Kapitel 33


Kapitel 33

Das Motto, womit wir diesen Abschnitt bezeichnen, ist eine Geisterstimme, die warnend durch die Weltgeschichte tönt, die von vielen vernommen, von den meisten überhört, von wenigen befolgt wurde. Zu allen Zeiten ging ein finsterer Geist durch das Haus der Erde, man vernahm oft sein Rauschen, man suchte es durch die Töne der Freude zu übertäuben. Ulrich von Württemberg hatte jene Stimme in mancher Nacht vernommen, die er sorgenvoll auf seinem Lager durchwachte. Er glaubte das Geräusch vieler Gewappneter und die dröhnenden Tritte eines Heeres zu vernehmen, er glaubte sie näher und näher um ihn sich lagern zu hören, und wenn er sich auch überzeugte, daß es nur die Nachtluft war, die um die Türme seines Schlosses brauste, so blieb doch eine finstere Ahnung in ihm zurück, daß sein Schicksal noch einmal sich wenden könnte. Jene Warnung des alten Ritters von Lichtenstein tönte oft in seiner Seele wieder, und vergeblich strengte er sich an, die künstlichen Folgerungen seines Kanzlers sich zu wiederholen, um ein Verfahren bei sich zu entschuldigen, das ihm jetzt zum wenigsten nicht genug überdacht schien. Denn seine alten Feinde rüsteten sich mit Macht. Der Bund hatte ein neues Heer geworben und drang herab ins Land, näher und näher an das Herz von Württemberg. Die Reichsstadt Eßlingen bot für diese Unternehmungen einen nur zu günstigen Stützpunkt. Sie liegt nur wenige Stunden von der Hauptstadt, beinahe mitten im Land, und war, sobald das Heer des Bundes die Kommunikation mit ihr hergestellt hatte, eine furchtbare Schanze, um Ausfälle nach Württemberg zu begünstigen und zu decken. Das Landvolk nahm an vielen Orten den Bund günstig auf, denn der Herzog hatte es durch die neue Art, wie er sich huldigen ließ, ängstlich gemacht.

Die Liebe zum Alten hatte der Herzog an seinem Volk erfahren, als er einige Jahre zuvor seinen Räten folgte und zur Verbesserung seiner Finanzen ein neues Maß und Gewicht einführte. Der „arme Konrad“, ein förmlicher Aufstand armer Leute, hatte ihn nachdenklich gemacht und den Tübinger Vertrag eingeleitet. Die Liebe zum Alten hatte sich auf eine rührende Weise an ihm gezeigt, als der Bund ins Land fiel, und das Haupt des alten Fürstenstammes verjagen wollte. Ihre Väter und Großväter hatten unter den Herzogen und Grafen von Württemberg gelebt, darum war ihnen jeder verhaßt, der diese verdrängen wollte. Wie wenig sie das Neue lieben, hatten sie dem Bund und seinen Statthaltern oft genug bewiesen.

Der alte, angestammte Herzog, ein Württemberger, kam wieder ins Land, sie zogen ihm freudig zu. Sie glaubten, jetzt werde es wieder hergehen wie „vor alters“; sie hätten recht gerne Steuern bezahlt, Zehnten gegeben, Gülten aller Art entrichtet und Fronen geleistet. Sie hätten über Schwereres nicht gemurrt, wenn es nur nach hergebrachter Art geschehen wäre. So gut wurde es ihnen aber nicht. Die alten Formeln waren aus dem Huldigungseid verschwunden, die Steuern wurden nicht mehr nach hergebrachter Sitte eingezogen, es war alles anders als früher, kein Wunder, wenn sie den Herzog als einen neuen Herrn ansahen und murrend nach dem alten Recht verlangten. Sie hatten zu Ulrich kein Zutrauen mehr, nicht weil seine Hand schwerer auf ihnen ruhte als vorher, nicht weil er bedeutend mehr von ihnen wollte als früher, sondern weil sie die neuen Formen mit argwöhnischen Augen ansahen.

Ein Herzog, besonders wenn er einem Ambrosius Volland sein Ohr leiht, erfährt selten genau, wie man über ihn denkt und ob die Maßregeln klug berechnet waren, die ihm seine Räte an die Hand gaben. Und dennoch entging Ulrichs hellem Auge die Unzufriedenheit seines Volkes nicht ganz. Er merkte, daß er im schlimmen Fall sich nicht auf es werde verlassen können, so wenig als auf die Ritterschaft des Landes, die, seit er wieder im Land war, sich sehr neutral verhalten hatte.

Seine Unruhe über diese Bemerkungen suchte er jedem Auge zu verbergen. Es beschwor die wildesten Töne der Freude herauf, und oft gelang es ihm sogar, zu vergessen, vor welchem Abgrund er stehe. Er verfluchte, um seinem Volk und dem Heer, das er in und um Stuttgart versammelt hatte, Vertrauen und Mut einzuflößen, einige Einfälle, welche die Bündischen von Eßlingen aus in sein Land gemacht hatten, doppelt heimzugeben. Er schlug sie zwar und verwüstete ihr Gebiet, aber er verhehlte sich nicht, wenn er nach einem solchen Sieg in seine Stellungen zurückging, daß das Kriegsglück ihn vielleicht verlassen könnte, wenn der Bund einmal mit dem großen Heer im Feld erscheinen würde.

Und er erschien früh genug für Ulrichs zweifelhaftes Geschick. Noch wußte man in Stuttgart wenig oder nichts von dem Aufgebot des Bundes, noch lebte man am Hof und in der Stadt in Ruhe und Freude, als auf einmal am zwölften Oktober die Landsknechte, welche der Herzog ein Lager bei Cannstatt hatte beziehen lassen, flüchtig nach Stuttgart kamen und von einem großen bündischen Heer erzählten, das sie zurückgeworfen habe. Jetzt merkten die Bewohner Stuttgarts, daß eine wichtige Entscheidung nahe, jetzt sahen sie ein, daß der Herzog längst um diesen drohenden Einfall gewußt haben müsse, denn er ließ an diesem Tag die Ämter aufbieten, ließ die Truppen sich versammeln, die auf das Land umher verlegt gewesen waren und hielt noch am Abend dieses Tages eine Musterung über zehntausend Mann.

Noch in der Nacht zog er mit einem großen Teil der Mannschaft aus, um die Stellungen, die ein Teil der Landsknechte zwischen Cannstatt und Eßlingen genommen hatte, zu verstärken.

In jener Nacht wurde in Stuttgart manche Träne von schönen Augen geweint, denn Männer und Jünglinge, was die Waffen führen konnte, zog mit dem Herzog in die Schlacht. Doch das Rauschen des abziehenden Heeres übertönte die Klagen der Mädchen und Frauen, sie verhallten wie das Wimmern eines Kindes im Kampf der Elemente. Mariens Schmerz war stumm, aber groß, als sie den Gatten unter die Türe herabgeleitete, wo die Knechte mit den Rossen für ihn und den Vater hielten. Sie hatten still und einsam, nur mit ihrem Glück beschäftigt, die ersten Tage ihrer Ehe verlebt. Sie dachten wenig an die Zukunft, sie glaubten im Hafen zu sein, und indem sie nur sich selbst lebten, überhörten sie das Flüstern, die geheimnisvolle Unruhe, die einem nahenden Sturm vorangeht. Sie waren gewöhnt, den Vater ernst und düster zu sehen, es fiel ihnen nicht auf, wie sein Auge immer trüber, seine Stirn finsterer, seine Mienen beinahe traurig wurden. Er sah ihr süßes Glück, er fühlte mit ihnen, er verbarg, um sie nicht zu früh aufzustören, was ihm eine bange Ahnung oft genug sagte. Aber endlich nahte der entscheidende Schlag. Der Herzog von Bayern war bis in die Mitte des Landes vorgedrungen und der Ruf zu den Waffen schreckte Georg aus den Armen seines geliebten Weibes.

Die Natur hatte ihr eine starke Seele und jene entschiedene Erhabenheit über jedes irdische Verhängnis gegeben, die nur in einer reinen Seele und in der mutigen Zuversicht auf einen höheren Beistand bestehen kann. Sie wußte, was Georg der Ehre seines Namens und seinem Verhältnis zum Herzog schuldig sei, darum erstickte sie jeden lauten Jammer und brachte ihrer schwächlichen Natur nur jenes Opfer schmerzlicher Tränen, die dem Auge, das den Geliebten tausend Gefahren preisgegeben sieht, unwillkürlich entströmen.

»Sieh, ich kann nicht glauben, daß Du auf immer von mir gehst«, sagte sie, indem sie ihre schönen Züge zu einem Lächeln zwang, »wir haben jetzt erst zu leben begonnen, der Himmel kann nicht wollen, daß wir schon aufhören sollen. Drum kann ich Dich ruhig ziehen lassen, ich weiß ja zuversichtlich, daß Du mir wiederkehrst.«

Georg küßte die schönen, weinenden Augen, die ihn so mild und voll Trost anblickten. Er dachte in diesem Augenblick nicht an die Gefahr, der er entgegengehe, er dachte nur daran, wie groß für das teure Wesen, das er in den Armen hielt, der Schmerz sein müßte, wenn er nicht mehr zurückkehrte; wie sie dann ein langes Leben einsam nur in der Erinnerung an die wenigen Tage des Glücks fortleben könnte. Er preßte sie heftiger in die Arme, als wolle er dadurch diese schwarzen Gedanken verscheuchen; seine Blicke tauchten tiefer in ihre Augen herab, um dort Vergessenheit zu suchen, und es gelang ihm, wenigstens trug er ein schönes Bild der Hoffnung und der Zuversicht mit sich hinweg.

Die Ritter stießen vor dem Tor gegen Cannstatt zum Herzog. Es war dunkle Nacht, das erste Viertel des Mondes und das Heer der Sterne warfen einen matten Schein herab; Georg glaubte zu bemerken, daß der Herzog finster und in sich gekehrt sei; denn seine Augen waren niedergeschlagen, seine Stirn kraus, und er ritt stumm seinen Weg weiter, nachdem er sie flüchtig mit der Hand gegrüßt hatte.

Ein nächtlicher Marsch hat immer etwas Geheimnisvolles, Bedeutendes an sich. Die Sonne, heitere Gegenden, der Anblick vieler Kameraden, der Wechsel der Aussichten locken bei Tag den Soldaten zum Gespräch, wohl auch zum Gesang. Weil die Eindrücke von außen stärker sind, denkt man weniger nach über das Ziel des Marsches, über das Ungewisse des Krieges, über die Zukunft, die niemand dunkler verhängt ist als dem Kriegsmann im Feld. Ganz anders auf dem Marsch in der Nacht. Man hört nur das Gedröhn des Zuges, den taktartigen Hufschlag der Rosse, ihr Schnauben, das Klirren der Waffen, und die Seele, die durch das Auge keine Bilder mehr empfängt, wird durch dieses eintönige Gemurmel ernster; Scherz und Gelächter sind verstummt, das laute Gespräch sinkt zum Geflüster herab, und auch dieses gilt nicht mehr gleichgültigen Gegenständen, sondern der Entscheidung, welcher man entgegenzieht.

So war auch der Zug in jener Nacht, ernst und von keinem Laut der Freude unterbrochen. Georg ritt neben dem alten Herrn von Lichtenstein und warf hie und da ängstliche Blicke auf diesen, denn er hing wie von Kummer gebückt im Sattel und schien ernster als je zu sein. Er hätte beinahe ohne Leben geschienen, wenn nicht hin und wieder ein Seufzer aus seiner Brust heraufgestiegen wäre und seine glänzenden Augen nach den Wölkchen geschaut hätten, die um die bleiche Sichel des Mondes zogen.

»Glaubt Ihr, es wird morgen zum Gefecht kommen, Vater?« flüsterte Georg nach einer Weile.

»Zum Gefecht? Zur Schlacht!«

»Wie? Ihr glaubt also, das Bundesheer sei so stark, daß es uns jetzt schon werde die Spitze bieten können? Es ist nicht möglich. Herzog Wilhelm müßte Flügel haben, wenn er seine Bayern herabgeführt hätte, und Frondsberg ist in seinen Entschlüssen bedächtig. Ich glaube nicht, daß sie viel über Sechstausend stark sind.«

»Zwanzigtausend«, antwortete der Alte mit dumpfer Stimme.

»Bei Gott, das hab ich nicht gedacht«, entgegnete der junge Mann mit Staunen »Freilich, da werden sie uns hart zusetzen. Doch wir haben geübtes Volk, und des Herzogs Augen sind schärfer als irgendeines im Bundesheer, selbst als Frondsbergs. Glaubt Ihr nicht auch, daß wir sie schlagen werden?«

»Nein.«

»Nun, ich gebe die Hoffnung nicht auf. Ein großer Vorteil für uns liegt schon darin, daß wir für das Land fechten, die Bündischen aber dagegen; das macht unsern Truppen Mut; die Württemberger kämpfen für ihr Vaterland.«

»Gerade darauf traue ich nicht«, sprach Lichtenstein, »ja, wenn der Herzog sich anders hätte huldigen lassen, so aber – hat er das Landvolk nicht für sich; sie streiten, weil sie müssen, und ich fürchte, sie halten nicht lange aus.«

»Das wäre freilich schlimm«, erwiderte Georg, »doch die Schwaben sind ein biederes, ehrliches Volk, sie werden den Herzog nicht in der Not verlassen. Wo glaubt Ihr, daß wir dem Feind begegnen? Wo werden wir uns stellen?«

»Zwischen Eßlingen und Cannstatt; bei Untertürkheim haben die Landsknechte einige Schanzen aufgeworfen und stehen dort zu dritthalbtausend Mann; wir werden uns noch in dieser Nacht an sie anschließen.«

Der Alte schwieg, und sie ritten wieder eine geraume Zeit still nebeneinander hin. »Höre, Georg!« hub er nach einer Weile an, »ich habe schon oft dem Tod Auge in Auge gesehen und bin alt genug, mich nicht vor ihm zu fürchten, es kann jedem etwas Menschliches begegnen – tröste dann mein liebes Kind, Marie.«

»Vater!« rief Georg, und reichte ihm die Hand hinüber, »denkt nicht solches! Ihr werdet noch lange und glücklich mit uns leben.«

»Vielleicht«, entgegnete der alte Mann mit fester Stimme, »vielleicht auch nicht. Es wäre töricht von mir, Dich aufzufordern Du sollst Dich im Gefecht schonen. Du würdest es doch nicht tun. Doch bitte ich, denk an Dein junges Weib, und begib Dich nicht blindlings und unüberlegt in Gefahr. Versprich mir dies.«

»Gut, hier habt Ihr meine Hand; was ich tun muß, werde ich nicht ablehnen, leichtsinnig will ich mich nicht aussetzen; aber auch Ihr, Vater, könntet dies geloben.«

»Schon gut, laß das jetzt. Wenn ich etwa morgen totgeschossen werden sollte, so gilt mein letzter Wille, den ich beim Herzog niedergelegt habe; Lichtenstein geht auf Dich über, Du wirst damit belehnt werden. Mein Name stirbt hierzulande mit mir, möge der Deinige desto länger tönen.«

Der junge Mann war von diese Reden schmerzlich bewegt; er wollte antworten, als eine bekannte Stimme seinen Namen rief. Es war der Herzog, der nach ihm verlangte. Er drückte Mariens Vater die Hand und ritt dann schnell zu Ulrich von Württemberg.

»Guten Morgen, Sturmfeder!« sprach dieser, indem seine Stirn sich etwas aufheiterte. »Ich sag‘ guten Morgen, denn die Hähne krähen dort unten im Dorf. Was macht Dein Weib? Hat sie gejammert, als Du wegrittst?«

»Sie hat geweint«, antwortete Georg, »aber sie hat nicht mit einem Wort geklagt.«

»Das sieht ihr gleich, bei Sankt Hubertus, Wir haben selten eine mutigere Frau gesehen. Wenn nur die Nacht nicht so finster wäre, daß ich recht in Deine Augen sehen könnte, ob Du zum Kampf gestimmt bist und Lust hast, mit den Bündlern anzubinden?«

»Sprecht, wohin ich reiten soll; mitten drauf soll es gehen im Galopp. Glauben Euer Durchlaucht, ich habe in meinem kurzen Ehestand so ganz vergessen, was ich von Euch erlernte, daß man im Glück und Unglück den Mut nicht sinken lassen dürfe?«

»Hast recht: Impavidum ferient ruinae.« Wir haben es auch gar nicht anders von Unserem getreuen Bannerträger erwartet. Heute trägt meine Fahne ein anderer, denn Dich habe ich zu etwas Wichtigerem bestimmt. Du nimmst diese hundertundsechzig Reiter, die hier zunächst ziehen, läßt Dir von einem den Weg zeigen und reitest Trab gerade auf Untertürkheim zu. Es ist möglich, daß der Weg nicht ganz frei ist, daß vielleicht die von Eßlingen schon herabgezogen sind, um den Paß zu versperren; was willst Du tun, wenn es sich so verhält?«

»Nun, ich werfe mich in Gottes Namen mit meinen hundertundsechzig Pferden auf sie und hau mich durch, wenn es kein Heer ist. Sind sie zu stark, so decke ich den Weg, bis Ihr mit dem Zug heran seid.«

»Recht gut gesagt, gesprochen wie ein tapferer Degen, und haust Du so gut auf sie, wie auf mich bei Lichtenstein, so schlägst Du Dich durch sechshundert Bündler durch. Die Leute, die ich Dir gebe, sind gut. Es sind die Fleischer, Sattler und Waffenschmiede von Stuttgart und den andern Städten. Ich kenne sie aus manchem Kampf, sie sind wacker und hauen einen Schädel bis aufs Brustbein durch. Das Schwert in der Faust, reiten sie Dir in die Hölle, wenn sie Dir einmal zugetan sind; und wen sie einmal ans Hirn getroffen haben, der braucht keinen Arzt mehr auf dieser Welt. Das sind die echten Schwabenstreiche.«

»Und bei Untertürkheim soll ich mich aufstellen?«

»Dort triffst Du auf einer Anhöhe die Landsknechte unter Georg von Hewen und Schweinsberg. Die Losung ist, Ulricus für immer. Den beiden Herren sagst Du, sie sollen sich halten bis fünf Uhr; ehe der Tag aufgeht, sei ich mit sechstausend Mann bei ihnen, und dann wollen wir den Bund erwarten. Gehab Dich wohl, Georg.«

Der junge Mann erwiderte den Gruß, indem er sich ehrerbietig neigte; er ritt an die Spitze der tapferen Reiter und trabte mit ihnen das Tal hinauf. Es waren kräftige Gestalten, mit breiten Schultern und starken Armen; unter den Sturmhauben hervor blickten ihn mutige Augen und breite ehrliche Gesichter freundlich an; er fühlte sich ehrenvoll ausgezeichnet, eine solche Schar zu führen. Man näherte sich dem Fuß des Rothenberges, auf dessen Gipfel das Stammschloß von Württemberg weit über das schöne Neckartal hinsah. Es war vom Sternenschimmer matt erhellt, und Georg konnte seine Formen nicht deutlich unterscheiden, aber dennoch blickte er immer wieder nach diesen Türmen und Mauern hinauf; er erinnerte sich jener Nacht, wo Ulrich in der Höhle mit Wehmut von der Burg seiner Väter sprach, von welcher er sonst auf ein schönes Land voll Obst, Wein und Frucht hinabgeschaut und dies alles sein genannt hatte. Er versank in Gedanken über das unglückliche Schicksal dieses Fürsten, das ihm aufs neue den Besitz des schönen Landes streitig zu machen schien; er dachte nach über die sonderbare Mischung seines Charakters, wie hier wahrhafte Größe oft durch Zorn, Trotz und unbeugsamen Stolz entweiht sei.

»Was Ihr dort unten unterscheiden könnt zwischen den beiden Bäumen«, unterbrach ihn der Reiter, welcher ihm den Weg zeigte, »ist die Turmspitze von Untertürkheim. Es geht jetzt wieder etwas ebener, und wenn wir Trab reiten, können wir bald dort sein.«

Der junge Mann trieb sein Pferd an, der ganze Zug folgte seinem Beispiel, und bald waren sie im Angesicht dieses Dorfes. Hier war eine doppelte Linie von Landsknechten aufgestellt, welche ihnen drohend die Hellebarden entgegenstreckten. An vielen Punkten sah man den rötlichen Schimmer glühender Lunten, die wie Scheinwürmchen durch die Nacht funkelten.

»Halt, wer da?« rief eine Stimme aus ihren Reihen. »Gebt die Losung!«

»Ulricus für immer«, rief Georg. »Wer seid Ihr?«

»Gut Freund!« rief Marx Stumpf von Schweinsberg, indem er aus den Reihen der Landsknechte heraus und auf den jungen Mann zuritt. »Guten Morgen, Georg, Ihr habt lange auf Euch warten lassen, schon die ganze Nacht sind wir auf den Beinen und harren sehnlich auf Verstärkung, denn dort drüben im Wald sieht es nicht geheuer aus, und wenn Frondsberg den Vorteil verstanden hätte, wären wir schon längst übermannt.«

»Der Herzog zieht mit sechstausend Mann heran«, erwiderte Sturmfeder, »längstens in zwei Stunden muß er da sein.«

»Sechstausend, sagst Du? Bei Sankt Nepomuk, das ist nicht genug, wir sind zu dritthalbtausend, das macht zusammen gegen neuntausend. Weißt Du, daß sie über zwanzigtausend stark sind, die Bündischen? Wieviel Geschütz bringt er mit?«

»Ich weiß nicht; es wurde erst nachgeführt, als wir ausritten.«

»Komm, laß die Reiter absitzen und ruhen«, sagte Marx Stumpf. »Sie werden heute Arbeit genug bekommen.«

Die Reiter saßen ab und lagerten sich; auch die Landsknechte lösten ihre Reihen auf und stellten nur starke Posten auf den Anhöhen und am Neckar auf. Marx Stumpf besichtigte alle Anstalten, und Georg legte sich, in seinen Mantel gehüllt, nieder, um noch einige Stunden zu ruhen. Die Stille der Nacht, nur durch den eintönigen Ruf der Wachen unterbrochen, senkte ihn bald in einen Schlummer, der seine Seele weit hinweg über Krieg und Schlachten, in die Arme seines Weibes entführte.

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Kapitel 34


Kapitel 34

Georg erwachte durch das Wirbeln der Trommeln, die das kleine Heer unter die Waffen riefen. Ein schmaler Saum war am Horizont hell, der Morgen kam, die Truppen des Herzogs sah man in der Ferne daherziehen. Der junge Mann setzte den Helm auf, ließ sich den Brustharnisch wieder anlegen und stieg zu Pferd, den Herzog an der Spitze seiner Mannschaft zu empfangen. Aus Ulrichs Zügen war zwar nicht der Ernst, wohl aber alle Düsterkeit verschwunden. Sein Auge sprühte von einem kriegerischen Feuer, und aus seinen Mienen sprach Mut und Entschlossenheit. Er war ganz in Stahl gekleidet und trug über seinem schweren Eisenkleid einen grünen Mantel mit Gold verbrämt. Die Farben seines Hauses wehten in seinem großen wallenden Helmbusch. Sonst unterschied er sich in nichts von den übrigen Rittern und Edlen, die ebenfalls in blankes Eisen »bis an die Zähne« gekleidet, den Herzog in einem großen Kreis umgaben. Er begrüßte freundlich Hewen, Schweinsberg und Georg von Sturmfeder und ließ sich von ihnen über die Stellung des Feindes berichten.

Noch war von diesem nichts zu sehen; nur am Saum des Waldes gegen Eßlingen hin sah man hin und wieder seine Posten stehen. Der Herzog beschloß, den Hügel, den die Landsknechte besetzt gehalten hatten, zu verlassen und sich in die Ebene hinabzuziehen. Er hatte wenig Reiterei, der Bund aber, so berichteten Kundschafter, zählte dreitausend Pferde. Im Tal hatte er auf einer Seite den Neckar, auf der andern einen Wald, und so war er wenigstens auf den Flanken vor einem Reiterangriff sicher.

Lichtenstein und mehrere andere widerrieten zwar diese Stellung im Tal, weil man vom Hügel zu nahe beschossen werden könne; doch Ulrich folgte seinem Sinn und ließ das Heer hinabsteigen. Er stellte zunächst vor Türkheim die Schlachtordnung auf und erwartete seinen Feind. Georg von Sturmfeder wurde beordert, in seiner Nähe mit den Reitern, die er ihm anvertraut hatte, zu halten; sie sollten gleichsam seine Leibwache bilden; zu diesen berittenen Bürgern gesellten sich noch Lichtenstein und vierundzwanzig andere Ritter, um bei einem Reiterangriff den Stoß zu verstärken. In jenen Tagen war ein Treffen oft in viele kleine Zweikämpfe zerstreut, die Ritter, die einem Heer folgten, fochten selten in geschlossenen Waffen, sondern suchten mit schnellem Blick einen Gegner unter den Reihen des Feindes, den sie dann mit Schwert und Lanze bekämpften. Eine solche Schar war es, die bei Georgs Reiterhaufen stand, und den Herzog selbst gelüstete es, seine ungeheure Kraft, seine weit berühmte Fertigkeit in einem solchen Zweikampf zu erproben, und nur die inständigen Bitten der Ritter hielten ihn ab, diese romantische Idee auszuführen. Neben dem Herzog hielt eine sonderbare Figur, beinahe wie eine Schildkröte, die zu Pferd sitzt, anzusehen. Ein Helm mit großen Federn saß auf einem kleinen Körper, der auf dem Rücken mit einem gewölbten Panzer versehen war; der kleine Reiter hatte die Knie weit heraufgezogen und hielt sich am Sattelknopf fest. Das herabgeschlagene Visier hinderte Georg, zu erkennen, wer dieser lächerliche Kämpfer sei; er ritt daher näher an den Herzog heran, und sagte:

»Wahrhaftig, Euer Durchlaucht haben sich da einen überaus mächtigen Kämpen zum Begleiter ausersehen. Seht nur die dürren Beine, die zitternden Arme, den mächtigen Helm zwischen den kleinen Schultern – wer ist denn dieser Riese?«

»Kennst Du den Höcker so schlecht?« fragte der Herzog lachend. »Sieh nur, er hat einen ganz absonderlichen Panzer an, der wie eine große Nußschale anzusehen, um seinen teuern Rücken zu verwahren, wenn es etwa zur Flucht käme. Es ist mein getreuer Kanzler, Ambrosius Volland.«

»Bei der heiligen Jungfrau! Dem habe ich bitter Unrecht getan«, entgegnete Georg, »ich dachte, er werde nie ein Schwert ziehen und ein Roß besteigen, und da sitzt er auf einem Tier, so hoch wie ein Elefant, und trägt ein Schwert, so groß als er selbst ist; diesen kriegerischen Geist hätte ich ihm nimmer zugetraut.«

»Meinst Du, er reite aus eigenem Entschluß zu Feld? Nein, ich habe ihn mit Gewalt dazu genötigt. Er hat mir zu manchem geraten, was mir nicht frommte, und ich fürchte, er hat mich mit böslicher Absicht aufs Eis geführt; drum mag er auch die Suppe mitverzehren, die er eingebrockt hat. Er hat geweint, wie ich ihn dazu zwang; er sprach viel vom Zipperlein und von seiner Natur, die nicht kriegerisch sei; aber ich ließ ihn in seinen Harnisch schnüren und zu Pferd heben, er reitet den feurigsten Renner aus meinem Stall.«

Während dies der Herzog sprach, schlug der Ritter vom Höcker das Visier auf und zeigte ein bleiches, kummervolles Gesicht. Das ewig stehende Lächeln war verschwunden, seine stechenden Äuglein waren groß und starr geworden und drehten sich langsam und schüchtern nach der Seite; der Angstschweiß stand ihm auf der Stirn, und seine Stimme war zum zitternden Flüstern geworden. »Um Gottes Barmherzigkeit willen, wertgeschätzter Herr von Sturmfeder, vielgeliebter Freund und Gönner, legt ein gutes Wort ein beim gestrengen Herrn, daß er mich aus diesem Fastnachtsspiel entläßt. Es ist des allerhöchsten Scherzes jetzt genug. Der Ritt in den schweren Waffen hat mich grausam angegriffen, der Helm drückt mich aufs Hirn, daß meine Gedanken im Kreis tanzen, und meine Knie sind vom Zipperlein gekrümmt, bitte, bitte! Legt ein gutes Wort ein für Euren demütigen Knecht, Ambrosius Volland; will’s gewißlich vergelten.«

Der junge Mann wandte sich mit Abscheu von dem grauen feigen Sünder. »Herr Herzog«, sagte er, indem ein edler Zorn seine Wangen rötete, »vergönnt ihm, daß er sich entferne. Die Ritter haben ihre Schwerter gelüftet und die Helme fester in die Stirn gedrückt, das Volk schüttelt die Speere und erwartet mutig das Zeichen zum Angriff, warum soll ein Feigling in den Reihen von Männern streiten?«

»Er bleibt, sage ich«, entgegnete der Herzog mit fester Stimme, »beim ersten Schritt rückwärts hau ich ihn selbst vom Gaul herunter. Der Teufel saß auf Deinen blauen Lippen, Ambrosius Volland, als Du Uns geraten, Unser Volk zu verachten und das Alte umzustoßen. Heute, wenn die Kugeln sausen und die Schwerter rasseln, magst Du schauen, ob Dein Rat Uns frommte.«

Des Kanzlers Augen glühten vor Wut, seine Lippen zitterten und seine Mienen verzerrten sich grauenerregend. »Ich habe Euch nur geraten; warum habt Ihr es getan?« sagte er. »Ihr seid Herzog; Ihr habt befohlen und Euch huldigen lassen; was kann denn ich dafür?«

Der Herzog riß sein Pferd so schnell um, daß der Kanzler bis auf die Mähnen seines Elefanten niedertauchte, als erwarte er den Todesstreich. »Bei Unserer fürstlichen Ehre«, rief er mit schrecklicher Stimme, indem seine Augen blitzten, »Wir bewundern unsere eigene Langmut. Du hast Unsren ersten Zorn benützt, Du hast Dich in Unser Vertrauen einzuschwatzen gewußt; wären Wir Dir nicht gefolgt, Du Schlange, so stünden heute zwanzigtausend Württemberger hier, und ihre Herzen wären eine feste Mauer für ihren Fürsten. Oh, mein Württemberg! Mein Württemberg! Daß ich Deinem Rat gefolgt wäre, alter Freund; ja, es heißt was, von seinem Volk geliebt zu sein!«

»Entfernt diese Gedanken vor einer Schlacht«, sagte der alte Herr von Lichtenstein, »noch ist es Zeit, das Versäumte einzuholen. Noch stehen sechstausend Württemberger um Euch, und bei Gott, sie werden mit Euch siegen, wenn Ihr sie mit Vertrauen gegen den Feind führt. Oh Herr! Hier sind lauter Freunde, vergebt Euren Feinden, entlaßt den Kanzler, der nicht fechten kann!«

»Nein! Her zu mir, Schildkröte! An meine Seite her, Hund von einem Schreiber! Wie er zu Rosse sitzt, als hätte ihn unser Herr Gott hinaufgeschneit, den Schneemann! Du hast mein Volk verachtet in Deiner Kanzlei und ihnen Gesetze gegeben mit Deiner Schwanenfeder, jetzt sollst Du sehen, wie sie streiten, jetzt sollst Du sehen, wie Württemberg siegt oder untergeht. Ha! Seht Ihr sie dort auf dem Hügel? Seht Ihr die Fahnen mit dem roten Kreuz? Seht Ihr das Banner von Bayern? Wie ihre Waffen blitzen im Morgenrot, wie ihre Glieder von tausend Lanzen starren, wie der Wind in ihren Helmbüschen spielt. – Guten Tag; ihr Herren vom Schwabenbund! Jetzt geht mir das Herz auf; das ist ein Anblick für einen Württemberg!«

»Schaut, sie richten schon die Geschütze«, unterbrach ihn Lichtenstein, »zurück von diesem Platz, Herr! Hier steht Euer Leben in augenscheinlicher Gefahr; zurück, zurück, wir halten hier; schickt uns Eure Befehle von dort zu, wo Ihr sicher seid!«

Der Herzog sah ihn groß an. »Wo hast Du gehört«, sagte er, »daß ein Württemberg gewichen sei, wenn der Feind zum Angriff blasen ließ? Meine Ahnen kannten keine Furcht, und meine Enkel werden noch aushalten wie sie, furchtlos und treu! Sieh, wie der Berg sich dunkler und dunkler füllt von ihren Scharen. Siehst Du jene weißen Wolken am Berg, Schildkröte? Hörst Du sie lachen? Das ist der Donner der Geschütze, der in unsere Reihen schlägt. Jetzt, wenn Du ein gutes Gewissen hast, wirst Du leichter Atem holen, denn um Dein Leben gibt Dir keiner einen Pfennig.«

»Lasset uns beten«, sagte Marx von Schweinsberg, »und dann drauf in Gottes Namen.«

Der Herzog faltete andächtig die Hände, seine Begleiter folgten seinem Beispiel und beteten zum Anfang der Schlacht, wie es Sitte war in den alten Tagen. Der Donner der feindlichen Geschütze tönte schauerlich in diese tiefe Stille, in welcher man jeden Atemzug; jedes leise Flüstern der Betenden hörte. Auch der Kanzler faltete die Hände, aber seine Augen richteten sich nicht gläubig auf zum Himmel, sie irrten zagend an den Bergen umher, und das Beben seines Körpers, sooft Blitz und Rauch aus den Feldstücken des Feindes fuhr, zeigte, daß seine Seele nicht zu Dem sich aufzuschwingen vermöge, der aus den Strahlen seiner Morgensonne über Freunde und Feinde herabblickte.

Ulrich von Württemberg hatte gebetet und zog sein Schwert aus der Scheide. Die Ritter und Reisigen folgten ihm, und in einem Augenblick blitzten tausend Schwerter um ihn her. »Die Landsknechte sind schon im Gefecht«, sagte er, indem sein Adlerauge schnell das Tal überschaute. »Georg von Hewen, Ihr rückt ihnen mit tausend zu Fuß nach. Schweinsberg lehne sich mit achthundert an den Wald und warte bis auf weiteres. Reinhardt von Gemmingen, wollt mit den Eurigen geradeaus ziehen und den mittleren Raum zwischen dem Wald und dem Neckar einnehmen. Sturmfeder, Du bleibst mit Deiner Abteilung Reiter, doch bist Du jeden Augenblick bereit, vorzubrechen. Gott befohlen, Ihr Herren. Sollten wir uns hier unten nicht mehr sehen, so grüßen wir uns desto freudiger oben.« Er grüßte sie, indem er sein großes Schwert gegen sie neigte. Die Ritter erwiderten den Gruß und zogen mit ihren Scharen dem Feind zu, und ein tausendstimmiges »Ulrich für immer!« ertönte aus ihren Reihen.

Das bündische Heer, das auf dem Hügel, den die Herzoglichen früher gehalten hatten, angekommen war, begrüßte seinen Feind aus vielen Feldschlangen und Kartaunen; dann zogen sie sich allmählich herab ins Tal. Sie schienen durch ihre ungeheure Anzahl das kleine Heer des Herzogs erdrücken zu wollen. In dem Augenblick, als die letzten Glieder den Hügel verlassen wollten, wandte sich der Herzog zu Georg von Sturmfeder.

»Siehst Du ihre Feldstücke auf dem Hügel?« fragte er.

»Wohl. Sie sind nur durch wenige Mannschaft bedeckt.«

»Frondsberg glaubt, weil wir nicht über ihn wegfliegen können, sei es unmöglich, sein Geschütz zu nehmen. Aber dort am Wald biegt ein Weg links ein und führt in ein Feld. Das Feld stößt an jenen Hügel. Kannst Du mit Deinen Reitern ungehindert bis in jenes Feld vordringen so bist Du beinahe schon im Rücken der Bündischen. Dort läßt Du die Pferde verschnaufen, legst dann an, und im Galopp den Hügel hinauf. Die Geschütze müssen unser sein!«

Georg verbeugte sich zum Abschied, aber der Herzog bot ihm die Hand. »Lebe wohl, lieber Junge!« sagte er. »Es ist hart von Uns, einen jungen Ehemann auf so gefährliche Reise zu schicken, aber wir wußten keinen Rascheren und Besseren als Dich.«

Die Wangen des jungen Mannes glühten, als er diese Worte hörte, und seine Augen blinkten mutig. »Ich danke Euch, Herr, für diesen neuen Beweis Eurer Gnade«, rief er, »Ihr belohnt mich schöner, als wenn Ihr mir die schönste Burg geschenkt hättet. – Lebt wohl, Vater, und grüßt mein Weibchen.«

»So ist’s nicht gemeint!« entgegnete lächelnd der alte Lichtenstein. »Ich reite mit Dir unter Deiner Führung.«

»Nein, Ihr bleibt bei mir, alter Freund«, bat der Herzog. »Soll mir denn der Kanzler hier im Felde raten? Da könnte ich so übel fahren wie mit seinen andern Ratschlüssen. Bleibt mir zur Seite; macht den Abschied kurz, Alter! Euer Sohn muß weiter.«

Der Alte drückte Georgs Hand. Lächelnd und mit freudigem Mut erwiderte dieser den Abschiedsgruß, schwenkte mit seinen Reitern ab, und »Ulrich für immer!« riefen die Stuttgarter Bürger zu Pferd, welche er in dieser entscheidenen Stunde gegen den Feind führte. Georg betrachtete, als er an dem Waldsaum hinritt, sinnend die Schlacht. Die Württemberger hatten eine gute Stellung, denn der Wald und der Neckar deckte sie, und ihre Flügel und das Zentrum waren stark genug, um auch einen mächtigen Stoß von Reiterei auszuhalten. Er konnte sich aber nicht verhehlen, daß, wenn sie sich aus dieser Stellung herauslocken ließen, sie alle diese Vorteile verlieren würden, weil sie dann entweder zwischen dem Wald und dem linken Flügel einen bedeutenden Zwischenraum lassen oder, um diesen auszufüllen, ihre Schlachtlinie so weit ausdehnen müßten, daß sie an innerer Stärke verlieren würden und leichter durchbrochen werden könnten. Ein großer Nachteil für die Württemberger war auch ihre geringe Anzahl, denn der Feind zählte zwei Drittel mehr. Er konnte zwar in dem engen Tal seine Streitkräfte nicht entwickeln und nur wenig Mannschaft auf einmal ins Treffen führen. Und doch war dies immer genug, um die Herzoglichen unausgesetzt zu beschäftigen; der Feind behielt dadurch immer frische Leute, und es war zu befürchten, daß die sechstausend Württemberger, wenn sie auch noch so tapfer standhalten sollten, endlich aus Ermattung würden unterliegen müssen.

Der Wald nahm jetzt Georg und seine Schar auf; sie rückten still und vorsichtig weiter, denn Georg wußte wohl, wie schwierig es für einen Reiterzug sei, im Wald von Fußvolk angegriffen zu werden. Doch ungefährdet kamen sie auf das Feld heraus, das ihnen der Herzog bezeichnet hatte. Rechts über dem Wald hin wütete die Schlacht. Das Geschrei der Angreifenden, das Schießen aus Donnerbüchsen und Feldstücken, das Wirbeln der Trommeln hallte schrecklich herüber.

Vor ihnen lag der Hügel, von dessen Gipfel eine gute Anzahl Kartaunen in die Reihen der Württemberger spielte; dieser Hügel erhob sich allmählich von der Seite des Wäldchens, und Georg bewunderte den schnellen Blick des Herzogs, der diese Seite sogleich erspäht hatte, denn von jeder andern Seite wäre, wenigstens für Reiter, der Angriff unmöglich gewesen. Das Geschütz wurde, soviel man von unten sehen konnte, nur durch eine schwache Mannschaft bedeckt, und als daher die Pferde ein wenig geruht hatten, ordnete Georg seine Schar und brach im Galopp an der Spitze der Reiter vor. In einem Augenblick waren sie auf dem Gipfel des Hügels angekommen und Georg rief den bündischen Soldaten zu, sich zu ergeben.

Sie zauderten, und die Fleischer, Sattler und Waffenschmiede von Stuttgart ersparten ihnen die Mühe, denn mit gewaltigen Streichen hieben sie Helme und Köpfe durch, daß von der Bedeckung bald wenig mehr übrig waren. Georg warf einen frohlockenden Blick auf die Ebene hinab seinem Herzog zu; er hörte das Freudengeschrei der Württemberger aus vielen tausend Kehlen aufsteigen, er sah, wie sie frischer vordrangen, denn ihre Hauptfeinde, die Feldstücke auf dem Hügel, waren jetzt zum Schweigen gebracht.

Aber in diesem Augenblick der Siegesfreude gewahrte er auch, daß jetzt der zweite und schwerste Teil seiner schnellen Operation, der Rückzug, gekommen sei; denn auch die Bündischen hatten gemerkt, wie ihr Geschütz plötzlich verstummt sei, und ihre Obersten hatten alsbald eine Reiterschar gegen den Hügel aufbrechen lassen. Es war keine Zeit mehr, die schweren erbeuteten Feldstücke hinwegzuführen; darum befahl Georg; mit Erde und Steinen ihre Mündungen zu verstopfen, und sie auf diese Weise unbrauchbar zu machen. Dann warf er einen Blick auf den Rückweg, zwischen ihm und den Seinigen lag der Wald auf der einen, das feindliche Heer auf der andern Seite. Wurde er nur von Reiterei angegriffen, so war der Rückweg durch den Wald möglich, weil dann der Feind dieselben Schwierigkeiten zu überwinden hatte wie er. Aber seinem scharfen Auge entging nicht, daß ein großer Haufen bündischen Fußvolkes in den Wald ziehe, um ihm den Rückzug abzuschneiden, und so sah er sich vom Wald ausgeschlossen. Das große Heer des Bundes zu durchbrechen, sich mit hundertundsechzig Pferden durch Zwanzigtausend durchzuschlagen, wäre Tollkühnheit gewesen. Es blieb nur ein Weg, und auch auf diesem war der Tod gewisser als die Rettung. Zur Linken des feindlichen Heeres floß der Neckar. Am andern Ufer kein Mann von bündischer Seite; konnte er nur dieses Ufer gewinnen, so war es möglich, sich zum Herzog zu schlagen. Schon waren die Reiter des Bundes, wohl fünfhundert stark, am Fuß des Hügels angelangt; er glaubte an ihrer Spitze den Truchseß von Waldburg zu erblicken; jedem andern, selbst dem Tod, wollte er sich lieber ergeben als diesem.

Drum winkte er den tapfern Württembergern nach der steileren Seite des Hügels hin, die zum Neckar führte. Sie stutzten; es war zu erwarten, daß unter zehn immer acht stürzen würden, so jäh war diese Seite, und unten stand zwischen dem Flügel und dem Fluß ein Haufen Fußvolk, das sie zu erwarten schien. Aber ihr junger, ritterlicher Führer schlug das Visier auf und zeigte ihnen sein schönes Antlitz, aus welchem der Mut der Begeisterung sie anwehte; sie hatten ihn ja noch vor wenigen Wochen eine holde Jungfrau zur Kirche führen sehen, durften sie an Weib und Kinder denken, da er diese Gedanken weit hinter sich geworfen hatte?

»Drauf, wir wollen sie schlachten!« riefen die Fleischer. »Drauf, wir wollen sie hämmern!« riefen die Schmiede. »Immer drauf, wir wollen sie lederweich klopfen!« riefen ihnen die Sattler nach. »Drauf, mit Gott, Ulrich für immer!« rief der hochherzige Jüngling, drückte seinem Roß die Sporen ein und flog ihnen voran den steilen Hügel hinab. Die feindlichen Reiter trauten ihren Augen nicht, als sie den Hügel heraufkamen, die verwegene Schar gefangenzunehmen, und sie schon unten, mitten unter dem Fußvolk, erblickten. Wohl hatte mancher den kühnen Ritt mit dem Leben bezahlt, mancher war mit dem Roß gestürzt und in Feindes Hand gefallen, aber die meisten sah man unten tapfer auf das Fußvolk einhauen, und der Helmbusch ihres Anführers wehte hoch und mitten im Gedränge. Jetzt waren die Reihen des Fußvolkes gebrochen, jetzt drängten sich die Reiter nach dem Neckar – jetzt – setzte ihr Führer an und war der erste im Fluß. Sein Pferd war stark, und doch vermochte es nicht mit der Last seines gewappneten Reiters gegen die Gewalt des vom Regen angeschwellten Stromes anzukämpfen, es sank, und Georg von Sturmfeder rief den Männern zu, nicht auf ihn zu achten, sondern sich zum Herzog zu schlagen und ihm seinen letzten Gruß zu bringen. Aber in demselben Augenblick hatten zwei Waffenschmiede sich von ihren Rossen in den Fluß geworfen; der eine faßte den jungen Ritter am Arm, der andere ergriff die Zügel seines Pferdes, und so brachten sie ihn glücklich ans Land heraus.

Die Bündischen hatten ihnen manche Kugel nachgesandt, aber keine hatte Schaden getan, und im Angesicht beider Heere, durch den Fluß von ihnen getrennt, setzte die kühne Schar ihren Weg zum Herzog fort. Es war unweit seiner Stellung eine Furt, wo sie ohne Gefahr übersetzen konnten, und mit Jubel und Freudengeschrei wurden sie wieder von den Ihrigen empfangen.

Ein Teil des feindlichen Geschützes war zwar durch diesen ebenso schnellen wie verwegenen Zug Georgs von Sturmfeder zum Schweigen gebracht worden, aber das Verhängnis Ulrichs von Württemberg wollte, daß ihm diese kühne Waffentat zu nichts mehr nützen sollte; die Kräfte seiner Leute waren durch die immer erneuerten Angriffe des an Zahl weit überlegenen Feindes endlich völlig erschöpft worden; die Landsknechte hielten zwar mit ihrem gewöhnlichen kriegerischen Feuer aus, aber ihre Anführer hatten sich schon genötigt gesehen, sie in Kreise zu stellen, um den Andrang der feindlichen Kavallerie abzuwehren; dadurch war die Linie hin und wieder unterbrochen, und das Landvolk, das man durch eilige Bewaffnung nicht zu Kriegern hatte machen können, füllte nur schlecht diese Lücken aus. In diesem Augenblick wurde dem Herzog gemeldet, daß der Herzog von Bayern Stuttgart plötzlich überfallen und eingenommen habe, daß ein neues feindliches Heer in seinem Rücken am Fluß heraufziehe und kaum noch eine Viertelstunde entfernt sei. Da merkte er, daß er an diesem Tag sein Reich zum zweiten Male verloren habe, daß ihm nichts mehr übrigbleibe als Flucht oder Tod, um nicht in die Hände seiner Feinde zu fallen. Seine Begleiter rieten ihm, sich in sein Stammschloß Württemberg zu werfen und sich dort zu halten, bis er Gelegenheit fände, heimlich zu entrinnen; er schaute hinauf nach dieser Burg, die, von dem Glanz des Tages bestrahlt, ernst auf jenes Tal herabblickte, wo der Enkel ihrer Erbauer den letzten verzweifelten Kampf um sein Herzogtum kämpfte. Aber er erbleichte und deutete sprachlos hinauf, denn auf den Türmen und Mauern dieser Burg erschienen rote, glänzende Fähnlein, die im Morgenwind spielten; die Ritter blickten schärfer hin, sie sahen, wie die Fähnlein wuchsen und größer wurden, und ein schwärzlicher Rauch, der jetzt an vielen Stellen aufstieg, zeigte ihnen, daß es die Flamme sei, welche ihre glühenden Paniere siegend auf den Zinnen aufgesteckt hatte. Württemberg brannte an allen Ecken; und sein unglücklicher Herr sah mit dem gräulichen Lachen der Verzweiflung diesem Schauspiel zu, Jetzt bemerkten auch die Heere die brennende Burg. Die Bündischen begrüßten diese Flammen mit einem Freudengeschrei, den Württembergern entsank der Mut, es war ihnen, als sei dies ein Zeichen, daß das Glück ihres Herzogs ein Ende habe.

Schon tönten die Trommeln des im Rücken heranziehenden Heeres vernehmlicher; schon wich an vielen Orten das Landvolk, da sprach Ulrich: »Wer es noch redlich mit Uns meint, folge nach, Wir wollen Uns durchschlagen durch ihre Tausende oder zugrunde gehen. Nimm mein Banner in die Hand, tapferer Sturmfeder, und reite mutig mit Uns in den Feind!« Georg ergriff das Panier von Württemberg, der Herzog stellte sich neben ihn, die Ritter und die Bürger zu Pferd umgaben sie und waren bereit, ihrem Herzog Bahn zu brechen. Der Herzog deutete auf eine Stelle, wo die Feinde dünner standen, dort müsse man durchkommen, oder alles sei verloren. Noch fehlte es an einem Anführer, und Georg wollte sich an die Spitze stellen, da winkte ihm der Ritter von Lichtenstein seinen Platz an der Seite des Herzogs nicht zu verlassen, und stellte sich vor die Reiter, noch einmal wandte er die ehrwürdigen Züge dem Herzog und seinem Sohn zu, dann schloß er das Visier und rief: »Vorwärts, hie gut Württemberg alleweg!«

Dieser Reiterzug war wohl zweihundert Pferde stark und bewegte sich in Form eines Keiles im Trab vorwarts. Der Kanzler Ambrosius Volland sah sie mit leichtem Herzen abziehen, denn der Herzog schien ihn ganz vergessen zu haben, und er hielt jetzt mit sich Rat, wie er ohne Gefahr von seinem hochbeinigen Tier herabkommen sollte. Doch der edle Renner des Herzogs hatte mit klugen Augen den Reitern nachgeschaut, solange sie sich im Trab fortbewegten, stand er still und regungslos, jetzt aber ertönten die Trompeten zum Angriff, man sah das Panier von Württemberg hoch in den Lüften wehen und die tapfere Reiterschar im Galopp auf den Feind ansprengen. Auf diesen Moment schien der Renner gewartet zu haben; mit der Schnelligkeit eines Vogels strich er jetzt über die Ebene hin, den Reitern nach; dem Kanzler vergingen die Sinne, er hielt sich krampfhaft am Sattelknopf, er wollte schreien, aber die Blitzesschnelle, womit sein Roß die Luft teilte, unterdrückte seine Stimme; in einem Augenblick hatte er den Zug eingeholt, so schnell sie ihre Rosse auslaufen ließen, er überholte sie, und so hatte es der Kanzler in kurzer Zeit zum Anführer der Reiter gebracht. Der Feind stutzte über die sonderbare Gestalt, die mehr einem geharnischten Affen als einem Krieger glich; noch ehe sie sich recht besinnen konnten, war der fürchterliche Mann mitten in ihren Reihen, die Württemberger brachen, trotz des entscheidenden Augenblickes, in ein lustiges Gelächter aus, und auch dieses mochte beitragen, die tapferen Truppen von Ulm, Gmünd, Aalen, Nürnberg und noch zehn andern Reichsstädten, welche dieser unerwartete Angriff traf, zu verwirren; sie zerstoben vor der ungeheuern Wucht der zweihundert Pferde, und die ganze Schar war im Rücken des Feindes. Sie setzte eilig ihren Marsch fort, und ehe noch die bündische Reiterei zum Nachsetzen herbeigerufen werden konnte, hatte der Herzog mit wenigen Begleitern sich zur Seite geschlagen; er gewann einen großen Vorsprung, denn die Reiterei des Bundes erreichte die berittene Schar der Bürger erst vor den Toren von Stuttgart, und es fand sich unter ihnen weder der Herzog noch einer seiner wichtigeren Anhänger, außer dem Kanzler Ambrosius Volland, den man halb tot vom Pferd hob. Die bündischen Kriegsleute behandelten ihn, nachdem man ihm die gewölbte Rüstung vom Leib geschält hatte, sehr übel, denn nur seiner fürchterlichen, alle Begriffe übersteigenden Tapferkeit schrieben sie es zu, daß ihnen der Herzog und mit ihm eine Belohnung von tausend Goldgulden entgangen war. So geschah es, daß dieser tapfere Kanzler, nicht wie sein Herzog in der Schlacht, sondern nach der Schlacht geschlagen wurde.

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Kapitel 35


Kapitel 35

Die Nacht, welche diesem entscheidenden Tag folgte, brachten Herzog Ulrich und seine Begleiter in einer engen Waldschlucht zu, die durch Felsen und Gesträuch ein sicheres Versteck gewährte und noch heute bei dem Landvolk die ›Ulrichshöhle‹ genannt wird. Es war der Pfeifer von Hardt, der ihnen auf ihrer Flucht als ein Retter in der Not erschienen war und sie in diese Schlucht führte, die nur den Bauern und Hirten der Gegend bekannt war. Der Herzog hatte beschlossen, hier zu rasten, um dann, sobald der Tag graute, seine Flucht nach der Schweiz fortzusetzen. Wohl wäre ihm hierzu die Nacht günstiger gewesen, denn die Bundestruppen hatten schon das Land besetzt, und es war wenig Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß er sie täuschen und ungehindert entkommen würde; aber die Pferde waren von dem heißen Schlachttag ermüdet, und es war unmöglich, den Herzog und seine notwendige Begleitung von neuem beritten zu machen, ohne die Nachforschung des Feindes auf diesen Schlupfwinkel zu leiten.

Die Männer hatten sich um ein spärliches Feuer gelagert. Der Herzog war längst dem Schlummer in die Arme gesunken und vergaß vielleicht in seinen Träumen, daß er ein Herzogtum verloren habe; auch der alte Herr von Lichtenstein schlief, und Marx Stumpf von Schweinsberg hatte seine mächtigen Arme auf die Knie gestützt, sein Gesicht in die Hände verborgen, und man war ungewiß, ob er schlafe oder in Kummer versunken über das Schicksal des Herzogs nachdenke, das sich mit einem Schlag so furchtbar gewendet hatte. Georg von Sturmfeder besiegte die Macht des Schlummers, der sich immer wieder über ihn lagern wollte; er war der Jüngste unter allen und hatte freiwillig in dieser Nacht die Wache übernommen. Neben ihm saß Hans, der Pfeifer von Hardt; er sah unverwandt ins Feuer, und seine Gedanken schienen sich in einem Liedchen zu sammeln, dessen melancholische Weise er mit leiser, unterdrückter Stimme vor sich hin sang. Wenn das Feuer heller aufflackerte, schaute er mit einem trüben Blick nach dem Herzog, und wenn er sah, daß jener noch immer schlafe, versank er wieder in den flüsternden, traurigen Gesang.

»Du singst eine traurige Weise, Hans!« unterbrach ihn Georg, den die melancholischen Töne dieses Liedes unheimlich anregten, »es tönt wie Totengesang und Sterbelieder, ich kann es nicht ohne Schaudern hören.«

»Wir können alle Tage sterben«, sagte der Spielmann, indem er düster in die Flamme blickte, »drum sing‘ ich gerne ein solches Lied, es ist mir, als könnte ich mit solchen Gedanken würdiger sterben.«

»Wie kommst Du auf einmal zu diesen Todesgedanken, Hans? Du warst doch sonst ein fröhlicher Bursche zur Herbstzeit, und Deine Zither tönte auf mancher Kirchweih. Da hast Du gewiß keine Totenlieder gesungen.«

»Meine Freude ist aus«, erwiderte er und wies auf den Herzog, »all meine Mühe, all meine Sorge war vergebens; es ist aus mit dem Herrn und ich – ich bin sein Schatten; auch mit mir ist’s aus; hätte ich nicht Frau und Kind, ich möchte heute nacht noch sterben.«

»Wohl warst Du immer sein getreuer Schatten«, sagte der junge Mann gerührt, »und oft habe ich Deine Treue bewundert; höre, Hans! Wir sehen uns vielleicht lange nicht mehr. Jetzt haben wir Zeit zu schwatzen, erzähle mir, was Dich so ausschließlich und eng an den Herzog knüpft, wenn es etwas ist, das Du erzählen kannst.«

Er schwieg einige Augenblicke und schürte das Feuer zurecht; ein unruhiges Feuer blitzte in seinen Augen, und Georg war ungewiß, ob es die Flamme oder eine innere Bewegung sei, was seine ausdrucksvollen Züge mit wechselnder Röte übergoß. »Das hat seine eigene Bewandtnis«, sagte er endlich, »und ich spreche nicht gern davon. Doch Ihr habt recht, Herr, auch mir ist es, als würden wir uns lange nicht mehr sehen, so will ich Euch denn erzählen. Habt Ihr nie von dem Armen Konrad gehört?«

»Oh ja«, erwiderte Georg, »das Gerücht davon kam noch weiter als bis zu uns nach Franken; war es nicht ein Aufstand der Bauern? Wollte man nicht sogar dem Herzog ans Leben?«

»Ihr habt ganz recht, der Arme Konrad war ein böses Ding. Es mögen nun sieben Jahre sein, da gab es unter uns Bauern viele Männer, die mit der Herrschaft unzufrieden waren; es waren Fehljahre gewesen, den Reicheren ging das Geld aus, die Armen hatten schon lange keines mehr, und doch sollten wir zahlen ohne Ende, denn der Herzog brauchte gar viel Geld für seinen Hof, wo es alle Tage zuging wie im Paradies.«

»Gaben denn Eure Landstände nach, wenn der Herr soviel Geld verlangte?« fragte Georg.

»Sie wagten eben auch nicht, immer nein zu sagen, des Herzogs Beutel hatte aber gar ein großes Loch, das wir Bauern mit unserem Schweiß nicht zuleimen konnten. Da gab es nun viele, die ließen die Arbeit liegen weil das Korn, das sie pflanzten, nicht zu ihrem Brot wuchs, und der Wein, den sie kelterten, nicht für sie in die Fässer floß. Diese, als sie dachten, daß man ihnen nichts mehr nehmen könne als das arme Leben, lebten lustig und in Freuden, nannten sich Grafen zu Nirgendsheim, sprachen viel von ihren Schlössern auf dem Hungerberg und von ihren bedeutenden Besitzungen in der Fehlhalde und am Bettelrain, und diese Gesellschaft war der Arme Konrad.«

Der Pfeifer legte sinnend seine Stirn in die Hand und schwieg. »Von Dir wolltest Du ja erzählen, Hans«, sagte Georg, »von Dir und dem Herzog -.«

»Das hätte ich beinahe vergessen«, antwortete dieser – »Nun«, fuhr er fort, »es kam endlich dahin, daß man Maß und Gewicht geringer machte und dem Herzog gab, was damit gewonnen wurde. Da wurde aus dem Scherz bitterer Ernst. Es mochte mancher nicht ertragen, daß rings umher volles Maß und Gewicht und nur bei uns kein Recht sei. Im Remstal trug der Arme Konrad das neue Gewicht hinaus und machte die Wasserprobe.«

»Was ist das?« fragte der junge Mann.

»Ha!« lachte der Bauer, »das ist eine leichte Probe. Man trug den Pfundstein mit Trommeln und Pfeifen an die Rems und sagte: ›Schwimmt’s oben, hat der Herzog recht, sinkt’s unter, hat der Bauer recht.‹ Der Stein sank unter, und jetzt zog der Arme Konrad Waffen an. Im Remstal und im Neckartal bis hinauf gegen Tübingen und hinüber an die Alb standen die Bauern auf und verlangten das alte Recht. Es wurde gelandtagt und gesprochen, aber es half doch nichts. Die Bauern gingen nicht auseinander.«

»Aber Du, von Dir sprichst Du ja gar nicht.«

»Daß ich’s kurz sage, ich war einer der Ärgsten«, antwortete Hans, »ich war kühn und trotzig, mochte nicht gerne arbeiten und wurde wegen Jagdfrevel unmenschlich bestraft; da trat ich in den Armen Konrad, und bald war ich so arg als der Gaispeter und der Bregenzer. Der Herzog aber, als er sah, daß der Aufruhr gefährlich werden könne, ritt selbst nach Schorndorf. Man hatte uns zur Huldigung zusammenberufen, wir erschienen zu vielen Hunderten, aber bewaffnet. Der Herzog sprach selbst zu uns, aber man hörte ihn nicht an. Da stand der Reichsmarschall auf, erhob seinen goldenen Stab und sprach: ›Wer es mit dem Herzog Ulrich von Württemberg hält, trete auf seine Seite!‹ Der Gaispeter aber trat auf einen hohen Stein und rief: ›Wer es mit dem Armen Konrad vom Hungerberg hält, trete hierher!‹ Siehe, da stand der Herzog verlassen unter seinen Dienern. Wir andern hielten zu dem Bettler.«

»Oh schändlicher Aufruhr«, rief Georg, vom Gefühl des Unrechts ergriffen, »schändlich vor allen die, welche es so weit kommen ließen! Da war gewiß Ambrosius Volland, der Kanzler, an vielem schuld?«

»Ihr könnt recht haben«, erwiderte der alte Spielmann, »doch hört weiter: der Herzog, als er sah, daß seine Sache verloren sei, schwang sich auf sein Roß, wir aber drängten uns um ihn her, doch noch wagte es keiner, den Fürsten anzutasten, denn er sah gar zu gebietend aus seinen großen Augen auf uns herab. ›Was wollt Ihr Lumpen?‹ schrie er und gab seinem Hengst die Sporen daß er sich hoch aufbäumte und drei Männer niederriß. Da erwachte unser Grimm; sie fielen seinem Roß in die Zügel, sie stachen nach ihm mit Spießen und ich, ich vergaß mich so, daß ich ihn am Mantel packte und rief: ›Schießt den Schelmen tot!‹«

»Das warst Du, Hans?« rief Georg und sah ihn mit scheuen Blicken an.

»Das war ich«, sagte dieser langsam und ernst, »aber es wurde mir dafür, was mir gebührte. Der Herzog entkam uns damals und sammelte ein Heer; wir konnten nicht lange aushalten und ergaben uns auf Gnad und Ungnad. Es wurden zwölf Anführer des Aufruhrs nach Schorndorf geführt und dort gerichtet; ich war auch unter diesen. Aber als ich so im Kerker lag und mein Unrecht und den nahen Tod überdachte, da graute mir vor mir selbst, und ich schämte mich, mit so elenden Gesellen, wie die andern elf waren, gerichtet zu werden.«

»Und wie wurdest Du gerettet?« fragte Georg teilnehmend. »Wie ich Euch schon in Ulm sagte, durch ein Wunder. Wir zwölf wurden auf den Markt geführt, es sollte uns dort der Kopf abgehauen werden. Der Herzog saß vor dem Rathaus und ließ uns noch einmal vor sich führen. Jene elf stürzten nieder, daß ihre Ketten fürchterlich rasselten, und schrien mit jammernder Stimme um Gnade. Er sah sie lange an und betrachtete dann mich.

›Warum bittest Du nicht auch?‹ fragte er. ›Herr‹, antwortete ich, ›ich weiß, was ich verdient habe, Gott sei meiner Seele gnädig.‹ Noch einmal sah er auf uns, dann aber winkte er dem Scharfrichter. Wir wurden nach dem Alter gestellt, ich, als der Jüngste, war der letzte. Ich weiß wenig mehr von jenen schrecklichen Augenblicken; aber nie vergesse ich den gräulichen Ton, wenn die Halsknorpel krachten.«

»Um Gottes willen hör auf«, bat Georg, »oder übergehe das Gräßliche!«

»Neun Köpfe meiner Gesellen staken auf den Spießen, da rief der Herzog: ›Zehn sollen bluten, zwei frei sein. Bringt Würfel her und laßt die drei dort würfeln!‹ Man brachte Würfel, der Herzog bot sie mir zuerst; ich aber sagte: ›Ich habe mein Leben verwirkt und würfle nicht mehr darüber!‹ Da sprach der Herzog: ›Nun, so würfle ich für Dich.‹ Er bot den zwei andren die Würfel hin. Zitternd schüttelten sie in den kalten Händen die Würfel, zitternd zählten sie die Augen: der eine warf neun, der andere vierzehn; da nahm der Herzog die Würfel und schüttelte sie. Er faßte mich scharf ins Auge, ich weiß, daß ich nicht gezittert habe. Er warf und deckte schnell die Hand darauf. ›Bitte um Gnade‹, sagte er, ›noch ist es Zeit.‹ ›Ich bitte, daß Ihr mir verzeihen mögt, was ich Euch Leids getan‹, antwortete ich, ›um Gnade aber bitt‘ ich nicht, ich habe sie nicht verdient und will sterben.‹ Da deckte er die Hand auf, und siehe, er hatte achtzehn geworfen. Es war mir sonderbar zumute, es kam mir vor, als habe er gerichtet an Gottes Statt. Ich stürzte auf meine Knie nieder und gelobte, fortan in seinem Dienst zu leben und zu sterben. Der Zehnte wurde geköpft, wir beide waren frei

Mit immer höhersteigender Teilnahme hatte Georg der Erzählung des Pfeifers von Hardt zugehört; aber als er schloß, als sich das sonst so kühn und listig blickende Auge mit Tränen füllte, da konnte er sich nicht enthalten, seine Hand zu fassen, sie fest und herzlich zu drücken. »Es ist wahr«, sagte der junge Mann, »Du hast Schweres an Deinem Landesherrn verschuldet, aber du hast auch schrecklich gebüßt, denn Du hast den Tod dennoch erlitten; jenes schnelle Zücken des Schwertes ist nichts mehr gegen das Gefühl, so viele bekannte Menschen hinrichten und den Tod immer näherkommen zu sehen! Und hast Du nicht durch ein Leben voll Treue, durch Aufopferung und Wagnis aller Art den Fürsten versöhnt, an den Du Deine Hand legtest? Wie oft hast Du ihm die Freiheit, vielleicht das Leben gerettet! Wahrlich, Deine Schuld ist reichlich abgetragen.«

Der arme Mann hatte, nachdem er seine Erzählung geschlossen, wieder mit düsterem Sinnen ins Feuer geschaut. Er hätte ganz teilnahmlos geschienen, wenn nicht unter den Worten Georgs nach und nach ein trübes Lächeln auf seinen Zügen erschienen wäre. »Meint Ihr«, sagte er, »ich hätte gebüßt und meine Schuld abgetragen? Nein, solche Schulden tilgen sich nicht so bald, und ein geschenktes Leben muß für den ausgesetzt werden, der es uns fristete. Das Umherschleichen in den Bergen, Kundschaft bringen aus Feindes Lager, Höhlen zeigen, wo man sich verbergen kann, das ist keine schwere Sache, Herr, und das allein tut’s nicht. Ich weiß, ich werde noch einmal für ihn sterben müssen und dann, Herr, nehmt Euch meines Weibes und meiner Tochter an.«

Eine Träne fiel in seinen Bart; doch als schämte er sich, so weich zu sein, verbarg er sein Gesicht in der Hand und fuhr fort:

»Doch dazu bin ich noch nicht gut genug; wie jeder Kriegsmann, wie jeder im Volk, darf ich für ihn sterben; oh könnte ich durch meinen Tod seine Huldigung abändern und ihm das Land wieder verschaffen, noch in dieser Stunde wollte ich sterben!«

Der Herzog erwachte; er richtete sich auf, er sah mit verwunderten Blicken um sich her, als sei er durch einen Zauber in diese Erdschlucht versetzt und sehe jetzt erst diese Felsen und Bäume, das spärliche Feuer und die von den Flammen beschienenen Männer, seine Begleiter; er bedeckte seine Augen mit der Hand, doch er sah wieder auf, als prüfe er, ob diese Erscheinungen bleiben; – sie blieben, und schmerzlich sah er bald den einen, bald den andern an. »Ich habe heute ein Land verloren«, sprach er, »es hat mich nicht so geschmerzt als dieses Erwachen, denn ich habe es im Traum wieder und noch viel schöner besessen.«

»Seid nicht ungerecht, Herr«, sagte Marx Stumpf von Schweinsberg, indem er sich aus seiner gebückten Stellung aufrichtete, »seid nicht ungerecht gegen diese Wohltat der Natur. Wie unglücklich wäret Ihr, wenn Ihr auch im Schlummer, der Eure Kräfte für das schwere Unglück stärken soll, Euren Verlust noch fühltet, auch da noch so düster darüber gebrütet hättet. Ihr seid finster und verschlossen eingeschlummert, jetzt sind Eure Züge freundlicher; verdanken wir dies nicht Eurem Traum?«

»So hätte ich nie erwachen mögen, oh, daß ich Jahrhunderte fortgeträumt hätte und dann erwacht wäre; es war so schön, so tröstlich, was ich träumte!«

Er stützte die Stirn in die Hand und schien schmerzlich bewegt. Der alte Herr von Lichtenstein war von den Stimmen der Sprechenden geweckt worden; er kannte Ulrich und wußte, daß man ihn nicht über seinen schmerzlichen Verlust brüten lassen dürfe; er nickte ihm daher näher und sprach:

»Nun, und wollt Ihr uns nicht auch sagen, was Ihr geträumt habt? Vielleicht liegt auch für uns ein Trost darin, denn wißt, ich glaube an Träume, wenn sie in einer wichtigen verhängnisvollen Stunde in unsere Seele einziehen, und ich glaube, sie kommen von oben, um uns zu trösten.«

Der Herzog schwieg noch eine Weile, er schien über die Worte des Ritters nachzusinnen, dann fing er an, zu erzählen. »Mein Schwager, Wilhelm von Bayern, hat mir heute zur Probe seiner Freundlichkeit die Burg meiner Ahnen niedergebrannt. Dort hausten seit undenklichen Zeiten die Württemberger, und das Land, das Wir besitzen, trägt von diesem Schloß den Namen. Es scheint, als habe er damit Uns eine Todesfackel anzünden, und mit diesen Flammen Unser Wappen und Gedächtnis und selbst den Namen Württemberg vertilgen wollen. Und fast könnte er recht haben; denn mein einziges Söhnlein, Christoph, ist in fernen Landen, mein Bruder Georg hat noch keine Kinder, und ich – bin geschlagen, verjagt, sie haben wiederum mein Land besetzt, und wo ist Hoffnung, daß ich es wieder einmal erlange? Wie ich nun so ganz verlassen und elend hier am Feuer saß, wie ich nachdachte über mein kurzes Glück und wie ich vielleicht mein Unglück selbst verschuldet habe; wie ich bedachte, auf welch schwachen Stützen meine Hoffnung beruhe, und wie selbst der Name Württemberg auslöschen könne, gleich den letzten Funken in der Asche meiner Stammburg, da übermannte mich der Jammer, und bitterer als je fühlte ich die Schläge meines Schicksals. Unter diesen Gedanken entschlief ich. Doch wie im Wachen meine Seele mit Sehnsucht und Trauer auf den Höhen des roten Berges und um die rauchenden Trümmer von Württemberg schwebte, so erging sich mein Geist auch im Traum dort.«

Ulrich hielt inne; es war, als fülle ein Bild seine Seele, das zu schön, zu groß sei, um es mit sterblichen Lippen zu beschreiben; ein milder Friede lag auf den Zügen des unglücklichen Fürsten, und ein wunderbarer Glanz drang aus seinen aufwärts gerichteten Augen. Die Männer umher blickten ihn staunend an; sie hingen an seinen Lippen und lauschten auf seine Rede, die ihnen so Wichtiges zu verkünden schien.

»Hört weiter«, fuhr er fort. »Ich sah herab auf das schöne Neckartal. Der Fluß zog wie sonst in schönen blauen Bogen hin, aber das Tal und die Berge schienen mir lieblicher, glänzender, die Wälder auf den Höhen waren verschwunden, die Wiesen waren nicht mehr, sondern von Berg zu Berg zog sich ein großer Garten voll grüner Reben, und im Tal sah man Obstbäume und schöne blühende Gärten ohne Zahl. Ich stand entzückt und schaute immer wieder hin, denn die Sonne erschien freundlicher, der Himmel blauer und reiner, das Grün der Reben und Bäume glänzender als jetzt. Und als ich mein trunkenes Auge erhob und hinüberschaute über den Neckar, da gewahrte ich auf einem Hügel am Fluß ein freundliches Schloß, das im Glanz der Morgensonne sich spiegelte; es lag so friedlich da, daß sein Anblick meiner Seele wohltat, denn keine Gräben und hohe Mauern, keine Türme und Zinnen, kein Fallgatter, keine Zugbrücke erinnerte an den Zwist der Völker und an das unsichere, wechselnde Geschick der Sterblichen.

Und als ich verwundert über den tiefen Frieden des Tales und jenes unbewachten Schlosses mich umsah, waren auch die Mauern meiner Burg verschwunden; doch hier wenigstens log der Traum nicht, denn ich sah ja gestern die Zinnen stürzen und den Wartturm sinken, von welchem sonst mein Panier in den Lüften wehte. Kein Stein von Württemberg war mehr zu sehen, aber ein Tempel stand dort mit Säulen und Kuppeln, wie man sie in Rom und Griechenland findet. Ich dachte nach, wie dies alles auf einmal so habe kommen können, da gewahrte ich Männer in fremder Kleidung, die nicht weit von mir standen und auf das Land hinabschauten.

Der eine dieser Männer zog vor den übrigen meine Aufmerksamkeit auf sich; er hatte einen schönen Knaben an der Hand, dem er das Tal zu seinen Füßen und die Berge umher und den Fluß und die Städte und Dörfer in der Nähe und Ferne zeigte. Ich betrachtete den Mann, er trug die Züge meines Bruders Georg, und es war mir, als müsse er zum Stamm meiner Ahnen gehören und ein Württemberg sein; er stieg mit dem Knaben den Berg hinab ins Tal, und die andern Männer folgten ihm in ehrerbietiger Entfernung; den letzten hielt ich auf und frage ihn, wer jener gewesen sei, der dem Knaben das Land gezeigt habe? ›Das war der König‹, sagte er und stieg mit den anderen den Berg hinab.«

Der Herzog schwieg und sah die Ritter forschend an, als wollte er ihre Meinung hören; sie schwiegen lange; endlich nahm der Ritter von Lichtenstein das Wort und sprach. »Ich bin fünfundsechzig Jahre alt und habe vieles gesehen und gehört auf Erden, und manches, worüber der menschliche Geist erstaunte und wo ein frommer Sinn den Finger der Gottheit sah. Glaubt mir, auch die Träume kommen von Gott, denn nichts geschieht auf Erden ohne Ursache. Es hat in alten Zeiten Seher und Propheten gegeben, warum sollte nicht auch in unseren Tagen der Herr seiner Heiligen einen herabsenden, daß er einem Unglücklichen im Traum die dunklen Pforten der Zukunft öffnen und ihn einen Blick in künftige, schönere Tage tun lasse? Drum seid getrosten Mutes, Herr! Eure Feste hat der Feind verbrannt. Ihr habt an einem Tag ein Herzogtum verloren, aber dennoch wird Euer Name nicht verlöschen, und Euer Gedächtnis wird nicht verloren sein in Württemberg.«

»Ein König«, sprach der Herzog sinnend, »ist es nicht vermessen, jetzt, wo ich hinaus muß ins Elend, jetzt an einen König meines Stammes zu denken? Kann nicht auch die Hölle solche Träume vorspiegeln, um uns nachher desto bitterer zu täuschen?«

»Was zweifelt Ihr an der Zukunft?« sagte Schweinsberg lächelnd. »Hätte einer Eurer ritterlichen Ahnen, die auf Württemberg hausten, hätte einer wissen können, daß seine Enkel Herzoge sein, daß das weite schöne Land ihren Namen Württemberg tragen würde? Nehmt Euren Traum als den Wink des Schicksals hin, daß Euer Name in ferner, ferner Zeit auf diesem Land bleiben, daß die späteren Fürsten Württembergs die Züge eures Stammes tragen werden.«

»Wohlan, so will ich hoffen«, erwiderte Ulrich von Württemberg, »will hoffen, daß Uns das Land verbleibe, wie dunkel auch jetzt unsere Lose seien. Mögen unsere Enkel nie so harte Zeiten sehen wie Wir, möge man auch von ihnen sagen, sie sind – furchtlos!«

»Und treu!« sprach der Bauer mit Nachdruck und stand auf. »Doch ist es Zeit, Herr Herzog, daß Ihr aufbrecht. Das Morgenrot ist nicht mehr fern, und über den Neckar wenigstens müssen wir kommen, solange es noch dunkel ist.«

Sie standen auf und waffneten sich. Die Pferde wurden herbeigeführt, sie saßen auf, und der Pfeifer ging voran, den Weg aus der Schlucht zu zeigen. Die Reise des Herzogs zum Land hinaus war mit großer Gefahr verbunden, denn der Bund suchte seiner mit aller Mühe habhaft zu werden. Um auf einen Weg zu gelangen, wo er sicher seinen Feinden entgehen könnte, war der Herzog genötigt, noch einmal über den Neckar zu gehen. Dieser Übergang war nicht ohne Gefahr. Ein starker Gewitterregen hatte den Fluß angeschwellt, so daß es nicht möglich schien, ihn mit den Pferden zu durchschwimmen. Die Brücken aber waren zum größten Teil vom Bund besetzt worden; doch auch hier wußte Hans guten Rat, denn er hatte durch treue Leute ausgespäht, daß die Brücke von Köngen noch frei sei. Man hatte sich wohl nicht die Mühe genommen, sie zu besetzen, weil sie Eßlingen und dem feindlichen Lager allzu nahe war, als daß man hätte glauben können, der Herzog werde dort vorüberkommen. Dieser Weg schien wegen seiner großen Gefahr die meiste Sicherheit zu gewähren. Ihn wählte Ulrich, und so zogen sie still und vorsichtig dem Neckar zu.

Als sie aus dem Wald ins Feld herauskamen, säumte schon das Morgenrot den Horizont. Sie ritten jetzt auf besserem Wege schärfer zu, und bald sahen sie den Neckar schimmern, und die hochgewölbte Brücke lag nicht mehr fern von ihnen. In diesem Augenblick sah sich Georg um und gewahrte eine bedeutende Anzahl Reiter, die von der Seite her hinter ihnen zogen. Er machte seine Begleiter darauf aufmerksam. Sie sahen sich besorgt um und musterten den Zug, der wohl fünfundzwanzig Pferde betragen mochte. Es schien bündische Reiterei zu sein, denn des Herzogs Völker waren gesprengt und zogen nicht mehr in so geordneten Scharen wie diese.

Noch zogen jene ruhig ihren Weg und schienen die kleine Gesellschaft nicht zu bemerken, aber dennoch schien es ratsam, die Brücke zu gewinnen, wo sich drei Wege schieden, ehe man von ihnen angerufen und befragt würde. Der Pfeifer lief voran, so schnell er konnte, der Herzog und die Ritter folgten ihm in gestrecktem Trab, und je weiter sie sich von den Bündischen entfernten, desto leichter wurde ihnen ums Herz, denn alle bangten nicht für ihr eigenes Leben, wohl aber für die Freiheit Ulrichs.

Sie hatten die Brücke erreicht, sie zogen hinauf, aber in demselben Augenblick, wo sie oben auf der Mitte der hohen Wölbung angekommen waren, sprangen zwölf Männer, mit Spießen, Schwertern und Büchsen bewaffnet, hinter der Brücke hervor und besetzten den Ausgang, Der Herzog sah, daß er entdeckt war und winkte seinen Begleitern rückwärts. Lichtenstein und Schweinsberg, die letzten, wandten ihre Rosse, aber schon war es zu spät, denn die bündischen Reiter, die ihnen im Rücken nachgezogen waren, hatten sich in Galopp gesetzt und den Eingang der Brücke in diesem Augenblick erreicht und besetzt.

Noch war es zu dunkel, als daß man den Feind genau hätte unterscheiden können, doch nur zu bald zeigten sich seine feindlichen Absichten. »Ergebt Euch, Herzog von Württemberg«, rief eine Stimme, die den Rittern nicht unbekannt schien. »Ihr seht, es ist kein Ausweg da zur Flucht!«

»Wer bist Du, daß Württemberg sich Dir ergeben soll?« antwortete Ulrich mit grimmigem Lachen, indem er sein Schwert zog. »Du sitzt ja nicht einmal zu Roß; bist du ein Ritter?«

»Ich bin der Doktor Calmus«, entgegnete jener, »und bin bereit, die vielen Liebesdienste zu vergelten, die Ihr mir erwiesen habt. Ein Ritter bin ich, denn Ihr habt mich ja zum Ritter vom Esel gemacht. Aber ich will euch dafür zum Ritter ohne Roß machen. Abgestiegen, sag‘ ich im Namen des durchlauchtigsten Bundes.«

»Gib Raum, Hans«, flüsterte der Herzog mit unterdrückter Stimme dem Spielmann zu, der mit gehobener Axt zwischen ihm und dem Doktor stand, »geh, tritt auf die Seite. Ihr Freunde, schließt Euch an, wir wollen plötzlich auf sie einfallen, vielleicht gelingt es, durchzubrechen!« Doch nur Georg vernahm diesen Befehl des Herzogs, denn die zwei andern Ritter hielten wohl zehn Schritte hinter ihnen den Eingang besetzt und waren schon mit den bündischen Reitern im Gefecht, die umsonst dieses ritterliche Paar zu durchbrechen und zu dem Herzog durchzudringen versuchten. Georg schloß sich an Ulrich an und wollte mit ihm auf den Doktor und die Knechte einsprengen: aber diesem war das Flüstern des Herzogs nicht entgangen. »Drauf, ihr Männer! Der im grünen Mantel ist’s; lebendig oder tot!« rief er, drang mit seinen Knechten vor und griff zuerst an. Sein langer Arm führte einen fünf Ellen langen Spieß. Er zückte ihn nach Ulrich, und es wäre vielleicht um ihn geschehen gewesen, da er ihn in der Dunkelheit nicht gleich bemerkte. Doch Hans kam ihm zuvor, und indem der berühmte Doktor Kahlmäuser nach der Brust seines Herrn stieß, war ihm die Axt des Pfeifers tief in die Stirn gedrungen. Er fiel, so lang er war, mit Gebrüll auf die Knechte zurück. Sie stutzten, der Bauersmann schien ein schrecklicher Kämpfer, denn seine Axt schwirrte immer noch in der Luft, er bewegte sie wie eine Feder hin und her; sie zogen sich sogar einige Schritte zurück. Diesen Augenblick benützte Georg, riß dem Herzog den grünen Mantel ab, hing ihn sich selbst um und flüsterte ihm zu, sein Pferd zu spornen und sich über die Brüstung der Brücke hinabzustürzen. Der Herzog warf einen Blick auf die hochgehenden Wellen des Neckars und hinauf zum Himmel. Es schien keine andere Rettung möglich, und er wollte lieber auf Leben und Tod den Sprung wagen, als seinen Feinden in die Hände fallen. Doch der Anblick, der sich ihm in diesem schrecklichen Moment darbot, zog ihn noch einmal zurück.

Die Knechte hatten die Speere vorgestreckt und drangen vor. Der Pfeifer stand noch immer, obgleich aus mehreren Wunden blutend, und schlug mit der Axt ihre Speere nieder. Seine Augen blitzten, seine kühnen Züge trugen den Ausdruck von freudiger Begeisterung, und das Lächeln, das um seinen Mund zog, war nicht das der Verzweiflung, nein, seine mutige Seele erbebte nicht vor dem nahenden Tod, er blickte ihm mit stolzer Freude entgegen als sei er der Kampfpreis, um den er so viele Sorgen und Gefahren auf sich genommen habe. Noch einen schlug er mit seiner starken Rechten zu Boden, da stieß ihm einer der Knechte von der Seite her die Hellebarde in die Brust, in diese treue Brust, die noch im Tod ein Schild für den unglücklichen Fürsten war, dem nie ein treueres Herz geschlagen hatte. Er wankte, er sank zusammen, er heftete das brechende Auge auf seinen Herrn. »Herr Herzog, wir sind quitt«, rief er freudig aus und senkte sein Haupt zum Sterben.

An ihm vorüber ging der Weg der Knechte, die mit Freudengeschrei näher zudrangen – da warf sich Georg von Sturmfeder in die Mitte, seine Klinge schwirrte in der Luft, und so oft sie niederfiel, zuckte einer der Feinde am Boden. Es war der letzte Schild Herzog Ulrichs von Württemberg, sank dieser noch, so war Gefangenschaft oder Tod unvermeidlich. Drum wandte er sich zum letzten Mittel. Er warf noch einen tränenschweren Blick auf die Leiche jenes Mannes, der seine Treue mit dem Tod besiegelt hatte. Dann riß er sein mächtiges Streitroß zur Seite, spornte es, daß es sich hoch aufbäumte, wandte es mit einem starken Druck rechts, und – in einem majestätischen Sprung setzte es über die Brüstung der Brücke und trug seinen fürstlichen Reiter hinab in die Wogen des Neckars.

Georg hielt inne mit Fechten, er sah dem Herzog nach. Roß und Reiter waren niedergetaucht, doch das mächtige Tier kämpfte mit den Wirbeln, schwamm, arbeitete sich herauf, und wie die beste Barke schwamm es mit dem Herzog den Strom hinab. Dies alles war das Werk weniger Augenblicke, einige der Knechte wollten hinabspringen ans Ufer, um sich des kühnen Ritters zu bemächtigen, doch einer, der Georg am nächsten war, rief ihnen zu: »Laßt ihn schwimmen, an dem ist nichts gelegen, das hier ist der grüne Vogel, das ist der grüne Mantel, den laßt uns fassen.« Georg blickte dankbar auf zum Himmel! Er ließ sein Schwert sinken und ergab sich den Bündischen. Sie schlossen einen Kreis um ihn und ließen es willig geschehen, daß er abstieg und zu der Leiche jenes Mannes trat, der ihnen so schrecklich erschienen war. Georg faßte die Hand, welche noch immer die blutige Axt festhielt. Sie war kalt. Er suchte, ob das treue Herz noch schlage, aber der tödliche Stoß der Lanze hatte es nur zu gut getroffen. Das Auge, das einst so kühn und mutig blickte, war gebrochen, geschlossen der Mund, der auch in den trübsten Stunden einen ungebeugten, frohen Sinn verkündete. Seine Züge waren erstarrt, aber noch schwebte um seine Lippen jenes Lächeln, das den letzten Gruß, den er seinem Herrn entbot, begleitet hatte. Georgs Tränen fielen auf ihn herab. Er drückte noch einmal die Hand des Pfeifers, schloß ihm die Augen zu und schwang sich auf, um den Knechten in ihr Lager zu folgen.

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Kapitel 36


Kapitel 36

Nach einem Marsch von beinahe drei Stunden näherte sich der Trupp der bündischen Knechte, den Gefangenen in ihrer Mitte, dem Lager. Sie hatten nicht gewagt, sich laut zu unterreden, aber ihre Mienen verkündeten großen Triumph, und Georgs scharfem Ohr entging es nicht, wie sie flüsternd den Gewinn berechneten, den sie aus dem Herzog im grünen Mantel ziehen würden. Ein freudiges Gefühl bewegte seine Brust, er glaubte hoffen zu dürfen, daß der unglückliche Fürst durch seine kühne Aufopferung Zeit gewonnen habe, sich zu retten. Nur der Gedanke an Marie trübte auf Augenblicke seine Freude. Wie groß mußte ihr Kummer schon gewesen sein, als sie die Nachricht vom Ausgang der Schlacht bekam; er hatte ihr zwar durch treue Männer die Nachricht gesandt, daß er unverletzt aus dem Streit gegangen sei; aber wußte er nicht, daß die traurige Entscheidung von Württembergs Schicksal ihre Seele tief betrüben, daß ihre Blicke ängstlich dem Geliebten auf den Gefahren der Flucht folgen werden, daß ihre Sehnsucht zu jeder Stunde seinen Namen nenne und ihn zurückrufe.

Und durfte er hoffen, vom Bund zum zweitenmal so leicht entlassen zu werden wie damals in Ulm? Gefangen mit den Waffen in der Hand, bekannt als eifriger Freund des Herzogs – mußte er nicht fürchten, einer langen Gefangenschaft, einer grausamen Behandlung entgegenzugehen? Die Ankunft an dem äußeren Posten des Lagers unterbrach diese düsteren Gedanken. Die Knechte schickten einen aus ihrer Mitte ab, um die Bundesobersten von ihrem Fang zu benachrichtigen und Befehle einzuholen, wohin man ihn führen solle. Es war dies eine peinliche Viertelstunde für Georg; er wünschte, mit Frondsberg zusammenzutreffen; er glaubte hoffen zu dürfen, daß dieser edle Freund seines Vaters ihm seine gütigen Gesinnungen erhalten haben möchte, daß er ihn zum wenigsten billiger beurteilen werde als Waldburg Truchseß und so mancher andere, der ihm früher nicht günstig war.

Der Knecht kam zurück; der Gefangene sollte so still als möglich und ohne Aufsehen in das große Zelt geführt werden, wo die Obersten gewöhnlich Kriegsrat hielten. Man schlug zu diesem Gang einen Seitenweg ein, und die Knechte baten Georg; seinen Helm zu schließen, damit man ihn nicht erkenne, ehe er vor den Rat geführt würde. Gern befolgte er diese Bitte, denn es war ihm in einem solchen Fall nichts unerträglicher, als sich den Blicken neugieriger oder schadenfroher Menschen aussetzen zu müssen. Sie gelangten endlich an das große Zelt. Diener aller Art waren hier versammelt, und die verschiedenen Farben und Binden, mit welchen sie geschmückt waren, ließen auf eine zahlreiche Versammlung edler Herren und Ritter im Innern des Zeltes schließen.

Schon mochte die Nachricht unter sie gekommen sein, daß einige Knechte einen Mann von Bedeutung gefangen haben, denn sie drängten sich nahe herbei, als Georg sich aus dem Sattel schwang; und ihre neugierigen Blicke schienen durch die Öffnungen des Visiers dringen zu wollen, um die Züge des Gefangenen zu schauen. Ein Edelknabe suchte, Raum zu machen, und er mußte seine Zuflucht zu dem »Namen der Bundesobersten« nehmen, um diese dichte Masse zu durchbrechen und dem gefangenen Ritter einen Weg in das Innere des Zeltes zu bahnen. Drei jener Knechte, die ihn begleitet hatten, durften folgen; sie glühten vor Freude und glaubten nicht anders, als jene Goldgulden sogleich in Empfang nehmen zu können, die auf die Person des Herzogs von Württemberg gesetzt waren.

Der letzte Vorhang tat sich auf, und Georg trat mutig und festen Schrittes ein und überschaute die Männer, die über sein Schicksal entscheiden sollten. Es waren wohlbekannte Gesichter, die ihn so fragend und durchdringend anschauten. Noch waren die düsteren Blicke und die feindliche Stirn des Truchseß von Waldburg seinem Gedächtnis nicht entfallen, und der spöttische, beinahe höhnische Ausdruck in den Mienen dieses Mannes weissagte ihm nichts Gutes. Sickingen, Alban von Glosen Hutten – sie alle saßen wie damals vor ihm, als er dem Bund auf ewig Lebewohl sagte; aber wie vieles hatte sich geändert. Und eine Träne füllte sein Auge, als er auf jene teure Gestalt, auf jene ehrürdigen Züge fiel, die sich tief in sein dankbares Herz gegraben hatten. Es war nicht Hohn, nicht Schadenfreude, was man in Georg von Frondsbergs Mienen las, nein, er sah den Nahenden mit jenem Ausdruck von würdigem Ernst, von Wehmut an, womit ein edler Mann den tapferen, aber besiegten Feind begrüßt.

Als Georg diesen Männern gegenüberstand, hub der Truchseß von Waldburg an: »So hat doch endlich der schwäbische Bund einmal die Ehre, den erlauchten Herzog von Württemberg vor sich zu sehen; freilich war die Einladung zu uns nicht allzu höflich, doch um -.«

»Ihr irrt Euch!« rief Georg von Sturmfeder und schlug das Visier seines Helmes auf. Als sähen sie Minervas Schild und sein Medusenhaupt, so bebten die Bundesräte vor dem Anblick der schönen Züge des jungen Ritters. »Ha! Verräter! Ehrlose Buben! Ihr Hunde!« rief Truchseß den drei Knechten zu. »Was bringt Ihr uns diesen Laffen, dessen Anblick meine Galle aufregt, statt des Herzogs? Geschwind, wo ist er? Sprecht!«

Die Knechte erbleichten. »Ist’s nicht dieser?« fragten sie ängstlich. »Er hat doch den grünen Mantel an.«

Der Truchseß zitterte vor Wut und seine Augen sprühten Verderben; er wollte auf die Knechte hinstürzen, er sprach davon, sie zu erwürgen; aber die Ritter hielten ihn zurück, und Hutten, zornbleich, aber gefaßter als jener, fragte; »Wo ist der Doktor Calmus, laßt ihn hereinkommen, er soll Rechenschaft ablegen, er hat den Zug übernommen.«

»Ach, Herr«, sagte einer der Knechte, »der legt Euch keine Rechenschaft mehr ab; er liegt erschlagen auf der Brücke bei Köngen!«

»Erschlagen?« rief Sickingen. »Und der Herzog ist entkommen? Erzählt, Ihr Schurken!«

»Wir legten uns, wie uns der Doktor befahl, bei der Brücke in Hinterhalt. Es war beinahe noch dunkel, als wir den Hufschlag von vier Rossen hörten, die sich der Brücke näherten, zugleich vernahmen wir das Zeichen, das uns die Reiter über dem Fluß geben sollten, wenn die Herzoglichen aus dem Wald kämen. ›Jetzt ist’s Zeit‹, sagte der Kahlmäuser. Wir standen schnell auf und besetzten den Ausgang der Brücke. Es waren, soviel wir im Halbdunkel unterscheiden konnten, vier Reiter und ein Bauersmann; die zwei hintersten wandten sich um und fochten mit unsern Reitern, die zwei vorderen und der Bauer machten sich an uns. Doch wir streckten ihnen die Lanzen entgegen, und der Doktor rief ihnen zu, sich zu ergeben. Da drangen sie wütend auf uns ein; der Doktor sagte uns, der im grünen Mantel sei der Rechte, und wir hätten ihn bald gehabt; aber der Bauer, wenn es nicht der Teufel selbst war, schlug den Doktor und noch zwei von uns nieder. Jetzt stach ihm einer die Hellebarde in den Leib, daß er fiel, und dann ging es auf die Reiter. Wir packten allesamt den im grünen Mantel, wie uns der Kahlmäuser geheißen, der andere aber stürzte sich mit seinem Roß über die Brücke hinab in den Neckar und schwamm davon. Wir aber ließen ihn ziehen weil wir den Grünen hatten, und brachten diesen hierher.«

»Das war Ulrich und kein anderer!« rief Alban von Closen. »Ha! Über die Brücke hinab in den Neckar! Das tut ihm keiner nach!«

»Man muß ihm nachjagen«, fuhr der Truchseß auf, »die ganze Reiterei muß aufsitzen und hinab am Neckar streifen, ich selbst will hinaus -.«

»Oh, Herr«, entgegnete einer der Knechte, »da kommt Ihr zu spät; es sind drei Stunden jetzt, daß wir von der Brücke abzogen, der hat einen guten Vorsprung und kennt das Land wohl besser als alle Reiter!«

»Kerl, willst Du mich noch höhnen? Ihr habt ihn entkommen lassen, an Euch halte ich mich, man rufe die Wache; ich lasse Euch aufhängen.«

»Mäßigt Euch«, sagte Frondsberg, »die armen Burschen trifft der Fehler nicht; sie hätten sich gern das Gold verdient, das auf den Herzog gesetzt war. Der Doktor hat gefehlt, und Ihr hört, daß er es mit dem Leben zahlte.«

»Also Ihr habt heute den Herzog vorgestellt?« wandte sich Waldburg zu Georg, der still dieser Szene zugesehen hatte. »Müßt Ihr mir überall in den Weg laufen, mit Eurem Milchgesicht? Überall hat Euch der Teufel, wo man Euch nicht braucht. Es ist nicht das erste Mal, daß Ihr meine Pläne durchkreuzt.«

»Wenn Ihr es gewesen seid, Herr Truchseß«, antwortete Georg, »der bei Neussen den Herzog meuchlings überfallen lassen wollte, so bin ich Euch leider in den Weg gekommen, denn Eure Knechte haben mich niedergeworfen.«

Die Ritter erstaunten über diese Rede und sahen den Truchseß fragend an. Er errötete, man wußte nicht aus Zorn oder Beschämung, und entgegnete: »Was schwatzt Ihr da von Neussen? Ich weiß von nichts; doch wenn man Euch dort niedergeworfen hat, so wünsche ich, Ihr wäret nimmer aufgestanden, um mir heute vor Augen zu kommen. Doch es ist auch so gut; Ihr habt Euch als ein erbitterter Feind des Bundes bewiesen, habt heimlich und offen für den geächteten Herzog gehandelt, teilt also seine Schuld gegen den Bund und das ganze Reich; seid überdies heute mit den Waffen in der Hand gefangen worden – Euch trifft die Strafe des Hochverrats an dem allerdurchlauchtigsten Bund des Schwaben- und Frankenlandes.«

»Dies dünkt mir eine lächerliche Beschuldigung«, erwiderte Georg mit mutigem Ton, »Ihr wißt wohl, wann und wo ich mich vom Bund losgesagt habe; Ihr habt mich auf vierzehn Tage Urfehde schwören lassen; so wahr Gott über mir ist, ich habe sie gehalten. Was ich nachher getan, davon habt Ihr nicht Rechenschaft zu fordern, weil ich Euch nicht mehr verpflichtet war, und was meine Gefangennehmung mit den Waffen in der Hand betrifft, so frage ich Euch, edle Herren, welcher Ritter wird, wenn er von sechs oder acht angegriffen wird, sich nicht seines Lebens wehren? Ich verlange von Euch ritterliche Haft und erbiete mich, Urfehde zu schwören auf sechs Wochen; mehr könnt Ihr nicht von mir verlangen.«

»Wollt Ihr uns Gesetze vorschreiben? Ihr habt gut gelernt bei dem übermütigen Herzog; ich höre ihn aus Euch sprechen; doch keinen Schritt sollt Ihr zu Eurer Sippschaft tun, bis Ihr gesteht, wo der alte Fuchs, Euer Schwiegervater, sich aufhält und welchen Weg der Herzog genommen hat.«

»Der Ritter von Lichtenstein wurde von Euren Reitern gefangengenommen; welchen Weg der Herzog nahm, weiß ich nicht und kann es mit meinem Wort bekräftigen.«

»Ritterliche Haft?« rief der Truchseß bitter lachend. »Da irrt Ihr Euch gewaltig; zeigt vorher, wo Ihr die goldenen Sporen verdient habt! Nein, solches Gelichter wird bei uns ins tiefste Verließ geworfen, und mit Euch will ich den Anfang machen.«

»Ich denke, dies ist unnötig«, fiel ihm Frondsberg ins Wort, »ich weiß, daß Georg von Sturmfeder zum Ritter geschlagen wurde; überdies hat er einem bündischem Edlen das Leben gerettet; Ihr werdet Euch wohl an die Aussage des Dietrich von Kraft erinnern. Auf Verwenden dieses Ritters wurde er von einem schmählichen Tod befreit und sogar in Freiheit gesetzt. Er kann dieselbe Behandlung von uns verlangen.«

»Ich weiß, daß Ihr ihm immer das Wort geredet, daß er Euer Schoßkind war; aber diesmal hilft es ihm nicht, er muß nach Eßlingen in den Turm, und jetzt den Augenblick -.«

»Ich leiste Bürgschaft für ihn«, rief Frondsberg, »und habe hier so gut mitzusprechen wie Ihr. Wir wollen abstimmen über den Gefangenen, man führe ihn einstweilen in mein Zelt.«

Einen Blick des Dankes warf Georg auf die ehrwürdigen Züge des Mannes, der ihn auch jetzt wieder aus der drohenden Gefahr rettete. Der Truchseß aber winkte mürrisch den Knechten, dem Befehl des Oberfeldhauptmanns zu folgen, und Georg folgte ihnen durch die Straßen des Lagers nach Frondsbergs Zelt.

Nicht lange nachher stand der Mann vor ihm, dem er so unendlich viel zu danken hatte. Er wollte ihm danken, er wußte nicht, wie er ihm seine Ehrfurcht bezeigen sollte; doch Frondsberg sah ihn lächelnd an und zog ihn in seine Arme. »Keinen Dank, keine Entschuldigung!« sprach er, »sah ich doch alles dies voraus, als ich in Ulm von Dir Abschied nahm; doch Du wolltest es nicht glauben, wolltest Dich vergraben in die Burg Deiner Väter. Ich kann Dich nicht schelten; glaube mir, das Feldlager und die Stürme so vieler Kriege haben mein Herz nicht so verhärtet, daß ich vergessen könnte, wie mächtig die Liebe zieht!«

»Mein Freund, mein Vater!« rief Georg; indem er freudig errötete.

»Ja, das bin ich; der Freund Deines Vaters, Dein Vater, drum war ich oft stolz auf Dich, wenn Du auch in den feindlichen Reihen standest. Dein Name wurde, so jung Du bist, mit Ehrfurcht genannt, denn Treue und Mut ehrt ein Mann auch am Feind. Und glaube mir, es kam den meisten von uns erwünscht, daß der Herzog entkam; was konnten wir mit ihm beginnen? Der Truchseß hätte vielleicht einen übereilten Streich gemacht, den wir alle zu büßen gehabt hätten.«

»Und was wird mein Schicksal sein?« fragte Georg. »Werde ich lange in Haft gehalten werden? Wo ist der Ritter von Lichtenstein? Oh mein Weib! Darf sie mich nicht besuchen?«

Frondsberg lächelte geheimnisvoll. »Das wird schwer halten«, sagte er, »Du wirst unter sicherer Bedeckung auf eine Feste geführt und einem Wächter übergeben werden, der Dich streng bewachen und nicht so bald entlassen wird. Doch sei nicht ängstlich, der Ritter von Lichtenstein wird mit Dir dorthin abgeführt werden, und Ihr beide müßt auf ein Jahr Urfehde schwören.«

Frondsberg wurde hier durch drei Männer unterbrochen, die in das Zelt stürmten, es war der Feldhauptmann von Breitenstein und Dietrich von Kraft, die den Ritter von Lichtenstein in ihrer Mitte führten.

»Hab‘ ich Dich wieder, wackerer Junge!« rief Breitenstein, indem er Georgs Hand drückte. »Du machst mir schöne Streiche. Dein alter Oheim hat Dich mir auf die Seele gebunden, ich solle einen tüchtigen Kämpen aus Dir ziehen, der dem Bund Ehre mache, und nun läufst Du zu dem Feind und haust und stichst auf uns und hättest gestern beinahe die Schlacht gewonnen durch Dein tollkühnes Stückchen auf unsere Geschütze.«

»Jeder nach seiner Art«, entgegnete Frondsberg, »er hat uns aber auch in Feindes Reihen Ehre gemacht.«

Der Ritter von Lichtenstein umarmte seinen Sohn. »Er ist in Sicherheit«, flüsterte er ihm zu, und beider Augen glänzten vor Freude, zu der Rettung des unglücklichen Fürsten beigetragen zu haben. Da fielen die Blicke des alten Ritters auf den grünen Mantel, der noch immer um Georgs Schultern hing; er sah ihn näher an. »Ha! Jetzt erst verstehe ich ganz, wie alles so kommen konnte«, sprach er bewegt, und eine Träne der Freude hing an seinen grauen Wimpern, »sie nahmen Dich für ihn; was wäre aus ihm geworden, wenn Dich der Mut nur einen Augenblick verlassen hätte? Du hast mehr getan als wir alle, Du hast gesiegt, wenn wir jetzt auch Besiegte heißen, komm an mein Herz, Du würdiger Sohn.«

»Und Marx Stumpf von Schweinsberg?« fragte Georg; »auch er gefangen?«

»Er hat sich durchgehauen, wer vermöchte auch seinen Hieben zu widerstehen? Meine alten Knochen sind mürbe, an mir liegt nichts mehr; aber er ist dem Herzog nachgezogen und wird ihm eine bessere Hilfe sein als fünfzig Reiter. Doch den Pfeifer sah ich nicht, sag, wie ist er entkommen aus dem Streit?«

»Als ein Held«, erwiderte der junge Mann, von der Wehmut der Erinnerung bewegt, »er liegt erstochen an der Brücke.«

»Tot?« rief Lichtenstein und seine Stimme zitterte. »Die treue Seele! Doch wohl ihm, er hat getan wie ein Edler und ist gestorben, treu, wie es Männern ziemt!«

Frondsberg näherte sich ihnen und unterbrach ihre Reden. »Ihr scheint mir so niedergeschlagen«, sagte er, »seid mutig und getrost, alter Herr! Das Kriegsglück ist wandelbar, und Euer Herzog wird wohl auch wieder zu seinem Land kommen, wer weiß, ob es nicht besser ist, daß wir ihn noch auf einige Zeit in die Fremde schickten. Legt Helm und Panzer ab, das Gefecht zum Frühstück wird Euch die Lust zum Mittagessen nicht verdorben haben. Setzt Euch zu uns. Ich erwarte gegen Mittag den Wächter, unter dessen Obhut Ihr auf eine Burg gebracht werden sollt. Bis dahin laßt uns noch zusammen fröhlich sein!«

»Das ist ein Vorschlag, der sich hören läßt«, rief der Feldhauptmann von Breitenstein. »Zu Tisch, Ihr Herren; wahrlich, Georg, mit Dir habe ich nicht mehr gespeist seit dem Imbiß im Ulmer Rathaussaal. Komm, wir wollen redlich nachholen, was wir versäumten.«

Hans von Breitenstein zog Georg zu sich nieder, die anderen folgten seinem Beispiel, die Knechte trugen auf, und der edle Wein machte den Ritter von Lichtenstein und seinen Sohn vergessen, daß sie in mißlichen Verhältnissen, im feindlichen Lager seien, daß sie vielleicht einem ungewissen Geschick, und wenn sie die Reden Frondsbergs recht deuteten, einer langen Gefangenschaft entgegengingen. Gegen das Ende der Tafel wurde Frondsberg hinausgerufen; bald kam er zurück und sprach mit ernster Stimme: »So gerne ich noch länger Eure Gesellschaft genossen hätte, liebe Freunde, so tut es jetzt not, aufzubrechen. Der Wächter ist da, dem ich Euch übergeben muß, und Ihr müßt Euch sputen, wollt Ihr heute noch die Feste erreichen.«

»Ist er ein Ritter, dieser Wächter?« fragte Lichtenstein, indem sich seine Stirn in finstere Falten zog. »Ich hoffe, man wird auf unsren Stand Rücksicht genommen haben und uns ein anständiges Geleit geben?«

»Ein Ritter ist er nicht«, antwortete Frondsberg lächelnd, »doch ist er ein anständiges Geleit, Ihr werdet Euch selbst davon überzeugen.« Er lüftete bei diesen Worten den Vorhang des Zeltes, und es erschienen die holden Züge Mariens; mit dem Weinen der Freude stürzte sie an die Brust ihres Gatten, und der alte Vater stand stumm vor Überraschung und Rührung, küßte sein Kind auf die schöne Stirn und drückte die Hand des biederen Frondsberg.

»Das ist Euer Wächter«, sprach dieser, »und die Lichtenstein die Feste, wo sie Euch gefangenhalten soll. Ich sehe es ihren Augen an, sie wird den jungen Herrn nicht zu streng halten, und der Alte wird sich nicht über sie beklagen können, doch rate ich Euch, Töchterchen, habt ein wachsames Auge auf die Gefangenen, laßt sie nicht wieder von der Burg, gestattet nicht, daß sie wieder Verbindungen mit gewissen Leuten anknüpfen; Ihr haftet mit Eurem Kopf dafür!«

»Aber, lieber Herr«, entgegnete Marie, indem sie den Geliebten inniger an sich drückte und lächelnd zu dem strengen Herrn aufblickte, »bedenkt, er ist ja mein Haupt, wie kann ich ihm etwas befehlen?«

»Eben deswegen hütet Euch, daß Ihr dieses Haupt nicht wieder verliert; bindet ihn mit einem Liebesknoten recht fest, daß er Euch nicht entlaufe, er ändert nur gar zu leicht die Farbe; wir haben Beispiele!«

»Ich trug nur eine Farbe, mein väterlicher Freund!« entgegnete der junge Mann, indem er in die Augen seiner schönen Frau und auf die Feldbinde niedersah, die seine Brust umzog, »nur eine, und dieser blieb ich treu.«

»Wohlan! So haltet ferner nur zu ihr«, sagte Frondsberg und reichte ihm die Hand zum Abschied. »Lebe wohl! Die Pferde harren vor dem Zelt; bringt Eure Gefangenen sicher auf die Feste, schöne Frau, und gedenket huldreich das alten Frondsberg.«

Marie schied von diesem Edlen mit Tränen in den Augen, auch die Männer nahmen bewegt seine Hand, denn sie wußten wohl, daß ohne seine Hilfe ihr Geschick sich nicht so freundlich gewendet hätte. Noch lange sah ihnen Georg von Frondsberg nach, bis sie an der äußersten Zeltgasse um die Ecke bogen. »Er ist in guten Händen«, sagte er dann, indem er sich zu Breitenstein wandte, »wahrlich, der Segen seines Vaters ruht auf ihm. Ein gutes, schönes Weib und ein Erbe, wie wenige sind im Schwabenland.«

»Ja, ja!« erwiderte Hans von Breitenstein, »seiner Klugheit und Vorsicht hat er es nicht zu danken, doch wer das Glück hat, führt die Braut heim; ich bin fünfzig alt geworden und gehe noch auf Freiersfüßen; Ihr auch, Herr Dietrich von Kraft, nicht wahr?«

»Mitnichten und im Gegenteil«, sagte dieser, wie aus einem Traum erwachend. »wenn man ein solches Paar sieht, weiß man, was man zu tun hat. In dieser Stunde noch setze ich mich in meine Sänfte, reise nach Ulm und führe meine Base heim; lebt wohl Ihr Herren!«

 

Als der schwäbische Bund Württemberg wiedererobert hatte, richtete er seine Regierung wieder ein und beherrschte das Land wieder wie im Sommer 1519. Die Anhänger des vertriebenen Herzogs mußten Urfehde schwören und wurden auf ihre Burgen verwiesen. Georg von Sturmfeder und seine Lieben, die dieses Schicksal mit betraf, lebten zurückgezogen auf Lichtenstein, und Marien und ihrem Gatten ging in ihrem stillen häuslichen Glück ein neues Leben auf.

Noch oft, wenn sie am Fenster des Schlosses standen und hinabschauten auf Württembergs schöne Fluren, gedachten sie des unglücklichen Fürsten, der einst hier mit ihnen auf sein Land hinabgeblickt hatte, und dann dachten sie nach über die Verkettung seiner Schicksale und wie durch eine sonderbare Fügung auch ihr eigenes Geschick mit dem seinigen verbunden war; und wenn sie sich auch gestanden, daß ihr Glück vielleicht nicht so früh, nicht so schön aufgeblüht wäre ohne diese Verknüpfung, so wurde doch ihre Freude durch den Gedanken getrübt, daß der Stifter ihres Glückes noch immer fern von seinem Land im Elend der Verbannung lebe. Erst viele Jahre nachher gelang es dem Herzog, Württemberg wiederzuerobern. Doch als er, geläutert durch Unglück, als ein weiser Fürst zurückkehrte, als er die alten Rechte ehrte und die Herzen seiner Bürger für sich gewann, als er jene heiligen Lehren, die er in fernem Land gehört, die so oft sein Trost in einem langen Unglück geworden waren, seinem Volk predigen ließ und einen geläuterten Glauben mit den Grundgesetzen seines Reiches verband, da erkannten Georg und Marie den Finger einer gütigen Gottheit in den Schicksalen Ulrichs von Württemberg, und sie segneten Den, der dem Auge des Sterblichen die Zukunft verhüllt und auch hier wie immer durch Nacht zum Licht führte.

Der Name der Lichtenstein im Württemberger Land ging mit dem alten Ritter zu Grabe, doch erlebte er noch im hohen Alter die Freude, seine blühenden Enkel waffenfähig zu sehen. So geht Geschlecht um Geschlecht über die Erde hin, das neue verdrängt das alte, und nach dem kurzen Zeitraum von fünfzig oder hundert Jahren sind biedere Männer, treue Herzen vergessen; ihr Gedächtnis übertönt der rauschende Strom der Zeiten, und nur wenige glänzende Namen tauchen auf aus den Fluten des Lethe und spielen in ihrem ungewissen Schimmer auf den Wellen.

 

ENDE

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Lichtenstein – Einleitung

Wilhelm Hauff

Lichtenstein

Die Sage, womit sich die folgenden Blätter beschäftigen, gehört jenem Teil des südlichen Deutschlands an, welcher sich zwischen den Gebirgen der Alb und des Schwarzwaldes ausbreitet. Das erstere dieser Gebirge schließt, von Nordost nach Süden in verschiedener Breite sich ausdehnend, in einer langen Bergkette dieses Land ein, der Schwarzwald aber zieht sich von den Quellen der Donau bis hinüber an den Rhein und bildet mit seinen schwärzlichen Tannenwäldern einen dunklen Hintergrund für die schöne, fruchtbare, weinreiche Landschaft, die, vom Neckar durchströmt, an seinem Fuße sich ausbreitet und Württemberg heißt.

Dieses Land schritt aus geringem, dunklem Anfang unter mancherlei Kämpfen siegend zu seiner jetzigen Stellung unter den Nachbarstaaten hervor. Es erregt dies umso größere Bewunderung wenn man die Zeit bedenkt, in welcher sein Name zuerst aus dem Dunkel tritt; jene Zeit, wo mächtige Grenznachbarn, wie die Stauffen, die Herzoge von Teck, die Grafen von Zollern, um seine Wiege gelagert waren; wenn man die inneren und äußeren Stürme bedenkt, die es durchzogen und oft selbst seinen Namen aus den Annalen der Geschichte zu vertilgen drohten.

Gab es doch sogar eine Zeit, wo der Stamm seiner Beherrscher auf ewig aus den Hallen ihrer Väter verdrängt schien, wo sein unglücklicher Herzog aus seinen Grenzen fliehen und in drückender Verbannung leben mußte, wo fremde Herren in seinen Burgen hausten, fremde Söldner das Land bewachten und wenig fehlte, daß Württemberg aufhörte zu sein, jene blühenden Fluren zerrissen und eine Beute für viele oder eine Provinz des Hauses Österreich wurden.

Unter den vielen Sagen, die von ihrem Land und der Geschichte ihrer Väter im Mund der Schwaben leben, ist wohl keine von so hohem romantischem Interesse wie die, welche sich an die Kämpfe der eben erwähnten Zeit, an das wunderbare Schicksal jenes unglücklichen Fürsten Ulrich knüpft.

Das Jahr 1519, in welches unsere Sage fällt, hat über ihn entschieden, denn es ist der Anfang seines langen Unglückes. Doch darf die Nachwelt sagen, es war der Anfang seines Glückes. War ja doch jene lange Verbannung ein läuterndes Feuer, woraus er weise und kräftiger als je hervorging. Es war der Anfang seines Glückes, denn seine späteren Regentenjahre wird jeder Württemberger segnen, der die religiöse Umwälzung, die dieser Fürst in seinem Vaterland bewerkstelligte, für ein Glück ansieht.

In jenem Jahr war alles auf die Spitze gestellt. Der Aufruhr des Armen Konrad war sechs Jahre früher mit Mühe gestillt worden. Doch war das Landvolk hie und da noch schwierig, weil der Herzog dasselbe nicht für sich zu gewinnen wußte, seine Amtleute auf ihre eigene Faust arg hausten und Steuern auf Steuern erhoben wurden. Den schwäbischen Bund, eine mächtige Vereinigung von Fürsten, Grafen, Rittern und freien Städten des Schwaben- und Frankenlandes, hatte er wiederholt beleidigt, hauptsächlich auch dadurch, daß er sich weigerte, ihm beizutreten. So sahen also alle seine Grenznachbarn mit feindlichen Blicken auf sein Tun, als wollten sie nur die Gelegenheit abwarten, ihn fühlen zu lassen, welch mächtiges Bündnis er verweigert habe. Der Kaiser Maximilian, der damals noch regierte, war ihm auch nicht ganz hold, besonders seit er im Verdacht stand, den Ritter Götz von Berlichingen unterstützt zu haben, um sich an dem Kurfürsten von Mainz zu rächen.

Der Herzog von Bayern, ein mächtiger Nachbar, dazu sein Schwager, war ihm abgeneigt, weil Ulrich mit der Herzogin Sabina nicht zum besten lebte. Zu allem diesem kam, um sein Verderben zu beschleunigen, die Ermordung eines fränkischen Ritters, der an seinem Hof lebte. Glaubwürdige Chronisten sagen, das Verhältnis des Johann von Hutten zu Sabina sei nicht so gewesen, wie es der Herzog gerne sah. Daher griff ihn der Herzog auf einer Jagd an, warf ihm seine Untreue vor, forderte ihn auf, sich seines Lebens zu erwehren, und stach ihn nieder. Die Huttischen, hauptsächlich Ulrich von Hutten, erhoben ihre Stimmen wider ihn, und in ganz Deutschland erscholl ihr Klage- und Rachegeschrei.

Auch die Herzogin, die durch stolzes, zänkisches Wesen Ulrich schon als Braut aufgebracht und ihm keine gute Ehe bereitet hatte, trat jetzt als Gegnerin auf, entfloh mit Hilfe Dietrichs von Spät, und sie und ihre Brüder traten als Kläger und bittere Feinde bei dem Kaiser auf. Es wurden Verträge geschlossen und nicht gehalten, es wurden Friedensvorschläge angeboten und wieder verworfen, die Not um den Herzog wuchs von Monat zu Monat, und dennoch beugte sich sein Sinn nicht, denn er meinte, recht getan zu haben Der Kaiser starb in dieser Zeit. Er war ein Herr, der Ulrich trotz der vielen Klagen Milde bewiesen hatte. An ihm starb dem Herzog ein unparteiischer Richter, den er in diesen Bedrängnissen so gut hätte brauchen können, denn das Unglück kam jetzt schnell.

Man feierte das Leichenfest des Kaisers zu Stuttgart in der Burg, als dem Herzog die Kunde kam, daß Reutlingen, eine Reichsstadt, die in seinem Gebiet lag, seinen Waldvogt auf Achalm erschlagen habe. Diese Städter hatten ihn schon oft empfindlich beleidigt, sie waren ihm verhaßt und sollten jetzt seine Rache fühlen. Schnell zum Zorn gereizt, wie er war, warf er sich aufs Pferd, ließ die Lärmtrommeln durch das Land tönen, belagerte die Stadt und nahm sie ein. Der Herzog ließ sich von ihr huldigen, und die Reichsstadt war württembergisch.

Aber jetzt erhob sich der schwäbische Bund mit Macht, denn diese Stadt war ein Glied desselben gewesen. So schwer es auch sonst hielt, diese Fürsten, Grafen und Städte aufzubieten, so zögerten sie doch hier nicht, sondern hielten zusammen, denn der Haß ist ein fester Kitt. Umsonst waren Ulrichs schriftliche Verteidigungen. Das Bundesheer sammelte sich bei Ulm und drohte mit einem Einfall.

So war also im Jahr 1519 alles auf die Spitze gestellt. Konnte der Herzog das Feld behaupten, so behielt er recht, und es war nicht zu zweifeln, daß er dann großen Anhang bekommen würde. Gelang es dem Bund, den Herzog aus dem Feld zu schlagen, dann wehe ihm. Wo so vieles zu rächen war, durfte er keine Schonung erwarten.

Die Blicke Deutschlands hingen bange am Erfolg dieses Kampfes, sie suchten begierig durch den Vorhang des Schicksals zu dringen und zu erspähen, was die künftigen Tage bringen werden, ob Württemberg gesiegt, ob der Bund den Wahlplatz behauptet habe. Wir rollen diesen Vorhang auf, wir lassen Bild an Bild vorüberziehen, möge das Auge nicht zu früh ermüdet sich davon abwenden.

Kapitel 27

Kapitel 27

Dem Platz, wo die Hauptleute und der lange Peter, ihr Oberst, versammelt waren, nahte sich jetzt ein geharnischter Reiter, dessen Pferd von zwei Landsknechten geführt wurde. Der Ritter hatte das Visier seines blanken Helmes herabgeschlagen, die breiten Schultern und die kräftigen Lenden und Beine waren mit Platten und Schienen von Stahl verhüllt, aber die wallenden Federn seines Helmbusches und die wohlbekannten Farben einer Schärpe, die über den Panzer herablief, die Haltung und das edle, kräftige Wesen des Nahenden hatten dem Pfeifer von Hardt längst gesagt, wen er zu erwarten hatte. Und er täuschte sich nicht, denn einer der Knechte trat jetzt vor den Oberst und berichtete, daß der »Edle von Sturmfeder« mit den Anführern der gesamten Landsknechte etwas zu sprechen habe.

Der lange Peter antwortete im Namen der übrigen: »Zag‘ ihm, er ist willkommen, Peter Hunzinger, der Oberst, Ztaberl von Wien, Konrad, der Magdeburger, Balthasar Löffler und der tapfere Muckerle, wohlbestallte Hauptleute, erwarten ihn zum Gespräch. – Gott straf‘ mein Zeel‘, er hat einen schönen Harnisch und einen Helm wie der König Franz, aber zein Gaul dürfte besser zein, Mordblei! Er ist an allen Vieren steif!«

»Dos ist holt, sog‘ ich, weil er den ganzen Sommer ’stonden ist in Mömpelgard beim Herzog.«

Die Männer belächelten den Witz des Wieners, doch hüteten sie sich ihre Freude laut werden zu lassen, denn der Ritter hielt nicht allzufern. Noch immer machte er keine Miene, abzusteigen und sich ihnen zu nahen. Er sprach mit dem Knecht, schlug dann das Visier auf und zeigte ein schönes, freundliches Gesicht. »Steht dort nicht Hans der Spielmann?« rief er mit lauter Stimme. »Erlaubt, daß er ein wenig zu mir trete.«

Der Oberst nickte dem Pfeifer zu, er ging und der Junker schwang sich vom Pferd.

»Willkommen in Württemberg, edler Herr!« rief der Mann von Hardt, indem er den Handschlag des Junkers treuherzig erwiderte. »Bringt Ihr gute Botschaft? Ich seh’s Euch an den Augen an, es steht gut mit dem Herzog.«

»Komm! Tritt hier ein wenig auf die Seite«, sagte Georg von Sturmfeder mit freudiger Hast. »Wie steht es auf Lichtenstein? Denkt sie an mich? Hast Du einen Brief, ein paar Zeilen? Oh, gib schnell! Was läßt sie mir sagen, guter Hans?«

Der Pfeifer lächelte schlau über die Ungeduld des liebenden Jünglings. »Einen Brief hab‘ ich nicht, keine Zeile. Sie ist gesund, und der alte Herr auch; das ist alles, was ich weiß.«

»Wie!« unterbrach ihn Georg. »Keinen Gruß? Keine Botschaft? So hat sie Dich gewiß nicht ziehen lassen?«

»Als ich vorgestern Abschied nahm, sagte das Fräulein: ›Sag ihm, er soll sich sputen, daß er einzieht in Stuttgart.‹ Sie wurde gerade so rot wie Ihr jetzt, da sie dies sprach.«

Der junge Mann errötete voll freudiger Gefühle, sein Auge glänzte, und ein freundliches Lächeln zeigte, daß er den Sinn dieser Worte verstanden habe. »Bald, bald werden wir einziehen, so Gott will«, sagte er. »Aber wie lebten sie diesen langen Sommer? Nur dreimal kam uns Botschaft von ihnen zu! Warst Du oft auf Lichtenstein, Hans? War sie traurig? Was sprach sie?«

»Lieber Herr«, antwortete der Mann von Hardt, »geduldet Euch noch, auf dem Marsch will ich Euch ein Langes und Breites erzählen, für jetzt nur soviel: sobald der Alte hört, daß Ihr auf Stuttgart zieht, will er von Lichtenstein aufbrechen und Euch die Braut zuführen. Denn er zweifelt nicht, daß Ihr die Stadt überwältigt. Habt Ihr Heimsheim?«

»Wir haben es. Ich jagte mit zwölf Reitern in die Tore, ehe sie sich’s versahen. Die Besatzung war zwar etwas stärker als wir, aber mutlos und unzufrieden. Ich handelte mit ihnen in des Herzogs Namen, da glaubten sie, er liege mit vielen Truppen noch im Hinterhalt und ergaben sich. So weit wären wir nun in Württemberg, aber wie ist der Weg weiterhin?«

»Offen, bis ins Herz offen. Ich bringe Euch wichtige Nachricht vom Ritter von Lichtenstein, daß die gewaltigen Herren aus dem Land sind, wißt Ihr – «

»Sie halten einen Bundestag in Nördlingen, ist’s nicht so? Freilich wissen wir’s, denn auf diese Nachricht brach der Herzog aus Baden auf.«

»Nun, und wenn die Katzen fort sind, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Die Besatzungen sind überall unbesorgt, an den Herzog denkt kein Bündler mehr, sie sind nur aufmerksam auf den Bundestag, welchen Herrn wir bekommen werden: den Österreicher, den Bayer, den Prinzen Christophel, oder ob uns der Städtebund, Augsburg und Aalen, Nürnberg und Bopfingen, regieren werde.«

»Welche Augen sie machen werden«, rief Georg lächelnd, »wenn der Stuhl schon besetzt ist, um welchen sie streiten! Sie werden ihre Büchsen auf die Schulter nehmen und ’s Regieren sein lassen.«

»Und die Württemberger? Wie denken sie jetzt vom Herzog? Glaubst Du, er wird viel Anhang finden? Werden sie uns zu Hilfe ziehen?«

»Was Bürger und Bauern sind, ja. Von der Ritterschaft weiß ich’s nicht, und der alte Herr zuckte die Achseln, wenn ich ihn fragte, und murmelte ein paar Flüche. Ich fürchte, es steht hier nicht alles, wie es soll. Aber Bürger und Bauern, die sind für den Herzog. Es sind allerlei sonderbare Zeichen geschehen, die das Volk aufmuntern. So ist neulich im Remstal ein Stein vom Himmel gefallen, drauf war ein Hirschgeweih eingegraben und die Worte: ›Hie gut Württemberg alleweg‹, und auf der andern Seite soll man auf lateinisch gelesen haben: ›Herzog Ulrich soll leben!‹«

»›Vom Himmel gefallen‹, sagst Du?«

»So sagt man. Die Bauern hatten große Freude dran, aber die bündischen Herren wurden zornig, nahmen die Schulzen gefangen und wollten ihnen abpressen, woher der Stein des Anstoßes komme. Und als man bei hoher Strafe verbot, vom Herzog zu sprechen, da lachten die Männer und sagten, jetzt träumen wir von ihm. Alles wünscht ihn zurück, denn sie wollen sich lieber von ihrem anerkannten Herrn drücken, als von Fremden die Haut abziehen lassen.«

»Gut; der Herzog und seine Reiter können in wenigen Stunden hier sein. Sein Plan ist, sich gerade durchs Land nach Stuttgart zu schlagen. Ist die Hauptstadt unser, so fällt uns auch das Land zu. Und wie ist es mit den Landsknechten dort? Wollen sie mitziehen?«

»Fast hätte ich die vergessen«, sagte Hans, »sie werden ungeduldig werden, wenn wir sie zu lange warten lassen. Geht doch recht klug mit ihnen um, es sind stolze Gesellen und lassen sich Hauptleute schelten. Aber haben wir die Fünfe gewonnen, so sind zwölf Fähnlein des Herzogs. Besonders mit dem Oberst, dem langen Peter, müßt Ihr gar höflich sein.«

»Welcher ist der lange Peter?«

»Der dicke Mann, der unter der Eiche sitzt. Er hat einen steifen Schnauzbart und einen vornehmen Hut auf dem Kopf. Der ist der Höchste unter ihnen.«

»Ich will mit ihm reden, wie Du sagst«, antwortete der junge Mann und ging mit dem Pfeifer zu den Landsknechten. Die lange Unterredung der beiden hatte sie schon etwas unmutig gemacht, und der kleine Muckerle schoß stechende Blicke auf den Gesandten des Herzogs. Als dieser aber mit edlem Anstand und freiem, siegendem Blick unter sie trat, wurden sie schüchtern und verlegen, und als er sie endlich mit höflichen, schmeichelhaften Worten anredete, wurden ihre tapfern Herzen von der Anmut Georgs von Sturmfeder für des Herzogs Sache gewonnen.

»Wohlerfahrner Oberst«, sprach er, »tapfere Hauptleute der versammelten Landsknechte, der Herzog von Württemberg hat sich den Grenzen seines Landes genaht, hat die Stadt Heimsheim erobert und ist willens, auf gleiche Weise sein ganzes Herzogtum wieder an sich zu bringen – «

»Gott straf‘ mein Zeel‘, er hat recht; tätz auch zo mochen -«

»Er hat den tapfern Arm und die fürtreffliche Kriegskunst der Landsknechte erprobt, als sie noch gegen ihn standen; er versieht sich zu ihnen, daß sie ihm mit gleichem Mut jetzt beistehen werden, und verspricht ihnen mit seinem fürstlichen Wort, die Bedingungen zu halten, die sie ihm angeboten haben.«

»Ein frommer Herr«, murmelten sie untereinander mit beifälligem Nicken, »ein Goldgulden des Monats – und Mordblei – täglich vier Maß Wein für die Hauptleut‘!«

Der Oberst stand auf, entblößte sein kahles Haupt zum Gruß und sprach, von manchem Räuspern der Verlegenheit unterbrochen: »Wir danken Euch, hochedler Herr, wollen’s tun, wollen mitziehen – wir wollen dem schwäbischen Bund heimgeben, was er unz getan, zo wollen wir. Die allerbesten und tapfersten, wie auch fürtrefflichsten Leute haben zie fortgeschickt, als brauchten sie keine Landsknechte mehr. Da steht zum Beispiel der Hauptmann Löffler. Wenn’z einen tapferern Landsknecht gibt in der Christenheit, zo laß ich mir die Haut vom Leib schälen und laß mich braten wie eine Zau. Da steht der Staberl von Wien; zo einen hat die Zonne noch nie beschienen und der Mond. – Da ist dann der Magdeburger, wie der ficht keiner in der Türkei – und der Muckerle da, man zollt ihm’z nicht anzehen; aber daz ist der beste Schütz mit der Donnerbüchs und trifft auf vierzig Gäng‘ ins Schwarze. – Von mir mag ich nicht reden, Eigenlob stinkt, aber Bassa manelka in Spanien und Holland hab‘ ich gedient und Canto cacramento in Italien und Deutschland, Mordblei! In jedem Heer kennt man den langen Peter. Gott straf‘ mein Zeel‘, wenn ich und die andern hinter den schwäbischen Hund, wollt‘ zagen Bund, kommen, diavolo maledetto! Da werden zieh daz Hazenpanier ergreifen und mit den Absätzen hinter sich hauen!«

Die Hauptleute luden jetzt den Junker von Sturmfeder ein, eine Musterung über das neugeworbene Heer zu halten. Der dumpfe Schall der ungeheuern Trommeln tönte durchs Tal und weckte die Schläfer aus ihrer Ruhe. Noch schien Frondsbergs kriegerischer Geist und sein strenger Ordnungssinn über ihnen zu schweben, denn in wenigen Augenblicken hatten sie sich zu drei großen Kreisen gebildet, die je aus vier Fähnlein bestanden. Die Landsknechte waren nach ihrem Geschmack gekleidet, doch hatte die Mode der Zeit im Schnitt ein wenig Gleichförmigkeit in ihren Anzug gebracht. Sie trugen gewöhnlich enge Wämse von Leder oder auch Lederwesten mit Ärmeln von grobem Tuch Die Lenden staken in ungeheuer weiten Pluderhosen, die am Knie zugebunden, durch ihre eigene Schwere noch etwas tiefer herunterhingen. Die vollen Waden umgaben grobe Strümpfe von hellen Farben, und die Füße waren mit groben Bundschuhen von ungefärbtem Leder bekleidet. Ein Hut, eine Tuch- oder Ledermütze, eine erbeutete oder für eigene Rechnung gekaufte Blechhaube bedeckte den Kopf, und die bärtigen Gesichter dieser Männer, die oft zwanzig Jahre unter allen Heeren und Himmelsstrichen Europas dienten, hatten einen kühnen, martialischen Ausdruck. Ihre Bewaffnung bestand in einem langen Dolch und einer Hellebarde; ein Teil war auch mit Donnerbüchsen bewaffnet, die man mit Lunten losbrannte.

So standen sie mit ausgespreizten Beinen, Fuß an Fuß geschlossen, wie ein festes Bollwerk und Georgs kriegerischen Sinn erfreute der Anblick dieser kampfgeübten Männer, die wohl zu wissen schienen, daß sie vereinzelt nichts, aber in Massen verbunden auch einer zahlreichen Schar von Feinden furchtbar seien.

Die Hauptleute hatten den Kriegsbrauch und das Kommandowort ihrer früheren Anführer wohl im Gedächtnis behalten. Sie traten daher mit dem jungen Ritter in einen dieser Kreise, und der tiefe, weittönende Baß des langen Peters befahl: »Gebt acht Ihr Leut! Kehrt Euch um!«

Schnell hatten sich die Kreise nach innen gekehrt und vernahmen nun die Reden ihrer Hauptleute, die ihnen jene Aufforderung des Herzogs von Württemberg auseinandersetzten. Ein freudiges Gemurmel zeigte, daß sie mit diesen Bedingungen zufrieden seien und Ulrich von Württemberg so eifrig dienen wollten, als sie vorher gegen ihn gedient hatten. Die Hauptleute ließen jetzt auch einige Übungen machen, und Georg bewunderte die Geschicklichkeit der Landsknechte und glaubte fest, man werde es in der Kriegskunst auf Erden schwerlich noch viel weiterbringen.

Etwa nach einer Stunde meldeten die Vorposten, daß man unten im Tal, von der Gegend von Heimsheim her, Waffen blinken sehe, und wenn man das Ohr auf die Erde lege, seien die Tritte vieler Rosse deutlich zu vernehmen.

»Das ist der Herzog«, rief Georg, »führt mein Pferd vor; ich will ihm entgegenreiten.«

Der junge Mann galoppierte durch das Tal hin, und die Hauptleute und ihre Gesellen blickten ihm nach und bewunderten die Kraft und Gewandtheit, mit welcher er in der schweren Rüstung aufs Pferd gesprungen war, lobten seinen Anstand und seine Haltung, solange sie ihn noch sehen konnten. Bald mischte sich sein Helmbusch mit den Büschen und Lanzenspitzen, die man unten im Tal bemerkte. Sie kamen näher, jetzt sah man Helme blinken, jetzt wurden die Reiter bis um die Brust sichtbar, jetzt erschienen sie auf einmal auf einer kleinen Anhöhe, und man konnte die ganze Schar übersehen. Der Pfeifer von Hardt schaute mit blitzenden Augen in die Ferne. Seine Brust hob und senkte sich, die Freude schien ihn des Atems zu berauben, sprachlos nahm er den Obersten an der Hand und deutete auf die Reiterschar.

»Welcher ist der Herzog?« fragte dieser. »Ist’s der auf dem Mohrenschimmel?«

»Nein, das ist der edle Herr von Hewen. Seht Ihr das Banner von Württemberg? Wie, seh‘ ich recht? Bei Gott, der Junker von Sturmfeder darf es tragen!«

»Daz ist eine große Ehre! Mordblei, ist erst fünfundzwanzig und darf die Fahne tragen! In Frankreich darf daz nur der Connetabel tun, der erste Mann nach dem König Franz. Dort heißt man’z Ohrenflamme und ist aus lauter Gold. Aber welcher ist der Herzog Ulrich?«

»Seht Ihr den im grünen Mantel mit den schwarz und roten Federn auf dem Helm? Er reitet neben dem Banner und spricht mit dem Junker, er reitet einen Rappen und zeigt gerade mit dem Finger auf uns – seht, das ist der Herzog.«

Die Reiterschar mochte ungefähr vierzig Pferde betragen. Sie bestand meist aus Edelleuten und ihren Dienern, die dem Herzog in seine Verbannung nachgezogen waren oder, von seinem Einfall benachrichtigt, an der Grenze seines Landes sich ihm angeschlossen hatten. Sie waren alle wohlberitten und bewaffnet. Georg von Sturmfeder trug Württembergs Panier, neben ihm ritt ganz geharnischt der Herzog. Als dieser Zug jetzt den Landsknechten etwa auf dreihundert Schritt nahe war; erhob der lange Peter seine Stimme und sprach: »Gebt acht, Ihr Leut‘. Wenn Zeine Durchlaucht nahe ist und ich meinen Hut vom Scheitel reiße, so schreit: ›Vivat Ulricus!‹, schwenkt die Fähnlein in der Luft, und Ihr Trommler, rasselt auf Euren Fellen, daß Euch das Donnerwetter! Schlagt den Wirbel wie beim Sturm auf eine Festung, Bassa manelka! Haut drauf und wenn der Schlegel bricht – zo begrüßen die tapfren Landsknecht einen Fürsten.«

Diese kurze Anrede tat ihre Wirkung, die kriegerische Schar murmelte das Lob des Herzogs, sie schüttelten ihre Hellebarden, stampften ihre Büchsen klirrend auf den Boden, und die Trommler faßten ihre Schlegel krampfhaft in die Hand, und als jetzt Georg von Sturmfeder, der Bannerträger von Württemberg, ansprengte und hinter ihm hoch zu Roß, erhaben wie in den Tagen seiner Herrschaft, mit kühnen, gebietenden Blicken Herzog Ulrich von Württemberg sich zeigte, da entblößte der lange Peter ehrfurchtsvoll sein Haupt, die Trommeln rasselten wie zum Sturm einer Feste, die Fähnlein neigten sich zum Gruß, und die Landsknechte riefen ein tausendstimmiges ›Vivat Ulricus!‹.

Der Bauersmann von Hardt war still in der Ferne gestanden, hatte nicht auf diese kriegerischen Grüße gehört, seine ganze Seele schien nur in seinem Auge zu liegen, das trunken an seinem Herrn hing. Der Herzog hielt den Rappen an, blickte um sich und es war tiefe Stille unter den vielen Menschen. Da trat der Bauer vor, kniete nieder, hielt ihm den Bügel zum Absteigen und sprach: »Hie gut Württemberg alleweg!«

»Ha! Bist Du es, Hans, mein Geselle im Unglück, der mir den ersten Gruß von Württemberg bringt? Meine Edlen habe ich hier erwartet, daß sie mich begrüßen bei meinem ersten Schritt auf württembergischem Grund, meinen Kanzler und meine Räte. Wo sind die Hunde? Die Stände meiner Landschaft, wo blieben sie, will man mich nicht wiedersehen in der Heimat? Ist keiner von allen da, mir den Bügel zu halten, als der Bauer?«

Seine Begleiter drängten sich staunend um den Herzog her, als sie ihn so sprechen hörten. Sie wußten nicht, war es Ernst oder bitterer Scherz über sein Unglück. Sein Mund schien zu lächeln, aber sein Auge blitzte mutig, und seine Stimme klang ernst und befehlend. Sie sahen einander wegen dieser düsteren Laune zweifelnd an, aber der Pfeifer von Hardt erwiderte seinem Herrn:

»Diesmal ist’s nur der Bauer, der Euch auf Württembergs Boden hilft, aber verachtet nicht ein treues Herz und eine feste Hand! Die andern werden schon auch kommen, wenn sie hören, daß der Herr Herzog wieder im Land ist.«

»Meinst Du«, sprach Ulrich bitter lachend, indem er sich vom Pferd schwang, »sie werden auch kommen? Bis jetzt haben Wir wenig Kunde davon. Aber ich will anklopfen an ihren Türen, daß sie merken sollen, es ist der alte Herr, der in sein Haus will!«

»Sind dies die Landsknechte, die mir dienen wollen?« fuhr er fort, indem er aufmerksam das kleine Heer betrachtete. »Sie sind nicht übel bewaffnet und sehen männlich aus. Wieviel sind es?«

»Zwölf Fähnlein, Euer Durchlaucht«, antwortete der Oberst Peter, der noch immer mit gezogenem Hut vor ihm stand und hie und da verlegen den ungarischen Bart zwirbelte. »Lauter geübte Leut‘. Gott straf‘ mein Zeel‘, tut mir leid, wenn ich geflucht hab‘, der König in Frankreich hat sie nicht besser.«

»Wer bist denn Du?« fragte ihn der Herzog, der die große, dicke Figur mit dem langen Hieber und dem roten Gesicht verwundert anschaute.

»Ich bin eigentlich ein Landsknecht meines Zeichenz; man nennt mich den langen Peter, jetzt aber wohlbestallter Oberst verzammelter -«

»Was, Oberst! Diese Narrheit muß aufhören. Ihr mögt mir wohl ein tapferer Mann sein, aber zum Hauptmann seid Ihr nicht gemacht. Ich selbst will Euer Oberst sein, und zu Hauptleuten werde ich einige meiner Ritter machen.«

»Bassa manelk – tut mir leid, wenn ich geflucht hab‘, aber erlaubt, Herr Herzog, einem alten Kerl ein Wort, daz ist gegen unsern Pakt mit dem Goldgülden monatlich und den vier Maaz Wein tagtäglich. Da steht zum Beispiel der Staberl aus Wien, z’gibt keinen Tapfereren unter dem Mond -«

»Schon gut, Alter, schon gut! Auf die Goldgülden und den Wein soll mir’s nicht ankommen. Wer bisher Hauptmann war, soll es richtig bekommen. Nur den Befehl müßt Ihr abgeben. Habt Ihr Pulver und Kugeln?«

»Das will ich meenen!« sagte der Magdeburger. »Wir haben noch von Eurer Durchlaucht eigenem Pulver und Blei, was wir in Tübingen mitgenommen. Wir haben Munition auf achtzig Schuß für den Mann.«

»Gut. Georg von Hewen und Philipp von Rechberg, Ihr teilt Euch in die Knechte, jeder nimmt sechs Fähnlein. Ihr da, die Ihr Euch Hauptleute nennt, könnt bei den einzelnen Fähnlein bleiben und den beiden Herren an die Hand gehen. Ludwig von Gemmingen, seid so gut und nehmt den Oberbefehl über das Fußvolk. Jetzt geraden Weges auf Leonberg. Freu Dich, mein treuer Bannerträger«, sagte Ulrich als er sich aufs Pferd schwang, »so Gott will, ziehen wir morgen in Stuttgart ein.«

Die Reiterschar, den Herzog an der Spitze, zog weiter. Der lange Peter stand noch immer unverrückt auf dem Platz, den Hut mit der stolzen Hahnenfeder in der Hand, und schaute den Reitern nach.

»Das ist einmal ein Fürst!« sprach er zu den Hauptleuten, die neben ihm standen »Waz der für eine gewaltige Stimme hat und wie er gräulich mit den Augen funkelt, daz ez einem angst und bange wird. Hu, ich meinte, er wollt‘ mich mit Haut und Haar verschlucken, alz er mich fragte: Wer bist denn Du?«

»Mir wor’s g’rod, wie wenn einer siedend Wasser über mein Leib schütten tät. In Wien ist doch auch ’n Kaiser, aber der tut nit so g’waltig wie der da!«

»Also Hauptleut‘ sind wer g’wesen«, sprach der Hauptmann Muckerle, »die Herrlichkeit hat nit lang dauert.«

»Narr! Daz ist mir recht. Würde bringt Bürde, zagt ein Sprichwort, die andern haben oft nicht recht gehorcht, wenn wir befohlen haben; Diavolo, hat doch erst heute einer mich ausgelacht. Hat alles ein besseren Schick, wenn’z die Herren anführen. Den Goldgülden und die vier Maaz haben wir ja doch und daz bleibt die Hauptsache.«

»Dat meen‘ ich ooch! Und dat haben wer dem langen Peter zu verdanken. Er soll leben!«

»Dank‘ schön, aber daz zag ich der Herr wird dem Bund aufzünden, Mordblei! Wenn der erst ein Schwert in die Hand nimmt, der jagt die Städter allein auz dem Land! Und zeine Räte und Kanzler und die Landschaft! Habt Ihr gehört, wie gräulich er über die geflucht hat? Ich möcht‘ in keinez Haut stecken.«

Das Wirbeln der Trommeln unterbrach das Gespräch dieser tapferen Krieger. Diese Töne erschollen nicht mehr auf ihren Befehl, aber der lange Peter war in seinen vielen Feldzügen so sehr an den Wechsel von Glück und Unglück, von Hoheit und Niedrigkeit gewöhnt worden, daß er über den Sturz seines Regiments nicht trauerte. Gelassen nahm er die Hahnenfeder von dem großen Hut, legte die rote Schärpe und den langen Hieber, die Zeichen seiner Würde, ab und ergriff eine Hellebarde. »Gott straf mein Zeel‘, ez ist schwer für einen Kerl wie ich zwölf Fähnlein zu regieren«, sagte er, als er sich wieder als guter Landsknecht in die Reihen seiner Kameraden stellte. »Aber bei Sankt Petrus, dem trefflichen Landsknecht – er muß jetzt auch Oberst zein in den himmlischen Heerscharen Kyrie Eleyzon! Der Mensch muß allez probieren auf Erden.« Die Landsknechte schüttelten ihm die Hand und bestätigten es. Es tat seinem tapfren Herzen wohl, zu hören, er habe sein Kommando trefflich verwaltet. Die drei Ritter, ihre Anführer, saßen auf und stellten sich zu ihren Fähnlein, die Landsknechte richteten sich in gewohnter Ordnung zum Marsch und Ludwig von Gemmingen ließ die Trommeln zum Aufbruch rühren.

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Kapitel 28

Kapitel 28

Es war in der Nacht vor Mariä Himmelfahrt, als Herzog Ulrich vor dem Rothenbühltor in Stuttgart anlangte. Er hatte auf seinem Zug schnell das Städtchen Leonberg erobert und war dann unaufhaltsam immer weiter gedrungen. Viel Volk lief zu, denn wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht verbreitet, daß der Herzog wieder im Land sei. Jetzt erst zeigte es sich, wie wenig Freunde der Bund sich erworben hatte; denn überall wurde die Freude laut, daß das gehässige Regiment des Bundes ein Ende habe, daß das angestammte Fürstenhaus sich wieder in seine alten Rechte einsetze.

Auch nach Stuttgart war bald diese Nachricht vorgedrungen und hatte die verschiedensten Empfindungen dort erregt. Der Adel, der sich in der Stadt befand, wußte nicht, wessen er sich vom Herzog zu versehen hatte. Die Übergabe von Tübingen war noch in zu frischem Gedächtnis, als daß er ganz unbesorgt gewesen wäre. Aber die Erinnerung an den glänzenden Hof Ulrichs von Württemberg, an die fröhlichen Tage, die sie dort verlebt hatten; der Vergleich dieser Zeit mit dem freudenlosen Leben der Bundesräte mochte sie für den Herzog günstig stimmen, wenn auch mancher Ursache hatte, seine Wiederkehr nicht gerade herbeizuwünschen. Die Bürgerschaft konnte ihre Freude über diese Nachrichten kaum verbergen; sie verließen ihre Häuser, traten haufenweise auf den Straßen zusammen und besprachen sich über die Dinge, die ihrer warteten. Sie schimpften leise, aber weidlich auf den Bund, ballten grimmig ihre Fäuste in der Tasche und waren überaus patriotisch gesinnt. Auch tat ihnen der Gedanke wohl, daß von ihrer Entscheidung für den einen oder den andern Teil so viel abhänge, weil man im ganzen Land auf die Stuttgarter sehe. Sie waren zwar weit entfernt, gegen die bündische Besatzung auf ihre eigene Faust einen Aufruhr zu unternehmen, aber sie sprachen zueinander: »Gevatter, wart nur, bis es Nacht wird, da wollen wir den Reichsstädtern zeigen, wo sie her sind, wir Stuttgarter.«

Dem bündischen Statthalter, Christoph von Schwarzenberg, entging diese Bewegung unter den Bürgern nicht. Zu spät sah er ein, wie töricht man getan habe, das Heer zu entlassen. Er wandte sich an die Bundesstände, die noch zu Nördlingen versammelt waren, und begehrte Hilfe, aber er selbst gab die Hoffnung auf, Stuttgart so lange halten zu können, bis ein neues Heer im Feld erschienen sei. Er traf zwar einige Anstalten zur Gegenwehr; aber die Blitzesschnelle, mit welcher der Herzog erschien, vereitelte alle seine Bemühungen. Als er sah, daß er den Bürgern nicht trauen könne, daß ihm der Adel nicht beistehe, daß die Besatzung nicht einmal zur Sicherung der Tore hinreiche, entwich er bei Nacht und Nebel mit den Bundesräten nach Eßlingen. Ihre Flucht war so eilig und geheim, daß sie sogar ihre Familien zurückließen, und niemand in der Stadt ahnte, daß der Statthalter und die Räte nicht mehr in den Mauern seien; daher waren die Anhänger des Bundes noch immer getrosten Mutes und glaubten nicht an die Gerüchte von der schnellen Annäherung des Herzogs.

Der Marktplatz war damals noch das Herz der Stadt Stuttgart; zwar hatten sich schon zwei große Vorstädte, die Sankt Leonhards- und die Turnieracker-Vorstadt, um sie gelagert, welche mit Graben, Mauern und starken Toren versehen, das Ansehen eigener Städte bekommen hatten. Aber noch standen die Ringmauern und Tore der Altstadt, und ihre Bürger sahen nicht ohne Stolz herab auf die Vorstädter. Der Marktplatz war es, wo nach alter Sitte bei jeder besonderen Gelegenheit die Bürger sich versammelten; auch an dem wichtigen Abend vor Mariä Himmelfahrt strömten sie dorthin zusammen. Zur Zeit, wo der Bürger noch mit der Wehr an der Seite auftreten durfte, hatte sein öffentlich gesprochenes Wort auch mehr zu bedeuten als in späteren Tagen, wo Tinte, Feder und Papier die Oberhand gewannen. Und wahrlich, die Bürger von Stuttgart waren bei Nacht und in Waffen versammelt, ganz andere Leute als morgens. Mancher, der, hätte man ihn vormittags um seine Meinung wegen des Herzogs gefragt, antwortete: »Was geht es mich an, bin ein friedlicher Bürgersmann«, erhob jetzt seine Stimme und schrie: »Wir wollen dem Herzog die Tore öffnen, fort mit den Bündischen! Wer ist ein guter Württemberger?«

Der Mond schien hell auf die versammelte Menge herab, die unruhig hin und her wogte. Ein verworrenes Gemurmel drang von ihr in die Lüfte: Noch schienen sie unschlüssig, vielleicht weil keiner kühn genug war, sich an die Spitze zu stellen. Aus den hohen Giebelhäusern, die den Platz einschlossen, schauten viele hundert Köpfe auf den Markt hernieder.

Schon wurde das Murmeln der Menge immer lauter und verständlicher; der Ruf: »Wir wollen die Knechte vom Tor wegjagen und die Stadt dem Herzog auftun«, immer deutlicher, da sah man einen langen hageren Mann auf eine Bank am Brunnen springen, wo er die ganze Menge überragte. Er focht mit ungeheuer langen Armen in der Luft umher, tat einen weiten Mund auf und schrie mit heiserer Stimme um Gehör. Es wurde nach und nach stiller auf dem Platz, man vernahm einzelne Worte aus seiner Rede:

»Was? Die ehrsamen Bürger von Stuttgart wollen ihren Eid brechen – habt Ihr nicht dem Bund geschworen? Wem wollt Ihr die Tore öffnen? Dem Herzog? Er kommt mit ganz geringer Mannschaft, denn er hat ja kein Geld, um Leute zu bezahlen, und da müßt dann Ihr wieder den Beutel auftun und blechen! Da wird’s heißen, Stuttgart zahlt zehntausend Gulden, weil es von Uns abgefallen ist. Hört Ihr? Zehntausend Gulden sollt Ihr zahlen!«

»Wer ist denn der lange Kerl?« fragten sich die Männer. – »Er hat nicht unrecht – werden tüchtig zahlen müssen – Ist er ein Bürger, der da oben? Wer seid Ihr«, rief einer der Kühnsten. »Woher wollt Ihr wissen, was wir zahlen müssen?«

»Ich bin der berühmte Doktor Calmus«, sprach der Redner mit feierlicher Stimme, »und weiß das ganz genau; und wen wollt Ihr vertreiben? Den Kaiser, das Reich, den Bund? So viele reiche Herren wollt Ihr vor den Kopf stoßen? Und warum? Wegen dem Utz, der Euch das Fell über die Ohren zieht; denkt nur an das geringere Gewicht, an die harten Jagdfrevel. Jetzt hat er gar kein Geld mehr; er ist ein Lump, hat alles verspielt in Mömpelgard -«

»Halt Er sein Maul!« schrien die Bürger. »Was geht das Ihn an? Er ist kein hiesiger Bürger; fort mit dem Kahlmäuser – schlagt ihn tot – werft ihn als Fisch in den Brunnen – der Herzog soll leben!«

Doktor Calmus erhob noch einmal seine Stimme; aber die Bürger überschrien ihn.

In diesem Augenblick kam ein neuer Trupp Bürger aus der obern Stadt herabgerannt. »Der Herzog ist vor dem Rothenbühltor«, riefen sie, »mit Reitern und Fußvolk. Wo ist der Stadthalter? Wo sind die Bundesräte? Er will in die Stadt schießen, wenn man nicht aufmacht! – Fort mit den Bündischen! – Wer ist gut württembergisch?«

Der Tumult wuchs von Sekunde zu Sekunde. Die Bürger schienen noch unschlüssig, da bestieg ein neuer Redner die Bank; es war ein feiner Herr, der durch sein schmuckes Äußeres einen Augenblick den Bürgern imponierte: »Bedenkt, Ihr Männer«, rief er mit seiner Stimme, »was wird der durchlauchte Bundesrat dazu sagen, wenn Ihr -«

»Was scheren wir uns um den Durchlauchten« überschrie man ihn: »Fort! Reißt ihn herab mit dem rosenfarbenen Mäntelein und dem glatten Haar, das ist ein Ulmer! Fort mit ihm – auf ihn, er ist von Ulm!«

Aber ehe sie noch diesen Entschluß ausführten, trat ein kräftiger Mann hinauf, warf mit einem Schlag den Doktor rechts und den Ulmer mit dem rosenfarbenen Mäntelein links von der Bank, und winkte mit der Mütze in die Luft. »Still! Das ist der Hartmann«, flüsterten die Bürger, »der versteht’s, hört, was er spricht!«

»Hört mich«, sprach dieser. »Der Stadthalter und die Bundesräte sind nirgends zu finden, sie sind entflohen und haben uns im Stich gelassen, drum greift die beiden da, wir wollen sie als Geiseln behalten. Und jetzt hinauf ans Rothebühltor. Dort steht unser rechter Herzog, ’s ist besser, wir machen selbst auf, als daß er mit Gewalt eindringt. Wer ein guter Württemberger ist, folgt mir nach!«

Er stieg herab von der Bank, und jubelnd umgab ihn die Menge. Die beiden Fürsprecher des Bundes wurden, ehe sie sich dessen versahen, gebunden und fortgeführt. Jetzt ergoß sich der Strom der Bürger vom Marktplatz zum obern Tor, hinaus über den breiten Graben der alten Stadt in die Turnierackervorstadt, am Bollwerk vorbei zum Rothenbühltor. Die bündischen Knechte, die das Tor besetzt hielten, wurden schnell übermannt, das Tor ging auf, die Zugbrücke fiel herab und legte sich über den Stadtgraben.

Dort hatten indessen die Anführer des Fußvolks ihre besten Truppen aufgestellt, man wußte nicht genau, wie die Bündischen sich bei der Annäherung des Herzogs benehmen würden. Ulrich selbst hatte die Posten beritten. Vergeblich suchte Georg von Sturmfeder ihn zu überzeugen, daß die Besatzung von Stuttgart so schwach sei, daß sie ihnen nicht die Spitze bieten könne, vergeblich stellte er ihm vor, daß die Bürger ihn zurücksehnen und willig ihre Tore öffnen würden. Der Herzog schaute finster in die Nacht hinaus, preßte die Lippen zusammen und knirschte mit den Zähnen.

»Das verstehst du nicht!« murmelte er dem Jüngling zu. »Du kennst die Menschen nicht; sie sind alle falsch; traue niemand als Dir selbst. Sie drehen den Mantel nach jedem Wind! – Aber diesmal will ich sie lassen. Meinst Du, ich habe mein Land umsonst mit dem Rücken angesehen?«

Georg konnte diese Stimmung des Herzogs nicht begreifen. Im Unglück war er fest, sogar mild und sanft gewesen; hatte von manchem schönen Brauch gesprochen, den er einführen wolle, wenn er wieder ins Land komme, hatte selten Zorn über seine Feinde, beinahe nie Unmut über die Untertanen gezeigt, die von ihm abgefallen waren; aber sei es, daß mit dem Anblick der vaterländischen Gegenden auch das Gefühl der Kränkung stärker als zuvor in ihm erwachte, sei es, daß es ihm unangenehm auffiel, daß der Adel und die Stände noch nichts hatten von sich hören lassen; er war, seit er die Grenzen Württembergs überschritten, nicht freudig, gehoben, erwartungsvoll, sondern ein stolzer Trotz blitzte aus seinen Augen, seine Stirn war finster, und eine gewisse Strenge und Härte im Urteil fiel seiner Umgebung, besonders Georg von Sturmfeder, auf, der sich in diese neue Seite von Ulrichs Charakter nicht gleich zu finden wußte.

Die Aufforderung an die Stadt mochte wohl schon seit einer halben Stunde ergangen sein. Bald war die Frist abgelaufen, die er ihnen gegeben hatte, und noch immer war keine Antwort da; man hörte nur ein ängstliches Hin- und Herrennen in der Stadt, aus welchem man weder gute noch böse Zeichen deuten konnte.

Der Herzog ritt zu den Landesknechten vor, die erwartungsvoll auf ihren Hellebarden und Donnerbüchsen lehnten. Die drei Ritter, welche sie führten, standen am Graben und hielten durch ihre Anwesenheit die Knechte in Ruhe und Ordnung. Beim Schein des Mondes betrachtete Georg ängstlich Ulrichs Züge. Die Ader auf seiner Stirn war aufgelaufen, eine tiefe Röte lag auf seinen Wangen, und seine Augen brannten in düsterer Glut.

»Hewen! Laßt Leitern anschleppen«, sagte er mit dumpfer Stimme. »Der Donner und das Wetter! Es ist mein eigen Haus, vor dem ich stehe, und die Hunde wollen mich nicht einlassen. Ich laß noch einmal blasen, machen sie dann nicht sogleich auf, so schmeiß‘ ich Feuer in die Stadt, daß ihre Käfige zusammenbrennen.«

»Bassa manelka! Waz mich daz freut!« sagte der lange Peter, der in der ersten Rotte neben dem Herzog stand, leise zu seinen Kameraden. »Jetzt werden Leitern beigeschleppt, wie die Katzen wir hinauf, mit den Hellebarden über die Mauer gestochen, daß die Kerl herunter müssen, mit den Büchsen drein gepfeffert, Canto cacramento!«

»Dat will ik meenen!« flüsterte der Magdeburger, »und dann hinunter in die Stadt, angezündet an den Ecken, geplündert, gebürstet, da will ik man ooch bei sin.«

»Um Gottes willen, Herr Herzog«, rief Georg von Sturmfeder, welche die Reden des Herzogs und die gräuliche Freude der Landesknechte wohl vernommen hatte. »Wartet nur noch ein kleines Viertelstündchen, es ist ja Eure eigene Residenzstadt. Sie beraten sich vielleicht noch.«

»Was haben sie sich lange zu beraten?« entgegnete Ulrich unwillig, »Ihr Herr ist hier außen vor dem Tor und fordert Einlaß. Ich habe schon zu lange Geduld gehabt. Georg! Breite mein Panier aus im Mondschein, laß die Trompeter blasen, fordere die Stadt zum letzten Mal auf! Und wenn ich dreißig zähle nach Deinem letzten Wort, und sie haben noch nicht aufgemacht, beim heiligen Hubertus, so stürmen wir. Spute Dich, Georg!«

»Oh, Herr! Bedenkt eine Stadt, Eure beste Stadt! Wie lange habt Ihr in diesen Mauern gelebt, wollt Ihr Euch ein solches Brandmal aufrichten? Gebt noch Frist.«

»Ha!« lachte der Herzog grimmig und schlug mit dem Stahlhandschuh auf den Brustharnisch, daß es weithin tönte durch die Nacht. »Ich sehe, Dich gelüstet nicht sehr, in Stuttgart einzuziehen und Dein Weib zu verdienen. Aber bei meiner Ungnade, jetzt kein Wort mehr, Georg von Sturmfeder. Schnell ans Werk! Ich sag‘, roll mein Panier auf! Blast, Trompeter, blast! Schmettert sie auf aus dem Schlaf, daß sie merken, ein Württemberger ist vor dem Tor und will trotz Kaiser und Reich in sein Haus. Ich sag‘, fordere sie auf, Sturmfeder!«

Georg folgte schweigend dem Befehl. Er ritt bis dicht vor den Graben und rollte das Panier von Württemberg auf. Die Strahlen des Mondes schienen es freundlich zu begrüßen, sie beleuchteten es deutlich und zeigten seine Felder und Bilder. Auf einer großen Fahne von roter Seide war Württembergs Wappen eingewoben. Der junge Mann schwenkte das schwere Panier in der starken Hand, drei Trompeter ritten neben ihm auf und schmetterten ihre wilden Fanfaren gegen die verschlossene Pforte.

Im Tor öffnete sich ein Fenster, man fragte nach dem Begehr. Georg von Sturmfeder erhob seine Stimme und rief: »Ulrich von Gottes Gnaden, Herzog zu Württemberg und Teck, Graf zu Urach und Mömpelgard, fordert zum zweiten und letzten Mal seine Stadt Stuttgart auf, ihm willig und sogleich die Tore zu öffnen. Widrigenfalls wird er die Mauer stürmen und die Stadt als feindlich ansehen.«

Noch während Georg dieses ausrief, hörte man das verworrene Geräusch vieler Tritte und Stimmen in der Stadt; es kam näher und näher und wurde zum Tumult und Geschrei.

»Gott straf‘ mein Zeel‘, zie machen einen Auzfall!« sagte der lange Peter, laut genug, um vom Herzog verstanden zu werden.

»Du könntest recht haben«, erwiderte dieser, indem er sich plötzlich zu dem erschrockenen Landsknecht wandte. »Schließt dichter an, streckt die Piken vor und haltet die Lunten bereit. Wir wollen sie empfangen nach Verdienst.«

Die ganze Linie zog sich vom Graben zurück, nur die drei ersten Fähnlein stellten sich da, wo die Zugbrücke sich ans Land legen mußte, auf. Ein Wall von Piken starrte jedem Angriff entgegen, und die Schützen hatten die Donnerbüchsen aufgelegt und hielten die Lunten über dem Zündloch. Tiefe Stille der Erwartung war auf dieser Seite, desto brausender drang der Lärm aus der Stadt herüber. Die Brücke fiel herab; aber keine Feinde waren es, die zu einem Ausfall herüberdrangen, sondern drei alte graue Männer kamen aus dem Tor; sie trugen das Wappen der Stadt und die Schlüssel.

Als der Herzog dies sah, ritt er etwas freundlicher hinzu, Georg folgte ihm. Zwei dieser Männer schienen Ratsherren oder Bürgermeister zu sein. Sie beugten das Knie vor dem Herrn und überreichten ihm die Zeichen ihrer Unterwerfung. Er gab sie seinen Dienern und sagte zu den Bürgern: »Ihr habt Uns etwas lange vor der Tür warten lassen. Wahrhaftig, Wir wären bald über die Mauer gestiegen und hätten eigenhändig Eure Stadt zu Unserem Empfang beleuchtet, daß Euch der Rauch die Augen hätte beizen sollen. Der Teufel! Warum ließt Ihr Uns so lange warten?«

»Oh Herr!« sagte einer der Bürger. »Was die Bürgerschaft betrifft, die war gleich bereit, Euch aufzutun. Wir haben aber etliche vornehme Herren vom Bund hier, die hielten lange und gefährliche Reden an das Volk, um es gegen Euch aufzuwiegeln. Das hat so lange verzögert.«

»Ha! Wer sind diese Herren? Ich hoffe nicht, daß Ihr sie habt entkommen lassen! Mich gelüstet, ein Wort mit ihnen zu sprechen.«

»Bewahre, Euer Durchlaucht! Wir wissen, was wir unserem Herrn schuldig sind. Wir haben sie sogleich gefangen und gebunden. Befehlt Ihr, daß wir sie bringen?«

»Morgen früh ins Schloß! Will sie selbst verhören; schickt auch den Scharfrichter; werde sie vielleicht köpfen lassen.«

»Schnelle Justiz, aber ganz nach Verdienst!« sprach hinter den beiden Bürgern eine heisere krächzende Stimme.

»Wer spricht da mir ins Wort?« fragte der Herzog und schaute sich um; zwischen den beiden Bürgern trat eine sonderbare Gestalt heraus. Es war ein kleiner Mann, der den Höcker, womit ihn die Natur geziert hatte, unter einem schwarzen seidenen Mantel schlecht verbarg. Ein kleines spitzes Hütlein saß auf seinen grauen, schlichten Haaren, tückische Äuglein funkelten unter buschigen, grauen Augenbrauen, und der dünne Bart, der ihm unter der vorspringenden Adlernase hing, gab ihm das Ansehen eines sehr großen Katers. Eine widerliche Freundlichkeit lag auf seinen eingeschrumpften Zügen, als er vor dem Herzog das Haupt zum Gruß entblößte, und Georg von Sturmfeder faßte einen unerklärlichen Abscheu und ein sonderbares Grauen vor diesem Mann gleich beim ersten Anblick.

Der Herzog sah den kleinen Mann an und rief freudig: »Ha! Ambrosius Volland, Unser Kanzler! Bist Du noch am Leben? Hättest zwar früher schon kommen können, denn Du wußtest, daß Wir wieder ins Land dringen – aber sei Uns deswegen dennoch willkommen.«

»Allerdurchlauchtigster Herr!« antwortete der Kanzler Ambrosius Volland, »bin wieder so hart vom Zipperlein befallen worden, daß ich beinahe nicht aus meiner Behausung kommen konnte; verzeiht daher Euer -«

»Schon gut, schon gut!« rief der Herzog lachend. »Will Dich schon vom Zipperlein kurieren. Komm morgen früh ins Schloß. Jetzt aber gelüstet Uns, Stuttgart wiederzusehen. Heran, mein treuer Bannerträger!« wandte er sich mit huldreicher Miene zu Georg. »Du hast treulich Wort gehalten bis an die Tore von Stuttgart. Ich will’s vergelten. Bei St. Hubertus, jetzt ist die Braut Dein nach Recht und Billigkeit. Trag mir meine Fahne vor, wir wollen sie aufpflanzen auf meinem Schloß und jenes bündische Banner in den Staub treten! Gemmingen und Hewen, Ihr seid heute Nacht noch meine Gäste. Wir wollen sehen, ob uns die Herren vom Schwabenbund noch ein Restchen Wein übriggelassen haben!«

So ritt Herzog Ulrich, umgeben von den Rittern, die seinem Zug gefolgt waren, wieder durch die Tore seiner Residenz. Die Bürger schrien Vivat, und die schönen Mädchen verneigten sich freundlich an den Fenstern zum großen Ärgernis ihrer Mütter und Liebhaber; denn alle dachten, diese Grüße gälten dem schönen jungen Ritter, der des Herzogs Banner trug und, beleuchtet vom Fackelschein, wie St. Georg, der Lindwurmtöter, aussah.

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Kapitel 29

Kapitel 29

Das alte Schloß zu Stuttgart hatte damals, als es Georg von Sturmfeder am Morgen nach des Herzogs Einzug beschaute, nicht ganz die Gestalt, wie es noch in unsern Tagen zu sehen ist, denn dieses Gebäude wurde erst von Ulrichs Sohn, Herzog Christoph, aufgeführt. Das Schloß der alten Herzoge von Württemberg stand übrigens an derselben Stelle und war in Plan und Ausführung nicht sehr verschieden von Christophs Werk, nur daß es zum größten Teil aus Holz gebaut war. Es war umgeben von breiten und tiefen Gräben, über welche eine Brücke in die Stadt führte. Ein großer, schöner Vorplatz diente in früheren Zeiten dem fröhlichen Hof Ulrichs zum Tummelplatz für ritterliche Spiele, und mancher Reiter wurde von des Herzogs eigener gewaltiger Hand in den Sand geworfen. Die Zeichen dieses ritterlichen Sinnes sprachen sich auch in andern Teilen des Gebäudes aus. Die Halle im unteren Teil des Schlosses war hoch und gewölbt wie eine Kirche, daß die Ritter in dieser „Tyrnitz“ bei Regentagen fechten und Speere werfen und sogar die ungeheuern Lanzen ungehindert darin handhaben konnten. Von der Größe dieser fürstlichen Halle zeugt die Aussage der Chronisten, daß man bei feierlichen Gelegenheiten dort oft zwei- bis dreihundert Tische gedeckt habe. Von da führte eine steinerne Treppe aufwärts, so breit, daß zwei Ritter nebeneinander hinaufreiten konnten. Dieser großartigen Einrichtung des Schlosses entsprach die Pracht der Zimmer, der Glanz des Rittersaales und die reichen, breiten Galerien die zum Tanz und Spiel eingerichtet waren.

Georg maß mit staunenden Augen diese verschwenderische Pracht der Hofburg. Er verglich den Sitz seiner Ahnen mit diesen Hallen, diesen Höfen, diesen Sälen; wie klein und gering kam er ihm vor! Er erinnerte sich der Sage von der glänzenden Hofhaltung Ulrichs, von seiner prachtvollen Hochzeit, wo er in diesem Schloß siebentausend Gäste aus allen Teilen des deutschen Reiches speiste, wo in dem hohen Gewölbe der Tyrnitz und in dem weiten Schloßhof einen ganzen Monat lang Ritterspiele und Gelage gehalten wurden, und wenn der Abend einbrach, hundert Grafen, Ritter und Edelleute mit Hunderten der schönsten Damen in jenen Sälen und Galerien tanzten. Er blickte hinab in den herrlichen Schloßgarten, das Paradies genannt. Seine Phantasie bevölkerte diese Lustgehege und Gänge mit jenem fröhlichen Gewimmel des fröhlichen Hofes, mit den Heldengestalten der Ritter, mit den festlich geputzten Fräulein, mit allem Jubel und Sang, der einst hier erscholl. Aber wie öde und leer deuchten ihm diese Mauern und Gärten, wenn er die Gegenwart mit den Bildern seiner Phantasie verglich. Die Gäste der Hochzeit, der glänzende, lustige Hof ist verschwunden, sprach er zu sich, die fürstliche Gemahlin ist entflohen, der glänzende Frauenkreis, der sie einst umgab, hat sich zerstreut, die Ritter und Grafen, die einst hier schmausten und ein reiches Leben voll Spiel und Tanz verlebten, sind von dem Fürsten abgefallen, die zarten Sprossen seiner Ehe sind in fernen Landen – er selbst sitzt einsam in dieser herrlichen Burg, brütet Rache an seinen Feinden und weiß nicht, wie lange er nur in dem Haus seiner Väter bleiben wird. Ob nicht aufs neue seine Feinde noch mächtiger heranziehen, ob er nicht noch unglücklicher wird als je zuvor!

Vergeblich strebte der Jüngling, diese trüben Gedanken, welche der Widerspruch der Pracht seiner Umgebung mit dem Unglück des Herzogs in ihm erweckt hatte, zu unterdrücken. Vergebens rief er das Bild jenes holden Wesens herauf, das er jetzt bald auf ewig sein nennen durfte, vergeblich malte er sich sein häusliches Glück an ihrer Seite mit den lockendsten, reizendsten Farben aus; jene trüben Bilder kehrten immer wieder. Sei es, daß jener Mann durch die Erhabenheit, die er im Unglück gezeigt hatte, einen so großen Raum in der Brust des Jünglings gewonnen hatte, sei es, daß ihn die Natur in einzelnen Augenblicken mit einem unwillkürlichen Gefühl der Ahnung begabte, er blieb sinnend und ernst, und es war ihm, als sei der Herzog nichts weniger als glücklich, als müsse er ihn vor irgendeinem drohenden Unglück warnen.

»So überaus ernst, junger Herr?« fragte eine heisere Stimme hinter ihm, und weckte ihn aus seinen Gedanken. »Ich dächte doch, Georg von Sturmfeder hätte alle Ursache, heiter und guter Dinge zu sein!«

Der junge Mann wandte sich verwundert um und schaute herab – auf den Kanzler Ambrosius Volland. War ihm dieser Mann schon gestern durch seine widrige Freundlichkeit, durch sein katerhaftes, schleichendes Wesen unangenehm aufgefallen, so war dies heute noch mehr der Fall, da der Kanzler durch überladenen Putz seine Mißgestalt noch mehr herausgehoben hatte.

Dieser Mann war es, der an Georg von Sturmfeder mit süßem Lächeln hinaufsah, und da ihn dieser noch immer anstarrte, zu sprechen fortfuhr: »Ihr kennt mich vielleicht nicht, wertgeschätzter junger Freund, ich bin aber Ambrosius Volland, Sr. Durchlaucht Kanzler. Ich komme, um Euch einen guten Morgen zu wünschen.«

»Ich danke Euch, Herr Kanzler. Viel Ehre für mich, wenn Ihr Euch deswegen her bemühtet.«

»Ehre, wem Ehre gebührt! Ihr seid der Ausbund und die Krone unserer jungen Ritterschaft! Ja, wer meinem Herrn so treu beigestanden ist in aller Not und Fährlichkeit, der hat Anspruch auf meinen innigsten Dank und meine sonderliche Verehrung.«

»Ihr hättet das wohlfeiler haben können; wenn Ihr mitgezogen wäret nach Mömpelgard«, erwiderte Georg, den die Lobsprüche dieses Mannes beleidigten. »Treue muß man nie loben, eher Untreue schelten.«

Einen Augenblick blitzte ein Strahl des Zornes aus den grünen Augen des Kanzlers, aber er faßte sich schnell wieder zur alten Freundlichkeit. »Jawohl, das mein‘ ich auch. Was mich betrifft, so lag ich am Zipperlein hart danieder und konnte also nicht nach Mömpelgard reisen. Werde aber jetzt mit meinem kleinen Licht, das mir der Himmel verliehen; dem Herrn desto tätiger zur Hand gehen.«

Er hielt einen Augenblick inne und schien Antwort zu erwarten. Aber der Jüngling schwieg und maß ihn nur hin und wieder mit einem Blick, den er nicht recht ertragen konnte. »Nun, Euch wird die Freude erst recht angehen. Der Herzog hält erstaunlich viel von Euch! Natürlich, Ihr verdient es auch im höchsten Grad, und der Herzog hat seinen Liebling gut gewählt. Wollt doch erlauben, daß Ambrosius Volland Euch auch eine kleine Erkenntlichkeit zeige. Seid Ihr Freund von schönen Waffen? Kommt in meine Behausung auf dem Markt, wählt Euch aus meiner Armatur, was Euch beliebt. Vielleicht dienen Euch schöne Bücher, habe einen ganzen Kasten voll, wählt Euch aus, was Ihr wollt, wie es unter Freunden gebräuchlich. Eßt auch zuweilen bei mir zu Mittag, meine Base, ein feines Kind von siebzehn Jahren, hält mir Haus. Seht ihr nur, hi, hi, hi – seht ihr nur nicht zu tief in die Augen.«

»Seid ohne Sorgen, bin schon versehen.«

»So? Ei das ist recht christlich gedacht; das muß ich loben. Man trifft solchen wackern Sinn nicht immer unter unserer heutigen Jugend. Ich sagte es ja gleich, der Sturmfeder, das ist ein Ausbund von Tugenden. Nun, was ich noch sagen wollte, wir sind bis jetzt so miteinander die einzigen von des Herzogs Hofstaat; stehen wir zusammen; so werden nur Leute aufgenommen, die wir wollen. Versteht mich schon! Hi, hi, eine Hand wäscht die andere. Darüber läßt sich noch sprechen. Ihr beehrt mich doch zuweilen mit einem Besuch?«

»Wenn es meine Zeit erlauben wird, Herr Kanzler.«

»Würde mich gerne noch länger bei Euch aufhalten, denn in Eurer Gegenwart ist mir ganz wohl ums Herz, muß aber jetzt zum Herrn. Er will heute früh Gericht halten über die zwei Gefangenen, die gestern nacht das Volk aufwiegeln wollten. Wird was geben; der Beltle ist schon bestellt.«

»Der Beltle?« fragte Georg, »wer ist er?«

»Das ist der Scharfrichter, wertgeschätzter junger Freund.«

»Ich bitte Euch! Der Herzog wird doch nicht den ersten Tag seiner neuen Regierung mit Blut beflecken wollen!«

Der Kanzler lächelte grauenerregend und antwortete: »Was das wieder Eurem fürtrefflichen Herzen Ehre macht; aber zum Blutrichter taugt Ihr nicht. Man muß ein Exempel statuieren. Der eine«, fuhr er mit zarter Stimme fort, »der eine wird geköpft, weil er von Adel ist, der andere wird gehängt. Behüt Euch Gott, Lieber!«

So sprach der Kanzler Ambrosius Volland und ging mit leisen Schritten die Galerie entlang den Gemächern des Herzogs zu. Georg sah ihm mit düsteren Blicken nach. Er hatte gehört, daß dieser Mann früher durch seine Klugheit, vielleicht auch durch unerlaubte Künste, großen Einfluß auf Ulrich gewonnen hätte. Er hatte den Herzog selbst oft mit großer Achtung von der Staatsklugheit dieses Mannes sprechen hören. Aber er wußte nicht warum, er fürchtete für den Herzog, wenn er sich dem Kanzler vertraue, er glaubte Tücke und Falschheit in seinen Augen gelesen zu haben.

Er sah gerade den Höcker und den wehenden gelben Mantel um die Ecke schweben, als eine Stimme neben ihm flüsterte:

»Traut dem Gelben nicht!« Es war der Pfeifer von Hardt, der sich unbemerkt an seine Seite gestellt hatte.

»Wie? Bist Du es, Hans?« rief Georg und bot ihm freundlich die Hand. »Kommst Du ins Schloß, uns zu besuchen? Das ist schön von Dir, bist mir wahrhaftig lieber als der mit dem Höcker. Aber was wolltest Du mit dem Gelben, dem ich nicht trauen solle?«

»Das ist eben der mit dem Höcker, der Kanzler, der ist ein falscher Mann. Ich habe auch den Herzog gewarnt, er soll nicht alles tun, was er ihm rät; aber er wurde zornig, und es mag wahr sein, was er sagte.«

»Was sagte er denn? Hast Du ihn heute schon gesprochen?«

»Ich kam, um mich zu verabschieden, denn ich gehe wieder heim nach Hardt zu Weib und Kind. Der Herr war erst gerührt und erinnerte sich an die Tage seiner Flucht und sagte, ich soll mir eine Gnade ausbitten. Ich aber habe keine verdient, denn was ich getan, ist eine alte Schuld, die ich abgetragen. Da sage ich, weil ich nichts anders wußte, er solle mich meinen Fuchs frei schießen lassen und es nicht strafen als Jagdfrevel. Des lachte er und sprach: das könne ich tun, das sei aber keine Gnade; ich solle weiter bitten. Da faßte ich ein Herz und antwortete: Nun, so bitt‘ ich, Ihr mögt dem schlauen Kanzler nicht allzuviel trauen und folgen. Denn ich meine, wenn ich ihn sehe, er meint es falsch.«

»So geht es mir gerade auch«, rief Georg. »Es ist, als wolle er mir die Seele ausspionieren mit den grünen Augen, und ich wette, er meint es falsch. Aber was gab Dir der Herzog zur Antwort?«

»›Das verstehst Du nicht‹, sagte er und wurde böse. ›In Klüften und Höhlen magst Du wohl bewandert sein; aber im Regiment kennt der Kanzler die Schliche besser als Du.‹ Kann sein, ich habe unrecht, und es soll mir lieb sein um den Herzog. Nun lebt wohl, Junker, Gott sei mit Euch! Amen!«

»Und wolltest Du so gehen? Wolltest nicht noch zu meiner Hochzeit bleiben? Ich erwarte den Vater und das Fräulein heute. Bleibe noch ein paar Tage. Du warst so oft der Liebesbote und darfst uns nicht fehlen!«

»Was soll so ein geringer Mann wie ich bei der Hochzeit eines Ritters? Zwar könnte ich mich hinaufsetzen zu den Spielleuten und auch eines aufspielen zum Ehrentanz, aber das tun andere so gut als ich, und mein Haus verlangt nach mir.«

»Nun; so lebe wohl! Grüße mir Dein Weib und Bärbele, Dein schmuckes Töchterlein, und besuche uns fleißig auf Lichtenstein. Gott sei mit Dir.«

Dem Jüngling hing eine Träne im Auge, als er dem Bauer die Hand zum Abschied bot, denn er hatte in ihm einen kräftigen biederen Mann, einen treuen Diener seines Fürsten, einen mutigen Genossen in Gefahren und einen heiteren Gesellen im Unglück erkannt. Wohl schwebte ihm noch manche Frage über das geheimnisvolle Walten dieses Mannes, über seine wunderbare Anhänglichkeit an den Herzog auf den Lippen; aber er unterdrückte sie, überwältigt von jener unerklärlichen Macht, von jener natürlichen Größe und Würde, welche den Pfeifer von Hardt auch im unscheinbaren Gewand des Bauers umgab.

»Noch eins!« rief Hans, als er eben nach dem letzten Händedruck des Junkers scheiden wollte. »Wißt Ihr auch, daß Euer ehemaliger Gastfreund und zukünftiger Vetter, Herr von Kraft, hier ist?«

»Der Ratsschreiber? Wie sollt‘ der hierher kommen? Er ist ja bündisch.«

»Er ist hier, und nicht gerade in anmutigsten Umständen denn er sitzt gefangen. Gestern abend, als das Volk zusammenlief wegen des Herzogs, soll er für den Bund öffentlich gesprochen haben.«

»Gott im Himmel! Das war Dietrich Kraft, der Ratsschreiber? Da muß ich schnell zum Herzog, er richtet schon über ihn, und der Kanzler will ihn köpfen lassen. Gehab‘ Dich wohl!«

Mit diesen Worten eilte der Jüngling den Korridor entlang zu den Gemächern des Herzogs. Er war in Mömpelgard zu allen Tageszeiten zum Herzog gegangen, daher machten ihm auch jetzt die Torhüter ehrerbietig Platz. Er trat hastig in das Gemach. Der Herzog sah ihn verwundert und etwas unwillig an; der Kanzler aber hatte das ewige süße Lächeln wie eine Larve vorgehängt.

»Guten Morgen, Sturmfeder!« rief der Herzog, der in einem grünen, goldgestickten Kleid, den grünen Jagdhut auf dem Kopf, am Tisch saß. »Hast Du gut geschlafen in meinem Schloß? Was führt Dich schon so früh zu Uns? Wir sind beschäftigt.«

Die Augen des jungen Mannes hatten indessen unruhig im Zimmer umhergeschweift und den Schreiber des Ulmer Rats in einer Ecke gefunden. Er war blaß wie der Tod, sein sonst so zierliches Haar hing in Verwirrung herab, und ein rosenfarbiges Mäntelein, das er über ein schwarzes Kleid trug, war in Fetzen zerrissen. Er warf einen rührenden Blick auf den Junker Georg und sah dann auf zum Himmel, als wollte er sagen: »Mit mir ist’s aus!« Neben ihm standen noch einige Männer, und auch ein langer, hagerer Mann, den er schon gesehen zu haben sich erinnerte. Die Gefangenen wurden von Peter, dem tapfern Magdeburger, und dem Staberl aus Wien bewacht. Sie standen mit ausgespreizten Beinen, die Hellebarden auf den Boden gestemmt, kerzengerade auf ihrem Posten.

»Ich sag‘, Wir haben zu tun«, fuhr der Herzog fort. »Was schaust Du nur immer nach dem rosenfarbigen Menschenkind? Das ist ein verstockter Sünder. Das Schwert wird schon für ihn gewetzt.«

»Euer Durchlaucht erlauben mir nur ein Wort«, entgegnete Georg, »Ich kenne jenen Mann und wollte mich mit Hab und Gut für ihn verbürgen, daß er ein friedlicher Mann ist, und gewiß kein Verbrecher, der den Tod vediente.«

»Bei St. Hubertus, das ist kühn! Die Natur hat sich geändert. Mein Kanzler, der treffliche Jurist, hat sich aufgeputzt wie ein junger Krieger, und mein junger Krieger dort will den Advokaten machen. Was sagt Ihr dazu, Ambrosius Volland?«

»Hi, hi! Ich habe Euer Durchlaucht durch meine Person Spaß machen wollen. Weiß aus früherer Zeit, daß Ihr einen kleinen Scherz liebt. Nun der liebe gute Sturmfeder will die Lustbarkeit vermehren und den Juristen spielen. Hi, hi, hi! Wird ihm aber nichts helfen, dem Rosenfarbigen. Majestätsverbrechen! Wird halt doch geköpft, der im Mäntelein.«

»Herr Kanzler«, rief der Jüngling, vor Unmut glühend, »der Herr Herzog wird mir bezeugen können, daß ich mich nie zum Schalksnarren hergegeben habe. Diese Rolle mache ich anderen nicht streitig. Und mit Menschenleben spiele und scherze ich nie! Es ist mein wahrer Ernst. Ich verbürge mich mit meinem Leben für gegenwärtigen Edlen von Kraft, Ratsschreiber in Ulm. Ich hoffe, meine Bürgschaft kann angenommen werden.«

»Wie?« sagte Ulrich. »Das ist wohl der zierliche Herr, Dein Gastfreund, von dem Du mir so oft erzähltest? Tut mir leid um ihn, aber er wurde in einem Aufruhr unter sehr gefährlichen Umständen gefangen.«

»Freilich!« krächzte Ambrosius, »ein Crimen laesae majestatis

»Erlaubt Herr! Ich hab die Rechte lang genug studiert, um zu wissen, daß hier durchaus nicht von einem solchen Verbrechen die Rede sein kann. Gestern nacht waren die Bundesräte und der Statthalter noch hier, folglich war Stuttgart noch in der Gewalt des Bundes, und der Ratsschreiber, der durchaus kein Untertan Sr. Durchlaucht ist, hat nicht anders gehandelt als jeder bündische Soldat, der auf Befehl seines Oberen gegen uns zu Feld zog.«

»Ei, die Jugend, die Jugend! Wie Ihr alles überhaspelt, junger, sehr wertgeschätzter Freund! Sobald der Herzog die Stadt aufgefordert hatte und eingezogen war, war auch alles, was in den Mauern sich befand, sein. Folglich, wer eine Verschwörung gegen ihn anzettelte, ist ein Majestätsverbrecher. Besagter Herr von Kraft aber hat schrecklich gefährliche Reden an das Volk gehalten.«

»Nicht möglich! Es wäre ganz gegen seine Art und Weise! Herr Herzog, das kann nicht sein!«

»Georg!« sagte dieser ernst. »Wir haben lange Geduld gehabt, Dich anzuhören. Es hilft Deinem Freund doch nichts. Hier liegt das Protokoll. Der Kanzler hat, ehe ich kam, ein Zeugenverhör angestellt, worin alles sonnenklar bewiesen ist. Wir müssen ein Exempel statuieren. Wir müssen unsere Feinde recht ins Herz hinein verwunden; der Kanzler hat ganz recht. Darum kann ich keine Gnade geben.«

»So erlaubt mir nur noch eine Frage an ihn und die Zeugen, nur ein paar Worte.«

»Ist gegen alle Form Rechtens«, fiel der Kanzler ein. »Ich muß dagegen protestieren, Lieber! Dies ist ein Eingriff in mein Amt.«

»Laß ihn, Ambrosius. Mag er meinetwegen noch ein paar Fragen an den armen Sünder tun, er ist doch verloren.«

»Dietrich von Kraft«, fragte Georg, »wie kommt Ihr hierher?«

Der arme Ratsschreiber, den der Tod schon an der Kehle gefaßt hatte, verdrehte die Augen und seine Zähne schlugen aneinander. Endlich konnte er herausstoßen: »Bin hierher geschickt worden vom Rat, wurde Schreiber beim Statthalter.«

»Wie kamt Ihr gestern nacht zu den Bürgern von Stuttgart?«

»Der Statthalter befahl mir abends, wenn etwa die Bürger sich aufrührerisch zeigten, sie anzureden und zu ihrer Pflicht und ihrem Eid zu verweisen.«

»Ihr seht, er kam also auf höheren Befehl dorthin – Wer nahm Euch gefangen?« fuhr Georg zu fragen fort.

»Der Mann, der neben Euch steht.«

»Ihr habt diesen Herrn gefangen? Also müßt Ihr auch gehört haben, was er sprach? Was sagte er denn?«

»Ja, was wird er gesagt haben?« antwortete der Bürger. »Er hat keine sechs Worte gesprochen, so warf ihn der Bürgermeister Hartmann von der Bank herunter. Ich weiß noch, er hat gesagt: ›Aber bedenkt, ihr Leute, was wird der durchlauchtigste Bundesrat dazu sagen!‹ Das war alles, da nahm ihn der Hartmann beim Kragen und warf ihn herunter. Aber dort, der Doktor Calmus, der hielt eine längere Rede.«

Der Herzog lachte, daß das Gemach dröhnte, und sah bald Georg, bald den Kanzler an, der ganz bleich und verstört sich umsonst bemühte, sein Lächeln beizubehalten. »Das war also die gefährliche Rede, das Majestätsverbechen? ›Was wird der Bundesrat dazu sagen!‹ Armer Kraft! Wegen dieses kraftvollen Sprüchleins verfielst Du beinahe dem Scharfrichter. Nun, das haben selbst unsere Freunde oft gesagt: ›Was werden die Herren sagen, wenn sie hören, der Herzog ist im Land.‹ Deswegen soll er nicht bestraft werden. Was sagst Du dazu, Sturmfeder?«

»Ich weiß nicht, was Ihr für Gründe habt, Herr Kanzler«, sagte der Jüngling, indem sein Auge noch immer von Unmut strahlte, »die Sachen so auf die Spitze zu stellen und dem Herrn Herzog zu Maßregeln zu raten, die ihn überall – ja ich sage es, die ihn überall als einen Tyrannen ausschreien müssen. Wenn es nur Diensteifer ist, so habt Ihr diesmal schlecht gedient.«

Der Kanzler schwieg und warf nur einen grimmigen, stechenden Blick aus den grünen Äuglein auf den jungen Mann. Der Herzog aber stand auf und sprach: »Laß mir mein Kanzlerlein gehen; diesmal freilich war er zu streng. Da – nimm Deinen rosenroten Freund mit Dir. Gib ihm zu trinken auf die Todesangst, und dann mag er laufen, wohin er will. Und Du, Hund von einem Doktor, der Du zu schlecht zu einem Hundedoktor bist, für Dich ist ein württembergischer Galgen noch zu gut. Gehängt wirst Du doch noch einmal, ich will mir die Mühe nicht geben. Langer Peter, nimm diesen Burschen, binde ihn rückwärts auf einen Esel und führe ihn durch die Stadt. Und dann soll man ihn nach Eßlingen führen – zu den hochweisen Räten, wo er und sein Tier hingehören. Fort mit ihm!«

Die Züge des Doktor Kahlmäuser, in welchen schon der Tod gesessen war, heiterten sich auf. Er holte freier Atem und verbeugte sich tief. Peter, Staberl und der Magdeburger fielen mit grimmiger Freude über ihn her, luden ihn auf ihre breiten Schultern und trugen ihn weg.

Der Ratsschreiber von Ulm vergoß Tränen der Rührung und Freude. Er wollte dem Herzog den Mantel küssen, doch dieser wandte sich ab und winkte Georg, den Gerührten zu entfernen.

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Kapitel 30

Kapitel 30

Der Schreiber des großen Rates schien noch nicht Fassung genug erlangt zu haben, um auf dem Weg durch die Gänge und Galerien des Schlosses die vielen Fragen seines Erretters zu beantworten. Auf Georgs Zimmer angekommen, sank er erschöpft auf einen Stuhl, und es verging noch eine gute Weile, ehe er geordnet zu denken und zu antworten vermochte.

»Eure Politia, Vetter, hat Euch einen schlimmen Streich gespielt«, sagte Georg, »was fällt Euch aber auch ein, in Stuttgart als Volksredner auftreten zu wollen? Wie konntet Ihr überhaupt nur Eure bequeme Haushaltung, die sorgsame Pflege der Amme und die Nähe der holden Berta fliehen, um hier dem Statthalter zu dienen?«

»Ach! Sie ist es ja gerade, die mich in den Tod geschickt hat. Berta ist an allem schuld. Ach, daß ich nie mein Ulm verlassen hätte! Mit dem ersten Schritt über unsere Markung fing mein Jammer an.«

»Berta hat Euch fortgeschickt?« fragte Georg. »Wie, seid Ihr nicht zum Ziel Eurer Bemühungen gelangt? Sie hat Euch abgewiesen, und aus Verzweiflung seid Ihr -.«

»Gott behüte! Berta ist so gut als meine Braut. Ach, das ist gerade der Jammer! Wie Ihr von Ulm abgezogen waret, bekam ich Händel mit Frau Sabina, der Amme. Da entschloß ich mich und hielt bei meinem Oheim um das Bäschen an. Nun habt Ihr aber dem Mädchen durch Euer kriegerisches Wesen gänzlich den Kopf verrückt. Sie wollte, ich solle vorher zu Feld ziehen und ein Mann werden wie Ihr. – Dann wolle sie mich heiraten. Ach, Du gerechter Gott!«

»Und da seid Ihr förmlich zu Feld gezogen gegen Württemberg? Welche kühne Gedanken das Mädchen hat!«

»Bin zu Feld gezogen; die Strapazen vergesse ich in meinem Leben nicht! Mein alter Johann und ich rückten mit dem Bundesheer aus. Das war ein Jammer! Mußten oft täglich acht Stunden reiten. Die Kleider kamen in Unordnung, alles wurde bestaubt und unsauber, der Panzer drückte mich wund. Ich hielt es nicht mehr aus, und Johann lief heim nach Ulm; da bat ich um eine Stelle bei der Feldschreiberei, mietete mir eine Sänfte und zwei tüchtige Saumrosse dazu, und so ging es doch erträglicher.«

»Da wurdet Ihr also zu Feld getragen, wie der Hund zum Jagen. Habt Ihr auch einem Treffen beigewohnt?«

»Oh ja, bei Tübingen kam ich hart ins Gedränge. Keine zwanzig Schritte von mir wurde einer mausetot geschossen. Ich vergesse den Schreck nicht, und wenn ich achtzig Jahre alt werde! Als wir dann das Land völlig besiegt hatten, bekam ich die ehrenvolle Stelle beim Statthalter. Wir lebten ruhig und im Frieden, da kommt auf einmal wieder der unruhige Herr ins Land. Ach, daß ich meinem Kopf gefolgt und mit dem Bundesobersten nach Nördlingen auf den Bundestag gezogen wäre! Aber ich scheute die beschwerliche Reise.«

»Warum seid Ihr aber nicht mit dem Statthalter davongegangen, als wir kamen? Der sitzt jetzt im Trockenen in Eßlingen, bis wir ihn weiter jagen.«

»Er hat uns im Stich gelassen und meinem Kopf alles anvertraut, und beinahe hätte ich mit dem Kopf dafür büßen müssen. Ich dachte nicht, daß die Gefahr so groß sei, ließ mich vom Doktor Calmus verführen, eine Rede ans Volk zu halten, um Württemberg dem Bund zu retten. Das hätte gewiß Aufsehen gemacht, und Berta wäre noch einmal so freundlich gewesen. Aber die Leute da unten in Württemberg sind Barbaren und ohne alle Lebensart; sie ließen mich nicht einmal zu Wort kommen, warfen mich herab und behandelten mich ganz gemein und grob. Seht nur meinen Mantel da, wie sie ihn zerrissen haben! Es ist schade dafür, er hat mich vier Goldgulden gekostet, und Berta behauptet immer, daß mir rosenfarb so gut zu Gesicht stehe.«

Georg wußte nicht, ob er über die Torheit des Schreibers lachen, oder es als hohen stoischen Gleichmut bewundern sollte, daß er, kaum dem Tod entgangen, sein zerrissenes Mäntelein bedauern konnte. Er wollte ihn noch weiter über sein Schicksal befragen, als ihn ein Geräusch vom Vorplatz des Schlosses her ans Fenster lockte; er sah hinaus und winkte Herrn Dietrich herbei, um ihm das Schauspiel gefallener irdischer Größe zu zeigen.

Der Doktor Calmus hielt seinen Umzug durch die Stadt. Er saß verkehrt auf einem Esel; die Landsknechte hatten ihn wunderlich ausgeschmückt; sie hatten ihm eine Mütze von Leder aufgesetzt, an deren Spitze eine Hahnenfeder angebracht war. Vor ihm gingen zwei Trommler, zu seinen Seiten sah man in gravitätischen Schritten den Magdeburger und den Wiener, den ehemaligen Hauptmann Muckerle und seinen tapfern Obersten gehen, die hin und wieder mit den Enden ihrer Hellebarden den Esel zu kühnen Sprüngen antrieben. Ein ungeheurer Volkshaufen umschwärmte ihn und bewarf ihn mit Eiern und Erde.

Der Ratsschreiber schaute trübselig auf seinen Gefährten hinab und seufzte: »’s ist hart, auf dem Esel reiten zu müssen«, sagte er, »aber doch immer noch besser, als gehängt werden.« Er wandte sich von dem Schauspiel ab und blickte nach einer anderen Seite des Schloßplatzes. »Wer kommt denn hier?« fragte er den jungen Ritter. »Schaut, in einem solchen Kasten zog ich zu Felde.«

Georg wandte sich um. Er sah einen Zug von Reisigen, die eine Sänfte in ihrer Mitte führten. Ein alter Herr zu Pferd folgte dem Zug, der jetzt aufs Schloß einbog, Georg sah schärfer hinab: »Sie sind’s«, rief er, »wahrhaftig, es ist der Vater, und in der Sänfte wird sie sitzen!« In einem Sprung war er zur Tür hinaus, und der Ratsschreiber sah ihm staunend nach. »Wer soll es sein, welcher Vater?« fragte er. Er schaute noch einmal durchs Fenster, die Sänfte hielt vor der Zugbrücke des Schlosses, und in demselben Augenblick stürzte Georg aus dem Tor. Herr Dietrich sah ihn die Tür der Sänfte ungestüm aufreißen, eine verschleierte Dame stieg aus, sie schlug den Schleier zurück – und wunderbar! Es war das Bäschen Marie von Lichtenstein. »Ei, seh doch einer? Er küßt sie auf öffentlicher Straße«, sprach der Ratsschreiber kopfschüttelnd vor sich hin, »was das eine Freude ist! Aber wehe, jetzt kommt der Alte um die Sänfte herum, der wird Augen machen! Der wird schimpfen! – Doch wie? Er nickt dem Jüngling freundlich zu, er steigt ab, er umarmt ihn. Nein, das geht nicht mit rechten Dingen zu!«

Und dennoch schien es durchaus mit rechten Dingen zuzugehen; denn als der Schreiber des großen Rates aus dem Zimmer auf die Galerie trat, um sich zu überzeugen, daß ihn seine Augen getäuscht haben müßten, kam sein Oheim, der alte Herr von Lichtenstein, die Treppe herauf. An der rechten Hand führte er Georg von Sturmfeder, an der linken – Bäschen Marie. Welche Veränderung war mit jenen holden Zügen vorgegangen, die sich so tief in sein Herz, in sein Gedächtnis geprägt hatten.

In Ulm war sie ihm zum ersten Mal wie ein Bote aus einem unbekannten Land erschienen, so erhaben war der Blick ihrer schönen blauen Augen, so majestätisch ihre Stirn, so sinnig jenes kleine Fleckchen zwischen den schönen, dunkeln Bogen der Brauen. Er hatte oft und viel darüber nachgedacht, worin denn der Zauber bestehe, der ihn so unwiderstehlich fessle? Die Ulmer Mädchen hatten frischere Wangen, lebhaftere Augen, ein schalkhafteres Lächeln und den fröhlichen, frischen Glanz einer heiteren Jugend. Und dennoch war Marie unter ihnen gestanden, still und groß wie eine Königin. War es vielleicht der dunkle Schleier ihrer Wimpern, der sich oft mit unnennbarem Reiz über das Auge herabsenkte, um das Geheimnis einer stillen Träne zu verhüllen? Waren es die feinen, geschlossenen Lippen, von süßer Wehmut umlagert? War es der zarte Wechsel der Farben auf ihren Zügen, die bald nur gebietende Hoheit auszustrahlen, bald das reizende Geheimnis leidender Liebe zu verraten schienen? Bertas Heiterkeit, Bertas fröhliche, neckende Gunst hatten dieses ernstere Bild längst aus seinem Herzen verdrängt, und doch fühlte der arme Herr Dietrich die alte Wunde wieder bluten, als das Fräulein von Lichtenstein sich nahte. Aber welcher unbekannten Macht sollte er es zuschreiben, daß Mariens Züge einen ganz anderen Ausdruck gewonnen hatten? Wohl lag noch eine hohe Würde in ihrer Haltung, auf ihrer Stirn, aber in ihren Augen glühte eine stille Freude, ihr Mund lächelte und scherzte, auf ihren Wangen waren die schönsten Rosen aufgeblüht. Sprachlos hatte Dietrich von Kraft diese Erscheinung angestarrt, und jetzt erst wurde auch er von dem alten Ritter bemerkt. »Seh‘ ich recht«, rief dieser. »Dietrich Kraft, mein Neffe! Was führt denn Dich nach Stuttgart, kommst Du etwa zur Hochzeit meiner Tochter mit Georg von Sturmfeder? Aber wie siehst Du aus? Was fehlt Dir doch? Du bist so bleich und elend, und Deine Kleider hängen Dir in Fetzen vom Leib?«

Der Ratsschreiber sah herab auf das rosenfarbige Mäntelein und errötete. »Weiß Gott«, rief er, »ich kann mich vor keinem ehrlichen Menschen sehen lassen! Diese verdammten Württemberger, diese Weingärtner und Schustersjungen haben mich so zerfetzt. Aber wahrhaftig! Der ganze durchlauchtige Bund ist in meiner Person angegriffen und beleidigt!«

»Ihr dürft froh sein, Vetter, daß Ihr so davongekommen seid«, sagte Georg, indem er die Angekommenen in sein Gemach einführte. »Bedenkt, Herr Vater, gestern nacht, als wir vor den Toren standen, hielt er Reden an die Bürger, um sie gegen uns aufzuwiegeln. Da hat ihn heute früh der Kanzler wollen köpfen lassen. Mit großer Mühe bat ich ihn los, und jetzt klagt er die Württemberger wegen seines zerfetzten Mänteleins an.«

»Mit gnädiger Erlaubnis«, sagte Frau Rosel, und verbeugte sich dreimal vor dem Ratsschreiber, »wenn Ihr meine Hilfe annehmen wollt, so will ich den Mantel flicken, daß es eine Lust ist. Da geht’s wie im Sprichwort: ›Hat der Junge den Rock zerrissen, hat der Alt‘ ihn flicken müssen‹.«

Herrn Dietrich war diese Hilfe sehr angenehm. Er bequemte sich, zu der Frau Rosel ans Fenster zu sitzen, um sich seine Gewänder zurechtrichten zu lassen. Sie zog aus ihrer großen Ledertasche Zwirn von allen Farben und machte sich an die Wunden, die ihm die Württemberger geschlagen hatten. Sie unterhielt ihn dabei mit ergötzlichen Reden von der Haushaltung und der Zubereitung verschiedener Speisen, die in Frau Sabinas Kochregister nicht vorgekommen waren. Entfernt von diesem Paar, um die ganze Breite des Zimmers, saßen Georg und Marie im traulichen Flüstern der Liebe.

Der Leser wird uns Dank wissen, wenn wir ihn von dieser Szene hinwegführen und den Schritten des Ritters von Lichtenstein folgen. Er hatte seine Tochter unter der Pflege Georgs, seinen Neffen unter der kunstreichen Hand von Frau Rosalie gelassen, und schritt nun den Gemächern des Herzogs zu. Seine Züge, welchen Alter und Erfahrung einen sinnenden Ernst eingedrückt hatten, erschienen in dieser Stunde noch ernster – beinahe traurig. Dieser Mann hatte von seinen Vätern die Liebe zum Haus Württemberg geerbt, Gewohnheit und Neigung hatten ihn an die Regenten gefesselt, die während seines langen Lebens über Württemberg geherrscht hatten, und das Unglück und die Verleumdung, welche auf Ulrich unablässig hereinstürmten, hatten das Herz des alten Herrn nicht von diesem Herzog losreißen können, sie fesselten ihn nur mit noch stärkeren Banden. Mit der Freude eines Bräutigams, der zur Hochzeit zieht, mit der Kraft eines Jünglings, hatte er den weiten und beschwerlichen Weg von seinem Schloß nach Stuttgart zurückgelegt, als man ihm gemeldet hatte, daß der Herzog Leonberg erobert habe und auf Stuttgart zuziehe. Keinen Augenblick zweifelte er am Sieg des Herzogs, und so traf es sich, daß er schon am andern Morgen der neuen Herrschaft Ulrichs nach Stuttgart kam.

Nicht so fröhlicher Art waren die Nachrichten, die ihm Georg mitteilte, als er mit ihm und Marien die Treppe heraufstieg. »Der Herzog«, hatte ihm jener zugeflüstert, »der Herzog ist nicht so, wie er sollte; Gott weiß, was er mit seinem Land machen will; er hat unterwegs sonderbare Reden fallen lassen, und ich fürchte, er ist nicht in den besten Händen. Der Kanzler Ambrosius Volland -.« Dieser einzige Name reichte hin, in dem Ritter von Lichtenstein große Besorgnisse zu erregen. Er kannte diesen Volland, er wußte, daß er zwar gelehrt, in allen Regierungsgeschäften überaus wohl erfahren, zu jedem, auch dem schwersten Dienst bereit, aber dabei ein Mann sei, der zum wenigsten schon öfter ein gewagtes, wo nicht falsches Spiel gespielt habe.

»Wenn der Herzog diesem sein Vertrauen schenkt, wenn er nur seine Ratschläge befolgt, dann sei Gott gnädig. Dem Ambrosius ist das Land ein Stück Leder, das man nach Willkür handhaben kann, er wird es zurechtschneiden wollen zu einem Koller für den Herzog, und die Abschnitzel für sich behalten. Aber, wie Frau Rosel zu sagen pflegt: Zerschneiden kann jeder Narr, aber wie zusammennähen?« So sprach der alte Herr von Lichtenstein zu sich, als er durch die Galerien ging, er streichelte unmutig seinen langen, weißen Bart, und seine Augen glühten vor Eifer für die gute Sache Württembergs.

Er wurde sogleich vorgelassen und traf den Herzog in großer Beratung mit Ambrosius. Der letztere hatte eine ungeheure Schwanenfeder in der einen Hand, in der andern hielt er ein Pergament, das mit schwarzer, roter und blauer Tinte in vielen zierlichen Schnörklein beschrieben war. Der Herzog spielte mit einem großen Siegel, das er in der Hand hielt; er schien mit sich zu kämpfen, er sah bald seinen Kanzler durchdringend an, bald heftete sich sein Blick wieder auf das Siegel. Sie waren beide so vertieft, daß Lichtenstein einige Minuten im Zimmer stand, ohne von ihnen bemerkt zu werden; er betrachtete mit großer Teilnahme die edlen Züge Ulrichs von Württemberg. Er sah, wie auf seiner Stirn, in seinen sprechenden Augen so verschiedene Empfindungen wechselten. Bald runzelte sich seine Stirn, seine Augenbrauen zuckten, sein Auge rollte, dann glätteten sich diese Falten. Aus seinen Blicken strahlte nur ein tiefer Ernst, der in Nachdenken überging, und oft schien ein Anflug von Güte den strengen Ausdruck seiner Züge zu mildern. Aber der im gelben Mäntelein, mit der Schwanenfeder in der Hand, stand wie der Versucher vor ihm! Er wand und drehte sich vor ihm wie die Schlange im Paradies, und das ewig stehende Lächeln, der Ausdruck von Ehrlichkeit, den er seinen grünen Äuglein zu geben wußte, wenn ihn sein Herr scharf ansah, sollten einladen, den Apfel anzubeißen.

»Ich kann nicht begreifen«, sprach er mit heiserer, feiner Stimme, »warum Ihr es nicht tun mögt. Hat wohl Cäsar so lange gezaudert, als er über den Rubikon ging? Ein großer Mann hat große Mittel nötig, und die Mitwelt und die Nachwelt wird Euch preisen, daß Ihr diese Fesseln von Euch geworfen.«

»Weißt Du dies so gewiß, Ambrosius Volland?« entgegnete der Herzog, indem er ihn düster anblickte. »Man wird sagen Herzog Ulrich war ein Tyrann. Er hat die alte Ordnung umgestoßen, die seinen Vätern heilig war, er hat den Vertrag, den er selbst aufgerichtet, gebrochen, er hat sein Land wie ein fremdes behandelt, er hat die Gesetze nicht gehalten, die -.«

»Erlaubt«, unterbrach ihn jener, »es kommt nur allein auf die Frage an: Wer ist Herr? Der Herzog oder das Land? Wenn das Land Herr ist, dann ist’s was anderes. Dann freilich sind allerlei Fakten, Verträge und Klauseln und dergleichen nötig. Die Ritterschaft, die Prälaten und die Landschaft sind dann Meister, und Euer Durchlaucht – nun, sind dann der, welcher den Namen dazu hergibt. Seid Ihr aber, was man so eigentlich Herr nennt, dann seid Ihr es auch, der Gesetze gibt. Jetzt habt Ihr das Heft in der Hand; jetzt noch seid Ihr Herr und Meister. Drum fort mit dem alten Recht, hier ist ein neues – da, nehmt in Gottes Namen die Feder, unterzeichnet!«

Der Herzog stand noch eine Weile unschlüssig, seine Wangen glühten, seine ganze Gestalt richtete sich höher auf, aber sein Auge haftete am Boden. Jetzt schlug er es auf, und es blitzte vom Gefühl seiner Würde. »Ich heiße Württemberg«, sagte er. »Ich bin das Land und das Gesetz – ich unterschreibe.« Er streckte die Rechte aus, die Schwanenfeder aus der Hand seines Kanzlers zu empfangen, aber mit sanfter Gewalt wurde sein Arm von einer fremden Hand ergriffen und weggezogen. Erstaunt sah er sich um und blickte in die ruhigen, aber ernsten Züge des Ritters von Lichtenstein.

»Ha! Willkommen!« rief er, »mein getreuer Lichtenstein. Sogleich steh ich Euch Rede, laßt mich nur zuvor dies Pergament unterzeichnen.«

»Erlauben Euer Durchlaucht«, sagte der alte Mann, »Ihr habt mir eine Stimme zugesagt in Eurem Rat, darf ich nicht auch um die erste Verordnung wissen, die Ihr an Euer Land ergehen laßt?«

»Mit Euer Hochedlen Erlaubnis«, fiel Ambrosius Volland hastig ein, »das Ding hat Eile; die Bürgerschaft von Stuttgart versammelt sich schon auf der Wiese. Diese Schrift muß ihr vorgelesen werden. Es hat wahrhaftig Eile.«

»Nun, Ambrosius!« sagte der Herzog, »so gar eilig ist es nicht, daß wir Unserem alten Freund die Sache nicht mitteilen sollten. Wir haben nämlich beschlossen, Uns huldigen zu lassen, und zwar nach neuen Verträgen und Gesetzen. Die alten sind null und nichtig.«

»Das habt Ihr beschlossen? Um Gottes willen, habt Ihr auch bedacht, zu was dies führt? Habt Ihr nicht erst vor wenigen Jahren den Tübinger Vertrag beschworen?«

»Tübingen!« rief der Herzog mit schrecklicher Stimme, indem seine Augen vor Zorn glühten. »Tübingen! Nenne dies Wort nicht mehr! Dort hatte ich all meine Hoffnung, dort war mein Land, meine Kinder, ha! Und dort haben sie mich verraten und verkauft. Ich bat, ich flehte, sie sollten zu mir halten, ich wollte Gut und Blut mit ihnen teilen – nichts! Man wollte von Ulrich nichts mehr. Das neue Regiment gefiel ihnen besser; im Elend haben sie mich schmachten lassen, haben zugegeben, daß ihr Herzog in der Verbannung war, haben geduldet, daß der Name Württemberg ein Hohngelächter wurde in allen Reichen – jetzt bin ich wieder Herr und Meister und habe das Heft in der Hand, und will mir’s nicht wieder aus der Hand winden lassen. Haben Sie ihren Eid vergessen, bei Sankt Hubertus, so ist mein Gedächtnis auch nicht länger. Tübinger Vertrag? Ich sag‘, der Teufel soll alles holen, was mit diesem Namen sich verknüpft!«

»Aber bedenken Euer Durchlaucht!« sprach Lichtenstein, von diesem Ausbruch der Leidenschaft erschüttert, »bedenkt doch, welchen Eindruck ein solcher Schritt auf das Land machen muß. Noch habt Ihr nichts als Stuttgart und die Umgegend; noch liegen in Urach, Asperg, Tübingen, Göppingen überall bündische Besatzungen. Wird die Landschaft Euch beistehen, den Bund zu versagen, wenn sie hört, auf welche neue Ordnung sie huldigen soll?«

»Ich sag‘: Ist mir die Landschaft beigestanden, als ich Württemberg mit dem Rücken ansehen mußte? Sie haben mich laufen lassen und dem Bund gehuldigt!«

»Vergebt mir, Herr Herzog«, entgegnete der Alte mit bewegter Stimme, »dem ist nicht so. Ich weiß noch wohl den Tag bei Blaubeuren. Wer hielt da zu Euch, als die Schweizer abzogen? Wer bat Euch, nicht vom Land zu lassen; wer wollte Euch sein Leben opfern? Das waren achttausend Württemberger. Habt Ihr den Tag vergessen?«

»Ei, ei, Wertester!« sagte der Kanzler, dem es nicht entging, welchen mächtigen Eindruck diese Worte auf Ulrich machten. »Ei! Ihr sprecht doch auch etwas zu kühn. Ist übrigens jetzt auch gar nicht die Rede von damals, sondern von jetzt. Die Landschaft ist von der alten Huldigung gänzlich abgekommen, hat dem Bund eine andere Huldigung getan; Seine Durchlaucht ist jetzt als ein neuangekommener Herr anzusehen, er hat dies Land mit Gewalt erobert; hat sich nun der Bund auf besondere Verträge huldigen lassen, so kann es der Herzog ebenso halten. Neuer Herr, neu Gesetz. Man kann sich in allewege nach eigenem Gutdünken huldigen lassen. Soll ich die Feder eintauchen, gnädiger Herr?«

»Herr Kanzler!« sagte Lichtenstein mit fester Stimme. »Habe alle mögliche Ehrfurcht vor Eurer Gelehrtheit und Einsicht, aber was Ihr da sagt, ist grundfalsch und kein guter Rat. Jetzt gilt es, zu wissen, wen das Volk liebt. Der Bund hat durch sein Walten im Land alles gegen sich aufgebracht; es war die rechte Zeit, daß Seine Durchlaucht wiederkam, jetzt fliegen ihm alle Herzen zu. Wird er sie nicht gewaltsam von sich stoßen, wenn er alles Alte umreißt und nach eigener, neuer Satzung schaltet und waltet? Oh, bedenkt, die Liebe eines Volkes ist eine mächtige Stütze!«

Der Herzog stand mit untergeschlagenen Armen da, düster vor sich hinblickend, er antwortete nicht. Desto eifriger tat dies der Kanzler im gelben Mäntelein. »Hi, hi, hi! Wo habt Ihr die schönen Sprüchlein her, Liebwerter, Hochgeschätzter? Liebe des Volkes, sagt Ihr? Schon die Römer wußten, was davon zu halten sei. Seifenblasen, Seifenblasen! Hätt‘ Euch für gescheiter gehalten. Wer ist denn das Land? Hier, hier steht es in persona, das ist Württemberg, dem gehört’s, hat’s geerbt und jetzt noch dazu erobert. Volksliebe! Aprilwetter! Wäre ihre Liebe so stark gewesen, so hätten sie nicht dem Bund gehuldigt.«

»Der Kanzler hat recht!« rief Ulrich, aus seinen Gedanken erwachend. »Du magst es gut meinen, Lichtenstein. Aber er hat diesmal recht. Meine Langmut hat mich zum Land hinausgetrieben; jetzt bin ich wieder da, und sie sollen fühlen, daß ich Herr bin. Die Feder her, Kanzler, ich sag‘, so will ich’s; so wollen wir Uns huldigen lassen!»

»Oh Herr, tut nichts in der ersten Hitze! Wartet, bis Euer Blut sich abkühlt. Ruft die Landschaft zusammen, macht Änderungen nach Eurem Sinn, nur jetzt nicht, nur nicht, solange der Bund noch Land in Württemberg besitzt; es könnte Euch bei den übrigen schaden. Gestattet nur noch eine kurze Frist.«

»So?« unterbrach ihn der Kanzler. »Daß man dann allgemach wieder in das alte Wesen hineinkommt? Gebt acht, wenn die Landschaft erst beisammen ist, wenn sie sich erst zusammen beraten, meint Ihr, da werden sie so gutwillig nachgeben? Hi, hi! Da wird man Gewalt anwenden müssen, und das macht erst verhaßt. Schmiedet das Eisen, solange es warm ist. Oder gelüstet Euer Durchlaucht, wieder ganz gehorsam unter das alte Joch zu stehen und den Karren zu ziehen?«

Der Herzog antwortete nicht. Er riß mit einer hastigen Bewegung Feder und Pergament dem Kanzler aus der Hand, warf einen schnellen, durchdringenden Blick auf ihn und den Ritter, und ehe noch dieser es verhindern konnte, hatte Ulrich seinen Namen unterzeichnet. Der Ritter stand in stummer Bestürzung, er senkte bekümmert das Haupt auf die Brust herab. Der Kanzler blickte triumphierend auf den Ritter und den Herzog. Doch dieser ergriff eine silberne Glocke, die auf dem Tisch stand und klingelte. Ein Diener erschien und fragte nach seinem Befehl.

»Ist die Bürgerschaft versammelt?« fragte er.

»Ja, Euer Durchlaucht! Auf den Wiesen gegen Cannstatt sind sie versammelt, Amt und Stadt; die Landsknechte rücken soeben aus, sechs Fähnlein.«

»Die Landsknechte? Wer gab die Erlaubnis?«

Der Kanzler zitterte bei dem Ton dieser Frage. »Es ist nur wegen der Ordnung«, sagte er, »ich habe gedacht, weil es bei solchen Fällen gebräuchlich ist, daß bewaffnete Mannschaft -.«

Der Herzog winkte ihm zu schweigen. Er begegnete einem trüben, fragenden Blick des alten Lichtenstein, der ihn erröten machte. »Mit meinem Befehl geschah es nicht«, sprach er, »doch es möchte auffallen, wenn Wir sie zurückriefen. Es ist ja gleichgültig. Man bringe mir den roten Mantel und den Hut; schnell!«

Der Herzog trat ans Fenster und sah schweigend hinaus. Der Kanzler schien nicht recht zu wissen, ob sein Herr erzürnt sei oder nicht, er wagte nicht zu sprechen, und der Ritter von Lichtenstein beharrte in seinem trüben Schweigen. So standen sie geraume Zeit, bis sie von den Dienern unterbrochen wurden. Es traten vier Edelknaben ins Gemach, der erste trug den Mantel, der zweite den Hut, der dritte eine Kette von Gold und der vierte des Herzogs Schlachtschwert. Sie bekleideten den Herzog mit dem Fürstenmantel von purpurrotem Samt, mit Hermelin verbrämt. Sie reichten ihm den Hut, der die schwarze und gelbe Farbe des Hauses Württemberg in reichen, wehenden Federn zeigte, diese wurden zusammengehalten von einer Agraffe aus Gold und Edelsteinen, die eine Grafschaft wert waren. Der Herzog bedeckte sein Haupt mit diesem Hut. Seine kräftige Gestalt schien in diesem fürstlichen Schmuck noch erhabener als zuvor, und die freie majestätische Stirn, das glänzende Auge sah gebietend unter den wallenden Federn hervor. Er ließ sich die Kette umhängen, steckte das Schlachtschwert an und winkte seinem Kanzler aufzubrechen.

Noch immer sprach der Ritter von Lichtenstein kein Wort. Mit bekümmerter Miene hatte er diesen Anstalten zugesehen und sich dann abgewendet. Der Herzog schritt mit leichtem Neigen des Hauptes an dem alten Ritter vorüber zur Tür, und die wunderliche Figur des Kanzlers Ambrosius Volland folgte ihm mit majestätischen Schritten. Hatte der Herr den Alten nicht gegrüßt, glaubte auch der Kanzler ihm dies nicht schuldig zu sein. Er warf einen tückischen Blick nach dem Platz hinüber, wo jener noch immer stand, und sein großer, zahnloser Mund verzog sich zu einem höhnischen Lächeln. In der Tür stand der Herzog still. Er sah rückwärts, seine bessere Natur schien über ihn zu siegen, er kehrte zur Verwunderung des Kanzlers zurück und trat zu Lichtenstein.

»Alter Mann!« sagte er, indem er vergeblich strebte, seine tiefe Bewegung zu unterdrücken. »Du warst mein einziger Freund in der Not, und in hundert Proben habe ich Deine Treue bewährt gefunden. Du kannst es mit Württemberg nicht schlimm meinen. Ich fühle, es ist einer der wichtigsten Schritte meines Lebens, und ich gehe vielleicht einen gewagten Gang. – Aber wo es das Höchste gilt, muß man alles wagen.«

Der Ritter von Lichtenstein richtete sein greises Haupt auf; in den weißen Wimpern hingen Tränen. Er ergriff Ulrichs Hand. »Bleibt«, rief er, »nur diesmal, diesmal folgt meiner Stimme. Mein Haar ist grau, ich habe lange gelebt, Ihr erst drei Jahrzehnte.« – Indem ertönten die Trommeln der Landsknechte im Hof. Das ungeduldige Stampfen der Rosse drang herauf und die Herolde stießen, zur Huldigung rufend, in die Trompeten

»Jacta alea est.! War der Wahlspruch Cäsars«, sagte der Herzog mit mutiger Miene. »Jetzt gehe ich über meinen Rubikon. Aber Dein Segen möchte mir frommen, alter Mann, zum Rat ist es zu spät!«

Der Ritter blickte schmerzlich aufwärts. Die Stimme versagte ihm, er drückte segnend seines Herzogs Rechte an die Brust. Noch zögerte Ulrich bei ihm, da streckte der Kanzler den langen, dürren Arm unter dem gelben Mäntelein hervor und winkte ihm mit der Pergamentrolle. Er war anzuschauen wie der Versucher, dem es gelingt, eine arme Seele mit sich hinabzuziehen. Ulrich von Württemberg riß sich los und ging, um sich von seiner Hauptstadt huldigen zu lassen.

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Kapitel 31

Kapitel 31

Die Besorgnisse des alten Herrn schienen nicht so unbegründet gewesen zu sein, als Ambrosius Volland sie dargestellt hatte. Ein sehr großer Teil des Landes fiel zwar dem Herzog zu, weil die Vorliebe für den angestammten Regenten, der Druck des Bundes und die anfangs so siegreichen Waffen Ulrichs viele bewogen, die Huldigung, die sie gezwungenerweise dem Bund getan, zu vergessen und sich für Württemberg zu erklären.

Aber die neue Huldigung, die alle früheren Verträge umstieß, das Gerücht, daß manche Stadt durch Gewalt zu diesen Formen gezwungen worden sei, bewirkte wenigstens, daß der Herzog keine Popularität gewann, ein Mangel, der in so zweifelhafter Lage oft nur zu bald fühlbar wird. Noch beharrten Urach, Göppingen und Tübingen auf ihren, dem Bund geleisteten Pflichten, denn ihre bündisch gesinnten Obervögte zwangen sie mit Gewalt dazu. Zu Urach hauste Dietrich Späth, des Herzogs bitterster Feind. Er brachte in wenigen Tagen so viel Mannschaft auf, daß er nicht nur sein ganzes Amt im Zaum hielt, sondern auch Einfälle in die Ländereien machte, die dem Herzog wieder zugefallen waren. Es ging auch das Gerücht, die Bundesstände seien schnell von Nördlingen aufgebrochen, jeder in seine Heimat geeilt, um frische Heere aufzubieten und Ulrich zum zweitenmal auf Leben und Tod zu bekämpfen.

Ulrich selbst schien weder der einen noch der anderen dieser Besorgnisse Raum zu geben. Er pflog bei verschlossenen Türen mit Ambrosius Volland Rat. Man sah viele Eilboten kommen und abgehen, aber niemand erfuhr, was sie brachten. In Stuttgart aber glaubte man fest, der Herzog müsse in der fröhlichsten Stimmung sein, denn wenn er mit seinem glänzenden Gefolge durch die Straßen ritt, alle schönen Jungfrauen grüßte und mit den Herren zu seiner Seite scherzte und lachte, da sagten sie: »Herr Ulrich ist wieder so lustig wie vor dem armen Konrad.« Er hatte seinen Hofstaat wieder glänzend eingerichtet. Zwar war er nicht mehr wie früher der Sammelplatz der bayerischen, schwäbischen und fränkischen Grafen und Herren, zwar fehlte die Fürstin, die sonst einen schönen Kranz blühender Fräulein um sich versammelt hatte, aber dennoch fehlte es nicht an schönen Frauen und schmucken Edlen, seinen Hof zu verherrlichen, und die Luft dieser Stadt schien schon damals der Schönheit so günstig zu sein, daß die bunten Reihen an den Sälen und Hallen des Schlosses nicht einer gewöhnlichen Versammlung, sondern einer Auswahl aus den schönen Frauen des Landes glichen.

Tänze und Ritterspiele waren in ihre alten Rechte eingesetzt worden. Fest drängte sich an Fest, und Ulrich schien eifrig nachholen zu wollen, was er in der Zeit seines Unglücks versäumt hatte. Keines dieser geringsten Feste war die Hochzeit Georgs von Sturmfeder mit der Erbin von Lichtenstein.

Der alte Herr hatte sich lange nicht entschließen können, sein Wort zu halten. Nicht, daß er die Wahl seiner Tochter mißbilligt hätte, denn er liebte seinen Eidam väterlich; er sah in ihm seine eigene Jugend wieder aufblühen, er schlug ihm seine freiwillige Verbannung mit dem Herzog hoch an. Aber wie der Horizont von Ulrichs Glück, so war auch die Stirn des alten Mannes noch immer umwölkt, denn er ahnte, daß es nicht so bleiben werde, wie es jetzt war, und tief schmerzte es ihn, daß der Herzog in so mancher wichtigen Angelegenheit von seinem Rat nicht Gebrauch machte, sondern alles heimlich mit seinem Kanzler abhandelte. So hatte er unschlüssig und betrübt diesen Tag der Freude immer hinausgeschoben; aber die schönen Augen seiner Tochter, in welchen er oft einen leisen Vorwurf zu lesen glaubte, Georgs Bitten nötigten ihm endlich einen bestimmten Termin ab. Der Herzog ließ es sich nicht nehmen, die Hochzeit auszurichten. Er mochte sich jener Nächte erinnern, wo der Vater nicht müde wurde, ihm seine Anhänglichkeit zu bezeigen, wo die zarte Tochter keinen Sturm, keine Kälte scheute, um ihn am Burgtor zu empfangen und ihn mit warmen Speisen zu laben. Er mochte sich noch aus der jüngsten Vergangenheit der Opfer erinnern, die ihm der Bräutigam gebracht hatte, er zeigte auf glänzende Art, wie er Treue, Aufopferung und Liebe, die sich ihm so selten bewährt hatten, zu vergelten wisse. Der Ritter und seine Tochter waren bisher noch immer seine Gäste im Schloß zu Stuttgart gewesen, jetzt ließ er ein schönes Haus nächst der Kollegiatkirche mit neuem Hausgerät versehen und übergab am Vorabend der Hochzeit den Schlüssel dem Fräulein von Lichtenstein mit dem Wunsch, sie möchte es, so oft sie in Stuttgart sei, bewohnen.

Und jetzt endlich war der Tag gekommen, welchen Georg oft in ungewisser Ferne, aber immer mit gleicher Sehnsucht geschaut hatte. Er rief sich am Morgen dieses Tages das ganze Leben seiner Liebe zurück; er wunderte sich, wie alles so anders gekommen war, als er sich gedacht hatte. Wie hätte er, als er damals durch den Schönbuch nach der Heimat zog, denken können, daß das Glück, die Geliebte ganz zu besitzen, nicht mehr so ferne liegen werde, als er fürchtete. Jedes Wort der Geliebten kehrte wieder in seiner Erinnerung, und er mußte aufs neue ihre hohe Zuversicht, ihren schönen Glauben an ein gütiges Geschick bewundern, den sie auch damals, wo die Zukunft mit einem düstren Schleier verhüllt, und keine Aussicht, keine Hoffnung mehr war, nicht verlor, den sie mit dem letzten Abschiedskusse auch ihm mitzuteilen wußte.

»Er hat uns nicht belogen, dieser Glaube«, sprach der junge Mann, von der Erinnerung bewegt, zu sich, »es lebt eine heilige, ahnungsvolle Stimme in ihrer reinen Seele, und ihr klares Auge, das in dem meinigen die Gewißheit meiner Liebe las, tauchte auch damals tief in die Zukunft und verkündete Glück, es wird sie auch jetzt nicht täuschen, wenn es ein süßes, ungestörtes Glück in unserer Verbindung liest.«

Ein bescheidenes Pochen an der Tür unterbrach die lange Gedankenreihe, die sich an den heutigen Tag knüpfen und in die ferne Zukunft hinausziehen wollte. Es war Dietrich von Kraft, der stattlich geschmückt zu ihm eintrat.

»Wie?« rief dieser Schreiber des großen Rates zu Ulm und schlug vor Verwunderung die Hände zusammen. »Wie? In diesem Wams wollt Ihr Euch doch hoffentlich nicht trauen lassen? Es ist schon neun Uhr, die Gänge und Treppen des Schlosses wimmeln von Hochzeitsgästen, die von Samt und Seide glänzen, und Ihr, die Hauptperson im Stück, schaut ruhig zum Fenster hinaus, statt Euern Anzug zu besorgen?«

»Dort liegt der ganze Staat«, erwiderte Georg lächelnd. »Barett und Federn, Mantel und Wams, alles aufs schönste zubereitet, aber Gott weiß, ich habe noch nicht daran gedacht, daß ich dieses Flitterwerk an mich hängen solle. Dies Wams ist mir lieber als jedes schöne neue. Ich habe es in schweren, aber dennoch glücklichen Tagen getragen.«

»Ja, ja! Ich kenne es wohl; das habt Ihr bei mir in Ulm getragen, und es ist mir noch wohl erinnerlich, wie Euch Berta in diesem blauen Kleid abschilderte, daß ich recht eifersüchtig wurde. Aber Flitterwerk nennt Ihr die Kleider da? Ei, der Tausend! Hätte ich nur mein lebenlang solche Flitter. Ha, das weiße Gewand, mit Gold gestickt. und der blaue Mantel von Samt! Kann man was Schöneres sehen? Wahrlich, Ihr habt mit Umsicht ausgewählt, das mag trefflich stehen zu Euren braunen Haaren.«

»Der Herzog hat mir es zugeschickt«, antwortete Georg, indem er sich ankleidete, »mir wäre alles zu kostbar gewesen.«

»Ist doch ein prächtiger Herr, der Herzog, und jetzt erst, seit ich einige Zeit hier bin, sehe ich ein, daß man ihm bei uns in Ulm zu viel getan hat. An einem solchen Hof ist es doch was anderes als in den Städten. Und Herzog von Württemberg klingt auch schöner als Bürgermeister von Ulm. Und doch möcht‘ ich nicht in seiner Haut stecken. Ihr werdet sehen, Vetter, es geht noch einmal bergab mit ihm.«

»Das ist Euer altes Lied, Herr Dietrich. Erinnert Ihr Euch noch, wie Ihr damals in Ulm so groß tatet mit Eurer Politika und wie Ihr regieren wolltet in Württemberg? Wie ist es denn jetzt?«

»Ist nicht alles eingetroffen?« erwiderte der Ratsschreiber mit weiser Miene. »Weiß noch wie heute, daß ich prophezeite, die Schweizer ziehen heim, die Landschaft werden wir für uns gewinnen, und die Burgen werden wir einnehmen.«

»Ja, ja! Ihr habt sie erobern helfen«, lachte Georg, »seid ja in einer Sänfte zu Feld getragen worden; aber damals sagtet Ihr auch, der Herzog werde nie zurückkehren, und jetzt sitzt er ganz warm und ruhig hier.«

»Nicht so ruhig, als Ihr glaubt. Zwar ich wollte ihm und Euch wünschen, er behielte sein Land; uns hat es doch nichts genützt, die großen Herren nehmen alles für sich, an unser einen kam nichts als etwa die Ehre, für den Bund geköpft zu werden; aber – glaubt mir, es sieht nicht so ruhig aus, als man hier meint. Die vertriebenen Räte haben von Eßlingen aus an den Kaiser und das Reich geschrieben und geklagt; der Bund ist wieder auf den Beinen, bei Ulm steht schon wieder ein neues Heer.«

»Gerede, nichts weiter; ich weiß gewiß, daß der Herzog sich mit Bayern versöhnen wird.«

»Ja will, aber nicht versöhnen wird. Das hat noch manchen Haken. Aber was sehe ich? Ihr werdet doch nicht den alten Fetzen von einer Feldbinde zu dem stattlichen Hochzeitschmuck anlegen wollen? Pfui, das paßt nicht zusammen, lieber Vetter.«

Der Bräutigam betrachtete die Schärpe mit inniger Liebe. »Das versteht Ihr nicht«, sagte er, »wie gut sich dies zum Hochzeitsgewand schickt. Es ist ihr erstes Geschenk; sie flocht sie heimlich bei Nacht auf ihrem Kämmerlein, als ihr die Kunde kam, daß sie bald scheiden müsse. Sie hat manche Träne hineingewoben, hat das Gewebe oft an die Lippen gedrückt, drum wurde es mir eine Zauberbinde und meinen Augen ein Trost, wenn ich im Unglück auf die Brust herniedersah. Sie darf nicht fehlen diese Binde; hat sie die Not mit mir getragen, so sei sie mir ein heiliger Schmuck am Tag des Glücks.«

»Nun, wie Ihr wollt, hängt sie in Gottes Namen um; jetzt noch das Barett aufgesetzt und schnell den Mantel umgehängt, sie läuten schon das Erste drüben in der Kirche. Sputet euch, laßt das Bräutlein nicht so lange warten!«

Georgs Wangen röteten sich, sein Herz pochte, als er sein Gemach verließ. Die Freude, die Erwartung, die Erfüllung jahrelanger Wünsche bestürmten seine Sinne, und wie trunken ging er neben Herrn Dietrich durch die Galerien. Die Tür ging auf und Marie im Glanz ihrer Schönheit stand umgeben von vielen Frauen und Fräulein, die, vom Herzog eingeladen, heute ihre Begleitung bilden sollten. Marie errötete, als sie den Geliebten sah, sie betrachtete ihn staunend, als seien seine Züge heute mit einem neuen Glanz übergossen, sie schlug die Augen nieder, als sie seinen freudetrunkenen Blicken begegnete. Was hätte Georg darum gegeben, die Geliebte an sein Herz ziehen, den Morgengruß der Liebe auf ihre Lippen drücken zu dürfen, aber die strenge Sitte der Zeit trennte an diesem Tag durch eine weite Kluft, was sich sonst schon längst gefunden hatte. Dem Bräutigam war es nicht erlaubt, die Hand der Braut zu berühren, ehe sie der Priester in die seinige legte, und der Braut wurde es übel aufgenommen, wenn sie den Bräutigam gar zu viel und gar zu lange ansah. Züchtig, ehrbar, die Augen auf den Boden geheftet, die Hände unter der Brust gefaltet, mußte sie stehen – so wollte es die Sitte.

Verschwunden war die erhabene Haltung Mariens, verschwunden die Majestät ihrer Stirn und jener gebietende, ernste Blick, der auch den Kühnsten gefesselt hätte; aber man war versucht, jene erhabeneren Schönheiten nicht zurückzuwünschen; lag doch in diesem verschämten Bekenntnis, durch einen Blick des Geliebten überwunden zu sein, ein höherer Reiz, als wenn das stolze Auge frei um sich geblickt und dieser geschlossene Mund das Geständnis der Liebe laut und offen ausgesprochen hätte. So hatte die Natur Marien an diesem Tag einen neuen Zauber verliehen, der so mächtig wirkte, daß Georg einige Momente seine Braut verwundert betrachtete und sein Herz sich stolzer hob, im Gefühl, dieses liebliche Kind sein nennen zu dürfen.

Jetzt kam auch der Herzog, der den Ritter von Lichtenstein an der Hand führte. Er musterte mit schnellen Blicken den reichen Kreis der Damen, und auch er schien sich zu gestehen, daß Marie die schönste sei. »Sturmfeder!« sagte er, indem er den Glücklichen auf die Seite führte, »dies ist der Tag, der Dich für vieles belohnt. Gedenkst Du noch der Nacht, wo Du mich in der Höhle besuchtest und nicht erkanntest? Damals brachte Hans, der Pfeifer, einen guten Trinkspruch aus: ›Dem Fräulein von Lichtenstein! Möge sie blühen für Euch!‹ Jetzt ist sie Dein, und was nicht minder schön ist, auch Dein Trinkspruch ist erfüllt; Wir sind wieder eingezogen in die Burg Unserer Väter.«

»Möge Euer Durchlaucht dieses Glück so lange genießen, als ich an Mariens Seite glücklich zu sein hoffe. Aber Eurer Huld und Gnade habe ich diesen schönen Tag zu verdanken, ohne Euch wäre vielleicht der Vater -.«

»Ehre um Ehre, Du hast Uns treulich beigestanden, als Wir Unser Land wiedererobern wollten, drum gebührte es sich, daß auch Wir Dir beigestanden, um sie zu besitzen – Wir stellen heute Deinen Vater vor, und als solchem wirst Du Uns schon erlauben, nach der Kirche Deine schöne Frau auf die Stirn zu küssen.«

Georg gedachte jener Nacht, als der Herzog unter dem Tor von Lichtenstein sich auf diesen Tag vertröstete; unwillkürlich mußte er lächeln, wenn er der Würde und Hoheit gedachte, mit welcher die Geliebte den Mann der Höhle damals zurückgewiesen hatte. »Immerhin, Herr Herzog, auch auf den Mund! Ihr habt es längst verdient durch Eure großmütige Fürsprache.«

»Wer sind Deine Gesellen, die Dich zum Altar geleiten?« fragte der Herzog.

»Marx Stumpf und der Ulmer Ratsschreiber, ein Vetter von Lichtenstein.«

»Wie, das feine Männlein, das mein Kanzler köpfen lassen wollte? Da hast Du links den zierlichsten und rechts den tapfersten Mann des Schwabenlandes. Glück zu, junger Herr: doch ich will Dir raten, mehr rechts zu halten als links, dann kann es Dir nie fehlen auf Erden, und wärst Du so eifersüchtig wie ein Türke. Sieh, sieh, da kommt ja der Rechte. Sieh, wie seine breite, kurze Gestalt sich wunderlich ausnimmt unter den Frauenzimmern. Und wie er sich stattlich angetan hat! Den verschossenen grünen Mantel trug er schon Anno elf auf Unserer Hochzeit mit Frau Sabina Lobesan.«

»Kann mich nicht viel mit dem Anzug befassen«, erwiderte der tapfere Ritter von Schweinsberg, der die letzten Worte noch gehört hatte, »auch mit dem Tanzen will es nicht recht gehen. Ihr werdet mich entschuldigen; will aber heute abend im Ritterspiel der neue Eheherr eine Lanze mit mir brechen, so -.«

»So willst Du ihm aus lauter Zärtlichkeit und Höflichkeit ein paar Rippen einstoßen!« lachte der Herzog, »das heiße ich einen Bräutigamsgesellen von echter Art. Nein, da rate ich Dir, Georg, Dich lieber links zu halten; der Ulmer wird Dir nicht weh tun.«

Die Flügeltüren öffneten sich jetzt, und man sah auf der breiten Galerie das Hofgesinde des Herzogs in Ordnung aufgestellt. An diese schlossen sich die Edelknaben an, welche brennende Kerzen trugen; dann folgte der glänzende Zug der Fräuleins und Edelfrauen, die sich zu diesem Fest eingefunden hatten. Sie waren in reiche, mit Gold und Silber durchwirkte Stoffe gekleidet, und jede hatte einen Blumenstrauß und eine Zitrone in der Hand. Die Braut wurde von Georg von Hewen und Reinhardt von Gemmingen geführt. Viele Ritter und Edelleute schlossen sich an diese an, in ihrer Mitte ging Georg von Sturmfeder, Marx Stumpf zu seiner Rechten, der Ratsschreiber Dietrich von Kraft zu seiner Linken. Sein ganzes Wesen schien von einer würdigen Freude gehoben, seine Augen blinkten freudig, sein Gang war der Gang eines Siegers. Er ragte mit dem wallenden Haar, mit den wehenden Federn des Baretts weit über seine Gesellen hervor. Die Leute betrachteten ihn staunend, die Männer lobten laut seine hohe, männliche Gestalt, seine edle Haltung, aber die Mädchen flüsterten leise und priesen seine schönen Züge.

So ging der Zug aus dem Tor des Schlosses nach der Kirche, die nur durch einen breiten Platz von ihm getrennt war. Kopf an Kopf standen die schönen Mädchen und die redseligen Frauen, sie musterten die Anzüge der Fräulein, strengten Blicke an, als die schöne Braut vorbeiging, und waren voll Lobes für den Bräutigam.

Unter den zahlreichen Zuschauern sah man auch eine rüstige runde Bauersfrau mit ihrem Töchterlein stehen. Diese Frau verneigte sich immerwährend zur Belustigung der Städter umher, die nur der Braut und dem Herzog diese Aufmerksamkeit bewiesen. Sie unterhielt sich dabei eifrig mit ihrer Tochter. Das schöne Kind an ihrer Seite schien aber wenig auf ihre Reden zu achten; sie übersah den glänzenden Zug der Fräuleins, ihre hellen Augen waren nur immer auf die nahende Braut gerichtet. Je näher diese kam, desto röter färbten sich die Wangen des Mädchens, das rote Mieder hob und senkte sich ungestüm, und das pochende Herz schien die silbernen Ketten, womit es eingeschnürt war, zersprengen zu wollen. Sie sah Marien fest und durchdringend an, die hohe Schönheit der jungen Braut schien sie zu überraschen, ein wehmütiges Lächeln zuckte um ihren kleinen Mund. »Sie ist’s!« rief sie unwillkürlich aus und verbarg dann schnell ihr Gesicht hinter dem Rücken ihrer Mutter, denn die Umstehenden sahen verwundert nach ihr hin.

»Jo, dia ist’s, Bärbele! Dia ist grausig schö!« flüsterte die runde Frau und neigte sich tief. »Jetzt wellet mer uf da Junker bassa.«

Das Mädchen schien dieses Rates nicht erst zu bedürfen, denn sie blickte schon längst hinüber nach jener Seite, woher er kommen mußte. »Er kommt, er kommt«, hörte sie ihre Nachbarn flüstern, »der ist’s in dem weißen Kleid, mit dem blauen Mantel, er geht gerade vor dem Herzog.« Sie sah ihn, nur einen Blick warf sie nach ihm hin und wagte dann nicht mehr aufzublicken; die tiefe Röte ihrer Wangen verschwand, als er vorüberging, sie zitterte, eine Träne fiel herab auf das rote Mieder; jetzt war er vorüber, jetzt hob sie das Köpfchen wieder ein wenig auf und sandte ihm einen Blick nach, der mehr auszudrücken schien als die reine Bewunderung oder das Staunen der Neugierde.

Als der Zug vorüber war, drängten sich die Zuschauer mit Ungestüm zu den Kirchtüren, und in einem Augenblick war der Platz, der noch kurz zuvor den Anblick einer bunten wogenden Menge dargeboten hatte, wie ausgestorben. Die runde Frau blickte noch immer staunend den schönen geputzten Stadtjungfern nach, welche mit ihren brokatenen Hauben und goldgestickten Miedern, mit ihren feinen langen Röcken, an welchen man nur um den Hals und Busen das Zeug allzusehr gespart zu haben schien, in der Bauersfrau mächtige Sehnsucht nach solcher Pracht und Herrlichkeit erweckt hatten.

Als sie sich umwandte, erschrak sie nicht wenig, denn ihr holdes Kind hatte das blühende Gesichtchen in die Hände verborgen und weinte. Sie konnte nicht begreifen, was dem Mädchen begegnet sein könne, sie faßte ihre Hand, zog sie herab von den Augen – sie weinte bitterlich. »Was hoscht denn, Bärbele«, fragte sie unmutig, doch nicht ohne Teilnahme, »was heulscht denn? Hoscht’s denn et g’seha? Gang‘, ’s ist jo a Schand! Wenn’s jo ebber sieht; so sag‘ no, worum Du heulscht?«

»I wois et, Muater!« flüsterte sie, indem sie vergeblich ihre Tränen zu bezwingen suchte. »Es ist mer so weh im Herz drin, i wois et worum.«

»Laß jetzt bleiba, sag e! Komm, sonst komme mer z’spot in d’Kirch. Hairsch, wie se musizieret und singet? Komm, sonst sehe mer nix mai!« Die Frau zog bei diesen Worten das Mädchen nach der Kirche. Bärbele folgte, sie bedeckte die Augen mit der weißen Schürze, um nicht den Stadtleuten zum Gespött zu werden; aber die tiefen Seufzer, die sich aus ihrer Brust heraufstahlen, ließen ahnen, daß sie einen tiefen Schmerz vergeblich zu unterdrücken suche. Die Orgel schwieg, der Chorgesang verstummte, als sie an der Kirchtür anlangten. Die Einsegnung des schönen Paares mußte jeden Augenblick beginnen. Aber vergebens suchte die runde Frau durch die dichten Reihen zu dringen, welche die Tür füllten, sie wurde, sooft sie sich in einen freien Raum zu schieben suchte, unwillig und mit Scheltworten zurückgestoßen.

»Komm, Muater!« sprach das Mädchen »Mer wellet hoim; mer sent arme Leut, uns lasset se et in d’Kirch; komm hoim.«

»Was? D’Kircha sind für älle Leut erschaffa; au für d’Arme. Wia, Ihr Herra, lent es e bisle do nei. Mer sehet jo gar nix.«

»Waz!« sprach der Mann, an den sie sich gewendet hatte, und kehrte ihr ein rotbraunes Gesicht mit schrecklichem Bart zu. »Waz? Packt Euch fort, wir lassen niemand durch; wir sind die allergnädigsten Landsknechte wir, und nach dem Sanktus, hat der Hauptmann befohlen, darf keine Seele mehr durch.«

»Die Olte muß weg, sogen wer, ober das Dienderl darf rein; komm‘ Schatzerl! Du konnst’s recht gut sehen; schaut’s, jetzt steckt ihr der Probst den Ring on, jetzt legt er ihne die Händ zusommen – gib mir en Schmazerl, dann darfst seh’n.« Der Staberl von Wien streckte bei diesen Worten seine tapfere Hand nach dem Mädchen aus, doch diese schrie laut auf und entfloh weinend; die runde Frau aber verwünschte die Stadtleute, die Stadtkirchen und die unanständigen Landsknechte und folgte ihrer Tochter.

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