Zehntes Kapitel


Kardinal Passionei. – Der Papst. – Mariuccia. – Ankunft in Neapel

Kardinal Passionei empfing mich in einem großen Zimmer, wo er mit Schreiben beschäftigt war. Er bat mich, eine Minute zu warten, bis er fertig wäre; aber einen Stuhl zu nehmen, konnte er mich nicht auffordern, denn auf dem einzigen, der sich in dem ungeheuren Raum befand, saß er selber.

Als er seine Feder hingelegt hatte, stand er auf, kam auf mich zu und sagte: »Ich werde den Papst benachrichtigen. Mein Kollege Cornaro hätte übrigens eine bessere Wahl treffen können; denn er weiß, daß der Papst mich nicht liebt.«

»Er hat den Mann, der geachtet wird, dem Mann, der geliebt wird, vorgezogen.«

»Ich weiß nicht, ob der Papst mich achtet; aber ich weiß, daß er weiß, daß ich ihn nicht achte. Ich habe ihn geliebt und geachtet, als er Kardinal war, und habe zu seiner Erwählung zum Papste beigetragen; aber seitdem er die Tiara hat, ist er ganz anders geworden; er hat sich als ein zu großer Coglione gezeigt.«

»Das Konklave hätte Eure Eminenz wählen sollen.«

»Durchaus nicht; denn bei meiner Unduldsamkeit gegen alles, was mir als Mißbrauch erscheint, würde ich ohne Rücksicht auf den Schuldigen dreingeschlagen haben; und Gott weiß, was für Folgen daraus entstanden wären. Der einzige Kardinal, der würdig war, Papst zu werden, war Tamburini. Aber es ist nun einmal geschehen. Ich höre Leute kommen; leben Sie wohl, kommen Sie morgen wieder.«

Welches Vergnügen für mich, einen Kardinal den Papst Coglione (Tölpel) nennen zu hören und ihn für Tamburini eintreten zu sehen! Ich bewahrte diese Anekdote sofort in meinem Tagebuch auf; ein so kostbarer Bissen durfte nicht verschmäht werden. Aber wer war denn dieser Tamburini? Ich hatte niemals von ihm gehört. Ich fragte Winkelmann danach, als er zu mir zum Abendessen kam. Der Philosoph antwortete mir: »Tamburini ist ein Mann, der durch seine Tugenden, seinen Charakter, seine Festigkeit und seinen hellsehenden Geist achtungswert ist. Er hat aus seinen feindseligen Gefühlen gegen die Jesuiten niemals ein Hehl gemacht; er nennt sie die Väter des Betruges, der Ränke und der Lüge. Darum eben singt Passionei sein Lob. Ich glaube wie er, daß Tamburini ein großer und ein würdiger Papst sein würde.«

Ich will bei dieser Gelegenheit vorgreifend berichten, was ich neun Jahre später beim Fürsten Santa Croce in Rom einen blindlings ergebenen Anhänger der Jesuiten sagen hörte. Kardinal Tamburini lag im Sterben; im Gespräch darüber sagte jemand: »Dieser Benediktinerkardinal ist ein Frevler an Gott; er liegt auf dem Totenbett und hat die heilige Wegzehrung verlangt, ohne sich vorher durch die Beichte zu reinigen.« Ich sagte kein Wort; da ich aber gerne wissen wollte, was daran war, so erkundigte ich mich gleich am nächsten Morgen bei einem, der die Wahrheit wissen mußte und keinen Grund haben konnte, sie mir zu verschweigen. Er sagte mir, der Kardinal habe erst vor drei Tagen Messe gelesen, und wenn er keinen Beichtvater gerufen habe, so sei dies ohne Zweifel unterblieben, weil er ihm nichts zu sagen gehabt habe.

Wehe denen, die die Wahrheit lieben und ihr nicht bis an die Quelle nachzugehen wissen! Der Leser verzeihe mir eine Abschweifung, die nicht ohne ein gewisses Interesse ist.

Am nächsten Morgen ging ich also zum Kardinal Passionei, der mich mit den Worten empfing, es sei recht von mir, daß ich so früh gekommen sei, um ihm die Geschichte meiner Flucht aus den Bleikammern zu erzählen, von der er mit Bewunderung habe sprechen hören.

»Monsignore, ich bin bereit, Eure Eminenz zufriedenzustellen; aber die Geschichte ist lang.«

»Um so besser; denn man hat mir gesagt, Sie erzählen gut.«

»Aber, Euer Gnaden, soll ich mich auf den Fußboden setzen?«

»O nein, dazu ist Ihr Anzug zu schön.«

Er klingelte und sagte einem Kammerherrn, er möchte einen Stuhl besorgen. Ein Bedienter brachte einen Schemel. Ein Sitz ohne Rücken- und Armlehnen! Der Anblick machte mich verdrießlich; ich erzählte schnell und schlecht, und in einer Viertelstunde war ich mit allem fertig.

»Ich schreibe besser, als Sie sprechen,« sagte der Kardinal.

»Monsignore, ich spreche nur gut, wenn ich mich behaglich fühle.«

»Aber Sie tun sich doch meinetwegen keinen Zwang an?«

»Nein, gnädiger Herr, wegen eines Menschen, zumal wegen eines Weisen, tue ich das niemals; aber Ihr Schemel …«

»Sie lieben Ihre Bequemlichkeit?«

»Über alles.«

»Sehen Sie, dies ist meine Leichenrede auf den Prinzen Eugen. Ich schenke sie Ihnen. Ich hoffe, Sie werden meinen lateinischen Stil nicht schlecht finden. Sie können morgen um zehn Uhr dem Heiligen Vater den Pantoffel küssen.«

In meiner Wohnung angekommen, dachte ich über den Charakter dieses sonderbaren Kardinals nach. Ich erkannte in ihm einen geistvollen, hochmütigen, eitlen und schwatzhaften Mann und beschloß, ihm ein schönes Geschenk zu machen. Es war der Band Pandectorum liber unicus, den Herr von F. mir in Bern geschenkt hatte und mit welchem ich nichts anzufangen wußte. Es war ein Folioband auf schönem Papier gut gedruckt, herrlich gebunden und ausgezeichnet erhalten. Als Großbibliothekar des Vatikans mußte er dies Geschenk kostbar finden, um so mehr, da er eine reiche Privatbücherei besaß, die von meinem Freunde, dem Abbate Winkelmann, verwaltet wurde. Ich schrieb demgemäß einen kurzen lateinischen Brief und sandte diesen an Winkelmann, den ich beauftragte, meine Gabe Seiner Eminenz darzubieten. Mich dünkte, dieses seltene Werk sei wohl so viel wert wie seine Leichenrede, und ich hoffte, daß er mir ein anderes Mal nicht nur die Ehren des Schemels würde zuteil werden lassen.

Am nächsten Morgen begab ich mich zur festgesetzten Stunde nach »Monte Cavallo.« Eigentlich müßte man »Monte Cavalli« sagen, denn der Name stammt von den beiden schönen Rossen, die den Platz vor dem Portal des päpstlichen Palastes schmücken. Um mich dem Heiligen Vater vorzustellen, hatte ich mich durch niemanden anmelden zu lassen nötig gehabt; denn jeder Christ kann sich vorstellen, sobald er die Tür offen sieht. Übrigens hatte ich Seine Heiligkeit in Padua gekannt, als sie den dortigen Bischofssitz einnahm; aber es lag mir an der Ehre, durch einen Kardinal angemeldet zu verden.

Nachdem ich vor dem Oberhaupt der Gläubigen eine Verbeugung gemacht und das auf den heiligen Pantoffel gestickte heilige Kreuz geküßt hatte, sagte der Papst zu mir, indem er seine Rechte auf meine linke Schulter legte, er erinnere sich, daß ich in Padua stets die Kirche verlassen, sobald er den Rosenkranz angestimmt habe.

»Allerheiligster Vater, ich habe mir viel größere Sünden vorzuwerfen; darum habe ich mich vor Ihren heiligen Füßen niedergeworfen, um Vergebung zu erlangen.«

Er gab mir hierauf seinen Segen – eine sehr gangbare Münze in Rom – und fragte mich sehr freundlich, welche Gnade er mir erweisen könne.

»Ihre heilige Fürsprache, um mit sicherem Geleit nach Venedig zurückkehren zu können.«

»Wir werden mit dem Botschafter sprechen und Ihnen dann Antwort geben. Gehen Sie oft zum Kardinal Passionei?«

»Ich bin dreimal bei ihm gewesen. Er hat mir seine Leichenrede auf den Prinzen Eugen geschenkt. Um ihm meine Erkenntlichkeit zu zeigen, habe ich ihm den Pandektenband gesandt.«

»Hat er ihn angenommen?«

»Ich glaube: ja, Allerheiligster Vater.«

»Wenn er ihn angenommen hat, wird er Winkelmann zu Ihnen schicken, um ihn zu bezahlen.«

»Damit würde er mich als Büchertrödler behandeln; Bezahlung werde ich nicht annehmen.«

»Dann wird er Ihnen den Kodex zurückschicken. Davon sind wir überzeugt, denn es ist seine Gewohnheit.«

»Wenn Seine Eminenz den Kodex zurückschickt, sende ich ihm seine Leichenrede zurück.«

über diese Antwort lachte der Papst so, daß er sich schüttelte.

»Es wird uns angenehm sein, den Ausgang dieser Geschichte zu hören, ohne daß die Welt etwas von unserer unschuldigen Neugier hört.«

Nach diesen Worten zeigte ein salbungsvoller Segen mir an, daß meine Audienz beendigt sei.

Als ich den Palast Seiner Heiligkeit verließ, wurde ich von einem alten Abbate angeredet, der mich mit großer Ehrfurcht grüßte und mich fragte, ob ich nicht der Herr Casanova sei, der die glückliche Flucht aus den Bleikammern bewerkstelligt habe.

»Allerdings; der bin ich.«

»Ei, liebster Herr! Der Himmel sei gepriesen, daß ich Sie in so gutem Zustande wiedersehe.«

»Aber mit wem habe ich denn die Ehre zu sprechen.«

»Was? Sie erkennen mich nicht wieder? Ich bin der frühere Barkarole Momolo von Venedig.«

»Sie sind also Priester geworden!«

»O nein, gewiß nicht! Hier in Rom ist aber die Sutane die Allerweltsuniform. Ich bin erster Scopatore unseres Heiligen Vaters, des Papstes.«

»Ich wünsche Ihnen Glück dazu. Aber nehmen Sie mir’s nicht übel, wenn Sie mich lachen sehen.«

»O, lachen Sie nur! Lachen Sie nur! Meine Frau und meine Töchter lachen auch, so oft sie mich mit Sutane und Bäffchen sehen, und ich lache selber darüber; aber hier setzt einen dieses Kleid in Achtung. Besuchen Sie uns doch mal!«

»Wo wohnen Sie?«

»Hinter der Trinità de‘ Monti; hier meine Adresse!«

»Ich werde heute Abend das Vergnügen haben.«

Hocherfreut über dies Zusammentreffen ging ich nach Hause; es war mir ein Fest, den Abend in einer venetianischen Barkarolenfamilie verbringen zu können. Ich lud meinen Bruder ein, mich zu begleiten, und erzählte ihm von dem Empfang, den ich beim Papst gefunden hatte.

Am Nachmittag kam Winkelmann und sagte mir, ich habe das Glück, bei seinem Kardinal in höchster Gunst zu stehen, denn der ihm von mir gesandte Kodex sei ein sehr kostbares Buch; er sei sehr selten und mein Exemplar sei besser erhalten als das in der Vatikanischen Bücherei befindliche. Er sei beauftragt, es mir zu bezahlen.

»Ich habe Seiner Eminenz geschrieben, daß ich es ihm schenke.«

»Er nimmt keine Bücher als Geschenk an, denn er wünscht Ihren Kodex für seine Privatbücherei, und da er Bibliothekar der Vatikanischen ist, so fürchtet er die Verleumdung.«

»Das ist ganz schön und gut, aber ich bin kein Büchertrödler, und dieses Buch hat mir weiter nichts gekostet, als die Mühe, es anzunehmen; ich kann es nur zu demselben Preis weitergeben. Sagen Sie bitte dem Kardinal, daß er mir eine Ehre erweisen wird, indem er es annimmt.«

»Er wird es Ihnen zurückschicken.«

»Das steht ihm frei, aber dann werde ich ihm seine Leichenrede zurückschicken, denn ich wünsche kein Geschenk von jemandem, der ein Geschenk von mir zurückweist.«

So kam es auch wirklich. Am anderen Tage schickte der schnurrige Kardinal mir meinen Kodex zurück, und ich sandte ihm im selben Augenblick seine Leichenrede wieder; obgleich ich sie kaum flüchtig durchgeblättert hatte, schrieb ich ihm, ich hätte in ihr ein Meisterwerk gefunden. Mein Bruder tadelte mich; aber ich ließ ihn reden, da ich durchaus keine Lust hatte, mich nach seinen irrigen Ansichten zu richten.

Am Abend begab ich mich also mit meinem Bruder zum »Scopatore Santissimo«, der schon auf mich wartete und mich seiner Familie als einen Wundermann angekündigt hatte. Nachdem ich ihm meinen Bruder vorgestellt hatte, sah ich mir alle Anwesenden an. Ich sah eine alte Frau, vier Mädchen, von denen die älteste vierundzwanzig Jahre alt war, und zwei kleine Knaben. Alle waren häßlich; dies war nicht einladend für einen wollüstigen Menschen, aber ich war einmal da, und so mußte ich höflich sein und, wie man sagt, gute Miene zum bösen Spiel machen; ich blieb und lachte. Abgesehen von der Häßlichkeit ihrer Mitglieder bot diese brave Familie auch noch ein Bild der Armut dar, denn der Scopatore Santissimo mußte mit seiner zahlreichen Familie von zweihundert römischen Talern im Jahre leben, und da der apostolische Kehricht nicht denselben Wert hat wie die Darmentleerungen des Dalai Lama, so mußte er mit dieser geringen Summe alle Bedürfnisse bestreiten. Trotzdem war der brave Mann außerordentlich herzlich; sobald er mich sitzen sah, sagte er, er werde mir ein Abendessen geben, aber er habe nur eine Polenta und frische Schweinsrippchen.

»Das ist ein köstliches Essen,« antwortete ich ihm; »aber erlauben Sie, daß ich aus meiner Wohnung sechs Fiaschi Orvietowein holen lasse?«

»Sie haben hier zu befehlen.«

Ich schrieb an Costa einen Zettel und befahl ihm, mir sofort die sechs Flaschen und einen gekochten Schinken zu bringen. Eine halbe Stunde darauf kam er mit dem Lohndiener, der den Korb trug, und bei seinem Anblick riefen die vier Mädchen: »Ei, das ist ein hübscher Junge!«

Da ich sah, daß Costa von diesem Empfang entzückt war, sagte ich Momolo: »Wenn er Ihnen so gut gefällt wie Ihren Töchtern, will ich ihm erlauben, zu bleiben.«

Costa war hocherfreut über soviel Ehre, bedankte sich und ging in die Küche, um der Mutter bei der Zubereitung der Polenta zu helfen.

Ein großer Tisch wurde mit einem sehr sauberen Tuch gedeckt; und darauf wurden zwei riesige Schüsseln Polenta und eine ebenso große Pfanne mit Schweinsrippchen aufgesetzt. Wir wollten uns gerade über die Speisen hermachen, als an der Straßentür geklopft wurde.

»Es ist Signora Maria mit ihrer Mutter,« sagte der Junge. Bei dieser Ankündigung sah ich Momolos vier Töchter Gesichter schneiden.

»Wer hat sie gerufen?« sagte die eine; »Was wollen sie hier?« die andere; »Die Zudringlichen!« rief die Dritte; »Sie konnten wohl auch zu Hause bleiben!« bemerkte die vierte.

»Liebe Kinder,« sagte der brave Vater, »sie haben Hunger und werden mit uns teilen, was die Vorsehung uns beschert hat.«

Dieser großmütige Ausspruch des guten Mannes rührte mich. Ich sah, daß die wahre christliche Liebe öfter im Herzen des Armen zu finden ist als bei demjenigen, den das Glück mit seinen Gaben überschüttet und den es gleichgültig gegen die Leiden des Nächsten macht, indem es ihm alles gibt, was sein Herz begehrt.

Während ich diesen Betrachtungen nachhing, die der Seele so unendlich wohltun, sah ich die beiden Hungrigen eintreten. Die eine war ein hübsches junges Mädchen von bescheidener und anmutiger Miene; ihre Mutter war ebenfalls bescheiden und schien sich ihrer Armut zu schämen. Die Tochter grüßte mit jener natürlichen Anmut, die ein Gottesgeschenk ist, und entschuldigte sich, indem sie schüchtern und verlegen sagte, sie würde sich nicht die Freiheit genommen haben, zu ihnen zu kommen, wenn sie hätte ahnen können, daß Fremde da seien.

Nur der gute Momolo antwortete auf ihr Kompliment, indem er im herzlichen Tone zu ihr sagte, es wäre sehr nett von ihr, daß sie gekommen wäre; mit diesen Worten schob er zwischen meinen Bruder und mich einen Stuhl für sie ein. Ich sah sie näher an und fand in ihr eine vollendete Schönheit.

Man begann zu essen und sprach nicht mehr. Die Polenta war ausgezeichnet, die Schweinsrippchen köstlich, der Schinken tadellos; in weniger als einer Stunde war der Tisch geräumt, wie wenn gar nichts darauf gewesen wäre, aber beim Orvieto blieb die Gesellschaft fröhlich beisammen. Es wurde von der Lotterieziehung gesprochen, die zwei Tage darauf stattfinden sollte, und alle Mädchen nannten die Nummer, auf die sie einige Bajocchi gesetzt hatten.

»Wenn ich nur einer einzigen Nummer sicher sein könnte,« sagte ich zu ihnen, »so würde ich mich freuen.«

Die junge Mariuccia sagte mir, wenn ich an einer einzigen Nummer genug hätte, so könnte sie mir diese nennen. Ich lachte über ihr Anerbieten; sie aber nannte mir mit dem ernstesten Gesicht Nummer siebenundzwanzig.

»Kann man noch spielen?« fragte ich den Abbate Momolo.

»Es wird erst um Mitternacht geschlossen, und wenn Sie wollen, werde ich die Nummer für Sie holen.«

»Hier haben Sie vierzig Taler; setzen Sie zwanzig auf Nummer siebenundzwanzig Auszug; ich schenke diese den fünf jungen Damen; die anderen zwanzig Taler setzen Sie auf dieselbe Nummer und ebenfalls auf Auszug, aber auf die fünfte Stelle; diese behalte ich für mich.«

Er ging augenblicklich fort und kam bald mit den beiden Losen wieder.

Meine hübsche Nachbarin dankte mir und sagte, sie sei vollkommen sicher, daß sie gewinnen werde; aber an meinem Lose zweifle sie, denn es sei nicht wahrscheinlich, daß die Siebenundzwanzig als fünfte Nummer herauskomme.

»Ich aber bin dessen sicher,« antwortete ich ihr, »denn Sie sind das fünfte Mädchen, das ich in diesem Hause gesehen habe.«

Über diese Bemerkung lachte die ganze Gesellschaft laut auf. Mutter Momolo sagte mir, ich hätte das Geld lieber den Armen geben sollen; ihr Mann aber hieß sie schweigen; sie wisse nicht, was für einen klugen Kopf ich hätte. Mein Bruder lachte, sagte mir aber auch, ich hätte eine Dummheit gemacht.

»Ich mache gern einmal eine Dummheit,« antwortete ich ihm, »übrigens werden wir ja sehen: ich habe gespielt, und wenn man spielt, gewinnt oder verliert man.«

Bei diesen Worten drückte ich meiner schönen Nachbarin unbemerkt die Hand, und sie gab mir den Druck mit aller Kraft zurück. Mir war sofort klar, wie es zwischen Mariuccia und mir kommen würde. Gegen Mitternacht verließ ich die Gesellschaft, indem ich den guten Momolo bat, am übernächsten Tage wieder ein solches Abendessen zu veranstalten, damit wir uns über den Lotteriegewinn freuen könnten, den wir machen würden. Auf dem Heimwege sagte mein Bruder zu mir: wenn ich nicht ein Krösus geworden wäre, müßte ich verrückt sein. Ich antwortete ihm, ich sei weder das eine noch das andere, aber Mariuccia sei schön wie ein Engel. Dies gab er zu.

Am nächsten Tage kam Mengs nach Rom zurück, und ich speiste in seiner Familie. Er hatte eine Schwester, die sehr häßlich, aber gut und talentvoll war; sie hatte sich leidenschaftlich in meinen Bruder verliebt, und man konnte leicht merken, daß ihre Flamme nicht erloschen war; aber wenn sie mit ihm sprach – und das tat sie so oft, wie die Gelegenheit sich bot, – sah Giovanni sie nicht an.

Sie war eine ausgezeichnete Miniaturmalerin, die ganz besonders glücklich die Ähnlichkeit zu treffen wußte. Ich glaube, sie lebt noch jetzt in Rom mit ihrem Gatten, einem gewissen Maroni. Sie sprach mit mir oft über meinen Bruder, dessen Abneigung sie kannte, und sagte mir eines Tages, er würde sie nicht mißachten, wenn er nicht der undankbarste aller Menschen wäre. Ich war nicht neugierig, zu erfahren, welche Anrechte auf seine Dankbarkeit sie besaß.

Die Gattin von Mengs war hübsch, anständig, ihren Pflichten treu ergeben, eine gute Mutter und ihrem Manne sehr ergeben, obwohl sie ihn schwerlich lieben konnte, denn er war nichts weniger als liebenswürdig. Er war eigensinnig und grausam, und wenn er zu Hause speiste, stand er nie vom Tische auf, ohne betrunken zu sein; außer dem Hause war er mäßig, da er nur Wasser trank. Seine Frau trieb die Selbstüberwindung so weit, daß sie ihm für alle nackten Frauenkörper als Modell diente. Als ich eines Tages mit ihr darüber sprach, wie peinlich es ihr sein müsse, eine so unangenehme Aufgabe zu erfüllen, sagte sie zu mir, ihr Beichtvater habe dies von ihr verlangt; er habe zu ihr gesagt: »Wenn Ihr Mann ein anderes Weib zum Modell nimmt, wird er mit ihr fleischlich verkehren, ehe er sie malt, und diese Sünde werden Sie sich vorzuwerfen haben.«

Nach dem Abendessen schoß Winkelmann, der wie alle anderen männlichen Gäste betrunken war, mit Mengs Kindern Purzelbäume. Der gelehrte Philosoph hatte nichts Pedantisches an sich; er liebte Kinder und Jugend, und sein heiteres Gemüt ließ ihn Freude an allen Vergnügen finden.

Als ich am nächsten Tage zum Papst ging, um diesem meine Aufwartung zu machen, sah ich Momolo im ersten Vorzimmer; ich verfehlte nicht, ihn an die Polenta für den Abend zu erinnern.

Der Heilige Vater sagte bei meinem Anblick: »Der venetianische Gesandte hat uns gesagt, Sie müssen sich dem Sekretär des Tribunals vorstellen, wenn Sie gern in Ihr Vaterland zurückkehren wollen.«

»Allerheiligster Vater, ich bin vollkommen bereit, diesen Schritt zu tun, wenn Eure Heiligkeit mir einen eigenhändigen Empfehlungbrief geben wollen. Ohne diese schützende Ägide werde ich mich niemals der Gefahr aussetzen, wieder an einen Ort gebracht zu werden, aus welchem mich sichtlich Gottes Hand durch ein Wunder befreit hat.«

»Sie tragen ein sehr reiches Kleid, das Sie gewiß nicht in der Absicht angezogen haben, um zu Gott zu beten.«

»Allerdings nicht, Allerheiligster Vater; doch auch nicht in der Absicht, auf den Ball zu gehen.«

»Wir kennen die ganze Geschichte von der Rücksendung der Geschenke. Gestehen Sie, Sie haben es getan, um Ihrem Stolz zu schmeicheln.«

»Ja, aber indem ich einen größeren Stolz demütigte.«

Als ich den Papst über meine Antwort lachen sah, beugte ich ein Knie zur Erde und bat ihn, mir zu gestatten, daß ich meine Pandekten der Vatikanischen Bibliothek schenken dürfe. Statt einer Antwort empfing ich einen Segen, was in der päpstlichen Sprache bedeutet: Stehen Sie auf, die Gnade ist bewilligt.

»Wir werden Ihnen,« sagte er zu mir, »die Zeichen ›unseres ganz besonderen Wohlwollens‹ zusenden, ohne daß Sie nötig haben, die Einschreibgebühren an die Kammer zu zahlen.«

Ein zweiter Segen hieß mich gehen. Ich habe oft gewünscht, daß diese Sprache überall angewandt werden könnte, um Zudringliche los zu werden, von denen wir belästigt werden und denen man nicht zu sagen wagt: Gehen Sie!

Ich war sehr neugierig, welcher Art die Zeichen ›des besonderen Wohlwollens‹ sein würden, von denen der Papst gesprochen hatte; ich fürchtete, sie würden sich nach dem gewöhnlichen Brauch auf einen geweihten Rosenkranz beschränken, mit welchem ich nichts hätte anfangen können.

Sobald ich zu Hause war, schickte ich durch Costa meinen Kodex nach dem Vatikan; hierauf ging ich zu Mengs zum Mittagessen. Als wir bei der Suppe waren, wurden die Nummern der Lotterie gebracht. Mein Bruder warf einen Blick darauf und sah mich voll Erstaunen an. Ich dachte in diesem Augenblick an etwas anderes, und sein erstauntes Gesicht überraschte mich.

»Die Siebenundzwanzig«, rief er, »ist als fünfte Zahl herausgekommen!«

»Um so besser; da werden wir lachen.«

Als Mengs die Geschichte gehört hatte, sagte er: »Es ist eine glückliche Dummheit, aber eine Dummheit bleibt es.«

Er hatte recht, und ich gab dies zu. »Aber,« sagte ich, »um einen würdigen Gebrauch von den fünfzehnhundert römischen Talern zu machen, die dieser Zufall mir verschafft hat, werde ich auf vierzehn Tage nach Neapel fahren.«

»Ich mache die Reise mit,« rief der Abbate Alfani, »und werde mich für Ihren Sekretär ausgeben.«

»Sehr angenehm, halten Sie nur Wort.«

Ich lud Winkelmann ein, beim Abbate Scopatore Santissimo die Polenta zu essen, und beauftragte meinen Bruder, ihn hinzuführen; hierauf machte ich meinem Bankier, dem Marchese Belloni, einen Besuch, um meine Rechnung in Ordnung zu bringen und einen Kreditbrief auf seinen Geschäftsfreund in Neapel zu nehmen. Ich besaß noch zweihunderttausend Franken, hatte Juwelen für dreißigtausend und fünfzigtausend Gulden in Amsterdam.

In der Dämmerung kam ich bei Momolo an und fand dort Winkelmann und meinen Bruder schon vor; aber anstatt die Familie fröhlich zu sehen, fand ich lauter traurige Gesichter.

»Was haben denn Ihre Töchter?« fragte ich Momolo.

»Sie sind ärgerlich, daß Sie nicht auch für sie auf den bestimmten Auszug gesetzt haben, wie für sich selber.«

»Man ist niemals zufrieden. Hätte ich auch für sie wie für mich gespielt, und wäre die Nummer nicht als fünfte, sondern als erste Zahl herausgekommen, so hätten sie nichts gewonnen und würden sich geärgert haben. Vor zwei Tagen hatten sie keinen Soldo, und jetzt hat jede von ihnen fünfzig Taler; da müssen sie doch sehr zufrieden sein.«

»Das sage ich ihnen auch; aber die Weiber sind nun mal so.«

»Die Männer auch, mein lieber Landsmann, wenn sie nicht vernünftig sind. Geld macht nicht glücklich, und Fröhlichkeit wohnt nur in sorglosen Herzen. Sprechen wir nicht mehr davon und laßt uns lustig sein!«

Costa stellte einen Korb mit zehn Düten voll Zuckerwerk auf den Tisch.

»Ich werde sie austeilen,« sagte ich, »wenn die ganze Gesellschaft bei Tisch ist.«

Da sagte mir Momolos zweite Tochter, Mariuccia und ihre Mutter würden nicht kommen, aber sie würde ihnen die beiden Düten hinbringen.

»Warum werden sie denn nicht kommen?«

»Sie haben gestern einen Streit gehabt!« sagte der Vater, »und Mariuccia, die im Grunde recht hat, ist fortgegangen und hat gesagt, sie würde nicht wiederkommen.«

»Wie undankbar!« sagte ich mit sanftem Vorwurf zu den Töchtern meines Wirtes; »bedenken Sie, daß nur sie Ihnen Glück gebracht hat; denn sie hat mir die Nummer siebenundzwanzig gegeben, an die ich niemals gedacht haben würde. Kurz und gut, sehen Sie zu, daß sie wiederkommt; sonst geh ich fort und nehme die zehn Düten mit.«

»Daran tun Sie vollkommen recht!« sagte Momolo.

Die Mädchen machten gekränkte Mienen, sahen einander an und baten dann ihren Vater, er möchte sie holen.

»Nein,« antwortete dieser ihnen; »das schickt sich nicht; ihr seid schuld, daß sie nicht mehr kommen will, und darum müßt ihr für die Versöhnung sorgen.«

Sie berieten sich einen Augenblick; dann baten sie Costa, sie zu begleiten und gingen zu Mariuccia.

Eine halbe Stunde später kamen sie triumphierend zurück, Costa strahlte vor Stolz, daß seine Vermittlung die Aussöhnung der jungen Mädchen zustande gebracht hatte. Ich teilte die Zuckerdüten aus, und die schöne Maria bekam die beiden besten. Die edle Polenta erschien auf dem Tisch, von zwei großen Schüsseln mit Schweinsrippchen begleitet. Aber Momolo, der meinen Geschmack kannte und den ich durch seine Töchter reich gemacht hatte, fügte noch einige Schüsseln mit feinen Speisen und mehrere Fiaschi ausgezeichneten Weines hinzu. Mariuccia war einfach gekleidet, aber ihre Schönheit machte den Anzug elegant, und ihr Benehmen war ausgezeichnet; sie verführte mich. Ich hatte ihr meine Leidenschaft nur dadurch zu erkennen gegeben, daß ich ihr die Hand drückte, und sie konnte mir nur in derselben Sprache antworten; aber diese war so ausdrucksvoll, daß ich nicht an ihrer Liebe zweifeln konnte. Als wir uns entfernten, richtete ich es so ein, daß ich mit ihr die Treppe herunterging; ich fragte sie, ob ich sie irgendwo sprechen könnte, und sie bestellte mich für den nächsten Tag auf acht Uhr nach der Trinità de‘ Monti.

Mariuccia war groß, von eleganter und anmutiger Haltung, zum malen schön, weiß wie ein blasses Rosenblatt, und ihre Weiße, die durch die dunklen Adern noch gehoben wurde, gab ihrer Haut jenen Reiz, der zur Wollust stimmt. Ihre blonden Haare waren von seltener Schönheit, und über ihren dunkelblauen, fast schwarzen Augen wölbten sich zwei Bogen von vollkommener Regelmäßigkeit. Niemals ist ein so regelmäßiger Mund von zwei röteren Lippen eingefaßt, noch mit einem schöneren Gebiß geziert gewesen. Ihre hohe und herrlich gerundete Stirn gab ihr ein majestätisches Aussehen, das die Vollendung des Ganzen noch erhöhte. Ihr sanftes und liebenswürdiges Lächeln stand in harmonischem Einklang mit ihren funkensprühenden großen Augen; eine weiße, fleischige Hand, fein gerundete Finger, rosige Nägel, ein von den Grazien geformter Busen, den ein neidisches Mieder nur mit Mühe gefangen hielt, ein außerordentlich kleiner Fuß und starke Hüften – dies alles machte Mariuccia zu einer Schönheit, die des Meißels eines Praxiteles würdig war. Das junge Mädchen war noch nicht achtzehn Jahre alt, und obgleich sie in Rom wohnte, war sie doch bis dahin den Blicken der Kenner entgangen. Der glücklichste Zufall führte sie mir in einer der abgelegensten Straßen zu, wo sie arm und unbekannt lebte, und mir war das Glück beschieden, sie glücklich zu machen.

Wie man sich denken kann, erschien ich pünktlich zum Stelldichein, sie verließ die Kirche, sobald sie sicher war, daß ich sie gesehen hatte. Ich folgte ihr von ferne, bis ich sie in ein großes verfallenes Gebäude eintreten sah. Ich trat ebenfalls ein, und sie blieb stehen, als sie das obere Ende einer Treppe erreicht hatte, die mir in der Luft zu schweben schien. »Hier«, sagte sie zu mir, »wird es keinem Menschen einfallen, mich zu suchen; Sie können also ungestört mit mir reden.«

Ich setzte mich neben sie auf den Stein und machte ihr eine leidenschaftlichste Liebeserklärung. »Sagen Sie mir,« so schloß ich, »was ich für Ihr Glück tun kann; denn ich schmachte nach Ihrem Besitz, aber ich will diesen vorher verdienen.«

»Machen Sie mich glücklich, und ich werde mich von Herzen gern Ihren Wünschen ergeben, denn ich liebe Sie ebenfalls.«

»Sagen Sie mir, was ich tun soll.«

»Erretten Sie mich aus der Armut, die mich zu Boden drückt! Ich muß bei meiner Mutter leben; sie ist eine gute Frau, aber fromm bis zum Aberglauben und wird mich durch ihre Bemühungen um mein Seelenheil noch in die Hölle bringen. Sie schilt mich wegen meiner Sauberkeit, weil beim Waschen meine Hand meinen Körper berühren muß und weil meine Reinlichkeit ein Anlaß werden kann, Männern zu gefallen. Wenn Sie mir das Geld, das ich durch Sie in der Lotterie gewonnen habe, als einfaches Almosen gegeben hätten, so würde sie mich gezwungen haben, es zurückzuweisen, weil Sie vielleicht schlechte Absichten dabei hätten haben können. Sie erlaubt mir, allein in die Messe zu gehen, weil unser Beichtvater ihr gesagt hat, sie könne dies; aber ich würde nicht wagen, auch nur eine einzige Minute länger auszubleiben, ausgenommen an Festtagen. An diesen Tagen verrichte ich meine Andacht, und es ist mir erlaubt, zwei oder drei Stunden lang zu beten. Infolgedessen können wir uns nur hier sehen; aber wenn Sie bereit sind, etwas zur Erleichterung meiner Lage zu tun, so kann ich Ihnen hiermit angeben, auf welche Weise dies möglich wäre: ein sehr hübscher junger Mann von ausgezeichnetem Betragen, seines Standes Perückenmacher, hat mich vor etwa vierzehn Tagen bei Momolos gesehen. Am nächsten Tage gab er mir an der Kirchentür einen Brief, erklärte mir seine Liebe und schrieb, wenn ich ihm nur eine kleine Mitgift von vierhundert Talern bringen könnte, würde er mich heiraten. Er würde einen Laden aufmachen und die notwendigen Möbel für unseren Hausstand anschaffen. Ich antwortete ihm: ich sei arm und besitze nur hundertundfünfzig Taler in Gnadenscheinen, die mein Beichtvater mir aufbewahre. – Jetzt besitze ich zweihundert; denn wenn ich mich verheiraten kann, wird meine Mutter mir gern ihren Anteil von dem Gewinne geben, den wir Ihnen verdanken. Sie könnten mich also glücklich machen, indem Sie mir für zweihundert Taler Gnadenscheine besorgten. Sie würden diese Zettel meinem Beichtvater bringen; er ist ein frommer Mann, hat mich lieb und würde meiner Mutter nichts davon sagen.«

»Ich brauche mich nicht um Almosenzettel zu bemühen, mein Engel. Gleich heute werde ich Ihrem Beichtvater zweihundert Piaster bringen, das übrige werden Sie besorgen. Sagen Sie mir seinen Namen; morgen werde ich Ihnen über meine Bemühungen Bericht erstatten, aber nicht hier; denn die Kälte und der Wind töten mich, überlassen Sie mir die Sorge, eine Wohnung zu finden, wo wir in aller Bequemlichkeit zusammen sein können und nicht zu befürchten brauchen, daß irgend ein Mensch von unserem Zusammensein etwas merkt. Ich werde Sie morgen zur selben Stunde in der Kirche sehen, sobald Sie mich bemerkt haben, folgen Sie mir!«

Mariuccia nannte mir den Namen ihres Beichtvaters und gestattete mir alle Liebkosungen, die ich an jenem traurigen Ort von ihr verlangen konnte. Die Küsse, mit denen sie die meinigen erwiderte, ließen mich nicht daran zweifeln, daß sie die Liebe teilte, die sie mir eingeflößt hatte. Mit dem Glockenschlage neun verließ ich sie, fast erstarrt, aber liebeglühend.

Es galt vor allen Dingen, mir eine passende Wohnung zu verschaffen, um mich schon am nächsten Tage in den Besitz dieses Schatzes setzen zu können.

Ich verließ den verfallenen Palast, aber anstatt mich nach der Piazza di Spagna zu begeben, wandte ich mich nach links und betrat eine enge, schmutzige Straße, die nur von sehr geringen Leuten bewohnt war. Da ich sehr langsam ging, kam eine Frau aus einem Hause heraus und fragte mich höflich, ob ich jemanden suche.

»Ich suche ein Zimmer zu mieten.«

»Hier gibt es keine, mein Herr, aber auf der Piazza werden Sie hundert für eins finden.«

»Das weiß ich, aber ich wünsche ein Zimmer in dieser Straße, nicht der Ersparnis wegen, sondern um sicher zu sein, daß ich morgens hier eine Stunde mit einer Person verbringen kann, für die ich mich interessiere. Ich würde jeden geforderten Preis dafür zahlen.«

»Ich verstehe; ich würde Ihnen zu Diensten sein, wenn ich zwei Zimmer hätte. Aber eine Nachbarin hat ein Zimmer im Erdgeschoß, und wenn Sie einen Augenblick warten wollen, kann ich mit ihr sprechen.«

»Sie werden mir ein großes Vergnügen machen.«

»Haben Sie die Güte einzutreten.«

Ich trat in ein armseliges Loch ein, das von großer Armut zeugte, und sah dort zwei Kinder, die ihre Schulaufgaben schrieben. Nach einem kurzen Augenblick kam die gute Frau wieder herein und bat mich, ihr zu folgen. Ich zog mehrere Münzen aus der Tasche und legte sie auf den einzigen kleinen Tisch, der in dem armseligen Zimmer war. Ich mußte ihr wohl sehr freigiebig erscheinen, denn die arme Mutter küßte mir voller Glück und Dankbarkeit die Hand. Es ist so süß, Gutes zu tun, daß heute, wo ich nichts mehr habe, die Erinnerung daran, daß ich oft mit geringen Kosten Menschen glücklich gemacht habe, fast die einzige Lust ist, die mich noch erfreut.

Ich ging in ein nahes Haus, wo eine Frau mich in einem leeren Zimmer empfing und nur sagte, sie würde es mir billig vermieten, wenn ich ihr für drei Monate vorausbezahlte und die von mir gewünschten Möbel selber besorgen wollte.

»Wieviel verlangen Sie für diese drei Monate?«

»Drei römische Taler.«

»Lassen Sie das Zimmer noch heute bis drei Uhr möblieren, und ich werde Ihnen zwölf Taler geben.«

»Zwölf Taler! Und was für Möbel wünschen Sie denn, mein Herr?«

»Ein sehr sauberes Bett, einen Tisch mit einem recht weißen Tuch, vier gute Stühle und eine Kohlenpfanne mit einem guten Feuer, denn man stirbt vor Kälte in diesem Zimmer. Ich werde nur ein paarmal morgens kommen und stets spätestens zu Mittag wieder fortgehen.«

»Wenn es so ist, kommen Sie um drei Uhr; Sie werden alles nach Ihrem Wunsch bereit finden.«

»Hier haben Sie die drei Taler für die Miete. Um drei Uhr werde ich wiederkommen. Wenn alles in Ordnung ist, bekommen Sie den Rest.«

Ich ging und begab mich stracks zum Beichtvater. Dieser war ein französischer Mönch von etwa sechzig Jahren und von edlem und wohlwollendem Aussehen; er flößte Vertrauen und Ehrfurcht ein.

»Hochwürdiger Vater,« sagte ich zu ihm, »ich habe beim Scopatore Santissimo Abbate Momolo ein junges Mädchen Namens Maria gesehen, dessen Beichtvater Sie sind. Ich verliebte mich in sie und benutzte eine Gelegenheit, ihr Geld anzubieten, um sie zu verführen. Sie antwortete mir: statt ihr zur Sünde zu raten, solle ich mich lieber bemühen, ihr Gnadenbriefe zu verschaffen, damit sie einen jungen Mann heiraten könne, der um sie angehalten habe und sie glücklich machen werde. – Diese Zurechtweisung rührte mich, doch heilte sie mich nicht von meiner Leidenschaft. Ich sprach daher noch einmal mit ihr und sagte zu ihr, ich wolle ihr zweihundert römische Taler umsonst geben und werde diese Summe ihrer Mutter bringen. – ›Dies‹, antwortete sie mir, ›würde genügen, um mich unglücklich zu machen, denn meine Mutter würde glauben, dieses Geld sei Sündenlohn; sie würde es nicht annehmen. Wenn Sie aber diese großmütige Absicht haben, so seien Sie so gütig, das Geld meinem Beichtvater zu bringen und mich ihm zu empfehlen, damit er sich meiner Heirat annimmt.‹

Hier bringe ich Ihnen nun, hochwürdiger Vater, das Geld, das ich für dieses ehrbare Mädchen bestimmt habe; übernehmen Sie gütigst die ganze Angelegenheit, denn ich will nichts mehr damit zu tun haben. Ich reise übermorgen nach Neapel ab und hoffe, sie nach meiner Rückkehr verheiratet zu finden.«

Der wackere Beichtvater nahm hundert Zechinen, die ich ihm übergab, erteilte Quittung darüber und sagte mir: indem ich mich für Mariuccia interessiere, mache ich eine unschuldige, reine Taube glücklich; sie gehe seit fünf Jahren bei ihm zur Beichte und oft befehle er ihr, an der Kommunion teilzunehmen, ohne sie auch nur anzuhören, denn er kenne sie zu gut und wisse, daß sie unfähig sei, eine Hauptsünde zu begehen. »Ihre Mutter«, fuhr er fort, »ist eine fromme Frau, und es wird mir eine leichte Mühe sein, die Heirat zustande zu bringen, sobald ich mich nach dem Lebenswandel des jungen Bewerbers erkundigt habe. Im übrigen wird kein Mensch jemals erfahren, von wem sie diese edelmütige Gabe erhalten hat.«

Nachdem ich diese Sache in Ordnung gebracht hatte, ging ich zum Ritter Mengs zum Mittagessen. Ich nahm sehr gern eine Einladung an, am gleichen Abend mit der ganzen Familie ins Theater Aliberti zu gehen, vergaß aber dabei die Besichtigung des kleinen Zimmers nicht. Ich fand dort alles, wie ich es angeordnet hatte, gab der Vermieterin zwölf Taler und ließ mir den Schlüssel geben, nachdem ich befohlen hatte, daß das Kohlenbecken jeden Tag schon um sieben Uhr morgens angezündet werden solle.

Vor ungeduldiger Erwartung des nächsten Morgens fand ich die Oper scheußlich und konnte die ganze Nacht nicht schlafen.

Ich war in aller Frühe schon vor der verabredeten Stunde in der Kirche, die ich verließ, als ich sicher war, daß Mariuccia mich gesehen hatte. Sie folgte mir von ferne, und als ich auf der Türschwelle meines neuen Tempels war, blieb ich einen Augenblick stehen, damit sie Bescheid wußte; dann trat ich in das Zimmer ein, das ich gut erwärmt fand. Bald darauf kam Mariuccia, schüchtern, verwirrt und entmutigt, wie eine Person, die im Zweifel ist. Ich schloß sie in meine Arme, beruhigte sie durch meine Liebkosungen und sah sie neue Zuversicht gewinnen, als ich ihr die Quittung ihres Beichtvaters zeigte und ihr sagte, der wackere Mann habe mir versprochen, sich um das Zustandekommen ihrer Heirat zu bemühen.

In überschwänglicher Freude küßte sie mir die Hand und versicherte mich ihrer ewigen Dankbarkeit. Als ich nun in sie drang, mich glücklich zu machen, sagte sie zu mir: »Wir haben drei Stunden vor uns, denn ich habe meiner Mutter gesagt, ich würde meine Andacht verrichten, um Gott für meinen Lotteriegewinst zu danken.«

Durch die Kenntnis dieser Liebeslist beruhigt, ließ ich mir Zeit, schnürte ihr gemächlich das Mieder auf und entblößte einen nach dem anderen alle ihre Reize, wobei ich zu meinem Entzücken nicht den geringsten Widerstand fand. Aber sie hielt ihre Augen unausgesetzt auf die meinigen geheftet, wie wenn sie ihre erlöschende Scham hätte schonen wollen; doch meine verstohlenen Blicke verdoppelten meinen Genuß, während sich meine Hand nach allen Richtungen verirrte. Welch ein Leib! Welche Schönheiten! Es war nicht die geringste Unvollkommenheit an ihr. Sie war wie Venus, als sie zum erstenmal dem Meeresschaum entstieg. Ich trug sie sanft auf das Bett und beeilte mich, meine lästigen Kleider abzuwerfen, während ihre hübschen Hände zwei alabasterne Halbkugeln und ein Vließ, das den Eingang des Tempels bedeckte, meinen Blicken zu entziehen suchten. Ich vollbrachte das süßeste Opfer, ohne einen Augenblick an ihrer Reinheit zweifeln zu können. Bei diesem ersten Opfer entlockte allerdings der Schmerz der entzückenden jungen Priesterin einen Seufzer, aber sie trieb das Zartgefühl so weit, mir zu versichern, daß sie keinen Schmerz empfunden habe; beim zweiten Angriff war sie von der gleichen Glut beseelt wie ich. Ich wollte das dritte Opfer vollziehen, als die Uhr den gebieterischen Klang der zehnten Stunde vernehmen ließ. Sie wurde unruhig, und wir kleideten uns in aller Eile an. Ich hatte mich verabredet, am nächsten Tage nach Neapel abzureisen; aber ich versicherte meiner lieben Mariuccia, daß schon die Hoffnung, sie vor ihrer Heirat noch einmal in meine Arme zu schließen, meine Rückkehr nach Rom beschleunigen würde. Ich versprach ihr, an demselben Tage ihrem Beichtvater noch hundert Taler zu bringen, und bat sie, das in der Lotterie gewonnene Geld zu ihrer kleinen Aussteuer zu verwenden. »Ich werde heute Abend zu Momolo gehen, liebes Herz. Richte es so ein, daß du ebenfalls dort bist; aber während unsere Herzen voller Freude sein werden, wollen wir uns gleichgültig zeigen, damit seine boshaften Mädchen nichts von unserem Einvernehmen ahnen.«

»Dies ist allerdings sehr notwendig; denn ich habe bereits bemerkt, daß sie unsere Liebe argwöhnen.«

Bevor wir uns trennten, dankte sie mir für alles, was ich für ihre Verheiratung getan habe, und bat mich, ihr zu glauben, daß sie trotz ihrer Armut im Herzen fühle, daß sie sich nur der Liebe ergeben habe. Ich verließ das Zimmer einige Zeit nach ihr und sagte der Wirtin, ich würde in den nächsten zehn oder zwölf Tagen nicht kommen. Unverzüglich begab ich mich hierauf zum Beichtvater und brachte ihm die hundert Taler, die ich dem schönen Mädchen versprochen hatte. Als der gute alte Franzose hörte, daß ich dieses neue Opfer bringe, damit Mariuccia ihren Lotteriegewinn auf die Anschaffung von Wäsche und Kleider verwenden könne, sagte er mir, er werde am selben Tage noch zu ihrer Mutter gehen, um sie für die Verheiratung ihrer Tochter günstig zu stimmen und um sich bei Mariuccia nach der Wohnung des jungen Mannes zu erkundigen, den sie heiraten wolle. Wie ich nach meiner Rückkehr von Neapel erfuhr, hatte er alles getreulich ausgerichtet.

Während ich bei Mengs noch zu Tische saß, ließ ein Kammerherr unseres Allerheiligsten Vaters sich melden. Er trat ein, fragte Herrn Mengs, ob ich bei ihm wohne, und übergab mir, als dieser mich nannte, im Namen »Seines Allerheiligsten Herrn« das Kreuz des Ordens vom Goldenen Sporn nebst dem Diplom und einem Patent mit dem großen päpstlichen Siegel, das mich in meiner Eigenschaft als Doktor der Rechte zum »Apostolischen Protonotar extra urbem« erklärte.

Dankbar für diese außerordentliche Gunstbezeigung, sagte ich dem Überbringer, ich würde gleich am nächsten Tage meinem neuen Herrscher Dank sagen und ihn um seinen Segen bitten. Ritter Mengs umarmte mich als seinen Ordensgenossen; aber ich hatte vor ihm den Vorzug, daß ich nichts zu bezahlen hatte, während der große Künstler für die Ausfertigung seines Diploms fünfundzwanzig Taler hatte zahlen müssen. Man sagt in Rom: sine effusione sanguinis non fit remissio – Ohne Blut zu lassen, erreicht man nichts. Mit Gold erreicht man in der Tat in der heiligen Stadt alles.

Sehr geschmeichelt von der Gunstbezeigung des Heiligen Vaters hängte ich mir das Kreuz an einem breiten, karmesinroten Band um den Hals; dies ist die Farbe des Ordens der mit dem goldenen Sporn gezierten Streiter des heiligen Johannes vom Lateran, der »Palastgenossen, comites palatini«, in der Übersetzung »Pfalzgrafen«. Zur selben Zeit erhielt der arme Cahusac, der Verfasser der Oper Zoroaster, aus den Händen des Apostolischen Nuntius die gleiche Würde des Pfalzgrafen und verlor vor Freude darüber den Verstand. So schlimm erging es mir nicht; aber wie ich zu meiner Schande gestehen muß, machte die Auszeichnung mir soviel Vergnügen, daß ich die Dummheit beging, Winkelmann zu fragen, ob ich mein Kreuz mit Diamanten und Rubinen besetzen lassen könne. Er sagte mir, das könne ich ganz nach meinem Belieben machen, und wenn ich mir ein solches Kreuz zu verschaffen wünsche, könne er mir zu einem vorteilhaften Kauf behilflich sein. Hoch erfreut über diese Gelegenheit kaufte ich das Kreuz gleich am nächsten Tage, um mich in Neapel damit brüsten zu können; doch besaß ich nicht die Kühnheit, es in Rom zu tragen. Als ich mich dem Papst vorstellte, um ihm meinen Dank abzustatten, hängte ich bescheidenerweise das Kreuz ins Knopfloch. Fünf Jahre später veranlaßte der Palatin von Rußland, Fürst Czartoryski, in Warschau mich, es abzulegen, indem er zu mir sagte: »Was machen Sie mit diesem Bettel? Nur Scharlatane wagen dieses Ding zu tragen.«

Die Päpste wissen dies sehr wohl, fahren aber trotzdem fort, dieses Kreuz den Gesandten zu verleihen, obgleich es ihnen nicht unbekannt sein kann, daß diese ihre Kammerdiener damit schmücken. Man stellt sich in Rom in vielen Dingen unwissend und geht den alten Schlendrian weiter.

Am Abend gab Momolo mir ein Essen, um meine neue Würde zu feiern. Ich entschädigte ihn dafür, indem ich eine Pharaobank auflegte und in geschickter Weise vierzig Taler verlor, die ich alle Mitglieder der Familie gewinnen ließ, ohne die geringste Parteilichkeit für Mariuccia zu zeigen; denn diese gewann wie alle anderen. Sie wußte eine Gelegenheit zu finden, um mir zu sagen, daß der Beichtvater bei ihr gewesen sei; sie habe ihm die nötigen Angaben gemacht, um sich über ihren Freier erkundigen zu können, und der brave Mönch habe ihre Mutter zur Einwilligung vermocht, daß die hundert Taler für ihre Ausstattung ausgegeben werden dürften.

Da ich bemerkte, daß Momolos zweite Tochter Costa liebte, sagte ich ihr, ich müsse nach Neapel reisen, lasse aber meinen Diener ihr zurück, und wenn ich bei meiner Rückkehr ein Heiratsabkommen fände, würde ich mit Vergnügen die Kosten der Hochzeit tragen.

Costa liebte das Mädchen ebenfalls, aber er heiratete sie damals nicht, weil er fürchtete, ich würde mir das Herrenrecht anmaßen. Er war ein Narr ganz eigener Art, obwohl die Narren aller Arten sehr gewöhnlich sind. Er heiratete sie im nächsten Jahre, nachdem er mich bestohlen hatte; aber davon werde ich später sprechen.

Nachdem ich am nächsten Tage gut gefrühstückt und meinen Bruder herzlich umarmt hatte, reiste ich mit dem Abbate Alfani in meinem schönen Wagen ab, während Leduc als Kurier vorausritt. Ich kam in Neapel in einem Augenblick an, wo die ganze Stadt in Aufregung war, weil ein Ausbruch des Vesuvs drohte. Auf der letzten Station zeigte der Postmeister mir das Testament seines Vaters, der während des Ausbruchs vom Jahre 1754 gestorben war; er schrieb, im Winter 1761 würde der Ausbruch erfolgen, durch welchen Gott die Sündenstadt Neapel bestrafen würde. Infolgedessen riet der gute Mann mir, lieber nach Rom zurückzufahren. Alfani fand die Sache ganz klar und sagte mir allen Ernstes, wir müßten einer Warnung folgen, welche Gott uns auf eine so wunderbare Art zukommen ließe. Das Ereignis war prophezeit, also mußte es eintreffen. So folgern viele Leute; ich dachte anders und setzte meinen Weg fort.

Elftes Kapitel


Mein kurzer, aber glücklicher Aufenthalt in Neapel. – Der Herzog von Matalone. – Meine Tochter und Donna Lucrezia. – Meine Abreise.

Ich will, mein lieber Leser, nicht das Unmögliche versuchen, so große Lust ich auch habe, dir die Freude, das Glück, ja ich möchte sagen das Rauschgefühl, zu schildern, das ich empfand, als ich mich in jener geliebten Parthenopolis wiedersah, die mir so süße Erinnerungen zurückgelassen und wo ich vor achtzehn Jahren zum erstenmal mein Glück gemacht hatte, als ich von Morterano zurückkehrte. Da ich zum zweitenmal Neapel nur besuchte, um das Versprechen zu halten, das ich während meines Aufenthaltes in Paris dem Herzog von Matalone gegeben hatte, so hätte ich mich sofort zu diesem hohen Herrn begeben sollen; da ich jedoch voraussah, daß er mir wenig Freiheit lassen würde, sobald ich ihn aufgesucht hätte, so erkundigte ich mich zunächst nach allen meinen Bekannten.

Ich ging in aller Frühe zu Fuß aus und stellte mich zunächst dem Bankier vor, an den Belloni mich gewiesen hatte. Er nahm meinen Kreditbrief entgegen, gab mir so viele Banknoten, wie ich wünschte, und versprach mir auf sein Ehrenwort, daß kein Mensch von unseren geschäftlichen Beziehungen erfahren solle. Von ihm begab ich mich nach der Wohnung des Don Casanova; man sagte mir aber, er lebe in der Nähe von Salerno auf einem Landgut, das er gekauft und wodurch er den Titel eines Marchese erlangt habe. Dies war mir verdrießlich; indessen durfte ich nicht erwarten, in Neapel den Status quo zu finden, der ja nirgends zu finden ist. Polo war tot, und sein Sohn wohnte in Santa Lucia mit seiner Frau und seinen Kindern; bei meiner Abreise damals war er ein Kind gewesen. Obwohl ich ihn gerne gesehen hätte, fand ich doch keine Zeit dazu. Wie man sich denken kann, vergaß ich nicht den Advokaten Castelli, den Gatten meiner teuren Lucrezia, die ich in Rom so sehr geliebt und mit der ich in Tivoli so süße Augenblicke verbracht hatte. Ich sehnte mich danach, sie wiederzusehen, und fühlte einen süßen Schauer bei dem Gedanken an den Genuß, womit wir uns einer zu früh entschwundenen Zeit erinnern würden, die mir ewig unvergeßlich bleiben wird. Aber Castelli war schon lange tot, und seine Witwe wohnte zwanzig Miglien von Neapel. Ich nahm mir vor, nicht wieder abzureisen, ohne sie umarmt zu haben. Von Don Lelio Caraffa wußte ich, daß er noch lebte und daß er im Mataloneschen Palast wohnte.

Ermüdet von meinen Gängen kam ich nach Hause. Ich speiste gut zu Mittag, machte Toilette, stieg in meinen Mietwagen und begab mich nach dem Palazzo Matalone, wo man mir sagte, der Herzog sei bei Tisch. Trotzdem ließ ich mich anmelden. Der Herzog kam mir entgegen und erwies mir die Ehre, mich zu umarmen und mich zu duzen; hierauf stellte er mich seiner Gemahlin, einer Tochter des Herzogs von Bovino, sowie der zahlreichen Gesellschaft vor, die er bei Tisch hatte. Ich sagte ihm, ich wäre nur nach Neapel gekommen, um ihm den Besuch zu machen, den ich ihm in Paris versprochen hätte.

»Dann, lieber Freund, ist es nicht mehr als recht, daß ich dich beherberge.« Und ohne meine Antwort abzuwarten, rief er: »Man gehe schnell in den Gasthof, wo Herr Casanova abgestiegen ist, und bringe sein ganzes Gepäck hierher! Wenn er einen eigenen Wagen hat, soll dieser bei mir untergestellt werden.«

Ich nahm die Einladung an.

Ein schöner Mann, der sich unter den Gästen befand, sagte, als er meinen Namen hörte, mit fröhlichem Lachen: »Wenn du meinen Namen trägst, kannst du nur ein Bankert meines Vaters sein.«

»Nicht deines Vaters,« versetzte ich augenblicklich, »sondern deiner Mutter.«

Die Gesellschaft lachte laut auf und klatschte meiner Antwort Beifall; mein Gegner aber fühlte sich dadurch keineswegs beleidigt, sondern stand auf, um mich zu umarmen. Man erklärte mir das Mißverständnis. Statt Casanova hatte der Herr »Casalnovo« verstanden; er war Herzog und Besitzer des gleichnamigen Lehens.

»Weißt du,« fragte mich der Herzog von Madalone, »daß ich einen Sohn habe?«

»Man hat es mir gesagt, und ich habe es nicht glauben wollen; aber ich tue Abbitte wegen meiner Ungläubigkeit, denn ich sehe einen Engel, der gewiß dieses Wunder bewirkt hat.«

Die Herzogin errötete, belohnte aber mein Kompliment nicht mit einem einzigen Blick; doch die Gesellschaft gab mir Genugtuung, indem sie in die Hände klatschte. Es war allgemein bekannt, daß der Herzog vor seiner Verheiratung für unvermögend galt. Der Herzog ließ seinen Sohn hereinkommen; ich bewunderte ihn und sagte, er sehe ihm vollkommen ähnlich. Ein gutgelaunter Mönch, der an der rechten Seite der Herzogin saß, war aufrichtiger und sagte, der Knabe sähe dem Herzog nicht ähnlich. Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als die Herzogin mit der größten Kaltblütigkeit ihm eine Ohrfeige gab, die der Mönch mit der besten Manier hinnahm.

Tausend heitere Bemerkungen machten mich in weniger als einer halben Stunde bei der ganzen Gesellschaft beliebt. Nur die Herzogin suchte durch hoheitsvollen Ton mich in Schranken zu halten. Sie war schön, aber ungeheuer hochmütig, wußte zur rechten und unrechten Zeit stumm und taub zu sein und hatte stets ihre Augen in der Gewalt. Zwei Tage lang bot ich alles Mögliche auf, um sie zu einem Gespräch zu bringen; es wollte mir nicht gelingen. Da ich keine Absichten auf sie hatte – und es mag wohl gut gewesen sein, daß dies nicht der Fall war –, so überließ ich sie ihrem Stolz.

Der Herzog führte mich selber nach den Zimmern, die er für mich bestimmt hatte; als er bei dieser Gelegenheit meinen Spanier sah, fragte er mich, wo mein Sekretär sei, und als er sah, daß dies der Abbate Alfani war, der sich für meinen Sekretär ausgegeben hatte, um in Neapel unbeachtet zu bleiben, sagte er zu mir: »Daran hat der Abbate sehr gut getan; denn mit seinen angeblichen Antiken hat er so viele Leute betrogen, daß ihm recht wohl irgend jemand einen bösen Streich hätte spielen können.«

Er zeigte mir seinen Marstall, worin er herrliche Pferde von den schönsten Rassen, Araber, Andalusier und Engländer, hielt; sodann seine Galerie, die sehr reich war, und seine zahlreiche und gutgewählte Bibliothek; endlich seine Privatgemächer, in denen sich eine reiche Sammlung verbotener Bücher befand.

Nachdem ich mehrere Titel angesehen und in einigen Bänden geblättert hatte, sagte er: »Ich will dir etwas zeigen; aber versprich mir strengste Geheimhaltung.«

Dies versprach ich ihm gerne. Ich erwartete irgendein Wunder zu sehen, aber was er mir zeigte, war eine Satire, von der ich nichts verstand, die aber den ganzen Hof lächerlich machen sollte. Niemals ist es mir leichter geworden, ein Geheimnis zu bewahren.

Sodann sagte er: »Du wirst in das Theater San Carlo gehen; ich werde dich den schönsten Damen von Neapel vorstellen, und du kannst dann hingehen, so oft du Lust hast; denn meine Loge steht allen meinen Freunden offen. Ich werde dich auch meiner Geliebten in ihrer Loge vorstellen, und sie wird dich mit Vergnügen empfangen, so oft du sie besuchen willst.«

»Wie, mein lieber Herzog? Du hast eine Maitresse?«

»Ja, lieber Freund; aber nur der Form wegen, denn ich liebe meine Frau. Trotzdem glaubt man, daß ich in meine Maitresse verliebt und sogar eifersüchtig auf sie sei, weil ich ihr keinen Menschen vorstelle und ihr nicht erlaube, einen Besuch zu empfangen.«

»Und nimmt denn die junge Herzogin es nicht übel, daß du eine Geliebte hast?«

»Meine Frau kann nicht eifersüchtig auf sie sein, denn sie weiß, daß ich bei allen Frauen impotent bin ….. außer bei ihr.«

»Ich verstehe; aber die Geschichte ist wirklich spaßhaft und zugleich unglaublich; denn kann man eine Maitresse unterhalten, die man nicht liebt?«

»Ich habe ja nicht gesagt, daß ich sie nicht liebe; ich liebe sie im Gegenteil sehr, denn sie ist geistvoll wie ein Engel; sie erheitert mich, aber sie interessiert nur meinen Geist.«

»Ich verstehe; dann wird sie wohl häßlich sein.«

»Häßlich? Du wirst sie heute Abend sehen und kannst mir dann berichten. Sie ist schön, siebzehn Jahre alt und hochgebildet.«

»Spricht sie französisch?«

»Wie eine Französin.«

»Du machst mir die größte Lust, sie zu sehen.«

Im Theater San Carlo stellte er mich mehreren Damen vor; keine einzige davon war jedoch nur leidlich hübsch. Der sehr junge König saß in seiner Loge, umgeben von einem sehr reich, aber geschmacklos gekleideten Hofstaat. Das Parkett und die Logen waren vollbesetzt; letztere sind mit Spiegelgläsern geschmückt; sie waren an diesem Abend aus Anlaß irgendeiner Gedenkfeier glänzend beleuchtet. Es war ein zauberhafter Anblick, aber ein solcher Glanz beeinträchtigt die Wirkung des Bühnenbildes.

Nachdem ich einige Augenblicke dieses Schauspiel bewundert hatte, das man wohl nur in Neapel findet, führte der Herzog mich in seine Loge und stellte mich allen seinen Freunden vor; es waren die Schöngeister der Hauptstadt.

Ich habe oft gelacht, wenn ich Gelehrte behaupten hörte, der Geist einer Nation hänge viel weniger von dem Einfluß des Klimas als von der Erziehung ab. Man muß diese Gelehrten erst nach Neapel und dann nach St. Petersburg schicken, damit sie nachdenken oder auch nur einfach sehen. Wäre der große Boerhave in Neapel gewesen, so hätte er die Natur des Schwefels besser erkannt, indem er dessen Wirkungen auf Pflanzen und noch mehr auf Tiere beobachtet hätte. Nur in diesem Lande ist das Wasser das einzige Heilmittel, zum mindesten gegen eine Anzahl von Krankheiten, die in allen anderen Ländern den Kranken töten, der mit Arzneien und Ärzten zu tun haben muß.

Der Herzog hatte mich einen Augenblick in dieser ausgezeichneten Gesellschaft gelassen; bald kam er wieder und führte mich in die Loge seiner Geliebten, die ich in Gesellschaft einer alten Dame von anständigem Aussehen fand. Er sagte ihr beim Eintreten: »Leonilda mia, ti presento il cavalier Don Giacomo Casanova, Veneziano, amico mio – Liebe Leonilda, ich stelle dir den Ritter Don Giacomo Casanova aus Venedig, meinen Freund, vor.« Sie empfing mich mit liebenswürdigem und bescheidenem Wesen und wandte ihre Aufmerksamkeit von der Musik ab, um ein Gespräch mit mir zu beginnen.

Wenn eine Frau hübsch ist, braucht man nur einen Augenblick, um sie hübsch zu finden; wenn sie, um günstig beurteilt zu werden, erst näher betrachtet werden muß, werden die Reize ihres Gesichtes problematisch. Donna Leonilda machte augenblicklich Eindruck. Ich lächelte und zwinkerte dem Herzog zu, der mir gesagt hatte, er liebe sie wie ein Vater seine Tochter und halte sie nur des Luxus wegen. Er verstand mich und sagte: »Du kannst mir’s glauben.«

»Es ist unglaublich,« versetzte ich.

Leonilda, die ohne Zweifel unsere rätselhaften Bemerkungen verstanden hatte, mischte sich in unser Gespräch ein und sagte mit einem feinen Lächeln:

»Was möglich ist, ist auch glaublich.«

»Das gebe ich zu; aber man kann glauben oder nicht glauben, je nachdem einem die Sache mehr oder weniger schwierig erscheint.«

»Außerordentlich richtig; aber mich dünkt, in solchen Fällen soll man lieber glauben. Sie sind gestern in Neapel angekommen; das ist unglaublich und doch wahr.«

»Warum soll denn das unglaublich sein?«

»Kann man glauben, daß ein Fremder in dem Augenblick nach Neapel kommt, wo alle Einheimischen vor Furcht zittern?«

»Ich habe allerdings bis jetzt Furcht gehabt; nun aber fühle ich mich vollkommen ruhig; denn da Sie hier sind, muß der heilige Januarius die Stadt beschützen.«

»Warum?«

»Weil ich überzeugt bin, daß er Sie liebt; aber Sie lachen?«

»Ja, über einen recht komischen Gedanken; mir fällt nämlich ein: wenn ich einen Liebhaber hätte, der dem heiligen Januarius gliche, so wäre der recht unglücklich.«

»Der Heilige ist also wohl sehr häßlich?«

»Wenn sein Bild ähnlich ist – ja. Sie können sich davon überzeugen, wenn Sie seine Statue sehen.«

Solch ein heiterer Ton führt leicht zur Offenherzigkeit, und Offenherzigkeit führt zur Freundschaft. Anmut des Geistes ist noch sieghafter als alle Schönheit.

Leonildas liebenswürdige Laune flößte mir Vertrauen ein; ich brachte das Gespräch auf die Liebe, und sie machte über dieses Thema ausgezeichnete Bemerkungen.

»Wenn die Liebe nicht zum Besitze des geliebten Gegenstandes führt, so muß sie eine Qual sein; wenn es verboten ist, sich einer Leidenschaft hinzugeben, muß man nicht lieben.«

»Sie haben recht – um so mehr, da der Besitz einer schönen Person kein wahrer Genuß ist, wenn man sie nicht schon vorher geliebt hat.«

»Wenn die Liebe vorher da war, begleitet sie ohne Zweifel auch den Genuß; aber ob sie nachher noch da ist, das ist fraglich.«

»Allerdings, denn oft tötet der Genuß die Liebe.«

»Er ist ein eigensüchtiger Knabe, der seine Mutter tötet; wenn aber nach dem Genuß die Liebe nur in dem einen der beiden Beteiligten weiterlebt, so ist das schlimmer als ein Mord; denn was ohne Gegenliebe noch weiter liebt, ist unglücklich.«

»Außerordentlich richtig bemerkt, meine Gnädige! Aber wenn Sie diesen Schluß ziehen, der ja den Regeln der strengsten Dialektik entspricht, muß ich annehmen, daß Sie die Sinne zu ewigem Fasten verdammen. Das ist grausam.«

»Gott soll mich vor solchem Platonismus ohne Liebe bewahren! Aber ich überlasse es Ihnen selber, den Schluß zu ziehen.«

»Lieben und genießen und dann wieder genießen und lieben!«

»Ganz recht.«

Bei diesen letzten Worten mußte Leonilda unwillkürlich lachen, und der Herzog küßte ihr die Hand.

Ihre Gesellschafterin, die kein Französisch verstand, beschäftigte sich mit der Oper. Ich aber hatte nur für Leonilda Augen, denn ich hatte Feuer gefangen.

Leonilda war erst siebzehn Jahre alt; sie war mehr als schön: sie war zum Anbeißen hübsch. Der Herzog zitierte ein etwas schlüpfriges Epigramm über den Genuß von Lafontaine; man findet es nur in der ersten Ausgabe. Es beginnt mit den Versen:

La jouissance et les désirs
Sont ce que l’homme a de plus rare;
Mais ce ne sont pas vrais plaisirs
Dès le moment qu’on les sépare.

Ich habe dieses Epigramm ins Italienische und ins Lateinische übersetzt: in dieser letzteren Sprache konnte ich Lafontaine so einigermaßen Vers für Vers wiedergeben; aber ich brauchte zwanzig italienische Verse für die ersten zehn Verse des französischen Dichters – was übrigens nichts für den Vorzug der einen vor der anderen Sprache beweist.

In Neapel erfordert der gute Ton, besonders in der hohen Gesellschaft, als erstes Freundschaftszeichen, einen Neuankömmling, den man besonders auszeichnen will, zu duzen. Beide Teile fühlen sich hierdurch behaglicher, doch schließt dieser vertraute Ton nicht die Rücksichten aus, die man sich gegenseitig schuldet.

Meine Bewunderung für Leonilda war bereits einem süßeren und zugleich innigerem Gefühl gewichen; so kam es, daß die Oper, die fünf Stunden dauerte, mir in einem Augenblick vergangen zu sein schien.

Als die beiden Damen sich entfernt hatten, sagte der Herzog zu mir: »Wir müssen uns jetzt trennen, wenn du nicht etwa ein Freund des Glücksspieles bist.«

»Ich habe durchaus nichts dagegen, wenn ich mit angenehmen Spielern zu tun habe.«

»Nun, dann bitte ich dich, mich zu begleiten: du wirst zehn oder zwölf Herren meines Standes bei einer Pharaobank versammelt finden; später wird ein gutes Abendessen eingenommen. Ich muß dich jedoch darauf aufmerksam machen, daß die Sache geheim bleiben muß; denn das Spiel ist verboten. Ich bürge für dich.«

»Das kannst du.«

Er führte mich zum Herzog von Monte Leone, wo wir im dritten Stock, nachdem wir ein Dutzend Zimmer durchschritten hatten, den Spielsaal betraten. Ein Bankhalter von freundlichem Aussehen, der ungefähr vierhundert Zechinen vor sich liegen hatte, gab die Karten. Der Herzog stellte mich als seinen Freund vor und ließ mich an seiner Seite Platz nehmen. Ich zog meine Börse; man machte mich jedoch darauf aufmerksam, daß nur auf Wort gespielt und binnen vierundzwanzig Stunden bezahlt werde. Der Bankhalter gab mir ein Spiel Karten und ein Körbchen mit tausend Marken. Ich kündigte an, daß jede Marke einen neapolitanischen Dukaten gelten solle, und in weniger als zwei Stunden war mein Korb leer. Ich hörte auf zu spielen und speiste in heiterer Laune zu Abend. Es war ein Nachtmahl auf neapolitanische Art, bestehend aus einer riesigen Schüssel Makkaroni und zehn oder zwölf Gerichten aus verschiedenen Muscheln, die das Meer an jenen Küsten in verschwenderischer Fülle bietet. Als wir fortgingen, ließ ich dem Herzog keine Zeit, mir in der herkömmlichen Weise sein Beileid wegen des Verlustes auszusprechen, sondern unterhielt ihn auf angenehme Weise von seiner Leonilda.

Am nächsten Morgen ließ er mir in aller Frühe durch seinen Pagen sagen, wenn ich mit ihm zu Hofe gehen wolle, um dem König die Hand zu küssen, müsse ich Gala anlegen. Ich zog einen rosafarbenen, mit Gold gestickten Samtrock an und hatte die ungeheuere Ehre, eine kleine, neunjährige, ganz mit Frostbeulen bedeckte Hand zu küssen. Der Fürst von San Nicandro hat den jungen König erzogen, so gut er es verstand; die Natur aber hat aus ihm einen leutseligen, duldsamen, gerechten und freigebigen Monarchen gemacht. Er wäre vollkommen gewesen, hätte er mehr Würde gehabt; aber er ist ein König ohne Umstände, und dies ist nach meiner Meinung an einem Manne, der dazu bestimmt ist, allen anderen zu gebieten, ein Fehler.

Ich hatte die Ehre, beim Mittagessen der Herzogin zur Rechten zu sitzen; sie geruhte, mir zu sagen, sie habe niemals einen eleganteren Anzug gesehen.

»Auf diese Weise, Madame,« antwortete ich ihr, »suche ich meiner Person einer zu strengen Prüfung zu entziehen.«

Sie lächelte; aber hierauf beschränkte sich auch so ziemlich ihre Artigkeit gegen mich.

Nach Tisch führte der Herzog mich in die Gemächer seines Oheims Don Lelio, der mich sofort erkannte. Ich küßte dem würdigen Greise die Hand und bat ihn wegen meiner Jugendstreiche um Entschuldigung.

»Vor achtzehn Jahren,« sagte er zum Herzog, »hatte ich Herrn Casanova zu deinem Studiengenossen ausersehen.«

Ich machte ihm großes Vergnügen, indem ich ihm in aller Kürze erzählte, wie es mir in Rom beim Kardinal Acquaviva ergangen war. Als ich fort ging, bat er mich, ihn oft zu besuchen.

Gegen Abend sagte der Herzog zu mir: »Wenn du in die Komische Oper gehen willst, wirst du Leonilda ein Vergnügen machen.«

Er nannte mir die Nummer ihrer Loge und fuhr fort: »Ich werde dich gegen Ende des Stückes abholen, und dann werden wir wie gestern zum Souper gehen.«

Ich brauchte nicht erst anspannen zu lassen; denn ein Wagen mit zwei prachtvollen Pferden stand beständig im Hofe für mich bereit.

Die Oper hatte bereits begonnen, als ich bei den Florentinern ankam. Ich stellte mich Leonilda vor, die mit honigsüßer Stimme zu mir sagte: »Caro Don Giacomo, ich sehe Sie mit großem Vergnügen wieder.«

Ohne Zweifel hielt sie es für angemessen, mich nicht zu duzen, aber der freundliche Ton ihrer Stimme und der Ausdruck ihrer Augen waren mehr wert als das »Du«, mit welchem man in Neapel so verschwenderisch umgeht, daß es oft keinen Wert mehr hat.

Das verführerische Gesicht der reizenden Person war mir nicht unbekannt; aber ich konnte mich nicht darauf besinnen, an welche Frau es mich erinnerte. Leonilda war eine Schönheit, ja, wie ich bereits sagte, mehr als eine Schönheit, wenn dieses überhaupt möglich ist. Sie hatte prachtvolle hellbraune Haare, und ihre schöngeschnittenen großen schwarzen Augen von einem Glanze, der durch ihre langen Wimpern gedämpft wurde, hörten, fragten und sprachen gleichzeitig. Am meisten aber entzückte sie mich durch den Ausdruck, den sie ihren Erzählungen zu geben wußte, indem sie sie mit den anmutigsten, stets den Umständen angemessenen Bewegungen begleitete. Es war, wie wenn ihre Zunge nicht ausreichte, um die Gedanken auszudrücken, die in ihrem von Natur glänzend gestalteten und durch eine glänzende Erziehung noch mehr entwickelten Geiste sich drängten.

Das Gespräch kam auf das Epigramm Lafontaines, von dem ich nur die ersten zehn Verse hergesagt hatte, weil die übrigen zu frei sind. Sie sagte: »Es ist gewiß nur eine Dichterlaune, und über eine solche kann man nur lachen.«

»Das mag sein; aber ich wollte Ihre Ohren nicht verletzen.«

»Du bist sehr freundlich,« sagte sie, das angenehme »Du« wieder aufnehmend, »ich danke dir dafür. Indessen machen bloße Worte nicht so leicht Eindruck auf mich, denn ich habe ein Kabinett, das der Herzog mit chinesischen Tapeten hat ausschlagen lassen, worauf eine Menge verliebter Stellungen abgebildet sind. Wir besuchen es zuweilen, und ich kann dir versichern, daß diese Bilder nicht im geringsten Eindruck auf mich machen.«

»Vielleicht ist daran ein Mangel an Temperament schuld; denn wenn ich erotische Bilder sehe, die gut gemacht sind, so gerate ich in Feuer und Flamme. Ich wundere mich, daß ihr bei der Betrachtung derselben nicht zuweilen Lust bekommt, einige von ihnen darzustellen.«

»Wir haben nur freundschaftliche Gefühle füreinander.«

»Das glaube, wer will.«

»Ich könnte allerdings darauf schwören, daß er ein Mann ist; aber ich könnte nicht sagen, ob er imstande ist, einer Frau Beweise tatsächlicher Zärtlichkeit zu geben.«

»Er hat aber doch einen Sohn.«

»Ja, er hat ein Kind, das ihn Vater nennt; aber er gesteht selber, daß er nur bei seiner Frau Mann sein kann.«

»Das ist ein Märchen; denn Sie sind ganz danach angetan, Begierden einzuflößen, und ein Mann, der mit Ihnen zusammen lebte, ohne Sie zu besitzen, dürfte eigentlich nicht mehr leben.«

»Denken Sie wirklich so?«

»Teuere Leonilda, wenn ich an seiner Stelle wäre, würde ich Ihnen beweisen, was ein Mann vermag, der Sie liebt.«

»Caro Don Giacomo, ich bin entzückt, zu hören, daß du mich liebst; da du jedoch nicht in Neapel bleiben kannst, wirst du mich bald vergessen.«

»Verdammtes Spiel! Denn müßte ich nicht zum Spiel gehen, so könnten wir köstliche Abende miteinander verbringen.«

»Der Herzog hat mir erzählt, du habest mit dem vornehmsten Anstand gestern Abend tausend Dukaten verloren. Du bist wohl ein unglücklicher Spieler?«

»Nicht immer; aber wenn ich an dem Tage spiele, wo ich mich verliebt habe, verliere ich ganz gewiß.«

»Du wirst dein Geld heute Abend wieder gewinnen.«

»Heute ist der Tag der Erklärung; ich werde abermals verlieren.«

»So spiele doch heute nicht!«

»Man würde sagen, ich hätte Angst vor dem Verlust oder ich hätte kein Geld.«

»So hoffe ich doch, du wirst ein anderes Mal deinen Verlust wieder hereinbringen und mir in meinem Hause Nachricht davon geben. Besuche mich doch morgen früh mit dem Herzog.«

In diesem Augenblick trat der Herzog ein und fragte mich, ob die Oper mir gefallen habe. Leonilda kam mir zuvor und rief:

»Wir wissen gar nicht, was gespielt wurde, denn wir haben die ganze Zeit über Liebe gesprochen.«

»Das war recht!«

»Ich bitte Sie, morgen mit Herrn Casanova zu mir zu kommen; denn ich hoffe, er wird mir mitteilen, daß er heute Abend gewonnen hat.«

»Heute Abend, meine Liebe, ist an mir die Reihe, Bank zu halten; aber ich werde dir meinen Freund zuführen, einerlei, ob er verliert oder gewinnt. Du wirst uns ein Frühstück geben.«

»O, mit großem Vergnügen.«

Wir küßten dem reizenden Mädchen die Hand und begaben uns dann an denselben Ort wie am Abend vorher.

Die Gesellschaft war bereits versammelt und wartete auf den Herzog. Sie bestand aus zwölf Mitgliedern, die abwechselnd Bank hielten. Sie behaupteten, dadurch gliche das Spiel sich aus; aber ich mußte über diese Behauptung lachen, denn nichts ist schwieriger, als gleiche Aussichten für alle Spieler herzustellen.

Der Herzog von Matalone nahm seinen Platz ein, zog seine Börse und seine Brieftasche hervor und legte zweitausend Dukaten in die Bank, indem er die Gesellschaft um Verzeihung bat, daß er zugunsten des Gastes die Bank verdoppele; sonst betrug nämlich die Bank stets nur tausend Dukaten.

»Ich werde also,« bemerkte ich, »ebenfalls zweitausend Dukaten aufs Spiel setzen und nicht mehr, denn man sagt in Venedig, ein kluger Spieler dürfe nicht mehr riskieren, als was er gewinnen kann. Meine Marken werden also je zwei Dukaten gelten.« Mit diesen Worten zog ich zehn Banknoten von je hundert Dukaten aus der Tasche und gab sie dem Spieler, der sie mir am Abend vorher abgewonnen hatte.

Das Spiel begann. Obgleich ich nur auf eine einzige Karte und sehr vorsichtig spielte, war doch nach drei Stunden mein Körbchen leer. Ich hörte auf, obgleich ich noch fünfundzwanzigtausend Dukaten besaß; ich hatte aber gesagt, daß ich nicht höher spielen würde, und ich wollte nicht gerne mein Wort brechen.

Ich bin gegen Spielverluste stets sehr empfindlich gewesen; da ich mich jedoch immer zu beherrschen wußte, hat man niemals meinen Ärger bemerken können, eben weil ich mir stets Mühe gab, meine natürliche Heiterkeit zu verdoppeln und dadurch meine Stimmung zu verdecken. Dadurch gefiel ich in allen Gesellschaften, in die ich kam, und fand leicht neue Mittel.

Ich speiste mit gutem Appetit, und eine gewisse Aufregung, in der ich mich befand, gab mir so glückliche Bemerkungen ein, daß die ganze Gesellschaft in die heiterste Stimmung versetzt wurde. Es gelang mir sogar, die Traurigkeit des Herzogs von Matalone zu verscheuchen, der in Verzweiflung war, daß er einem Fremden, der bei ihm wohnte und den er seinen Freund nannte, eine so große Summe abgewonnen hatte. Er befürchtete, mich in Geldverlegenheiten gebracht zu haben, noch mehr aber, daß man glauben könnte, er habe mich in seinem Hause aufgenommen, um mir mein Geld abzugewinnen; denn er war reich, edel, prachtliebend, freigebig und von anständiger Gesinnung.

Unsere Unterhaltung auf der Heimfahrt war von seiner Seite teilnehmend, von der meinigen aber lustig. Ich bemerkte wohl, daß ihn irgend etwas bedrückte, und erriet auch, was es war; er fürchtete mein Zartgefühl zu verletzen und wagte mir darum nicht zu sagen, daß er mir zur Bezahlung gerne Zeit lassen wollte. Aber nachdem er sich in seine Gemächer zurückgezogen hatte, konnte er sich nicht enthalten, mir in freundlicher Weise zu schreiben: wenn ich Kredit brauche, möge ich nur zu seinem Bankier gehen; dieser werde mir soviel Geld geben, wie ich nötig habe. Ich antwortete ihm sofort: ich fühlte den vollen Wert seines großmütigen Verhaltens; sollte ich in die Lage kommen, Geld nötig zu haben, so würde ich von seinem großmütigen Anerbieten Gebrauch machen.

Am nächsten Morgen ging ich in aller Frühe in sein Zimmer, umarmte ihn herzlich und bat ihn, nicht zu vergessen, daß wir bei seiner schönen Geliebten frühstücken sollten. Er zog wie ich einen Morgenrock an, und wir gingen zu Fuß nach der Fontana Medina, wo Leonilda in einem hübschen Hause wohnte.

Wir fanden sie noch im Bett; sie empfing uns aufrechtsitzend in einer anständigen Bettoilette mit einem Basinleibchen, das vorne von rosenfarbenen Schleifen zusammengehalten wurde. Sie war entzückend schön, und ihre anmutige Stellung vermehrte noch ihre Reize. Sie las das »Sofa« vom eleganten jüngeren Crébillon. Der Herzog setzte sich auf das Fußende ihres Bettes, ich aber blieb wie betäubt vor Bewunderung stehen und sah sie nur immer an; vergeblich bemühte ich mich, das Urbild dieses zauberhaften Gesichtes, das ich, wie mich dünkte, schon einmal geliebt haben müßte, in mein Gedächtnis zurückzurufen. Ich sah sie zum erstenmal ohne den trügerischen Glanz des Kerzenlichtes. Sie lachte darüber, daß ich so zerstreut war, und bat mich im freundlichsten Ton, mich in den Lehnstuhl zu setzen, der am Kopfende ihres Bettes stand. Der Herzog sagte ihr, ich sei sehr erfreut, zweitausend Dukaten an seine Bank verloren zu haben, denn dieser Verlust gebe mir die Überzeugung, daß sie mich liebe.

»Caro mio Don Giacomo, wie leid tut mir das! Es wäre besser gewesen, du hättest gar nicht gespielt; denn darum würde ich dich ja doch lieben, und du hättest zweitausend Dukaten mehr.«

»Die ich weniger hätte!« rief der Herzog lachend.

»Tröste dich, reizende Leonilda, heute Abend werde ich gewinnen, wenn du mir heute irgendeine Gunst gewährst. Sonst aber werde ich meine Seele verlieren, und in ein paar Tagen wirst du meinem Leichenbegängnisse beiwohnen.«

»So gewähre doch, liebe Leonilda, meinem Freunde irgendeine Gunst.«

»Das ist unmöglich.«

Der Herzog bat sie, sich anzukleiden und mit uns im chinesischen Kabinett zu frühstücken. Sie tat es sofort und war weder zu freigebig mit dem, was sie uns sehen ließ, noch geizig mit dem, was sie uns verbergen zu müssen glaubte; sie hielt gerade die richtige Mitte, um einen Mann zu entflammen, den ihr Gesicht, ihr Geist und ihr Benehmen bereits verführt hatten. Immerhin konnte ich einen unbescheidenen Blick auf ihren Busen werfen, und dieser Anblick wirkte, wie wenn Öl ins Feuer gegossen wird. Ich gestehe, daß ich mir diesen Genuß nur durch eine Art Diebstahl verschaffte; doch würde mir dieser niemals gelungen sein, wenn nicht auch ein bißchen Absicht von ihrer Seite dabei gewesen wäre. Ich tat, wie wenn ich nichts gesehen hätte.

Wir sprachen über die Zerstreutheit, die eine Frau sich beim Ankleiden erlauben dürfe, und sie vertrat sehr geistreich die Ansicht, daß ein anständiges junges Mädchen gegen einen Mann, den sie liebe, viel zurückhaltender sein müsse als gegen einen anderen, den sie nicht liebe, und zwar aus dem einfachen Grunde, daß sie den ersteren zu verlieren fürchten muß, während sie sich aus dem zweiten nichts macht.

»Bei mir, reizende Leonilda,« sagte ich, »würde das Entgegengesetzte zutreffen.«

»Ich bin überzeugt, du irrst dich.«

Die chinesischen Bilder, mit denen das Frühstückskabinett ausgeschlagen war, waren wundervoll, mehr wegen der Schönheit der Farben und Zeichnung als durch die Darstellung der abgebildeten Liebesszenen.

»Auf mich macht so etwas gar keinen Eindruck,« sagte der Herzog; zugleich zeigte er es uns. Leonilda wandte ihren Blick ab; mich ärgerte der Zynismus, doch wußte ich meine Gefühle zu verbergen und sagte: »Ich befinde mich in demselben Zustand wie Sie, doch wünsche ich durchaus nicht, Sie davon zu überzeugen.«

»Das ist nicht möglich!« rief er; zugleich überzeugte er sich durch eine schnelle Handbewegung.

»Erstaunlich!« sagte er; »du mußt auch impotent sein wie ich.«

»Um diese Behauptung zu widerlegen, brauche ich nur Leonilda in die Augen zu sehen.«

»O Leonilda, mein Herz, sieh doch bitte meinen Freund an, damit ich mich davon überzeugen kann.«

Leonilda sah mich mit einem zärtlichen Blick an, und dieser brachte sofort die von mir erwartete Wirkung hervor.

»Fassen Sie hin!« sagte ich zum armen Herzog; er tat es und rief: »Ich habe unrecht.«

Als er sich jedoch anschickte, den Gegenstand seiner Überraschung zu entblößen, widersetzte ich mich; er blieb hartnäckig, und dies brachte mich auf den Gedanken, ihm einen Streich zu spielen. Ich ergriff Leonildas Hand, preßte meine Lippen darauf und überströmte in dem Augenblick, wo der Herzog zu triumphieren glaubte, seine Hand mit dem Lebenssaft, indem ich laut auflachte. Er lachte ebenfalls und stand auf, um ein Tuch zu holen.

Von dem ganzen Vorgang hatte das entzückende Mädchen nichts sehen können, denn ein Tischchen trennte uns; aber während meine glühenden Lippen auf ihrer schönen Hand ruhten, waren meine Augen auf die ihrigen geheftet, und ihr Atem vermischte sich beinahe mit dem meinigen. Dieser Berührung verdanke ich das Feuer, das nötig gewesen war, um den Herzog zu bespritzen. Als nun auch sie vom Lachen ergriffen wurde, bildeten wir ein Trio, das des Pinsels eines Albano oder der Feder eines Aretino würdig gewesen wäre.

Es war eine entzückende Partie, obgleich wir gewisse Grenzen überschritten, die der Anstand uns hätte setzen sollen; doch blieb Leonilda so unschuldig dabei, wie die Lage es erlaubte. Wir beendigten den Auftritt, indem wir uns gegenseitig umarmten; aber als ich mich von Leonildas wonnigen Lippen loslöste, verzehrte mich eine Glut, die ich nicht mehr dämpfen konnte.

Als wir das Haus verlassen hatten, sagte ich dem Herzog, ich würde seine Geliebte nicht mehr wiedersehen, wenn er sie mir nicht abträte; ich wäre bereit, sie zu heiraten und ihr ein Witwengeld von fünftausend Dukaten auszusetzen.

»Sprich mit ihr; wenn du ihr recht bist, werde ich mich nicht widersetzen. Du wirst von ihr selber erfahren, was sie besitzt.«

Ich kleidete mich um und begab mich zum Mittagessen. Ich fand die Herzogin in zahlreicher Gesellschaft, und sie sagte mir mit gütiger Miene, mein Unglück tue ihr leid.

»Nichts ist unbeständiger als das Glück, Madame! Dennoch beklage ich mich nicht über meinen Verlust, denn der freundliche Anteil, den Sie deswegen an mir nehmen, macht ihn mir angenehm; ich glaube sogar, ich werde infolgedessen heute Abend gewinnen.«

»Ich wünsche es, doch zweifle ich daran; denn du hast heute Abend gegen Monte-Leone zu kämpfen, und dieser ist ein sehr glücklicher Spieler.«

Im Laufe des Nachmittags überlegte ich mir meine Lage und beschloß, nur bar zu spielen, zunächst, um mich nicht der Gefahr der Entehrung auszusetzen, indem ich, von der Spielwut fortgerissen, mehr verlöre als ich besäße; außerdem aber, damit der Bankhalter, nachdem ich zweimal verloren, nicht befürchtete, daß ich kein Geld mehr hätte; endlich aber auch, wie ich gestehen muß, aus einem gewissen Spieleraberglauben, der von einer Änderung der Spielweise einen Umschwung des Glückes bestimmt erwartet oder doch wenigstens erhofft.

Ich verbrachte im Theater San Carlo vier Stunden in der Loge meiner schönen Leonilda; ich fand sie fröhlich, reicher gekleidet und glänzender als an den vorhergehenden Tagen.

»Teure Leonilda,« sagte ich zu ihr, »die Liebe, die du mir eingeflößt hast, ist derart, daß sie weder Aufschub noch Nebenbuhler duldet, ja daß sie nicht einmal den geringsten Anschein einer künftigen Unbeständigkeit verträgt. Ich habe dem Herzog gesagt, ich sei bereit, dich zu heiraten und dir ein Witwengeld von fünftausend Dukaten auszusetzen.«

»Was hat er dir geantwortet?«

»Ich solle dir den Vorschlag machen; er hat durchaus nichts dagegen.«

»Wir werden also zusammen abreisen?«

»Auf der Stelle, mein Herz, und nur der Tod soll uns trennen.«

»Wir werden morgen früh darüber sprechen, caro Don Giacomo; du wirst mich glücklich machen, wenn ich dich glücklich machen kann.«

Diese Worte erfüllten mich mit hoher Freude; in demselben Augenblick trat der Herzog ein, und Leonilda sagte zu ihm: »Lieber Freund, zwischen Don Giacomo und mir ist nur noch von einer richtigen Heirat die Rede.«

»Eine Heirat, mia carissima, muß man sich so lange wie möglich überlegen, bevor man sie schließt.«

»Ja, so lange wie möglich, wenn man Zeit dazu hat; mein lieber Giacomo kann aber nicht warten, weil er abreisen will; darum müssen wir nachher darüber nachdenken.«

»Lieber Freund,« sagte der Herzog zu mir, »da es sich um eine Heirat handelt, könntest du deine Abreise aufschieben oder später wiederkommen und dich jetzt mit Leonilda nur verloben.«

»Ich kann sie nicht aufschieben, mein lieber Herzog, und kann nicht wiederkommen. Wir sind entschlossen, und wenn wir uns täuschen, werden wir nachher Zeit genug haben, es zu bereuen.«

Er lachte und sagte, wir würden am nächsten Tage darüber sprechen. Ich umarmte meine künftige Gattin, die mir beglückt meinen Kuß zurückgab. Hierauf gingen wir in unsere Spielergesellschaft, wo wir den Herzog von Monte-Leone als Bankhalter trafen.

»Herr Herzog,« sagte ich zu ihm, »ich habe Pech, wenn ich auf Wort spiele; ich hoffe daher, Sie werden mir erlauben, mit barem Gelde zu spielen.«

»Ganz wie Sie wollen; mir ist es einerlei, tun Sie sich nur keinen Zwang an. Ich habe eine Bank von viertausend Dukaten gelegt, damit Sie Ihren Verlust wieder einholen können.«

»Nun, ich verspreche Ihnen, die Bank zu sprengen oder ebensoviel zu verlieren.«

Ich legte sechstausend Dukaten auf den Tisch, von denen ich zweitausend dem Herzog von Matalone gab; hierauf spielte ich mit Sätzen von hundert Dukaten. Der Herzog entfernte sich, nachdem er einigemal gesetzt hatte. Nach einem langen Kampfe sprengte ich die Bank. Ich fuhr allein nach dem Palast des Herzogs zurück, und als ich ihm am nächsten Tage meinen Sieg meldete, umarmte er mich mit Freudentränen in den Augen und riet mir, nur noch gegen bar zu spielen. Da die Fürstin della Valle ein großes Souper gab, fand an diesem Tage keine Spielpartie statt. Es war Ruhetag. Wir gingen zu Leonilda, um ihr guten Tag zu sagen, verschoben jedoch eine Aussprache über unseren Heiratsplan bis zum nächsten Morgen und verbrachten den Tag damit, die Naturwunder der Umgegend von Neapel zu besehen. Am Abend wurde ich von meinem Freunde der Fürstin vorgestellt und sah bei ihr den vornehmsten Adel der Stadt.

Am nächsten Morgen sagte der Herzog mir, er habe einige Geschäfte zu ordnen; ich könne daher allein zu Leonilda gehen, er werde mich abholen. Ich ging zu ihr; da der Herzog jedoch nicht kam, konnten wir über unsere künftige Heirat keine Beschlüsse fassen. Ich verbrachte mehrere Stunden bei ihr, doch konnte ich mich nur in Worten verliebt zeigen, da ich mich ihrem Willen anbequemen mußte. Bevor ich sie verließ, wiederholte ich die Versicherung, daß es nur von ihr abhänge, durch unlösliche Bande ihr Geschick an das meinige zu knüpfen und binnen kürzester Frist mit mir abzureisen.

Als ich den Herzog wiedersah, empfing er mich mit den Worten: »Nun, Don Giacomo? Du hast den ganzen Morgen mit meiner Geliebten unter vier Augen verbracht; hast du immer noch Lust, sie zu heiraten?«

»Mehr denn je; aber was ist denn deine Meinung davon?«

»Ich habe gar keine, lieber Freund; ich habe dich mit Absicht auf diese Probe gestellt, und da die Sache nun einmal so steht, so wollen wir morgen darüber sprechen, und ich hoffe, du wirst das reizende Mädchen glücklich machen. Sie hat alles, was nötig ist, um einen wackeren Mann glücklich zu machen.«

»Ich bin ganz deiner Meinung.«

Am Abend fand ich bei Monte-Leone einen Bankhalter, der viel Gold vor sich liegen hatte. Mein Freund sagte mir, es sei Don Marco Ottoboni. Er war ein anständig aussehender Kavalier, aber er hielt die Karten so fest in der linken Hand, daß ich sie nicht sehen konnte. Dies flößte mir kein Vertrauen ein, und ich setzte immer nur mit einem Dukaten. Obwohl ich entschiedenes Unglück hatte, verlor ich nur etwa zwanzig Dukaten. Nach fünf oder sechs Taillen fragte der Bankhalter mich mit vornehmer Höflichkeit, warum ich gegen ihn so klein spiele. Ich antwortete ihm:»Wenn ich nicht mindestens die Hälfte des Kartenspieles sehe, fürchte ich zu verlieren!«

über diese Bemerkung lachten mehrere von den Spielern.

In der nächsten Nacht sprengte ich die Bank des Fürsten von Cessaro. Dieser liebenswürdige, reiche Herr verlangte von mir Revanche, indem er mich zum Abendessen nach seinem hübschen Hause am Pausilippo einlud, wo er mit einer Sängerin lebte, in die er sich in Palermo verliebt hatte. Er lud außer mir auch den Herzog von Matalone und noch drei oder vier andere Herren ein. Ich habe in Neapel nur dieses eine Mal Bank gehalten. Ich legte eine Bank von sechstausend Dukaten, nachdem ich gesagt hatte, daß ich am nächsten Tage abreisen und daher nur gegen bar spielen würde.

Der Herzog von Cessaro verlor zehntausend Dukaten und gab die Partie nur auf, weil er kein bares Geld mehr hatte. Alle entfernten sich, und auch ich wäre gegangen, wenn nicht die Geliebte des Fürsten, die nach einem Verlust von etwa vierzig Unzen auf Wort gespielt hatte, mir etwa hundert Unzen schuldig gewesen wäre. In der Hoffnung, daß sie ihr Geld zurückgewinnen würde, zog ich weiter ab; da ich jedoch sah, daß sie immer mehr verlor, legte ich die Karten hin und sagte ihr, sie würde mir ihre Schuld in Rom bezahlen. Sie war schön und angenehm; trotzdem flößte sie mir keine Begierde ein, ohne Zweifel, weil ich von einer anderen stark in Anspruch genommen war. Sonst hätte ich einen Wechsel auf Sicht gezogen und mich bezahlt gemacht, ohne daß sie hätte in die Börse zu greifen brauchen. Es war zwei Uhr morgens, als ich fortging.

Ich wollte Neapel nicht verlassen, ohne Caserta gesehen zu haben, und da Donna Leonilda denselben Wunsch hatte, ließ der Herzog uns in einem bequemen Wagen hinfahren, der mit sechs schönen Maultieren bespannt war, deren gleichmäßiger, schöner Trab den gewöhnlichen Galopp von Pferden übertraf. Leonildas Gesellschaftsdame nahm ebenfalls an dem Ausflug teil. Am nächsten Tage setzten wir in einer zweistündigen Unterredung die Bedingungen unserer künftigen Vereinigung fest.

»Leonilda«, sagte der Herzog zu mir, »hat noch ihre Mutter, die auf einem nicht weit entfernten Landgut von einem jährlichen Einkommen von sechshundert Dukaten lebt, die ich ihr auf Lebenszeit ausgesetzt habe; es ist die Entschädigung für ein ihr von ihrem Gatten hinterlassenes Landgut, das ich von ihr übernahm. Leonilda hängt jedoch nicht von ihr ab. Sie hat sie vor sieben Jahren mir abgetreten, und ich habe ihr eine lebenslängliche Rente von fünfhundert Dukaten sichergestellt; diese wird sie dir nebst allen ihren Diamanten und einer reichen Aussteuer als Mitgift zubringen. Ihre Mutter überließ sie gänzlich meiner Zärtlichkeit und meinem Ehrenwort, daß ich für eine vorteilhafte Heirat sorgen würde. Ich habe besondere Sorgfalt auf ihre Erziehung verwandt; als ich ihren Geist sich entwickeln sah, bestrebte ich mich, sie vor allen Vorurteilen zu bewahren, mit Ausnahme desjenigen, das einer Frau gebietet, sich ausschließlich für den Mann zu bewahren, den der Himmel ihr zum Gatten bestimmt. Du kannst überzeugt sein, du wirst der erste Mann sein, den Leonilda, die ich wie meine Tochter liebe, an ihr Herz gedrückt hat.«

Ich bat den Herzog, den Heiratsvertrag fertig machen zu lassen und der Mitgift meiner Braut fünftausend Reichsdukaten hinzuzufügen, die ich ihr bei der Unterzeichnung des Vertrages auszahlen würde.

»Ich werde«, sagte er, »diese Summe als Hypothek auf ein Haus eintragen lassen, das das Doppelte wert ist.« Hierauf wandte er sich zu Leonilda, die vor Glück weinte, und sagte zu ihr: »Ich werde deine Mutter holen lassen; sie wird hochbeglückt sein, den Ehevertrag zu unterzeichnen und die Bekanntschaft eines Mannes zu machen, der dich gewiß glücklich machen wird. Die Mutter lebt eine Tagesreise von Neapel in der Familie des Marchese Galiani. Ich werde ihr morgen einen Wagen schicken, und übermorgen werden wir zusammen zu Abend speisen. Am dritten Tage bringen wir alles vor einem Notar in Ordnung; hierauf gehen wir in die kleine Kirche von Portici, wo ein Priester euch vermählen wild. Die Kosten übernehme ich. Hierauf bringen wir deine Mutter nach Santa Agata zurück, speisen bei ihr zu Mittag, und ihr setzt, begleitet von ihrem Segen, eure Reise fort.«

Bei diesen Schlußworten überlief mich unwillkürlich ein Schauer. Leonilda sank ohnmachtig in die Arme des Herzogs, der sie seine teure Tochter nannte und sie mit Liebkosungen überhäufte, bis sie wieder zu sich kam. Zum Schluß dieses Auftrittes mußten wir alle unsere Tränen trocknen, denn wir alle waren gerührt.

Da ich mich als verheiratet ansah und infolgedessen mich verpflichtet hielt, einen anderen Lebenswandel zu beginnen – denn ich bin überzeugt, ich würde alles aufgeopfert haben, um eine Frau, die es verdiente, glücklich zu machen –, so spielte ich nicht mehr. Ich hatte mehr als fünfzehntausend Dukaten gewonnen. Diese Summe nebst dem Gelde, das ich bereits besaß, und Leonildas Mitgift mußten zu einer anständigen Existenz ausreichen; es würde mir leicht geworden sein, ein vernünftiges Leben zu führen.

Als ich am nächsten Abend mit dem Herzog und Leonilda speiste, sagte meine Braut zu mir: »Was wird meine Mutter sagen, wenn sie dich morgen Abend sieht?«

»Sie wird sagen, du machst eine Dummheit, daß du einen Fremden heiratest, den du erst seit acht Tagen kennst. Hast du ihr meinen Namen, meine Heimat, mein Land, mein Alter mitgeteilt?«

»Ich habe nur ein paar Zeilen geschrieben: Kommen Sie sofort, liebe Mama, und unterzeichnen Sie meinen Ehevertrag mit einem Manne, den ich aus den Händen des Herrn Herzogs empfangen und mit welchem ich morgen nach Rom abreisen werde!«

»Und ich«, sagte der Herzog, »habe ihr folgendes mitgeteilt: Komme unverzüglich, liebe Freundin, unterzeichne den Heiratsvertrag deiner Tochter und gib ihr deinen Segen; sie hat mit klugem Sinne einen Gatten gewählt, der ihr Vater sein könnte und mein Freund ist!«

»Das ist nicht wahr!« rief Leonilda, indem sie sich in meine Arme warf, »sie wird dich für alt halten, und das ärgert mich.«

»Ist deine Mutter alt?«

»Ihre Mutter«, sagte der Herzog, »ist eine reizende, geistvolle Frau, die noch nicht achtunddreißig Jahre alt ist.«

»Was macht sie bei Galiani?«

»Sie ist die vertraute Freundin der Marchesa; sie lebt bei ihnen in der Familie, bezahlt aber ihre Pension.«

Da ich am nächsten Tag die Rechnung mit meinem Bankier abzuschließen hatte, bat ich den Herzog, mich erst zum Abendessen bei Leonilda zu erwarten. Ich kam erst gegen acht Uhr und fand sie alle vor dem Kamin sitzen.

»Ah, da ist er!« rief der Herzog.

Die Mutter stieß bei meinem Anblick einen Schrei aus und sank halb ohnmächtig in einen Lehnstuhl. Ich sah sie einen Augenblick an und rief: »Donna Lucrezia! Wie bin ich glücklich!«

»Lassen Sie mich einen Augenblick Atem schöpfen, lieber Freund, und setzen Sie sich neben mich. Sie wollen also meine Tochter heiraten?«

Ich setzte mich auf einen Stuhl. Ich erriet alles. Die Haare sträubten sich mir auf dem Kopf, und ich versank in ein düsteres Schweigen.

Unmöglich wäre es mir, die Bestürzung Leonildas und des Herzogs zu schildern. Sie begriffen wohl, daß wir uns bereits kannten, aber das Weitere konnten sie nicht erraten. In meine traurigen Gedanken versunken, verglich ich Leonidas Alter mit dem Zeitpunkt, da ich Lucrezia Castelli gekannt hatte, und ich erkannte, daß sie recht wohl meine Tochter sein konnte. Ich sagte mir jedoch, die Mutter könne unmöglich die Gewißheit haben, denn sie lebte im ehelichen Verkehr mit ihrem Gatten, der damals kaum fünfzig Jahre alt war und sie liebte. Ich konnte die Ungewißheit nicht länger ertragen, stand auf, ergriff einen Leuchter, bat den Herzog und Leouilda um Verzeihung und ersuchte Lucrezia, mit mir in ein Nebenzimmer zu gehen.

Lucrezia setzte sich, zog mich an ihre Seite und sprach: »O, mein lieber Freund, den ich so sehr geliebt habe, – muß ich dich so sehr betrüben! Leonilda ist deine Tochter, dessen bin ich gewiß. Ich habe sie stets als deine Tochter angesehen, und mein Mann wußte es; aber er war darob nicht böse, im Gegenteil, er betete sie an. Ich werde dir ihren Geburtsschein zeigen; du kannst dann selber nachrechnen. Mein Mann hat mich in Rom nur ein einziges Mal besucht, und meine Tochter ist zur rechten Zeit geboren worden.

Du wirst dich eines Briefes erinnern, den meine Mutter dir mitgeteilt haben muß und worin ich ihr schrieb, ich sei schwanger. Dies war im Januar 1744, und in sechs Monaten wird meine Tochter siebzehn Jahre alt. Mein seliger Mann gab ihr in der Taufe die Namen Leonilda Giacomina, und im Scherz rief er sie immer bei diesem letzteren Namen. Diese Heirat, mein lieber Freund, erfüllt mich mit Entsetzen; aber du wirst begreifen, daß ich mich ihr nicht widersetzen werde, denn ich könnte mich nicht entschließen, den Grund meines Widerspruches anzugeben. Wie denkst du darüber? Hast du jetzt noch den Mut, sie zu heiraten? Du zögerst. Solltet ihr bereits einen Abschlag auf die Zukunft genommen haben?«

»Nein,geliebte Lucrezia, nein! Deine Tochter ist rein wie eine Perle!«

»Ich atme auf!«

»Ja, aber du zerreißest mir das Herz.«

»Ich bin in Verzweiflung darüber.«

»Sie sieht mir nicht im geringsten ähnlich.«

»Allerdings nicht; aber das beweist nichts, denn sie sieht mir ähnlich. Du weinst, lieber Freund; du durchbohrst mir das Herz.«

»Wer sollte da nicht weinen! Ich werde den Herzog zu dir schicken; nach meinem Gefühl müssen wir ihnen alles sagen.«

Ich ließ Lucrezia allein und bat meinen Freund, mit ihr zu sprechen. Die zärtliche Leonilda setzte sich ganz erschreckt auf meinen Schoß und bat mich, ihr zu sagen, was das für ein Geheimnis sei, das sie schon ganz unglücklich mache. Ich konnte ihr nicht antworten, denn mir war das Herz zusammengeschnürt; sie küßte mich, und wir brachen in Tränen aus. So saßen wir in traurigem Schweigen, bis der Herzog und die Mutter wieder eintraten. Donna Lucrezia war die einzige unter uns, die bei klarer Vernunft war.

Sie sagte: »Meine liebe Leonilda, du mußt in dieses unangenehme Geheimnis eingeweiht werden, und von deiner Mutter mußt du alles erfahren. Erinnerst du dich, mein liebes Kind, welchen Namen dir oft mein seliger Mann gab, wenn er dich liebkoste?«

»Er nannte mich seine reizende Giacomina.«

»Du hast diesen Namen nach Herrn Casanova; es ist der Name deines Vaters. Umarme ihn, meine Tochter; sein Blut fließt in deinen Adern, und wenn er dein Liebhaber gewesen ist, so bereue deine Sünde, die glücklicherweise unbeabsichtigt war.«

Es war eine rührende Szene, die uns alle tief bewegte. Leonilda umklammerte die Knie ihrer Mutter und sagte mit tränenerstickter Stimme: »Mutter, ich habe für meinen Vater nur Gefühle kindlicher Zärtlichkeit empfunden!«

Hierauf schwiegen wir alle; die Stille wurde nur durch das Schluchzen der beiden schönen Geschöpfe unterbrochen, die sich eng umschlungen hielten; der Herzog und ich standen unbeweglich wie zwei Bildsäulen, gesenkten Hauptes und mit gekreuzten Armen, ohne auch nur einen Blick zu wechseln.

Das Abendessen wurde aufgetragen. Wir saßen drei Stunden bei Tisch in trauriger Unterhaltung und ohne zu essen. Wir sprachen nur über diese dramatische, mehr unglückliche als glückliche Wiederfindungsszene und trennten uns erst um Mitternacht, Bitterkeit im Herzen und sehnsüchtig dem nächsten Morgen entgegensehend; denn wir hofften, dann würden wir ruhiger sein und den einzigen Entschluß fassen können, der uns übrig blieb.

Als wir nach Hause fuhren, stellte der Herzog eine Menge Betrachtungen an über alles, was man in der Moralphilosophie Vorurteil nennen kann. Kein Philosoph wird anzunehmen oder gar zu behaupten wagen, daß die Verbindung eines Vaters mit seiner Tochter vom natürlichen Standpunkt aus etwas Schreckliches sei, denn die Abneigung dagegen ist ein rein gesellschaftliches Vorurteil; aber es ist so weit verbreitet, und die Erziehung hat es so tief in unsere Herzen eingewurzelt, daß nur ein gänzlich verderbter Geist sich darüber hinwegsetzen könnte. Dieses Vorurteil ist eine Frucht der Achtung vor den Gesetzen; es entspricht der gesellschaftlichen Ordnung, bürgerlicher Sitte, politischer Gewohnheit, einer guten Erziehung und der Moral der Völker; wird es so aufgefaßt, so ist es kein Vorurteil mehr, sondern wird Grundsatz, unbedingte Pflicht.

Diese Pflicht kann als eine natürliche angesehen werden, insofern die Natur uns antreibt, denen, die wir lieben, alles Gute zuzuwenden, das wir uns selber wünschen. Wie es scheint, erheischt gegenseitige Liebe vollkommene Gleichheit in allem: Alter, Stand, Charakter. Man sieht auf den ersten Blick, daß eine solche Gleichheit zwischen Vater und Tochter nicht vorhanden ist. Die Ehrfurcht, welche man Kindern vor ihren Erzeugern einflößen muß, ist bereits ein Hindernis für die Zärtlichkeit, wie zwei Liebende sie füreinander empfinden müssen. Und wenn ein Vater vermöge der Gewalt, welche Natur und Kraft ihm verleihen, sich seiner Tochter zu bemächtigen wagt, so begeht er einen abscheulichen Willkürakt, den die Natur und die gesellschaftliche Ordnung in gleicher Weise verdammen müssen. Die natürliche Liebe zur Ordnung bewirkt auch, daß die Vernunft eine solche Verbindung ungeheuerlich findet. Die Früchte einer so übelpassenden Ehe können nur Liederlichkeit und Auflehnung sein. Kurz und gut, obgleich ich selber recht vorurteilsfrei bin, finde ich eine solche Verbindung in jeder Beziehung abscheulich; doch ist sie es nicht, wenn Vater und Tochter sich lieben, ohne von ihrem Verhältnis etwas zu wissen, über die Blutschande, die den immer wiederkehrenden Stoff der griechischen Tragödie bildet, kann ich nicht weinen, sondern nur lachen; über Phädra dagegen muß ich Tränen vergießen, aber daran ist Racine schuld.

Ich ging zu Bett; aber wie immer, wenn ich sehr aufgeregt bin, konnte ich kein Auge schließen. Der erzwungene schnelle und unerwartete Übergang von fleischlicher zu väterlicher Liebe versetzte alle meine körperlichen und geistigen Kräfte in eine solche Aufregung, daß ich kaum dem starken Widerstreit aller meiner Gefühle standhalten konnte. Gegen Morgen beschloß ich endlich, am nächsten Morgen abzureisen; dann schlief ich einen Augenblick ein; als ich erwachte, war ich abgemattet wie ein Liebender, der eine lange Winternacht hindurch sich der Wollust ergeben hat. Als ich aufgestanden war, teilte ich dem Herzog meinen Vorsatz mit. Er machte mich darauf aufmerksam, daß ja meine demnächstige Abreise allgemein bekannt sei, daß aber eine solche Überstürzung Anlaß zu hämischen Bemerkungen geben werde.

»Trinke mit mir eine Tasse Fleischbrühe,« fuhr er fort; »laß uns deinen gescheiterten Heiratsplan als einen der tausend Schwänke ansehen, die du in deinem Leben verübt hast. Wir wollen die letzten drei oder vier Tage in heiterer Laune zubringen und uns Mühe geben, diesem Mißverständnis alles Traurige zu benehmen; vielleicht finden wir es zuletzt nur noch komisch. Laß dir von mir raten: die Mutter ist so gut wie die Tochter; Erinnerung ist oft besser als Hoffnung; tröste dich mit Lucrezia! Du mußt sie wenig anders gefunden haben, als sie vor achtzehn Jahren war; denn es scheint unmöglich, daß sie damals schöner war als jetzt.«

Diese kleine Zurechtweisung brachte mich zur Vernunft. Ich fühlte, daß es das beste Heilmittel war, eine Schimäre zu vergessen, die mich vier oder fünf Tage lang in Hoffnungen eingewiegt hatte. Es konnte mir nicht schwer werden, denn mein Selbstgefühl war nicht verletzt; aber ich war verliebt, und die Geliebte konnte nicht die Leidenschaft dämpfen, die sie in mir hervorgerufen hatte.

Die Liebe ist nicht wie eine Ware, die man begehrt und an Stelle deren man eine andere, mehr oder weniger ähnliche wählt, wenn man die gewünschte nicht haben kann. Die Liebe ist ein Gefühl oder eine Laune der Sympathie; nur das Wesen, das sie eingeflößt hat, kann sie verlöschen oder zu größerer Glut anfachen.

Wir begaben uns zu meiner Tochter. Der Herzog war in seiner gewöhnlichen Stimmung; ich aber war bleich, niedergeschlagen und verstört wie ein Schüler, der eine Züchtigung erhalten soll. Zu meiner großen Überraschung fand ich Mutter und Tochter in fröhlicher Stimmung; dies trug nicht wenig zu meiner schnellen Heilung bei. Leonilda fiel mir um den Hals, nannte mich »lieber Papa« und küßte mich mit der ganzen Hingebung einer Tochter, Donna Lucrezia streckte mir ihre Hand entgegen und nannte mich ihren lieben Freund. Ich heftete meine Blicke auf sie und konnte nicht umhin, anzuerkennen, daß die achtzehn Jahre, die zwischen Tivoli und Neapel lagen, ihren Reizen keinen Eintrag getan hatten. Es war derselbe lebhafte Blick, dieselbe rosige Haut, dieselbe vollendete Schönheit der Formen, dieselbe Frische der Lippen, mit einem Wort, alles, was mich in meiner Jugend bezaubert hatte.

Ohne ein Wort zu sagen, liebkosten wir uns aufs zärtlichste. Leonilda gab und empfing die zärtlichsten Küsse; sie schien nicht zu bemerken, daß sie Begierden erregen konnte. Ohne Zweifel wußte sie, daß ich in meiner neuen Eigenschaft als Vater Kraft zum Widerstand haben würde, und sie hatte recht. Man gewöhnt sich an alles; ich schämte mich und war nicht mehr traurig.

Ich erzählte Donna Lucrezia, wie eigentümlich mich ihre Schwester in Rom empfangen hätte, und sie lachte herzlich darüber. Dann gedachten wir der Nacht in Tivoli, und diese Erinnerungen rührten uns. Von Rührung zur Liebe ist ein kurzer Weg; aber der Ort, an dem wir uns befanden, war nicht günstig; darum taten wir, wie wenn wir nicht daran dächten.

Nach einem kurzen Schweigen, das wir nötig hatten, um unsere Sinne zu beruhigen, sagte ich ihr, wenn sie mit mir nach Rom reisen wolle, um ihre Schwester Angelika zu besuchen, wolle ich mich verpflichten, sie zu Anfang der Fastenzeit wieder nach Neapel zu bringen. Sie versprach mir eine Antwort für den nächsten Tag.

Beim Essen saß ich zwischen ihr und Leonilda. Da ich an meine Tochter nicht mehr denken konnte, so war es natürlich, daß meine alte Leidenschaft für Lucrezia wieder erwachte. Ihre Heiterkeit, Liebenswürdigkeit und Schönheit, vielleicht auch mein Liebesbedürfnis und die Güte der Weine bewirkten, daß ich beim Nachtisch völlig verliebt war und ihr den Vorschlag machte, den Platz einzunehmen, der ihrer Tochter bestimmt gewesen war. »Ich heirate dich,« rief ich, »und Montag reisen wir alle drei nach Rom; denn da Leonilda meine Tochter ist, will ich sie nicht in Neapel lassen.«

Meine drei Tafelgenossen sahen einander an, und niemand sprach ein Wort. Ich ließ das Thema fallen und brachte das Gespräch auf einen anderen Gegenstand.

Nach dem Essen fühlte ich mich schläfrig und mußte mich auf ein Bett werfen; ich erwachte erst um acht Uhr und sah zu meiner Überraschung nur Lucrezia, die mit Schreiben beschäftigt war. Als sie hörte, daß ich mich bewegte, trat sie an mein Bett und sagte zärtlich: »Mein lieber Freund, du hast fünf Stunden geschlafen; um dich nicht allein zu lassen, habe ich die Aufforderung, den Herzog und unser liebes Kind in die Oper zu begleiten, abgelehnt.« Die Erinnerung an alte Liebe erwacht gar schnell, wenn man sich in der Nähe des Wesens befindet, das sie einst in uns entzündete; die Begierden werden unwiderstehlich, wenn die Illusion nicht durch die Abwesenheit aller Reize gestört wird. Wenn in zwei Wesen die gleiche Erinnerung erwacht, kommt eines dem anderen entgegen. Es ist dann, als setze man sich in den Besitz eines Gutes, das einem gehört und dessen man nur durch grausame Schicksalsfügungen lange Zeit beraubt war. In diesem Falle befanden wir uns, und ohne Umschweife, ohne eitle Worte, ohne verstellte Angriffe, bei denen stets der eine der beiden Parteien seine eigenen Begierden belügen muß, überließen wir uns der wahren, der einzigen Schöpferin der Natur: der Liebe.

Nach dem ersten Akt brach ich das Schweigen. Wenn ein Mensch von Natur zum Scherzen geneigt ist, wie könnte er wohl seiner Anlage gerade während jener köstlichen Ruhe widerstehen, die einem siegreichen Liebeskampfe folgt?

»So bin ich also wieder«, rief ich, »in jenem reizenden Lande, in das ich zum erstenmal bei Trommelwirbel und Flintengeknatter im Dunkel der Nacht eindrang!«

Über diesen Witz mußte sie lachen; er frischte ihr Gedächtnis auf. Mit Entzücken erinnerten wir uns an alle unsere Erlebnisse auf Monte Testaccio, in Frascati, in Tivoli. Wir taten diesen Rückblick nur zu unserer Ergötzung; aber wenn zwei Liebende beieinander sind, werden alle solche Ergötzlichkeiten nur zum Anlaß, das köstliche Opfer Cytherens immer von neuem zu beginnen!

Am Schlusse des zweiten Aktes rief ich in der Begeisterung, die eine glückliche Liebe einflößt: »Laß uns einander fürs Leben angehören! Wir stehen im gleichen Alter; wir lieben uns, unser Vermögen ist hinreichend, wir dürfen hoffen, glücklich miteinander zu leben, ja zu sterben.«

»Es ist der innigste Wunsch meines Herzens,« antwortete Lucrezia mir; »aber wir wollen in Neapel bleiben und Leonilda dem Herzog lassen. Wir werden in trauter Gemeinschaft leben, werden einen würdigen Gatten für sie finden, und unser Glück wird vollkommen sein.«

»Ich kann mich nicht in Neapel niederlassen, meine liebe Freundin; wie du weißt, war deine Tochter bereit, mit mir fortzureisen.«

»Meine Tochter! Sage doch: Unsere Tochter. Ich sehe, du möchtest lieber nicht ihr Vater sein; du liebst sie.«

»Leider! Ja, ich bin sicher, daß meine Leidenschaft schweigen wird, solange ich mit dir leben kann; aber ich würde für nichts einstehen, wenn du nicht da wärest. Ich würde fliehen; aber Flucht ist kein Glück. Leonilda ist reizend, und ihr Geist verführt mich noch mehr als ihre Schönheit. Ich war sicher, daß sie mich liebte; nur darum habe ich sie nicht verführt, weil ich fürchtete, sie mißtrauisch zu machen, denn wenn ich sie beunruhigt hätte, würde ich vielleicht ihre Zärtlichkeit geschwächt haben. Ich wollte sie glücklich machen, darum wollte ich mir ihre Achtung verdienen und ihre Unschuld schonen. Ich wollte gleiche Rechte für uns beide. Wir haben einen Engel in die Welt gesetzt, meine liebe Lucrezia, und ich kann nicht begreifen, wie der Herzog …«

»Der Herzog, lieber Freund, ist ganz und gar ein Unmann. Begreifst du jetzt, wie ich ihm meine Tochter habe anvertrauen können?«

»Unmann? Ich habe es, wie alle Welt, geglaubt; aber er hat einen Sohn.«

»Seine Frau könnte dir sagen, wie das zugegangen ist. Glaube mir nur, der arme Herzog wird jungfräulich sterben müssen, und er ist davon mehr als jeder überzeugt.«

»Sprechen wir nicht mehr davon! Laß mich mit dir sein, wie einst in Tivoli.«

»Nicht jetzt! Ich höre einen Wagen.«

Im selben Augenblick öffnete sich die Tür, und Leonilda lachte laut auf, als sie ihre Mutter in meinen Armen sah. Sie warf sich auf uns und bedeckte uns mit Küssen. Gleich darauf kam der Herzog, und wir speisten sehr fröhlich zu Abend. Er erklärte mich für den glücklichsten aller Sterblichen, als ich ihm sagte, ich würde die Nacht in allen Ehren mit meiner Frau und meiner Tochter verbringen. Er hatte recht; denn in jenem Augenblick war ich es.

Nachdem der prächtige Mensch sich entfernt hatte, gingen wir zu Bett. Doch ich muß einen Schleier über die wollüstigste Nacht ziehen, die ich in meinem ganzen Leben verbracht habe. Wenn ich alles sagte, würde ich Ohren verletzen, die sich für keusch zu halten gewohnt sind. Übrigens hat keine Palette Farben genug, ist keine Dichtkunst bilderreich genug, um würdig wiederzugeben, was in jener Nacht wollüstiger Raserei, verliebter Ausgelassenheit und Zurückhaltung das schwache Licht zweier Kerzen beschien, die auf einem Tischchen brannten, wie ein von frommer Hand angezündetes Lichtstümpfchen vor dem Bilde eines Heiligen glimmt.

Die Sonne hatte uns schon lange geleuchtet, als wir den Schauplatz der Liebe verließen, den ich mit meinem Blute benetzt hatte. Kaum waren wir angekleidet, so kam der Herzog.

Leonilda schilderte ihm unsere nächtlichen Arbeiten; aber bei seiner traurigen Nichtigkeit mußte er sich glücklich schätzen, daß er nicht dabei gewesen war.

Ich hatte beschlossen, am nächsten Tage abzureisen, weil ich die letzte Woche des Karnevals in Rom verbringen wollte; ich bat daher den Herzog um Erlaubnis, Leonilda die fünftausend Dukaten schenken zu dürfen, die ich ihr als Witwengeld zugedacht hätte, wenn sie meine Frau geworden wäre.

»Da sie deine Tochter ist,« antwortete der Herzog, »darf und muß sie dieses Geschenk von ihrem Vater annehmen; wir können es ja als Mitgift bezeichnen.«

»Machst du mir das Vergnügen, meine Gabe anzunehmen, liebe Leonilda?«

»Ja, lieber Papa,« sagte sie mit einer zärtlichen Umarmung, »aber nur unter der Bedingung, daß du nach Neapel zurückkommst und mich besuchst, sobald du vernimmst, daß ich verheiratet bin.«

Ich versprach ihr dieses und habe Wort gehalten.

»Da du morgen abreisen willst, lieber Freund,« sagte der Herzog zu mir, »so will ich dir zu Ehren heute Abend den ganzen Adel Neapels bei mir sehen. Ich lasse dich bei deiner Tochter; bei Tisch sehen wir uns wieder.«

Er ging, und ich speiste mit meiner Frau und mit meiner Tochter in ungetrübter Fröhlichkeit. Fast den ganzen Nachmittag verbrachte ich mit Leonilda; ich hielt mich in den Grenzen väterlicher Ehrbarkeit; doch geschah dieses vielleicht weniger aus Achtung vor der guten Sitte als infolge meiner nächtlichen Anstrengungen.

Wir küßten uns erst im Augenblick unserer Trennung, und Mutter und Tochter zeigten mir, wie schmerzlich ihnen meine Abreise war.

Nachdem ich auf das sorgfältigste Toilette gemacht hatte, begab ich mich zum Souper; ich fand etwa hundert Herren und Damen vom vornehmsten Adel versammelt. Die Herzogin war sehr liebenswürdig; als ich ihr zum Abschied die Hand küßte, war sie so gütig, mir zu sagen: »Ich hoffe, Don Giacomo, Ihr kurzer Aufenthalt in Neapel hat Ihnen keine unangenehmen Erinnerungen zurückgelassen, und Sie werden zuweilen mit Vergnügen an diese Tage denken.«

Ich erwiderte, ich könne nur mit Entzücken daran zurückdenken, besonders, nachdem sie sich an diesem Abend so gütig gegen mich gezeigt habe.

In der Tat konnte niemand daran zweifeln, daß Neapel mir glückliche Erinnerungen zurücklassen müsse.

Nachdem ich die Dienerschaft des Herzogs auf das freigebigste beschenkt hatte, begleitete dieser vornehme Herr, den das Glück so gut, aber die Natur, die ihm die süßesten Genüsse verwehrte, so schlecht behandelt hatte, mich bis an meinen Wagen, und ich reiste ab.