graf Guiche dazu, ganz allein einem Eber aufzulauern? Ein Mann, wie Graf Guiche, hat doch Hunde und Treiber zur Verfügung.« – Manicamp zuckte die Achseln und antwortete scheinheilig: »Junge Leute sind eben tollkühn.« – »Hm! Fahren Sie fort!«

Manicamp setzte bedächtig ein Wort nach dem andern, wie ein Sumpfvogel im Moor die Füße setzt, und sagte: »Der arme Guiche stellte sich also ganz allein auf den Anstand.« – »Ganz allein! Sieh an, ein netter Jäger, der Herr von Guiche!« rief der König. »Weiß er nicht, daß ein angeschossener Eber den Schützen anfällt?« – »Das eben ist geschehen, Majestät,« sagte Manicamp. – »Graf Guiche hat also genau gewußt, wo er den Eber zu suchen hatte?« – »Ja, Sire, Bauersleute hatten die Fährte des Tieres auf einem Kartoffelfelde entdeckt.« – »Und wie alt war das Vieh?« – »Ein zweijähriger Keiler, Sire.«

»Guiche muß es gerade auf einen Selbstmord abgesehen haben,« versetzte der König. »Ich habe oft mit ihm gejagt und kenne ihn als erfahrenen Weidmann. Wie kann er sich nun einem so gefährlichen Tier mit einer Pistole entgegenstellen!« – Manicamp fuhr zusammen. – »Diese Waffe taugt wohl, um sich mit einem Feinde zu messen, aber zum Kampfe mit einem Wildschwein nimmt man Karabiner!« – »Sire,« sagte Manicamp, »es gibt Dinge, die sich schwer erklären lassen.« – »Da haben Sie recht,« murmelte Ludwig. »Fahren Sie fort!«

»Wahrscheinlich ist die Sache so passiert,« sagte der junge Mann, »Guiche hat auf den Eber gewartet. Zu Pferde, Majestät. Schoß und fehlte. Das Tier lief ihn an. Das Pferd wurde getötet. Guiche kam mit zu Falle, und während er halb unter dem Pferde lag, verwundete ihn das wütende Wildschwein an Hand und Brust.« – »Schrecklich!« erwiderte Ludwig. »Aber Guiche ist selbst daran schuld. Wie kann er auch so unbesonnen sein und mit seiner Pistole –?« – »Sire, was einmal im Schicksalsbuche geschrieben steht–« meinte Manicamp. – »Ah, Sie sind Fatalist,« sagte der König. »Aber als Freund des Herrn Guiche hätten Sie ihn doch zurückhalten sollen. Und sein Pferd war also tot. Sonderbar!« – »Wieso, Majestät? Bei der letzten Jagd erging es dem Pferde des Herrn Saint-Maure ja ebenso.«

»Wohl, doch ihm ward der Bauch aufgerissen,« entgegnete Ludwig, »aber Guiches Pferd ist mit zerschmettertem Kopfe gefunden worden.«

Manicamp geriet abermals in Verwirrung. – »Das Pferd wird versucht haben, sich zu verteidigen,« stammelte er. – »Dann verteidigt es sich mit den Hinterfüßen, nicht mit dem Kopfe.« – »Nun, vielleicht ist das Pferd ganz außer sich gewesen vor Schreck und Mutlosigkeit, denn so ein Wildschwein –! Hat es doch den Reiter ebenso zugerichtet. Wie ich bereits zu bemerken die Ehre hatte, Majestät, es ist über Herrn von Guiche hergestürzt, hat ihm die Hand zerrissen, als er eben seinen zweiten Pistolenschuß tun wollte, und zerfleischte ihm dann noch mit den Hauern die Brust.«

»Gut!« sagte der König mit unverhohlenem Verdruß. »Sie wissen vortrefflich zu erzählen. Ich will von heute ab meinen Kavalieren verbieten, allein auf den Anstand zu gehen, lieber möchte ich das Verbot gegen den Zweikampf widerrufen.« – Manicamp wollte sich entfernen. »Bleiben Sie!« gebot Ludwig, »ich habe noch mit Ihnen zu reden.«

D’Artagnan, der während dieses Gesprächs mit keiner Wimper gezuckt hatte, brummte jetzt in seinen Bart: »Wieder mal einer, der nicht von unserem Schlage ist. Ach, wo gibt es noch Männer vom alten Schrot und Korn?«

In diesem Augenblick ließ der Türhüter Herrn Vallot, den Leibarzt des Königs, ein. – »Ah, sehr gut!« rief Ludwig. »Was bringen Sie mir für Nachrichten von dem Verwundeten?« – »Es steht sehr schlecht mit ihm,« antwortete der Arzt. – »Aber immerhin hat ihn das Wildschwein nicht gleich verschlungen,« warf der König ein. – »Was denn für ein Wildschwein?« fragte der Arzt erstaunt. – »Man sagt, Graf Guiche sei von einem Wildschwein angefallen worden,« antwortete Ludwig.– »Eher wird’s wohl ein Wildschütz gewesen sein,« sagte der Mediziner. »Ein eifersüchtiger Ehemann, ein gekränkter Liebhaber, der aus Rache auf ihn geschossen hat.« – »Was sagen Sie da, Herr Vallot?« rief der König. »Rühren denn die Wunden des Herrn von Guiche nicht vom Kampfe mit einem Wildschwein her?« – »Die Wunden des Grafen rühren davon her,« antwortete der Doktor und zeigte dem König eine Pistolenkugel, die sich plattgedrückt hatte. »Diese Kugel hat ihm den kleinen Finger der rechten Hand zerschmettert und ist dann in die Zwischenrippen der Brust gefahren. Zum Glück hat sie an einer Schnalle Widerstand gefunden.«

»Und diese Kugel hat in Guiches Brust gesteckt?« rief der König. »Herr von Manicamp, davon haben Sie mir nichts gesagt. Herr d’Artagnan, nun scheint mir doch Ihre Vermutung, es habe ein Zweikampf stattgefunden, richtig zu sein.« – Manicamp richtete einen Blick stummen Vorwurfs auf den Chevalier. D’Artagnan verstand diesen Blick, trat vor und sagte: »Majestät haben mir befohlen, die Lichtung zu untersuchen und zu melden, was nach meiner Meinung dort geschehen sei. Meine Feststellungen teilte ich Ihnen mit, doch ohne einen Namen zu nennen. Majestät haben selbst zuerst von Graf Guiche gesprochen.« – »Gut, gut,« antwortete der König würdevoll, »Sie haben Ihre Pflicht getan, aber Sie nicht, Herr von Manicamp. Sie haben mich belogen.« – »Belogen? Das ist ein hartes Wort, Majestät,« erwiderte der junge Mann. – »Finden Sie ein anderes?« – »Sire, ich suche nicht danach,« entgegnete Manicamp fest. »Ich hatte das Unglück, Eurer Majestät zu mißfallen, und nehme den Tadel ruhig hin.« – »Man mißfällt mir immer, wenn man nicht die Wahrheit sagt!« rief Ludwig. – »Manchmal weiß man sie nicht,« versetzte der junge Mann. – »Lügen Sie nicht noch weiter! Sie sehen, das Leugnen ist unnütz. Herr von Guiche hat sich duelliert.« – »Ich bestreite das nicht, Majestät,« sagte Manicamp. »Majestät hätten so gnädig sein sollen, einen Edelmann nicht zur Lüge zu zwingen.«

»Ich hätte Sie dazu gezwungen?« rief der König in wachsendem Zorne. »Das wird immer toller!« – »Sire! Herr von Guiche ist mein Freund. Majestät haben die Duelle bei Todesstrafe verboten. Ich konnte meinen Freund nur durch eine Lüge retten, also log ich.«

»Bravo,« murmelte d’Artagnan, »er ist doch ein ganz tüchtiger Kerl!« – »Ich will Ihnen ein Mittel nennen, Ihre Lüge wieder gutzumachen,« sagte der König. »Nennen Sie mir den Gegner des Herrn von Guiche.« – »Sire, ich kenne ihn nicht.« – »Bravo!« knurrte d’Artagnan. – »Herr von Manicamp, schnallen Sie den Degen ab, Sie sind verhaftet!« rief Ludwig mit einem Wink gegen den General-Kapitän. – Der junge Mann verneigte sich, entledigte sich lächelnd seiner Waffe und gab sie dem Musketier.

Da trat Saint-Aignan vor. – »Majestät erlauben,« sagte er, »Manicamp, Sie sind ein wackrer Mann, und der König wird trotz seines augenblicklichen Zornes Ihr Verhalten zu würdigen wissen. Aber Sie haben nun genug getan. Sie kennen den Namen, den Majestät von Ihnen verlangt. Sagen Sie ihn! Und wenn Sie es nicht tun wollen, so werde ich es tun. Beiseite mit falscher Großmütigkeit! Ich werde Sie nicht in die Bastille gehen lassen. Reden Sie, sonst rede ich! Seine Majestät wird mir verzeihen, wenn Sie erfahren, daß es sich dabei um die Ehre einer Dame gehandelt hat.«

Der König sah verwundert auf. – »Eine Dame war die Ursache des Zweikampfes?« fragte er. »Herr von Manicamp, wenn die Dame von Bedeutung ist, so werde ich es Ihnen nachsehen, daß Sie mich belogen haben.« – »Sire, für mich ist alles von Bedeutung, was das Haus des Königs oder seines Bruders betrifft –« antwortete Manicamp. – »Ah, eine Dame vom Hause meines Bruders?« rief Ludwig XIV. »Handelt es sich etwa um –?«

»Um ein Ehrenfräulein Ihrer königlichen Hoheit,« fiel Manicamp ein.

Ludwig XIV. sah sich betroffen um. »Meine Herren,« sagte er, »lassen Sie mich einen Augenblick mit Herrn von Manicamp allein. Ich sehe, er hat mir zu seiner Rechtfertigung etwas zu sagen, das er nicht gern vor Zeugen sagen möchte. Herr von Manicamp, nehmen Sie Ihren Degen wieder.« – Der junge Mann schnallte die Waffe um. – »Der Bursche hat Geistesgegenwart,« sagte d’Artagnan leise zu Saint-Aignan, während sie hinausgingen. – »Er wird sich gut aus der Patsche ziehen,« antwortete der Hofmeister. – »Ich hatte eine geringe Meinung von der jungen Generation,« sagte der Musketier. »aber ich habe mich geirrt. In diesen schmucken jungen Herren steckt doch was Gutes.«

»Nun, Herr von Manicamp,« sagte der König, als sie allein waren, »erklären Sie sich. Sie wissen ja, mir liegt nichts mehr am Herzen als die Ehre der Damen. Sie sagten, es handle sich um ein Ehrenfräulein meiner Frau Schwägerin.« – »Ja, um Fräulein von Lavallière,« antwortete Manicamp. – »O, sie ist beschimpft worden?« rief der König, in einem Tone, als hätte er einen Stoß ins Herz erhalten. – »Ich sage nicht geradezu, daß man sie beschimpft habe, Majestät,« antwortete Manicamp. »Aber man hat in ungebührlichen Ausdrücken von ihr gesprochen.« – »O, wer war der Unverschämte?« – »Herr von Saint-Aignan hat sich bereit erklärt, ihn Eurer Majestät namhaft zu machen,« erwiderte Manicamp mit einem festen Blick auf Ludwig.

»Jawohl, Sie haben recht,« antwortete der König. »Ich verlange nicht, daß Sie ihn nennen sollen. Das wäre jetzt wider die Abrede. Ich erfahre den Namen dessen, den ich bestrafen muß, auch noch früh genug. Und bestrafen werde ich ihn, nicht etwa weil es sich um Fräulein von Lavallière handelt,« setzte Ludwig hinzu, der selbst empfand, daß er sich von seinem Zorn ein wenig zu weit hatte hinreißen lassen, »sondern weil es eine Dame ist, die man beleidigt hat. Ich verlange, daß an meinem Hofe die Frauen hochgeachtet werden. Und was hat man von Fräulein von Lavallière gesprochen?«

»Majestät wissen wohl, welche gewagten Scherze zwischen den jungen Leuten vorkommen. Man behauptete, sie liebe jemand, und von Guiche trat dafür ein, sie dürfe lieben, wer ihr gefalle. Deshalb kam es zum Zank und dann zum Duell.« – Der König errötete vor Unwillen. »Und weiter wissen Sie nichts?« rief er. – »Sire, ich weiß nichts Bestimmtes. Ich habe nichts mitangehört, nichts erfahren und auch nichts belauscht.« – »Auch nichts über die Person, in die das Fräulein von Lavallière verliebt sein soll und die zu lieben Guiches Gegner für unstatthaft erklärte?« – »Ich kann nichts darüber sagen, Majestät,« antwortete Manicamp. »Wenn aber von Guiche, großherzig wie er ist, Fräulein von Lavallière verteidigte, so geschah es im Namen dieses von dem Fräulein geliebten Mannes, der zu hoch gestellt ist, um die Verteidigung selbst zu übernehmen.«

Diese Worte waren sehr durchsichtig; der König errötete wiederum, doch diesmal vor Freude. – »Herr von Manicamp,« sagte er, »Sie sind geistreich und tapfer. Und auch Ihr Freund, Herr von Guiche, ist ein Ritter nach meinem Geschmack. Sie werden ihm das ausrichten, nicht wahr?« Er reichte dem jungen Manne die Hand zum Kusse. »Und dann erzählen Sie vortrefflich. Die Geschichte mit dem Wildschwein haben Sie brillant geschildert – man sieht alles leibhaftig vor sich. Sie erzählen das so meisterhaft, daß ich wünschte, Sie erzählen dieses Abenteuer des Grafen Guiche aller Welt weiter.«

»Das Abenteuer mit dem zweijährigen Eber?« – »Ja, und zwar Wort für Wort, so, wie Sie es mir erzählt haben! Sie verstehen mich?« – »Sehr wohl, Majestät,« antwortete Manicamp lächelnd.

Darauf rief der König d’Artagnan und Saint-Aignan zurück, auch der Arzt, den Ludwig ja noch nicht entlassen hatte, kam wieder. – »Meine Herren,« sagte Ludwig, »Herrn von Manicamps Erklärung hat mich vollauf befriedigt. Herr von Manicamp, gehen Sie zum Grafen und sagen Sie ihm, er solle nur recht bald wieder gesund werden, und,« setzte er leise hinzu, »er soll sich’s nicht einfallen lassen, so etwas ein zweites Mal zu machen.« – »Er wird es immer wieder so machen,« versetzte Manicamp, »sobald es sich um die Ehre Eurer Majestät handelt.« – Das war etwas plump; aber Ludwig liebte den Weihrauch, auch wenn er ein wenig qualmte, sofern er nur seiner Person gespendet wurde. – Herr von Manicamp verneigte sich und ging hinaus.

»Herr d’Artagnan,« fuhr der König fort, »Sie haben doch sonst so scharfe Augen, wie können Sie nur diesmal so falsch gesehen haben?« – »Ich falsch gesehen?« antwortete der Musketier. »Na, es muß ja wohl wahr sein, wenn Majestät es sagen.« – »Ich meine, in bezug auf die Geschichte im Walde von Rochin.«

»Ah so, ah so!« – »Na ja, Sie wollen die Spuren von zwei Pferden gesehen, die Fußtritte zweier Männer erkannt haben, und Sie beschrieben mir sogar den ganzen Hergang eines Kampfes. Alles die reine Illusion.« –

»Ah so, ah so!« rief d’Artagnan wieder. – »Herr von Guiche hat‘ in der Tat gegen ein Wildschwein gekämpft, und dieser Kampf hat lange gedauert und furchtbar geendet.« – »Ah so, ah so!« wiederholte d’Artagnan.

»Und wenn ich denke, daß ich Ihrem Märchen auch nur auf einen Augenblick Glauben schenkte!« fuhr der König fort, »Aber Sie sprachen mit so großer Zuversicht.« – »Es muß wirklich optische Täuschung gewesen sein, Majestät,« sagte d’Artagnan mit so vielem Humor, daß Ludwig XIV. ganz entzückt war. – »Und nun sehen Sie Ihren Irrtum ganz klar ein?« – »Selbstverständlich. Ich hatte ja auch nur eine gewöhnliche Stalllaterne mit, jetzt aber habe ich alle Lichter im Kabinett Eurer Majestät um mich und obendrein die zwei Augen meines Königs, die heller als die Sonne leuchten.«

Der König lächelte. Saint-Aignan lachte laut. D’Artagnan fuhr fort: »Herrn Vallot ist es ebenso ergangen. Er hat sich eingebildet, Guiche sei von einer Kugel verwundet worden. Ja, bei ihm geht die Einbildung sogar so weit, daß er dem Verwundeten die Kugel aus der Brust gezogen haben will. Nicht wahr, Herr Vallot, Sie haben das nicht im Ernst geglaubt?« – »Ich habe es nicht nur geglaubt, sondern kann es beschwören,« antwortete der Gelehrte eigensinnig. – »Nun denn, lieber Doktor, Sie haben das geträumt!« rief d’Artagnan, »die Wunde des Herrn Guiche ist ein Traum, und die Kugel in der Wunde ist erst recht ein Traum. Glauben Sie mir das, und reden Sie nicht mehr davon.«

»Sehr gut, d’Artagnan!« rief der König. »Herr Doktor, der Rat, den Ihnen der General-Kapitän gibt, ist sehr gut. Sprechen Sie zu niemand über Ihren Traum, und Sie werden es nicht bereuen, so wahr ich ein Edelmann bin. Guten Abend, meine Herren! O, wie fatal ist es doch, ganz allein einem Wildschwein aufzulauern!« – »Ja, der Anstand auf ein Wildschwein kann sehr böse ablaufen,« rief d’Artagnan laut, und diese Worte wiederholte er in jedem Zimmer, durch das er ging.

Als der König mit Saint-Aignan allein war, sprach er: »Nun sagen Sie, wer war der Gegner des Herrn von Guiche?« – Saint-Aignan sah den König an. – »Zaudre nicht,« rief dieser, »ich weiß zu verzeihen.« – »Herr von Wardes,« sagte der Hofmeister. – Und Ludwig sprach bei sich selbst: »Verziehen ist nicht vergessen.«

4. Kapitel. Krankenbesuch

Ganz glücklich, sich so gut aus der Affäre gezogen zu haben, verließ Manicamp das Zimmer des Königs. Als er die Treppe hinabschritt, fühlte er sich am Aermel gezupft. Er sah sich um und erblickte Fräulein von Montalais. – »Mein Herr, bitte, folgen Sie mir!« sagte die Ehrendame. – »Ah, nun soll ich auch noch zu Madame,« sprach der junge Mann. »Nun, meinetwegen! ich bin einmal im Zuge. Aber die Jagdgeschichte wird diesmal keinen Erfolg haben. Wir werden etwas anderes erfinden müssen.«

Madame erwartete ihn mit sichtlicher Ungeduld. »Ah, endlich!« rief sie. – Manicamp verneigte sich ehrerbietig, die Montalais wurde entlassen. – »Sagen Sie doch, Herr von Manicamp, was gibt es denn nur? Was hört man da? Wir haben einen Verwundeten in Fontainebleau?« – »Leider, Madame. Graf von Guiche.« – »Ja, es wurde mir mitgeteilt,« fuhr die Herzogin fort. »Aber das ist ja schrecklich. Und Majestät hat doch die Zweikämpfe verboten.«

»Ganz recht, Madame, aber ein Zweikampf mit einem wilden Tiere entzieht sich der Gerichtsbarkeit des Königs.« – »Sie wollen mir doch nicht zumuten, ich glaubte diese absurde Fabel. Wer weiß, weshalb man überall erzählt, Herr von Guiche sei von einem Eber verletzt worden! Mir ist die Wahrheit wohlbekannt. Graf Guiche schwebt in doppelter Todesgefahr, erstens durch die Wunde, zweitens durch das Urteil des Königs. Haben Sie mit Majestät gesprochen?«

»Ich habe ihm erzählt, Graf Guiche sei auf dem Anstande von einem Wildschwein angefallen worden, er habe geschossen und nicht getroffen, worauf das Tier sein Pferd umrannte, tötete und ihn selbst an Brust und Hand verwundete.« – »Und das alles hat der König geglaubt?« – »Jawohl.« – »Herr von Manicamp, Sie machen mir da ein X für ein U,« sagte Madame und schritt auf und nieder, während der junge Mann regungslos auf seinem Platze stehenblieb. »Kein Mensch glaubt an diese Fabel. Alle Welt erklärt sich Guiches Unfall anders.« – »Und wie denn, Madame, wenn ich so unbescheiden sein darf, danach zu fragen?« antwortete Manicamp mit der ihm eigenen Harmlosigkeit. – »Das fragen Sie mich, Sie, ein intimer Freund, ein Vertrauter des Grafen?« – »Madame, Graf Guiche hat keine Vertrauten. Er ist einer von denjenigen Männern, die ihre Geheimnisse fest in ihre Brust verschließen. Herr von Guiche, Madame, plaudert nicht.«

»Nun, so werde ich Ihnen das Geheimnis des Herrn von Guiche mitteilen,« rief die Prinzessin ungeduldig. »Es könnte sein, der König fragt Sie noch einmal danach, und ein zweites Mal wird er sich vielleicht nicht mit Ihrer Erklärung zufriedengeben, wenn er von allen Seiten hört, Herr von Guiche habe in Sachen seines Freundes Bragelonne einen Wortwechsel gehabt, der schließlich in Streitigkeiten ausartete und zu einem Duell führte.« – »Ein Duell für Herrn von Bragelonne?« antwortete Manicamp mit gut gespieltem Erstaunen. »Was belieben Königliche Hoheit mir da zu sagen?«

»Sie wundern sich. Herr von Guiche ist rachsüchtig, jähzornig, hochfahrend.« – »Ich halte Herrn von Guiche im Gegenteil für sehr geduldig und zurückhaltend. Nur wenn es sich um eine gerechte Sache handelt, kann er außer sich geraten.« – »Ist die Freundschaft nicht solch eine gerechte Sache?« erwiderte Madame. »Und Graf Guiche ist Bragelonnes Freund. Er hat seine Partei genommen, denn Bragelonne ist abwesend und kann sich nicht selbst verteidigen. Das ist doch ganz klar. Sie sind allerdings nicht meiner Ansicht und haben etwas anderes zu sagen, wie ich sehe.«

»Ich habe nichts zu sagen, Madame,« entgegnete Manicamp. »Höchstens eins. Daß ich nämlich nichts von alledem verstehe, was Sie mir da erzählen.« – »Was? Sie wollen nichts wissen von dem Duell zwischen Herrn von Guiche und Herrn von Wardes?« rief nun die Herzogin erzürnt. – Manicamp schwieg. – »Sie wollen nichts davon wissen, daß eine mehr oder weniger boshafte, mehr oder weniger begründete Anspielung auf die Tugend einer gewissen Dame die Ursache dieses Duells gewesen ist?« – »Madame, Madame!« rief der junge Mann, »bedenken Sie, was Sie sprechen!« – Aber die Prinzessin war zu erregt, um seine Warnung zu hören, und fuhr fort: »Eine Anspielung auf die Tugend des Fräuleins von Lavallière!«

»Des Fräuleins von Lavallière?« rief Manicamp und machte einen Seitensprung, als hätte er diesen Namen am wenigsten zu hören erwartet. – »Was hüpfen Sie denn so, Herr?« rief die Prinzessin ironisch. »Sie sind hier nicht in der Menuettstunde. Oder sollten Sie etwa Zweifel in die Tugend der genannten Dame setzen?« – »Es handelt sich dabei ja nicht im geringsten um die Tugend des Fräuleins von Lavallière,« antwortete der junge Mann. – »So stellen Sie sich doch nicht länger unwissend,« fuhr Lady Henriette fort. »Sie sehen, ich bin gut unterrichtet. Und der König wird auch binnen kurzem wissen, daß sich Herr von Guiche als Bevollmächtigter des Herrn von Bragelonne dieser kleinen Abenteuerin angenommen hat, welche so gern die große Dame spielen möchte. Er wird erfahren, daß Herr von Bragelonne seinen Freund von Guiche als Schatzhüter zurückgelassen hat, und daß nun Guiche den ersten, der sich an diesem Schatz zu vergreifen wagte, den Herrn von Wardes, auf die Finger geklopft hat. Nun wird es Ihnen, Herr von Manicamp, auch bekannt sein, daß der König selber nach diesem Schatze lüstern ist und Herrn von Guiche für sein Cerberusamt wenig Dank wissen wird.«

»Sie werden Herrn von Guiche in Schutz nehmen, Madame,« antwortete Manicamp, scheinheilig wie immer. – »Sie sind närrisch, mein Herr!« rief die Herzogin schroff. – »Im Gegenteil, ich bin ganz bei Verstande und wiederhole, Sie werden Herrn von Guiche beim König verteidigen.« – »Weshalb wohl?« – »Weil Herrn von Guiches Sache,« antwortete Manicamp, diesmal mit Wärme und mit einem fast gefühlvollen Augenaufschlag, »zugleich Ihre Sache ist. Denn es wundert mich, Madame, daß Sie die wahre Ursache nicht durchschaut haben. Als Herr von Guiche sich wegen des Fräuleins von Lavallière ereiferte, war ihm nämlich nur darum zu tun, einen Deckmantel zu haben. Und damit, Madame,« setzte Manicamp hinzu, die Prinzessin fest ansehend, »glaube ich genug gesagt zu haben, um Eure Königliche Hoheit zur Fürsprache beim Könige zu bewegen.«

Die Prinzessin bedeckte das Gesicht mit den Händen und rief: »Herr, wissen Sie, was Sie da sprechen und zu wem Sie es sprechen?« – »Treiben Sie die Sache nicht soweit, Madame, daß ich Ihnen wider meinen eigenen Willen die Person nenne, die die wahre Ursache des Duells gewesen ist!« fuhr Manicamp fort. »Soll ich Ihnen darlegen, wie erbittert Graf Guiche über alle die Gerüchte war, die man über die besagte Person verbreitete? Soll ich, wenn Sie darauf beharren, diese Person nicht zu kennen, und mir die Achtung verbietet, sie namhaft zu machen, an die Auftritte zwischen Lord Buckingham und Monsieur erinnern, an Graf Guiches Eifer, dieser Person zu gefallen, die für ihn Leben und Tod bedeutet, ihr zu dienen, sie zu beschützen? oder begreifen Sie nun, daß der Graf, der schon lange auf gespanntem Fuße mit von Wardes stand, beim ersten verletzenden Wort, das dieser über jene Person fallen ließ, Feuer fing? Werden Sie sich nicht mehr über die große Geschicklichkeit, den feinen Takt wundern, mit dem der Graf diesem Streit eine andere Ursache unterzuschieben wußte, um jene Person ganz aus dem Spiele zu lassen? Und wenn nun diese Person, für die in Wirklichkeit der Graf sich duelliert hat, dem armen Verwundeten auch nur einigermaßen freundlich gesinnt ist, so wird es nicht zuviel sein für das Blut, das er für sie verspritzt hat, für den Schmerz, den er ihretwegen erleidet, wenn sie nun ihm ihren Schutz angedeihen läßt!«

Madame konnte sich nicht länger bezwingen. »So war es wirklich meinetwegen!« rief sie aus. Dann schwieg sie lange und preßte die Hände auf die Brust, um die stürmischen Wallungen ihres Busens zu hemmen. »Herr von Manicamp, Sie sprechen in einem Tone, als sei Graf Guiche schwer verwundet. Lassen Sie mich wissen –« – »Eine Hand ist ihm zerschmettert worden, aus der Brust hat man die Kugel entfernt.« – »Mein Gott! mein Gott!« rief Lady Henriette. »Das ist schrecklich! Und das hat dieser elende, feige Meuchelmörder Wardes getan. O, der Himmel ist wahrlich nicht gerecht. Schwebt Herr von Guiche in Lebensgefahr?«

»In doppelter, Madame, wie Sie bereits zu bemerken die Güte hatten,« antwortete Manicamp, »durch seine Wunden und durch des Königs Urteil. Ja, Madame, es ist möglich, daß er stirbt. Und vielleicht muß er sterben, ohne das tröstliche Bewußtsein, daß Ihnen bekannt sei, was er für Sie getan hat.«

»O, Sie werden es ihm sagen! Sind Sie nicht sein Freund?« rief Madame. – »Nein, Hoheit,« antwortete Manicamp fest, »ich werde ihm nur sagen, wie grausam Sie gegen ihn gewesen sind; denn er hat eine gute Natur und einen guten Arzt; es ist möglich, daß er mit dem Leben davonkommt, und dann soll er nicht nachträglich noch an gebrochenem Herzen sterben.«

»Welcher Arzt behandelt ihn?« fragte die Herzogin, sich auf die Lippe beißend. – »Herr Vallot, der Leibarzt des Königs. Er liegt in dem Hause des Arztes in der Feurrestraße.« – »Kehren Sie jetzt zu dem Kranken zurück?« – »Ja, Madame.« – »So erweisen Sie mir einen Dienst! Entfernen Sie alle Anwesenden – entfernen Sie sich auch selbst – o, verlieren wir keine Zeit mit unnützen Einwendungen!« schnitt sie dem jungen Manne das Wort ab, als sie sah, daß er Bedenken äußern wollte. »Fragen Sie nicht weiter nach und nehmen Sie hin, was ich Ihnen sage. Ich will zwei meiner Frauen hinschicken; Sie brauchen sie nicht zu sehen. Genügt Ihnen das?«

»Gewiß, Madame; ich werde sogar vor Ihren Botinnen hergehen und dafür sorgen, daß Sie nicht auf unerwartete Hindernisse stoßen.« – »Nun wohl, so warten Sie unten auf der Treppe. Drehen Sie sich nicht nach den Frauen um, sondern gehen Sie immer gerade Ihres Weges.« – »Zu Befehl, Hoheit!« – Manicamp verneigte sich und ging zufrieden von dannen. Er wußte, daß Madames Erscheinen der beste Balsam für die Wunden seines Freundes sein werde. Er brauchte keine Viertelstunde zu warten, dann erschienen zwei Frauen auf der Treppe, und Manicamp ging, wie verabredet, ohne sich umzuschauen.

Graf Guiche lag im Bette, bleich, mit verschleierten Augen, umfangen vom Delirium, von einem jener finstern Träume, die Gott denjenigen schickt, welche auf dem Wege sind, in die fremde Welt der Ewigkeit zu versinken. Manicamp trat ein, sprach ein paar Worte mit der Krankenwärterin und ging dann mit ihr in ein Nebenzimmer.

Zwei Frauen, in Mäntel gehüllt, eine Halbmaske vorm Gesicht, traten ein. Die eine gab der andern einen Wink, worauf diese an der Tür auf einem Schemel Platz nahm. Dann ging sie selbst ans Bett, hob die Vorhänge auf und sah in das blasse Gesicht des Bewußtlosen, dessen rechte Hand in weiße, stellenweise von Blut getränkte Leinwand gewickelt war. Die Brust trug einen ebensolchen Verband, der auch einige Blutspuren zeigte. Ein heiserer Ton wie Todesröcheln entklang den aufeinandergebissenen Zähnen des Grafen. Die Maskierte ergriff seine linke Hand, die heiß war wie glühende Kohle.

Als die kalte Hand der Dame sie berührte, war die Wirkung dieser Kälte so stark, daß Graf Guiche die Augen aufschlug. Doch schien er im ersten Moment nichts zu sehen, nichts zu erkennen. Die Dame gab ihrer Gefährtin, die an der Tür geblieben war, einen Wink, und diese sprach sofort laut und mit sorgfältiger Betonung: »Herr Graf, Ihre Königliche Hoheit, Madame, wünscht zu wissen, ob Ihre Wunden Sie sehr schmerzen, und Ihnen durch meinen Mund innigste Teilnahme auszusprechen.«

Bei dem Worte »Madame« bewegte sich der Graf und drehte sich nach der Seite um, von der die Stimme kam. Da ihn aber die kalte Hand nicht losließ, wandte er sich wieder nach dieser unbeweglichen Gestalt. – »Sind Sie es, Madame, die mit mir spricht?« flüsterte er, »oder ist jemand anders im Zimmer?« – »Ja,« antwortete die unbewegliche Gestalt. – »Nun, so sagen Sie Madame, ich danke ihr und werde nun gern sterben, da sie meiner gedacht hat.«

Die maskierte Dame weinte und vergaß, daß sie eine Larve trug. Bei dem Versuch, die Tränen abzuwischen, riß sie den Domino weg. Nun sah Graf Guiche ihr Gesicht und stieß einen Schrei aus. Aber alsbald starb jeder Laut auf seinen Lippen, der rechte Arm, den er ausgestreckt hatte, sank zurück, und die Wunde schien frisch aufzubrechen, denn die Leinwand färbte sich mit einem tiefen Rot. Dann lag der Kopf regungslos auf dem Kissen. Die Dame aber neigte sich über das leichenfahle Gesicht und drückte einen Kuß auf die Lippen. Wie von einem elektrischen Strome berührt, erwachte Guiche noch einmal, um sofort aufs neue in Ohnmacht zu fallen.

»Fort!« rief die Dame ihrer Gefährtin zu; »wenn ich noch länger hier bliebe, wäre ich imstande, eine Torheit zu begehen. Hebe den Domino auf!« – Sie schlüpften hinweg und kehrten rasch ins Palais zurück.

Die eine der beiden Damen verschwand in den Gemächern der Herzogin von Orléans, die andere begab sich in das Gelaß der Ehrendamen. Und diese letztere nahm die schwarze Larve, die die Besucherin des Kranken getragen hatte und betrachtete sie im Kerzenlicht. »Ich habe vergessen, sie Madame zurückzugeben,« murmelte sie, »ich werde es morgen tun! Doch sieh da!« rief sie aus, »die Innenseite ist ganz naß! O, Sie haben geweint, meine Gnädige. Das läßt tief blicken. Und noch mehr, hier ist gar ein Blutfleck! Sie müssen also den Wunden des Herrn von Guiche sehr nahe gekommen sein. O nein! diese Larve werde ich Ihnen nicht zurückgeben. Sie ist jetzt viel zu kostbar.«