Scotland-Yard


Scotland-Yard

Scotland-Yard ist ein kleiner – sehr kleiner Strich Landes, an der einen Seite vom Themsestrome und an der andern von den Gärten des Northumberlandhauses begrenzt; er stößt am einen Ende an die Northumberlandstraße und am anderen an die Rückseite des Whitehallplatzes. Als dieses Territorium vor einigen Jahren zuerst von einem Gentleman vom Lande, der am Strande den Weg verlor, zufällig entdeckt wurde, waren die Ur-Ansiedler ein Schneider, ein Gastwirt, zwei Besitzer von Speisehäusern, ein Obstpastetenbäcker und ein Schlag starker, breitschultriger Männer, die sich regelmäßig jeden Morgen um fünf oder sechs Uhr nach den Werften in Scotland-Yard begaben, um schwerfällige Wagen, die sie jahraus, jahrein im Lande umherfuhren, mit Kohlen zu beladen.

Da die Ansiedler ihren Unterhalt von diesen Kohlenhändlern bezogen, so zeigten ihre Verkaufsartikel und Häuser, daß sie ausdrücklich dem Geschmacke und den Wünschen jener angepaßt waren. Der Schneider präsentierte in seinem Fenster ein Paar lederne Liliputgamaschen und einen Diminutivkittel, während beide Türpfosten sehr angemessen mit Modellen von Kohlensäcken garniert waren. Die beiden Garköche stellten Keulen von einem Umfang und Puddings von einer Solidität, die nur von Kohlenträgern gewürdigt werden konnte, zur Schau; und der Obstpastetenbäcker ließ in seinem reingescheuerten Fensterkasten weiße, mit roten Tüpfeln verzierte Mehl- und Bratenfettkompositionen sehen, die den großen Mund eines jeden vorübergehenden Kohlenmannes wäßrig machten.

Doch alles in ganz Scotland-Yard wurde von dem alten Gasthause im Winkel übertroffen. Hier in einem finsteren, getäfelten, die Spuren großen Altertums tragenden, durch ein gewaltiges Feuer gemütlich gemachten Zimmer, das mit einer ungeheuren Uhr verziert war, deren Zifferblatt weiß und deren Zahlen schwarz aussahen, saßen die wackeren und munteren Kohlenträger, tranken Bier in großen Zügen und verbreiteten solche Wolken von Rauch um sich her, daß es fast Nacht davon wurde. An Winterabenden konnte man sie weithin bis an das Stromufer ihre Lieder brüllen hören, wobei sie auf den Schlußworten des Chors so lange und nachdrücklich auszuhalten pflegten, daß das Dach über ihnen erbebte.

Auch erzählten sie hier einander von den Vätern ererbte Sagen von dem, was die Themse in alten Zeiten gewesen sei, wo noch niemand an die Patent-Ankertau-Manufaktorei und die Waterloobrücke gedacht hatte; und sie schüttelten dann die Köpfe mit vielsagend-wichtigen Mienen zur Erbauung des aufwachsenden Trägergeschlechts, das umhersaß und dachte, wie das alles wohl enden würde. Und der Schneider nahm dann feierlich die Pfeife aus dem Munde und sprach seine Hoffnung aus, daß es gut enden würde, zugleich aber auch seine starken Zweifel, worauf er mit der Erklärung schloß, nicht so recht eigentlich sagen zu können, was er daraus machen solle – eine mysteriöse Meinungsäußerung, vorgetragen mit einer halb-prophetischen Miene, die niemals die vollkommenste Beistimmung der Versammelten hervorzurufen verfehlte. Dies alles setzten sie fort, bis die zehnte Stunde kam und mit ihr des Schneiders Frau, um ihn nach Hause zu holen, und dann brachen sie auf, um sich am folgenden Abend zur selben Stunde im selben Zimmer wieder zu versammeln und genau dasselbe zu sagen und zu tun.

Um diese Zeit fingen die stromaufwärts kommenden Kohlenschiffe an, unbestimmte Gerüchte nach Scotland-Yard zu tragen, wie man jemand in der City habe sagen hören, daß der Bürgermeister mit klaren Worten gedroht habe, die alte Londonbrücke niederreißen und eine neue bauen zu wollen. Anfangs blieben diese Gerüchte als bloßes, eitles Geschwätz unbeachtet, denn niemand in Scotland-Yard zweifelte, daß der Bürgermeister, wenn er wirklich mit so schwarzen Anschlägen umginge, auf einige Wochen in den Tower eingesperrt und sodann wegen Hochverrats um einen Kopf kürzer gemacht werden würde.

Allein, die Gerüchte wurden allmählich bestimmter und häufiger, und endlich brachte ein Kohlenschiff die unzweifelhafte Kunde, daß bereits mehrere Bogen der alten Brücke gesperrt und Vorbereitungen zum Bau der neuen im Werke seien. Welch eine Aufregung an jenem denkwürdigen Abende in der alten Schenkstube bemerkbar war! Einer schaute dem andern in das vor Schrecken und Staunen bleiche Gesicht und las darin den Widerhall der die eigene Brust erfüllenden Empfindungen. Der älteste anwesende Kohlenhändler bewies anschaulich, daß in dem Augenblicke, in dem man die Brückenpfeiler entfernte, das Wasser der Themse sich samt und sonders verlaufen und nur einen trockenen Schlund zurücklassen würde. Was sollte dann aber aus den Kohlenschiffen – dem Handel von Scotland-Yard – und aus Scotland-Yards Bevölkerung selbst werden? Der Schneider schüttelte den Kopf noch weiser als gewöhnlich, wies mit schrecklicher Gebärde nach einem Messer auf dem Tisch hin und forderte die Versammelten auf, zu warten und zu sehen, was geschehen würde. Er – was ihn betreffe – wolle nichts sagen; aber wenn der Bürgermeister nicht das Opfer eines Volksaufstandes würde – nun: so sollte es ihn nicht wenig wundernehmen.

Sie warteten; ein Kohlenschiff nach dem andern langte an, aber immer und immer noch keine Nachricht von der Abschlachtung des Bürgermeisters. Der Grundstein wurde gelegt – von einem Herzog, einem Bruder des Königs. Jahre vergingen, und die Brücke ward von dem Könige selbst eingeweiht. Im Laufe der Zeit wurden die verhängnisvollen Pfeiler entfernt, und als die guten Leute von Scotland-Yard am anderen Morgen in der Erwartung aufstanden, nach Pedlars Acre hinübergehen zu können, ohne die Sohlen ihrer Schuhe naß zu machen, ersahen sie zu ihrer unaussprechlichen Verwunderung, daß geradesoviel Wasser da war wie immer.

Ein ihrer Weisheit so gänzlich zuwiderlaufendes Ergebnis brachte seine volle Wirkung bei den Bewohnern von Scotland-Yard hervor. Einer der Speisewirte fing an, sich um die Gunst der öffentlichen Meinung zu bewerben und sich um Kunden aus einer neuen Klasse von Leuten zu bemühen. Er legte weiße Tischtücher auf und ließ durch einen Malerlehrling eine der kleinen Scheiben seines Ladenfensters mit etwas bemalen, das soviel heißen sollte wie: »Warme Bratenportionen von zwölf bis zwei.« Die Kultur rückte mit Riesenschritten bis an die Schwelle von Scotland-Yard vor. In Hungerford entstand ein neuer Markt, und die Polizei richtete ihr Büro auf dem Whitehallplatze ein. Handel und Wandel in Scotland-Yard vermehrte sich, dem Hause der Gemeinden wurden neue Mitglieder hinzugefügt, die hauptstädtischen Vertreter fanden den Weg über Scotland-Yard näher, und andere Fußgänger folgten ihrem Beispiele.

Wir beobachteten das Vorschreiten der Zivilisation und seufzten. Der Speisewirt, der der Tischtuchneuerung mannhaft widerstanden hatte, verlor mit jedem Tage Terrain, und sein Nebenbuhler gewann es, woraus sich eine tödliche Fehde zwischen ihnen entspann. Der feine Mann trank seinen Abendschoppen nicht mehr in Scotland-Yard, sondern Gin mit Wasser in einer »Restauration« der Parlamentsstraße. Der Pastetenbäcker fuhr noch fort, das alte Gastzimmer zu besuchen, fing aber an, Zigarren zu rauchen, sich einen Konditor zu nennen und die Zeitungen zu lesen. Die alten Kohlenträger versammelten sich noch immer an dem alten Kamin, allein ihre Gespräche waren wehmütig, und man hörte sie nicht mehr laut und fröhlich ihre Lieder singen.

Und was ist Scotland-Yard jetzt? Wie haben sich seine alten Bräuche geändert und wie gänzlich ist die ehemalige Einfachheit seiner Bevölkerung entschwunden! Die altväterische, wacklige Schenke ist in ein weitläufiges hohes »Weinhaus« verwandelt worden, das mit vergoldeten Lettern prunkt; und die Kunst des Dichters ist in Anspruch genommen worden, um zu verkünden, daß man sich am Geländer festhalten müsse, wenn man ein gewisses Ale trinke. Der Schneider hat in seinem Fenster das Muster eines ausländisch aussehenden braunen Oberrocks mit seidenen Knöpfen, einem Pelzkragen und Pelzaufschlägen. Er trägt Beinkleider mit Streifen, und wir haben seine Gehilfen (denn er hält gegenwärtig Gehilfen) ebenso stolz angetan die Nadel führen sehen.

Am anderen Ende der kleinen Häuserreihe hat sich ein Schuhmacher in einer Backsteinhütte mit der Neuerung einer belétage etabliert und stellt hohe Stiefel zum Verkauf aus – wirklich hohe, doppelnähtige Stiefel, von dergleichen die ursprünglichen Bewohner vor wenigen Jahren weder etwas gesehen noch gehört hatten. Vor ein paar Tagen öffnete eine Putzmacherin einen kleinen Laden mitten in der Reihe, und als wir meinten, daß der Geist der Veränderung nicht weitergehen könne, erschien ein Juwelier und trat, nicht zufrieden damit, vergoldete Ringe und kupferne Armbänder ohne Zahl auszustellen, mit einer noch jetzt in seinem Fenster zu schauenden Ankündigung hervor, daß man drinnen Damenohren durchbohre. Die Putzmacherin beschäftigt eine junge Dame, die Taschen an der Schürze trägt, und der Schneider tut dem Publikum kund, daß Gentlemen ihre eigenen Zutaten bei ihm verarbeiten lassen können.

Inmitten aller dieser Wandlungen, Unruhe und Neuerungen ist nur noch ein alter Mann übrig, der den Verfall von Scotland-Yard zu beklagen scheint. Er verkehrt nicht mit dem menschlichen Geschlecht, sitzt auf einer hölzernen Bank an der Ecke der Mauer, dem Whitehallplatze gegenüber, und sieht schweigend den lustigen Sprüngen seines runden, wohlgenährten Hundes zu. Er ist Scotland-Yards schützender Genius. Viele Jahre sind über seinem Haupte dahingegangen, er aber ist stets an derselben Stelle zu finden bei schlechtem wie bei gutem Wetter, bei Hitze wie bei Kälte, Nässe oder Trockenheit, Hagel, Regen oder Schnee. In seinem Antlitze malen sich Elend und Armut; sein Rücken ist vom Alter gebeugt, und sein Kopf von der Länge seiner Prüfungen grau; aber er sitzt da, einen Tag wie den anderen, der Vergangenheit gedenkend, und wird fortfahren, seine schwachen Glieder dahinzuschleppen, bis sich seine Augen für Scotland-Yard und die Welt geschlossen haben.

Wenn nach einer Reihe von Jahren ein Altertumsforscher liest, was wir hier niedergeschrieben haben, so werden seine ganze Kenntnis der Geschichte und sein ganzer gelehrter Apparat nicht genügen, ihn zu belehren, an welcher Stelle Scotland-Yard zu suchen ist.

Gedanken in Monmouth-Street


Gedanken in Monmouth-Street

Wir haben stets eine besondere Vorliebe für Monmouth-Street gehegt, als den einzig wahren und echten Stapelplatz für alte Kleider. Die Monmouth-Street ist ehrwürdig wegen ihres Altertums und achtbar wegen ihrer Nützlichkeit. Holywell-Street verachten wir; die Juden mit roten Köpfen und Knebelbärten, die jeden Vorübergehenden gewaltsam in ihre schmutzigen Häuser hereinzerren und ihn in Rock und Weste stecken, er mag wollen oder nicht, verabscheuen wir.

Die Bewohner der Monmouth-Street bilden eine eigentümliche Klasse friedlicher und zurückgezogen lebender Leute, die die meiste Zeit in tiefen Kellerlöchern oder engen Hinterstübchen versteckt sind und nur selten zum Vorscheine kommen, nämlich in der Dunkelheit und Kühle des Abends, wo sie auf Stühlen vor den Häusern sitzen, ihre Pfeifen rauchen und dem Umhertummeln ihrer hoffnungsvollen Sprößlinge zuschauen, die sich der Straßenrinnen freuen und ein vergnügtes Trüppchen jugendlicher Gassenkehrer bilden. Ihre Gesichter sind gedankenvoll und ungewaschen – sichere Anzeichen ihrer Liebe zum Handel und Wandel; und ihre Wohnungen zeichnen sich durch jene Nichtachtung des äußeren Scheins und die Vernachlässigung häuslicher Gemütlichkeit aus, die bei Leuten, die fortwährend in wichtige Spekulationen vertieft sind und eine meist sitzende Lebensart führen, ganz allgemein ist.

Wir deuteten auf das Altertum unserer Lieblingsstraße hin. Die »Röcke mit Monmouth-Street-Schnüren« waren vor Jahrzehnten berühmt, und die Monmouth-Street ist noch immer dieselbe. Lotsenwämser mit hölzernen Knöpfen haben den Platz der schweren Röcke mit Borden und breiten-Schößen eingenommen; gestickte Westen mit großen Klapptaschen sind den weit ausgeschnittenen schottischen mit Schalkragen, unterlegen, und wunderliche dreieckige Hüte haben den runden mit niedrigen Deckeln und breiten Rändern aus der Kutscherschule Platz gemacht; doch nur die Zeiten haben sich geändert, nicht die Monmouth-Street, die bei allen Veränderungen und Wechseln der Begräbnisplatz der Moden geblieben ist und allem Anscheine nach zu urteilen so lange bleiben wird, bis keine Moden mehr zu begraben sind.

Wir durchwandern gern diese weiten Hallen erlauchter Toten und geben uns den Betrachtungen hin, die durch sie hervorgerufen werden; passen jetzt einen verblichenen Rock, dann ein verstorbenes Beinkleid und dann wieder die sterblichen Reste einer eleganten Weste einem Geschöpfe unserer Einbildungskraft an und versuchen, uns nach der Art und Beschaffenheit der Kleidungsstücke die ehemaligen Eigentümer vorzustellen. Wir haben uns auf diese Weise unsern Phantasiespielen überlassen, bis ganze Reihen von Röcken von den Nägeln, an denen sie hingen, heruntersprangen und sich den eingebildeten Leuten selbst anlegten; nicht minder beflissen eilten die Beinkleider herbei; Westen öffneten sich fast von selbst vor Begier, sich anzuschmiegen; und eine Fläche von einem halben Morgen voll Schuhe fand urplötzlich hineinpassende Füße, und die Schuhe mit den Füßen trappelten die Straße mit einem Lärm hinunter, der uns aus unserer angenehmen Träumerei erweckte und uns vertrieb, so daß wir uns mit einem verstörten Umherstarren langsam entfernten – den guten Leuten von Monmouth-Street ein Gegenstand der Verwunderung und ein Gegenstand nicht geringen Argwohns für den Polizeidiener an der Straßenecke gegenüber.

Also waren wir vor einigen Tagen beschäftigt und paßten soeben ein Paar Schnürstiefel einer ideellen Person an, für die sie, um die Wahrheit zu sagen, volle zwei Nummern zu klein waren, als unsere Blicke auf einige Anzüge außen an einem Ladenfenster fielen, die, was uns sogleich klar war, zu verschiedenen Zeiten demselben Individuum angehört haben mußten und jetzt zufolge eines jener sonderbaren, bisweilen vorkommenden Zufälle in einem und demselben Laden zum Verkaufe ausgestellt waren. Die Meinung erschien uns jedoch phantastisch, und wir sahen die Anzüge noch genauer und mit dem festen Entschlusse an, uns nicht so leicht täuschen zu lassen. Allein wir hatten recht gehabt; je länger wir hinsahen, desto fester überzeugten wir uns von der Richtigkeit unseres ersten Gedankens. Des ehemaligen Eigentümers ganzes Leben war so deutlich auf diesen Anzügen zu lesen, als ob wir seine Selbstbiographie auf Pergament vor uns hätten.

Der erste Anzug bestand aus geflickten und stark beschmutzten Jäckchen und Höschen – einem jener engen blauen Tuchfutterale, in die man kleine Knaben hineinzustecken pflegte, bevor Gürtel und Blusen auf- und alte Moden abgekommen waren: eine scharfsinnige Erfindung, das ganze Ebenmaß der Gestalt eines Knaben dadurch zur Schau zu stellen, daß man letzterem ein sehr knapp anliegendes Jäckchen mit Zierreihen von Knöpfen über den Schultern anzog und sodann die Höschen darüber knöpfte, wie um den Beinen das Aussehen zu geben, als ob sie gerade unter den Armgruben angehakt seien. Dies war der Anzug des Knaben – offenbar eines Stadtkindes, denn die Ärmel und Beinlinge hatten die Kürze und die Knie die Leinenflicken, die der in den Londoner Straßen aufwachsenden Jugend eigentümlich sind. Ebenso offenbar war es, daß der Knabe nur eine Winkelschule besucht hatte. Wenn er Schüler in einer ordentlichen Pensionsanstalt gewesen wäre, so würde man ihm nicht erlaubt haben, soviel auf der Erde zu spielen und sich die Knie so weiß zu rutschen. Auch hatte er eine nachsichtige Mutter und viel Kupfergeld gehabt, was man aus den zahlreichen Streifen einer klebrigen Substanz in der Gegend der Taschen und gerade unter dem Kinne ersah, Streifen, die selbst des Trödlers Geschick zu verstecken nicht imstande gewesen war. Seine Eltern waren anständige, aber mit Reichtümern nicht überbürdete Leute gewesen, denn er würde dem Anzug sonst nicht schon so lange entwachsen gewesen sein, als er die Corduroybeinkleider nebst der kurzen Jacke bekommen, worin er jedoch die Schule besucht und schreiben gelernt hatte – und noch dazu mit recht schwarzer Tinte, sofern die Stelle, an der er seine Feder abzuwischen pflegte, zum Beweise dienen konnte.

Ein schwarzer Anzug und die kurze Jacke in einen Diminutivfrack verwandelt. Des Knaben Vater war gestorben, und die Mutter hatte ihn irgendwo als Laufburschen untergebracht. Der Anzug war lange getragen, verschossen und fadenscheinig, ehe er abgelegt wurde, blieb aber reinlich und von Flecken frei bis zu Ende. Die arme Frau! Wir konnten uns ihre erkünstelte Heiterkeit bei dem dürftigen Mahle vorstellen und wie sie den eigenen kleinen Anteil unberührt ließ, damit ihr hungriger Knabe genug hätte. Ihr fortwährendes Sorgen für ihn, ihr Stolz auf sein Heranwachsen, bisweilen mit dem bitteren, fast zu bitteren Gedanken, um ihn ertragen zu können, vermischt, daß er als Mann gegen sie erkalten, ihrer Liebe und seiner Zusagen vergessen möchte – der stechende Schmerz, den ihr schon auch in seiner Knabenzeit ein unbedachtes Wort, ein gleichgültiger Blick verursachte –, das alles schwebte uns so lebhaft vor, als ob wir es selbst gesehen hätten.

Dergleichen trägt sich jede Stunde zu, und wir wußten es wohl; aber demungeachtet tat es uns, als wir die bald eintretende Veränderung gewahrten – oder gleichviel, zu gewahren uns einbildeten – so weh, als wäre uns so etwas zum ersten Male als möglich erschienen. Der nächstfolgende Anzug sah wie ein sonntägiger aus, war aber liederlich, sollte modisch sein und war doch nicht halb so anständig als der fadenscheinige: verriet den müßiggängerischen Umherlungerer in schlechter Gesellschaft und verkündete uns so, wie uns vorkam, daß Freude und Hoffnung der Witwe rasch verschwunden waren. Wir konnten uns den Rock, vorstellen – mehr, konnten ihn sehen – hatten ihn hundertmal mit drei oder vier anderen Röcken derselben Art in der Nähe von Orten nächtlicher Ausschweifungen umherstreifen gesehen.

Wir bekleideten in einem Augenblick ein halbes Dutzend Knaben und junger Leute von fünfzehn bis zwanzig Jahren aus demselben Ladenfenster, steckten ihnen Zigarren in den Mund, ließen sie die Hände in die Taschen senken und sahen ihnen nach, als sie die Straße hinunterrenommierten und mit den zweideutigen Witzen und den oft ausgestoßenen Beteuerungen und Flüchen zögernd an der Ecke stehenblieben. Wir verloren sie erst aus dem Gesicht, als sie die Hüte noch etwas mehr auf das eine Ohr gedrückt hatten und in das Gasthaus hineinbramarbasiert waren, und kehrten darauf nach der verlassenen Wohnung zurück, wo die Mutter bis spät in die Nacht allein saß. Sie ging in fieberischer Beängstigung auf und ab, öffnete von Zeit zu Zeit die Tür, blickte forschend in die finstere und verödete Straße hinaus und kehrte wieder zurück, um sich aber- und abermals getäuscht zu sehen. Wir schauten weiter die geduldige Miene, womit sie die rohen Worte und die Schläge des Trunkenen ertrug; hörten sie still weinen, als ob sie in Schmerzen vergehen wollte, während sie in ihrer einsamen Kammer auf den Knien lag.

Eine lange Zeit war vergangen und eine noch größere Veränderung eingetreten, als der oberwärts hängende Anzug abgelegt worden war. Er hatte einem kräftigen, starken, breitschultrigen Manne angehört, und wir wußten sogleich, was jedermann gewußt haben würde, der nur einen Blick auf den grünen Rock mit breiten Schößen und großen Messingknöpfen geworfen hätte, daß sein ehemaliger Besitzer selten ohne die Begleitung eines Hundes und eines landstreicherischen Taugenichtses, seines eigenen Ebenbildes, ausgegangen war. Die Lasterhaftigkeit des Knaben war mit dem Manne gewachsen, und wir versetzten uns in seine Wohnung – wenn sie diesen Namen verdiente.

Das nackte, erbärmliche Zimmer war ohne Hausgerät, und er hatte mit seinem Weibe und seinen bleichen, hungrigen und abgemagerten Kindern kaum den notdürftigsten Raum darin. Er stieß Verwünschungen über ihre Klagen aus, wankte nach der Trinkstube zurück, aus der er soeben erst heimgekehrt war, die nach Brot schreiende Frau mit einem kranken Kinde ging ihm nach, und die Straße hallte von dem Lärmen wider, als er sie schalt und schlug. Dann zeigte sich unserm inneren Blicke ein Londoner Arbeitshaus, in einer engen, dumpfigen Straße gelegen, angefüllt mit ungesunden Dünsten, widerhallend von tobendem Geschrei; und in einem engen, finstern Gemache lag eine alte sterbende Frau, flehte um Gnade für ihren Sohn, und kein Kind stand ihr zur Seite, ihr Trost zuzusprechen, keine reine Himmelsluft fächelte ihre Stirn. Ein Fremder drückte ihr die nur noch leer und gläsern blickenden Augen zu, und fremde Ohren vernahmen noch die von den weißen, halbgeschlossenen Lippen gemurmelten Worte.

Ein grober Kittel nebst einem abgenutzten baumwollenen Halstuche und anderen Kleidungsstücken der ärmlichsten Art machten den Beschluß. Ein Gefängnis und der Urteilsspruch – Deportation oder der Galgen. Was würde der Mann zu der Zeit darum gegeben haben, der geplagte und anspruchslose, aber zufriedene Laufbursche wieder werden zu können – nur noch eine Woche, einen Tag, eine Stunde, eine Minute leben zu dürfen –, nur so lange, um imstande zu sein, der kalten und bleichen, im Armengrabe verwesenden Gestalt ein Wort der Liebe und Reue zu sagen, ein Wort der Verzeihung von ihr zu hören? Die Kinder verwildert in den Straßen, die Mutter eine verlassene Witwe; jene wie diese von der auf des Vaters und des Gatten Namen ruhenden Schmach schwer betroffen und durch schrecklichste Not den Abgrund hinuntergedrängt, der ihn zu einem langsamen, vielleicht viele Jahre dauernden Tode viele Hundert Meilen vom Heimatlande entfernt geführt hatte. Wir hatten den Faden zum Ende der Geschichte nicht, allein es war leicht zu erraten.

Wir gingen ein paar Schritte weiter, wünschten unseren Gedanken ihre natürlich heitere Färbung wiederzugeben und fingen daher an, mit einer Raschheit und Gewandtheit, die den erfahrensten der in Leder arbeitenden Künstler mit Erstaunen erfüllt haben würde, eingebildeten Füßen lange Reihen von Stiefeln und Schuhen anzuziehen. Besonders ein Paar Stiefel – ein gutmütig-biederes, herzhaftes Stulpenstiefelpaar – erregte unsere teilnehmendste Beachtung, und ehe wir noch ihre Bekanntschaft eine halbe Minute gemacht hatten, hatten wir auch schon einen prächtigen, jovialen, rotwangigen Marktgärtner für sie geschaffen. Nichts hätte besser zusammenpassen können als sie und er. Seine fleischigen Waden quollen über ihren Stulpenrand hinaus, und sie saßen zu eng, als daß er die Strippen hätte hineinstecken können, mit deren Hilfe er sie angezogen hatte; zwischen ihnen und den Kniehosen war eine Handbreit von den Strümpfen zu sehen; die blaue Schürze hatte er um den Leib herum zusammengerollt. Er trug dazu ein rotes Halstuch und einen blauen Rock, und einen weißen, auf die eine Seite des Kopfes gedrückten Hut – und so stand er da mit seinem seligen roten Antlitze und lächelnd breitgezogenen Munde, und pfiff abwechselnd so vergnügt, als ob er gar keine Vorstellung davon habe, daß ein Mensch unglücklich oder mißvergnügt sein könnte.

Er war ein Mann so recht nach unserm Herzen – wir kannten ihn auf das genaueste – hatten ihn viele hundert Male in seinem grünen Einspänner mit dem wohlgenährten kleinen Pferde nach Covent-Garden auf den Markt fahren sehen; und während wir noch zärtlich nach seinen Stiefeln hinblickten, hüpften plötzlich die Füße eines gefallsüchtigen Dienstmädchens in ein Paar wollseidene Schuhe hinein, die dicht neben ihnen standen, und wir erkannten in dem Mädchen sogleich die junge Schöne, die, als wir uns am vorigen Dienstagmorgen von Richmond zur Stadt begaben, diesseits der Hammersmith-Hängebrücke sein Erbieten annahm, sie ein wenig mitfahren zu lassen.

Ein sehr geputztes Frauenzimmer mit einem prachtvollen Hut schlüpfte in ein Paar graue Tuchstiefel mit schwarzen Fransen und Schnüren hinein und zeigte große Begier, die Aufmerksamkeit der Stulpenstiefel zu erregen; allein unser Freund, der Marktgärtner, zeigte sich allen ihren kleinen Koketterien unzugänglich, denn zuerst blinzelte er nur listig, als ob er sagen wollte, daß er ihre Zwecke und Absichten sehr wohl durchschaue, und bald beachtete er sie gar nicht mehr. Seine Gleichgültigkeit wurde indes durch die ausnehmende Galanterie eines, einen silberknaufigen Handstock tragenden, sehr alten Herrn aufgewogen, der in ein Paar große, in einer Ecke stehenden Leistenschuhe trat und durch vielfache Gebärden der Dame in den Zeugstiefeln seine Bewunderung ausdrückte, und zwar zur maßlosen Belustigung eines jungen Menschen, den wir in Gedanken in ein Paar hochfersige Tanzschuhe gesteckt hatten.

Wir hatten dieser kleinen Pantomime eine Zeitlang mit lebhaftem Vergnügen zugeschaut, als wir zu unserm unaussprechlichen Erstaunen gewahrten, daß sämtliche von uns beschuhten Individuen – ein zahlreiches Ballettkorps von Stiefeln und Schuhen im Hintergrund, die wir eiligst mit Füßen versehen hatten, mit eingeschlossen – zum Tanz antraten und auch ohne Verzug den Anfang machten, da in demselben Augenblick eine Musikbande zu spielen begann. Wahrhaft zum Entzücken war die Behendigkeit des Marktgärtners anzusehen. Die Stulpenstiefel machten alle Touren und Pas auf das kunstgerechteste und unermüdlichste durch und schienen trotzdem nicht im mindesten an Ermüdung zu leiden.

Die Wollseidenen blieben ihrerseits keineswegs zurück. Sie hüpften und sprangen nach allen Richtungen umher; und obwohl sie weder so kunstgerecht noch taktmäßig tanzten als die Zeugstiefel, so schien es ihnen dafür desto mehr vom Herzen zu gehen und eine ungemischtere Lust zu gewähren; und wir bekennen daher aufrichtig, daß wir ihnen als Tänzern den Vorzug gaben. Der Unterhaltendste von allen war aber der sehr alte Herr in den Leistenschuhen; denn abgesehen von seinem grotesken Bestreben, jung und verliebt zu erscheinen, das an sich selbst schon belustigend genug war, wußte es der junge Mensch in den Tanzschuhen geschickt immer so einzurichten, daß er, sooft der alte Herr vortrat, um sich vor den Zeugstiefeln zu verbeugen, mit seinem ganzen Gewichte dem alten Knaben auf die Zehen trat, worauf denn der letztere jedesmal vor Schmerz laut aufschrie und alle übrigen sich vor Lachen ausschütten wollten.

Mitten in unserm seligen Genusse drang eine kreischende, nichts weniger als musikalische Stimme an unser Ohr. »Hoffe, daß Er mich ein ander Mal wiedererkennen wird, Er unverschämtes Rhinozeros!« Als wir scharf vor uns hinblickten, um zu sehen, wer diese Worte gesprochen hätte, wurden wir inne, daß es nicht von Seiten der jungen Dame in den Zeugstiefeln geschehen war, wie wir zuerst anzunehmen geneigt gewesen, sondern von einer sehr großen, ältlichen Frau, die auf einem Stuhle an der Kellertreppe offenbar zu dem Zwecke saß, den Verkauf der neben ihr ausgestellten Handelsartikel zu leiten.

Eine Drehorgel, die dicht hinter uns musiziert hatte, verstummte, und flugs verschwanden die sämtlichen Leute, deren Füße wir in die Stiefel und Schuhe hineingezaubert hatten: Wir erkannten, daß wir in unsern tiefen Gedanken, vielleicht ohne es zu wissen, die alte Dame eine halbe Stunde lang ungewöhnlich angestarrt haben könnten, machten uns daher gleichfalls auf und davon und waren bald im tiefsten Dunkel der anstoßenden »Dials« verschwunden.

Die Mietskutschenstände


Die Mietskutschenstände

Wir behaupten, daß die Mietskutschen – im eigentlichen Sinne – der Hauptstadt allein eigentümlich sind. Man wird uns einwenden, es gebe auch in Edinburgh, Liverpool, Manchester und anderen großen Städten Mietskutschenstände. Wir gestehen den genannten Städten gern den Besitz gewisser Fuhrwerke zu, die fast ebenso unsauber aussehen und sich fast ebenso langsam von der Stelle bewegen mögen als die Londoner Mietskutschen: stellen aber mit Unwillen in Abrede, daß sie auch nur den mindesten Anspruch erheben können, sich mit den Londonern in Beziehung auf Stände, Kutschen oder Pferde zu vergleichen.

Betrachten wir eine gewöhnliche, rumpelkastige und baufällige Londoner Mietskutsche von der alten Art: Wer möchte dann wohl so kühn sein wollen, zu behaupten, daß er jemals auf der ganzen Erde ein Ding gesehen habe, das ihr irgendwie geglichen hätte – es müßte denn sein, eine andere Mietskutsche vom selben Datum. Wir haben seit neuestem auf gewissen Ständen – und sagen es mit tiefem Kummer – Halbchaisen und Kutschen, grün- oder gelblackiert, und zwar nicht übel – mit vier Rädern von derselben Farbe wie die Kästen gesehen, da es doch jedermann, der dem Gegenstande seine Aufmerksamkeit geschenkt hat, zur Genüge bekannt ist, daß jedes Rad von verschiedener Farbe und Größe sein sollte. Dies sind Neuerungen und, gleich anderen, die man mißbräuchlich Verbesserung nennt, bedenkliche Zeichen der gegenwärtigen Unruhe in den Meinungen und Gesinnungen der Nation und der geringen Achtung, die derzeit unsern, durch ihr Alter geheiligten öffentlichen Einrichtungen gezollt wird. Warum sollen Mietskutschen reinlich sein? Unsere Vorfahren fanden und ließen sie schmutzig. Warum sollen wir, von dem fiebrischen Wunsche fortwährender »Bewegung« getrieben, mit einer Schnelligkeit von sechs Meilen die Stunde durch die Straßen rollen, während sie zufrieden waren, wenn sie sich vier Meilen die Stunde über das Pflaster rumpeln ließen? Dies sind ernstliche Erwägungen. Die Mietskutschen sind ein Teil und Zubehör der Landesgesetze – sie wurden durch die Gesetzgebung eingeführt und durch die Weisheit des Parlaments beschildert und numeriert.

Warum sind sie denn aber von Kabrioletts und Omnibussen in den Hintergrund gedrängt worden? Oder aber, warum gestattet man den Leuten, rasch zu fahren für achtzehn Pence die Meile, nachdem das Parlament feierlich beschlossen hatte, daß sie langsam fahren und einen Schilling dafür bezahlen sollten? Wir halten inne und warten auf eine Antwort – und fangen einen neuen Abschnitt an, da wir keine Hoffnung haben, eine Antwort darauf zu bekommen.

Unsere Bekanntschaft mit den Mietskutschenständen rührt aus alter Zeit her. Wir sind ein umherwandelndes Kursbuch und fühlen uns gleichsam eingebunden und aufgeschnitten, um stets bereit zu sein, Auskunft über strittige Punkte zu geben. Wir kennen alle Aufwärter der Mietskutschenstände innerhalb drei Meilen von Covent-Garden von Person und würden versucht sein zu glauben, daß sämtliche Mietskutschenpferde dieses Bezirks uns gleichfalls von Person kennten, wenn die Hälfte von ihnen nicht blind wäre. Wir nehmen ein großes Interesse an den Mietskutschen, fahren aber selten in einer, da wir sonderbarerweise, wenn wir es tun, fast immer umwerfen. Wir sind ebenso große Freunde von Mietskutschen- wie anderen Pferden, als Mr. Martin von der Äpfelhändlerberühmtheit,18 und reiten desungeachtet nie. Wir halten uns kein anderes als nur ein Steckenpferd – vertrauen uns nicht gern dem Rücken eines Rosses an, sondern halten uns dafür lieber an einen Rehrücken – und folgen lieber unsern eigenen Neigungen – als einem gehetzten Fuchse. Wir überlassen diese Mittel, geschwinder über die Erde fortzukommen oder auch auf sie niedergeworfen zu werden, denen, die Gefallen daran finden, und nehmen unsern Stand bei den Mietskutschenständen – oder sitzen ihnen vielmehr lieber in behaglicher Ruhe gegenüber. Ein solcher Kutschenstand befindet sich gerade unter dem Fenster, an dem wir schreiben, und sämtliche Mietskutschen sind gerade fort, eine einzige ausgenommen, die aber für ein wahres Muster aller übrigen gelten kann. Sie ist ein großer viereckiger Kasten, schmutziggelb (wie eine gallsüchtige Brünette), mit sehr kleinen Glasscheiben, aber sehr großen Fensterrahmen. Die Schläge sind mit einem verblichenen Wappenschilde verziert, das ziemlich wie eine sezierte Fledermaus aussieht; die Achse ist rot und die meisten Räder sind grün. Der Bock ist teilweise von einem alten Reiserock, einer Sammlung von Mantelkragen – und einem wunderbar aussehenden Behang verhüllt; und das Stroh, womit das Kanevaskissen ausgestopft ist, guckt an mehreren Stellen hervor, gleichsam als wenn es mit dem Heu rivalisieren wollte, das aus den Ritzen des Kutscherkastens hervordringt. Die Pferde stehen mit niederhängenden Köpfen und mit den dünnen und zottigen Mähnen und Schweifen eines Schaukelpferdes geduldig auf ein wenig feuchtem Stroh, fahren zuckend zusammen und schütteln das Geschirr; und von Zeit zu Zeit hebt eins die Schnauze zum Ohre des andern empor, als wenn es ihm zuflüstern wollte, es möchte den Kutscher wohl meucheln. Der Kutscher selbst sitzt bei einem Gläschen, und der Kutschstandwärter exerziert ein sehr kunstvolles Manöver, indem er vor dem Brunnen, die Hände in den Taschen, so tief sie haben hineingehen wollen, unermüdlich den rechten und linken Fuß (um sie sich warm zu erhalten) abwechselnd und mit Energie hebt und senkt, als ob er immer fortzueilen dächte, doch stets auf derselben Stelle bleibt.

Auf einmal öffnet das Hausmädchen mit den rosa Bändern in Nr. 5 gegenüber die Haustür, und vier kleine Kinder stürzen heraus und schreien was sie können: »Kutsche, Kutsche!« Der Wärter schießt nach den Pferden hin, faßt die Zäume und zieht daran sie und auch die Mietskutsche, dabei fortwährend nach dem Kutscher rufend, vor das Haus. Der Kutscher antwortet aus dem Schenkstübchen, die Straße hallt nach einiger Zeit vom Geklapper der Holzsohlen des Herbeilaufenden wider, und er und der Wärter vereinigen ihre umständlichen Anstrengungen, um endlich zu erreichen, daß die Kutsche gerade vor und in gehöriger Entfernung von der Haustür zu stehen kommt, so daß die Kinder ganz außer sich vor Vergnügen sind. Welch ein Getümmel! Die alte Dame, die das Haus während der letzten vier Wochen bewohnt hat, kehrt auf das Land zurück. Eine Schachtel nach der andern wird herausgebracht, und die eine Hälfte der Kutsche ist im Nu mit Gepäck angefüllt: die Kinder sind jedermann im Wege, und das jüngste, das bei dem Versuch, einen Regenschirm zu tragen, auf die Nase gefallen ist, wird blutend und widerstrebend hineingetragen. Die Kinder verschwinden, und es erfolgt eine kurze Pause. Die alte Dame küßt sie ohne Zweifel der Reihe nach ab. Endlich erscheint sie, begleitet von ihrer verheirateten Tochter, sämtlichen Kindern und beiden Hausmägden, denen es unter dem Beistand des Kutschers und Standwärters gelingt, sie glücklich in die Arche hineinzuheben. Man reicht ihr einen Mantel und einen kleinen Korb hinein, der (wir getrauen uns fast darauf zu schwören) ein Fläschchen mit Spirituosen und Butterschnitten mit Fleisch enthält. Der Kutschentritt wird befestigt, der Schlag zugeworfen. »Tom, Golden Cross, Charing Cross«, sagte der Standwärter, die Kinder rufen der Großmutter noch zwanzig Lebewohls zu, die Kutsche rasselt in einer Schnelligkeit von drei Meilen die Stunde über das Pflaster fort, und die Mutter und die Kinder gehen wieder hinein – mit Ausnahme eines kleinen Bösewichts, der von einer der Mägde verfolgt, so schnell ihn seine Füße tragen wollen, die Straße hinunterrennt. Die Magd ist nicht übel damit zufrieden, eine Gelegenheit zu erhalten, ihre Reize sehen zu lassen. Sie bringt den Flüchtling endlich zurück, wirft einige holdselige Blicke herüber nach uns oder dem Bierjungen (wir sind unserer Sache nicht ganz gewiß), verschließt die Tür, und der Kutschenstand ist gänzlich verlassen.

Nicht selten hat uns das innige Behagen höchlich ergötzt, womit eine nach einer Mietskutsche entsendete Ausläuferin im Inneren Platz nahm oder das unsägliche Vergnügen, womit die zum gleichen Zwecke ausgeschickten Knaben den Bock zu erklimmen pflegen. Nie aber hat uns eine Mietskutschengesellschaft mehr belustigt als die, die wir vor einigen Tagen in Tottenham-Court-Road sahen. Es war eine Hochzeitsgesellschaft, und sie kam aus einer der schlechteren Straßen unweit Fitzroy- Square; die Braut in einem dünnen weißen Kleid und mit einem großen, roten Gesicht, die Brautjungfer, ein kleines, kurzes und dickes, munteres, junges Frauenzimmer, natürlich in demselben angemessenen Kostüm, und der Bräutigam und der Bräutigamsführer in blauen Röcken, gelben Westen und weißen Beinkleidern und Handschuhen. An der Ecke der Straße standen sie still und riefen mit unbeschreiblich wichtigen Gebärden nach einer Kutsche. Sobald sie eingestiegen waren, warf die Brautjungfer einen roten Schal, den sie ohne Zweifel absichtlich dazu mitgebracht hatte, nachlässig über die Nummer des Kutschschlags, offenbar um die Vorübergehenden glauben zu machen, daß die Mietskutsche eine Privatequipage sei; und so fuhren sie ab, vollkommen überzeugt, daß die Täuschung gelänge, und ganz ohne Ahnung, daß ein Schild mit einer Nummer, so groß wie die Schiefertafel eines Schulknaben, hinten angebracht war. Einen Schilling die Meile! Die Fahrt war fünf und mehr wert, für sie zum wenigsten.

Welch ein interessantes Buch eine Mietskutsche müßte liefern können, wenn sie einen Kopf hätte und darin so viel bergen könnte als in ihrem Innern! Die Selbstbiographie einer Invalidin ihres Geschlechtes würde sicher nicht weniger unterhaltend sein als die Autobiographie eines invaliden Mietsschriftstellers oder Theaterdichters und dürfte ebensoviel von ihren Reisen um den Pol des Kutschenstands, als die der anderen von ihren Expeditionen nach dem Pole zu berichten haben. Wie viele Geschichten würde sie von den Leuten erzählen können, die sie von einem Orte zum anderen geführt haben und die sich bald in Geschäften, bald des Vergnügens halber in ihr umherkutschieren ließen! Und wie zahllose und verschiedene Leute benutzten sie: das Landmädchen, die Putznärrin, die trunkene Dirne, der unerfahrene Lehrling, der abgefeimte Betrüger, der ehrliche Mann und der durchtriebenste Schurke!

Sprecht mir nur nicht von Kabrioletts! Ja, sie sind schön und gut in eiligen Fällen, wo Hals und Kragen, Leben und Tod daran hängen, wo es gilt, in einer gegebenen Zeit nach Hause oder in die ewigen Hütten befördert zu werden. Doch abgesehen davon, daß ein Kabriolettführer jener würdigen Haltung ermangelt, die den Mietskutscher auszeichnet und ihm ganz eigentümlich ist, so wolle man nicht vergessen, daß ein Kabriolett ein Ding von gestern her und nie etwas Besseres gewesen ist. Ein Mietskabriolett war immer ein Mietskabriolett, vom Anbeginn seiner öffentlichen Laufbahn an; wogegen eine Mietskutsche ein Überrest vormaliger Hochadligkeit – ein Opfer der Mode – ein Mobilarstück einer alt-englischen Familie ist, deren Wappenschild trägt, einst von Dienern in deren Livree eskortiert und vor längerer oder kürzerer Zeit, ihres Schmucks und Glanzes entkleidet, gleich einem geschniegelten, funkelnden, zu seinem Posten nicht mehr jung genug erfundenen Bedienten in die Welt hinausgestoßen wurde – auf tiefere und immer tiefere Stufen der vierrädrigen Erniedrigung hinabsank, und endlich zu einem Still- und Kutschenstande gelangte!

Londoner Vergnügungen und Ergötzlichkeiten


Londoner Vergnügungen und Ergötzlichkeiten

Die Sucht der niedrigeren Klassen, die Manieren und das Tun und Treiben derer nachzuäffen, die vom Glück über sie erhoben sind, ist häufig ein Gegenstand der Besprechung und nicht selten der Klage. Sie ist unter den Klein-Vornehmen – den Möchtegern-Aristokraten – der Mittelklassen ohne Zweifel, und zwar in bedeutendem Maße, vorhanden. Erwerbsleute und Schreiber mit romanlesenden Familien und ästhetischen Töchtern veranstalten Tavernen-Gesellschaften und promenieren in dem schmutzigen »Saal« eines Gasthauses zweiter Klasse nicht minder wohlgefällig auf und ab als die beneideten wenigen, die das Vorrecht besitzen, an jenem exklusiven Sammelplatz der Mode, Vornehmheit und Torheit ihren Glanz und Schimmer zur Schau zu stellen. Emporstrebende junge Damen lesen einen volltönenden, deklamationsreichen Bericht über einen »Wohltätigkeitsbasar in der vornehmen Welt« und werfen sich plötzlich mit Enthusiasmus auf die Wohltätigkeit, träumen sich bewundert und verheiratet, entdecken eine unermeßlich verdiente Anstalt, von der man durch den merkwürdigsten Zufall der Welt nie gehört hat und die dem Verfall entgegengeht in ihrem hinschwindenden Zustand: und sofort wird Thomsons Saal oder Johnsons Kunstgarten gemietet, und die besagten jungen Damen stellen sich aus purer Menschenliebe drei Tage lang von zwölf bis vier Uhr für den geringen Einlaßpreis von einem Schilling pro Kopf zur Schau! Abgesehen von diesen Klassen und einigen anderen schwachen und unbedeutenden Individuen glauben wir indes nicht, daß die erwähnte verächtliche Nachahmungssucht in einem beträchtlichen Maße herrscht. Der verschiedene Charakter der Vergnügungen der verschiedenen Klassen hat uns auf unseren einsamen Wanderungen oft Unterhaltung gewährt, und wir haben ihn zum Vorwurf dieser Skizze in der Hoffnung ausersehen, daß er auch unsere Leser einigermaßen unterhalten werde.

Sofern man von dem eigentlichen Mann der City, der sich um fünf Uhr von Lloyds nach Hackney, Clapton, Stamford-Hill oder wohin sonst nach Hause begibt, sagen kann, daß er außer seinem Mittagessen ein tägliches Vergnügen habe, so ist es sein Garten. Er tut darin niemals etwas mit eigenen Händen, setzt aber trotzdem großen Stolz darein; und denkst du, dich um die jüngste Tochter zu bewerben, so vergiß nicht, über jede Blume und jeden Strauch, der in ihm wächst, in Entzücken zu geraten. Nötigt dich deine Armut an Ausdrücken, einen Unterschied zwischen beiden zu machen, so empfehlen wir dir, seinen Garten mehr zu bewundern als seinen Wein. Durch jenen macht er jeden Morgen einen Gang, ehe er in die City fährt, und ist besonders besorgt darum, daß der Fischteich recht reinlich gehalten wird. Besuchst du ihn an einem Sonntag im Sommer, etwa eine Stunde vor dem Mittagessen, so wirst du ihn in seinem Sessel auf dem Grasplatze hinter dem Hause, mit einem Strohhut auf dem Kopf und dem Zeitungsblatt in der Hand finden und nicht weit entfernt von ihm einen prachtvollen Papagei in einem großen Messingdrahtkäfig erblicken. Du kannst zehn gegen eins darauf wetten, daß die beiden ältesten Mädchen in einem Seitengange lustwandeln, begleitet von einem Paar junger Herrlein, die Sonnenschirme über sie halten – natürlich nur, um sie gegen die Sonnenstrahlen zu schützen –, während die jüngsten Kinder unter Aufsicht ihrer Wärterin unbekümmert um die ganze übrige Welt im Schatten spielen. Wären diese Stunden und Genüsse nicht, so würde es den Anschein haben, als entstände des Vaters Vorliebe für seinen Garten weit mehr aus dem Bewußtsein des Besitzes als aus wirklichem, ihm dadurch bereitetem Vergnügen. Nimmt er dich zum Mittagessen an einem Wochentag mit, so ist er infolge seiner Tagesmühen ziemlich abgespannt und obendrein etwas verdrießlich; ist indessen das Tischtuch abgenommen und hat er drei bis vier Gläser von seinem Lieblingswein getrunken, so lässt er die Fenster des Speisezimmers öffnen (die natürlich in den Garten gehen), wirft ein seidenes Tuch über den Kopf, lehnt sich in seinen Sessel zurück und verbreitet sich mit beträchtlicher Redseligkeit über die Schönheit seines Parks und die Kosten des Unterhalts. Er tut dies, um dir – der du ein junger Freund des Hauses bist – eine gebührende Vorstellung von der Trefflichkeit des Gartens und dem Gelde seines Besitzers beizubringen; und wenn er den Gegenstand erschöpft hat, so schläft er ein.

Es gibt noch andere und ganz verschiedene Klassen von Leuten, deren Erholung und Vergnügen ihr Garten ist. Ein ihr angehörendes Individuum – ein Ehemann – wohnt in geringer Entfernung von der Stadt, in der Hampstead- oder Kilburn- oder irgendeiner anderen Road, deren Häuser klein und nett sind und zierliche Gärtchen hinter dem Hause haben. Er hat mit seiner Frau – die eine ebenso saubere und gedrungene kleine Person ist wie er selbst – stets dasselbe Haus bewohnt, seit er sich vor zwanzig Jahren aus dem Geschäft zurückzog. Sie haben keine Kinder – hatten nur einst einen Knaben, der im fünften Jahre starb. Das Bild des Kindes hängt im Besuchszimmer über dem Kaminsims, und ein kleiner Karren, den es umherschob, wird sorgfältig als Reliquie aufbewahrt.

Bei schönem Wetter ist der alte Herr fast beständig im Garten zu finden, und wenn es regnet, so schaut er stundenlang zum Fenster hinaus. Er hat fortwährend etwas im Garten zu tun, und wir sehen ihn mit sichtlichem Behagen graben, den Rechen oder das Messer führen oder pflanzen. Im Frühjahre streut er ohne Ende Sämereien aus, steckt Holzpflöcke mit Zetteln daneben, die Epitaphien zu ihrem Andenken gleichen; und wahrhaft bewundernswürdig ist die Beharrlichkeit, mit der er abends nach Sonnenuntergang mit einer mächtigen Gießkanne umherläuft. Sein einziges Vergnügen außer dem Garten ist sein Zeitungsblatt, das er tagtäglich von Anfang bis zu Ende durchliest – die interessantesten Nachrichten laut, wenn er mit seiner Frau das Frühstück einnimmt.

Die alte Dame hält ausnehmend viel von Blumen, was die Hyazinthengläser im Fenster des Wohnzimmers und die Geranientöpfe in dem kleinen Hofe vor dem Hause bezeugen. Auch sie ist sehr stolz auf den Garten, und wenn einer der vier Fruchtbäume darin einmal eine größere Stachelbeere als gewöhnlich trägt, so wird diese sorgfältig unter einem Weinglase auf dem Schenktische zur Erbauung der Besucher aufbewahrt, die gebührend davon unterrichtet werden, dass Herr Soundso den Strauch, der sie erzeugt hat, eigenhändig gepflanzt habe. An Sommerabenden, wenn die große Gießkanne ein- bis zweidutzendmal gefüllt und geleert und das alte Paar vollkommen erschöpft ist, sieht man ihn und sie vergnüglich in dem kleinen Pavillon beisammensitzen. Sie freuen sich der friedlichen Stille im Zwielicht und schauen zu, wie sich die Schatten der Nacht immer dichter auf den Garten herabsenken und die farbigsten Blumen mit immer tieferem Grau umhüllen – kein schlechtes Bild der Jahre, die schweigend über sie hingezogen sind und in ihrem Fluge die glänzendsten Farben jugendlicher, längst entschwundener Hoffnungen und Gefühle verwischten. Dies sind ihre einzigen Vergnügungen, und mehr verlangen sie nicht. Sie haben die Möglichkeiten zu einem ruhigen, heiteren und zufriedenen Leben in sich selbst, und beider einziger Wunsch ist, vor dem anderen zu sterben.

Wir haben hier keine Phantasieskizze entworfen. Es lebten wirklich viele alte Leute dieser Art in London, wenn sich ihre Zahl auch vermindert haben und fortwährend im Abnehmen begriffen sein mag. Ob die Richtung, die die weibliche Erziehung in der neuesten Zeit genommen, ob Vergnügungssucht und die Lust an leeren Nichtigkeiten die Frauen mehr oder minder ungeschickt zu der stillen Häuslichkeit gemacht hat, in der sie weit schöner sind als im glänzendsten Gesellschaftssaale: das ist eine Frage, die wir mit wenig Freude erörtern würden. Wir wollen gern hoffen, dass dem nicht so sei.

Wenden wir uns jetzt zu einer anderen Klasse der Londoner Bevölkerung, deren Vergnügungen mit denen der bis jetzt geschilderten so stark als nur möglich kontrastieren – wir meinen die Sonntagsausgänger; und mögen unsere Leser sich vorstellen, sie ständen an unserer Seite in einem der vielbesuchten ländlichen »Teegärten«.

Es ist heute nachmittag eine gewaltige Hitze; mit jedem Augenblicke langen neue Häufchen von Gästen an, und sie gleichen den neubemalten Tischen, die so aussehen, als wenn sie vor Hitze glühten. Welch ein Staub, Geräusch und Getümmel! Männer und Frauen – Knaben und Mädchen – liebende und verheiratete Paare – Kinder auf den Armen und Kinder in Wägelchen – Pfeifen und kleine Seehummern – Zigarren und essbare Herzmuscheln – Tee und Tabak, Herren in Schrecken einjagenden Westen, mit stählernen Uhrketten darüber und mit erstaunlicher Würde (wie der Gentleman im nächsten Verschlag scherzhaft bemerkt, nach dem Sprichwort: »Dicktun ist mein Reichtum, zwei Heller mein Vermögen«) promenieren zu dreien Arm in Arm umher. Junge Damen mit langen, weißen Taschentüchern, so groß wie kleine Tafeltücher, in den Händen, haschen einander auf dem Rasen und auf die munterste und interessanteste Weise, in der Absicht, die Aufmerksamkeit der erwähnten Herren zu erregen. Ehemänner bestellen für die Gegenstände ihrer Fürsorge mit verschwenderischer Rücksichtslosigkeit betreffs der Kosten ganze Flaschen Ingwerbier; besagte Fürsorgegegenstände spülen gewaltige Quantitäten von Seegarnelen und Herzmuscheln mit gleich geringer Rücksicht auf ihre Leibesgesundheit und ihr nachheriges Befinden hinunter; Knaben mit großen, seidenen, auf ihren Scheiteln balancierenden Hüten rauchen Zigarren und bemühen sich, so auszusehen, als ob sie Gefallen daran hätten, und Herren in rosaroten Hemden und blauen Westen bringen bald andere Leute und bald sich selbst mit ihren eigenen Spazierstöcken zu Fall.

Ein Teil ihres Putzes nötigt uns ein Lächeln ab; doch sie sind alle sauber und vergnügt und gutmütig und zur Geselligkeit geneigt. Dort jene beiden mütterlich aussehenden Frauen mit den sehr bunten Schals, die so vertraulich miteinander plaudern und deren viertes Wort immer ein eingeschobenes »Ma’am« ist, machten oder zogen vielmehr ihre Bekanntschaft vor einer Viertelstunde gleichsam mit den Haaren herbei. Sie wurde angeknüpft an den Faden der Bewunderung des Knäbleins der einen – jenem Diminutiv-Männlein dort, das den dreieckigen rosaseidenen Hut mit schwarzen Federn auf dem Kopfe hat. Die beiden auf und ab gehenden und ihr Pfeifchen rauchenden Männer in den blauen Röcken und braunen Beinkleidern sind ihre Ehegatten. Die Gesellschaft in dem Verschlage gegenüber kann so ziemlich als Typus der Mehrzahl der Gäste gelten. Da sind Vater und Mutter und die alte Großmutter, ein junger Mann und ein junges Frauenzimmer und ein etwas ältlicher Mann, der mit dem wohllautenden Ehrentitel »Onkel Bill« angeredet wird und offenbar der Witzbold der Familie ist. Sie haben ein halbes Dutzend Kinder bei sich, ein Umstand, der jedoch nicht hervorgehoben zu werden braucht, da er hier die Regel bildet. Sämtliche Frauen in den Teegärten, die eine Reihe von Jahren verheiratet gewesen sind, müssen zwei- oder dreimal Zwillinge gehabt haben; die starke Kinderbevölkerung lässt sich wirklich auf keine andere Weise erklären.

Bemerkt das unaussprechliche Vergnügen der alten Großmutter über Onkel Bills wundervolles Scherzwort: »Tee für vier und Butterschnitten für vierzig«, und den unmäßigen Heiterkeitsausbruch, der erfolgt, nachdem er dem Aufwärter einen Papierstreifen unter dem Rockkragen angeheftet. Der junge Mann ist offenbar mit Onkel Bills Nichte verlobt, und Onkel Bills Anspielungen: »Vergeßt mich beim Hochzeitsschmause nicht« – »ich werde schon sehen, dass ich ein Stück Kuchen bekomme, Sally« – »ich stehe bei Eurem Nummer eins Gevatter – was gilt die Wette, es ist ein Junge« usf., setzen die jungen Leute ebensosehr in Verlegenheit wie die älteren in Entzücken. Die Großmutter ist vollkommen außer sich vor Lust und Behagen und lacht in einem fort, bis sie ins Husten gerät: und so geht es fort, bis alle ihren Gin-Grog ausgetrunken haben, wovon Onkel Bill nach dem Tee für jeden ein Glas hat bringen lassen, »der bösen Abendluft wegen, und um den Tag komfortabel und nach Gebühr zu beschließen, der in Wahrheit ›etwas warm‹ war, wie das Kind sagte, als es ins Feuer fiel«.

Es wird dunkel, und die Leutchen fangen an aufzubrechen. Das offene Feld zwischen den Teegärten und der Stadt lebt und webt von ihnen. Die Wägelchen werden verdrossen nachgezogen, die Kinder sind müde und unterhalten sich und jedermann durch Schreien, sofern sie nicht den angenehmeren Ausweg ergreifen, einzuschlafen – die Mütter beginnen zu wünschen, daß sie erst wieder zu Hause sein möchten – die Verliebten werden, sentimental und immer sentimentaler, je näher der Trennungsmoment rückt – die Teegärten sehen beim Lichte der zur Bequemlichkeit der Raucher hier und da an Bäumen hängenden Laternen wahrhaft trübselig aus – und die Aufwärter, die während der letzten sechs Stunden unaufhörlich hin und wider gelaufen sind, glauben sich etwas müde zu fühlen, wenn sie ihre Gläser und ihre Einnahme zählen.

Läden und deren Inhaber


Läden und deren Inhaber

Welch unerschöpflichen Stoff für Betrachtungen bieten die Straßen der Hauptstadt! Mit Recht bemitleidete Sterne den Mann, der von Dan nach Berseba reisen und sprechen konnte, es sei alles wüst; noch zehnmal bemitleidenswerter aber ist der, der Hut und Stock nehmen, von Covent-Garden nach dem St.-Pauls-Kirchhof und wieder zurückwandern kann, ohne seiner Wanderung Unterhaltung – wir hätten fast gesagt: Belehrung – zu verdanken. Und doch gibt es so Stumpfsinnige; wir begegnen ihnen tagtäglich. Hohe schwarze Halsbinden und helle Westen, zierliche Spazierstöcke und mißvergnügte Mienen sind die besonderen Merkzeichen ihres Geschlechts. Andere eilen rasch an uns vorüber, sei es, daß sie heute wie gestern und alle Tage ihre Geschäfte verfolgen oder frohsinnig dem Vergnügen nachjagen. Jene aber schlendern achtlos dahin und sehen so heiter und belebt aus wie Polizisten im Dienst. Nichts scheint einen Eindruck bei ihnen hervorzubringen; nichts Geringeres stört ihren Gleichmut, als wenn sie von einem Lastträger niedergerannt oder, von einer Droschke überfahren werden.

Du wirst ihnen an einem schönen Tag in jeder Hauptstraße begegnen; erblickst sie bei ihrem einzigen Lebensgenuß, wenn du abends durch das Fenster in einen Zigarrenladen im Westend hineinschaust, sofern es dir gelingt, einen Blick zwischen den blauen Vorhängen hindurch zu gewinnen, die dem Hineingaffen des Pöbels zu wehren bestimmt sind. Da sind sie zu schauen in der Würde gewaltiger Knebelbärte und ebenso mächtiger Uhrgehänge. Sie ruhen in den nachlässigsten Stellungen oder stolzieren gravitätisch auf und ab oder flüstern süßen Unsinn der jungen geputzten Dame mit den großen Ohrringen in das Ohr, die, in einem Meer von Anbetung und Gaslicht hinter dem Ladentische sitzend, die Bewunderung aller Mägde der Nachbarschaft ist und von allen jungen Putzmacherei-Aspirantinnen innerhalb eines Umkreises von zwei Meilen glühend beneidet wird.

Eine unserer Hauptergötzlichkeiten besteht darin, die Schicksale – Erhebung oder Fall – von Läden zu beobachten. Wir haben uns eine genaue Bekanntschaft mit mehreren in verschiedenen Stadtteilen erworben und besitzen eine gründliche Kenntnis ihrer ganzen Geschichte. Wir könnten sogleich wenigstens zwanzig hersagen, bei denen wir vollkommen gewiß sind, daß sie seit den letzten sechs Jahren keine Steuer bezahlt haben. Sie wechseln spätestens nach je zwei Monaten die Besitzer und haben, wir sind davon überzeugt, in ihrem Umfange sämtliche Zweige des Kleinhandels gesehen.

Unter ihnen ist einer, dessen Geschichte auch die der anderen veranschaulicht und bei dessen Schicksalen wir eine ganz besondere Teilnahme empfanden, da wir das Vergnügen hatten, ihn seit seiner Entstehung gekannt zu haben. Er befindet sich im jenseitigen, dem Surrey-Stadtteile, ein wenig über Marshgate hinaus, und war ursprünglich ein recht artiges, gut aussehendes Privathaus. Der Besitzer geriet in Verlegenheit und das Haus in die Hände der Gläubiger; der Besitzer entlief und das Haus verfiel. Zu dieser Zeit begann unsere Bekanntschaft mit ihm. Der ganze Verputz war heruntergefallen, kein Fenster ohne zerbrochene Scheiben, der Vorplatz teils mit Gras bewachsen und teils eine Lache vom Überlaufen der Wassertonne und diese ohne Deckel, und die Haustür ein wahrhaftes Bild des Elends. Der Hauptzeitvertreib der Kinder der Nachbarschaft hatte darin bestanden, sich in Haufen auf den Türschwellen zu versammeln und, zum großen Behagen der Nächstwohnenden überhaupt und der nervenschwachen Dame gegenüber insbesondere, unaufhörliche Klopfübungen aller Art anzustellen. Es hatte nicht an zahlreichen Beschwerden gefehlt; Becken mit Wasser waren über die Köpfe der kleinen Übeltäter geleert worden – doch ohne Erfolg. Diese Lage der Dinge bewog den Trödler an der Straßenecke, auf die verbindlichste Weise den Klopfer herunterzunehmen und zu verkaufen; und das unglückliche Haus sah trübseliger aus als jemals.

Wir verloren es während einiger Wochen aus den Augen. Wer schildert unser Erstaunen, als wir nach Ablauf dieser Zeit keine Spur seines Daseins mehr fanden? Wir erblickten an seiner Stelle einen stattlichen, der Vollendung sich nähernden Laden, und an den Fenstern riesenhafte Anschläge, die dem Publikum verkündigten, daß jener baldigst eröffnet werden würde mit einer »umfassenden Auswahl von Ellenwaren«. Er wurde eröffnet; der Name des Eigentümers »und Co.« glänzte in goldenen Lettern fast zu blendend, um ihn anschauen zu können. Welche Bänder und Schals! Und zwei so elegante junge Leute hinter dem Ladentische, mit schneeigen Hemdkragen und Halstüchern, wie die Liebhaber in einer Posse! Was den Prinzipal betrifft, so tat er gar nichts, als daß er im Laden umherspazierte, den Damen Stühle reichte und wichtige Gespräche mit dem schönsten der jungen Herren führte, in dem die scharfsinnigsten Nachbarn den »und Co.« vermuteten. Wir sahen dieses alles mit Kummer an; denn eine böse Ahnung erfüllte uns, daß der Laden zugrunde gehen würde – und sie traf ein. Sein Verfall war langsam, aber sicher. Zuerst zeigten sich die »herabgesetzten« und dann die »bedeutend herabgesetzten Preise« in den Fenstern; sodann wurden Flanellstücke mit Ausverkaufspreiszetteln draußen vor die Tür gestellt; hierauf las man auf einem Anschlage, daß das erste Stockwerk ohne Möbel zu vermieten sei. Einer der jungen Herren verschwand gänzlich, der andere vertauschte die weiße mit einer schwarzen Halsbinde, und der Prinzipal vertauschte den Laden mit dem Weinhause. Der Laden wurde unsauber, zerbrochene Fensterscheiben wurden nicht durch neue ersetzt, und die »umfassende Auswahl von Ellenwaren« verschwand ein Stück nach dem andern. Endlich erschien der Wassersteuererheber, um die Leitung abzusperren, und nunmehr verschwand auch der Prinzipal und ließ dem Hauswirte seine Empfehlung und den Hausschlüssel zurück.

Der zweite Inhaber war ein Papier- und Kunsthändler. Der Laden war bescheidener eingerichtet, aber doch noch immer nett; allein, wenn wir vorübergingen, konnten wir uns niemals des Gedankens erwehren, daß es mit dem Geschäfte schlecht und bedenklich stehe. Wir wünschten ihm guten Fortgang, fürchteten aber für den Ausgang. Der Geschäftsinhaber mußte ein Witwer und anderwärts irgendwie angestellt sein, denn er begegnete uns alle Morgen auf dem Wege in die City. Das Geschäft wurde von seiner ältesten Tochter besorgt. Die Arme! Sie bedurfte keines Beistandes. Wir sahen bisweilen im Vorübergehen zwei oder drei Kinder, in Trauer wie sie selbst, in dem kleinen Zimmer hinter dem Laden sitzen; und gingen wir abends vorüber, so war sie stets mit Nähereien für die Geschwister oder mit kleinen eleganten Arbeiten zum Verkauf beschäftigt. Ihr blasses Antlitz sah dann bei der matten Erleuchtung noch trauriger und nachdenklicher aus, und wir dachten oft, wenn jene vornehmen gedankenlosen Frauen, die armen Mädchen wie dieser Kunsthändlerstochter den Markt verderben, das Elend, die bitteren Entbehrungen nur zur Hälfte kennten, denen diese bei ihren ehrenwerten Bemühungen um einen dürftigen Lebensunterhalt unterworfen sind: sie würden vielleicht sogar lieber die Gelegenheiten vorübergehen lassen, ihre Eitelkeit zu befriedigen, und die unweibliche Sucht, sich zur Schau zu stellen, bezähmen,15 als jene Unglücklichen zu einem letzten schrecklichen Rettungsmittel zu drängen, das nur nennen zu hören das Zartgefühl dieser mitleidigen und wohltätigen Frauen auf das äußerste verletzen würde.

Doch wir vergessen den Laden, den wir fortfuhren zu beobachten und der mit jedem Tage die zunehmende Dürftigkeit des Inhabers deutlicher enthüllte. Es ist wahr, die Kinder sahen reinlich aus, allein ihre Kleidung war höchst ärmlich. Für das obere Stockwerk hatte sich, worauf der Kunsthändler doch sicherlich sehr gerechnet hatte, kein Mieter gefunden, und eine langsam zehrende Krankheit machte es der ältesten Tochter unmöglich, ihre Anstrengungen fortzusetzen. Das Vierteljahr ging zu Ende. Der Hausbesitzer hatte durch den Leichtsinn oder die Prunksucht des vorigen Ladeninhabers gelitten und kein Mitleid mit dessen so redlich als mühsam fortstrebendem Nachfolger. Er erwirkte einen Pfändungsbefehl. Als wir eines Morgens vorübergingen, wurde eben das wenige Hab und Gut des unglücklichen Mieters fortgetragen und ein neuer Anschlag verkündete, daß das Haus abermals zu vermieten sei. Wir haben nicht in Erfahrung bringen können, was aus dem Kunsthändler geworden, glauben aber, daß die Tochter allem Erdenleid entronnen ist. Gott sei mit ihr! Wir hoffen, daß wir nicht irren.

Wir waren neugierig, auf welche Stufe der Laden nunmehr hinuntersinken würde – denn daß er sich nicht wieder heben würde, war offenbar genug. Der Anschlag verschwand, und im Innern wurden Veränderungen vorgenommen. Er wurde eröffnet, und wir wunderten uns, daß wir nicht sogleich auf das Rechte geraten hatten. Der – in seinen besten Zeiten nicht eben große – Laden war in zwei, nur durch eine dünne, mit buntem Papier beklebte Bretterwand getrennte Läden verwandelt worden, einen für eine Hutformmacherin, und einen andern für einen Tabakshändler, der zugleich Spazierstöcke führte und Sonntagsblätter verkaufte.

Der Tabakshändler blieb länger im Besitze des Ladens als seine beiden Vorgänger. Er war ein rotgesichtiger, kecker, unverschämter Gesell, gewohnt, die Dinge zu nehmen, wie sie eben lagen, und die beste Miene zum bösesten Spiele zu machen. Er verkaufte so viele Zigarren, als er konnte, und rauchte die übrigen selbst. Er hielt sich in seinem Laden, solange er den Hauswirt beschwichtigen konnte, und als ihm der endlich keine Ruhe mehr ließ, verschloß er kaltblütig die Tür und ging ganz ruhig davon. Von dem Tage an haben die beiden kleinen Ladenhöhlen unzählige Wechsel erfahren. Dem Tabakshändler folgte ein Theaterfriseur, der sein Fenster mit einer großen Auswahl von »Charakteren« und »schrecklichen Kämpfen« verzierte.16 Die Hutformbildnerin machte einem Gewürzkrämer Platz, und der Theaterfriseur einem Schneider. Der besagten Wechsel sind so viele gewesen, daß wir in der letzten Zeit fast nur die eigentümlichen, aber sicheren Anzeichen eines von dürftigen Leuten bewohnten Hauses bemerkt und beachtet haben. Die Ladeninhaber gaben ein Zimmer nach dem andern auf, bis sie sich zuletzt einzig auf das kleine Hinterzimmer beschränkten. An der Haustür war erst eine und dann eine zweite Messingplatte mit der Inschrift: »Mädchenschule« zu sehen, und endlich wurde eine und dann noch eine Glockenschnur angebracht.

Als wir diese nicht zu verkennenden Armutszeichen gewahrten, meinten wir, daß das Haus nunmehr auf der untersten Stufe der Erniedrigung angelangt sei. Wir irrten. Als wir vor einigen Tagen vorübergingen, war im Souterrain ein Milchhandel eingerichtet, und eine jammervoll aussehende Hühnerschar vertrieb sich die Zeit damit, in die Vordertür hinein- und aus der Hintertür wieder hinauszulaufen.

***

Mr. Minns und sein Vetter


Mr. Minns und sein Vetter

Mr. Augustus Minns war ein Hagestolz von ungefähr vierzig Jahren, wie er selbst sagte – von ungefähr achtundvierzig, wie seine Freunde sagten. Er war stets ausnehmend sauber, akkurat, ordentlich, vielleicht etwas pedantisch-eigen, und lebte so zurückgezogen wie immer möglich. Er trug in der Regel einen braunen Rock ohne Falten, helle Beinkleider ohne Flecke, ein hübsches Halstuch mit einer ausgezeichnet artigen Schleife, und führte einen braunseidenen Regenschirm mit einem Elfenbeingriff bei sich. Er war Büroschreiber in Somerset-House, oder »bekleidete«, wie er selbst zu sagen pflegte, »ein Amt bei der Regierung«. Er bezog ein gutes Gehalt, hatte zehntausend Pfund an Vermögen und eine Beletage in Tavistock-Street, Covent-Garden, inne, wo er seit zwanzig Jahren gewohnt, fortwährend mit dem Hauswirte gezankt, ihm regelmäßig am ersten Quartalstage die Miete aufgekündigt und am zweiten die Aufkündigung widerrufen hatte. Zwei Gruppen der Geschöpfe flößten ihm den tiefsten und grenzenlosesten Schauder ein: nämlich Hunde und Kinder. Er war nicht lieblos, würde aber jederzeit mit der lebhaftesten Freude einen Hund hinrichten oder ein Kind erdolchen gesehen haben. Ihre Art war mit seiner Ordnungsliebe im Widerstreit, und die Ordnungsliebe war bei ihm so mächtig wie die Liebe zum Leben. Mr. Augustus Minns hatte keine Anverwandten weder in noch außerhalb Londons, mit Ausnahme seines Vetters Mr. Oktavius Budden, bei dessen Sohn, den er nie gesehen (denn er konnte den Vater nicht leiden), er sich hatte bewegen lassen, durch Stellvertretung Gevatter zu stehen. Mr. Budden hatte sich durch sein Geschäft, den Kornhandel, ein mittelmäßiges Vermögen erworben und (da er von einer großen Vorliebe für das Landleben erfüllt war) ein Häuschen nicht weit von Stamford-Hill gekauft, wohin er sich mit der Frau seines Herzens und seinem einzigen Sohn, Master Alexander Augustus Budden, zurückgezogen hatte. Als Mr. und Mrs. Budden eines Abends diesen ihren Sohn bewunderten, seine mannigfachen Vorzüge erörterten, seine Erziehung besprachen und die Frage erwogen, ob die alten Sprachen in den Kreis seiner Studien gezogen werden sollten, führte Mrs. Budden ihrem Gatten so dringend zu Gemüte, wie angemessen es wäre, ihres Sohns wegen Mr. Minns‘ Freundschaft zu pflegen, daß Mr. Budden zuletzt versprach, es solle seine Schuld nicht sein, wenn er mit seinem Vetter künftig nicht auf einem vertrauteren Fuße stände.

»Ich will das Eis dadurch brechen, daß ich ihn zum Mittagessen auf nächsten Sonntag zu uns einlade«, sagte Mr. Budden, seinen Grog umrührend und seiner Gattin einen Seitenblick zuwerfend, um zu sehen, welche Wirkung die Ankündigung des großen Entschlusses bei ihr hervorbringe.

»Dann schreib ihm auf der Stelle, Mann«, erwiderte Mrs. Budden. »Wer weiß, wenn wir ihn erst einmal hier haben, ob er nicht unsern Alexander liebgewinnt und ihm sein Geld vermacht? Liebster Alick, setz deine Füße nicht auf die Stuhlleisten!«

»Du hast recht, vollkommen recht, liebe Frau«, sagte Mr. Budden nachdenklich.

Als Mr. Minns am folgenden Morgen beim Frühstück saß und abwechselnd einen Bissen von der gerösteten Brotschnitte abbiß und einen Blick in die Morgenzeitung warf, die er stets vom Titel bis zum Namen des Druckers durchlas, hörte er an der Haustür laut klopfen, und bald darauf trat sein Bedienter herein und überreichte ihm eine sehr kleine Karte mit sehr großer Schrift: »Oktavius Budden, Emiliensitz (Mrs. Budden hieß Emilie), Poplar-Walk, Stamford-Hill.«

»Budden!« rief Minns aus. »Was zum Geier mag diesen gewöhnlichen Menschen herführen? Sag, ich schliefe noch – sei ausgegangen und käme nie wieder nach Hause oder was du sonst willst, daß er nur unten bleibt.«

»Der Herr kommt aber schon herauf, Sir«, wendete der Bediente ein und hatte offenbar vollkommen recht, denn auf der Treppe ließ sich ein schreckliches Stiefelknirschen vernehmen, das von einem trappelnden Geräusch begleitet war, dessen Ursache sich Mr. Minns schlechterdings nicht zu erklären vermochte.

»Hm! – führe den Herrn herein«, sagte der unglückliche Hagestolz.

Der Bediente ging, Oktavius kam, und noch vor ihm erschien ein großer, weißer Hund in einem die Hälfte seines Leibes einhüllenden Wollkleid, mit roten Augen, langen Ohren und ohne erkennbaren Schwanz. Die Ursache des Trappelns auf der Treppe war nur zu klar. Mr. Augustus Minns hätte vor Entsetzen zu Boden sinken mögen.

»Guten Morgen, Liebster! Wie befinden Sie sich?« sagte Budden beim Eintreten. »Wie befinden Sie sich?«

Er sprach immer so laut wie er konnte und wiederholte dieselben Worte ein halbes Dutzend mal.

»Wie befinden Sie sich, mein Lieber?«

»Wie befinden Sie sich selbst, Mr. Budden? Setzen Sie sich«, stotterte der noch immer fassungslose Minns.

»Danke schön – danke schön – sehr wohl – wie steht es mit Ihnen?«

»Dank Ihnen – ich befinde mich außerordentlich wohl«, sagte Minns mit einem diabolischen Blick nach dem Hund, der seine Vorderpfoten auf den Tisch gelegt hatte und soeben eine mit Butter bestrichene Brotschnitte vom Teller nahm, um sie auf dem Teppich, die Butterseite nach unten, zu verzehren.

»Ei, du Schelm!« sagte Budden zu seinem Hunde. »Sie sehen, Minns, er macht’s wie ich selber – tut immer, als ob er zu Hause wäre. Wahrhaftig, ich bin grausam heiß und hungrig geworden, denn ich habe den ganzen Weg von Stamford-Hill hierher zu Fuß zurückgelegt.«

»Haben Sie gefrühstückt?« fragte Minns.

»Hm, nein! Ich bin eben gekommen, um bei Ihnen zu frühstücken; also klingeln Sie nur, mein Bester, und lassen Sie noch eine Teeschale und ein paar Stück kalten Schinken bringen. Ich tue immer, als ob ich zu Hause wäre, sehen Sie«, fuhr Budden, seine Schuhe mit einem Tellertuche abstaubend, fort. »Ha – ha – ha – ha – ha! Auf Ehre, ich bin hungrig.«

Minns klingelte und gab sich Mühe, zu lächeln.

»Ich bin bestimmt in meinem ganzen Leben nicht so heiß gewesen«, sprach Oktavius weiter, sich die Stirn abwischend. »Nun aber, wie geht es Ihnen, Minns? Bei meiner Seele, Sie halten sich vorzüglich!«

»Meinen Sie?« sagte Minns und bemühte sich, abermals zu lächeln.

»Auf meine Ehre!«

»Wie befinden sich Mrs. Budden und – wie heißt er doch?«

»Alick – Sie meinen Alick – unsern Sohn. Beide wohl. Alick sehr wohl. Aber in einer Wohnung, wie wir sie in Poplar-Walk haben, könnte er auch nicht krank sein, selbst wenn er wollte. Als ich sie zuerst sah mit dem Garten, der allgemeinen Eleganz, dem messingenen Klopfer, dem grünen Zaun, und was weiter dahin gehört, dachte ich wirklich, sie ginge ein klein wenig über meinen Stand hinaus.«

»Sollte Ihnen der Schinken nicht besser schmecken«, unterbrach Minns, »wenn Sie ein Stück von der anderen Seite abschnitten?« Er sah mit unmöglich zu beschreibenden Gefühlen, daß sein Gast den Schinken allen Regeln zuwider anschnitt oder vielmehr verstümmelte.

»Nein, danke schön«, sagte Budden mit wahrhaft barbarischer Gleichgültigkeit gegen seine Übertretung, »ich schneide ihn lieber so – er ißt sich nicht so faserig. Aber hören Sie, Minns, wann wollen Sie uns besuchen? Ich weiß, es wird Ihnen ganz ausnehmend bei uns gefallen. Ich sprach mit Emilie vor ein paar Abenden von Ihnen, und Emilie sagte – bitte mir noch ein Stück Zucker aus – danke – sagte, ich möchte Sie doch einmal freundschaftlich zu uns bitten – herunter da, Schlingel! – der Bösewicht von Hund verdirbt Ihnen Ihre Vorhänge, Minns – ha-ha-ha!«

Minns sprang empor, als wenn er von einem elektrischen Schlage getroffen wäre. »Hinaus – willst du wohl? – hinaus!« rief der arme Augustus, hielt sich jedoch nichtsdestoweniger in ehrerbietiger Entfernung von dem Hunde, da er noch vor einer halben Stunde in der Zeitung einen Bericht über einen Tollwutanfall gelesen hatte. Nach vieler Mühe, großem Rufen und Geschrei und wiederholtem Unter-die-Tische-Stoßen mit Stock und Regenschirm wurde der Hund endlich genötigt, das Feld zu räumen, worauf er sofort das fürchterlichste Geheul erhob und zugleich so beharrlich die Tür von draußen zerkratzte, daß kaum noch eine Spur von Farbe zurückblieb.

»Der Hund ist großartig für das Land«, bemerkte Budden kaltblütig, während Minns fast von Sinnen war. »An Zwang ist er freilich eben nicht gewöhnt. Doch sagen Sie, Minns, wann wollen Sie kommen? Ich nehme platterdings keine Entschuldigung an. Warten Sie mal – wir haben heute Donnerstag – wollen Sie am Sonntag kommen? Wir essen um fünf Uhr. Nicht wahr, Sie sagen nicht nein?«

Unaufhörlich bestürmt und endlich zur Verzweiflung getrieben, nahm Mr. Augustus Minns die Einladung an und versprach, am nächstfolgenden Sonntage ein Viertel vor fünf Uhr in Poplar-Walk zu erscheinen.

»Verlieren Sie die Adresse nicht«, sagte Budden, »die Kutsche geht vom ›Blumentopf‹ in der Bishopgatestraße jede halbe Stunde ab. Wenn Sie vor dem ›Schwan‹ anhält, werden Sie gerade gegenüber ein weißes Haus bemerken.«

»Ihr Haus – verstehe«, fiel Minns ein, der dem Besuche und zugleich der Geschichte ein Ende zu machen wünschte.

»Nein, nein«, entgegnete Budden, »es ist Grogus, des großen Eisenhändlers Haus. Ich wollte sagen, Sie gehen an dem weißen Hause vorüber, bis Sie keinen Schritt mehr weiter können, sehen dann eine Mauer vor sich, auf der geschrieben steht: ›Man nehme sich vor dem Hunde in acht!‹ – (Minns schauderte) – gehen an ihr etwa eine Viertelmeile entlang, und dann wird Ihnen jedermann meine Wohnung zeigen.«

»Sehr wohl – danke – adieu!«

»Seien Sie pünktlich!«

»Unfehlbar – guten Morgen!«

»Sie haben doch meine Karte?«

»Ja, ja; ich danke Ihnen.«

Mr. Oktavius Budden ging, und sein Vetter sah dem nächstfolgenden Sonntag mit den Gefühlen entgegen, mit denen ein armer Poet den wöchentlichen Besuch seiner schottischen Hauswirtin erwartet. – Der Sonntag kam; der Himmel war hell und klar; die Straßen wimmelten von geputzten Leuten, und alles und jedermann sah heiter aus, Mr. Augustus Minns allein ausgenommen.

Es war ein schöner, aber auch sehr heißer Tag, und nachdem Minns die Fleetstraße, Cheapside und Threadneedlestraße auf der Schattenseite mühsam durchwandert hatte, war er erklecklich warm und staubig geworden, und obendrein wurde es spät. Indes hielt eben, als er anlangte, zum außerordentlich großen Glück eine Kutsche vor dem »Blumentopf«, und Mr. Augustus Minns stieg sogleich ein, da ihm der Cad die feierliche Versicherung gab, daß sie in drei Minuten abfahren würde, denn dies sei die längste Zeit, die sie kraft betreffender Parlamentsakte warten dürfe. Es verging eine Viertelstunde, und noch immer war kein Zeichen bevorstehender Abfahrt zu erblicken. Minns sah zum sechsten Male auf seine Uhr.

»Kutscher, werden Sie abfahren oder nicht?« rief er aus dem Kutschenfenster hinaus.

»Sogleich, Sir«, rief der Kutscher zurück, der die Hände in die Taschen gesenkt hatte und einem Manne, der Eile hat, so wenig wie möglich ähnlich sah.

»Bill, nimm die Decken herunter!«

Nach abermaligen fünf Minuten stieg der Kutscher auf den Bock, schaute die Straße hinauf und herunter und rief noch fünf Minuten alle Fußgänger an.

»Kutscher, wenn Sie nicht im Augenblick abfahren, so werde ich wieder aussteigen«, sagte Mr. Minns, der nunmehr in Verzweiflung geriet, weil er die Unmöglichkeit erkannte, zur bestimmten Zeit nach Poplar-Walk zu gelangen.

»In der Minute, Sir«, lautete die Antwort, und die Maschine setzte sich wirklich in Bewegung, rumpelte einige hundert Schritte über das Pflaster hin und – hielt abermals still. Minns drückte sich in eine Ecke und überließ sich den schwärzesten Gedanken – als er ein Kind, eine Mutter, eine Schachtel und einen Sonnenschirm zu Reisegefährten erhielt. Das liebe Kind war von der zutunlichen und zärtlichen Art, hielt Minns irrtümlich für seinen Vater, schrie und wollte ihn umarmen.

»Sei still«, sagte die Mutter, ihren kleinen Liebling zurückhaltend, der mit seinen fetten Beinchen vor Ungeduld umherstrampelte und die wunderbarsten Verschlingungen machte. »Sei still, das ist dein Papa nicht.«

»Dem Himmel sei Dank«, dachte Minns, und der erste Freudestrahl an diesem Tage durchblitzte gleich einem Meteor das Dunkel seines Elends.

Bei dem Knäblein vermischte sich anmutig Freude am Scherz mit Zärtlichkeit. Als es sich überzeugt hatte, daß Minns sein Vater nicht war, machte es den Versuch, die Aufmerksamkeit des Herrn dadurch auf sich zu lenken, daß es dessen saubere Beinkleider mit seinen schmutzigen Schuhen rieb; ihn mit Mamas Sonnenschirm vor die Brust stieß und andere kleine, der Kindheit eigentümliche Liebkosungen vornahm, womit es sich die Langeweile der Fahrt (lediglich zu seiner eignen großen Belustigung) vertrieb.

Als der unglückliche Minns vor dem »Schwan« anlangte, ersah er zu seinem großen Schrecken, daß es ein Viertel nach fünf Uhr vorüber war. Er eilte an dem weißen Hause und der Mauer mit der ominösen Inschrift so rasch vorüber, wie es bei Herren von einem gewissen Alter, wenn sie zu spät zum Mittagessen kommen, nicht ungewöhnlich ist. Nach wenigen Minuten erblickte er ein gelbes Backsteinhaus mit grüner Tür, Messingklopfer, grünen Jalousien und grünem Zaun und einem »Garten« davor, das will sagen, einem offenen Platz mit einem runden und zwei schiefdreieckigen Beeten, auf denen ein Tannenbäumchen, ein paar Dutzend Zwiebelgewächse und eine unbegrenzte Anzahl von Ringelblumen standen. Mr. und Mrs. Buddens Geschmack offenbarte sich ferner durch zwei an der Haustür einander gegenüber auf Steinhaufen und Muscheln sitzende Cupidos. Auf Minns‘ Klopfen erschien ein kleiner und dicker Knabe in brauner Livree, baumwollenen Strümpfen und kurzen Stiefeln, hängte des Besuchers Hut an einen der den Flur, höflich »Halle« genannt, zierenden Messinghaken auf und führte Minns in das Besuchszimmer, das von einer sehr weiten Aussicht auf die Hinterhäuser der Nachbarn beherrscht wurde. Nachdem die Vorstellungsfeierlichkeit vorüber war, nahm Minns mit nicht geringer Unbehaglichkeit Platz, denn einmal war er der zuletzt Gekommene, und sodann fühlte er, daß er etwa von einem Dutzend Leute, die in einem kleinen Zimmer beisammensaßen und nicht wußten, wie sie die Zeit vor dem Mittagessen – die langweiligste von allen Zeiten – hinbringen sollten, wie ein Wundertier betrachtet wurde.

»Nun, Brogson«, redete Budden einen ältlichen Herrn in einem schwarzen Rock, kurzen Beinkleidern und langen Gamaschen an, der sich den Anschein gegeben hatte, die Bilder in einem Taschenbuch zu besehen, in der Tat aber beschäftigt gewesen war, über die Blätter hinüber Minns zu mustern; »nun, Brogson, was denken die Minister zu tun? Werden sie abtreten oder was sonst?«

»Hm –wirklich – Sie wissen, ich bin der letzte, an den man sich wenden muß, um Neuigkeiten zu erfahren; Ihr Herr Vetter wird die Frage seiner Stellung nach am ehesten beantworten können.«

Minns versicherte, daß er, obwohl er ein Amt bei der Regierung bekleide, keine offiziellen Mitteilungen in betreff der Absichten der Minister Ihrer Majestät erhalten habe. Seine Entgegnung wurde offenbar ungläubig aufgenommen, es entstand eine lange Pause, und die Gesellschaft suchte diese durch Husten und Räuspern auszufüllen, bis Mrs. Buddens Eintreten veranlaßte, daß man sich allgemein erhob. Bald darauf wurde gemeldet, daß angerichtet sei, man begab sich hinunter, und Minns führte Mrs. Budden bis vor die Tür des Besuchszimmers, jedoch nicht weiter, da die Treppe so schmal war, daß seine fernere Galanterie dadurch unmöglich gemacht wurde. Beim Essen ging es wie gewöhnlich zu. Von Zeit zu Zeit vernahm man unter dem Geklapper der Messer und Gabeln und dem Unterhaltungsgesumme die Stimme Mr. Buddens, wenn er jemand aufforderte, Wein mit ihm zu trinken, und dem Gast versicherte, erfreut zu sein, ihn bei sich zu sehen; auch war ein fortwährendes Parlamentieren zwischen Mrs. Budden und den Aufwärtern bemerkbar, wobei das Antlitz der Dame alle Wetterglasveränderungen und Stadien von »Sturm« bis zum »schönen Wetter« und »sehr trocken« durchlief.

Als der Nachtisch und der Wein auftragen worden waren, holte der Bediente, einem bedeutsamen Blick Mrs. Buddens gehorsam, Master Alexander in einem himmelblauen Habit mit silbernen Knöpfen und mit fast ebenso weißem Haar herunter. Nachdem Master Alexander einige Lobsprüche von der Mama und einige Ermahnungen zu artiger Aufführung vom Papa erhalten hatte, wurde er seinem Taufpaten vorgestellt.

»Nun, Kleiner, du bist ein hübscher Knabe, nicht wahr?« sagte Minns so vergnügt wie eine Meise auf einer Leimrute.

»Ja.«

»Wie alt bist du denn?«

»Nächsten Mittwoch acht Jahr. Wie alt bist du denn?«

»Alexander«, fiel die Mutter ein, »wie kannst du so dreist sein, Mr. Minns nach seinem Alter zu fragen?«

»Er fragte mich aber, wie alt ich sei«, sagte der frühreife liebe Knabe, dem Minns nie einen Schilling zu vermachen von dem Augenblick an innerlich fest beschloß.

Es entstand ein ziemlich allgemeines Gekichere, und als es wieder aufgehört hatte, rief ein kleiner, stets lächelnder Mann mit rotem Knebelbart, der unten am Tische saß und während des ganzen Diners bemüht gewesen war, einige Anekdoten von Sheridan an den Mann zu bringen, sehr im Gönnertone dem Knäblein zu: »Alick, was für ein Redeteil ist sein»?«

»Ein Zeitwort.«

»So war es recht mein Junge«, sagte Mrs. Budden mit dem ganzen Stolze einer Mutter. »Du weißt doch aber auch, was ein Zeitwort ist?«

»Ein Zeitwort ist ein Wort, das etwas sein, tun oder leiden bedeutet, wie: ich bin – ich regiere – ich werde regiert. Gib mir einen Apfel, Mama!«

»Ich will dir einen Apfel geben«, rief ihm der Rotbart zu, der als Hausfreund zum Familienkreis gehörte oder, mit andern Worten, von Mrs. Budden stets eingeladen wurde, gleichviel ob es Mr. Budden genehm war oder nicht; »ich will dir einen Apfel geben, wenn du mir die Bedeutung von ›sein‹ sagst.«

»Nein«, entgegnete das Knäblein sehr ungebärdig, »ich will einen Apfel haben von Mama, und du kannst deinen Apfel behalten; und Papa hat gesagt, du wärst –«

»Meine Herren«, rief Mr. Budden mit Stentorstimme und sichtbarer Unruhe, »darf ich Sie bitten, die Gläser zu füllen? Ich habe eine Gesundheit vorzuschlagen.«

Die Herren riefen: »Hört, hört« und ließen die Flaschen herumgehen, worauf Mr. Budden fortfuhr:

»Meine Herren, es befindet sich ein Mann in unserer Mitte –«

»Hört, hört!« rief der kleine Rotbart dazwischen.

»Bitte seien Sie still, Jones«, sagte Budden und fuhr fort wie folgt: »Es befindet sich ein Mann in unserer Mitte, dessen Anwesenheit ohne Zweifel zu unserer höchsten Freude gereichen und – und – und dessen interessante Unterhaltung uns allen das lebhafteste Vergnügen verschafft haben muß.« (»Dem Himmel sei Dank, er kann mich nicht meinen!« dachte Minns, der, seit er das Haus betreten, keine zehn Worte gesprochen hatte.) »Meine Herren, ich selbst darf keine Ansprüche machen und sollte mich vielleicht entschuldigen, daß ich mich durch meine Freundschaft und Zuneigung für den Verehrten, den ich im Sinne habe, bewegen ließ, mich zu erheben und seine Gesundheit – die Gesundheit eines Mannes vorzuschlagen, der, wie ich weiß – ich wollte sagen, dessen Tugenden ihn allen denen teuer machen müssen, die ihn kennen – und dem niemand gram sein kann, der ihn nicht kennt.« »Hört, hört!« rief die Gesellschaft ermutigend und beistimmend.

»Meine Herren«, sprach Budden weiter, »mein Vetter ist ein Mann, der – der mein Anverwandter ist –« (Hört, hört! Minns stöhnte hörbar), »den ich mich glücklich schätze, hier zu sehen, und der uns, wenn er nicht hier wäre, sicher des großen Vergnügens beraubt haben würde, das wir alle an seiner Gegenwart empfinden. (Lautes und vielfaches Hört!) Meine Herren, ich fühle, daß ich Ihre Aufmerksamkeit schon gar zu lange in Anspruch genommen habe, und erlaube mir, mit den Gefühlen – den lebhaftesten Gefühlen des – des – des –«

»Vergnügens«, half der Hausfreund ein.

»Des Vergnügens, Ihnen Mr. Minns Gesundheit vorzuschlagen.«

»Stehend, meine Herren«, rief der unermüdliche kleine Rotbart, »und mit allen Honneurs. Haben Sie die Güte, sich nach mir zu richten.«

Er schrie vor und die Gesellschaft schrie nach, und aller Blicke waren auf Minns gerichtet, der seine Verwirrung dadurch zu verbergen suchte, daß er auf die augenscheinliche Gefahr, zu ersticken, Portwein hinuntergoß. Nach einer Pause, die so lang war, wie der Anstand sie zuließ, erhob er sich; allein, wie es in den Zeitungsberichten heißt, »wir bedauern, gänzlich außerstande zu sein, den Inhalt der Rede des ehrenwerten Herrn wiederzugeben«. Die Worte: »anwesende Gesellschaft – Ehre – vorkommende Veranlassung« und »ausnehmendes Vergnügen«, die man verstand und die er von Zeit zu Zeit mit einem Gesicht wiederholte, das ebensoviel Verlegenheit als tiefempfundenen Jammer ausdrückte, gaben den Herrschaften die Überzeugung, daß er vortrefflich rede, und sie zollten ihm daher, als er sich wieder setzte, stürmischen Beifall, worauf Jones, der schon lange seine Gelegenheit erwartete, emporschoß.

»Budden«, sagte er, »erlauben Sie mir, auch eine Gesundheit vorzuschlagen?«

»Versteht sich«, erwiderte Budden und rief Minns mit leiser Stimme über den Tisch hinüber zu: »Ein verflucht gescheites Männchen – seine Rede wird Ihnen ausnehmend gefallen. Er spricht über alle Gegenstände gleich gut.« Minns verbeugte sich, und Mr. Jones hub an:

»Es ist bei mehreren Gelegenheiten, in verschiedenen Fällen, unter mannigfachen Umständen und in Gesellschaften aller Art mir zugefallen, denen eine Gesundheit vorzuschlagen, in deren Mitte ich mich eben zu befinden die Ehre hatte. Ich bekenne es gern – denn warum sollte ich es verhehlen? –, daß ich bisweilen fühlte, wie überwältigend meine Aufgabe und wie wenig ich ihr gewachsen war. Ist dies nun aber bei anderen Gelegenheiten der Fall gewesen, in welchem Maße muß es unter den außerordentlichen Umständen der Fall sein, in denen ich mich hier sehe! (Hört, hört!) Meine Gefühle ganz zu schildern würde unmöglich sein, aber ich kann Ihnen keine bessere Vorstellung davon geben als dadurch, daß ich mich auf einen Umstand beziehe, der mir sonderbar genug eben jetzt in den Sinn kommt. Einst, als der wahrhaft große Sheridan –«

Man kann nicht sagen, welche neue Spitzbüberei dem so sehr mißhandelten Sheridan in der Form eines Scherzes aufgebürdet werden sollte; denn in dem verhängnisvollen Augenblick stürzte einer der Aufwärter atemlos herein, um anzukündigen, daß es stark regne und daß der Neun-Uhr-Kutscher unten stände, um sich zu erkundigen, ob jemand mit zur Stadt zu fahren wünsche, für den er noch einen Innenplatz habe.

Minns sprang auf und ließ sich durch die zahllosesten Vorstellungen, Bitten und Verwunderungsbezeigungen von seinem Entschlusse nicht abbringen, den vakanten Platz anzunehmen. Indes war der braunseidene Regenschirm nirgends zu finden, und der Kutscher wollte nicht warten, sondern ließ Mr. Minns sagen, er möge nur nach dem »Schwan« kommen, von wo er ihn mitnehmen wollte. Minns entsann sich erst nach zehn Minuten, daß er den Regenschirm in der anderen Kutsche hatte stehenlassen, und gehörte außerdem keineswegs zu den Geschwindesten; es war demnach gar kein Wunder, daß er im »Schwan« erst anlangte, als die Kutsche – die letzte – bereits abgefahren war.

Es mochte drei Uhr nach Mitternacht sein, als er durchnäßt und durchkältet, verdrießlich und erschöpft an seiner Haustür klopfte. Er machte am andern Morgen sein Testament, und sein Anwalt hat uns im strengsten Vertrauen, worin auch wir den Lesern die Mitteilung machen, gesagt, daß darin weder der Name von Mr. Oktavius noch der von Mrs. Emilie oder der von Master Alexander Budden vorkäme.

Empfindsamkeit


Empfindsamkeit

Die beiden Misses Crumpton in Minerva-House, Hammersmith, waren zwei ungewöhnlich große, außerordentlich schmächtige und besonders magere Damen – von sehr gerader Haltung und sehr gelbem Teint. Miss Amalia Crumpton bekannte sich zu achtunddreißig, und Miss Maria Crumpton räumte ein, daß sie vierzig Jahre alt sei – ein Geständnis, das durch den Augenschein vollkommen überflüssig wurde, nach dem sie ohne alle Frage fünfzig zählte. Sie kleideten sich auf das Interessanteste – wie Zwillinge – und sahen so vergnügt und erfreulich aus wie ein Paar in Samen geschossene Ringelblumen. Sie waren sehr förmlich, hatten die denkbar strengsten Vorstellungen von Schicklichkeit, sie trugen falsches Haar und dufteten stets sehr stark nach Lavendel.

Minerva-House, das unter der Leitung der beiden Schwestern stand, war eine sogenannte »Vollendungspension für junge Damen«, in der einige zwanzig Mädchen von dreizehn bis neunzehn einige Brocken von allem und Kenntnis von nichts erhielten: Unterricht im Französischen und Italienischen, Tanzstunden zweimal wöchentlich und andere Notwendigkeiten des Lebens. Das Haus war weiß, stand etwas entfernt von der Straße, und der Garten zwischen ihr und jenem hatte ein dichtes Gitter. Die Schlafzimmerfenster standen fortwährend teilweise offen, um den Vorübergehenden einen flüchtigen Blick auf die Menge der kleinen Bettgestelle mit sehr weißen Dimityüberzügen zu gestatten; und im Erdgeschoß befand sich ein Zimmer, behangen mit stark kolorierten Karten, die nie angesehen, und gefüllt mit Büchern, die von niemand gelesen wurden: ein Zimmer, sagen wir, ausschließlich bestimmt, um darin die Eltern zu empfangen, die sich zu den Misses Crumpton verfügten.

»Liebe Amalia«, sagte Miss Maria Crumpton, als sie eines Morgens mit gewickeltem Haar – denn sie wickelte es bisweilen, um die jungen Damen zu überzeugen, daß es natürliches sei – in das Unterrichtszimmer trat: »Liebe Amalia, ich habe soeben eine höchst erfreuliche Zuschrift erhalten. Du kannst sie dreist laut lesen.«

Miss Amalia las sogleich mit großem Triumphe wie folgt:

»Indem ich mich Ihnen empfehle, erlaube ich mir zu sagen, daß ich sehr dankbar dafür sein würde, wenn Sie mich morgen um ein Uhr mit Ihrem Besuche beehren wollten, da ich recht sehr wünsche, mein Vorhaben mit Ihnen zu besprechen, meine Tochter Ihrer Leitung zu übergeben.

Cornelius Brook Dingwall, Esq., Adelphi. Parlamentsmitglied.«

»Also morgen.«

»Die Tochter eines Parlamentsmitglieds!« rief Miss Amalia im Tone der Ekstase aus.

»Die Tochter eines Parlamentsmitglieds!« wiederholte Miss Maria mit einem verzückten Lächeln, das natürlich bei den sämtlichen jungen Damen ein Gekicher des Vergnügens hervorrief.

»Es ist überaus erfreulich!« sagte Miss Amalia, worauf die jungen Damen abermals Bewunderung murmelten. Höflinge sind nur Schulkinder mit fünfzig multipliziert.

Das Ereignis war so wichtig, daß die Misses Crumpton sogleich die Stunden für den Tag frei gaben und sich in ihr Zimmer zurückzogen, um es noch weiter zu besprechen. Die jüngeren Mädchen erörterten das mutmaßliche Aussehen und Benehmen der Parlamentsmitgliedstochter, und die jungen Damen im achtzehnten und neunzehnten Jahr erklärten sich begierig zu wissen, ob sie verlobt, ob sie hübsch sei, viel Turnüre trüge und was der ähnlichen Wichtigkeiten mehr waren. Die beiden Misses Crumpton begaben sich am folgenden Tage zur bestimmten Zeit nach dem Adelphihotel, hatten sich natürlich auf das beste herausgeputzt und sahen so liebenswürdig wie möglich aus – was, beiläufig bemerkt, nicht eben viel bei ihnen sagen wollte. Sie übergaben einem feuerrot aussehenden Bedienten in glänzender Livree ihre Karten und wurden hineingeführt zu dem bedeutenden Manne.

Cornelius Brook Dingwall, Esq., Parlamentsmitglied, war sehr vornehm, sehr feierlich und sehr wichtig. Er hatte von Natur einen etwas krampfhaften Gesichtsausdruck, der dadurch nicht weniger auffallend wurde, daß er eine unendlich steife Halsbinde trug. Er war ausnehmend stolz auf das seinem Namen angehängte »P.M.« und ließ nie eine Gelegenheit unbenutzt vorübergehen, alle, mit denen er zu tun hatte, an seine Würde zu erinnern. Er hatte eine große Vorstellung von seinen Fähigkeiten, was sehr angenehm für ihn sein mußte, da sonst niemand etwas davon hielt; und in der Diplomatie, im kleinen Rahmen seiner Familienangelegenheiten, meinte er, ohnegleichen zu sein. Er war Friedensrichter in der Provinz, erfüllte seine friedensrichterlichen Obliegenheiten mit aller gebührender Unparteilichkeit und Gerechtigkeit und brachte häufig Wilddiebe ins Gefängnis und sich selbst in Verlegenheit. Miss Brook Dingwall gehörte der umfangreichen Klasse von jungen Damen an, die man gleich Adverbien daran erkennen kann, daß sie Alltagsfragen beantworten und sonst nichts tun.

Das Parlamentsmitglied saß in einer kleinen »Bibliothek«, an einem mit Papier bedeckten Tisch, tat gar nichts und bemühte sich, beschäftigt auszusehen. Parlamentsakten und Briefe, gerichtet an »Cornelius Brook Dingwall, Esq., P.M.«, lagen in kunstvoller Unordnung umher. Im Zimmer spielte eine jener Landplagen, ein verzogenes, nach der neuesten Mode herausgeputztes Kind in einem blauen Kittel mit einem eine Viertelelle breiten Gürtel, der mit einer ungeheuren Schnalle befestigt war, so daß das Knäblein wie ein durch ein Verkleinerungsglas beschauter Melodramaräuber aussah.

Nach einigen liebenswürdigen Scherzen von Seiten des holden Kleinen, der sich ein Vergnügen daraus machte, mit Miss Maria Crumptons Stuhl so schnell davonzulaufen, als er für sie hingestellt war, gelangten die Damen zum Sitzen, und Cornelius Brook Dingwall, Esq., eröffnete die Unterredung. Er hatte Miss Crumpton, wie er sagte, gebeten, zu ihm zu kommen, weil ihm sein Freund, Sir Alfred Muggs, ihre Pensionsanstalt so sehr gerühmt habe. Miss Crumpton murmelte ihm (Muggs) ihren Dank, und Cornelius fuhr fort: »Eine meiner Hauptgründe, Miss Crumpton, meine Tochter anderen Händen zu übergeben, ist der, daß sie sich in der letzten Zeit gewisse sentimentale Ideen in den Kopf gesetzt hat, von denen es höchst wünschenswert ist, daß sie aus ihrem jungen Gemüte wieder entfernt werden.«

Hier fiel die erwähnte kleine Unschuld mit schrecklichem Gepolter von einem Lehnsessel herunter.

»Unartiger Junge«, sagte seine Mama, die am meisten darüber verwundert schien, daß er sich die Freiheit genommen hatte, zu fallen: »Ich will nur klingeln, daß James kommt und ihn hinausbringt.«

»Laß ihn doch, liebes Kind«, sagte der Diplomat, sobald er sich bei diesem, dem Fall und der Drohung nachfolgenden fürchterlichen Geheule Gehör verschaffen konnte. »Es kommt alles von seiner großen, vielversprechenden Lebhaftigkeit her«, setzte er zu Miss Crumpton gewendet hinzu.

»Ohne Frage, Sir«, versetzte die ältliche Maria, ohne eben sehr deutlich zu begreifen, warum soviel Versprechendes darin liege, daß der Knabe von einem Sessel heruntergefallen war.

Es wurde endlich wieder still, und das Parlamentsmitglied fuhr fort: »Ich wüßte nichts, wodurch dieser Zweck so gewiß erreicht werden könnte, Miss Crumpton, als beständiger Umgang mit Mädchen ihres Alters, und da ich weiß, daß sie in Ihrer Anstalt mit jungen Mädchen zusammentreffen wird, die ihr kindliches Gemüt sicher nicht verderben werden, so gedenke ich, sie Ihnen anzuvertrauen.«

Die jüngere Miss Crumpton drückte den Dank der Anstalt aus. Maria war vollkommen sprachlos durch körperlichen Schmerz – der kleine Vielversprechende hatte sich von seinem Schrecken erholt und stand auf ihrem höchst empfindlichen Fuß, um über den Rand des Tisches hinüberblicken zu können.

»Natürlich wird meine Lavinia zu den am meisten begünstigten Kostgängerinnen gehören«, sprach der beneidenswerte Vater weiter; »und besonders in Beziehung auf einen Punkt wünsche ich, daß meine Weisungen streng befolgt werden. Die Sache ist die, daß ihr jetziger Gemütszustand von einem lächerlichen Liebeshandel herrührt, den sie mit jemand, der unter ihr steht, gehabt hat. Da ich weiß, daß sie, Ihrer Obhut übergeben, keine Gelegenheit haben kann, den jungen Menschen zu sehen, so habe ich nichts dagegen, oder es ist mir vielmehr lieb, wenn Sie sie in den Kreis Ihrer Bekannten einführen.«

Der vielversprechende kleine Lebhafte unterbrach die wichtige Rede des Vaters abermals, indem er eine Fensterscheibe zerbrach und fast in den Hof hinuntergestürzt wäre. Es wurde geklingelt, James erschien, es erfolgten beträchtliche Verwirrung und in der Luft stampfende Beine so groß, wie Reifenstöcke, der Bediente ging hinaus, und der Knabe war verschwunden.

»Mein Mann wünscht, daß Lavinia alles lernt«, nahm Mrs. Brook Dingwall, die nur selten sprach, das Wort.

»Versteht sich«, riefen beide Misses Crumpton zugleich.

»Und so wie ich hoffe, daß der Plan, den ich entworfen habe, meine Tochter von ihren abgeschmackten Ideen zurückbringen wird«, fuhr der Gesetzgeber fort, »hege ich auch das Vertrauen, daß Sie die Güte haben werden, allen meinen etwaigen Wünschen in allen Beziehungen entgegenzukommen.«

Natürlich wurde alles versprochen, und nach einer noch sehr verlängerten, von seiten der Dingwalls mit der gebührendsten diplomatischen Gravität und von der der Crumptons mit tiefem Respekt geführten Unterhaltung wurde endlich die Abrede getroffen, daß Miss Lavinia am zweitfolgenden Tag, an dem der Halbjahrsball der Anstalt bevorstand, nach Hammersmith versetzt werden solle. Es war anzunehmen, daß die kleine Festlichkeit dem lieben Mädchen eine angenehme Zerstreuung gewähren würde. Und hier zeigte sich, beiläufig gesagt, abermals ein Stückchen der väterlichen Diplomatie.

Miss Lavinia wurde gerufen und vorgestellt, und beide Misses Crumpton erklärten sie für ein »unendlich liebenswürdiges Mädchen«, eine Meinung, die sie merkwürdigerweise von jeder netten Kostschülerin hegten. Sodann erfolgten angemessener Knickse, Redensarten und Herablassung, und – die Misses Crumpton gingen. –

In Minerva-House wurden die großartigsten Vorbereitungen zum Ball getroffen. Das geräumigste Zimmer im Hause wurde mit blauen Kalikorosen, buntgewürfelten Tulpen und anderen ebenso natürlich aussehenden künstlichen Blumen von den Händen der jungen Damen verziert. Der Teppich wurde weg- und die Flügeltüren aus den Angeln genommen, die Möbel wurden hinaus- und Diwans hereingebracht. Die Putzhändler von Hammersmith gerieten in Erstaunen über die plötzliche Nachfrage nach Band und langen Glacéhandschuhen. Geranien wurden dutzendweise zu Buketts gekauft und eine Harfe und zwei Violinen bestellt; ein Flügel war bereits angelangt. Die jungen Damen, die ausgewählt waren, bei einer so passenden Gelegenheit zu glänzen und der Anstalt Ehre zu bereiten, übten sich unaufhörlich, recht sehr zu ihrem eigenen Vergnügen und noch mehr zum Ärger des alten, lahmen Herrn gegenüber; und zwischen den Misses Crumpton und dem Konditor von Hammersmith wurde ein beständiger Verkehr unterhalten.

Der Abend kam, und mit ihm begann ein Korsettschnüren und Sandalenbinden und Haarputzen, dergleichen nur in einer Pensionsanstalt mit dem gehörigen Grade von Getümmel stattfinden kann. Die kleineren Mädchen waren jedermann im Wege und wurden deshalb umhergestoßen, und die älteren putzten, schnürten, schmeichelten und beneideten einander so eifrig und aufrichtig, als wenn sie schon wirklich in die Gesellschaft eingeführt gewesen wären.

»Wie sehe ich aus, Liebe?« fragte Miss Emilie Smithers, die erste Schönheit des Hauses, Miss Karoline Wilson, ihre Busenfreundin, weil Miss Karoline Wilson das häßlichste Mädchen in- und außerhalb von Hammersmith war.

»O, bezaubernd! Wie sehe ich aus?«

»Entzückend! Du sahst noch nie so hübsch aus«, erwiderte die erste Schönheit, ihr Kleid glättend und die unglückliche Busenfreundin keines Blicks würdigend.

»Ich hoffe, der junge Hilton wird früh kommen«, sagte eine andere junge Dame zu Miss Soundso in einem Fieber von Erwartung.

»Es würde ihm sehr schmeicheln, wenn er dich so sprechen hören könnte«, versetzte Miss Soundso, die à l’été gekleidet war.

»Es ist ein so hübscher Mensch«, bemerkte die erste.

»So bezaubernd!« fiel eine zweite ein.

»Hat ein so distinguiertes Air«, sagte eine dritte.

»Was meint ihr wohl!« rief eine vierte, in das Zimmer hereinstürzend, »Miss Crumpton sagt, ihr Vetter käme.«

»Wie? Theodosius Butler?« fragten alle, von Entzücken ergriffen.

»Ist er schön?« fragte eine Novizin.

»Nein, nicht gerade eigentlich schön«, war die allgemeine Antwort; »aber, oh, so sehr gescheit!«

Mr. Theodosius Butler war eins der unsterblichen Genies, die man in fast jedem gesellschaftlichen Kreise findet. Sie haben gewöhnlich sehr tiefe, eintönige Stimmen. Sie überreden sich immer selbst, wundervolle Personen und sehr unglücklich zu sein, wenn sie auch nicht eigentlich wissen, warum. Sie sind sehr eingebildet und pflegen gerade einen halben Gedanken zu besitzen, erfreuen sich aber in den Augen enthusiastischer junger Damen und einfältiger junger Herren einer bedeutenden Überlegenheit. Mr. Theodosius Butler hatte ein Pamphlet geschrieben, das sehr wichtige Betrachtungen über die Nützlichkeit von Gott weiß was enthielt; und da jeder Satz wenigstens fünfzig viersilbige Worte hatte, so hielten es seine Bewunderer für ausgemacht, daß viel Sinn darin enthalten sei.

»Das ist er vielleicht«, riefen mehrere junge Damen, als das erste Läuten des Abends der Glocke Zerstörung drohte.

Es erfolgte eine feierliche Pause, und – einige Schachteln und einige junge Damen langten an; Miss Brook Dingwall in vollem Ballkostüm, mit einer ungeheuren goldenen Halskette, das Kleid mit einer einzigen Rose geschürzt, einen Elfenbeinfächer in der Hand und einen höchst interessanten Ausdruck der Verzweiflung auf dem Antlitz. Die Misses Crumpton erkundigten sich mit dem sorglichsten Eifer nach dem Befinden der lieben Ihrigen, stellten Miss Brook Dingwall ihren künftigen Pensionsgenossinnen in gebührender Form vor und sprachen mit den jungen Damen im allersüßesten Tone, um Miss Brook Dingwall sogleich eine angemessene Vorstellung davon zu geben, wie freundlich sie mit ihren Zöglingen umgingen.

Abermals ertönte die Glocke: Mr. Dadson, der Schreiblehrer, und Frau, Mrs. Dadson in grüner Seide, grünen Schuhen und Haubenbändern, und der Schreiblehrer in weißer Weste, schwarzen Kniehosen und ebensolchen Strümpfen, die zwei Beine zeigten, groß genug für zwei Schreibmeister. Die jungen Damen flüsterten miteinander, und Mr. Dadson und Frau schmeichelten den Misses Crumpton, die sich in Kanariengelb und mit langen Leibbinden wie Puppen präsentierten.

Das Läuten wurde häufiger, und zu viele Ballgäste langten an, als daß sie alle einzeln aufgeführt werden könnten: Papas und Mamas, Tanten und Onkel; Vormünder und Vormünderinnen der jungen Damen; der Singlehrer Signor Lobskini mit einer schwarzen Perücke; die Pianofortespielerin und die Violinen; der Harfenist im Zustande der Trunkenheit und einige zwanzig junge Herren, die an der Tür standen, miteinander flüsterten und bisweilen kicherten. Allgemeines Unterhaltungsgesumm begann, und Kaffee wurde gereicht und reichlich genossen von wohlbeleibten Müttern, die wie die dicken Leute aussahen, die in den Pantomimen zu dem einzigen Zwecke auftreten, um über den Haufen gerannt zu werden.

Sodann erschien der beliebte Mr. Hilton, und nachdem er der Aufforderung der Misses Crumpton folgend das Vortänzeramt übernommen hatte, nahmen die Quadrillen ihren Anfang. Die jungen Herren an der Tür rückten allmählich in die Mitte des Zimmers vor und gewannen endlich die erforderliche Dreistigkeit, sich Tänzerinnen vorstellen zu lassen. Der Schreiblehrer schlug keinen Tanz aus und sprang mit der schrecklichsten Beweglichkeit umher, und seine Frau spielte Whist im hinteren Zimmer, einem kleinen Gemach mit fünf Büchersimsen, das mit der Benennung Studierzimmer beehrt wurde. Sie an einen Whisttisch zu bringen, war eine halbjährlich wiederkehrende Kriegslist der Misses Crumpton, da sie notwendig irgendwo versteckt werden mußte, weil sie »eine Vogelscheuche« war.

Die interessante Lavinia Brook Dingwall war von allen anwesenden Mädchen die einzig teilnahmslose. Vergeblich wurde sie gebeten, zu tanzen, vergeblich war es, daß ihr, als der Tochter eines Parlamentsmitglieds, allgemein gehuldigt wurde. Sie blieb gleich unbeweglich bei dem glänzenden Tenor des unnachahmlichen Lobskini wie bei Miss Lätitia Parsons glänzendem Pianafortespiel, das dem vom Moscheles fast gleich erklärt wurde. Nicht einmal die Ankündigung, daß Mr. Theodosius Butler angelangt sei, konnte sie bewegen, den Winkel des Seitenzimmers zu verlassen, im dem sie saß.

»Lieber Theodosius«, sagte Miss Maria Crumpton, nachdem der erleuchtete Pamphletist fast durch die ganze Gesellschaft Spießruten gelaufen war, »jetzt muß ich Sie unserem neuen Zögling vorstellen.«

Theodosius sah aus, als ob er an irdische Dinge nicht von fern dächte.

»Sie ist die Tochter eines Parlamentsmitglieds.«

Theodosius stutzte;

»Ihr Name –?« fragte er.

»Lavinia Brook Dingwall.«

»O ihr himmlischen Mächte!« rief Theodosius poetisch in leisem Tone aus.

Miss Crumpton begann die Vorstellung in gehöriger Form. Miss Brook Dingwall hob matt und schmachtend den Kopf empor.

»Edward!« rief sie mit einem halben Aufschrei aus, als sie die wohlbekannten Nankingbeine erblickte.

Da sich Miss Maria Crumpton glücklicherweise keines übergroßen Maßes von Scharfsinn rühmen konnte, und da es eins der diplomatischen Arrangements war, daß Miss Lavinias unzusammenhängende Ausrufe nicht beachtet werden sollten, so merkte sie von der Erregtheit des Pärchens nicht das mindeste und ließ die beiden allein, sobald sie gehört hatte, daß Miss Brookes Theodosius‘ Bitte um den nächsten Tanz Gehör gab.

»O Edward!« rief die romantischste aller romantischen jungen Damen aus, als sich dieses Licht der Wissenschaft an ihre Seite setzte; »o Edward, sind Sie es wirklich?«

Mr. Theodosius versicherte dem süßen Wesen in den leidenschaftlichsten Ausdrücken, das er sich nicht bewußt sei, sonst jemand zu sein als er selber.

»Dann – warum – warum dieses Inkognito? O Edward M’Neville Walter, was habe ich um Ihretwillen erduldet!«

»Lavinia, hören Sie mich«, erwiderte der Held in seinem sentimentalsten Ton. »Verdammen Sie mich nicht ungehört. Wenn etwas, das der Seele eines Elenden, wie ich bin, entfloß, eine Stelle in Ihrer Erinnerung einnehmen kann – wenn etwas so Niedres Ihre Beachtung verdient – so entsinnen Sie sich vielleicht, daß ich ein Pamphlet drucken – auf meine Kosten – drucken ließ, betitelt: ›Betrachtungen über die Rätlichkeit der Aufhebung der Wachssteuer.‹«

»Ja – ja –«, schluchzte Lavinia.

»Es war ein Gegenstand«, fuhr der Liebhaber fort, »dem Ihr Vater Herz und Seele widmete.«

»Freilich – freilich!« rief die gefühlvolle Lavinia aus.

»Ich wußte es«, sprach Theodosius mit tragischem Ton weiter. »Ich wußte es, – übersandte ihm ein Exemplar – und er wünschte, mich kennenzulernen. Konnte ich mit meinem wahren Namen hervortreten? Nimmer! Ich nahm den Namen an, den Sie so oft in süßen Schmeicheltönen ausgesprochen haben, widmete mich als M’Neville Walter der großen Sache, gewann als M’Neville Walter Ihr Herz. Unter diesem Namen ward ich von Ihres Vaters Dienerschaft aus dem Hause gestoßen, und unter keinem war es mir seitdem möglich, Sie zu sehen. Wir finden uns jetzt wieder, und ich bekenne mit Stolz, daß ich – Theodosius Butler bin.«

Die junge Dame schien durch diese bündige und inhaltsreiche Erklärung vollkommen zufriedengestellt zu sein und beseligte durch einen Blick glühender Zärtlichkeit den unsterblichen Wachsfürsprecher.

»Darf ich hoffen«, sagte er, »eine Erneuerung des Versprechens zu vernehmen, das eine Unterbrechung durch Ihres Vaters leidenschaftliches Benehmen erlitt?«

»Lassen Sie uns zum Tanze antreten«, erwiderte Lavinia kokettierend – denn Mädchen von neunzehn Jahren können allerdings schon kokett sein.

»Nein«, rief Theodosius Butler. »Ich gehe von den Qualen der Ungewißheit gepeinigt keinen Schritt von dieser Stelle. Darf – darf ich hoffen?«

»Ja.«

»Das Versprechen ist erneuert?«

»Es ist’s.«

»Ich habe Ihre Erlaubnis?«

»Sie haben sie.«

»In vollkommenster Ausdehnung?«

»Sie wissen es«, erwiderte Lavinia.

Lavinia tat, als ob sie errötete, und die Gesichtsverzerrungen des geistreichen Theodosius drückten seine Verzückung aus.

Mr. Theodosius und Miss Lavinia tanzten, plauderten und seufzten den ganzen Abend miteinander. Die Misses Crumpton waren entzückt darüber. Der Schreibmeister fuhr fort, mit Ein-Pferdekraft umherzuspringen, und seine Frau verließ in einer unerklärlichen Laune den Whisttisch und ließ es sich durchaus nicht nehmen, ihren grünen Kopfputz an der Stelle des Ballzimmers zu zeigen, wo er am sichtbarsten war. Das Abendessen bestand aus kleinen, dreieckigen Sandwiches auf Präsentierschüsseln, mit einer Torte hier und da zur Abwechslung; und die Gäste tranken warmes, durch Zitronensaft maskiertes und mit Muskatnuß betüpfeltes Wasser unter dem Namen Glühwein. Doch wir haben wichtigere Dinge zu berichten.

Vierzehn Tage nach dem Ball saß Cornelius Brook Dingwall, Esq., P.M., in seinem oben beschriebenen Zimmer. Er war allein, und auf seiner Stirn lagerten die Furchen tiefen Nachdenkens und feierlicher Würde. Er entwarf eine »Schrift zu besserer Heilighaltung des Ostermontags«.

Der Bediente klopfte an die Tür. Der Gesetzgeber fuhr aus seinem Nachsinnen empor, und Miss Crumpton wurde gemeldet und nach einiger Zeit vorgelassen. Sie nahm mit einem gehörigen Maße von Affektation Platz, der Bediente ging, und Miss Crumpton und das P.M. waren allein. Wie sehnlich sie eine dritte Person herbeiwünschte! Sogar das spaßhafte junge Herrlein würde ihr Herzenserleichterung verschafft haben.

Miss Crumpton hub an. Sie hoffte, daß sich Mrs. Brook Dingwall und der allerliebste kleine Knabe wohl befänden.

Es verhielt sich so. Sie weilten übrigens in Brighton.

»Ich bin Ihnen sehr verbunden, Miss Crumpton«, sagte Cornelius in seinem würdevoll-herablassendsten Tone; »sehr verbunden für Ihren Besuch. Ich würde nach Hammersmith gekommen sein, um Lavinia zu sehen, allein, Ihr Bericht war so befriedigend, und meine Obliegenheiten im Hause beschäftigten mich so sehr, daß ich beschloß, es noch eine Woche aufzuschieben. Wie ist es bisher mit ihr gegangen?«

»O, sehr gut, Sir«, erwiderte Maria, die sich fürchtete, dem Vater die Mitteilung zu machen, daß seine Tochter davongegangen sei.

»Schön. Ich wußte es wohl, daß mein wohlberechnetes Verfahren seinen Zweck nicht verfehlen konnte.«

Miss Maria Crumpton hatte hier eine Gelegenheit, sogleich anzuknüpfen und Mr. Dingwall zu sagen, daß Miss Lavinia durch die unzweifelhaft an sich richtige Rechnung einen unberechneten Strich gemacht hätte; allein, die unglückliche Miss Crumpton fühlte sich zu schwach dazu.

»Sie haben die Linie des von mir vorgeschriebenen Benehmens ohne Zweifel vollkommen eingehalten, Miss Crumpton?«

»Vollkommen, Sir!«

»Sie schrieben mir, daß meine Tochter allmählich wieder heiterer würde.«

»Sie wurde allerdings viel aufgeweckter.«

»Ich war im voraus davon überzeugt.«

»Ich fürchte nun aber, Sir«, sagte Miss Crumpton mit sichtlicher Bewegung, »ich fürchte, daß Ihr Plan nicht so wohl gelungen ist, wie zu wünschen wäre.«

»Wie!« rief der Prophet aus; »Miss Crumpton, ich erschrecke. Was ist vorgefallen?«

»Miss Brook Dingwall, Sir –«

»Nun, Ma’am –«

»Hat sich entfernt, Sir«, sagte Maria, eine starke Neigung zu einer Ohnmacht an den Tag legend.

»Hat sich entfernt!«

»Entführen lassen, Sir!«

»Entführen lassen – von wem – wann – wohin – wie?« schrie der bestürzte Diplomat fast.

Das natürliche Gesichtsgelb der unglücklichen Maria verwandelte sich in alle Farben des Regenbogens, indem sie ein kleines Paket auf Cornelius‘ Tisch legte.

Er öffnete es hastig. Ein Schreiben von seiner Tochter, und ein zweites von Theodosius. Er durchlief den Inhalt – »bevor Sie diese Zeilen erhalten, weit entfernt – Berufung auf Ihre Gefühle – unwiderstehliche Macht der Liebe – Wachs – Sklaverei«, usw. usw. Er schlug sich mit der Hand vor die Stirn und ging zur großen Beunruhigung der förmlichen Maria mit schrecklich langen Schritten auf und ab.

»Hören Sie«, sagte Mr. Brook Dingwall, plötzlich am Tische stillstehend und den Takt darauf schlagend, »von dieser Stunde an werde ich keinem Menschen, der Pamphlete schreibt, unter keinerlei Umständen wieder gestatten, ein Gemach dieses Hauses zu betreten, die Küche ausgenommen – ich gebe meiner Tochter und ihrem Mann hundertundfünfzig Pfund jährlich, und sie kommen mir nie wieder vor die Augen – und, alle Teufel! Ma’am, ich bringe einen Gesetzentwurf ein für Abschaffung der Vollendungsschulen!«

Es ist seit dieser zornigen Erklärung einige Zeit verflossen. Mr. und Mrs. Butler genießen ihre Seligkeit in einem ländlichen Häuschen in Balls-Pond, das reizend in der Nähe eines Backsteinfeldes gelegen ist. Sie haben keine Familie. Mr. Theodosius zeigt sehr wichtige Mienen und schreibt unaufhörlich; allein, infolge einer ruchlosen Verschwörung der Buchhändler wird keins der Erzeugnisse seiner Feder gedruckt. In seiner jungen Frau steigt der Gedanke auf, daß eingebildetes Elend wirklichen Leiden vorzuziehen und daß eine in Hast geschlossene und nach Muße bereute Verheiratung eine bitterere Schmerzensquelle sei, als sie es sich jemals geträumt hätte.

Nach ruhiger Überlegung sah sich Cornelius Brook Dingwall genötigt, einzuräumen, daß er das unglückliche Ergebnis seiner bewundernswürdigen Anordnungen nicht den Misses Crumpton, sondern seiner eigenen Diplomatie zuschreiben müsse. Er tröstete sich jedoch gleich anderen kleinen Diplomaten damit, daß, genau betrachtet, seine Pläne, wenn sie nicht gelungen waren, doch hätten gelingen sollen. Minerva-House befindet sich im Status quo, und die Misses Crumpton befinden sich fortwährend im friedlichen und ungestörten Genusse sämtlicher, ihrer Vollendungsschule entsprießender Vorteile.

Horatio Sparkins


Horatio Sparkins

»Wirklich, lieber Mann, er bewies Theresa am letzten Gesellschaftsabend große Aufmerksamkeiten«, sagte Mrs. Malderton zu ihrem Gatten, der, nach seinen Tagesmühen in der City, ein seidenes Tuch über den Kopf gedeckt, die Füße auf das Kamingitter gestellt hatte und seinen Portwein trank; »sehr große Aufmerksamkeiten; und ich wiederhole es, wir sollten ihm auf jede Weise entgegenkommen. Er muß durchaus zum Mittagessen eingeladen werden.«

»Wer muß eingeladen werden?« fragte Mr. Malderton.

»Du weißt ja, wen ich meine, liebster Malderton – der junge Mann mit dem schwarzen Backenbart und der weißen Halsbinde, der soeben in unserem Gesellschaftszirkel aufgetaucht ist und von dem alle Mädchen sprechen – der junge – wie heißt er doch? – Marianne, wie heißt er?«

Marianne war Mrs. Maldertons jüngste Tochter. Sie war beschäftigt, eine Börse zu sticken, und bemühte sich, empfindsam auszusehen. »Mr. Horatio Sparkins, Mama«, erwiderte Miss Marianne mit einem Juliaseufzer.

»Richtig – Horatio Sparkins«, sagte Mrs. Malderton; »ohne Frage der feinste und wohlerzogenste junge Mann, den ich jemals gesehen habe. Er sah am letzten Gesellschaftsabend in seinem wie angegossen sitzenden Rocke aus wie – wie –«

»Wie Prinz Leopold, Mama – so nobel, so gefühlvoll!« fiel Miss Marianne im Tone enthusiastischer Bewunderung ein.

»Du solltest bedenken, liebster Mann«, fuhr Mrs. Malderton fort, »daß Theresa achtundzwanzig Jahre alt und daß es wirklich von großer Wichtigkeit ist, daß etwas geschieht.«

Miss Theresa Malderton war eine kleine, runde Person mit hochroten Wangen, von freundlichem Wesen und noch ohne Gatten, Bewerber oder Anbeter; ein Unglück, dessen Ursache jedoch, um ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, keineswegs in einem Mangel an Beharrlichkeit von ihrer Seite lag. Sie hatte vergeblich zehn Jahre lang kokettiert, vergeblich hatten Mr. und Mrs. Malderton eine ausgedehnte Bekanntschaft mit jungen heiratsfähigen Männern aus Camberwell, Wandsworth und Brixton sogar sorgfältig unterhalten; die Londoner noch nicht einmal gerechnet, die sonntags vorsprachen. Miss Malderton war so bekannt wie der Löwe auf dem Giebel von Northumberland-House und hatte ungefähr ebensoviel Wahrscheinlichkeit, »wegzugehen«, wie der Tierkönig, obschon er fortwährend, gleich Miss Malderton, »auf dem Sprunge« war.

»Ich bin vollkommen überzeugt, daß er dir gefallen würde«, fuhr Mrs. Malderton fort; »er ist so weltmännisch.«

»So geistreich«, sagte Miss Marianne.

»Und spricht so vortrefflich, so fließend«, fügte Miss Theresa hinzu.

»Er hegt große Hochachtung für dich, lieber Mann«, sagte Mrs. Malderton zu ihrem Gatten in vertraulichem Tone.

Mr. Malderton hustete und sah in das Feuer.

»Ich bin überzeugt, daß er sehr viel von Papa hält«, sagte Miss Marianne.

»Ohne allen Zweifel«, bekräftigte Miss Theresa.

»In der Tat, er hat es mir selbst im Vertrauen gesagt«, bemerkte Mrs. Malderton.

»Schon gut, schon gut«, entgegnete Mr. Malderton einigermaßen geschmeichelt; »wenn ich ihn morgen im Gesellschaftszirkel sehe, lade ich ihn vielleicht zu uns ein. Ich denke, er wird wissen, daß wir auf Oak Lodge in Camberwell wohnen, meine Liebe?«

»Natürlich – und auch, daß du einen Wagen und ein Pferd hältst.«

»Nun, wir wollen sehen«, sagte Mr. Malderton, sich zu einem Schläfchen zurechtsetzend; »ich werde daran denken.«

Mr. Malderton war ein Mann, dessen Gesichtskreis auf Lloyds, die Börse, das Ostindienhaus und die Bank beschränkt war. Einige glückliche Spekulationen hatten ihn aus einem dürftigen Mann in einen wohlhabenden verwandelt. Wie es in solchen Fällen häufig zu geschehen pflegt, hatte sich mit der Zunahme der Mittel seine Meinung von seiner Person und seiner Familie sehr ungebührlich gesteigert; er suchte es den Vornehmeren und Reicheren in jeder Torheit nachzutun, strebte vornehm zu sein und legte einen entschiedenen und geziemenden Abscheu vor allem, was möglicherweise als gewöhnlich betrachtet werden konnte, an den Tag. Mr. Malderton war gastlich aus Prunksucht, engstirnig aus Unwissenheit und voll von Vorurteilen aus Dünkel und Eitelkeit. Sein vortrefflicher Tisch verschaffte ihm zahlreiche Gäste. Er sah gern gescheite Personen bei sich oder solche, die er dafür hielt, weil davon gesprochen wurde, konnte aber durchaus die »gewitzten« Leute, wie er sie nannte, nicht leiden. Er hegte diese Abneigung wahrscheinlich aus Höflichkeit gegen seine beiden Söhne, die ihrem werten Papa in dieser Beziehung keine Unruhe verursachten. Die Familie war von dem Ehrgeiz besessen, sich Bekanntschaften und Verbindungen in einem höheren gesellschaftlichen Kreise zu verschaffen als dem, in dem sie sich selbst bewegte; und eine der notwendigen Folgen dieses Hanges und ihrer damit verbundenen gänzlichen Unkenntnis der Welt außerhalb ihrer eigenen beschränkten Sphäre war die, daß jeder, der sich nur mit einigem Schein einer Bekanntschaft mit Leuten von Rang und hoher Geburt rühmen konnte, gastlicher Aufnahme in Mr. Maldertons Hause stets gewiß war.

Mr. Horatio Sparkins‘ Erscheinen in dem Gesellschaftszirkel hatte unter deren regelmäßigen Teilnehmern nicht wenig Aufsehen und Neugierde erregt. Was mochte er sein? Er war augenscheinlich zurückhaltend und, wie es schien, melancholisch. War er ein Geistlicher? Er tanzte zu gut. Ein Sachwalter? Man sah und hörte nichts von ihm in den Gerichtshöfen. Er bediente sich sehr gewählter Ausdrücke und sprach ziemlich viel. War er vielleicht ein Ausländer von Distinktion, der in der Absicht nach England gekommen war, das Land und seine Sitten und Gebräuche zu schildern, und Citybälle und öffentliche Diners besuchte, um sich mit dem Leben und Treiben der großen Welt und englischer verfeinerter Sitte und Bildung bekannt zu machen? Aber man bemerkte bei ihm durchaus keine fremde Betonung. War er Wundarzt, Künstler, schrieb er Moderomane oder für die belletristischen Zeitblätter? Nein. Dem allen stand irgendeine gewichtige Einwendung entgegen. Jedermann sagte: »Er muß aber doch etwas sein.« Auch Mr. Malderton schloß sich dieser Meinung an, »denn«, sprach er bei sich selbst, »er fühlt unsere Überlegenheit und erweist uns so große Aufmerksamkeit.«

Der Abend nach der erwähnten Familienunterredung war ein »Gesellschaftsabend«. Das Vorfahren des Wagens ward auf präzis neun Uhr bestellt. Die Misses Malderton legten himmelblaue, mit künstlichen Blumen besetzte Atlaskleider an, und Mrs. Malderton – eine kleine, runde Frau – war ebenso angezogen und sah aus wie ihre älteste Tochter mit zwei multipliziert. Mr. Frederick Malderton, der älteste Sohn, war in seinem eleganten Ballanzug das wahrhafte Ideal eines fixen, geschniegelten Kellners, und Mr. Thomas Malderton, der jüngste Sohn, glich in seiner weißen Halsbinde, seinem blauen Rock mit glänzenden Knöpfen und seinem roten Uhrband auf das Haar dem Bildnis jenes interessanten, obgleich ein wenig unbesonnenen jungen Herrn George Barnwell. Sämtliche Familienglieder hatten sich darauf vorbereitet, Mr. Horatio Sparkins‘ Bekanntschaft zu pflegen. Miss Theresa war natürlich so liebenswürdig und interessant, wie Damen von achtundzwanzig auf der Mannsschau zu sein pflegen, und Mrs. Malderton schien lauter Lächeln und Freundlichkeit zu sein. Miss Marianne wollte sich ein paar Verse in ihr Stammbuch erbitten, Mr. Malderton den großen Unbekannten durch eine Einladung zum Mittagessen protegieren, und Tom hatte sich’s ausgesonnen, ihn in betreff seiner Schnupftabak- und Zigarrenkenntnis auszuholen. Sogar Mr. Frederick Malderton – er, das Familienorakel in allem, was Geschmack, Kleidung und elegante Arrangements betraf – er, der seine eigene Wohnung im Westend und freien Zutritt im Covent-Garden-Theater hatte, stets nach der Mode des Monats gekleidet war, dieselben Partien machte, die von der vornehmen Welt gemacht wurden, und sich eines vertrauten Freundes rühmte, der einst mit einem Gentleman bekannt war, der vormals in Albany wohnte – selbst er hatte beschlossen, daß Mr. Horatio Sparkins ein verflucht guter Patron sei und daß er ihm die Ehre erweisen wolle, ihn zu einer Partie Billard aufzufordern.

Der erste, die sehnsüchtigen Blicke der hoffenden Familie bei ihrem Eintritte in den Ballsaal treffende Gegenstand, war der interessante Horatio. Er lehnte mit aus der Stirn gestrichenem Haar und die Augen empor an die Decke geheftet an einem Pfeiler.

»Da ist er«, flüsterte Mrs. Malderton sehr erregt ihrem Gatten zu.

»Wie ähnlich Lord Byron«, murmelte Theresa.

»Oder Montgomery«, flüsterte Miss Marianne.

»Oder den Porträts des Kapitän Roß!« fiel Tom ein.

»Tom – sei kein Esel«, sagte sein Vater, der Tom bei jeder Gelegenheit zum Schweigen verwies, wahrscheinlich um zu verhindern, daß er »gewitzt« würde, was sehr unwahrscheinlich war.

Der elegante Sparkins posierte mit bedeutendem Effekt, bis die Familie Malderton in seine Nähe kam, fuhr sodann mit höchst natürlich nachgemachter freudiger Überraschung empor, redete Mrs. Malderton mit der größten Herzlichkeit an, begrüßte die jungen Damen auf die bezauberndste Weise, verbeugte sich auf das ehrerbietigste vor Mr. Malderton und erwiderte die Begrüßung der beiden jungen Herren mit halb erfreuter und halb herablassender Gönnermiene, was ihre Überzeugung zu vollkommener Gewißheit erhob, daß er ein bedeutender und zugleich ein verbindlich-liebenswürdiger Mann sei.

»Miss Malderton«, sagte Horatio nach den gewöhnlichen Begrüßungen und verbeugte sich dabei sehr tief, »vergönnen Sie mir, die Hoffnung hegen zu dürfen, daß Sie mir gestatten werden, das Vergnügen zu haben –«

»Ich glaube nicht, daß ich schon engagiert bin«, sagte Miss Theresa, schreckliche Gleichgültigkeit mimend – »aber wirklich – so viele –«

Horatio sah so allerliebst unglücklich aus wie ein auf einem Stückchen Apfelsinenschale ausgleitender Hamlet.

»Es wird mir das größte Vergnügen gewähren«, säuselte die interessante Theresa endlich, und Horatios Antlitz begann wieder zu glänzen wie ein alter Hut in einem Regenschauer.

»Es ist wahr, ein sehr feiner junger Mann«, bemerkte Mr. Malderton sehr befriedigt, als Horatio seine Partnerin zum Tanz entführte.

»Sein Takt ist ganz ausgezeichnet«, fiel Mr. Frederick ein.

»Wahrhaftig, er ist ein Hauptkerl«, sagte Tom, der es sich nie versagen konnte, mit einzureden; »er spricht ganz wie ein Auktionator.«

»Tom!« sagte sein Vater feierlich, »ich meinte dir schon gesagt zu haben, daß du kein Gimpel sein sollst.«

Tom sah so vergnügt aus wie ein Hahn an einem regnerischen Morgen.

»Wie entzückend!« sagte der interessante Horatio zu seiner Tänzerin, als er mit ihr nach Beendigung der Quadrille im Saale auf und ab ging – »wie entzückend, wie erquickend ist es, sich von den Gewitterstürmen, den Wirren und Unruhen des Lebens, und wär‘ es auch nur für kurze flüchtige Augenblicke, zurückzuziehen; und diese Momente, so kurz sie sein und so schnell sie dahinschwinden mögen, in der süßen, seligen Nähe einer Dame hinzubringen, deren Zürnen der Tod, deren Falschheit Verderben, deren Treue Seligkeit sein und deren Kälte in Wahnsinn stürzen würde – deren Zuneigung als der glänzendste und schönste Lohn erscheint, mit dem der Himmel einen Mann beglücken könnte.«

»Wie gefühlvoll, wie poetisch!« dachte Miss Theresa und lehnte sich stärker auf ihres Führers Arm.

»Doch genug – genug«, fuhr der elegante Sparkins mit theatralischer Betonung fort. »Was hab‘ ich gesagt? Was hab‘ ich – hab‘ ich – mit Gefühlen dieser Art zu schaffen? Miss Malderton – darf ich hoffen, daß Sie es mir erlauben, Ihnen das sehr geringe Anerbieten –«

»Wirklich, Mr. Sparkins«, unterbrach ihn Theresa innerlich jubelnd und süß und verwirrt errötend, »ich muß Sie an meinen Vater verweisen. Ohne seine Einwilligung darf ich es schlechterdings nicht wagen, zu – zu –«

»Er wird sicher nichts dagegen haben –«

»Ach, Sie – Sie kennen ihn nicht«, fiel Miss Theresa ein, sehr wohl wissend, daß nichts zu fürchten war; allein, sie wünschte, eine Romanszene herbeizuführen.

»Er kann in der Tat nichts dagegen haben, daß ich Ihnen ein Glas Glühwein anbiete«, fuhr der anbetungswürdige Sparkins ein wenig überrascht fort.

»Ist das alles?« sprach die getäuschte Theresa bei sich selbst. »Wieviel Lärm um nichts!« –

»Es wird mir das größte Vergnügen gewähren, Sir, Sie am nächsten Sonntag um fünf Uhr in Oak Lodge zum Mittagessen bei mir zu sehen, sofern Sie nichts Besseres vorhaben«, sagte Mr. Malderton, als er und seine Söhne nach Beendigung des Balls, mit Mr. Horatio Sparkins plauderten.

Horatio verbeugte sich verbindlich und nahm die schmeichelhafte Einladung an.

»Ich muß gestehen«, fuhr der manövrierende Vater, seinem neuen Bekannten die Dose bietend, fort, »daß ich diese Gesellschaft nicht so sehr liebe wie den Komfort – ich hätte bald gesagt, den Luxus von Oak Lodge; sie haben keine großen Reize für ältere Leute.«

»Und am Ende, Sir, was sind Leute, was sind Menschen?« sagte der metaphysische Sparkins – »wie gesagt, was ist der Mensch?«

»Sehr wahr«, bemerkte Mr. Malderton, »sehr wahr.«

»Wir wissen, daß wir leben und atmen«, fahr Horatio fort; »daß wir Bedürfnisse und Wünsche, Neigungen und –«

»Ohne allen Zweifel«, unterbrach Mr. Frederick Malderton mit äußerst weiser Miene.

»Ich wollte sagen, wir wissen, daß wir existieren«, wiederholte Horatio mit erhobener Stimme; »doch hier sind wir ans Ende unseres Wissens, auf dem Gipfel unserer Forschungen, am Ziele unserer Bestrebungen angelangt. Was wüßten wir weiter?«

»Nichts«, entgegnete Mr. Frederick, und in der Tat konnte niemand mit größerem Rechte eine solche Antwort geben als er. Tom wollte gleichfalls etwas sagen, bemerkte jedoch zum Glück für den Ruf seiner Weisheit des Vaters zornige Seitenblicke and schlich sich davon wie ein auf einer kleinen Dieberei ertappter junger Hund.

»Auf mein Wort«, sagte Malderton der Vater, als die Familie im Wagen nach Hause fuhr, »der Sparkins ist ein wundervoller junger Mann. Was für erstaunliche Kenntnisse! Welch eine stupende Gelehrsamkeit! Und welch eine glänzende Redegabe!«

»Ich glaube fest, daß eine bedeutende Person unter seiner Maske steckt«, bemerkte Miss Marianne. »Wie bezaubernd romantisch!«

»Er spricht sehr laut und sehr artig«, fiel Tom schüchtern ein; »allein, ich verstehe eigentlich nicht, was er sagt.«

»Ich fange fast an zu verzweifeln, daß du jemals irgend etwas verstehen wirst, Tom«, sagte sein Vater, der natürlich durch Mr. Horatio Sparkins‘ Unterhaltung sehr erleuchtet war.

»Es ist ganz offenbar, Tom«, sagte Miss Theresa, »daß du dich heute abend entsetzlich lächerlich gemacht hast.«

Die ganze Familie bestätigte Theresas Ausspruch, und der unglückliche Tom drückte sich möglichst tief in seine Wagenecke. Mr. und Mrs. Malderton besprachen noch lange ihrer Tochter Aussichten und die demnächst zu treffenden Einrichtungen. Miss Theresa begab sich zu Bett, erwägend, ob es sich, falls sie einen Titel erheiratete, für sie schicken würde, die Besuche ihrer jetzigen Freundinnen anzunehmen, und träumte die ganze Nacht von verkleideten Grafen, prachtvollen Gesellschaften, Straußfedern, Brautkränzen und Horatio Sparkins.

Am Sonntagmorgen ward vielfach darüber hin und her gesprochen, auf welche Weise der sehnsüchtig erwartete Horatio mutmaßlich erscheinen würde. Hielt er ein Gig – sollte er vielleicht zu Pferd kommen – oder einem Stellwagen seine Gönnerschaft zuwenden? Diese und andere Fragen von gleicher Wichtigkeit beschäftigten Mrs. Malderton und ihre Töchter den ganzen Vormittag.

»Ich muß doch in der Tat sagen«, bemerkte Mr. Malderton zu seiner Gattin, »es ist höchst verdrießlich, daß dein Bruder sich gerade heute bei uns zu Gast gebeten hat. Er hat gar zu gewöhnliche Manieren. Ich habe, da Mr. Sparkins kommt, absichtlich niemand außer Flamwell eingeladen. Und nun dein Bruder – ein Gewürzkrämer – es ist unerträglich. Ich würde lieber tausend Pfund verlieren, als ihn in Gegenwart unseres neuen Bekannten seines Ladens erwähnen hören. Es würde mich nicht stören, daß er hier ist, wenn er nur so gescheit wäre, es nicht merken zu lassen, welch ein Schandfleck er für die Familie ist; aber er ist so verwünscht verliebt in sein schauderhaftes Geschäft, daß er jedermann offenbaren wird, wer und was er ist.«

Mr. Jakob Barton, der Bruder und Schwager, von dem Mr. Malderton sprach, war ein wohlhabender Gewürzkrämer, und so gewöhnlich denkend, so ganz entblößt von feinem Gefühl, daß er nie und nirgend Bedenken trug, zu bekennen, daß er sich nicht »zu vornehm für sein Geschäft« hielt. »Ich mache mir mein Geld damit«, pflegte er zu sagen, »und meinetwegen mag’s die ganze Welt wissen.«

»Ah, mein wertester Flamwell, wie geht’s?« rief Mr. Malderton einem eintretenden kleinen Mann mit grüner Brille entgegen. »Sie erhielten mein Billett?«

»Allerdings, und stellte mich mit Ihrer Erlaubnis ein.«

»Kennen Sie nicht einen Mr. Sparkins wenigstens dem Namen nach? Sie kennen ja alle Welt?«

Mr. Flamwell gehörte zu den Leuten mit unglaublich ausgebreiteter Bekanntschaft, die jedermann zu kennen vorgeben, und natürlich niemand kennen. In Maldertons Haus, wo mit begierigen Blicken alles verschlungen wurde, was vornehme Personen betraf, war er ebenso beliebt wie geehrt, und da er sehr gut wußte, mit was für Leuten er es zu tun hatte, ließ er seiner Leidenschaft, mit jedermann bekannt sein zu wollen, alle Zügel schießen. Er hatte eine besondere Manier, seine größten Lügen beiläufig und mit der Miene der Selbstverleugnung einzuflechten oder hinzuwerfen, als ob er fürchtete, für anmaßend gehalten zu werden.

»Hm, nein, ich kenne ihn unter dem Namen nicht«, erwiderte er mit leiser Stimme und unermeßlich wichtiger Miene. »Indes zweifle ich nicht im mindesten, daß ich ihn kenne. Ist er groß?«

»Von Mittelgröße«, sagte Miss Theresa.

»Er hat schwarzes Haar?« fuhr Flamwell, eine dreiste Behauptung wagend, fort.

»Ja, ja«, erwiderte Theresa eifrig.

»Ein wenig von einer Stumpfnase?«

»Nein, o nein«, sagte Theresa verblüfft; »er hat eine römische Nase.«

»Ganz recht, eine römische Nase – das wollte ich eben sagen. Er ist ein feiner junger Mann?«

»Freilich.«

»Hat äußerst einnehmende Manieren?«

»Ja freilich«, sagte die ganze Familie aus einem Munde. »Sie kennen ihn unfehlbar.«

»Ich dachte mir’s wohl, daß Sie ihn kennen würden, wenn er ein irgendwie bedeutender junger Mann ist«, rief Mr. Malderton triumphierend aus. »Was meinen Sie, wer er ist?«

»Ihrer Schilderung nach«, sagte Flamwell sinnend und ließ die Stimme fast bis zum Geflüster sinken, »hat er eine starke Ähnlichkeit mit dem hochachtbaren Augustus Fitz-Edward Fitz-John Fitz-Osborne. Er ist ein äußerst begabter junger Mann und ein wenig exzentrisch. Es ist sehr wahrscheinlich, daß er zu irgendeinem Zweck für den Augenblick einen anderen Namen angenommen hat.«

Wie hoch Theresa das Herz schwoll! Sollte er wirklich der hochachtbare Augustus Fitz-Edward Fitz-John Fitz-Osborne sein? Welch ein Name auf eleganten Verlobungskarten! »Der hochachtbare Augustus Fitz-Edward Fitz-John Fitz-Osborne!« Der Gedanke war Entzücken und Seligkeit.

»’s ist in fünf Minuten fünf Uhr«, sagte Mr. Malderton, auf seine Uhr sehend; »ich will hoffen, daß er uns nicht vergebens auf sich warten läßt.«

»Da ist er!« rief Miss Theresa aus, denn es ertönten mächtige Doppelschläge an der Haustür. Alle bemühten sich – wie es häufig zu geschehen pflegt, wenn ein Besucher begierig erwartet wird – auszusehen, als wenn sie an niemands Eintreten gedacht hätten.

Die Tür wurde geöffnet. »Mr. Barton!« rief der Bediente.

»Der verwünschte Krämer«, murmelte Mr. Malderton. »Ah, mein werter Herr, wie befinden Sie sich? Nichts Neues?«

»Nein, nichts Besonderes«, antwortete Barton mit seiner gewöhnlichen biederen Zutraulichkeit; »nichts Besonderes, daß ich wüßte. Was macht ihr, Mädels und Burschen? – Freue mich, Sie hier zu sehen, Mr. Flamwell.«

»Da kommt Mr. Sparkins, und auf was für ’nem prächtigen Rappen!« sagte Tom, der durch das Fenster geschaut hatte.

In der Tat sprengte Horatio auf einem Rappen daher, den er gleich dem ersten Kunstreiter kurbettieren ließ. Er stieg ab und übergab sein Roß dem Stallbedienten, trat ein und wurde Flamwell und Barton sowie diese ihm vorgestellt. Flamwell musterte ihn durch seine Brille mit geheimnisvoll-wichtiger Miene, und Horatio warf Theresa, die sich anstrengte, ausnehmend schmachtend auszusehen, unaussprechliche Dinge verkündende Blicke zu.

»Ist’s der hochachtbare Augustus – wie nannten Sie ihn doch?« flüsterte Mrs. Malderton Flamwell zu, der sie nach dem Speisezimmer führte.

»Hm – nein – zum wenigsten nicht so ganz eigentlich«, erwiderte das große Orakel, »nicht so ganz eigentlich.«

»Aber wer ist er denn?«

»Pst!« sagte Flamwell mit bedeutsamem Kopfnicken, um anzudeuten, daß er es sehr gut wisse, allein durch wichtige Gründe bewogen würde, das wichtige Geheimnis nicht verlauten zu lassen. Der Unbekannte war vielleicht ein Mitglied des Ministeriums, das sich inkognito mit der Volksstimmung bekannt machen wollte.

»Mr. Sparkins«, sagte die glückliche Mrs. Malderton, »darf ich bitten, daß Sie die Damen trennen? John, setzen Sie einen Stuhl für den Herrn zwischen Miss Theresa und Miss Marianne.«

John versah gewöhnlich die Dienste des Stallknechts und Gärtners, war aber an diesem Tage, da es galt, Mr. Sparkins eine große Vorstellung von den Maldertons beizubringen, in Schuhe und ein weißes Halstuch gesteckt und sonst nach Kräften aufgestutzt worden, um wie ein zweiter Bedienter auszusehen. Das Diner war ausgesucht, Horatio erwies Theresa alle möglichen Aufmerksamkeiten, und alle waren äußerst vergnügt mit Ausnahme Mr. Maldertons, der seinen Schwager zu gut kannte, um nicht in fortwährender Angst zu schweben.

»Haben Sie Ihren Freund, Sir Thomas Noland, kürzlich gesehen, Flamwell?« fragte er, Horiatio von der Seite anblickend, um zu sehen, was für Effekt die Erwähnung eines so bedeutenden Mannes bei ihm machte.

»Hm, nein – ganz kürzlich nicht; vorgestern sah ich aber Lord Gubbleton.«

»Ich hoffe, Seine Lordschaft befindet sich wohl«, fuhr Malderton im Ton der lebhaftesten Teilnahme fort, und kaum wird es nötig sein, zu sagen, daß er bis zu diesem Augenblick hinsichtlich seiner Kenntnis vom Dasein des edeln Lords im Stande der vollkommensten Unschuld gelebt hatte.

»O ja; der Lord befand sich sehr wohl – in der Tat sehr wohl. Er ist ein sehr lieber Mann. Ich begegnete ihm in der City und plauderte lange mit ihm. Wir sind sehr vertraut miteinander. Ich konnte mich indes nicht so lange bei ihm aufhalten, wie ich’s gewünscht hätte, weil ich gerade auf dem Wege zu einem Bankier war, einem sehr reichen Mann und Parlamentsmitglied, mit dem ich gleichfalls, wie ich wohl sagen kann, auf dem vertrautesten Fuß stehe.«

»Ah, ich weiß, wen Sie meinen«, sagte Malderton, der genausoviel wußte wie Flamwell selbst.

»Er macht sehr ausgedehnte Geschäfte.«

Hiermit war ein sehr gefährlicher Gegenstand berührt.

»Da von Geschäften die Rede ist«, nahm Barton, der mitten am Tische saß, das Wort, »fällt mir ein, Malderton, daß vor einigen Tagen ein Herr, den Sie sehr genau gekannt haben, ehe Sie Ihre erste glückliche Spekulation machten, in meinen Laden kam, und –«

»Barton, darf ich Sie um die Kartoffeln bitten«, unterbrach ihn der unglückliche Gastgeber, in der Hoffnung, die Geschichte im Keime zu ersticken.

»Mit Vergnügen«, entgegnete der Gewürzkrämer, ohne seines Schwagers Absicht nur von fern zu ahnen – »und fragte sehr freundschaftlich –«

Malderton unterbrach ihn zum zweiten Male durch ein ähnliches Anliegen. Er fürchtete den Schluß der Erzählung und vor allen Dingen die Wiederholung des Wörtchens »Laden«.

»Und fragte also, wie gesagt, sehr freundschaftlich«, fuhr der unerschütterliche Barton fort, »wie geht es mit Ihrem Geschäft? Ich antwortete scherzend: Sie kennen meine Weise – ich halte mich nicht zu vornehm für mein Geschäft und hoffe, es wird auch mich nicht vornehm im Stich lassen. Ha, ha, ha!«

»Mr. Sparkins«, sagte Malderton, der vergeblich seinen Verdruß zu verbergen suchte, »ein Glas Wein?«

»Mit dem größten Vergnügen, Sir.«

»Freue mich, Sie bei uns zu sehen.«

»Danke ergebenst.«

»Wir sprachen vor ein paar Tagen«, fuhr der Wirt zu Horatio fort, um sowohl seinem neuen Bekannten Gelegenheit zu verschaffen, seine Unterhaltungsgabe zu zeigen, als auch in der Hoffnung, den Krämer zu hindern, mit seinen Geschichten zum Vorschein zu kommen – »wir sprachen vor ein paar Tagen über die menschliche Natur. Ihre Ansichten erschienen mir ebenso neu wie wahr.«

»Mir auch«, fiel Mr. Frederick ein, und Horatio antwortete durch eine graziöse Kopfneigung.

»Was ist denn Ihre Meinung über die Frauen, Mr. Sparkins?« nahm Mr. Malderton das Wort.

Die jungen Damen lächelten und sahen verschämt vor sich nieder.

»Der Mann«, erwiderte Horatio, »der Mann, sei es, daß er die holden, seligen, blumigen Fluren eines zweiten Eden, oder die öde, unfruchtbare, und wenn ich so sagen darf, alltäglich-gemeine Steppe bewohnt, an die wir uns in Zeiten wie die unsrigen gewöhnen müssen: ich sage, der Mann – und zwar unter allen Umständen und an jedem Orte – mühselig sein Dasein fristend zwischen den Eisfeldern der kalten Zone oder keuchend unter den senkrechten Strahlen der glühenden Äquatorsonne – der Mann würde, ohne die Frauen – allein sein.«

»Es freut mich ausnehmend, Mr. Sparkins«, bemerkte Mrs. Malderton, »zu sehen, daß Sie so ehrenhafte Meinungen hegen.«

»Mich gleichfalls«, fügte Miss Theresa hinzu.

Horatio warf ihr einen dankbar-seligen Blick zu, und die junge Dame wurde so rot wie eine vollkommen aufgeblühte Päonie.

»Meine Meinung ist«, hub Barton an –

»Ich weiß, was Sie sagen wollen«, unterbrach ihn Malderton, entschlossen, seinen Schwager nicht wieder zu Wort kommen zu lassen, »und bin Ihrer Meinung keineswegs.«

»Wieso?« fragte Barton verwundert.

»Tut mir leid, anderer Meinung sein zu müssen«, erwiderte Malderton so bestimmt, als wenn er wirklich einer ausgesprochenen Behauptung Bartons entgegentrete; »kann aber in der Tat eine Ansicht nicht billigen, die mir als durchaus verkehrt erscheint.«

»Ich wollte aber nur sagen –«

»Sie werden mich nie überzeugen«, unterbrach ihn Malderton im Tone der hartnäckigsten Bestimmtheit; »nie!«

»Und ich«, fiel Mr. Frederick ein, dem Vater zum Angriffe nachfolgend, »ich kann Mr. Sparkins‘ Meinung durchaus nicht teilen.«

»Wie!« rief Horatio aus, der in demselben Maße metaphysischer und redseliger wurde, als er gewahrte, daß ihm die Damen mit bewunderndem Entzücken zuhörten; »wie! ist die Wirkung die Folge der Ursache? Ist die Ursache die Vorläuferin der Folge?«

»Das eben ist die Frage«, fiel Flamwell beistimmend ein.

»Allerdings«, sagte Mr. Malderton.

»Ist nun die Wirkung der Ursache Folge und geht die Ursache der Wirkung vorher, so möchten Sie entschieden unrecht haben«, fuhr Horatio fort.

»Offenbar unrecht«, bekräftigte Flamwell.

»Ich darf zum wenigsten hoffen, meine Behauptung logisch begründet zu haben?« sagte Sparkins in fragendem Ton.

»Ohne allen Zweifel«, stimmte Flamwell abermals bei. »Sie haben sie ganz außer Frage gestellt.«

»Mag sein«, sagte Mr. Frederick; »es wollte mir nur nicht sogleich einleuchten.«

Und mir leuchtet es auch jetzt noch nicht ein, dachte der Gewürzkrämer.

»Wie wundervoll gescheit er ist!« flüsterte Mrs. Malderton ihren Töchtern zu, als sie sich mit ihnen zurückzog.

»Oh, er ist ein ganz prächtiger Mensch!« sagten die beiden jungen Damen. »Er muß reiche Lebenserfahrungen gemacht haben.«

Als die Herren sich selbst überlassen waren, trat eine Pause ein, während der alle sehr nachdenklich aussahen, als wenn sie durch Horatios Gedankentiefe ganz überwältigt wären. Flamwell, der auszuforschen beschlossen hatte, wer und was Mr. Sparkins eigentlich war, brach zuerst das Stillschweigen.

»Bitte um Vergebung, Sir«, hub er an, »haben Sie nicht die Rechte studiert? Es war einst auch meine Absicht, und ich bin noch jetzt mit mehreren der höchsten Zierden der englischen Anwaltschaft genau bekannt.«

»Nein!« erwiderte Horatio ein wenig zögernd, »so eigentlich nicht.«

»Allein, ich müßte doch sehr irren, wenn Sie nicht vielen Umgang mit Rechtsgelehrten gehabt hätten?«

»Allerdings; fortwährend seit meinen ersten Jünglingsjahren.

Flamwell meinte, jetzt vollkommen genau zu wissen, was er wissen wollte. Sparkins war ein junger angehender Sachwalter.

»Ich möchte nicht Sachwalter sein«, sagte Tom, der jetzt zum ersten Male den Mund öffnete und umherschaute, um jemand zu finden, der seine Bemerkung beachtete, was indes von niemand geschah.

»Ich möchte keine Perücke tragen«, wagte Tom hinzuzusetzen.

»Tom, ich bitte dich, mach dich nicht lächerlich«, nahm sein Vater das Wort. »Höre zu, unterrichte dich durch das, was du hörst, und mach nicht fortwährend so abgeschmackte Bemerkungen.«

»Ja, ja, Vater«, versetzte der unglückliche Tom, der, seit er seine Mutter um ein Viertel nach fünf – und es war jetzt acht Uhr – um ein Stück Rindfleisch gebeten, kein Wort gesprochen hatte.

»Laß gut sein, Tom«, sagte sein gutmütiger Onkel, »ich denke wie du; möchte auch keine Perücke tragen, binde lieber ’ne Schürze vor.«

Mr. Malderton hustete stark genug, allein Barton fuhr fort:

»Denn wenn sich jemand zu vornehm für sein Geschäft dünkt –«

Der Husten kehrte mit zehnfacher Heftigkeit zurück und hörte nicht eher wieder auf, als bis der Unheilstifter, der Schuld daran war, vollkommen vergessen hatte, was er sagen wollte.

»Mr. Sparkins«, begann Flamwell, seinen Entdeckungsversuch wieder aufnehmend, »kennen Sie vielleicht Mr. Delafontaine von Bedford-Square?«

»Er hat mir und ich habe ihm eine Karte geschickt, und ich hatte seitdem Gelegenheit, ihm einen nicht unbeträchtlichen Dienst zu leisten«, erwiderte Horatio, sich ein wenig verfärbend – ohne Zweifel, weil er sich hatte verleiten lassen, so etwas auszuschwatzen.

»Sie sind sehr glücklich zu schätzen, wenn Sie Gelegenheit gehabt haben, sich diesen angesehenen Mann zu verpflichten«, bemerkte Flamwell mit einer Miene tiefer Ehrerbietung.

»Ich weiß in der Tat nicht, wer er ist«, flüsterte Flamwell dem Gastgeber vertraulich zu, als sie Horatio in das Damenzimmer folgten; »indes ist es ganz ausgemacht, daß er dem Stande der Rechtsgelehrten angehört, ein Mann von Bedeutung ist, vornehme Verbindungen hat.«

»Ohne Zweifel, ohne allen Zweifel«, versetzte Mr. Malderton.

Der Abend verging äußerst angenehm. Barton schlief ein, Malderton sah sich dadurch von seinen Ängsten befreit und war deshalb so gesprächig und liebenswürdig wie möglich. Miss Theresa spielte ein Modestück, wie Mr. Sparkins erklärte, »vollkommen meisterhaft«, und beide sangen mit Frederick Terzetts ohne Zahl, nachdem sie die erfreuliche Entdeckung gemacht, daß ihre Stimmen auf das schönste harmonierten. Freilich sangen alle drei die erste Stimme und Horatio hatte nicht nur das kleine Unglück, kein musikalisches Gehör zu haben, sondern kannte auch nicht eine einzige Note; allein die Zeit verging dessenungeachtet unendlich angenehm, und es war zwölf Uhr geworden, als Mr. Sparkins sein Trauerpferd vorführen ließ. Er hatte jedoch zuvor heilig versprechen müssen, seinen Besuch am folgenden Sonntag zu wiederholen.

»Vielleicht nimmt aber Mr. Sparkins morgen abend an unserer Partie teil?« sagte die Frau vom Hause. »Malderton denkt, die Mädchen ins Theater zu führen.«

Mr. Sparkins verbeugte sich und versprach, während der Vorstellung in Loge Nr. 48 zu erscheinen.

»Wir wollen Ihnen den Vormittag nicht rauben«, sagte Theresa in bezauberndem Tone; »denn Mutter gedenkt, die Putzlädenrunde mit uns zu machen, und ich weiß, daß die Herren nur zu oft einen wahren Abscheu davor hegen.«

Mr. Sparkins verbeugte sich abermals und versicherte, daß er entzückt gewesen wäre, wenn er daran hätte teilnehmen können, doch während des Vormittags von wichtigen Geschäften in Anspruch genommen würde. Flamwell warf Malderton bedeutsame Blicke zu. »’s ist die Zeit der Gerichtssitzungen«, flüsterte er.

Am folgenden Vormittag um zwölf Uhr stand der Wagen vor Mr. Maldertons Haustür bereit, die Mutter und die Töchter aufzunehmen. Sie beabsichtigten, bei einer Freundin zu Mittag zu essen und sich zum Theater anzukleiden, zuvor aber zahllose Läden zu besuchen und mannigfache Einkäufe zu machen. Die jungen Damen vertrieben sich die Langeweile der Fahrt damit, daß sie Mr. Horatio Sparkins priesen und auf ihre Frau Mama schalten, daß diese sie immer weiter und weiter fahren ließ, um ein paar Schillinge zu sparen. Endlich hielt das Fuhrwerk vor einem sehr kläglich aussehenden Laden, in dessen Fenster ein buntes Gemisch von Handelsartikeln ausgestellt war – Saffianschuhe, Schals, Sonnenschirme und Hunderte andere.

»Oh, Himmel, Mama, wohin bringen Sie uns!« sagte Miss Theresa; »was würde Mr. Sparkins sagen, wenn er uns hier sähe!«

»Oh, um alles in der Welt!« rief Miss Marianne schaudernd aus.

»Bitte, nehmen Sie Platz, meine Damen. Was befehlen Sie?« fragte der dienstbeflissene Ladenbesitzer, der, in seinem mächtigen weißen Halstuch mit steifer Schleife, dem schlechten »Porträt eines Gentleman« in der Kunstausstellung glich.

»Ich wünsche, seidene Stoffe zu sehen«, erwiderte Mrs. Malderton.

»Augenblicklich, Ma’am – Mr. Smith! Wo ist Mr. Smith?«

»Hier, Sir«, ertönte eine Stimme aus dem Kontor hinter dem Laden.

»Geschwind, Mr. Smith«, rief ihm sein Prinzipal zu. »Sie sind doch niemals am Platz, wenn man Ihrer bedarf.«

Mr. Smith gehorchte der Aufforderung, sprang mit großer Behendigkeit über einen Warenballen, der ihm im Wege lag, und stand wie ein Deus ex machina hinter dem Ladentisch dicht vor den kauflustigen Damen. Mrs. Malderton stieß einen ohnmächtigen Schrei aus; Miss Theresa, die sich zur Seite gewendet hatte, um mit ihrer Schwester zu flüstern, blickte auf und erschaute – Horatio Sparkins!

»Wir wollen einen Schleier über die jetzt folgende Szene ziehen«, wie die Romanschreiber sagen. Der geheimnisvolle philosophische, romantische, metaphysische Sparkins – er, der der interessanten Theresa als das verkörperte Ideal der jungen Herzöge und poetischen Grafen erschienen war, von dem sie geträumt und gelesen, das zu schauen sie aber kaum gehofft hatte – war plötzlich verwandelt in Mr. Samuel Smith, den Ladendiener bei einem Kramhändler sehr untergeordneter Klasse! Das würdevolle Verschwinden des Helden von Oak Lodge bei dieser unerwarteten Enthüllung war nur der Flucht eines diebischen Hundes zu vergleichen, dem ein ansehnlicher Stein nachgeworfen wird. Die süßen Hoffnungen der Familie Malderton sollten in nichts zerfließen wie das Zitroneneis bei einem Sommerdiner; Almacks stand ihnen fortwährend so fern wie der Nordpol. Und Miss Theresas Aussichten, einen Mann zu bekommen, waren ungefähr so wahrscheinlich wie die Entdeckung einer nordwestlichen Durchfahrt durch Kapitän Roß.

Jahre sind seit jenem schrecklichen Morgen verflossen. Die Gänseblümchen haben dreimal auf dem Anger von Camberwell geblüht – die Sperlinge haben dreimal ihr Frühlingsgezirp im Hain von Camberwell wiederholt – aber noch immer sind die Misses Malderton unvermählt. Miss Theresas Fall ist verzweifelter denn je, allein Flamwell steht im Zenit seines Ansehens, und die Familie hegt immer noch dieselbe Vorliebe für aristokratische Bekanntschaften und eine verstärkte Abneigung gegen alles Gewöhnliche.

Mrs. Joseph Porter


Mrs. Joseph Porter

Umfassend und großartig waren die Vorkehrungen in der von Mr. Gattleton, dem sehr wohlhabenden Börsenmakler, bewohnten Villa Rose Clapham Rise, und groß war die gespannte Erwartung der interessanten Familie Mr. Gattletons, als der Tag herannahte, der für die »seit vielen Monaten vorbereiteten« Darstellungen auf dem Liebhabertheater bestimmt war. Die ganze Familie war von der Schauspielmanie besessen. Das sonst immer so saubere und ordentliche Haus war nach Mr. Gattletons markantem Ausdruck »wie aus den Fenstern hinausgeworfen«: Das große Speisezimmer bot, von allen Möbeln und allem Schmuck entblößt, den Anblick einer Rumpelkammer dar, denn es war gefüllt mit allen Kulissenarten, Lampen, Brücken, Wolken, Donner und Blitz, Girlanden und Blumen, Dolchen und Haudegen, und in einem Wort – mit alledem, was man unter dem Ausdruck Theaterutensilien begreift. Die Schlafzimmer waren voll von Prospekten und die Küche voll von Dekorationsarbeitern. Einen Abend um den andern fanden Proben im Besuchszimmer statt, und alle Sofas im Hause waren mehr oder minder durch die Beharrlichkeit und Energie beschädigt, womit Mr. Sempronius Gattleton und Miss Lucina die Erstickungsszene in Othello probierten – denn diese Tragödie sollte als erstes Stück aufgeführt werden.

»Wenn wir noch ein klein wenig mehr eingeübt sind, denk‘ ich, soll es ganz vortrefflich gehen«, sagte Mr. Sempronius zu den übrigen »Mitwirkenden« nach dem Schlusse der hundertundfünfzigsten Probe. Mr. Sempronius war in Erwägung der geringfügigen Unbequemlichkeit, daß er sämtliche Kosten trug, auf die artigste Weise einstimmig zum Direktor erwählt worden.

»Evans«, fuhr er fort, einen langen, schmächtigen, blassen jungen Herrn mit ausgezogenem Knebelbart anredend; »Evans, auf mein Wort, Sie spielen den Roderigo herrlich.«

»Herrlich!« wiederholten die drei Misses Gattleton.

Sämtliche Freundinnen Mr. Evans‘ erklärten ihn für »einen gar zu lieben Menschen«. Er sah so interessant aus und hatte einen so liebenswürdigen Knebelbart, ganz zu schweigen von seinem Talent, Verse in ein Stammbuch zu schreiben und die Flöte zu spielen! Der interessante Roderigo verbeugte sich mit einem unendlich süßen Lächeln.

»Ich glaube jedoch«, fügte der Direktor hinzu, »daß Sie noch nicht ganz perfekt sind in – in dem Hinfallen – in Ihrer Fechtszene – Sie verstehen?«

»Das Fallen ist sehr schwer«, sagte Mr. Evans nachdenklich. »Ich habe es in der letzten Zeit in unserem Kontor sehr oft probiert, allein, man tut sich dabei gar zu weh. Ich muß rücklings fallen, und es geht dabei nicht ohne verdrießliche Beulen ab.«

»Nehmen Sie sich ja in acht, daß Sie keine Kulisse umstürzen«, bemerkte Mr. Gattleton senior, der zum Souffleur ernannt worden war und an der Sache ein ebenso großes Interesse nahm wie die Jüngsten in der Gesellschaft. »Die Bühne ist sehr beschränkt, wie Sie wissen.«

»Seien Sie ohne Sorgen«, erwiderte Mr. Evans sehr selbstzufrieden. »Ich werde mit dem Kopf ›ab‹fallen von der Bühne, und dann kann ich keinen Schaden tun.«

»Wir machen ohne Frage bedeutenden Effekt mit dem Masaniello«, sagte der Direktor händereibend. »Harleigh singt ihn zum Bewundern.«

Die ganze Gesellschaft pflichtete bei. Mr. Harleigh lächelte, sah dabei sehr einfältig aus – was nichts Seltenes bei ihm war – summte: »O schaut, wie herrlich strahlt der Morgen«, und wurde so rot wie die Fischernachtmütze, die er aufprobierte.

»Laß doch einmal sehen«, sagte der Direktor, an den Fingern zählend. »Wir werden drei tanzende Bäuerinnen haben, außer Fenella, und vier Fischer. Dann unser Bedienter Tom, dem wir ein Paar von meinen Drellbeinkleidern und eins von Bobs gewürfelten Hemden und eine Nachtmütze geben können, so daß er auch ein Fischer ist – macht fünf. In den Chören können wir natürlich alle zwischen den Kulissen mitsingen und in der Marktszene in Mänteln umhergehen und darunter tragen, was wir wollen. Wenn der Aufstand beginnt, muß Tom mit einer Spitzhacke von der einen Seite auf die Bühne herein und an der anderen so schnell er kann wieder fortstürzen. Die Wirkung muß elektrisierend sein: es wird ganz aussehen, als ob er eine Menge wäre. Und in der Vesuvausbruchsszene müssen wir das rote Feuer brennen lassen, das Teebrett zur Erde werfen und Schreien und Lärmen aller Art treiben – und wir machen ohne Frage Furore.«

»Ohne Frage!« riefen alle aus einem Munde nach – und Mr. Sempronius Gattleton eilte fort, um sich das korkgeschwärzte Gesicht abzuwaschen und die Aufstellung einer nicht genug zu bewundernden Dekoration von Dilettantenmalerei zu beaufsichtigen.

Mrs. Gattleton war eine ehrliche, gutmütige, vulgäre alte Seele, die ihren Mann und ihre Kinder auf das zärtlichste liebte und nur drei Antipathien hatte. Erstlich waren ihr von Natur jedermanns unverheiratete Töchter, mit Ausnahme ihrer eigenen, zuwider; zweitens hegte sie eine entsetzliche Furcht vor dem Lächerlichen aller Art; und drittens – was eine notwendige Folge davon war – flößte ihr »Mrs. Joseph Porter von gegenüber« fast Schauder ein. Den guten Leuten von Clapham und Umgegend war insgemein vor Lästerung und Sarkasmen äußerst bange, und sie machten daher Mrs. Joseph Porter den Hof, schmeichelten ihr, liebedienerten ihr und luden sie ein, so ziemlich aus demselben Grunde, aus dem sich ein blutarmer Schriftsteller mit der allergrößten Höflichkeit gegen den Geldbriefträger benimmt.

»Lassen Sie es nur gut sein, Mama«, sagte Miss Emma Porter zu ihrer verehrten Mutter und bemühte sich dabei, gleichgültig auszusehen. »Wenn ich zur Teilnahme eingeladen worden wäre, so wissen Sie, daß weder Papa noch Sie selbst Ihre Erlaubnis zu einer solchen Schaustellung meiner Person gegeben haben würden.«

»Ich habe nichts anderes von deinem Schicklichkeitsgefühl erwartet«, erwiderte Mrs. Porter. »Ich freue mich zu hören, Emma, daß du die Sache so richtig benennst.«

Miss Porter hatte ihre Person, beiläufig gesagt, erst vor einer Woche vier Tage lang hinter einem Ladentisch auf Fancy Fair jedermann zur Schau gestellt, der geneigt gewesen war, einen Schilling für das Vorrecht zu bezahlen, einige Dutzend Mädchen mit Unbekannten kokettieren und Ladenjungfern spielen zu sehen.

»Seht!« rief Mrs. Porter, durch das Fenster blickend; »da werden zwei Rindskeulen und ein Schinken offenbar zu Sandwiches hineingetragen, und Thomas, der Konditor, sagt, es wären außer Blancmanger und Gelees zwölf Dutzend Torten bestellt. Und sich nun obenein die Misses Gattleton in Theaterkostümen zu denken!«

»Oh, es ist gar zu lächerlich«, sagte Miss Porter mit einem krampfhaften Kichern. »Ich will ihnen doch aber die Sache ein wenig verleiden«, sagte Mrs. Porter und griff zum Hute und Schal, um ihre menschenfreundliche Absicht auf der Stelle auszuführen.

»Meine liebe Mrs. Gattleton«, sagte sie, nachdem sie eine Zeitlang bei der Nachbarin gesessen und ihr kraft unermüdlichen Ausfragens alles abgelockt hatte, was Mrs. Gattleton selbst von den beabsichtigten theatralischen Vorstellungen wußte; »die Leute mögen sagen, was ihnen beliebt, meine Beste: und wir wissen ja, daß sie freilich viel und mancherlei reden, denn manche sind nun einmal so boshaft. Ah, meine liebe Miss Lucina, wie befinden Sie sich? – Ich wollte eben Ihrer Frau Mutter mitteilen, daß ich sagen gehört habe –«

»Was haben Sie sagen gehört?« fragte die Desdemona.

»Mrs. Porter spricht von den theatralischen Vorstellungen«, fiel Mrs. Gattleton ein. »Sie wollte mir leider eben mitteilen –«

»Ich bitte, reden Sie doch nicht davon«, unterbrach Mrs. Porter. »Es ist ja höchst abgeschmackt – geradeso abgeschmackt, als wenn der junge – wie heißt er doch? – sagt, er wundere sich, wie Miss Karoline mit einem solchen Fuße und Knöchel die Eitelkeit haben könne, die Fenella zu geben.«

»So unverschämt wie möglich, wer es auch gesagt hat«, erklärte Mrs. Gattleton, vor Unwillen errötend.

»Sie haben vollkommen recht, meine Liebe«, pflichtete die entzückte Mrs. Porter bei; »denn ich sagte gleich, wenn auch Miss Karoline die Fenella gebe, so folge ja noch gar nicht daraus, daß sie einen zierlichen Fuß zu haben glaube. Und was für Laffen diese jungen Leute sind! Er hatte die Unverschämtheit, zu sagen, –«

Es ist unmöglich, zu sagen, inwieweit Mrs. Porter ihren angenehmen Zweck erreicht haben dürfte, wenn nicht Mr. Thomas Balderstone, Mrs. Gattletons Bruder (im Familienkreise vertraulich »Onkel Tom« genannt) eingetreten wäre, das Gespräch auf einen anderen Gegenstand und Mrs. Porter auf einen trefflichen Operationsplan für den Vorstellungsabend gebracht hätte.

Onkel Tom war sehr reich, liebte seine Neffen und Nichten ausnehmend und war daher ein äußerst wichtiger Mann in der Familie. Er hatte das beste Herz von der Welt, war stets guter Laune und sprach fortwährend. Er setzte seinen Ruhm darin, bei allen Gelegenheiten Stulpenstiefel zu tragen und nie das damals moderne schwarzseidene Halstuch anzulegen. Es war sein Stolz, die wichtigsten Shakespearestücke von Anfang bis zu Ende im Gedächtnis zu haben. Die Folge dieses Papageientalents war, daß er »den Schwan von Avon« nicht nur selbst beständig zitierte, sondern daß er ihn auch nie unrichtig zitieren hören konnte, ohne den unglücklichen Delinquenten zu korrigieren. Auch war er ein Spaßvogel, ließ nie eine Gelegenheit vorübergehen, etwas Witziges oder was er dafür hielt zu sagen, und lachte ohne Ausnahme über alles, was ihm spaßig oder lächerlich vorkam, bis ihm die Tränen in die Augen traten.

»Nun, Mädchen,« sagte Onkel Tom nach dem einleitenden Küssen und Fragen nach dem Befinden, »wie steht’s mit der Hauptsache? Könnt ihr eure Rollen – wie? Lucina, liebes Kind, Akt 2, Szene l, linke Seite, Stichwort: ›Im Schoß der Zukunft harrt.‹ Wie heißt es weiter – nun? ›Verhüte Gott –‹«

»Ja, ja«, sagte Miss Lucina, »ich entsinne mich schon –

›Verhüte Gott,
Daß unsre Lieb‘ und Glück nicht sollten wachsen
Wie unsrer Tage Zahl.‹«

»Mach hier und da eine Pause«, sagte der alte Herr, der seiner Meinung nach ein großer Kritiker war. »›Daß unsre Lieb‘ und Glück nicht sollten wachsen‹ – Nachdruck auf das letzte Wort ›wachsen‹ – laut ›wie‹, – eins, zwei, drei, vier; dann wieder laut ›unsrer Tage Zahl‹; Tage betont. So ist’s recht, liebes Kind; verlaß dich auf deinen Onkel, was Betonung anbelangt. – Ah, Sem, wie geht’s, alter Junge?«

»Sehr wohl, danke schön, Onkel«, erwiderte Mr. Sempronius, der eben eingetreten war und so ziemlich wie eine Ringeltaube aussah, da er infolge seines beständigen Schwärzens einen Kreis um jedes Auge hatte. »Wir sehen Sie Donnerstag natürlich?«

»Versteht sich, versteht sich, alter Junge!«

»Wie schade es doch ist, daß Ihr Neffe nicht daran dachte, Sie zum Souffleur zu machen, Mr. Balderstone«, flüsterte Mrs. Joseph Porter. »Sie würden ganz unschätzbar gewesen sein.«

»Ich schmeichle mir allerdings, daß ich den Posten erträglich ausfüllen würde«, entgegnete Onkel Tom.

»Sie müssen mir erlauben, mich am Schauspielabend neben Sie zu setzen. Sie würden jederzeit imstande sein, mich zu belehren, wenn Ihre lieben Nichten oder Neffen in irgendeiner Beziehung fehlen sollten. Die Vorstellungen werden ganz unendlich anziehend für mich sein.«

»Und ich werde mich unendlich glücklich schätzen, Ihnen nach meinem besten Vermögen zu dienen.«

»Sie dürfen es aber nicht vergessen.« – »Sicherlich nicht.«

»Ich weiß nicht«, sagte Mrs. Gattleton zu ihren memorierenden Töchtern, als sie am Abend mit ihnen vor dem Kamin saß, »aber ich möchte gar zu gern, daß Mrs. Joseph Porter Donnerstag nicht käme. Ich bin überzeugt, daß sie Böses im Schilde führt.«

»Sie kann uns indes nicht lächerlich machen«, bemerkte Mr. Sempronius Gattleton, sich in die Brust werfend.

Der lange erwartete Donnerstag kam zur gehörigen Zeit und brachte, wie Mr. Gattleton senior philosophisch bemerkte, »keine der Rede werten Unfälle mit«. Freilich war es noch zweifelhaft, ob Cassio imstande sein würde, das Kostüm anzulegen, das man ihm aus der Maskeradengarderobe hatte kommen lassen. Ebenso ungewiß war es, ob die Sängerin von der Influenza hinlänglich wiederhergestellt sein würde, um auftreten zu können. Mr. Harleigh, der Masaniello, war heiser und fühlte sich ziemlich unpäßlich, weil er so große Quantitäten Zitronensaft und Kandiszucker genossen, um seiner Stimme zu Hilfe zu kommen; und zwei Flöten und ein Violoncell hatten sich mit starken Erkältungen entschuldigen lassen. Doch was wollte das sagen? Sämtliche Zuschauer kamen. Die Gesellschaft konnte ihre Rollen; die Anzüge waren mit Goldborten und Flittern auf das reichlichste besetzt; die weißen Federn nahmen sich prachtvoll aus; Mr. Evans hatte das Fallen so lange eingeübt, daß er perfekt darin und vom Kopf bis zu den Füßen mit Beulen bedeckt war, und Jago war vollkommen überzeugt, daß er in der Erdolchungsszene den bedeutendsten Effekt machen würde. Ein tauber Herr, der die Flöte ohne Lehrer gelernt, hatte sich freundlich erboten, sein Instrument mitzubringen und war eine schätzbare Vervollständigung des Orchesters; Miss Jenkins Fertigkeit auf dem Piano war zu bekannt, um nur einen Augenblick in Zweifel gezogen werden zu können; Mr. Cape hatte das Violinspiel oft mit ihr geübt; und Mr. Brown, der mit seinem Violincell zu kommen gütigst zugesagt hatte, wenn er nur ein paar Stunden vorher Nachricht erhielte, machte seine Sachen ohne Frage vortrefflich.

Es schlug sieben Uhr, und die Zuschauer versammelten sich; das Theater füllte sich rasch mit allem, was in Clapham und Umgegend Rang und Namen hatte. Man sah die Smiths, die Gubbins, die Nixons, die Dixons, die Hicksons usf.; ferner zwei Ratsherrn, einen Sheriff in spe, Sir Thomas Glumper (der unter der vorigen Regierung zum Ritter ernannt worden war, weil er wegen jemands Errettung von Gott weiß was eine Adresse überbracht hatte); und als die letzten, aber nicht unbedeutendsten, Mrs. Joseph Porter und Onkel Tom, die in der Mitte der dritten Sitzreihe von der Bühne saßen, Mrs. Joseph Porter Onkel Tom mit Geschichtchen aller Art und Onkel Tom jedermann durch unmäßiges Gelächter unterhaltend.

Punkt acht Uhr ertönte die Souffleurglocke, und augenblicklich begann das Orchester die Ouvertüre zu den »Geschöpfen des Prometheus«. Die Pianofortespielerin hämmerte mit der lobenswürdigsten Beharrlichkeit darauflos, und das von Zeit zu Zeit einfallende Violoncell machte sich wirklich sehr schön, wenn man etwas Rücksicht nahm. Der Unglückliche freilich, der es übernommen, die Flötenbegleitung »vom Blatte« zu spielen, erkannte aus verdrießlicher Erfahrung die vollkommene Wahrheit des alten Sprichworts: »aus den Augen, aus dem Sinn«, denn da er sehr kurzsichtig war und vom Notenbuch nur gar zu entfernt saß, so blieb seine Mitwirkung darauf beschränkt, daß er dann und wann ein paar Takte zur unrechten Zeit spielte und die anderen darausbrachte. Man läßt jedoch Mr. Brown nur Gerechtigkeit widerfahren, wenn man sagt, daß er es zum Bewundern tat. Die Ouvertüre war in der Tat einem Wettrennen der Instrumente nicht sehr unähnlich. Erst eilte das Piano und dann das Violoncell einige Takte voraus, und beide ließen die arme Flöte weit hinter sich zurück; wogegen der taube Herr durch seine Beharrlichkeit endlich doch den Sieg davontrug, indem er lustig immer drauflos blies, ohne zu ahnen, daß er allein musizierte, bis ihn das Applaudieren der Zuschauer belehrte, daß die Ouvertüre zu Ende sei. Und als sie zu Ende war, vernahm man auf der Bühne ein verwirrtes Hin- und Herlaufen, und hörte flüstern: »Das ist eine schöne Geschichte! – Was ist zu tun?« usf. Die Zuschauer applaudierten abermals, um die Schauspieler zu ermutigen, und nunmehr forderte Mr. Sempronius den Souffleur mit sehr hörbarer Stimme auf, zum Anfang zu klingeln.

Die Glocke ertönte, sämtliche Zuschauer setzten sich, der Vorhang zitterte, hob sich gerade so hoch, daß man mehrere Paar gelbe Stiefel umhertrippeln sehen konnte, und blieb dann hängen.

Abermals ertönte die Glocke, am Vorhang wurde heftig gerissen, allein er hob sich nicht höher; die Zuschauer kicherten, Mrs. Joseph Porter sah Onkel Tom und Onkel Tom sah jedermann an, rieb sich die Hände und lachte ausgelassen. Nachdem mit der kleinen Glocke so lange geläutet worden war, wie ein Semmelbursche Zeit gebraucht hätte, eine ziemlich lange Straße hinunterzuläuten, und nach sehr vielem Flüstern, Hämmern und lauten Rufen nach Nägeln und Stricken ging der Vorhang endlich in die Höhe, und auf der Bühne zeigte sich den Blicken ganz allein der Othello, Mr. Sempronius Gattleton. Das Publikum klatschte und rief Beifall zu dreien Malen, während Mr. Sempronius die rechte Hand auf die linke Brust legte und sich auf die untadeligste Weise verbeugte. Endlich trat er vor und sagte:

»Meine Damen und Herren, ich versichere Sie, daß es mit dem aufrichtigsten Bedauern geschieht, daß ich bedaure, genötigt zu sein, Ihnen ankündigen zu müssen, daß Jago, der Mr. Wilson spielen sollte – ich bitte um Vergebung, meine Damen und Herren; aber ich bin natürlich ein wenig erregt (Applaus) – ich wollte sagen, daß Mr. Wilson, der den Jago spielen sollte, im – auf – das heißt nämlich – oder mit anderen Worten, ich erhielt soeben ein Billett von ihm, worin er mir schreibt, daß Jago heute den ganzen Abend dringend im Postbüro beschäftigt sei. Unter diesen Umständen bin ich vollkommen überzeugt – wird ein – ein – Liebhabertheater – indem ein anderer Herr die Rolle zu lesen hat – und muß ich also um eine kurze Geduld bitten – und die Humanität und Güte eines britischen Publikums –«

Beifallklatschen erstickte zum Überfluß seine Stimme; er trat ab, und der Vorhang fiel. Der Vorfall versetzte die Zuschauer natürlich in die heiterste Laune; sie betrachteten das Ganze als einen Spaß, warteten mit der größten Geduld eine Stunde und ließen sich dabei die herumgereichten Erfrischungen munden. Später vernahm man von Mr. Sempronius, daß die Verzögerung nicht so lange gedauert hätte, wenn nicht Jago von der Post unerwartet gerade dann angelangt wäre, als der stellvertretende Jago soeben mit dem Ankleiden fertig geworden. Der letztere hatte sich daher wieder aus- und der erstere sich sodann ankleiden müssen, worüber eine um so beträchtlichere Zeit verging, weil ihm das Kostüm zu eng gewesen war.

Endlich nahm die Tragödie allen Ernstes ihren Anfang und hatte auch einen erträglichen Fortgang bis zur dritten Szene des ersten Akts, in der Othello den Senat anredet und Jago, dessen Füße für sämtliche Bühnenstiefel zu groß oder von der Hitze und Aufregung zu geschwollen waren, seine Rolle in gewöhnlichen kurzen Stiefeln spielen mußte, die ziemlich sonderbar von seinen reichbesetzten Pantalons abstachen. Als Othello seine Anrede an den Senat begonnen hatte (dessen Würde durch einen Handlanger, der den Herzog vorstellte, zwei auf Empfehlung des Gärtners engagierte gute Freunde besagten Handlangers und einen Knaben vertreten wurde), fand sich für Mrs. Joseph Porter die ersehnte Gelegenheit.

Mr. Sempronius fuhr fort:

»Ehrwürd’ger, mächt’ger und erlauchter Rat,
Sehr edle, wohlerprobte gute Herrn –
Daß ich dem alten Mann die Tochter nahm,
Ist völlig wahr; ich bin von rauhem Wort –«

»War das recht?« flüsterte Mrs. Porter Onkel Tom zu.

»Nein.«

»So sagen Sie es ihm doch.«

»Ja, ja, – Sem! das war nicht recht, alter Junge.«

»Was war nicht recht, Onkel?« fragte Othello, die Würde seiner Rolle gänzlich vergessend.

»Du hast etwas ausgelassen. ›Wahr, sie ist mir vermählt –‹«

»Ah, ah!« sagte Mr. Sempronius und bemühte sich ebensosehr und so unwirksam, seine Verwirrung zu verbergen, wie die Zuschauer sich Mühe gaben, ihr Kichern durch heftiges Husten zu unterdrücken – –

»wahr, sie ist mir vermählt; –
Der Tatbestand und Umfang meiner Schuld
Reicht dahin; weiter nicht.«

»Warum soufflierst du nicht, Vater?«

»Weil ich meine Brille verlegt habe«, erwiderte Mr. Gattleton, der von der Hitze und dem Getümmel halb tot war.

»Weiter!« rief Onkel Tom. »Jetzt kommt: ›ich bin von rauhem Wort‹.«

»Ja, ich weiß es«, rief der unglückliche Direktor zurück und redete weiter.

Es würde nutzlos und ermüdend sein, noch die vielen Fälle aufzuzählen, in denen Onkel Tom, der jetzt vollkommen in seinem Element war und durch die boshafte Mrs. Porter fortwährend angestachelt wurde, die Irrtümer der Schauspieler verbesserte. Es mag hinreichen, zu sagen, daß ihn, nachdem er sein Steckenpferd einmal bestiegen hatte, nichts bewegen konnte, wieder herunterzusteigen, und daß er, gleichsam als ein zweiter Souffleur, das ganze Stück vor sich hinmurmelte. Die Zuschauer ergötzten sich ausnehmend, Mrs. Porter war entzückt, und sämtliche Schauspieler gerieten außer Fassung: Onkel Tom hatte sich in seinem Leben nicht besser unterhalten, und seine Neffen und Nichten, obwohl die erklärten Erben seiner Schätze, hatten nie so herzlich gewünscht, daß er zu seinen Vätern versammelt sein möchte, wie an jenem denkwürdigen Abend.

Verschiedene andere, geringere Ursachen kamen noch hinzu, um den Eifer der Liebhaber zu dämpfen. Keiner von ihnen konnte in den knapp anliegenden Gewändern gehen oder die Arme in den Kostümen rühren: die Hosen waren zu kurz, die Stiefel zu weit und die Schwerter von allen Größen und Arten. Mr. Evans, der zu groß für die Bühne war, trug einen schwarzen Samthut mit ungeheuren, weißen Federn, die von den Zuschauern nicht gesehen werden konnten, und den er nur mit großer Schwierigkeit auf dem Kopfe zu befestigen, und wenn er ihn festgesetzt hatte, nicht wieder herunterzubringen vermochte. Trotz allem seinem Einüben fiel er mit dem Kopfe und den Schultern so meisterhaft durch eine Seitenwand, wie ein Harlekin in einer Weihnachtspantomime durch einen Reif gesprungen sein würde. Die Pianofortespielerin wurde am Anfang der Nachstücke infolge der Hitze im Saale ohnmächtig, und die Flöte und das Violoncell mußten Masaniello allein beim Gesang begleiten. Das Orchester beklagte sich, daß es von Mr. Harleigh darausgebracht würde, und Mr. Harleigh erklärte, daß ihn das Orchester gänzlich am Singen hindere. Die gemieteten Fischer revoltierten im eigentlichen Sinne und wollten schlechterdings nicht spielen, wenn ihnen nicht eine größere Quantität Branntwein bewilligt würde; und als ihrem Begehren Genüge geleistet war, traten sie in der Vesuvausbruchsszene so natürlich betrunken wie möglich auf. Das rote Feuer am Schlusse des zweiten Aktes hatte nicht nur die Zuschauer fast erstickt, sondern obendrein beinahe das Haus in Brand gesteckt, und die Schlußszene wurde in dichtem Rauche gespielt.

Kurzum, das Ganze mißglückte vollkommen, wie Mrs. Joseph Porter jedermann triumphierend sagte. Die Zuschauer kehrten um vier Uhr morgens heim, erschöpft vom Lachen, an heftigen Kopfschmerzen leidend, und schrecklich nach Schwefel und Schießpulver riechend. Die Herren Gattleton, senior und junior, begaben sich mit der unbestimmten Idee zur Ruhe, in den ersten Tagen der nächstfolgenden Woche nach dem Schwanenflusse auszuwandern.

Villa Rose sieht wieder aus wie sonst: die Möbel des Speisezimmers stehen wieder an ihrem Ort; die Tische sind so hell poliert wie früher, und sämtliche Vorderfenster haben zum Schutz gegen Mrs. Joseph Porters forschende Blicke Jalousien erhalten. Das Theater wird in der Familie Gattleton nicht mehr erwähnt, ausgenommen von seiten Onkel Toms, der sich nicht enthalten kann, bisweilen sein Erstaunen und Bedauern auszudrücken, daß seine Neffen und Nichten allen Geschmack an den Schönheiten Shakespeares und dem Zitieren aus den Werken des unsterblichen Dichters verloren zu haben scheinen.

Master Kitterbells Taufe


Master Kitterbells Taufe

Mr. Nikodemus Dumps oder, wie seine Bekannten ihn zu nennen pflegten, »der lange Dumps«, war ein Hagestolz, sechs Fuß hoch und fünfzig Jahre alt – mürrisch, totengräberisch, wunderlich und boshaft. Er war nur vergnügt, wenn er unglücklich war und fühlte sich stets unglücklich, wenn er die meiste Ursache zur Fröhlichkeit hatte. Sein einziges wahrhaftes Vergnügen bestand darin, jedermann um sich her verdrießlich oder sorgenvoll zu sehen, und erst wenn dies der Fall war, konnte man von ihm sagen, daß er seines Lebens froh wurde. Er war mit einem Amt bei der Bank mit jährlichen fünfhundert Pfund geplagt und mietete eine Wohnung in Pentonville, weil er aus seinen Fenstern die Aussicht auf den ganz nahen Kirchhof hatte. Er kannte jeden Grabstein auf das genaueste, und jedes Leichenbegängnis schien seine lebhafteste Teilnahme zu erregen. Seine Freunde nannten ihn sauertöpfisch; er bestand darauf, er sei nervenschwach. Sie hießen ihn einen Glückspilz: allein er beteuerte, der unglücklichste Mensch von der Welt zu sein. Kalt, wie er war, und unglücklich, wie er sich selbst nannte, war er doch nicht ganz unempfänglich für wärmere Gefühle und Neigungen, Er verehrte das Andenken des berühmten Whist-Schriftstellers Hoyle, da er selbst ein ausgezeichneter und unermüdlicher Whistspieler war; er kicherte vor innerlichem Behagen, wenn er einen verdrießlichen und ungeduldigen Mitspieler hatte. Den König Herodes verehrte er wegen des bethlehemischen Kindermords wie einen Heiligen; denn wenn er irgendein Geschöpf mehr als ein anderes haßte, so war es ein Kind. Übrigens mißfiel ihm freilich alles, und zwar in ziemlich gleichem Maße; vielleicht aber galten Kabrioletts, alten Frauen, Türen, die nicht schließen wollten, Musikdilettanten und Cads (Omnibuskondukteure) seine größten Antipathien. Er schickte dem Verein der Gesellschaft für Unterdrückung des Lasters beträchtliche Beiträge, um das Vergnügen zu haben, harmlose Belustigungen hindern zu helfen, und steuerte sehr reichlich zur Unterstützung zweier reisender Methodistenprediger in der holdseligen Hoffnung bei, daß recht viele durch die Umstände Begünstigte und Glückliche in dieser Welt durch die unterstützten Prediger bekehrt und durch Furcht vor der andern Welt unglücklich werden würden.

Mr. Dumps hatte einen Neffen, der seit einem Jahr verheiratet war und bei seinem Oheim einigermaßen in Gunst stand, weil er einen trefflichen Gegenstand zur Übung des Unheils stiftenden, Verdruß bereitenden Talents seines Onkels abgab. Mr. Charles Kitterbell war ein kleiner, gedrückter Mann mit einem breiten, gutgelaunten Gesicht. Er sah aus wie ein zusammengeschrumpfter Riese mit teilweise wiederhergestelltem Kopf und Antlitz und schielte dermaßen, daß es für jemand, der mit ihm sprach, rein unmöglich war dahinterzukommen, nach welcher Richtung er hinsähe. Seine Blicke schienen an die Wand geheftet, und man geriet vor ihnen außer Fassung; man bemühte sich vergebens, sie zu fesseln oder festzuhalten, und hätte sich vor ihnen verstecken mögen. Es war nur ein Glück, daß sie nicht ansteckten. Außerdem war Mr. Charles Kitterbell der leichtgläubigste und prosaischste Mann, der jemals eine Frau und ein Haus in der Großen Russelstraße, Bedfordsquare, nahm. Onkel Dumps ließ übrigens »Bedfordsquare« immer aus, und sagte dafür schauderhafterweise »Tottenham-Court-Road«.

»Wahrhaftig, Onkel, Sie müssen mir’s versprechen, Gevatter zu stehen«, sagte Mr. Kitterbell, als er sich eines Morgens bei seinem verehrten Verwandten befand.

»Kann’s, kann’s in der Tat nicht«, entgegnete Dumps.

»Aber warum denn nicht? Mary wird Sie für sehr unfreundlich halten. Es ist ja nur eine geringe Mühe.«

»Was die Mühe betrifft«, erwiderte der unglücklichste Mann von der Welt, »so denke ich gar nicht daran; allein meine Nerven sind in einem Zustand, daß ich die Taufhandlung nicht aushalten kann. Du weißt, daß ich nicht gern ausgehe. – Charles, um des Himmels willen, schaukle dich nicht so auf dem Stuhl, ich könnte wahnsinnig dabei werden.«

Mr. Kitterbell hatte sich seit einer Viertelstunde, ohne alle Rücksicht auf seines Onkels Nerven, auf dem Geschäftsstuhl in der Schwebe gehalten, so daß der Stuhl auf einem Bein balancierte.

»Bitte um Verzeihung«, sagte er bestürzt; »aber kommen Sie doch, Onkel! Wenn es ein Knabe ist, so müssen wir zwei Paten haben.«

» Wenn es ein Knabe ist!« sagte Dumps; »warum sagst du mir nicht, ob es ein Knabe oder ein Mädchen ist?«

»Ich würde es Ihnen sehr gern sagen, wenn ich nur könnte; allein das Kind ist ja noch ungeboren.«

»Noch ungeboren!« wiederholte Dumps, und ein Hoffnungsstrahl erhellte sein düsteres Antlitz. »Nun, es kann ein Mädchen werden, und dann bedarfst du meiner Patenschaft nicht; oder es wird ein Knabe, und dann kann er vor der Taufe sterben.«

»Das will ich nicht hoffen«, sagte der harrende junge Ehemann mit sehr langem Gesicht.

»Ich auch nicht«, stimmte ihm Dumps bei, der offenbar anfing, vergnügt zu werden. »Ich auch nicht; allein, in den ersten drei Tagen eines Kindeslebens kommen sehr häufig betrübende Fälle vor; der Kinnbackenkrampf ist sehr gewöhnlich, und gefährliche Darmkatarrhe bleiben fast nie aus.«

»O Himmel, Onkel!« keuchte der kleine Kitterbell.

»Ja, ja; am vorigen Dienstag kam meine Hauswirtin mit einem allerliebsten Knaben nieder; Donnerstag abend hat ihn die Wärterin auf dem Schoße – er ist so gesund und munter wie möglich – plötzlich wird er schwarz im Gesicht – man ruft den Arzt – wendet alle möglichen Mittel an, allein –«

»Entsetzlich!« unterbrach der geängstigte Kitterbell.

»Natürlich starb das Kind, doch es kann sein, daß dein Kind am Leben bleibt; und sollt‘ es ein Knabe sein und bis zur Taufe am Leben bleiben, so werd‘ ich dann freilich wohl Gevatter stehen müssen.«

Dumps hatte böse Vorahnungen und war deshalb offenbar in guter Laune.

»Ich danke Ihnen, Onkel«, sagte sein äußerst unruhig gewordener Neffe und drückte ihm die Hand so herzlich, als wenn ihm der Sonderling einen wesentlichen Dienst geleistet hätte. »Es wird jedoch am besten sein, wenn ich meiner Frau Ihre Andeutungen mitteile.«

»Wenn sie nervenschwach ist, so sag ihr wenigstens von meiner Hauswirtin Schicksal nichts«, erwiderte Dumps, der natürlich die ganze Geschichte ersonnen hatte; »obwohl es vielleicht deine Pflicht als Ehemann wäre, sie jedenfalls auf das Schlimmste vorzubereiten.«

Als Dumps ein paar Tage später beim Frühstück die Zeitung las, fiel ihm plötzlich die Geburtsanzeige eines jungen Kitterbells in das Auge.

»’s ist wirklich ein Knabe geworden!« rief er aus und warf das Zeitungsblatt auf den Tisch, faßte sich jedoch bald wieder, da seine Blicke gleich nachher auf eine lange Liste gestorbener Kinder fielen.

Es vergingen sechs Wochen, und da er keine Einladung von seinem Neffen erhielt, fing er an, sich mit dem Gedanken zu schmeicheln, daß das Kind gestorben wäre. Ein Billett zerstörte jedoch seine angenehmen Hoffnungen.

Onkel!

Sie werden hocherfreut sein, von mir zu hören, daß meine geliebte Mary das Wöchnerinnenzimmer verlassen hat und daß Ihr Großneffe und künftiger Pate vortrefflich gedeiht. Er war anfangs sehr klein, ist aber viel größer geworden, und die Wärterin sagt, daß er mit jedem Tage zunähme. Er schreit ziemlich viel und hat eine sehr sonderbare Farbe, was Mary und mich unruhig genug machte; doch die Wärterin sagt, daß es natürlich sei, und da wir von Dingen dieser Art noch nicht viel wissen und verstehen, so beruhigen wir uns vollkommen bei dem, was die Wärterin sagt. Wir glauben, daß er ein sehr kluges Kind werden wird, und die Wärterin glaubt es ganz gewiß, da er nie einschlafen will. Sie können sich leicht denken, daß wir sehr glücklich sind; wir haben nur etwa über ein wenig Ermüdung zu klagen, da er uns keine Nacht schlafen läßt; doch die Wärterin sagt, wir müßten uns daran gewöhnen, es wäre in den ersten sechs bis acht Monaten immer so. Er ist geimpft worden, allein, der Operateur hat sich etwas ungeschickt gezeigt und mit der Lymphe einige kleine Glasstückchen in den Arm gebracht, woher es vielleicht kommt, daß der Knabe ein wenig widerspenstig ist; zum wenigsten meint dies die Wärterin. Wir denken, ihn Freitag um zwölf Uhr in der St. Georgskirche in der Hartstraße Frederick Charles William taufen zu lassen. Ich bitte, kommen Sie nicht später als ein Viertel vor zwölf Uhr. Wir werden einige Freunde zum Abendessen bei uns haben, an dem Sie natürlich teilnehmen müssen. Ich füge mit Leidwesen hinzu, daß das liebe Kind heute ein wenig unruhig ist, ich fürchte, weil es Fieber hat. Glauben Sie, lieber Onkel, daß ich stets bin

Ihr ergebener Charles Kitterbell

N. S. Wir haben soeben die Unruhe des kleinen Frederick entdeckt. Sie liegt in keinem Fieber, wie ich befürchtete, sondern die Wärterin hat ihm gestern abend zufällig eine Nadel in das Bein gestochen. Wir haben sie herausgenommen, und er ist stiller geworden, obgleich er noch immerfort weint.«

Es ist fast unnötig zu sagen, daß das mitgeteilte interessante Schreiben dem hypochondrischen Dumps wenig zur Freude gereichte. Zurücktreten konnte er nicht wieder; er machte indessen die beste Miene – d. h. eine ungewöhnlich jammervolle – zum bösen Spiele und ließ für den kleinen Kitterbell einen artigen silbernen Becher mit den Buchstaben F.C.W.K. nebst obligaten Verzierungen anfertigen.

Am Montag war schönes, am Dienstag köstliches Wetter, der Mittwoch war beiden genannten Tagen gleich, und der Donnerstag übertraf sie alle; vier schöne Tage hintereinander in London! Die Mietskutscher wurden aufrührerisch, und die dem Fußgänger so dienstwillig aufwartenden Gassenkehrer fingen an, das Dasein einer Vorsehung zu bezweifeln. Der »Morning Herald« zeigte in seinen Spalten an, man habe eine alte Frau in Camden Town sagen hören, daß sich die ältesten Leute keines so beständigen schönen Wetters zu erinnern wüßten, und die Schreiber in Islington mit großen Familien und kleinen Gehältern verabschiedeten ihre schwarzen Gamaschen, verschmähten ihre einst grün gewesenen baumwollenen Regenschirme und stolzierten in weißen Strümpfen und rein gebürstetem Schuhwerk zur Stadt. Dumps sah dem allen mit der Miene tiefster Verachtung zu – sein Triumph stand nahe bevor – er wußte, daß es regnen würde, sobald er ausginge, und wenn das Wetter vier Wochen statt vier Tage schön gewesen wäre; er fühlte sich jammervoll glücklich in der Überzeugung, daß der Freitag ein sehr regnerischer Tag werden würde – und er hatte recht.

»Ich wußt’s vorher«, sagte Dumps, als er sich am Freitagmorgen um halb zwölf Uhr Mansion-House gegenüber umschaute; »ich wußt’s vorher, denn ich bin in im Spiel, und das ist genug.«

In der Tat war das Wetter hinlänglich schlecht, um auch hoffnungslustigere Leute, als Dumps war, zu entmutigen. Es hatte seit acht Uhr ohne Aufhören geregnet, und alle Fußgänger sahen naß und kotbespritzt aus. Alle Arten vergessener oder längst beiseite gestellter Regenschirme waren wieder hervorgesucht, die Gardinen der Kabrioletts sorgfältig verschlossen worden, und die letztern glichen den geheimnisvollsten Bildern in Mrs. Radcliffes Schlössern. Die Omnibuspferde rauchten wie Dampfmaschinen; niemand dachte daran, zeitweiligen Schutz unter Torwegen oder Bogen zu suchen, da das Wetter von jedermann als hoffnungslos erkannt wurde. Alles eilte und drängte triefend und in Schweiß gebadet hastig aneinander vorbei. Dumps stand still; er konnte nicht daran denken, zu gehen, da er sich zur Taufe angekleidet hatte. Nahm er ein Kabriolett, so war er überzeugt, daß er umgeworfen werden würde, und eine Mietskutsche erschien ihm bei seiner Sparsamkeit zu teuer. An der Ecke gegenüber hielt ein Omnibus – der Fall war verzweifelt – Dumps hatte nie gehört, daß ein Omnibus umgeworfen oder daß die Pferde mit einem solchen durchgegangen wären; und warf der Cad ihn um, so konnte er ihn dafür vor Gericht belangen.

»Hallo, Sir!« rief ihm der junge Gentleman zu, der die Würde des Cad bei den »Dorfburschen« – wie das erwähnte Gebäude hieß – bekleidete.

Dumps eilte hinüber.

»Hier, Sir!« rief ihm der Rosselenker des »Hark away« zu, und fuhr gerade vor die Wagentür des Nebenbuhlers; »hier, Sir – der ist voll.«

Dumps stand unschlüssig still, worauf die Dorfburschendirigenten den »Hark away« mit einem Strome von Schimpfwörtern überschütteten. Der Streit wurde jedoch vom »Admiral Napier« auf eine für alle Parteien befriedigende Weise beigelegt, indem der Admiral den langen Dumps um den Leib faßte und ihn mitten in sein Fuhrwerk hineinschleuderte, das eben herangekommen war und dem nur noch der Sechzehnte inwendig fehlte.

»Alles in Ordnung«, sagte der Admiral, und fort rasselte das Gebäude wie eine Feuerspritze im vollen Galopp mit seinem weggekaperten Passagier, der die Stellung eines halbaufgeklappten Stiefelknechts zu behaupten suchte und bei jedem Stoße bald zur einen, bald zur anderen Seite fiel, wie »ein Jack-im-Grün« am Maitag, der der Dame mit dem Kochlöffel hin und her taumelnd nachhüpft.26

»Um des Himmels willen, wo soll ich sitzen?« fragte der Unglückliche einen alten Herrn, dem er soeben zum vierten Male auf den Leib gefallen war.

»Wo Sie belieben, nur nicht auf mir«, erwiderte der alte Herr verdrießlich.

Es gelang Dumps endlich, sich einen Sitzplatz zu erringen zwischen einem Fenster, das sich nicht verschließen lassen wollte, und einem Mann, der den ganzen Morgen ohne Regenschirm umhergewandert war und aussah, als wenn er in einer Wassertonne gelegen hätte – nur noch nasser.

»Schlagen Sie doch die Tür nicht so«, sagte Dumps zu dem Kondukteur, als dieser vier Passagiere hinausgelassen hatte; »meine Nerven halten es unmöglich aus.«

»Sagte da ein Herr was?« entgegnete der Cad, steckte den Kopf in den Wagen und bemühte sich, auszusehen, als ob er nicht verstanden hätte.

»Ich sagte, Sie möchten die Tür nicht so heftig zuschlagen«, wiederholte Dumps mit einem Gesicht, das dem des Treffbuben in Krämpfen glich.

»’s ist ganz besonders mit dieser Tür, Sir; sie schließt nicht ohne Zuschlagen«, erwiderte der Cad, öffnete die Tür, so weit er konnte, und schlug sie zum Beweise seiner Angabe mit dem lautesten Krachen zu.

»Bitte um Vergebung, Sir«, redete ein kleiner, kurzatmiger alter Mann, der ihm gegenüber saß, Dumps an; »bitte um Vergebung; aber haben Sie nicht auch bemerkt, daß von fünf Omnibuspassagieren an einem Regentage immer vier mit großen, baumwollenen Regenschirmen einsteigen, die weder Griffe noch Spitzen haben?«

»Nein, Sir, ich habe die Bemerkung noch nicht gemacht«, entgegnete Dumps; er hörte es zwölf schlagen und schrie, da der Omnibus eben an Drury-Lane vorüberrasselte, wo er hinausgelassen zu werden bestimmt hatte: »Hallo, hallo! – wo ist der Cad?«

Der Cad hörte nicht. Einige mutwillige Passagiere kicherten. Der Omnibus rollte an der St. Giles-Kirche vorüber. Dumps wurde ganz heiser und matt von vergeblichem Rufen.

»Halt!« rief endlich der Cad. »Ich will mich fressen lassen, wenn ich den Herrn nicht vergessen hab’«, der bei Drury-Lane abgesetzt werden wollte. – Machen’s ein bissel hurtig, Sir, wenn’s beliebt!«

Er öffnete die Wagentür und half Dumps so kaltblütig hinaus, als wenn »alles in Ordnung« wäre. Dumps‘ Entrüstung gewann dieses Mal die Oberhand über seinen bittern Gleichmut. »Drury-Lane!« keuchte er mit der Stimme eines Knaben, der zum ersten Male in ein kaltes Bad geht.

»Drury-Lane, Sir? – ja, Sir – an der dritten Ecke rechter Hand, Sir!«

Dumps‘ Zorn beherrschte ihn ganz; er faßte seinen Regenschirm mit festem Griff und ging mit großen Schritten und mit dem hartnäckigen Entschluß davon, seine Fahrt nicht zu bezahlen. Es traf sich so merkwürdig, daß der Cad gerade der entgegengesetzten Meinung war, und der Himmel mag wissen, wozu diese Meinungsverschiedenheit geführt haben würde, wenn sie nicht durch den Kutscher zu einem sehr schicklichen und befriedigenden Ende gebracht worden wäre.

»Hallo!« rief dieses respektable Individuum, auf dem Bocke stehend und sich mit der einen Hand auf das Omnibusdach stützend; »hallo, Tom, sag dem Herrn, wenn er sich betrogen fühlte, wollten wir ihn umsonst nach Edgeware-Road mitnehmen und ihn bei Drury-Lane absetzen, wenn wir zurückkämen. Da kann er nichts gegen haben.«

Es war in der Tat nichts dawider einzuwenden; Dumps zahlte die bestrittenen sechs Pence, stand nach einer Viertelstunde vor seines Neffen Haustür in der Großen Russelstraße und wurde sofort eingelassen. – Im Hause deutete alles darauf hin, daß Vorbereitungen getroffen wurden, abends »einige Freunde« zu empfangen. Das sehr heiß und geschäftig aussehende Hausmädchen führte Dumps in ein vorderes, sehr stattlich möbliertes Besuchszimmer, in dem auf allen Tischen kleine Körbe, Porzellanfiguren, Rosa- und Goldalbums, regenbogenfarbige kleine Bücher und dergleichen Sächelchen zur Schau standen und lagen.

»Ah, Onkel«, rief Kitterbell Dumps entgegen; »wie befinden Sie sich? Liebe Mary – mein Onkel. Ich denke, Sie haben Mary schon gesehen, Sir?«

»Habe schon das Vergnügen gehabt«, erwiderte der lange Dumps, doch so, daß es der Ton seiner Stimme und seine Mienen sehr zweifelhaft machten, ob er jemals in seinem Leben dergleichen empfunden habe

»Gewiß«, sagte Mrs. Kitterbell mit einem schmachtenden Lächeln und ein wenig hustend; »gewiß – hm – jeder Freund meines Charles – hm – und noch weit mehr jeder Anverwandte ist –«

»Ich kenne deine Gesinnung, meine Liebe«, unterbrach sie der kleine Kitterbell, indem er seine Gattin auf das zärtlichste anblickte und dabei aussah, als wenn er nach den Häusern gegenüber schaute; »möge dich der Himmel dafür segnen.«

Er begleitete diese letzteren Worte mit einem so süßen Lächeln und einem so zärtlichen Händedruck, daß Onkel Dumps‘ Galle erregt wurde.

»Jane, sag der Wärterin, daß sie den Kleinen herunterbringen möchte«, befahl Mrs. Kitterbell dem Hausmädchen.

Mrs. Kitterbell war eine große, dünne junge Frau mit sehr hellem Haar und einem auffallend weißen Gesicht – eine der jungen Frauen die, obwohl man schwerlich zu sagen wüßte, warum, stets den Gedanken an kalten Kalbsbraten hervorrufen. Das Hausmädchen ging, und die Wärterin kam, und zwar mit einem sehr, sehr kleinen Bündel auf den Armen, das in einen blauen Mantel mit weißem Pelzbesatz eingehüllt und in dem das Kindlein verborgen war.

»Nun, Onkel«, sagte Kitterbell, indem er mit einer triumphierenden Miene das Gesicht des Kindes enthüllte, »was meinen Sie, wem sieht er ähnlich?«

Mrs. Kitterbell wiederholte kichernd die Frage, nahm ihres Gatten Arm und sah Dumps mit so viel Freundlichkeit, als sie anzunehmen imstande war, in das Gesicht. »Gütiger Himmel, wie klein er ist!« rief der liebenswürdige Oheim aus, mit sehr gut nachgemachter Überraschung zurückschreckend; »in der Tat, ganz merkwürdig klein.«

»Meinen Sie wirklich?« fragte der arme kleine Kitterbell, ein wenig verblüfft. »Er ist jetzt ein Ungeheuer gegen das, was er anfangs war – nicht wahr, Wärterin?«

»’s ist ein Herz«, sagte die Wärterin ausweichend und das Kind an die Brust drückend. Sie hätte freilich nichts dawider gehabt, eine Unwahrheit zu sagen, allein, sie mochte sich nicht um Dumps‘ halbe Krone bringen.

»Aber wem sieht er ähnlich?« fragte der kleine Kitterbell zum zweiten Male.

Dumps sah auf das kleine rosa Bündel hinunter und sann eben nach, wie er die jungen Eheleute am besten ärgern könnte.

»Meinen Sie nicht, daß er mir ähnlich sieht?« fragte sein Neffe mit einer schalkhaften Miene.

» Dir ganz bestimmt nicht«, erwiderte Dumps mit nicht zu mißdeutender nachdrücklicher Betonung. »Nein, dir sieht er nicht im mindesten ähnlich – keine Spur von Ähnlichkeit.«

»Mary?« fragte Kitterbell kleinlaut.

»Auch nicht, Charles; nicht von fern. Ich bin in solchen Dingen natürlich kein kompetenter Richter, allein ich glaube wirklich, er ist einer der kleinen, interessanten Steinfiguren ähnlich, wie man sie bisweilen eine Trompete blasend auf Grabmonumenten sieht.«

Die Wärterin beugte sich über das Kind nieder und unterdrückte nur mit großer Mühe ein lautes Gelächter. Die Eltern sahen fast ebenso jammervoll wie der liebenswürdige Oheim aus.

»Sie werden schon noch besser sagen können, wem er ähnlich sieht«, bemerkte der niedergeschlagene kleine Vater. »Sie sollen ihn heute abend ohne Mantel sehen.«

»Ich danke dir«, sagte Dumps mit Empfindungen, die von allem, was Dankbarkeit heißt, sehr weit entfernt waren.

»Es ist aber Zeit, daß wir aufbrechen, Liebe«, sagte Kitterbell zu seiner Frau. »Onkel, wir treffen den andern Paten und die Patin in der Kirche – Mr. und Mrs. Wilson – ganz allerliebste Leute. Meine liebe Mary, du hast dich doch warm angekleidet?«

Mrs. Kitterbell bejahte.

»Willst du nicht lieber noch einen Schal umbinden?« sagte der besorgte Gatte.

»Es ist nicht nötig, mein süßes Herz«, erwiderte die bezaubernde Mutter, Dumps‘ dargebotenen Arm nehmend.

Sie stiegen in die Mietskutsche, und Dumps unterhielt Mrs. Kitterbell während der Fahrt zur Kirche damit, daß er ihr mit großer Anschaulichkeit weitläufig die Gefahren der Zahnfieber, Masern, Blattern, Brechdurchfälle, Krämpfe und anderer Kinderkrankheiten schilderte. Die etwa fünf Minuten währende Taufe ging vorüber, ohne daß sich etwas Besonderes dabei ereignet hätte. Der Geistliche war zu einem Mittagessen in einer entfernten Vorstadt eingeladen und hatte vorher noch in weniger als einer Stunde zwei Wöchnerinnen einzusegnen, drei Kinder zu taufen und einen Leichensermon zu halten. Die Gevattern sprachen daher in des Täuflings Namen, »zu entsagen dem Teufel und allen seinen Werken«, und der kleine Kitterbell war getauft im Umsehen und ohne Gefährdung, nur fehlte wenig, daß Dumps das unter den Händen des Geistlichen in das Taufbecken hätte fallen lassen. Mit schwerem Herzen und der qualvollen Aussicht auf eine Abendgesellschaft langte Dumps um zwei Uhr in seiner Wohnung an.

Der Abend kam – und auch Dumps‘ Tanzschuhe, schwarze, seidene Strümpfe und weißes Halstuch. Der unglückliche Pate kleidete sich in eines Freundes Kontor an und begab sich von dort zu Fuß – denn hatte zu regnen aufgehört, und das Wetter war erträglich geworden – in einer Stimmung fünfzig Grad unter Null nach der Großen Straße. Er ging langsam seines Weges, sah so bärbeißig aus wie das Gallionsbild eines Kriegsschiffes und entdeckte bei jedem Schritte neue Ursachen des Verdrusses. Er wendete sich eben um eine Ecke, als ein anscheinend betrunkener Mensch gegen ihn anrannte und ihn niedergeworfen haben würde, wenn er nicht hilfreich von einem elegant kleideten jungen Herrn gehalten worden wäre. Der Stoß hatte jedoch seine Nerven so sehr erschüttert und seinen Anzug in eine so schmähliche Unordnung gebracht, daß er kaum aufrecht stehen konnte. Der Herr gab ihm den Arm und geleitete ihn äußerst gefällig bis zum Fernival-Gasthaus. Dumps empfand zum ersten Male in seinem Leben Dankbarkeit und Neigung zur Höflichkeit und schied von dem jungen Mann unter vielen eifrigen Versicherungen, sich ihm höchlich verpflichtet zu fühlen.

»Es gibt doch wenigstens einige Wohlgesinnte in der Welt«, dachte der misanthropische Dumps im Weitergehen.

Als er sich Kitterbells Haus näherte, klopfte dort oben ein Kutscher an, aus dessen Wagen eine alte Dame und ein alter Herr und drei Kopien der alten Dame in rosa Kleidern und Schuhen ausstiegen. »’s ist eine große Gesellschaft«, seufzte der unglückliche Gevatter und wischte sich große Schweißtropfen von der Stirn. Es währte einige Zeit, ehe er sich überwinden konnte, zu klopfen; und als er eingelassen wurde, den geputzten Mietaufwärter und den Hausflur so glänzend erleuchtet sah und das Gesumm vieler Stimmen und die Töne einer Harfe und zweier Violinen sein Ohr trafen, drängte sich ihm sogleich die wehmütige Überzeugung auf, daß seine Vermutungen nur zu wohl begründet wären.

Der kleine Kitterbell schoß unendlich geschäftig aus dem kleinen Hinterstübchen mit einem Korkzieher in der Hand heraus und begrüßte ihn.

»Guter Gott!« rief Dumps aus, als er sich in das Hinterstübchen begab, um seine Schuhe anzuziehen, die er in der Rocktasche mitgebracht hatte, und eine Menge Flaschen und Gläser erblickte; »wie viele Gäste hast du denn oben?«

»O, nicht mehr als fünfunddreißig; und wir werden ein ordentliches warmes Essen haben. Mary hielt es für besser wegen des Redenhaltens und all dem. Aber um des Himmels willen, Onkel, was haben Sie denn? Was haben Sie verloren? Ihre Brieftasche?«

Dumps stand da mit einem Schuh, durchsuchte seine Taschen und schnitt dabei die schrecklichsten Gesichter.

»Nein«, sagte er in Tönen redend, wie Desdemona mit dem Kissen auf dem Munde.

»Ihr Markenkästchen – Ihre Schnupftabaksdose – Ihren Hausschlüssel?« ließ Kitterbell schnell wie Blitze eine weitere Frage auf die andern folgen.

»Nein, nein!« ächzte Dumps, fortwährend seine Taschen durchsuchend.

»Vielleicht – vielleicht den Becher, von dem Sie heute morgen sprachen?«

»Ja, den Becher!« entgegnete Dumps, auf einen Stuhl sinkend.

»Wie konnten Sie aber auch so etwas verlieren?« sagte Kitterbell. »Sind Sie gewiß, daß Sie ihn eingesteckt haben?«

»O weh! jetzt wird mir alles klar!« rief Dumps plötzlich aus. »Ich unglückseliger Mensch – ich bin zur Qual geboren; jetzt ist mir alles klar: es war der elegante, gefällige junge Herr!«

»Mr. Dumps!« schrie mit Stentorstimme der in einen Aufwärter verwandelte Obsthändler, indem er dem ziemlich wieder gefaßten Paten eine halbe Stunde später die Tür des Gesellschaftszimmers öffnete. Aller Augen wendeten sich nach der Tür, und Dumps, der sich so behaglich und an seiner Stelle fühlte wie ein Lachs auf einem Kiesweg, trat ein.

»Freue mich, Sie wiederzusehen«, sagte Mrs. Kitterbell, ohne im mindesten zu ahnen, wie verwirrt und elend der Unglückliche war; »erlauben Sie mir, Sie den Meinigen vorzustellen. Meine Mutter, Mr. Dumps – mein Vater – meine Schwestern.« Dumps ergriff die Hand der Mutter mit so viel Wärme, als wenn die alte Dame seine eigene Mutter gewesen wäre, verbeugte sich vor den jungen Frauenzimmern und gegen einen Herrn hinter ihm, ohne von dem Vater Notiz zu nehmen, der eine Verbeugung nach der andern machte.

»Onkel«, sagte der kleine Kitterbell, nachdem Dumps ein paar Dutzend erlesenen Freunden vorgestellt worden war, »Sie müssen mir vergönnen, daß ich Sie meinem Freunde Danton dort hinten vorstelle. Ein ganz ausgezeichneter Mensch! Ich weiß gewiß, daß er Ihnen gefallen wird – hier, wenn’s beliebt.«

Dumps folgte so langsam wie ein zahmer Bär.

Mr. Danton war ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren mit einem beträchtlichen Vorrat von Unverschämtheit und einem sehr kleinen Maß von Verstand und Kenntnissen. Er war besonders bei den jungen Damen von sechzehn bis sechsundzwanzig ausnehmend beliebt, verstand, die Töne des Waldhorns bewundernswürdig nachzuahmen, sang ganz unnachahmlich komische Lieder und konnte seinen Verehrerinnen impertinente Albernheiten und Plattheiten auf die einnehmendste Weise von der Welt sagen. Er hatte, Gott weiß wie, den Ruf erlangt, ein äußerst witziger Kopf zu sein, und natürlich lachten alle, die ihn kannten, sobald er nur den Mund öffnete.

Dumps wurde ihm und er Dumps vorgestellt. Mr. Danton verbeugte sich und drehte ein Damentaschentuch, das er in der Hand hatte, auf eine höchst komische Weise. Jedermann lächelte.

»Sehr warm«, sagte Dumps, der es notwendig erachtete, etwas zu sagen.

»Es war gestern noch wärmer«, bemerkte der witzige Danton, und alle Umstehenden lachten laut.

»Es gewährt mir großes Vergnügen, Ihnen zu Ihrem ersten Auftreten in der Vater- – Gevatterrolle wollte ich sagen – Glück zu wünschen«, fuhr Danton fort.

Die jungen Damen waren in Ekstase, und die Herren wollten sich vor Lachen ausschütten.

Ein allgemeines Bewunderungsgesumm unterbrach das Gespräch. Die Wärterin mit dem Kinde trat herein. Die jungen Damen umringten sie augenblicklich; denn die Mädchen sind in Gesellschaft stets unendlich verliebt in Kinderchen.

»Oh, welch ein liebes Kind!« rief die eine.

»Du süßes Herzchen!« eine zweite.

»Welch ein himmlisches kleines Wesen!« eine dritte im Tone der allerhöchsten Bewunderung und Zärtlichkeit.

»Was für allerliebste kleine Arme« jubelte eine vierte und hielt einen Arm des Kindes empor, der etwa von der Größe und Gestalt eines gerupften Hühnerbeins war.

»Geben Sie ihn mir einmal her, Wärterin«, sagte eine fünfte.

»Kann er schon die Augen öffnen, Wärterin?« fragte eine sechste, die vollkommenste Unschuld spielend.

Mit einem Wort, die unverheirateten Damen erklärten das Kind einstimmig für einen Engel, und die verheirateten gestanden einhellig, daß es das hübscheste sei, das sie je gesehen hätten – ihre eigenen ausgenommen.

Der Tanz wurde wieder begonnen und über Mr. Danton geurteilt, daß er sich selbst übertreffe. Mehrere junge Damen entzückten die Gesellschaft und gewannen sich selbst Bewunderer durch sentimentale Lieder, die sie mit großem Ausdruck sangen. Die jungen Herren »machten sich höchst angenehm«, wie Mrs. Kitterbell sagte; die Mädchen ließen ihre Gelegenheiten nicht unbenutzt vorübergehen, und alles verhieß einen köstlichen und köstlich endenden Abend. Dumps hatte sich jedoch einen Plan – einen kleinen Spaß nach seiner Art ausgedacht und war fast vergnügt. Er spielte einen Rubber und verlor ihn bis auf den letzten Point, was er, wie Mr. Danton sagte, mit Willen getan, indem es sein letzter, sein Ziel-Point, beim Spiel gewesen. Die ganze Gesellschaft lachte. Dumps antwortete durch einen weit besseren Scherz, allein niemand lächelte auch nur, mit Ausnahme des Wirts, der es für seine Pflicht zu halten schien, über alles zu lachen, bis er schwarz im Gesicht war. Nur in einer einzigen Beziehung ging nicht alles, wie es sollte – die Spielleute spielten nicht mit so viel Feuer, wie man es hätte wünschen mögen; indes konnten sie allerdings eine genügende Entschuldigung anführen. Sie hatten nämlich schon den ganzen Tag auf einem Dampfschiff gespielt, das eine muntere Gesellschaft nach Gravesend hin- und zurückgefahren hatte.

Das Souper war ausgesucht. Mrs. Kitterbell hatte vier Zuckertempel auf den Tisch stellen lassen, die sich vortrefflich ausgenommen hätten, wenn sie nicht zusammengeschmolzen wären, ehe sich die Gesellschaft zu Tisch setzte. Ebenso lief das Wasser eines Beckens mit einer allerliebsten Mühle auf das Tischtuch über, statt daß die letztere umlief. Es fehlte nicht an allen möglichen Leckerbissen, nur ein paarmal an reinen Tellern. Mr. Kitterbell rief sich heiser danach, sie kamen dennoch nicht, und die Herren, denen sie fehlten, erklärten, es tue gar nichts, sie wollten ein jeder den Teller einer Dame nehmen. Mrs. Kitterbell belobte sie wegen ihrer Galanterie; der Obsthändler rannte umher, bis ihm seine acht Schillinge sehr sauer verdient vorkamen; die jungen Damen aßen nicht viel, aus Furcht, daß es unromantisch aussehen könnte, und die verheirateten Damen aßen soviel wie möglich, aus Furcht, nicht genug zu bekommen; es wurde viel Wein getrunken, und alle sprachen und lachten nicht wenig.

»Pst, pst!« sagte der kleine Kitterbell aufstehend und mit sehr wichtiger Miene. »Meine Liebe«, rief er seiner Gattin am anderen Ende des Tisches zu, »übernimm es, für Mrs. Marwell und deine Frau Mutter und die übrigen verheirateten Damen zu sorgen; ich bin überzeugt, die Herren werden die jungen Damen bewegen, ihre Gläser zu füllen.«

»Meine Damen und Herren«, begann der lange Dumps mit einer echten Grabstimme und Bußpredigtbetonung, indem er sich wie der Geist im Don Juan erhob, »wollen Sie die Güte haben, Ihre Gläser zu füllen? Ich wünsche sehr, eine Gesundheit auszubringen.«

Es folgte ein tiefes Stillschweigen, die Gläser wurden gefüllt, und man sah nur noch ernsthafte Gesichter.

»Meine Damen und Herren«, fuhr Dumps langsam fort, »ich –«

Hier ahmte Mr. Danton ein paar Takte Waldhornmusik nach, und zwar so durchdringend und natürlich, daß der nervenschwache Dumps wie elektrisiert war und die übrige Gesellschaft ausgelassen lachte.

»Zur Ordnung, zur Ordnung!« rief der kleine Kitterbell, indem er seine Lachlust zu bemeistern suchte.

»Zur Ordnung!« riefen die Herren.

»Danton, seien Sie ruhig«, herrschte ein engerer Bekannter den Frevler an, ohne sein Lachen ganz unterdrücken zu können.

Dumps faßte sich sehr bald wieder, zumal er nur wenig außer Fassung gekommen, denn er war ein ziemlich guter Redner, und hub noch einmal an. »Meine Damen und Herren, ich habe es mir erlaubt, aufzustehen, um Ihnen eine Gesundheit vorzuschlagen, da dergleichen meines Wissens Gebrauch bei Taufschmäusen ist und ich einer der Paten Master Frederick Charles William Kitterbells bin.« (Seine Stimme bebte bei diesen Worten, denn er erinnerte sich des Bechers.) »Ich brauche kaum zu sagen, daß mein Vorschlag dahin geht, auf das Wohlsein und Gedeihen des jungen Herrleins zu trinken, zu dessen Ehren wir hier versammelt sind. (Beifall.) Meine Damen und Herren, wir können unmöglich annehmen, daß seine Eltern, deren aufrichtige Freundinnen und Freunde wir alle sind, ihre Lebensbahn zurücklegen werden, ohne ihre Leidenskraft auf schwere Proben gestellt zu sehen, ohne manch großes Leid, viel herben Kummer, ohne Verluste zu erleiden!«

Hier hielt der arglistige, schalkhafte Dumps inne, zog langsam und bedächtig ein großes, weißes Tuch aus der Tasche, und mehrere Damen folgten seinem Beispiele.

»Daß sie lange damit verschont bleiben mögen, ist mein inbrünstiges Flehen, mein heißester Wunsch.« (Die Großmutter begann hier vernehmlich zu schluchzen.) »Ich hoffe und vertraue, meine Damen und Herren, daß das liebe Kind, dessen Tauffeier uns zusammengeführt hat, seinen liebenden Eltern nicht durch einen frühen Tod entrissen, daß seine jetzt scheinbar gute Gesundheit nicht durch ein langsames Siechtum zerstört werden möge.« (Dumps blickte sardonisch umher, denn er sah, daß er beträchtlichen Eindruck bei den verheirateten Damen hervorgebracht hatte.) »Ich weiß, daß Sie meinen Wunsch teilen, daß es leben möge zur Freude und zum Trost seines Vaters und seiner Mutter.« (Hier rief Mr. Kitterbell: »hört, hört!« und schluchzte gerührt.) »Doch sollte der Knabe nicht so werden, wie wir es von ihm wünschen – sollte er dereinst vergessen, was er seinen zärtlichen Eltern schuldig ist und verdankt – sollten sie so unglücklich sein, an ihm zu erfahren, wie traurig wahr es ist, daß ›ein undankbarer Sohn schlimmer ist als der Zahn einer giftigen Schlange‹–«

Hier stürzte Mrs. Kitterbell mit dem Tuche vor den Augen und von mehreren Damen begleitet hinaus und sank im Vorzimmer in heftigen Krämpfen zu Boden; ihr Gatte war fast in demselben Zustande, und Dumps hatte sich großen Beifall erworben, denn wie es auch sei, man läßt sich gern rühren.

Kaum braucht indes hinzugefügt zu werden, daß Onkel Dumps‘ Rede den Freuden des Abends ein Ende machte. Weinessig, Hirschhorn und kaltes Wasser waren urplötzlich so sehr an der Tagesordnung, wie es kurz zuvor Glühwein und Backwerk gewesen waren. Man brachte Mrs. Kitterbell in ihr Schlafgemach, die Spielleute wurden verabschiedet, aller Scherz wie alles Lachen und Schäkern hörten auf, und die Gesellschaft entfernte sich in aller Stille. Dumps entfernte sich zuerst und ging leichten Schrittes und mit einem (für ihn) fröhlichen – Herzen nach Hause. Seine Hauswirtin will ihn auf eine eigentümliche Weise lachen gehört haben, sobald er seine Tür hinter sich verschlossen hatte; eine Behauptung, die jedoch zu unwahrscheinlich ist, als daß man ihr Glauben schenken könnte.

Kitterbells Familie hat sich seit der Zeit sehr vermehrt; er erfreut sich jetzt zweier Knaben und eines Mädchens und sieht sich, da er seine Kinderzahl binnen kurzem abermals vergrößert zu sehen erwartet, nach einem passenden Taufpaten um. Er ist jedoch entschlossen, ihm zwei Bedingungen zu stellen. Der Taufpate soll sich erstlich feierlich verpflichten, durchaus keine Rede beim Nachtisch zu halten, und zweitens auf keinerlei Weise mit »dem unglücklichsten Manne von der Welt« in Verbindung stehen zu dürfen.

Ende