988. Geistermette

988. Geistermette

Ein Bewohner dieser Gegend, der Seebühler genannt, hat erzählt, einmal sei er mit seinem Vater und ihrer zwei andern vom Thumsee zur Nachtzeit nach Berchtesgaden zu gegangen; Wild zu schießen, denn dort gibt es Wild und Wildschützen allewege. Da seien sie außerhalb Reichenhall bei der jetzt niedergerissenen Kirche von St. Peter und Paul vorbeigekommen, gerade als die Glocke drinnen in der Stadt zwölf geschlagen. Alsbald erblickten die Wildschützen die Kirchensenster hell erleuchtet und kletterten neugierig außen an einem Fenster in die Höhe, hineinzugucken, denn Wildschützen fürchten sich vor dem Teufel nicht. Da war die ganze Kirche voll schwarz angetaner Leute, und jede Person hielt ein Licht, und hatten ihre Häupter all gesenkt voll Andacht. Am Altare der Priester hielt feierlich das Hochamt, und die Orgel erklang dazu durch die Nachtstille in süßen Tönen. – Außer dieser Kirche und dem Dome zu Salzburg werden als Geisterkirchen auch noch genannt die Propsteikirche zu Berchtesgaden, die Kapelle zu St. Bartholomä hart am Königssee unterm Watzmann, die zu St. Zeno abwärts Reichenhall nach Salzburg zu, auch in der G’main und im Stift zu Högelwerth ist gleiches wahrgenommen worden. Ja sogar weit vom Untersberge, hat der Seebühler erzählt, zu St. Salvator in Prien, hart am entgegengesetzten Ufer des Chiemsees nach Rosenheim zu, wie ihm die Mesnerin heilig und teuer versichert hat, haben die schwarzen Untersberger Geistermette gehalten; die Kirche war hell erleuchtet, die Orgel klang nebst andern Instrumenten, die Kirchentüre aber war verschlossen und ließ sich mit dem Schlüssel nicht öffnen. Nachbarsleute genug seien dabei gewesen und könnten’s bezeugen.

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98. Die wandelnde Nonne

98. Die wandelnde Nonne

Nahe bei Niederlahnstein, am rechten Rheinufer, stand einst ein Frauenkloster, Machern, darinnen ging es nichts weniger als gottwohlgefällig zu. Es gab Besuche von Mönchen aus Nachbarklöstern, gab wüste Gelage, Geschrei, auch nächtliche Reigen, und spät des Nachts fuhren die Mönche auf raschen Rollwagen durch den Hohlweg, einen Bach entlang, nach Herchheim und Niederlahnstein zu. Nur eine einzige Nonne war fromm und tugendhaft, sie betete viel und las die heiligen Geschichten, während ihre Schwestern sich im vollen Sinnentaumel aller Weltlust hingaben. Da kam einst ein frommer Klausner namens Michael, der in einem stillen Tale bei Marienburg hauste, in einer Sturmnacht an das Klostertor, als gerade im Kloster der Konvent die Lahnsteiner Kirmes feierte, wobei es hoch herging und nicht an geliebten Gästen fehlte, und begehrte Einlaß, allein die weltlichen Sünderinnen fürchteten einen geistlichen Zeugen und ließen ihn nicht ein, sie ließen ihn obdachlos und ungelabt draußen bleiben. Da verwünschte der fromme Mann im zornigen Eifer das ganze Kloster und die Nonnen zu Nachteulen und Nachtgespenstern und alle die buhlenden Mönche zu Teufelslarven, und am Morgen – war das Kloster verschwunden, und öde war die Stätte, wo es gestanden. Seitdem vernimmt man alljährlich zur Zeit des Lahnsteiner Kirmesfestes hinten in der Talschlucht, wo das Kloster stand, Gekreisch und Geheul und wilden Spuk, den Schall von Buhlliedern und wieder dazwischen fromme Weisen – und gewahrt auch wohl grausige Mönchsgespenster auf Rollwagen mit feuersprühenden Rädern durch das Tal dahinfahren. Die einzige fromme Nonne aber wandelt in heiligen Nächten und auch zu jener Kirmeszeit ernst und mild an einen verwitterten Bildstock, der am Bächlein steht, das aus dem Tale kommt, ab und auf und scheint in einem Buche zu lesen. Niemand tut sie etwas zuleide, grüßt auch wohl, doch ist ihr Anblick vielen schon schreckend gewesen.

Das Kloster Machern aber, das hier der Einsiedel Michael mit seiner Verwünschung dem Boden enthob, wurde an der Mosel nahe bei Zeltingen wiedergefunden und dort mit frommen Insassen bevölkert. Vom Klausner Michael aber geht die Sage, daß er beim Nahen des Todes Gott angefleht, seinen Leichnam nicht unbegraben zu lassen, und siehe, als er Todes verblich, da läuteten die Glocken der alten Johanniskirche bei Niederlahnstein von selbst, von Engelhänden gezogen; da kamen Menschen herbei, erhuben des Klausners Hülle und bestatteten sie in des Johanniskirchhofs geweihete Erde.

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982. Der Marquartsteiner

982. Der Marquartsteiner

Nahe dem Chiemsee, mitten im Schoß der diesen im Süden rings einschließenden Berge, liegt Schloß Marquartstein. Darauf saß ein Graf des Namens Marquart, welcher die Tochter eines Ritters Kuno von Mögling, Adelheid geheißen, entführt hatte, und es war dem alten Möglinger gerade so ergangen wie dem Kaiser Heinrich mit dem Leuchtenberger, sein liebes Kind hatte sich auf der Jagd verirrt, war dem Marquartsteiner begegnet, und dieser hatte sich liebend der Tochter angenommen; um so lieber, als er ihres Vaters Feind war. Aber nur zwei Monate waren dem Marquartsteiner vergönnt, den Becher der Liebe mit Adelheid auszuleeren, da mußte er von Feindeshand den Becher des Todes trinken; Meuchelmörder erschlugen ihn. Seine treue Adelheid beweinte ihn heiß und heiratete darauf den Grafen Ulrich von Pütten. Auch dieser starb und ward heiß beweint, und dann heiratete Adelheid den Grafen Berengar von Sulzbach. Da sie aber ihres Marquartsteiner letzten Seufzer und das Gelübde, ein Kloster zu bauen, empfangen, löste sie sotanes Gelübd, doch nicht eher, bis sie sich nach ihm zum dritten Male vermählt hatte. Dieses Kloster empfing den Namen Baumburg, und Adelheid wurde darin begraben. Adelheids Mutter, Irmengard, eine Hallgräfin von Lindburg, hatte auch ein Gelübde zu erfüllen, und dadurch wurde Berchtesgaden begründet in tiefer Waldwildnis, die jetzt keiner mehr dem freundlichen Talkessel ansieht, durch den aus dem Königssee hervorbrausend die muntere Achen unter schattenden Ahornen ihre dunkelgrünen Wellen rollt. Baumburg und Berchtesgaden blieben lange vereinigt unter einem Propst, und Berchtesgaden war lange Zeit nur ein Sommerfilial, denn im Winter war es dort wegen Wasser und Wind, Sturm und Schnee, Tieren und Waldgeistern nicht auszuhalten, und hatte dort die wilde Berchta so recht ihre Gaden und Jagdreviere. Da ist des Marquartsteiners Andenken treulich behütet worden.

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983. Der Schneider von Unken

983. Der Schneider von Unken

Im Lofertal, das schon österreichisch, liegt Unken, mag wohl den Namen mit der Tat haben, gibt darin auch noch ein Mäustal und ein Rabental, ein Dörflein Höllenstein und eine Bergreihe, die Hohlwege; ein Bach heißt der Unkenbach, einer der Finsterbach und einer der Schwarzbach, fließen alle in die Saal, die ihr Eiswasser unterhalb Salzburg in die Salzach rinnen läßt. Geister gibt es auch genug dortherum und manchen Schatz im Schoß der gewaltigen Berge, die das Tal einengen.

Nun war zu Unken ein tapferer Schneider, eines Schneiders Sohn, das war ein gewaltiger Nimrod, hatte den Stutzen lieber wie das Bügeleisen und den Hirschfänger lieber als die Schere, tat wenigstens so, und hielt sich einen großen Fanghund, aber mit dem Jagdgewehr durft‘ er am Tage nicht gehen. Nun ging er einstmals bei Nacht über die Wegscheid, wo es gar nicht geheuer ist, war auf dem Kaitl gewesen und hatte da ohne Zweifel einmal getrunken, denn man kann am Kaitl nicht wohl ohne Einkehr vorübergehen. Wie nun der Schneider so hinaufsteigt zur Wegscheid, geht neben ihm ein schwarzer Mann, hält Tritt und Schritt mit ihm und spricht kein Grüß Gott und kein Zeitlassen und kein Gelobt sei Jesus Christ, auch nicht Guten Abend, sondern gar nichts. Wird’s dem tapfern Schneider seltsam, ruft seinen großen Fanghund. Aber der große Fanghund, wie er den schwarzen Mann sieht, klemmt er den Schwanz zwischen die Beine und reißt aus wie Schafleder, über die Wegscheid hinein ins Lofertal, daß er in zwei Augenblicken seinem Herrn aus dem Gesicht ist. Jetzt wird’s dem Schneider brühheiß und eiskalt in einem Atem, doch faßt er sich ein Herz und zieht vom Leder, nämlich aus seinem Gürtel sein Messer, daran auch, wie dort landüblich, eine Gabel, nestelt die Gabel in die linke Hand und denkt, nun komm nur an, du Schwarzer! Dabei schlugen ihm aber alle Glieder, und die Kniee schlotterten ihm. Der Schwarze blieb stumm. Ein sehr starkes Stück Wegs unterm ganzen Wendberg zur Rechten hin ging der dunkle Begleiter mit, bis sie herunterkamen, wo eine Brücke über einen Bach führt, der vom Mitterberg herabrollt, und welche die Säumerbrücke heißt, darauf blieb der Schwarze stehen und bog sich hinab zum Wasser. Der tapfere Schneider, fest die Wehr, Messer und Gabel in den Händen, trabte weiter, erreichte das Wirtshaus zur Schnagelreit mit Mühe und Not und mehr tot als lebendig und käseweiß, und da dachten die Leute, er wolle jemand totstechen, denn er legte die Wehr gar nicht aus der Hand, und endlich fand sich, daß er vom ängstlichen Festhalten den Krampf in die Finger bekommen hatte und die Fäuste nicht öffnen konnte. Nicht um die Welt wäre er noch einmal vor die Haustüre gegangen, und niemals ging er wieder im Zwielicht über die Wegscheid. Andern Morgens, da der tapfere Schneider heimkam nach Unken, prügelte er den großen Fanghund weidlich durch, schlug ihm mit der eisernen Elle fast das Rückgrat entzwei und jagte ihn aus dem Hause.

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984. Die steinerne Agnes

984. Die steinerne Agnes

Von Reichenhall nach dem Hallturm und Berchtesgaden zu kommt man unterm Dreisesselkopf vorbei und läßt den Lattenberg rechts liegen; dort war auf einer Alm eine junge hübsche Sennderin, die war auch gar fromm und fleißig und hielt es mit dem Spruch: Bete und arbeite, und die hieß Resi, das ist auf Hochdeutsch Agnes. Jeden Morgen und Abend hat die Nesi vor einem Kreuzel droben aus ihrer Almen ihr Gebet verrichtet, und das hat den Teufel mächtig gegiftet, denn er hat es gerad zumeist auf die Frommen abgesehen, da die Unfrommen ihm schon von selbst in die Hände laufen.

Nun hat der Teufel die fromme Dirne gar arg in Versuchung geführt, ist bald als Hirtenbub, bald als Jäger, bald als Musikant zu ihr gekommen und hat ihr seine Teufelslügen vorgeplauscht, aber sie hat sich alles nichts anfechten lassen und ist ihm immer entgangen, ist auch zuletzt nicht mehr allein in ihrer Sennhütte geblieben, sondern hat noch eine Sennderin bei sich bleiben lassen. Darauf, um sie allein zu haben, hat ihr der Teufel eine Kuh weggetrieben bis auf die Almgarten, die nach St. Zeno gehört, und wie die Nesi ihre Kuh gesucht hat und endlich auch erblickt, so gar weit weg, und sie hat eintreiben wollen, ist der Teufel als ein Wildschütz dagestanden mit einem schönen Gamsbart auf dem Hütel und in einer grauen Joppen und hat sie mit ganz feurigen Augen angeschaut. Da hat sie einen Schrei getan und hat Reißaus gegeben, und der Teufel ist hinter ihr her und hat sie gejagt, bis sie nimmer laufen konnt‘, und ist an eine Steinwand gekommen, wie die heilige Ottilia, und hat zur Mutter Gottes gerufen: Hilf, heilige Mutter Gottes! Hilf! hilf! – und da hat sich die Steinwand aufgetan, und die Nesi ist hindurchgerennt, aber der Teufel, nicht faul, ist eben auch durchgeschlupft, hinter ihr drein, und hat das arme Dirndl doch erwischt, aber wie er an’s angerennt ist, hat er sich fast seine große schwarze Nase ein- und die Hörner abgestoßen, wenn er noch welche gehabt hat, denn der Leib Nesis ist in Stein verwandelt gewesen, und zwei weiße Engeln haben ihre Seele sanft gen Himmel getragen. Da hat der Teufel einen schönen Zorn gekriegt über die steinerne Sennderin, und die steht heute noch als Fels und heißt die steinerne Nesi. Und die Schlucht blieb und heißt das Teufelsloch, und wenn die Sonne hindurchscheint, was alle Jahr gerade am Sonnwendtag nur einmal geschieht, so juchezet die Nesi, daß man es weit und breit auf den Almen hört.

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985. Die Untersberger

985. Die Untersberger

Wer von Reichenhall nach Berchtesgaden geht, hat stets den weitberufenen Untersberg zur Linken. Dieser, von vielen im Volke auch der Wunderberg geheißen, steht eine Meile von Salzburg an dem Grundlosen Moos, wo einst vor alten Zeiten die große Hauptstadt Helfenburg gestanden haben soll. Er ist sechstausendsiebenhundertundachtundneunzig Fuß hoch und überreich an Wäldern, Alptriften, Wild und heilsamen Kräutern, an Marmor und anderm noch kostbareren Erz und Gestein. Ein altes Buch sagt aus, daß öfters fremde Kunsterfahrene aus Welschland herbeikamen, die Erze und Minern insgeheim bearbeiteten, nebenbei aber sich der Bosheit gebrauchten, die Fundgruben den Umwohnern aus Neid zu verhehlen und zu verblenden. Zahllose Sagen gehen von dem Untersberg im Munde des Volkes. Im Innern sei er ganz ausgehöhlt und mit Palästen, Kirchen, Klöstern, Gärten, Gold- und Silberquellen versehen. Kleine Männlein bewahrten die Schätze und wanderten ehedem oft um Mitternacht in die Stadt Salzburg, in der Domkirche daselbst Gottesdienst zu halten, aber auch nach andern Kirchen der Umgegend. Sieben Holzknechten und drei Reichenhallern kam einst auf schmalem Fußweg ein ganzer Zug schwarzer Männchen entgegen, vierhundert an der Zahl, Paar um Paar, ganz gleich gekleidet, zwei Trommler und zwei Pfeifer voran. Auch hörte man des Nachts in diesem Wunderberge Kriegsgetümmel und Schlachtgetön, besonders bei bevorstehendem Kriege. Zur mitternächtigen Geisterstunde kommen die Riesen hervor, steigen zum Gipfel und schauen gen Osten unverwandt; wann es dann zwölfe schlägt, erlischt ihr vorausgehend Flammenlicht, die Riesen verschwinden, und es treten die Zwerge aus dem zaubervollen Bergesinnern und brechen das Erz und hämmern am Gestein, oder sie wandeln, mit netzförmigen Häubchen bedeckt, mitten unter dem werdenden Vieh umher.

Vieles auch weiß die Sage der Umwohner von den wilden Frauen des Untersberges zu berichten; wilde Frauen in weißen Gewändern, mit fliegenden Haaren, an den Firsten des Berges. Sie sangen schöne Lieder.

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986. Der Kaiser im Untersberge

986. Der Kaiser im Untersberge

Im Schoß des Berges sitzt verzaubert ein alter Kaiser. Einige sagen, Karl der Große sei es, andere nennen Friedrich den Rotbart, der sich in das Unterschloß auf dem Kyffhäuser in Thüringen verwünscht haben und dort noch sitzen soll. Wieder andere lassen Kaiser Karl V. den sein, der im Untersberge verzaubert weile. Mancher soll ihn gesehen haben mitten im Kreise glänzender Wappner, sitzend an einem Tisch von Marmelstein, durch welchen ihm der Bart gewachsen, der fast dreimal um den Tisch reicht. Wann er zum drittenmal die letzte Ecke erreicht, dann wird der Antichrist erscheinen, dann wird die große Schlacht auf dem Walserfelde geschlagen, die Engel stoßen in ihre Posaunen, und der Jüngste Tag bricht an. Auch die Tochter des Kaisers wohnt daselbst und hat sich zum oftern freundlich gegen solche gezeigt, die zu günstiger Stunde in den Berg traten. Zu heiligen Zeiten will man wahrgenommen haben, daß der große Kaiser sich mit seinem Hofgesinde oder aber mit den Mönchen von St. Justus in der Domkirche zu Salzburg um Mitternacht eingefunden, die Mette mitgesungen und dem Hochamte beigewohnt, welches sein Hofpfarrer oder der Prior von Sankt Justus oder wohl gar ein großer Kirchenprälat zelebriert, der zugleich mit ihm in den Untersberg verwünscht worden ist. Zu solchen Zeiten wallen die vertriebenen Mönche in langen Zügen durch Erdklüfte unter Seen und Flüssen nach den benachbarten Kirchen und halten in St. Bartholomä am Königssee bei Berchtesgaden, in Grödig, im Münster Berchtesgadens und im hohen Dome der Metropolis zur Mitternachtsstunde unter Glockenklang und Orgelton den Gottesdienst. Ritter und Reisige durchreiten in glühenden Panzern, auf Flammenrossen und mit funkensprühenden Waffen die Gefilde der Umgegend, sich zur Pein und dem Lanmann zum Schrecken. Mit anbrechendem Tage eilen sie in den Untersberg zurück durch eine nur selten und nur wenigen sichtbare eherne Pforte, welche beim Hallturm hinter den Trümmern der Burg Plauen zwischen den Steinklüften eingestürzter Felsen zu Tage geht.

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987. Der Birnbaum auf dem Walserfeld

987. Der Birnbaum auf dem Walserfeld

Auf dem Walserfeld, ganz nahe dem Untersberg, stehet ein uralter Birnbaum, ganz dürr und abgestorben seit langer Zeit, und ist schon zum öftern gar umgehauen worden, aber durch die Kraft des Allmächtigen wurde die Wurzel behütet und trieb wieder aus, daß der Baum emporwuchs. Von diesem Baume geht nun eine alte Weissagung, daß er dereinst wieder beginnen werde zu blühen und Frucht zu tragen. Wann aber dieses sich ereignet, dann wird der verzauberte Kaiser mit all seinen Wappnern hervortreten aus dem Schöße des Untersberges, und es wird eine große und erschreckliche Schlacht des Glaubens halber geschlagen werden. Dieses geschieht aus göttlichem Verhängnis, weil kein Mensch mehr dem andern brüderliche Liebe erzeigen will. Wann der Baum beginnt zu grünen, wird diese Zeit der Not nahe sein, wann er aber anfangen wird Früchte zu tragen, wird sich die Schlacht anheben, und der Fürst des Bayernlandes wird an den Birnbaum seinen Schild aufhängen. Auf dem Felde wird den Streitern das Blut rinnen bis an die Knöchel und in die Schuhe, und die Vornehmen (merk’s!) werden wünschen, insgesamt auf einem Sattel davonreiten zu können. Nur die guten Menschen werden von den Riesen des Untersberges geschützt und gerettet, die bösen aber alle erschlagen werden. So blutig soll die Schlacht sein, daß sie alles Volk zerstören wird, als welches gar schrecklich. Fürwahr, eine gräßliche Prophezeiung, klingt, als wenn 1848 ihr Geburtstag gewesen wäre. Die Guten werden davonkommen, das sind die mit den Schlapphüten, den roten Federn und den Waldschrattbärten, die den bösen, vornehmen Menschen alle brüderliche Liebe zu erzeigen und mit ihnen zu teilen trefflich geneigt sind.

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977. Der Keferloher Jahrmarkt

977. Der Keferloher Jahrmarkt

Nicht weit von München liegt ein Ort, heißt Keferlohs, das hat einen berühmten Jahr- und Pferdemarkt, da strömt halb München hin, wo nicht noch mehr als halb, es geht dort alleweile lustig her, kramt sich dort mancher den schönsten Zopf, und wer Prügel wünscht, die könnte er dort prima Sorte spottwohlfeil haben, wohl gar umsonst, denn sie sitzen nicht fest auf dem Keferloher Markt. Des Marktes Ursprung aber wird davon abgeleitet, daß er eine Gabe Kaiser Ottos sei, weil ihm die Bayern, absonderlich die von München und Keferlohs, in der schweren Hunnenschlacht am Lech mit ihrer Reiterei zu rechter Zeit und Stunde zu Hülfe gekommen, da er schon den Sieg verlorengegeben. Da nun durch diese Reiterei der Sieg offenbar erkämpft worden, so habe der Kaiser flottweg die tapfern Bäuerlein zu Rittern geschlagen, die Pferdezucht und Wettrennen empfohlen und die Pferdemärkte eingesetzt. Da waren zwei Bauernführer dabei, die liebten einander, wie Hund und Katze einander lieben, so daß sie nicht einmal mehr miteinander in einer Kirche beten wollten; machten es wie jene Schwestern, baute sich jeder eine eigne Kirche, einer, der Niklas hieß, ein Niklaskirchlein, der andere ein Jakobskirchlein. Ein dritter Keferloher, der jene beiden noch überbieten wollte, ließ sich einen Pflug von purem Silber anfertigen und ackerte mit vier Pferden seinen getreuen Nachbarn vor der Nase herum, noch ließ er sich einen Maler kommen, da ging es fast wie im Liede: Meister Maler, wollt Ihr wohl – der sollte ihm ein Wappen malen und ihn hinein und den Pflug und die vier Pferde und den Acker und die beiden Nachbarn und deren Kirchen und den ganzen Keferloher Jahrmarkt. Was der Maler nicht in sotanes Bild bringen können, wird wohl außen geblieben sein.

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978. Liebe findet ihre Wege

978. Liebe findet ihre Wege

Auf dem Chiemsee, nach dem Bodensee das größte deutsche Binnengewässer, liegen in nicht allzuweiter Ferne voneinander zwei Inseln, die Herren- und die Fraueninsel, und auf jeder ein Kloster, dem Namen entsprechend. Da war auf Herrenchiemsee ein Mönch und auf Frauenchiemsee eine Nonne, die hatten einander geliebt, ehe sie das Klostergelübde abzulegen gezwungen worden, und liebten einander fort und fort, wie dereinst Hero und Leander sich geliebt, wo nur Hero eine Nonne als Priesterin der Aphrodite war. Und in dunkeln Nächten brannte hell ein Licht in der Nonnenzelle gegen Herrenchiemsee zu, und in des Sees mächtiger Flut rauschte es leise, und es kam und schwamm herüber und hob sich zum Strande und gewann die Zelle und sein Lieb. Aber stetig lauert der giftige Neid, der keinem und keiner heimliche Liebe vergönnt, und in einer stürmischen Nacht löschte er, nachdem sie recht hell geflammt, die Kerze in der Nonnenzelle aus, und der Schwimmer erreichte nimmer sein Uferziel, die Nixe des Chiemsees zog ihn in ihre Umarmung und warf im bleichen Morgengraun nur seine Leiche an die Fraueninsel. Mitleidvoll gönnten die Nonnen dem toten Mönch ein Grab und hatten bald neben ihm eine zweite Leiche zu bestatten.

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