Elftes Kapitel


Die Irrfahrten in der Wildnis

Wir machten eine angenehme Reise den Hudson hinauf, einen schönen Fluß, das Wetter war herrlich, die Hügel lagen einzigartig im bunten Schmuck der Herbstfarben vor uns. In Albany wohnten wir in einem Wirtshaus, und ich war nicht blind und der Lord nicht schlau genug, daß ich seine Absicht nicht bemerkt hätte, mich gefangenzuhalten. Die Arbeiten, die er mir auftrug, waren nicht so eilig, daß wir sie ohne die nötigen Unterlagen im Zimmer eines Wirtshauses erledigen mußten. Auch waren sie nicht so wichtig, daß ich vier oder fünf Abschriften von demselben Dokument hätte aufsetzen müssen. Scheinbar fügte ich mich, aber heimlich traf ich meine eigenen Maßnahmen und bekam alle wichtigen Nachrichten aus der Stadt durch die Höflichkeit des Wirtes zugetragen. Schließlich kam mir auf diese Weise eine Tatsache zur Kenntnis, die ich, wie ich sagen möchte, erwartet hatte. Kapitän Harris war, wie man mir mitteilte, mit »Mr. Mountain, dem Händler«, in einem Boot den Fluß hinaufgefahren. Ich fürchtete fast das beobachtende Auge des Wirtes, so stark empfand ich, daß mein Herr in diese Angelegenheit verwickelt sei. Doch ich beherrschte mich und sagte nur, daß ich den Kapitän oberflächlich kenne, aber Mr. Mountain nicht, und ich fragte, wer sonst noch mitgefahren sei. Der Wirt wußte es nicht. Mr. Mountain war an Land gegangen, um einige notwendige Einkäufe vorzunehmen, er war kaufend, trinkend und schwätzend durch die Stadt gezogen, und es habe den Anschein gehabt, als werde die Gruppe Abenteuer erleben, denn er habe von großen Dingen gesprochen, die er unternehmen wolle, wenn er zurückgekehrt sei. Sonst war nichts bekannt, denn außer ihm war keiner an Land gekommen, und es schien, als ob sie es eilig hätten, einen bestimmten Ort zu erreichen, bevor der Schneefall einsetzte.

Tatsächlich fielen am nächsten Tage sogar in Albany einige Flocken, aber das Wetter ging bald vorüber und war nur eine Warnung vor dem, was wir zu erwarten hatten. Ich machte mir damals wenig daraus, da ich von diesen rauhen Gegenden nicht viel wußte. Der Rückblick ist ganz anderer Art, und manchmal überlege ich mir, ob die furchtbaren Ereignisse, die ich jetzt erzählen muß, nicht teilweise zurückzuführen sind auf den finsteren Himmel und die stürmischen Winde, denen wir ausgesetzt waren, und auf die Todesangst, die wir in der Kälte erduldeten.

Als das Schiff abgefahren war, glaubte ich zunächst, wir würden die Stadt verlassen. Aber nichts Derartiges geschah. Der Lord blieb in Albany, wo er offensichtlich nichts zu tun hatte, und hielt mich ebenfalls zurück, fern von meinen Pflichten, indem er mir Scheinaufträge gab. In dieser Beziehung erwarte ich Vorwürfe und verdiene sie vielleicht. Ich war nicht dumm genug, um mir nicht eigene Gedanken zu machen. Ich konnte nicht sehen, wie der Junker sich den Händen von Harris anvertraute, ohne eine geheime Verschwörung zu ahnen. Harris ging der Ruf eines Halunken voraus, und er war heimlich von dem Lord bestochen worden. Der Händler Mountain gehörte, wie ich erfuhr, zu derselben Sippschaft. Das Gerücht, sie seien hinausgezogen, um zusammengeraubte Schätze zu heben, reichte an sich schon hin, um allerlei faules Spiel zu vermuten, und der Charakter des Landes, in das sie vordrangen, verhieß Straflosigkeit für Bluttaten. Ja, es ist wahr, ich hatte alle diese Gedanken und Befürchtungen und erriet das Geschick des Junkers. Aber man bedenke, daß ich derselbe Mann war, der einst versuchte, ihn von der Schutzwehr des Schiffes auf hoher See hinunterzustürzen, derselbe Mann, der kurz zuvor in sündhafter Weise und ganz ernsthaft Gott einen Handel anbot und ihm antrug, mein Spießgeselle zu werden! Wahr ist es allerdings auch, daß ich sehr viel milder geworden war gegen unseren Feind. Aber das faßte ich immer als Schwäche des Fleisches und sogar als Schuld auf, während meine Seele stark blieb und ihm stets entgegenarbeitete. Wahr ist es ferner auch, daß es etwas anderes ist, Schuld und Gefahr eines verbrecherischen Anschlags auf die eigenen Schultern zu nehmen, als untätig zuzusehen, wie der Lord sich selbst in Gefahr brachte und sich besudelte. Doch eben das war der Grund meiner Untätigkeit. Denn wenn ich mich in die Dinge einmischte, würde es mir vielleicht mißlingen, den Junker zu retten, auf alle Fälle aber mußte ich den Lord ins Gerede bringen.

So also tat ich nichts, und mit denselben Gründen muß ich auch heute noch mein Verhalten rechtfertigen. Wir lebten inzwischen in Albany, aber obgleich wir ganz allein an einem fremden Ort weilten, verkehrten wir wenig miteinander und führten nur die üblichen kurzen Gespräche. Der Lord hatte verschiedene Einführungsschreiben an angesehene Leute in der Stadt und ihrer Nachbarschaft mitgenommen. Andere Einwohner hatte er früher in New York kennengelernt, so daß er viel unterwegs war und, wie ich bedauerlicherweise sagen muß, ziemlich ausschweifend lebte. Ich war oft schon im Bett, schlief aber nie, wenn er zurückkehrte, und kaum eine Nacht verging, wo er nicht sichtlich unter dem Einfluß des Alkohols stand. Tagsüber legte er mir noch immer endlose Schreibarbeiten auf und zeigte sich höchst erfinderisch, sie immer wieder zu erneuern wie das Gewebe Penelopes. Ich weigerte mich nie, wie ich schon sagte, denn ich wurde dafür bezahlt, seine Aufträge auszuführen, aber ich bemühte mich auch nicht, mein Licht unter den Scheffel zu stellen, und lächelte ihm manchmal ins Gesicht.

»Ich glaube, ich bin der Teufel, und Sie sind Michael Scott«, sagte ich ihm eines Tages, »ich habe den Tweed überbrückt und die Eildons gespalten, und jetzt setzen Sie mich auf den nackten Sand.«

Er schaute mich mit blitzenden Augen an und sah wieder fort, während seine Kinnladen sich bewegten, ohne daß er ein Wort sprach.

»Nun gut, mein Lord«, sagte ich, »Ihr Wille ist mein Vergnügen. Ich werde diese Arbeit zum viertenmal machen, aber ich möchte Sie bitten, mir morgen eine andere Aufgabe zu stellen, denn bei meiner Ehre, ich habe diese hier satt.«

»Sie wissen nicht, was Sie sagen«, erwiderte der Lord, setzte seinen Hut auf und wandte mir den Rücken. »Es ist sonderbar, daß es Ihnen Vergnügen bereitet, mich zu ärgern. Ein Freund – aber das ist eine andere Sache. Es ist sonderbar. Ich bin ein Mann, der sein Leben lang Unglück gehabt hat, und noch immer bin ich von Ränken umgeben. Überall stellt man mir Fallen«, schrie er. »Die ganze Welt ist gegen mich verschworen!«

»Ich würde nicht solch gottlosen Unsinn reden, wenn ich Sie wäre«, sagte ich, »aber ich will Ihnen sagen, was ich tun würde: ich würde meinen Kopf in kaltes Wasser stecken, denn Sie waren gestern nacht schwerer geladen, als Sie es vertragen können.«

»Glauben Sie das wirklich?« sagte er im Tonfall höchsten Interesses. »Würde das gut für mich sein? Ich habe es nie versucht.«

»Ich entsinne mich der Tage, da Sie es nicht nötig hatten, und ich wünschte, mein Lord, sie kehrten wieder«, antwortete ich. »Aber die reine Wahrheit ist, daß Sie Unheil treffen wird, wenn Sie fortfahren zu trinken.«

»Es scheint, als ob ich Alkohol nicht mehr so gut wie früher vertragen kann«, entgegnete der Lord, »ich bekomme leicht zuviel, Mackellar, aber ich werde mich besser vorsehen.«

»Darum möchte ich Sie bitten«, erwiderte ich. »Sie sollten daran denken, daß Sie der Vater Mr. Alexanders sind. Sorgen Sie dafür, daß das Kind seinen Namen mit Stolz tragen kann.«

»Ja, ja«, sagte er, »Sie sind ein sehr vernünftiger Mensch, Mackellar, und stehen seit langer Zeit in meinen Diensten, aber ich denke, wenn Sie mir nicht mehr zu sagen haben, will ich gehen. Haben Sie mir noch etwas zu sagen?« fragte er mit jener hitzigen und kindischen Aufgeregtheit, die ihn jetzt so oft befiel.

»Nein, mein Lord, ich habe nichts mehr zu sagen«, antwortete ich ziemlich trocken.

»Dann werde ich also gehen«, sagte der Lord und stand da und blickte mich an, indem er mit dem Hut spielte, den er wieder abgenommen hatte. »Sie wollen wohl nichts besorgt haben? Nein? Ich habe mich mit Sir William Johnson verabredet, aber ich werde mich vorsehen.«

Er schwieg eine Weile und sagte dann lächelnd: »Erinnern Sie sich an einen Ort, Mackellar – etwas unterhalb Eagles –, wo der Bach sehr tief zwischen einem Gehölz von Ebereschen rinnt? Als Knabe war ich dort, wie ich mich entsinne – o Gott, es kommt über mich wie ein altes Lied! – ich angelte und machte einen guten Fang. Ach, wie glücklich war ich damals. Es wundert mich, Mackellar, warum ich jetzt nie mehr glücklich bin!«

»Mein Lord«, sagte ich, »wenn Sie mäßiger tränken, hätten Sie bessere Aussichten darauf. Es ist ein altes Sprichwort, daß die Flasche eine schlechte Trösterin ist.«

»Ohne Zweifel«, erwiderte er, »ohne Zweifel. Nun, ich denke, ich muß gehen.«

»Guten Morgen, mein Lord«, sagte ich.

»Guten Morgen, guten Morgen«, sagte er und ging schließlich aus dem Zimmer.

Ich führe das als Beispiel an dafür, wie der Lord sich morgens meistens benahm, und ich muß meinen Herrn sehr schlecht beschrieben haben, wenn der Leser nicht bemerkt, daß es stark mit ihm bergab ging. Den Mann so fallen zu sehen, zu wissen, daß er von seinen Kumpanen als armer, verwirrter Trottel willkommen geheißen wurde, wenn er überhaupt willkommen war, nur aus Rücksicht auf seinen Titel, und dann sich seiner Fähigkeiten und seines Mutes zu erinnern, den er allen Zufällen des Glückes entgegensetzte: war das nicht zum Verzweifeln und eine starke Demütigung?

Er wurde immer ausschweifender im Trinken. Ich will nur eine Szene kurz vor dem Ende anführen, die bis heute lebhaft in meinem Gedächtnis haftet und die mich damals fast mit Entsetzen erfüllte.

Ich war im Bett und lag wach, als ich ihn stolpernd und singend die Treppe heraufkommen hörte. Der Lord war unmusikalisch, sein Bruder besaß alle Gaben der Familie, so daß, wenn ich singen sage, man darunter ein hohes, eintöniges Gewimmer verstehen muß, das in Wirklichkeit weder Rede noch Gesang war. Etwas Ähnliches kann man von den Lippen der Kinder hören, bevor sie gelernt haben sich zu schämen, und es hörte sich deshalb aus dem Munde eines ältlichen Herrn recht sonderbar an. Er öffnete die Tür mit polternder Vorsicht, blickte hinein, hielt die Hand vor die Kerze, glaubte mich im Schlaf, trat ein, setzte das Licht auf den Tisch und nahm den Hut ab. Ich sah ihn sehr deutlich, ein lebhaftes Fieber der Erregung schien in seinen Adern zu brennen, er stand da, lächelte und schmunzelte die Kerze an. Dann hob er den Arm, schnappte mit den Fingern und begann sich auszuziehen. Während er das tat, vergaß er meine Gegenwart wieder und begann von neuem zu singen, und jetzt verstand ich die Worte. Es waren die eines alten Liedes von den »Zwei Corbies«, die er endlos wiederholte:

»Sein Gerippe, bleich verstreut,
Werde Stürmen ew’ge Beut‘!«

Ich habe gesagt, daß er keine musikalische Begabung hatte. Die Töne, die er hervorbrachte, besaßen keine faßlichen Zusammenhänge und neigten etwas gegen Moll. Sie erregten in grober Weise das Gefühl, lehnten sich an die Worte an und verrieten die Empfindungen des Jüngers mit barbarischer Deutlichkeit. Zuerst sang er im Zeitmaß und in der Art eines Trinkliedes, dann ließ diese üble Lustigkeit nach, er verweilte mit mehr Gefühl bei den einzelnen Noten und versank schließlich in ein weinerliches Pathos, das ich kaum ertragen konnte. Allmählich nahm die anfängliche Raschheit seiner Bewegungen ab, und als er bis auf die Hosen ausgezogen war, ließ er sich nieder auf das Bett und begann zu wimmern. Ich kenne nichts Würdeloseres als die Tränen der Trunkenheit, und so wandte ich dem armseligen Anblick ungeduldig den Rücken.

Aber er war, wie ich annehme, den schlüpfrigen Abhang der Selbstbemitleidung hinabgetorkelt, wo es für einen Menschen, der alten Sorgen nachhinkt und soeben viel getrunken hat, kein Aufhalten mehr gibt. Seine Tränen flossen ohne Hemmung, und da saß nun dieser Mann dreiviertel nackt in der kalten Luft des Zimmers. Ich schwankte fortgesetzt zwischen Grausamkeit und sentimentaler Weichheit, bald richtete ich mich im Bett auf, um einzugreifen, bald redete ich mir ein, ich müsse gleichgültig sein und so tun, als schlafe ich, bis mich plötzlich das alte Wort quantum mutatus ab illo aufrüttelte. Ich erinnerte mich der früheren Klugheit, Standhaftigkeit und Geduld des Lords, ich wurde von Mitleid fast leidenschaftlich übermannt, nicht für meinen Herrn, sondern für alle Menschenkinder.

Dann sprang ich aus dem Bett, eilte zu ihm und legte ihm die Hand auf die nackte Schulter, die kalt wie Stein war. Er nahm das Gesicht aus den Händen, es war geschwollen und von Tränen naß wie das eines Kindes, und bei diesem Anblick erwachte mein Widerwille teilweise von neuem.

»Sie sollten sich schämen!« rief ich, »das ist ein kindisches Benehmen. Ich könnte auch heulen, wenn ich meinen Bauch mit Wein gefüllt hätte, aber ich ging nüchtern zu Bett wie ein Mann. Kommen Sie, legen Sie sich schlafen und sparen Sie sich diese jammervolle Vorstellung.«

»Ach, Mackellar«, sagte er, »mein Herz tut weh!«

»Weh?« rief ich. »Das hat seinen guten Grund, denke ich. Was waren das für Worte, die Sie sangen, als Sie hereinkamen? Zeigen Sie Mitleid gegen andere, dann läßt sich auch über Mitleid Ihnen gegenüber reden. Sie können so und so sein, aber ich will mit Halbheiten nichts zu tun haben. Wollen Sie schlagen, dann schlagen Sie, aber wollen Sie blöken, dann blöken Sie!«

»Nur weiter!« schrie er plötzlich, »das ist es: schlagen! Sie haben recht! Mensch, ich habe das alles viel zu lange ertragen. Aber als sie Hand anlegten an das Kind, als das Kind bedroht wurde« – seine momentane Kraft schwand, und er begann zu wimmern –, »mein Kind, mein Alexander!« Und nun fing er wieder an zu weinen.

Ich ergriff ihn bei der Schulter und schüttelte ihn. »Alexander!« rief ich. »Denken Sie denn überhaupt an ihn? Sie nicht! Blicken Sie sich ins Gesicht wie ein tapferer Mann, dann werden Sie feststellen, daß Sie sich nur selbst betrügen. Weib, Freund und Kind, alle sind gleicherweise vergessen, Sie sind nur noch ein Bündel Selbstsucht!«

»Mackellar«, sagte er und besaß auf wunderbare Weise plötzlich wieder sein altes Benehmen und Aussehen, »Sie mögen von mir sagen, was Sie wollen, aber eines war ich nie – ich war nie selbstsüchtig.«

»Ich werde Ihnen die Augen öffnen, damit Sie sich richtig sehen«, sagte ich. »Wie lange sind wir nun hier? Und wie oft haben Sie an Ihre Familie geschrieben? Ich glaube, Sie sind zum erstenmal von ihr getrennt: haben Sie überhaupt schon geschrieben? Wissen Sie, ob sie tot oder lebendig sind?«

Ich hatte ihn sichtlich getroffen, seine bessere Natur erwachte, er weinte nicht mehr, er dankte mir reumütig, ging zu Bett und schlief bald fest ein. Am nächsten Morgen setzte er sich sofort nieder und begann einen Brief an die Lady, einen sehr zärtlichen Brief sogar, der allerdings nie beendet wurde. Tatsächlich wurde die Beziehung zu New York nur durch mich aufrechterhalten, und man wird begreifen, daß ich keine dankenswerte Aufgabe hatte. Was ich der Lady erzählen sollte, mit welchen Worten, und wie weit ich aufrichtig und rückhaltlos schreiben durfte, das waren Überlegungen, die mir oft den Schlaf raubten.

Während dieser ganzen Zeit wartete der Lord offenbar mit wachsender Ungeduld auf Nachricht von seinem Mitverschworenen. Man darf vermuten, daß Harris höchste Eile zugesagt hatte, die Zeit war bereits verstrichen, da man eine Nachricht erwarten durfte, und die Ungewißheit war ein schlechter Trost für einen Mann, dessen Verstand mitgenommen war. Die Phantasie des Lords schweifte in der Zwischenzeit fast immer in der Wildnis umher und folgte jener Gruppe von Menschen, deren Taten ihn so sehr beschäftigten. Er malte sich ständig ihre Lagerstätten und ihren Weitermarsch aus, die Art der Landschaft, die Vollbringung der furchtbaren Tat in tausend verschiedenen Möglichkeiten und jenes Schauspiel, da die Gebeine des Junkers verstreut im Winde lagen. Diese geheimen und verbrecherischen Überlegungen konnte ich stets erraten aus den Gesprächen des Mannes, die wie etwa Kaninchen aus ihrem Bau herauslugten. Und es konnte nicht wundernehmen, daß der Ort, bei dem er in seiner Phantasie weilte, ihn körperlich anzog.

*

Es ist allgemein bekannt, welchen Vorwand er benutzte. Sir William Johnson hatte in jenen Gegenden eine diplomatische Aufgabe zu erledigen, und der Lord und ich leisteten ihm dabei aus Neugier, wie behauptet wurde, Gesellschaft. Sir William war gut ausgerüstet und mit allem versehen. Jäger brachten uns Wildbret, in den Strömen wurden täglich für uns Fische gefangen, und der Brandy floß wie Wasser. Bei Tage zogen wir weiter, und nachts kampierten wir nach militärischer Art, Wachen wurden aufgezogen und abgelöst, jeder hatte bestimmte Pflichten zu erfüllen, und Sir William war die treibende Kraft in allem. Manche dieser Dinge hätten mich sonst gefesselt, aber zu unserem Unglück war das Wetter außerordentlich rauh, die Tage waren anfangs heiter, aber die Nächte von Anfang an frostig. Ein qualvoll scharfer Wind blies fast die ganze Zeit, so daß wir mit blauen Fingern in unserem Schiff saßen und unsere Kleider nachts, wenn wir die Gesichter am Feuer rösteten, im Rücken wie aus Papier zu sein schienen. Entsetzliche Einsamkeit umgab uns, das Land war völlig entvölkert, kein Rauch von Feuern stieg auf, und außer einem einzigen Händlerboot am zweiten Tage begegneten wir keinem Reisenden. Es war allerdings spät im Jahre, aber diese Verlassenheit der Wasserstraßen machte sogar auf Sir William Eindruck, und ich hörte ihn mehr als einmal seine Besorgnis zum Ausdruck bringen. »Ich fürchte, daß ich zu spät komme, sie müssen das Kriegsbeil schon ausgegraben haben«, sagte er, und die Zukunft bewies, wie recht er gehabt hatte.

Niemals könnte ich die Finsternis meiner Seele während dieser Reise beschreiben. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die das Ungewöhnliche lieben. Den Winter herannahen zu sehen und auf offenem Felde so weit entfernt von irgendeinem Hause zu sein, bedrückte mich wie ein Alp. Alles schien mir wie verhängnisvoller Trotz gegen den Willen Gottes, und dies Gefühl, das mich, wie ich weiß, zum Feigling stempelt, wurde bedeutend verstärkt durch die Kenntnis, die ich persönlich vom Zweck unserer Reise hatte. Außerdem war ich durch meine Pflichten gegenüber Sir William belastet, den ich unterhalten sollte, denn der Lord war völlig in einen Zustand versunken, der an » pervigilium« grenzte, er beobachtete die Wälder mit aufgerissenen Augen, schlief überhaupt kaum noch und sprach manchmal keine zwanzig Worte im Laufe eines Tages. Was er sagte, hatte einen gewissen Zusammenhang, aber es bezog sich fast immer auf die Menschengruppe, nach der er wie irrsinnig ausschaute. Oft pflegte er Sir William zu erzählen, und immer in einem Ton, als handle es sich um eine Neuigkeit, daß er »einen Bruder irgendwo in den Wäldern« habe, er möge doch die Wachen anweisen, »nach ihm Ausschau zu halten«. – »Ich erwarte dringend Nachrichten über meinen Bruder«, pflegte er zu sagen. Manchmal, wenn wir unterwegs waren, bildete er sich ein, weit draußen auf dem Meere ein Kanu zu erblicken oder ein Lager am Ufer, und dann zeigte er eine peinliche Aufregung. Es war unmöglich, daß diese Sonderbarkeiten Sir William nicht auffallen mußten, und schließlich nahm er mich beiseite und deutete an, alles das sei ihm unangenehm. Ich legte die Finger an die Stirn und schüttelte den Kopf, sehr froh, gewissermaßen auf alle Fälle einen Zeugen zu haben.

»Aber wenn es so steht«, rief Sir William aus, »ist es denn da klug, ihn frei umhergehen zu lassen?«

»Leute, die ihn gut kennen«, antwortete ich, »sind davon überzeugt, daß man ihn bei gutem Humor halten muß.«

»Nun, nun«, erwiderte Sir William, »das ist nicht meine Angelegenheit, aber wenn ich es vorher gewußt hätte, wären Sie nicht hier.«

Wir waren ungefähr eine Woche ohne Zwischenfälle in diese Wildnis vorgedrungen, als wir eines nachts an einem Platz unser Lager aufschlugen, wo der Fluß zwischen hohen, waldbestandenen Bergen dahinrann. Die Feuer waren in der Nähe des Ufers auf einem ebenen Platz angezündet worden, und wir aßen zu Abend und legten uns dann in der gewöhnlichen Art schlafen. Der Zufall wollte, daß die Nacht mörderisch kalt war, der Frost packte und quälte mich durch die Decken hindurch, so daß mich die Schmerzen wach hielten. Ich war vor Tagesanbruch wieder auf den Beinen und hockte am Feuer oder rannte am Flußufer auf und ab, um die Gliederschmerzen zu vertreiben. Schließlich brach der Tag herein über den bereiften Wäldern und Bergen, die Schläfer wälzten sich hin und her in ihren Decken, und das Wasser des Stromes rauschte lärmend dahin zwischen Eisschollen. Ich stand da und blickte umher, eingepackt in einen steifen Mantel von Ochsenfell, und der Atem stieg wie Rauch aus meinen brennenden Nasenlöchern auf, als ich plötzlich einen eigenartigen, hellen Schrei von den Rändern des Waldes ertönen hörte. Die Wachen antworteten, die Schläfer sprangen hoch, einer wies in die Richtung, die anderen folgten mit den Augen, und dort, am Rande des Waldes, sahen wir zwischen zwei Bäumen die Gestalt eines Mannes, der seine Hände wie in Ekstase hochreckte. Im nächsten Augenblick rannte er vorwärts, fiel zur Seite des Lagers auf die Knie und brach in Tränen aus.

Es war John Mountain, der Händler, der den entsetzlichsten Gefahren entronnen war, und sein erstes Wort, als er die Sprache wiedergewann, war die Frage, ob wir Secundra Daß gesehen hätten.

»Wen gesehen?« rief Sir William aus.

»Nein«, sagte ich, »wir haben ihn nicht gesehen. Warum?«

»Nicht?« fragte Mountain. »Dann habe ich doch recht gehabt!« Dabei schlug er sich mit der Hand vor die Stirn. »Aber was hält ihn zurück?« rief er, »was hält den Mann zurück bei den Leichen? Dahinter steckt ein verfluchtes Geheimnis.«

Seine Worte erregten unsere Neugier aufs höchste, aber ich werde mich verständlicher machen können, wenn ich die Ereignisse in ihrer wirklichen Reihenfolge berichte. Es folgt hier eine Erzählung, die ich aus drei Quellen zusammengefügt habe, die allerdings nicht in allen Punkten übereinstimmen:

Erstens: ein schriftlicher Bericht von Mountain, in dem alles Verbrecherische vertuscht ist;

zweitens: zwei Unterredungen mit Secundra Daß; und

drittens: zahlreiche Unterredungen mit Mountain selbst, in denen er sich erfreulicherweise ganz offen aussprach, denn in Wahrheit hielt er mich für einen Mitverschworenen.

 

Die Erzählung des Händlers Mountain

Der Trupp, der unter dem Befehl von Kapitän Harris und dem Junker den Fluß hinaufzog, zählte im ganzen neun Personen, unter denen, abgesehen von Secundra Daß, keiner war, der nicht den Galgen verdient hätte. Von Harris abwärts bis zum letzten waren die Reisenden in der Kolonie berüchtigt als verzweifelte, blutdürstige Halunken. Einige waren übel beleumdete Seeräuber, die meisten Rumhausierer, alle Radaubrüder und Trinker. Sie paßten also gut zusammen und machten sich ohne Gewissensbisse auf den Weg, um jenen gemeinen und mörderischen Plan durchzuführen. Ich kann nicht behaupten, daß viel Disziplin unter den Leuten herrschte oder ein anerkannter Führer vorhanden war, aber Harris und vier andere: Mountain selbst, zwei Schotten – Pinkerton und Hastie – und ein Mann namens Hicks, ein betrunkener Schuster, steckten die Köpfe zusammen und einigten sich über die Richtung. Äußerlich waren sie ziemlich gut ausgerüstet, und der Junker im besonderen nahm ein Zelt mit sich, um einige Abgeschlossenheit und etwas Schutz zu genießen.

Selbst diese kleinste Vergünstigung brachte die Leute gegen ihn auf, aber er war an und für sich in einer so schiefen und fast lächerlichen Lage, daß Befehlshaberei und freundliches Benehmen sowieso nicht am Platze waren. In aller Augen, Secundra Daß ausgenommen, war er ein gewöhnlicher Dummkopf und ein gezeichnetes Opfertier, das unwissend dem Tode entgegenging, aber er selbst mußte sich für den Anführer und Leiter der Expedition halten. Wohl oder übel mußte er sich dementsprechend benehmen, doch wenn er Autorität oder Herablassung auch nur in den geringsten Dingen zeigte, lachten sich die Betrüger ins Fäustchen. Ich war so sehr daran gewöhnt, ihn in hoheitsvoller Kommandohaltung zu sehen, daß ich qualvoll überrascht war und beinahe rot geworden wäre, als ich seine wirkliche Rolle begriff. Wann er den ersten Verdacht schöpfte, kann man nicht wissen, aber es dauerte lange, und der Trupp war schon außerhalb des Bereiches menschlicher Hilfe, bevor er zur vollen Erkenntnis der Wahrheit erwachte.

Das kam so: Harris und einige andere hatten sich in die Wälder zurückgezogen zur Beratung, als sie durch ein Rascheln im Laub aufgeschreckt wurden. Sie waren alle an indianische Kriegführung gewöhnt, und Mountain hatte nicht nur mit den Wilden gelebt und gejagt, sondern auch mit ihnen zusammen gekämpft und sich einige Achtung erworben. Er war imstande, ohne Geräusch in den Wäldern zu wandern und eine Spur wie ein Hund zu verfolgen. Deshalb wurde er auf diesen plötzlichen Alarm hin von den anderen beauftragt, in das Dickicht einzudringen, um die Ursache des Geräusches auszukundschaften. Er war bald davon überzeugt, daß in nächster Nachbarschaft ein Mensch war, der sich vorsichtig, aber ohne Erfahrung zwischen den Blättern und Zweigen bewegte, und als er nach kurzer Zeit an einen Platz gelangte, wo er Umschau halten konnte, bemerkte er Secundra Daß, der rasch von dannen kroch und dabei oft rückwärts blickte. Er wußte nicht, ob er lachen oder weinen sollte, und seine Gefährten waren sich ebensowenig darüber einig, als er zurückkehrte und ihnen Bericht erstattete. Ein Überfall durch Indianer war nicht sehr wahrscheinlich, aber da Secundra Daß bemüht war, sie auszuspionieren, war es höchst wahrscheinlich, daß er Englisch verstand, und wenn er Englisch verstand, war es sicher, daß der Junker ihren ganzen Plan kannte. Die Lage war einigermaßen sonderlich. Wenn Secundra Daß seine englischen Kenntnisse verbarg, so war andererseits Harris in verschiedenen Dialekten Indiens bewandert, und da seine Taten in jenem Teil der Welt mehr als anrüchig waren, hatte er es für richtig befunden, diesen Umstand bisher zu verschweigen. Jede Partei besaß also Spioniermöglichkeiten. Die Verschwörer kehrten zum Lager zurück, sobald ihnen diese Tatsache bekanntgegeben war, und Harris kroch zum Zelt, als er vernahm, daß der Hindu wieder einmal mit dem Junker allein war. Die andern saßen mit ihren Pfeifen am Feuer und warteten ungeduldig auf den Bericht. Als Harris schließlich kam, war sein Gesicht sehr finster. Er hatte genug gehört, um seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt zu finden. Secundra Daß sprach sehr gut Englisch, er hatte sich mehrere Tage lauschend umhergetrieben, der Junker war über die Verschwörung in jeder Beziehung unterrichtet, und die beiden hatten beschlossen, am nächsten Morgen an einer geeigneten Stelle den Trupp zu verlassen und auf gut Glück in die Wälder vorzudringen. Sie zogen die Gefahr der Hungersnot und die Angriffe wilder Tiere und wilder Menschen dem Leben inmitten der Verrätergruppe vor.

Was war also zu tun? Einige waren dafür, den Junker auf der Stelle zu töten, aber Harris versicherte sie, daß ein solches Verbrechen ihnen keinen Vorteil bringe, da das Geheimnis des Schatzes dann mit ihm begraben werde. Andere waren dafür, daß man das ganze Unternehmen sofort aufgebe und nach New York fahre, aber der Anreiz, den der Schatz bot, und der Gedanke an den langen Weg, den man schon zurückgelegt hatte, stimmte die Mehrzahl gegen den Vorschlag. Ich glaube, sie waren meistens dumme Kerle. Harris besaß allerdings einige Fertigkeit, Mountain war kein Narr, Hastie war ein gebildeter Mensch, aber selbst diese hatten offenbar im Leben Schiffbruch erlitten, und die übrigen waren der Abschaum kolonialer Verderbtheit. Der Entschluß, den sie schließlich faßten, war das Ergebnis von Habgier und Hoffnung auf Gewinn, weniger das vernünftiger Überlegung. Sie wollten abwarten, wachsam sein und den Junker beobachten, dabei stillschweigen und seinem Argwohn keine neue Nahrung bieten, wobei man sich, soviel ich feststellen kann, ganz darauf verließ, daß das Opfer ebenso habgierig, hoffnungsfroh und unvernünftig war und schließlich Leben und Besitz verlieren werde.

Zweimal im Laufe des nächsten Tages mußten Secundra und der Junker annehmen, es sei ihnen gelungen zu entwischen, aber zweimal wurden sie wieder umzingelt. Der Junker verriet, obgleich er beim zweiten Male etwas blaß wurde, kein Zeichen von Enttäuschung, er entschuldigte sich wegen der Torheit, mit der er sich verlaufen habe, dankte den Leuten, die ihn einholten, für ihre Dienstleistung und schloß sich dem Zuge wieder an, indem er seine gewöhnliche Höflichkeit und Heiterkeit in Miene und Benehmen zur Schau trug. Aber es ist kein Zweifel, daß er Unrat gewittert hatte, denn von nun an flüsterten er und Secundra sich einander nur noch ins Ohr, und Harris lauschte und fror vor dem Zelt vergebens. Am selben Abend wurde angekündigt, daß sie die Boote verlassen und zu Fuß weiter vordringen müßten, ein Umstand, der die Aussichten auf Flucht stark verminderte, da er die allgemeine Verwirrung, die sonst bei den Stromschnellen zu entstehen pflegte, aufhob.

Und nun begann zwischen den beiden Parteien ein schweigender Kampf, auf der einen Seite ums Leben, auf der anderen um Reichtümer. Man befand sich jetzt in der Nähe des Teiles der Einöde, wo der Junker selbst die Rolle des Führers übernehmen mußte, und indem Harris und seine Leute dies zum Vorwand nahmen, um ihn zu überlisten, saßen sie jede Nacht mit ihm beim Feuer und versuchten ihm irgendeine Andeutung zu entlocken. Er wußte genau, daß es seinen Tod bedeutete, wenn er sein Geheimnis verriet. Andererseits durfte er die Antwort auf ihre Fragen nicht verweigern und mußte sich den Anschein geben, ihnen nach besten Kräften helfen zu wollen, da er sonst sein Mißtrauen offenbart hätte. Und doch versicherte mich Mountain, daß die Stirn des Mannes nie gerunzelt war. Er saß inmitten dieser Verbrecher, und sein Leben hing an einem Faden, während er dasaß wie ein ruhiger und humorvoller Hausvater am eigenen Kamin. Auf alles hatte er eine Antwort, und zwar sehr oft eine witzige Antwort, er ging über Drohungen hinweg und beachtete Beleidigungen nicht, er plauderte, lachte und lauschte auf die unbefangenste Art. Kurzum, er benahm sich so, daß jeder Verdacht entwaffnet und sogar die Überzeugung von seinem Mitwissen erschüttert wurde. Mountain bekannte mir, daß sie beinahe die Aussagen ihres Anführers in Frage gezogen hätten und zur Annahme neigten, daß ihr Opfer noch nichts von ihren Plänen wußte, wenn nicht die Tatsache bestanden hätte, daß er allen Fragen fortgesetzt, wenn auch sehr klug, auswich und, was noch mehr bewies, wiederholt versucht hätte zu entkommen. Über den letzten Fluchtversuch, der die Dinge auf die Spitze trieb, will ich nun berichten. Zunächst muß ich sagen, daß die Stimmung bei den Spießgesellen von Harris immer schlechter wurde, Höflichkeit wurde kaum noch gespielt, und der Junker und Secundra waren, was sehr bezeichnend ist, unter irgendeinem Vorwande ihrer Waffen beraubt worden. Das bedrohte Paar hielt jedoch den Schein der Freundschaft immer noch geschickt aufrecht, Secundra verbeugte sich nach allen Seiten, der Junker lächelte allen zu, und in der letzten Nacht des Waffenstillstandes war er sogar so weit gegangen, Lieder in dieser Gesellschaft vorzutragen. Auch hatte man beobachtet, daß er außergewöhnlich herzhaft gegessen und viel getrunken hatte, ohne Zweifel absichtlich.

Jedenfalls kam er um drei Uhr in der Frühe aus dem Zelt heraus, und man hörte, wie er nach Art eines Mannes, der zuviel genossen hat, stöhnte und fluchte. Eine Zeitlang bemühte sich Secundra in aller Öffentlichkeit um seinen Herrn, dem schließlich besser wurde und der nun hinter dem Zelt auf dem eisigen Boden in Schlaf verfiel, während der Inder ins Zelt zurückging. Etwas später wurde die Wache gewechselt. Man machte den neuen Posten auf den Junker aufmerksam, der in ein Büffelfell eingerollt dalag, und er hielt ihn nun, wie er erklärte, unausgesetzt im Auge. Als der Morgen anbrach, erhob sich plötzlich ein Windstoß und hob die eine Ecke des Büffelfelles auf, und durch diesen Anprall wurde der Hut des Junkers in die Luft gewirbelt und fiel einige Meter entfernt zu Boden. Der Wachtposten empfand es als sonderbar, daß der Schläfer nicht erwachte; er ging näher, und im nächsten Augenblick unterrichtete ein schriller Schrei das Lager, daß der Gefangene entwischt sei. Er hatte seinen Inder zurückgelassen, der während der ersten Aufregung beinah sein Leben eingebüßt hätte und jedenfalls unmenschlich mißhandelt wurde. Aber Secundra beharrte inmitten aller Drohungen und Grausamkeiten mit außerordentlicher Treue dabei, daß er die Pläne seines Herrn nicht kenne, was tatsächlich richtig sein mochte, und daß er von der Art und Weise der Flucht nichts wisse, was offenbar nicht stimmte. Den Verschwörern blieb also nichts übrig, als sich vollständig auf die Gerissenheit von Mountain zu verlassen. Die Nacht war kalt gewesen, der Boden war hart gefroren, und als die Sonne aufging, setzte sofort starkes Tauwetter ein. Mountain war stolz darauf, daß nur wenige Menschen die Spur hätten verfolgen können und noch weniger, selbst unter den eingeborenen Indianern, sie gefunden hätten.

Der Junker hatte also einen großen Vorsprung, bevor die Verfolger Witterung bekamen, und er mußte mit überraschender Energie gewandert sein, da er an Fußtouren nicht gewöhnt war und es beinahe Mittag wurde, bevor Mountain ihn erspähte. In diesem Augenblick war der Händler allein, alle seine Kameraden folgten ihm auf sein eigenes Verlangen in mehreren hundert Metern Abstand. Er wußte, daß der Junker unbewaffnet war, sein Herz war erregt von der Anstrengung und Jagdfreude, und als er seine Beute so nahe, so hilflos und offenbar so ermüdet vor sich sah, beschloß er ehrgeizig, die Gefangennahme mit eigener Hand allein vorzunehmen. Die nächsten Schritte führten ihn zum Rande einer kleinen Lichtung, wo auf der anderen Seite der Junker mit verschränkten Armen, den Rücken gegen einen großen Stein gelehnt, saß. Möglicherweise verursachte Mountain irgendein Geräusch, jedenfalls erhob der Junker den Kopf und blickte scharf zu dem Waldteil hinüber, wo der Verfolger lag. »Ich war nicht sicher, ob er mich sehen konnte«, sagte Mountain, »aber er blickte in meine Richtung wie ein zu allem entschlossener Mann, und mein ganzer Mut floß aus mir heraus wie Rum aus einer Flasche.« Und als der Junker bald darauf wegblickte und die Betrachtungen wieder aufzunehmen schien, in die er vor dem Kommen des Händlers versunken gewesen war, schlich Mountain vorsichtig zurück, um Hilfe bei seinen Spießgesellen zu suchen.

Und nun beginnen die Überraschungen, denn der Spion hatte die andern gerade von seiner Entdeckung unterrichtet, und sie machten ihre Waffen fertig, um den Flüchtling zu überfallen, als der Mann selbst in ihrer Mitte erschien und offen und ruhig, die Hände auf dem Rücken, einherspazierte.

»Hallo, Leute!« sagte er, als er sie sah. »Das ist ein glückliches Zusammentreffen, laßt uns zum Lager zurückgehen.«

Mountain hatte den andern gegenüber sein eigenes Erschrecken und den einschüchternden Blick des Junkers zum Waldrand hin nicht erwähnt, so daß für sie die Rückkehr als freiwillig erschien. Trotzdem erhob sich Stimmengewirr, Flüche ertönten, Fäuste wurden geschüttelt und Gewehrläufe auf den Junker gerichtet.

»Laßt uns zum Lager zurückkehren«, sagte der Junker, »ich habe eine Erklärung abzugeben, aber alle müssen dabei sein. Und inzwischen nehmt die Waffen weg, es könnte sich leicht ein Schuß lösen und alle eure Hoffnungen auf den Schatz vernichten. Ich würde«, sagte er lächelnd, »die Gans mit den goldenen Eiern nicht töten.«

Der Reiz seiner geistigen Überlegenheit triumphierte wieder, und der Trupp machte sich in nicht gerade musterhafter Ordnung auf den Heimweg. Der Junker fand unterwegs Gelegenheit, ein oder zwei Worte mit Mountain heimlich zu wechseln.

»Sie sind ein kluger und kühner Bursche«, sagte er, »aber ich weiß nicht, ob Sie sich selbst Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ich möchte Sie bitten zu überlegen, ob Sie nicht besser daran täten und sicherer wären, wenn Sie mir Ihre Dienste leisteten als einem so gemeinen Halunken wie Mr. Harris. Denken Sie darüber nach«, schloß er und gab dem Mann einen freundschaftlichen Schlag auf die Schulter, »aber übereilen Sie sich nicht. Tot oder lebendig, mit mir ist schlecht Kirschen essen.«

Als sie zum Lager zurückkehrten, rannten Harris und Pinkerton, die Secundra bewacht hatten, wie tollwütig auf den Junker zu und waren außerordentlich erstaunt, als die andern sie aufforderten, zurückzubleiben und anzuhören, was der Gentleman ihnen zu sagen habe. Der Junker war ihrem Ansturm nicht gewichen, aber andererseits verriet er auch durch nichts die geringste Befriedigung darüber, daß er offenbar bei den Leuten Boden gewonnen hatte.

»Wir wollen nichts übereilen«, sagte er, »laßt uns erst essen und dann öffentlich verhandeln.«

Sie bereiteten also hastig eine Mahlzeit, und sobald sie gegessen hatten, begann der Junker, auf einen Ellbogen gestützt, seine Ansprache. Er redete lange und wandte sich an alle einzelnen, ausgenommen Harris, wobei er für jeden, Harris wieder ausgenommen, irgendeine besondere Schmeichelei fand. Er nannte sie »tapfere, ehrliche Haudegen«, sagte, er habe noch nie lustigere Kameraden gehabt, die ihre Arbeit besser getan und Mühen heiterer ertragen hätten.

»Nun denn«, sagte er, »jemand könnte fragen, warum beim Teufel sind Sie dann weggelaufen? Aber das wäre kaum einer Antwort wert, weil ihr es alle ziemlich genau wißt. Aber ihr wißt es eben nur ziemlich genau, und das ist der Punkt, den ich euch gleich erklären will, und ihr müßt aufpassen, wenn ich dazu komme. Ein Verräter ist unter uns, ein doppelter Verräter, ich werde euch seinen Namen nennen, bevor ich schließe, und das möge euch jetzt genügen. Aber nun könnte ein anderer Gentleman mich fragen: ›Warum zum Teufel sind Sie denn zurückgekommen?‹ Nun, bevor ich diese Frage beantworte, habe ich selbst eine zu stellen. Kann dieser Lump hier, dieser Harris, Hindustanisch sprechen?« Während er das ausrief, erhob er sich auf ein Knie und zeigte dem Mann mit unbeschreiblich drohender Geste ins Gesicht. Als man seine Frage bejahend beantwortet hatte, sagte er: »Aha! Dann sind alle meine Verdachtsgründe gerechtfertigt, und ich tat wohl daran zurückzukehren. Nun, Leute, sollt ihr zum erstenmal die Wahrheit hören!«

Daraufhin begann er eine lange Geschichte und erzählte außerordentlich geschickt, daß er Harris schon seit langem beargwöhnt habe, und daß seine Befürchtungen sich als begründet herausgestellt hätten. Harris müsse das, was zwischen Secundra und ihm gesprochen worden sei, falsch wiedergegeben haben. Bei dieser Wendung machte er mit ausgezeichnetem Erfolg einen kühnen Ausfall.

»Wahrscheinlich«, sagte er, »glaubt ihr, daß Harris mit euch teilen wird, ihr glaubt, daß ihr selbst dafür sorgen könnt. Ein so elender Halunke kann euch nicht betrügen, denkt ihr natürlich. Aber seht euch vor! Diese Halbidioten besitzen eine besondere Schlauheit, wie das Stinktier seinen Geruch, und es wird euch überraschen, daß Harris bereits für sich gesorgt hat. Ja, der Schatz ist für ihn nur Nebensache. Wenn ihr ihn nicht findet, müßt ihr verrecken, aber er wurde schon vorher bezahlt: mein Bruder hat ihn bestochen, damit er mich vernichtet. Seht ihn an, wenn ihr noch Zweifel habt, seht ihn an, diesen ertappten Dieb, wie er grinst und würgt!«

Dann, nachdem er auf diese Weise einen günstigen Eindruck gemacht hatte, erklärte er, warum er geflohen sei und es für richtiger gehalten habe zurückzukehren, wozu er sich entschlossen habe, um den Kameraden die Wahrheit vorzutragen und mit ihnen zusammen sein Glück von neuem zu versuchen. Er sei überzeugt, sie würden Harris nunmehr sofort absetzen und einen anderen Führer wählen.

»Das ist die volle Wahrheit«, sagte er, »und ich vertraue mich vollständig euren Händen an, mit einer Ausnahme. Wer ist diese Ausnahme? Dort sitzt er«, rief er und zeigte wieder auf Harris, »ein Mann, der den Tod verdient! Waffen und Bedingungen sind mir gleich, stellt mich ihm gegenüber, und wenn ihr mir nichts gebt als einen Stock, werde ich ihn in fünf Minuten in einen Haufen Dreck verwandeln, in dem sich die Hunde wälzen sollen.«

Es war tiefe Nacht, als er zu sprechen aufhörte. Sie hatten fast vollkommen schweigend gelauscht, aber das schwache Licht des Feuers ermöglichte es niemand zu beurteilen, wie weit der Nachbar überredet oder überzeugt sei. Der Junker hatte sich an den hellsten Platz gesetzt und hielt sein Gesicht stets im Feuerschein, um im Augenkreis aller Leute zu sein: offenbar aus scharfer Berechnung. Das Schweigen dauerte noch eine Weile an, und dann begannen alle lebhaft miteinander zu reden, während der Junker sich niederlegte, die Hände unter dem Kopf verschränkt und das eine Knie über das andere geworfen wie jemand, den das Ergebnis nichts angeht. Und hier möchte ich sagen, daß dieser tollkühne Mensch sich zu weit vorwagte und seiner Sache schadete. Jedenfalls wandte sich die Stimmung nach einigem Hinundherüberlegen endgültig gegen ihn. Möglicherweise hatte er gehofft die Affäre vom Piratenschiff zu wiederholen und selbst zum Führer ernannt zu werden, wenn die Bedingungen auch hart gewesen wären. Die Dinge gingen so weit, daß Mountain tatsächlich einen solchen Vorschlag machte, aber der Felsen, gegen den er anrannte, war Hastie. Dieser Bursche war nicht beliebt, denn er war mißmutig und faul, häßlich und hinterhältig, aber er hatte eine Zeitlang Theologie studiert im Edinburgher Kolleg, bevor schlechte Führung seine Aussichten vernichtet hatten, und jetzt erinnerte er sich dessen, was er gelernt hatte, und wandte es an. Er war noch nicht weit gekommen, als der Junker sich scheinbar sorglos auf die Seite legte, was nach Mountains Ansicht geschah, um den Beginn der Verzweiflung im Ausdruck seines Gesichtes zu verbergen. Hastie bezeichnete das meiste dessen, was sie gehört hätten, als nicht zur Sache gehörig. Sie wünschten nichts als den Schatz! Was über Harris vorgetragen sei, könne wahr sein, und sie würden es zu gegebener Zeit in Betracht ziehen. Aber was habe das mit dem Schatz zu tun? Sie hätten viele Worte gehört, aber die Wahrheit sei, daß Mr. Durie verflucht ängstlich und deshalb mehrere Male geflohen sei. Hier sei er nun wieder da, ganz gleich, ob man ihn gefangen habe oder ob er freiwillig zurückgekehrt sei: die Hauptsache sei, endlich die Sache zu Ende zu führen. Was die Absetzung und Neuwahl eines Führers beträfe, so hoffe er, sie seien alle freie Leute und könnten ihre Geschäfte selbst erledigen. Das sei nur Sand, den man ihnen in die Augen streuen wolle, und dasselbe gelte von dem Vorschlag, mit Harris zu kämpfen.

»Er soll mit niemand in diesem Lager kämpfen, das kann ich ihm sagen«, fuhr Hastie fort. »Wir hatten Mühe genug, ihm seine Waffen zu nehmen, und wir wären große Narren, wenn wir sie ihm zurückgäben. Falls der Gentleman aber Ablenkung sucht, so kann ich ihm mehr bieten, als ihm vielleicht lieb ist. Ich habe nicht die Absicht, den Rest meines Lebens in diesen Bergen zu verbringen, schon jetzt dauert es mir zu lange, und ich schlage vor, daß er uns sofort sagen soll, wo der Schatz liegt, widrigenfalls er sofort erschossen wird. Und hier«, sagte er und zog seine Waffe, »hier ist die Pistole, die ich gebrauchen werde.«

»Kommen Sie, ich nenne Sie einen Mann!« rief der Junker, richtete sich auf und sah den Sprecher mit bewundernder Miene an.

»Ich habe Sie nicht gefragt, wie Sie mich nennen mögen«, erwiderte Hastie, »was wählen Sie?«

»Das ist eine eigene Frage«, sagte der Junker. »In der Not frißt der Teufel Fliegen. Tatsache ist, daß wir ganz in der Nähe des Platzes sind, und ich werde ihn euch morgen zeigen.«

Damit erhob er sich, als ob alles erledigt sei, und zwar ganz in seinem Sinne erledigt, und ging zu seinem Zelt, wohin Secundra schon vorher geeilt war.

An diese letzten Drehungen und Wendungen meines alten Feindes kann ich nur mit Bewunderung denken. Selbst das Mitleid schleicht sich kaum in mein Gefühl ein: so tapfer ertrug dieser Mann sein Mißgeschick, so kühn leistete er Widerstand. Selbst in dieser Stunde, als er wußte, daß er vollkommen verloren sei, und als er begriff, daß er nichts erreicht hatte als einen Wechsel der Feinde, und daß er Harris gestürzt hatte, um Hastie an seine Stelle zu setzen, selbst jetzt war kein Zeichen der Schwäche in seiner Haltung wahrzunehmen. Er zog sich ruhig, mit sicherem und liebenswürdigem Ausdruck, in sein Zelt zurück, als wolle er nach dem Theater ein Nachtessen mit den Schauspielern einnehmen, obgleich er damals schon, wie ich vermute, entschlossen war, die unglaublichen Gefahren eines allerletzten Ausweges auf sich zu nehmen. Drinnen allerdings mochte seine Seele zittern, wenn man sie hätte sehen können.

Schon frühzeitig während der Nacht verbreitete sich im Lager das Gerücht, er sei krank, und gleich am nächsten Morgen rief er Hastie an sein Lager und fragte sehr besorgt, ob er Kenntnisse in der Medizin besitze. Tatsächlich war das eine Liebhaberei dieses mißratenen Theologiestudenten, und er hatte sich eifrig mit dieser Wissenschaft befaßt. Hastie untersuchte ihn, und da er gleichzeitig geschmeichelt, unwissend und höchst mißtrauisch war, konnte er nicht feststellen, ob der Mann wirklich krank sei oder simuliere. So ging er wieder zu seinen Spießgesellen zurück und verkündete, da ihm das auf alle Fälle am meisten Ansehen eintragen mußte, daß der Kranke wahrscheinlich sterben müsse.

»Trotzdem«, fügte er fluchend hinzu, »und wenn er auf dem Wege platzt, soll er uns heute morgen zu dem Schatz führen.«

Aber im Lager waren mehrere, darunter auch Mountain, die diese Brutalität empörte. Sie hätten ohne das geringste Gefühl des Mitleids zugesehen, wenn der Junker erschossen worden wäre, sie hätten ihn auch selbst erschossen, aber sie schienen beeinflußt zu sein von seinem tapferen Kampf und seiner Niederlage in der Nacht zuvor. Vielleicht waren sie auch bereits gegen den neuen Führer etwas aufgebracht, jedenfalls erklärten sie jetzt, daß der Mann, wenn er wirklich krank sei, einen Tag Ruhe haben solle, trotz Hasties Drohungen.

Am nächsten Morgen ging es ihm anscheinend noch schlechter, und selbst Hastie begann ein menschliches Rühren zu zeigen: so leicht erregt selbst der Vorwand ärztlicher Behandlung Sympathie. Am dritten Tage rief der Junker Mountain und Hastie ins Zelt, sagte ihnen, er müsse sterben, gab ihnen alle Einzelheiten an über die Lage des Schatzes und flehte sie an, sogleich mit der Suche zu beginnen, damit sie feststellen könnten, ob er sie hinters Licht führe, und damit er, wenn sie zunächst noch erfolglos wären, Irrtümer aufklären könne.

Hier nun erhob sich eine Schwierigkeit, mit der er ohne Zweifel gerechnet hatte. Keiner dieser Leute traute dem anderen, keiner war bereit zurückzubleiben. Andererseits war es immerhin möglich, daß die Krankheit nur vorgespiegelt war, obgleich der Junker außerordentlich schwach schien, kaum noch flüsterte, wenn er sprach, und fast die ganze Zeit bewußtlos dalag. Wenn nun alle auf die Schatzsuche auszogen, konnte es sein, daß sie einer Ente nachjagten und bei ihrer Rückkehr den Gefangenen nicht mehr vorfanden. Sie beschlossen daher, sich nichtstuerisch in der Nähe des Lagers herumzutreiben und gaben vor, sie hätten Mitgefühl. Sicherlich waren manche von ihnen auch wirklich gerührt, wenn auch nicht tief, von der natürlichen Gefahr, in der der Mann schwebte, dem sie feige nach dem Leben trachteten – so gemischt sind unsere Empfindungen. Nachmittags wurde Hastie zur Lagerstatt gerufen, um Gebete zu sprechen, was er, so unglaublich es klingt, salbungsvoll tat. Ungefähr um acht Uhr abends zeigte das Wehklagen Secundras an, daß alles vorüber sei, und vor zehn Uhr war der Inder schon dabei, das Grab auszuschaufeln beim Lichte einer Fackel, die er in den Boden gesteckt hatte. Bei Sonnenaufgang am nächsten Tage wurde der Junker begraben, und alle Leute wohnten der Beerdigung in guter Haltung bei. Der Körper wurde in die Erde gelegt, eingehüllt in einen Pelz, nur das Gesicht frei; es war von wächserner Blässe, und die Nasenlöcher waren nach irgendeinem orientalischen Brauch von Secundra verstopft worden. Kaum war das Grab zugeworfen, als das Wehklagen des Inders alle Herzen von neuem bewegte, und es scheint, als ob diese Horde von Mördern ihm nicht nur keine Vorwürfe machten wegen seines Schreiens, obgleich es niederdrückend und in solcher Umgebung gefährlich war für ihre eigene Sicherheit, sondern in rauher, aber freundlicher Weise ihn zu trösten versuchten.

Wenn nun auch die menschliche Natur selbst bei den Schlechtesten gelegentlich weich wird, so ist sie doch vor allen Dingen habgierig, und bald wandten sie sich von dem Leidtragenden ab und ihrem eigenen Ziele zu. Da das Versteck des Schatzes in der Nähe sein sollte, wenn es auch noch nicht entdeckt war, so beschloß man, das Lager nicht aufzulösen, und der Tag verstrich in ergebnislosem Absuchen der Wälder, während Secundra auf dem Grab seines Herrn lag. In jener Nacht wurden keine Wachen ausgesetzt, sondern alle lagen zusammen rund um das Feuer, die Köpfe nach außen, gleich den Speichen eines Rades, wie es Sitte ist in diesen Urwäldern. Der Morgen fand sie in derselben Lage, nur Pinkerton, der zur Rechten Mountains lag, zwischen ihm und Hastie, war in den Stunden der Finsternis auf geheimnisvolle Weise ermordet worden. Er lag noch da in seinem Mantel, aber oben bot er das entsetzliche und grauenhafte Schauspiel eines skalpierten Kopfes. Die Leute waren an jenem Morgen bleich wie eine Schar Gespenster, denn die Schrecken des Indianerkrieges oder besser gesagt des Indianermordes waren ihnen wohlbekannt. Aber sie führten die Hauptschuld darauf zurück, daß sie keine Wache ausgesetzt hatten, und da die Nachbarschaft des Schatzes sie besessen machte, entschlossen sie sich zu bleiben, wo sie waren. Pinkerton wurde ganz in der Nähe des Junkers begraben, die Überlebenden verbrachten den Tag wieder mit Suchen und kehrten in einer Stimmung zurück, die zwischen Angst und Hoffnung schwankte. Einerseits waren sie sicher, daß sie bald finden würden, was sie suchten, und andererseits kam die Angst vor den Indianern mit Einbruch der Dunkelheit wieder über sie. Mountain übernahm die erste Wache, er erklärte, daß er weder geschlafen noch sich niedergesetzt, sondern sorgfältig und aufmerksam achtgegeben habe. Ohne jeden Argwohn ging er zum Feuer, um seinen Nachfolger zu wecken, als er an den Sternen sah, daß seine Zeit verstrichen sei. Dieser Mann – es war der Schuhmacher Hicks – schlief auf der dem Winde abgewandten Seite des Feuers, etwas weiter weg von Mountain als die andern und an einem Platz, der durch den wallenden Rauch verdunkelt war. Mountain trat heran und faßte ihn an der Schulter. Sofort war seine Hand mit klebriger Feuchtigkeit beschmiert, und da der Wind in diesem Augenblick sich drehte und der Feuerschein auf den Schläfer fiel, zeigte es sich, daß er wie Pinkerton tot und skalpiert war.

Es war klar, daß sie in die Hände eines jener unvergleichlich tollkühnen Indianer gefallen waren, die manchmal tagelang Reisenden folgen und trotz ermüdender Tagesmärsche und ruheloser Nächte den Weitermarsch mitmachen, um an jedem Lagerplatz einen Skalp zu erobern. Bei dieser Entdeckung verfielen die Schatzsucher, die bereits zu einem elenden halben Dutzend zusammengeschmolzen waren, der Verzweiflung, rafften einige notwendige Sachen zusammen, ließen ihre ganze übrige Habe im Stich und flohen in die Wälder. Das Feuer ließen sie brennen und ihren toten Kameraden unbeerdigt. Den ganzen Tag brachen sie die Flucht nicht ab, sie aßen unterwegs und lebten von der Hand in den Mund. Da sie einzuschlafen fürchteten, setzten sie auch in den Stunden der Dunkelheit ihre Wanderung auf gut Glück fort. Aber die Grenzen menschlicher Widerstandsfähigkeit sind bald erreicht. Als sie schließlich Rast machten, schliefen sie bald tief ein, und als sie aufwachten, mußten sie feststellen, daß ihnen der Feind noch auf den Fersen sei: Tod und Verstümmelung hatten von neuem ihre Zahl gelichtet.

Inzwischen hatten sie den Kopf verloren, sie konnten den Weg in der Wildnis nicht mehr finden, und ihre Vorräte gingen allmählich zu Ende. Es wäre überflüssig, diese Erzählung, die schon allzu lang geworden ist, durch den Bericht über die entsetzlichen Dinge, die sie erlebten, noch zu verlängern. Es mag genügen zu sagen, daß, als schließlich eine Nacht ungestört verflossen war und sie die Hoffnung hegen konnten, der Mörder habe die Verfolgung endlich aufgegeben, Mountain und Secundra allein übriggeblieben waren. Der Händler war fest davon überzeugt, daß der unsichtbare Feind ein Krieger seiner eigenen Bekanntschaft war, und daß er deshalb verschont blieb. Secundra wurde nach seiner Ansicht nicht getötet, weil man den Inder für irrsinnig halten mußte, und zwar aus folgenden Gründen: erstens weil Secundra mit einer Hacke auf dem Rücken vorwärts wankte, während die Schrecken der Flucht alle anderen veranlaßt hatte, selbst Nahrungsmittel und Waffen fortzuwerfen; und zweitens, weil er in den letzten Tagen mit großer Erregtheit und raschen Worten fortwährend in seiner eigenen Sprache zu sich selbst redete. Aber er war vernünftig genug, als er englisch zu sprechen begann.

»Ihr denken, er gegangen ist ganz fort?« fragte er, als sie in Sicherheit und wie gesegnet erwachten.

»Ich hoffe es zu Gott, ich glaube es, ich wage es zu glauben«, hatte Mountain in abgebrochenen Sätzen erwidert, wie er mir diese Szene beschrieb.

Und wirklich war er so verwirrt, daß er kaum wußte, bevor er uns am nächsten Morgen traf, ob er geträumt habe, oder ob es Tatsache sei, daß Secundra sich daraufhin umgewandt habe und, ohne ein Wort zu sprechen, den Fußtapfen zurück gefolgt sei – das Gesicht gegen die winterliche und öde Einsamkeit gerichtet, einen Pfad entlang, dessen Meilensteine verstümmelte Leichname waren.

Der Junker von Ballantrae

An Sir Percy Florence und Lady Shelley.

Dies ist eine Geschichte, die sich über viele Jahre erstreckt und in vielen Ländern spielt. Durch besondere Gunst der Umstände hat der Verfasser sie begonnen, fortgeführt und abgeschlossen in weit voneinander entfernten und ganz verschiedenen Landschaften. Vor allem war er viel auf der See. Der Charakter und das Schicksal der feindlichen Brüder, die Halle und das Gehölz von Durrisdeer, das Problem der trockenen Vortragsweise Mackellars und wie man seine Sprache auf höhere Gedankengänge zuschneiden könnte: alles das beschäftigte mich auf Deck in vielen sternfunkelnden Häfen, verfolgte meinen Geist auf See beim Lärm schlagender Segel und wurde oft sehr plötzlich beiseitegedrängt, wenn Böen hereinbrachen. Ich hoffe, daß diese Umgebung bei der Abfassung meiner Geschichte ihr in gewissem Grade die Gunst der Seefahrer und meerliebender Leute verschaffen wird.

Und zumindest kommt hier eine Zueignung von weither. Sie wurde geschrieben an den hallenden Küsten einer subtropischen Insel, ungefähr zehntausend Meilen von Boscombe Chine and Manor: Gegenden, die sich vor mir erheben mit den Gesichtern und Stimmen meiner Freunde.

Nun wohl, ich gehöre wieder der See und ohne Zweifel auch Sir Percy. Laßt uns das Signal geben: B.R.D.!

R.L.S.

Waikiki, 17. Mai 1889.

Erstes Kapitel


Die Ereignisse während der Irrfahrten des Junkers

Die volle Wahrheit über diese sonderbaren Ereignisse hat die Welt lange erwartet, und die öffentliche Neugier wird sie sicher willkommen heißen. Es fügte sich, daß ich auf das innigste mit den letzten Jahren und mit der Geschichte des Hauses verknüpft war, und es lebt kein Mensch, der gleich mir imstande wäre, diese Dinge klarzustellen, und gleichzeitig so begierig, sie wahrheitsgemäß zu erzählen. Ich kannte den Junker; über viele Einzelheiten seines Lebenslaufes habe ich authentische Berichte zur Hand; ich segelte mit ihm fast allein auf seiner letzten Reise; ich machte jene Winterfahrt mit, von der so manche Gerüchte ins Ausland gelangten, und ich war anwesend beim Tode des Mannes. Was meinen verstorbenen Lord Durrisdeer anlangt, so diente ich ihm ungefähr zwanzig Jahre und liebte ihn. Ich schätzte ihn um so mehr, je genauer ich ihn kennenlernte. Alles in allem glaube ich, daß es nicht richtig wäre, wenn so viele persönliche Zeugnisse verlorengingen; die Wahrheit ist eine Schuld, die ich dem Andenken meines Lords abzutragen habe, und ich glaube, meine alten Tage werden ruhiger dahinfließen und mein weißes Haar wird leichter auf den Kissen ruhen, wenn diese Dankespflicht erfüllt ist.

Die Duries von Durrisdeer und Ballantrae waren eine angesehene Familie im Südwesten seit den Tagen Davids I. Ein Vers, der noch jetzt in dem Lande bekannt ist:

Die Duries waren ein tapfres Geschlecht,
Sie ritten mit Speeren in manches Gefecht!

trägt das Kennzeichen des Alters. Und der Name erscheint auch in einer anderen Strophe, die man allgemein Thomas von Ercildoune selbst zuschreibt. Ich weiß nicht, wie weit das stimmt und mit welchem Recht manche diese Verse auf die Ereignisse meiner Erzählung beziehen:

Zwei Duries von Durrisdeer –
Der eine ins Feld, der andre getraut:
Ein böser Tag für den Freiersmann,
Ein grausiger für die Braut.

Auch ist die amtliche Geschichtsschreibung voll von ihren Taten, die nach unserer heutigen Denkungsweise nicht sehr lobenswert erscheinen. Die Familie hatte ihren vollen Anteil an den Glücks- und Unglücksfällen, denen die berühmten Häuser Schottlands von jeher unterworfen waren. Aber alles das überschlage ich, um zu jenem bemerkenswerten Jahre 1745 zu gelangen, in dem der Grund zu dieser Tragödie gelegt wurde.

Zu jener Zeit lebte im Hause von Durrisdeer nahe St. Bride am Ufer des Solway eine Familie von vier Personen. Das Haus war der Hauptsitz des Geschlechtes seit der Reformation. Mein alter Lord, der achte seines Namens, war noch nicht hochbetagt, aber er litt frühzeitig unter den Unzuträglichkeiten des Alters. Sein Platz war an der Seite des Kamins, wo er in einem gefütterten Hausrock lesend saß. Er richtete wenige Worte an die Menschen und niemals ein verletzendes an irgend jemand, er war das Vorbild eines alten zurückhaltenden Hausherrn. Und doch war sein Geist wohlgenährt mit Studien, und man schätzte ihn in dem ganzen Gebiet für klüger ein, als er sich den Anschein gab. Der Erbe oder Junker von Ballantrae, in der Taufe James genannt, erbte von seinem Vater die Liebe zu ernsthaften Büchern und daneben auch einiges von seinem Taktgefühl; aber was beim Vater wirkliche Klugheit war, wurde beim Sohn schwarze Heuchelei. Sein Benehmen nach außen kann man nur als gemein und wüst bezeichnen: er saß bis in die späte Nacht bei Wein und Karten und hatte in der ganzen Gegend den Ruf eines Mannes, der jungen Mädchen gefährlich sei. Bei allen Zusammenstößen war er an erster Stelle, aber wenn er auch immer in der vordersten Front war, zog er sich doch immer vorteilhaft aus der Affäre, und seine Genossen bei losen Streichen mußten gewöhnlich die ganze Zeche bezahlen. Dies Glück oder vielmehr diese Verschlagenheit trug ihm manches Übelwollen ein, aber bei dem Rest der Bevölkerung erhöhte es sein Ansehen, so daß man große Dinge von ihm erwartete in der Zukunft, wenn er reifer geworden wäre. Er hatte einen recht schwarzen Fleck auf seinem Namen, aber die Sache wurde damals vertuscht und durch Legendenbildung so entstellt, bevor ich dorthin kam, daß ich mich scheue, sie hier zu erzählen. Es ist wahr, für einen so jungen Menschen war es eine verabscheuungswürdige Tat, und wenn die Gerüchte falsch sind, war es eine niedrige Verleumdung. Ich betrachte es als bemerkenswert, daß er sich stets brüstete, er sei unversöhnlich. Man nahm ihn beim Wort, so daß er zu allem Überfluß unter seinen Nachbarn bekannt war als ein Mann, mit dem schlecht Kirschen essen sei. Ein junger Edelmann also, der im Jahre 1745 noch nicht vierundzwanzig Lenze zählte und doch bereits weit über seine Jahre hinaus im weiten Umkreis berüchtigt war.

Um so weniger war es zu verwundern, daß man von dem zweiten Sohn, Mr. Henry, meinem verstorbenen Lord Durrisdeer, bisher wenig gehört hatte. Er war weder sehr schlecht noch sehr begabt, sondern ein ehrenhafter und anständiger junger Mann wie viele seiner Nachbarn. Ich sagte, man hatte wenig von ihm gehört, aber man kann es besser so ausdrücken: es wurde wenig von ihm gesprochen. Unter den Lachsfischern im Firth war er gut bekannt, denn er liebte den Fischsport außerordentlich. Dann war er auch ein ausgezeichneter Pferdearzt und bekümmerte sich fast von Jugend auf lebhaft um die Bewirtschaftung der Ländereien. Wie schwer das war angesichts der Umstände, in denen sich die Familie befand, weiß niemand besser als ich. Mit allzu wenig Berechtigung kann ein solcher Mann in den Ruf eines Tyrannen und Geizhalses geraten. Die vierte Person im Hause war Miß Alison Graeme, eine nahe Verwandte, eine Waise, die Erbin eines großen Vermögens, das ihr Vater durch Handelsgeschäfte erworben hatte. Dies Geld wurde dringend benötigt zur Aufbesserung der Finanzen meines Lords. Der Besitz war mit Hypotheken hoch belastet, und infolgedessen wurde Miß Alison bestimmt zur Gattin des Junkers, worüber sie sehr froh war. Eine andere Frage ist es, wie er sich dazu stellte. Sie war ein hübsches Mädchen und für jene Zeit sehr beherzt und eigenwillig, denn der alte Lord hatte selbst keine Tochter, und da die Lady schon lange tot war, wurde sie aufgezogen, so gut es eben ging.

Zu diesen vier Menschen gelangte eines Tages die Nachricht von der Landung des Prinzen Charlie, und sie gerieten sofort heftig aneinander. Mein Lord als alter Ofenhocker war durchaus fürs Abwarten. Miß Alison war gegenteiliger Ansicht, weil ihr alles romantisch erschien, und der Junker, der, wie ich hörte, nicht oft mit ihr übereinstimmte, war diesmal ganz ihrer Meinung. Das Abenteuer reizte ihn, soweit ich verstehe, er sah allerlei Möglichkeiten, das Vermögen seines Hauses zu vergrößern, und trug sich mit der Hoffnung, seine persönlichen Schulden auszugleichen, die weit größer waren, als man vermutete. Was Mr. Henry anbelangte, so sagte er anscheinend zunächst sehr wenig, seine Rolle begann erst später. Die drei stritten sich einen ganzen Tag lang, bevor sie sich entschlossen, einen mittleren Kurs zu steuern. Der eine Sohn sollte ausreiten, um König Jakob beizustehen, der alte Lord und der zweite Sohn sollten zu Hause bleiben, um die Partei König Georgs zu ergreifen. Das war ohne Zweifel der Entschluß des alten Lords und, wie man weiß, die Rolle, die viele angesehene Familien damals spielten.

Aber nachdem der erste Streit beigelegt war, erhob sich sofort ein zweiter. Der Lord, Miß Alison und Mr. Henry waren alle der Meinung, daß es Aufgabe des jüngeren Sohnes sei, hinauszuziehen, aber der Junker, ruhelos und eitel, war unter keinen Umständen bereit, zu Hause zu bleiben. Der Lord flehte ihn an, Miß Alison weinte, und Mr. Henry brauchte sehr deutliche Worte: alles vergeblich.

»Der direkte Erbe von Durrisdeer muß mit dem König reiten!« sagte der Junker.

»Wenn wir ein männliches Spiel trieben«, antwortete Mr. Henry, »hätte es Sinn, so zu sprechen. Aber was tun wir? Wir spielen mit falschen Karten!«

»Wir retten das Haus von Durrisdeer, Henry«, sagte der Vater.

»Und siehe«, sagte Mr. Henry, »wenn ich gehe, und der Prinz gewinnt die Oberhand, kannst du leicht mit König Jakob Frieden schließen. Aber wenn du gehst, und die Expedition erleidet einen Fehlschlag, reißen wir Besitz und Titel auseinander. Und was wird dann aus mir?«

»Du wirst Lord Durrisdeer sein«, sagte der Junker, »ich setze alles auf eine Karte.«

»Ich liebe ein solches Spiel nicht!« rief Mr. Henry. »Ich werde in einer Lage sein, die kein Mann von Vernunft und Ehre ertragen kann. Ich werde weder Fisch noch Fleisch sein!« rief er aus. Und etwas später drückte er sich noch deutlicher aus, als er vielleicht beabsichtigte. »Es ist deine Pflicht, hier bei deinem Vater zu bleiben«, sagte er. »Du weißt sehr wohl, daß du der Lieblingssohn bist.«

»Wie?« sagte der Junker. »So spricht der Neid! Willst du in meine Fußtapfen treten, Jakob?« fragte er und legte einen häßlichen Nachdruck auf dies Wort.

Mr. Henry ging ohne Antwort zu geben am unteren Ende der Halle auf und ab, denn er wußte ausgezeichnet zu schweigen. Plötzlich kam er zurück.

»Ich bin der Jüngere, und ich muß gehen«, sagte er. »Mein Lord hier ist der Herr, und er sagt, daß ich gehen muß. Was sagst du dazu, mein Bruder?«

»Ich sage dies, Harry«, antwortete der Junker, »daß es nur zwei Wege gibt, wenn hartnäckige Leute aneinandergeraten: Zweikampf – ich denke, daß keiner von uns Lust hat, so weit zu gehen – oder Entscheidung durch den Zufall. Hier ist ein Goldstück. Wollen wir es entscheiden lassen?«

»Ich will dadurch stehen und fallen«, sagte Mr. Henry. »Kopf: ich gehe; Wappen: ich bleibe.«

Die Münze wurde hochgeworfen. Die Münze fiel und zeigte die Wappenseite.

»Das ist eine Lehre für Jakob«, sagte der Junker.

»Wir alle werden das bereuen«, antwortete Mr. Henry und stürzte aus der Halle.

Miß Alison ergriff das Goldstück, das soeben ihren Geliebten ins Feld gesandt hatte, und schleuderte es durch das Familienwappen in dem großen bemalten Fenster.

»Wenn du mich so liebtest, wie ich dich liebe, wärst du geblieben!« rief sie aus.

»Ich könnte dich, Liebste, nicht lieben so sehr, liebt‘ ich Kampf und Ehre nicht mehr!« sang der Junker.

»Ach!« rief sie. »Du hast kein Herz, ich hoffe, du wirst getötet!«

Sie eilte aus dem Raum und lief weinend auf ihr Zimmer.

Es scheint, daß der Junker sich in heiterster Haltung zum Lord wandte und sagte: »Sie muß ein Teufel von einem Weib sein!«

»Ich glaube, du bist ein Teufel von einem Sohn«, rief der Vater aus. »Du, der du immer mein Lieblingssohn gewesen bist, zu meiner Schande sei es gestanden! Niemals habe ich eine gute Stunde mit dir erlebt, seit du geboren bist, nein, niemals eine gute Stunde«, und er wiederholte es zum dritten Male. Ob es die Leichtsinnigkeit des Junkers oder sein Ungehorsam oder Mr. Henrys Wort vom Lieblingssohn war, was den alten Lord so aufbrachte, weiß ich nicht, aber ich neige zu der Ansicht, daß es das letztere war, denn nach allen Berichten, die mir zur Verfügung stehen, begann er von dieser Stunde an, Mr. Henry mehr zu beachten.

Alles in allem ritt der Junker in ziemlich böser Stimmung gegen seine Familie nordwärts, woran sich die anderen mit großem Kummer erinnerten, als es zu spät schien. Durch Drohungen und Begünstigungen hatte er ungefähr ein Dutzend Leute um sich versammelt, zumeist Söhne von Pächtern. Sie waren alle ziemlich betrunken, als sie aufbrachen und den Hügel bei der alten Abtei lärmend und singend hinaufritten, die weiße Kokarde am Hut. Es war ein verzweifeltes Abenteuer für eine so kleine Schar, fast ganz Schottland ohne Unterstützung zu durchqueren. Man glaubte das um so mehr, als gerade damals, da dies Dutzend Leutchen den Hügel hinaufkletterte, ein großes Schiff aus der Flotte des Königs mit flatterndem Wimpel in der Bucht lag und sie durch die Mannschaft eines einzigen Bootes hätte aufreiben können. Am nächsten Nachmittag mußte Mr. Henry abreisen, nachdem der Junker einen genügenden Vorsprung gewonnen hatte. Ganz allein ritt er von dannen, um der Regierung König Georgs sein Schwert zur Verfügung zu stellen und ein Handschreiben seines Vaters zu überreichen. Miß Alison wurde in ihrem Zimmer eingeschlossen, bis beide fortgezogen waren. Sie weinte fast ununterbrochen, nur nähte sie die Kokarde an des Junkers Hut, die (wie John Paul mir erzählte) von Tränen durchtränkt war, als er sie ihm hinuntertrug.

In der ganzen nächsten Zeit blieben Mr. Henry und der alte Lord ihrem Plan treu. Daß sie jemals etwas unternommen hätten, ist mehr, als ich weiß, und ich glaube auch nicht, daß sie sich sehr energisch um die Sache des Königs bemühten. Sie hielten sich an ihren Treuschwur, wechselten Briefe mit dem Lord-Präsidenten, weilten ruhig zu Hause und hatten wenig oder keine Verbindung mit dem Junker, solange die Zwistigkeiten dauerten. Auch war er seinerseits nicht sehr mitteilsam. Miß Alison sandte ihm zwar stets Stafetten, aber ich weiß nicht, ob sie jemals eine Antwort erhielt. Einst ritt Macconochie für sie hin und fand die Hochländer vor Carlisle, wo der Junker in hoher Gunst stand beim Prinzen. Er nahm den Brief, wie Macconochie erzählte, öffnete ihn, überflog ihn, den Mund gespitzt wie ein Mann der flötet, und steckte ihn in seinen Gürtel. Als das Pferd aufbäumte, fiel er unbeachtet zur Erde. Macconochie hob ihn auf und nahm ihn an sich, und ich selbst habe ihn in seinen Händen gesehen. Selbstverständlich kamen Nachrichten nach Durrisdeer, wie sich eben Gerüchte im Lande verbreiten, eine Sache, die mir immer wunderbar vorkam. Auf diese Weise erfuhr die Familie allerlei von der Gunst, in der der Junker beim Prinzen stand. Man behauptete, das habe seinen Grund in einer höchst sonderbaren Kriecherei eines so stolzen Mannes, der allerdings noch mehr Ehrgeiz besaß. Er soll sich zu seiner hohen Stellung hinaufgearbeitet haben, indem er den Irländern schmeichelte. Sir Thomas Sullivan, Oberst Burke und alle andern waren sein täglicher Umgang, wodurch er seinen eigenen Landsleuten entfremdet wurde. Bei allen kleinen Intrigen hatte er seine Hand im Spiel, stellte Lord Georg tausendmal Fallen, fügte sich immer den Ansichten des Prinzen, ob sie nun gut oder schlecht waren, und scheint wie ein Spieler, der er sein ganzes Leben lang war, weniger bedacht gewesen zu sein auf die Durchführung der Kämpfe, als auf die Gunst, die er bei glücklichem Ausgang erlangen konnte. Im übrigen benahm er sich im Felde sehr tapfer, was niemand anzweifelte, denn er war kein Feigling.

Die nächste Nachricht kam von Culloden und wurde von einem der Pächtersöhne nach Durrisdeer gebracht, dem einzig Überlebenden, wie er erklärte, von allen denen, die damals singend den Hügel erklommen hatten.

Durch einen unglückseligen Zufall hatten gerade an jenem Morgen John Paul und Macconochie das Goldstück gefunden, das die Ursache alles Übels war, und das in einem Gebüsch versteckt lag. Sie waren vor der Tür gewesen, wie die Leute von Durrisdeer es nennen, nämlich in der Schenke, und so war wenig von dem Goldstück übriggeblieben und noch weniger von ihrem Verstand. Was konnte John Paul also anderes tun, als in die Halle zu stürzen, wo die Familie bei Tisch saß, und die Nachricht herauszubrüllen, daß Tam Macmorland soeben an der Pforte erschienen sei, und wehe! niemand mit ihm?

Sie hörten das Wort wie Menschen, die zum Tode verurteilt werden. Nur Mr. Henry führte die Hand zum Gesicht, und Miß Alison legte den Kopf auf die Hände. Der alte Lord war grau wie Asche.

»Ich habe noch einen Sohn«, sagte er. »Und, Henry, ich will dir Gerechtigkeit widerfahren lassen – der bessere ist mir geblieben.«

Eine sonderbare Sache, das in einem solchen Augenblick zu sagen, aber mein Lord hatte Mr. Henrys Rede niemals vergessen, und er trug Jahre der Ungerechtigkeit auf seinem Gewissen. Trotzdem war es eine sonderbare Sache, und mehr, als Miß Alison hingehen lassen konnte. Sie wurde heftig und tadelte den Lord wegen seiner unnatürlichen Worte und Mr. Henry, weil er hier in Sicherheit säße, während sein Bruder erschlagen läge, sich selbst aber, weil sie ihrem Geliebten beim Abschied böse Worte gegeben hatte. Sie nannte ihn den Besten von allen, rang die Hände, bekannte laut ihre Liebe und rief seinen Namen aus, so daß die Dienerschaft erstaunt dreinblickte.

Mr. Henry stand auf und hielt sich am Stuhl fest. Nun war er grau wie Asche.

»Oh«, schrie er plötzlich, »ich weiß, du hast ihn geliebt!«

»Die Welt weiß es, so wahr mir Gott helfe!« rief sie, und dann sagte sie zu Mr. Henry:

»Aber ich allein weiß, daß du ihn in deinem Herzen verraten hast!«

»Gott weiß«, murmelte er, »es war verlorene Liebesmühe auf beiden Seiten.«

Die Zeit floß nun in diesem Hause dahin ohne viel Ereignisse, nur waren jetzt drei statt vier, was immer wieder an den Verlust erinnerte. Das Geld Miß Alisons war, wie man vor Augen halten muß, für das Besitztum dringend erforderlich, und da der eine Bruder tot war, wurde es bald zu einer Herzensangelegenheit des alten Lords, den anderen Sohn mit ihr verheiratet zu sehen. Tagein, tagaus versuchte er auf sie einzuwirken. Er saß zur Seite des Kamins, den Finger in seinem lateinischen Buch, die Augen mit einer Art liebenswürdigen Eindringlichkeit auf ihr Gesicht gerichtet, wie es dem alten Herrn so gut stand. Wenn sie weinte, tröstete er sie wie ein bejahrter Mann, der schlimmere Zeiten erlebt hat, und nun auch über Kümmernisse ruhiger denkt. Geriet sie in Zorn, begann er wieder in seinem lateinischen Buch zu lesen, aber immer mit einer höflichen Ausrede. Bot sie ihm, wie es öfter geschah, ihr Geld zum Geschenk an, bewies er ihr, wie wenig das mit seiner Ehre zu vereinen sei, und gab ihr zu bedenken, wenn sie darauf beharrte, daß Mr. Henry dies ohne Zweifel ablehnen würde. Sein Lieblingswort war: non vi sed saepe cadendo, und seine ruhige Beharrlichkeit verringerte ohne Zweifel allmählich ihren Widerstand. Gewiß hatte er großen Einfluß auf das junge Mädchen, da er beide Eltern bei ihr vertreten hatte, weshalb sie auch mit dem Geist der Duries erfüllt war und große Zugeständnisse an das Wohlergehen von Durrisdeer machen wollte, wenn sie sich auch nicht dazu verstanden hätte, glaube ich, meinen armen Herrn zu heiraten. Aber sonderbarerweise kam ihm der Umstand zu Hilfe, daß er außerordentlich unbeliebt war.

Das war das Werk Tam Macmorlands. Tam war ein harmloser Bursche, aber er hatte eine große Schwäche: eine lose Zunge, und da er der einzige Mensch in der Gegend war, der mit draußen gewesen oder vielmehr wiedergekommen war, fand er leicht Gehör. Wer im Kampf unterlegen ist, will mir scheinen, ist immer geneigt, andern zu erzählen, daß er verraten wurde. Nach Tams Bericht waren die Rebellen bei jeder Gelegenheit und von jedem ihrer Offiziere betrogen worden, sie waren verraten worden bei Derby, sie waren verraten worden bei Falkirk. Der Nachtmarsch war ein Verräterstück von Lord Georg, und die Schlacht von Culloden ging verloren durch den Verrat der Macdonalds. Die Gewohnheit, stets von Verrat zu reden, bemächtigte sich dieses Narren so sehr, daß er schließlich Mr. Henry auch nicht mehr schonte. Nach seiner Ansicht hatte Mr. Henry die Burschen von Durrisdeer verraten, er hatte versprochen, mit mehr Leuten zu folgen, und statt dessen war er zum König Georg geritten.

»Ach, und am nächsten Tage!« pflegte Tam auszurufen. »Der arme gute Junker und die armen feinen Kerle, die mit ihm ritten, waren kaum jenseits der Klippe, als er sie im Stich ließ, der Judas! Nun, er hat seinen Weg gemacht, er ist Lord, trotz allem, aber unter der Hochlandheide liegt mancher kalte Leichnam!«

Bei diesen Worten pflegte Tam, falls er betrunken war, in Tränen auszubrechen.

Wenn einer lange genug redet, findet er Glauben. Die schlechte Meinung vom Benehmen Mr. Henrys verbreitete sich allmählich in der ganzen Gegend. Leute, die das Gegenteil wußten, aber keine genauen Einzelheiten kannten, sprachen darüber, und man hörte und glaubte es. Unwissende und Übelwollende verbreiteten es als Evangelium. Mr. Henry wurde allmählich gemieden. Kurze Zeit darauf begann das gemeine Volk zu murren, wenn er vorüberging, und die Frauen, die immer am kühnsten sind, weil sie sich am sichersten fühlen, begannen ihm Vorwürfe ins Gesicht zu schleudern.

Der Junker wurde zum Heiligen erklärt. Man entsann sich, daß er die Pächter niemals bedrückt hatte, was er tatsächlich auch nie tat, es sei denn, daß er viel Geld ausgab. Er war vielleicht ein wenig wüst, sagte das Volk, aber wieviel besser war ein natürlicher und wilder Kerl, der bald ruhiger geworden wäre, als ein dürrer Geizhals, der seine Nase in die Abrechnungsbücher steckte, um die armen Pächter zu bedrücken. Eine Dirne, die ein Kind vom Junker hatte und nach allen vorliegenden Berichten sehr schlimm von ihm behandelt worden war, machte sich sogar zur Vorkämpferin seiner Ehre. Eines Tages schleuderte sie einen Stein gegen Mr. Henry.

»Wo ist mein guter Junge, der dir vertraute?« schrie sie.

Mr. Henry hielt sein Pferd an und sah sie mit weißen Lippen an. »Nun, Jeß«, sagte er, »auch du? Du solltest mich besser kennen!« Denn er hatte ihr mit seinem Gelde ausgeholfen.

Das Weib ergriff einen zweiten Stein, als wollte sie ihn werfen, und er riß die Hand, die die Reitpeitsche hielt, nach oben, um sein Gesicht zu schützen.

»Was? Du willst ein Mädel schlagen, du dreckiger …?« schrie sie und lief heulend von dannen, als ob er sie gezüchtigt hätte.

Am nächsten Tage breitete sich das Gerücht wie Lauffeuer in der Gegend aus, Mr. Henry habe Jessie Broun fast zu Tode geprügelt. Ich erzähle das, um klarzumachen, wie die Lawine wuchs, und wie eine Verleumdung die andere hervorbrachte, bis mein armer Herr so verschrien war, daß er das Haus zu hüten begann gleich dem alten Lord. In der ganzen Zeit beklagte er sich selbstverständlich daheim niemals. Der Urgrund des Skandals war eine zu heikle Angelegenheit, und Mr. Henry war sehr stolz und ein außergewöhnlich hartnäckiger Schweiger. Der alte Lord muß schließlich durch John Paul, falls durch niemand sonst, davon gehört oder wenigstens die Änderung in der Lebensweise seines Sohnes beobachtet haben. Wahrscheinlich aber war auch er nicht unterrichtet, wie stark die Feindschaft war, und was Miß Alison betrifft, so kümmerte sie sich überhaupt nicht um Gerüchte und brachte ihnen keinerlei Interesse entgegen, wenn man sie ihr zutrug.

Als die Empörung ihren Höhepunkt erreicht hatte (später verringerte sie sich, und niemand wußte warum), fand eine Wahl statt in der Stadt St. Bride, die ganz nahe bei Durrisdeer liegt, am Swiftsee. Irgendeine Unruhe machte sich unter den Leuten bemerkbar, aber ich vergaß, was es war, wenn ich es jemals gewußt habe. Man erzählte allgemein, es würde vor Anbruch der Nacht blutige Köpfe geben, der Sheriff habe sogar Soldaten angefordert von Dumfries. Der alte Lord war dafür, daß Mr. Henry anwesend sein solle, er stellte ihm vor, es sei notwendig für das Ansehen des Hauses, sich einmal wieder zu zeigen. »Man wird bald behaupten«, sagte er, »daß wir die Führung in unserem Gebiete verlieren.«

»Eine merkwürdige Führung, die ich übernehmen soll«, sagte Mr. Henry, und als sie ihn um eine Erklärung baten, fügte er hinzu: »Ich will euch die volle Wahrheit sagen, ich darf mein Gesicht draußen nicht blicken lassen.«

»Du bist der erste dieses Hauses, der das sagt«, rief Miß Alison.

»Wir wollen alle drei gehen«, sagte der alte Lord, und tatsächlich zog er seine Stiefel an, das erstemal seit vier Jahren, und ein schwieriges Geschäft für John Paul. Miß Alison erschien im Reitkleid, und alle drei machten sich auf den Weg nach St. Bride.

Die Straßen waren voll vom Pöbel aus der ganzen Gegend. Kaum hatten die Leute Mr. Henry erblickt, als sie zu zischen begannen. Dann fingen sie an zu brüllen, und man hörte Schreie wie Judas! und »Wo ist der Junker?« und »Wo sind die armen Kerle, die mit ihm hinausritten?« Selbst ein Stein wurde geschleudert, aber die meisten verurteilten das, zum Glück für den alten Lord und Miß Alison. Nach zehn Minuten wußte der Lord, daß Mr. Henry recht gehabt hatte. Er sagte kein Wort, warf sein Pferd herum und ritt heim, das Kinn auf der Brust. Auch Miß Alison sprach nicht. Ohne Zweifel dachte sie aber um so mehr nach, und ohne Zweifel war ihr Stolz verletzt, denn sie war eine gebürtige Durie, und ebenso gewiß rührte es an ihr Herz, ihren Vetter so unwürdig behandelt zu sehen. In jener Nacht legte sie sich nicht schlafen. Ich habe meine Lady oft getadelt. Aber wenn ich mich jener Nacht erinnere, verzeihe ich ihr gern alles. Am nächsten Morgen kam sie in aller Frühe zum alten Lord, der an seinem gewohnten Platz saß.

»Wenn Henry mich noch will«, sagte sie, »kann er mich jetzt haben.« Zu Henry selbst redete sie anders: »Ich bringe dir keine Liebe entgegen, Henry, aber, Gott weiß es, alles Mitleid der Welt.«

Der erste Juni 1748 war der Tag ihrer Hochzeit. Im Dezember desselben Jahres langte ich an den Toren des großen Hauses zum erstenmal an, und von diesem Zeitpunkt an berichte ich über die Ereignisse, die unter meinen eigenen Augen geschahen, wie ein Zeuge vor Gericht.