Zweiundzwanzigstes Kapitel


Originelle Maskerade. – Glückliche Liebschaft mit der schönen Marchesina Q. – Die verlassene Marseillerin; ich werde ihr Retter. – Meine Abreise nach Sant‘ Angelo.

Da ich mich verpflichtet hatte, eine Verkleidung zu beschaffen, die uns nicht der Gefahr aussetzte, erkannt zu werden, so wollte ich sowohl durch die Originalität der Idee wie durch den Reichtum der Ausführung Ehre einlegen. Ich hatte daher, wie man zu sagen pflegt, meinen Kopf in die Weiche gelegt, und meine Leser werden sehen, ob mein Einfall gut war.

Ich hatte zur Durchführung meines Planes einige Vertraute nötig; vor allen Dingen brauchte ich einen Schneider, und wie man sich denken kann, glaubte ich meinem Gevatter Schneider den Vorzug geben zu müssen. Zenobia war für mich nicht weniger nützlich als ihr Gatte, teils um gewisse Frauenarbeiten anzufertigen, teils um die drei jungen Damen zu bedienen, die ich verkleiden sollte. Ich ging zu Fuß aus und begab mich zu meinem Gevatter. Ich befahl ihm, seine Arbeit liegen zu lassen und mich zum reichsten Trödler von Mailand zu führen.

»Mein guter Mann, ich brauche das Schönste, was Sie für Herren und für Damen haben.«

»Wünscht der Herr neue Sachen?«

»Gewiß! Wenn Sie solche haben.«

»Ich bin reich versehen.«

»Suchen Sie zunächst einen schönen Samtrock für meine Größe; er muß einfarbig sein, und in Mailand darf ihn kein Mensch kennen.«

Statt eines einzigen legte er mir ein Dutzend vor, alle vom schönsten Samt und sehr gut gemacht. Ich wählte einen blauen Samtrock mit weißem Atlasfutter. Nachdem der Schneider um den Preis gefeilscht hatte, wurden wir einig, und ich legte den Rock auf die Seite; er war für den Liebhaber der schönen Base bestimmt. Ich wählte einen zweiten, weniger groß, von schwefelgelbem, geschorenem Samt mit Atlasfutter von derselben Farbe. Diesen bestimmte ich für den jungen Offizier. Ferner nahm ich zwei schöne Hosen von geschorenem Samt und zwei Westen von prachtvollem Seidenstoff.

Hierauf wählte ich zwei herrliche Atlaskleider, das eine feuerfarben, das andere lila; dazu ein drittes von gestreifter Halbseide. Dieses letztere war für die Geliebte des reizenden Offiziers bestimmt. Sodann kaufte ich Batisthemden, zwei für Männer und drei für Frauen, außerdem dazu passende Taschentücher und mehrere halbe Ellen Samt, Atlas und gestreifte Stoffe, alles in verschiedenen Farben.

Ich bezahlte für alle diese Waren zweihundert Dukaten in Gold, aber unter der Bedingung, daß der Händler mir mein Gold wiedergeben und die Waren zurücknehmen müsse, einerlei, in welchem Zustande sie wären, wenn durch seine Schuld bekannt werden sollte, daß ich sie bei ihm gekauft hätte. Diese Bedingung wurde schriftlich niedergelegt, der Händler unterzeichnete, und ich ging mit meinem Gevatter, der den ganzen Packen trug, zu dem Pastetenbäcker.

Als alles in meinem Zimmer war, schloß ich mich mit dem Schneider ein und sagte ihm, ich würde ihm eine Kugel vor den Kopf schießen, wenn er das Unglück haben sollte, zu irgend einem Menschen ein Wort von der ihm übertragenen Arbeit zu sagen. Hierauf breitete ich alle Kleider auf einem Tisch aus und machte mit einem Stilett etwa sechzig Löcher in jedes Kleid. Ebenso behandelte ich die Hosen und die Westen. Ich lachte aus vollem Halse über das klägliche Gesicht, das der Schneider machte, als er mich die herrlichen Sachen auf diese Weise verderben sah. Er glaubte, ich sei verrückt geworden.

Nach dieser Operation, über die ich in Gedanken noch jetzt lache, nahm ich die Seiden- und Samtflicken, die ich gekauft hatte, und sagte zum Schneider: »Hier, mein guter Gevatter, habe ich Euch Arbeit zugeschnitten; Ihr müßt nun alles wieder ausbessern und Eure Gedanken tüchtig anstrengen, damit die Flicken durch den Kontrast der Farben eine schöne Wirkung hervorbringen. Wie Ihr seht, habt Ihr Arbeit genug und dürft keinen Augenblick verlieren. Ich werde meine Befehle erteilen, damit Ihr in einem anderen Zimmer etwas Ordentliches zu essen bekommt; aber Ihr werdet diese Wohnung nicht verlassen, bevor alles fertig ist. Ich werde Eure Frau holen, damit sie mit euch arbeitet, und Ihr könnt bei einander schlafen.«

»Aber um Gotteswillen, gnädiger Herr, wollen Sie denn die Kleider ebenso behandeln wie die Röcke?«

»Genau ebenso.«

»Wie schade! Meine Frau wird bitterlich darüber weinen.«

»Ich werde sie trösten.«

Auf dem Wege zu Zenobia kaufte ich sechs Paar perlgraue, seidene Strümpfe, Herren- und Damenhandschuhe, zwei Hüte vom feinsten Biber, zwei Karikatur-Männermasken und drei Frauenmasken von natürlicher Form, aber mit ernstem Ausdruck. Auch kaufte ich zwei schöne Porzellanteller. Das Ganze brachte ich in einem Tragstuhl zu Zenobia.

Ich fand das reizende Weib dabei, sich anzuziehen. Ihre schönen Haare hingen über ihren Alabasternacken herab, und ihr von einem kleinen Mieder hochgehaltener Busen bot sich meinen Blicken ohne die lästige Hülle eines Halstuches dar. So viele Reize verdienten meine Huldigung; ich brachte sie ihr dar, indem ich sie mit meinen Küssen verschlang. Ich verbrachte eine halbe Stunde bei Zenobia, und mein Leser wird erraten, daß diese Zeit von uns beiden aufs beste angewandt wurde. Nachdem ich hierauf meiner schönen Schneiderin geholfen hatte, sich fertig anzukleiden, ließ ich sie in den Tragstuhl steigen und befahl den Trägern, mir auf dem Fuße zu folgen.

Wir fanden ihren Mann damit beschäftigt, die Flicken auszuwählen und zurecht zu schneiden, die er auf die von mir gemachten Löcher setzen sollte. Zenobia sah sprachlos vor Erstaunen auf die sonderbare Arbeit; als sie mich die Kleider ebenso behandeln sah wie die Röcke, erbleichte sie und trat unwillkürlich einen Schritt zur Seite; sie hatte allen Ernstes Angst, denn da sie von meinen Absichten nichts wußte, so konnte sie wohl annehmen, daß ich in einer augenblicklichen Geistesabwesenheit handelte. Ihr Mann hatte sich inzwischen an den Gedanken gewöhnt; er beruhigte sie, und als sie wußte, worum es sich handelte, begriff sie, daß ich wohl recht haben möchte, obgleich mein Einfall ihr immer noch im höchsten Grade sonderbar erschien.

Die Phantasie einer Frau geht immer weiter als die eines Mannes, wenn es sich um Herzensangelegenheiten, um Leidenschaften und um Vergnügungen handelt. Als Zenobia erfuhr, daß diese Kleider für drei schöne Frauen bestimmt seien und daß diese dadurch nach meinem Wunsche alle Ballbesucher begierig machen sollten, erweiterte sie mehrere der Risse und ordnete diese so an, daß sie zur Liebe reizten, ohne doch allzusehr den Anstand zu verletzen. Die Kleider wurden besondere am Busen, an den Schultern und an den Ärmeln mißhandelt: man sollte das Batisthemd sehen, das Batisthemd selber sollte einige Körperteile unbedeckt lassen und die zerfetzten Falbeln sollten die halben Waden sehen lassen. Als ich zu meiner Freude sah, daß sie mich vollkommen verstanden hatte und daß sie den Geschmack ihres Mannes günstig beeinflussen würde, befahl ich ihnen Eifer und ging. Ich besuchte sie jedoch täglich drei- oder viermal und war jedesmal, wenn ich wieder ging, mit meinem Gedanken und mit ihrer Arbeit immer zufriedener.

Die Arbeit war erst am Sonnabend nachmittag fertig. Ich schickte den Mann fort, indem ich ihm sechs Zechinen gab, und behielt Zenobia; denn diese war nötig, um den drei schönen Bettlerinnen beim Ankleiden zu helfen. Ich stellte auf einen Tisch Pulver, Pomade, Kämme, Nadeln und überhaupt alles, was vornehme Damen wünschen können; ich vergaß auch nicht Bänder und Bindfaden, der bei der Verkleidung gebraucht wurde.

Am nächsten Tage fand ich das Spiel im lebhaften Gang, aber die beiden Basen waren nicht dabei. Ich suchte sie bei ihrer Tante auf, und sie sagten mir, sie spielten nicht, weil Barbaro zu glücklich wäre.

»Sie haben also verloren, meine jungen Damen?«

»Ja, aber mein Bruder gewinnt,« sagte die liebenswürdige Q.

»Ich hoffe, das Glück wird auch Ihnen hold sein.«

»Wir haben kein Glück.«

Nachdem die Tante hinausgegangen war, fragten sie mich, ob der Leutnant mir gesagt hätte, daß sie mit einer ihrer Freundinnen auf den Ball gehen würden.

»Ich weiß alles,« antwortete ich, »und ich hoffe, Sie werden zufrieden sein, jedoch nicht zufriedener als ich, denn ich verspreche mir sehr viel Vergnügen. Ich muß morgen früh mit Ihrem schönen Offizier sprechen.«

»Sagen Sie uns doch, wie wir maskiert sein werden.«

»So, daß Sie sicherlich von keinem Menschen erkannt werden können und daß Sie alle Anwesenden neugierig machen müssen.«

»Aber was werden wir denn anhaben?«

»Was sehr Schönes.«

»Aber was für ein Kostüm werden Sie uns geben?«

»Das ist mein Geheimnis, meine jungen Damen. So gern ich Ihnen auch einen Gefallen tue, so werden Sie doch nichts erfahren, bis Sie sich ankleiden. Fragen Sie mich nicht, denn ich will meine Freude an Ihrer Überraschung haben. Ich liebe Theatereffekte, das ist nun mal eine Leidenschaft von mir. Nach dem Abendessen werden Sie alles erfahren.«

»Wir sollen also zu Abend speisen?«

»Ganz gewiß – wenn es Ihnen Vergnügen macht. Ich bin ein großer Esser, und ich hoffe, Sie werden doch nicht so grausam sein, mich allein essen zu lassen.«

»Natürlich werden wir zu Abend speisen, da wir Ihnen einen Gefallen damit tun können. Ich werde absichtlich wenig zu Mittag essen, damit wir Ihnen die Spitze bieten können.«

»Es tut mir nur leid,« fügte Fräulein von Q. hinzu, »daß Sie so viel Geld ausgeben.«

»Auch das ist eine meiner besonderen Freuden; wenn ich von Mailand fortgehe, werde ich in dem Glück schwelgen, mit den beiden schönsten Damen der Stadt soupiert zu haben.«

»Wie werden Sie vom Glück behandelt?«

»Canano gewinnt mir jeden Abend zweihundert Zechinen ab.«

»Und Sie gewinnen von ihm zweitausend in einer Nacht?«

»Allerdings; indessen bin ich noch im Verlust.«

»Sonntag werden Sie die Bank sprengen. Wir werden Ihnen Glück bringen.«

»Wünschen Sie, daß ich Ihnen dieses Schauspiel biete?«

»Es würde mir eine große Freude sein; mein Bruder hat mir jedoch gesagt, Sie würden nicht mit uns zusammen sein.«

»Allerdings nicht, dies geschieht jedoch nur deshalb, weil man mich erkennen würde. Ihr Bruder hat mir aber gesagt, der Kavalier, der Sie begleiten wird, sehe mir ähnlich.«

»Auffallend ähnlich,« sagte die Base; »nur ist er blond.«

»Da ist er sehr glücklich; denn blonde Herren gewinnen leicht die Gunst brauner Damen.«

»Nicht immer!« sagte die Schwester; »aber sagen Sie uns doch wenigstens, ob wir uns etwa als Männer verkleiden werden?«

»Pfui! Ich würde es mir nicht verzeihen können, auf einen solchen Gedanken verfallen zu sein.«

»Warum?«

»Ich kann es nicht ausstehen, wenn ein hübsches Mädchen als Mann verkleidet ist.«

»Das ist sonderbar; warum denn nicht?«

»Wenn eine als Mann verkleidete junge Frau wirklich eine Täuschung erregt, so stößt sie mich ab; denn dies ist ein Beweis, daß sie nicht die Vollkommenheiten einer schönen Frau besitzt. Die Formen einer solchen müssen viel stärker ausgebildet sein als die eines Mannes.«

»Aber dadurch zeigt ja ein schönes Mädchen Ihnen gerade, daß sie die Vorzüge besitzt, die die Schönheiten eines Weibes ausmachen.«

»Das ist richtig; aber dann nehme ich es ihr übel, daß sie mich aus der Illusion reißt; denn ich liebe es, nur Gesicht und Wuchs zu sehen und das übrige zu erraten.«

»Die Phantasie täuscht aber doch oft.«

»Das gebe ich zu; aber ich verliebe mich immer in das Gesicht, und da dieses mich niemals täuschen kann, so fühle ich mich stets bereit, etwaige Mängel des übrigen Körpers zu verzeihen, wenn ich die Gunst erlange, diesen zu sehen. Sie lachen?«

»Ich lache über den feurigen Eifer, womit Sie Ihre Meinung vorbringen.«

»Wäre es Ihnen angenehm, als Kavalier verkleidet zu sein?«

»O, ich hatte mich darauf gefaßt gemacht; aber nach dem, was Sie soeben gesagt haben, können wir Ihnen nicht mehr antworten.«

»Ich kann einen Teil Ihrer Antwort Ihnen selber sagen: Ihre Verkleidung würde keine Illusionen erregen; weiter sage ich nichts.«

Sie sahen lächelnd einander an, und ihre schönen Gesichter überzogen sich mit einer lebhaften Röte, als sie meine Blicke auf gewissen Hügeln ruhen sahen, die niemals das Attribut meines Geschlechtes sind. Wir brachen das Gespräch ab, und zwei volle Stunden lang erfreute ich mich an ihrem liebenswürdigen, natürlichen und gebildeten Geist.

Nachdem ich die beiden Zauberinnen verlassen hatte, eilte ich zu meinem Pastetenbäcker und hierauf in die Oper, wo ich beinahe zweihundert Zechinen verlor. Dann speiste ich mit meiner Spanierin zu Abend; sie war liebenswürdig und zuvorkommend geworden, verfiel aber bald wieder in ihre frühere schlechte Laune, als sie bemerkte, daß ich mich auf die Formen der Höflichkeit beschränkte und offenbar keine Absichten mehr auf ihr Schlafzimmer hatte.

Am Samstag morgen kam der junge Offizier zu mir. Ich sagte zu ihm, ich hätte für ihn nur einen einzigen Auftrag; diesen müßte er aber buchstäblich ausführen, und ich müßte im voraus sicher sein, daß er dies tun würde. Nachdem er mir versprochen hatte, daß er alles pünktlich erledigen werde, sagte ich folgendes zu ihm: »Sie müssen, Herr Leutnant, einen vierspännigen Wagen beschaffen; sobald Sie alle fünf diesen bestiegen haben, muß er Sie, so schnell die Pferde laufen können, an das Tor der Stadt bringen; hierauf müssen Sie durch ein anderes Tor wieder hineinfahren und vor der Tür des Ihnen bekannten Hauses halten. Dort steigen Sie aus, sagen dem Kutscher, daß er schweigen solle, schicken den Wagen fort und gehen ins Haus. Nach dem Ball werden Sie sich umkleiden und in Tragstühlen sich nach Hause bringen lassen. Auf diese Art werden wir die Neugierigen auf eine falsche Fährte bringen; ich sage Ihnen vorher, es wird deren sehr viele geben.«

Der Offizier antwortete mir: »Mein Freund, der Marchese, wird dies alles besorgen, und er wird es aufs beste machen, das verspreche ich Ihnen, denn er brennt vor Verlangen, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Ich erwarte Sie also morgen um sieben Uhr. Sagen Sie Ihrem Freund, die Hauptsache sei, daß kein Mensch den Kutscher kenne, und nehmen Sie keinen Bedienten mit.«

Nachdem dies alles abgemacht war, entschloß ich mich, selber als Pierrot zu erscheinen. Keine andere Maskierung ist eine so gute Verkleidung; denn sie verbirgt nicht nur vollständig alle Formen, sondern verdeckt auch die Farbe der Haut. Mein Leser erinnert sich vielleicht, was mir in diesem Kostüm vor zehn Jahren passiert war. Ich beauftragte den Schneider, mir ein neues Pierrotkostüm zu besorgen, das ich zu den übrigen Anzügen legte. Mit zwei neuen Börsen versehen, deren jede mit fünfhundert Zechinen gefüllt war, begab ich mich am Sonntag vor sieben Uhr zu meinem Pastetenbäcker. Ich fand den Tisch gedeckt und das Essen fertig. Ich schloß Zenobia in das Zimmer ein, das zum Ankleiden für die Damen bestimmt war, und erwartete die fröhliche Gesellschaft. Sie kam fünf Minuten nach sieben.

Ich fand den Marchese entzückt, meine Bekanntschaft zu machen, und empfing ihn nach Gebühr; er war ein vollendeter Kavalier, schön, jung, reich und sehr verliebt in die schöne Base, die er mit großer Achtung behandelte. Die Geliebte des Leutnants war ein wahres Juwel und wahnsinnig in ihren Anbeter verliebt.

Da alle wußten, daß ich ihnen erst nach dem Abendessen ihre Verkleidung bekannt geben wollte, so wurde nicht davon gesprochen, und wir setzten uns zu Tisch. Das Abendessen war ausgezeichnet; ich hatte es nach meinem Geschmack bestellt, das heißt: üppig und lecker. Nachdem wir reichlich gegessen und getrunken hatten, sprach ich: »Da ich nicht mit Ihnen gehen will, so muß ich Ihnen zunächst sagen, welche Rolle Sie spielen sollen. Sie werden fünf Bettler vorstellen, zwei Männer und drei Frauen in Lumpen.«

Ich werdete mich an dem Anblick der langen Gesichter, die sie bei diesen Worten machten.

»Sie werden jeder einen Teller in der Hand halten, um Almosen zu sammeln, und werden alle zusammen im Ballsaal herumgehen und Ihr Bettlergewerbe betreiben. Folgen Sie mir jetzt, um Ihre Lumpen in Besitz zu nehmen.«

Ich bewahrte einen unerschütterlichen Ernst, obwohl ich die größte Lust hatte, laut aufzulachen, als ich den Verdruß und die Enttäuschung bemerkte, die sich auf ihren Zügen malten. Da sie sich keineswegs beeilten, mir zu folgen, so rief ich: »Ich erwarte Sie!«

Sie standen auf, ich öffnete die Tür, und alle waren erstaunt über die Schönheit Zenobias, die vor dem Tische stand, worauf die in Lumpen verwandelten reichen Kleider lagen, und ihnen mit vollendeter Anmut eine Verbeugung machte.

»Meine Damen,« sagte ich zu den beiden Basen, »dies sind Ihre Kleider, und dieses hier, mein gnädiges Fräulein, ist für Sie; es ist ein bißchen kleiner. Hier liegen Ihre Hemden, Ihre Taschentücher und Ihre Strümpfe; auf diesem Ankleidetisch befinden sich alle anderen Gegenstände, deren Sie vielleicht bedürfen können. Hier sind Ihre Masken, deren Züge nicht so frisch sind wie die Ihrigen, und hier drei Teller für die Almosen, die Sie erbetteln werden. Die Strumpfbänder werden von Ihrer Armut zeugen, wenn zufällig jemand sie sehen sollte, und diese durchlöcherten Strümpfe bezeugen, daß Sie nicht so viel Geld haben, um ein bißchen Seide zum Stopfen zu kaufen. Diese Bindfäden werden statt Schnallen dienen, und wir werden einige Löcher in Ihre Schuhe machen, die Sie gütigst als Pantoffeln tragen werden. Die Handschuhe werden ebenfalls einige Löcher bekommen, und da alles im Einklang stehen muß, so werden, sobald Sie Ihre Hemden angezogen haben, die Spitzen, die den Busen einfassen, ebenfalls hier und da zerrissen werden.«

Während ich wohlgefällig dies alles auseinandersetzte, sah ich Überraschung und Bewunderung den Anflug von Verdruß verdrängen, der sich noch unmittelbar vorher auf ihren Zügen gemalt hatte. Sie sahen, wie reich die Verkleidung war, und wagten nicht zu sagen: »Wie schade!«

»Nun zu Ihnen, meine Herren! Hier sind Ihre Bettleranzüge; ich habe vergessen, die zwei Biberhüte zu durchlöchern; aber das wird bald gemacht sein. Wie finden Sie dies alles? – Und nun, meine Damen, werden wir Sie allein lassen, denn Sie müssen Ihre Hemden wechseln. Kommen Sie, meine Herren!«

Der Marchese war begeistert. Er rief: »Welches Aufsehen werden wir machen! Etwas Prachtvolleres kann man sich ja gar nicht denken!«

Man sah absichtlich zerrissene prachtvolle Kleider, deren Löcher mit großem Geschmack ausgebessert waren: burleske Komik war mit dem größten Reichtum verbunden.

In einer halben Stunde waren wir fertig. Absichtlich durchlöcherte Strümpfe, absichtlich zerrissene Schuhe, absichtlich zerfetzte Manschetten von echten Spitzen, aufgelöste Haare, Masken mit dem Ausdruck der Verzweiflung, absichtlich zerbrochene Teller von schönem Porzellan – dieses alles bidete ein Ganzes, von dessen prunkvollem Elend man sich keinen Begriff machen kann.

Die jungen Damen brauchten ihrer Haare wegen längere Zeit zum Anziehen. Ihre Haare waren in der schönsten Unordnung und wallten aufgelöst über ihre Schultern hernieder. Besonders Fräulein von Q. glänzte vor den beiden anderen; denn ihr Haar reichte bis zu den Waden.

Als sie fertig waren, öffneten sie die Tür, und wir sahen alles, was drei entzückende, schöne junge Mädchen sehen lassen können, um Begierden zu erregen, ohne den Anstand zu verletzen. Ich bewunderte Zenobias Geschicklichkeit. Die zerrissenen Hemden und Kleider ließen Teile von ihren Schultern, ihren Brüsten und ihren Armen sehen, während man durch die Löcher der Strümpfe die weiße Haut ihrer Beine sehen konnte.

Ich zeigte ihnen, wie sie gehen mußten, wie sie die Köpfe zu bewegen hatten, um Mitleid zu erregen, ohne ihrer Anmut zu schaden, und wie sie sich ihrer Taschentücher bedienen mußten, so daß man die Löcher und die Feinheit des Batistes bemerken konnte. Sie waren hoch entzückt und konnten es kaum erwarten, ihre Rollen zu spielen. Ich wollte jedoch vor ihnen auf dem Ball sein, denn ich wünschte mich an dem Anblick ihres Eintritts zu ergötzen. Nachdem ich meine Maske angelegt hatte, forderte ich Zenobia auf, zu Bett zu gehen, da wir nicht vor Tagesanbruch zurückkehren würden. Hierauf ging ich.

Ich trat in den Ballsaal ein, und da mehr als zwanzig Pierrots anwesend waren, so achtete kein Mensch auf mich. Fünf Minuten später sah ich die Menge sich herandrängen, um neu ankommende Masken zu sehen; ich stellte mich so auf, daß ich bequem alles sehen konnte. Der Marchese ging zwischen den beiden Basen. Ihr langsamer, kläglicher Gang paßte ausgezeichnet zu ihrer Rolle. Fräulein von Q. mit ihrem feuerroten Kleid, ihrem prachtvollen Haar und der Schönheit ihrer Formen lenkte alle Blicke auf sich. Die schaulustige, neugierige, erstaunte Menge begann erst eine Viertelstunde nach ihrem Eintritt zu sprechen; dann aber hörte man von allen Seiten: Welche Maskerade! Welche Maskerade! Wer sind sie? Wer können sie sein? Ich weiß es nicht. Ich weiß es auch nicht. Ich werde es gleich erfahren.

Ich freute mich meines Werkes.

Da die Musik zu spielen begann, so traten drei schöne Masken in Dominos auf meine drei Bettlerinnen zu und forderten sie auf, ein Menuett zu tanzen. Sie entschuldigten sich jedoch, indem sie auf ihre Schuhe zeigten, deren Absätze sie niedergetreten hatten. Es freute mich sehr, denn es zeigte mir, daß sie den Geist ihrer Rolle vollkommen begriffen hatten.

Nachdem ich ihnen länger als eine Stunde gefolgt war und mich überzeugt hatte, daß die Neugier der Ballgäste stetig steigen würde, suchte ich Canano auf, bei dem an diesem Abend ein großes Spiel im Gange war. Eine Maske in venetianischer Tracht mit Baute und Mantel spielte auf eine einzige Karte, setzte fünfzig Zechinen, bot Paroli und Paix-de-Paroli, ganz nach meiner Art. Er hatte meine Gestalt und verlor dreihundert Zechinen. Man behauptete, ich sei es; nur Canano versicherte, ich sei es nicht. Um am Spieltisch bleiben zu dürfen, nahm ich Karten und machte wie ein Anfänger Sätze von drei und vier Dukaten. In der nächsten Taille hatte die venetianische Maske eine glückliche Serie: er gewann Paroli und Paix-de-Paroli und ließ noch einmal mit Erfolg stehen. Hierdurch gewann er alles Gold zurück, das er verloren hatte. Als noch eine zweite Taille ihm ebenfalls günstig war, strich er sein Gold ein und ging.

Da sein Stuhl frei blieb, so nahm ich ihn mir. Hierauf sagte eine Dame: »Ich wette, dies ist der Chevalier de Seingalt.«

»Nein,« sagte ein Herr, »ich habe ihn soeben erkannt, er ist als Bettler verkleidet und es sind vier andere Personen bei ihm, die kein Mensch kennt.«

»Als Bettler? Wieso?« fragte Canano.

»Als Bettler, in Lumpen gekleidet wie die vier anderen, trotzdem aber prachtvoll und höchst komisch. Sie sammeln Almosen.«

»Man sollte sie hinausweisen!« sagte ein anderer.

Ich freute mich, daß ich meinen Zweck erreicht hatte, denn es war ja ein Irrtum, daß man mich erkannt zu haben glaubte. Ich begann nun Haufen von Zechinen, ohne sie abzuzählen, auf eine Karte zu setzen und verlor fünf- oder sechsmal hintereinander. Canano beobachtete mich, ich las aber Unsicherheit auf seinen Zügen. Auf allen Seiten flüsterte man sich zu: »Das ist er nicht!« – »So spielt er nicht!« – »Außerdem ist er auf dem Ball!« –

Das Glück wandte sich: in drei glücklichen Taillen gewann ich reichlich zurück, was ich verloren hatte, und ich spielte weiter mit einem Haufen Gold, der vor mir lag. Ich setzte eine große Hand, voll Zechinen auf eine Karte; diese kam zuerst heraus. Ich bot Paroli und Paix-de-Paroli. Ich gewann, und da ich sah, daß die Bank in den letzten Zügen lag, so hörte ich auf. Canano zahlte aus und verlangte tausend Zechinen von seinem Kassierer. Während er die Karten mischte, hörte ich sagen: »Da kommen sie! Da kommen die Bettler!«

Die Bettler kamen und stellten sich an den Tisch. Canano musterte den Marchese und bat ihn um eine Prise. Man stelle sich meine Freude vor, als ich den Marchese ganz bescheiden eine Papierdüte mit Tabak aus der Tasche ziehen und dem Grafen Canano hinreichen sah! Diesen schönen Einfall hatte ich nicht vorausgesehen; er erregte die laute Heiterkeit aller Zuschauer. Fräulein von Q. streckte ihren Teller aus und heischte vom Bankhalter ein Almosen; dieser aber sagte: »Mit so schönen Haaren erregen Sie mir kein Mitleid; wollen Sie sie auf eine Karte setzen, so bin ich bereit, sie für tausend Zechinen gelten zu lassen.«

Sie antwortete auf diese Galanterie nichts, sondern reichte mir ihren Teller hin; ich legte eine Prise Zechinen darauf und gab den beiden anderen dasselbe.

»Pierrot scheint die Bettlerinnen zu lieben!« sagte Canano lachend.

Die drei Bettlerinnen machten mir eine tiefe Verbeugung und entfernten sich.

Marchese Triulzi, der neben Canano saß, sagte zu diesem: »Der Bettler in dem gelben Anzug ist ganz gewiß Casanova.«

»Daran ist nicht zu zweifeln,« sagte Canano; »ich habe ihn sofort erkannt; aber wer sind die anderen?«

»Wir werden es schon erfahren.«

»Es ist die teuerste Maskerade, die man sich denken kann; denn die Kleider sind vollkommen neu.«

Die tausend Zechinen kamen; ich nahm sie ihm in zwei Taillen ab.

»Wollen Sie noch spielen?« fragte Canano mich. Ich verneinte durch ein Zeichen und deutete hierauf mit der Hand an, daß ich eine Anweisung von dem Kassierer wünschte. Dieser nahm eine Wage, wog das ganze Gold und schrieb mir eine Anweisung auf neunundzwanzig Pfund Gold, mehr als zweitausendfünfhundert Zechinen. Ich steckte meine Anweisung ein, schüttelte dem Grafen Canano die Hand und ging mit schlenkerndem Gang, meiner Pierrotrolle gemäß, einmal um den Ballsaal herum. Dann ging ich in eine Loge des dritten Ranges hinauf, zu der ich dem jungen Offizier den Schlüssel gegeben hatte. Dort fand ich alle meine liebenswürdigen Bettler beieinander.

Nachdem wir nun ohne Maske versammelt waren, wünschten wir uns Glück zu unserem Erfolge und erzählten uns unsere Abenteuer. Neugierige brauchten wir nicht zu befürchten, denn die beiden Nebenlogen waren leer. Ich hatte sie gemietet und trug die Schlüssel bei mir.

Die jungen Bettlerinnen wollten mir ihre Almosen wieder geben; ich antwortete ihnen jedoch auf eine Weise, daß sie nicht darauf bestehen konnten.

»Man hält mich für Sie, Herr Chevalier,« sagte der Marchese zu mir, »und dieser Irrtum könnte dazu führen, daß man etwas erriete. Das würde mir unserer liebenswürdigen Bettlerinnen wegen sehr leid tun.«

»Ich werde diesem Unglück vorbeugen, indem ich mich vor dem Schluß des Balles demaskiere. Dadurch müssen alle Vermutungen hinfällig werden und kein Mensch wird die Wahrheit erraten.«

»Wir haben alle Taschen voll von Zuckerwerk,« sagte das reizende Fräulein von Q. zu mir. »Jeder packte unsere Teller voll.«

»Ja,« rief die Base, »alle Welt bewunderte uns; die Damen kamen aus ihren Logen heraus, um uns in der Nähe anzusehen, und überall rief man, man könne nichts Reizenderes sehen, als eine solche Maskerade.«

»Sie haben also viel Vergnügen gehabt?«

»O, sehr viel!«

»Ich auch. Ich bilde mir beinahe etwas darauf ein, ein Kostüm ausgedacht zu haben, das Sie unkenntlich gemacht hat und trotzdem alle Blicke auf Sie lenkte.«

»Sie haben uns alle glücklich gemacht!« sagte der hübsche Schatz des Leutnants; »besonders mich; denn ich hätte niemals auf eine so köstliche Nacht zu hoffen gewagt.«

»Das Ende krönt das Werk, mein gnädiges Fräulein, und ich hoffe, das Ende wird den Anfang noch übertreffen.«

Bei diesen Worten drückte ich meiner Schönen verliebt die Hand; ich weiß nicht, ob sie mich erriet, aber ich fühlte ihre Hand in der meinigen zittern.

»Wir wollen in den Saal gehen,« sagte sie zu mir.

»Ich auch, denn ich habe Lust, zu tanzen, und ich bin sicher, daß ich als Pierrot Sie zum Lachen bringen werde.«

»Wissen Sie, wieviel Sie einer jeden von uns gegeben haben?«

»Genau kann ich es nicht sagen; aber ich bin überzeugt, daß ich Sie alle drei ungefähr gleich behandelt habe.«

»Das stimmt, und wir haben uns sehr darüber gewundert.«

»Ich habe das tausendmal erlebt. Wenn man mir ein Paroli von zehn Zechinen abgewinnt, strecke ich drei Finger aus, und ich bin sicher, dreißig Zechinen zu fassen. Ich möchte wetten, daß ich jeder von Ihnen achtunddreißig bis vierzig gegeben habe.«

»Vierzig; keine mehr oder weniger. Das ist erstaunlich. An diese Maskerade werden wir denken.«

»Ich wette,« sagte der Marchese, »kein Mensch wird sie uns nachmachen.«

»Nein,« sagte die Base; »aber wir selber würden nicht ein zweites Mal so zu erscheinen wagen.«

Wir legten unsere Masken wieder an, und ich ging zuerst hinaus. Nachdem ich mir tausend Ungezogenheiten gegen die Harlekins und besonders gegen die Harlekinen erlaubt hatte, erkannte ich Teresa im Domino und lud sie ganz linkisch zum Kontertanz ein.

»Sie sind der Pierrot, der die Bank gesprengt hat?«

Ich bejahte durch ein Kopfnicken. Dann tanzte ich wie ein Besessener, ohne jemals aus dem Takt zu kommen und ohne die Figuren des Tanzes zu stören; es sah aus, wie wenn ich jeden Augenblick hinfallen würde, und doch fiel ich nie.

Nach dem Kontertanz bot ich ihr meinen Arm und führte sie in ihre Loge, worin Greppi ganz allein saß. Sie bat mich, einzutreten, und die Überraschung des Pärchens war nicht gering, als ich die Maske abnahm. Sie glaubten, ich sei einer von den Bettlern. Ich gab Herrn Greppi Cananos Anweisung, und nachdem er mir Quittung darüber gegeben hatte, ging ich unmaskiert wieder in den Saal, zur großen Überraschung der Neugierigen, die mich ganz sicher in dem Marchese erkannt zu haben glaubten. Gegen Morgen entfernte ich mich in einer Sänfte, die ich zweihundert Schritte weiter vor der Tür eines Logierhauses halten ließ. Ein kleines Stückchen weiter nahm ich einen zweiten Tragstuhl, der mich zu meinem Pastetenbäcker brachte. Ich fand Zenobia im Bett. Sie sagte mir, sie sei überzeugt gewesen, daß ich allein vor den anderen heimkommen werde. Ich kleidete mich aus und lag gar bald an der Seite dieser Venus. Man konnte nichts Vollkommeneres sehen als dieses Weib. Hätte Praxiteles sie als Modell gehabt, so hätte er nicht mehrerer griechischer Schönheiten bedurft, um den Körper seiner Venus zu bilden. Wie schade, daß so reine Formen einem Pavian gehörten! Ich zog sie nackt aus, und nachdem ich sie lange betrachtet hatte, erwies ich ihr die unzweifelhaftesten Huldigungen meiner Bewunderung; ich beglückte sie, und sie zeigte sich nicht undankbar. Es war das erstemal, daß ich sie wirklich ganz und gar in meinem Besitz hatte. Als wir den Trab von vier Pferden hörten, standen wir schnell auf und waren im Handumdrehen angezogen.

Meine liebenswürdigen Bettlerinnen traten ein, und ich sagte ihnen, ich könne beim Umkleiden zugegen sein, da sie ja nicht das Hemd zu wechseln brauchten. Und sie waren denn auch nicht zimperlich.

Bei dieser köstlichen Beschäftigung beschränkte ich jedoch meine Blicke auf Fräulein von Q. Ich bewunderte alle ihre Schönheiten und sah mit Vergnügen, daß sie sich nicht geizig zeigte. Zenobia band ihre Haare auf und wandte sich dann zu den beiden anderen, um diesen zu helfen. Ich erbot mich, sie zu ersetzen, und sie erlaubte mir, ihr beim Anziehen des Kleides zu helfen. Sie verhinderte nicht, daß meine Augen durch einen großen Riß drangen, der mir erlaubte, die eine der beiden Halbkugeln, die ihren herrlichen Busen zierten, beinahe ganz zu sehen.

»Was wollen Sie mit diesem Hemde machen, mein Fräulein?«

»Sie werden über die Kinderei lachen! Wir haben beschlossen, zur Erinnerung an den schönen Abend, den wir Ihnen verdanken, alle diese Sachen wie eine Reliquie aufzubewahren. Überlassen Sie bitte meinem Bruder die Mühe, die Sachen zu uns schaffen zu lassen. Wir wollen jetzt zu Bett gehen, werden Sie uns heute Abend besuchen?«

»Wenn ich vernünftig wäre, müßte ich Ihre Gegenwart vermeiden.«

»Wenn ich selber vernünftig wäre, dürfte ich Sie nicht einladen, zu uns zu kommen.«

»Was für eine Antwort! Natürlich werden Sie mich sehen; aber darf ich, bevor wir uns trennen, einen Kuß von Ihnen erbitten?«

»Zwei.«

Ihr Bruder und der Marchese entfernten sich. Zwei Tragstühle, die ich vor die Tür bestellt hatte, brachten die beiden Basen nach Hause. Zwei andere, die ein bißchen später kamen, dienten dem Leutnant und seiner Freundin.

Der Marchese, der bei mir geblieben war, sagte mir mit der größten Höflichkeit, er wünsche mir die Hälfte meiner Auslagen zu erstatten.

»Ich habe mir wohl gedacht, daß Sie mich demütigen würden.«

»Das ist nicht meine Absicht; ich bestehe daher nicht auf meinem Wunsche, aber Sie begreifen wohl, daß ich dann der Gedemütigte bin.«

»Nein; denn ich rechne auf Ihren Geist. Wie Sie sehen, kostet das Geld mir nichts, übrigens gebe ich Ihnen mein Ehrenwort, daß ich Sie auf allen Vergnügungspartien, bei denen wir uns während des Karnevals noch treffen könnten, für mich werde bezahlen lassen. Wir können hier soupieren, so oft es Ihnen beliebt; ich bin hier zu Hause. Sie geben die Gesellschaft, und ich werde Sie die Rechnung bezahlen lassen.«

»Ausgezeichnet! Diese Anordnung gefällt mir. Lassen Sie uns gute Freunde sein. Ich lasse Sie mit dieser reizenden Kammerzofe allein, und ich begreife nicht, daß eine solche Schönheit ungekannt von aller Welt, ausgenommen von Ihnen, in Mailand hat leben können.«

»Sie ist eine Bürgersfiau, die ein Geheimnis zu bewahren weiß. Habe ich recht, Signora?«

»Ich würde lieber sterben, als irgend einem Menschen sagen, daß der Herr der Marchese F. ist.«

»Vortrefflich, meine reizende und schöne Signora; halten Sie stets Ihr Wort und nehmen Sie, bitte, dieses kleine Andenken an.«

Es war ein schöner Ring. Zenobia nahm ihn mit reizendem Anstand an; er mochte etwa fünfzig Zechinen wert sein.

Als der Marchese fort war, kleidete Zenobia mich für die Nacht an. Ich legte mich zu Bett, nachdem ich ihr vierundzwanzig Zechinen gegeben und sie umarmt hatte; dann sagte ich ihr, sie könne nach Hause gehen, um ihren Mann zu trösten.

»Er ist nicht unruhig,« sagte sie; »denn er ist Philosoph.«

»Das muß er allerdings sein, da er eine so schöne Frau hat. Gib mir noch einen Kuß, Zenobia, und dann wollen wir scheiden.«

Sie warf sich auf mich, bedeckte mich mit Küssen und nannte mich ihr Glück und ihre Vorsehung. Ihre heißen Küsse brachten die natürliche Wirkung hervor, und nachdem ich ihr einen neuen Beweis von der Macht ihrer Reize gegeben hatte, ging sie fort, und ich schlief ein.

Es war zwei Uhr, als ich mit einem Wolfshunger erwachte. Ich aß ausgezeichnet zu Mittag und kleidete mich dann an, um die schöne Marchesina Q. zu besuchen, die ich, nach dem, was sie mir gesagt hatte, kaum spröde finden konnte. Alle Anwesenden außer ihr saßen am Spieltisch. Sie stand an einer Fensterbrüstung und schien so aufmerksam zu lesen, daß sie mich nicht bemerkte; sobald sie mich aber gesehen hatte, wurde sie rot, klappte ihr Buch zu und steckte es in die Tasche.

»O, ich bin nicht schwatzhaft, mein gnädiges Fräulein; ich werde keinem Menschen sagen, daß ich Sie dabei überrascht habe, wie Sie in einem Gebetbuch lasen.«

»Das freut mich; denn es wäre um meinen guten Ruf geschehen, wenn man wüßte, daß ich fromm bin.«

»Hat man von der Maskerade gesprochen? Weiß man, wer die Masken waren?«

»Man spricht von nichts anderem und bedauert uns, daß wir nicht auf dem Ball gewesen seien; aber man hat die Hoffnung aufgegeben, zu erfahren, wer die Masken waren; denn man sagt, eine unbekannte Kutsche mit vier Pferden habe sie blitzgeschwind nach der zehnten Poststation gebracht, von wo sie Gott weiß welchen Weg eingeschlagen haben. Man sagt auch, meine Haare seien falsch gewesen; ich habe wirklich Lust bekommen, ihnen das Gegenteil zu beweisen. Ferner sagt man, Sie müßten die Masken kennen, denn sonst hätten Sie ihnen nicht ganze Hände voll Dukaten gegeben.«

»Man muß die Leute reden und glauben lassen, was sie wollen; die Hauptsache ist, daß man sich selber nicht verrät.«

»Da haben Sie recht; aber soviel ist wahr: wir haben ein sehr großes Vergnügen gehabt. Wenn Sie alle Aufträge, die man Ihnen gibt, ebenso erledigen, sind Sie einzig in Ihrer Art.«

»Aber ich hätte einen solchen Auftrag nur von Ihnen selber in Empfang nehmen können.«

»Heute von mir, morgen von einer anderen.«

»Ich sehe. Sie halten mich für unbeständig, aber ich schwöre Ihnen, wenn Sie mich Ihres Herzens würdig fänden, würde Ihr Bild unauslöschlich in meinem Herzen bleiben.«

»Ich bin überzeugt, das haben Sie tausend Mädchen gesagt; ich bin ferner überzeugt, Sie haben sie verachtet, nachdem Sie sie Ihres Herzens würdig gefunden haben.«

»Ich bitte Sie, brauchen Sie doch nicht das Wort ›verachtet‹; denn dann müßte ich ja glauben, Sie halten mich für ein Ungeheuer. Die Schönheit verführt mich, ich strebe sie zu besitzen, und ich verachte sie, wenn es nicht Liebe ist, die mir ihren Genuß verschafft. Aber wie wäre es mir möglich, ihr keinen ehrfurchtsvollen Kultus zu weihen, wenn sie sich mir aus Liebe hingibt? Da müßte ich mich ja vor allen Dingen selber verachten. Sie sind schön und ich bete Sie an; aber Sie würden sich sehr täuschen, wenn Sie glauben könnten, ich wäre damit zufrieden, daß Sie sich mir aus Gefälligkeit hingäben.«

»Ich sehe, Sie verlangen mein Herz.«

»Ganz recht; nach Ihrem Herzen strebe ich.«

»Um mich in vierzehn Tagen unglücklich zu machen.«

»Um Sie bis in den Tod zu lieben und alle Ihre Wünsche zu erfüllen.«

»Alle meine Wünsche?«

»Ja, sie wären für mich unverletzliche Gesetze.«

»Sie würden sich in Mailand niederlassen?«

»Ganz gewiß, wenn Sie mich unter dieser Bedingung glücklich machten.«

»Spaßhaft ist es bei alledem, daß Sie mich betrügen, ohne es selber zu wissen, wenn es wahr ist, daß Sie mich lieben.«

»Jemanden betrügen, ohne es selber zu wissen, – das ist für mich etwas Neues. Wenn ich es nicht weiß, so bin ich unschuldig.«

»Unschuldig – meinetwegen. Aber Sie täuschen nicht minder auch mich. Denn es wird nicht in Ihrer Macht stehen, mich noch zu lieben, wenn die Liebe zu mir in Ihnen erloschen ist.«

»Das wäre allerdings möglich; aber ich weise einen so abscheulichen Gedanken weit von mir! Lieber will ich glauben, daß ich in alle Ewigkeit in Sie verliebt sein werde. So viel ist sicher: seitdem ich in Mailand bin, habe ich dort nicht ein einziges Frauengesicht gefunden, das mir gefallen hätte.«

»Auch nicht das reizende junge Weib, das uns bedient hat, das Sie vielleicht bis vor wenigen Augenblicken in Ihren Armen gehalten haben?«

»Was sagen Sie da, göttliche Marchesa! Sie ist die Frau des Schneiders, der unsere Kleider gemacht hat. Sie ist gleich nach Ihnen fortgegangen, und ihr Mann würde sie nicht bei mir gelassen haben, wenn er nicht gewußt hätte, daß ich sie brauchte, um die drei Damen zu bedienen, für die er die Kleider gemacht hatte.«

»Sie ist bildhübsch. Ist es möglich, daß Sie sie nicht lieben?«

»Wie kann man eine Frau lieben, wenn man weiß, daß ein Pavian sich mit ihr vergnügt, so oft er Lust hat? Das einzige Vergnügen, das die Frau mir heute früh gemacht hat, bestand darin, daß sie mit mir über Sie sprach.«

»über mich?«

»Ja. Werden Sie mir verzeihen, wenn ich Ihnen gestehe, daß ich in meiner Neugierde sie gefragt habe, welche der drei jungen Damen, die sie doch ohne Hemd gesehen haben müßte, die schönste wäre?«

»Solche Frage kann nur ein Wüstling stellen. Nun? Was hat sie Ihnen geantwortet?«

»Die Dame, die die schönen Haare hat, sei überhaupt in jeder Beziehung schön.«

»Das glaube ich nicht; denn ich habe gelernt, anständig das Hemd zu wechseln, und sie kann wohl kaum mehr gesehen haben, als was ich auch einen Mann ohne Gefahr hätte sehen lassen können. Sie hat Ihrer indiskreten Neugier schmeicheln wollen. Wenn ich eine Kammerzofe hätte wie diese, würde ich sie sofort entlassen.«

»Sie sind ärgerlich.«

»Nein.«

»Wenn Sie auch nein sagen – ich habe bei dieser flüchtigen Aufwallung Ihre Seele erkannt. Ich bin in Verzweiflung, Ihnen diese Worte gesagt zu haben.«

»Ei was; das ist nichts. Ich weiß, die Männer fragen Kammerzofen immer nach solchen Sachen, und diese antworten ihnen stets wie Ihre Schöne, die vielleicht nur gerne Ihre Neugier auf sie selber lenken möchte.«

»Aber wie sollte sie wohl hoffen, das ihr dies gelingen könnte, indem sie Ihre Schönheiten auf Kosten der beiden anderen pries? Sie konnte ja doch nicht wissen, daß ich Sie vorziehe.«

»Wenn sie das nicht weiß, so habe ich unrecht; aber trotzdem hat sie gelogen.«

»Sie kann vielleicht etwas erfunden haben, aber ich glaube nicht, daß sie gelogen hat. Sie lachen! Das entzückt mich.«

»Ich lache, weil es mir Vergnügen macht, Sie glauben zu lassen, was Sie wollen.«

»Sie erlauben mir also, zu glauben, daß Sie mich nicht hassen?«

»Sie hassen? Was für ein häßliches Wort! Wenn ich Sie haßte, würde ich Sie dann noch sehen? Aber sprechen wir jetzt von etwas anderem. Ich möchte Sie bitten, mir ein Vergnügen zu erweisen. Hier sind zwei Zechinen. Setzen Sie sie in der Lotterie auf eine Ambe; geben Sie mir den Zettel, wenn Sie Ihren nächsten Besuch machen, oder schicken Sie ihn mir zu. Aber lassen Sie nur ja keinen Menschen etwas davon erfahren.«

»Sie sollen ihn morgen ganz bestimmt erhalten; aber warum befehlen Sie mir, Ihnen den Zettel zu schicken?«

»Weil Sie vielleicht nicht kämen, wenn Sie sich mit mir langweilen.«

»Sagen Sie offen, mein Fräulein, macht es den Eindruck, wie wenn ich mich in Ihrer Gesellschaft langweile? Da bin ich recht unglücklich! Wie heißen Ihre Nummern?«

»Die drei und die vierzig, sie selber haben Sie mir gegeben.«

»Ich? Wieso denn?«

»Drei Prisen Zechinen und jedesmal vierzig. Ich bin abergläubisch; Sie werden mich deshalb aufziehen, aber es kommt mir wirklich so vor, als ob Sie nur nach Mailand gekommen seien, um mich glücklich zu machen.«

»Sie schenken mir das Leben wieder! Ihre Worte erfüllen mich mit inniger Freude. Sie sagen, Sie seien abergläubisch; aber wenn Sie diese Ambe nicht gewinnen, so ziehen Sie daraus nur ja nicht die Folgerung, daß ich Sie nicht liebe: das wäre ein haarsträubender Sophismus.«

»Mein Aberglaube geht nicht so weit; so unvernünftig denke ich nicht.«

»Glauben Sie, daß ich Sie liebe?«

»Ja.«

»Erlauben Sie mir, Ihnen das hundertmal zu sagen?«

»Ja.«

»Und es Ihnen auf alle Arten zu beweisen?«

»Die Arten will ich vorher kennen; denn es wäre möglich, daß diejenigen, die Sie für die wirksamsten halten, mir sehr überflüssig erscheinen.«

»Ich sehe voraus, Sie werden mich lange schmachten lassen.«

»So lange, wie ich kann.«

»Und wenn Sie nicht mehr können?«

»So werde ich mich ergeben. Sind Sie damit zufrieden?«

»Ja, gewiß; aber ich werde alle meine Kraft aufbieten, um Ihren Widerstand zu vermindern.«

»Tun Sie das nur. Ihre Bemühungen werden mir angenehm sein.«

»Werden Sie mir helfen, zum Ziele zu gelangen?«

»Vielleicht.«

»Ach, reizende Marchesina, Sie brauchen nur zu sprechen, um einen Menschen glücklich zu machen. Ich bin wirklich glücklich, und ich verlasse Sie, in heißer Liebe entbrannt.«

Nach dieser reizenden Plauderei ging ich ins Theater und besuchte hierauf den Spieltisch, wo ich die Maske sah, die am Abend vorher dreihundert Zechinen gewonnen hatte.

Er spielte sehr unglücklich, denn er hatte in Marken bereits mehr als zweitausend Zechinen verloren. In weniger als einer Stunde verlor er noch das doppelte dazu; dann sagte Canano: »Jetzt ist es genug!« und legte die Karten hin. Er stand auf, und die Maske entfernte sich. Es war ein Genueser, namens Spinola.

»Sie haben eine glückliche Bank gehabt,« sagte ich zu Canano.

»Ja; aber mit Ihnen habe ich schlechte Geschäfte gemacht. Pierrot ist glücklich gewesen.«

»Na, wenn ich gewettet hätte, würden Sie verloren haben, denn Sie haben mich in dem Pierrotkostüm nicht erkannt.«

»Allerdings nicht; ich war auf den einen Bettler versessen, den ich für Sie hielt. Sie wissen doch, wer er ist?«

»Nicht im geringsten. Ich hatte ihn nie zuvor gesehen.«

Dies war keine Lüge von mir.

»Man sagt, es seien lauter Venetianer, und sie seien von hier nach Bergamo gefahren.«

»Das kann wohl sein; aber ich weiß nichts davon. Ich hatte den Ball bereits verlassen, als sie gingen.«

Am Abend speiste ich mit der Gräfin A. B., ihrem Gatten und Triulzi. Sie waren derselben Meinung wie Canano. Triulzi sagte zu mir, ich hätte mich verraten, indem ich den Bettlerinnen ganze Hände voll Zechinen gegeben hätte.

»Da irrt man sich,« antwortete ich; »man kennt mich nicht. – Ich bin abergläubisch beim Spiel und würde glauben, daß ich verlieren müßte, wenn ich nicht denen, die mich darum bitten, ein paar Dukaten gebe; vorausgesetzt natürlich, daß ich im Gewinn bin. Ich habe dreißig Pfund Gold gewonnen und lasse die Narren schwätzen.«

Am nächsten Tage kaufte ich einen Lotteriezettel und brachte ihn meiner schönen Marchesa. Ich war vollständig in sie verliebt, weil alles mir sagte, daß sie mich liebte. Auch ihre Base spielte an diesem Tage nicht, und ich verbrachte drei Stunden mit ihnen, von nichts als Liebe sprechend. Ich fand in ihren Bemerkungen einen unbeschreiblichen Zauber, denn sie hatten unendlich viel Geist. Als ich sie verließ, fühlte ich, daß ich, wenn der Zufall mich mit der Base statt mit Fräulein von Q. zusammengebracht hätte, mich in die erstere ebenso verliebt haben würde. Der Karneval dauert in Mailand vier Tage länger als an allen anderen Orten, wodurch die Fastenzeit um eine halbe Woche abgekürzt wird. Er näherte sich seinem Ende. Es sollten noch drei Bälle stattfinden. Ich spielte und verlor jeden Tag zwei- oder dreihundert Zechinen. Alle Welt wunderte sich noch mehr über meine Bedachtsamkeit als über mein Unglück. Jeden Tag ging ich zu den schönen Basen und redete mit ihnen von meiner Liebe; aber ich kam nicht weiter: es gab nur Hoffnungen, aber nichts Gewisses. Die schöne Marchesina bewilligte mir ein paar Küsse; diese sind eine Kost für Rekonvaleszenten: es ist weder Saft noch Kraft darin. Ich brauchte Besseres. Allerdings hatte ich mich noch nicht erkühnt, sie um ein Stelldichein zu bitten. Ich mußte dies aber doch schließlich tun; denn wenn ich bei meiner respektvollen Zurückhaltung verblieb, lief ich Gefahr, an Entkräftung zu sterben. Daher fragte ich sie drei Tage vor dem Ball, ob ich hoffen könnte, sie mit ihren beiden Freundinnen, ihrem Bruder und dem Marchese zum Abendessen einladen zu dürfen.

»Mein Bruder«, antwortete sie mir, »wird Sie morgen aufsuchen, um mit Ihnen das Nötige zu verabreden.«

Dies war ein gutes Zeichen. Der Leutnant kam wirklich. Ich hatte gerade die herausgekommene Lotterienummer erhalten, und man denke sich meine Freude, als ich die drei und die vierzig sah. Ich war himmelhoch erfreut über diesen Erfolg! Dem jungen Marchese sagte ich nichts, weil seine Schwester mir dies verboten hatte; aber ich sah voraus, daß diese Fügung des Zufalls meiner Liebe günstig sein würde.

»Marchese F.«, sagte der liebenswürdige Botschafter zu mir, »ladet Sie nebst der ganzen Bettlergesellschaft für den Ballabend zum Abendessen in Ihrer Wohnung ein; da er uns jedoch eine Überraschung bereiten will, so bedarf er Ihrer Wohnung, um die Maskenkleider anfertigen zu lassen. Da er sicher sein möchte, daß die Sache geheim bleibt, bittet er Sie auch, dieselbe Kammerfrau zu bestellen, die Sie neulich hatten.«

»Gern, sehr gern, mein junger Freund! Sagen Sie dem liebenswürdigen Marchese, ihm stehe alles zu Diensten.«

»Sorgen Sie dafür, daß das Mädchen heute um drei Uhr dort ist, und sagen Sie dem Pastetenbäcker Bescheid, daß Sie dem Marchese freie Verfügung gegeben haben.«

»Alles soll nach den Wünschen Ihres Freundes geschehen.«

Es war mir nicht schwer, zu erraten, daß der Marchese Lust hatte, Zenobia zu besitzen; aber ich fand dies so natürlich, daß ich mich durchaus nicht darüber ärgerte, sondern im Gegenteil geneigt war, seine zärtlichen Gefühle zu begünstigen. »Leben und leben lassen« war stets mein Wahlspruch und wird bis zu meinem Tode mein Wahlspruch sein, obgleich augenblicklich unglücklicherweise der Genuß für mich nur noch in meinen Erinnerungen besteht.

Sobald ich mich angezogen hatte, ging ich aus; ich sagte dem Pastetenbäcker Bescheid und ging dann zu dem Schneider, der sich sehr freute, daß ich seiner Frau Arbeit verschaffte. Er wußte aus Erfahrung, daß seiner Kasse ihre Abwesenheiten gut zustatten kamen.

»Ihrer selbst bedarf ich nicht,« sagte ich zu ihm, »weil es sich nur um Frauenkleider handelt; ich habe nur meine Gevatterin nötig.«

»Punkt drei werde ich ihr für drei Tage Urlaub geben.«

Nachdem ich zu Mittag gegessen hatte, machte ich mich auf den gewohnten Weg; ich fand meine liebenswürdige Marchesina Q. überglücklich. Ihre Ambe hatte ihr fünfhundert Zechinen eingebracht.

»Dies macht Sie glücklich?« fragte ich sie.

»Es macht mir Vergnügen; aber obwohl ich nicht reich bin, so freue ich mich doch nicht über den Gewinn, sondern über den herrlichen Einfall, den ich mir zu eigen machte; das Vergnügen, das ich empfinde, beruht in dem Gedanken, daß ich dieses Glück Ihnen verdanke. Diese Fügung des Zufalls spricht gebieterisch zu Ihren Gunsten.«

»Was sagt sie Ihnen?«

»Sie sagt mir: Sie verdienen, daß ich Sie liebe.«

»Sagt sie Ihnen auch, daß Sie mich wirklich lieben?«

»Nein; dies sagt mir mein Herz.«

»Sie machen mich überglücklich; aber sagt Ihr Herz Ihnen auch, daß Sie es mir beweisen müssen?«

»Lieber Freund! Können Sie daran zweifeln?«

Mit diesen Worten streckte sie mir ihre Hand hin. Es war das erste Mal. Ich preßte meine Lippen darauf.

»Anfangs«, sagte sie, »dachte ich daran, die ganzen vierzig Zechinen auf die Ambe zu setzen.«

»Hatten Sie nicht den Mut dazu?«

»Das war es nicht; ich schämte mich. Ich fürchtete, Sie möchten etwas denken, was Sie mir gewiß nicht gesagt haben würden. Ich fürchtete nämlich, wenn ich Ihnen die vierzig Zechinen gäbe, um sie für mich in die Lotterie zu stecken, könnten Sie sich vielleicht einbilden, ich wollte Ihnen dadurch andeuten, daß ich dies Geschenk verachtete. Dies hätte Ihnen eine schlechte Meinung von mir gegeben; aber wenn Sie mir zugeredet hätten, wäre ich sofort bereit gewesen.«

»Ich bin in Verzweiflung, nicht daran gedacht zu haben. Sie würden jetzt zehntausend Zechinen besitzen, und dies würde mich glücklich machen.«

»Sprechen wir nicht mehr davon.«

»Wie Ihr Bruder mir gesagt hat, werden wir unter der Leitung des Marchese den Maskenball besuchen. Sie können sich wohl denken, wie sehr mich die Aussicht freut, daß ich eine ganze Nacht mit Ihnen verbringen werde. Nur eins beunruhigt mich.«

»Was denn?«

»Ich fürchte, es wird nicht so gut gehen, wie das erste Mal.«

»Seien Sie unbesorgt: der Marchese ist ein sehr kluger Mann. Er liebt meine Schwester ebenso wie seine eigene Ehre. Ganz gewiß wird man uns nicht erkennen.«

»Er kann nichts Besseres tun, als es ebenso zu machen wie Sie.«

Am Abend des Balles ging ich schon sehr früh zu meinem Pastetenbäcker, wo ich den Marchese fand. Er war sehr befriedigt, daß alles nach seinem Wunsche ging. Das Zimmer mit den Maskenanzügen war verschlossen. Ich fragte ihn mit zweideutiger Betonung, ob er mit Zenobia zufrieden gewesen sei.

»Ich kann nur mit ihrer Arbeit zufrieden sein,« antwortete er mir, »denn ich habe weiter nichts von ihr verlangt.«

»Ich will dies gerne glauben; aber ich befürchte, Ihre schöne Freundin wird in dieser Hinsicht nicht eben so leichtgläubig sein.«

»Sie weiß, daß ich nur sie lieben kann.«

»Sprechen wir nicht mehr davon.«

Nachdem die Gäste gekommen waren, sagte der Marchese zu uns, die Verkleidung werde uns in Heiterkeit versetzen und es sei daher zu empfehlen, wenn wir uns vor dem Abendessen umzögen.

Wir folgten ihm in die Kammer, wo wir zwei große Pakete sahen.

»Meine Damen,« sagte er zu den drei Schönen, »dieses Paket ist für Sie. Die Signora wird Sie ankleiden; wir werden dasselbe in einem anderen Zimmer tun.«

Er nahm das größere Paket. Als wir in unserem Zimmer eingeschlossen waren, öffnete er es und gab mir sowie dem Leutnant die für uns bestimmten Sachen, indem er ausrief: »Vorwärts, meine Freunde, beeilen wir uns!«

Wir lachten laut auf, als wir Frauenkleider sahen. Nichts fehlte: Hemden, mit Flitter bestickte Schuhe mit Absätzen, die uns zwei Zoll größer machten, prachtvolle Strumpfbänder und kostbare Nachthäubchen, um uns die Mühe des Frisierens zu ersparen; die herrlichen Spitzen, mit denen sie benäht waren, fielen uns über die Augen. Ich war überrascht, daß die Schuhe, die er für mich bestimmt hatte, mir wie angegossen paßten; wie ich jedoch später erfuhr, hatte ich denselben Schuster wie er. Mieder, Unterröcke, Kleid, Busentuch, Fächer, Arbeitstasche, Schminkdöschen, Masken, Handschuhe – alles war von tadelloser Beschaffenheit. Wir halfen uns gegenseitig die Hauben aufsetzen; als wir jedoch angezogen waren, sahen wir aus wie Vogelscheuchen, mit Ausnahme des jungen Offiziers, den man wohl für eine sehr hübsche Frau hätte halten können; denn ein falscher Busen und ein cul de Paris ersetzten die Schönheiten, die er als Mann nicht haben konnte.

Ohne uns verabredet zu haben, zogen wir alle drei keine Hosen an.

»Ihre schönen Strumpfbänder«, sagte ich zum Marchese, »zeigen mir, daß Sie die Hosen für überflüssig halten.«

»Der Gedanke ist sehr gut,« sagte er; »leider aber wird es niemandem einfallen, sich von der Sache zu überzeugen, denn zwei Fräuleins von fünf Fuß zehn Zoll werden keine sehr lebhaften Begierden einflößen.«

Ich hatte mir gedacht, daß unsere reizenden Freundinnen als Männer erscheinen würden, und ich hatte mich nicht getäuscht. Da sie vor uns fertig geworden waren, so sahen wir sie beim Eintreten vor dem Kaminfeuer stehen.

Sie sahen wie drei junge Pagen aus, aber ohne deren Unverschämtheit; denn sie fühlten sich in ihrer Kleidung offenbar ein wenig verlegen, obgleich sie so taten, wie wenn sie sich sehr wohl darin befänden.

Wir stellten uns ihnen vor, indem wir die Bescheidenheit des schönen Geschlechts mit einer schamhaften Zurückhaltung nachäfften, die zu unseren Rollen paßte. Sie hielten sich infolgedessen für verpflichtet, das Benehmen von Männern nachzuahmen; ihr Anzug war aber nicht von der Art, wie er für junge Leute paßt, bei denen man ein ehrfurchtsvolles Benehmen gegen Damen voraussetzt. Sie waren als Läufer gekleidet, trugen enge Hosen, kurze, festanliegende Westen, offene Jäckchen, Strumpfbänder mit silbernen Franzen, Tressengürtel und hübsche, silberbestickte Mützen mit vergoldetem Wappen. Ihre Batisthemden waren mit sehr großen Brustkrausen von Alençonspitzen geschmückt. In dieser Kleidung, worin sie notwendigerweise ihre schönen Formen durch einen fast durchsichtigen Schleier zeigten, hätten sie die Sinne eines an allen Gliedern Gelähmten aufregen können; wir aber waren nichts weniger als das. Indessen liebten wir sie zu sehr, um sie scheu zu machen.

Nach den ersten gezierten Redensarten, wie sie bei solchen Gelegenheiten üblich sind, begannen wir auf unsere gewöhnliche Art zu plaudern, bis man das Abendessen auftragen würde. Sie sagten uns: da sie zum erstenmal in ihrem Leben Männerkleidung trügen, so wären sie nicht ohne Furcht wegen der Gefahren, denen sie sich aussetzten, wenn sie auf den Ball zu gehen wagten. »Wenn uns unglücklicherweise jemand erkennen sollte, so wären wir verloren«, rief die Base. Sie hatten recht, unsere Aufgabe erforderte jedoch, sie zu beruhigen, obwohl wir, besonders ich, gerne in unserem kleinen Kreise geblieben wären.

Wir gingen zu Tisch, jeder saß neben seinem Liebchen, und gegen meine Erwartung war die Geliebte des Leutnants die erste, die einen fröhlichen Ton anschlug. Sie glaubte ihre Männerrolle nur richtig spielen zu können, wenn sie sich kühn zeigte; infolgedessen ging sie dem weiblichen Leutnant zu Leibe, der sich wie ein sprödes Mädchen verteidigte. Die beiden Basen schämten sich, weniger tapfer zu sein als ihre Freundin, und erwiesen uns einige Liebkosungen, die schon ziemlich ausgelassen waren. Zenobia, die uns bei Tisch bediente, konnte sich des Lachens nicht enthalten, als meine angebetete Q. ihr vorwarf, sie hätte mein Kleid zu eng über die Brust gemacht. Als sie ihre hübsche Hand ausstreckte, wie wenn sie mir Gewalt antun wollte, gab ich ihr eine leichte Ohrfeige; sie dagegen ergriff mit der Höflichkeit eines reuigen Kavaliers meine Hand und küßte sie, indem sie mich um Verzeihung bat. Ich konnte es kaum noch aushalten!

Als der Marchese sagte, ihn fröre, fragte die Base ihn, ob er seine Hose anhabe. Sie streckte ihre Hand aus, um sich zu vergewissern, zog sie aber sofort errötend zurück. Wir brachen hierauf in ein lautes Gelächter aus, in das sie klugerweise mit einstimmte, indem sie ihre Rolle eines unverzagten Liebhabers mit entzückendem Geist weiterspielte.

Das Abendessen hatte nichts zu wünschen übrig gelassen; es war lecker, abwechslungsvoll und reichlich. Von Liebe und Wein erhitzt, standen wir auf, nachdem wir mehr als zwei Stunden bei Tisch verbracht hatten. Als wir aufstanden, malte sich Traurigkeit auf den Zügen der beiden schönen Basen. Sie wußten nicht, wie sie auf den Ball gehen könnten, wo ihre Kleidung ihnen alle ausgelassenen Masken auf den Hals hetzen müßte. Der Marchese begriff dies ebensogut wie wir und fand ihr Widerstreben sehr natürlich.

»Wir müssen aber doch zu einer Entscheidung kommen,« rief der Leutnant; »entweder fahren wir auf den Ball oder nach Hause.«

»Keins von beiden!« sagte der Marchese; »tanzen wir hier!«

»Wo sind die Geiger?« sagte seine Geliebte. »Heute Nacht sind um alles Gold der Welt keine aufzutreiben.«

»Ei, so behelfen wir uns ohne sie!« rief ich. »Wir machen Punsch, spielen allerlei kleine Spiele, plaudern und sind glücklich; werden wir müde, so schlafen wir. Wir haben drei Betten.«

»Zwei genügen«, sagte die Base.

»Allerdings; aber zuviel des Guten schadet nie.«

Zenobia war zur Frau des Pastetenbackers gegangen, um zu Abend zu essen; sie sollte erst wieder heraufkommen, wenn wir sie riefen.

Nachdem wir zwei Stunden lang allerlei Scherzchen getrieben hatten, die für die Liebe nicht verloren waren, ging die Geliebte des Leutnants, die ein bißchen beschwipst war, in ein anderes Zimmer und warf sich auf das Bett. Ihr Geliebter folgte ihr bald.

Fräulein von Q. befand sich in derselben Lage; sie sagte mir, sie wünsche sich einen Augenblick auszuruhen. Ich führte sie in ein Zimmer, worin sie sich einschließen konnte, und schlug ihr vor, dies zu tun.

»Ich glaube nicht, daß ich mich vor jemandem in acht zu nehmen brauche«, antwortete sie mir.

»Dann lassen wir also den Marchese mit Ihrer liebenswürdigen Base allein; sie können sich ebenfalls ausruhen, und ich werde bei Ihnen Wache halten.«

»Nein, lieber Freund, Sie müssen ebenfalls schlafen.«

Mit diesen Worten ging sie in das Ankleidezimmer, indem sie mich bat, ihr ihren Unterrock zu holen. Als sie wieder eintrat, rief sie: »Ah, ich atme wieder auf. Diese verdammte Hose ist zu eng: sie rieb mich wund.«

Nur mit ihrem Unterrock bekleidet, legte sie sich auf das Bett.

»Wo tat Ihnen denn die abscheuliche Hose weh, liebes Herz?«

»Das mag ich Ihnen nicht sagen, aber mir scheint, dieses Kleidungsstück muß Ihnen doch sehr unbequem sein?«

»Aber, mein Engel, wir sind doch ganz anders gebaut; die Hose kann uns an der Stelle, wo sie Sie gedrückt hat, nicht wund reiben.«

Während ich dies sagte, hielt ich sie an meine Brust gepreßt in den Armen. Ich ließ mich sanft an ihre Seite gleiten. Eine volle Viertelstunde blieben wir so, ohne ein Wort zu sprechen; wir hielten uns umschlungen, und unser Lippen verschmolzen in einem langen Kuß. Um sie ungestört zu lassen, ging ich einen Augenblick in das Ankleidezimmer. Als ich wieder hereinkam, fand ich sie unter der Bettdecke. Sie sagte nur, sie habe sich ausgezogen, um besser schlafen zu können; dann schloß sie die Augen und drehte sich um. Ich begriff, daß die Schäferstunde geschlagen hatte; im Handumdrehen warf ich meine Frauenkleider ab und schlüpfte leise neben sie, denn die ersterbende Scham muß man schonen. Ich umschlang sie mit meinen Armen; bald brachte ein gewisser Druck ihre Sinne in Aufregung, sie wandte sich zu mir und überließ mir den Genuß aller ihrer Reize.

Nach dem ersten Opfer schlug ich eine Abwaschung vor, die notwendig war; denn wenn ich mir auch nicht gerade schmeicheln konnte, das Schloß erbrochen zu haben, so hatte doch das Opfer ehrenvolle Spuren auf dem Altar gelassen. Mein Vorschlag wurde freudig angenommen, und als wir uns gegenseitig diesen Dienst erwiesen hatten, erlaubte sie mir, mich am Anblick aller ihrer Schönheiten zu weiden und diese mit meinen Küssen zu bedecken. Durch meine Liebkosungen ermutigt, nahm sie für sich das Vorrecht der Gleichheit in Anspruch.

»Welch ein Abstand«, rief sie, »zwischen Bild und Wirklichkeit!«

»Aber der Vergleich, mein Engel, fällt wohl zu Gunsten des Bildes aus?«

»Was sagst du da! Kann man der Kunst den Vorzug vor der Natur geben?«

»Die Natur kann doch Unvollkommenheiten haben.«

»Ich weiß nicht, ob an dem, was ich sehe, irgend etwas unvollkommen ist; jedenfalls habe ich niemals etwas Schöneres gesehen.«

Allerdings bot ich ihr in diesem Augenblick das Werkzeug der Liebe in seiner ganzen Schönheit dar und ließ sie seine ganze Macht verspüren. Sie blieb nicht hinter mir zurück, und ich habe selten bei einer Frau mehr Feuer, Schmiegsamkeit und Reziprozität gefunden.

»Wenn wir vernünftig sind,« sagte sie, »so gehen wir auf gar keinen Ball mehr, sondern kehren an diesen Ort zurück, wo so süße Genüsse unser harren.«

Ich küßte liebeglühend den Mund, der mir so bestimmt mein Glück versprach, und überzeugte sie durch meine Entzückungen, daß niemals ein Mann sie glühender lieben könnte als ich. Es kostete mir keine Mühe, sie vom Schlafen abzuhalten; denn ihre schönen Augen machten nicht ein einzigesmal Miene, sich zu schließen. Wir waren beständig in Tätigkeit oder in wonnigen gegenseitigen Betrachtungen, die wir mit verliebten Reden begleiteten. Zuweilen täuschte ich sie, aber nur zu ihrem Vorteil, denn das Temperament eines jungen Weibes ist stets feuriger als das eines jungen Mannes. Wir hörten erst auf, als der Tag zu dämmern begann. Wir brauchten uns nicht voreinander zu verbergen, denn alle hatten in Freuden genossen, und nur eine gegenseitige Bescheidenheit hielt uns ab, uns zu beglückwünschen. Wir sprachen nicht von unserem Glück, aber indem wir schwiegen, leugneten wir es auch nicht.

Als wir angezogen waren, dankte ich dem Marchese und lud ihn, ohne daß von Maskerade die Rede gewesen wäre, für die Nacht des nächsten Balles zum Abendessen ein, wenn es den Damen recht wäre. Der Leutnant sagte in ihrem Namen zu, und seine Geliebte fiel ihm vor Freude um den Hals, dankte ihm und warf ihm zugleich vor, daß er die ganze Nacht geschlafen hatte. Der Marchese sagte, er habe dasselbe getan; ich wiederholte diese Worte wie einen Glaubensartikel, und die Damen umarmten uns, indem sie uns für unser anständiges Verhalten dankten. Wir trennten uns wie das erstemal; nur der Marchese blieb allein bei Zenobia.

Ich begab mich nach Hause und ging sofort zu Bett; da ich erst um drei Uhr aufstand, so fand ich keinen Menschen im Hause. Ich ging also allein zu meinem Pastetenbäcker, um dort zu Mittag zu essen, und fand Zenobia mit ihrem Mann, der sich eingefunden hatte, um sich an den Resten unseres Abendessens gütlich zu tun. Er sagte mir, ich hätte sein Glück gemacht; denn der Marchese hätte seiner Frau vierundzwanzig Zechinen und seine Weiberkleider geschenkt. Ich gab ihr auch die meinigen. Als ich meiner Gevatterin sagte, sie solle mir etwas zu essen besorgen, entfernte sich der Schneider, mit überschwenglichen Versicherungen seiner Dankbarkeit.

Als ich mit der schönen Zenobia allein war, bat ich sie, mir zu sagen, ob sie mit dem Marchese zufrieden gewesen sei.

»Er hat mich reichlich belohnt«, sagte sie, indem sie leicht errötete.

»Mehr will ich nicht wissen, meine liebe Zenobia, denn es ist unmöglich, dich zu sehen, ohne dich zu lieben, und wenn man dich liebt, wünscht man dich zu besitzen.«

»Der Marchese hat nur das nicht bewiesen.«

»Das ist möglich, aber sehr zu verwundern.«

Sobald ich gegessen hatte, eilte ich zu meiner schönen Marchesina, die ich jetzt viel mehr liebte als vor der köstlichen Nacht, die ich mit ihr verbracht hatte; ich konnte es kaum erwarten, sie zu sehen, um zu erfahren, welchen Eindruck sie auf mich machen würde, nachdem sie mich so rückhaltslos beglückt hatte. Ich fand sie noch schöner. Sie empfing mich mit dem Ton und dem Benehmen einer Geliebten, die glücklich ist, ein Recht auf das Herz ihres Geliebten erworben zu haben. Die Schöne sagte mir, sie sei sicher gewesen, daß ich sie besuchen werde; trotz der Anwesenheit ihrer Base empfing und gab sie tausend feurige Küsse, die keinen Zweifel mehr darüber ließen, wie wir uns unter vier Augen beschäftigt hatten. Ich verbrachte mit ihnen fünf Stunden, die mir sehr kurz vorkamen; so sehr verkürzt das Vergnügen die Zeit. Wenn man von Liebe spricht und sich von den eigenen Angelegenheiten unterhält, machen Eigenliebe und Gefühl dieses Thema unerschöpflich. Dieser fünfstündige Besuch am Tage nach der Hochzeit bewies mir, daß ich in meine neue Eroberung heftig verliebt war, und ich mußte zugleich meine schöne Marchesina überzeugen, daß ich ihrer Zärtlichkeit würdig war.

Gräfin A. B. hatte mich brieflich eingeladen, mit ihr, ihrem Gatten und dem Marchese Triulzi zu Abend zu speisen; der Marchese hatte alle Freunde des Hauses eingeladen. Infolgedessen ging ich nicht zu Canano, der seit meinem Siege als Pierrot etwa tausend Zechinen von mir gewonnen hatte. Ich wußte, daß er sich rühmte, mich fest zu haben; ich nahm mir aber im geheimen das Gegenteil vor und womöglich noch etwas Besseres. Beim Abendessen setzte die Spanierin mir heftig zu: ich schlafe außer dem Hause, man sehe mich nur selten. Man gab sich alle Mühe, mir mein Geheimnis zu entreißen; man behauptete, meine Liebesabenteuer zu kennen. Man wußte, daß ich zuweilen bei Teresa mit Greppi speiste; über diesen machte man sich lustig, weil er die geckenhafte Äußerung getan hatte, ich hätte nichts zu bedeuten. Um meine Gedanken besser zu verbergen, sagte ich, er habe vollkommen recht und ich führe das glücklichste Leben.

Am nächsten Morgen besuchte mich Barbaro, der ehrlich war wie alle Falschspieler. Er gab mir meine zweihundert Zechinen mit einer gleichen Summe als Gewinnanteil zurück, und sagte mir, er habe einen kleinen Streit mit dem Leutnant gehabt und werde deshalb nicht mehr spielen. Ich dankte ihm, daß er mich mit der schönen Marchesina bekannt gemacht habe, und sagte ihm, ich sei ganz verliebt in sie und hoffe ihre strenge Tugend noch zu besiegen. Er lächelte, lobte meine Verschwiegenheit und gab mir zu verstehen, daß er sich nicht täuschen lasse. Mir kam es aber nur darauf an, nichts einzugestehen.

Gegen drei Uhr suchte ich das reizende Weib auf; ich verbrachte bei ihr, wie am Tage vorher, fünf höchst angenehme Stunden. Da Barbaro nicht mehr spielte, hatte man der Dienerschaft Befehl gegeben, zu sagen, daß niemand zu Hause sei. Da ich erklärter Liebhaber der schönen Marchesina war, sprach die Base zu mir wie zu einem Freund. Sie bat mich, so lange wie möglich in Mailand zu bleiben; dies würde nicht nur das Glück der Base verlängern, sondern auch ihr eigenes; denn ohne mich würde es ihr unmöglich sein, stundenlang mit ihrem geliebten Marchese zusammen zu sein, der sie niemals ungestört besuchen könnte, so lange sein Vater noch am Leben wäre. Sie glaubte bestimmt, daß sie seine Frau werden würde, sobald der alte Herr im Grabe läge. Ihre Hoffnungen waren eitel; denn der junge Marchese beging bald darauf Torheiten, die ihn zugrunde richteten.

Am nächsten Abend kamen die fünf liebenswürdigen Menschen, statt auf den Ball zu gehen, zum Abendessen zu mir. Nach einem köstlichen Mahle überließen wir uns ohne Umstände den Freuden der Liebe. Es war eine reizende Nacht, doch wurden unsere Freuden durch den traurigen Gedanken gestört, daß mit dem Ende des Karnevals auch die Möglichkeit einer Fortsetzung aufhörte.

Da am Rosenmontag kein Ball stattfand, so spielte ich; da ich nicht ein einzigesmal drei Gewinnkarten traf, so verlor ich alles Gold, das ich bei mir hatte. Ich wäre wie gewöhnlich fortgegangen, wenn nicht eine als Mann verkleidete Frau mir eine Karte gegeben und mich durch Zeichen aufgefordert hätte, auf diese zu setzen. Ich legte sie vor den Bankier und hielt hundert Zechinen auf mein Wort. Ich verlor, und um meine Schuld zurückzugewinnen, verlor ich tausend Zechinen, die ich am nächsten Tage bezahlen ließ.

Als ich hinausgehen wollte, um mich bei meiner schönen Marchesina zu trösten, sah ich die Unglücksmaske in Begleitung eines anderen maskierten Mannes. Dieser trat auf mich zu, gab mir die Hand und bat mich flüsternd, ich möchte ihn um zehn Uhr in den Drei Königen in Nummer soundso aufsuchen, wenn mir die Ehre eines alten Freundes am Herzen läge.

»Wer ist dieser Freund?«

»Ich selber.«

»Wer sind Sie?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Ich bitte Sie, nicht auf mich zu warten; denn wenn Sie mein Freund sind, so kann nichts Sie abhalten, mir Ihren Namen zu nennen.«

Ich ging hinaus, und er folgte mir, indem er mich bat, bis an das Ende der Arkaden zu gehen. Dort nahm er seine Maske ab, und ich sah jenen Croce, dessen meine Leser sich vielleicht noch erinnern.

Ich wußte, daß er aus Mailand verbannt war, und ich begriff seine Gründe, warum er nicht vor anderen Leuten seinen Namen nennen wollte; aber ich wünschte mir Glück, daß ich seine Bitte, ihn in seinem Gasthof aufzusuchen, ihm abgeschlagen hatte.

»Ich bin überrascht, Sie hier zu sehen«, sagte ich ihm.

»Das glaube ich. Ich bin hierhergekommen, weil ich in dieser Jahreszeit maskiert ausgehen kann. Ich will meine Verwandten zur Herausgabe meines Eigentums nötigen; sie halten mich aber hin, um mir nichts geben zu müssen; denn sie sind überzeugt, daß ich aus Furcht vor dem Erkanntwerden mich entfernen muß, sobald die Fastenzeit angebrochen ist.«

»Aber willst du denn in der Fastenzeit unter allen Umständen abreisen, selbst wenn du das erwartete Geld noch nicht erhalten hast?«

»Ich werde wohl müssen. Da du mich nicht aufsuchen willst, so bitte ich dich, mich zu retten, indem du mir zwanzig Zechinen gibst. Dies wird mich instand setzen, Sonntag früh abzureisen, selbst wenn mein Vetter, der mir zehntausend Lire schuldet, mir den zehnten Teil, um den ich ihn gebeten habe, verweigern sollte. Aber bevor ich abreise, töte ich ihn.«

»Ich habe keinen Soldo, und deine Maske da kostet mir tausend Zechinen; ich weiß noch gar nicht, wovon ich die bezahlen soll.«

»Ich weiß, ich bin ein Unglücklicher, der allen seinen Freunden Unglück bringt. Ich habe ihr gesagt, sie solle dir eine Karte geben, weil ich hoffte, dadurch würde das Glück umschlagen.«

»Ist das Mädchen aus Mailand?«

»Nein, aus Marseille; sie ist die Tochter eines reichen Maklers. Ich habe mich in sie verliebt, habe sie verführt und zu ihrem Unglück auch entführt. Ich hatte damals viel Geld; aber ich Unglücksmensch habe in Genua alles verloren. Ich mußte dort alles verkaufen, was ich hatte, um nach Mailand zu gelangen, wo ich seit acht Tagen bin. Ich bitte dich, gib mir die Mittel, mich durch die Flucht retten zu können.«

Von Mitleid gerührt, kehrte ich um und bat Canano um zwanzig Zechinen, die ich dem Unglücklichen gab, zugleich bat ich ihn, mir zu schreiben.

Dieses Almosen tat mir gut; denn dadurch verschwand meine üble Laune wegen meines Verlustes, und ich konnte bei meiner schönen Marchesa einen köstlichen Abend verbringen.

Am nächsten Tage speisten wir bei mir zu Abend; dann verbrachten wir den Rest der Nacht in den Armen der Liebe. Dies war am Samstag, dem letzten Tage des Mailänder Karneval. Sonntag, den ersten Fastensonntag, verbrachte ich in meinem Bett; denn ich hatte bei der Marchesa meine Kräfte völlig erschöpft und wußte, daß ein langer Schlaf mich wieder herstellen würde.

Am Sonntag Morgen zu sehr früher Stunde überbrachte Clairmont mir einen Brief, den ein Lohndiener abgegeben hatte. Dieser Brief ohne Unterschrift lautete folgendermaßen:

»Mein Herr, haben Sie Mitleid mit dem unglücklichsten Geschöpf unter dem Himmel. Herr de la Croix ist ganz gewiß in Verzweiflung davongegangen. Er hat mich in diesem Gasthof zurückgelassen, wo er nichts bezahlt hat. Mein Gott, was soll aus mir werden! Kommen Sie, mein Herr, ich beschwöre Sie, wäre es auch nur, um mir einen Rat zu geben.«

Ich besann mich einen Augenblick. Es war weder Liebe noch Sinnlichkeit, was mich bewog, dem unglücklichen Mädchen zu Hilfe zu eilen; mich trieb nur ein Gefühl von Menschlichkeit und Tugend. Ich zog meinen Überrock an und eilte in die Drei Könige. In demselben Zimmer, wo ich Irene gesehen hatte, fand ich ein junges, schönes Mädchen mit edelsten und interessantesten Zügen. Ich glaubte auf diesen Schamhaftigkeit, Aufrichtigkeit und leidende Unschuld zu lesen. Als sie mich erblickte, ging sie mir mit bescheidenster Miene entgegen und bat mich um Verzeihung, daß sie es gewagt habe, mich zu belästigen. »Ich bitte Sie, sagen Sie der Frau, die hier im Zimmer steht, auf italienisch, daß sie gehen möge. Seit einer Stunde belästigt sie mich. Ich verstehe ihre Sprache nicht, doch habe ich verstanden, daß sie mir nützlich zu sein wünscht. Ich fühle mich jedoch nicht geneigt, ihre Hilfe anzunehmen.«

»Wer hat Ihnen gesagt, daß Sie zu diesem Fräulein kommen sollen?« fragte ich das Weib.

»Ein Lohndiener hat mir mitgeteilt, daß eine fremde junge Dame hier ganz allein zurückgeblieben und daß sie sehr zu bedauern sei. Die Menschlichkeit hat mich veranlaßt, sie aufzusuchen, um zu sehen, ob ich ihr irgendwie nützlich sein könnte. Ich freue mich, daß mein guter Wille überflüssig war. Ich kann nun gehen, denn ich lasse sie in guten Händen und wünsche ihr Glück dazu.«

Ich sah, daß das Weib eine Kupplerin war, und antwortete ihr nur durch ein verächtliches Lächeln.

Die arme Verlassene erzählte mir nun in wenigen Worten, was ich bereits wußte; sodann fügte sie noch hinzu: »Croce, der sich de Ste.- Croix nennen ließ, ging mit den zwanzig Zechinen sofort an die Spielbank; dann führte er mich nach dem Gasthof zurück und verbrachte hier in einem Zustande der Verzweiflung den ganzen nächsten Tag, weil er bei Tage nicht auszugehen wagte. Am Abend ging er mit einem maskierten Herrn aus und kehrte erst am nächsten Morgen zurück. Einige Augenblicke darauf hüllte er sich in seinen Mantel und ging aus, indem er mir sagte: wenn er nicht wiederkäme, würde er mir durch Sie Bescheid geben; zugleich gab er mir Ihre Adresse, von der ich mir erlaubte, Gebrauch zu machen. Er ist nicht wiedergekommen«, setzte sie mit einem Seufzer hinzu, »und wenn Sie ihn nicht gesehen haben, bin ich überzeugt, er ist zu Fuß und ohne einen Heller in der Tasche fortgegangen. Der Wirt verlangt Bezahlung. Wenn ich alles verkaufe, kann ich ihn befriedigen, aber großer Gott, was soll dann aus mir werden!«

»Würden Sie es wagen, zü Ihrem Vater zurückzukehren?«

»Ja. Gewiß werde ich dies wagen. Mein Vater wird mir verzeihen, wenn ich auf den Knien und unter Tränen ihm sage, daß ich bereit bin, mich lebendig in einem Kloster zu begraben.«

»Gut! Ich werde Sie selber nach Marseille bringen; einstweilen werde ich Ihnen hier in Mailand ein Zimmer bei anständigen Leuten verschaffen. Bis zur Abreise schließen Sie sich in diesem Zimmer ein und empfangen Sie keinen Menschen; dann werde ich für Sie sorgen.«

Ich rief den Wirt, der nur die sehr unbedeutende Rechnung brachte, und bezahlte, indem ich Befehl gab, man solle Madame alles liefern, was sie bis zu meiner Rückkehr etwa verlangen würde. Das arme Mädchen war stumm vor Überraschung und Dankbarkeit. Ich verließ sie, indem ich sie herzlich grüßte, ohne auch nur ihre Hand zu berühren. Nicht etwa, als ob der Teufel Eremit geworden wäre, aber ich habe stets Ehrfurcht vor dem Unglück gehabt.

Ich hatte bereits an Zenobia gedacht und ging sofort zu ihr. Ich sagte ihr in Gegenwart ihres Mannes, welchen Dienst ich von ihr erhoffte, wenn sie meinem Schützling ein Eckchen geben könnte.

»Ich werde ihr meinen Platz abtreten,« rief der gutmütige Schneider, »wenn sie bei meiner Frau schlafen will. Ich nehme ein kleines Zimmer hier ganz in der Nähe und bleibe dort so lange, wie das Fräulein mich bei Zenobia vertritt.«

»Das ist sehr anständig von Euch, Gevatter; aber Eure Frau wird bei dem Tausch verlieren.«

»Sehr wenig!« sagte Zenobia. Der Schneider lachte laut heraus und sagte: »Wegen des Essens mag sie sich einrichten, wie sie Lust hat.«

»Das ist das leichteste,« sagte ich; »Zenobia wird dafür sorgen, und ich bezahle.«

Ich schrieb dem jungen Mädchen zwei Zeilen, teilte ihr die getroffene Anordnung mit und beauftragte Zenobia, ihr das Briefchen zu bringen. Am nächsten Tage fand ich sie bei den guten Leuten heimisch; sie war zwar schlecht untergebracht, aber zufrieden und entzückend hübsch. Ich fühlte mich ganz vernünftig, aber ich seufzte bei dem Gedanken, wie schwer es mir fallen würde, dies auch auf der Reise zu bleiben.

Ich hatte in Mailand nichts mehr zu tun, aber ich hatte mich dem Grafen gegenüber verpflichtet, vierzehn Tage mit ihm in Sant‘ Angelo zu verbringen. Dies war ein Lehen, das seinem Hause gehörte; es lag fünfzehn Miglien von Mailand, und der liebe Graf sprach mit Begeisterung davon. Ich hätte ihn zu sehr gekränkt, wenn ich abgereist wäre, ohne ihn dorthin zu begleiten. Er hatte einen verheirateten Bruder, der in dem Schloß wohnte, und er sagte mir unaufhörlich, wie sehr dieser Bruder sich freuen würde, meine Bekanntschaft zu machen. Sobald wir wieder in Mailand wären, möchte ich nach meinem Belieben abreisen; er würde mir für meine Gefälligkeit dankbar sein und mir gute Reise wünschen.

Um die Gastfreundschaft des guten Grafen durch diese Gefälligkeit anzuerkennen, stimmte ich ihm zu. Am vierten Tage der Fastenzeit verabschiedete ich mich auf zwei Wochen von Teresa, Greppi, der zärtlichen Marchesa, und wir reisten ab.

Die Gräfin hatte zu meiner großen Freude keine Lust, mitzukommen. Sie blieb viel lieber in Mailand bei Triulzi, der es ihr an nichts fehlen ließ.

In drei Stunden waren wir in Sant‘ Angelo, wo man uns zum Mittagessen erwartet hatte.

Drittes Kapitel


Die Mädchen des Hausmeisters. – Das Horoskop. – Fräulein Roman.

Der Gedanke an die traurige Figur, die die Geliebte des Marquis von Prié, der Marquis selber und vielleicht die ganze Gesellschaft, die es ohne Zweifel auf meine Kassette abgesehen, hatten spielen müssen, belustigte mich bis Chambéry, wo ich nur so lange anhielt, um die Pferde zu wechseln. In Grenoble, wo ich mich eigentlich etwa acht Tage hatte aufhalten wollen, fand ich schlechte Unterkunft; ich ließ daher mein Gepäck gar nicht erst abladen und ging nach der Post, wo ich mehrere Briefe fand, unter anderen auch einen von Frau von Urfé. Dieser enthielt als Einschluß einen Brief an einen Offizier, namens Valenglard, den sie mir als einen Gelehrten schilderte und der mich, wie sie schrieb, in alle guten Häuser der Stadt einführen würde.

Ich suchte den Offizier auf. Er empfing mich sehr freundlich und sagte mir, nachdem er meinen Brief gelesen hatte, er stehe mir zu Diensten und werde mir bei allen meinen Wünschen behilflich sein.

Valenglard war ein liebenswürdiger Herr in mittleren Jahren; vor fünfzehn Jahren war er der Freund der Frau von Urfé und noch viel mehr der ihrer Tochter, der Prinzessin von Toudeville, gewesen. Ich sagte ihm, ich hätte im Gasthof schlechtes Quartier gefunden, und der erste Dienst, den ich von ihm zu erwarten wagte, wäre die Beschaffung einer anständigen Unterkunft, wenn ihm eine solche bekannt wäre. Er rieb sich die Stirn und sagte dann: »Ich glaube, ich werde Sie in einem prachtvollen Hause unterbringen können; aber es liegt außerhalb der Stadt. Der Hausmeister ist ein ausgezeichneter Koch, und ich bin überzeugt, er wird Sie umsonst wohnen lassen, um den Vorteil zu haben, Ihre Küche zu besorgen.«

»Das möchte ich aber nicht,« sagte ich.

»Seien Sie unbesorgt, er wird sich an den Mahlzeiten schadlos halten; außerdem steht das Haus zum Verkauf und kostet ihm nichts. Wir wollen doch hingehen.«

Ich nahm eine Wohnung von drei Zimmern und bestellte ein Abendessen für zwei Personen, indem ich den Hausmeister darauf aufmerksam machte, daß ich Feinschmecker sei und leckere Kost liebe und daß ich keineswegs geizig sei. Zugleich bat ich Herrn von Valenglard, er möchte die Güte haben, mit mir zu Abend zu speisen. Der Hausmeister sagte mir, wenn ich nicht mit ihm zufrieden wäre, so brauche ich es nur zu sagen; dann hätte ich ihm nichts zu bezahlen. Ich ließ meinen Wagen holen, und so war ich denn eingerichtet. Im Erdgeschoß fand ich drei reizende Mädchen und die Frau des Hausmeisters, die mich alle mit tiefen Verbeugungen begrüßten.

Herr von Valenglard nahm mich mit in ein Konzert, um mich dort mit der ganzen Gesellschaft bekannt zu machen; ich bat ihn jedoch, mich niemandem vorzustellen. Wenn ich die Damen gesehen hätte, würde ich ihm diejenigen bezeichnen, die mir den Wunsch einflößten, sie kennen zu lernen.

Die Gesellschaft war zahlreich, und es waren besonders viele Damen da; aber die einzige, die meine Blicke fesselte, war eine schöne Brünette von bescheidenem Wesen, sehr schönem Wuchs und sehr einfachem Anzug. Nachdem das reizende Gesicht ein einzigesmal einen bescheidenen Blick über mich hatte hingleiten lassen, sah sie mich nicht mehr an. In meiner Eitelkeit dachte ich zuerst, dies sei eine kokette List, um in mir den Wunsch nach ihrer Bekanntschaft zu erwecken und um mir Zeit zu lassen, die edlen Linien ihres Profils und ihrer schönen Körperformen, die ihr bescheidenes Kleid nicht verbarg, besser prüfen zu können. Erfolg gibt immer Zuversicht, und die Eitelkeit befindet sich stets im Einklang mit unseren Wünschen. Sofort warf ich mein Auge auf dieses Fräulein, wie wenn alle Frauen von Europa nur ein Serail gebildet hätten, das zu meinem Vergnügen bestimmt wäre. Ich sagte dem Baron, daß ich ihre Bekanntschaft zu machen wünschte, und er antwortete mir: »Sie ist anständig; sie empfängt niemals einen Menschen, obgleich sie arm ist.«

»Dies sind drei Gründe, die meine Lust noch steigern.«

»Es ist aber wirklich nichts zu machen.«

»Das wünsche ich gerade.«

»Da sehe ich ihre Tante; wenn das Konzert zu Ende ist, werde ich Sie vorstellen.«

Nachdem er mir diese Ehre erwiesen hatte, begleitete er mich nach Hause zum Abendessen. Der Hausmeister-Koch schien mir ein Seitenstück zu Lebel zu sein. Er ließ mich bei Tisch von seinen beiden zum Anbeißen hübschen Töchtern bedienen, und ich sah Valenglard hocherfreut, daß er mich zu meiner Zufriedenheit untergebracht hatte. Aber er schalt, als er in fünf Gängen fünfzehn Schüsseln auftragen sah. »Der Mann«, sagte er zu mir, »macht sich über Sie oder mich lustig.«

»Der Mann hat im Gegenteil meinen Geschmack erraten. Haben Sie nicht alle seine Speisen ausgezeichnet gefunden?«

»Das kann ich nicht leugnen, aber …«

»Seien Sie unbesorgt, ich gebe gern viel Geld aus.«

»Ich bitte um Verzeihung. Ich wünsche weiter nichts, als daß Sie zufrieden sind.«

Wir hatten ausgezeichnete Weine und zum Nachtisch einen Ratafia, der besser war als der türkische, den ich vor siebzehn Jahren bei Jussuf Ali getrunken hatte. Als beim Schluß des Mahles mein Wirt hereinkam, sagte ich ihm in Gegenwart seiner Töchter: »Sie verdienen, der erste Koch Ludwigs des Fünfzehnten zu sein. Fahren Sie so fort, wie Sie angefangen haben, und machen Sie es, wenn möglich, noch besser; aber schicken Sie mir jeden Morgen die Rechnung für den Tag vorher.«

»So ist es ganz richtig; denn dann weiß ein jeder, wie er steht.«

»Ferner wünsche ich, daß Sie mir stets Gefrorenes geben, und daß Sie noch zwei Armleuchter mehr auf meine Tafel setzen lassen. Aber, wenn ich mich nicht irre, sehe ich da Talglichte. Ich bin Venetianer, mein Herr, und gewöhnt, nur Wachskerzen in meiner Wohnung zu haben.«

»Daran ist Ihr Bedienter schuld, gnädiger Herr.«

»Wieso?«

»Er hat sich ein gutes Abendessen auftragen lassen und ist dann zu Bett gegangen, weil er krank sei, wie er sagte. So habe ich von ihm nichts über Ihre Gewohnheiten erfahren können.«

»Gut. Morgen werden Sie alles von mir selber hören.«

»Er hat meine Frau gebeten, Ihnen morgen früh Schokolade zu machen, die er ihr gegeben hat. Ich werde sie selber zubereiten.«

Als er hinaus war, sagte Herr von Valenglard mit einer zugleich erstaunten und zufriedenen Miene zu mir, Frau von Urfé habe sich offenbar über ihn lustig gemacht, indem sie ihm meine Sparsamkeit gelobt habe.

»Das hat sie aus gutem Herzen getan. Man muß ihr dafür dankbar sein. Sie ist eine ausgezeichnete Frau.«

Wir blieben bis um elf Uhr bei Tisch, von tausend angenehmen Dingen plaudernd und unsere Gespräche mit dem göttlichen Likör von Grenoble belebend, von dem wir eine ganze Flasche leerten. Dieser ausgezeichnete Likör besteht aus Kirschensaft, Branntwein, Zucker und Zimmt und ist so delikat, daß der Nektar der Götter des Olymps ihn unmöglich hat übertreffen können.

Ich ließ den Herrn Baron in meinem Wagen nach Hause fahren, nachdem ich ihm meinen Dank ausgesprochen und ihn gebeten hatte, während meines ganzen Aufenthalts in Grenoble von morgens bis abends mein Tischgenosse zu sein. Er versprach mir dies für alle Tage mit Ausnahme derjenigen, wo er auf Wache sein würde. Während des Abendessens hatte ich ihm meinen Wechsel auf Zappata gegeben, ich indossierte ihn mit dem Namen Seingalt, unter welchem Frau d’Urfé mich angekündigt hatte. Er ließ ihn mir am nächsten Tage diskontieren. Ein Bankier brachte mir vierhundert Louis; dreizehnhundert hatte ich in meiner Kassette.

Ich hatte stets Furcht vor dem Sparen, und es machte mir das größte Vergnügen, wenn ich daran dachte, daß Herr von Valenglard der Frau von Urfé, die darauf versessen war, mir fortwährend Sparsamkeit zu predigen, über alles berichten würde.

Ich hatte meinen Gast an den Wagen begleitet und war angenehm überrascht, als ich in mein Zimmer zurückkehrte und dort die beiden reizenden Töchter des Hausmeisters fand.

Leduc hatte nicht erst meinen Auftrag abgewartet, um einen Vorwand zu finden, sich von seinem Dienst frei zu machen. Er kannte meinen Geschmack und wußte, daß ich ihn nicht gern um mich sah, wenn es in meiner Wohnung hübsche Mädchen gab.

Das unschuldige Wesen, womit die beiden jungen Mädchen voll Eifers mich bedienten, ohne das geringste Mißtrauen zu zeigen und ohne im geringsten hübsch erscheinen zu wollen, brachte mich auf den Gedanken, sie zu überzeugen, daß ich ihr Vertrauen verdiente. Sie zogen mir die Schuhe aus, machten meine Haare zurecht und zogen mir in allen Ehren mein Nachthemd an. Als ich im Bett lag, wünschte ich ihnen eine gute Nacht und bat sie, mich einzuschließen und mir um acht Uhr meine Schokolade zu bringen.

Indem ich über meinen gegenwärtigen Zustand nachdachte, mußte ich mir gestehen, daß ich mich vollständig glücklich fühlte. Ich genoß einer vollkommenen Gesundheit, stand in der Blüte des Alters, hatte keine Pflichten, war von keinem Menschen abhängig, reich an Lebenserfahrungen und besaß viel Gold, war glücklich im Spiel und stand in Gunst bei den Frauen, aus denen ich mir etwas machte. Ich hatte also nicht unrecht, wenn ich bei mir dachte: springe, Marquis!

Den Unannehmlichkeiten und Verlegenheiten, die ich zeitweilig in meinem Leben durchgemacht hatte, waren so viele Tage des Glückes gefolgt, daß ich mir in jeder Beziehung zu meinem Geschick nur Glück wünschen konnte. Über diesen angenehmen Gedanken schlief ich ein und träumte die ganze Nacht nur von meinem Glück und von der schönen Brünetten, die im Konzert meine Neugier erregt hatte. Mit dem Gedanken an sie erwachte ich, und da ich gewiß war, ihre Bekanntschaft zu machen, so war ich neugierig, welche Erfolge ich bei ihr haben würde. Sie war anständig und arm, und da ich in meiner Art auch anständig war, so konnte sie meine Freundschaft nicht gering schätzen.

Um acht Uhr kam eine von den Töchtern des Hausmeisters, brachte mir meine Schokolade und sagte mir, Leduc habe Fieber gehabt.

»Da wird man den armen Jungen pflegen müssen.«

»Meine Base hat ihm eine Tasse Fleischbrühe gebracht.«

»Wie heißen Sie, Fräulein?«

»Ich heiße Rose, und meine Schwester heißt Manon.«

In diesem Augenblick trat Manon mit einem Hemde ein, woran sie die Spitzen ausgebessert hatte. Ich dankte ihr, und sie sagte mir errötend, daß sie ihren Vater sehr gut frisiere.

»Das freut mich sehr, Fräulein, und es wäre mir recht angenehm, wenn Sie bis zur Wiederherstellung meines Bedienten auch für mich diese Gefälligkeit haben wollten.«

»Sehr gern, mein Herr.«

»Und ich«, sagte Rose lachend, »werde Sie rasieren!«

»Dann holen Sie Wasser.«

Ich stand in aller Eile auf, während Manon alles zurecht machte, um mich zu frisieren. Rose kam wieder zurück und rasierte mich ausgezeichnet. Als sie mich abgewaschen hatte, sagte ich zu ihr: »Sie müssen das Handgeld für meinen Bart bekommen!« Damit bot ich ihr meine Wange. Sie tat, als ob sie mich nicht verstände. »Sie würden mich kränken,« sagte ich freundlich, aber ernst, »wenn Sie sich weigern würden, mich zu küssen.«

Sie entschuldigte sich mit einem anmutigen leisen Lächeln, indem sie sagte, das sei in Grenoble nicht Mode.

»Nun, wenn Sie mich nicht küssen, werden Sie mich auch nicht mehr rasieren.«

Der Vater trat gerade in dem Augenblick ein, als ich diese Worte sprach: er brachte mir meine Rechnung. Ich sagte zu ihm: »Ihre Tochter hat mich ausgezeichnet rasiert; nun aber will sie das Handgeld für meinen Bart nicht nehmen, weil das in Grenoble nicht Mode sei.«

»Ei, du Gänschen! Das ist in Paris so Brauch. Du gibst mir doch auch einen Kuß, wenn du mich rasiert hast; warum solltest du gegen den Herrn weniger höflich sein?«

Nun küßte sie mich mit einer unterwürfigen Miene, worüber Manon lachte.

»Gut!« sagte der Vater, »du kommst auch an die Reihe, wenn der Herr frisiert ist.«

Er war ein gescheiter Bursche, der das richtige Mittel erriet, um mich davon abzuhalten, an seiner Rechnung etwas auszusetzen. Aber er hätte das nicht nötig gehabt, denn ich fand die Rechnung ganz vernünftig. Da ich nichts abhandelte, ging er ganz freudestrahlend hinaus.

Manon frisierte mich ebensogut wie meine teure Dubois, an die ich noch jetzt mit Vergnügen denke; als sie fertig war, küßte sie mich auf die Wange, ohne so viele Umstände zu machen wie Rose. Alle beide schienen mir recht vielversprechend zu sein. Sie gingen hinaus, als man mir den Bankier meldete.

Dies war ein junger Mann; nachdem er mir vierhundert Louis aufgezählt hatte, sagte er, ich müsse mich in diesem Hause sehr glücklich fühlen.

»Ei gewiß; die beiden Schwestern sind ja reizend.«

»Ihre Base ist noch viel reizender. Sie sind anständige Mädchen.«

»Und wie ich glaube, auch bemittelt.«

»Der Vater hat zweitausend Franken Rente. Sie können sich einen Gatten aus dem Handelsstande aussuchen.«

Ich war neugierig, diese Base zu sehen, die noch schöner sein sollte als die beiden Schwestern. Darum ging ich, sobald der Bankier fort war, hinunter, um meine Neugier zu befriedigen. Ich begegnete dem Hausmeister, fragte nach Leducs Zimmer und ging zu meinem Schlingel hinein. Ich fand ihn im Schlafrock in einem schönen Bette sitzen und mit rosigen Wangen, die nicht auf eine gefährliche Krankheit schließen ließen.

»Was hast du denn?«

»Nichts, gnädiger Herr. Ich lasse es mir wohl sein. Gestern bekam ich plötzlich Lust, krank zu sein.«

»Und wodurch bekamst du diese Lust?«

»Durch den Anblick dieser drei hübschen Grazien, die weit mehr wert sind als Ihre schöne Haushälterin, die sich von mir nicht umarmen lassen wollte. Übrigens läßt man mich ein bißchen lange auf meine Bouillon warten; ich werde ärgerlich werden müssen.«

»Herr Leduc, Sie sind ein Flegel.«

»Gnädiger Herr, wünschen Sie, daß ich gesund werde?«

»Ich wünsche, daß diese Komödie aufhört; denn sie langweilt mich.«

In diesem Augenblick ging die Tür auf, und die Base kam mit der Fleischbrühe herein. Ich fand sie entzückend und bemerkte, daß sie Leduc mit der Miene einer jungen Dame bediente, was ihr sehr gut stand.

»Ich werde im Bett zu Mittag speisen,« sagte der Spanier.

»Nach Ihrem Wunsch!« sagte das hübsche Mädchen und ging hinaus.

»Das Mädel spielt die Prinzessin,« sagte Leduc; »aber sie imponiert mir nicht. Nicht wahr, gnädiger Herr, Sie finden sie hübsch?«

»Ich finde dich unverschämt. Du benimmst dich wie ein Affe, und das gefällt mir nicht. Steh auf! Du wirst mich bei Tisch bedienen und darauf allein essen; dies wird dir die Achtung verschaffen, die ein anständiger Mann in jedem Stande verdient, wenn er seine Stellung nicht verkennt. Du wirst nicht mehr in diesem Zimmer wohnen; der Hausmeister soll dir ein anderes geben.«

Draußen begegnete mir die schöne Base. Ich sagte ihr, ich wäre eifersüchtig auf die Ehre, die sie meinem Bedienten erwiese, und bäte sie daher, sie möchte sich nicht mehr die Mühe geben, ihn zu bedienen.

»O mein Gott, das ist mir sehr angenehm.«

Ich gab dem Hausmeister, der darüber zukam, meine Befehle und ging auf mein Zimmer, um zu schreiben.

Vor dem Mittagessen kam der Baron und sagte mir, er komme gerade von der Dame, der er mich vorgestellt habe. Sie war die Frau eines Advokaten Morin und war die Tante der jungen Dame, die meine Neugier erweckt hatte.

«Ich erzählte ihr,« fuhr er fort, »von Ihnen und von dem Eindruck, den ihre Nichte auf sie gemacht habe. Sie hat mir versprochen, sie holen zu lassen, und die junge Dame wird den ganzen Tag bei ihr bleiben.«

Wir hatten ein Mittagessen, das dem Abendessen vom vorigen Tage glich, aber so viele Abwechselung bot, daß es einem Toten hätte Appetit machen können. Hierauf gingen wir zur Frau Morin, die mich mit dem leichten Anstand einer Pariserin empfing. Sie stellte mir ihre sieben Kinder vor. Ihre älteste Tochter, die weder hübsch noch häßlich war, war zwölf Jahre alt, sah aber aus, wie wenn sie vierzehn wäre; ich sagte ihr dies. Um mich zu überzeugen, daß sie mir die Wahrheit gesagt habe, holte die Mutter ein Register, worin das Jahr, der Monat, der Tag, ja sogar die Minute der Geburt eingetragen waren. Über eine so peinliche Genauigkeit erstaunt, hatte ich den Einfall, sie zu fragen, ob man ihr das Horoskop gestellt habe.

»Nein, denn ich habe noch niemanden gefunden, der mir diese Gefälligkeit hätte erweisen können.«

»Dazu ist immer noch Zeit,« sagte ich; »ohne Zweifel hat Gott gewollt, daß dieses Glück mir vorbehalten bliebe.«

In diesem Augenblick trat Herr Morin ein. Seine Frau stellte ihn mir vor und kam dann, nachdem wir die üblichen Komplimente ausgetauscht hatten, wieder auf das Horoskop zu sprechen. Der Advokat sagte mir sehr verständig, die Astrologie sei eine, wenn nicht gänzlich falsche, so doch zum mindesten höchst verdächtige Wissenschaft; er habe die Schwäche gehabt, sich eine Zeitlang mit ihr zu beschäftigen, habe jedoch endlich erkannt, daß der Mensch nicht die Gabe besitze, in der Zukunft zu lesen; seitdem habe er sie aufgegeben und begnüge sich mit den unzweifelhaften Wahrheiten, die die Astronomie ihn lehre. Ich sah, daß ich es mit einem vernünftigen und kenntnisreichen Mann zu tun hatte, und dies freute mich; Valenglard jedoch, der an die Astrologie glaubte, griff ihn an. Während sie disputierten, schrieb ich verstohlen die Angaben über die Geburtsstunde des Fräulein Morin in mein Notizbuch ein. Herr Morin erriet, was ich machte, und lächelte gesenkten Hauptes. Auch ich erriet seine Gedanken, ließ mich jedoch nicht von meinem Vorhaben abbringen, sondern schrieb die Notiz zu Ende; denn seit fünf Minuten war ich entschlossen, Astrologe zu werden. Endlich kam die schöne Nichte. Ihre Tante stellte sie mir als ihre Schwestertochter Fräulein Roman-Couppier vor und sagte ihr darauf, ich hätte den lebhaften Wunsch, sie kennen zu lernen, seitdem ich sie im Konzert gesehen.

Das schöne junge Mädchen war damals siebzehn Jahre alt. Ihre atlasweiche Haut war von einer blendenden Weiße, die durch ihr prachtvolles schwarzes Haar noch mehr hervorgehoben wurde. Die Züge ihres Gesichts waren vollkommen regelmäßig, ihre Wangen leicht gerötet; ihre schöngeschnittenen schwarzen Augen strahlten im lebhaftesten Glanz und waren zugleich unbeschreiblich sanft. Ihre Augenbrauen waren fein geschwungen; in ihrem kleinen Munde standen zwei Reihen ganz regelmäßiger Perlenzähne; auf ihren Lippen von zarter Rosenfarbe schwebte ein Lächeln voller Anmut und Schamhaftigkeit.

Nachdem wir uns einige Augenblicke unterhalten hatten, wurde Herr Morin durch Geschäfte abgerufen. Man schlug mir eine Quadrille vor und fand mich außerordentlich unglücklich, als ich einen Louis verloren hatte. Ich erkannte in Fräulein Roman ein sittsames, vernünftiges und aufrichtiges Mädchen; ohne glänzen zu wollen, war sie von angenehmen und, was mir besonders gefiel, von ganz anspruchslosem Wesen. Sie war fröhlich, von sehr gleichmäßiger Laune, und ihre natürliche Klugheit veranlaßte sie, ein allzu schmeichelhaftes Kompliment oder einen Witz, den sie in ihren Jahren noch nicht verstehen durfte, scheinbar nicht zu beachten. Sie war sehr sauber gekleidet, aber es war nichts Überflüssiges an ihr, nichts, was auf Wohlhabenheit schließen läßt: keine Schuhschnallen, keine Ohrringe, keine Ringe, keine Uhr. Man konnte im eigentlichen Sinne des Wortes von ihr sagen, daß nur ihre Schönheit sie schmückte, denn sie trug keinen anderen Zierat, als um den Hals ein schwarzes Band, woran ein kleines goldenes Kreuz hing.

Ihr Busen war wohlgeformt und nicht größer, als ein schöner Busen sein muß. Mode und Erziehung hatten sie daran gewöhnt, die Hälfte desselben mit der gleichen Unschuld sehen zu lassen, womit sie jedermann ihre weiße, fleischige Hand sehen ließ oder die Wangen, auf denen das Rot der Rose sich mit dem Weiß der Lilie vermählte. Ich beobachtete ihre Haltung, um womöglich zu sehen, ob für mich irgendwelche Hoffnung bestände; aber das war verlorene Mühe. Sie machte keine Bewegung und gab keine Antwort, woraus ich die geringste Hoffnung auf Erfolg hätte schöpfen können. Ebensowenig aber gab sie mir Anlaß zu einer gegenteiligen Annahme. Ihr Benehmen war so natürlich und so zurückhaltend, daß mir alle meine Beobachtungsgabe nichts nützte. Doch gab eine Freiheit, die ich beim Abendessen mir herausnahm, mir einen Schimmer von Hoffnung. Ihre Serviette war heruntergefallen. Ich bückte mich schnell, um sie aufzuheben, und als ich sie wieder über ihre Knie breitete, gab ich ihrem Schenkel einen verliebten Druck, ohne daß ihr Gesicht ein Zeichen der Mißbilligung verraten hätte. Erfreut über dieses Vorzeichen, lud ich die ganze Gesellschaft für den nächsten Tag zum Mittag- und Abendessen ein. Ich sagte zu Frau Morin, ich würde nicht ausgehen und sie würde mir daher ein Vergnügen machen, wenn sie sich meines Wagens bedienen wollte, der zu ihrer Verfügung stände.

Nachdem ich Valenglard nach seiner Wohnung gebracht hatte, fuhr ich nach Hause und baute Luftschlösser, indem ich von der Eroberung des Fräulein Roman träumte.

Nachdem ich dem Hausmeister und Koch Bescheid gesagt hatte, daß wir am nächsten Tage mittags und abends sechs Personen zu Tisch sein würden, ging ich zu Bett. Beim Auskleiden sagte Leduc zu mir:

»Gnädiger Herr, Sie bestrafen mich. Aber es tut mir leid, in Wirklichkeit bestrafen Sie sich selber, indem Sie sich der Dienste der hübschen jungen Damen berauben.«

»Du bist ein Schlingel!«

»Das weiß ich, aber ich bin Ihr treuergebener Diener, und Ihr Vergnügen liegt mir ebensosehr am Herzen wie mein eigenes.«

»Du bist ein guter Anwalt für dich selber; ich habe dich verzogen.«

»Soll ich Sie morgen früh frisieren?«

»Nein, du kannst alle Tage bis zu den Essenszeiten in der Stadt spazieren gehen.«

»Da werde ich mir was Schönes holen!«

»Ich werde dich ins Krankenhaus schicken.«

»Eine schöne Aussicht, por Dios!«

Leduc war keck, unverschämt, boshaft, liederlich, diebisch; aber er war zugleich auch gehorsam, ergeben, verschwiegen und treu. Seine guten Eigenschaften zwangen mich, über seine schlechten hinwegzusehen.

Als Rose am nächsten Morgen meine Schokolade brachte, sagte sie mir lachend: »Ihr Bedienter hat sich eine Kutsche holen lassen. Nachdem er sich als großen Herrn angekleidet und den Degen an die Seite gesteckt hat, ist er ausgefahren, um Visiten zu machen, wie er sagte. Wir haben herzlich gelacht.«

»Da haben Sie recht gehabt, liebenswürdige Rose!«

Während ich diese Worte sagte, trat Manon unter irgendwelchem Vorwand ein. Ich sah, daß die beiden Schönen sich verabredet hatten, niemals unter vier Augen mit mir allein zu sein. Dies ärgerte mich; ich ließ mir jedoch nichts merken. Ich stand auf und hatte kaum meinen Schlafrock übergeworfen, als die Base mit einem Paket unter dem Arm hereinkam.

»Ich bin entzückt, Sie zu sehen, Fräulein, besonders mit dieser hübschen lächelnden Miene, denn gestern waren Sie zu ernst für mich.«

»Ich lache, weil Herr Leduc allem Anschein nach ein viel vornehmerer Herr ist als Sie; in seiner Gegenwart würde ich nicht gewagt haben, zu lachen; aber ich habe mich dafür schadlos gehalten, als ich ihn heute früh ganz mit Gold überdeckt in die Kutsche steigen sah.«

»Hat er Sie lachen gesehen?«

»Ja, wenn er nicht blind ist, gewiß!«

»Er wird darob beleidigt sein.«

»Das soll mich freuen!«

»Sie sind reizend. Was haben Sie denn in diesem Paket?«

»Etwas von unserer eigenen Mache. Sehen Sie: gestickte Handschuhe!«

»Sie sind schön und tadellos gestickt. Wieviel kostet denn das ganze Päckchen?«

»Feilschen Sie?«

»Stets und sehr scharf!«

»Gut, daß ich das weiß.«

Nachdem die Mädchen sich einen Augenblick leise beraten hatten, nahm die Base eine Feder, zählte die Dutzende, rechnete zusammen und sagte endlich: »Mein Herr, das ganze kostet zweihundertundzehn Livres.«

»Hier sind neun Louis, geben Sie mir sechs Franken heraus.«

»Aber Sie haben mir gesagt, daß Sie feilschen!«

»Sie haben unrecht getan, mir das zu glauben.«

Sie wurde rot und gab mir die sechs Franken heraus. Rose und Manon rasierten und frisierten mich und nahmen mit der besten Miene ihren Handgeldkuß. Als ich auch der Base einen anbot, gab sie mir ihn auf den Mund und preßte dabei meine Lippen so stark, daß ich erriet, sie würde bei der ersten Gelegenheit mein sein.

»Mein Herr,« fragte Rose mich, »werden wir das Vergnügen haben, Sie bei Tisch zu bedienen?«

»Ich bitte Sie darum.«

»Wir möchten jedoch gern wissen, wen Sie eingeladen haben, denn wenn es Offiziere von der Garnison sind – das sind so wüste Menschen, daß wir nicht wagen könnten, zu Ihnen hereinzukommen.«

»Meine Gäste sind Frau Morin, ihr Mann und ihre Nichte.«

»Ah, um so besser!«

Die Base sagte zu mir: »Fräulein Roman ist das sittsamste und schönste junge Mädchen in Grenoble, aber es wird ihr schwer werden, einen Mann zu finden, denn sie hat nichts.«

»Vielleicht findet sie einen reichen Mann, der ihre Tugend und ihre Schönheit auf eine Million schätzt.«

»Solche Männer sind nicht häufig.«

»Allerdings nicht; aber sie kommen doch vor.«

Manon und die Base gingen hinaus, und so war ich allein mit Rose, die bei mir blieb, um mich anzukleiden. Ich machte einen Angriff auf sie; da ich jedoch ihre Verteidigung zu entschlossen fand, bat ich sie um Verzeihung, indem ich ihr versprach, es solle nicht wieder vorkommen. Als ich mit dem Anziehen fertig war, schenkte ich ihr einen Louis, dankte ihr und entließ sie.

Sobald ich allein war, schloß ich mich ein und machte mich daran, das Horoskop anzufertigen, das ich der Frau Morin versprochen hatte. Mit leichter Mühe füllte ich acht Seiten mit gelehrten Schwindelphrasen; besondere Sorgfalt verwandte ich darauf, Ereignisse anzuführen, die dem jungen Mädchen bis dahin zugestoßen waren. Ich hatte bei der Unterhaltung am vorigen Tage in geschickter Weise einige Umstände ausgekundschaftet; das übrige schrieb ich so hin, wie es mir wahrscheinlich vorkam. Es fand sich, daß ich richtig geraten hatte, und nun zweifelte man nicht mehr an meinen Prophezeiungen. Übrigens wagte ich nichts dabei, denn alle meine Weissagungen waren mit einem »wenn« ausgestattet, und die »Wenn« waren stets die ganze Wissenschaft der Astrologen, einerlei, ob sie verrückt oder Betrüger waren.

Ich las mein Horoskop sorgfältig durch und fand es blendend. Ich war gerade sehr glücklich aufgelegt, und die Übung, die ich in der Kabbala hatte, machte mir die Arbeit leicht.

Gleich nach zwölf Uhr kamen alle meine Gäste an, und um ein Uhr setzten wir uns zu Tisch. Niemals habe ich ein prachtvolleres und köstlicheres Mahl gesehen; ich merkte, daß der Hausmeister ein Mann war, dessen Eifer mehr gezügelt als angespornt werden mußte. Frau Morin war sehr freundlich zu den drei Mädchen, die sie gut kannte; Leduc stand während der ganzen Mahlzeit hinter ihrem Stuhl und bediente sie mit großer Aufmerksamkeit; er war so reich gekleidet wie ein königlicher Kammerherr. Gegen Ende der Mahlzeit machte Fräulein Roman mir ein Kompliment über die drei Schönheiten, die ich in dieser Wohnung in meinen Diensten hätte: dies gab mir Gelegenheit, um von ihrer Kunstfertigkeit zu sprechen; und um gleich den Beweis zu liefern, stand ich auf und holte die Handschuhe, die ich ihnen abgekauft hatte. Fräulein Roman lobte ihre Güte und die Arbeit. Geschickt ergriff ich die Gelegenheit beim Schopfe und bat ihre Tante um die Erlaubnis, jeder von ihnen ein Dutzend anbieten zu dürfen. Nachdem diese Gunst mir bewilligt worden war, überreichte ich der Frau Morin mein Horoskop. Ihr Mann las es, und obgleich er nicht daran glaubte, mußte er es doch bewundern, denn es beruhte durchaus auf dem Einfluß der Planeten, wie sie im Augenblick der Geburt ihrer Tochter am Himmel standen. Wir sprachen einige Stunden lang von Astronomie und unterhielten uns dann ebenfalls einige Stunden damit, eine Quadrille zu spielen. Hierauf gingen wir in den Garten, um einen Spaziergang zu machen, und man war so höflich, mich in aller Freiheit mit der schönen Roman plaudern zu lassen.

Unsere Unterhaltung oder eigentlich besser gesagt, mein Monolog, drehte sich nur um den tiefen Eindruck, den sie auf mich gemacht, um die starke Leidenschaft, die sie mir eingeflößt hätte, ferner um ihre Schönheit und Sittsamkeit und um die Reinheit meiner Absichten. Ich sagte ihr, sie müsse mich lieben, wenn ich nicht bis an mein Lebensende der unglücklichste aller Menschen sein sollte.

Endlich sagte sie folgendes zu mir:

»Mein Herr, wenn der Himmel bestimmt hat, daß ich mich verheiraten soll, so will ich Ihnen nicht verbergen, daß ich glücklich sein würde, wenn mein Gatte Ihnen gliche.«

Ermutigt durch diese unschuldsvolle Erklärung, ergriff ich ihre Hand, bedeckte sie mit meinen Küssen und sagte ihr in leidenschaftlichem Tone, daß ich hoffe, sie werde mich nicht schmachten lassen. Sie wandte sich ab und suchte mit den Augen ihre Tante. Es begann zu dunkeln, und sie befürchtete etwas, das ihr allerdings sehr wohl hätte widerfahren können. Mit sanfter Gewalt zog sie mich mit sich fort, und bald waren wir wieder bei der Gesellschaft. Wir gingen in den Salon zurück, wo ich zu ihrer Ergötzung eine kleine Pharaobank auflegte. Frau Morin gab ihrer Tochter und ihrer Nichte Geld, denn sie hatten keinen Heller in der Tasche, und Valenglard gab ihnen beim Spiel so geschickte Weisungen, daß zu meinem größten Vergnügen jede der drei Damen zwei bis drei Louis gewonnen hatte, als wir aufhörten, um zu Abend zu essen.

Wir saßen bis Mitternacht zu Tisch. Ein kalter Wind, der von den Alpen herblies, verhinderte mich, einen von mir vorgeschlagenen nächtlichen Spaziergang im Garten durchzusetzen. Frau Morin dankte mir tausendmal, und ich umarmte zum Abschied meine weiblichen Gäste mit ehrfurchtsvollstem Anstand.

Da ich in der Küche singen hörte, wurde ich neugierig, ging hinein und fand Leduc in seinem Galakleide sternhagelbetrunken. Als er mich sah, wollte er aufstehen, er verlor jedoch das Gleichgewicht und fiel unter den Küchentisch, wo er das in Übermaß Genossene von sich gab. Man trug ihn in sein Bett.

Ich hatte Lust, ein wenig zu schäkern, und ich glaubte, daß dieser komische Vorfall meiner Absicht günstig sein könnte; es wäre wohl auch der Fall gewesen, wenn die drei Grazien nicht als Gruppe aufgetreten wären. Nur unter vier Augen darf die Liebe scherzen, und dies ist auch der Grund, warum das Altertum den drei Grazien, die unzertrennlich waren, keine einzige Liebesgeschichte nachgesagt hat. Ich hatte noch nicht Gelegenheit gefunden, den drei jungen Mädchen, die mich bedienten, einzeln beizukommen, und durfte daher einen allgemeinen Angriff nicht wagen, denn dadurch hätte ich die Hoffnung verlieren können, die eine nach der anderen zu erobern. Rose war offenbar auf ihre schöne Base eifersüchtig, denn sie suchte jeden Blick aufzufangen, den wir miteinander wechselten. Dies war mir nicht unangenehm, denn aus Eifersucht entsteht Ärger, und aus dem Arger kann sich vieles entwickeln. Als ich im Bette lag, entließ ich sie, indem ich ihnen bescheiden gute Nacht wünschte.

Am anderen Morgen kam Rose allein und verlangte von mir eine Tafel Schokolade, da Leduc, wie sie sagte, ernstlich krank wäre. Sie brachte mir meine Kassette, und als ich ihr die Tafel gab, ergriff ich ihre Hand und ließ sie fühlen, daß ich sie liebte. Beleidigt zog sie sofort ihre Hand zurück und ging hinaus. Eine Minute darauf kam Manon unter dem Vorwande, mir eine Spitzenmanschette zu zeigen, die ich bei meinen Angriffen am Abend vorher zerrissen hatte; sie fragte mich, ob sie sie ausbessern solle. Ich ergriff ihre Hand, um sie zu küssen, aber sie ließ mir keine Zeit dazu, sondern bot mir ihre vor Verlangen glühenden Lippen. Wieder ergriff ich ihre Hand, und sie war bereits an der Arbeit, als die Base eintrat. Manon hielt mir die Manschette vor die Augen und tat so, als ob sie auf meine Antwort warte. Ich sagte ihr in zerstreutem Ton, sie würde mir einen Gefallen tun, wenn sie sie ausbesserte, sobald sie Zeit dazu hätte. Sie ging hinaus.

Aufgebracht über diesen doppelten Fehlschlag, dachte ich, daß die Base sich mir nicht verweigern würde, denn ich hatte ja durch ihren ersten Kuß am Tage vorher bereits eine Art Angeld erhalten. Ich bat sie, mir mein Schnupftuch zu geben, und nahm ihre Hand, indem ich sie sanft an mich zog. Ihr Mund sank auf meine Lippen und ihre Hand, die sie sanft wie ein Lamm mir überließ, war bereits in Bewegung, als die unglückselige Rose mit meiner Schokolade eintrat. Wir faßten uns beide augenblicklich, aber dieses neue Mißgeschick machte mich wütend. Ich schmollte mit Rose, und ich hatte ein Recht dazu wegen der Art und Weise, wie sie mich eine Viertelstunde früher zurückgewiesen hatte. Die Schokolade kam mir schlecht vor, obgleich sie ausgezeichnet zubereitet war; ich fand sie linkisch in der Bedienung und schalt sie rücksichtslos aus. Nachdem ich aufgestanden war, wollte ich mich nicht von ihr rasieren lassen, sondern tat dies selber; sie schien sich dadurch gedemütigt zu fühlen. Hierauf frisierte Manon mich. Rose und ihre Base gingen zusammen hinaus, wie wenn sie mir dadurch zu verstehen geben wollten, daß sie gemeinschaftliche Sache machten; es war jedoch leicht zu sehen, daß Rose weniger auf ihre Schwester als auf ihre Base eifersüchtig war.

Als Manon gerade damit fertig war, mich anzukleiden, trat Valenglard ein. Der Offizier, der ein Mann von Ehre und gesunder Vernunft war, obgleich er an die Astrologie und an die abstrakten Wissenschaften glaubte, sagte mir, sobald wir allein waren, er fände mich ein wenig traurig, und wenn dies vielleicht daher käme, daß ich irgend welche Absichten auf die junge Roman hätte, so riete er mir, nicht mehr an sie zu denken, wenn ich mich nicht etwa entschlösse, sie zur Frau zu verlangen. Ich antwortete ihm, ich wäre entschlossen, Grenoble in wenigen Tagen zu verlassen und der Sache ein Ende zu machen. Wir aßen zusammen zu Mittag und gingen dann zu Frau Morin, bei der wir ihre schöne Nichte fanden.

Frau Morin empfing mich mit einer Freundschaft, die mir schmeichelhaft war, und Fräulein Roman benahm sich gegen mich auf die liebenswürdigste Art. Dies ermutigte mich, sie zu umarmen und auf meinen Schoß zu ziehen. Die Tante lachte, die Nichte errötete; hierauf gab sie mir einen kleinen Zettel und entwand sich mir. Ich las das Jahr, den Tag, die Stunde und die Minute ihrer Geburt und erriet ihren Wunsch. Es bedeutete nach meiner Meinung nichts anderes, als wenn ich nichts zu hoffen hätte, wenn ich ihr nicht das Horoskop stellte. Sofort beschloß ich, mir dieses Mittel zunutze zu machen, und sagte ihr, ich wolle sehen, ob ich ihr diesen Gefallen tun könne, wenn sie am nächsten Tage zu mir kommen wolle; am Abend solle bei mir getanzt werden. Sie sah ihre Tante an, und mein Vorschlag wurde angenommen.

Man meldete den »Russen«. Ich sah einen Mann in meinem Alter eintreten; er war sehr gut gewachsen, ein wenig pockennarbig und trug Reisekleider. Mit leichtem und edlem Anstand trat er auf Frau Morin zu, die ihn sehr freundlich empfing; er sprach sehr gewählt, sah mich kaum an und sagte zu der Nichte kein Wort. Gegen Abend kam Herr Morin; der Russe gab ihm eine kleine Phiole, die mit einer weißlichen Flüssigkeit gefüllt war; hierauf tat er, als ob er sich entfernen wollte, aber man lud ihn zum Abendessen ein.

Bei Tisch wurde von seinem Wunderwasser gesprochen. Herr Morin erzählte mir, einen jungen Herrn, der von einer Billardkugel getroffen worden und sofort in Ohnmacht gefallen wäre, habe der Russe nur mit diesem Wasser eingerieben, und die Beule sei in drei Minuten verschwunden gewesen. Der Fremde sagte bescheiden, es sei nur eine Kleinigkeit, die er erfunden habe; er unterhielt sich mit Valenglard eifrig über Chemie. Ich konnte an ihrer Unterhaltung nicht teilnehmen, da ich mich nur mit der schönen Roman beschäftigte; die Hoffnung auf den nächsten Tag drängte jeden anderen Gedanken in mir zurück. Als ich Valenglard nach Hause brachte, sagte er mir, kein Mensch kenne diesen Russen, trotzdem aber werde er in allen Häusern gut aufgenommen.

»Hat er Gefolge?«

»Er hat nichts, keine Bedienten, kein Geld.«

»Wie ist er hierher gekommen?«

»Er ist vom Himmel gefallen.«

»Eine schöne Herkunft jedenfalls! Ist er schon lange hier?«

»Seit etwa vierzehn Tagen. Er macht Besuche; aber er verlangt von keinem Menschen etwas.«

»Aber wovon lebt er denn?«

»Man gibt ihm im Gasthof Kredit; man nimmt an, er erwarte von irgendwoher seine Bedienung und sein Gepäck.«

»Aber man könnte annehmen, er sei ein Landstreicher.«

»Nach einem solchen sieht er nicht aus, wie Sie bemerkt haben; übrigens lassen seine mit Diamanten besetzten Schuhschnallen einen solchen Verdacht nicht zu.«

»Das stimmt allerdings – wenn die Edelsteine nicht falsch sind; denn mir scheint, er würde sie verkaufen, wenn sie echt wären.«

Als ich wieder zu Hause war, bediente Rose mich allein; aber sie schmollte noch immer mit mir. Ich wollte sie in eine fröhliche und liebenswürdige Stimmung bringen; da ich jedoch Widerstand fand, bat ich sie, sich zu entfernen und ihrem Vater zu sagen, ich wolle am nächsten Tage im Gartensaal einen Ball und ein Abendessen für zwanzig Personen geben. Als am nächsten Morgen der Hausmeister mich um meine daraufbezüglichen Befehle bat, sagte ich ihm, es sei mein Wunsch, daß seine Mädchen tanzten, wenn es ihnen angenehm wäre. Bei dieser Einladung hellte sich Roses Gesicht auf; dies schien mir von guter Vorbedeutung zu sein. In dem Augenblick, als sie mit ihrem Vater hinausging, trat Manon ein und verlangte von mir einige Spitzen, die ich an diesem Tage tragen wollte. Ich fand sie sanft wie ein Lamm und verliebt wie eine Taube. Die Geschichte wurde glücklich zu Ende gebracht, aber wir wären beinahe von Rose überrascht worden, die mit Leduc eintrat und mich für ihn um Erlaubnis bat, ebenfalls mittanzen zu dürfen; er verspreche, sich artig zu betragen. Mir war es lieb, wenn alle sich fröhlich machten; darum gab ich meine Einwilligung, indem ich ihm sagte, er solle sich bei Rose dafür bedanken, daß sie ihm diese Gunst verschafft habe.

Frau Morin schickte mir ein Briefchen, worin sie mich um die Erlaubnis bat, zu meinem Ball zwei befreundete Damen mit ihren Töchtern einladen zu dürfen. Ich antwortete ihr, sie würde mir ein Vergnügen machen, wenn sie nicht nur die Damen einlüde, sondern auch einige Herren, die ihr angenehm wären, denn ich hätte ein Abendessen für zwanzig Personen bestellt. Zu Mittag kam sie nur mit Valenglard und ihrer Nichte, da ihre Tochter ihre Toilette in Ordnung zu bringen hatte und ihr Mann bis zum Abend beschäftigt war. Sie versicherte mir, wir würden eine zahlreiche Gesellschaft haben.

Die schöne Roman trug dasselbe Kleid wie alle anderen Tage; aber sie bedurfte keiner Toilettenkünste, um blendend schön zu sein. Neben dem Stuhl stehend, auf welchem ich saß, fragte sie mich, ob ich an ihr Horoskop gedacht hätte. Ich ergriff ihre Hand, zog sie auf meinen Schoß und versprach ihr, sie solle es am nächsten Tage erhalten. In dieser Stellung, mit meinem linken Arm ihre göttlichen Hüften umschlingend, preßte ich heiße Küsse auf ihre köstlichen Lippen, die sie nur öffnete, um mich zu bitten, ich möchte mich doch mäßigen. Sie war mehr erstaunt als erschreckt, als sie mich zittern sah; sie verteidigte sich mit Erfolg und verlor nicht einen Augenblick die Fassung. Sie blieb vollkommen heiter und wandte trotz der Glut meiner Blicke die ihren nicht einen Augenblick von meinem Gesicht ab. Ihren Bitten nachgebend, tat ich mir Gewalt an; und als sie mich ruhig sah, drückten ihre Augen die Befriedigung aus, die das Gefühl verleiht, mit Hilfe der Vernunft über einen großmütigen Feind einen Sieg davongetragen zu haben. Mein Schweigen war eine Anerkennung der Tugend eines himmlischen Wesens, dessen Schicksal durch eine jener seltsamen Fügungen des Zufalls, die die Philosophie vergebens zu erklären sucht, durch mich bestimmt werden sollte.

Frau Morin setzte sich nun zu uns und bat mich um einige Erklärungen zu dem Horoskop ihrer Tochter. Ferner sagte sie mir, sie habe nur zwei Briefchen zu schreiben gebraucht, um mir für meinen Ball vier Schönheiten zu verschaffen.

»Ich werde nur eine einzige sehen!« antwortete ich, indem ich ihre Nichte anblickte.

»Gott weiß,« fiel Valenglard ein, »was für Mutmaßungen man morgen darüber in Grenoble anstellen wird.«

»Man wird sagen,« bemerkte Frau Morin zu ihrer Nichte, »man hat auf deiner Hochzeit getanzt.«

»Ja, gewiß wird man von meinem prachtvollen Kleid, von meinen Spitzen, von meinen Diamanten sprechen,« sagte die Nichte mit einem anmutigen und bedeutungsvollen Lächeln.

»Man wird von Ihrer Schönheit sprechen!« rief ich voll Gefühl, »von Ihrem Geist und von Ihrer Sittsamkeit, die den Mann, der Sie einmal erringt, glücklich machen wird!«

Man schwieg, denn jeder glaubte, ich spräche von mir selber. Aber ich dachte nicht daran. Wenn ich nur gewußt hätte, wie ich es anfangen könnte, hätte ich ihr gern fünfhundert Louis angeboten; nur wäre es schwierig gewesen, die Bedingungen festzuhalten, und für eine Kleinigkeit hätte ich das Geld nicht hergeben mögen.

Wir gingen in mein Schlafzimmer. Während Fräulein Roman sich damit unterhielt, die wertvollen Sachen und Kleinodien zu betrachten, die auf meinem Waschtisch lagen, sahen ihre Tante und Valenglard sich die Bücher an, die ich auf meinem Nachttisch liegen hatte. Plötzlich sah ich Frau Morin an das Fenster treten und aufmerksam einen Gegenstand betrachten, den sie in der Hand hielt. Ich erinnerte mich, daß ich das Porträt meiner schönen Nonne auf dem Tische hatte liegen lassen. Schnell trat ich auf sie zu und bat sie, sie möchte mit das unanständige Bild wiedergeben, das ich unvorsichtigerweise hätte liegen lassen.

»Die Unanständigkeit ist nicht so arg; verblüfft hat mich nur die vollkommene Ähnlichkeit.«

Sofort begriff ich. Ich erzitterte ob meiner ungewollten Unvorsichtigkeit und sagte: »Gnädige Frau, es ist das Porträt einer Venetianerin, die ich sehr geliebt habe.«

»Ich glaube es. Aber es ist eigentümlich: die beiden M., das religiöse Gewand, das der Liebe geopfert ist – alles trägt dazu bei, meine Überraschung zu vermehren.«

»Sie ist Nonne und heißt M. M.!«

»Und eine entfernte Verwandte, die ich in Chambéry habe, heißt ebenfalls M. M. und ist Nonne desselben Ordens wie die Ihrige. Ja, noch mehr, sie hat sich, um von einer Krankheit geheilt zu werden, in Aix aufgehalten, woher Sie kommen.«

»Und das Porträt sieht ihr ähnlich?«

»Wie ein Tropfen Wasser dem anderen.«

»Das ist in der Tat eigentümlich! Es hätte mir Vergnügen gemacht, sie zu sehen.«

»Wenn Sie wieder nach Chambéry kommen, machen Sie ihr doch einen Besuch und bringen Sie ihr einen Gruß von mir; Sie werden gut aufgenommen werden und werden ebenso überrascht sein wie ich.«

»Ich verspreche Ihnen, diesen Besuch zu machen, gnädige Frau, aber erst auf meiner Rückreise von Italien. Doch werde ich ihr dieses Porträt, das ihr ärgerlich sein würde, nicht zeigen. Ich werde es überhaupt sorgfältig verschließen.«

»Ich bitte Sie, es niemanden sehen zu lassen.«

»Darauf können Sie sich verlassen.«

Ich war seelenvergnügt, sie auf so leichte Weise von der richtigen Spur abgelenkt zu haben.

Um acht Uhr waren alle Gäste beisammen, und ich sah in meinem Salon die hübschesten Frauen und die feinsten Kavaliere von Grenoble. Lästig waren mir nur die Komplimente, mit denen man mich überhäufte, und mit denen man ja in der Provinz so verschwenderisch umgeht.

Ich eröffnete den Ball mit der Dame, die mir von Valenglard bezeichnet wurde; hierauf tanzte ich der Reihe nach mit allen anderen Damen. Sämtliche Kontertänze aber tanzte ich mit der schönen Roman, die gerade wegen der Einfachheit ihres Anzuges vor allen anderen glänzte – wenigstens in meinen Augen.

Nach einem Kontertanz, der mich sehr erhitzt hatte, ging ich auf mein Zimmer, um einen leichteren Rock anzuziehen. Als ich gerade damit beschäftigt war, trat die hübsche Base ein und fragte mich, ob ich etwas brauchte.

»Ich brauche Sie, mein schönes Kind!« rief ich, indem ich auf sie zueilte und sie in meine Arme schloß. »Hat man Sie hier hineingehen sehen?«

»Nein, ich komme von oben, und meine Basen sind unten im Saal.«

»Vortrefflich, meine Liebe! Sie kommen wie gerufen, und der Augenblick ist günstig, um Ihnen meine Zärtlichkeit zu beweisen.«

»Um Gotteswillen, was machen Sie? Nein, lassen Sie mich, es kann jemand kommen. Löschen Sie die Kerze aus.«

Ich blies das Licht aus und verschloß die Tür. Da ich ganz voll war von der schönen Roman, fand die Base mich so, wie ich mit jenem entzückenden Wesen gewesen sein würde. Übrigens muß ich gestehen, daß die Nichte des Hausmeisters schön genug war, um ganz allein zärtliche Begierden zu erwecken. Ich fand sie vollkommen, und vielleicht war sie besser, als die unerfahrene Roman gewesen wäre. Trotz meiner Glut war sie von mir befriedigt und hatte soviel Selbstbeherrschung, mich zu bitten, ich möchte sie schonen. Ich tat es; aber es war die höchste Zeit. Ich wollte noch einmal beginnen, aber sie hatte Angst, unsere Abwesenheit könnte von ihren argwöhnischen Freundinnen bemerkt werden. Sie gab mir noch einen Kuß und lief hinaus.

Ich ging wieder in den Tanzsaal, und dort tanzten wir, bis der König aller Hausmeister mir meldete, die Mahlzeit sei angerichtet.

Ein Imbiß, aus den leckersten Speisen bestehend, die die Gegend und die Jahreszeit bieten konnten, bedeckte den ganzen Tisch; am meisten aber gefiel besonders den Damen die riesige Menge von Kerzen, mit denen der Speisesaal auf kunstvolle Art ausgeschmückt war. Ich setzte mich mit den älteren Herrschaften an einen besonderen kleinen Tisch und empfing von ihnen allen die dringendsten Einladungen, den Herbst in ihrer Stadt zu verbringen. Ich bin überzeugt, ich wäre sehr gefeiert worden, wenn ich angenommen hätte; denn der Adel von Grenoble bildet eine ausgewählte Gesellschaft. Ich sagte ihnen, es würde mir das größte Vergnügen machen, ihren Einladungen nachzukommen, und es würde mir dann eine besondere Freude sein, die Familie eines berühmten Namens kennen zu lernen, die ein guter Freund meines Vaters gewesen wäre.

»Was ist dies für eine Familie?« fragten mich alle zugleich.

»Die Familie Bouchenu de Valbonnais.«

»Der Herr war mein Oheim! Ach mein Herr, kommen Sie doch zu uns. Sie haben mit meiner Tochter getanzt. Sagen Sie mir doch bitte, wie hieß Ihr Vater?«

Diese Fabel, die ich ohne Vorbedacht auftischte, indem ich einem Hange meines Geistes folgte, der sich oft ohne mein Wollen meiner Zunge bediente und dem ich dann ehrenhalber mit meiner Logik zu Hilfe kommen mußte, machte in den Augen aller dieser braven Leute, die ich ohne es zu wollen zum besten hielt, eine Art Wundertier aus mir.

Nach kurzer Zeit sah ich Frau Molin, ihre Nichte und den Baron von Valenglard in den Garten gehen, und ich folgte ihnen. Wir spazierten in dem hellen Mondschein, und ich führte die schöne Roman in einen Laubgang. Aber was ich auch sagen mochte, um sie zu verführen, alle meine Mühe war vergebens. Ich hielt sie mit meinen Armen umschlungen und bedeckte sie mit den heißesten Küssen; aber ihr Mund gab mir nicht einen einzigen zurück, und ihre schönen Hände waren stärker als die meinigen, indem sie meinen kühnen Angriffen unüberwindliche Hindernisse entgegensetzten. Als ich schließlich dennoch zuletzt durch Überraschung in den Vorhof des Tempels gelangte und mich in einer Stellung befand, die jeden Widerstand nutzlos gemacht haben würde, versteinerte sie mich plötzlich, indem sie in einem engelhaften Ton, dem ein zartfühlender Mann niemals hat wiederstehen können, zu mir sagte: »Ach, mein Herr, seien Sie mein Freund und richten Sie mich nicht zugrunde.«

Ich kniete vor ihr nieder, ergriff ihre Hand, bat sie um Verzeihung und schwor ihr, ich würde niemals wieder solche Angriffe auf sie machen. Dann stand ich auf und bat sie, mir als Zeichen ihrer Verzeihung einen Kuß zu geben. Es war der erste und einzige, den ihre reine Seele mir sofort bewilligte. Wir begaben uns wieder zu ihrer Tante und kehrten dann wieder in den Tanzsaal zurück; was ich aber auch tat, um mich zu beruhigen, ich fühlte, daß es mir nicht möglich war, meine Wut zu beherrschen.

Ich setzte mich in eine Ecke des Saales; als Rose bei mir vorbeikam, bat ich sie, mir eine Limonade zu holen. Als sie mir diese brachte, machte sie mir sanfte Vorwürfe, daß ich weder mit ihr und ihrer Schwester noch mit ihrer Base getanzt hätte; man werde sich daher in der Stadt keinen guten Begriff von ihnen machen.

»Ich bin ermüdet,« antwortete ich ihr, »aber wenn du mir versprechen willst, gut zu sein, werde ich mit dir ganz allein ein Menuett tanzen.«

»Was muß ich tun?«

»Erwarte mich in meinem Schlafzimmer ohne Licht, wenn deine Schwester und deine Base beim Kontertanz sind.«

»Und Sie werden nur mit mir allein tanzen?«

»Ich schwöre es dir.«

»Ich werde kommen.«

Ich fand sie feurig und wurde vollauf befriedigt. Um ihr Wort zu halten, wartete ich bis zum letzten Menuett, denn anstandshalber hätte ich nach meinem Tanz mit Rose es nicht vermeiden können, auch mit den anderen zu tanzen, da ich gegen diese dieselben Verpflichtungen hatte.

In der Morgendämmerung begannen die Damen sich zu entfernen. Ich ließ die Morinschen Damen in meinem Wagen Platz nehmen und sagte ihnen, ich würde nicht die Ehre haben, sie im Laufe des Tages zu sehen; aber wenn sie mir den Vorzug schenken wollten, den ganzen folgenden Tag bei mir zu verbringen, würde ich ihnen das gewünschte Horoskop geben. Ich ging in die Küche, um dem braven Hausmeister dafür zu danken, daß ich mich als glänzenden Wirt aufspielen konnte; ich fand dort die drei Nymphen, die sich ihre Taschen mit Zuckerwerk vollstopften. Er sagte ihnen lachend, in Gegenwart des Herrn könnten sie mit ruhigem Gewissen stehlen, und ich ermunterte sie, sich recht reichlich zu versehen. Nachdem ich ihm gesagt hatte, ich würde erst um sechs Uhr zu Mittag speisen, legte ich mich zu Bett.

Gegen Mittag stand ich auf, und da ich mich frisch und munter fühlte, machte ich mich daran, das Horoskop fertigzustellen. Ich beschloß, der schönen Roman folgendes zu sagen: Das Glück erwarte sie in Paris. Sie werde dort die Geliebte ihres königlichen Herrn werden, aber der Herrscher müsse sie sehen, bevor sie das achtzehnte Lebensjahr erreicht habe, denn nach diesem Alter werde ihr Schicksal eine andere Wendung nehmen. Um meiner Prophezeiung einen besonderen Anstrich von Wahrheit zu geben, erwähnte ich mehrere erstaunliche Ereignisse, die ihr bis zu ihrem damaligen Alter von siebzehn Jahren zugestoßen waren. Ich hatte dies von ihr selber oder von ihrer Tante vernommen, ohne mir merken zu lassen, daß ich auf ihr Gespräch achtete.

Mit Hilfe einer astronomischen Zahlentabelle und eines anderen alten Schmökers, der nur von Astronomie handelte, machte ich in sechs Stunden die Niederschrift und Abschrift eines Horoskops für Fräulein Roman. Es war so geschickt abgefaßt, daß Valenglard und sogar Herr Morin ganz verblüfft waren. Die beiden Damen aber waren in heller Begeisterung darüber.

Ich hoffte, man würde mich bitten, selber das schöne Juwel nach Paris zu bringen, und ich war durchaus nicht abgeneigt, ihre Bitte zu erfüllen. Ich schmeichelte mir mit der Hoffnung, man würde meine Mitwirkung für notwendig halten und würde, wenn nicht aus Liebe, so doch aus Dankbarkeit mir meine Wünsche erfüllen.

Ja, wer weiß, ob ich mich nicht sogar mit dem Gedanken trug, daß aus diesem herrlichen Unternehmen irgendein großes Glück für mich entstehen müßte. Der Monarch mußte sich auf den ersten Blick in sie verlieben – daran zweifelte ich nicht. Welcher Verliebte bildet sich nicht ein, daß die Angebetete alle Männer entflammen müsse? Im Augenblick war ich allerdings eifersüchtig darauf, aber ich kannte meine Unbeständigkeit ganz genau und war daher sicher, daß ich nicht mehr eifersüchtig sein würde, sobald ich des ersehnten Glückes genossen hätte, und ich wußte, daß Ludwig der Fünfzehnte in dieser Hinsicht durchaus nicht wie ein Türke dachte. Einen beinahe göttlichen Anschein erhielt meine Prophezeiung dadurch, daß sie die Geburt eines Sohnes in Aussicht stellte, der Frankreich beglücken werde. Dieser konnte nur aus königlichem Blute und aus einem auserlesenen Gefäß hervorgehen, wenn es durch eine Verknüpfung rein menschlicher Umstände in die Hauptstadt gelangte.

Die höchste Freude bereitete mir ein lächerlicher Gedanke, nämlich der Gedanke, in einem Zeitalter, wo die Vernunft und die Philosophie mit Recht die Astrologie in Verruf gebracht hatten, mir als Astrologe Ruhm zu erwerben. Mich entzückte die Vorstellung, daß alle gekrönten Häupter, welche solchen hohlen und abergläubischen Gedanken zugänglich sind, sich um mich bewerben würden, und daß ich in meinem Alter keinem derartigen Rufe mehr folgen würde. Wer baute nicht seine Luftschlösser! Hätte die Roman statt eines Knaben ein Mädchen zur Welt gebracht, so würde ich darüber gelacht haben, und es brauchte ja darum nicht alles verloren zu sein, denn ein Sohn konnte noch hinterher kommen.

Mein Horoskop sollte nur dem Fräulein und ihrer Familie bekannt werden, und diesen mußte am allermeisten an der Bewahrung des Geheimnisses liegen. Nachdem ich es fertig geschrieben und wiederholt gelesen hatte, war ich überzeugt, ein kleines Meisterwerk geschaffen zu haben. Ich speiste im Bett in Gesellschaft meiner drei Nymphen. Da ich zu allen dreien höflich, liebenswürdig, freundlich und liebkosend war, so waren sie glücklich, und ich auch.

Oder vielmehr, ich war glücklicher als sie; aber für diesen Tag bedurfte ich der Ruhe. Am nächsten Tage kam Herr von Valenglard in aller Frühe und sagte mir, kein Mensch hege die Vermutung, daß ich in die schöne Roman verliebt sei, dagegen habe man mich im Verdacht, die drei Mädchen meines Wirtes zu lieben.

»Es schadet nichts, wenn man die Leute bei diesem Glauben läßt,« antwortete ich, »denn die Mädchen sind wohl der Mühe wert; freilich lassen sie sich nicht mit einer jungen Dame vergleichen, die nicht ihresgleichen hat, wohl aber dazu geschaffen scheint, mich zur Verzweiflung zu bringen.«

»Erlauben Sie mir, für Frau von Urfé einen kleinen Roman aus dieser Geschichte zu machen?«

»Sie werden mir einen großen Gefallen damit tun.«

Zum Mittag kamen Herr und Frau Morin mit ihrer Nichte; wir verbrachten vor Tisch eine Stunde damit, das Horoskop zu lesen. Den Ausdruck des Erstaunens beschreiben zu wollen, der sich auf den vier verschiedenen Gesichtern malte, wäre unmöglich. Die interessante Roman war sehr ernst; sie wußte nicht, ob sie eigenen Willen haben durfte, und hörte darum zu und sagte kein Wort.

Herr Morin sah mich von Zeit zu Zeit an; er wagte nicht laut heraus zu lachen, da er mich ernst sah. Auf Valenglards Gesicht stand Fanatismus und Begeisterung geschrieben. Auf Frau Morin schien die Prophezeiung den Eindruck eines übernatürlichen Wunders zu machen, sie fand es keineswegs übertrieben, sondern sagte, ihre Nichte verdiene allerdings mehr als die bigotte Maintenon, die Gattin oder die Geliebte des Herrschers zu werden. »Die Maintenon,« sagte sie, »wäre niemals etwas geworden, wenn sie nicht Amerika verlassen hätte und nach Frankreich gegangen wäre; und wenn meine Nichte nicht nach Paris geht, so wird man das Horoskop nicht der Lüge beschuldigen können. Es handelt sich also für sie darum, dorthin zu reisen; aber wie wäre dies möglich zu machen? Die Reise ist geradezu eine Unmöglichkeit. In der Prophezeiung der Geburt eines Sohnes liegt etwas Göttliches, Hinreißendes. Natürlich kann ich nichts Bestimmtes vorher sagen, aber meine Nichte hat mehr Ansprüche als die Maintenon, um von einem König geliebt zu werden: sie ist jung und sittsam, die Maintenon war schon in älteren Jahren und hatte tüchtig über die Schnur gehauen, bevor sie fromm wurde. Aber die Reise wird sich in Dunst auflösen.«

»Nein,« rief Valenglard mit einer wirklich komisch ernsten Miene, »die Reise wird stattfinden! Denn das Geschick muß sich erfüllen.«

Die schöne Roman war ganz sprachlos. Ich ließ sie alle reden, und wir setzten uns zu Tisch.

Anfangs aßen wir schweigend; dann wurde von tausend Nichtigkeiten gesprochen, wie es in allen Gesellschaften üblich ist, hierauf fiel die Unterhaltung, wie ich vorausgesehen hatte, wieder auf den Gegenstand, der alle Gedanken beschäftigte.

»Nach dem Horoskop,« sagte die Tante, »soll der König sich in meine Nichte vor ihrem achtzehnten Jahre verlieben. Sie ist von diesem Tage nicht mehr weit entfernt. Wie sollen wir es also anfangen? Wo sind hundert Louis, über die wir für eine solche Reise verfügen müßten? Kann sie denn, in Paris angekommen, einfach zum König hingehen und zu ihm sagen: Hier bin ich, Sire! Mit wem soll sie denn diese Reise machen? Mit mir jedenfalls nicht.«

»Mit meiner Tante Roman!« rief das Fräulein. Sie errötete bis in das Weiße ihrer Augen, als plötzlich ein allgemeines Gelächter losbrach, das keiner von uns zurückhalten konnte.

»Wir lachen,« nahm Frau Morin wieder das Wort, »aber es könnte sich auf ganz natürliche Weise so machen; denn Frau Varnier, die in der Rue de Richelieu wohnt, ist deine Tante; sie führt ein großes Haus und kennt ganz Paris.«

»Da sehen Sie die Wege der Vorsehung,« sagte Valenglard. »Sie sprechen von hundert Louis; sie brauchen aber nur zwölf, um der Frau Varnier einen Besuch zu machen. Bei ihr wird das Fräulein wohnen. Sobald sie nur da ist, überlassen Sie nur alles übrige den Fügungen des Schicksals, die ganz gewiß nur günstig sein werden!«

»Wenn Sie nach Paris gehen,« sagte ich zum Fräulein, »dürfen Sie weder Ihrer hiesigen Tante noch der Frau Varnier etwas von Ihrem Horoskop sagen.«

»Ich werde mit niemandem darüber sprechen; aber glauben Sie mir, dies alles wird ein schöner Traum sein; ich werde niemals Paris sehen und noch weniger Ludwig den Fünfzehnten.«

Ich stand auf, nahm aus meiner Kassette eine Rolle von hundertfünfzig Louis und drückte ihr diese in die Hand, indem ich sagte, es seien Bonbons. Sie fand dieselben doch zu schwer, öffnete sie und sah fünfzig Dublonen da ocho. Sie hielt diese für Medaillen.

»Sie sind von Gold,« sagte Valenglard zu ihr. »Und der Goldschmied wird dir hundertundfünfzig Louis dafür geben,« setzte Frau Morin hinzu.

»Ich bitte Sie, mein Fräulein, behalten Sie sie. Sie brauchen mir nur einen Wechsel zu schreiben, der in Paris zahlbar ist, sobald Sie reich sind.«

Ich war überzeugt, daß sie dies Geschenk zurückweisen würde, obgleich sie mir mit der Annahme ein Vergnügen gemacht hätte. Ich bewunderte sie, daß sie die Kraft besaß, ihre Tränen zurückzuhalten, und daß die lachende Harmonie ihres schönen Gesichtes nicht im geringsten gestört wurde.

Wir gingen hinaus, um einen Rundgang durch den Garten zu machen. Valenglard und Frau Morin kamen wieder auf das Horoskop zu sprechen; ich entfernte mich von ihnen und ging mit Fräulein Roman abseits. Sobald wir außer Hörweite waren, fragte sie mich: »Ich bitte Sie, sagen Sie mir, ob dies alles nicht einfach ein Spaß ist?«

»Nein, es ist Ernst. Aber alles hängt von einem ›wenn‹ ab. Wenn Sie nicht nach Paris fahren, wird alles zunichte werden.«

»Sie müssen wohl davon überzeugt sein, sonst hätten Sie die fünfzig Medaillen nicht riskiert.«

»Glauben Sie doch nicht, mein Fräulein, daß dies für mich ein Risiko ist, und machen Sie mich glücklich, indem Sie sie hier unter vier Augen annehmen.«

»Nein, ich danke Ihnen. Aber warum haben Sie mir eine so große Summe gegeben?«

»Um das Vergnügen zu haben, zu Ihrem Glück beizutragen, und in der Hoffnung, daß Sie mir erlauben werden, Sie zu lieben.«

»Wenn Sie mich wirklich lieben, warum sollte ich etwas dagegen haben? Sie haben es nicht nötig, meine Zustimmung zu erkaufen, und ich denke, um glücklich zu werden, brauche ich keinen König von Frankreich. Wenn Sie wüßten, worauf meine Wünsche sich beschränkten!«

»Nun, worauf denn?«

»Darauf, einen Mann von freundlichem Wesen zu finden, der reich genug ist, daß es uns nicht am Notwendigsten fehlt.«

»Und wenn Sie ihn nicht liebten?«

»Wenn er anständig und gut wäre, warum sollte ich ihn denn nicht lieben?«

»Ich sehe, Sie kennen die Liebe nicht.«

»Das ist wahr, ich kenne nicht jene Liebe, die einem Menschen den Kopf verdreht, und dafür danke ich Gott.«

»Sie haben recht. Möge Gott Sie behüten!«

»Sie behaupten, daß mein Anblick den König entflammen wird; aber um Ihnen die Wahrheit zu sagen, dies erscheint mir eben als das Chimärische an Ihrem Horoskop. Es ist ja wohl möglich, daß er mich nicht häßlich findet, vielleicht wird er mich sogar hübsch finden. Aber an ein solches Übermaß glaube ich nicht.«

»Sie glauben es nicht? Setzen wir uns. Stellen Sie sich nur vor, daß der König Ihnen in eben demselben Maße Gerechtigkeit widerfahren läßt wie ich, und die Sache ist erledigt.«

»Aber was finden Sie denn an mir, was Sie nicht auch an einer Menge junger Mädchen meines Alters fänden! Gewiß ist es möglich, daß ich Eindruck auf Sie gemacht habe; dies beweist aber nur, daß ich dazu geschaffen war, eine solche Herrschaft über Sie auszuüben, es beweist aber keineswegs, daß dies auch dem König gegenüber der Fall sein wird. Wozu ziehen Sie den König von Frankreich heran, wenn Sie selber mich lieben?«

»Weil ich Ihnen nicht ein Los bieten kann, wie Sie es verdienen.«

»Der Augenschein spricht dagegen.«

»Außerdem, weil Sie mich nicht lieben.«

»Ich würde Sie zärtlich lieben und würde nur Sie allein lieben, wenn ich Ihre Frau wäre. Dann könnte ich Ihnen Ihre Küsse zurückgeben, während jetzt die Pflicht mir verbietet, es zu tun.«

»Wie dankbar bin ich Ihnen, daß Sie mir nicht böse sind, wenn ich mich an Ihrer Seite so glücklich fühle!«

»Es freut mich im Gegenteil, daß ich Ihnen gefalle.«

»Erlauben Sie mir also, Sie morgen in aller Frühe in Ihrem Zimmer zu besuchen und mit Ihnen im Bett den Kaffee zu trinken.«

»Oh, mein Herr, denken Sie doch an so etwas nicht! Selbst wenn ich es wollte, ich könnte es nicht. Ich schlafe bei meiner Tante und stehe immer vor ihr auf. Aber ziehen Sie doch Ihre Hand zurück! Sie haben mir versprochen, Sie wollten es nicht wieder tun. Um Gottes willen, mein Herr, bleiben Sie ruhig.«

Leider mußte ich wohl aufhören, denn ihr Widerstand war unbesieglich. Mit großem Vergnügen sah ich jedoch, daß sie trotz meinen verliebten Angriffen ihre Sanftmut nicht verloren hatte, und daß jene lachende Ruhe, die ihr eigen war, ihr göttliches Gesicht verschönerte, wie wenn wir gar nichts getan hätten. Ich dagegen sah aus, als ob ich die Verzeihung verdiente, um die ich sie auf den Knien bat, und ich las in ihren Augen, daß es ihr leid tat, mir meinen Wunsch nicht erfüllen zu können.

Ich konnte nicht länger an der Seite dieses schönen Geschöpfes bleiben; die Erregung meiner Sinne war zu groß. Ich verließ sie, und da ich in meinem Zimmer die gefällige Manon damit beschäftigt fand, Manschetten auszubessern, so erfrischte diese mich augenblicklich. Sobald wir beide befriedigt waren, lief sie hinaus. Ich überlegte mir, daß ich bei der jungen Roman niemals mehr ausrichten würde, als mir bis dahin gelungen war, ich hätte denn das Horoskop Lügen strafen müssen, indem ich sie heiratete. Ich beschloß daher, die Sache nicht weiter zu verfolgen.

Ich ging wieder in den Garten hinunter und bat die Tante, einen Augenblick mit mir spazieren zu gehen. Vergebens bemühte ich mich, die brave Dame zu überreden, sie solle hundert Louis annehmen, um ihrer Nichte die Reise nach Paris zu ermöglichen. Ich schwor ihr bei allem Heiligen, was die Menschheit kennt, daß niemals jemand etwas davon erfahren würde; aber meine Reden und alle meine Bitten waren unnütz. Sie sagte mir: wenn das Schicksal ihrer Nichte nur von dieser Reise abhinge, so könnte es sich wohl erfüllen; denn sie hätte bereits daran gedacht, wie sie sie ihr ermöglichen könne, wenn ihr Gatte damit einverstanden wäre. Übrigens sagte sie mir ihren aufrichtigen Dank und erklärte mir, ihre Nichte fühle sich sehr glücklich, daß sie mir gefallen habe.

»Sie gefällt mir so sehr, gnädige Frau, daß ich beschlossen habe, morgen abzureisen, um ihr nicht Anträge machen zu müssen, durch welche das große Glück, das ihrer harrt, zerstört werden müßte. Wenn nicht eine so erhabene Bestimmung ihrer wartete, würde ich mich glücklich schätzen, Sie um ihre Hand bitten zu dürfen.«

»Oh! ein solches Glück wäre ohne Zweifel viel sicherer. Erklären Sie sich!«

»Gegen das Schicksal wage ich nicht anzukämpfen.«

»Aber Sie werden doch nicht morgen reisen.«

»Verzeihung, gnädige Frau, ich werde morgen um zwei Uhr bei Ihnen vorsprechen, um von Ihnen Abschied zu nehmen.«

Durch die Ankündigung meiner Abreise wurde unser Abendessen ein wenig traurig. Frau Morin, die vielleicht noch heute lebt, war eine Frau von liebenswürdigstem Charakter. Bei Tisch erklärte sie, das Abschiednehmen solle sofort stattfinden; denn wenn ich nur ausführe, um sie aufzusuchen, so würde die ihr zugedachte Ehre zu einer für mich lästigen Förmlichkeit.

»So werde ich wenigstens die Ehre haben, Sie bis an Ihre Tür zu begleiten, wenn Sie mir dies erlauben!« rief ich.

»Sie würden dadurch unser Glück um einige Minuten verlängern.«

Valenglard ging zu Fuß, und die schöne Roman saß während der Fahrt auf meinem Schoß. Ich wagte kühn zu sein; sie war gegen meine Erwartung so sanft und zärtlich, daß ich es bedauerte, Abschied genommen zu haben. Aber es war einmal geschehen. Auf unserem Wege lag vor der Tür eines Gasthofes ein umgestürzter Wagen; infolgedessen mußte mein Kutscher mehrere Minuten halten. Dieser Zwischenfall, über den der gute Mann aus vollem Halse fluchte, erfüllte mich mit der höchsten Freude, denn ich erlangte während dieser nur allzu kurzen Augenblicke alle Gunstbezeigungen, die ich unter solchen Umständen mir verschaffen konnte.

Das Glück ist niemals vollständig, wenn man es allein genießt. Ich empfand das Bedürfnis, durch den Anblick des Gesichtes meiner schönen Freundin mich zu überzeugen, daß sie bei ihrer Gefälligkeit nicht lediglich passiv gewesen war; darum begleitete ich die Damen in ihre Wohnung hinauf.

Dort konnte ich, ohne die geringste Eitelkeit von meiner Seite, mich überzeugen, daß auf dem Antlitz des schönen Geschöpfes Liebe und Traurigkeit sich malten. Dies zeigte mir, daß sie weder kalt noch gefühllos war, und daß nur ihre Furcht und ihre Tugend Hindernisse meines Glückes gewesen waren. Als ich der Frau Morin den Abschiedskuß gab, war sie so freundlich, ihre Nichte aufzufordern, mir denselben Freundschaftsbeweis zu gewähren. Sie tat dies auf eine Art, daß ich die ganze Glut fühlte, die ich ihr eingeflößt hatte.

Ich schied von ihnen voll von Liebe und von Verzweiflung, daß ich mich unwiderruflich zur Abreise verpflichtet hatte. Zu Hause fand ich die drei Nymphen in meinem Zimmer versammelt; dies war mir unangenehm, denn ich brauchte nur eine. Rose brachte mir meine Haare in Ordnung; sie hörte meine leise Aufforderung, sagte mir jedoch, es sei ihr unmöglich, sich aus ihrem Schlafzimmer zu entfernen, weil sie alle drei zusammenschliefen. Infolgedessen entschloß ich mich, ihnen zu sagen, ich würde am nächsten Tage abreisen; wenn sie die Nacht in meinem Zimmer verbringen wollten, so würde ich jeder von ihnen sechs Louis schenken. Sie lachten über meinen Vorschlag und sagten mir allen Ernstes, so etwas sei unmöglich. Ich sah daraus, daß sie verschwiegen gewesen waren, wie es übrigens unter solchen Umständen junge Mädchen gewöhnlich sind; ich sah aber auch, daß sie gegenseitig eifersüchtig aufeinander waren. Ich wünschte ihnen gute Nacht und ging zu Bett. Morpheus ließ mich die köstlichste Nacht in den Armen meiner anbetungswürdigen Roman verbringen.

Als ich den anderen Morgen ziemlich spät klingelte, kam die Base herbei; sie sagte mir jedoch, Rose folge ihr auf dem Fuße und bringe mir meine Schokolade. Zugleich meldete sie einen Herrn Karl Iwandoff, der mich zu sprechen wünsche. Ich erriet, daß dies der Russe sei; da er mir selbst von niemand vorgestellt worden war, so hielt ich es für unnötig, ihn zu empfangen.

»Sagen Sie ihm, dieser Name sei mir unbekannt.«

Rose richtete meinen Auftrag aus, kam aber gleich wieder herein, und sagte, es sei der Herr, der die Ehre gehabt habe, bei Frau Morin mit mir zu speisen.

»Lassen Sie ihn hereinkommen.«

»Mein Herr,« sagte er zu mir, »ich möchte gern ein paar Worte mit Ihnen unter vier Augen sprechen.«

»Mein Herr, ich kann diesen jungen Damen nicht befehlen, mein Zimmer zu verlassen. Wollen Sie bitte draußen warten, bis ich mir meinen Schlafrock anziehe; ich stehe sofort zu Ihrer Verfügung.«

»Wenn ich Ihnen ungelegen komme, werde ich morgen wieder vorsprechen.«

»Da würden Sie mich nicht finden, denn ich reise heute.«

»In diesem Fall werde ich warten.«

Ich stand in aller Eile auf und ging zu ihm hinaus.

»Mein Herr,« sagte er, »ich muß abreisen und habe kein Geld, um meinen Wirt zu bezahlen, ich bitte Sie daher, mir zu helfen. Ich wage mich hier in Grenoble an keinen Menschen zu wenden, da ich mich nicht dem Schimpf einer abschlägigen Antwort aussetzen möchte.«

»Vielleicht sollte ich mich dadurch geschmeichelt fühlen, daß Sie mir den Vorzug geben; aber ohne Ihnen in irgendeiner Weise einen Schimpf antun zu wollen, sehe ich mich in der Lage, Ihnen eine abschlägige Antwort geben zu müssen.«

»Wenn Sie wüßten, wer ich bin, mein Herr, so bin ich sicher, daß Sie mir eine kleine Unterstützung nicht verweigern würden.«

»Wenn Sie dies glauben, mein Herr, so geben Sie sich zu erkennen und verlassen Sie sich auf meine Verschwiegenheit.«

»Ich bin Karl, zweiter Sohn des Herzogs Iwan von Kurland, der in Sibirien in der Verbannung lebt. Ich bin entflohen.«

»Wenn Sie nach Genua gehen, so werden Sie nicht mehr in Not sein, denn der Bruder Ihrer Mutter, der Herzogin, wird Sie ohne Zweifel nicht im Stich lassen.«

»Er ist in Schlesien gestorben.«

»Wann denn?«

»Ich glaube, vor zwei Jahren.«

»Man hat Sie falsch berichtet, denn ich habe ihn vor kaum sechs Monaten in Stuttgart gesehen. Es ist der Baron von Treiden.«

Es war für mich nicht schwer, den Betrüger in ihm zu wittern; mich ärgerte nur, daß er die Frechheit besaß, mich anführen zu wollen. Sonst hätte ich ihm gern sechs Louis geschenkt, denn es wäre mir schlecht angestanden, mich als Feind der Abenteurer aufzuspielen. Ich fühlte wohl, daß ich selber einer war und ihm daher seine Lügen hingehen lassen mußte, da im Grunde genommen alle Abenteurer Betrüger sind.

Ich warf einen Blick auf seine Diamantschnallen, die man für echt hielt, und erkannte sofort, daß es Diamanten aus Glasfluß waren, die in Venedig in so großen Mengen angefertigt werden und allerdings in den Augen von Leuten, die nicht vollkommen Kenner sind, sehr wohl für echte Steine gelten können.

»Sie haben da,« sagte ich zu ihm, »Schuhschnallen aus Brillanten; warum verkaufen Sie die nicht?«

»Es ist das letzte Schmuckstück, das ich von meiner Mutter her habe, und ich habe ihr versprochen, mich niemals von ihm zu trennen.«

»Diese Schnallen, mein Herr, setzen Sie in ein falsches Licht. Sie täten besser, sie in der Tasche zu tragen. Ich will Ihnen ganz offen sagen, daß ich sie für falsch halte und daß Ihre Lügen mich ärgern.«

»Mein Herr, ich lüge nicht!«

»Um so besser. Beweisen Sie mir, daß die Steine echt sind, und ich will Ihnen sechs Louis schenken. Außerdem hätten Sie noch das Vergnügen, mir zu beweisen, daß ich mich irre. Leben Sie wohl!«

Er sah den Baron Valenglard die Treppe heraufkommen und bat mich, diesem nichts von unserer Unterhaltung zu sagen. Ich versprach ihm, mit niemandem davon zu sprechen.

Valenglard wollte mir gute Reise wünschen, da er selber mit einem Herrn von Monteinard abreisen mußte. Er bat mich, einen recht lebhaften Briefwechsel mit ihm zu unterhalten. Ich hatte ihn selber darum bitten wollen, denn das Schicksal der schönen Roman lag mir so sehr am Herzen, daß ich den dringenden Wunsch hatte, darüber auf dem Laufenden erhalten zu werden, und um diesen Zweck zu erreichen, war der Briefwechsel, den der wackere Offizier mir antrug, das beste Mittel. Ich versprach ihm also herzlich gern die Erfüllung seines Wunsches. Er umarmte mich unter Tränen, und ich versprach ihm meine Freundschaft.

Vierzehntes Kapitel


Mein Sieg über den Polizeivikar. – Meine Abreise. – Chambery. – Desarmoises‘ Tochter. – Herr Morin. – M. M. von Aix. – Die Pensionärin. – Lyon. – Paris.

Diese Vorladung ließ mich nichts Angenehmes ahnen; sie überraschte mich und mißfiel mir sehr. Da ich mich ihr jedoch nicht entziehen konnte, so ließ ich anspannen und begab mich nach der Amtsstube des Polizeivikars. Ich fand ihn an einem großen Tisch sitzen; um ihn herum standen etwa zwanzig Personen. Er war ein Mann von ungefähr sechzig Jahren und über alle Maße häßlich; denn seine Riesennase war zur Hälfte von einem Geschwür angefressen, das von einem großen Pflaster aus schwarzer Seide bedeckt wurde. Sein Mund war ungeheuer groß mit dicken Lippen; er hatte ganz kleine Katzenaugen und darüber sehr dichte Brauen, die zur Hälfte weiß waren. Sobald dieser ekelhafte Mensch mich sah, sagte er: »Sie sind der Chevalier de Seingalt?«

»So heiße ich, und ich komme, um mich zu erkundigen, was Ihnen zu Diensten steht.«

»Ich habe Sie kommen lassen, um Ihnen zu befehlen, spätestens in drei Tagen abzureisen.«

»Und da Sie nicht das Recht haben, mir einen solchen Befehl zu geben, so bin ich gekommen, um Ihnen zu sagen, daß ich nicht früher abreisen werde, als ich Lust habe.«

»Ich werde Sie mit Gewalt vors Tor bringen lassen.«

»Das ist etwas anderes. Der Gewalt kann ich nicht widerstehen; aber ich hoffe, Sie werden sich das zweimal überlegen, denn man weist nicht aus einer gutverwalteten Stadt einen Mann aus, der nicht gegen die Gesetze des Landes verstößt und bei einem Bankier ein Guthaben von hunderttausend Franken hat.«

»Das ist alles ganz schön und gut; aber in drei Tagen haben Sie Zeit genug, Ihre Sachen zu packen und Ihre Rechnung mit Ihrem Bankier in Ordnung zu bringen. Ich rate Ihnen, zu gehorchen; der König befiehlt es Ihnen.«

»Wenn ich abreiste, würde ich mich zum Mitschuldigen Ihrer Ungerechtigkeit machen. Ich werde Ihnen daher nicht gehorchen; aber da Sie den Namen des Königs vorschieben, so werde ich mich auf der Stelle Seiner Majestät vorstellen. Der König wird Ihre Worte verleugnen oder den ungerechten Befehl zurücknehmen, den Sie mir so vor allen Leuten erteilt haben.«

»Ist etwa der König nicht berechtigt, Sie auszuweisen?«

»Ja, mit Gewalt, aber nicht mit Recht. Es steht auch in seinem Belieben, mich mit Gewalt hinrichten zu lassen; aber er muß mir dazu den Henker liefern; denn er hat nicht die Macht, mich zum Selbstmord zu zwingen.«

»Sie reden sehr gut; aber Sie werden gehorchen.«

»Ich rede gut, ohne es von Ihnen gelernt zu haben, und ich werde nicht gehorchen.«

Mit diesen Worten drehte ich ihm den Rücken zu und ging ohne Gruß hinaus.

Ich war wütend. Ich hatte Lust, allen Polizeibütteln des niederträchtigen Vikars offenen Widerstand zu leisten. Ich beruhigte mich jedoch bald und rief die Klugheit zu Hilfe. Da ich mich erinnerte, den Chevalier Raiberti bei seiner Tänzerin kennen gelernt zu haben, so beschloß ich, diesen um Rat zu fragen. Er war erster Geheimrat im Ministerium des Auswärtigen. Ich ließ meinen Kutscher zu ihm fahren und erzählte ihm die ganze Geschichte; zum Schlusse sagte ich ihm, ich müsse den König sprechen, denn ich sei entschlossen, nur der Gewalt zu weichen. Der brave Mann riet mir, mich lieber an den damaligen Minister des Auswärtigen, Chevalier Osorio, zu wenden, der zu jeder Stunde mit dem König sprechen könnte. Sein Rat leuchtete mir ein, und ich begab mich augenblicklich zu dem Minister, einem Sizilianer von Geburt und sehr geistvollen Manne. Er nahm mich recht freundlich auf. Nachdem ich ihm den Sachverhalt erzählt hatte, bat ich ihn, Seine Majestät davon unterrichten zu wollen; da der Befehl des Vikars mir abscheulich ungerecht erscheine, sei ich entschlossen, nur der Gewalt zu gehorchen. Er versprach mir, meinen Wunsch zu erfüllen, und sagte, ich möchte am nächsten Tage wiederkommen.

Um mich zu beruhigen, machte ich einen Spaziergang; hierauf begab ich mich zum Abbate Gama, in der Hoffnung, der erste zu sein, der ihm mein lächerliches Abenteuer mitteilte. Ich täuschte mich; er wußte bereits, daß ich den Ausweisungsbefehl erhalten und wie ich dem Vikar geantwortet hatte. Als er hörte, daß ich bei meinem Entschluß verharrte, wagte er meine Festigkeit nicht zu tadeln, obgleich sie ihm unbegreiflich war; denn der gute Abbate verstand nicht, wie man sich weigern könnte, einem Befehl der Obrigkeit zu gehorchen. Er versicherte mir, auf alle Fälle würde er, wenn ich abreisen müßte, die notwendigen Weisungen an jeden von mir ihm angegebenen Ort mir nachschicken.

Am nächsten Morgen empfing der Chevalier Osorio mich auf die liebenswürdigste Weise. Ich deutete dies als ein gutes Zeichen. Chevalier Raiberti hatte mit ihm über mich gesprochen; er sagte mir, er habe dem König meine Angelegenheit vorgetragen. Er habe auch mit dem Grafen d’Aglié gesprochen und ich könne so lange bleiben, wie ich wolle. Dieser Graf d’Aglié war kein anderer als der ekelhafte Vikar. Der Minister sagte mir, ich müsse zu ihm hingehen, und er würde mir eine so lange Frist bewilligen, wie ich nötig hätte, um meine Angelegenheiten in Turin in Ordnung zu bringen.

»Ich habe hier keine anderen Geschäfte,« antwortete ich ihm, »als Geld auszugeben und auf die Instruktion zu warten, die der portugiesische Hof mir für den bevorstehenden Augsburger Kongreß geben will, auf welchem ich Seine Allergetreueste Majestät vertreten soll.«

»Sie glauben also, daß dieser Kongreß stattfinden wird?«

»Niemand zweifelt daran.«

»Jemand ist der Meinung, er werde in Rauch aufgehen. Übrigens bin ich sehr erfreut, daß ich Ihnen habe nützlich sein können, und ich werde mit Vergnügen erfahren, welche Aufnahme Ihnen der Vikar bereitet hat.«

Ich war außer mir vor Freude. Glücklich, als Sieger auftreten zu können, und neugierig, was für ein Gesicht er bei meinem Anblick machen würde, ging ich sofort zum Vikar. Allerdings konnte ich mir nicht schmeicheln, daß ich ihn aus der Fassung bringen würde, denn derartige Leute haben die Stirn eines Kerkermeisters; sie werden niemals rot.

Sobald er mich sah, sagte er: »Der Chevalier Osorio hat mir gesagt, Sie hätten Geschäfte, die Sie zwängen, noch einige Tage in Turin zu bleiben. Sie können daher bleiben, doch müssen Sie mir sagen, wieviele Tage Sie ungefähr brauchen.«

»Das kann ich Ihnen unmöglich sagen.«

»Und warum nicht, bitte?«

»Ich erwarte vom portugiesischen Hof Instruktion für den bevorstehenden Augsburger Kongreß; um den Zeitpunkt meiner Abreise bestimmen zu können, müßte ich daher Seine Allergetreueste Majestät befragen können. Doch glaube ich, ich werde in etwa einem Monat nach Paris abreisen können. Sollte diese Zeit mir nicht genügen, so würde ich die Ehre haben, Sie zu benachrichtigen.«

»Sie werden mir ein Vergnügen machen.«

Diesmal machte ich ihm eine Verbeugung, die er erwiderte; ich ging hinaus und begab mich sofort wieder zum Chevalier Osorio, der mir lächelnd sagte, ich hätte den Vikar angeführt, denn ich hätte mir eine unbestimmte Frist geben lassen, die mir volle Bequemlichkeit ließe.

Der große Politiker Gama glaubte fest an das Zusammentreten des Kongresses; er freute sich daher königlich, als ich ihm sagte, der Chevalier Osorio glaube nicht an das Zustandekommen desselben. Er war entzückt, klüger zu sein als ein Minister; dieser Gedanke erhob ihn in seinen eigenen Augen. Die Menschen lieben so sehr, sich selber zu schmeicheln, indem sie eine Lieblingsidee hätscheln. Ich sagte ihm, die Meinungen des Chevaliers wären mir gleichgültig; ich würde nach Augsburg gehen, und zwar würde ich in drei oder vier Wochen abreisen.

Madame R. machte mir die größten Komplimente; sie war entzückt, daß ich den Vikar gedemütigt hatte; indessen hielten wir es doch für angebracht, unsere kleinen Abendessen mit ihren Mädchen einstweilen einzustellen. Da ich alle bereits genossen hatte, fiel dieses Opfer mir nicht übermäßig schwer.

So lebte ich bis zur Mitte des Monats Mai. Dann verließ ich Turin, nachdem ich vom Abbate Gama einen Brief für Lord Stormon erhalten hatte, der in Augsburg Bevollmächtigter des Königs von England sein sollte. Mit diesem edlen Insulaner sollte ich mich über meinen Auftrag ins Einvernehmen setzen. Da ich den Wunsch hatte, Frau von Urfé vor meiner Reise nach Deutschland zu besuchen, so schrieb ich ihr, sie möchte mir für Herrn von Rochebaron, den ich vielleicht nötig haben konnte, einen Brief nach Lyon schicken. Ferner bat ich Herrn Raiberti um einen Empfehlungsbrief für Chambéry, wo ich drei oder vier Tage mich aufhalten wollte, um die göttliche M. M., an die ich stets mit lebhafter Zärtlichkeit dachte, am Sprechgitter ihres Klosters zu besuchen. Ich schrieb an meinen Freund Valenglard und bat ihn, Frau Morin daran zu erinnern, daß sie mir versprochen hätte, mir in Chambéry eine Dame zu zeigen, die einem Portrait ähnlich sähe.

Doch hier muß ich ein Ereignis berichten, das der Erwähnung wert ist, da es mir sehr nachteilig wurde.

Fünf oder sechs Tage vor meiner Abreise kam Desarmoises traurig und niedergeschlagen zu mir und sagte zu mir, man habe ihm Befehl erteilt, binnen vierundzwanzig Stunden Turin zu verlassen.

»Wissen Sie, warum?« fragte ich ihn.

»Gestern, im ›Café du Commerce‹ erlaubte sich Graf Scarnafisch zu sagen, Frankreich besolde den Berner Zeitungsschreiber, damit er im französischen Sinne schreibe. Ich sagte ihm, dies sei nicht wahr; er wurde wütend, verließ zornig das Kaffeehaus und warf mir einen Blick zu, der nicht zweideutig war. Ich ging ihm nach, um ihn zur Vernunft zu bringen oder ihm Genugtuung zu geben; er hat aber weder genug Vernunft noch genug Mut; er wollte nicht auf mich hören, und ich vermute, er hat sich über mich beklagt. Morgen in aller Frühe muß ich mich auf die Beine machen.«

»Sie sind Franzose und können den Schutz Ihres Gesandten beanspruchen; Sie würden daher unrecht tun, wenn Sie so plötzlich abreisten.«

»Erstens ist der Gesandte abwesend; zweitens verleugnet mich mein grausamer Vater. Ich will lieber abreisen und in Lyon auf Sie warten. Ich bitte Sie nur, mir noch hundert Taler zu leihen; ich werde sie Ihnen in Rechnung stellen.«

»Die Rechnung wird leicht sein, aber mit bei Begleichung wird es lange dauern.«

»Das ist wohl möglich; aber glauben Sie mir, ich werde für Ihre Güte erkenntlich sein, wenn ich kann.«

Ich gab ihm hundert Taler, wünschte ihm gute Reise und sagte ihm, ich würde mich einige Tage in Chambéry aufhalten.

Nachdem ich einen Kreditbrief auf Augsburg genommen hatte, verließ ich Turin; nach drei Tagen kam ich in Chambéry an. Da zu meiner Zeit nur ein einziger Gasthof dort war, so machte die Wahl mir keine Qual; indessen bekam ich eine gute Unterkunft.

Als ich in mein Zimmer trat, begegnete mir eine überraschend hübsche Person, die aus einem Nebenzimmer trat. »Wer ist diese junge Dame?« fragte ich das Mädchen, das mich begleitete.

Sie antwortete mir: »Sie ist die Frau eines jungen Herrn, der hier bettlägrig ist, um von einem Degenstich geheilt zu werden, den er vor vier Tagen auf der Reise von Frankreich hierher erhalten hat.«

Ich hatte die schöne Frau nicht sehen können, ohne den Stachel der Begierde zu verspüren. Als ich ausging, um etwas auf der Post zu besorgen, sah ich ihre Tür halb offen stehen. Ich blieb stehen und bot ihr als Nachbar meine Dienste an. Sie dankte mir höflich und lud mich ein, einzutreten. Da ich einen schönen jungen Mann im Bette aufrecht sitzen sah, so trat ich näher und erkundigte mich nach seinem Befinden.

»Der Wundarzt,« sagte die junge Dame, »hat ihm verboten, zu sprechen, weil er eine halbe Meile von hier einen Degenstich in die Brust erhalten hat. Wir hoffen, er wird in wenigen Tagen geheilt sein, damit wir unsere Reise fortsetzen können.«

»Und wohin wollen Sie, meine Gnädige?«

»Nach Genf.«

Im Augenblick, wo ich hinausgehen wollte, trat die Tochter des Gastwirts ein und fragte mich, ob ich allein auf meinem Zimmer speisen wolle oder ob ich mit der gnädigen Frau soupieren würde. Über ihre Dummheit lachend, sagte ich ihr, ich würde auf meinem Zimmer speisen, da ich nicht die Ehre hätte, die gnädige Frau zu kennen.

Hierauf sagte die junge Dame zu mir: wenn ich ihr die Ehre erweisen wollte, bei ihr zu speisen, so würde ich ihr ein Vergnügen machen; der Mann wiederholte mir leise die Versicherung. Ich nahm die Einladung dankbar an und glaubte zu bemerken, daß ihnen dies angenehm war. Als die junge Dame mich hierauf bis an die Treppe begleitete, nahm ich mir die Freiheit, ihr die Hand zu küssen; dies ist in Frankreich eine ebenso ehrerbietige wie zarte Liebeserklärung.

Ich fand auf der Post einen Brief von Valenglard, der mir mitleilte, Frau Morin sei bereit, nach Chambéry zu kommen, wenn ich ihr einen Wagen schicken wolle. Desarmoises schrieb nur in einem Brief aus Lyon, er habe seine Tochter mit einem Schelm, der sie entführt, in einem Wagen getroffen; er habe ihm seinen Degen durch den Leib gerannt und würde ihn getötet haben, wenn er den Wagen hätte anhalten können, der sie nach Chambéry gebracht hätte. Er bezweifle nicht, daß sie in Chambéry halt gemacht hätten, und bitte mich, ich möchte versuchen, seine Tochter zur Rückkehr nach Lyon zu überreden. Wenn sie nicht wollte, so müßte ich ihm den Dienst erweisen, bewaffneten Beistand zu verlangen; ich möchte mich doch eines unglücklichen Vaters annehmen, der seine geliebte Tochter zurückhaben wollte. Er versicherte mir, sie sei nicht verheiratet, schickte mir seine Adresse und bat mich, ihm durch einen Eilboten zu antworten.

Es war nicht schwer zu erraten, daß dieses Mädchen keine andere war als meine Nachbarin; aber ich verspürte durchaus keine Neigung, den Wünschen des Vaters zu entsprechen.

Sobald ich nach Hause gekommen war, ließ ich Leduc mit einer viersitzigen Berline abreisen; ich schickte diese der Frau Morin und schrieb ihr: da ich nur ihretwegen in Chambéry wäre, so würde ich sie dort erwarten; sie möchte nach ihrer Bequemlichkeit reisen. Hierauf überließ ich mich der Freude über das eigentümliche Abenteuer, das ich dem Schicksal und einem seltsamen Zusammentreffen von lauter romanhaften Umständen verdankte.

Fräulein Desarmoises und ihr Entführer hatten mir Freundschaft eingeflößt; ich bemühte mich nicht, ausfindig zu machen, ob das Gefühl, das mich leitete, Laster oder Tugend war; aber ich fühlte unbewußt, daß es ein Gemisch von beiden war; denn wenn ich einerseits verliebt war, so empfand ich andererseits eine wahre Befriedigung, dem jungen Liebespaar helfen zu können, um so mehr, da ich die sündhafte Leidenschaft des meuchelmörderischen Vaters kannte.

Ich trat bei ihnen ein und fand den Kranken unter den Händen des Wundarztes. Die Wunde war zwar tief, aber nicht gefährlich: die Eiterung war ohne Entzündung eingetreten, und der junge Mann brauchte nur Zeit und Ruhe. Als der Doktor fortgegangen war, wünschte ich ihm Glück zu seinem Zustande und riet ihm, zu fasten und zu schweigen. Hierauf übergab ich dem Fräulein Desarmoises den Brief, den ich von ihrem Vater erhalten hatte, machte ihnen eine Verbeugung und sagte, ich würde auf meinem Zimmer die Stunde des Abendessens erwarten. Ich war sicher, daß sie zu mir kommen würde, um mit mir zu sprechen, sobald sie den Brief ihres Vaters gelesen hätte.

Eine Viertelstunde darauf klopfte es bescheiden an die Tür; ich ließ sie eintreten, und sie gab mir schüchtern meinen Brief zurück, indem sie mich fragte, was ich zu tun gedächte.

»Nichts! Ich werde mich glücklich schätzen, wenn Sie es mir ermöglichen, Ihnen nützlich zu sein.«

»Ich atme auf!«

»Haben Sie das Gegenteil glauben können? Sie haben beim ersten Anblick meine lebhafte Teilnahme erregt und können völlig über mich verfügen. Sind Sie schon verheiratet?«

»Nein; aber wir werden uns heiraten, sobald wir in Genf ankommen.«

»Setzen Sie sich und erzählen Sie mir ausführlich, wie Ihre Sachen stehen. Ich weiß, daß Ihr Vater unglücklicherweise in Sie verliebt ist, und daß Sie ihn fliehen.«

»Wie ich sehe, hat er es Ihnen gesagt, und dies ist mir sehr angenehm. Vor einem Jahre kam er nach Lyon, und sobald ich seine Ankunft erfuhr, zog ich mich zu einer Freundin meiner Mutter zurück; denn ich könnte nicht eine Stunde in Gegenwart meines Vaters bleiben, ohne mich der ungeheuerlichsten Vergewaltigung auszusetzen. Der junge Mann, den Sie im Bett gesehen haben, ist der einzige Sohn eines reichen Genfer Kaufherrn. Mein Vater selbst führte ihn vor zwei Jahren bei uns ein. Bald liebten wir uns. Als mein Vater wieder abgereist war, wandte mein Liebhaber sich an meine Mutter und hielt um meine Hand an; da jedoch mein Vater sich in Marseille befand, glaubte meine Mutter nicht ohne seine Einwilligung über mich verfügen zu können. Sie schrieb an ihn; er antwortete jedoch nur, er werde, sobald er wieder in Lyon sei, ihr seine Entschließung bekannt geben. Mein Geliebter reiste nach Genf, und da sein Vater seine Zustimmung zu unserer Heirat gab, so kehrte er mit allen erforderlichen Papieren und mit einer warmen Empfehlung des Herrn Tolosan zurück. Als mein Vater von Marseille zurückkam, entfernte ich mich, wie ich Ihnen bereits sagte, und mein Freund ließ durch Herrn Tolosan um meine Hand anhalten. Mein Vater sagte: ›Ich werde nicht eher antworten, als bis meine Tochter in mein Haus zurückgekehrt ist.‹ Herr Tolosan überbrachte mir die Antwort meines Vaters. Ich sagte ihm, ich sei bereit, zu gehorchen, wenn meine Mutter mich abholen und unter ihren Schutz nehmen wolle. Als jedoch der gute Herr ihr diesen Vorschlag machte, sagte sie ihm, sie kenne ihren Gatten zu gut und wage es daher nicht, mich unter einem Dach mit ihm wohnen zu lassen. Herr Tolosan sprach noch einmal mit meinem Vater, um dessen Einwilligung zu erlangen; aber vergeblich. Einige Tage darauf reiste er ab, und wir erfuhren, er sei in Aix in Savoyen, später in Turin. Mein Liebhaber sah, daß mein Vater sich nicht entschließen wollte, und schlug mir vor, ich möchte mit ihm abreisen; er ließ mir durch Herrn Tolosan versichern, er würde mich sofort nach unserer Ankunft in Genf heiraten. Meine Mutter war damit einverstanden, und vor acht Tagen reisten wir ab. Unser Unglück wollte, daß wir durch Savoyen reisten und daß wir kurz vor Chambéry meinem Vater begegneten. Kaum hatte er uns erkannt, so ließ er den Wagen halten; er wollte mich zum Aussteigen zwingen. Ich fing an zu schreien, und da mein Liebhaber mich in seine Arme genommen hatte, um mich zu schützen, ergriff mein Vater seinen Degen und stieß ihm diesen in die Brust. Ohne Zweifel hätte er noch einen zweiten Stoß geführt; da er aber Leute sah, die auf mein Geschrei und das des Fuhrmannes herbeieilten, außerdem wahrscheinlich meinen Freund für tot hielt, so stieg er wieder zu Pferde und sprengte mit verhängten Zügeln davon. Ich werde Ihnen den Degen zeigen; er ist noch ganz blutig.«

»Ich muß seinen Brief beantworten und will darüber nachdenken, wie ich seine Zustimmung zu Ihrer Ehe erlangen kann.«

»Dies ist nicht nötig; denn wir können uns auch ohne sie verheiraten und glücklich sein.«

»Ohne allen Zweifel; aber Sie können doch nicht Ihre Mitgift in Stich lassen?«

»Was für eine Mitgift, lieber Gott? Er hat nichts.«

»Aber wenn sein Vater, der Marquis Desarmoises, stirbt …«

»Das ist ein Märchen. Mein Vater hat nur eine kleine lebenslängliche Rente wegen seiner dreißigjährigen Dienste als Kurier. Sein Vater ist seit zwanzig Jahren tot, und meine Mutter und meine Schwester leben nur von ihrer Hände Arbeit.«

Mich empörte die schamlose Frechheit dieses Menschen, der mich so lange belogen hatte und nun selber mich instand setzte, seinen Betrug aufzudecken. Aber ich schwieg. Man meldete uns, daß das Abendessen aufgetragen sei; wir blieben drei Stunden bei Tisch und sprachen unaufhörlich über diese Geschichte. Der arme Verwundete brauchte mich nur zu hören, um meine Gefühle zu kennen. Seine junge Freundin, die ebenso geistreich wie hübsch war, scherzte über die wahnsinnige Leidenschaft ihres Vaters und sagte mir, er sei von ihrem elften Jahre an leidenschaftlich in sie verliebt gewesen.

»Aber Sie haben ihm immer Widerstand leisten können?«

»Ja, stets, wenn er den Spaß zu weit treiben wollte.«

»Und hat der Spaß lange gedauert?«

»Zwei Jahre. Als ich dreizehn Jahre alt war, hielt er mich für reif und versuchte mich zu pflücken; aber ich fing an zu schreien, sprang nackt aus seinem Bett und flüchtete in das meiner Mutter, die seit jenem Tage nicht mehr erlaubte, daß ich bei ihm schlief.«

»Sie schliefen bei ihm? Wie konnte Ihre Mutter das dulden?«

»Sie konnte nicht ahnen, daß seine Liebe verbrecherisch sei, und ich dachte mir überhaupt nichts Schlimmes dabei. Ich glaubte, was er mit mir machte und mich machen ließ, wären nur Kleinigkeiten.«

»Aber Ihr Kleinod – das haben Sie doch gerettet?«

»Ich habe es für meinen Liebhaber aufbewahrt.«

Der arme Liebhaber, der mehr vom Hunger als von seiner Wunde zu leiden hatte, lachte bei diesen Worten laut auf, und sie lief zu ihm und bedeckte ihn mit ihren Küssen. Ich selber war aufs höchste erregt. Die Erzählung war zu naiv gewesen, als daß ich hätte kalt bleiben können, besonders, wenn ich sie ansah. Denn sie besaß alles, was man an einem Weibe begehren kann, und ich verzieh beinahe ihrem Vater, sich in sie verliebt und vergessen zu haben, daß sie seine Tochter war.

Als sie mich an meine Tür begleitete, ließ ich sie fühlen, wie sie mich erregt hatte, und sie lachte; da aber meine Bedienten dabei waren, so mußte ich sie gehen lassen.

Am anderen Morgen schrieb ich in aller Frühe an ihren Vater: seine Tochter sei entschlossen, ihren Liebhaber nicht mehr zu verlassen; dieser sei nur leicht verwundet; sie seien in Chambéry in Sicherheit unter dem Schutz der Gesetze. Da ich ihre Geschichte kenne und das Paar nach meiner Ansicht sehr gut zusammenpasse, so könne ich es nur billigen, daß sie füreinander leben wollten.

Sobald mein Brief fertig war, ging ich in ihr Zimmer, damit sie ihn lesen könnten. Als ich die schöne Durchgängenin in Verlegenheit sah, wie sie mir ihre Gefühle der Dankbarkeit ausdrücken solle, bat ich den Kranken um Erlaubnis, sie umarmen zu dürfen.

»Fangen Sie mit mir an!« sagte er, indem er seine Arme ausbreitete.

Meine heuchlerische Liebe bedeckte sich mit dem Mantel väterlicher Zärtlichkeit. Nachdem ich den Liebhaber umarmt hatte, küßte ich liebevoll die Geliebte, nannte sie meine Kinder und bot ihnen meine mit Gold gefüllte Börse an, falls sie derselben bedürfen sollten. Da unterdessen der Wundarzt gekommen war, begab ich mich wieder auf mein Zimmer.

Gegen elf Uhr kam Frau Morin mit ihrer Tochter an. Leduc, der als Kurier voraufgeritten war, kündigte mit Peitschenknall ihre Ankunft an. Ich empfing sie mit offenen Armen und dankte ihr herzlich für das Vergnügen, das sie mir mache.

Sie erzählte mir, Fräulein Romans sei die Geliebte des Königs; sie bewohne ein schönes Haus in Passy, und da sie im fünften Monat schwanger sei, so sei sie auf dem Wege, Königin von Frankreich zu werden, wie mein göttliches Orakel prophezeit habe. »In Grenoble,« fuhr sie fort, »spricht man nur von Ihnen, und ich rate Ihnen, kommen Sie lieber nicht wieder, wenn Sie sich nicht etwa entschlossen haben, einer der Unsrigen zu werden; denn man würde Sie nicht wieder fortlassen. Der ganze Adel würde Ihnen zu Füßen liegen, und besonders die Frauen würden eifersüchtig und neugierig sein, das Schicksal ihrer Töchter zu erfahren. Es gibt jetzt in Grenoble keinen Menschen mehr, der nicht an die Unfehlbarkeit der Astrologie glaubt, und Valenglard triumphiert. Er hat hundert Louis gegen fünfzig gewettet, daß meine Nichte einen Prinzen zur Welt bringen wird. Er ist sicher, zu gewinnen; aber wenn er verliert, wird man sich über ihn lustig machen.«

»Er wird nicht verlieren, verlassen Sie sich darauf!«

»Ist das ganz gewiß?«

»Hat das Horoskop nicht in der Hauptsache die Wahrheit gesagt? Ich müßte einen großen Fehler in der Berechnung gemacht haben, wenn das Ende nicht dem Anfang entspräche.«

»Sie entzücken mich!«

»Ich gehe nach Paris und ich hoffe, Sie werden mir einen Brief an Frau Varnier mitgeben, die mir das Vergnügen verschaffen wird, Ihre Nichte zu sehen.«

»Selbstverständlich! Schon morgen sollen Sie den Brief haben.«

Ich stellte ihr Fräulein Desarmoises unter dem Familiennamen ihres Liebhabers vor, nachdem ich mich versichert hatte, daß sie mit uns speisen würde.

Nach dem Essen gingen wir zusammen in das Kloster, wo M. M. war. Als man ihr ihre Tante meldete, kam sie an das Sprechgitter, sehr überrascht über solchen unerwarteten Besuch; aber sie bedurfte ihrer ganzen Geistesgegenwart, um sich nicht zu verraten, als sie mich sah. Als ihre Tante ihr meinen Namen sagte, bemerkte sie mit jenem Takt, der den Frauen eigen ist, sie habe mich während ihres Aufenthaltes in Aix fünf- oder sechsmal am Brunnen gesehen; aber ich könne sie nicht wieder erkennen, denn sie sei stets verschleiert gewesen. Ich bewunderte ebenso ihre Klugheit und ihren Geist wie ihr entzückendes Gesicht. Sie erschien mir schöner, und ohne Zweifel sagten meine bewundernden Blicke ihr dies. Wir unterhielten uns eine Stunde lang über Grenoble und ihre alten Bekannten, an die sie sich mit Vergnügen erinnerte; hierauf verließ sie uns, um eine junge Pensionärin zu holen, die sie liebte und ihrer Tante vorzustellen wünschte. Ich benutzte diesen Augenblick, um Frau Morin zu sagen, ich sei im höchsten Grade verwundert über die Ähnlichkeit; sie habe sogar denselben Klang der Stimme wie meine venetianische M. M. Ich bat sie, mir das Glück zu verschaffen und sie zur Annahme von zwölf Pfund ausgezeichneter Schokolade zu bewegen, die ich von Genua mitgebracht hätte.

»Ich rate Ihnen,« antwortete sie mir, »ihr dieses Geschenk selber anzubieten: denn ist sie auch Nonne, so ist sie doch Frau, und ein Geschenk macht uns mehr Vergnügen, wenn wir es von einem Manne, als wenn wir es von einer Frau erhalten.«

M. M. kam mit der Oberin, zwei anderen Nonnen und der jungen Pensionärin, einer entzückenden jungen Lyonerin, zurück. Ich mußte mit allen diesen frommen Damen schön tun, und Frau Morin sagte ihrer Nichte, ich möchte gerne eine ausgezeichnete Schokolade probieren, die ich von Genua mitgebracht hätte, aber ich hätte den Wunsch, daß sie von ihrer Laienschwester zubereitet würde.

»Mein Herr,« sagte M. M. zu mir, »haben Sie die Güte, mir die Schokolade zu schicken, und wir werden morgen mit unseren lieben Schwestern zusammen frühstücken.«

In meinen Gasthof zurückgekehrt, schickte ich sofort die Schokolade mit einem sehr ehrerbietigen Briefchen. Ich soupierte im Zimmer der Frau Morin mit ihrer Tochter und Fräulein Desarmoises, in die ich mich immer mehr verliebte; ich sprach jedoch nur von M. M., und es kam mir vor, als ob die Tante erriete, daß die schöne Nonne mir nicht fremd war.

Ich frühstückte im Kloster und erinnere mich noch, daß die Schokolade nebst Zwiebäcken und Zuckerwerk mit einer recht koketten Appetitlichkeit aufgetragen wurde. Nach dem Frühstück sagte ich zu M. M., es würde ihr wohl nicht so leicht sein, mir ein Diner zu zwölf Personen an einem Tische zu geben, so daß die Gesellschaft im Klosterraum und die andere Hälfte, durch ein dünnes Gitter getrennt, im Sprechzimmer säße.

»Ich wäre neugierig, dies zu sehen,« sagte ich, »wenn Sie mir erlauben wollten, die Kosten zu bestreiten.«

»Gern!« antwortete M. M., und dieses halb geistliche, halb weltliche Diner wurde auf den nächsten Tag festgesetzt.

M. M. übernahm alle Anordnungen und versprach mir, sechs Nonnen einzuladen. Frau Morin, die meinen Geschmack kannte, sagte ihr, sie möchte nichts sparen, und ich teilte ihr mit, daß ich die erforderlichen Weine schicken würde.

Nachdem ich Frau Morin, ihre Tochter und Fräulein Desarmoises nach Hause gebracht hatte, begab ich mich zu Herrn Magnan, dem ich durch Chevalier Raiberti empfohlen war. Ich sagte ihm, er möchte so freundlich sein, mir ausgezeichnete Weine zu verschaffen, und er bat mich, alles was ich wünschte, aus seinem Keller holen zu lassen. Ich wurde nach Wunsch bedient.

Dieser Herr Magnan war ein geistvoller Mann mit angenehmen Zügen und sehr wohlhabend. Er bewohnte außerhalb der Stadt ein großes bequemes Haus, worin seine Gattin, eine liebenswürdige und noch sehr appetitliche Frau, inmitten von zehn Kindern waltete; darunter waren vier sehr hübsche Fräuleins, von denen besonders die älteste, damals neunzehn Jahre alt, liebreizend war. Magnan war ein großer Gastronom und tat sich etwas darauf zugute; um es mir zu beweisen, lud er mich für den übernächsten Tag zum Essen ein.

Gegen elf Uhr gingen wir ins Kloster; nachdem wir uns eine Stunde unterhalten hatten, meldete man uns im Augenblick, wo die Uhr zwölf schlug, daß das Mittagessen angerichtet sei. Die Tafel bot einen hübschen Anblick; sie war mit blendendweißer schöner Wäsche bedeckt und mit mehreren kleinen Gefäßen voll künstlicher Blumen geschmückt, die je nach ihrer Art parfümiert waren, so daß das ganze Sprechzimmer danach duftete. Das leidige Gitter war weniger leicht, als ich gehofft hatte; so hatte ich keinen Vorteil davon, daß ich zur Linken von M. M. saß. Zu meiner Linken hatte ich die schöne Desarmoises; das reizende Mädchen hielt uns in lustiger Stimmung, indem sie uns eine Menge niedlicher Geschichten erzählte.

Leduc und Costa bedienten uns draußen, während die Nonnen von ihren Laienschwestern bedient wurden. Die Fülle der Gerichte, die ausgezeichneten mannigfaltigen Weine, tausend liebenswürdige Bemerkungen, die oft zweideutig waren und immer Stoff zum Lachen gaben, ließen das Mahl drei Stunden dauern. Wir waren alle ein bißchen angeheitert, oder um es deutlicher zu sagen: wir waren alle betrunken, und ohne das leidige Gitter hätte ich bei meinen elf weiblichen Gästen leichtes Spiel gehabt. Besonders meine junge Desarmoises war so ausgelassen lustig, daß sie, wenn ich sie nicht zurückgehalten hätte, wahrscheinlich allen Nonnen Anstoß gegeben haben würde, denen sie damit freilich einen Gefallen getan hätte. Nach dem Kaffee gingen wir in ein anderes Sprechzimmer und blieben dort bis zum Anbruch der Nacht. Frau Morin nahm Abschied von ihrer Nichte, und der Austausch von Danksagungen, Händedrücken und Versprechungen ewigen Angedenkens dauerte zwischen mir und den Nonnen eine volle Viertelstunde. Nachdem ich M. M. zugerufen hatte, daß ich vor meiner Abreise noch die Ehre haben würde, sie zu sehen, kehrten wir in den Gasthof zurück. Wir waren sehr zufrieden mit dieser in ihrer Art einzigen Vergnügungspartie, die mich noch jetzt ergötzt, sooft ich mich ihrer erinnere.

Die gute Frau Morin gab mir einen Brief für ihre Base, Madame Varnier; ich versprach ihr, von Paris aus einen ganz ausführlichen Bericht über die Verhältnisse der schönen Roman an sie zu schicken. Ich schenkte ihrer Tochter ein Paar schöner Ohrringe und ihr selber zwölf Pfund gute Schokolade, die Herr Magnan mir besorgte, die aber Frau Morin als angebliche Genueser Schokolade erhielt. Um acht Uhr reiste sie ab; Leduc, dem ich aufgetragen hatte, der Familie des Hausmeisters Grüße von mir zu bestellen, ritt als Kurier voraus.

Ich fand bei dem Lebemann Magnan ein Essen, das eines Lukullus würdig war, und versprach ihm, bei ihm zu wohnen, sooft ich nach Chambéry kommen würde; ich habe ihm Wort gehalten.

Von dem Hause des Gastronomen ging ich nach dem Kloster, um M. M. einen Besuch zu machen; sie kam ganz allein an das Sprechgitter. Sie sprach mir ihre Dankbarkeit über den glänzenden Besuch aus, den ich unter dem Schutze ihrer Tante ihr in so unauffälliger Weise gemacht hätte; aber sie sagte, ich sei gekommen, um ihre Ruhe zu stören.

»Ich bin bereit, mein Herz, leichtfüßiger als dein schlimmer Buckliger deine Gartenmauer zu übersteigen.«

»Ach, das ist nicht möglich, denn glaube mir, du hast bereits Spione hinter dir. Man ist hier überzeugt, daß wir uns in Aix gekannt haben. Laß uns alles vergessen, mein lieber Freund, um uns die Qual vergeblicher Wünsche zu ersparen.«

»Gib mir deine Hand.«

»Nein; es ist aus. Ich liebe dich noch; ich werde dich wahrscheinlich immer lieben, aber ich sehne mich danach, daß du abreisest; durch deine Abreise wirst du mir einen Beweis deiner Liebe geben.«

»Entsetzlich! Du erstaunst mich. Du erfreust dich allem Anscheine nach einer vollkommenen Gesundheit; du scheinst mir schöner geworden zu sein; ich weiß, daß du für den Kultus des liebenswürdigsten aller Götter geschaffen bist; ich begreife nicht, daß du mit deinem Temperament bei ewiger Enthaltsamkeit zufrieden leben kannst.«

»Ach, in Ermangelung der Wirklichkeit befriedigen wir uns mit kleinen Scherzen. Ich will dir nicht verhehlen, daß ich meine junge Pensionärin liebe. Diese Liebe erhält meine Ruhe. Es ist eine unschuldige Leidenschaft. Ihre Liebkosungen dämpfen ein Feuer, woran ich sterben würde, wenn ich nicht seine Gewalt durch unsere Zärtlichkeiten milderte.«

»Und leidet nicht dein Gewissen dabei?«

»Ich beunruhige mich nicht.«

»Aber du weißt doch, daß du sündigst?«

»Darum beichte ich auch.«

»Und was sagt der Beichtvater?«

»Nichts. Er spricht mich frei, und ich bin glücklich.«

»Und beichtet deine hübsche Pensionärin ebenfalls?«

»Selbstverständlich; aber es fällt ihr nicht ein, dem Beichtvater etwas zu sagen, was sie nicht für eine Sünde hält.«

»Ich wundere mich, daß der Beichtvater sie nicht belehrt hat; denn eine Belehrung dieser Art ist ein großer Genuß.«

»Unser Beichtvater ist ein weiser alter Mann.«

»Ich soll also abreisen, ohne von dir einen einzigen Kuß erhalten zu haben?«

»Nichts.«

»Kann ich morgen wiederkommen? Übermorgen werde ich abreisen.«

»Komm, aber ich werde nicht allein herunterkommen, denn man könnte auf Mutmaßungen geraten. Ich werde mit meiner Kleinen kommen. Dadurch bleibt der Schein gewahrt. Komm nach Tisch, aber ins andere Sprechzimmer.«

Hätte ich M. M. nicht in Aix gekannt, so würde mich ihre Religion überrascht haben; aber so war nun einmal ihr Charakter. Sie liebte Gott und glaubte nicht, daß dieser großmütige Vater, der uns mit Leidenschaften erschuf, unnachsichtig gegen sie sein würde, weil sie nicht die Kraft hatte, ihre Natur zu bändigen. Ich ging nach meinem Gasthof zurück; mich ärgerte, daß die schöne Nonne nichts mehr von mir wissen wollte, aber ich war überzeugt, daß die Desarmoises mich schadlos halten würde.

Ich fand die Schöne auf dem Bett ihres Liebhabers sitzen, der durch Fasten und Fieber außerordentlich schwach geworden war. Sie sagte mir, sie werde zum Abendessen in mein Zimmer kommen, damit der Kranke Ruhe habe; der gute junge Mann schüttelte mir die Hand, um mir seine Dankbarkeit zu bekunden.

Da ich bei Magnan reichlich zu Mittag gegessen hatte, rührte ich beim Abendessen fast nichts an; meine Gesellschafterin aber, die nur ein leichtes Mittagessen zu sich genommen hatte, aß und trank mit einem wahren Heißhunger. Ich sah sie mit einer Art von Bewunderung an, und sie freute sich über mein Erstaunen. Als meine Bedienten hinausgegangen waren, forderte ich die Schöne auf, mit mir zusammen einer Bowle Punsch die Spitze zu bieten. Der heiße Trank versetzte sie in jene Heiterkeit, die nur lachen will und die darüber lacht, wenn Widerstandskraft und Vernunft dahin sind. Indessen kann ich mir nicht den Vorwurf machen, ihren trunkenen Zustand mißbraucht zu haben; denn in der ganzen Wollust ihrer Seele verlangte sie zuerst nach den Genüssen, zu denen ich sie bis zwei Uhr in der Frühe anreizte. Wir waren völlig erschöpft, als wir uns trennten.

Ich schlief bis elf Uhr, und als ich ihr guten Morgen sagen ging, fand ich sie fröhlich und frisch wie eine Rose. Ich fragte sie, wie sie den Rest der Nacht verbracht habe,

»Wie den Anfang,« antwortete sie mir, »ganz ausgezeichnet.«

»Wann wollen Sie zu Mittag essen?«

»Gar nicht; ich will lieber meinen ganzen Appetit fürs Abendessen aufsparen.«

Hier mischte ihr Liebhaber sich ins Gespräch und sagte zu mir mit schwacher Stimme, aber mit höflichem und ruhigem Ton: »Ihr kann man unmöglich standhalten.«

»Im Essen oder im Trinken?«

»Im Essen, im Trinken und in noch etwas anderem,« antwortete er mit einem Lächeln.

Sie lachte und umarmte ihn zärtlich.

Dieses kleine Gespräch überzeugte mich, daß die Desarmoises ihren Liebhaber anbeten mußte; denn er war nicht nur ein sehr hübscher Junge, sondern hatte auch gerade den Charakter, der für ihre Neigungen außerordentlich passend war. Ich aß allein zu Mittag. Als ich beim Nachtisch saß, kam Leduc an. Er sagte mir, die Töchter des Hausmeisters und die hübsche Base hätten ihn genötigt, seine Abreise aufzuschieben, um mir zu schreiben; er überbrachte mir von ihnen drei Briefe und drei Dutzend Handschuhe, die sie mir schenkten. Ihre Briefe enthielten weiter nichts als dringende Einladungen, einen Monat bei ihnen zu verbringen; sie gaben mir dabei mit genügender Deutlichkeit zu verstehen, daß ich mit ihnen zufrieden sein würde. Ich hatte jedoch nicht den Mut, in eine Stadt zurückzukehren, wo ich bei dem Rufe, den ich mir erworben hatte, allen Töchtern guter Familien das Horoskop hätte stellen müssen, wenn ich mir nicht durch Unhöflichkeit Feinde machen wollte.

Nachdem ich gegessen und meine Briefe von Grenoble gelesen hatte, ging ich nach dem Kloster, wo ich mich bei M. M. melden ließ und dann das mir von ihr bezeichnete Sprechzimmer betrat. Sie kam sehr bald mit der schönen jungen Pensionärin, die mich nur unvollkommen bei ihren Liebesekstasen vertrat. Sie hatte noch nicht ihre zwölf Jahre vollendet, war aber groß, kräftig und für ihr Alter sehr stark entwickelt. Sanftmut, Lebhaftigkeit, Unschuld und Klugheit vermählten sich auf ihrem schönen Antlitz und verliehen ihr einen entzückenden Zauber. Ein gutsitzendes Mieder ließ eine weiße wohlgeformte Brust bloß, auf der die Phantasie leicht schon die Halbkugeln erblickte, die sie bald schmücken mußten. Dieser interessante Kopf, an welchem zwei herrliche ebenholzfarbige Zöpfe herunterhingen, und diese Brust ließen alles übrige erraten, und meine Einbildungskraft schuf mir aus ihr eine heranblühende Venus.

Ich sagte ihr, sie sei sehr hübsch und werde den von Gott ihr bestimmten Gatten glücklich machen. Ich wußte, daß sie über dieses Kompliment erröten mußte. Das ist grausam, aber so beginnt stets die Sprache der Verführung. Ein junges Mädchen ihres Alters, das nicht erröten würde, wenn man ihm von Heiraten spräche, wäre entweder dumm oder bereits eine erfahrene Meisterin in den Ausschweifungen der Liebe. Und doch ist der Ursprung der Röte, womit sich bei einem beunruhigenden Gedanken das Gesicht eines jungen Mädchens überzieht, ein wahres Rätsel; denn sie kann ein Zeichen reiner Schamhaftigkeit oder ein Zeichen der Schande sein, und oft ist sie eine Mischung von beiden. Dann findet ein Kampf zwischen Laster und Tugend statt, bei welchem gewöhnlich die Tugend unterliegt. Die Begierden sind Trabanten des Lasters und erfechten leicht den Sieg über die Tugend. Da ich die Pensionärin aus den Erzählungen meiner M. M. bereits kannte, so wußte ich, woher die Röte kam, die ihre jungen Reize noch schöner machte.

Ich tat, wie wenn ich nichts bemerkt hätte, und unterhielt mich einen Augenblick mit M. M.; dann erneuerte ich den Angriff. Sie hatte bereits ihre Fassung wiedergewonnen.

»Wie alt sind Sie, mein schönes Kind?«

»Dreizehn Jahre.«

»Du irrst, mein Herz,« sagte ihre Freundin zu ihr, »du hast dein zwölftes Jahr noch nicht vollendet.«

»Die Zeit wird kommen,« bemerkte ich, »wo Sie die Zahl Ihrer Jahre vermindern werden, anstatt sie zu vergrößern.«

»Ich werde niemals lügen; das weiß ich ganz gewiß.«

»Sie wollen also Nonne werden, meine schöne Freundin?«

»Ich fühle mich noch nicht dazu berufen; aber nichts soll mich veranlassen, zu lügen, selbst wenn ich in der Welt leben werde.«

»Sie irren sich; denn Sie werden zu lügen anfangen, sobald Sie einen Geliebten haben.«

»Mein Geliebter wird also ebenfalls lügen?«

»Ganz gewiß.«

»Wenn es so wäre, wäre die Liebe etwas recht Häßliches. Aber ich glaube es nicht; denn ich liebe meine gute Freundin und verhehle ihr doch niemals die Wahrheit.«

»Aber Sie werden einen Mann nicht so lieben, wie Sie eine Frau lieben.«

»Ganz genau ebenso.«

»Nein. Denn Sie schlafen nicht bei ihr; bei Ihrem Gatten aber werden Sie schlafen.«

»Das ist einerlei; meine Liebe würde die gleiche sein.«

»Wie? Sie würden nicht lieber bei mir als bei M. M. schlafen?«

»Nein, gewiß nicht! Denn Sie sind ein Mann und würden mich sehen.«

»Sie wollen also nicht, daß ein Mann Sie sieht?«

»Nein.«

»Sie wissen also, daß Sie häßlich sind?«

Bei diesen Worten drehte sie sich mit einem Ausdruck tiefen Verdrusses zu ihrer Freundin und fragte diese: »Ist es wahr, daß ich häßlich bin?«

»Nein, mein Herz,« antwortete M. M. ihr mit ausgelassenem Lachen; »nein, du bist im Gegenteil sehr hübsch.«

Mit diesen Worten zog sie sie auf ihren Schoß und umarmte sie zärtlich.

»Ihr Mieder ist zu eng geschnürt, mein Fräulein; unmöglich können Sie eine so schlanke Taille haben.«

»Sie irren, mein Herr! Sie könnten die Hand hineinstecken.«

»Das glaube ich nicht.«

M. M. führte sie an das Gitter, drehte sie seitwärts, und sagte mir, ich solle mich überzeugen. Zugleich hob sie ihr den Rock hoch.

»Es ist wahr,« sagte ich zu ihr, »ich widerrufe alles.«

Zugleich aber verfluchte ich innerlich das Hemd und das Gitter.

«Ich glaube,« sagte ich zu M. M., »sie ist ein kleiner Mann.«

Ohne ihre Antwort abzuwarten, arbeitete ich so eifrig, daß ich mich mit meinen Fingern von ihrem Geschlecht überzeugte. Ich konnte dabei bemerken, daß es der Kleinen sowohl wie ihrer Lehrmeisterin viel Vergnügen machte, mir diese Gewißheit zu verschaffen. Nachdem ich meine Hand zurückgezogen hatte, küßte die Kleine M. M., deren lachendes Gesicht sie beruhigte, und bat ihre Freundin um Erlaubnis, sich einen Augenblick entfernen zu dürfen. Jedenfalls hatte ich sie in die Notwendigkeit versetzt, einen Augenblick allein zu sein; auch ich befand mich in einem Zustand höchster Erregung.

Als die Kleine hinausgegangen war, sagte ich zu M. M.: »Weißt du auch, daß die Aufklärung, die du mir verschafft hast, mich unglücklich macht?«

»Ei warum denn?«

»Weil ich deine Pensionärin reizend gefunden habe. Ich sterbe vor Verlangen, sie zu besitzen.«

»Das tut mir leid; denn du kannst nicht weiter gehen, als du es bereits getan hast. Und dann, mein Freund, ich kenne dich, selbst wenn du ohne Gefahr für sie dich befriedigen könntest, würde ich sie dir nicht lassen; denn du würdest sie mir verderben.«

»Wieso?«

»Denkst du, sie könnte mit mir glücklich sein, nachdem sie es mit dir gewesen wäre? Ich würde bei dem Vergleich zu viel verlieren.«

»Gib mir deine Hand!«

»Oh nein.«

»Sieh!«

»Ich will nichts sehen.«

»Nicht ein bißchen?«

»Nein.«

»Aber bist du meiner Hand und meinen Augen böse?«

»Im Gegenteil. Wenn du genossen hast, freue ich mich darüber; und wenn du Begierden in ihr erregt hast, wird sie mich um so mehr lieben.«

»Welch ein Glück wäre es, mein Engel, wenn wir zu dritt in aller Freiheit beisammen sein könnten.«

»Ich fühle es wohl; aber es ist nicht möglich.«

»Bist du sicher, daß wir vor jedem neugierigen Blick geschützt sind?«

»Vollkommen sicher.«

»Die Brustwehr des abscheulichen Gitters hat mir viele Reize entzogen.«

»Warum bist du nicht an das andere Sprechgitter gegangen? Es ist viel niedriger.«

»Laß uns hingehen!«

»Nein, heute nicht; denn ich wüßte keine Entschuldigung für diesen Wechsel.«

»Ich werde morgen wiederkommen; am Abend reise ich nach Lyon ab.«

Die Kleine trat wieder ein; ich stellte mich aufrecht vor sie hin. Ich hatte an meinen Uhrketten eine Menge herrliche Berlocken hängen, und ich hatte noch nicht Zeit gehabt, meine Beinkleider wieder in eine anständige Ordnung zu bringen. Sie bemerkte dies, benutzte meine Berlocken als Vorwand für ihre Neugier und fragte mich, ob sie sie besehen dürfe.

»Soviel Sie wollen, mein Gold! Sie können sie sehen und auch anfassen.«

M. M. sah voraus, wie es kommen würde, und sagte, sie werde gleich wiederkommen. Ich beeilte mich, der allzu neugierigen Pensionärin jedes Interesse an meinen Berlocken zu benehmen, indem ich ihr ein Geschmeide anderer Art in die Hand drückte. Sie verhehlte nicht ihr Entzücken und ihre Freude, ihre Neugierde an einem für sie ganz neuen Gegenstand befriedigen zu können, den sie zum erstenmal in ihrem Leben von allen Seiten ganz genau untersuchen durfte. Bald aber verwandelte ein Erguß von Lebenssaft ihre Neugier in Erstaunen; doch unterbrach ich sie damit nicht in ihrer entzückenden Beschäftigung des Bewunderns.

Da ich M. M. langsam zurückkommen sah, ließ ich den Vorhang herunter und setzte mich. Meine Uhren lagen noch auf der Brustwehr, und M. M. fragte ihre junge Freundin, ob sie die Berlocken hübsch gefunden habe. Die Kleine bejahte diese Frage, aber in einem traurigen und träumerischen Ton. Sie hatte in weniger als zwei Stunden einen so weiten Weg zurückgelegt, daß sie wohl Stoff zum Nachdenken hatte.

Den übrigen Teil des Tages verbrachte ich damit, M. M. meine Abenteuer seit meinem Abschied von ihr zu erzählen; da es jedoch zu spät wurde, um meine Erzählung an demselben Tage zu Ende zu bringen, versprach ich ihr am nächsten Tage zur selben Stunde wiederzukommen und ihr den Rest zu erzählen.

Die Kleine, die alles gehört hatte, obgleich ich mir den Anschein gab, nur mit ihrer Freundin zu sprechen, sagte mir, sie sei sterbensneugierig, wie die Geschichte mit der Geliebten des Herzogs von Matalone ausgegangen sei.

Ich aß mit meiner jungen Desarmoises zu Abend und ging erst zu Bett, nachdem ich ihr bis Mitternacht meine Zärtlichkeit bewiesen und ihr versichert hatte, daß ich meine Abreise nur aus Liebe zu ihr aufschöbe. Am folgenden Tage ging ich gleich nach dem Mittagessen nach dem Kloster, ließ mich bei M. M. melden und begab mich an das andere Sprechgitter, das eine viel bequemere Brustwehr hatte als das, woran ich sie am Tage vorher gesehen hatte.

Bald erschien M. M.; da sie sich aber meine Ungeduld wohl denken konnte, so sagte sie mir, ihre hübsche Freundin werde gleich kommen.

»Du hast ihre Phantasie entflammt! Sie hat mir alles erzählt, und sie machte dabei tausend tolle Streiche und nannte mich ihren lieben Mann. Du hast sie verführt, und ich bin sehr froh, daß du abreisest; denn ich glaube, sonst würde sie den Verstand darüber verlieren. Du wirst sehen, wie sie sich angezogen hat.«

»Bist du ihrer Verschwiegenheit sicher?«

»Ja, vollkommen; ich bitte dich nur, in meiner Gegenwart nichts mit ihr vorzunehmen. Ich werde mich entfernen, wenn ich sehe, daß der Augenblick da ist.«

»Du bist eine Göttin, liebes Herz! Aber du wärest noch mehr als das, wolltest du …«

»Ich will nichts für mich, lieber Freund, weil es nicht möglich ist.«

»Du könntest …«

»Nein; ich könnte mich bei dir nicht mit einem leeren Spiel begnügen, das ein kaum erloschenes Feuer zu neuer Glut anfachen würde. Ich habe dir schon gesagt, daß ich leide; aber laß uns niemals mehr davon sprechen!«

Plötzlich trat die junge Priesterin der Venus ein. Ihr Mund lachte, ihre Augen funkelten. Sie trug ein kurzes, vorne offenes seidenes Jäckchen und ein gesticktes Musselinröckchen, das nur bis an die Waden ging. Sie sah wie eine Sylphide aus.

Kaum hatte sie Platz genommen, so erinnerte sie mich an die Stelle, bei der ich meine Erzählung unterbrochen hatte. Ich fuhr fort, und als ich an die Szene kam, wo Donna Lucrezia mir Leonilda nackt zeigte, ging M. M. hinaus, und die kleine Spitzbübin fragte mich sofort, wie ich es angefangen hätte, um mich davon zu überzeugen, daß meine Tochter Jungfrau wäre.

Ich griff durch das unangenehme Gitter hindurch, gegen das sie ihren hübschen Leib preßte, und zeigte ihr, wie ich mir die Überzeugung hatte verschaffen können. Die Kleine fand an diesem Spiel so viel Vergnügen, daß sie nicht nur keinen Schmerz verspürte, sondern vielmehr zweimal in Verzückung geriet und mir die hilfreiche Hand drückte. Hierauf reichte sie mir die ihrige, um die Lust, die ich ihr bereitet hatte, zu vergelten. Als während dieser süßen Beschäftigung die M. M. wieder eintrat, sagte die Kleine schnell zu mir: »Das macht nichts; ich habe ihr alles gesagt. Meine Freundin ist gut; sie wird uns nicht böse sein.«

M. M. stellte sich in der Tat, wie wenn sie nichts sähe, und die frühreife Kleine trocknete ihre Hand mit einer wollüstigen Miene ab, die mir verriet, wie sehr sie mit sich selber zufrieden war. Ich fuhr in meiner Geschichte fort; als ich aber an die arme Versperrte von Turin kam und ihnen schilderte, wie ich mich vergeblich angestrengt hatte, um sie zu befriedigen, da wurde die Kleine so neugierig, daß sie sich mir in der verführerischen Stellung darbot, damit ich sie besser belehren könnte. Als M. M. mich aufstehen sah, lief sie hinaus; denn sie sah voraus, daß ich mich nicht würde enthalten können, mein ihr gegebenes Wort zu brechen.

»Knieen Sie auf die Brüstung nieder,« rief die kleine Spitzbübin, »und lassen Sie mich machen!«

Du errätst ihre Absicht, Leser! Ohne Zweifel würde es ihr ja auch gelungen sein, hätte nicht das Feuer, das mich verzehrte, meine Kraft schon an der Mündung entladen.

Die reizende Novize fühlte sich besprengt. Als sie aber bald sich von meiner Ohnmacht überzeugte, zog sie sich ein wenig verdrießlich zurück. Meine diensteifrigen Finger bemühten sich, sie zu entschädigen, und ich hatte das Glück, sie glücklich zu sehen.

Ich verließ die reizenden Mädchen, als es Nacht wurde, und versprach ihnen, in einem Jahre wiederzukommen. Als ich nach Hause ging, konnte ich mich nicht enthalten, darüber nachzudenken, wie viele Keime der Verderbnis diese Zufluchtsstätten enthalten, die man nur dem Gebet und der Sittenreinheit geweiht glaubt, und wie sehr eine oftmals ängstliche, leichtgläubige und vertrauensvolle Mutter betrogen ist, wenn sie glaubt, ihr geliebtes Kind werde in der Zelle eines Nönnchens dem bösen Beispiel des Lasters und der Verführung entrinnen, deren Einfluß sie gerade im Getriebe der Welt befürchtet hat. Hinter Schloß und Riegel werden Wünsche zu rasenden Begierden; und welche Wünsche wären heißer als diejenigen, die aus dem Liebesbedürfnis entstehen!

In meinem Gasthof verabschiedete ich mich von dem Verwundeten, der zu meiner großen Freude außer Gefahr war. Vergebens bat ich ihn, über meine Börse zu verfügen; er umarmte mich und sagte mir, er habe genug Geld bei sich und brauche übrigens nur an seinen Vater zu schreiben, um so viel zu erhalten, wie er wolle. Ich versprach ihm, in Lyon haltzumachen und Desarmoises zu veranlassen, von jeder Verfolgung abzustehen. Ich sagte ihm, er habe Verpflichtungen gegen mich, die es ihm unmöglich machen würden, sich zu weigern. Ich hielt ihm Wort.

Nachdem wir uns den Abschiedskuß gegeben hatten, führte ich seine Braut zum Souper und scherzte mit ihr bis Mitternacht. Da dies unser Abschied war, so war sie gewiß nicht zufrieden mit mir; denn ich unterhielt sie nur ein einziges Mal von meiner Zärtlichkeit; M. M.’s junge Freundin hatte mich beinahe völlig ausgepumpt.

Bei Tagesanbruch reiste ich ab. Am nächsten Tage kam ich in Lyon an, wo ich im Gasthof zum Park abstieg. Ich ließ Desarmoises zu einer Unterredung einladen und sagte ihm ohne Umschweife, die Reize seiner Tochter hätten mich verführt, ihr Liebhaber wäre ein ganz reizender, völlig ihrer würdiger Junge, und ich erwarte von seiner Freundschaft, daß er bedingungslos seine Zustimmung zu ihrer Heirat gebe. Er tat, was ich wollte, als ich ihm erklärte, ich könnte nur dann sein Freund bleiben, wenn er augenblicklich mit allem einverstanden wäre. Er gab mir in Gegenwart zweier Zeugen eine schrifliche Erklärung, die ich unverzüglich durch besonderen Boten nach Chambéry schickte.

Dieser falsche Marquis, wie es deren so viele gibt, lud mich in seine armselige Wohnung zum Essen ein. Seine jüngere Tochter hatte nichts von ihrer älteren Schwester, und seine Frau erregte mein Mitleid. Beim Weggehen wickelte ich sechs Louis in ein Stück Papier und drückte sie ihr geschickt in die Hand, ohne daß ihr Mann etwas davon merkte. Ein dankbarer Blick sagte mir, daß das Geschenk willkommen war.

Da ich nach Paris reisen mußte, gab ich Desarmoises das nötige Geld, um mit meinem Spanier nach Straßburg zu reisen, wo er mich erwarten sollte. Ich glaubte klug daran zu tun, daß ich nur Costa mitnahm; aber diesen Rat hatte mir mein böser Geist eingegeben.

Ich reiste durch das Bourbonnais, kam am dritten Tage in Paris an und stieg im Gasthof zum Heiligen Geist in der gleichnamigen Straße ab.

Bevor ich zu Bett ging, schrieb ich ein Briefchen an Madame d’Urfé und schickte es ihr durch Costa. Ich versprach, am nächsten Tage bei ihr zu Mittag zu essen. Costa war ein recht hübscher Junge; und da er schlecht französisch sprach und ein bißchen dumm war, so war ich sicher, daß Frau von Urfé ihn für ein außerordentliches Wesen halten würde. Sie antwortete mir, sie erwarte mich mit der lebhaftesten Ungeduld.

»Sage mir, Costa: Wie hat die Dame dich empfangen und wie hat sie meinen Brief gelesen?«

»Gnädiger Herr, sie hat mich durch einen Spiegel angesehen und dabei Worte gesprochen, die ich nicht verstanden habe. Hierauf ist sie dreimal um das Zimmer herumgegangen und hat dabei Räucherwerk verbrannt; dann ist sie in majestätischer Haltung auf mich zugegangen und hat mich aufmerksam betrachtet; schließlich hat sie mit sehr freundlichem Gesicht mir gesagt, ich solle im Vorzimmer auf Antwort warten.«

Fünfzehntes Kapitel


Mein Aufenthalt in Paris und meine Abreise nach Straßburg, wo ich die Renaud finde. – Mein Unglück in München und trauriger Aufenthalt in Augsburg.

Erfrischt durch das angenehme Gefühl, wieder in dem so unvollkommenen Paris zu sein, das aber doch so anziehend ist, daß keine Stadt der Welt ihm den Namen der Stadt der Städte streitig machen kann, begab ich mich um zehn Uhr morgens zu meiner lieben Frau von Urfé, die mich mit offenen Armen empfing. Sie sagte mir, der junge d’Aranda befinde sich wohl, und wenn es mir recht sei, werde sie ihn am nächsten Tage mit uns speisen lassen. Ich sagte, dies werde mir angenehm sein, und versicherte ihr hierauf, die Operation, durch die sie zum Mann werden solle, werde vollzogen werden, sobald Quérilinte, eines der drei Häupter der Rosenkreuzer, aus den Gefängnissen der Lissaboner Inquisition befreit sein werde. »Aus diesem Grunde,« fuhr ich fort, »muß ich im Laufe des nächsten Monats nach Augsburg gehen, wo ich unter dem Vorwande eines Auftrages, den ich mir von der portugiesischen Regierung verschafft habe, Verhandlungen mit dem Grafen Stormon zu führen habe, um die Befreiung des Adepten zu bewirken. Zu diesem Zweck, Madame, werde ich einen Kreditbrief auf Uhren und Tabaksdosen brauchen, um zu rechter Zeit Geschenke machen zu können; denn wir werden Profane bestechen müssen.«

»Dieses alles nehme ich recht gerne auf mich, mein lieber Freund; aber Sie brauchen sich nicht zu beeilen, denn der Kongreß wird erst im September zusammentreten.«

»Er wird niemals stattfinden, Madame, glauben Sie mir! Aber die Gesandten der kriegführenden Mächte werden sich trotzdem versammeln. Sollte gegen meine Erwartung der Kongreß gehalten werden, so würde ich mich genötigt sehen, eine Reise nach Lissabon zu machen. Für alle Fälle verspreche ich Ihnen, daß wir uns diesen Winter wiedersehen werden. Die vierzehn Tage, die ich hier verbringen werde, sind notwendig, um eine Kabale des Grafen St.-Germain zunichte zu machen.«

»St.-Germain! Der wird niemals wagen, nach Paris zurückzukehren.«

»Ich bin im Gegenteil gewiß, daß er in diesem Augenblick hier ist; aber er hält sich verborgen. Der Regierungsbote, der ihm befahl, London zu verlassen, hat ihn überzeugt, daß der englische Minister sich von dem Auslieferungsbegehren, das Graf d’Affry im Namen des Königs an die Generalstaaten lichtete, sich nicht hat täuschen lassen.«

Diese ganze Erzählung war aus der Luft gegriffen, aber sie gründete sich auf Wahrscheinlichkeiten; wie man sehen wird, hatte ich richtig geraten.

Frau von Urfé machte mir hierauf ein Kompliment wegen des reizenden Mädchens, das ich aus Grenoble nach Paris geschickt hätte. Valenglard hatte ihr alles geschrieben. »Der König betet sie an, und sie wird ihn binnen kurzem zum Vater machen. Ich habe ihr mit der Herzogin von Lauraguais in Passy einen Besuch gemacht.«

»Sie wird einen Sohn zur Welt bringen, der Frankreich glücklich machen wird. Nach dreißig Jahren werden Sie wunderbare Sachen sehen, die ich leider vor Ihrer Mannwerdung nicht sagen darf. Haben Sie mit ihr über mich gesprochen?«

»Das nicht; aber ich bin überzeugt, Sie werden es möglich machen, sie zu sehen, wäre es auch nur bei Frau Varnier.«

»Sie täuschen sich nicht.«

Ein merkwürdiger Zufall trat ein, um die Verrücktheit der ausgezeichneten Dame immer noch mehr zu steigern.

Nachdem wir bis vier Uhr von meiner Reise und unseren Plänen geplaudert hatten, bekam sie Lust, ins Boulogner Wäldchen zu fahren. Sie bat mich, sie zu begleiten, und ich kam ihren Wünschen nach. In der Umgegend von Madrid stiegen wir aus, gingen in den Wald hinein und setzten uns dann unter einen Baum.

»Heute vor achtzehn Jahren,« erzählte sie mir, »schlief ich auf diesem selben Platze, wo wir uns jetzt befinden, allein ein. Während meines Schlummers stieg der göttliche Horosmadis von der Sonne herab und leistete mir bis zu meinem Erwachen Gesellschaft. Als ich die Augen aufschlug, sah ich ihn mich verlassen und wieder zum Himmel emporschweben. Er ließ mich mit einem Mädchen schwanger zurück, das er mir vor zehn Jahren geraubt hat, ohne Zweifel, um mich dafür zu bestrafen, daß ich mich einen Augenblick so weit vergessen habe, mich in einen Sterblichen zu verlieben. Meine göttliche Iriasis ähnelte ihm.«

»Sie sind vollkommen sicher, daß Herr von Urfé nicht ihr Vater war?«

»Herr von Urfé hat mich nicht mehr erkannt, seitdem er mich an der Seite des göttlichen Anael ruhen sah.«

»Er ist der Genius der Venus. Schielte er?«

»Außerordentlich. Sie wissen also, daß er schielt?«

»Ich weiß auch, daß er in der Liebesekstase nicht mehr schielt.«

»Darauf habe ich nicht geachtet. Er verließ mich ebenfalls wegen eines Fehltrittes, den ich mit einem Araber beging.«

»Dieser war Ihnen durch den Genius des Merkur zugesandt worden, der Anaeis Feind ist.«

»So muß es wohl sein. Ich habe viel Unglück gehabt.«

»Nein; dieses Zusammentreffen hat Sie zur Mannwerdung tauglich gemacht.«

Wir begaben uns nach unserem Wagen, als plötzlich St.-Germain sich unseren Blicken zeigte; aber sobald er uns bemerkte, verschwand er in einem anderen Baumgang.

»Haben Sie ihn gesehen?« rief ich. »Er arbeitet gegen uns, aber unsere Genien haben ihm Furcht eingejagt.«

»Ich bin starr vor Erstaunen. Morgen früh werde ich nach Versailles fahren, um dem Herzog von Choiseul diese Nachricht zu bringen. Ich bin neugierig, was er dazu sagen wird.«

Am Eingang vor Paris verließ ich die Dame und ging zu Fuß zu meinem Bruder, der an der Porte St. Denis wohnte. Er empfing mich mit Freudengeschrei; nicht minder freute sich seine Frau, die ich sehr hübsch, aber auch sehr unglücklich fand, denn der Himmel hatte ihrem Gatten die Gabe versagt, ihr zu beweisen, daß er ein Mann war, und sie hatte das Unglück, in ihn verliebt zu sein. Ich sage das Unglück – denn weil sie ihn liebte, blieb sie ihm treu; sonst hätte sie leicht ein Heilmittel gegen ihr Unglück finden können, da ihr Mann sie sehr gut behandelte und ihr volle Freiheit ließ. – Sie wurde von Kummer verzehrt, weil sie die Ohnmacht meines Bruders nicht ahnte und sich einbildete, er erfülle ihre Wünsche nur darum nicht, weil er ihre Liebe nicht erwidere. Sie war zu entschuldigen, denn ihr Mann glich einem Herkules, und er war es in allem, nur in dem Punkte nicht, worin sie ihn gern als solchen erkannt hätte. Vor Kummer bekam sie die Schwindsucht, an der sie fünf oder sechs Jahre später starb. Sie starb nicht, um ihren Gatten zu bestrafen, aber ihr Tod war, wie wir später sehen werden, für ihn eine wahre Strafe.

Am nächsten Tage besuchte ich Frau Varnier, um ihr den Brief der Frau Morin zu überbringen. Sie empfing mich ausgezeichnet und hatte die Güte, mir zu sagen, es gebe auf der ganzen Welt keinen Menschen, dessen Bekanntschaft sie so sehr gewünscht habe wie die meinige, denn ihre Nichte habe ihr so viel erzählt, daß sie im höchsten Grade neugierig geworden sei. Bekanntlich ist die Neugier die am meisten verbreitete Frauenkrankheit. Sie schloß mit den Worten: »Sie werden meine junge Nichte sehen, mein Herr, und von ihr selber erfahren, wie es mit ihren Angelegenheiten und mit ihrem Herzen steht.«

Sie schrieb ihr sofort einen Brief, in welchen sie das Schreiben der Frau Morin einlegte.

»Wenn Sie die Antwort zu erfahren wünschen, die ich von meiner Nichte erhalten werde,« sagte Frau Varnier zu mir, »so lade ich Sie hiermit zum Mittagessen ein.«

Ich nahm an, und sie ließ sofort hinaussagen, daß sie für niemanden zu sprechen sei.

Der kleine Savoyarde, der den Brief nach Passy getragen hatte, kam um vier Uhr mit der Antwort wieder, die folgendermaßen lautete: »Der Augenblick, wo ich den Herrn Chevalier de Seingalt wiedersehen werde, wird einer der glücklichsten meines Lebens sein. Veranlassen Sie, daß er übermorgen um zehn bei Ihnen ist, und teilen Sie mir bitte mit, falls er um diese Stunde nicht sollte kommen können.«

Nachdem ich dieses Briefchen gelesen hatte, versprach ich der Frau Varnier, pünktlich zu kommen, und begab mich dann zu Madame du Rumain, die mich nötigte, ihr einen ganzen Tag zu versprechen, um eine Menge Fragen zu beantworten, die sie an mich zu richten hatte und zu deren Beantwortung der Beistand meines Orakels erforderlich war.

Am nächsten Tage erzählte mir Madame d’Urfé die scherzhafte Antwort, die der Herzog von Choiseul ihr gegeben hatte, als sie ihm ihr Zusammentreffen mit dem Grafen St.-Germain mitgeteilt hatte.

»Das wundert mich nicht,« hatte der Minister zu ihr gesagt, »denn er hat die Nacht in meinem Kabinett verbracht.« Der Herzog, ein geistreicher Mann und vor allen Dingen ein Weltmann, war von mitteilsamer Natur und wußte ein Geheimnis nur zu bewahren, wenn es sich um Sachen von hoher Wichtigkeit handelte. Er war in dieser Hinsicht sehr verschieden von den Durchschnittsdiplomaten, die sich wichtig zu machen glauben, indem sie mit allerlei Erbärmlichkeiten geheimnisvoll tun, deren Geheimhaltung ebenso gleichgültig ist wie ihre Verbreitung. Allerdings kam es selten vor, daß Herrn von Choiseul eine Angelegenheit wichtig erschien; und in der Tat: wenn die Diplomatie nicht die Kunst des Ränkeschmiedens und des schlauen Lügens wäre, wenn die Staatsangelegenheiten auf Sittlichkeit und Wahrheiten beruhten – wie es von Rechts wegen sein müßte – so wäre die Geheimtuerei mehr lästig als notwendig. Der Herzog von Choiseul hatte zum Schein St.-Germain in Frankreich in Ungnade fallen lassen, um ihn in London als Spion zu halten; aber Lord Halifax ließ sich davon nicht anführen, er fand sogar die List zu plump. Dies sind aber so gewisse kleine Liebenswürdigkeiten, die die Regierungen sich gegenseitig erweisen und vergelten, damit sie einander nichts vorzuwerfen haben.

Der kleine Aranda überhäufte mich mit Liebkosungen und bat mich, mit ihm in seinem Pensionat zu frühstücken; er versicherte mir, Fräulein Viard werde mich mit Vergnügen sehen.

Am nächsten Morgen verfehlte ich natürlich nicht, pünktlich zu der von der schönen Roman angesetzten Stunde zu erscheinen. Eine Viertelstunde vor der Ankunft der blendend schönen Brünette war ich bei Madame Varnier. Ich erwartete sie mit einem Herzklopfen, das mir bewies, daß die kleinen Gunstbezeigungen, die ich mir hatte verschaffen können, nicht genügt hatten, um das Feuer zu löschen, das sie in mir angefacht hatte. Als sie erschien, erfüllte ihr gesegneter Leib mich mit Ehrfurcht. Eine Art von Achtung, die ich einer fruchtbaren Sultanin schuldig zu sein meinte, verhinderte mich, ihr mit Bezeigungen von Zärtlichkeiten zu nahen. Aber sie dachte nicht daran, sich für achtungswürdiger zu halten als zu jener Zeit, da ich sie arm, aber unbemakelt in Grenoble gekannt hatte. Sie sagte mir dies in deutlichen Worten, nachdem sie mich herzlich umarmt hatte.

»Man hält mich für glücklich, alle Welt beneidet mich um mein Los; aber kann man glücklich sein, wenn man seine Selbstachtung verloren hat? Seit sechs Monaten lächle ich nur mit den Mundwinkeln, während ich in Grenoble, als ich arm war und beinahe das Notwendigste entbehrte, mit offener Fröhlichkeit und ohne jeden Zwang lachte. Ich habe Diamanten und Spitzen, einen prachtvollen Palast, Wagen und Pferde, einen schönen Garten, Dienerinnen, eine Gesellschaftsdame, die mich vielleicht verachtet – aber obwohl ich von den ersten Damen des Hofes, die mich freundschaftlich besuchen, wie eine Prinzessin behandelt werde, vergeht kein Tag, daß mir nicht irgendeine Kränkung zuteil würde.«

»Kränkungen?«

»Ja; man überreicht mir Eingaben, worin man um Gnadenbeweise nachsucht. Ich muß diese zurückweisen und mich mit meiner Einflußlosigkeit entschuldigen; denn ich wage nichts vom König zu verlangen.«

»Aber warum wagen Sie dieses nicht?«

»Weil es mir nicht möglich ist, mit meinem Geliebten zu sprechen, ohne den Herrscher vor Augen zu haben. Ach! nur Einfachheit macht glücklich, Luxus nicht!«

»Man ist glücklich, wenn man an der richtigen Stelle steht, und Sie müssen sich bemühen, sich zur Höhe jener Stelle emporzuschwingen, die das Schicksal Ihnen angewiesen hat.«

»Das kann ich nicht; ich liebe den König und fürchte stets, ihm zu mißfallen. Ich finde immer, er gibt mir zu viel für mich, und darum wage ich ihn für andere um nichts zu bitten.«

»Aber ich bin überzeugt, der König würde glücklich sein, Ihnen seine Liebe zu beweisen, indem er ihnen für Leute, an denen Sie Anteil zu nehmen scheinen, Gnaden bewilligte.«

»Ich glaube es wohl, und es würde mich glücklich machen, aber ich kann mich nicht überwinden. Ich habe monatlich hundert Louis Nadelgeld; diese verteile ich als Almosen und Geschenke, aber mit sparsamer Einteilung, um bis zum Ende des Monats zu reichen. Ich habe mir eine Idee in den Kopf gesetzt, die ohne Zweifel falsch ist, mich aber wider meinen Willen beherrscht: ich denke nämlich, der König liebt mich nur, weil ich ihn nicht belästige.«

»Und lieben Sie ihn?«

»Wie wäre es möglich, ihn nicht zu lieben! Er ist über alle Maße höflich, gut, sanft, schön, an jeder Kleinigkeit Anteil nehmend und zärtlich; er besitzt alle Eigenschaften, um das Herz einer Frau zu besiegen. Unaufhörlich fragt er mich, ob ich mit meiner Einrichtung, mit meinen Kleidern, mit meinen Leuten, mit meinem Garten zufrieden bin; ob ich irgendwelche Veränderungen wünsche. Ich umarme ihn, danke ihm und sage, alles sei ganz vortrefflich, und bin glücklich, wenn ich ihn dann zufrieden sehe.«

»Spricht er mit Ihnen niemals über den Sprößling, mit dem Sie ihn beschenken werden?«

»Er sagt mir oft, in meinem Zustande müsse ich vor allen Dingen sorgfältig auf meine Gesundheit achten. Ich hoffe, er wird meinen Sohn als Prinzen von Geblüt anerkennen; da die Königin tot ist, muß er als gewissenhafter Mann dies tun!«

»Zweifeln Sie nicht daran!«

»Oh! Wie teuer wird mein Sohn mir sein! Welches Glück für mich, sicher zu sein, daß es nicht ein Mädchen sein wird! Aber ich sage zu keinem Menschen ein Wort davon. Wenn ich dem König vom Horoskop zu erzählen wagte, so bin ich überzeugt, er würde Sie kennen lernen wollen; aber ich fürchte die Verleumdung.«

»Ich auch, meine liebe Freundin; schweigen Sie auch fernerhin davon. Möge nichts ein Glück stören, das sich nur immer noch steigern kann. Ich bin glücklich, es Ihnen verschafft zu haben.«

Als wir uns trennten, konnten wir unsere Tränen nicht zurückhalten. Sie entfernte sich zuerst, nachem sie mich umarmt und ihren besten Freund genannt hatte. Ich blieb allein bei Frau Varnier, um mich etwas zu erholen, und sagte zu ihr: »Anstatt ihr das Horoskop zu stellen, hätte ich sie heiraten sollen.«

»Sie wäre glücklicher geworden. Sie hat vielleicht ihre Schüchternheit und ihren Mangel an Ehrgeiz nicht vorausgesehen.«

»Ich kann Ihnen versichern, gnädige Frau, ich habe weder auf ihren Mut noch auf ihre Engherzigkeit gerechnet. Ich habe mein eigenes Glück außer acht gelassen, um nur an das ihrige zu denken. Aber es ist nun einmal geschehen. Ein Trost würde es allerdings für mich sein, wenn ich sie vollkommen glücklich sähe. Ich hoffe, auch dieses Glück wird noch kommen, besonders, wenn sie einen Sohn zur Welt bringt.«

Nachdem ich bei Frau von Urfé gespeist hatte, beschlossen wir, d’Aranda in seine Pension zurückzuschicken, um uns ungestört unseren kabbalistischen Arbeiten widmen zu können. Hierauf ging ich in die Oper, wohin mein Bruder mich bestellt hatte, um mit mir zum Abendessen zu Madame Vanloo zu gehen. Diese empfing mich mit lauten Beteuerungen ihrer Freundschaft und sagte zu mir: »Sie werden das Vergnügen haben, mit Frau Blondel und ihrem Gemahl zu speisen.«

Dies war, wie der Leser sich erinnern wird, Manon Baletti, die ich hätte heiraten sollen.

»Weiß sie, daß ich hier bin?« fragte ich.

»Nein, ich wollte mir das Vergnügen vorbehalten, ihre Überraschung zu sehen.«

»Ich danke Ihnen, daß Sie nicht auch an der meinigen sich haben weiden wollen. Wir werden uns wiedersehen, meine Gnädige; aber für heute sage ich Ihnen Lebewohl; denn als Ehrenmann glaube ich mich niemals freiwilig an einem Ort befinden zu dürfen, wo Frau Blondel sein wird.«

Alle Anwesenden waren stumm vor Überraschung. Ich verließ das Haus, und da ich nicht wußte, wohin ich gehen sollte, nahm ich einen Fiaker und fuhr zu meiner Schwägerin, die sich außerordentlich freute, mich zu sehen. Aber während des ganzen Abendessens beklagte die reizende Frau sich fortwährend über ihren Mann, der sie nicht hätte heiraten dürfen, da er gewußt hätte, daß er nicht imstande wäre, sich bei einer Frau als Mann zu zeigen.

»Warum haben Sie nicht einen Versuch mit ihm gemacht, bevor Sie ihn heirateten?«

»Wäre es denn schicklich gewesen, wenn ich die ersten Schritte getan hätte? Wie hätte ich denn auch glauben können, daß ein so schöner Mann zu gar nichts gut ist? Die Geschichte kam so: Wie Sie wissen, war ich Tänzerin bei der Italienischen Komödie und wurde von Herrn de Sauci, dem Schatzmeister der geistlichen Pfründen, unterhalten. Dieser führte Ihren Bruder bei mir ein. Er gefiel mir, und es dauerte nicht lange, so bemerkte ich, daß er mich liebte. Mein Liebhaber machte mich darauf aufmerksam, daß der Augenblick gekommen sei, durch eine Heirat mein Glück zu machen. Infolgedessen beschloß ich, ihm nichts zu bewilligen. Er kam morgens zu mir und fand mich oft allein im Bett; wir plauderten; er schien in Feuer zu geraten; aber zum Schluß gab’s nichts als Küsse. Ich erwartete von ihm eine Erklärung in aller Form, um dadurch den Zweck zu erreichen, den ich damals sehnlichst wünschte. Herr de Sauci setzte mir eine lebenslängliche Rente von tausend Talern aus; infolgedessen zog ich mich vom Theater zurück.

Als die schöne Sommerzeit herankam, lud Herr de Sauci Ihren Bruder ein, einen Monat auf dem Lande zu verbringen. Er nahm auch mich mit, und damit alles in anständiger Form vor sich ginge, wurde abgemacht, daß ich als seine Frau vorgestellt werden sollte. Casanova gefiel dieser Vorschlag; er sah darin nur einen Scherz und dachte vielleicht nicht, daß Folgen daraus entstehen könnten. Er stellte mich also der ganzen Familie meines Liebhabers sowie auch dessen Verwandten als seine Frau vor. Diese Verwandten waren Parlamentsräte, Offiziere, Lebemänner, und ihre Damen gehörten zur großen Welt. Er fand es scherzhaft, daß er im Geiste unserer Komödie verlangen könnte, mit mir zusammen zu schlafen. Ich konnte mich dessen nicht weigern, wenn ich nicht eine sehr traurige Figur spielen wollte; außerdem verspürte ich durchaus keine Abneigung gegen solches Zugeständnis, sondern sah darin nur ein Mittel, schnell an das Ziel aller meiner Wünsche zu gelangen.

Was soll ich Ihnen weiter sagen? Ihr Bruder war zärtlich und gab mir tausendfach seine Liebe zu erkennen; aber obgleich er mich dreißig Nächte hintereinander in seinem Besitz hatte, kam er niemals zu dem Schluß, der unter derartigen Verhältnissen nur natürlich erscheinen konnte.«

»Da hätten Sie merken müssen, daß er nicht dazu imstande war; denn wenn er nicht von Marmor war oder ein Keuschheitsgelübde getan hatte, das ihn zwang, sich den heftigsten Versuchungen auszusetzen, war sein Verhalten unmöglich.«

»Das glauben Sie; tatsächlich aber war es so, daß er sich weder fähig noch auch unfähig zeigte, tatsächliche Beweise seiner Liebe zu geben.«

»Warum haben Sie sich nicht selber davon überzeugt!«

»Ein Gefühl von Eitelkeit, ja von falschem Stolz erlaubte mir nicht, mir Gewißheit zu verschaffen. Ich ahnte die Wahrheit gar nicht, sondern machte mir tausend Ideen, die meiner Eitelkeit schmeichelten. Ich glaubte, wenn er mich wirklich liebte, so wäre es wohl möglich, daß er sich scheute, mit mir zu verkehren, bevor ich seine Frau wäre. Dies hielt mich davon ab, den demütigenden Versuch zu machen, mir Aufklärung zu verschaffen.«

»Es hätte, liebe Schwägerin, wenn es auch recht ungewöhnlich gewesen wäre, wohl so sein können, wenn Sie ein junges unschuldiges Mädchen gewesen wären, aber mein Bruder wußte recht gut, daß Sie Ihr Noviziat längst hinter sich hatten.«

»Das ist ja wahr; aber was setzt sich nicht eine verliebte Frau in den Kopf, wenn sie von Eitelkeit ebensosehr angestachelt wird wie von Liebe?«

»Sie denken sehr richtig, aber es ist ein bißchen spät.«

»Das weiß ich leider nur zu gut – kurz und gut, wir kehrten nach Paris zurück, er in seine Wohnung, ich in mein Häuschen. Er machte mir immer noch den Hof; ich empfing ihn und begriff sein sonderbares Benehmen nicht. Herr de Sauci wußte, daß nichts Ernstliches zwischen uns stattgefunden hatte; er stellte alle möglichen Vermutungen an, konnte aber das Rätsel nicht lösen. ›Ohne Zweifel fürchtete er, dir ein Kind zu machen‹, sagte er zu mir, ›und dadurch gezwungen zu sein, dich zu heiraten.‹ – Ich begann dies ebenfalls zu glauben, aber ich fand solche Denkweise seltsam für einen Verliebten. –

Ein Offizier der französischen Garde, Herr de Nesle, Gatte einer hübschen Frau, die mich auf dem Lande kennen gelernt hatte, ging zu Ihrem Bruder, um mir einen Besuch zu machen. Als er mich nicht fand, fragte er ihn, warum ich nicht mit ihm zusammen lebte. Er antwortete ihm in aller Unschuld, ich sei nicht seine Frau, und die ganze Geschichte sei nur ein Spaß gewesen. Herr de Nesle kam zu mir und erkundigte sich, ob dies wahr sei; und als er den Sachverhalt erfuhr, fragte er mich, ob es mir unangenehm sein würde, wenn er Casanova nötigte, mich zu heiraten. Ich antwortete ihm, er werde mir im Gegenteil einen großen Gefallen damit tun. Mehr wollte er nicht. Er ging zu Ihrem Bruder und sagte ihm, seine Frau würde niemals eingewilligt haben, mit mir als ihresgleichen zu verkehren, wenn ich ihr nicht von ihm selber als seine Gattin vorgestellt wäre; durch diesen Titel hätte ich alle Vorrechte der guten Gesellschaft erlangt; seine Täuschung wäre eine Beschimpfung für die ganze Gesellschaft, und er müßte sein Unrecht wieder gut machen, indem er mich binnen acht Tagen heiratete, oder er müsse sich mit ihm auf Leben und Tod schlagen. Sollte er in diesem Kampf unterliegen, so würde er durch alle Männer gerächt werden, die durch sein Verhalten in gleicher Weise beleidigt wären wie er. Casanova antwortete ihm lachend: er dächte nicht daran, sich zu schlagen, um mich nicht heiraten zu müssen, sondern wäre im Gegenteil bereit, eine Lanze zu brechen, um mich zu gewinnen. ›Ich liebe sie‹, sagte er zu dem Offizier, ›und wenn ich ihr gefalle, bin ich gerne bereit, ihr meine Hand zu reichen. Wollen Sie nur die Sache anbahnen! Ich stehe Ihnen zur Verfügung, sobald es Ihnen beliebt.‹ Herr de Nesle umarmte ihn, versprach ihm, alles zu besorgen, und überbrachte mir die gute Nachricht, die mich mit hoher Freude erfüllte; binnen einer Woche war alles in Ordnung. Herr de Nesle gab uns an unserm Hochzeitstage ein prachtvolles Souper. Seit jenem Tage bin ich dem Namen nach Ehefrau; aber dies ist ein leerer Titel, denn trotz der feierlichen Einsegnung und dem verhängnisvollen Ja bin ich nicht verheiratet, weil ja Ihr Bruder vollständig impotent ist. Ich bin unglücklich, und daran ist er ganz allein schuld, denn er mußte sich kennen. Er hat mich in abscheulicher Weise betrogen.«

»Aber er ist dazu gezwungen worden! Er ist mehr zu beklagen als zu verurteilen. Ich beklage auch Sie von Herzen; und doch müßte ich Ihnen unrecht geben; denn nachdem Sie einen ganzen Monat bei ihm geschlafen hatten, ohne daß er eine einzige Probe seiner Mannheit ablegte, konnten Sie nicht umhin, die Wahrheit zu mutmaßen. Selbst wenn Sie vollkommen unerfahren gewesen wären, hätte de Sauci Ihnen den Sachverhalt erklären müssen; denn er muß doch wissen, daß es einem Mann nicht möglich ist, so lange Zeit im Bett neben einer hübschen Frau zu liegen, sie nackt in seine Arme zu schließen, ohne in einen solchen körperlichen Zustand zu geraten, daß er selbst gegen seinen Willen gezwungen ist, jeden Schleier fallen zu lassen, wenn er nicht gänzlich der Fähigkeit beraubt ist, die das Wesen der Mannheit ausmacht.«

»Wenn Sie es so sagen, erscheint das alles mir vollkommen wahr; aber wir haben tatsächlich alle beide nicht daran gedacht; denn wenn man ihn sieht, muß man ihn für einen Herkules halten.«

»Ich sehe gegen Ihr Unglück nur ein einziges Mittel, meine liebe Schwägerin; entweder lassen Sie Ihre Heirat für ungültig erklären oder nehmen Sie einen Liebhaber. Ich halte meinen Bruder für zu vernünftig, als daß er Ihnen Hindernisse in den Weg legen sollte.«

»Ich bin vollkommen frei, aber ich kann weder an einen Liebhaber noch an eine Scheidung denken, denn der abscheuliche Mensch behandelt mich so gut, daß meine Liebe zu ihm immer größer wird, wodurch sich ohne Zweifel auch mein Unglück vermehrt.«

Ich sah die arme Frau so unglücklich, daß ich gerne bereit gewesen wäre, sie zu trösten; aber daran durfte ich nicht denken. Durch ihre Beichte hatte sie immerhin für den Augenblick ihren Schmerz erleichtert; ich wünschte ihr Glück dazu, und nachdem ich sie auf eine Art umarmt hatte, die ihr bewies, daß ich nicht mein Bruder war, wünschte ich ihr gute Nacht.

Am andern Tage besuchte ich Frau Vanloo; sie sagte mir, Frau Blondel habe sie beauftragt, mir dafür zu danken, daß ich nicht geblieben sei; der Gatte dagegen habe sie gebeten, mir zu sagen, es tue ihm sehr leid, mich nicht gesehen zu haben, um mir seine volle Dankbarkeit ausdrücken zu können.

»Offenbar hat er seine Frau vollkommen jungfräulich gefunden; aber das ist nicht mein Verdienst; er ist dafür nur Manon Valetti Dank schuldig. Man hat mir erzählt, er habe ein hübsches Kindchen und wohne im Louvre, während sie in einem anderen Hause an der Rue Neuve des Petits-Champs wohne.«

»Das ist richtig; aber er speist jeden Abend bei ihr.«

»Eine sonderbare Ehe!«

»Eine sehr gute, kann ich Ihnen versichern. Blondel will seine Frau nur als Liebhaber besitzen. Er sagt, das mache die Liebe dauerhaft; da er niemals eine Geliebte gehabt habe, die würdig gewesen sei, seine Frau zu sein, so sei er sehr froh, eine Frau gefunden zu haben, die würdig sei, seine Geliebte zu sein.«

Den ganzen nächsten Tag widmete ich der Frau du Romain, die mich bis zum Abend mit sehr heiklen Fragen in Anspruch nahm. Sie war sehr zufrieden mit meiner Arbeit. Die Heirat ihrer Tochter, Mademoiselle Cotenfau, mit Herrn de Polignac, die fünf oder sechs Jahre später vollzogen wurde, war die Folge unserer kabbalistischen Berechnung.

Die schöne Strumpfstrickerin aus der Rue des Prouvères, die ich so sehr geliebt hatte, war nicht mehr in Paris. Ein gewisser Herr de Langlade hatte sie entführt; ihr Mann befand sich im Elend. Camilla war krank; Corallina war Marquise und anerkannte Maitresse des Grafen de la Marche, Sohnes des Prinzen von Conti, geworden. Sie hat ihm einen Sohn geschenkt, den ich zwanzig Jahre später als Malteserritter unter dem Namen eines Chevalier de Montreal gekannt habe. Mehrere andere junge Mädchen, die ich früher gekannt hatte, hatten sich als angebliche Witwen nach der Provinz zurückgezogen oder waren unzugänglich geworden.

So war Paris zu meiner Zeit. Mädchen, Liebesverhältnisse, Prinzipien wechselten ebensoschnell wie die Moden. Einen ganzen Tag widmete ich meinem alten Freund Baletti; er hatte nach dem Tode seines Vaters eine hübsche Figurantin geheiratet und sich von der Bühne zurückgezogen. Er arbeitete mit Melissenkraut und hoffte den Stein der Weisen zu finden.

Zu meiner angenehmen Überraschung sah ich im Foyer der Comédie Française den Dichter Poinsinet, der mich wiederholt umarmte und mir erzählte, daß in Parma du Tillot ihn mit Wohltaten überhäuft habe. Einen Platz habe er ihm allerdings nicht gegeben, weil man in Italien mit einem französischen Dichter nichts anzufangen wisse.

»Wissen Sie etwas von Lord Limore?«

»Ja; er hat von Livorno aus seiner Mutter geschrieben, er wolle sich nach Indien einschiffen; wenn Sie nicht die Güte gehabt hätten, ihm tausend Louis zu geben, würde er jetzt in den römischen Gefängnissen sein.«

»Ich nehme großen Anteil an seinem Schicksal und würde gerne mit Ihnen bei Mylady einen Besuch machen.«

»Ich werde Sie melden, und ich bin überzeugt, sie wird Sie zum Souper dabehalten, denn sie hat die größte Lust, mit Ihnen zu sprechen.«

»Wie geht es Ihnen hier; sind Sie zufrieden mit Ihrem Apoll?«

»Er ist nicht der Gott des Paktolus; ich besitze keinen Heller, ich habe nicht einmal ein Zimmer und werde gern ein Souper annehmen, wenn Sie mich einladen wollen. Ich werde Ihnen den Cercle vorlesen, den die Schauspieler angenommen haben. Ich habe das Stück in der Tasche und bin sicher, daß es Erfolg haben wird.«

Dieser Cercle war ein kleines Stück in Prosa, worin der Dichter sich über die Sprechweise des Arztes Herrenschwand lustig machte, dessen Bruder ich in Solothurn gekannt hatte. Das Stück hatte wirklich einen großen Augenblickserfolg.

Ich nahm ihn mit zum Abendessen, und der arme Musensohn aß für vier. Am nächsten Tage meldete er mir, die Gräfin Limore erwarte mich zum Souper.

Ich fand diese noch immer schöne Dame in Gesellschaft des Erzbischofs von Cambray, Herrn de St. Albin, ihres bejahrten Liebhabers, der für sie die ganzen Einkünfte des Erzbistums ausgab. Dieser würdige Kirchenfürst war ein natürlicher Sohn des Herzogs von Orléans, des berühmten Regenten von Frankreich, und einer Schauspielerin. Er speiste mit uns, öffnete jedoch den Mund nur zum Essen, und seine Geliebte sprach mit mir nur über ihren Sohn, dessen Geist und Talente sie bis in den Himmel hob, während Lord Limore in Wirklichkeit nur ein Taugenichts war. Ich glaubte jedoch in ihr Lob einstimmen zu müssen, denn es wäre grausam gewesen, ihr zu widersprechen. Beim Abschied versprach ich ihr zu schreiben, wenn ich ihrem Sohn irgendwo begegnen sollte. Poinsinet, der obdachlos war, verbrachte die Nacht in meinem Zimmer; am nächsten Morgen ließ ich ihn zwei Tassen Schokolade trinken und gab ihm Geld, um sich ein Zimmer zu mieten. Ich habe ihn nicht wiedergesehen; denn ein paar Jahre später ertrank er, nicht in der Hippokrene, sondern im Guadalquivir. Er sagte mir, er habe acht Tage bei Herrn von Voltaire zugebracht und sei dann schleunigst nach Paris zurückgekehrt, um den Abbé Morellet aus der Bastille zu befreien. Ich hatte in Paris nichts mehr zu tun und wartete, um abzureisen, nur auf die Kleider, die ich mir bestellt hatte, und auf ein mit Diamanten und Rubinen besetztes Kreuz des Ordens, womit der Heilige Vater mich ausgezeichnet hatte.

Dies alles sollte ich binnen fünf oder sechs Tagen erhalten; aber ein Unfall nötigte mich, Hals über Kopf abzureisen. Ich beschreibe dieses Ereignis nur widerwillig, denn es war eine Unvorsichtigkeit von meiner Seite, die mir beinahe Leben und Ehre gekostet hätte, mehr als hunderttausend Franken gar nicht zu rechnen. Ich beklage die Dummköpfe, die mit dem Schicksal hadern, wenn sie ins Unglück geraten, während sie sich doch nur an sich selber halten sollten.

Ich ging gegen zehn Uhr morgens im Tuileriengarten spazieren, als ich unglücklicherweise der Dangenancour mit einem anderen Mädchen begegnete. Diese Dangenancour war eine Opernfigurantin, mit der ich vor meiner letzten Abreise von Paris vergeblich eine Bekanntschaft anzuknüpfen gesucht hatte. Ich freute mich des glücklichen Zufalls, der sie mir so zu gelegener Stunde in den Weg führte, sprach sie an und brauchte sie nicht lange zu bitten, um sie zur Annahme eines Diners in Choisy zu bewegen.

Ich ging nach dem Pont-Royal und nahm dort einen Fiaker. Nachdem ich das Essen bestellt hatte, gingen wir in den Garten, um einen kleinen Spaziergang zu machen. Nach einer kurzen Weile kamen in einem anderen Fiaker zwei Abenteurer, die ich kannte, und zwei Mädchen, die mit meinen Begleiterinnen befreundet waren. Die unglückselige Wirtin, die in der Tür stand, sagte uns: Wenn wir zusammen speisen wollten, würde sie uns eine ausgezeichnete Mahlzeit bereiten. Ich sagte nichts, oder vielmehr ich fügte mich in das Ja meiner beiden lockeren Mädchen. Wir aßen wirklich ausgezeichnet; nachdem ich bezahlt hatte, bemerkte ich in dem Augenblick, wo wir nach Paris zurückfahren wollten, daß ich einen Ring nicht hatte, den ich während des Essens vom Finger gezogen hatte, um ihn einem von den beiden Abenteurern, namens Santis, auf seinen Wunsch zu zeigen. Es war eine sehr hübsche Miniatur, deren Brillanteneinfassung mir fünfundzwanzig Louis gekostet hatte. Ich bat Santis sehr höflich, mir meinen Ring wiederzugeben; er antwortete mir sehr kaltblütig, er habe ihn mir zurückgegeben.

»Wenn Sie ihn mir zurückgegeben hätten,« versetzte ich, »so hätte ich ihn; ich habe ihn aber nicht.«

Er bestand auf seiner Behauptung; die Mädchen sagten nichts, aber der Freund des Santis, ein Portugiese namens Xavier, wagte mir zu sagen, er habe gesehen, wie er ihn mir zurückgegeben habe.

»Sie lügen!« rief ich; zugleich packte ich Santis an der Halsbinde und sagte ihm, er würde nicht herauskommen, bevor er mir meinen Ring zurückgegeben hätte. Da zu gleicher Zeit der Portugiese aufsprang, um seinem Freund zu Hilfe zu kommen, so trat ich einen Schritt zurück und wiederholte meine Drohung mit dem Degen in der Hand. Als die Wirtin dazu kam und ein großes Geschrei erhob, sagte Santis mir, wenn ich zwei Worte unter vier Augen anhören wollte, würde er mich überzeugen. Ich glaubte einfältigerweise, er schämte sich, mir meinen Ring in Gegenwart von all den Leuten zurückzugeben, werde ihn aber unter vier Augen mir zurückerstatten; ich steckte daher den Degen ein und rief ihm zu: »Gehen wir hinaus!«

Xavier stieg mit den vier Dämchen in den Fiaker und fuhr mit ihnen nach Paris zurück.

Santis folgte mir hinter das Schloß, dort fing er plötzlich an zu lachen und sagte, er habe, um einen Spaß zu machen, seinem Freunde meinen Ring in die Tasche gesteckt; aber er werde ihn mir in Paris wiedergeben.

»Das ist ein Märchen! Ihr Freund behauptet, gesehen zu haben, wie Sie ihn mir wiedergaben, und Sie haben ihn abfahren lassen. Halten Sie mich für so grün, mich von einem solchen Spaß anführen zu lassen? Sie sind alle beide Spitzbuben!«

Mit diesen Worten streckte ich die Hand aus, um seine Uhrkette zu ergreifen; er wich zurück und zog seinen Degen. Ich zog ebenfalls und hatte kaum ausgelegt, so machte er einen Ausfall und führte einen Stoß, den ich parierte; ich stürzte mich auf ihn und durchbohrte ihn durch und durch. Er fiel und schrie um Hilfe. Ich steckte meinen Degen wieder ein, ohne mich weiter um ihn zu bekümmern, ging nach meinem Fiaker und fuhr nach Paris zurück.

Auf der Placc Maubert stieg ich aus und ging zu Fuß auf einem Umwege nach meinem Gasthof. Ich war sicher, daß mich niemand in meiner Wohnung suchen würde, denn nicht einmal mein Wirt wußte meinen Namen.

Den Rest des Tages war ich damit beschäftigt, meine Koffer zu packen; nachdem ich Costa befohlen hatte, sie auf meinen Wagen zu schnallen, ging ich zu Frau von Urfé. Ich erzählte ihr mein Abenteuer und bat sie, die für mich bestimmten Sachen, sobald sie fertig wären, meinem Diener Costa zu übergeben, der mir nach Augsburg nachreisen würde. Ich hätte sie bitten sollen, mir alles durch einen ihrer Diener zu schicken; aber an jenem Tage hatte mein guter Geist mich verlassen, übrigens hielt ich Costa nicht für einen Dieb.

Ich kehrte hierauf in den Gasthof zum Heiligen Geist zurück und gab dem Schelm meine Instruktionen; ich legte ihm ans Herz, schnell zu reisen und verschwiegen zu sein; zugleich gab ich ihm das nötige Reisegeld.

Ich ließ meinen Wagen mit vier Lohnpferden bespannen, die mich nach der zweiten Poststation brachten; so reiste ich von Paris ab und ohne Aufenthalt weiter nach Straßburg, wo ich Desarmoises mit meinem Spanier fand.

Da ich in Straßburg nichts zu tun hatte, wollte ich sofort über den Rhein fahren, Desarmoises überredete mich jedoch, mit ihm nach dem Gasthof zum Heiligen Geist zu gehen und eine hübsche Dame zu besuchen, die ihre Abreise nach Augsburg nur in der Hoffnung, wir könnten zusammen reisen, so lange aufgeschoben habe.

»Sie kennen die Dame,« sagte der falsche Marquis; »aber ich habe ihr mein Ehrenwort geben müssen, Ihnen nicht ihren Namen zu nennen. Sie hat nur ihr Kammermädchen bei sich, und ich bin überzeugt, Sie werden sich freuen, sie zu sehen.«

Aus Neugier gab ich nach. Ich folgte Desarmoises und trat in ein Zimmer, wo ich eine hübsche Frau sah, die ich jedoch anfangs nicht erkannte. Bald aber kam mir eine Erinnerung, und ich sah, daß es eine Tänzerin war, die ich vor acht Jahren am Dresdener Theater reizend gefunden hatte. Sie gehörte damals dem Grafen Brühl, dem Oberhofstallmeister des Königs von Polen und Kurfürsten von Sachsen; ich hatte nicht einmal versucht, ihr den Hof zu machen. Da sie mit einer reichen Ausstattung versehen und bereit war sofort nach Augsburg abzureisen, so malte ich mir aus, daß diese Begegnung mir viel Vergnügen verschaffen müßte.

Nachdem wir in der üblichen Weise gegenseitig unsere Freude über das angenehme Zusammentreffen ausgesprochen hatten, vereinbarten wir, daß wir am nächsten Morgen zusammen nach Augsburg abreisen wollten. Die Schöne wollte nach München; da ich jedoch in dieser kleinen Hauptstadt nichts zu tun hatte, so setzten wir fest, daß sie von Augsburg an allein reisen sollte.

»Ich bin fest überzeugt,« sagte sie hierauf, »daß Sie sich selber entschließen werden, dorthin zu kommen; denn die Gesandten der Mächte, die den Kongreß halten sollen, werden erst im Laufe des Septembers sich nach Augsburg begeben.«

Wir aßen zusammen zu Abend. Am nächsten Morgen fuhren wir ab; sie in ihrem Wagen mit der Kammerfrau, ich in dem meinigen mit Desarmoises, während Leduc als Kurier vorausritt. In Rastatt aber änderten wir die Fahrordnung: die Renaud glaubte weniger Neugier zu erregen, wenn sie in meinen Wagen käme, als wenn sie in dem ihrigen bliebe, und Desarmoises nahm gern ihren Platz bei der Zofe ein. Bald waren wir miteinander bekannt. Sie weihte mich in ihre Angelegenheiten ein oder tat wenigstens so, und ich vertraute ihr alles an, was ich nicht für besser hielt, ihr zu verschweigen. Ich sagte ihr, ich hätte einen Auftrag vom Lissaboner Hof; sie glaubte mir, und ich glaubte ebenfalls, daß sie nur nach München und Augsburg gehe, um dort ihre Diamanten zu verkaufen.

Als das Gespräch auf Desarmoises kam, sagte sie mir, ich könne ihn recht gern in meiner Gesellschaft behalten, dürfe ihm jedoch nicht erlauben, sich den Titel Marquis beizulegen.

»Aber er ist ja der Sohn des Marquis Desarmoises von Nancy.«

»Er ist weiter nichts als ein früherer Kurier, dem das Ministerium des Auswärtigen eine ganz kleine Pension auszahlt. Ich kenne den Marquis Desarmoises, der in Nancy wohnt; er ist nicht so alt wie dieser.«

»Dann kann er allerdings schwerlich sein Vater sein.«

»Der Wirt vom Heiligen Geist hat ihn als Kurier gekannt.«

»Wie haben Sie ihn kennen gelernt?«

»Wir speisten zusammen an der Table d’hôte. Nach dem Essen suchte er mich in meinem Zimmer auf und sagte mir, er erwarte einen Herrn, der nach Augsburg reisen wolle, und wir könnten die Reise miteinander machen. Er nannte Ihren Namen, und nachdem ich ihm einige Fragen gestellt hatte, sah ich, daß nur Sie dieser Chevalier de Seingalt sein könnten. So haben wir uns also getroffen, und ich freue mich sehr darüber. Aber hören Sie – ich rate Ihnen, auf falsche Namen und Titel zu verzichten; warum lassen Sie sich Seingalt nennen?«

»Dies ist mein Name, meine Liebe; das schließt aber nicht aus, daß meine alten Bekannten mich auch Casanova nennen können; denn ich bin eines wie das andere. Das können Sie doch wohl begreifen.«

»Ja, ich begreife es. Ihre Mutter lebt in Prag, und da sie wegen des Krieges ihre Pension nicht ausgezahlt erhält, so glaube ich, daß es ihr vielleicht nicht zum besten geht.«

»Ich weiß es; aber ich vergesse nicht meine Pflichten als guter Sohn: ich habe ihr Geld geschickt.«

»Das freut mich. Wo werden Sie in Augsburg wohnen?«

»Ich werde ein Haus mieten, und wenn es Ihnen Spaß macht, werde ich Sie zur Herrin selber machen, und Sie werden die Wirtin spielen.«

»Das ist reizend, lieber Freund! Wir werden gute Soupers machen, und die Nächte hindurch werden wir spielen.«

»Der Plan ist köstlich.«

»Ich erbiete mich, Ihnen eine ausgezeichnete Köchin zu besorgen: die bayrischen Köchinnen sind mit Recht berühmt. Wir werden auf dem Kongreß eine gute Figur machen, und man wird sagen, wir seien bis über die Ohren ineinander verliebt.«

»Aber merke dir, liebes Herz, hinsichtlich der Treue verstehe ich keinen Spaß.«

»In diesem Punkte, mein Freund, verlassen Sie sich nur auf mich! Sie wissen doch, wie ich in Dresden lebte.«

»Ich werde mich darauf verlassen, aber nicht wie ein Blinder, das merke dir. Wir wollen aber doch auf gleichem Fuße miteinander verkehren; nenne mich darum du. Diese Anrede paßt besser für ein Liebespaar.«

»Schön! So umarme mich!«

Meine schöne Renaud reiste nicht gerne nachts; denn sie liebte reichlich zu Abend zu speisen und erst zu Bett zu gehen, wenn sie etwas benebelt war. Der Weinrausch machte aus ihr eine Bacchantin, die schwer zu befriedigen war; aber wenn ich nicht mehr konnte, bat ich sie, mich in Ruhe zu lassen, und sie mußte mir wohl oder übel gehorchen.

In Augsburg wollten wir im Gasthof Zu den drei Mohren absteigen; der Wirt sagte mir, er werde uns ein gutes Mittagessen auftragen lassen, könne mir jedoch keine Wohnung geben, weil der französische Gesandte das ganze Haus für sich bestellt habe. Ich beschloß, den Bankier Carli aufzusuchen, bei dem ich ein Guthaben hatte, und dieser besorgte mir sofort ein hübsches möbliertes Haus mit einem Garten; ich mietete es auf sechs Monate, und die Renaud fand es sehr nach ihrem Geschmack.

In Augsburg war noch kein Mensch. Da die Renaud nach München mußte, so überzeugte sie mich, ich würde mich während ihrer Abwesenheit langweilen, ich täte daher besser, sie zu begleiten. Wir stiegen im Gasthof Zum Hirsch ab, wo wir sehr gut untergebracht waren. Desarmoises wohnte in einem anderen Wirtshaus. Da ich andere Geschäfte vorhatte als meine neue Begleiterin, so gab ich ihr einen Wagen und einen Lohndiener für ihre eigene Person und nahm für mich ebenfalls Wagen und Diener.

Abbate Gama hatte mir einen Brief vom Kommandanten Almada an den englischen Gesandten beim Bayrischen Hofe, Lord Stormon, mitgegeben. Da der Herr in München war, beeilte ich mich, meinen Auftrag auszurichten. Er empfing mich sehr freundlich und versicherte mir, er würde, sobald es Zeit wäre, alles tun, was in seinen Kräften stünde; Lord Halifax hatte ihn von der ganzen Angelegenheit unterrichtet. Nachdem ich meinen Auftrag bei dem britischen Lord ausgerichtet hatte, machte ich dem französischen Gesandten Herrn de Folard meine Aufwartung und überreichte ihm einen Brief, den Herr de Choiseul mir durch Madame d’Urfé hatte zustellen lassen. Herr de Folard war überaus liebenswürdig; er lud mich für den nächsten Tag zum Mittagessen ein und stellte mich den Tag darauf dem Kurfürsten vor.

Während der verhängnisvollen vier Wochen, die ich in München verbrachte, war das Haus des französischen Gesandten das einzige, das ich besuchte. Ich nenne diese vier Wochen verhängnisvoll, und mit gutem Recht; denn während dieser Zeit verlor ich all mein Geld, versetzte für mehr als vierzigtausend Franken Schmucksachen, die ich niemals eingelöst habe, und verlor endlich – das war das Schlimmste – meine Gesundheit. Meine Mörder waren die Renaud und dieser Desarmoises, der mir so viel verdankte und es mir so übel lohnte.

Am dritten Tage nach meiner Ankunft in München mußte ich der Kurfürstin-Witwe von Sachsen einen Besuch machen. Mein Schwager, der zum Gefolge der Fürstin gehörte, forderte mich dazu auf, und er sagte mir, ich dürfe diesen Besuch nicht unterlassen, denn die Prinzessin kenne mich und habe sich außerdem bereits nach mir erkundigt. Ich erklärte mich infolgedessen bereit und hatte diesen Besuch nicht zu bereuen, denn die Kurfürstin nahm mich gut auf und ließ sich viel von mir erzählen; sie war neugierig wie alle müßigen Leute, die sich nicht selbst genügen, weil sie weder in ihrem Geist noch in ihrer Bildung hinlängliche Hilfsquellen finden.

Ich habe in meinem Leben viele Dummheiten gemacht; dies gestehe ich mit gleicher Aufrichtigkeit wie Rousseau, aber mit geringerer Eitelkeit als der unglückliche große Mann; ich habe aber wenig so große und törichte Dummheiten gemacht, als daß ich nach München ging, wo ich nichts zu tun hatte. Ich war in einer Krisis; es war eine Epoche, wo mein böser Geist mich seit meiner Abreise aus Turin, ja sogar seit meiner Abreise aus Neapel crescendo von Dummheit zu Dummheit trieb. Der nächtliche Sturz aus dem Wagen, die Abendgesellschaft bei Limore, die Verbindung mit Desarmoises, die Lustpartie nach Choisy, mein Vertrauen zu Costa, meine Verbindung mit der Renaud, und mehr als alles meine unbegreifbare Dummheit, mich auf das Pharaospiel einzulassen an einem Hofe, wo die Bankhalter für die geschicktesten Verbesserer des Glücks in ganz Europa galten – dies waren die Stufen meiner Dummheit. Dort in München befand sich unter anderen auch der berüchtigte, der niederträchtige Affliso, der Teilhaber des Herzogs Friedrich von Zweibrücken, den dieser Fürst mit dem Titel seines Adjutanten schmückte und den alle Welt als den geschicktesten Spitzbuben kannte, den man sich nur denken konnte.

Ich spielte alle Tage, und da ich oft auf Wort verlor, so verursachte die Verlegenheit, am nächsten Tage bezahlen zu müssen, mir bittere Sorgen. Als ich meinen Kredit bei den Bankiers erschöpft hatte, mußte ich mich an die Juden wenden, die nur auf Pfänder leihen; mein Vermittler war Desarmoises und mit ihm die Renaud, die schließlich alles in ihren Besitz brachte. Aber das war noch nicht der schändlichste Dienst, den sie mir erwies: sie teilte mir ein Leiden mit, das sie verzehrte, das aber seine Zerstörungen nur im Innern anrichtete und ihr Äußeres völlig unberührt ließ, das daher um so gefährlicher war, da ihre Frische vollkommenste Gesundheit zu zeigen schien. Diese Schlange, die aus der Hölle hervorgekrochen war, um mich zugrunde zu richten, hatte mich dermaßen bezaubert, daß ich einen Monat lang die Krankheit vernachlässigte, weil sie mich zu überzeugen wußte, sie würde entehrt sein, wenn ich während unseres Aufenthaltes in München einen Wundarzt in Anspruch nähme, da die ganze Hofclique wüßte, daß wir wie Mann und Frau zusammen lebten.

Wenn ich darüber nachdenke, begreife ich selber nicht meine unglaubliche Nachgiebigkeit, besonders nicht, da ich jeden Tag das Gift erneuerte, das sie meinen Adern eingeflößt hatte!

Mein Aufenthalt in München war für mich eine Art Verdammnis. Ich sah während dieses verhängnisvollen Monats alle Schrecknisse der Hölle vereint, um mir einen Vorgeschmack von den Qualen zu geben, die die Seelen der Verdammten leiden. Die Renaud liebte das Spiel, und Desarmoises hielt als ihr Partner die Bank. Ich weigerte mich stets, mich daran zu beteiligen, denn der falsche Marquis betrog ohne jede Rücksicht und oft mehr unverschämt als geschickt. Er lud schlechte Gesellschaft zu mir ein und bewirtete sie auf meine Kosten; an ihrem Spieltische kamen jeden Abend ärgerliche Auftritte vor. Die Kurfürstin-Witwe von Sachsen kränkte mich auf das empfindlichste bei Gelegenheit der beiden letzten Male, wo ich die Ehre hatte, mit ihr zu sprechen.

»Man weiß hier, mein Herr, wie Sie mit der Renaud leben,« sagte die Fürstin zu mir, »und welchen Lebenswandel sie bei Ihnen, vielleicht ohne Ihr Wissen, führt; dies schadet Ihnen sehr, und ich rate Ihnen, ein Ende damit zu machen.«

Sie wußte nicht, daß ich aus allen möglichen Gründen zum Dulden gezwungen war. Seit einem Monat war ich schon aus Paris fort und hatte keine einzige Nachricht weder von Frau von Urfé noch von Costa erhalten. Ich hatte den Grund nicht erraten, aber ich begann die Treue meines Italieners zu beargwöhnen. Auch befürchtete ich, meine gute Madame d’Urfé wäre gestorben oder vernünftig geworden, was für mich auf dasselbe hinausgekommen wäre; der Zustand, worin ich mich befand, machte es mir unmöglich, nach Paris zurückzufahren, um mich nach dem zu erkundigen, was ich so notwendig wissen mußte, um meine Lebensruhe wiederherzustellen und meine Börse wieder zu füllen.

Ich fand mich also in großer Not. Am meisten Kummer bereitete es mir, daß ich mir selber einen Beginn von Abspannung eingestehen mußte, die gewöhnlich mit dem herannahenden Alter verbunden ist; ich besaß nicht mehr jene sorglose Zuversicht, welche Jugend und Kraftbewußtsein verleihen; andererseits aber hatte mich die Erfahrung noch nicht reif genug gemacht, um mich zu bessern.

Ein Überrest der Gewohnheit, entschlossen zu handeln, veranlaßte mich jedoch, mich plötzlich von der Renaud zu verabschieden und ihr zu sagen, ich würde in Augsburg auf sie warten. Sie gab sich keine Mühe, mich zurückzuhalten, versprach mir jedoch, sobald wie möglich mir nachzukommen, da sie im Begriff stehe, ihre Edelsteine vorteilhaft zu verkaufen. Ich reiste mit Leduc ab und war froh, daß Desarmoises es für gut befand, bei der unwürdigen Kreatur zu bleiben, deren unglückliche Bekanntschaft ich ihm verdankte. In Augsburg angekommen, legte ich mich in meinem hübschen Hause ins Bett, das ich entschlossen war, nicht eher zu verlassen, als bis ich tot oder von dem mich verzehrenden Gift befreit wäre. Mein Bankier Carli, den ich bei mir vorzusprechen bat, empfahl mir einen gewissen Kefalides, einen Schüler des berühmten Fayet, der mich einige Jahre vorher von dem gleichen Leiden in Paris geheilt hatte. Dieser Doktor galt für den besten Chirurgen von Augsburg. Nachdem er mich untersucht hatte, versicherte er mir, er würde mich durch schweißtreibende Mittel heilen, ohne zu dem bösen Messer greifen zu müssen. Infolgedessen setzte er mich zunächst auf strengste Diät, verordnete mir Bäder und ließ mir Quecksilbereinreibungen machen. Ich fügte mich dieser Behandlung sechs Wochen lang. Statt aber geheilt zu sein, fühlte ich mich in einem schlimmeren Zustande als zu Anfang der Behandlung. Ich war von einer schreckenerregenden Magerkeit und hatte zwei Leistengeschwüre von entsetzlicher Größe. Ich mußte mich entschließen, sie öffnen zu lassen, aber diese sehr schmerzliche Operation, die mir beinahe das Leben gekostet hätte, half mir gar nichts. Kefalides schnitt aus Ungeschicklichkeit die Arterie an und verursachte dadurch eine Blutung, die nur mit großer Mühe gestillt werden konnte und die mir das Leben gekostet hätte, wenn sich nicht der bolognesische Arzt Algaldi, der Leibarzt des Fürstbischofs von Augsburg, meiner angenommen hätte.

Da ich von Kefalides nichts mehr wissen wollte, machte Doktor Algaldi in meiner Gegenwart neunzig Pillen aus achtzehn Gran Manna. Ich nahm jeden Morgen eine Pille, trank hierauf ein großes Glas verdünnter Milch; eine zweite Pille nahm ich abends und aß nachher eine Gerstensuppe. Dies war meine ganze Nahrung. Dieses heroische Heilmittel gab mir in zweieinhalb Monaten meine Gesundheit wieder. Ich verbrachte diese Zeit unter großen Leiden und gewann mein gutes Aussehen und meine Kräfte erst gegen Ende des Jahres wieder.

Während dieser Leidenszeit erfuhr ich die näheren Umstände von Costas Flucht. Er war mit den Diamanten, Uhren, Tabaksdosen nebst der Wäsche und den gestickten Kleidern verschwunden, die Frau von Urfé ihm in einem großen Koffer nebst hundert Louis Reisegeld gegeben hatte. Die gute Dame schickte mir einen Wechsel von fünfzigtausend Franken, den sie zum großen Glück nicht mehr Zeit gehabt hatte, dem Spitzbuben zu übergeben. Diese Summe kam mir sehr gelegen, denn ich war durch mein unvernünftiges Benehmen geradezu in eine gewisse Not geraten.

Zu gleicher Zeit hatte ich einen andern Kummer, der mir sehr zu Herzen ging: ich entdeckte, daß Leduc mich bestahl. Ich hätte ihm dies verziehen, wenn er mich nicht gezwungen hätte, die Sache in die Öffentlichkeit zu bringen, die ich nur vermeiden konnte, indem ich mich selber bloßgestellt hätte. Trotzdem behielt ich ihn, bis ich zu Beginn des nächsten Jahres zurückkehrte.

Als gegen Ende September feststand, daß der Kongreß nicht zusammentreten würde, reiste die Renaud mit Desarmoises über Augsburg nach Paris zurück; sie wagte nicht, mich zu besuchen, weil sie fürchtete, ich möchte sie zwingen, meine Sachen herauszugeben, deren sie sich ohne weiteres bemächtigt hatte. Ohne Zweifel nahm sie an, daß ich von dieser Spitzbüberei unterrichtet wäre. Vier oder fünf Jahre später heiratete sie in Paris einen gewissen Böhmer, jenen Juwelier, der dem Kardinal Rohan das berühmte Halsband gab, das er für die unglückliche Königin Marie Antoinette bestimmt glaubte. Sie war in Paris, als ich dorthin zurückkehrte, aber ich bemühte mich nicht, sie zu sehen; denn ich wollte, wenn es möglich war, alles vergessen. Ich mußte so handeln, denn von allem, was ich während dieses unglückseligen Jahres tat, fand ich am verächtlichsten meine traurige Aufführung und überhaupt mich selber. Den infamen Desarmoises hätte ich allerdings nicht genügend verachtet, um mir das Vergnügen zu versagen, ihm die Ohren abzuschneiden, wenn er mir Zeit gelassen hätte; aber der alte Schuft machte sich aus dem Staube – ohne Zweifel, weil er voraussah, wie ich ihn behandeln würde. Er ist kurze Zeit darauf in der Normandie im tiefsten Elend an der Schwindsucht gestorben.

Kaum war meine Gesundheit wiederhergestellt, so vergaß ich alles vergangene Unglück und fing wieder an, mich zu amüsieren. Meine ausgezeichnete Köchin, Anna Midel, die so lange Zeit müßig gegangen war, mußte sich an die Arbeit machen, um meinen gefräßigen Hunger zu befriedigen; drei Wochen lang verzehrte mich ein rasender Hunger, der übrigens meinem Temperament entsprach und notwendig war, um mir die frühere Gestalt wiederzugeben. Mein Wirt, der Kupferstecher, und seine hübsche Gertrud, die ich erst mit mir essen ließ, sahen mich mit einer Art von Erstaunen an und fürchteten böse Folgen meiner Unmäßigkeit. Mein lieber Doktor Algardi, der mir das Leben gerettet hatte, sagte mir eine Verdauungsstörung voraus, die mich ins Grab bringen würde; ich hörte nicht auf ihn und ich tat recht daran; denn durch das gute Essen gewann ich meine frühere Gesundheit wieder und fühlte mich bald imstande, dem Gotte, um dessenwillen ich so viel gelitten hatte, neue Opfer zu bringen.

Meine Köchin und Gertrud waren beide jung und hübsch. Ich verliebte mich in sie. Und da ich ihnen zugleich auch dankbar war, so machte ich ihnen meine Liebeserklärung gleichzeitig, denn ich hatte vorausgesehen, daß ich keine von ihnen besiegt haben würde, wenn ich sie einzeln angegriffen hätte. Außerdem wußte ich, daß ich nicht viel Zeit zu verlieren hatte; denn ich hatte mich der Frau von Urfé gegenüber verpflichtet, am Neujahrstag 1762 mit ihr in einer Wohnung zu speisen, die sie in der Rue du Bac für mich eingerichtet hatte. Sie hatte sie mit prachtvollen Gobelins geschmückt, die René von Savoyen hatte anfertigen lassen und auf denen alle Operationen des Großen Werkes dargestellt waren. Sie hatte mir geschrieben, sie sei in Choisy gewesen und habe dort erfahren, der Italiener Santis, den ich mit einem Degenstich durchbohrt hatte, sei von seiner Wunde genesen und später wegen Gaunerei in Bicètre eingesperrt worden.

Gertrud und Anna Midel beschäftigten mich angenehm während meines übrigen Aufenthaltes in Augsburg, aber sie fesselten mich nicht in dem Grade, daß ich ihretwegen die gute Gesellschaft vernachlässigt hätte. Ich verbrachte meine Abende auf sehr angenehme Weise beim Grafen Max von Lamberg, der dort als Oberhofmarschall des Fürstbischofs lebte. Seine Gemahlin, eine reizende Frau, besaß alle Eigenschaften, um eine gute und zahlreiche Gesellschaft anzuziehen. Ich machte bei dem Grafen die Bekanntschaft des Barons von Sellentin, der als preußischer Hauptmann in Augsburg wohnte, um Rekruten für seinen König zu werben. Besonders fesselte mich an dem Grafen Lamberg seine literarische Begabung. Er war ein Gelehrter ersten Ranges und besaß eine umfassende Bildung; er hat mehrere sehr geschätzte Werke veröffentlicht. Er hat mit mir einen brieflichen Verkehr unterhalten, der erst mit seinem Tode aufhörte, als er durch eigene Schuld vor vier Jahren 1792 starb. Ich sage: durch seine eigene Schuld; aber ich hätte eigentlich sagen sollen: durch Schuld seiner Ärzte, die eine Krankheit, woran Venus keinen Anteil hatte, mit Quecksilber behandelten; sie zogen ihm dadurch nur Verleumdungen nach seinem Tode zu.

Seine liebenswürdige Witwe lebt noch in Bayern, geliebt von ihren Freunden und von ihren Töchtern, die sie an ausgezeichnete Männer verheiratet hat.

Um jene Zeit kam eine armselige kleine italienische Komödiantentruppe in Augsburg an, und ich verschaffte meinen Landsleuten die Erlaubnis, uns in einem schlechten kleinen Theater Vorstellungen zu geben. Da ich bei dieser Gelegenheit eine kleine Geschichte erlebte, die mich ergötzte, weil ich der Held derselben war, so werde ich sie meinen Lesern berichten und hoffe, ihnen dadurch angenehm zu sein.

Sechzehntes Kapitel


Die Komödianten und die Komödie. – Bassi. – Die Straßburgerin. – Der weibliche Graf. – Meine Rückkehr nach Paris. – Ankunft in Metz. – Die hübsche Raton und die falsche Gräfin von Lascaris.

Eine häßliche Frau, die aber gewandt und redselig war, wie nur eine Italienerin, suchte mich auf und bat mich um meine Verwendung bei den Behörden, damit der Truppe, der sie angehöre, die Erlaubnis gegeben werde, Komödie zu spielen. Sie war häßlich, aber eine Italienerin und arm; ohne sie nach ihrem Namen zu fragen, ohne mich zu erkundigen, ob die Truppe etwas tauge, versprach ich ihr, mich für sie zu verwenden. Ich erlangte ohne Mühe die von ihr erbetene Gunst.

Als ich die erste Vorstellung besuchte, erkannte ich zu meiner Überraschung in dem ersten Helden einen Venetianer, mit dem ich vor zwanzig Jahren im Kollegium San Cipriano zusammen studiert hatte. Er hieß Bassi und hatte, wie ich, den Priesterstand aufgegeben. Sein Schicksal hatte es gefügt, daß er Schauspieler wurde und allem Anschein nach sich im Elend befand, wahrend ich, den der Zufall in eine abenteuerliche Laufbahn geschleudert hatte, wie ein reicher Mann aussah.

Neugierig, seine Abenteuer kennen zu lernen, und angezogen durch jenes Gefühl des Wohlwollens, das uns zu einem Jugendfreund, zumal einem Schulkameraden zieht, beschloß ich mich an seiner Überraschung zu weiden, wenn er mich wiedererkennen würde, und suchte ihn auf der Bühne auf, sobald der Vorhang gefallen war.

Er erkannte mich auf den ersten Blick, stieß einen Freudenschrei aus, umarmte mich und stellte mich seiner Frau vor – derselben, die mich in meiner Wohnung aufgesucht hatte – und seiner sehr hübschen Tochter, die etwa dreizehn bis vierzehn Jahre alt sein mochte und die ich mit Vergnügen hatte tanzen sehen. Dies war aber noch nicht alles: als er sah, daß ich zu ihm und seiner Familie freundlich war, wandte er sich zu seinen Kameraden, deren Direktor er war, und stellte mich ohne Umstände als seinen besten Freund vor. Als die guten Leute mich wie einen großen Mann gekleidet und mit einem Orden um den Hals geschmückt sahen, hielten sie diesen Freund ihres Direktors für einen berühmten kosmopolitanischen Scharlatan, den man in Augsburg erwartete. Bassi versuchte nicht, ihnen ihre Täuschung zu benehmen, und dies kam mir sonderbar vor.

Als die Truppe ihre Theaterkleider abgelegt und ihre Alltagslumpen angezogen hatte, hängte die häßliche Bassi sich an meinen Arm und zog mich mit sich fort, indem sie sagte, ich würde mit ihr soupieren gehen. Ich ließ mich von ihr führen, und wir kamen bald in eine Wohnung, die gerade so aussah, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Es war ein riesiges Zimmer im Erdgeschoß und diente gleichzeitig als Küche, Speisezimmer und Schlafsaal. Ein langer Tisch war zur Hälfte mit einem zerfetzten Laken bedeckt, das die Spuren einer monatlichen Benutzung trug, während am anderen Ende in einem schmutzigen Spülgefäß einige irdene Schüsseln abgewaschen wurden, die seit dem Mittagessen dastanden und zum Abendessen wieder benutzt werden sollten. Eine einzige Kerze, in den Hals einer zerbrochenen Flasche gesteckt, beleuchtete diese Höhle; da keine Lichtputzschere da war, ersetzte die häßliche Bassi diese sehr geschickt mit Daumen und Zeigefinger; die Schnuppe warf sie auf die Erde und wischte hierauf ohne Umstände ihre Finger am Tischtuch ab.

Einer von den Schauspielern war der Diener der Truppe; er trug einen langen Schnurrbart, weil er nur die Rollen von Mördern oder Straßenräubern spielte. Er trug eine riesige Schüssel mit aufgewärmtem Fleisch auf, das in einer großen Menge trüben Wassers schwamm, welches man mit dem Namen Sauce schmückte. Die hungrige Familie tunkte Brot hinein und riß das Fleisch mit den Fingern oder mit den Zähnen auseinander, denn Messer und Gabeln gab es nicht; da aber jeder den gleichen Anteil bekam, so hatte keiner das Recht, den Eklen zu spielen. Ein großer Krug Bier ging von Mund zu Mund. Aber in all diesem Elend sah ich nur fröhliche Gesichter, so daß ich mich fragen mußte: Was ist denn das Glück? Zum Schluß setzte der Tafelgenosse, der den Koch machte, eine zweite Schüssel mit gebratenem Schweinefleisch auf den Tisch. Alles wurde mit großem Appetit vertilgt. Bassi war so freundlich, mich von der Teilnahme an diesem leckeren Male zu entbinden, und ich war ihm dankbar dafür.

Nach diesem Kasernen-Festessen erzählte er mir in aller Kürze seine Abenteuer. Sie waren sehr gewöhnlicher Art, wie es die Erlebnisse eines armen Teufels zu sein pflegen. Unterdessen saß seine hübsche Tochter auf meinem Schoß und ermunterte mich nach besten Kräften, sie als Unschuldige zu behandeln. Bassi schloß seine Erzählung mit der Mitteilung, daß er nach Venedig gehe, wo er gewiß sei, während des Karnevals viel Geld zu verdienen. Ich wünschte ihm alles mögliche Glück, und als er mich fragte, welchen Beruf ich hätte, kam ich auf den Einfall, ihm zu antworten, ich sei Arzt.

»Dies Geschäft ist besser als das meinige,« sagt« er, »und ich bin glücklich, Ihnen ein bedeutendes Geschenk machen zu können.«

»Was ist das für ein Geschenk?«

»Das Rezept zum venetianischen Theriak, den Sie zu zwei Gulden das Pfund verkaufen können, während er Ihnen nur vier Groschen kostet.«

»Ihr Geschenk wird mir sehr angenehm sein. Aber sagen Sie mir, sind Sie mit Ihren Einnahmen zufrieden?«

»Für einen ersten Tag kann ich mich nicht beklagen; denn nach Deckung aller Kosten habe ich jedem Schauspieler einen Gulden geben können. Aber ich bin in großer Verlegenheit wegen der Aufführung für morgen; denn meine Truppe befindet sich im Zustande der Empörung und will nicht spielen, wenn ich nicht jedem einen Gulden vorausbezahle.«

»Dies Verlangen ist aber doch recht bescheiden.«

»Das weiß ich; aber ich besitze keinen Heller und habe nichts mehr zu versetzen; sonst würde ich auf ihr Verlangen eingehen, und hinterher würde ihnen ihr Benehmen leid tun, denn ich bin sicher, daß ich morgen mindestens fünfzig Gulden einnehmen werde.«

»Wie viele sind Sie?«

»Vierzehn, meine Familie eingerechnet. Können Sie mir zehn Gulden leihen? Ich werde sie Ihnen morgen nach der Vorstellung wiedergeben.«

»Gern. Aber ich möchte das Vergnügen haben, Ihnen allen im nächsten Wirtshause beim Theater ein Abendessen zu geben. Hier sind zehn Gulden.«

Der arme Teufel wußte gar nicht, wie er mir danken sollte, und übernahm es, das Abendessen zu einem Gulden für die Person zu bestellen, wie ich ihm gesagt hatte. Ich fühlte ein Bedürfnis, mich zu erheitern und über den Anblick zu lachen, wie vierzehn Hungrige ihren Riesenappetit befriedigten.

Am nächsten Tage fand die Vorstellung statt; da aber höchstens dreißig oder vierzig Zuschauer gekommen waren, hatte der arme Bassi kaum so viel, daß er die Musik und die Beleuchtung bezahlen konnte. Er war in Verzweiflung. Natürlich konnte er nicht bezahlen, sondern bat vielmehr, ich möchte ihm noch zehn Gulden leihen, immer auf die Hoffnung hin, daß der nächste Tag eine gute Einnahme bringen werde. Ich tröstete ihn, indem ich ihm sagte, darüber würden wir nach dem Essen sprechen; ich würde ihn mit seiner ganzen Truppe im Gasthof erwarten.

Ich ließ das Abendessen drei Stunden lang dauern, indem ich reichlich Markgräfler Wein einschenkte. Ich tat dies, weil eine junge Straßburgerin, die Soubrette der Truppe, mich auf den ersten Blick interessierte und in mir die Begierde erregte, sie zu besitzen. Das Mädchen hatte ein höchst anziehendes Gesicht und dazu eine köstliche Stimme; ich kam gar nicht aus dem Lachen heraus, wenn sie mit dem sonderbaren Elsässer Akzent italienisch sprach und dazu ihre anmutigen und komischen Gesten machte, die ihrem ganzen Wesen einen schwer zu beschreibenden Reiz gaben.

Ich beschloß, diese junge Schauspielerin gleich am nächsten Tage in meinen Besitz zu bringen, und sagte daher, bevor ich den Gasthof verließ, zur versammelten Truppe: »Meine Damen und Herren, ich nehme Sie für acht Tage, zu fünfzig Gulden täglich, in meinen Dienst, jedoch unter der Bedingung, daß Sie für meine Rechnung spielen und daß Sie die Kosten des Theaters tragen. Ich mache zur Bedingung, daß Sie die Preise der Plätze so ansetzen, wie ich es wünsche, und daß jeden Abend fünf Mitglieder der Truppe, die ich nach meinem Belieben bezeichnen werde, mit mir speisen. Wenn die Einnahme fünfzig Gulden übersteigt, so teilen Sie sich in den Überschuß.«

Mein Vorschlag wurde mit einem Freudengeschrei begrüßt, ich ließ Tinte, Feder und Papier kommen, und wir verpflichteten uns gegenseitig.

»Für morgen,« sagte ich zu Bassi, »lasse ich den Preis der Eintrittskarten so, wie er gestern und heute war; für übermorgen wollen wir einmal sehen. Zum Abendessen für morgen lade ich Sie nebst Ihrer Familie und der jungen Straßburgerin ein, die ich nicht von ihrem lieben Harlekin trennen will.«

Er kündigte für den nächsten Tag ein Stück an, das geeignet war, eine Menge Leute anzulocken; trotzdem waren im Parkett nur etwa zwanzig Leute niederen Standes, und die Logen blieben beinahe leer.

Beim Abendessen kam Bassi, der eine sehr hübsche Vorstellung gegeben hatte, ganz verwirrt auf mich zu und übergab mir zehn oder zwölf Gulden, Ich sagte ihm, er solle nur Mut haben, nahm das Geld und verteilte es unter die anwesenden Gäste. Wir bekamen ein gutes Abendessen, das ich ohne ihr Wissen bestellt hatte, und wir blieben bis Mitternacht bei Tisch. Ich gab ihnen einen guten Wein zu trinken und machte tausend Scherze mit der kleinen Bassi und der hübschen Straßburgerin, die zu meinen Seiten saßen. Ich kümmerte mich wenig um den eifersüchtigen Harlekin, der wegen der Freiheiten, die ich mir mit seiner Schönen herausnahm, böse Gesichter schnitt. Diese ließ sich meine Liebkosungen anscheinend nur ungern gefallen; denn sie hoffte, Harlekin würde sie heiraten, und wollte ihm deshalb keinen Anlaß zum Ärger geben.

Als wir mit dem Essen fertig waren, standen wir auf, und ich schloß sie lachend in meine Arme und erwies ihr einige Liebkosungen, die ihrem Liebhaber ohne Zweifel etwas zu weit gingen, denn er riß sie von mir fort. Diese Unduldsamkeit fand ich nun meinerseits ein wenig grob; ich packte ihn an den Schultern und warf ihn mit Fußtritten zur Tür hinaus, was er sich sehr demütig gefallen ließ. Hierdurch wurde jedoch die Geschichte sehr traurig, denn die schöne Straßburgerin weinte heiße Tränen. Bassi und sein häßliches Weib, die in ihrem Gewerbe abgehärtet waren, machten sich über die arme Weinende lustig, und die junge Bassi sagte zu ihr, ihr Liebhaber sei zuerst unhöflich gegen mich gewesen; aber sie schluchzte weiter und sagte mir schließlich, sie würde nicht mehr mit mir zu Abend essen, wenn ich nicht ein Mittel fände, ihren Liebhaber zu versöhnen.

»Ich verspreche Ihnen,« antwortete ich, »alles zur allgemeinen Zufriedenheit zu ordnen!« Dabei drückte ich ihr vier Zechinen in die Hand und stimmte sie dadurch so heiter, daß bald nicht mehr das kleinste Wölkchen zu sehen war. Sie wollte mich sogar überzeugen, daß sie nicht grausam sei und es noch weniger sein würde, wenn ich so gut wäre, auf Harlekins Eifersucht Rücksicht zu nehmen, Ich versprach ihr alles, was sie wollte, und sie tat ihr Bestes, um mich zu überzeugen, daß sie bei der ersten Gelegenheit vollkommen gefügig sein würde.

Ich befahl Bassi, auf dem Anschlagzettel für den nächsten Tag anzuzeigen, daß die Parkettplätze zwei Gulden und die Logenplätze einen Dukaten kosten, daß dagegen der Olymp für die, die zuerst kamen, gratis eröffnet sein würde.

»Wir werden keinen Menschen sehen!« sagte er entsetzt.

»Das ist möglich; aber wir wollen’s abwarten. Verlangen Sie von der Polizei zwölf Soldaten zur Aufrechterhaltung der Ordnung; ich werde sie bezahlen.«

»Die werden wir brauchen, um den Pöbel in Schranken zu halten, der die Gratisplätze stürmen wird; aber die übrigen Plätze …«

»Nochmals: wir wollen’s abwarten. Machen Sie es, wie ich es wünsche; ob wir Erfolg haben oder nicht, beim Abendessen werden wir lustig sein wie immer.«

Am nächsten Tage suchte ich Harlekin in seinem Dachkämmerchen auf; ich gab ihm zwei Louis und das feierliche Versprechen, seine Geliebte zu respektieren, und machte ihn dadurch geschmeidig wie einen Handschuh.

Über Bassis Theaterzettel lachte die ganze Stadt. Man sagte, er sei verrückt, als man aber erfuhr, die Spekulation gehe vom Unternehmer aus, und als der Unternehmer bekannt wurde, da wurde ich für verrückt erklärt. Aber was fragte ich danach! Am Abend war der Olymp schon eine Stunde vor Beginn der Vorstellung überfüllt, aber das Parkett war leer, und in den Logen saßen nur drei Personen: Graf Bamberg, der genuesische Abbate Bolo und ein junger Mann, den ich für eine verkleidete Frau hielt.

Die Schauspieler übertrafen sich selber, und der Beifall des Olymps machte die Vorstellung sehr lustig.

Im Gasthof bot Bassi mir die eingenommenen drei Dukaten an; natürlich schenkte ich sie ihm, was für ihn den Anfang zu einem gewissen Wohlstand bedeutete.

Bei Tisch setzte ich mich zwischen Mutter und Tochter Bassi und ließ meine schöne Straßburgerin neben ihrem Liebhaber sitzen. Ich sagte dem Direktor, er solle nur in gleicher Weise fortfahren, die Leute ruhig lachen lassen und immer seine besten Stücke aufführen.

Als das Abendessen und der Wein mich lustig gemacht hatten, ließ ich mich nach meiner Laune mit der jungen Bassi gehen, da ich mit der Straßburgerin wegen ihres Liebhabers nichts anfangen konnte. Die Bassi tat mit Vergnügen alles, was ich wollte; ihr Vater und ihre Mutter lachten nur darüber, während der dumme Harlekin wütend war, daß er es nicht mit seiner Dulzinea ebenso machen konnte. Als ich aber nach dem Essen die Kleine in ihren Naturzustand versetzte und mich selbst im Schmucke Adams zeigte, bevor er den verhängnisvollen Apfel gegessen hatte, da ging der Dummkopf auf die Tür zu, nahm die Straßburgerin am Arm und forderte sie auf, mitzukommen. Nun aber befahl ich ihm mit ernster und gebieterischer Stimme, vernünftig zu sein und dazubleiben. Er war darüber ganz verblüfft und begnügte sich damit, uns den Rücken zuzudrehen. Seine Schöne machte es jedoch nicht wie er: unter dem Vorwande die Kleine zu verteidigen, bei der ich schon ein bequemes Unterkommen gefunden hatte, stellte sie sich so geschickt, daß sie meinen Genuß vermehrte und sich selber einen so großen Genuß verschaffte, wie meine umherschweifende Hand ihr bereiten konnte.

Dieses Bacchanal setzte die alte Bassi in Feuer und Flammen; sie trieb ihren Mann an, ihr einen Beweis seiner ehelichen Zärtlichkeit zu geben, und er tat ihr den Willen, während der bescheidene Harlekin, der ans Feuer getreten war, den Kopf in seinen Händen hielt und unbeweglich dastand. Diese Stellung machte die Straßburgerin, die ganz in Feuer war, sich zunutze: sie gab der Natur nach, ließ mich machen, was ich wollte, und trat am Tischrand an die Stelle der kleinen Bassi, die ich soeben verlassen hatte. Ich vollführte das große Werk in der höchsten Vollendung, und ihr heftiges Drücken bewies mir, daß sie zum mindesten ebenso eifrig bei der Sache war wie ich.

Zum Schluß der Orgie leerte ich meine Börse auf den Tisch aus und weidete mich an der Gier, womit man sich in einige zwanzig Zechinen teilte.

Die Ermüdung infolge der Ausschweifung zu einer Zeit, wo ich meine Kräfte noch nicht vollständig wiedererlangt hatte, hatten mir einen langen Schlaf verschafft. In dem Augenblick, wo ich aufstand, erhielt ich eine Vorladung, im Rathause vor dem Bürgermeister zu erscheinen. Ich war überaus neugierig, zu erfahren, was man von mir wollte, zog mich daher schnell an und ging hin. Ich wußte, daß ich nichts zu befürchten hatte.

Als ich vor dem Bürgermeister erschien, redete er mich auf deutsch an; ich spielte jedoch den Tauben, und zwar aus guten Gründen: denn ich konnte kaum ein paar Worte, um das Allernotwendigste fordern zu können. Als er erfahren hatte, daß ich nicht deutsch verstand, sprach er zu mir lateinisch, kein ciceronianisches, sondern Gelehrtenlatein, wie man es überall auf den deutschen Universitäten zu finden pflegt.

»Warum,« fragte er mich, »tragen Sie einen falschen Namen?«

»Mein Name ist nicht falsch. Erkundigen Sie sich danach bei dem Bankier Carli, der mir fünfzigtausend Gulden ausgezahlt hat.«

»Das weiß ich, aber Sie heißen Casanova und nicht Seingalt; warum nahmen Sie diesen letzteren Namen an?«

»Ich nehme diesen Namen an, oder vielmehr ich habe ihn angenommen, weil er mir gehört. Er gehört mir vollkommen rechtmäßig, und wenn jemand wagen sollte, ihn zu führen, so würde ich mit allen Mitteln und auf jede Weise ihm dieses Recht bestreiten.«

»Ei, wieso gehört Ihnen denn dieser Name?«

»Weil er von mir selber stammt; dieses hindert indessen nicht, daß ich Casanova bin.«

»Mein Herr, Sie sind entweder der eine oder andere. Sie können nicht zwei Namen zu gleicher Zeit haben.«

»Die Spanier und die Portugiesen haben oft ein halbes Dutzend.«

»Sie sind aber weder Spanier noch Portugiese, sondern Italiener. Wie kann man sich überhaupt selber einen Namen machen?«

»Das ist das einfachste und das leichteste Ding von der Welt.«

»Erklären Sie mir das.«

»Das Alphabet ist jedermanns Eigentum; das ist unbestreitbar. Ich habe acht Buchstaben genommen und habe sie so zusammengesetzt, daß sie das Wort Seingalt ergeben. Dieses so gebildete Wort hat mir gefallen, und ich habe es als meinen Zunamen angenommen. Da ich die feste Überzeugung habe, daß niemand vor mir diesen Namen getragen hat, so hat niemand das Recht, ihn mir streitig zu machen, und noch weniger das Recht, ihn ohne meine Einwilligung zu führen.«

»Es ist ein sehr seltsamer Einfall; aber die Gründe, auf die Sie sich stützen, sind ziemlich gesucht; denn Ihr Name kann nur der Ihres Vaters sein.«

»Ich denke, Sie irren sich; denn Ihr eigener Name, den Sie ererbt haben, ist nicht von Ewigkeit her dagewesen; er hat von einem Ihrer Vorfahren gemacht werden müssen, der ihn nicht von seinem Vater empfangen hatte, selbst wenn Sie Adam heißen sollten. Geben Sie dies zu, Herr Bürgermeister?«

»Ich muß es zugeben; aber es ist etwas ganz Neues.«

»Auch da irren Sie sich wieder. Es ist durchaus nichts Neues, sondern im Gegenteil etwas sehr Altes; ich erbiete mich, Ihnen morgen eine ganze Litanei von Namen zu nennen, die sämtlich von sehr ehrenwerten Leuten erfunden wurden, die noch am Leben sind und sich in aller Ruhe dieses Besitzes erfreuen, ohne daß es einem Menschen einfällt, sie aufs Rathaus zu zitieren, um Rechenschaft darüber abzulegen. Voraussetzung ist natürlich, daß sie den Namen nicht nach ihrem Belieben wieder ablegen, denn dadurch würden sie die Gesellschaft schädigen.«

»Sie werden doch zugeben, daß es Gesetze gegen falsche Namen gibt?«

»Gewiß: gegen falsche Namen; aber ich wiederhole Ihnen: mein Name ist vollkommen echt. Der Ihrige, den ich achte, ohne ihn zu kennen, kann nicht echter sein als der meinige; denn möglicherweise sind Sie nicht der Sohn desjenigen, den Sie für Ihren Vater halten.

Er lächelte, stand auf und begleitete mich an die Tür, wo er mir sagte, er werde sich bei Herrn Carli nach mir erkundigen. Da ich ebenfalls zu diesem gehen mußte, so tat ich es sofort. Er lachte über die Geschichte und sagte mir, der Bürgermeister sei Katholik, ein braver und reicher Mann, aber ein bißchen dumm; im ganzen eine gute Haut, mit der man alles machen könnte.

Am nächsten Morgen bat Herr Carli mich um ein Frühstück und lud mich ein, mit ihm bei demselben Bürgermeister zu Mittag zu essen. »Ich habe ihn gestern gesehen,« sagte er, »und in einer langen Besprechung, die ich mit ihm hatte, habe ich seine Bedenken in bezug auf Namen so gründlich widerlegt, daß er jetzt vollkommen Ihrer Ansicht ist.«

Ich nahm die Einladung mit Vergnügen an; denn ich sah voraus, daß ich gute Gesellschaft finden würde. Ich täuschte mich nicht; es waren reizende Frauen und mehrere liebenswürdige Herren da. Unter anderen fand ich auch die verkleidete Dame, die ich in der Komödie gesehen hatte. Ich ließ es mir angelegen sein, sie während des Essens zu beobachten, und überzeugte mich bald, daß mein Urteil richtig gewesen war. Alle Anwesenden sprachen jedoch mit ihr, wie wenn sie ein Mann gewesen wäre, und sie führte ihre Rolle sehr gut durch. Ich war in heiterer Stimmung und wollte nicht für einen Dummkopf gelten; darum griff ich sie höflichst in schonendem Tone an, richtete nur galante Bemerkungen an sie, wie an eine Frau; in meinen Anspielungen und zweideutigen Bemerkungen drückte ich, wenn auch nicht die sichere Überzeugung von ihrem Geschlecht, so doch mehr als Zweifel aus. Sie tat, wie wenn sie nichts davon merkte und die Gesellschaft lachte verstohlen über meinen vermeintlichen Irrtum.

Als wir nach Tisch den Kaffee einnahmen, zeigte der angebliche Herr einem Kanonikus ein Porträt an einem Ringe, den er am Finger trug. Dieses Porträt stellte ein in der Gesellschaft anwesendes Fräulein dar und war sehr ähnlich, was nicht schwer war, da das Original häßlich war. Meine Überzeugung wurde hierdurch erschüttert, aber ich wurde nachdenklich, als ich sah, wie er ihr mit achtungsvoller Zärtlichkeit die Hand küßte; ich unterließ von nun an meine Scherze. Herr Carli benutzte einen günstigen Augenblick, um mir zu sagen, daß er trotz seinem weiblichen Aussehen ein Mann sei und im Begriff stehe, das Fräulein zu heiraten, dem er die Hand geküßt habe.

»Das kann sein,« antwortete ich; »aber ich kann es kaum begreifen.« Tatsächlich heiratete er sie jedoch während des Karnevals und erhielt eine glänzende Mitgift; aber nach einem Jahr starb das arme betrogene Mädchen vor Kummer, dessen Grund sie erst auf dem Totenbette angab. Ihre dummen Eltern schämten sich, daß sie sich auf so plumpe Weise hatten betrügen lassen, und wagten nichts zu sagen. Sie ließen das betrügerische Frauenzimmer verschwinden, das so vorsichtig gewesen war, die Mitgift zur rechten Zeit in Sicherheit zu bringen. Noch jetzt lacht die gute Stadt Augsburg über diese Geschichte, die bald bekannt wurde; sie verschaffte mir, allerdings ein bißchen zu spät, einen Ruf von großem Scharfsinn.

Ich genoß mein Leben mit meinen beiden Tischgenossinnen und mit der schönen Straßburgerin, die mir etwa hundert Louis kostete. Nach acht Tagen entließ ich Bassi aus seinem Vertrage, der ihm inzwischen einiges Geld eingebracht hatte. Er spielte weiter, indem er die Plätze wieder für den gewöhnlichen Preis hergab und den freien Eintritt zum Olymp wieder aufhob. Er machte ziemlich gute Geschäfte.

Gegen Mitte Dezember verließ ich Augsburg.

Ich war sehr traurig wegen der reizenden Gertrud, die sich für schwanger hielt, sich aber nicht entschließen konnte, mit mir nach Frankreich zu reisen. Ich hätte sie gerne mitgenommen, und ihr Vater wäre damit einverstanden gewesen; da er nicht daran dachte, ihr einen Mann zu verschaffen, hätte er sich gefreut, wenn er sie mir hätte zur Freundin geben und dadurch los werden können.

In fünf oder sechs Jahren später werden wir wieder von diesem guten Mädchen wie auch von der ausgezeichneten Köchin Anna Midel sprechen, der ich vierhundert Gulden schenkte. Sie verheiratete sich nach einiger Zeit, und als ich zum zweiten Male nach Augsburg kam, hatte ich den Schmerz, sie unglücklich zu finden.

Leduc, dem ich nicht hatte verzeihen können, reiste auf dem Kutscherbock; als wir in Paris waren, ließ ich ihn mitten in der Rue St. Antoine mit seinem Koffer absteigen und auf der Straße stehen, ohne ihm ein Zeugnis zu geben, so sehr er mich auch bat. Ich habe niemals wieder etwas von ihm gehört und bedaure seinen Verlust noch jetzt, denn er war ein ausgezeichneter Diener, obgleich er sehr große Fehler hatte. Vielleicht hätte ich mich der wichtigen Dienste erinnern sollen, die er mir in Stuttgart, Solothurn, Neapel, Florenz und Paris geleistet hatte; aber ich war entrüstet über die Frechheit, womit er mich vor dem Augsburger Magistrat bloßgestellt hatte. Ich wäre entehrt gewesen, wenn mein Geist mir nicht das Mittel eingegeben hätte, ihn eines Diebstahls zu überführen, dessen man sonst mich für schuldig gehalten hätte.

Ich hatte viel für ihn getan, indem ich ihn aus den Händen der Gerechtigkeit errettete; übrigens hatte ich ihn in freigebigster Weise jedesmal belohnt, so oft ich mich seiner Treue oder seines Gehorsams zu erfreuen gehabt hatte.

Von Augsburg reiste ich über Konstanz nach Basel, wo ich im teuersten Gasthof der Schweiz abstieg. Der Besitzer Imhoff war ein Schinder allerersten Ranges; ich fand jedoch seine Töchter liebenswürdig, und nachdem ich mich drei Tage amüsiert hatte, setzte ich meinen Weg fort. Am letzten Tage des Jahres 1761 kam ich in Paris an und stieg in der Rue du Bac in der Wohnung ab, die meine Vorsehung, Frau von Urfé, mit ausgesuchter Eleganz für mich hatte einrichten lassen.

In dieser hübschen Wohnung verbrachte ich volle drei Wochen, ohne irgendwohin zu gehen, um die gute Dame zu überzeugen, daß ich nur nach Paris zurückgekehrt wäre, um mein Wort einzulösen und ihre Wiedergeburt als Mann zu bewirken.

Wir machten während dieser drei Wochen die nötigen Vorbereitungen für die göttliche Operation. Diese bestand darin, jedem der Genien der sieben Planeten an den ihnen geweihten Tagen einen besonderen Kultus darzubringen. Nach diesen Vorbereitungen sollte ich an einem Ort, der mir durch Eingebung der Genien bekannt werden würde, eine Jungfrau, Tochter eines Adepten, abholen und diese durch ein Mittel, das nur den Rosenkreuzern bekannt wäre, mit einem Knaben befruchten. Dieser Sohn sollte lebend geboren werden, aber nur mit einer sensitiven Seele begabt sein. Frau von Urfé sollte ihn im Augenblick seiner Geburt in ihren Armen empfangen und ihn sieben Tage lang in ihrem eigenen Bett bei sich behalten. Nach Ablauf dieser sieben Tage sollte sie sterben und dabei ihren Mund auf den des Kindes gepreßt halten, das auf diese Weise ihre intelligente Seele empfangen würde.

Nach dieser Seelenvertauschung sollte mir die Aufgabe zufallen, das Kind mit dem mir bekannten Zaubermittel aufzuziehen; sobald das Kind das dritte Jahr erreicht hätte, sollte Frau von Urfé in ihm wieder zum Bewußtsein gelangen, und alsdann sollte ich beginnen, sie in die vollkommensten Kenntnisse der Großen Wissenschaft einzuweihen.

Die Operation sollte während des Vollmondes im April, Mai oder Juni stattfinden. Vor allen Dingen sollte Frau von Urfé ein Testament in aller Form machen, um das Kind, dessen Vormund ich bis zu seinem dreizehnten Jahre sein sollte, als Universalerben einzusetzen.

Die erhabene Wahnsinnige fand, die Operation sei von einer in die Augen springenden Wahrheit; sie brannte vor Ungeduld, die Jungfrau zu sehen, die das auserwählte Gefäß sein sollte, und bat mich dringend, meine Reise zu beschleunigen.

Indem ich mein Orakel in dieser Weise sprechen ließ, hatte ich gehofft, ihr einigen Widerwillen einzuflößen; denn schließlich mußte sie doch dabei sterben, und ich rechnete auf die natürliche Lebenslust, um die Sache in die Länge zu ziehen. Da ich jedoch fand, daß genau das Gegenteil der Fall war, so sah ich mich in die Notwendigkeit versetzt, ihr wenigstens dem Anschein nach Wort zu halten und die geheimnisvolle Jungfrau herbeizuschaffen.

Ich sah, daß ich eine Spitzbübin brauchte, die ich abrichten mußte, und ich warf meine Augen auf die Corticelli. Sie mußte seit neun Monaten in Prag sein, und ich hatte ihr in Bologna versprochen, sie vor Ablauf des Jahres zu besuchen. Aber ich kam aus Deutschland, von wo ich nicht allzu angenehme Erinnerungen mitgebracht hatte, und die Reise erschien mir zu lang für die Jahreszeit, besonders wegen einer so unbedeutenden Sache. Ich beschloß daher, mir die Mühe dieser Reise zu ersparen und sie nach Frankreich kommen zu lassen, indem ich ihr das nötige Reisegeld schickte und ihr den Ort bezeichnete, wo ich sie erwarten würde. Ein Freund der Frau von Urfé, Herr von Fouquet, war Intendant von Metz; ich war überzeugt, daß dieser hohe Herr mir einen ausgezeichneten Empfang bereiten würde, wenn ich mich ihm mit einem Briefe seiner Freundin vorstellte. Außerdem war sein Neffe, Graf von Lastic, den ich sehr gut kannte, dort bei seinem Regiment. Aus diesen Gründen wählte ich Metz, um dort die Jungfrau Corticelli zu erwarten, die wohl kaum erwartete, daß ich sie zu einer solchen Rolle bestimmte. Nachdem mir Frau von Urfé so viele Empfehlungen gegeben hatte, wie ich wünschte, verließ ich Paris am 25. Januar 1762, reich beladen mit Geschenken und mit starken Kreditbriefen versehen, von welchen ich keinen Gebrauch machte, weil meine Börse überreichlich gefüllt war.

Ich nahm keinen Bedienten, denn nach Costas Diebstahl und Leducs Gaunerei hatte ich das Gefühl, daß ich mich keinem mehr anvertrauen dürfte. In zwei Tagen gelangte ich nach Metz, wo ich in dem ausgezeichneten Gasthof Zum König Dagobert abstieg. Ich fand dort den schwedischen Grafen Löwenhaupt, den ich bei der in Paris lebenden Fürstin von Anhalt-Zerbst, der Mutter der Kaiserin von Rußland, kennen gelernt hatte. Er lud mich zum Abendessen mit dem Herzog von Zweibrücken ein, der allein und inkognito nach Paris reiste, um Ludwig dem Fünfzehnten, dessen treuer Freund er bis zu seinem Tode war, einen Besuch zu machen.

Am Tage nach meiner Ankunft gab ich meinen Brief beim Intendanten ab, der mich für alle Tage zum Mittagessen einlud. Herr von Lastic war nicht in Metz; dieses tat mir leid, denn er würde viel dazu beigetragen haben, meinen Aufenthalt in der schönen Stadt angenehm zu machen. Am selben Tage schickte ich fünzig Louis an die Corticelli und schrieb ihr, sie möchte mit ihrer Mutter zu mir kommen, sobald sie frei wäre, und sich von einem des Weges kundigen Mann begleiten lassen. Sie konnte Prag erst zu Beginn der Fastenzeit verlassen; um sicher zu sein, daß sie mich nicht im Stich lassen würde, versprach ich ihr in meinem Brief, ihr Glück zu machen.

In vier oder fünf Tagen war ich in der Stadt sehr gut bekannt, ich vermied jedoch Gesellschaften, um ins Theater zu gehen, wo eine Dame der komischen Oper mich gefesselt hatte. Sie hieß Raton und war fünfzehn Jahre alt, das heißt, nach der Mode der Bühnenkünstlerinnen, die stets mindestens zwei oder drei Jahre unterschlagen – eine Schwäche übrigens, die allen Frauen gemeinsam ist, und die man ihnen wohl vergeben muß, da für sie Jugend der höchste Vorzug ist. Raton war nicht eigentlich schön, aber sehr anziehend; besonders aber wurde sie deshalb begehrt, weil sie ihre Jungfernschaft zum Preise von fünfundzwanzig Louis ausgeboten hatte. Für einen Louis konnte man eine Nacht mit ihr zubringen, um den Versuch zu machen; die fünfundzwanzig sollten erst fällig sein, wenn es dem Neugierigen gelingen würde, das Werk zu vollbringen.

Es war stadtkundig, daß mehrere Offiziere und junge Parlamentsräte den Versuch erfolglos gemacht hatten; jeder hatte seinen Louis bezahlt.

Die Geschichte war zu pikant, als daß ich dem Wunsch hätte widerstehen können, einen Versuch zu machen. Ich ließ mich also sofort vormerken; da ich mich aber nicht anführen lassen wollte, traf ich meine Vorsichtsmaßregeln. Ich sagte der Schönen, sie solle zu mir zum Souper kommen; ich würde ihr fünfundzwanzig Louis geben, wenn ich vollständig glücklich wäre; im entgegengesetzten Fall jedoch sollte sie sechs Louis statt einen erhalten, vorausgesetzt, daß sie nicht versperrt wäre. Ihre Tante versicherte mir, diesen Mangel würde ich nicht an ihr finden. Ich erinnerte mich Victorinens.

Raton kam mit ihrer Tante, die uns nach Tisch verließ, um die Nacht in einer Nebenkammer zu verbringen. Das Mädchen war ein Meisterwerk vollendeter Formen, und mich berauschte der Gedanke, das liebliche, lachende Geschöpf ganz zu meiner Verfügung zu haben und für die Eroberung dieses, nicht goldenen, sondern ebenholzschwarzen Vlieses zu streiten, das die glänzendste Jugend von Metz vergeblich zu erringen sich bemüht hatte. Der Leser wird vielleicht denken, daß mich, der ich nicht mehr in der ersten Jugendkraft stand, die vergeblichen Bemühungen so vieler anderer hätten entmutigen sollen; aber ganz im Gegenteil: ich kannte mich und lachte nur darüber. Die Herren, die den Versuch unternommen hatten, waren Franzosen, die es besser verstanden, Festungen mit Sturm zu nehmen als die List einer jungen Spitzbübin zu vereiteln, die sich beiseite zu stehlen weiß. Als Italiener kannte ich das, und ich hatte meine Vorbereitungen getroffen, so daß ich nicht am Siege zweifelte.

Aber meine Vorbereitungen waren überflüssig, denn sobald Raton in meinen Armen lag und an der Art meines Angriffs merkte, daß ihre List wirkungslos war, kam sie meinen Wünschen entgegen, ohne den Betrug zu versuchen, der sie in den Augen unerfahrener Kämpfer als etwas erscheinen ließ, was sie nicht mehr war. Sie gab sich ehrlich hin, und als ich ihr Geheimhaltung versprach, erwiderte sie Glut mit Glut. Sie war nicht mehr bei ihrem ersten Probestück, und ich hätte folglich nicht mehr nötig gehabt, ihr die fünfundzwanzig Louis zu geben; aber ich war zufrieden, und da mir an der Erstlingsschaft wenig lag, so belohnte ich sie, wie wenn ich der erste gewesen wäre, der von dieser Traube naschte.

Ich behielt Raton bis zur Ankunft der Corticelli für einen Louis täglich bei mir, und sie mußte mir wohl treu bleiben, denn ich ließ sie nicht aus den Augen. Der Umgang mit diesem jungen Mädchen, das einen durchaus liebenswürdigen Charakter hatte, bekam mir so wohl, daß es mir sehr leid tat, meine Italienerin erwarten zu müssen, deren Ankunft man mir eines Tages in dem Augenblick meldete, als ich aus meiner Loge trat, um mich nach Hause zu begeben. Mein Lohndiener sagte mir laut, meine Frau Gemahlin mit meiner Tochter und einem Herrn sei soeben aus Frankfurt angekommen und erwarte mich im Gasthof.

»Dummkopf,« sagte ich zu ihm, »ich habe weder Frau noch Tochter.«

Trotzdem wußte am nächsten Tage ganz Metz, daß meine Familie angekommen sei.

Die Corticelli fiel mir nach ihrer Gewohnheit lachend um den Hals, und die Alte stellte mir den ehrenwerten Herrn vor, der sie von Prag nach Metz begleitet hatte. Es war ein Italiener, namens Monti, der seit langen Jahren in Prag wohnte, wo er italienischen Unterricht gab. Ich ließ Herrn Monti und der Alten eine anständige Wohnung geben, und dann führte ich den jungen Tollkopf auf mein Zimmer. Ich fand sie zu ihrem Vorteil verändert: sie war größer geworden, ihre Formen hatten sich mehr entwickelt, und ihre anmutigen Manieren machten vollends aus ihr ein sehr hübsches Mädchen.

Siebzehntes Kapitel


Ich kehre mit der zur Gräfin Lascaris gemachten Corticelli nach Paris zurück. – Mißlungene Geschlechtsverwandlung. – Aachen. – Zweikampf. – Mimi d’Ache. – Verrat der Corticelli, der jedoch auf sie selbst zurückfällt. – Reise nach Sulzbach.

»Und warum, du Närrin, hast du deiner Mutter erlaubt, sich für meine Frau auszugeben; glaubst du, dies sei für mich sehr schmeichelhaft? Sie hätte sich für deine Gesellschaftsdame ausgeben müssen, wenn sie dich für meine Tochter gelten lassen wollte.«

»Meine Mutter ist eigensinnig; sie würde sich lieber prügeln lassen als für meine Gesellschaftsdame gelten. Denn in ihrem beschränkten Verstande verwechselt sie die Bedeutung von Gesellschaftsdame und Kupplerin.«

»Das ist dumm und verrückt; aber ich werde sie mit Güte oder mit Gewalt zur Vernunft bringen. Du bist ja, wie ich sehe, gut ausgestattet; es ist dir also gut ergangen?«

»Ich hatte in Prag den Grafen N… gewonnen, und dieser war freigebig. Vor allem aber, lieber Freund, bitte ich dich, Herrn Monti nach Hause zu schicken. Der brave Mann hat seine Familie in Prag: er kann nicht lange hier bleiben.«

»Du hast recht, ich werde ihn sofort heimschicken.«

Der Postwagen fuhr am selben Abend nach Frankfurt ab; ich ließ Monti rufen, dankte ihm für seine Gefälligkeit und belohnte ihn reichlich; er reiste sehr zufrieden ab.

Da ich in Metz nichts mehr zu tun hatte, verabschiedete ich mich von meinen neugewonnenen Bekannten. Die zweite Nacht schlief ich in Nancy und schrieb von dort aus an Frau von Urfé, ich käme mit meiner Jungfrau, dem letzten Sproß der Familie Lascaris, die in Konstantinopel regiert hätte. Ich bat sie, das junge Mädchen aus meinen Händen in einem Landhause zu empfangen, das ihrer Familie gehörte, und wo wir notwendigerweise einige Tage bleiben müßten, um uns mit etlichen kabbalistischen Zeremonien zu beschäftigen.

Sie antwortete mir, sie erwarte mich in Pont-Carré, einem alten Schloß, vier Stunden von Paris, und werde dort die junge Prinzessin mit aller Freundschaft empfangen, die sie nur wünschen könne.

»Ich schulde ihr dies um so mehr,« schrieb die großartige Närrin, »da die Familie Lascaris mit der Familie Urfé verschwägert ist, und da ich aus der Frucht wiedererstehen soll, die dem Schoße dieser glücklichen Jungfrau entsprießen wird.«

Ich fühlte, daß ich ihre Begeisterung zwar nicht abkühlen, wohl aber in Zaum halten konnte und von Ausbrüchen abhalten mußte. Ich schrieb ihr daher sofort über dieses Kapitel und setzte ihr auseinander, warum sie sich damit begnügen müsse, das Mädchen als Gräfin zu behandeln. Zum Schluß meldete ich ihr, wir würden mit der Gesellschaftsdame der jungen Lascaris am Montag der Karwoche eintreffen.

Ich verbrachte in Nancy ein Dutzend Tage damit, meinem jungen Tollkopf Instruktionen zu geben und ihre Mutter davon zu überzeugen, daß sie sich damit begnügen müßte, die bescheidene Dienerin der Gräfin Lascaris zu sein. Dies gelang mir mit großer Mühe; ich mußte ihr nicht nur vorstellen, daß ihr Glück von ihrem unbedingten Gehorsam abhänge, sondern ich mußte ihr sogar drohen, sie allein nach Bologna zurückzuschicken. Ich habe meine Hartnäckigkeit tief bereut. Der Eigensinn der alten Frau war eine Eingebung meines guten Geistes, der mir den schwersten Fehler ersparen wollte, den ich je in meinem Leben begangen habe!

Am verabredeten Tage kamen wir in Pont-Carré an. Frau von Urfé, der ich die Stunde unserer Ankunft angezeigt hatte, ließ die Zugbrücke des Schlosses herunter und stand über dem Tor inmitten aller ihrer Leute, wie ein General, der uns die Festung mit allen Kriegsehren hätte übergeben wollen. Die liebe Dame, die nur darum verrückt war, weil sie zu viel Geist hatte, empfing die falsche Prinzessin so ausgezeichnet, daß diese sehr erstaunt darüber gewesen wäre, hätte ich sie nicht vorsichtigerweise darauf vorbereitet. Sie drückte sie mit überströmender mütterlicher Zärtlichkeit dreimal in ihre Arme, nannte sie ihre herzlich geliebte Nichte und erzählte ihr die ganze Genealogie der Häuser Urfé und Lascaris, um ihr nachzuweisen, inwiefern sie ihre Tante wäre. Es überraschte mich sehr angenehm, daß die ausgelassene Italienerin ihr mit einer Miene herablassender Würde zuhörte und nicht einen Augenblick lachte, obgleich ihr diese Komödie sehr lächerlich erscheinen mußte.

Sobald wir das Haus betreten hatten, brachte die Fee geheimnisvolle Rauchopfer; sie beräucherte die Neuangekommene, die diese Ehre mit der ganzen Bescheidenheit einer Operngöttin hinnahm und sich hierauf in die Arme der Priesterin stürzte, die sie mit der größten Begeisterung empfing.

Bei Tisch war die Gräfin lustig, anmutig und unterhaltsam; dies gewann ihr die Liebe von Frau von Urfé, die durchaus nicht erstaunt war, daß sie nur gebrochen französisch sprach. Dame Laura, die nur italienisch verstand, kam gar nicht in Betracht. Man gab ihr ein gutes Zimmer; sie aß dort und verließ es nur, um in die Messe zu gehen.

Schloß Pont-Carré war eine Art Festung, die zur Zeit der Bürgerkriege mehrere Belagerungen bestanden hatte. Das Schloß war viereckig, wie schon sein Name besagt; an den vier Ecken befanden sich zinnengekrönte Türme, und es war von einem breiten Graben umgeben. Die Gemächer waren groß und reich, aber altertümlich möbliert. Die Luft wurde von giftigen Mücken verpestet, die uns beinahe aufaßen und uns sehr schmerzhafte Beulen im Gesicht verursachten; ich hatte mich jedoch verpflichtet, acht Tage dort zu verbringen, und es wäre für mich sehr schwer gewesen, einen Vorwand zu finden, um diese Zeit abzukürzen. Die Schloßherrin ließ neben ihrem Bett ein zweites für ihre Nichte aufschlagen; ich hatte jedoch nicht zu befürchten, daß sie versuchen würde, sich von ihrer Jungfernschaft zu überzeugen, denn das Orakel hatte ihr dies verboten, mit der Drohung, daß dadurch die Operation, die wir auf den vierzehnten Tag des Aprilmondes angesetzt hatten, wirkungslos bleiben würde.

An jenem Tag nahmen wir ein einfaches Abendessen ein, worauf ich mich zu Bett legte. Eine Viertelstunde darauf fühlte Frau von Urfé mir die Jungfrau Lascaris zu. Sie entkleidete sie, parfümierte sie und legte ihr einen herrlichen Schleier an. Nachdem sie sie an meine Seite gelegt hatte, blieb sie; denn sie wollte bei der Operation anwesend sein, deren Ergebnis neun Monate später ihre Wiedergeburt sein sollte.

Der Akt wurde in aller Form vollzogen; als dies geschehen war, ließ die Schloßherrin uns für die Nacht allein, die wir aufs beste anwendeten. Hierauf schlief die Gräfin bis zum letzten Tage des Mondes bei ihrer Tante. An diesem Tage mußte ich das Orakel befragen, um zu erfahren, ob die junge Lascaris nach meiner Operation, empfangen habe. Dies konnte wohl sein, denn es war nichts versäumt worden, um dieses Ziel zu erreichen; ich hielt es jedoch für vorsichtiger, ihr antworten zu lassen, die Operation sei mißlungen, weil der kleine d’Aranda hinter einem Bettschirm alles gesehen habe. Frau von Urfé war in Verzweiflung darüber; ich tröstete sie jedoch durch eine zweite Antwort, worin das Orakel ihr sagte, was im Aprilmonat in Frankreich nicht gelungen sei, könne wohl im Maimonat außerhalb des Königreichs gelingen; sie müsse jedoch den neugierigen Knaben, dessen Einfluß so verhängnisvoll gewesen sei, mindestens auf ein Jahr hundert Meilen von Paris fortschaffen. Das Orakel gab zugleich an, wie d’Aranda reisen sollte: er müßte einen Hofmeister, einen Bedienten und eine gute Ausstattung haben.

Das Orakel hatte gesprochen, mehr war nicht nötig. Frau von Urfé dachte sofort an einen Abbé, den sie liebte, und der junge d’Aranda wurde mit dringenden Empfehlungen an ihren Verwandten Herrn von Rochebaron nach Lyon geschickt. Der Jüngling war hocherfreut, daß er auf Reisen gehen solle, und hat niemals die geringste Ahnung von der kleinen Verleumdung gehabt, die ich mir erlaubte, um ihn zu entfernen. Daß ich so handelte, geschah nicht aus reiner Laune. Ich hatte auf das deutlichste bemerkt, daß die Corticelli in ihn verliebt war und daß ihre Mutter das Verhältnis begünstigte. Ich hatte sie zweimal auf ihrem Zimmer mit dem jungen Mann überrascht, der sich aus ihr nicht mehr machte, als ein heranwachsender Jüngling sich überhaupt aus Mädchen macht. Da ich die Absichten meiner Italienerin nicht billigte, so ärgerte Signora Laura sich, daß ich mich der Neigung ihrer Tochter widersetzte.

Die Hauptsache war nun, den Ort im Auslande zu bestimmen, wohin wir uns begeben sollten, um die geheimnisvolle Operation zu erneuern. Wir entschieden uns für Aachen, und in fünf oder sechs Tagen war alles zu unserer Reise bereitet.

Die Corticelli war böse auf mich, daß ich ihr den Gegenstand ihrer Liebe entrissen hatte. Sie machte mir heftige Vorwürfe darüber und begann sich ungezogen gegen mich zu benehmen; sie verstieg sich sogar zu Drohungen, falls ich den hübschen Jungen, wie sie ihn nannte, nicht zurückkommen ließe.

»Es kommt Ihnen nicht zu, eifersüchtig zu sein,« sagte sie zu mir, »ich bin meine eigene Herrin.«

»Zugegeben, meine Schöne; aber in der Lage, in die ich dich versetzt habe, kommt es mir zu, dich davon abzuhalten, daß du dich wie eine Prostituierte beträgst.«

Die Mutter wurde wütend und sagte nur, sie wolle mit ihrer Tochter nach Bologna zurückkehren; um sie zu beruhigen, versprach ich ihr, ich würde sie nach unserer Aachener Reise selber hinbringen.

Trotz dieser scheinbaren Aussöhnung war ich nicht ruhig; ich befürchtete Scherereien und beschleunigte daher meine Abreise. Im Mai fuhren wir ab. In einer Berline saß ich mit Frau von Urfé, der falschen Lascaris und einem Kammermädchen namens Brognole. Ein zweisitziges Kabriolett folgte; in ihm fuhren Signora Laura und eine Kammerzofe. Zwei Bediente in großer Livree saßen auf dem Bock der Berline. Wir ruhten uns einen Tag in Brüssel aus und einen zweiten in Lüttich. In Aachen fanden wir eine große Menge sehr vornehmer Fremde, und auf dem ersten Ball stellte Frau von Urfé meine Lascaris zwei mecklenburgischen Prinzessinen als ihre Nichte vor. Die falsche Gräfin empfing ihre Freundlichkeiten mit bescheidener Anmut; sie erregte die besondere Aufmerksamkeit des Markgrafen von Bayreuth und seiner Tochter, der Herzogin von Württemberg, die sie völlig in Beschlag nahmen und sie erst am Ende des Balles wieder freigaben. Ich stand wie auf Dornen, denn ich hatte Angst, meine Heldin möchte sich durch irgendeinen Kulissenstreich verraten. Sie tanzte mit einer Anmut, die ihr die Aufmerksamkeit und den Beifall der ganzen Gesellschafft verschaffte. Man machte mir Komplimente darüber. Ich litt Höllenqualen, denn diese Komplimente kamen mir boshaft vor; ich glaubte, jeder hätte in der Gräfin die verkleidete Operntänzerin erraten, und ich hielt mich für entehrt. Als ich einen Augenblick Gelegenheit hatte, mit dem ausgelassenen Mädchen unter vier Augen zu sprechen, beschwor ich sie, wie ein Fräulein von Stande und nicht wie eine Ballettfigurantin zu tanzen; sie aber war stolz auf ihre Erfolge und wagte mir zu antworten, ein Fräulein von Stande könne recht wohl wie eine Tänzerin tanzen; sie würde niemals sich dazu herbeilassen, mir zuliebe schlecht zu tanzen. Dieses Benehmen machte mir die Schamlose so zum Ekel, daß ich mich ihrer sofort entledigt haben würde, hätte ich nur gewußt, wie ich es anfangen sollte. Innerlich gelobte ich ihr jedoch, aufgeschoben sollte nicht aufgehoben sein. Mag es ein Laster oder eine Tugend sein – die Rache erlischt in meinem Herzen erst, wenn sie befriedigt ist.

Am Tage nach diesem Ball schenkte Frau von Urfé ihr ein Schmuckkästchen mit einer sehr schönen brillantenbesetzten Uhr, ein paar Ohrringen mit Diamanten und einen Ring, dessen Kasten eine fünfzehnkarätige Diamantrose trug. Das Ganze hatte einen Wert von sechzigtausend Franken. Ich nahm den Schmuck an mich, damit sie nicht auf den Einfall käme, ohne meine Einwilligung abzureisen.

Um mir die Langeweile zu vertreiben, spielte ich; ich verlor mein Geld und machte schlechte Bekanntschaften. Die schlechteste von allen aber war die eines jungen Offiziers d’Aché, der eine hübsche Frau und noch hübschere Tochter hatte. Diese Tochter bemächtigte sich bald des Platzes, den die Corticelli bereits nur noch sehr oberflächlich in meinem Herzen eingenommen hatte; sobald jedoch Frau von Aché bemerkte, daß ich ihre Tochter ihr vorzog, nahm sie meine Besuche nicht mehr an.

Ich hatte d’Aché zehn Louis geliehen und glaubte mich daher bei ihm über das Benehmen seiner Frau beklagen zu dürfen; er antwortete mir jedoch in scharfem Ton: da ich nur wegen der Tochter in seine Wohnung komme, so habe seine Frau recht. Seine Tochter könne Anspruch darauf machen, einen Gatten zu finden, und wenn ich gute Absichten habe, brauche ich mich nur ihrer Mutter zu erklären. An diesen Worten war allerdings weiter nichts beleidigend als der Ton, aber ich fühlte mich durch diesen wirklich verletzt; da ich jedoch den Mann als einen rohen Grobian und Trunkenbold kannte, der stets bereit war, um ein Ja oder Nein die Klinge zu kreuzen, so entschloß ich mich, zu schweigen und die Tochter zu vergessen; denn ich wollte mich nicht mit einem solchen Menschen bloßstellen.

Ich war von meiner Phantasie für die Tochter einigermaßen geheilt, als ich vier Tage nach diesem Gespräch einen Billardsaal betrat, wo d’Aché mit einem Schweizer Offizier in schwedischen Diensten, namens Schmitt, spielte. Als d’Aché mich erblickte, fragte er mich, ob ich um die zehn Louis wetten wolle, die er mir schuldig sei. Da die Partie gerade begann, so antwortete ich ihm: »Topp! Also zwanzig oder nichts!«

Als gegen Ende der Partie d’Aché sich im Nachteil sah, machte er einen so offenbar unredlichen Stoß, daß der Billardkellner es ihm sagte; d’Aché aber, der durch diesen Stoß gewonnen hatte, bemächtigte sich des Goldes, das im Beutel lag, und steckte es in die Tasche, ohne auf die Bemerkungen des Kellners und seines Gegners zu achten. Als dieser sich angeführt sah, versetzte er dem Gauner mit dem Queue einen Schlag übers Gesicht. D’Aché hatte den Schlag gemildert, indem er ihn zum Teil mit dem Arm parierte, er zog den Degen und stürzte sich auf Schmitt, der waffenlos war. Der Kellner, ein kräftiger junger Mensch, packte d’Aché um den Leib und verhinderte den Mord. Der Schweizer ging hinaus und sagte: »Auf Wiedersehen.«

Der Spitzbube war inzwischen ruhig geworden, er sah mich an und sagte: »Wir sind also quitt.«

»Sehr quitt.«

»Das ist alles ganz schön, aber zum Teufel nochmal, Sie waren in der Lage, mir eine Beschimpfung zu ersparen, die mich entehrt.«

»Ich hätte das gekonnt, aber mich zwang nichts dazu, übrigens müssen Sie Ihre Rechte kennen. Schmitt hatte seinen Degen nicht bei sich; aber ich halte ihn für einen beherzten Mann, und er wird Ihnen Genugtuung geben, wenn Sie Mut genug haben, ihm sein Geld wiederzugeben, da Sie nun doch mal verloren haben.«

Ein Offizier, namens de Pyène, nahm mich auf die Seite und sagte mir, er würde mir selber die zwanzig Louis bezahlen, die d’Aché in die Tasche gesteckt hätte; aber Schmitt müßte ihm mit dem Degen in der Hand Genugtuung geben. Ich versprach ihm ohne Zaudern, daß der Schweizer diese Pflicht erfüllen würde, und erbot mich, ihm am nächsten Tage eine bejahende Antwort nach derselben Stelle zu überbringen.

Ich konnte nicht daran zweifeln, daß Schmitt mich nicht Lügen strafen würde: ein Ehrenmann, der eine Waffe trägt, muß stets bereit sein, sich ihrer zu bedienen, um eine Beleidigung zurückzuweisen, die seine Ehre verletzt, oder um für eine Beleidigung, die er etwa zugefügt hat, Genugtuung zu geben. Ich weiß, dies ist ein Vorurteil, das man, vielleicht mit Recht, barbarisch nennt. Aber es gibt gesellschaftliche Vorurteile, denen ein Mann von Ehre sich nicht entziehen kann, und ich hielt Schmitt für einen tadellosen Mann.

Bei Tagesanbruch begab ich mich zu ihm; er lag noch im Bett und sagte, sobald er mich sah: »Ich bin überzeugt, Sie wollen mich einladen, mich mit d’Aché zu schlagen. Ich bin gern bereit, einen Schuß loszuknallen, wenn ihm das Vergnügen macht, aber nur unter der Bedingung, daß er mir die zwanzig Louis bezahlt, die er mir gestohlen hat.«

»Sie bekommen sie morgen früh; ich werde Ihnen zur Seite stehen. D’Achés Sekundant wirb Herr von Pyène sein.«

»Abgemacht. Ich werde Sie mit Tagesanbruch hier erwarten.«

Zwei Stunden später kam ich mit Pyène zusammen, und wir verabredeten, daß das Zusammentreffen am nächsten Morgen sechs Uhr mit zwei Pistolen stattfinden sollte. Als Ort wählten wir einen Garten, der eine halbe Stunde von der Stadt lag.

Mit Tagesanbruch fand ich meinen Schweizer vor der Tür seiner Wohnung; er summte den Kuhreigen, der seinen Landsleuten so teuer ist. Dies schien mir ein gutes Vorzeichen zu sein.

»Da sind Sie ja! Gehen wir.«

Unterwegs sagte er: »Ich habe mich stets nur mit anständigen Leuten geschlagen, und es kommt mir hart an, daß ich einen Spitzbuben töten soll; das wäre ein Henkersgeschäft.«

»Ich begreife,« erwiderte ich, »daß es sehr unangenehm ist, sein Leben gegen solche Leute zu wagen.«

»Ich wage nichts dabei,« sagte Schmitt lachend; »denn ich bin sicher, daß ich ihn töten werde.«

»Sicher? Warum?«

»Vollkommen sicher; denn ich werde ihm Angst machen.«

Er hatte recht. Dieses Mittel ist unfehlbar, wenn man sich desselben zu bedienen weiß und wenn man es mit einem Feigling zu tun hat. Wir fanden d’Aché und Pyène bereits an Ort und Stelle und sahen außerdem fünf oder sechs Leute da, die nur aus Neugier gekommen sein konnten.

D’Aché zog zwanzig Louis aus seiner Tasche, gab sie seinem Gegner und sagte ihm: »Ich kann mich getäuscht haben; aber ich werde Sie Ihre Roheit teuer bezahlen lassen.« Hierauf wandte er sich zu mir und sagte: »Ich schulde Ihnen zwanzig Louis.«

Ich antwortete ihm nicht.

Schmitt steckte mit dem ruhigsten Gesicht und ohne dem Prahlhans ein Wort zu erwidern, das Gold in seine Börse, stellte sich zwischen zwei Bäume, die etwa vier Schritte weit voneinander entfernt waren, zog zwei Mensurpistolen aus der Tasche und sagte zu d’Aché: »Sie können sich in einer Entfernung von zehn Schritten aufstellen und zuerst schießen. Die Entfernung zwischen diesen zwei Bäumen bestimme ich zu meinem Spaziergang. Sie können, wenn Sie Lust haben, ebenfalls hin und hergehen, wenn ich an der Reihe bin, zu schießen.«

Man konnte sich nicht deutlicher und ruhiger ausdrücken.

»Aber,« sagte ich, »es müßte doch erst entschieden werden, wer den ersten Schuß haben soll.«

»Das ist überflüssig,« sagte Schmitt, »ich schieße niemals zuerst; übrigens hat der Herr ein Recht auf den ersten Schuß.«

De Pyène wies seinem Freund einen Platz in der angegebenen Entfernung an und trat dann mit mir zur Seite. D’Aché schoß auf seinen Gegner, der langsam hin- und herging, ohne ihn anzusehen. Schmitt drehte sich mit der größten Kaltblütigkeit um und sagte zu ihm: »Sie haben mich gefehlt, mein Herr; ich war dessen sicher; schießen Sie noch einmal.«

Ich glaubte, er wäre verrückt geworden, und dachte, es würde zu Vergleichsverhandlungen kommen. Aber nein: d’Aché machte von der Erlaubnis Gebrauch und feuerte seinen zweiten Schuß ab, fehlte aber zum zweitenmal seinen Gegner. Dieser sagte kein Wort, feuerte mit fester und entschlossener Miene seinen ersten Schuß in die Luft ab, schlug dann die zweite Pistole auf d’Aché an und traf ihn mitten vor die Stirn, so daß er tot zu Boden stürzte. Schmitt steckte seine Pistolen wieder in die Tasche und entfernte sich sofort allein, wie wenn er seinen Spaziergang fortsetzte. Zwei Minuten später ging ich ebenfalls, als ich mich überzeugt hatte, daß der unglückliche d’Aché leblos war.

Ich war starr vor Erstaunen; ein derartiger Zweikampf kam mir wie ein Traum vor, mehr wie ein Vorkommnis eines Romans als wie eine wirkliche Begebenheit. Es blieb mir völlig unbegreiflich; ich hatte auf Schmitts unbeweglichem Gesicht nicht die geringste Veränderung des Ausdrucks bemerkt.

Ich ging zum Frühstück zu Frau von Urfé, die ich untröstlich fand, weil gerade an dem Tage Vollmond war und ich um vier Uhr drei Minuten die geheimnisvolle Erschaffung des Kindes bewirken sollte, durch welches sie wiedergeboren zu werden hoffte. Die göttliche Lascaris aber, die das auserwählte Gefäß sein sollte, krümmte sich in ihrem Bett vor angeblichen Krämpfen, die es mir unmöglich machen mußten, das Zeugungswerk zu vollziehen.

Als Frau von Urfé untröstlich mir dieses Mißgeschick berichtete, heuchelte ich großes Bedauern; in Wirklichkeit war der boshafte Streich meiner Tänzerin mir sehr erwünscht, erstens weil sie mir durchaus keine Begierde mehr einflößte, zweitens weil ich sah, daß ich diesen Umstand benutzen konnte, um mich zu rächen und sie zu bestrafen.

Ich spendete der Frau von Urfé wortreichen Trost; dann zog ich das Orakel zu Rate und fand, die kleine Lascaris sei durch einen schwarzen Dämon verdorben worden, und ich müsse von neuem das vom Schicksal bestimmte Mädchen suchen, dessen Reinheit unter dem Schutze der oberen Geister stände. Als ich die Närrin von den Versprechungen des Orakels vollständig beglückt sah, verließ ich sie und suchte die Corticelli auf, die ich auf ihrem Bett liegend fand; ihre Mutter saß neben ihr.

»Du hast also Krämpfe, meine Liebe?«

»Nein, ich befinde mich sehr wohl; aber ich werde so lange Krämpfe haben, bis du mir mein Schmuckkästchen herausgibst.«

»Du bist unartig geworden, arme Kleine, und das kommt davon, daß du den Ratschlägen deiner Mutter folgst. Das Schmuckkästchen wirst du vielleicht niemals bekommen, wenn du dich so aufführst.«

»Dann werde ich alles entdecken.«

»Man wird dir nicht glauben, und ich werde dich nach Bologna zurückschicken und lasse dir kein einziges von den Geschenken, die Frau von Urfé dir gemacht hat.«

»Du mußt mir das Schmuckkästchen augenblicklich herausgeben, oder ich erkläre mich für schwanger. Ich bin es. Wenn du mein Verlangen nicht erfüllst, sage ich deiner alten Verrückten alles, und was danach kommt, ist mir einerlei.«

Sehr überrascht sah ich sie an, ohne ein Wort zu sprechen; aber ich dachte bereits über die Mittel nach, wie ich mir das freche Geschöpf vom Halse schaffen könnte. Signora Laura sagte mir ganz ruhig, ihre Tochter sei wirklich schwanger, aber sie sei es nicht von mir.

»Von wem denn?«

»Vom Grafen von N., dessen Geliebte sie in Prag war.«

Dies schien mir nicht möglich, denn es war kein äußeres Anzeichen von Schwangerschaft an ihr zu entdecken; aber immerhin konnte es doch sein. Da ich einen Entschluß fassen mußte, um die Pläne der beiden Spitzbübinnen zu vereiteln, so entfernte ich mich, ohne ein Wort zu sagen, und schloß mich mit Frau von Urfé ein, um das Orakel wegen der Operation zu befragen, die sie glücklich machen sollte.

Nachdem das Orakel eine Menge Antworten gegeben hatte, welche dunkler waren als die Weissagungen der Pythia auf dem Dreifuß von Delphi, und deren Auslegung ich infolgedessen meiner armen betörten Frau von Urfé überließ, fand sie selber – und ich hütete mich wohl, ihr zu widersprechen –, daß die kleine Lascaris wahnsinnig geworden wäre. In dieser Befürchtung bestärkte ich sie, und es gelang mir, sie aus einer kabbalistischen Zahlenreihe die Antwort finden zu lassen: die Prinzessin habe den Erwartungen nicht entsprechen können, weil sie durch einen dem Rosenkreuzerorden feindlichen schwarzen Dämon befleckt sei; und da sie einmal so schön auf dem Wege war, so fügte sie aus eigenem Antrieb hinzu, das junge Mädchen müsse mit einem Gnomen schwanger gehen.

Hierauf bildete sie eine andere Zahlensäule, um zu erfahren, wie wir uns benehmen müßten, um unser Ziel sicher zu erreichen, und dank meiner Leitung fand sie die Antwort, sie müsse an den Mond schreiben.

Dieser Unsinn, der sie hätte zur Vernunft bringen müssen, erfüllte sie mit höchster Freude. Sie war vor Begeisterung ganz verzückt, und ich gewann die Überzeugung, daß alle meine Mühe vergeblich gewesen wäre, selbst wenn ich ihr die Nichtigkeit ihrer Hoffnungen hätte dartun wollen. Sie hätte höchstens geglaubt, ein feindlicher Genius habe mich beherrscht und ich sei kein vollkommener Rosenkreuzer mehr. Ich dachte jedoch nicht daran, eine Heilung zu versuchen, die für mich so unvorteilhaft gewesen wäre, ohne ihr zu nützen. Ihre Chimäre machte sie glücklich, und die Wahrheit würde sie ohne Zweifel unglücklich gemacht haben.

Sie empfing also den Befehl, an den Mond zu schreiben, mit um so größerer Freude, da sie den Kultus, der diesem Planeten gefällt, und die Zeremonien, die dabei erforderlich waren, genau kannte; sie konnte jedoch die Vorschriften nur mit dem Beistand eines Adepten ausführen, und ich wußte, daß sie auf mich rechnete. Ich sagte ihr, ich stände vollkommen zu ihrem Befehle; wir müßten jedoch die erste Phase des nächsten Mondes abwarten – was sie ebensogut wußte wie ich. Es war mir sehr angenehm, Zeit zu gewinnen, denn da ich im Spiel viel Geld verloren hatte, so war es mir unmöglich, Aachen vor dem Empfang einer Summe zu verlassen, die ich durch einen Wechsel auf Herrn d’O. in Amsterdam gezogen hatte. Unterdessen kamen wir überein, daß wir auf alles, was die Lascaris in ihren Wahnsinnsanfällen sagen würde, nicht achten wollten; denn da ihr Geist sich in der Gewalt eines bösen Geistes befände, der sie besessen hielte, so wurden ihre Worte ihr ja von diesem eingeflößt.

Da jedoch ihr Zustand bemitleidenswert sei, so beschlossen wir, um ihr ihr Los so erträglich wie möglich zu machen, sie auch in Zukunft mit uns essen zu lassen; abends jedoch sollte sie sofort nach Tisch und im Zimmer ihrer Gesellschaftsdame zu Bett gehen.

Nachdem ich auf diese Weise den Geist der Frau von Urfé dahin bearbeitet hatte, daß sie von allen Mitteilungen, die die Corticelli ihr etwa machen konnte, nichts glaubte, sondern sich nur mit dem Brief beschäftigte, den sie dem Geiste Selenis, der den Mond bewohnt, schreiben sollte, beschäftigte ich mich erstlich mit den Mitteln, das verlorene Geld wiederzugewinnen, was nicht auf dem Wege der Kabbala geschehen konnte. Ich versetzte das Schmuckkästchen der Corticelli für tausend Louis und hielt eine Bank in einem Klub von Engländern, von denen ich viel mehr gewinnen konnte als von Franzosen oder Deutschen.

Drei oder vier Tage nach dem Tode d’Achés schrieb seine Witwe mir ein Briefchen und bat mich, bei ihr vorzusprechen, Ich fand Pyène bei ihr vor. Sie sagte mir in traurigem Ton, ihr Mann hätte viele Schulden gehabt und seine Gläubiger hätten sich daher aller ihrer Sachen bemächtigt; es sei ihr infolgedessen unmöglich, die Reisekosten zu bestreiten, um sich mit ihrer Tochter zu ihrer Familie nach Colmar zu begeben.

»Sie sind schuld an dem Tode meines Gatten; ich verlange von Ihnen tausend Taler. Wenn Sie mir diese verweigern, werde ich Sie verklagen; denn da der Schweizer Offizier abgereist ist, kann ich mich nur an Sie halten.«

»Ihre Sprache überrascht mich, gnädige Frau,« antwortete ich ihr in kaltem Ton. »Wenn ich nicht vor Ihrem Unglück Achtung hätte, so würde ich darauf mit der ganzen Bitterkeit antworten, die Ihr Vorgehen mir einflößen muß. Zunächst besitze ich überhaupt keine tausend Taler, um sie zum Fenster hinauszuwerfen; und selbst wenn ich sie hätte, so wäre Ihr drohender Ton wenig geeignet, mich zu einem solchen Opfer zu veranlassen, übrigens bin ich neugierig, wie Sie es anfangen wollen, mich zu verklagen. Herr Schmitt hat sich als tapferer und rechtlicher Mann geschlagen, und ich weiß noch nicht recht, ob es Ihnen wirklich großen Vorteil bringen würde, ihn zu verklagen, wenn er hier geblieben wäre. Leben Sie wohl, Madame!«

Ich war kaum fünfzig Schritte von dem Hause entfernt, als Pyène mir nachkam und mir sagte, bevor Frau von Aché die Klage gegen mich einreichte, müßten wir an einem abgelegenen Ort uns die Kehle abschneiden. Wir hatten alle beide keinen Degen bei uns.

»Ihre Absicht ist schmeichelhaft,« sagte ich ruhig zu ihm; »es liegt darin etwas Brutales, das mir durchaus keine Lust macht, mich mit einem Mann bloßzustellen, den ich nicht kenne, und dem ich nichts schuldig bin.«

»Sie sind ein Feigling!«

»Ich wäre es vielleicht, wenn ich wäre wie Sie. Welche Meinung Sie von mir haben, ist mir höchst gleichgültig.«

»Es wird Ihnen leid tun!«

»Vielleicht; einstweilen mache ich Sie als ehrlicher Mann darauf aufmerksam, daß ich niemals ohne zwei gut geladene Pistolen ausgehe und daß ich mich derselben zu bedienen weiß. Hier sind sie!« Mit diesen Worten zog ich meine Pistolen aus der Tasche und spannte die eine, die ich in der rechten Hand hielt.

Bei diesem Anblick stieß der freche Raufbold einen Fluch aus und verschwand; ich entfernte mich nach der anderen Seite.

Dicht bei dem Ort, wo dieser Auftritt vorgefallen war, traf ich einen Neapolitaner namens Maliterni, der damals Oberstleutnant und Adjutant des kommandierenden Generals der französischen Armee, Prinzen Condé, war. Dieser Maliterni war ein Lebemann, stets zu Diensten bereit und stets ohne Geld. Wir waren Freunde; ich erzählte ihm, was mir zugestoßen war, und sagte zu ihm: es wäre mir unangenehm, mich mit dem de Pyène einlassen zu müssen, und wenn er ihn mir vom Halse schaffen könne, verspreche ich ihm hundert Taler.

»Das wird nicht unmöglich sein,« antwortete er; »ich werde Ihnen morgen Bescheid sagen.«

Wirklich kam er am nächsten Vormittag zu mir und sagte mir, mein Halsabschneider sei bei Tagesanbruch auf höheren Befehl von Aachen abgereist; zugleich übergab er mir einen guten Paß vom Herrn Prinzen Condé.

Ich gestehe, daß diese Nachricht mir angenehm war. Ich habe mich niemals gefürchtet, mit dem ersten Besten den Degen zu kreuzen, obgleich ich auch niemals das barbarische Vergnügen geliebt habe, Menschenblut zu vergießen; diesesmal aber widerstrebte es mir im höchsten Grade, mich mit einem Menschen bloßzustellen, den ich nicht für zartfühlender halten konnte als seinen Freund d’Aché. Ich dankte also Maliterni recht herzlich und übergab ihm die versprochenen hundert Taler, die nach meiner Meinung sehr gut angewandt waren, so daß mir diese Ausgabe nicht leid tat.

Maliterni war ein Zechkumpan des Marschalls d’Estrées, ein Lustigmacher ersten Ranges, es fehlte ihm weder an Geist noch an Kenntnissen, wohl aber an Ordentlichkeit und vielleicht auch ein bißchen an Zartgefühl. Übrigens verkehrte es sich sehr angenehm mit ihm, denn er besaß eine unverwüstliche Fröhlichkeit und war ein sehr gewandter Weltmann. Nachdem er im Jahre 1768 zum Range eines Generalmajors emporgestiegen war, heiratete er in Neapel eine reiche Erbin, die er schon nach dem ersten Jahr seiner Heirat als Witwe zurückließ.

Am Tage nach Pyènes Abreise erhielt ich von Fräulein d’Aché ein Briefchen, worin sie mich im Auftrage ihrer kranken Mutter bat, sie zu besuchen. Ich antwortete ihr, ich würde mich um die und die Stunde da und da einfinden, und sie könnte mir dort sagen, was sie wünschte.

Ich fand sie am bestimmten Ort mit ihrer Mutter, die trotz ihrer angeblichen Krankheit gekommen war. Da gab es Klagen, Tränen, Vorwürfe! Sie nannte mich ihren Verfolger und sagte mir, die Abreise ihres einzigen Freundes Pyène bringe sie zur Verzweiflung; sie habe alle ihre Sachen versetzt und besitze keine Hilfsmittel mehr; ich dagegen sei reich und müsse ihr beispringen, wenn ich nicht ein ganz verworfener Mensch wäre.

»Ich bin durchaus nicht unempfindlich gegen Ihr Schicksal, Madame. Ich bin auch nicht unempfindlich gegen Ihre Beleidigungen, aber ich kann mich nicht enthalten, Ihnen zu sagen, daß Sie sich als verworfenes Weib gezeigt haben, indem Sie Pyène, der ja sonst vielleicht ein ganz anständiger Mensch ist, aufgehetzt haben, mich zu ermorden. Kurz und gut – mag ich reich sein oder nicht, ich bin Ihnen nichts schuldig, aber ich werde Ihnen das Geld geben, um Ihre Sachen auszulösen, und vielleicht werde ich selber Sie nach Colmar bringen; aber Sie müssen damit einverstanden sein, daß ich gleich hier Ihrer reizenden Tochter Beweise meiner Liebe zu geben beginne.«

»Und Sie wagen es, mir solchen abscheulichen Vorschlag zu machen?«

»Abscheulich oder nicht – ich mache ihn.«

»Niemals!«

»Leben Sie wohl, Madame!«

Ich rief den Kellner, um die Erfrischungen zu bezahlen, die ich hatte kommen lassen, und drückte dem jungen Mädchen sechs doppelte Louisdor in die Hand; die stolze Mutter bemerkte es jedoch und verbot ihr, das Geld anzunehmen. Mich überraschte dies nicht, trotz der Not, worin sie sich befand; denn diese Mutter war reizend und mehr wert als ihre Tochter. Dies wußte sie. Ich hätte sie vorziehen und auf diese Weise jedem Streit ein Ende machen sollen. Aber die Launen! Wenn man verliebt ist, fragt man sich nach so etwas nicht. Ich fühlte, daß sie mich hassen mußte, um so mehr, da sie ihre Tochter nicht liebte und daher ihr Stolz gedemütigt war, indem sie in ihr die bevorzugte Nebenbuhlerin sehen mußte. Ich behielt die sechs doppelten Louisdor, die der Stolz oder der Ärger zurückgewiesen hatte, in der Hand, ging damit an die Pharaobank und beschloß, sie dem Glück zu opfern; aber die launenhafte Göttin war nicht weniger stolz als die hochmütige Witwe und verweigerte wie diese ihre Annahme. Ich ließ sie fünfmal auf einer Karte stehen und hätte mit diesem einzigen Satz beinahe die Bank gesprengt. Ein Engländer, namens Martin, bot mir eine Teilhaberschaft an; ich nahm diese an, weil ich ihn als guten Spieler kannte, und in acht oder zehn Tagen machten wir so gute Geschäfte, daß ich nach der Auslösung des Schmuckkästchens nicht nur meine anderen Verluste gedeckt hatte, sondern noch mit einer ziemlich großen Summe im Gewinn war.

Wütend auf mich, hatte die Corticelli unterdessen der Frau von Urfé alles entdeckt; sie hatte ihr eine Beschreibung ihres Lebens und unserer Bekanntschaft gegeben und ihre Schwangerschaft mitgeteilt. Aber je mehr Wahrheit ihre Erzählung enthielt, desto fester bestärkte die gute Dame sich in dem guten Glauben, daß das Mädchen wahnsinnig sei. Sie lachte mit mir nur über den vermeintlichen Wahnsinn meiner Verräterin und setzte ihr ganzes Vertrauen auf die Unterweisungen, welche Selenis ihr in seiner Antwort geben würde.

Da mir jedoch das Benehmen des Mädchens nicht gleichgültig sein konnte, so beschloß ich, sie künftighin im Zimmer ihrer Mutter essen zu lassen. So blieb ich allein mit Frau von Urfé, der ich versicherte, wir würden leicht ein anderes ausgewähltes Gefäß finden, da die Lascaris wegen ihres Wahnsinnes durchaus nicht imstande sei, an unseren Mysterien teilzunehmen.

Von der Not getrieben, sah d’Achés Witwe sich bald gezwungen, mir ihre Mimi abzutreten; aber ich versöhnte sie durch freundliches Benehmen und rettete im Anfang den Schein, so daß sie tun konnte, wie wenn sie nichts merkte. Ich löste alle von ihr versetzten Sachen aus; mit ihrem Verhalten zufrieden, obgleich ihre Tochter sich noch nicht meiner Glut ganz hingegeben hatte, beschloß ich, die beiden Damen mit Madame d’Urfé nach Colmar zu begleiten. Um die Dame zu diesem guten Werke zu bestimmen, ohne daß sie etwas von dem Beweggrund bemerkte, kam ich auf den Gedanken, sie diesen Befehl in dem Briefe empfangen zu lassen, den sie vom Mond erwartete; ich war gewiß, daß sie alsdann blindlings gehorchen würde.

Den Briefwechsel zwischen Selenis und Frau von Urfé brachte ich folgendermaßen zustande.

Am Tage des Vollmondes speisten wir zusammen in einem Garten vor der Stadt zu Abend. Ich hatte in einem Zimmer zu ebener Erde alles vorbereitet, was für den Kultus notwendig war. In meiner Tasche hatte ich den Brief, der vom Monde herabschweben sollte, um den von Frau von Urfé mit großer Sorgfalt vorbereiteten Brief zu beantworten, den wir an seine Adresse befördern wollten. Dicht neben dem Zimmer, wo die Feierlichkeit stattfand, hatte ich eine große Badewanne aufgestellt, die mit lauem Wasser gefüllt war und von würzigen Kräutern duftete, wie sie dem Gestirn der Nacht gefallen. In dieses Wasser sollten wir gemeinsam hineinsteigen, sobald der Mond unterging. Dieser Untergang fand an jenem Tage um ein Uhr nach Mitternacht statt.

Nachdem wir die würzigen Kräuter verbrannt und die Essenzen versprengt hatten, die dem Kultus des Gottes Selenis angemessen sind, sagten wir die geheimnisvollen Gebete. Dann zogen wir uns vollständig aus. Meinen Brief in der linken Hand verborgen haltend, führte ich mit der rechten in feierlichem Ernst Frau von Urfé bis an den Rand der Badewanne, in welcher sich eine Alabasterschale voll Wacholdergeist befand. Ich zündete diesen an, indem ich kabbalistische Worte sprach, die ich nicht verstand und die sie wiederholte, indem sie mir den an Selenis geschriebenen Brief gab. Diesen Brief verbrannte ich an der Wacholderflamme, auf die der Mond mit vollem Schein fiel, und die gläubige Frau von Urfé versicherte mir, sie habe die von ihrer Hand geschriebenen Buchstaben auf den Strahlen des Gestirns zum Himmel emporschweben sehen.

Hierauf stiegen wir in die Badewanne, und der in meiner Hand verborgen gehaltene Brief, der mit silbernen Buchstaben im Kreise auf grünes Glanzpapier geschrieben war, erschien zehn Minuten später auf der Oberfläche des Wassers. Sobald Frau von Urfé ihn sah, ergriff sie ihn salbungsvoll und verließ mit mir das Bad.

Nachdem wir uns abgetrocknet und parfümiert hatten, zogen wir unsere Kleider wieder an. Sobald wir in anständiger Verfassung waren, sagte ich der gnädigen Frau, sie könne den Brief lesen; sie hatte diesen auf ein parfümiertes weißes Atlaskissen gelegt. Sie gehorchte, und eine sichtbare Traurigkeit bemächtigte sich ihrer, als sie las, ihre Mannwerdung sei bis zur Ankunft Querilints verschoben, den sie im Frühling des nächsten Jahres bei mir in Marseille sehen würde. Der Genius schrieb ihr außerdem, die junge Lascaris könne ihr nur schaden und sie müsse meine Anordnungen befolgen, um sich ihrer zu entledigen. Zum Schluß befahl ich ihr, mich zu bitten, ich möchte eine Frau, die ihren Mann verloren hätte, nicht in Aachen lassen; diese Frau habe eine Tochter, die von den Genien bestimmt sei, unserem Orden große Dienste zu leisten. Sie solle sie nebst ihrer Tochter nach dem Elsaß befördern und sie bis zu ihrer Ankunft nicht aus den Augen lassen, damit unser Einfluß sie vor den Gefahren schütze, die ihnen drohen würden, wenn sie sich selber überlassen blieben.

Frau von Urfé war, abgesehen von ihrer Verrücktheit, sehr wohltätig; sie empfahl mir diese Witwe mit aller Wärme fanatischer Leichtgläubigkeit und menschlicher Teilnahme und war sehr ungeduldig, ihre ganze Geschichte zu erfahren. Ich sagte ihr in kühlem Ton so viel, wie mir gut schien, um sie in ihrem Entschluß zu bestärken, und versprach ihr, die Damen sobald wie möglich vorzustellen.

Wir fuhren nach Aachen zurück und verbrachten die Nacht zusammen in Gesprächen über alles, was unsere Phantasie beschäftigte. Da alles nach Wunsch stand, so beschäftigte ich mich nur noch mit der Reise nach dem Elsaß und traf meine Vorbereitungen, um mir den vollen Genuß meiner Mimi zu sichern, nachdem ich durch den ihr geleisteten Dienst ihre Gunst so reichlich verdient hatte.

Am nächsten Tage war ich glücklich im Spiel, und um dem Tage einen guten Abschluß zu geben, ging ich zu Frau d’Aché, um mich an ihrer angenehmen Überraschung zu weiden, indem ich ihr mitteilte, daß ich beschlossen hätte, sie nebst ihrer Mimi selbst nach Colmar zu bringen. Ich sagte ihr, zunächst müsse ich sie der Dame vorstellen, die zu begleiten ich die Ehre habe; ich bat sie, sich für den nächsten Tag bereit zu halten, weil die Marquise ungeduldig sei, sie kennen zu lernen. Ich sah deutlich, daß sie kaum an die Wahrheit meiner Worte zu glauben vermochte; denn sie bildete sich ein, die Marquise sei in mich verliebt, und dieser Gedanke vertrug sich nicht mit dem von Frau von Urfé bekundeten Eifer, mich mit zwei Frauen zusammen zu bringen, welche sehr gefährliche Nebenbuhlerinnen werden konnten.

Am nächsten Tage holte ich sie zur vereinbarten Stunde ab, und Frau von Urfé empfing sie mit Freudenbezeigungen, über die sie sehr erstaunt sein mußten; denn sie konnten nicht wissen, daß sie diesen Empfang einer Empfehlung verdankten, die vom Monde gekommen war. Wir speisten selbviert, und die beiden Damen unterhielten sich als Frauen, die die Welt kennen; Mimi war reizend, und ich beschäftigte mich ganz besonders mit ihr; warum, das wußte ihre Mutter sehr wohl; die Marquise jedoch schrieb den Grund der Liebe zu, die die Rosenkreuzer für dieses Mädchen hegten.

Am Abend gingen wir alle auf den Ball. Die Corticelli, die stets darauf bedacht war, mir jeden möglichen Ärger anzutun, tanzte, wie ein junges Mädchen von guter Herkunft nicht tanzen darf. Sie machte achtfache Entrechats, Pirouetten, Kapriolen und Battements à mijambe, mit einem Wort, alle Grimassen einer Opernspringerin. Ich stand Folterqualen aus. Ein Offizier, der vielleicht wußte, daß ich für ihren Oheim galt, vielleicht auch nur so tat, fragte mich, ob sie eine berufsmäßige Tänzerin sei. Einen anderen Herrn hörte ich hinter mir sagen, er glaube sie im letzten Karneval in Prag auf dem Theater tanzen gesehen zu haben. Ich mußte meine Abreise beschleunigen, denn ich sah, daß das unglückselige Weib mir schließlich noch das Leben kosten würde, wenn wir noch länger in Aachen blieben.

Frau d’Aché, die, wie gesagt, den Ton der guten Gesellschaft beherrschte, nahm Frau von Urfé vollständig für sich ein, denn diese glaubte in ihrer Liebenswürdigkeit eine neue Gunst von Selenis zu sehen. Frau d’Aché fühlte, daß sie nach den Diensten, die ich ihr in so vornehmer Weise erwies, mir einige Dankbarkeit schuldete; sie stellte sich daher, wie wenn sie ein wenig unwohl wäre, und verließ den Ball zuerst, so daß ich ihre Tochter nach Hause bringen mußte und in voller Freiheit mit ihr zusammen war. Ich machte mir diesen absichtlich herbeigeführten Zufall zunutze und blieb zwei Stunden bei Mimi, die sich sanft, gefällig und leidenschaftlich verliebt zeigte, so daß ich nichts mehr zu wünschen hatte, als ich sie verließ.

Am dritten Tage gab ich Mutter und Tochter neue Reisekleider, und nachdem ich mir eine elegante und bequeme Berline verschafft hatte, verließen wir Aachen in fröhlicher Stimmung. Eine halbe Stunde vor der Abreise hatte ich ein Zusammentreffen, das durch seine späteren Folgen verhängnisvoll wurde. Ein belgischer Offizier, den ich nicht kannte, redete mich an und schilderte mir seine traurige Lage, so daß ich nicht umhin konnte, ihm zwölf Louis zu geben. Zehn Minuten später brachte er mir einen Schein, wodurch er seine Schuld anerkannte und sich verpflichtete, zu einem bestimmten Termin zu bezahlen. Ich erfuhr durch diesen Schein, daß er sich Malingan nannte. Das weitere wird der Leser in zehn Monaten erfahren.

Im Augenblick der Abreise wies ich der Corticelli einen viersitzigen Wagen an, worin sie mit ihrer Mutter und zwei Kammermädchen reisen sollte. Sie zitterte bei diesem Anblick; ihr Stolz war verletzt, und ich glaubte einen Augenblick, sie würde den Verstand verlieren: es gab Tränen, Beleidigungen, Verwünschungen! Mich rührte dies alles nicht, und Frau von Urfé lachte nur über die tollen Reden ihrer angeblichen Nichte und schien sehr erfreut zu sein, daß sie mir gegenüber saß und zu ihrer Seite den Schützling des mächtigen Selenis hatte, während Mimi mir auf tausenderlei Art das Glück bezeugte, das sie empfand, weil sie an meiner Seite sitzen durfte.

Am nächsten Tage kamen wir bei Anbruch der Nacht in Lüttich an; ich überredete Frau von Urfé, den nächsten Tag noch dazubleiben, weil ich Pferde nehmen wollte, um auf dem Wege durch die Ardennen nach Luxemburg zu fahren; diesen Umweg machte ich absichtlich, um meine reizende Mimi länger besitzen zu können.

Nachdem ich in aller Frühe aufgestanden war, ging ich aus, um mir die Stadt anzusehen. Als ich die große Brücke entlang ging, sprach mich eine Frau an, die so dicht in einen schwarzen Mantel gehüllt war, daß man nur ihre Nasenspitze sehen konnte. Sie bat mich, ihr in ein Haus zu folgen, dessen offene Tür sie mir zeigte. Ich antwortete ihr: »Da ich nicht den Vorzug habe, Sie zu kennen, erlaubt die Vorsicht mir nicht, Ihre Einladung anzunehmen.«

»Sie kennen mich!« antwortete sie mir; zugleich zog sie mich an die Ecke der nächsten Straße und enthüllte ihr Gesicht. Der Leser stelle sich meine Überraschung vor: es war die schöne Stuard von Avignon, die gefühllose Statue von der Quelle von Vaucluse. Es machte mir Vergnügen, sie wieder zu treffen.

Neugierig folgte ich ihr und ging mit ihr in ein Zimmer im ersten Stock, wo sie mir den zärtlichsten Empfang bereitete. Aber dies war verlorene Mühe; denn trotz ihrer Schönheit hatte ich einen Groll gegen sie. Ich verschmähte daher, ihr entgegenzukommen, ohne Zweifel, weil ich Mimi liebte, die mich glücklich machte und die ich zufriedenstellen wollte, indem ich mich ganz für sie aufbewahrte. Indessen zog ich drei Louis aus meiner Börse und bot sie ihr an, indem ich sie zugleich bat, mir ihre Geschichte zu erzählen.

»Stuard,« berichtete sie, »war nur mein Begleiter; ich heiße Ranson und werde von einem reichen Grundbesitzer unterhalten. Nach vielen Leiden bin ich nach Lüttich zurückgekehrt.«

»Es freut mich, daß es Ihnen jetzt gut geht; aber Sie müssen gestehen, daß Ihr Benehmen in Avignon ebenso unbegreiflich wie lächerlich war. Doch sprechen wir nicht mehr davon. Leben Sie wohl, gnädige Frau!«

Ich ging in meinen Gasthof zurück, um diese Begegnung dem Marchese Grimaldi mitzuteilen.

Am nächsten Tage reisten wir ab. Wir brauchten zwei Tage für die Reise durch die Ardennen. Dies ist die eigentümlichste Landschaft Europas: ein riesiger Wald, dessen Sagen von altem Ritterwesen dem Ariosto so schönen Stoff über den Helden Bayard geliefert haben.

In diesem ungeheuren Walde, der keine einzige Stadt enthält, den man jedoch durchqueren muß, um von dem einen Lande in das andere zu gelangen, findet man fast nichts von dem, was zu einem behaglichen Leben notwendig ist.

Vergeblich würde man dort Laster oder Tugenden suchen oder was wir Sitten nennen. Die Bewohner haben keinen Ehrgeiz, und da sie von der Wahrheit keine richtige Vorstellung haben können, hecken sie ungeheuerliche Ideen aus und denken sich sonderbare Sachen über die Natur, über die Wissenschaften und über die Macht gewisser Menschen, die nach ihrer Meinung den Namen weiser Männer verdienen. Es genügt, sich mit Naturwissenschaften zu beschäftigen, um für einen Astrologen, ja für einen Zauberer zu gelten. Trotzdem sind die Ardennen ziemlich stark bevölkert; denn wie man mir versichert hat, enthalten sie zwölfhundert Kirchspiele. Die Menschen sind gut, ja sogar gefällig, besonders die jungen Mädchen; aber im allgemeinen ist das weibliche Geschlecht dort nicht schön. Mitten in diesem großen Bezirk, der seiner ganzen Ausdehnung nach von der Maas durchströmt wird, liegt die Stadt Bouillon, ein richtiges Loch. Aber es war zu meiner Zeit der freieste Ort in ganz Europa. Der Herzog von Bouillon war so eifersüchtig auf seine Gerichtsbarkeit, daß er sein Vorrecht allen Ehren vorzog, deren er am französischen Hofe hätte genießen können.

Wir hielten uns einen Tag in Metz auf, wo wir jedoch keine Besuche machten; in drei Tagen gelangten wir dann nach Colmar, wo wir Frau d’Aché ließen, deren Gunst ich völlig gewonnen hatte. Ihre sehr wohlhabende Familie empfing Mutter und Tochter mit größter Zärtlichkeit. Mimi weinte sehr, als sie von mir Abschied nahm; aber ich tröstete sie durch das Versprechen, daß ich sie bald wiedersehen würde. Frau von Urfé, die ich auf diese Trennung bereits vorbereitet hatte, machte sich nicht viel daraus, und auch ich tröstete mich ziemlich leicht. Indem ich mich freute, zum Glück der Mutter und der Tochter beigetragen zu haben, betete ich zugleich die tiefen Geheimnisse der Vorsehung an.

Am nächsten Tage fuhren wir nach Sulzbach, wo ein Bekannter der Frau von Urfé, Baron von Schaumburg, uns sehr freundlich empfing. Ohne das Spiel würde ich mich in diesem traurigen Nest sehr gelangweilt haben. Frau von Urfé hatte Gesellschaft nötig und ermunterte daher die Corticelli, auf eine Wiedergewinnung meiner Huld und damit auch der ihrigen zu hoffen. Das unglückselige Mädchen hatte alles aufgeboten, um mir zu schaden; als sie aber sah, wie leicht ich ihre Anschläge zunichte gemacht und wie tief ich sie gedemütigt hatte, da änderte sie ihr Benehmen: sie war sanft, gefügig und unterwürfig geworden. Sie hoffte den vollständig verlorenen Einfluß wenigstens teilweise wiederzugewinnen und glaubte bereits Siegerin zu sein, als sie sah, daß Frau d’Aché und ihre Tochter in Colmar geblieben waren. Was ihr jedoch am meisten am Herzen lag, war weder meine Freundschaft, noch die der Marquise, sondern das Schmuckkästchen, das sie von mir nicht mehr zu verlangen wagte und das sie in der Tat nicht wiedersehen sollte. Durch ihre hübschen, ausgelassenen Scherze bei Tisch, worüber Frau von Urfé gerne lachte, gelang es ihr, auch mir einige Liebesanwandlungen einzuflößen; aber die Höflichkeiten, die ich ihr in dieser Hinsicht erwies, konnten mich nicht veranlassen, meine Strenge zu mildern; sie schlief stets bei ihrer Mutter.

Acht Tage nach unserer Ankunft in Sulzbach überließ ich Frau von Urfé der Sorgfalt des Barons von Schaumburg und fuhr nach Colmar, wo ich Liebesfreuden zu finden hoffte. Ich wurde enttäuscht, denn ich fand Mutter und Tochter in Begriff, sich zu verheiraten.

Ein reicher Kaufherr, der vor achtzehn Jahren die Mutter geliebt hatte, fühlte die alte Glut wieder erwachen, als er sie als Witwe und immer noch schön sah; er bot ihr seine Hand an, und seine Werbung wurde angenommen. Ein junger Advokat fand Mimi nach seinem Geschmack und machte ihr einen Heiratsantrag. Mutter und Tochter befürchteten die Folgen meiner Zärtlichkeiten; außerdem fanden sie die Partie gut und gaben daher ihre Zustimmung. Ich wurde in der Familie mit großen Ehren aufgenommen und soupierte in zahlreicher, gewählter Gesellschaft. Da ich jedoch sah, daß ich, um eine flüchtige Gunst zu erhaschen, die Damen nur stören und mich selber unbehaglich fühlen konnte, so verabschiedete ich mich von ihnen und fuhr schon am nächsten Tage nach Sulzbach zurück. Ich fand dort eine reizende Straßburgerin namens Salzmann und drei oder vier Spieler, die angeblich zur Brunnenkur gekommen waren und uns die Ankunft mehrerer weiblicher Gäste ankündigten, die der Leser im nächsten Kapitel kennen lernen wird.

Achtzehntes Kapitel


Ich schicke die Corticelli nach Turin. – Helenens Einweihung in die Mysterien der Liebe. – Abstecher nach Lyon. – Ankunft in Turin.

Madame Saxe war ganz danach angetan, die Huldigungen eines Verliebten anzuziehen, und wenn sie nicht einen eifersüchtigen Offizier gehabt hätte, der sie niemals aus dem Auge verlor und immer so aussah, wie wenn er jedem, der sie schön zu finden und ihr zu gefallen wagte, die Gurgel abschneiden würde, so würde es ihr wahrscheinlich an Anbetern nicht gefehlt haben. Der Offizier liebte das Pikettspiel, aber Madame mußte dabei beständig ihm zur Seite sitzen, was sie übrigens mit Vergnügen zu tun schien.

Ich machte nach Tisch meine Partie mit ihm, und zwar fünf oder sechs Tage lang. Dann wurde ich der Sache überdrüssig, weil er aufstand, sobald er zehn oder zwölf Louis gewonnen hatte. Der Offizier hieß d’Entragues, war ein schöner Mann, obwohl mager, und besaß sowohl Geist wie auch gewandte Umgangsformen.

Wir hatten zwei Tage lang nicht gespielt, als er nach dem Mittagessen mich fragte, ob ich nicht wünsche, daß er mir Revanche gebe.

»Ich mache mir nichts daraus,« antwortete ich ihm, »denn wir sind als Spieler zu verschieden. Ich spiele nur zu meinem Vergnügen, weil das Spiel mir Spaß macht; Sie dagegen spielen nur, um zu gewinnen.«

»Wieso? Sie beleidigen mich.«

»Das ist nicht meine Absicht; aber jedesmal, wenn wir miteinander gespielt haben, ließen Sie mich nach einer Stunde im Stich.«

»Das kann Ihnen doch nur angenehm sein; denn da Sie nicht so gut spielen wie ich, so würden Sie notwendigerweise viel verlieren.«

»Das ist möglich, aber ich glaube es nicht.«

»Ich kann es Ihnen beweisen.«

»Einverstanden! Aber der erste, der die Partie aufgibt, verliert fünfzig Louis.«

»Mir ist es recht, aber nur um bares Geld!«

»Ich spiele niemals anders.«

Ich befahl dem Kellner, Karten zu bringen, und holte vier oder fünf Rollen von hundert Louis. Wir begannen das Hundert zu fünf Louis zu spielen, nachdem jeder fünfzig Louis für die Wette beiseite gelegt hatte.

Es war drei Uhr, als wir zu spielen anfingen, und um neun Uhr sagte d’Entragues zu mir, wir könnten zum Abendessen gehen.

»Ich habe keinen Hunger,« antwortete ich; »aber es steht Ihnen frei, aufzustehen, wenn Sie gestatten, daß ich die hundert Louis in meine Tasche stecke.«

Er lachte und spielte weiter; die schöne Dame aber schmollte mit mir. Dieses rührte mich jedoch nicht. Alle Zuschauer gingen zum Abendessen und kamen dann wieder, um uns bis Mitternacht Gesellschaft zu leisten; dann blieben wir allein. D’Entragues sah nun, worauf er sich eingelassen hatte, und sprach kein Wort; auch ich öffnete meine Lippen nur, um zu zählen; wir spielten mit vollkommener Ruhe.

Um sechs Uhr in der Frühe begannen die Brunnentrinker und -trinkerinnen zu erscheinen. Alle beglückwünschten uns zu unserer Ausdauer, wir aber saßen mit verdrießlichen Gesichtern da. Die Louis lagen haufenweise auf dem Tisch; ich hatte ungefähr hundert Louis verloren, obwohl ich gute Karten gehabt hatte.

Um neun Uhr kam die schöne Saxe, und wenige Augenblicke später erschien Frau von Urfé mit Herrn von Schaumburg. Die Damen rieten uns beiden, eine Tasse Schokolade zu trinken. D’Entragues erklärte sich zuerst damit einverstanden; er glaubte, ich sei mit meiner Kraft zu Ende, und sagte zu mir: »Wir wollen abmachen, daß der die Wette verloren haben soll, der zuerst etwas zu essen bestellt oder sich auf länger als eine Viertelstunde entfernt oder auf seinem Stuhl einschläft.«

»Ich nehme Sie beim Wort!« rief ich, »und bin mit jeder anderen erschwerenden Bedingung einverstanden, die Sie vorschlagen mögen.«

Die Schokolade kam; wir tranken sie und spielten dann weiter. Mittags wurden wir zum Essen gerufen, aber wir antworteten gleichzeitig, wir hätten keinen Hunger. Gegen vier Uhr ließen wir uns überreden, eine Tasse Fleischbrühe zu trinken. Als es Zeit zum Abendessen wurde, fingen alle an zu merken, daß die Sache ernst wurde. Madame Saxe schlug uns vor, die Wette zu teilen. D’Entragues, der hundert Louis von mir gewonnen hatte, wäre gern auf den Vorschlag eingegangen; ich widersetzte mich jedoch, und Baron von Schaumburg fand, daß ich nicht unrecht hätte. Mein Gegner hätte seine Wette im Stich lassen und aufhören können; er wäre immer noch im Gewinn gewesen. Ihn hielt jedoch mehr Habsucht als Eitelkeit davon ab. Mir war der Verlust nicht gleichgültig; aber es handelte sich für mich viel mehr um die Ehre. Ich sah frisch aus, während mein Gegner das Aussehen eines ausgegrabenen Leichnams hatte; dieser Eindruck wurde besonders durch seine Magerkeit hervorgerufen. Als Madame Saxe in mich drang, sagte ich ihr, ich sei in Verzweiflung, die Wünsche einer reizenden Frau nicht erfüllen zu können, die in jeder Hinsicht viel größerer Opfer würdig sei; im vorliegenden Fall handele es sich aber darum, wer recht behalten solle, und infolgedessen sei ich entschlossen, entweder zu siegen oder meinem Gegner den Sieg erst in dem Augenblick zu überlassen, wo ich tot hinsinken würde.

Indem ich so sprach, hatte ich eine doppelte Absicht; ich wollte d’Entragues durch meine Entschlossenheit einschüchtern, und ich wollte ihn ärgern, indem ich ihn eifersüchtig machte; da ein Eifersüchtiger alles doppelt sieht, so hoffte ich, er werde schlechter spielen. Wenn ich die fünfzig Louis der Wette gewann, so brauchte ich mich nicht darüber zu ärgern, daß ich hundert durch sein überlegenes Spiel verlor.

Die schöne Madame Saxe warf mir einen verächtlichen Blick zu und ging; Madame d’Urfé aber, die mich für unfehlbar hielt, rächte mich, indem sie im Tone tiefster Überzeugung zu Herrn d’Entragues sagte: »Mein Gott, lieber Herr, wie bedaure ich Sie!«

Bis zum Abendessen kam die Gesellschaft nicht wieder in den Saal; man ließ uns unseren Handel unter vier Augen austragen. Wir spielten die ganze Nacht, und ich gab ebenso aufmerksam auf das Gesicht meines Gegners acht wie auf das Spiel. Seine Züge wurden allmählich verstört, und er machte Fehler; er brachte seine Karten durcheinander, zählte falsch und legte oft verkehrt weg. Ich war wohl kaum weniger erschöpft als er; ich fühlte, wie ich immer schwächer wurde, und hoffte jeden Augenblick, ihn tot hinsinken zu sehen, denn ich fürchtete, trotz meiner starken Körperbeschaffenheit besiegt zu werden. Bei Tagesanbruch hatte ich mein Geld wiedergewonnen; als d’Entragues einmal hinausgegangen war, stritt ich mit ihm darüber, daß er länger als eine Viertelstunde fortgewesen sei. Dieser vom Zaune gebrochene Streit machte ihn wütend und munterte mich auf; dies war eine natürliche Wirkung der Verschiedenheit unserer Temperamente. Es war ein Spielerkniff, der wohl wert ist, daß Ethiker und Psychologen ihn studieren. Meine List gelang mir, weil sie nicht vorher überlegt war und daher nicht vorausgesehen werden konnte. Bei Armeebefehlshabern ist es nicht anders: eine Kriegslist muß im Kopfe eines Feldherrn entspringen; es ergibt sich aus den Umständen, aus dem Zufall und aus der Gewohnheit, schnell die Beziehungen von Menschen und Dingen zu erfassen.

Um neun Uhr erschien Madame Saxe; ihr Liebhaber war im Verlust.

»Jetzt, mein Herr,« sagte sie zu mir, »könnten Sie wohl nachgeben.«

»Meine Gnädige, in der Hoffnung, Ihnen zu gefallen, bin ich bereit, meine Wette zurückzuziehen und auf das übrige zu verzichten.«

Diese Worte, die ich in einem Ton gezierter Galanterie sprach, erregten den Zorn des Herrn d’Entragues; er sagte ärgerlich, er würde nicht eher aufhören, als bis einer von uns beiden zu Boden sänke.

»Sie sehen, sehr liebenswürdige Dame, daß nicht ich der Eigensinnige bin.« Dabei machte ich verliebte Augen, deren Blick in meinem Zustande wohl nicht sehr durchdringend sein mochte.

Man ließ uns eine Fleischbrühe bringen; d’Entragues aber, der auf dem höchsten Grade der Schwäche angelangt war, wurde nach dem Genuß des Getränkes so unwohl, daß er auf seinem Stuhl hin- und herschwankte und schweißüberströmt in Ohnmacht sank. Man trug ihn schnell hinaus. Ich gab dem Kellner, der zweiundvierzig Stunden lang Dienst gehabt hatte, sechs Louis, steckte mein Gold in die Taschen und ging dann, nicht zu Bett, sondern zu einem Apotheker, von dem ich mir ein leichtes Brechmittel geben ließ. Hierauf ging ich zu Bett und schlummerte ein paar Stunden; gegen drei Uhr speiste ich mit dem besten Appetit zu Mittag.

D’Entragues ging erst den nächsten Tag aus. Ich war darauf gefaßt, daß er Händel mit mir anfangen würde; aber ich hatte mich geirrt: guter Rat kommt über Nacht. Sobald er mich sah, kam er auf mich zu, umarmte mich und sagte: »Ich hatte eine wahnwitzige Wette angenommen, aber Sie haben mir eine Lehre gegeben, deren ich mich mein Leben lang erinnern werde, und ich bin Ihnen dankbar dafür.«

»Das freut mich; ich hoffe nur, die Anstrengung hat Ihrer Gesundheit nicht geschadet.«

»Nein, ich befinde mich sehr wohl; aber wir werden nicht mehr miteinander spielen.«

»Hoffentlich wenigstens nicht mehr gegeneinander.«

Acht oder zehn Tage später machte ich der Frau von Urfé das Vergnügen, mit ihr und der falschen Lascaris nach Basel zu fahren. Wir wohnten bei dem berüchtigten Imhoff, der uns die Haut über die Ohren zog; aber »Die drei Könige« waren der beste Gasthof der Stadt. Ich erwähnte wohl bereits eine der Eigentümlichkeiten der Stadt Basel: nämlich daß dort um elf Uhr Mittag ist. Dieser Unsinn beruht auf einem historischen Ereignis, das der Fürst von Pruntrut mir erzählt hat, das ich aber vergessen habe. Die Baseler sollen an einer Art von Verrücktheit leiden, von der die Quellen von Sulzbach sie befreien, die sie aber bald wieder befällt, wenn sie zu Hause sind.

Wir wären einige Zeit in Basel geblieben, wenn ich mich nicht über einen Vorfall geärgert und infolgedessen unsere Abreise beschleunigt hätte.

Ich hatte notgedrungen der Corticelli halb und halb verziehen, und wenn ich früh nach Hause kam, aß ich mit dem törichten Mädchen und Frau von Urfé zu Abend; hierauf brachte ich die Nacht mit ihr zu; wenn ich dagegen später nach Hause kam, was ziemlich häufig der Fall war, so schlief ich allein in meinem Zimmer. Die Spitzbübin schlief ebenfalls allein in einer Kammer, die an das Zimmer ihrer Mutter anstieß, und man mußte durch dieses Zimmer hindurchgehen, wenn man zur Tochter wollte.

Eines Nachts kam ich um ein Uhr nach Hause. Ich hatte keine Lust, zu schlafen, zog meinen Schlafrock an, nahm eine Kerze und suchte meine Schöne auf.

Ich war ein wenig überrascht, die Zimmertür der Signora Laura halb offen zu finden. Im Augenblick, wo ich eintreten wollte, streckte die Alte ihren Arm aus, packte mich am Schlafrock und bat mich, nicht bei ihrer Tochter einzutreten.

»Warum nicht?«

»Sie ist den ganzen Abend sehr krank gewesen und hat Schlaf nötig.«

»Schön! Ich werde ebenfalls schlafen.«

Mit diesen Worten stieß ich die Alte zurück, trat bei der Tochter ein und fand diese mit einem Mann im Bett liegen, der sich unter der Decke versteckte. Nachdem ich einen Augenblick dieses Gemälde angesehen hatte, lachte ich laut auf, setzte mich auf das Bett und fragte sie, wer der glückliche Sterbliche sei, den ich aus dem Fenster werfen müsse. Ich sah neben ihr auf einem Stuhl Rock, Hose, Hut und Stock des Besuchers; da ich gute Pistolen in meinen Taschen hatte, so wußte ich, daß für mich nichts zu befürchten war; aber ich wollte keinen Lärm machen.

An allen Gliedern zitternd, die Augen voller Tränen, ergriff sie meine Hand und rief: »Ich beschwöre Sie, verzeihen Sie: es ist ein junger Kavalier, dessen Namen ich nicht kenne.«

»Ein junger Herr, dessen Namen du nicht kennst, Spitzbübin? Nun, so wird er mir seinen Namen selber sagen.«

Mit diesen Worten nahm ich eine Pistole und entblößte mit einem Ruck den Kuckuck, der nicht ungestraft seine Eier in mein Nest gelegt haben sollte. Ich sah einen jungen Mann, den ich nicht kannte. Sein Kopf war mit einem seidenen Tuch umwickelt, im übrigen war er nackt wie ein kleiner Adam. Ebenso nackt war die schamlose Corticelli. Er drehte mir den Rücken zu und langte nach seinem Hemd, das er in das Bettgäßchen geworfen hatte; ich packte ihn jedoch am Arm und verhinderte ihn, irgendeine Bewegung zu machen, denn die Mündung meiner Pistole sprach eine unwiderstehliche Sprache.

»Wer sind Sie, schöner Herr, wenn ich bitten darf?«

»Ich bin der Baseler Domherr Graf B.«

»Glauben Sie hier eine geistliche Verrichtung zu vollziehen?«

»O nein! Ich bitte Sie, mein Herr, verzeihen Sie mir und verzeihen Sie auch Madame; denn ich bin der einzige Schuldige.«

»Danach habe ich Sie nicht gefragt.«

»Mein Herr, die Frau Gräfin ist vollkommen unschuldig.«

Ich war in glücklicher Stimmung; infolgedessen war ich durchaus nicht zornig, sondern konnte mich kaum des Lachens enthalten; das Gemälde hatte in meinen Augen etwas Anziehendes, weil es komisch und zugleich wollüstig war. Das Gesamtbild dieser beiden zusammengekauerten nackten Leiber war im höchsten Grade sinnlich anregend; ich betrachtete es eine gute Viertelstunde lang, ohne ein Wort zu sagen, und bemühte mich während dieser ganzen Zeit, eine starke Versuchung zu bekämpfen, die ich empfand, nämlich die, mich zu ihnen zu legen. Ich überwand sie nur, weil ich befürchtete, in dem Domherrn einen Dummkopf zu finden, der nicht imstande war, würdig eine Rolle zu spielen, die ich an seiner Stelle wunderbar durchgeführt haben würde. Die Corticelli, der ein Übergang vom Weinen zum Lachen keine Mühe machte, würde ihre Rolle entzückend gespielt haben; hätte ich mich aber, und das befürchtete ich, an einen Dummkopf gewandt, so würde ich mich erniedrigt haben.

Überzeugt, daß weder er noch sie erraten hatte, was in mir vorging, stand ich auf und befahl dem Domherrn, sich anzukleiden. Ich sagte zu ihm: »Diese Geschichte muß stillschweigend begraben werden; aber wir werden miteinander ein paar hundert Schritte von hier an einen stillen Ort gehen und uns mit diesen Pistolen übers Schnupftuch schießen.«

»Ach, mein verehrter Herr,« rief der Ritter von der traurigen Gestalt, »führen Sie mich, wohin Sie wollen, und schießen Sie mich tot, wenn Sie es durchaus wollen; aber mich mit Ihnen zu schlagen, dazu bin ich nicht der Mann.«

»Wirklich nicht?«

»Nein, mein verehrter Herr; ich bin nur Priester geworden, um mich dieser unangenehmen Verpflichtung zu entziehen.«

»Sie sind also ein Feigling und bereit, Prügel zu bekommen?«

»Was Sie wollen! Aber es wäre barbarisch von Ihnen, denn die Liebe hat mich blind gemacht. Ich bin erst vor einer Viertelstunde in diese Kammer eingetreten; Madame schlief und ihre Gesellschaftsdame ebenfalls.«

»Das lügen Sie andern vor!«

»Ich hatte eben gerade mein Hemd ausgezogen, als Sie eintraten, und vorher war ich niemals mit diesem Engel zusammengewesen.«

»Das ist so wahr wie das Evangelium!« rief das Frauenzimmer.

»Wissen Sie was? Sie sind beide freche, schamlose Menschen. Und Sie, mein schöner Domherr und Mädchenverführer, Sie verdienten wohl, daß ich Sie wie einen kleinen Laurentius rösten ließe.«

Unterdessen hatte der unglückselige Domherr sich in seine Kleider geworfen.

»Folgen Sie mir, mein Herr!« sagte ich in eisigkaltem Ton zu ihm. Ich führte ihn auf mein Zimmer.

Dort sagte ich zu ihm: »Was werden Sie tun, wenn ich Ihnen verzeihe und Ihnen gestatte, das Haus zu verlassen, ohne Sie zu entehren?«

»Ach, mein Herr, ich werde spätestens in einer Stunde abreisen, und Sie werden mich nicht mehr hier sehen; wo Sie mir auch in Zukunft begegnen mögen, Sie können sich darauf verlassen, in mir einen Mann zu finden, der bereit ist, alles für Sie zu tun.«

»Schön! Gehen Sie und sehen Sie sich in Zukunft besser vor, wenn Sie auf Liebesabenteuer ausziehen!«

Sehr zufrieden mit dem, was ich gesehen und was ich getan hatte, legte ich mich zu Bett; denn ich gewann hierdurch völlige Freiheit, nach meinem Belieben mit der Spitzbübin zu verfahren. Am nächsten Morgen ging ich gleich nach dem Aufstehen zur Corticelli und bedeutete ihr in ruhigem aber gebieterischem Ton, sie solle sofort ihre Sachen packen; zugleich verbot ich ihr, bis zum Augenblick, wo sie in den Wagen steigen würde, ihr Zimmer zu verlassen.

»Ich werde sagen, ich sei krank.«

»Sage, was du willst; aber man wird deinen Bemerkungen nicht die geringste Beachtung schenken.«

Ohne weiter Einwände abzuwarten, suchte ich Frau von Urfé auf und erzählte ihr mit scherzhaften Ausschmückungen die Geschichte der Nacht, worüber sie herzlich lachte. Diese Stimmung brauchte ich gerade, um das Orakel zu fragen, was wir tun sollten, nachdem wir den schlagenden Beweis erhalten hätten, daß die junge Lascaris von dem als Priester verkleideten schwarzen Dämon geschändet war. Das Orakel antwortete, wir müßten am nächsten Tage nach Besançon abreisen; von dort müsse sie mit ihrer Kammerfrau und Bedienten nach Lyon fahren, wo sie mich zu erwarten hätte. Ich dagegen würde die junge Gräfin und ihre Gesellschaftsdame nach Genf bringen und dort die nötigen Anordnungen treffen, um sie in ihre Heimat zurückzuschicken.

Die gute Geisterseherin war entzückt über diese Verordnung; sie sah darin nur einen Beweis des Wohlwollens vonseiten des guten Selenis, der ihr auf diese Weise das Glück verschaffen wollte, den kleinen d’Aranda wiederzusehen. Wir kamen überein, daß ich im Frühling des nächsten Jahres wieder mit ihr zusammentreffen sollte, um die große Operation zu vollziehen, durch die sie als Mann wiedergeboren werden sollte. Sie fand diese Operation unfehlbar und vollkommen vernunftgemäß.

Am nächsten Tage war alles fertig, und wir fuhren ab: Frau von Urfé und ich in der Berline, die Corticelli, ihre Mutter und die beiden Kammerzofen in dem anderen Wagen. Von Besançon aus fuhr Frau von Urfé mit ihren Bediensteten weiter; ich aber reiste am nächsten Tage mit Mutter und Tochter nach Genf. Dort stieg ich wie immer in der »Wage« ab.

Während der ganzen Reise sprach ich nicht nur kein Wort mit meiner Begleiterin, sondern würdigte sie nicht mal eines einzigen Blickes. Ich ließ sie mit einem Bedienten aus der Freigrafschaft essen, den ich auf die Empfehlung des Herrn von Schaumburg angenommen hatte.

In Genf ging ich zu meinem Bankier und bat ihn, mir einen sicheren Fuhrmann zu besorgen, der zwei alleinstehende Frauen, für die ich mich interessierte, nach Turin bringen könnte. Zugleich übergab ich ihm fünfzig Louis für einen Wechsel auf Turin.

In meinen Gasthof zurückgekehrt, schrieb ich an den Chevalier Raiberti und schickte ihm den Wechsel. Ich teilte ihm mit, er werde drei oder vier Tage nach dem Empfang meines Briefes eine bolognesische Tänzerin mit ihrer Mutter ankommen sehen, die ihm einen Empfehlungsbrief geben werde. Ich bat ihn, die beiden Frauen in einem anständigen Hause unterzubringen und für meine Rechnung ihren Unterhalt zu bezahlen. Zugleich schrieb ich ihm, er werde mich zu großem Dank verpflichten, wenn er es durchsetzen könne, daß sie während des Karnevals als Tänzerin auftrete, wäre es auch ohne Bezahlung, und wenn er ihr sagen wolle, daß ich mich von ihr lossagen würde, wenn ich bei meiner Ankunft in Turin etwas Ungünstiges über sie hören sollte.

Am nächsten Tage stellte ein Schreiber des Herrn Tronchin mir den Fuhrmann vor, der mir sagte, er sei bereit, gleich nach dem Essen abzureisen. Nachdem ich die zwischen ihm und dem Bankier getroffene Vereinbarung bestätigt hatte, ließ ich die beiden Corticelli kommen und sagte zum Fuhrmann: »Dies sind die beiden Personen, die Sie zu befördern haben; sie werden Ihnen den Fuhrlohn bezahlen, sobald Sie in vier und einem halben Tag mit ihrem Gepäck sicher in Turin angekommen sind, wie es in dem Vertrage geschrieben steht, von dem sie eine Ausfertigung bei sich haben und Sie die andere.«

Eine Stunde darauf fuhr er vor und lud das Gepäck auf den Wagen.

Die Corticelli zerfloß in Tränen. Ich konnte nicht so grausam sein, sie ohne einen kleinen Trost abreisen zu lassen. Sie war für ihre schlechte Aufführung hart genug bestraft. Ich ließ sie mit mir essen. Hierauf übergab ich ihr den Empfehlungsbrief für Herrn Raiberti und fünfundzwanzig Louis, von denen acht für die Auslagen, und sagte ihr, ich hätte an den Herrn geschrieben, daß er es ihr auf meine Anordnung an nichts fehlen lassen würde. Sie verlangte von mir einen Koffer mit drei Kleidern und einem prachtvollen Mantel; diese Sachen hatte Frau von Urfé für sie bestimmt, bevor sie verrückt wurde. Ich sagte ihr jedoch, darüber würden wir in Turin sprechen. Von dem Schmuckkästchen wagte sie gar nicht zu sprechen. Sie weinte nur; aber dadurch rührte sie mich nicht. Sie befand sich in viel besseren Umständen als bei ihrer Ankunft; denn sie hatte schöne Kleider, Wäsche, Schmucksachen und eine sehr schöne Uhr, die ich ihr geschenkt hatte. Das war mehr, als sie verdiente.

Im Augenblick der Abreise führte ich sie an den Wagen, weniger aus Höflichkeit, als um sie noch einmal dem Fuhrmann zu empfehlen. Als sie abgereist war, fühlte ich mich von einer schweren Last befreit. Ich suchte meinen Syndikus auf, den mein Leser noch nicht vergessen haben wird. Ich hatte ihm seit meinem Aufenthalt in Florenz nicht geschrieben; wahrscheinlich dachte er gar nicht mehr an mich, und ich wollte mich an seiner Überraschung weiden. Diese war wirklich sehr groß; aber nachdem er einen Augenblick gestutzt hatte, fiel er mir um den Hals, küßte mich zehnmal unter Freudentränen und sagte mir endlich, er habe schon alle Hoffnung aufgegeben, meine Gestalt wiederzusehen.

»Wie geht es unseren lieben Freundinnen?«

»Ausgezeichnet. Sie sind stets der Gegenstand ihrer Unterhaltungen und ihres zärtlichen Bedauerns; sie werden vor Freude toll werden, wenn sie erfahren, daß Sie hier sind.«

»Wir müssen es ihnen sofort mitteilen.«

»Gewiß! Ich werde ihnen Bescheid sagen, daß wir heute Abend zusammen speisen werden. Wissen Sie schon? Herr von Voltaire hat die Délices dem Herzog von Villars überlassen und wohnt jetzt auf Ferney.«

»Das ist mir einerlei; ich gedenke ihn diesmal nicht aufzusuchen. Ich werde hier zwei oder drei Wochen bleiben, die ich ganz und gar Ihnen widme.«

»Sie werden Glückliche machen!«

»Bevor Sie gehen, geben Sie mir bitte Schreibpapier; ich habe drei oder vier Briefe zu schreiben und möchte dazu die Zeit bis zu Ihrer Rückkunft benutzen.«

Er überließ mir seinen Schreibtisch, und ich schrieb sofort an meine frühere Haushälterin Frau Lebel, daß ich etwa drei Wochen in Genf zubringen und daß ich gern nach Lausanne gehen würde, wenn ich sicher wäre, sie wiederzusehen. Zu meinem Unglück schrieb ich auch nach Bern an jenen Genueser Ascanio Pogomas oder Giacomo Passano, den schlechten Dichter und Feind des Abbate Chiari, den ich in Livorno kennen gelernt hatte. Ich forderte ihn auf, mich in Turin zu erwarten. Zugleich schrieb ich an meinen Freund M. F., an den ich ihn empfohlen hatte, und beauftragte diesen, ihm zwölf Louis Reisegeld zu geben.

Mein böser Geist trieb mich, an diesen Menschen zu denken, der eine imponierende Gestalt und ein wahres Astrologengesicht hatte, um ihn der Frau von Urfé als einen großen Adepten vorzustellen. Ein Jahr weiter, mein lieber Leser, wirst du sehen, wie ich es zu bereuen hatte, dieser unheilvollen Eingebung gefolgt zu sein.

Als der Syndikus und ich abends zu unseren hübschen Cousinen gingen, sah ich einen schönen englischen Wagen, der zum Verkauf stand; ich vertauschte ihn gegen meinen eigenen, indem ich hundert Louis draufzahlte.

Während ich mit dem Verkäufer handelte, sah mich der Oheim der schönen Theologin, die so gut über biblische Thesen disputierte, und der ich so süßen Unterricht in der Naturlehre gegeben hatte; er erkannte mich, umarmte mich und lud mich ein, am nächsten Mittag bei ihm zu speisen.

Ehe wir zu unseren liebenswürdigen Freundinnen kamen, sagte der Syndikus mir, wir würden bei ihnen ein sehr hübsches Mädchen finden, das noch nicht in die süßen Mysterien eingeweiht wäre.

»Um so besser!« rief ich, »ich werde mich entsprechend benehmen, und vielleicht werde ich der Einführer sein.«

Ich hatte ein Schmuckkästchen in die Tasche gesteckt, in das ich ein Dutzend sehr hübscher Ringe hineingetan hatte. Ich wußte seit langer Zeit, daß man durch solche Kleinigkeiten schnell weiterkommt. Der Augenblick, da ich diese reizenden Mädchen wiedersah, war wirklich einer der angenehmsten meines Lebens. Ich erkannte in ihrem Empfang Freude, Genugtuung, aufrichtige Dankbarkeit und Sinnlichkeit. Sie liebten sich ohne Eifersucht und ohne Neid; fern waren ihnen alle Gedanken, die ihre gute Meinung von sich selber hätten beeinträchtigen können. Sie zeigten sich meiner Achtung würdig, gerade weil sie mir ohne erniedrigende Hintergedanken, einer Eingebung des gleichen Gefühles folgend, das auch mich zu ihnen hingezogen hatte, ihre Gunst geschenkt hatten.

Die Anwesenheit ihrer neuen Freundin nötigte uns, unsere ersten Umarmungen auf die Formen des sogenannten Anstandes zu beschränken; errötend und ohne die Augen aufzuschlagen, bewilligte die junge Novize mir die gleiche Gunst.

Nachdem wir die üblichen Redensarten nach langer Abwesenheit ausgetauscht hatten, wechselten wir auch einige Zweideutigkeiten, über die wir lachten und die der jungen Einfalt zu denken gaben. Ich sagte dieser, ich fände sie schön wie die Göttin der Liebe und möchte darauf wetten, daß ihr Geist ebenso schön sei wie ihr entzückendes Gesicht und für gewisse Vorurteile nicht empfänglich sei.

»Ich habe,« sagte sie in bescheidenem Ton zu mir, »alle Vorurteile, die die Ehre und die Religion uns auferlegen.«

Ich sah, daß ich sie schonen und daß ich mit Zartgefühl langsam vorgehen mußte. Sie war keine Festung, die durch einen Handstreich im Sturmlauf genommen werden konnte. Aber nach meiner Gewohnheit verliebte ich mich in sie.

Als der Syndikus gelegentlich meinen Namen nannte, rief das junge Mädchen: »Ach! dann sind Sie also der Herr, der vor zwei Jahren mit meiner Base, der Nichte des Pastors, über so eigentümliche Fragen disputiert hatte! Es freut mich sehr, daß ich Gelegenheit habe, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

»Ich bin glücklich, die Ihrige zu machen, mein Fräulein, und ich wünsche, daß Ihre Base, indem sie Ihnen von mir erzählt hat, Sie nicht gegen mich eingenommen hat.«

»Ganz im Gegenteil! Sie hält große Stücke auf Sie.«

»Ich werde morgen die Ehre haben, mit ihr zusammen zu speisen, und werde nicht verfehlen, ihr meinen Dank abzustatten.«

»Morgen? Ich werde es so einrichten, daß ich an diesem Essen teilnehme, denn ich habe eine große Vorliebe für philosophische Erörterungen, obwohl ich es nicht wage, selber ein Sterbenswörtchen dazu zu sagen.«

Der Syndikus pries ihre Vorsicht und lobte sehr warm ihre Verschwiegenheit. Ich bemerkte deutlich, daß er in sie verliebt war und daß er sicherlich auf alle Weise versuchen würde, sie zu verführen, wenn er es nicht bereits getan hatte. Das schöne Mädchen hieß Helene. Ich fragte die Fräuleins, ob die schöne Helene unsere Schwester sei. Die älteste antwortete mir mit einem feinen Lächeln, Schwester sei sie, aber sie habe keinen Bruder. Nachdem sie diese Erklärung gegeben hatte, lief sie auf sie zu und umarmte sie. Der Syndikus und ich machten ihr nun die allerschönsten Komplimente; er sagte, wir hofften, ihre Brüder zu werden. Helene errötete, antwortete aber auf alle anderen galanten Bemerkungen nicht ein Wort. Ich brachte hierauf mein Juwelenkästchen zum Vorschein, und als ich die jungen Damen von der Schönheit meiner Ringe entzückt sah, wußte ich sie zu veranlassen, sich diejenigen auszusuchen, die ihnen am besten gefielen. Die reizende Helene folgte dem Beispiel der Freundinnen und belohnte mich durch einen bescheidenen Kuß. Bald darauf entfernte sie sich, und wir hatten unsere frühere Freiheit wieder.

Der Syndikus hatte recht, wenn er in Helene verliebt war, denn das junge Mädchen besaß alle Eigenschaften, um nicht nur zu gefallen, sondern sogar die heftigste Leidenschaft zu erregen. Die drei Freundinnen gaben sich jedoch nicht der Hoffnung hin, sie zur Teilnahme an unseren Freuden bewegen zu können; denn sie hatte, wie sie sagten, Männern gegenüber ein unüberwindliches Schamgefühl.

Wir waren beim Abendessen sehr lustig und begannen nach Tisch unsere alten Spiele, wobei der Syndikus nach seiner Gewohnheit einfacher Zuschauer unserer Heldentaten blieb. Er war jedoch sehr damit zufrieden, nichts weiter zu sein als dies. Ich nahm jede der drei Nymphen ein paarmal vor, indem ich sie zu ihrem Vorteil betrog und sie schonte, wenn ich gezwungen war, der Natur nachzugeben. Um Mitternacht trennten wir uns, und der gute Syndikus begleitete mich bis an die Tür meines Gasthofes.

Am nächsten Mittag ging ich zum Pastor, bei welchem ich zahlreiche Gesellschaft fand, unter anderen auch Herrn d’Harcourt und Herrn von Ximénès, der mir sagte, Herr von Voltaire wisse, daß ich in Genf sei, und hoffe, mich zu sehen. Ich begnügte mich, ihm durch eine tiefe Verneigung zu antworten. Die Nichte des Pastors, Fräulein Hedwig, machte mir ein sehr schmeichelhaftes Kompliment, das mir jedoch weniger gefiel als der Anblick ihrer Base Helene, die neben ihr stand und die sie mir mit den Worten vorstellte, wir könnten doch miteinander zusammenkommen, da wir jetzt Bekanntschaft gemacht hätten. Dies war mein sehnlichster Wunsch. Die zweiundzwanzigjährige Theologin war schön und appetitlich, aber sie besaß nicht jenes gewisse Etwas, das einen eigentümlichen Reiz gibt und sowohl die Hoffnung auf Genuß wie den Genuß selber erhöht – jenes »Sauersüße«, das die höchste Wollust noch steigert. Ihre Freundschaft mit ihrer Base war aber gerade das, was ich gebrauchte, um dieser letzteren eine günstige Meinung von mir einzuflößen.

Das Essen war ausgezeichnet. Während der Mahlzeit wurde nur von gleichgültigen Dingen gesprochen; beim Nachtisch aber bat der Pastor Herrn von Ximénès, einige Fragen an seine Nichte zu stellen. Da ich den gelehrten Herrn seinem Rufe nach kannte, so erwartete ich irgendeine mathematische Aufgabe zu hören, aber ich täuschte mich. Er fragte sie nämlich, ob sie glaube, daß der innerliche Vorbehalt genüge, um eine Lüge zu rechtfertigen.

Hedwig antwortete bescheiden, daß zwar eine Lüge notwendig werden könne, daß jedoch der innerliche Vorbehalt stets ein Betrug sei.

»Dann sagen Sie mir doch, wie Jesus Christus behaupten konnte, der Zeitpunkt des Weltendes sei ihm unbekannt.«

»Er hat dies nicht sagen können, weil er es nicht wußte.«

»So war er also nicht Gott?«

»Die Schlußfolgerung ist falsch, denn da Gott allmächtig ist, so steht es auch in seiner Macht, eine Futurität nicht zu wissen.«

Dies Wort »Futurität«, das sie so passend gebildet hatte, dünkte mich erhaben. Hedwig erhielt lebhaften Beifall, und ihr Oheim ging um den Tisch herum, um sie zu umarmen. Mir schwebte ein sehr natürlicher Einwand auf den Lippen, der aus der Frage selbst hervorging und der sie wohl hätte in Verlegenheit setzen können; ich wollte ihr jedoch gefallen und schwieg daher.

Nun wurde Herr d’Harcourt aufgefordert, eine Frage zu stellen; er antwortete jedoch mit Horaz: nulla mihi religio est – »ich habe keine Religion.«

Hierauf wandte Hedwig sich zu mir und sagte: »Ich erinnere mich der Amphidromie; es war ein heidnisches Fest. Ich möchte jedoch, daß Sie mich nach irgend etwas fragen, was das Christentum betrifft, irgend etwas Schwieriges, was Sie selber nicht entscheiden können.«

»Sie machen es mir leicht, mein Fräulein.«

»Um so besser, dann brauchen Sie nicht so viel nachzudenken.«

»Ich denke nach, um etwas Neues zu finden. Halt – da habe ich etwas! Geben Sie mir zu, daß Jesus Christus alle menschlichen Eigenschaften im höchsten Grade besaß?«

»Gewiß – alle, mit Ausnahme der Schwächen.«

»Zählen Sie die Zeugungsfähigkeit zu den Schwächen?«

»Nein.«

»Wollen Sie mir also sagen, von welcher Art das Geschöpf gewesen wäre, das geboren sein würde, wenn Jesus Christus die Absicht gehabt hätte, der Samariterin ein Kind zu machen?«

Hedwig wurde feuerrot. Der Pastor und die ganze Gesellschaft sahen einander an; ich aber blickte unverwandt auf die Theologin, die eifrig nachdachte. Herr von Harcourt sagte, um eine so kniffliche Frage zu entscheiden, müsse man Herrn von Voltaire holen; als aber Hedwig mit ruhiger Miene die Augen aufschlug, wie wenn sie zur Antwort bereit wäre, da schwiegen alle anderen.

»Jesus Christus,« sagte sie, »hatte zwei vollkommene Naturen, die einander vollkommen das Gleichgewicht hielten; sie waren unzertrennlich voneinander. Wenn also die Samariterin mit unserem Erlöser fleischlichen Verkehr gehabt hätte, so würde sie ganz gewiß empfangen haben, denn es wäre albern, anzunehmen, daß ein Gott eine so wichtige Handlung vollziehen sollte, ohne daß diese ihre natürliche Folge hätte. Die Samariterin würde nach neun Monaten ein Kind zur Welt gebracht haben, und zwar ein männliches, nicht ein weibliches, und dieses Geschöpf, von einem menschlichen Weibe und einem Gottmann geboren, würde ein Viertel Gott und drei Viertel Mensch gewesen sein.«

Bei diesen Worten klatschten alle Gäste in die Hände, und Herr von Ximénès bewunderte die vernünftige Berechnung; hierauf sagte er: »Wenn der Sohn der Samariterin sich verheiratet hätte, so würden natürlich die Kinder, die aus dieser Ehe hervorgegangen wären, sieben Teile Menschlichkeit und ein Teil Göttlichkeit gehabt haben.«

»Wenn er nicht etwa eine Göttin geheiratet hätte,« fügte ich hinzu; »denn dadurch würden sich die Beziehungen wesentlich geändert haben.«

»Sagen Sie mir ganz genau,« begann Hedwig wieder, »wieviel Göttliches ein Kind in der sechzehnten Generation gehabt haben würde?«

»Warten Sie einen Augenblick und geben Sie mir einen Bleistift!« sagte Herr von Ximénès.

»Es ist nicht nötig, das auszurechnen,« sagte ich; »es hätte ein Teilchen des Geistes gehabt, der Sie beseelt.«

Alle Anwesenden zollten dieser Galanterie Beifall, die der damit Bedachten nicht mißfiel.

Die schöne Blonde entflammte mich durch die Reize ihres Geistes. Wir erhoben uns vom Tisch, um sie zu umringen, und sie zerstäubte alle unsere Komplimente auf die vornehmste Weise. Ich nahm Helenen auf die Seite und bat sie, ihre Base zu veranlassen, daß sie einen Ring aus meinem Schmuckkästchen wähle; die am vorigen Tag entstandene Lücke hatte ich wieder ausgefüllt. Das reizende Mädchen übernahm sehr gern diesen Auftrag. Eine Viertelstunde darauf zeigte Hedwig mir ihre Hand, und ich sah daran mit Vergnügen den Ring, welchen sie sich ausgesucht hatte; ich küßte voll Entzücken diese Hand, und ohne Zweifel fühlte sie an der Glut meiner Küsse, welche Gefühle sie mir eingeflößt hatte. Am Abend erzählte Helene dem Syndikus und den drei Freundinnen von den Fragen, die beim Mittagessen gestellt worden waren, ohne auch nur den kleinsten Umstand auszulassen. Sie erzählte gewandt und anmutig; ich brauchte ihr nicht ein einzigesmal zu Hilfe zu kommen. Wir baten sie, zum Abendessen zu bleiben, sie nahm jedoch ihre Freundinnen beiseite und machte ihnen klar, daß dies unmöglich wäre; aber sie sagte ihnen zugleich, vielleicht könnte sie zwei Tage auf einem Landgut verbringen, das sie am See besäßen, wenn sie persönlich ihre Mutter um Erlaubnis fragen wollten.

Auf Wunsch des Syndikus gingen die drei Freundinnen schon am nächsten Tage zu der Mutter; den übernächsten Tag reisten sie mit Helene ab. Am selben Abend fuhren wir hinaus, um mit ihnen zu soupieren; wir konnten jedoch nicht dort übernachten. Es wurde vereinbart, daß der Syndikus mich nach einem nicht weit entfernt gelegenen Hause bringen sollte, wo wir sehr gut aufgehoben sein würden. Unter diesen Umständen brauchten wir uns nicht zu beeilen; die älteste, die ihrem Freunde gern einen Gefallen tun wollte, sagte ihm, er könne mit mir fortgehen, wenn er wolle; sie würden sich zu Bett legen. Mit diesen Worten nahm sie Helene unter den Arm und führte sie in ihr Zimmer; die beiden andern begaben sich in das ihrige. Wenige Augenblicke später betrat der Syndikus das Zimmer, worin Helene sich befand, und ich suchte die beiden anderen auf.

Ich lag kaum seit einer Stunde zwischen meinen beiden Freundinnen, als der Syndikus meine erotischen Arbeiten unterbrach, indem er mich bat, mit ihm fortzugehen.

»Was haben Sie mit Helene gemacht?« fragte ich ihn.

»Sie versteckte sich unter die Decke und wollte sich die Scherze, die ich mit ihrer Freundin machte, nicht einmal ansehen.«

»Sie hätten sich an sie selber wenden müssen.«

»Das habe ich getan, aber sie stieß mich mehrere Male zurück. Ich kann nicht mehr, denn ich bin völlig erschöpft; außerdem bin ich überzeugt, daß ich bei dieser Wilden niemals etwas erreichen werde, wenn Sie sie mir nicht zähmen.«

»Wie soll ich das machen?«

»Gehen Sie morgen zum Mittagessen hin; ich werde nicht da sein, denn ich muß den ganzen Tag in Genf verbringen. Aber zum Abendessen werde ich kommen. Wenn wir sie vielleicht betrunken machen könnten?«

»Das wäre schade. Lassen Sie mich nur machen.«

Am nächsten Tage lud ich mich also allein bei ihnen zum Mittagessen ein, und sie empfingen mich auf eine wirklich herzliche Weise. Als wir nach Tisch einen Spaziergang machten, kamen die drei Freundinnen meinen Wünschen zuvor und ließen mich mit der schönen Widerspenstigen allein; aber diese widerstand meinen Liebkosungen und meinen Bitten, so daß ich fast alle Hoffnung verlor sie zu bändigen.

»Der Syndikus,« sagte ich zu ihr, »ist in Sie verliebt; diese Nacht …«

»Diese Nacht«, antwortete sie mir, »diese Nacht hat er sich mit seiner alten Freundin erlustigt. Ich habe nichts dagegen, daß jeder nach seinem Vergnügen handelt; aber ich verlange, daß man mir die Freiheit läßt, meinem eigenen Geschmack zu folgen.«

»Wenn es mir gelingen könnte, Ihr Herz zu besitzen, so würde ich mich glücklich schätzen.«

»Warum laden Sie nicht den Pastor und meine Base irgendwo zum Mittagessen ein; sie würden mich mitnehmen, denn mein Oheim liebt alle, die seine Nichte lieben.«

»Es freut mich, das zu hören. Hat sie einen Liebhaber?«

»Nein!«

»Wie ist das möglich? Sie ist jung, hübsch, fröhlich und außerdem sehr geistvoll.«

»Sie kennen Genf nicht. Gerade ihr Geist ist schuld, daß kein junger Mann ihr seine Liebe zu erklären wagt. Diejenigen, die an ihr ein persönliches Wohlgefallen finden, bleiben ihr fern, weil sie so viel Geist hat, denn sie würden es in der Unterhaltung nicht mit ihr aufnehmen können.«

»Aber sind denn die jungen Genfer so ungebildet?«

»Im allgemeinen, ja. Doch muß man gerechterweise sagen, daß viele eine gute Erziehung genossen und etwas Tüchtiges gelernt haben; aber im Durchschnitt genommen haben sie sehr viele Vorurteile. Niemand will für dumm oder albern gelten; außerdem suchen die jungen Leute hier bei einer Frau durchaus keinen Geist und keine gute Erziehung. Im Gegenteil: wenn ein junges Mädchen geistvoll oder gebildet ist, so muß sie dies sorgfältig verbergen, wenigstens wenn sie die Absicht hat, sich zu verheiraten.«

»Jetzt begreife ich, reizende Helene, warum Sie während des Essens bei Ihrem Oheim nicht ein einzigesmal den Mund aufgetan haben.«

»Ich weiß, daß ich nicht nötig habe, mich zu verbergen. Ich habe also nicht aus diesem Grunde an jenem Tage geschwiegen, und ich kann Ihnen ohne Eitelkeit und ohne mich zu schämen gern sagen, daß ich vor lauter Vergnügen den Mund nicht geöffnet habe. Ich habe mein Base bewundert, die von Jesus Christus sprach, wie ich von meinem Vater sprechen würde, und die sich nicht fürchtete, sich auf einem Gebiete beschlagen zu zeigen, wo ein anderes Mädchen sich gestellt haben würde, wie wenn sie die Frage gar nicht verstanden hätte.«

»Sie würden sich so gestellt haben, und wenn Sie so gut davon Bescheid gewußt hätten wie ihre Großmutter.«

»Das bringt die Sitte so mit sich oder vielmehr das Vorurteil.«

»Sie sprechen zum Entzücken, meine liebe Helene, und ich sehne mich bereits nach der Partie, die Sie mir vorgeschlagen haben. Das war ein höchst glücklicher Einfall von Ihnen.«

»Sie werden das Vergnügen haben, mit meiner Base zusammen zu sein.«

»Ich lasse Ihnen volle Gerechtigkeit widerfahren, schöne Helene: Hedwig ist liebenswürdig und interessant; aber glauben Sie mir: gerade darum, weil Sie daran teilnehmen werden, entzückt mich der Gedanke an diese Gesellschaft.«

»Und wenn ich Ihnen dies nicht glaubte?«

»Das wäre unrecht von Ihnen, und Sie würden mir damit sehr weh tun, denn ich liebe Sie zärtlich.«

»Trotzdem haben Sie versucht, mich zu täuschen. Ich bin überzeugt, Sie haben den drei jungen Damen Beweise von Ihrer Zärtlichkeit gegeben; sie tun mir sehr leid.«

»Warum?«

»Weil keine von ihnen sich einbilden kann, daß Sie sie allein lieben.«

»Und glauben Sie, dieses Zartgefühl mache Sie glücklicher als jene?«

»Ja, das glaube ich, obgleich ich in dieser Hinsicht durchaus keine Erfahrung habe. Sagen Sie mir aufrichtig, ob Sie der Meinung sind, daß ich recht habe.«

»Ja, ich bin dieser Meinung.«

»Sie beglücken mich. Aber wenn ich recht habe, so kann ich mich nicht zu diesen Dreien gesellen; denn geben Sie zu: Sie würden mir keinen Beweis solcher Liebe geben, wie ich ihn wünschen müßte, um von Ihrer Liebe überzeugt zu sein.«

»Ja, ich gebe auch dies zu und bitte Sie aufrichtig um Verzeihung. Jetzt aber, göttliche Helene, sagen Sie mir, wie ich es anfangen muß, um den Pastor zum Mittagessen einzuladen.«

»Das ist nicht schwer. Gehen Sie zu ihm und laden Sie ihn ganz einfach ein; und wenn Sie sicher sein wollen, daß auch ich daran teilnehme, so bitten Sie ihn, mich mit meiner Mutter einzuladen.«

»Weshalb mit Ihrer Mutter?«

»Weil er vor zwanzig Jahren sehr verliebt in sie war und weil er sie noch immer liebt.«

»Und wo kann ich dieses Mittagessen veranstalten?«

»Ist nicht Herr Tronchin Ihr Bankier?«

»Ja.«

»Er hat ein schönes Lusthaus am See; bitten Sie ihn, es Ihnen für einen Tag zu überlassen; er wird es Ihnen mit Vergnügen leihen. Tun Sie dies, aber sagen Sie weder dem Syndikus noch seinen drei Freundinnen etwas davon; wir wollen es ihnen später sagen.«

»Aber glauben Sie, daß Ihre gelehrte Base gerne zu mir kommen wird?«

»Mehr als gern – verlassen Sie sich darauf.«

»Gut; morgen werde ich alles in Ordnung bringen. Übermorgen kehren Sie nach der Stadt zurück und die Gesellschaft soll dann zwei oder drei Tage darauf stattfinden.«

In der Dämmerung fand der Syndikus sich wieder ein; wir verbrachten den Abend sehr fröhlich. Nach dem Abendessen gingen die jungen Mädchen wie am Tage vorher zu Bett; ich ging in das Zimmer der älteren, während mein Freund die beiden jüngsten aufsuchte. Ich wußte, daß jede Bemühung, Helenen zu verführen, zwecklos sein würde; ich begnügte mich daher mit einigen Küssen, wünschte ihr gute Nacht und ging sofort zu den beiden jüngeren. Ich fand sie im tiefsten Schlafe liegen; der Syndikus langweilte sich ganz allein.

Es machte ihm nicht eben Vergnügen, als ich ihm sagte, ich hätte keine einzige Gunstbezeigung erlangen können.

»Ich sehe wohl,« rief er, »ich werde bei dieser dummen Kleinen meine Zeit verlieren, und ich werde mich wohl mit diesem Gedanken abfinden müssen.«

»Ich glaube wohl,« antwortete ich ihm, »das ist das einfachste und vielleicht das beste, was Sie tun können, denn wenn man nach einer unempfindlichen oder launenhaften Schönen schmachtet, so ist man dumm. Das Glück darf weder zu leicht noch zu schwer zu erlangen sein.«

Am nächsten Tage fuhren wir zusammen nach Genf, und Herr Tronchin war entzückt, mir den erbetenen Gefallen tun zu können. Der Pastor nahm meine Einladung an und sagte mir, er sei überzeugt, es werde mir viel Vergnügen machen, Helenens Mutter kennen zu lernen. Man konnte leicht sehen, daß der wackere Mann noch immer ein zärtliches Gefühl für sie hatte, und wenn sie dies nur ein bißchen erwiderte, konnte das meinen Absichten nur günstig sein.

Ich gedachte an dem Abend mit den Freundinnen und der reizenden Helene in dem Hause am See zu speisen, aber ein Brief, den ich durch besonderen Boten erhielt, nötigte mich, sofort nach Lausanne zu reisen: meine frühere Haushälterin, Frau Lebel, die ich noch heute liebe, lud mich ein, mit ihr und ihrem Mann zu Abend zu essen. Sie schrieb mir, sie habe sofort nach Empfang meines Briefes ihren Gatten veranlaßt, mit ihr nach Lausanne zu reisen, und sie sei überzeugt, ich würde alles andere im Stich lassen, um ihr das Vergnügen des Wiedersehens zu bereiten. Zugleich teilte sie mir mit, zu welcher Stunde sie bei ihrer Mutter eintreffen würde.

Frau Lebel ist eine von den zehn oder zwölf Frauen, die ich in meiner glücklichen Jugendzeit auf das zärtlichste geliebt habe. Sie besaß alle Eigenschaften, die ich wünschen konnte, um in einer glücklichen Ehe zu leben, wenn es mir vergönnt gewesen wäre, dieses Glück kennen zu lernen. Aber bei meinem Charakter habe ich vielleicht gut getan, mich nicht unwiderruflich zu binden, obgleich in meinem Alter Unabhängigkeit eine Art von Sklaverei ist. Hätte ich mich mit einer Frau verheiratet, die es verstanden hätte, mich geschickt zu lenken, ohne daß ich ihr Regiment bemerkt hätte, so hätte ich mich um mein Vermögen bekümmert, hätte Kinder gehabt und stände jetzt nicht allein und arm in der Welt da. Aber lassen wir diese Abschweifungen in eine Vergangenheit, die sich doch nicht zurückrufen läßt; da ich durch meine Erinnerungen glücklich bin, so wäre ich töricht, wollte ich mich mit unnützem Bedauern abplagen!

Ich berechnete, daß ich eine Stunde vor meiner lieben Dubois in Lausanne ankommen könnte, wenn ich sofort abreiste; ich zögerte daher nicht, ihr diesen Beweis meiner Achtung zu geben. Dabei muß ich folgendes bemerken: obgleich ich diese Frau liebte, so hatte doch keinerlei Hoffnung auf wollüstige Genüsse etwas mit meinem Eifer zu tun. Ich war in jenem Augenblick von einer anderen Leidenschaft in Anspruch genommen. Schon meine Achtung vor ihr hätte genügt, um meine Liebe im Zaum zu halten; aber ich achtete auch Lebel, und es wäre mir niemals eingefallen, diese beiden Freunde in ihrem Glück stören zu wollen.

Ich schrieb in aller Eile dem Syndikus einen Brief, worin ich ihm meldete, eine unvorhergesehene, sehr wichtige Angelegenheit nötige mich, nach Lausanne zu fahren, aber am übernächsten Tage würde ich das Vergnügen haben, in Genf mit den drei Freundinnen und ihm zu Abend zu speisen.

Um fünf Uhr traf ich bei der guten Dubois mit einem Riesenhunger ein. Die gute Frau war außerordentlich überrascht, als sie mich sah, denn sie wußte nicht, daß ihre Tochter sie besuchen würde. Ohne viele Komplimente zu machen, gab ich ihr zwei Louis und bat sie, uns ein gutes Abendessen zu besorgen, wie ich es brauchte.

Um sieben Uhr kam Frau Lebel mit ihrem Gatten und einem achtzehn Monate alten Kinde, das ich ohne Mühe als das meinige erkannte, ohne daß die Mutter es mir sagte. Unser Beisammensein war reines Glück. Während der zehn Stunden, die wir bei Tisch verbrachten, schwammen wir in Wonnen. Mit Tagesanbruch reisten sie wieder nach Solothurn, wo Lebel zu tun hatte. Herr von Chavigny ließ mir tausend Grüße bestellen. Lebel sagte mir, der Botschafter sei außerordentlich freundlich gegen seine Frau; er dankte mir für das Geschenk, das ich ihm gemacht hätte, indem ich sie ihm überlassen hätte. Ich konnte mich mit eigenen Augen überzeugen, daß er glücklich war und auch seine Gemahlin glücklich machte.

Meine liebe Haushälterin erzählte mir von ihrem Sohn. Sie sagte mir, niemand habe eine Ahnung von der Wahrheit; sie aber und Lebel wären ihrer Sache gewiß, denn sie hätten die Bedingung, erst nach Ablauf von zwei Monaten die Ehe zu vollziehen, pünktlich eingehalten.

»Und das Geheimnis«, sagte Lebel zu mir, »wird niemals bekannt werden; Ihr Sohn wird mein einziger Erbe sein, oder er wird sich mit meinen Kindern in mein Vermögen teilen, wenn ich welche bekommen sollte, woran ich zweifele.«

»Lieber Freund,« sagte seine Frau, »es ist allerdings jemand da, der die Wahrheit vermutet, besonders, je mehr das Kind sich entwickelt; aber wir haben von dieser Seite nichts zu befürchten; denn die betreffende Person hat ein Interesse daran, die Sache geheim zu halten.«

»Und was ist denn das für eine Person, meine liebe Lebel?« fragte ich.

»Frau von ***, die Sie nicht vergessen hat, denn sie spricht oft von Ihnen.«

»Wollen Sie, meine Liebe, ihr meine Komplimente überbringen?«

»O sehr gern, lieber Freund; ich bin gewiß, ich werde ihr damit ein großes Vergnügen bereiten.«

Lebel zeigte mir meinen Ring, und ich zeigte ihm den seinigen; zugleich gab ich ihm für meinen Sohn eine herrliche Uhr mit meinem Porträt.

»Geben Sie ihm diese Uhr, lieber Freund,« sagte ich zu ihm, »wenn Sie es für angemessen halten.«

Wir werden dieses Kind einundzwanzig Jahre später in Fontainebleau wiederfinden.

Mehr als drei Stunden lang erzählte ich ihnen, was mir in den siebenundzwanzig Monaten seit unserer Trennung zugestoßen war. Ihre Geschichte dagegen war nicht lang; ihr Leben war einförmig, wie es einem friedlichen Glück entspricht.

Madame Lebel war immer noch schön; ich fand sie nicht verändert; aber ich war es. Sie fand mich weniger frisch und weniger fröhlich als zur Zeit unserer Trennung. Sie hatte recht: die unglückselige Renaud hatte mich vergiftet und die falsche Lascaris hatte mir viel Kummer gemacht.

Nachdem wir uns aufs zärtlichste umarmt hatten, reiste das Ehepaar nach Solothurn ab. Ich fuhr nach Genf zurück, um dort zu Mittag zu essen; da ich aber der Ruhe sehr bedürftig war, so ging ich abends nicht zu dem Syndikus und seinen Freundinnen, sondern schrieb ihnen, mir sei nicht wohl und ich könne daher erst am nächsten Tage das Vergnügen haben, sie zu sehen. Hierauf legte ich mich zu Bett.

Am anderen Morgen befahl ich meinem Wirt, für den nächsten Tag, an welchem mein Diner in Tronchins Landhaus stattfinden sollte, eine Mahlzeit zurecht zu machen, bei welcher nichts gespart werden sollte. Besonders machte ich ihn darauf aufmerksam, daß er die besten Weine, die feinsten Liköre, Eis und alle Zutaten zu einem Punsch besorgen solle. Ich bestellte das Essen für sechs Personen, denn ich sah voraus, daß Herr Tronchin ebenfalls daran teilnehmen würde. Ich täuschte mich nicht, denn er war in seinem hübschen Hause, um uns zu empfangen, und es kostete mir keine große Mühe, ihn zum Bleiben zu überreden.

Am Abend glaubte ich dem Syndikus und seinen drei Freundinnen von diesem Diner Mitteilung machen zu müssen. Ich tat dies in Helenens Gegenwart, die sich stellte, wie wenn sie nichts davon wüßte. Sie sagte: »Meine Mutter hat mir mitgeteilt, daß wir zum Mittagessen eingeladen sind. Ich vernehme es mit größter Freude, da dies nur in Herrn Tronchins hübschem Hause sein kann.«

Mein Mittagessen war von einer Güte, wie der größte Feinschmecker es sich nur wünschen kann. Hedwig war in der Tat die Zierde dieses Mahles. Das erstaunliche Mädchen spielte die Theologin mit solcher Anmut und machte die Vernunft so ungemein reizvoll, daß man hingerissen wurde, auch wenn man sich nicht überzeugt fühlte. Ich habe niemals einen Theologen gesehen, der imstande gewesen wäre, unvorbereitet die abstraktesten Fragen dieser Wissenschaft mit solcher Leichtigkeit, Gedankenfülle und wahrhaften Würde zu behandeln, wie dieses junge Mädchen, das mich während des Essens vollständig entflammte. Herr Tronchin, der Hedwig niemals gehört hatte, dankte mir tausendmal dafür, daß ich ihm dieses Vergnügen verschafft hätte. Er mußte uns verlassen, als wir von Tisch aufstanden, und lud uns ein, am dritten Tage die Partie zu wiederholen. Beim Nachtisch erregte es meine ganz besondere Teilnahme, daß der Pastor sich seiner alten Liebe zu Helenens Mutter erinnerte. Seine verliebte Beredsamkeit wuchs, je reichlicher er seine Kehle mit Champagner, Zyperwein und süßen Likören befeuchtete. Die Mutter hörte ihm freundlich zu und trank mit ihm, während die jungen Mädchen und ich nur mäßig getrunken hatten. Doch hatten immerhin die verschiedensten Getränke und der Punsch ihre Wirkung hervorgebracht, und meine Schönen waren ein bißchen beschwipst. Sie waren ungeheuer lustig, dabei aber reizend. Ich benutzte die allgemeine gute Laune, um das bejahrte Liebespaar um Erlaubnis zu bitten, mit den jungen Damen in den Garten, der am See lag, gehen zu dürfen. Diese Erlaubnis wurde mir auf das freundlichste gewährt. Wir gingen Arm in Arm hinaus und waren in wenigen Minuten von keinem Menschen mehr zu sehen.

»Wissen Sie,« fragte ich Hedwig, »daß Sie Herrn Tronchins Herz gewonnen haben?«

»Ich weiß nichts damit anzufangen, übrigens hat der brave Bankier dumme Fragen an mich gerichtet.«

»Glauben Sie nur ja nicht, daß jeder junge Mann imstande ist, Ihnen Fragen zu stellen, die Ihrem Geist angemessen sind.«

»Ich muß Ihnen sagen, daß niemals ein Mensch eine Frage an mich richtete, die mir so gefallen hätte wie die Ihrige. Ein dummer, frömmelnder Theologe, der am anderen Ende des Tisches saß, schien an der Frage und noch mehr an der Antwort Anstoß zu nehmen.«

»Und warum?«

»Er behauptet, ich hätte Ihnen antworten müssen, Jesus Christus habe die Samariterin nicht befruchten können. Er sagte, er würde mir den Grund auseinandersetzen, wenn ich ein Mann wäre; da ich jedoch ein Weib und sogar ein Mädchen wäre, so könnte er sich nicht erlauben, mir etwas zu sagen, was mich durch das Nachdenken über die gottmenschliche Zusammensetzung auf gewisse Ideen bringen könnte. Ich möchte gerne, daß Sie mir sagten, was der Dummkopf mir nicht sagen wollte.«

»Gern; aber Sie müssen mir erlauben, klar und deutlich zu sprechen; außerdem muß ich voraussetzen, daß Ihnen die Körperbildung des Mannes bekannt ist.«

»Ja, sprechen Sie nur deutlich, denn niemand kann uns hier hören; ich bin jedoch genötigt, Ihnen zu gestehen, daß ich die Bildung eines Mannes nur theoretisch und aus Büchern kenne. Praktische Erfahrung besitze ich gar nicht. Ich habe wohl Statuen gesehen, aber einen richtigen Mann habe ich noch niemals gesehen noch weniger untersucht. Und du, Helene?«

»Ich habe es nicht gewollt.«

»Warum nicht? Es ist gut, wenn man alles weiß.«

»Nun, reizende Hedwig, er hat Ihnen sagen wollen, daß Jesus Christus keiner Erektion fähig gewesen sei.«

»Was ist das?«

»Geben Sie mir die Hand.«

»Ich fühle es; ich hatte es mir auch bereits gedacht, denn ohne diese Naturerscheinung könnte der Mann seine Gefährtin nicht befruchten. Und dieser dumme Theologe behauptet, daß das eine Unvollkommenheit sei!«

»Ja; denn diese Erscheinung wird durch Begierde hervorgerufen. Sie würde auch bei mir nicht eingetreten sein, schöne Hedwig, wenn ich Sie nicht reizend gefunden hätte und wenn nicht das, was ich von Ihnen sehe, mir einen höchst verführerischen Begriff von den Schönheiten gäbe, die ich nicht sehe. Sagen Sie mir nur frei heraus, ob nicht auch Sie, indem Sie diesen steifen Gegenstand fühlen, ein angenehmes Jucken empfinden?«

»Ich gestehe es; und zwar verspüre ich es gerade an der Stelle, die Sie drücken. Fühlst du nicht auch wie ich, liebe Helene, ein Jucken an dieser Stelle, indem du die sehr richtige Erklärung des Herrn hörst?«

»Ja, ich fühle es; aber ich fühle es überhaupt sehr oft, ohne daß es durch irgendwelche Worte erregt wird.«

»Und dann«, fragte ich sie, »nötigt die Natur Sie wohl, es zu beschwichtigen?«

»O nein!«

»O doch!« rief Hedwig. »Sogar im Schlaf greift unsere Hand instinktmäßig dahin; ich habe gelesen, wir würden uns entsetzliche Krankheiten zuziehen, wenn wir nicht dieses Erleichterungsmittel hätten.«

Unter diesen philosophischen Gesprächen, wobei die junge Theologin einen ernsten, lebhaften Ton bewahrte und die schöne Haut ihrer Base sich mit der Röte der Lust belebte, kamen wir an ein prachtvolles Wasserbecken, in das man auf einer Marmortreppe hinabsteigen konnte, um sich zu baden. Es war allerdings kalt, aber unsere Köpfe waren erhitzt, und ich kam auf den Einfall, ihnen den Vorschlag zu machen, sie möchten die Füße ins Wasser stellen. Ich sagte ihnen, dies würde ihnen wohltun, und wenn sie mir erlauben wollten, so würde ich die Ehre haben, ihnen Schuhe und Strümpfe auszuziehen.

»Vorwärts!« rief die Nichte; »mir ist es recht.«

»Mir auch!« sagte Helene.

»Also setzen Sie sich, meine Damen, auf die erste Stufe!«

Sie setzten sich; ich stellte mich auf die vierte Stufe und zog ihnen die Schuhe und Strümpfe aus; dabei rühmte ich die Schönheit ihrer Beine, zeigte mich jedoch für den Augenblick nicht neugierig, von dem, was oberhalb des Knies war, etwas zu sehen. Nachdem ich sie hierauf bis an das Wasser hinuntergeführt hatte, mußten sie wohl die Röcke hochheben; ich ermutigte sie, dies zu tun.

»Na,« sagte Hedwig, »Männer haben auch Beine.«

Helene schämte sich, weniger tapfer zu sein als ihre Base, und blieb nicht zurück.

»Kommen Sie, meine reizenden Najaden,« sagte ich zu ihnen, »jetzt ist es genug; wenn Sie noch länger im Wasser bleiben, könnten Sie sich erkälten.«

Sie gingen rücklings aus dem Wasser, wobei sie die Röcke fortwährend aufgeschürzt hielten, um sie nicht naß zu machen. Meine Aufgabe war es dann, sie mit allen Taschentüchern abzutrocknen, die ich bei mir hatte. Diese angenehme Beschäftigung erlaubte mir, nach Herzenslust alles zu besehen und zu befühlen, und ich brauche dem Leser wohl nicht unter Eid zu versichern, daß ich dies mit großem Eifer tat. Die schöne Nichte sagte mir, ich sei zu neugierig; Helene aber ließ mich mit so zärtlicher und schmachtender Miene gewähren, daß ich mich mit Gewalt zurückhalten mußte, um nicht weiter zu gehen. Nachdem ich ihnen ihre Schuhe wieder angezogen hatte, rief ich aus, ich sei entzückt, die geheimen Schönheiten der beiden schönsten Mädchen von Genf gesehen zu haben.

»Welche Wirkung hat dies auf Sie hervorgebracht?« fragte Hedwig mich.

»Ich wage es nicht, Sie aufzufordern, sich das anzusehen; aber fühlen Sie nur alle beide.«

»Gehen Sie doch auch ins Bad!«

»Das ist nicht möglich; für einen Mann sind die Vorbereitungen zu umständlich.«

»Aber wir können ja noch zwei Stunden hierbleiben; wir brauchen nicht zu befürchten, daß irgend jemand hierherkommt.«

Diese Antwort zeigte mir das volle Glück, das meiner wartete; ich hielt es jedoch für nicht angebracht, mich der Gefahr einer Krankheit auszusetzen und in dem Zustand, worin ich mich befand, ins Wasser zu gehen. Ich sah in geringer Entfernung ein Gartenhäuschen, und da ich überzeugt war, daß Herr Tronchin es offen gelassen hatte, so nahm ich meine Schönen unter die Arme und führte sie dorthin, ohne sie meine Absichten ahnen zu lassen.

Das Gartenhäuschen war voll von Töpfen mit wohlriechenden Pflanzen; die Wände waren mit hübschen Kupferstichen geziert; besser als dies alles aber war ein breiter Diwan, der für Ruhe und Genuß bereit stand. Auf diesen setzte ich mich zwischen die beiden Schönen und sagte ihnen nach tausend Liebkosungen, ich wolle ihnen zeigen, was sie noch nie gesehen hätten. Zugleich enthüllte ich ihren Blicken das Hauptwerkzeug der Menschheit. Sie standen auf, um mich zu bewundern; ich nahm von jeder eine Hand und verschaffte ihnen einen flüchtigen Genuß; als bei dieser Arbeit reichlicher Saft sich ergoß, gerieten sie in größtes Erstaunen.

»Das ist das ›Verbum‹,« sagte ich zu ihnen, »der große Schöpfer der Menschen.«

»Das ist köstlich!« rief Helene, über das Wort »Verbum« lachend.

»Aber das ›Verbum‹ habe ich auch!« rief Hedwig, »und ich werde es Ihnen zeigen, wenn Sie einen Augenblick warten wollen.«

»Setzen Sie sich auf mich, schöne Hedwig, ich werde Ihnen die Mühe ersparen, das ›Verbum‹ selber hervorzurufen, und ich werde es besser machen als Sie.«

»Das glaube ich wohl, aber ich habe das noch nie mit einem Manne getan.«

»Ich auch nicht,« sagte Helene.

Ich ließ sie nun vor mich hinstellen, und während ihre Arme mich umschlungen hielten, versetzte ich sie abermals in Verzückung. Dann setzten wir uns, und während meine Hände alle ihre Reize betasteten, ließ ich sie sich daran ergötzen, mich nach Herzenslust zu befühlen, bis ich endlich ihre Hände durch eine zweite Entladung des Lebenssaftes befeuchtete, den sie neugierig an ihren Fingern untersuchten.

Als wir wieder in einer anständigen Verfassung waren, verbrachten wir noch eine halbe Stunde damit, uns Küsse zu geben. Hierauf sagte ich zu ihnen: »Sie haben mich zur Hälfte glücklich gemacht; um aber Ihr Werk zu vollenden, werden Sie, hoffe ich, daran denken, auf welche Weise Sie mir Ihre Gunst gewähren können.« Hierauf zeigte ich ihnen jene kleinen Schutzbeutelchen, die die Engländer erfunden haben, um dem schönen Geschlecht jede Furcht zu benehmen. Diese kleinen Börsen, deren Gebrauch ich ihnen erklärte, erregten ihre Bewunderung, und die Theologin sagte zu ihrer Base, sie würde daran denken. Wir waren vertraute Freunde geworden und auf dem besten Wege, noch vertrauter zu werden. Wir gingen nach dem Hause zurück und begegneten Helenens Mutter und dem Pastor, die am Strande des Sees spazierten. Nach Genf zurückgekehrt, verbrachte ich den Abend bei den drei Freundinnen. Ich hütete mich wohl, dem Syndikus etwas von meinem Siege über Helene zu sagen; denn diese Nachricht hätte nur seine Hoffnungen wieder angeregt, und er würde doch alle Liebesbemühungen verloren haben. Auch ich würde ohne die Theologin nichts erreicht haben; aber sie bewunderte ihre Base und würde befürchtet haben, daß sie sie für töricht hielte, wenn sie sich nicht ebenso frei benommen hätte wie jene, bei welcher freie Handlungen nur der Freiheit ihres Geistes entsprachen.

Helene kam an diesem Abend nicht; aber ich sah sie am nächsten Tage bei ihrer Mutter, denn die Höflichkeit erforderte, daß ich der Witwe für die mir erwiesene Ehre meinen Dank abstattete. Sie empfing mich auf das freundlichste und stellte mir zwei sehr hübsche junge Mädchen vor, die bei ihr in Pension waren; sie würden meine Teilnahme erregt haben, wenn ich länger hätte in Genf bleiben wollen; da ich jedoch nur einige Tage dort zubringen konnte, so verdiente Helene meine ungeteilte Liebe.

»Morgen,« sagte das reizende Mädchen zu mir, »wenn wir bei Herrn Tronchin speisen, werde ich Ihnen etwas Neues sagen können. Ich denke, Hedwig wird das Mittel gefunden haben, Ihre Wünsche in vollem Maße zu befriedigen.«

Das Essen des Bankiers war sehr gut. Seine Eitelkeit trieb ihn an, mir zu zeigen, daß eine Mahlzeit, die von einem Gastwirt bezogen ist, niemals mit derjenigen wetteifern kann, die ein reicher Hausbesitzer veranstaltet, der einen guten Koch, einen ausgewählten Keller, schönes Silbergeschirr und Porzellan von bestem Gute hat. Wir waren zwanzig Personen bei Tisch. Das Fest galt der gelehrten Theologin und mir, als reichem Fremden, der mit vollen Händen sein Geld ausgab. Ich fand bei diesem Essen Herrn von Ximénès, der eigens dazu von Ferney herübergekommen war; er sagte mir, ich werde bei Herrn von Voltaire erwartet; ich hatte aber den törichten Entschluß gefaßt, nicht hinzugehen.

Hedwig glänzte. Die Gäste legten nur mit geistreichen Fragen Ehre ein. Herr von Ximénès bat sie, unsere Elternmutter nach besten Kräften deswegen zu rechtfertigen, daß sie ihren Mann getäuscht hatte, indem sie ihn veranlaßte, den verhängnisvollen Apfel zu essen.

»Eva«, antwortete sie, »hat ihren Mann überhaupt nicht getäuscht; sie hat ihn nur verführt und zwar in der Hoffnung, ihn noch vollkommener zu machen. Übrigens hatte Eva das Verbot nicht von Gott selber erhalten, sondern hatte es nur von Adam gehört; man kann ihr also nur Verführung, aber keinen Betrug zur Last legen; außerdem erlaubte wahrscheinlich ihr gesunder Frauenverstand ihr nicht, das Verbot für ernst zu halten.«

Nach dieser Antwort, die nach meiner Meinung vernünftig, geistreich und zart war, fingen zwei Genfer Gelehrte und sogar der Oheim der jungen Theologin zu murren an. Frau Tronchin sagte ernsten Tones zu Hedwig, Eva habe das Verbot ebenso gut wie ihr Mann von Gott selber erhalten; das junge Mädchen antwortete ihr jedoch nur mit einem demütigen: »Ich bitte Sie um Vergebung, gnädige Frau.«

Diese wandte sich nun beunruhigt an den Pastor und fragte ihn: »Was sagen Sie dazu, Herr Pastor?«

»Gnädige Frau, meine Nichte ist nicht unfehlbar.«

»Ich bitte um Verzeihung, lieber Onkel: wenn ich mit den Worten der Heiligen Schrift spreche, bin ich so unfehlbar wie diese.«

»Schnell eine Bibel! Wir wollen nachsehen … Hedwig, meine liebe Hedwig… wahrhaftig, du hast recht. Hier ist die Stelle. Das Verbot ging der Erschaffung der Frau voraus.«

Alle Anwesenden klatschten Beifall; Hedwig aber blieb ruhig und bescheiden und änderte ihr Benehmen nicht, nur die beiden Gelehrten und Frau Tronchin konnten sich gar nicht beruhigen. Als eine Dame sie fragte, ob man mit gutem Gewissen glauben könne, daß die Geschichte von dem Apfel nur symbolisch sei, sagte sie: »Das glaube ich nicht, Madame; denn man könnte das Symbolische nur auf die Begattung anwenden, und es steht fest, daß zwischen Adam und Eva im Garten Eden eine solche nicht stattgefunden hat.«

»Aber darübet sind die Meinungen der Gelehrten geteilt.«

»Um so schlimmer für die Gelehrten, die anderer Meinung sind, Madame; denn die Heilige Schrift spricht sich deutlich darüber aus. Sie sagt im ersten Vers des vierten Kapitels: Adam hat Eva nach ihrer Austreibung aus dem Paradiese erkannt, und sie hat Kain empfangen.«

»Allerdings; aber in dem Verse steht nicht, daß Adam bis dahin Eva nicht erkannt hätte; es ist folglich wohl möglich, daß er sie vorher erkannt hat.«

»Das lann ich nicht zugeben; wenn er sie vorher erkannt hätte, würde sie empfangen haben: denn nach meiner Meinung wäre es eine törichte Annahme, daß der Zeugungsakt zwischen zwei Geschöpfen, die unmittelbar aus den Händen Gottes hervorgegangen und daher so vollkommen waren, wie ein Mann und eine Frau es nur sein können, ohne seine natürliche Wirkung geblieben wäre.«

Diese Antwort wurde von der ganzen Gesellschaft mit Händeklatschen aufgenommen, und jeder flüsterte seinem Nachbar die schmeichelhaftesten Bemerkungen über Hedwig ins Ohr.

Herr Tronchin fragte sie, ob man aus dem Alten Testament allein die Unsterblichkeit der Seele nachweisen könne?

»Das Alte Testament«, antwortete sie, »lehrt dieses Dogma nicht; aber wenn es auch nicht davon spricht, so stellt die Vernunft es auf, denn alles Existierende muß notwendigerweise unsterblich sein, da die Zerstörung einer wirklich vorhandenen Substanz der Natur sowohl wie dem Denken widerspricht.«

»So möchte ich denn fragen,« begann der Bankier von neuem, »ob in der Bibel das Vorhandensein der Seele festgestellt ist?«

»Der Gedanke springt in die Augen: wo Rauch ist, muß auch Feuer sein.«

»Sagen Sie mir, ob die Materie denken kann?«

»Das werde ich Ihnen nicht sagen, denn auf diesem Gebiete bin ich nicht zu Hause. Wohl aber will ich Ihnen sagen, daß ich Gott für allmächtig halte und daher keinen genügenden Grund finde, warum er nicht imstande gewesen sein sollte, der Materie Denkfähigkeit zu verleihen.«

»Was glauben Sie denn aber von sich selber?«

»Ich glaube, daß ich eine Seele habe, durch die ich denke; aber ich weiß nicht, ob ich nach meinem Tode vermöge meiner Seele mich erinnern werde, daß ich die Ehre gehabt habe, heute bei Ihnen zu speisen.«

»Sie glauben also, es wäre möglich, daß Ihr Gedächtnis nicht zu Ihrer Seele gehörte? Aber dann wären Sie keine Theologin mehr.«

»Man kann wohl Theologe und zugleich Philosoph sein, denn die Philosophie verdirbt nichts. Wenn ich sage: Ich weiß nicht, so heißt das nicht: Ich weiß.«

Dreiviertel der Gäste äußerten ihre Bewunderung durch laute Beifallsrufe; die schöne Philosophin freute sich, als sie mich vor Vergnügen über den Beifall lachen sah. Der Pastor weinte vor Freude und sagte leise etwas zu Helenens Mutter. Plötzlich wandte er sich an mich und sagte: »Stellen Sie doch meiner Nichte irgend eine Frage.«

»Ja,« rief Hedwig, »aber eine ganz neue oder gar keine!«

»Sie bringen mich in Verlegenheit; denn wie kann ich bestimmt wissen, ob ich Sie etwas Neues frage? Indessen sagen Sie mir doch, mein Fräulein, ob man, um ein Ding zu verstehen, von dem Grundbegriffe desselben ausgehen muß?«

»Das ist unbedingt notwendig; eben aus diesem Grunde ist Gott unbegreiflich, denn es gibt keinen Grundbegriff von Gott.«

»Gott sei gelobt, mein Fräulein. Ihre Antwort ist gerade so, wie ich es wünschte. Wollen Sie mir also jetzt sagen, ob Gott seine eigene Existenz wissen kann?«

»Ja – da bin ich mit meinem Latein zu Ende. Ich weiß nicht, was ich Ihnen antworten soll. Das ist aber jedenfalls nicht höflich von Ihnen, mein Herr!«

»Warum haben Sie eine ganz neue Frage von mir verlangt?«

»Das ist aber doch ganz natürlich,«

»Ich habe geglaubt, mein Fräulein, das Neueste wäre, Sie in Verlegenheit zu setzen.«

»Sehr galant! Meine Herren, haben Sie die Güte, für mich zu antworten und mich zu belehren!«

Alle redeten hin und her, aber keiner brachte etwas Befriedigendes zutage. Endlich ergriff Hedwig wieder das Wort und sagte: »Ich bin aber doch der Ansicht, daß Gott, der alles weiß, auch seine Existenz wissen muß; aber fragen Sie mich bitte nicht, wie dies möglich ist.«

»Gut! Ausgezeichnet! Mehr kann kein Mensch darüber sagen.«

Alle Gäste sahen mich als einen galanten Atheisten an, denn in der Welt ist man ja gewöhnt, oberflächlich zu urteilen. Ich machte mir aber wenig daraus, ob sie mich für einen Atheisten oder gläubigen Christen hielten.

Herr von Ximénès fragte Hedwig, ob die Materie erschaffen sei.

»Das Wort ›erschaffen‹ kenne ich nicht«, antwortete sie. »Fragen Sie mich, ob die Materie gestaltet worden ist, und meine Antwort wird bejahend lauten. Das Wort ›erschaffen‹ kann nicht existiert haben; denn die Existenz eines Dinges muß der Bildung des Wortes, das es bezeichnet, vorangehen.«

»In welchem Sinne verstehen Sie das Wort ›erschaffen‹?«

»Aus nichts machen. Sie sehen die Ungerechtigkeit; denn Sie müssen annehmen, das Nichts sei eher vorhanden gewesen als… Es freut mich sehr, Sie lachen zu sehen. Glauben Sie, das Nichts sei etwas, was erschaffen werden kann?«

»Sehr richtig, mein Fräulein!«

»Oho!« sagte einer der Gäste mit gerunzelter Stirn, »doch nicht ganz, doch nicht ganz!«

Alle lachten laut auf, denn der Widersprechende schien nicht zu wissen, was er sagen sollte.

»Sagen Sie mir bitte, mein Fräulein, wer ist hier in Genf Ihr Lehrer gewesen?« fragte Herr von Ximénès.

»Mein Onkel hier.«

»O nein, liebe Nichte; denn ich will sterben, wenn ich dir jemals etwas von alledem gesagt habe, was du heute hier vorgebracht hast. Aber, meine Herrschaften, meine Nichte hat nichts zu tun; sie liest und vielleicht denkt sie etwas kühn; ich liebe sie aber, weil sie zuletzt immer sagt, sie weiß nichts.«

Eine Dame, die bis dahin kein Wort gesagt hatte, bat sie sehr höflich um eine Erklärung des Geistes.

»Madame, Ihre Frage ist rein philosophisch; ich muß Ihnen daher sagen, daß ich weder Geist noch Materie genügend kenne, um eine befriedigende Erklärung geben zu können.«

»Sie müssen aber doch eine abstrakte Vorstellung von dem wirklichen Vorhandensein haben, und da Sie das Dasein Gottes zugeben, so müssen Sie unbedingt auch einen Begriff von diesem Wesen haben. Sagen Sie mir nun, wie Sie sich die Möglichkeit seiner Einwirkung auf den Stoff vorstellen.«

»Man kann auf eine abstrakte Idee kein festes Gebäude gründen, Hobbes nannte diese Ideen leere; man kann wohl solche haben, aber man muß sie in Ruhe lassen, denn wenn man sie ergründen will, geht die Vernunft irre. Ich weiß, daß Gott mich sieht; aber ich würde mich unglücklich machen, wenn ich durch Vernunftschlüsse mich davon überzeugen wollte; denn nach unseren sinnlichen Wahrnehmungen müssen wir zugeben, daß man ohne Organe nichts machen kann. Da nun Gott keine Organe haben kann, weil wir ihn als einen reinen Geist im philosophischen Sinne auffassen, so kann Gott uns ebensowenig sehen, wie wir ihn sehen. Aber Moses und mehrere andere haben ihn gesehen, und ich glaube dies, ohne die Sache zu untersuchen.«

»Daran tun Sie sehr gut,« sagte ich zu ihr; »denn wenn Sie dieses untersuchen wollten, so würden Sie es unmöglich finden. Aber wenn Sie Hobbes lesen,laufen Sie Gefahr, Atheistin zu werden.«

»Das befürchte ich nicht, denn ich begreife nicht einmal die Möglichkeit des Atheismus.«

Nach Tisch überhäufte die ganze Gesellschaft das wirklich erstaunliche junge Mädchen mit Liebkosungen, so daß es mir unmöglich war, sie auch nur einen ruhigen Augenblick allein zu sprechen, um ihr meine zärtliche Liebe zu erklären; aber ich ging mit Helenen beiseite, und sie sagte mir, ihre Base werde mit dem Pastor am nächsten Tage bei ihrer Mutter zu Abend essen.

»Hedwig«, fuhr sie fort, »wird bei uns bleiben, und wir werden zusammen schlafen, wie es jedesmal der Fall ist, wenn sie mit ihrem Onkel abends zum Essen kommt. Es kommt also darauf an, ob Sie, um die Nacht mit uns zu verbringen, sich entschließen können, sich an einem Ort zu verstecken, den ich Ihnen morgen früh um elf Uhr zeigen werde. Machen Sie um diese Stunde meiner Mutter einen Besuch, und ich werde einen günstigen Augenblick benutzen, um Ihnen den Winkel zu zeigen. Sie werden es dort nicht bequem haben, aber Sie sind vollkommen in Sicherheit, und wenn Sie sich langweilen, so denken Sie zu Ihrer Zerstreuung daran, daß wir viel an Sie denken.«

»Werde ich lange in dem Versteck sein?«

»Höchstens vier Stunden; denn um sieben Uhr wird die Haustür geschlossen und dann nur noch auf Klingeln geöffnet.«

»Würde man mich hören können, wenn ich an dem Orte husten müßte?«

»Ja, das wäre wohl möglich.«

»Das ist eine große Schwierigkeit. Alles übrige ist ohne Bedeutung; aber einerlei, ich werde alles wagen, um mir das größte Glück zu verschaffen, das mir je entgegengebracht wurde.

Am nächsten Morgen machte ich meinen Besuch bei der Witwe, und Helene zeigte mir, als sie mich an die Tür brachte, zwischen den beiden Treppen eine geschlossene Tür.

»Um sieben Uhr«, sagte sie, »werden Sie sie offen finden. Sobald Sie eingetreten sind, schließen Sie sich ein, indem Sie den Riegel vorschieben. Wenn Sie kommen, müssen Sie aufpassen, daß im Augenblick des Eintretens niemand Sie sieht.«

Um ein Viertel vor sieben Uhr war ich bereits in der Nische eingeschlossen. Ich fand darin einen Stuhl, und dies war ein sehr glücklicher Umstand, denn sonst hätte ich mich weder hinlegen noch aufrecht stehen können. Es war ein richtiges Loch, und ich erkannte am Geruch, daß man dort Schinken und Käse aufbewahrte; in jenem Augenblick waren allerdings keine solchen Sachen darin, wie ich merkte, als ich rechts und links umhertastete, um mich in der tiefen Dunkelheit zurecht zu finden. Als ich vorsichtig mit den Füßen nach allen Seiten herumfühlte, traf ich auf etwas Weiches, das mir Widerstand leistete. Ich griff mit der Hand danach und merkte, daß es ein Handtuch war. In diesem Tuch befand sich ein zweites Tuch und darin zwischen zwei Tellern ein schönes gebratenes Huhn und Brot. Dicht daneben fand ich eine Flasche und ein Glas. Ich war meinen schönen Freundinnen dankbar, daß sie an meinen Magen gedacht hatten, aber ich hatte reichlich zu Mittag gegessen und zwar aus Vorsicht ein bißchen spät; ich beschloß daher dem Imbiß nicht eher Ehre anzutun, als bis die Schäferstunde nahe wäre.

Um neun Uhr ging ich ans Werk, und da ich weder Pfropfenzieher noch Messer hatte, so mußte ich mit einem Ziegel, den ich zum Glück aus dem schadhaften Boden losmachen konnte, den Flaschenhals zerschlagen. Es war köstlicher alter Neuenburger Wein. Außerdem war das Huhn ganz nach meinem Geschmack getrüffelt, und diese beiden Reizmittel zeigten mir, daß entweder meine beiden Nymphen einige Begriffe hatten, oder daß der Zufall sich in Unkosten gesetzt hatte, um mich nach Wunsch zu bedienen. Ich hätte meine Zeit ziemlich geduldig in diesem Loch verbracht, wenn ich nicht ab und zu von Ratten besucht worden wäre, die sich durch ihren ekelhaften Geruch ankündigten, der mir übel machte. Ich erinnerte mich, daß ich in Köln unter ähnlichen Umständen dieselbe Unannehmlichkeit zu dulden hatte.

Endlich schlug es zehn, und eine halbe Stunde später hörte ich die Stimme des Pastors, der plaudernd die Treppe herabkam; er legte Helenen ans Herz, während der Nacht keinen Unsinn mit seiner Nichte zu machen, sondern ruhig zu schlafen. Ich erinnerte mich jenes Herrn Rosa, der vor zweiundzwanzig Jahren um dieselbe Stunde das Haus der Frau Orio in Venedig verlassen hatte; indem ich einen Blick auf mich selber warf, fand ich mich sehr verändert, aber nicht vernünftiger geworden. Doch wenn ich auch nicht mehr so empfänglich für den Genuß war, so schienen mir doch die beiden Schönheiten, die mich erwarteten, hoch über den Nichten der Frau Orio zu stehen.

Während meiner langen Wüstlingslaufbahn hat mein unbesieglicher Hang zum weiblichen Geschlecht mich dazu getrieben, alle Künste der Verführung anzuwenden. Ich habe etlichen hundert Frauen, deren Reize meine Vernunft überwältigt hatten, den Kopf verdreht. Die besten Erfolge aber habe ich beständig dadurch erzielt, daß ich Neulinge, deren moralische Grundsätze und Vorurteile dem Gelingen meiner Absichten hinderlich waren, nur in Gesellschaft einer anderen Frau angriff. Ich wußte bereits in jungen Jahren, daß ein Mädchen sich zwar verführen läßt, eben weil es ihm an Mut fehlt; wenn sie dagegen mit einer Freundin zusammen ist, so ergibt sie sich ziemlich leicht: jede Schwachheit der einen veranlaßt den Fall der andern. Väter und Mütter glauben das Gegenteil; aber sie haben unrecht. Sie weigern sich gewöhnlich, einem jungen Mann ihre Tochter anzuvertrauen, um sie auf einen Ball zu führen oder mit ihr einen Spaziergang zu machen. Sie geben jedoch nach, wenn das junge Mädchen eine ihrer Freundinnen zur Obhut hat. Ich wiederhole ihnen: sie haben unrecht; denn wenn der junge Mann es richtig anzufangen weiß, ist ihre Tochter verloren. Ihre falsche Scham hält alle beide ab, der Verführung einen unerschütterlichen Widerstand zu leisten; sobald aber der erste Schritt einmal getan ist, ist der Sturz unvermeidlich und ungeheuer schnell. Sobald die Freundin sich die geringste Gunst entreißen läßt, wird sie, um nicht erröten zu müssen, die erste sein, die ihre Freundin dazu antreibt, eine größere Gunst zu gewähren; und wenn der Verführer geschickt ist, wird die Unschuldige, ohne eine Ahnung zu haben, zu weit gegangen sein, um noch zurück zu können. Je unschuldiger übrigens ein junges Mädchen ist, desto weniger weiß sie von den Wegen und der Absicht der Verführung. Ihr völlig unbewußt, zieht der Reiz eines Vergnügens sie an, die Neugier mischt sich hinein, und die Gelegenheit tut das übrige.

Es ist zum Beispiel wohl möglich, daß es mir ohne Helene gelungen sein würde, die gelehrte Hedwig zu verführen; aber ich bin überzeugt, daß ich mit Helene niemals fertig geworden wäre, wenn diese nicht gesehen hätte, daß ihre Base mir Freiheiten gewährte und sich selber Freiheiten mit mir herausnahm, die nach der Ansicht der beiden Mädchen zweifellos gegen die Schamhaftigkeit eines wohlerzogenen Fräuleins und gegen alle Anstandsbegriffe verstießen.

Ohne meine Liebesabenteuer im geringsten zu bereuen, wünsche ich doch durchaus nicht, daß mein Beispiel dazu dienen könnte, das schöne Geschlecht zu verderben, das aus so vielen Gründen unsere Huldigungen verdient. Ich wünsche lediglich, daß meine Beobachtungen vorsichtigen Vätern und Müttern nützlich sein und mir dadurch zum mindesten deren Achtung eintragen können.

Kurz nach dem Fortgehen des Pastors hörte ich dreimal leicht an die Tür meines Verstecks klopfen. Ich öffnete, und eine atlasweiche Hand ergriff die meinige. Alle meine Nerven erbebten. Es war Helenens Hand; sie hatte mich elektrisiert, und dieser Augenblick des Glücks war schon Lohn genug für mein langes Warten.

»Folgen Sie mir leise!« flüsterte sie, sobald sie die kleine Tür wieder verschlossen hatte. Aber in meiner glücklichen Ungeduld schloß ich sie zärtlich in meine Arme, und ich ließ sie die Wirkung fühlen, die ihre bloße Gegenwart auf mich ausgeübt hatte, und vergewisserte mich zugleich ihrer vollständigen Fügsamkeit.

»Seien Sie vernünftig, lieber Freund!« flüsterte sie; »wir müssen sachte nach oben gehen.« Ich folgte ihr, um mich herum tastend, und am Ende eines langen Ganges führte sie mich in ein unbeleuchtetes Zimmer, dessen Tür sie hinter uns verschloß; hierauf öffnete sie ein anderes Zimmer, worin Licht war. Ich sah darin Hedwig, die beinahe schon ausgekleidet war. Sie kam mit offenen Armen auf mich zu, sobald sie mich sah, umarmte mich voller Glut und dankte mir auf das herzlichste daß ich in einem so traurigen Loch so geduldig ausgehalten hätte.

»Meine göttliche Hedwig,« sagte ich zu ihr, »wenn ich Sie nicht rasend geliebt hätte, wäre ich keine Viertelstunde in dem Versteck geblieben; aber Sie brauchen nur zu befehlen, und ich bringe jeden Tag, den ich noch hier in Genf verweile, vier Stunden darin zu. Aber lassen Sie uns keine Zeit verlieren, liebe Freundinnen! Gehen wir zu Bett!«

»Geht nur beide zu Bett,« sagte Helene; »ich werde die Nacht auf dem Kanapee zubringen.«

»Oh, das gibt es nicht,« rief Hedwig, »daran ist nicht zu denken, unser Los muß vollkommen gleich sein.«

»Ja, göttliche Helene, ja!« rief ich, indem ich auf sie zueilte und sie umarmte, »ich liebe euch beide gleich sehr. Alle diese Förmlichkeiten dienen nur dazu, uns eine kostbare Zeit verlieren zu lassen, während welcher ich euch meine glühende Zärtlichkeit beweisen könnte. Macht es wie ich! Ich werde mich ausziehen und in die Mitte des Bettes legen. Kommt schnell an meine Seiten! Ihr werdet sehen, ob ich euch liebe, wie ihr geliebt zu werden verdient. Wenn wir hier sicher sind, so werde ich euch Gesellschaft leisten, bis ihr mir sagt, daß ich gehen muß; aber ich bitte euch: Löscht das Licht nicht aus!«

Während ich mit der gelehrten Theologin über die Schamhaftigkeit philosophierte, war ich im Handumdrehen ausgezogen und bot mich ihren Augen nackt wie Adam dar. Hedwig errötete, aber sie fürchtete vielleicht, daß eine größere Zurückhaltung mir einen schlechten Begriff von ihr geben würde, und ließ die letzte Hülle der Scham fallen, indem sie das Wort des heiligen Klemens von Alexandria zitierte, daß die Scham nur im Hemde liegt. Ich pries laut ihre Schönheiten und die Vollendung ihrer Formen, um dadurch Helenen zu ermutigen, die sich langsam auskleidete. Als ihr aber Hedwig ihre falsche Scham vorwarf, wirkte dieses mehr als alle meine Lobreden. Endlich war diese Venus im Naturzustande; sie wußte nicht, wo sie mit ihren Händen hin sollte, und bedeckte mit der einen einen Teil ihrer geheimsten Reize, mit der anderen ihre Brust; daß sie nicht alles verbergen konnte, schien sie bestürzt zu machen. Ihre schamhafte Verlegenheit, dieser Kampf zwischen erliegender Scham und Wollust entzückte mich.

Hedwig war größer als Helene, ihre Haut weißer und ihr Busen doppelt so stark; aber Helenens Schönheit war inniger beseelt, ihre Formen waren lieblicher und ihr Busen glich dem der Venus von Medici.

Als sie durch das Beispiel ihrer Base allmählich mutiger geworden war, verbrachten wir einige Augenblicke damit, uns gegenseitig zu bewundern; dann legten wir uns zu Bett. Die Natur sprach gebieterisch, und wir mußten ihrem Rufe folgen. Nachdem ich mich mit einem Sicherheitskäppchen versehen hatte, dessen Zerplatzen ich nicht zu befürchten brauchte, machte ich Hedwig zur Frau. Als das Opfer vollzogen war, bedeckte sie mich mit Küssen und sagte, der Augenblick des Schmerzes sei nichts im Vergleich mit dem Genuß.

Helene, die sechs Jahre jünger war als Hedwig, kam bald an die Reihe. Das schönste Vlies, das ich jemals gesehen habe, war ein wenig hinderlich; sie strich es mit ihren beiden Händen zur Seite. Eifersüchtig auf die Erfolge ihrer Base, stieß sie nur Seufzer des Glückes aus, obgleich sie nicht ohne eine schmerzhafte Gewaltanstrengung in das Geheimnis der Liebe eingeweiht werden konnte; sie erwiderte alle meine Anstrengungen und schien an Zärtlichkeit und Glut mit mir wetteifern zu wollen. Die Bewegungen des schönen Mädchens kürzten das süße Opfer ab, und als ich das Heiligtum verließ, sahen meine beiden Schönen, daß ich der Ruhe bedurfte.

Der Altar wurde vom Blute der Opfer gesäubert; hierauf wurde eine gemeinsame Abspülung vorgenommen, wobei wir uns mit Freuden gegenseitig bedienten.

Unter ihren eifrigen und neugierigen Händen erwachte ich zu neuem Leben, und dieser Anblick erfüllte sie mit Freude. Ich sagte ihnen, ich müßte unbedingt während der Zeit, die ich noch in Genf verbringen würde, dieses Glück recht oft genießen; aber sie antworteten mir seufzend, dies sei unmöglich.

»In fünf oder sechs Tagen können wir uns vielleicht wieder ein solches Fest verschaffen, das wird aber auch alles sein.«

»Laden Sie uns,« sagte Hedwig, »morgen zum Abendessen in Ihren Gasthof ein, vielleicht bietet der Zufall uns Gelegenheit, einen süßen Raub zu begehen.«

Ich nahm diesen Rat an.

Wir fingen wieder an. Da ich meine Natur kannte und sie nach Belieben täuschen konnte, machte ich sie mehrere Stunden lang glücklich, indem ich fünf- oder sechsmal von der einen zur andern ging, bevor ich meine Kraft erschöpfte und auf den Höhepunkt des Genusses gelangte. Da ich sie gelehrig und genußbegierig sah, ließ ich sie in den Zwischenräumen die schwierigsten Stellungen des Aretino ausführen; dies ergötzte sie über alle Maßen. Alles, was wir bewunderten, überschütteten wir mit unsern Küssen; in einem Augenblick, wo Hedwig gerade ihre Lippen auf die Mündung des Pistols preßte, ging der Schuß los und überströmte ihr Gesicht und ihren Busen. Sie strahlte vor Freude darüber und betrachtete diesen Erguß, den die beiden Mädchen wunderbar fanden, mit dem Lerneifer einer Schülerin der Naturwissenschaften. Die Nacht erschien uns kurz, obgleich wir keine Minute verloren hatten; aber am Morgen mußten wir uns trennen, sobald der Tag anbrach. Ich ließ sie in ihrem Bett liegen, und es glückte mir, das Haus zu verlassen, ohne von einem Menschen gesehen zu werden.

Nachdem ich bis Mittag geschlafen hatte, stand ich auf, zog mich sorgfältig an und machte dem Pastor einen Besuch. Ich kargte ihm gegenüber nicht mit dem Lobe seiner reizenden Nichte. Dies war das sicherste Mittel, um ihn zu der Zusage zu veranlassen, daß er am nächsten Tage bei mir in der Wage zu Abend essen würde.

»Wir sind ja in der Stadt,« sagte ich ihm, »können also beisammen bleiben, so lange wir wollen; aber sehen Sie doch zu, daß Sie auch die liebenswürdige Witwe und ihre reizende Tochter mitbringen können.« Er versprach mir dies.

Am Abend besuchte ich den Syndikus und die drei Freundinnen, die mich begreiflicherweise ein wenig kalt fanden. Ich schützte starkes Kopfweh vor und sagte ihnen, ich hätte die gelehrte Theologin zum Abendessen eingeladen. Ich forderte sie und den Syndikus auf, doch ebenfalls zu kommen; ich hatte jedoch vorausgesehen, daß dieser Einspruch dagegen tun würde, weil die Leute darüber reden konnten.

Meine Hauptsorge war, die auserlesensten Weine zum Wichtigsten an der ganzen Mahlzeit zu machen. Der Pastor und seine Freundin tranken viel, und ich kam ihrem Geschmack nach besten Kräften entgegen. Als ich sah, daß alles nach Wunsch ging, daß sie ein bißchen benebelt und ganz mit ihren alten Erinnerungen beschäftigt waren, winkte ich den beiden Schönen, und sie gingen hinaus, wie wenn sie eine gewisse Örtlichkeit suchen wollten. Ich ging mit ihnen hinaus, wie wenn ich ihnen Bescheid sagen wollte, ließ sie aber in ein anderes Zimmer eintreten und sagte ihnen, sie möchten auf mich warten.

Ich ging wieder hinein, und da die beiden Alten ganz mit sich selber beschäftigt waren und kaum bemerkten, daß ich da war, so machte ich Punsch zurecht, setzte ihnen diesen vor und sagte dann, ich würde auch den jungen Damen welchen bringen; diese unterhielten sich damit, Kupferstiche zu besehen. Ich verlor keinen Augenblick und machte ihnen mehrere Besuche, die sie interessant fanden. Solche gestohlenen Genüsse haben einen unaussprechlichen Reiz. Als wir einigermaßen befriedigt waren, gingen wir zusammen wieder in das Zimmer, und ich machte noch einmal Punsch. Helene rühmte ihrer Mutter die Kupferstiche und forderte sie auf, sich diese mit uns anzusehen.

»Ich mache mir nichts daraus,« sagte die alte Dame.

»Na, dann wollen wir sie noch einmal besehen!« rief Helene.

Ich fand die List köstlich und ging mit meinen beiden Heldinnen hinaus. Wir vollbrachten Wunder. Hedwig philosophierte über den Genuß und sagte, sie würde ihn niemals gekannt haben, wenn ich nicht zufällig ihren Oheim kennen gelernt hätte. Helene sprach nicht; aber wollüstiger als ihre Base, geriet sie in Verzückung wie eine Taube und belebte sich dann von neuem, um einen Augenblick darauf wieder zu sterben. Ich bewunderte diese erstaunliche Fruchtbarkeit, obwohl dies ziemlich häufig vorkommt: vierzehnmal wechselte sie in der Zeit, die ich zu einer einzigen Operation brauchte, zwischen Leben und Tod. Allerdings machte ich bereits den sechsten Ritt und verlangsamte zuweilen mein Tempo, um mich an ihrem Glücke zu weiden.

Bevor wir uns trennten, versprach ich ihnen, Helenens Mutter jeden Tag zu besuchen, um bei dieser Gelegenheit erfahren zu können, wann ich vor meiner Abreise noch eine Nacht mit ihnen würde verbringen können. Um zwei Uhr morgens trennten wir uns.

Drei oder vier Tage später sagte Helene mir in zwei Worten, Hedwig werde an diesem Tage bei ihr schlafen, sie werde daher zur selben Stunde die Tür offen lassen.

»Ich werde kommen.«

»Und ich werde Sie einschließen; aber Sie müssen im Dunklen bleiben, weil sonst die Magd das Licht sehen könnte.«

Ich war pünktlich, und mit dem Schlage zehn Uhr sah ich sie freudestrahlend ankommen.

»Ich habe vergessen, Ihnen vorher zu sagen,« sagte Helene zu mir, »daß Sie hier ein Huhn finden würden.«

Ich hatte Hunger; ich verschlang es in einem Augenblick, und dann überließen wir uns dem Glück.

Am zweiten Tage darauf mußte ich abreisen. Ich hatte von Herrn Raiberti zwei Briefe erhalten. In dem einen schrieb er mir, er habe meine Vorschriften hinsichtlich der Corticelli befolgt; im zweiten teilte er mir mit, sie würde wahrscheinlich im Karneval als erste Figurantin auftreten und Gehalt bekommen. Ich hatte in Genf nichts mehr zu tun, und Frau von Urfé erwartete mich nach unserer Verabredung in Lyon. Ich mußte also dorthin. Unter diesen Umständen war die Nacht, die ich mit den beiden reizenden Mädchen verbringen sollte, mein letztes Geschäft.

Mein Unterricht hatte Früchte gezeitigt: meine beiden Schülerinnen waren bereits Meisterinnen in der Kunst, das Glück zu genießen und mitzuteilen, aber in den Pausen wich die Freude der Traurigkeit.

»Wir werden unglücklich sein, lieber Freund,« sagte Hedwig zu mir, »und wir wären bereit, dir zu folgen, wenn du dich unserer annehmen wolltest.«

»Ich verspreche euch, liebe Freundinnen, vor Ablauf von zwei Jahren wiederzukommen.«

Sie brauchten nicht einmal so lange zu warten. Gegen Mitternacht schliefen wir ein; um vier Uhr wachten wir auf und setzten unsere Liebeskämpfe bis sechs Uhr fort. Eine halbe Stunde darauf verließ ich sie; ich war völlig erschöpft und blieb den ganzen Tag im Bett liegen. Am Abend suchte ich den Syndikus und seine Freundinnen auf. Ich fand dort Helene; sie stellte sich heuchlerischerweise, wie wenn sie über meine Abreise nicht tiefer betrübt wäre als die andern. Um sich nicht zu verraten, erlaubte sie dem Syndikus, sie ebenso zu küssen wie die andern. Ich ahmte ihre List nach und bat sie, ihrer gelehrten Base in meinem Namen Lebewohl zu sagen, indem ich mich entschuldigte, daß ich nicht persönlich käme, um Abschied zu nehmen.

Am folgenden Tage reiste ich in aller Frühe ab, und am Abend des zweiten Tages kam ich in Lyon an. Ich fand Frau von Urfé nicht dort; sie war nach der Landschaft Bresse gefahren, wo sie ein Gut besaß. Aber ich fand einen Brief, worin sie mir mitteilte, es werde ihr sehr angenehm sein, mich dort zu sehen. Ich verlor keinen Augenblick und fuhr dorthin.

Sie empfing mich auf ihre gewöhnliche Art, und ich sagte ihr, ich müsse nach Turin fahren und dort auf Frederigo Gualdo warten, das damalige Oberhaupt der Rosenkreuzer. Ich ließ ihr durch das Orakel enthüllen, er werde mit mir nach Versailles kommen; dort werde er sie glücklich machen. Nach diesem Orakel konnte sie also nicht daran denken, nach Paris zurückzukehren, bevor wir uns gesehen hatten. Das Orakel sagte ihr ferner, sie müsse in Lyon auf Nachrichten von mir warten und den jungen d’Aranda mit hinnehmen. Der Kleine überhäufte mich mit Liebkosungen und bat mich, ihn mit mir nach Turin zu nehmen. Wie man sich wohl denken kann, wußte ich seinen Bitten auszuweichen.

Als wir wieder in Lyon waren, brauchte Frau von Urfé vierzehn Tage, um für mich fünfzigtausend Franken aufzutreiben, die ich vielleicht für diese glückliche Reise nötig haben konnte. Während dieser vierzehn Tage machte ich gute Bekanntschaft mit einer Frau Pernon. Ich gab bei ihrem Gemahl, einem reichen Fabrikanten, viel Geld aus, um mir eine elegante Garderobe anfertigen zu lassen. Frau Pernon war schön und geistreich. Ihr Liebhaber war ein Mailänder, namens Bono, Geschäftsführer eines Schweizer Bankiers Sacco. Durch Vermittlung der Frau Pernon ließ Bono der Frau von Urfé durch seinen Bankier fünfzigtausend Franken geben. Sie übergab mir diese Summe und zugleich die drei Kleider, die sie der Lascaris versprochen hatte; die Corticelli aber hat sie niemals zu sehen bekommen. Eins von diesen Kleidern war mit Zobelmarder besetzt und von seltener Schönheit. Ausgestattet wie ein Fürst veiließ ich Lyon und reiste nach Turin, wo ich den berühmten Gualdo finden sollte, der kein anderer war als der treulose Ascanio Pogomas, den ich von Bern hatte kommen lassen. Ich dachte, es würde für mich leicht sein, diesem Komödianten die Rolle einzustudieren, für die ich ihn bestimmt hatte. Wie man sehen wird, wurde ich in grausamer Weise getäuscht.

Ich konnte mich nicht enthalten, einen Tag in Chambéry zu bleiben, um dort meine schöne Klostergefangene zu sehen. Ich fand sie schön, ruhig und zufrieden; aber sie trauerte noch um den Verlust ihrer jungen Pensionärin, die man verheiratet hatte.

Zu Anfang Dezember in Turin angekommen, fand ich in Rivoli die Corticelli, die der Chevalier von Raiberti von meinem Eintreffen in Kenntnis gesetzt hatte. Sie überbrachte mir einen Brief von diesem liebenswürdigen Herrn; er schrieb mir die Adresse des Hauses, das er für mich gemietet hatte, da ich nicht im Gasthof absteigen wollte. Ich richtete mich unverzüglich in meiner Wohnung ein.

Zwölftes Kapitel


Mein Wagen zerbricht. – Mariuccias Heirat. – Flucht des Lord Limore. – Meine Rückkehr nach Florenz und meine Abreise mit der Corticelli.

Ich schlief fest an Don Ciccio Alfanis Seite in einem ausgezeichneten vierspännigen Wagen, dem mein Spanier vorausritt, als plötzlich ein heftiger Stoß mich weckte. Man hatte mich um Mitternacht, mitten auf der Landstraße, vier Meilen von Sant‘ Agata, jenseits Francolisa, umgeworfen.

Alfani lag unter mir und schrie aus vollem Halse, denn er glaubte den linken Arm gebrochen zu haben; glücklicherweise war dieser aber nur verrenkt. Leduc war umgekehrt und sagte mir, die Postillone seien geflohen, und es sei wohl möglich, daß sie Straßenräuber herbeiriefen, wie es ja im Kirchenstaat und im Königreich Neapel so oft vorkommt.

Es gelang mir leicht, aus dem Wagen herauszukommen; der arme Alfani jedoch, ein dicker alter Herr, dazu verwundet und halbtot vor Angst, vermochte sich nicht ohne Hilfe zu befreien. Wir brauchten eine Viertelstunde, bis es uns gelang. Ich mußte über den Unglücklichen lachen, als er mitten unter Geschrei und Flüchen heiße Gebete an seinen Schutzpatron, den heiligen Franz von Assisi, richtete.

Ich war an derartige Unfälle gewöhnt und hatte nicht den geringsten Schaden genommen; denn es kommt viel darauf an, wie man im Wagen sitzt. Don Ciccio hatte sich wahrscheinlich den Arm verrenkt, indem er ihn im Augenblick des Sturzes ausstreckte.

Ich holte meinen Degen, meinen Karabiner und meine Sattelpistolen aus dem Wagen und legte diese Waffen nebst meinen Taschenpistolen so zurecht, daß ich den Räubern, falls welche kommen sollten, kräftigen Widerstand leisten konnte; hierauf befahl ich Leduc wieder zu Pferde zu steigen und in der Umgegend für Geld bewaffnete Bauern zu suchen, die uns aus der Verlegenheit helfen könnten.

Während Don Ciccio über das Unglück stöhnte, spannte ich die vier Pferde aus. Ich war entschlossen, mein Geld und mein Leben teuer zu verkaufen. Mein Wagen stand neben einem Graben; ich band die Pferde mit Stricken an die Räder der rechten Seite, an die Deichsel und an das Hinterteil des Wagens fest, und stellte mich mit meinem Wagen so auf, daß die Pferde einen Wall bildeten.

Nachdem ich mich auf diese Weise auf alle Möglichkeiten vorbereitet hatte, war ich ganz ruhig; mein unglücklicher Reisegefährte aber fuhr fort zu stöhnen, zu beten und zu fluchen; denn in Neapel wie in Rom schließt das eine das andere nicht aus. Da ich ihm keine Erleichterung verschaffen konnte, so beklagte ich ihn; zugleich aber lachte ich unwillkürlich zum großen Ärger meines armen Abbate, der einem auf den Strand geworfenen Delphin glich, denn er lag unbeweglich am Grabenrande. Man denke sich seinen Zustand, als die eine Stute, deren Hinterteil ihm zugewendet war, einem natürlichen Drange folgend, die ganze Flüssigkeit, womit ihre Blase überfüllt war, über seinen armen Leichnam auslehrte! Hiergegen gab es keine Abhilfe, und die Sache war so komisch, daß ich wider meinen Willen laut lachen mußte.

Ein starker Nordwind machte indessen unsere Lage außerordentlich unangenehm. Beim geringsten Geräusch rief ich: Wer da? und drohte auf jeden, der sich nähern würde, Feuer zu geben. Ich hatte in dieser tragikomischen Lage zwei lange Stunden verbracht, als endlich Leduc herangaloppierte und mir schon von weitem zurief, daß ein Trupp bewaffneter Bauern mit Laternen herannahe.

In weniger als einer Stunde waren der Wagen, die Pferde und Alfani wieder in gehörigen Stand versetzt. Zwei von den Bauern behielt ich als Postillone bei mir; die anderen gingen, sehr zufrieden mit der Störung ihres Schlafes, nach Hause. Bei Tagesanbruch kam ich in Sant‘ Agata an; ich machte einen Höllenlärm vor der Tür des Postmeisters, forderte einen Notar, um ein Protokoll aufzunehmen, und drohte die Postillone hängen zu lassen, die mich absichtlich mitten auf einer breiten und schönen Landstraße umgeworfen hätten.

Ein Stellmacher, der herbeigerufen wurde, besichtigte meinen Wagen, fand die Achse gebrochen und sagte mir, ich müßte mindestens einen Tag an dem Ort verweilen.

Don Ciccio, der einen Wundarzt nötig hatte, suchte, ohne mir ein Wort zu sagen, den ihm bekannten Marchese Galiani auf. Dieser beeilte sich mich aufzusuchen und bat mich, bei ihm zu verweilen, bis ich meine Reise fortsetzen könnte. Ich nahm sein Anerbieten mit großem Vergnügen an, und diese Einladung trug viel dazu bei, meine üble Laune zu verscheuchen, die im Grunde weiter nichts war als ein gewisses Bedürfnis, wie ein großer Herr Spektakel zu machen.

Der Marchese befahl zunächst meinen Wagen in seinen Schuppen zu schaffen; dann nahm er mich unter den Arm und führte mich nach seinem Hause. Er war ein ebenso gelehrter wie höflicher Kavalier und durch und durch Neapolitaner, das heißt: ohne alle Umstände. Er hatte nicht den glänzenden Geist seines Bruders, den ich in Paris gekannt hatte, als er unter dem Grafen Cantillana-Montdragon Gesandtschaftssekretär war; aber er hatte ein gesundes Urteil, das er durch ein eindringliches Studium der alten und neuen Klassiker weiter gebildet hatte. Besonders war er ein guter Mathematiker; er schrieb damals einen Kommentar zum Vitruv, den er später erscheinen ließ.

Der Marchese stellte mich seiner Frau vor, von der ich bereits wußte, daß sie die vertraute Freundin meiner Lucrezia war. Sie hatte etwas Engelhaftes an sich, und umgeben von drei oder vier kleinen Kindern bot sie den Anblick einer heiligen Familie.

Don Ciccio wurde sofort zu Bett gebracht, dann ließ man einen Wundarzt rufen, der ihn untersuchte und mit der Versicherung tröstete, es sei eine einfache Verrenkung und er werde in wenigen Tagen wiederhergestellt sein.

Um die Mittagsstunde hielt ein Wagen vor der Tür, und Lucrezia stieg aus. Nachdem sie die Marchesa umarmt hatte, wandte sie sich auf die ungezwungenste Weise zu mir, streckte mir die Hand entgegen und rief: »Durch welchen glücklichen Zufall sind Sie hier, mein lieber Don Giacomo?«

Hierauf sagte sie ihrer Freundin, ich sei ein Freund ihres verstorbenen Gatten und sie habe mich mit dem größten Vergnügen bei dem Herzog von Matalone wiedergesehen.

Als ich mich nach Tisch mit diesem reizenden, zur Liebe geschaffenen Weibe allein befand, fragte ich sie, ob es nicht möglich wäre, uns eine glückliche Nacht zu verschaffen. Sie wies mir nach, daß dies unmöglich sei, und ich mußte mich darein ergeben. Noch einmal bot ich ihr an, sie zu heiraten.

Sie antwortete: »Kaufe dir ein Gut im Königreich Neapel, und ich will mein Leben bei dir verbringen, ohne daß wir den Beistand eines Priesters nötig haben; es wäre denn, daß wir Kinder bekämen.«

Ich konnte mir nicht verhehlen, daß Lucrezia sehr vernünftig dachte; ich hätte mir leicht ein Landgut in Neapel kaufen und dort reich und glücklich leben können; aber der Gedanke, mich irgendwo unwiderruflich festzusetzen, war mir so widerwärtig, ein verständiger Lebenswandel war so gegen meine Natur, daß ich unvernünftigerweise mein törichtes Landstreichertum allen Vorteilen vorzog, die unsere Vereinigung mir verschafft hätte. Und auch Lucrezia hatte im Grunde nichts dagegen. Nach dem Abendessen verabschiedete ich mich von allen, und mit Tagesanbruch reiste ich ab, um am nächsten Tage in Rom zu sein. Ich hatte auf einer sehr schönen Straße nur fünfzehn Poststationen zurückzulegen.

Als ich in Carigliano ankam, sah ich einen jener zweiräderigen Karren, die im ganzen Lande unter dem Namen Mantice bekannt sind; man bespannt sie mit zwei Pferden, ich brauchte jedoch vier. Als ich aufstieg, hörte ich meinen Namen rufen und drehte mich um. Zu meiner nicht geringen Überraschung sah ich in dieser Mantice ein hübsches junges Mädchen und die Signora Diana, die Sängerin des Fürsten von Cassaro, die mir dreihundert Unzen schuldig war. Sie sagte mir, sie reise nach Rom und sehe mit großem Vergnügen, daß wir zusammenreisen würden. »Wir werden die Nacht in Piperno verbringen, nicht wahr, mein Herr?«

»Nein, meine Gnädige, ich habe die Absicht, ohne Aufenthalt bis Rom zu fahren.«

»Aber wir kommen ebenfalls morgen dort an.«

»Das weiß ich; aber ich schlafe besser in meinem Wagen als in den schlechten Betten, die man in den Herbergen findet.«

»Ich wage nicht bei Nacht zu reisen.«

»Nun, Signora, so werden wir uns in Rom wiedersehen.«

»Das ist grausam. Wie Sie sehen, habe ich nur einen einfältigen Bedienten und mein Kammermädchen bei mir, die nicht mutiger ist als ich; außerdem ist es so kalt, und ich habe einen offenen Wagen. Ich werde Ihnen in dem Ihrigen Gesellschaft leisten.«

»Es ist mir unmöglich, Sie aufzunehmen, denn den Rücksitz nimmt mein alter Sekretär ein, der sich vorgestern den Arm gebrochen hat.«

»Ist es Ihnen recht, wenn wir zusammen in Terracina zu Mittag essen? Wir können dort plaudern.«

»Gern.«

Wir hielten eine gute Mahlzeit in diesem Städtchen, das hart an der Grenze des Kirchenstaates liegt. Da wir erst tief in der Nacht in Piperno ankommen konnten, bat die Künstlerin mich von neuem auf das dringendste, mit ihr dort den Tag abzuwarten. Sie war jung und schön; trotzdem aber gefiel sie mir nicht; sie war sehr blond und zu fett. Ihr Kammermädchen dagegen, eine schöne schlanke Brünette mit runden Formen und lebhaften Augen, erregte in hohem Maße meine Begehrlichkeit. Eine unbestimmte Hoffnung auf ihren Besitz milderte meinen Widerstand, und schließlich versprach ich der Signora, mit ihr zu Abend zu speisen und sie vor meiner Abreise dem Wirt zu empfehlen.

In Piperno fand ich Gelegenheit, der jungen Schwarzäugigen zu sagen: wenn sie mir erlauben wolle, in aller Stille zu ihr zu kommen, würde ich nicht weiter reisen. Sie versprach mir, mich zu erwarten, und ließ mich eine Anzahlung nehmen, die gewöhnlich ein Unterpfand vollständiger Gefälligkeit zu sein pflegt, wenn man weiter nichts wünscht.

Wir speisten zu Abend; hierauf wünschte ich den Damen gute Nacht und begleitete sie in ihr Zimmer. Ich merkte mir das Bett der Schönen; ich konnte mich nicht täuschen. Ich verließ sie und kam eine Viertelstunde darauf wieder. Da ich die Tür offen fand, glaubte ich meiner Sache sicher zu sein; ich trat heran, aber statt meiner appetitlichen Zofe fühlte ich die Signora. Offenbar hatte die junge Schelmin ihrer Herrin die Geschichte erzählt, und diese hatte es für gut befunden, deren Stelle einzunehmen. Eine Täuschung meinerseits war ausgeschlossen; denn wenn ich auch nichts sehen konnte, so genügten doch meine Hände, mich zu überzeugen.

Sofort schossen zwei verschiedene Gedanken mir durch den Sinn: entweder mich ins Bett zu legen und von der einen zur anderen zu gehen, oder augenblicklich nach Rom abzureisen. Dieser zweite Gedanke behielt die Oberhand. Ich weckte Leduc, gab ihm meine Befehle und war unmittelbar darauf unterwegs; ich weidete mich an der Enttäuschung der beiden Spitzbübinnen, denen es jedenfalls sehr leid tun mußte, daß sie mich nicht hatten anführen können. In Rom sah ich die Signora Diana drei- oder viermal von ferne; wir grüßten uns, sprachen aber nicht miteinander. Hätte ich glauben können, daß sie mir die vierhundert Louis bezahlen würde, die sie mir schuldete, so würde ich mir die Mühe genommen haben, ihr einen Besuch zu machen; aber ich wußte, daß Kulissenköniginnen die schlechtesten Schuldnerinnen in der Welt sind.

Meinen Bruder fand ich munter und guter Dinge, desgleichen auch den Ritter Mengs und den Abbate Winkelmann. Costa war hoch erfreut, mich wiederzusehen. Ich schickte ihn sofort zum Scopatore maggiore Seiner Heiligkeit, um ihm Bescheid zu sagen, daß ich bei ihm die Polenta essen würde; er brauchte sich um weiter nichts zu bekümmern, als daß er ein gutes Abendessen für zwölf Personen besorgte. Ich war sicher, Mariuccia bei ihm zu finden, denn Momolo hatte, wie ich wußte, bemerkt, daß ich sie gerne sah.

Da am nächsten Tage der Karneval begann, so mietete ich für die ganzen acht Tage einen prachtvollen Landauer. Die Landauer sind in Rom viersitzige Wagen, deren Verdeck nach Belieben heruntergelassen werden kann. Man fährt in ihnen, maskiert oder unmaskiert, während der acht Tage des Karnevals von einundzwanzig bis vierundzwanzig Uhr immerzu den Korso auf und ab.

Seit Jahrhunderten ist während dieser Narrenswoche der römische Korso das eigentümlichste, seltsamste und ergötzlichste Ding von der Welt. Die barberi sprengen in sausendem Galopp von der Piazza del Popolo den Korso entlang bis zur Trajanssäule, zwischen zwei Reihen von Wagen, die gegen die viel zu engen, mit Masken und Neugierigen aller Stände überfüllten Bürgersteige gedrängt sind. Alle Fenster sind besetzt. Sobald die barberi vorüber sind, fahren die Wagen im Schritt; die Mitte der Straße wimmelt von Masken zu Fuß und zu Pferde. Man bewirft sich mit Konfetti aus Zucker oder aus Gips, mit Pamphleten und Paskinaden; man schleudert sich tausend schlechte Witze zu. Die größte Freiheit herrscht in dieser Menge, die aus den feinsten und den niedrigsten Kreisen Roms zusammengesetzt ist. Sobald um vierundzwanzig Uhr der dritte Kanonenschuß von der Engelsburg den Tagesschluß angekündigt hat, würde man nach fünf Minuten auf dem Korso vergeblich einen einzigen Wagen oder eine Maske suchen. Die ganze Menge hat sich in die anliegenden Straßen ergossen und erfüllt nun die Theater, die ernste und komische Oper, die Komödie, die Seiltänzer- und Puppentheaterbuden, nicht zu vergessen Speisewirtschaften und Schenken. Alles ist überfüllt; denn während dieser acht Tage tun die Römer nichts anderes als essen, trinken und ihr Leben auf alle Art genießen.

Ich trug zunächst mein Geld zu Herrn Belloni und nahm bei ihm einen Kreditbrief auf Turin, wo ich den Abbate Gama finden und den Auftrag des Portugiesischen Hofes für den von ganz Europa bestimmt erwarteten Kongreß erhalten sollte. Hierauf besichtigte ich mein Stübchen hinter der Trinità de’Monti, wo ich am nächsten Morgen die schöne Mariuccia zu sehen hoffte. Ich fand alles in guter Ordnung.

Am Abend empfingen Momolo und seine ganze Familie mich mit Freudengeschrei. Die älteste Tochter sagte mir lachend, sie sei überzeugt, mir ein Vergnügen zu machen, indem sie Mariuccia holen lasse.

»Da täuschen Sie sich nicht,« antwortete ich ihr; »ich sehe die schöne Mariuccia mit Vergnügen.«

Einige Minuten darauf trat sie mit ihrer frommen Mutter ein; diese grüßte mich ehrerbietig und sagte mir, ich solle mich nicht wundern, wenn ich ihre Tochter besser gekleidet sehe; sie werde sich nämlich in drei oder vier Tagen verheiraten. Ich wünschte ihr Glück dazu, und Momolos Töchter fragten sie sofort, mit wem? Errötend ergriff Maria das Wort und sagte bescheiden zu einer von ihnen: »Es ist einer, den ihr kennt, der Soundso; er hat mich hier gesehen und wird einen Friseurladen aufmachen.«

»Der würdige Vater Barnabas«, fuhr die Mutter fort, »hat diese Heirat zustande gebracht; er hat vierhundert Skudi in Verwahrung, die meine Tochter ihrem künftigen Gatten als Mitgift zubringt.«

»Er ist ein anständiger Junge,« sagte Momolo; »ich schätze ihn sehr hoch, und er würde eine von meinen Töchtern geheiratet haben, wenn ich ihr eine solche Mitgift hätte geben können.«

Bei diesen Worten senkte die Tochter, von der die Rede war, errötend die Augen.

»Trösten Sie sich, meine Liebe,« sagte ich zu ihr, »die Reihe wird auch an Sie kommen.«

Sie nahm diese Worte für bare Münze, und ihr ganzes Gesicht strahlte vor Freude. Sie dachte, ich hätte erraten, daß sie in Costa verliebt war, und sie wurde in diesem Gedanken bestärkt, als ich meinem Bedienten sagte, er solle am nächsten Tage meinen Landauer nehmen und Momolos Töchter gut vermummt auf den Korso führen. Da niemand sie in einem Wagen erkennen dürfe, dessen ich mich selber bedienen wolle, so solle er bei einem Juden schöne Kostüme leihen; ich würde diese bezahlen. Hierüber war die ganze Familie fröhlich.

»Und Signora Maria?« fragte die Eifersüchtige mich.

»Signora Maria«, antwortete ich ihr, »wird sich verheiraten; sie darf an keinem Fest ohne ihren Mann teilnehmen.«

Die Mutter gab mir Beifall, und die schlaue Maria stellte sich, als ob sie gekränkt wäre. Ich wandte mich nun an den Vater Momolo und bat ihn, er möchte mir das Vergnügen machen und Marias Bräutigam znm Abendessen einladen. Hierüber war die Mutter sehr erfreut.

Da ich sehr müde war und bei Momolos nichts mehr zu tun hatte – denn Manuccia hatte mich ja gesehen –, so bat ich die Gesellschaft, mich zu entschuldigen, wünschte ihr guten Appetit und ging.

Am nächsten Morgen war ich schon in aller Frühe auf den Beinen. Ich begab mich gegen sieben Uhr nach der Kirche, brauchte jedoch nicht einzutreten; denn Mariuccia hatte mich von weitem bemerkt, folgte mir, und bald waren wir beisammen in unserem Stübchen, das Liebe und Wollust zu einem prachtvollen Palast machten. Gern hätten wir uns süßem Geplauder überlassen; da wir jedoch nur eine einzige Stunde der Liebeslust widmen konnten, so gingen wir sofort ans Werk, ohne auch nur unsere Kleider abzulegen. Nach dem letzten Kuß, der den dritten Angriff besiegelte, sagte sie mir, sie werde sich am Rosenmontag verheiraten. Ihr Beichtvater habe alle Anordnungen getroffen. Sie dankte mir dafür, daß ich Momolo gebeten hätte, ihren Bräutigam einzuladen.

»Wann werden wir uns wiedersehen, mein Engel?«

»Am Sonntag, den Tag vor meiner Hochzeit; wir werden vier Stunden beieinander sein.«

»Köstlich! Ich verspreche dir, du sollst ohne Verlegenheit die Liebkosungen deines Gatten empfangen können.«

Lächelnd entfernte sie sich, und ich warf mich auf das Bett, um mich eine gute Stunde auszuruhen.

Auf dem Heimwege begegnete ich einem schnellfahrenden vierspännigen Wagen, dem ein Läufer vorauseilte, ein junger Herr saß darin. Ein blaues Ordensband zog meine Blicke auf sich; ich sah ihn an, er rief meinen Namen und ließ halten. Zu meiner großen Überraschung erkannte ich Lord Talon, den ich in Paris bei seiner Mutter, der Gräfin Limore, kennen gelernt hatte. Sie lebte von ihrem Gatten getrennt und wurde vom Erzbischof von Cambray, Herrn von St.-Albin, unterhalten. Er war ein sehr wenig würdiger Nachfolger des tugendhaften Fénélon, aber er hatte den Vorzug, ein Bankert des Herzogs von Orléans, Regenten von Frankreich, zu sein. Lord Talon war ein hübscher Junge, voll Geist und Talent; aber er hatte alle zügellosen Leidenschaften und alle Laster. Ich wußte, daß er wohl den Titel, aber nicht das Vermögen eines Lords hatte, und war daher überrascht, ihn in einer so glänzenden Equipage zu sehen; noch mehr wunderte ich mich über sein blaues Band. Er sagte mir in aller Eile, er fahre zum Diner beim Prätendenten, werde aber zu Hause zu Abend speisen. Ich nahm seine Einladung an.

Nach Tisch machte ich einen Spaziergang und ging dann zu meiner Ergötzung in die Komödie Giordinana, wo Momolos Töchter sich mit Costa brüsteten; dann begab ich mich zum Lord Talon, wo ich zu meiner angenehmen Überraschung den Dichter Poinsinet traf. Er war ein kleiner, junger Mann, häßlich, aber voll Feuer und guter Laune und von großer Begabung für die Bühne. Fünf oder sechs Jahre später fiel der Unglückliche in den Guadalquivir und ertrank. Er war nach Madrid in der Hoffnung gegangen, dort sein Glück zu machen.

Ich hatte ihn in Paris gekannt und redete ihn daher als alten Bekannten an: »Ei, was machen Sie denn in Rom, lieber Freund? Wo ist Lord Talon?«

»Er ist im Nebenzimmer; aber er ist nicht mehr Lord Talon, denn sein Vater ist gestorben, und er ist jetzt Graf Limore. Wie Sie wissen, war er Anhänger des Prätendenten. Ich bin mit ihm von Paris gekommen, denn es war mir sehr angenehm, ohne Kosten nach Rom reisen zu können.«

»Der Graf ist also reich geworden?«

»Noch nicht, aber er wird es sein; denn er ist der Erbe seines Vaters, der unermeßliche Reichtümer hinterlassen hat. Allerdings ist alles mit Beschlag belegt; aber das tut nichts, denn seine Ansprüche sind unbestreitbar.«

»Er ist also reich an Ansprüchen und Aussichten. Aber wie ist er denn Ritter des Ordens von Frankreich geworden?«

»Sie scherzen. Es ist das blaue Band des Michaelsordens, dessen Großmeister der verstorbene Kurfürst von Köln war. Milord,der, wie Sie wissen, ausgezeichnet Geige spielt, hat bei seinem Aufenthalt in Bonn dem Kurfürsten ein Konzert von Tartini vorgespielt. Der Fürst wußte nicht, wie er ihm seine Anerkennung für den erhaltenen Genuß ausdrücken sollte, und schenkte ihm das Ordensband, das Sie sahen.«

»Ohne Zweifel ein schönes Geschenk.«

»Sie glauben nicht, welches Vergnügen Milord daran hat! Wenn wir nach Paris zurückkommen, werden alle, die es sehen, glauben, er trage den Orden vom heiligen Geist.«

Wir betraten den Saal, worin sich der Lord mit der Gesellschaft befand, die er zum Abendessen eingeladen hatte. Sobald er mich sah, ging er mir entgegen, umarmte mich, nannte mich seinen lieben Freund und stellte mir alle Gäste vor. Es waren sieben oder acht schöne Mädchen, drei oder vier Kastraten, die auf den römischen Theatern Frauenrollen spielten, und fünf oder sechs Abbaten, die die Männer aller Frauen und die Frauen aller Männer waren, sich damit brüsteten und an Unzüchtigkeit mit den Mädchen wetteiferten. Diese Mädchen waren allerdings keine öffentlichen Dirnen, sondern vollendete Dilettantinnen in unzüchtiger Musik, Malerei und Philosophie. Der Leser wird sich von der Art der Gesellschaft einen Begriff machen können, wenn ich ihm sage, daß ich mich in ihr als Neuling fühlte.

»Wohin, Fürst?« fragte der Lord einen Herrn von anständigem Aussehen, der nach der Tür ging.

»Ich befinde mich nicht wohl, Milord, und muß mich entfernen.«

»Was ist das für ein Fürst?« fragte ich ihn.

»Es ist der Subdiakonus Fürst Chimay, der, um seine mit dem Erlöschen bedrohte Familie zu erhalten, sich um eine Heiratserlaubnis bemüht.«

Ich bewunderte seine Vorsicht oder sein Zartgefühl, hatte aber nicht die Kraft, es ihm nachzutun.

Wir waren vierundzwanzig bei Tisch, und es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, daß hundert Flaschen vom besten Wein geleert wurden. Alle Gäste waren betrunken, außer mir und Poinsinet, der nur Wasser getrunken hatte. Nach der Mahlzeit begann eine wüste unflätige Orgie, wie ich sie mir nie hätte träumen lassen, und die keine Feder getreulich schildern könnte; nur ein großer Wüstling könnte sich eine Vorstellung davon machen, indem er die wollüstigsten Farben wählte, die die Palette bietet.

Ein Kastrat und ein Mädchen von ungefähr gleichem Wuchs machten den Vorschlag, sie wollten sich im Nebenzimmer, nackt und das Gesicht bis zum Halse zugedeckt, nebeneinander auf den Rücken legen. Sie forderten alle Anwesenden heraus, sie anzusehen und ihr Geschlecht zu erraten.

Wir traten alle ein, niemand wagte jedoch ein Urteil abzugeben, da man nur auf seine Augen angewiesen war. Ich schlug dem Lord eine Wette um fünfzig Taler vor, daß ich das Weib herausfinden würde. Er nahm sie an, und ich riet richtig; aber von Bezahlung war keine Rede.

Dieser erste Akt der Orgie endete mit der Preisgebung der beiden Individuen, welche alle Anwesenden zum großen Werk herausforderten. Mit Ausnahme von Poinsinet und mir versuchten alle es, aber vergeblich.

Im zweiten Akt gab man uns das Schauspiel von vier oder fünf Paarungen auf der Kehrseite der Medaille. Bei diesen schamlosen Kämpfen glänzten am meisten die Abbaten, indem sie bald die aktive, bald die passive Rolle spielten. Ich war der einzige, der verschont blieb.

Der Lord, der während der ganzen Orgie kein Lebenszeichen gegeben hatte, griff plötzlich den armen Poinsinet an, der sich vergeblich verteidigte; er mußte sich entkleiden lassen und neben ihn legen, der nackt wie alle anderen war. Wir bildeten einen Kreis um sie herum; plötzlich nahm der Lord seine Uhr und versprach sie demjenigen, dem es zuerst gelingen würde, ein gewisses Zeichen des Gefühls bei Poinsinet hervorzurufen. Die Lust, diesen Preis zu gewinnen, brachte die ganze schmutzige Bande in Aufruhr: Kastraten, Dirnen und Abbaten bemühten sich um die Wette. Jeder wollte der erste sein, schließlich mußte gelost werden. Dies war für mich der interessanteste Teil des Stückes. Ich hatte bei dieser ganzen unglaublichen Orgie nicht die geringste Erregung an mir bemerkt, obwohl ich bei jeder anderen Gelegenheit sicherlich einem jeden dieser Mädchen meine Huldigung dargebracht haben würde. Aber ich lachte, besonders als ich sah, wie der arme Dichter sich fürchten mußte, den Stachel des Fleisches zu verspüren; denn der schamlose Lord hatte geschworen, ihn der viehischen Lust aller Abbaten zu überlassen, wenn er durch seine Schuld die Wette verlieren sollte. Er kam mit der Furcht davon, und wahrscheinlich schützte ihn gerade seine Furcht.

Die unzüchtige Szene nahm ein Ende, als niemand mehr da war, der sich Hoffnung auf den Gewinn der Uhr machen konnte. Die Kunst der Lesbierinnen wurde indessen nur von den Abbaten und Kastraten in Anwendung gebracht. Die Mädchen machten keinen Gebrauch davon, um die anderen, die sich dieses Mittels bedienten, verachten zu können. Ohne Zweifel handelten sie mehr aus Stolz als aus Schamgefühl; denn ich vermute, daß sie es erfolglos anzuwenden fürchteten.

Mein Gewinn bei dieser elenden Ausschweifung war Ekel und eine größere Selbsterkenntnis. Ich konnte mir nicht verhehlen, daß mein Leben in Gefahr gewesen war; denn ich hatte nur meinen Degen bei mir, aber ich hätte mich sicher desselben bedient, wenn es dem Lord in seiner bacchantischen Wut eingefallen wäre, mich zur Teilnahme zu nötigen, wie den armen Poinsinet. Ich habe niemals begreifen können, warum er sich bewogen fühlte, mich zu verschonen, denn er war betrunken und in einem Zustand von Raserei.

Beim Abschied versprach ich ihm, ihn zu besuchen, sowie er mir Bescheid sagen ließe, aber ich nahm mir selber fest vor, seine Wohnung nicht wieder zu betreten.

Am nächsten Nachmittag kam er zu Fuß zu mir, und da wir keine Lust hatten den Wettlauf der barberi zu sehen, so lud er mich ein, einen Spaziergang nach der Villa Medici zu machen.

Ich gratulierte ihm zu den ungeheuren Reichtümern, die er geerbt haben müßte, um so glänzend leben zu können; er lachte aber und antwortete mir, er besitze nur etwa fünfzig Taler; sein Vater habe nur Schulden hinterlassen, und er selber sei bereits drei- oder viertausend Scudi schuldig.

»Ich wundere mich, daß man Ihnen Kredit gibt.«

»Man gibt mir Kredit, weil alle Welt weiß, daß ich einen Wechsel von zweihunderttausend Franken auf Paris gezogen habe. Aber in vier oder fünf Tagen wird der Wechsel mit Protest zurückkommen, und dann werde ich mich schleunigst aus dem Staube machen.«

»Wenn Sie bestimmt wissen, daß der Wechsel protestiert werden wird, so rate ich Ihnen, noch heute abzureisen; denn da es sich um eine so große Summe handelt, so wäre es möglich, daß die Nachricht durch besondere Boten geschickt würde.«

»Nein, denn ich habe noch eine kleine Hoffnung. Ich habe meiner Mutter geschrieben, ich sei verloren, wenn sie es nicht möglich mache, dem Bankier, auf den ich gezogen habe, die erforderlichen Mittel zu liefern; in diesem Fall würde der Wechsel honoriert werden. Wie Sie wissen, liebt meine Mutter mich.«

»Ja; aber ich weiß auch, daß sie nicht reich ist.«

»Allerdings nicht; aber Herr von St.-Albin ist reich, und ich halte ihn, unter uns gesagt, für meinen Vater. Unterdessen sind meine Gläubiger beinahe ebenso ruhig wie ich. Alle jene Mädchen, die Sie bei mir gesehen haben, würden mir auf meinen Wunsch all ihr Hab und Gut geben, denn sie erwarten alle, im Laufe der Woche ein reiches Geschenk von mir zu erhalten. Ich will jedoch ihr Vertrauen nicht mißbrauchen. Betrügen – da ich nun einmal betrügen muß – werde ich nur einen Juden, der mir diesen Ring für dreitausend Zechinen abkaufen will, während ich weiß, daß er nur tausend wert ist.«

»Er wird Sie verfolgen lassen.«

»Das soll er nur tun.«

Dieser Ring trug einen strohfarbenen Solitär von neun bis zehn Karat. Der Lord verließ mich mit der Bitte, nichts davon zu sagen. Der törichte Verschwender erregte in mir kein Gefühl des Mitleids, denn ich sah in ihm nur einen freiwilligen Unglücklichen, der sein Leben in einem Gefängnis beschließen mußte, wenn er nicht den Mut hatte, sich eine Kugel vor den Kopf zu schießen.

Ich ging zu Momolo, bei dem ich den Bräutigam meiner schönen Mariuccia fand; sie selber war nicht da. Sie hatte dem Scopatore Santissimo sagen lassen, ihr Vater sei von Palestrina gekommen, um ihrer Hochzeit beizuwohnen, und deshalb könne sie nicht das Vergnügen haben, zum Abendessen zu kommen. Ich bewunderte ihre Klugheit; ein junges Mädchen braucht nicht studiert zu haben, um eine gute Politikerin zu sein, wenn ihr Herz es verlangt: die Natur zeichnet ihr den Weg vor, und sie folgt diesem mit der Gewißheit, sich nicht zu täuschen. Beim Essen beschäftigte ich mich ausschließlich mit dem jungen Mann; ich fand in ihm einen in jeder Beziehung passenden Gatten für Mariuccia: er war hübsch, bescheiden und verständig; alle seine Worte trugen das Gepräge der Aufrichtigkeit und der Vernunft.

Er sagte mir in Gegenwart von Momolos Tochter Tecla, diese würde ihn glücklich gemacht haben, wenn sie imstande gewesen wäre, ihm zur Begründung eines Geschäftes zu verhelfen; er müsse Gott danken, daß er Maria kennen gelernt habe, die in ihrem Beichtvater einen wahren Vater in Gott gefunden habe. Ich fragte ihn, wo er die Hochzeit feiern würde. Er antwortete mir: »Bei meinem Vater, einem Gärtner, der auf der anderen Seite des Tibers wohnt; da er arm ist, so werde ich ihm zehn Skudi geben, um die Kosten zu bestreiten.«

Ich bekam sofort Lust, ihm die zehn Taler zu geben. Aber wie sollte ich dies anfangen? Ich würde mich verraten haben.

»Ist Ihres Vaters Garten hübsch?« fragte ich ihn.

»Man kann ihn nicht hübsch nennen; aber er ist sehr gut gehalten. Da er den Platz besaß, hat er einen Garten daraus gemacht, der ihm jährlich zwanzig Skudi einbringt. Er möchte ihn gern verkaufen, und ich wäre glücklicher als ein Kardinal, wenn ich ihn kaufen könnte.«

»Wieviel kostet er?«

»O, viel, gnädiger Herr! Zweihundert Taler.«

»Das ist billig. Hören Sie mich an: Ich habe hier Ihre Braut kennen gelernt und gefunden, daß sie in jeder Beziehung wert ist, glücklich zu sein. Sie verdient einen ehrenwerten jungen Mann wie Sie. Sagen Sie mir, was würden Sie machen, wenn ich Ihnen auf der Stelle zweihundert Taler schenkte, um Ihres Vaters Garten zu kaufen?«

»Ich würde ihn als Witwengut zur Mitgift meiner Frau hinzufügen.«

»Hier sind zweihundert Taler, die ich dem Abbate Momolo anvertraue, weil ich Sie nicht gut genug kenne, obgleich Sie mir viel Vertrauen einflößen. Der Garten gehört Ihnen als Mitgift Ihrer künftigen Gattin.«

Momolo nahm das Geld und verpflichtete sich, den Garten gleich am nächsten Tag zu kaufen. Der junge Mann vergoß Tränen der Freude und Dankbarkeit, fiel vor mir auf die Knie und küßte mir die Hand. Alle Mädchen weinten und ich auch, denn Tränen, die aus dem Herzen kommen, wirken ansteckend. Indessen flossen nicht alle diese Tränen aus der gleichen Quelle, sie waren aus einer Mischung von Laster und Tugend hervorgegangen, und rein waren nur die des jungen Mannes. Ich hob ihn auf, umarmte ihn und wünschte ihm eine glückliche Ehe. Er faßte sich den Mut, mich zur Hochzeit einzuladen, aber ich lehnte ab, indem ich ihm herzlich dankte. Ich sagte ihm: wenn er mir ein Vergnügen machen wollte, käme er am Sonntag vor seiner Hochzeit zu Momolo zum Essen, und ich bat den ehrenwerten Scopatore, Mariuccia nebst ihrem Vater und ihrer Mutter einzuladen. Ich war sicher, daß ich sie am Sonntag früh noch ein letztes Mal sehen würde.

Am Sonntag lagen wir schon um sieben Uhr einander in den Armen; wir hatten vier Stunden vor uns. Nach dem ersten Ergusse unserer gegenseitigen Zärtlichkeit sagte sie mir: »Gestern ist in unserem Hause in Gegenwart meines Beichtvaters und Momolos alles vor einem Notar abgeschlossen worden. Nach Aushändigung der Quittung hat der Notar den Garten in den Heiratsvertrag aufgenommen; der gute Vater Barnabas hat mir zwanzig Piaster geschenkt, um die Kosten für den Notar und die Hochzeit zu decken. So steht alles vortrefflich, und ich bin gewiß, daß ich glücklich sein werde. Mein Bräutigam betet mich an, aber du hast sehr wohl daran getan, seine Einladung nicht anzunehmen, denn du wärest an einen gar zu armseligen Ort gekommen; außerdem würde man über mich geklagt haben, und dies hätte mich vielleicht des Glückes beraubt, auf das ich hoffen darf.«

»Du hast vollkommen recht, reizende Freundin; aber sage mir, wie wirst du dich aus der Verlegenheit ziehen, wenn dein Gatte findet, daß die Tür schon vor deiner Heirat geöffnet worden ist; denn möglicherweise erwartet er, in dir eine reine Jungfrau zu finden.«

»Ich glaube nicht, daß er mehr davon versteht als ich, bevor du mich zum erstenmal erkanntest. Meine Liebkosungen, meine Zärtlichkeit und mein reines Gewissen – denn dieses hast du nicht befleckt – erlauben mir nicht einmal daran zu denken, und ich bin überzeugt, er wird ebenso wenig daran denken.«

»Aber wenn er es doch täte?«

»Das wäre kein Zeichen von Zartgefühl; aber warum sollte ich ihm nicht einfach mit der wahren und aufrichtigen Miene der Unschuld antworten, ich wisse nicht, wovon er spreche, und verstehe mich nicht darauf?«

»Du hast recht; dies ist das beste Mittel. Aber hast du unsere Liebesfreuden gebeichtet?«

»Nein, lieber Freund; denn da ich mich dir nicht in sündiger Absicht ergeben habe, glaube ich Gott nicht beleidigt zu haben.«

»Du bist ein Engel, meine Liebe, und ich bewundere die Klarheit deines Verstandes. Doch höre jetzt: möglicherweise bist du bereits schwanger oder wirst es noch, bevor wir uns trennen; versprich mir, meinem Kinde meinen Namen zu geben.«

»Ich verspreche es dir.«

Vier Stunden vergingen sehr schnell. Nach dem sechsten Sturm waren wir erschöpft, ohne gesättigt zu sein. Wir trennten uns unter strömenden Tränen und schworen uns, einander die zärtlichsten Gefühle eines Bruders und einer Schwester zu bewahren.

Ich ging nach Hause, nahm ein Bad und ruhte eine Stunde. Dann stand ich auf, machte Toilette und speiste fröhlich am Familientisch. Am Abend fuhr ich die Familie Mengs in meinem Landauer spazieren; hierauf gingen wir in das Theater Aliberti, in das die ganze Stadt strömte, um den Kastraten zu sehen, der die Rolle der Primadonna spielte. Er war der gefällige Liebling des Kardinals Borghese und speiste jeden Abend mit Seiner Eminenz allein.

Die Stimme des Kastraten war herrlich; noch herrlicher aber war seine Schönheit. Ich hatte ihn als Mann auf der Promenade gesehen; aber obwohl er sehr hübsch war, hatte sein Gesicht auf mich keinen Eindruck gemacht, denn man sah sofort, daß er ein verstümmelter Mann war. Auf der Bühne dagegen war die Täuschung vollkommen; er entflammte.

In ein gut gearbeitetes Mieder eingeschnürt, hatte er eine Nymphentaille, und sein Busen – es ist fast unglaublich – nahm es an Form und Schönheit mit jedem Frauenbusen auf. Besonders hierdurch richtete das Ungeheuer Verheerungen an. Obwohl man die negative Natur des Unglücklichen kannte, so übte er doch einen unbeschreiblichen Zauber aus, wenn man aus Neugier seinen Busen ansah: man war wahnsinnig verliebt, bevor man überhaupt merkte, daß man etwas empfunden hatte. Um ihm zu widerstehen oder nichts zu fühlen, hätte man kalt oder prosaisch sein müssen wie ein Deutscher. Wenn er, auf das Ritornell seiner Arie wartend, auf der Bühne auf und ab ging, hatte sein Gang etwas Majestätisches und zugleich Wollüstiges; wenn er die Logen huldvoll mit seinen Blicken beglückte, dann entzückte der zärtliche und bescheidene Ausdruck seiner schwarzen Augen alle Herzen. Offenbar wollte er die Liebe derjenigen nähren, die ihn als Mann liebten und die ihn wahrscheinlich nicht geliebt haben würden, wenn er ein Weib gewesen wäre.

Das heilige Rom, das auf diese Weise alle Männer nötigt, Päderasten zu werden, will dies nicht zugeben und stellt sich, als glaube es nicht an die Wirkungen einer Illusion, die es mit allen Kräften zu erwecken sich bemüht.

Als ich im Parkett diese Betrachtungen anstellte, sagte ein Monsignore zu mir, um mich auf eine falsche Fährte zu bringen: »Sie haben ganz recht. Warum erlaubt man diesem Kastraten einen Busen zur Schau zu stellen, auf den die schönste Römerin stolz sein könnte, während ein jeder wissen muß, daß er ein Mann und nicht ein Weib ist? Wenn man die Bühne dem schönen Geschlecht verbietet, weil man fürchtet, daß seine Reize unzüchtige Begierden erwecken können, warum sucht man dann Männer aus, die durch ihre körperliche Mißbildung eine vollständige Illusion hervorbringen und noch viel sündigere Begierden erregen? Man behauptet hartnäckig, die Päderastie werde mit Unrecht für weit verbreitet gehalten; lächerlich gering sei die Zahl derjenigen, die durch die Illusion verführt werden; denn sie sähen sich angeführt, wenn es zur Aufklärung komme. Aber viele kluge Leute verfallen dieser Täuschung und finden sie zuletzt so süß, daß sie nicht daran denken, darauf zu verzichten, sondern vielmehr diese Ungeheuer den schönsten Frauen vorziehen.«

»Der Papst würde sich den Himmel verdienen, wenn er diesen lächerlichen Mißbrauch abschaffte.«

»Das ist nicht meine Meinung. Man könnte nicht, ohne Anstoß zu erregen, mit einer schönen Sängerin unter vier Augen soupieren; aber mit einem Kastraten kann man es. Man weiß freilich, daß nach dem Abendessen dasselbe Kissen ihre Köpfe aufnimmt, aber was alle Welt weiß, wird von aller Welt ignoriert. Man kann freundschaftlich bei einem Mann schlafen, bei einem Weibe nicht.«

»Das ist wahr, Monsignore: man rettet den Schein, und geheime Sünde ist halb vergeben, wie man in Paris sagt.«

»In Rom sagt man, es ist überhaupt keine. Peccato nascosto non offende – Geheime Sünde erregt keinen Anstoß.«

Diese jesuitische Unterhaltung interessierte mich, denn ich wußte von dem Herrn, daß er ein erklärter Freund der verbotenen Frucht war.

Da ich in einer Loge die Marchesa Passarini, die ich in Dresden gekannt hatte, und den Fürsten Don Antonio Borghese bemerkte, suchte ich sie auf, um ihnen meine Aufwartung zu machen. Der Fürst, den ich vor etwa zehn Jahren in Paris gesehen hatte, erkannte mich wieder und lud mich für den nächsten Tag zum Essen ein. Ich ging hin, aber der gnädige Herr war nicht zu Hause. Ein Page sagte mir, es sei für mich gedeckt und ich könne trotzdem speisen; ich drehte ihm den Rücken zu und ging. Am Aschermittwoch schickte er seinen Kammerdiener zu mir und lud mich zum Abendessen bei der Marchesa ein, die er aushielt. Ich ließ ihm sagen, ich würde die Ehre haben, mich pünktlich einzufinden; aber er wartete vergeblich auf mich. Der Stolz ist das Kind der Dummheit und schlägt nie aus der Art seiner Mutter.

Von der Oper Aliberti ging ich zu Momolo, bei dem ich Mariuccia mit ihren Eltern und ihrem Bräutigam fand. Man erwartete mich voller Ungeduld. Es ist nicht schwer, Glückliche zu machen, wenn man aus der Klasse der Wenigbegüterten Menschen auswählt, die es verdienen. Ich befand mich in einer Gesellschaft armer, aber ehrlicher Leute, und ich kann sagen, daß ich köstlich bei ihnen speiste. Es ist möglich, daß meine Befriedigung zum Teil meiner Eitelkeit entsprang, denn ich wußte, daß ich der Urheber der Freude und Seligkeit war, die auf allen Gesichtern strahlten, ich meine auf den Gesichtern des künftigen Paares und der Eltern der jungen Maria; aber die Eitelkeit ist eine Tugend, wenn sie Gutes bewirkt. Doch bin ich mir selber schuldig, meinen Lesern zu sagen, daß meine Freude rein und von keinem Laster befleckt war.

Nach dem Essen legte ich eine kleine Pharaobank auf, indem ich alle Anwesenden mit Marken spielen ließ, denn niemand von ihnen hatte einen Soldo; ich spielte so unglücklich, daß zu meiner größten Befriedigung jeder von meinen Gästen ein paar Dukaten gewann.

Nach dem Essen tanzten wir, trotz dem Verbot des Papstes, den in Rom niemand für unfehlbar hält; denn er verbietet den Tanz und erlaubt die Glücksspiele. Sein Nachfolger Ganganelli tat genau das Gegenteil und fand keinen besseren Gehorsam. Um mich nicht verdächtig zu machen, gab ich dem Brautpaare kein Geschenk; aber ich überließ ihnen meinen Landauer, damit sie auf dem Korso den Karneval mitmachen könnten, und befahl Costa, ihnen eine Loge im Capranica-Theater zu mieten. Momolo lud uns alle auf Fastnacht zum Abendessen ein.

Da ich am zweiten Fastentage von Rom abreisen wollte, ging ich zum Heiligen Vater um zweiundzwanzig Uhr, als die ganze Stadt auf dem Korso war. Seine Heiligkeit empfing mich auf das freundlichste und sagte mir, sie sei überrascht, daß ich nicht wie alle Welt bei der großen Lustbarkeit sei. Ich erwiderte ihm, ich sei ein großer Freund des Vergnügens und habe daher auf alles andere verzichtet, um mir das größte Vergnügen für einen Christen zu verschaffen, nämlich dem wahren Vertreter Jesu Christi meine tiefe Ehrfurcht zu bezeigen. Er neigte sein Haupt mit einer Miene majestätischer Demut, die die Befriedigung über mein Kompliment durchblicken ließ. Er behielt mich länger als eine Viertelstunde bei sich und sprach von Venedig, von Padua und sogar von Paris, das der gute Mann gerne kennen gelernt hätte. Als ich mich endlich abermals seinem apostolischen Schutze empfahl, um die Gnade der Rückkehr in mein Vaterland zu erlangen, sagte er mir: »Lieber Sohn, wenden Sie sich an Gott, dessen Gnade wirksamer sein wird als unser Gebet!«

Hierauf gab er mir seinen Segen und wünschte mir gute Reise. Ich sah, daß dieses Haupt der Kirche nicht übermäßig an seine eigene Macht glaubte.

Am Fastnachtstage erschien ich auf einem sehr schönen Pferde, reich als Pulcinella gekleidet, auf dem Korso mit einem riesigen Korb voll Zuckerwerk und zwei Beuteln voll Konfetti, mit denen ich alle schönen Weiber, die ich sah, bombardierte. Als ich an meinem Landauer vorbeikam, schüttete ich meinen Korb über die Töchter des guten und ehrenwerten päpstlichen Scopatore aus, die Costa mit der Würde eines Paschas spazieren fuhr.

Bei Anbruch der Nacht demaskierte ich mich und ging hierauf zu Momolo, in dessen Hause ich die liebenswürdige und schöne Mariuccia zum letzten Male sehen sollte. Unser Fest glich so ziemlich dem vom vorigen Sonntag; neu aber und interessant war für mich, daß ich das Mädchen, das mich als Geliebte so sehr interessiert hatte, nun als Gattin sah. Ihr Mann schien mir an diesem Tage viel zurückhaltender gegen mich zu sein als bei unserem ersten Zusammentreffen. Dies war mir peinlich, und ich benutzte daher einen günstigen Augenblick, um mich neben Mariuccia zu setzen und ungestört mit ihr zu plaudern. Sie erzählte mir ausführlich, wie die erste Nacht vergangen war, und war unermüdlich in Lobpreisungen der Eigenschaften ihres schönen Gatten. Er war sanft, verliebt, von immer gleichem Wesen und sehr zartfühlend. Ohne Zweifel hatte er bemerkt, daß die Blume bereits gepflückt war, aber er hatte nichts darüber gesagt. Er hatte sie veranlaßt, von mir zu sprechen, und sie hatte sich das Vergnügen nicht versagen können, ihm zu erzählen, daß ich ihr einziger Wohltäter sei. Diese Mitteilung hatte ihn nicht beleidigt, sondern ihr im Gegenteil sein volles Vertrauen gewonnen.

»Aber,« fragte ich sie, »hat er keine versteckten Fragen über unser Verhältnis an dich gerichtet?«

»Nicht die mindeste. Ich habe ihm gesagt, du hättest dich, um mein Glück zu begründen, unmittelbar an meinen Beichtvater gewandt; du hättest mit mir nur ein einziges Mal in der Kirche gesprochen und ich hätte dir dabei mitgeteilt, welch eine gute Gelegenheit ich hätte, mich mit ihm zu verheiraten.«

»Und meinst du, er hat dir dies geglaubt?«

»Dessen bin ich sicher; aber selbst wenn es nicht der Fall sein sollte, so genügt es, wenn er sich nur so stellt; denn ich werde ihn nötigen, mich zu achten.«

»Vortrefflich gedacht! Ich selber werde ihn darum noch höher achten; denn es ist besser, du bist mit einem klugen Mann verheiratet als mit einem Tölpel.«

Dies Gespräch machte mir Vergnügen, und als ich mich von der Gesellschaft verabschiedete, da ich am übernächsten Tage abreisen mußte, umarmte ich den Friseur und bat ihn, zum Andenken eine sehr schöne goldene Uhr anzunehmen, die ich aus meiner Westentasche zog, und die er mit allen Zeichen aufrichtiger Dankbarkeit empfing. Dann zog ich von meinem Finger einen Ring, der mindestens sechshundert Franken wert war, und steckte diesen seiner Frau an den Finger, indem ich ihnen eine glückliche Nachkommenschaft und viel Segen wünschte. Hierauf ging ich zu Bett, nachdem ich Leduc und Costa gesagt hatte, daß wir gleich am nächsten Morgen anfangen wollten, meine Sachen zu packen. Als ich eben aufgestanden war, erhielt ich einen Brief vom Lord Limore, der mich bat, um die Mittagsstunde allein nach der Villa Borghese zu kommen.

Ich konnte mir denken, was er mir zu sagen hatte, und ging hin. Ich konnte ihm einen guten Rat geben, und die Freundschaft, die ich für seine Mutter empfand, machte mir dies zur Pflicht.

Er erwartete mich an einem Ort, wo ich vorüberkommen mußte, ging mir entgegen und gab mir einen Brief zu lesen, den er am Tage vorher von seiner Mutter erhalten hatte. Paris de Montmartel habe ihr mitgeteilt, er habe aus Rom eine Tratte auf zweihunderttausend Franken erhalten; er werde diese honorieren, wenn sie ihm den Betrag anweisen wolle. Sie habe ihm geantwortet, sie werde ihm in drei oder vier Tagen mitteilen, ob sie imstande sei, diese Summe zu beschaffen. Sie teilte jedoch ihrem Sohn mit, sie habe diesen Aufschub nur verlangt, damit er Zeit gewinne, sich in Sicherheit zu bringen; denn sein Wechsel werde ganz bestimmt mit Protest zurückkommen, da es ihr völlig unmöglich sei, das erforderliche Geld zu beschaffen.

Ich gab ihm den Brief zurück und sagte: »Sie müssen schleunigst verschwinden!«

»Liefern Sie mir die Mittel dazu, indem Sie mir diesen Ring abkaufen. Sie würden nicht wissen, daß er mir nicht gehört, wenn ich Ihnen dieses nicht selber anvertraut hätte.«

Ich verabredete mit ihm ein neues Zusammentreffen und ließ inzwischen den aus der Fassung genommenen Stein von einem der ersten Juweliere Roms schätzen.

»Ich kenne diesen Stein,« sagte er zu mir; »er ist zweitausend römische Taler wert.«

Um vier Uhr brachte ich dem Lord fünfhundert Skudi in Gold und fünfzehnhundert in Anweisungen auf einen Bankier, der ihm dafür einen Wechsel auf die Amsterdamer Bank geben sollte.

»Sobald es Nacht wird,« sagte er mir, »werde ich allein zu Pferde nach Livorno abreisen; ich nehme in meinem Mantelsack nur die Sachen mit, die ich durchaus brauche, und mein geliebtes blaues Band.«

»Gute Reise!«

Zehn Tage darauf ließ ich den Stein in Bologna fassen. Am selben Tage erhielt ich einen Empfehlungsbrief vom Kardinal Albani an den Nuntius Onorati in Florenz und einen zweiten von Herrn Mengs an den Ritter Man, den er bat, mich in seinem Hause aufzunehmen.

Ich ging nach Florenz, um die Corticelli und meine liebe Teresa zu sehen, und ich rechnete darauf, daß der Auditor meine Rückkehr nach Toskana trotz seinem ungerechten Ausweisungsbefehl nicht beachten würde, zumal wenn der Ritter Man mich in seinem Hause hätte.

Am zweiten Fastentage bildete das Verschwinden des Lord Limore das allgemeine Stadtgespräch. Der englische Schneider war zugrunde gerichtet, der Jude, dem der Ring gehörte, war in Verzweiflung, und alle Bedienten des verrückten Menschen waren in einer trostlosen Lage; denn sie wurden beinahe nackt auf die Straße gesetzt, da der Schneider sich gewaltsam aller Kleider bemächtigte, die er dem Lord, den er einen Gauner nannte, geliefert hatte.

Der arme Poinsinet kam in einem mitleiderregenden Zustand zu mir; denn er trug nur einen Überzieher über seinem Hemd. Der Wirt hatte sich aller seiner eigenen Sachen bemächtigt und ihm sogar gedroht, ihn ins Gefängnis stecken zu lassen, als er ihm gesagt hatte, er wäre nicht im Dienst des Flüchtigen gewesen.

»Ich habe keinen Heller,« sagte der arme Musensohn zu mir; »ich besitze nicht einmal ein zweites Hemd und kenne hier in Rom keinen Menschen. Am liebsten möchte ich mich in den Tiber stürzen!«

Es war ihm vom Schicksal nicht bestimmt, in diesem Flusse zu sterben, sondern im Guadalquivir. Ich beruhigte seine Verzweiflung, indem ich ihm anbot, ihn mit mir nach Florenz zu nehmen; doch machte ich ihn darauf aufmerksam, daß ich ihn dort sich selber überlassen müßte, weil ich erwartet würde. Er quartierte sich sofort bei mir ein und tat bis zum Augenblick der Abreise nichts als Verse machen.

Mein Bruder Giovanni schenkte mir einen sehr schönen Onyx. Es war eine Kamee, die eine Venus im Bade darstellte – eine echte Antike, denn mit einer sehr scharfen Lupe las man darauf den Namen des Steinschneiders Sostrates, der vor dreiundzwanzighundert Jahren lebte. Zwei Jahre später verkaufte ich sie in London dem Doktor Masti für dreihundert Pfund Sterling; vielleicht ist sie noch jetzt im Britischen Museum. Ich reiste mit Poinsinet ab, der mich in seiner Traurigkeit durch die spaßhaftesten Einfälle ergötzte. Am nächstfolgenden Tage stieg ich in Florenz beim Doktor Vannini ab, der bei meinem Anblick kaum seine Überraschung zu verbergen wußte. Unverzüglich begab ich mich zum Ritter Man, den ich allein bei Tisch fand. Er nahm mich sehr freundschaftlich auf, doch sah ich ihn bestürzt, als ich auf seine Frage ihm mitteilte, daß meine Angelegenheit noch nicht in Ordnung sei. Ei sagte mir aufrichtig, ich hätte nicht gut daran getan, nach Florenz zu kommen, und er würde sich bloßstellen, wenn er mir in seinem Hause Unterkunft gäbe. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß ich nur auf der Durchreise in Florenz sei.

»Das ist ganz schön und gut,« antwortete er mir; »aber Sie werden begreifen, daß Sie nicht umhin können, sich dem Auditor vorzustellen.«

Ich versprach ihm dies zu tun und ging nach meinem Gasthof zurück. Kaum war ich auf meinem Zimmer, so erschien ein Polizeibeamter und sagte mir, der Auditor wolle mit mir sprechen und erwarte mich am nächsten Morgen in der Frühe.

Entrüstet über diesen beleidigenden Befehl, beschloß ich, lieber sofort abzureisen als zu gehorchen. Von diesem festen Vorsatze erfüllt, ging ich zu Teresa; sie war nach Pisa gereist. Ich begab mich zur Corticelli, die mir um den Hals fiel und als echte Bologneserin alle den Umständen angemessenen Grimassen schnitt. Das Mädchen war zwar schön, aber sie hatte tatsächlich in meinen Augen kein anderes Verdienst, als daß ich gern über sie lachte. Ich gab der Mutter Geld, um ein gutes Abendessen zurecht zu machen, und nahm die Tochter mit, um mit ihr spazieren zu gehen. Ich führte sie in meinen Gasthof zu Poinsinet; dann ging ich in das Nebenzimmer und ließ Costa und Vannini kommen. In Gegenwart des Doktors befahl ich Costa, am nächsten Tage mit Leduc und meinem Gepäck abzureisen und mich in Bologna im Gasthof »Zum Pilger« aufzusuchen. Der Wirt entfernte sich, nachdem er meine Befehle erhalten hatte. Hierauf befahl ich Costa, mit der Signora Laura und ihrem Sohn von Florenz abzureisen und ihnen zu sagen, ich sei mit der Tochter vorausgereist. Nachdem ich Leduc dieselbe Instruktion gegeben hatte, rief ich Poinsinet, gab ihm zehn Zechinen und bat ihn, am selben Abend noch eine andere Unterkunft zu suchen. Der ebenso anständige wie unglückliche junge Mann weinte Tränen der Dankbarkeit und sagte mir, er werde am nächsten Tage zu Fuß nach Parma aufbrechen, wo Herr du Tillot ihn nicht im Stich lassen werde.

Hierauf ging ich in mein Zimmer zurück und sagte der Corticelli, sie möchte mit mir kommen. Sie folgte mir, in dem Glauben, wir würden zu ihrer Mutter zurückgehen; ich beließ sie dabei, führte sie aber nach der Post, ließ zwei Pferde vor einen Stuhlwagen spannen und befahl dem Postillon, mich nach Uccellatoio, die erste Station auf der Straße nach Bologna, zu fahren.

»Wohin fahren wir denn?« fragte sie.

»Nach Bologna.«

»Und Mama?«

»Wird morgen kommen.«

»Weiß sie es?«

»Nein; aber sie wird es morgen erfahren, wenn Costa es ihr sagt, und wird mit ihm und deinem Bruder uns nachreisen.«

Sie fand den Streich scherzhaft, lachte und stieg in den Wagen. Bald waren wir unterwegs.

Dreizehntes Kapitel


Ankunft in Bologna. – Meine Ausweisung aus Modena. – Reise nach Parma und Turin. – Die schöne Jüdin Lia. – Die Modistin R.

Die Corticelli hatte einen warmen Mantel, mit Pelz gefüttert; aber der Narr, der sie entführte, hatte nicht einmal einen Überrock. Dabei herrschte eine schneidende Kälte, die noch durch einen sehr beißenden Wind vermehrt wurde, der uns ins Gesicht blies, und dem wir in einem zweisitzigen, vorne offenen Stuhlwagen schutzlos ausgesetzt waren.

Trotzdem ließ ich nirgends anhalten, denn ich fürchtete, verfolgt zu werden und umkehren zu müssen, und dieses würde mich sehr geärgert haben.

Wenn ich sah, daß der Postillon langsamer fuhr, spornte eine Vermehrung des Trinkgeldes ihn zu immer größerer Eile an. Ich dachte, der Wind würde mich über den Apennin blasen; ich war vor Kälte erstarrt. Die Postillone, die mich so leicht bekleidet meine Taler verschwenden sahen, um die Fahrt zu beschleunigen, bildeten sich ein, ich sei ein Prinz, der eine junge Erbin aus irgendeiner vornehmen Familie entführte. In unserem Wägelchen zusammengekauert, hörten wir sie ihre Gedanken über uns austauschen, während die Pferde gewechselt wurden.

Meine Corticelli fand diese Vermutung so komisch, daß sie während der ganzen übrigen Fahrt aus vollem Halse darüber lachte. In fünf Stunden legten wir eine Entfernung von vierzig Miglien zurück, denn wir waren um acht von Florenz abgefahren, und um ein Uhr hielten wir vor einem Posthause auf päpstlichem Gebiet, wo ich nichts mehr zu fürchten hatte. Man nennt dieses Posthaus den »Abgeladenen Esel«. Der seltsame Name des Gasthofes war für meine Schöne ein Anlaß zu neuer Heiterkeit. Alles schlief; aber nachdem wir einen Höllenlärm gemacht hatten, bewirkten einige Paoli, die ich an die Bediensteten verteilte, daß ich ein gutes Feuer bekam, dessen ich vor allem bedurfte. Ich hatte einen Wolfshunger, aber man sagte mir, es sei nichts zu essen da. Vom Gegenteil überzeugt, lachte ich dem Wirt ins Gesicht und sagte ihm, er möchte mir seine Butter, seine Eier, seinen Makkaroni, einen Schinken und Parmesankäse bringen; denn ich wußte, daß dieses alles überall in Italien zu haben ist. Bald wurde ich bedient und zeigte dem guten Wirt, daß wir genug hatten, um eine ausgezeichnete Mahlzeit zu halten. Wir aßen für vier; hierauf ließ ich mir ein reines Bett aus Matratzen herrichten, die für Betten ausgereicht hätten, und wir legten uns nieder, nachdem ich befohlen hatte, uns zu wecken, sobald eine vierspännige englische Kutsche ankäme.

Mit Makkaroni und Schinken vollgestopft, ein wenig erhitzt vom Chianti und Monte-Pulciano und ermüdet von unserer Fahrt, bedurften wir mehr des Schlafes als der Liebe; wir dachten daher auch nicht an die Wollust, sondern überließen uns der Ruhe, bis wir aufwachten. Dann widmeten wir einen Augenblick dem Vergnügen, aber es war so wenig, daß es nicht der Mühe wert ist, davon zu reden.

Gegen ein Uhr machte der Hunger sich lebhaft bemerkbar; wir standen auf, und der Wirt setzte uns ein ausgezeichnetes, von mir angeordnetes Mittagessen vor. Ich wunderte mich, daß mein Wagen nicht kam, doch faßte ich mich in Geduld. Als aber bis zum Einbruch der Nacht immer noch nichts kam, begann ich Befürchtungen zu hegen. Die Corticelli jedoch, die fortwährend lachte, wollte nichts Trauriges hören. Wir legten uns zu Bett, nachdem wir beschlossen hatten, den Sohn des Postmeisters nach Florenz fahren zu lassen, wenn meine Kutsche während der Nacht nicht ankommen würde. Als wir aufwachten, war der Wagen immer noch nicht da. Der Sohn des Postmeisters konnte mir nicht dienen; ich ließ mir einen sicheren Boten besorgen und schickte ihn mit genauen Weisungen an Costa. Für den Fall eines gewalttätigen Verfahrens war ich entschlossen, nach Florenz zurückzukehren, wo ich unter allen Umständen mit dem Verluste von zweihundert Skudi davongekommen wäre.

Der Bote, der um zwölf Uhr abgegangen war, kam schon um zwei Uhr zurück und meldete mir, meine Leute würden sofort kommen. Meine Kutsche war mit Fuhrmannspferden bespannt, und hinter ihr fuhr eine zweispännige Kalesche, worin eine alte Frau und ein junger Mann saßen.

»Das ist die Mama!« rief die Corticelli. »Ha ha, da wird’s was zu lachen geben. Wir müssen ihnen etwas zu essen machen lassen, und sie muß uns recht weitläufig diese wunderbare Geschichte erzählen, an die sie bis zu ihrem Tode denken wird.«

Costa sagte mir, der Auditor habe, um sich wegen meiner Mißachtung seiner Befehle zu rächen, der Post verbieten lassen, mir Pferde für meinen Wagen zu liefern. Infolgedessen habe er einen Vetturino nehmen müssen, und dadurch sei die Reise verzögert worden.

Dann begann Signora Laura ihre Geschichte: »Ich hatte ein gutes Abendessen zurechtgemacht, wie Sie es mir befohlen hatten. Es hat, wie Sie sehen werden, mir mehr als zehn Paoli gekostet, die Sie mir gütigst wiedererstatten werden, denn ich bin eine arme Frau. Als alles zurecht war, freute ich mich, daß Sie bald kommen würden; aber vergebens. Ich war in Verzweiflung. Um Mitternacht schickte ich endlich meinen Sohn in Ihren Gasthof, um nach Ihnen zu fragen; stellen Sie sich meinen Schmerz vor, als er zurückkam und mir sagte, man wisse nicht, was aus Ihnen geworden sei. Ich verbrachte in Tränen eine schlaflose Nacht. Am Morgen ging ich aufs Gericht, um Sie wegen der Entführung meiner Tochter anzuklagen. Ich flehte die Beamten an, sie möchten Sie verfolgen lassen und Sie zwingen, mir meine Tochter zurückzugeben. Aber denken Sie sich: man hat sich über mich lustig gemacht! Man lachte mir ins Gesicht und sagte: ›Warum haben Sie sie allein ausgehen lassen? Ihre Tochter ist in guten Händen, und Sie wissen wohl, bei wem sie ist und warum sie dort ist.‹ Solche Verleumdung!«

»Verleumdung?« fragte die Corticelli.

»Ganz gewiß! Damit sagten sie mir doch, ich hätte sozusagen der Entführung zugestimmt, und das konnten die Kerle doch nicht annehmen! Denn wenn ich eingewilligt hätte, wäre ich doch nicht zu ihnen gegangen, um mein Recht zu verlangen. Wütend ging ich dann zum Doktor Vannini; bei ihm traf ich Ihren Kammerdiener, der mir sagte, Sie wären nach Bologna abgereist und ich würde Sie dort finden, wenn ich hinter Ihrer Kutsche herfahren wollte. Ich erklärte mich dazu bereit, und ich hoffe, Sie werden den Fuhrlohn bezahlen, den ich mit dem Vetturino ausbedungen habe. Aber gestatten Sie mir. Ihnen zu sagen: was Sie getan haben, geht denn doch über den Spaß.«

Ich tröstete die habsüchtige Mutter mit dem Versprechen, alles zu bezahlen und ihr alles zu vergüten, was sie ausgegeben oder in Florenz zurückgelassen hatte. Am nächsten Tage reisten wir nach Bologna ab, wo wir bei guter Zeit ankamen. Ich schickte meinen Bedienten mit meinem Wagen in den Gasthof und stieg selber bei der Corticelli ab.

Acht Tage verbrachte ich bei dem Mädchen. Ich ließ mir das Essen aus dem Wirtshause kommen und genoß recht abwechslungsreiche Freuden, deren ich mich mein Leben lang erinnern werde; denn das ausgelassene Mädchen hatte eine Menge von jungen Freundinnen, die alle hübsch und recht gefällig waren. Wie ein Sultan lebte ich während dieser kurzen Woche, die ich noch jetzt gerne in mein altes Gedächtnis zurückrufe, indem ich mit einem Seufzer sage: Tempi passsati!

Es gibt in Italien mehr als eine Stadt, wo man sich alle sinnlichen Vergnügen verschaffen kann, die man in Bologna findet; aber man erhält sie nirgends so billig, noch so bequem, noch so ungestört. Außerdem lebt man in Bologna so gut: man geht unter den schönen Steinlauben im Schatten spazieren, und man findet dort Geist und Gelehrsamkeit. Es ist sehr schade, daß entweder die Luft, oder das Wasser, oder der Wein – denn die Sache ist noch nicht ausgemacht – eine leichte Krätze verursachen. Indessen ist dies für die Bologneser durchaus nichts Unangenehmes, sondern vielmehr ein Vorzug, den sie allem Anschein nach sehr hoch schätzen: man kratzt sich. Besonders die Damen wissen zur Frühlingszeit ihre Finger mit großer Anmut in Bewegung zu setzen.

Gegen Mittfasten verließ ich die Corticelli, indem ich ihr gute Reise wünschte; denn sie wollte nach Prag abreisen, wohin sie auf ein Jahr als zweite Tänzerin engagiert war. Ich versprach ihr, sie persönlich abzuholen und nebst ihrer Mutter nach Paris zu bringen; meine Leser werden sehen, wie ich ihr Wort hielt.

Am Tage meiner Abfahrt von Bologna kam ich abends in Modena an; ich hielt hier infolge einer jener plötzlichen Launen an, denen ich stets unterworfen war. Am nächsten Morgen ging ich aus, um mir die Gemäldegalerie anzusehen. Als ich zum Mittagessen in meinen Gasthof kam, sah ich dort einen großen Flegel, der mir im Namen der Regierung den Befehl überbrachte, spätestens am nächsten Tage meine Reise fortzusetzen. Ich rief den Wirt und ließ mir in seiner Gegenwart den Befehl wiederholen. Hierauf sagte ich: »’s ist gut«, und der Kerl entfernte sich.

»Was ist das für ein Mensch?« fragte ich den Wirt.

»Ein Sbirre.«

»Ein Sbirre? Und die Regierung wagt es, mir einen solchen Menschen zu schicken!«

»Der Bargello kann ihn geschickt haben.«

»Der Bargello ist also Gouverneur von Modena? Ein solcher Niederträchtiger?«

»Niederträchtiger? … Schweigen Sie! Der ganze Adel verkehrt mit ihm.«

»Der Adel ist hier also sehr gemein?«

»Nicht gemeiner als anderswo. Der Bargello ist der Unternehmer der Oper; die vornehmsten Herren speisen bei ihm und gewinnen auf diese Weise seine Freundschaft.«

»Das ist unglaublich! Aber warum weist mich denn dieser gnädige Herr Bargello aus Modena aus?«

»Das weiß ich nicht; aber wenn ich Ihnen raten darf, sprechen Sie mit ihm; Sie werden in ihm einen vollendeten Kavalier finden.«

Anstatt zu diesem Hans A …. zu gehen, begab ich mich zum Abbate Testa-Grossa. Ich hatte ihn im Jahre 1753 in Wien kennen gelernt. Er war ein Mann von niederer Herkunft, aber von bedeutendem Geist; nun war er alt und ruhte auf seinen Lorbeeren aus. Er hatte das Glück gehabt, durch sein Verdienst die Gunst des Glückes erschwungen zu haben, und sein Herr, der Herzog von Modena, hatte ihn würdig befunden, sich lange Jahre von ihm bei auswärtigen Herrschern vertreten zu lassen.

Der Abbate Testa-Grossa erkannte mich und nahm mich auf das freundlichste auf; als er jedoch von meinem Erlebnis hörte, wurde er sehr verstimmt.

»Was kann ich tun?« fragte ich ihn.

»Abreisen; denn dieser Mann könnte Ihnen einen noch viel größeren Schimpf antun.«

»Ich werde gehen, aber könnten Sie mir das Vergnügen machen, mich über den Grund eines so verletzenden Verfahrens aufzuklären?«

»Kommen Sie heute Abend wieder. Wahrscheinlich werde ich Ihren Wunsch erfüllen können.«

In der Dämmerung stellte ich mich pünktlich bei ihm ein, denn ich war mehr neugierig als unruhig, wodurch ich mir die Feindschaft des Herrn Bargello zugezogen haben könnte, von dem ich überhaupt nicht gekannt zu sein glaubte. Der Abbate befreite mich von meiner Unruhe, indem er sagte: »Der Bargello hat Ihren Namen auf der ihm jeden Tag überbrachten Liste der ankommenden oder abreisenden Fremden gesehen. Er hat sich erinnert, daß Sie die Kühnheit besaßen, aus den Bleikammern zu entfliehen; und da er so etwas für höchst verdammenswert hält, hat er beschlossen, ein so schlimmes Beispiel der Verletzung der Gerechtigkeit, mag diese auch noch so ungerecht sein, nicht in Modena zu lassen. Kraft seiner allerhöchsten Gewalt hat er Ihnen daher den Befehl zugestellt, die Stadt zu verlassen.«

»Diese Mitteilung erleichtert mich; aber ich wundere mich, Herr Abbate, daß Sie mir dies erzählen, ohne darüber zu erröten, daß Sie Untertan des Herzogs von Modena sind. Wie unwürdig! Solche Polizei läuft ja der Moral, dem Menschenrecht und dem Staatswohl zuwider!«

»Sie haben wohl recht, so zu denken, mein lieber Herr; aber die Menschen sind noch weit davon entfernt, die Einrichtungen zu kennen, die ihrer Würde entsprechen.«

»Ohne Zweifel, weil es so viele Unwürdige gibt.«

»Das will ich nicht bestreiten.«

»Leben Sie wohl, Herr Abbate.«

»Leben Sie wohl, Herr Casanova.«

Am nächsten Tage sah ich in dem Augenblick, wo ich in meinen Wagen steigen wollte, einen Mann von fünfundzwanzig bis dreißig Jahren, von hohem kräftigen Wuchs und breiten Schultern, mit düsteren, funkelnden Augen und merkwürdig dichten Augenbrauen, der wie ein richtiger Halsabschneider aussah. Er sprach mich an und bat mich höflich, mit ihm einen Augenblick auf die Seite zu gehen und ihn anzuhören.

»Wenn Sie drei Tage in Parma bleiben wollen und mir hier Ihr Wort geben, daß Sie mir fünfzig Zechinen schenken, sobald ich sie von Ihnen verlange, und Sie die Gewißheit haben, daß der Bargello tot ist, so verspreche ich Ihnen, ihn vor Ablauf von vierundzwanzig Stunden durch einen Büchsenschuß zu töten.«

»Ich danke Ihnen. Er ist ein Vieh, das man seines natürlichen Todes sterben lassen muß. Da haben Sie einen Taler; trinken Sie auf meine Gesundheit.«

Heute freue ich mich, daß ich so gehandelt habe; aber ich gestehe: wäre ich sicher gewesen, daß der schlechte Kerl mir keine Falle stellte, so hätte ich ihm das gewünschte Versprechen gegeben. Die Furcht, mich bloßzustellen, ersparte mir ein Verbrechen.

Am nächsten Tage kam ich in Parma an und stieg im Gasthof »Zur Post« unter dem Namen eines Chevaliers de Seingalt ab; diesen Namen trage ich noch; denn wenn ein Ehrenmann einen Namen annimmt, der keinem Menschen gehört, hat niemand das Recht, ihm diesen zu bestreiten, und es ist seine Pflicht, ihn nicht wieder abzulegen. Ich trug ihn bereits seit zwei Jahren, aber ich vereinigte ihn oft mit meinem Familiennamen.

Sobald ich in Parma angekommen war, entließ ich Costa; aber zu meinem Unglück nahm ich ihn eine Woche später, zwei Tage vor meiner Abreise, wieder an. Sein Vater war ein armer Violinspieler, wie auch ich es gewesen war; er hatte eine zahlreiche Familie zu ernähren und tat mir leid.

Ich erkundigte mich nach Herrn Antoine; er war nicht mehr da. Herr Dubois Châtelereux, der Münzdirektor, befand sich mit Erlaubnis des Infanten-Herzogs von Parma in Venedig, um dort den Prägestempel einzurichten, dessen man sich niemals bedient hat. Die venetianischen Münzen sind nicht geändert. Republiken hängen abergläubisch an den alten Gewohnheiten; sie fürchten, daß Verbesserungen zu Änderungen führen, die der Festigkeit der Staatsverfassung schaden könnten. Die Regierung des aristokratischen Venedigs bewahrt noch immer den griechischen Charakter, den sie bei der Geburt der Republik hatte.

Mein Spanier hatte sich gefreut, als ich Costa entließ; er ärgerte sich, als ich ihn wieder nahm, und sagte zu mir: »Er ist kein ausschweifender Mensch; er ist nüchtern und liebt schlechte Gesellschaft nicht; aber ich halte ihn für einen Dieb und zwar für einen gefährlichen Dieb, gerade weil er sich ein Gewissen daraus macht, Sie in Kleinigkeiten zu betrügen. Gnädiger Herr, denken Sie an mich: er wird Sie übers Ohr hauen. Er wartet, um den großen Schlag zu machen, nur auf den Augenblick, wo er Ihr Vertrauen gewonnen hat. Ich mache es anders, ich bin ja so eine Art Spitzbube, aber Sie kennen mich.«

Er sah richtiger als ich; denn fünf oder sechs Monate darauf stahl der Italiener mir fünfzigtausend Taler. Dreiundzwanzig Jahre später, im Jahre 1784, fand ich ihn in Wien als Kammerdiener des Grafen Hardegg wieder. Da ich sah, daß er von dem Gelde nichts mehr besaß, bekam ich Lust, ihn hängen zu lassen. Ich bewies ihm schwarz auf weiß, daß dies nur von mir abhängen würde; aber er flehte mich unter Tränen um Schonung an und ihn rettete das Mitleid, das ein braver Mann, namens Bertrand, der beim sardinischen Gesandten wohnte, mit ihm hatte. Dieser Mann, den ich hoch schätzte, veranlaßte mich zu der heroischen Handlung, ihm zu vergeben. Auf meine Frage, was er mit all dem mir gestohlenen Gelde und mit den Juwelen gemacht hätte, antwortete der Elende mir, er hätte alles verloren, indem er das Kapital zu einem Biribispiel hergegeben hätte; seine eigenen Teilhaber hätten ihn ausgeplündert, und seitdem hätte er arm und unglücklich gelebt. Er hatte im selben Jahre Momolos Tochter geheiratet und verließ sie, nachdem er sie zur Mutter gemacht hatte.

Doch weiter:

In Turin stieg ich in einem Privathause ab, wo Abbate Gama wohnte, der mich bereits erwartete. Trotz der Predigt über die Sparsamkeit, die der gute Abbate mir hielt, nahm ich das ganze erste Stockwerk; es war eine sehr schöne Wohnung.

In bezug auf unsere diplomatischen Angelegenheiten versicherte er mir, ich würde im Mai meine Beglaubigungsschreiben erhalten und dann würde er mich unterrichten, wie ich mich zu verhalten hätte. Dieser Auftrag war mir sehr angenehm, und ich sagte ihm daher, ich wäre bereit, nach Augsburg zu gehen, sobald die Gesandten der kriegführenden Mächte dort zusammenkommen würden.

Nachdem ich der Wirtin die nötigen Anweisungen in bezug auf meinen Tisch gegeben hatte, ging ich aus. Ich trat in ein Kaffeehaus, um die Zeitungen zu lesen, und der erste, den ich dort sah, war der Marquis Desarmoises, den ich in Savoyen kennen gelernt hatte. Er sagte mir: »Vor allen Dingen habe ich Ihnen mitzuteilen, daß die Hasardspiele verboten sind. Die Damen, die Sie in Aix gekannt haben, werden ohne Zweifel entzückt sein, Sie wieder zu sehen. Ich selber lebe vom Tricktrackspiel, obgleich ich im Würfeln nicht glücklich bin; aber es kommt bei diesem Spiel mehr auf Talent als auf Glück an.«

Ich begriff sehr wohl, daß bei gleichem Glück derjenige gewinnen muß, der besser zu rechnen versteht; aber das Gegenteil war mir unbegreiflich.

Wir machten einen Spaziergang in der schönen Allee, die nach der Zitadelle führt. Ich bemerkte eine Menge sehr hübscher Personen. In Turin hat das weibliche Geschlecht alle Reize, die die Liebe nur wünschen kann, aber in keiner Stadt Italiens ist die Polizei so unbequem. Da die Stadt klein und sehr bevölkert ist, sind Spione überall. Man kann daher eine gewisse Freiheit nur unter außerordentlichen Vorsichtsmaßregeln genießen, und nur mit Hilfe von sehr geschickten Kupplerinnen, die man gut bezahlen muß; denn sie riskieren, wenn sie entdeckt werden, eine barbarische Strafe. Man duldet weder öffentliche Dirnen noch Privat-Mätressen; dies ist den verheirateten Frauen sehr angenehm, und die unwissende Polizei hätte das doch wohl übrigens sehen müssen. Man begreift, welch leichtes Spiel infolgedessen die Päderastie in einer Stadt hat, wo die Leidenschaften sehr lebhaft sind.

Unter den Schönheiten, die meine Blicke auf sich gelenkt hatten, fesselte mich besonders eine. Ich fragte Desarmoises, der sie alle kannte, nach ihrem Namen. Er sagte mir: »Sie ist die berühmte Lia, eine unbesiegliche Jüdin, die den Angriffen der berühmtesten Liebhaber von Turin widerstanden hat. Ihr Vater ist ein bekannter Roßtäuscher; es ist nicht schwierig, sie zu besuchen, aber es ist nichts bei ihr zu machen.«

Ich fühlte mich um so mehr aufgelegt, die Sache zu wagen, da sie für so schwierig galt, und sagte daher zu Desarmoises: »Führen Sie mich zu ihr.«

»Sobald Sie wollen.«

Ich lud ihn ein, mit mir zu speisen, und als wir nach meinem Gasthause gingen, begegneten wir Herrn Zeroli und zwei oder drei anderen Herrn von der Spielgesellschaft von Aix. Ich machte und empfing Komplimente; da ich aber keine Lust hatte, einen von ihnen zu besuchen, so verabschiedete ich mich höflich unter dem Vorwande, daß ich Geschäfte hätte.

Gleich nach dem Essen führte Desarmoises mich nach der Porta del‘ Po zu Lias Vater, dem Roßkamm. Ich fragte ihn, ob er ein gutes Reitpferd zu verkaufen hätte. Er rief einen Stalljungen und gab ihm seine Befehle; während er mit mir sprach, trat seine reizende Tochter hinzu. Sie war blendend. Sie konnte höchstens zweiundzwanzig Jahre alt sein. Ein schlanker Nymphenwuchs, herrliche Haare vom schönsten Schwarz, eine Haut von Lilien und Rosen, die schönsten Augen voll Geist und Feuer, lange Wimpern und schön gewölbte Brauen, die allen, die an die Erlangung so herrlicher Reize dachten, den Krieg erklären zu wollen schienen – dies waren ihre Vorzüge. Ihr Benehmen verriet eine gute Erziehung und Weltgewandtheit.

In die Betrachtung der Reize dieses schönen Mädchens versunken, sah ich anfangs nicht das Pferd, das vor mir stand. Endlich aber prüfte ich es, indem ich den Kenner spielte: nachdem ich Knie und Beine befühlt, die Ohren bewegt und das Maul untersucht hatte, ließ ich es mir im Schritt, im Trab und im Galopp vorreiten; hierauf sagte ich dem Juden, ich würde am nächsten Morgen in Stiefeln wiederkommen, um es selber zu reiten. Das Pferd war ein schöner Apfelschimmel; es kostete vierzig Piemonteser Pistolen, ungefähr hundert Zechinen.

»Es ist die Sanftmut selbst,« sagte Lia, »und hat einen so vortrefflichen Paßgang, daß es in dieser Gangart es mit dem Trabe jedes anderen Pferdes aufnimmt.«

»Sie haben es also geritten, mein Fräulein?«

»Mehrere Male, mein Herr; und wenn ich reich wäre, würde ich es niemals verkaufen.«

»Sie würden zwei Glückliche machen; denn das Pferd muß Sie lieben, seitdem Sie es geritten haben. Ich werde es nur kaufen, wenn ich Sie es habe reiten sehen.«

Sie errötete. Ihr Vater sagte zu ihr: »Du mußt dem Herrn den Gefallen tun.«

Sie erklärte sich bereit, und ich versprach ihnen, am nächsten Morgen um neun Uhr wiederzukommen.

Wie man sich denken kann, war ich pünktlich. Ich fand Lia in Kuriertracht. Was für ein Körper! Welche Formen der Venus Kallipygos! Ich war durch diesen Eindruck bereits besiegt.

Zwei Pferde standen bereit; sie schwang sich anmutig und leicht wie der geschickteste Reitknecht auf das ihrige, und ich bestieg das andere. Wir machten einen ziemlich langen Spazierritt. Das Pferd ging sehr gut, aber was machte ich mir aus dem Tier! Ich hatte nur für sie Augen und Gedanken. Auf dem Rückwege sagte ich zu ihr: »Schöne Lia, ich werde das Pferd kaufen, aber nur, um es Ihnen zu schenken; wenn Sie es nicht annehmen, verlasse ich Turin noch heutigen Tages. Ich knüpfe an mein Geschenk keine andere Bedingung, als daß Sie die Gefälligkeit haben, mit mir auszureiten, sooft ich Sie darum bitte.«

Da ich ihrem Gesicht ansah, daß sie meine Worte günstig aufnahm, so sagte ich ihr weiter, ich würde sechs Wochen in Turin bleiben; ich hätte mich auf der Promenade in sie verliebt, und der Kauf des Pferdes wäre nur ein Vorwand gewesen, um Gelegenheit zu finden, ihr meine Gefühle kundzugeben. Sie antwortete mir mit sehr bescheidenem Wesen, die Freundschaft, die sie mir eingeflößt hätte, sei unendlich schmeichelhaft für sie, und das großmütige Geschenk, das ich ihr mache, sei nicht nötig, um mir ihre Freundschaft zu gewinnen. Sie fuhr fort: »Die Bedingung, die Sie mir auferlegen, ist mir außerordentlich angenehm, und ich bin überzeugt, ich mache meinem Vater ein Vergnügen, indem ich sie annehme. Ich bitte Sie nur um die Gefälligkeit, mir dieses Geschenk in seiner Gegenwart zu machen und zu wiederholen, daß Sie das Pferd nur kaufen werden, wenn ich es annehme.«

Ich sah mich leichter, als ich geglaubt hatte, auf gutem Wege und tat nach ihrem Begehren. Ihr Vater, namens Moses, fand das Geschäft sehr gut. Er wünschte seiner Tochter Glück, bekam die vierzig Pistolen, über die er mir eine Quittung gab, und bat mich ihm die Ehre zu erweisen, am nächsten Tage bei ihm zu frühstücken. Dies wünschte ich gerade.

Am nächsten Tage empfing Moses mich mit großer Ehrerbietung. Die schöne Lia trug Frauenkleider, aber sie sagte mir, wenn ich ausreiten wollte, würde sie sich augenblicklich umkleiden.

»Wir werden ein anderes Mal ausreiten, liebenswürdige Lia; heute bin ich glücklich, Sie in Ihrem Hause unterhalten zu dürfen.«

Ihr Vater aber, habgierig wie alle seine Glaubensgenossen, sagte mir: wenn ich gerne spazieren führe, könnte er mir einen sehr hübschen Phaethon mit zwei ausgezeichneten Pferden verkaufen.

»Sie können sie dem Herrn zeigen«, sagte Lia, die vielleicht mit ihrem Vater im Einverständnis war.

Moses antwortete nicht und ging hinaus, um anspannen zu lassen.

»Ich will mir den Wagen ansehen,« sagte ich zu Lia; »aber ich werde ihn nicht kaufen, denn ich wüßte nicht, was ich damit anfangen sollte.«

»Sie können mit der Dame, die Sie lieben, darin spazieren fahren.«

»Also mit Ihnen! Aber vielleicht würden Sie es nicht wagen?«

»Ei warum denn nicht? Wir können ja aufs Land, in die Umgebung von Turin fahren.«

»Gut, Lia; ich werde mir die Pferde ansehen.«

Der Vater kam, und wir gingen in den Hof.

Wagen und Pferde gefielen mir, und ich sagte Lia dies.

»Nun,« sagte Moses, »alles zusammen kostet nur vierhundert Zechinen; aber wenn einer das Gespann nach Ostern haben will, so muß er mindestens fünfhundert dafür geben.«

Lia stieg ein, ich setzte mich neben sie, und wir fuhren eine Stunde lang in der Umgegend spazieren. Dann fuhren wir nach Hause; ich sagte Moses, ich würde ihm am nächsten Tage Antwort geben, er entfernte sich, und ich ging mit der schönen Lia ins Haus.

Als wir im Zimmer waren, sagte ich zu ihr: »Wagen und Pferde sind gewiß vierhundert Zechinen wert, und ich werde sie morgen mit Vergnügen bezahlen; aber ich nehme sie unter denselben Bedingungen wie das Pferd und unter einer Bedingung außerdem: daß Sie mir alle Gunst gewähren, die man von einer zärtlichen gegenseitigen Liebe erwarten kann.«

»Sie sprechen klar und deutlich; ich muß Ihnen ebenso antworten: Ich bin ein anständiges Mädchen und verkaufe mich nicht.«

»Schöne Lia! Alle Frauen, anständig oder nicht, verkaufen sich. Wenn ein Mann Zeit hat, kauft er die Frau, die seine Liebe begehrt, durch eifrige Bewerbung; wenn er es eilig hat, wie ich, bedient er sich der Geschenke und sogar des Goldes.«

»Ein solcher Mann ist ungeschickt; er täte besser daran, dem Gefühl Zeit zu lassen, für ihn zu sprechen.«

»Dies wäre für mich der Gipfel des Glücks, Lia; aber ich habe es eilig.«

Da in diesem Augenblick ihr Vater eintrat, so ging ich, indem ich ihm sagte: »Wenn ich morgen nicht kommen kann, werde ich übermorgen kommen, und dann werden wir vom Phaeton sprechen.«

Offenbar hatte Lia mich für einen Verschwender genommen, den sie anführen könnte: sie hätte gerne den Wagen auf dieselbe Art bekommen wie das Pferd; aber ich war ja kein Neuling mehr. Ich hatte mich leicht dazu entschlossen, auf gut Glück hundert Zechinen zu opfern; weiter aber konnte meine Verschwendung ohne bestimmte Aussichten nicht gehen.

Ich beschloß, meine Besuche einzustellen und zu warten, wie die Sache mit ihr und ihrem Vater enden würde. Ich rechnete stark auf die Habsucht des Juden: er liebte das Geld und mußte sich ärgern, wenn seine Tochter es nicht möglich zu machen wußte, mich zum Ankauf des Wagens zu veranlassen, einerlei ob sie sich mir hingab oder nicht; denn dies mußte ihm vollkommen gleichgültig sein. Ich war beinahe gewiß, daß sie mir von selber kommen würden.

Am nächsten Sonnabend bemerkte ich die schöne Jüdin auf der Promenade. Wir gingen so nahe aneinander vorbei, daß ich sie anreden konnte, ohne daß es nach Absicht von meiner Seite aussah, zumal da ihre Blicke mir zu sagen schienen: Kommen Sie!

»Man sieht Sie ja gar nicht mehr, mein Herr!« sagte sie zu mir; »aber kommen Sie morgen und frühstücken Sie mit mir, oder ich schicke Ihnen das Pferd zurück.«

Ich versprach ihr, recht früh zu kommen; selbstverständlich hielt ich ihr Wort.

Wir frühstückten sozusagen unter vier Augen; denn obgleich noch ihre Tante als dritte dabei war, so war diese doch nur des Anstandes wegen da. Nach dem Frühstück verabredeten wir, miteinander auszureiten, und sie zog sich in meiner Gegenwart als Mann an; aber auch die Tante war dabei. Da sie ihre Lederhosen schon vorher angezogen hatte, so ließ sie ihre Röcke fallen; hierauf legte sie ihr Mieder ab und zog eine Jacke an. Ohne dem Anschein nach darauf zu achten, sah ich einen prachtvollen Busen; die listige Jüdin wußte aber wohl, was sie von meiner Gleichgültigkeit zu halten habe.

»Wollen Sie mir wohl meine Busenkrause in Ordnung bringen?« fragte sie mich. Sie entflammte mich hierdurch, und meine Hand war recht unbescheiden. Ich glaubte jedoch in diesem ganzen Manöver einen abgekarteten Plan zu erraten und war daher auf meiner Hut, um diesen zu vereiteln. In dem Augenblick, wo wir zu Pferde stiegen, kam ihr Vater und sagte zu mir: »Wenn Sie Phaeton und Wagen mir abkaufen wollen, lasse ich zwanzig Zechinen ab.«

Ich antwortete ihm: »Ihre Tochter hat es in der Gewalt, mich nach unserer Rückkehr vom Spazierritt zur Erfüllung aller Ihrer Wünsche zu veranlassen.«

Wir ritten im Schritt ab. Im Laufe des Gespräches sagte Lia mir, sie habe unvorsichtigerweise ihrem Vater gesagt, es stehe bei ihr, mich zum Ankauf des Wagens zu veranlassen, und wenn ich sie nicht mit ihrem Vater entzweien wolle, müsse ich die Güte haben, ihn zu kaufen. »Schließen Sie das Geschäft ab,« fuhr sie fort; »und behalten Sie sich vor, mir den Wagen erst dann zu schenken, wenn Sie überzeugt sind, daß ich Sie liebe.«

»Meine liebe Lia, es steht in Ihrer Macht, Ihren Willen durchzusetzen; aber Sie wissen, unter welcher Bedingung.«

»Ich verspreche Ihnen, mit Ihnen allein auszureiten, so oft Sie wollen – allerdings, ohne einzukehren; aber ich glaube, daraus machen Sie sich auch nichts. Ihre Neigung ist sehr flüchtig gewesen; es war nur eine einfache Laune.«

»Um Sie vom Gegenteil zu überzeugen, werde ich den Phaeton kaufen und in eine Remise stellen lassen. Die Pferde werde ich füttern lassen, ohne mich ihrer zu bedienen. Aber wenn Sie mich nicht binnen acht Tagen glücklich machen, werde ich Wagen und Pferde wieder verkaufen.«

»Kommen Sie morgen!«

»Ich werde kommen; aber ich verlange heute Morgen schon ein Unterpfand Ihrer Zärtlichkeit.«

»Heute Morgen? Das wäre mir unmöglich.«

»Verzeihen Sie – ich gehe mit Ihnen auf Ihr Zimmer, und beim Umkleiden können Sie mir mehr als eine Gunst bewilligen.«

Wir kamen nach Hause, und zu meiner Überraschung hörte ich sie ihrem Vater sagen, der Phaeton sei mein; er brauche ihn nur anspannen zu lassen. Der Jude lächelte; wir gingen alle drei ins Haus, und Lia sagte zu mir mit siegesbewußter Miene: »Zählen Sie das Geld auf!«

»Ich habe es nicht bei mir; aber ich will Ihnen eine Anweisung geben.«

»Hier ist Papier.«

Ohne Zögern schrieb ich dem Bankier Zappata, er möchte bei Sicht dreihundertundachtzig Zechinen zahlen. Der Jude ging, um das Geld zu holen, und Lia blieb mit mir allein.

»Indem Sie mir vertraut haben, lieber Freund,« sagte sie zu mir, »haben Sie sich meines Herzens würdig gemacht.«

»Also schnell, entkleiden Sie sich!«

»Nein, meine Tante ist im Hause, und da ich die Tür nicht schließen kann, könnte sie eintreten; aber ich verspreche Ihnen, morgen werden Sie mit mir zufrieden sein. Ich will mich jetzt umkleiden, aber treten Sie bitte in diese Kammer! Sobald ich wieder die Kleider meines Geschlechts trage, können Sie hereinkommen.«

Ich erklärte mich einverstanden, und sie schloß mich ein. Ich sah mir die Türe an und erblickte eine schmale Spalte zwischen den beiden Flügeln. Ich stieg auf einen Schemel, sah durch die Spalte und bemerkte Lia der Tür gegenüber auf einem Sofa sitzen und sich auskleiden. Sie zog ihr Hemd aus, nahm ein Handtuch, das neben ihr lag, und trocknete ihre Brüste und hierauf ihre Füße ab. Als sie ihre Reithose ausgezogen hatte und ganz nackt dastand, fiel scheinbar zufällig einer ihrer Ringe zur Erde und rollte unter das Kanapee. Sofort stand sie auf, sah nach rechts und links und bückte sich dann, um unter dem Sofa zu suchen. Um den Ring zu erfassen, mußte sie sich auf die Knie niederlassen und den Kopf nach vorne neigen. Nachdem sie sich wieder auf das Kanapee gesetzt hatte, mußte sie sich abermals abtrocknen. Sie tat dies so gründlich, daß meinen, von allen diesen Reizen entflammten Augen nicht der kleinste Teil ihres Körpers mehr ein Geheimnis blieb. Ich war überzeugt, sie wußte, daß ich dieses ganze Manöver mit ansah; wahrscheinlich erriet sie auch, welche Verheerungen sie in meiner leicht entzündlichen Natur anrichtete.

Als sie endlich fertig war, befreite sie mich aus meiner Kammer. Ich schloß sie in meine Arme und sagte ihr: »Ich habe alles gesehen!«

Sie spielte die Ungläubige, ich zeigte ihr den Spalt und schickte mich an, von meinen Rechten Gebrauch zu machen; da trat der verfluchte Moses ein. Wenn er nicht blind war, mußte er sehen, in welchen Zustand seine Tochter mich versetzt hatte; aber er dankte mir, gab mir die Quittung über das Geld, das er einkassiert hatte, und sagte: »Mein ganzes Haus gehört Ihnen.«

Ich verabschiedete mich von ihnen und ging ärgerlich fort. Ich stieg in meinen Phaeton und fuhr nach Haus; den Kutscher behielt ich, indem ich ihn beauftragte, sofort einen Stall und eine Remise zu besorgen.

Ich nahm mir vor, Lia nicht wiederzusehen, denn ich ärgerte mich über sie. Sie hatte mir in ihren wollüstigen Stellungen nur zu sehr gefallen; aber sie hatte in mir eine Aufregung hervorgerufen, die eine Todfeindin der Liebe ist. Sie hatte Amor gezwungen, zum Dieb zu werden, und in seiner hungrigen Gier hatte sich das Kind dazu herbeigelassen; als es jedoch nachher das Recht zu haben glaubte, eine kräftigere Nahrung zu verlangen, dann aber sich zurückgewiesen sah, wich die Glut einem Gefühl der Verachtung. Lia wollte sich ihre eigenen Gefühle nicht gestehen, und meine Liebe wollte sich nicht offen zum Diebstahl bekennen.

Ich machte die Bekanntschaft eines sehr liebenswürdigen Kavaliers, der Soldat, Gelehrter und großer Pferdekenner war. Er führte mich bei mehreren hübschen Damen ein, doch pflegte ich den Verkehr mit diesen nicht; denn ich hätte bei ihnen allen Gefühl aufwenden müssen; ich wollte jedoch nur solide Genüsse, selbst wenn ich sie mit schwerem Gelde erkaufen mußte. Der Chevalier de Brézé war nicht der richtige Mann für mich: er war zu tugendhaft für einen Wüstling wie mich. Er kaufte von mir den Phaeton und die Pferde, die ich Lia versprochen hatte, und ich verlor nur dreißig Zechinen daran.

Ein gewisser Baretti, der mich in Aix in Savoyen gekannt hatte und dem Marquis de Prié als Croupier diente, führte mich bei der Mazzoli ein. Sie war eine frühere Tänzerin, zurzeit Geliebte des Chevaliers Raiberti, eines kalten aber sehr ehrenwerten Mannes, der damals das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten Seiner Allergetreuesten Majestät innehatte. Die Dame war durchaus nicht hübsch, aber sehr gefällig; sie ließ für mich Mädchen in ihr Haus kommen, von denen jedoch nicht eine einzige mir würdig erschien, Lia zu ersetzen. Ich glaubte diese nicht mehr zu lieben; aber ich täuschte mich.

Der Chevalier Cocona, der in jenem Augenblick das Unglück hatte, der heiligen Veronika geweiht zu sein, überließ mir seine Geliebte, eine sehr hübsche Soubrette; aber obwohl meine Augen sich überzeugten und trotz allen Versicherungen, die sie mir gab, hatte ich nicht den Mut, sie anzurühren; aus Angst enthielt ich mich ihrer. Graf Trana, ein Bruder des Chevaliers und alter Bekannter von Aix her, stellte mich der Frau von Sc. vor; sie war eine Dame der hohen Gesellschaft und ein sehr schönes Weib, aber sie wollte mich zu einem verbrecherischen Schritt verleiten, vor dem mein guter Schutzgeist mich bewahrte; ich besuchte sie daher nicht mehr. Graf Trana rechtfertigte sich. Kurze Zeit nachher starb sein Onkel, und er wurde reich; aber er verheiratete sich und wurde unglücklich.

Ich langweilte mich, und Desarmoises, der stets mit mir speiste, fand seine Rechnung nicht dabei. Er riet mir, die Bekanntschaft einer Französin zu machen, die in Turin ein sehr berühmtes Putzgeschäft hatte. Sie nannte sich Madame R. Sie hatte in ihrem Dienst sieben oder acht junge Mädchen, die sie in einem an ihren Laden anstoßenden Saal arbeiten ließ. Er glaubte, bei richtigem Benehmen könnte ich eine nach meinem Geschmack für mich gewinnen. Da meine Börse gut gespickt war, so hielt auch ich die Sache für nicht allzu schwierig und folgte seinem Rat. Ich trat bei der Dame ein und fand bei ihr zu meiner angenehmen Überraschung Lia, die um eine Menge von allerhand Sachen feilschte, die sie sämtlich zu teuer fand. Sie sagte mir in einem Tone freundschaftlichen Vorwurfes, sie habe mich für krank gehalten.

Ich fühlte meine Liebesglut von neuem erwachen und antwortete ihr: »Ich bin sehr beschäftigt gewesen; doch werde ich morgen das Vergnügen haben, Sie zu sehen.«

Sie lud mich zu einer jüdischen Hochzeit ein, wo ich zahlreiche Gesellschaft und mehrere hübsche junge Damen finden würde. Ich wußte, daß derartige Feierlichkeiten sehr ergötzlich sind, und versprach ihr daher, zu erscheinen. Nachdem sie lange gehandelt hatte, fand sie alles zu teuer und entfernte sich. Madame R. wollte alle die sieben Sachen wieder wegräumen, ich sagte jedoch: »Ich nehme das Ganze für meine Rechnung.«

Sie lächelte; ich zog meine Börse und zählte ihr das Geld auf.

»Wo wohnen Sie, mein Herr?« fragte sie mich, »und wann soll ich Ihnen die Waren zuschicken?«

»Sie könnten, Madame, mir die Ehre erweisen, morgen früh um neun Uhr die Sachen selber zu mir bringen und mit mir frühstücken.«

»Ich kann nicht einen Augenblick von hier abkommen, mein Herr.«

Frau R. war trotz ihren fünfunddreißig Jahre noch ein sogenannter leckerer Bissen und hatte gewisse Gefühle in mir erregt.

»Ich wünsche schwarze Blonden,« sagte ich.

»Wollen Sie mir bitte folgen, mein Herr.«

Zu meiner großen Freude sah ich im Saal eine Menge junger Arbeiterinnen. Sie waren alle reizend, aber sehr eifrig mit ihrer Arbeit beschäftigt und wagten mich kaum anzusehen. Frau R. öffnete mehrere Schränke und zeigte mir prachtvolle Blonden. Der Anblick dieser ganzen Schar von Nymphen machte mich zerstreut; ich sagte ihr, ich wünschte Blonden für zwei Baütten nach venetianischer Art. Sie wußte sofort Bescheid. Mit diesen Baütten wurde zu meiner Zeit in Venedig der größte Luxus getrieben. Die Blonden kosteten mir mehr als hundert Zechinen. Frau R. rief zwei von ihren jungen Mädchen bei Namen und befahl ihnen, am nächsten Morgen die Spitzen und die von Lia ausgesuchten und zu teuer gefundenen Waren zu mir zu bringen. Ein »Ja, Mama« war ihre Antwort.

Sie standen auf und küßten ihrer Mama die Hand; ich fand diese Zeremonie spaßhaft, aber angenehm, weil sie mir Gelegenheit gab, sie näher zu betrachten. Ich fand sie reizend. Wir gingen wieder in den Laden; ich setzte mich neben den Ladentisch und lobte die Schönheit der jungen Madchen; außerdem sagte ich – was allerdings nicht wahr war – ich würde sie selber den Mädchen vorgezogen haben. Sie dankte mir, sagte mir jedoch unumwunden, sie habe einen Liebhaber. Einen Augenblick darauf nannte sie mir auch dessen Namen. Es war der Graf von St. Giles, ein Schwächling, der sich sehr wenig zur Galanterie eignete. Ich glaubte, Frau R. scherze; doch erfuhr ich am nächsten Tage, daß sie mir die Wahrheit gesagt hatte. Jeder nach seinem Geschmack! Ich vermute, diese Frau, die recht wohl noch imstande war, eine Laune zu erregen, war mehr in die Börse als in die Person des Graubarts verliebt. Ich hatte ihn im »Café du Change« kennen gelernt.

Am nächsten Morgen brachten die beiden hübschen Zöfchen mir die Ware. Ich bot ihnen Schokolade an, war jedoch nicht imstande, sie zur Annahme meiner Einladung zu bewegen. Ich kam auf den Einfall, die von Lia ausgesuchten Sachen von ihnen hintragen zu lassen, und bat sie, sie möchten wiederkommen und mir sagen, wie sie mein Geschenk aufgenommen hätte. Sie erklärten sich bereit und warteten, bis ich ein Briefchen geschrieben hatte. Es war mir unmöglich, ihnen auf irgendeine Art meine Zärtlichkeit zu beweisen; denn ich hatte nicht gewagt, die Tür zu schließen, meine Wirtin und die häßlichen Töchter des Hauses gingen fortwährend aus und ein. Bei ihrer Rückkehr jedoch fing ich sie auf der Treppe ab, gab jeder von ihnen eine Zechine und sagte, es hänge nur von ihnen ab, sich meines Herzens zu bemächtigen. Lia hatte mein schönes Geschenk angenommen und ließ mir sagen, sie erwarte mich.

Am nächsten Nachmittag ging ich aufs Geratewohl spazieren. Ich kam zufällig an dem Modesalon vorbei; Frau R. sah mich, lud mich ein, hereinzukommen, und bat mich, neben ihr Platz zu nehmen.

»Mein Herr,« sagte sie zu mir, »ich danke Ihnen vielmals für Ihre Freigebigkeit gegen meine jungen Damen. Sie sind ganz entzückt nach Hause gekommen. Sagen Sie mir offen heraus, ob Sie in die schöne Jüdin sehr verliebt sind.«

»Ich bin bis über die Ohren in sie verliebt; aber ich bin nicht glücklich gewesen und habe mich nun mit meinem Schicksal abgefunden.«

»Daran haben Sie recht getan. Lia ist eine Spitzbübin, die nur alle Herren, die sich in ihre Reize verlieben, zum besten halten will.«

»Sollten nicht auch vielleicht Ihre reizenden Zöglinge diesem Grundsatz huldigen?«

»Nein; aber sie sind nur gefällig, wenn ich es ihnen erlaube.«

»So empfehle ich mich also Ihrer Güte; denn sie wollten nicht einmal eine Tasse Schokolade von mir annehmen.«

»Das dürfen sie auch nicht. Ich sehe, Sie kennen Turin nicht. Befinden Sie sich in Ihrer Wohnung wohl?«

»Ausgezeichnet.«

»Haben Sie dort vollkommene Freiheit?«

»Ich denke, ja,«

»Können Sie jeder beliebigen Dame ein Abendessen geben und können Sie in Ihren Räumen machen, was Sie wollen? Ich bin überzeugt, Sie können es nicht.«

»Ich habe bis jetzt noch keine Gelegenheit gehabt, einen Versuch zu machen; aber ich glaube …«

»Geben Sie sich keinen Täuschungen hin; die Leute in Ihrem Hause sind Polizeispione.«

»Sie glauben also, es wäre mir nicht möglich, Sie und zwei oder drei Ihrer Schülerinnen zum Abendessen bei mir zu haben?«

»Jedenfalls weiß ich ganz genau, daß ich mich hüten würde, hinzugehen. Am nächsten Morgen würde die ganze Stadt es wissen, vor allen anderen die Polizei.«

»Und wenn ich anderswo eine Wohnung nähme?«

»Es wäre überall das gleiche; denn Turin ist ein Nest von Spionen; aber ich kenne ein Haus, wo Sie nach Ihrer Bequemlichkeit leben könnten und wohin meine Mädchen, unter gewissen Vorsichtsmaßregeln, Ihnen alles bringen könnten, was Sie bei mir kaufen würden.«

»Wo ist das Haus? Ich werde Ihre Ratschläge getreulich befolgen.«

»Vertrauen Sie keinem Piemontesen, das ist die Hauptsache.«

Hierauf gab sie mir die Adresse eines gut möblierten Hauses, das nur von einem alten Hausmeister und seiner Frau bewohnt wurde.

»Man wird Ihnen das Haus monatsweise vermieten,« sagte sie zu mir; »und wenn Sie die Monatsmiete vorausbezahlen, wird man Sie nicht einmal nach Ihrem Namen fragen.«

Das hübsche Häuschen lag zweihundert Schritte von der Zitadelle in einer stillen Straße; durch eine Tür, die nach der Campagna hinaus ging, konnte ich sogar mit meinem Wagen einfahren. Ich fand alles, wie Frau R. es mir geschildert hatte, bezahlte ohne Feilschen für einen Monat voraus und zog schon am nächsten Morgen ein. Frau R. bewunderte meine Schnelligkeit.

Ich besuchte die jüdische Hochzeit und unterhielt mich dabei; denn die Zeremonie hat etwas Symbolisches und zugleich lächerlich Groteskes; ich widerstand jedoch allen Künsten, die Lia aufbot, um mich wieder in ihre Netze zu locken.

Ich mietete von ihrem Vater einen geschlossenen Wagen, den ich ebenso wie die Pferde in meinem Häuschen unterbrachte. So konnte ich ganz nach meinem Belieben durch die Vorder- oder durch die Hintertür, bei Tage oder bei Nacht gehen oder kommen, wie ich wollte; denn ich wohnte tatsächlich in der Stadt und zugleich auf dem Lande. Ich mußte dem neugierigen Gama meine Wohnung angeben; auch glaubte ich Desarmoises sie nicht verbergen zu dürfen, denn dieser hing wegen seiner Bedürftigkeit ganzlich von mir ab. Trotzdem war auf meinen Befehl auch für sie, wie für alle anderen, meine Tür verschlossen, wenn ich nicht besondere Anweisungen gegeben hatte, den von mir erwarteten Personen zu öffnen. Ich hatte keinen Anlaß, an der Treue meiner beiden Bedienten zu zweifeln.

In diesem Hause der Seligkeit musterte ich sämtliche jungen Mädchen der Madame R. Diejenige, die ich näher kennen zu lernen wünschte, kam stets in Begleitung einer anderen, die ihr als Ehrenwächterin diente und die ich gewöhnlich nach Hause schickte, nachdem ich ihr ihren Anteil am Kuchen gegeben hatte. Die letzte, namens Victorine, bildhübsch und zärtlich wie eine Taube, hatte das Unglück, versperrt zu sein; sie wußte jedoch nichts davon. Madame R., die es ebenfalls nicht wußte, hatte sie nur als Jungfer zugeschickt; auch ich hielt sie dafür zwei Stunden lang, während welcher ich mich fortwährend bemühte, den Zauber zu brechen oder vielmehr die Schale zu sprengen. Aber alle meine Anstrengungen waren vergebens. Endlich, als ich völlig erschöpft war, wollte ich sehen, was der Grund sei. Ich brachte sie in eine geeignete Lage, versah mich mit einer Kerze und begann die Untersuchung. Ich sah ein fleischiges Häutchen mit einem so kleinen Loch, daß kaum die Spitze einer dicken Nadel hindurchdringen konnte. Victorine ermutigte mich, den Eingang mit meinem kleinen Finger zu erzwingen; aber ich mühte mich vergeblich, diese Mauer zu durchbrechen, die von der Natur für gewöhnliche Mittel undurchdringlich gemacht war. Ich geriet in Versuchung, mit einem Messer das Hindernis zu beseitigen, und das junge Mädchen forderte mich dringend dazu auf; ich fürchtete jedoch eine Blutung, die mich vielleicht in böse Verlegenheit gebracht hätte. Deshalb stand ich davon ab, und daran tat ich wohl.

Die arme Victorine war dazu verurteilt, als Jungfrau zu sterben, wenn nicht ein geschickter Chirurg die Operation an ihr vornahm, die an Fräulein Cheroffini kurze Zeit nach ihrer Verheiratung mit Herrn Lepri vollzogen wurde. Sie weinte vor Kummer, als ich sagte: »Mein liebes Kind, dein kleiner Gott Hymen trotzt dem kräftigsten Amor und macht es ihm unmöglich, in deinen Tempel einzudringen.«

Ich beruhigte sie jedoch mit der Versicherung, daß ein guter Wundarzt sie leicht zu einem vollkommenen Weibe machen könne.

Am nächsten Tage erzählte ich den Vorfall der Frau R. Sie rief lachend: »Aber das ist ja für Victorine sehr günstig! Sie kann dadurch ihr Glück machen.«

Der Graf von Padua ließ sie einige Jahre später operieren und machte ihr Glück. Als ich aus Spanien zurückkehrte, fand ich sie schwanger und wurde dadurch verhindert, mich für meine erfolglosen Bemühungen bezahlt zu machen.

Am Gründonnerstag meldete man mir in aller Frühe Moses und Lia. Ich hatte ihren Besuch nicht erwartet, doch empfing ich sie aufs beste. Während der Karwoche wagten die Juden sich nicht in den Straßen von Turin sehen zu lassen; ich riet ihnen daher, die drei Tage bei mir zu verbringen, und als der Schelm mir einen schönen Ring zum Verkauf anbot, sah ich, daß es mir keine große Mühe kosten würde, sie zu überreden.

»Ich werde,« antwortete ich ihm, »diesen Ring nur aus Lias Händen kaufen können.«

Er lächelte; ohne Zweifel bildete er sich ein, ich würde ihr den Ring schenken; ich hatte mir jedoch bereits vorgenommen, sie in ihrer Erwartung zu täuschen. Ich bewirtete sie vornehm zu Mittag und Abend; hierauf gingen sie für die Nacht in ein hübsches Zimmer mit zwei Betten, das nicht weit von dem meinigen entfernt war. Ich hätte sie getrennt schlafen lassen können, indem ich Lia in einem Zimmer unterbrachte, das an das meinige anstieß, so daß ich sehr leicht einen nächtlichen Ausflug zu ihr machen konnte; aber ich hatte bereits für Lia zu viel getan und wollte daher nichts einer Überraschung oder auch nur einer Heimlichkeit zu verdanken haben. Sie sollte von selber zu mir kommen.

Als Moses am nächsten Morgen sah, daß ich den Ring noch nicht gekauft hatte, sagte er mir, er müsse in Geschäften ausgehen; er bat mich um meinen Wagen für den ganzen Tag und versprach, am Abend wiederzukommen und seine Tochter abzuholen. Ich ließ anspannen und kaufte ihm, bevor er abfuhr, den Ring für sechshundert Zechinen ab; aber ich stellte meine Bedingungen dabei. Ich war in meinem eigenen Hause; Lia konnte mich nicht betrügen. Sobald der Vater fort war, bemächtigte ich mich der Tochter. Sie war den ganzen Tag gefügig und verliebt. Ich hatte sie in den Naturzustand versetzt, und obwohl ihr Leib das Vollkommenste war, was man sich denken kann, brauchte und mißbrauchte ich ihn auf jede Art. Am Abend fand der Vater sie etwas ermüdet, aber er war ebenso zufrieden wie ich. Lia war weniger zufrieden, denn sie hatte erwartet, ich würde ihr zum Abschied den Ring schenken. Ich beschränkte mich jedoch darauf, ihr zu sagen, ich wolle mir das Vergnügen vorbehalten, ihr den Ring in ihre Wohnung zu bringen.

Am Ostermontag brachte ein Mann mir ein Schreiben, das mich vor die Polizei lud.

Erstes Kapitel


Meine Abenteuer in Air in Savoyen. – Meine zweite M. M. – Madame Zeroli.

Einige Schritte vom Brunnen entfernt bemerkte ich zwei Nonnen, die von ihm herkamen. Sie waren verschleiert, aber an ihrem Wuchs und Gang erkannte ich, daß die eine jung und die andere alt war. Hierbei war nun freilich nichts Wunderbares, aber ihr Ordenskleid fiel mir auf, denn es war dasselbe, das meine teure M. M. getragen hatte, die ich fünf Jahre vorher, am 24. Juli 1755, zum letzten Male gesehen hatte. Ich glaubte zwar nicht, daß es die junge Nonne M. M, sei, aber ihr Erscheinen genügte, um meine Neugier zu erregen. Sie gingen nach dem freien Felde zu. Ich kehrte sofort um, um ihnen den Weg abzuschneiden, sie von vorne zu sehen und mich von ihnen sehen zu lassen. Man denke sich meine Überrraschung, als ich mich umdrehte und in der Jungen, die vorausging und den Schleier zurückgeschlagen hatte, die leibhaftige M. M. vor mir erblickte. Ich konnte nicht daran zweifeln und ging auf sie zu, als sie plötzlich ihren Schleier herunterließ und einen anderen Weg einschlug, um mir auszuweichen.

Ich begriff sofort, daß sie alle möglichen Gründe haben konnte, um so zu handeln. Ich kehrte daher abermals um, verlor sie aber nicht aus dem Gesicht und folgte ihr von weitem, um zu sehen, wohin sie ginge. In einer Entfernung von etwa fünfhundert Schritten sah ich sie in ein einzeln liegendes Haus von ärmlichem Aussehen eintreten. Dies genügte mir. Ich kehrte nach dem Brunnen zurück, um mich auf unauffällige Weise zu erkundigen.

Unterwegs erging ich mich in tausend Vermutungen. Die unglückliche, reizende M. M., sagte ich mir, wird in ihrer Verzweiflung aus dem Kloster entflohen sein; vielleicht hat sie ihren Verstand verloren, denn warum hat sie nicht ihr Ordenskleid abgelegt? Vielleicht aber auch ist sie mit einer Erlaubnis von Rom hierher gekommen, um die Brunnenkur zu gebrauchen; dies wird ohne Zweifel der Grund sein, warum sie eine Nonne bei sich hat und ihre Tracht nicht ablegen kann. Auf alle Fälle kann sie ihre Reise nur unter einem falschen Vorwande unternommen haben. Sollte sie sich irgend einer verhängnisvollen Leidenschaft überlassen haben, deren Folge eine Schwangerschaft gewesen wäre? Vielleicht ist sie in Verlegenheit; dann muß sie glücklich sein, mich gefunden zu haben. Ich werde sie nicht in ihrer Hoffnung täuschen; ich bin bereit, alles zu tun, um ihr zu beweisen, daß ich würdig war, ihr Herz zu besitzen.

In diese Gedanken versunken, kam ich unversehens zum Brunnen, wo ich die ganze Spielergesellschaft fand. Alle umringten mich und sprachen ihre Freude aus, daß ich nicht abgereist sei. Ich fragte den Chevalier Zeroli nach dem Befinden seiner Gemahlin; er antwortete mir, sie liege noch im Bett und es werde sehr freundlich von mir sein, sie zum Aufstehen zu bewegen. Ich verabschiedete mich von ihm, um zu seiner Frau zu gehen, als der Badearzt mich anredete und mir sagte, das ausgezeichnete Wasser von Aix würde mir doppelte Gesundheit geben. Mit meinen Gedanken beschäftigt, fragte ich ihn ohne Umschweife, ob er der Arzt einer hübschen Nonne wäre, die ich gesehen hätte.

»Sie trinkt hier den Brunnen,« antwortete er, »aber sie spricht mit keinem Menschen.«

»Woher ist sie?«

»Das weiß niemand; sie wohnt bei einem Bauern.«

Ich verließ den Arzt; anstatt mich aber zu dem Gasthof zu begeben, wo ohne Zweifel die Schelmin Zeroli mich erwartete, lenkte ich meine Schritte nach dem Bauernhäuschen, aus dem meine Phantasie bereits den Tempel der lieblichsten aller Gottheiten machte. Ich war fest entschlossen, mir in vorsichtiger Weise alle wünschenswerten Auskünfte zu verschaffen. Aber, wie wenn die Liebe meinen Wünschen entgegenkommen wollte, sah ich die Bäuerin herauskommen und mir entgegengehen, als ich noch hundert Schritte von der Hütte entfernt war. Sie sprach mich an: »Mein Herr, die junge Nonne läßt Sie bitten, heute Abend um neun wiederzukommen; die Laienschwester schläft dann, und sie wird ungestört mit Ihnen sprechen können.«

Jetzt konnte mir nicht der geringste Zweifel mehr bleiben. Mein Herz hüpfte vor Freuden. Ich gab der Bäuerin einen Louis und versprach ihr, pünktlich um neun Uhr zu kommen.

Nachdem ich auf diese Weise die Gewißheit erlangt hatte, daß ich am Abend meine anbetungswürdige M. M. wiedersehen würde, ging ich nach dem Gasthof zurück, ließ mir das Zimmer der Frau Zeroli bezeichnen, trat ohne Umstände bei ihr ein und sagte ihr, ihr Mann habe mich geschickt, um sie zum Aufstehen zu bewegen.

»Ich glaubte, Sie seien abgereist.«

»Ich werde um zwei Uhr fahren.«

Ich fand die junge Frau im Bett noch viel appetitlicher als bei Tisch. Ich half ihr, ihr Mieder anzulegen, und der Anblick ihrer Reize entflammte mich; aber sie leistete mehr Widerstand, als ich erwartet hatte. Ich setzte mich auf das Fußende ihres Bettes und sprach ihr von meiner Glut, die sie mir eingeflößt hätte, und daß ich unglücklich sei, ihr nicht vor meiner Abreise meine Liebe durch die Tat beweisen zu können.

»Aber«, rief sie lachend, »es steht ja nur bei Ihnen, noch hier zu bleiben.«

»Ermutigen Sie mich, auf Ihre Gunst hoffen zu dürfen, und ich verschiebe meine Abreise bis morgen.«

»Sie sind zu stürmisch; ich bitte Sie, ruhig zu sein.«

Ziemlich zufrieden mit dem wenigen, das sie mir gewährte, indem sie anscheinend, wie es Brauch ist, nur der Gewalt wich, mußte ich mich beruhigen, als ihr Gatte erschien, der aus Vorsicht vor dem Eintritt ein Geräusch machte, so daß wir ihn hörten. Bei seinem Anblick sagte seine Frau ohne jede Verlegenheit: »Ich habe den Herrn überredet, noch bis übermorgen hier zu bleiben.«

»Dies freut mich sehr, meine Liebe; es freut mich um so mehr, da ich ihm noch Revanche schuldig bin.«

Mit diesen Worten nahm er ein Spiel Karten, das ihm eben zur Hand lag, wie wenn er es absichtlich hingelegt hätte; hierauf setzte er sich auf die andere Seite des Bettes, so daß seine Frau gewissermaßen als Spieltisch diente, und begann abzuziehen.

Ich konnte nicht zurück. Da ich sehr zerstreut war, verlor ich unaufhörlich, bis man uns meldete, daß das Mittagessen fertig sei.

»Ich habe keine Zeit mehr, mich anzuziehen,« sagte die Schöne; »ich werde in meinem Bett speisen, wenn Sie, mein Herr, mir Gesellschaft leisten wollen.«

Wie hätte ich dies ausschlagen können! Der Mann ging hinaus, um das Mahl zu bestellen; durch den abermaligen Verlust von etwa zwanzig Louis dazu berechtigt, sagte ich der Spitzbübin, wenn sie mir nicht bestimmt verspräche, mich im Laufe des Nachmittags glücklich zu machen, würde ich sofort nach Tisch abreisen.

»Ich werde Sie morgen früh um neun Uhr zum Frühstück erwarten. Wir werden allein sein.«

Nachdem sie mich daraufhin hinreichende Pfänder für ihr Versprechen hatte nehmen lassen, versprach ich ihr, zu bleiben.

Wir speisten an ihrem Bett, und ich ließ meinem Leduc sagen, ich würde erst am nächsten Nachmittag abreisen. Mann und Frau strahlten vor Freude, als sie dieses hörten.

Als wir mit dem Essen fertig waren, äußerte die gnädige Frau den Wunsch, aufzustehen. Ich entfernte mich mit dem Versprechen, sofort wieder zu kommen, um mit ihr unter vier Augen eine Partie Pikett auf hundert zu spielen. Ich ging auf mein Zimmer, um meine Börse wieder zu füllen, und fand dort Desarmoises, der mir sagte:

»Ich habe die saubere Bescherung entdeckt: man hat dem Fuhrmann zwei Louis gegeben, um ein krankes Pferd an Stelle des seinigen in den Stall zu bringen.«

»Ich kann nicht auf der einen Seite gewinnen, ohne auf der anderen zu verlieren. Ich bin in die Frau des Chevaliers verliebt und werde meine Abreise so lange hinausschieben, bis ich alles erlangt habe, was ich von ihr wünsche.«

»Ich fürchte, die Befriedigung dieses Wunsches wird Ihnen teuer zu stehen kommen. Übrigens können Sie über mich verfügen.«

Ich dankte ihm lächelnd und begab mich wieder zu meiner Schönen, die ich erst gegen acht Uhr unter dem Vorwande starker Kopfschmerzen verließ, nachdem ich ihr ein Dutzend Partien bezahlt hatte, die wir zu einem Louis spielten.

Ich ließ sie in zahlreicher Gesellschaft zurück und erinnerte sie beim Abschied noch an ihr Versprechen für den nächsten Morgen um neun Uhr.

Bei schönem Mondschein ging ich allein nach dem Bauernhäuschen, wo ich meine göttliche M. M. wiederfinden sollte. Ich war ungeduldig auf das Ergebnis dieses Besuches, von dem mein ganzes Schicksal abhängen konnte.

Ich hatte mich vorsorglicherweise mit Pistolen versehen und trug meinen Degen an der Seite; denn ich war nicht ohne Verdacht, daß mir an diesem Orte, wo sich so viele Industrieritter aufhielten, irgend ein Hinterhalt gelegt werden könnte. Zwanzig Schritte vom Häuschen entfernt, sah ich die Bäuerin mir entgegenkommen; sie sagte mir, die Nonne könne nicht hinunterkommen und ich müsse daher durch das Fenster einsteigen; sie habe zu diesem Zweck eine Leiter bereit gestellt. Ich trat näher; da ich jedoch kein Licht sah, so würde ich mich nicht zum Einsteigen entschlossen haben, wenn ich nicht die Stimme gehört hätte, die ich so gut zu kennen glaubte; sie rief mir zu: »Kommen Sie, fürchten Sie nichts!« Übrigens war das Fenster nicht sehr hoch, und die Gefahr konnte nicht groß sein. Ich stieg hinein und glaubte gewiß zu sein, meine geliebte M. M. in den Armen zu halten. Nachdem ich ihr Gesicht mit glühenden Küssen bedeckt hatte, fragte ich sie in venetianischer Sprache: »Warum hast du denn nicht ein Licht hier? Ich hoffe, du wirst mir sofort sagen, was für ein Ereignis, das mir als ein Wunder erscheint, dich hierher geführt hat? Beeile dich, liebes Herz, meine berechtigte Ungeduld zu befriedigen.«

Aber der Leser stelle sich meine Überraschung vor, als ich ihre Stimme in der Nähe hörte und erkannte, daß es nicht M. M. war.

Sie sagte mir, sie verstehe nicht venetianisch und ich brauche kein Licht, um ihr zu sagen, was Herr de Coudert zu tun beschlossen habe, um sie aus ihrer schrecklichen Lage zu befreien.

»Sie überraschen mich, Madame! Ich kenne keinen Herrn Coudert. Wie? Sie sind nicht Venetianerin, Sie sind nicht die Nonne, die ich heute früh gesehen habe?«

»Ich Unglückliche! ich habe mich geirrt. Ich bin die Nonne, die Sie heute früh gesehen haben, aber ich bin Französin. Um Gottewillen, mein Herr, ich beschwöre Sie, seien Sie verschwiegen und gehen Sie, denn ich habe Ihnen nichts zu sagen. Sprechen Sie leise; denn wenn meine Laienschwester erwachte, wäre ich verloren.«

»Zweifeln Sie nicht an meiner Verschwiegenheit, Madame! Mich täuschte Ihre vollkommene Ähnlichkeit mit einer Angehörigen Ihres Ordens, die mir stets teuer sein wird. Wenn Sie mir nicht Ihr Gesicht gezeigt hätten, würde ich Ihnen nicht gefolgt sein. Verzeihen Sie mir gütigst, wenn ich Ihnen Zeichen von Zärtlichkeit gegeben habe, die Ihnen kühn erscheinen müssen.«

»Ich bin darüber höchst erstaunt gewesen, aber ich fühle mich nicht beleidigt. Ach! warum bin ich nicht die Nonne, für die Sie sich interessieren! Ich schwebe am Rande des furchtbarsten Abgrundes.«

»Wenn zehn Louis, Madame, Ihnen von Nutzen sein können, so werden Sie mir eine Ehre erweisen, wenn Sie sie annehmen.«

»Ich danke Ihnen, ich brauche kein Geld. Aber ich bitte Sie dringend, doch den Louis wieder zurückzunehmen, den Sie mir heute früh gesandt haben.«

»Madame, soweit würbe ich mich niemals vergessen haben! Diesen Louis hatte ich der Bäuerin gegeben. Aber Sie vermehren noch meine Überraschung, und ich bitte Sie, mir zu sagen, was das für ein Unglück ist, gegen das sich mit Geld nichts ausrichten läßt.«

»Vielleicht hat Gott Sie gesandt, um mir zu helfen. Vielleicht werden Sie mir einen guten Rat geben. Ich bitte Sie also: Hören Sie mich an.«

»Ich stehe Ihnen ganz und gar zur Verfügung und höre Ihnen mit der größten Teilnahme zu. Setzen wir uns.«

»Leider ist weder Bett noch Stuhl hier.«

»Nun, so bleiben wir stehen; sprechen Sie!«

»Ich bin aus Grenoble. Man hat mich gezwungen, in Chambéry den Schleier zu nehmen. Zwei Jahre, nachdem ich das Gelübde abgelegt hatte, gelang es Herrn de Coudert, mich zu sehen; ich habe ihn nachts im Klostergarten empfangen, in den er zu gelangen wußte, indem er über die Mauer kletterte, und ich habe das Unglück gehabt, schwanger zu werden. Der Gedanke, im Kloster niederzukommen, war entsetzlich; denn man hätte mich in einem fürchterlichen Gefängnis sterben lassen. Herr de Coudert fand Mittel, mich aus dem Kloster zu schaffen. Ein Arzt, den er um eine große Summe Geldes bestach, erklärte, ich würde sterben, wenn ich nicht hier in Aix den Brunnen tränke, der das einzige Rettungsmittel für mich wäre. Eine Prinzessin, die er kannte, wurde in das Geheimnis eingeweiht; sie erwirkte für mich beim Bischof von Chambéry einen Urlaub von drei Monaten, und die Äbtissin war mit meiner Reise einverstanden.

Infolge dieser Maßnahmen hoffte ich vor Ablauf von drei Monaten niederzukommen; aber ohne Zweifel habe ich mich geirrt, denn die drei Monate gehen ihrem Ende zu, und ich fühle noch keine Anzeichen der Niederkunft. Ich muß unbedingt ins Kloster zurückkehren, und Sie werden begreifen, daß ich mich dazu nicht entschließen kann. Die Laienschwester, die die Äbtissin mir als Aufpasserin mitgegeben hatte, ist ein ganz unleidliches Geschöpf. Sie hat Befehl, mich mit keinem Menschen sprechen zu lassen und zu verhindern, daß ich mein Gesicht sehen lasse. Sie befahl mir, sofort den anderen Weg einzuschlagen, als sie Sie umkehren sah. Ich hob meinen Schleier hoch, damit Sie sähen, daß ich die sei, die Sie, wie ich glaubte, suchten; glücklicherweise hat die grausame Person es nicht bemerkt. Sie verlangt, daß wir binnen drei Tagen aufbrechen, um ins Kloster zurückzukehren; denn sie hält meine Wassersucht für unheilbar. Sie hat mir nicht erlauben wollen, mit dem Arzt zu sprechen, den ich vielleicht auf meine Seite gebracht hätte, wenn ich ihm die Wahrheit anvertraut hätte. Ich bin erst einundzwanzig Jahre alt und ersehne den Tod als eine Wohltat.«

»Mäßigen Sie Ihre Tränen, liebe Schwester, und sagen Sie mir, wie Sie hier hätten niederkommen können, ohne daß die Laienschwester es bemerkt hätte?«

»Die brave Frau, bei der ich wohne, ist ein Engel von Güte. Ich habe mich ihr anvertraut, und sie hat mir versprochen, durch ein Schlafmittel, das sie sich in Annecy verschafft hat, die boshafte Person zu verhindern, mich zu hören, sobald meine Wehen beginnen. Dank diesem Mittel schläft sie jetzt in ihrer Dachkammer.«

»Warum hat man mich nicht durch die Tür eintreten lassen?«

»Damit der Bruder der Bäuerin, der ein roher Bengel ist, Sie nicht sehe.«

»Aber wie haben Sie glauben können, daß ich von Herrn Coudert geschickt sei?«

»Vor zehn oder zwölf Tagen habe ich ihm geschrieben, in was für einer schrecklichen Lage ich mich befinde. Ich habe ihm meinen Zustand in so lebhaften Farben geschildert, daß es mir unmöglich erscheint, er sollte nicht alles aufbieten, um mich zu retten. Und wie der Versinkende sich an jeden Strohhalm klammert, habe ich, als ich Sie mir folgen sah, mir eingebildet, Sie wären der Retter, den er mir schickte.«

»Sind Sie sicher, daß er Ihren Brief erhalten hat?«

»Die Bäuerin hat ihn in Annecy auf die Post gegeben.«

»Sie hätten an die Prinzessin schreiben müssen.«

»Das habe ich nicht gewagt.«

»Ich selber werde sie aufsuchen; ich werde auch Herrn de Coudert aufsuchen. Mit einem Wort, ich werde überall hingehen, nötigenfalls sogar zum Bischof, um bei ihm eine Verlängerung des Urlaubs auszurichten; denn in Ihrem jetzigen Zustande können Sie nicht ins Kloster zurück. Entscheiden Sie sich; denn ohne Ihre Zustimmung kann ich nichts machen. Wollen Sie sich mir anvertrauen? Ich werde Ihnen morgen Männerkleider bringen, werde Sie nach Italien führen, und solange ich lebe, werde ich für Sie sorgen – das schwöre ich Ihnen.«

Sie antwortete nicht, aber ich vernahm ein lautes Schluchzen, das mir das Herz zerriß; denn ich hatte ein lebhaftes Mitgefühl mit der traurigen Lage dieser interessanten Unglücklichen, die der Himmel dazu geschaffen hatte, eine gute Familienmutter zu sein, und die die Grausamkeit ihrer Erzeuger dazu verdammt hatte, nur eine nutzlose Nonne zu sein.

Da ich nicht mehr wußte, was ich ihr sagen sollte, ergriff ich ihre Hand und versprach ihr, am nächsten Tage wiederzukommen, um zu erfahren, welchen Entschluß sie gefaßt hätte, denn irgend einen Entschluß müßte sie unbedingt fassen. Ich stieg auf der Leiter wieder aus dem Fenster, gab der Bäuerin einen zweiten Louis und sagte ihr, ich würde am nächsten Tage um dieselbe Stunde wiederkommen, wünschte aber durch die Tür eintreten zu können. Ferner bat ich sie, der Laienschwester eine stärkere Dosis Opium zu geben, damit wir nicht zu fürchten brauchten, daß sie erwachte, während ich mit der jungen Nonne plauderte.

Im Grunde war ich sehr zufrieden, daß ich in meiner Meinung, die liebe Nonne könnte M. M. sein, mich getäuscht hatte. Indessen erweckte die außerordentliche Ähnlichkeit in mir den lebhaften Wunsch, sie in der Nähe zu sehen, und ich war überzeugt, daß sie mir am nächsten Tage nicht die Bitte abschlagen würde, sie bei Licht zu sehen. Ich lachte darüber, daß ich ihr so heiße Küsse gegeben hatte, aber ich fühlte auch, daß ich sie nicht im Stich lassen könnte. Übrigens wünschte ich mir zu diesem Gefühl Glück, weil ich überzeugt war, daß ich keines sinnlichen Anreizes bedürfte, um eine gute Handlung zu begehen, denn sobald ich erfahren hatte, daß nicht meine göttliche M. M. meine zärtlichen Küsse empfangen hatte, fühlte ich mich gewissermaßen beschämt, sie ihr gegeben zu haben. Ich hatte nicht einmal daran gedacht, sie beim Abschied freundlich zu umarmen.

Am Morgen sagte Desarmoises mir, die ganze Gesellschaft habe sich darüber aufgeregt, daß sie mich nicht an der Abendtafel gesehen, und habe alle möglichen Vermutungen angestellt, wo ich wohl sein könnte. Madame Zeroli habe mich seht eifrig gelobt, den Neckereien der beiden anderen Damen heldenmütig standgehalten und sich gerühmt, sie könnte mich in Aix festhalten, solange sie selber bliebe. Tatsächlich war ich allerdings nicht verliebt, aber doch neugierig auf sie geworden, und ich hätte ungern den Ort verlassen, ohne sie wenigstens einmal vollständig besessen zu haben.

Pünktlich um neun Uhr trat ich nach der Verabredung in ihr Zimmer ein. Ich fand sie angekleidet, und als ich ihr Vorwürfe darüber machte, sagte sie mir, dies müsse mir gleichgültig sein. Hierüber ärgerlich sprach ich kein Wort, während ich eine Tasse Schokolade mit ihr trank. Als ich gefrühstückt hatte, bot sie mir Revanche im Pikett an; ich dankte ihr jedoch, indem ich ihr sagte, in der Laune, in die sie mich versetzt hätte, würde ich besser spielen als sie, und ich liebte es nicht, von Damen Geld zu gewinnen. Mit diesen Worten stand ich auf und wollte hinausgehen.

»Haben Sie wenigstens die Güte, mich nach dem Brunnen zu begleiten.«

»Auch das nicht. Wenn Sie mich für einen Neuling halten, so irren Sie sich, es liegt mir gar nichts daran, daß die Leute glauben, ich hätte mein Ziel erreicht, wenn dies in Wirklichkeit nicht der Fall ist. Sie können sich zum Brunnen begleiten lassen, von wem Sie wollen. Gehorsamster Diener, leben Sie wohl, Madame!«

Mit diesen Worten ging ich hinaus, ohne auf die Reden zu achten, durch die sie mich zurückzuhalten suchte.

Ich traf den Wirt vor der Tür und sagte ihm, ich würde ganz bestimmt um drei Uhr abreisen. Die Schöne stand am Fenster und konnte mich hören. Ich ging geraden Weges zum Brunnen, wo der Chevalier mich fragte, wie es seiner Frau gehe.

Ich antwortete ihm, ich hätte sie im besten Wohlsein auf ihrem Zimmer gelassen. Eine halbe Stunde darauf sahen wir sie mit einem Fremden ankommen, der von einem Herrn de Saint-Maurice freundlich begrüßt wurde. Madame Zeroli verließ ihn und hängte sich an meinen Arm, wie wenn gar nichts weiter los wäre. Ich konnte sie nicht zurückweisen, ohne mich den ärgerlichsten Folgen auszusetzen; aber ich war kalt. Sie beklagte sich über mein Benehmen und sagte mir, sie hätte mich nur auf die Probe stellen wollen; wenn ich sie liebte, würde ich meine Abreise noch verschieben und am nächsten Morgen um acht Uhr mit ihr frühstücken. Ich antwortete ihr in ruhigem Ton, ich würde es mir überlegen. Ich war während des ganzen Mittagessens ernst und sagte zwei- oder dreimal, ich würde ganz bestimmt um drei Uhr abfahren. In Wirklichkeit wünschte ich aber nur einen Vorwand zu finden, um bleiben zu können, da ich ja am selben Abend meine Nonne besuchen sollte. Ich ließ mich daher überreden, eine Pharaobank aufzulegen.

Ich holte alles Gold, das ich bei mir hatte, und sah lauter freudestrahlende Gesichter, als ich ungefähr vierhundert Louis in Gold und sechshundert Franken Silber vor mich hinlegte. »Meine Herren,« sagte ich, »Punkt acht Uhr werde ich aufhören.« Der zuletzt Gekommene sagte lächelnd, möglicherweise würde die Bank nicht ein so langes Leben haben. Ich tat, als hätte ich nicht verstanden. Es war drei Uhr. Ich bat Desarmoises, mir als Croupier zu dienen, und begann mit der ganzen erforderlichen Langsamkeit abzuziehen, da ich achtzehn bis zwanzig gewerbsmäßige Spieler vor mir hatte. Bei jeder Taille nahm ich neue Karten.

Gegen fünf Uhr war ich in Verlust, als ein Wagen heranrasselte. Man sagte uns, es wären drei Engländer, die von Genf kämen und Pferde wechselten, um nach Chambéry weiter zu reisen. Gleich darauf sah ich sie eintreten und machte ihnen mein Kompliment. Es waren Herr Fox und seine beiden Freunde, die mit mir die Partie Quinze gemacht hatten.

Mein Croupier bot jedem von ihnen ein Buch Karten an; sie nahmen es mit Vergnügen an und begannen Sätze von zehn Louis zu machen, indem sie auf zwei und drei Karten spielten, und Paroli, sept et le va und sogar Quinze et le va hielten, so daß meine Bank in Gefahr war, in die Luft zu fliegen. Trotzdem bewahrte ich meine gute Haltung und ermutigte sie sogar; denn wenn Gott neutral blieb, so war die Gewinnaussicht für mich. Er war’s, und bei der dritten Taille waren die Börsen der Engländer leer, und ihr Wagen hielt angespannt vor der Tür.

Während ich ein neues Spiel Karten mischte, zog der jüngste aus seiner Brieftasche ein Papier, das er seinen beiden Kameraden zeigte. Es war ein Wechsel.

»Wollen Sie«, fragte er mich, »auf eine Karte den Wert dieses Wechsels halten, ohne zu wissen, wie hoch er ist?«

»Ja; vorausgesetzt, daß Sie nur sagen, auf wen er gezogen ist, und daß die Summe nicht die Stärke meiner Bank übersteigt.«

Er warf einen Blick auf das Gold, das vor mir lag, und sagte: »Mein Wechsel beträgt nicht so viel wie Ihre Bank, und er ist auf Sicht bei Zappata in Turin zahlbar.«

Ich stimme zu, er hebt ab und legt den Wechsel auf ein Aß, nachdem seine beiden Freunde erklärt hatten, daß sie halb Part hielten. Ich ziehe ab und ziehe ab – kein Aß! Ich hatte nur noch ein Dutzend Karten in der Hand und sagte im ruhigsten Ton zu dem Spieler: »Mein Herr, es steht Ihnen frei, Ihren Einsatz zurückzuziehen.«

»Nein, fahren Sie fort.«

Ich mache noch zwei Abzüge – kein Aß! Ich hatte nur noch acht Karten.

»Mylord,« sage ich zu ihm, »es ist zwei gegen eins zu wetten, daß die nächste Karte ein Aß ist. Ich wiederhole Ihnen, es steht Ihnen frei, Ihren Einsatz zurückzuziehen.«

»Nein, Sie sind zu großmütig, ziehen Sie ab!«

Ich ziehe, gewinne und stecke meinen Wechsel in die Tasche, ohne ihn zu öffnen. Die Engländer schüttelten mir die Hand und gingen lachend hinaus. Ich freute mich der Wirkung, die mein kühnes Spiel auf die Gesellschaft geübt hatte, als der junge Fox wieder eintrat und mich laut lachend bat, ihm fünfzig Louis zu leihen. Ich zählte sie ihm mit dem größten Vergnügen auf. Er hat sie mir drei Jahre später in London zurückgegeben.

Alle waren neugierig, den Betrag des Wechsels zu erfahren, aber ich war nicht so gefällig, ihre Neugier zu befriedigen. Der Wechsel lautete auf achttausend Piemonteser Franken, wie ich sah, sobald ich allein war.

Die lieben Engländer hatten mir Glück gebracht, denn sobald sie fort waren, erklärte die Glücksgöttin sich für meine Bank. Um acht Uhr hörte ich auf. Nur die drei Damen hatten einige Louis gewonnen. Alle anderen waren völlig auf dem Trockenen. Ich hatte mehr als tausend Louis gewonnen und gab fünfundzwanzig davon meinem Croupier Desarmoises, der vor Freude ganz außer sich war. Schnell schloß ich mein Geld ein, steckte meine Pistolen in die Tasche und machte mich auf nach dem verabredeten Ort.

Die gute Bäuerin ließ mich durch die Tür eintreten und sagte mir, alles im Hause schlafe und sie habe nicht nötig gehabt, der Laienschwester eine neue Dosis von dein Schlaftrunk zu geben, denn diese sei noch gar nicht erwacht.

Dies erschreckte mich.

Ich ging hinauf und sah beim Scheine eines Talglichtes die arme junge Nonne, mit einem Schleier bedeckt, auf einem Strohsack sitzen, den die gute Bäuerin anstatt eines Sofas an die Wand gelehnt hatte. Das Licht, das dieses traurige Loch erhellte, war in eine Flasche gesteckt.

»Was haben Sie beschlossen, Madame«, fragte ich sie.

»Nichts, denn uns ist ein Unglück zugestoßen, das uns untröstlich macht: die Laienschwester schläft seit achtundzwanzig Stunden.«

»Sie wird diese Nacht an Krämpfen oder an einem Schlaganfall sterben, wenn Sie nicht einen Arzt kommen lassen, der sie vielleicht mit Bibergeil ins Leben zurückruft.«

»Wir haben daran gedacht; aber wir haben aus Furcht vor den Folgen es nicht zu tun gewagt; denn ob er sie nun heilt oder nicht, er wird auf alle Fälle sagen, wir hätten sie vergiftet.«

»Großer Gott! wie tun Sie mir leid; übrigens glaube ich, es ist schon zu spät, um sie noch behandeln zu lassen, und es wäre ganz überflüssig, einen Arzt zu holen. Wenn man alles recht bedenkt, müssen Sie den Gesetzen der Vorsicht folgen und sie sterben lassen. Ihr Tod wird in ihrem Alter natürlich erscheinen. Das Unglück ist nun einmal geschehen, und ich sehe kein Mittel dagegen.«

»Wir müssen zum mindesten an ihr Seelenheil denken und einen Priester rufen.«

»Ein Priester ist vollkommen überflüssig für sie, denn sie liegt in einem Zustande von Betäubung, und ihr Seelenheil ist durchaus nicht in Gefahr, übrigens würde ein unwissender Priester den Sachverständigen spielen wollen und aus Dummheit oder Bosheit alles ans Licht bringen. Wenn sie nicht mehr atmet, ist es an der Zeit, einen rufen zu lassen. Sie werden ihm sagen, sie sei plötzlich gestorben; Sie werden heftig weinen, werden ihm etwas zu trinken geben, und er wird nur daran denken, Ihren Schmerz zu beruhigen, und sich um die Tote gar nicht bekümmern.«

»Wir müssen sie also sterben lassen.«

»Man muß sie der Natur überlassen.«

»Wem, sie stirbt, werde ich einen Boten an die Äbtissin schicken, und diese wird mir eine andere Laienschwester zusenden.«

»Ja, und dadurch werden Sie etwa zehn Tage gewinnen. Während dieser Zeit werden Sie vielleicht entbunden, und dann können Sie sagen: zu irgend etwas ist stets auch das Unglück gut. Überlassen Sie sich nicht der Verzweiflung! Wir müssen uns dem Willen Gottes unterwerfen. Gestatten Sie, daß die Bäuerin heraufkommt, denn ich muß sie darüber belehren, wie sie sich in dieser gefährlichen Lage zu benehmen hat. Die Ehre und das Leben von uns dreien kann davon abhängen; denn wenn man entdecken sollte, daß ich hierher gekommen, würde man mich für den Giftmischer halten.«

Die Bäuerin kam herein, und ich stellte ihr vor, wie notwendig es für sie wäre, vorsichtig und verschwiegen zu sein. Sie begriff mich sehr gut, fühlte ihre eigene Gefahr und versprach mir, den Priester nicht eher holen zu wollen, als bis der Tod der Schwester gewiß wäre. Hierauf nötigte ich sie,zehn Louis anzunehmen, um damit in der schrecklichen Lage, worin wir uns befanden, alle notwendigen Ausgaben bestreiten zu können.

Als sie sich durch meine Freigebigleit reich geworden sah, küßte sie mir die Hände, kniete unter Tränen nieder und versprach mir, meine Ratschläge mit aller Vorsicht zu befolgen.

Als sie uns verlassen hatte, fing die Nonne bitterlich an zu weinen. Sie machte sich die größten Vorwürfe und beschuldigte sich des Mordes an der Laienschwester; sie sah den offenen Höllenrachen zu ihren Füßen. Vergeblich suchte ich sie zu beruhigen, ihre Angst wurde immer größer, sie sank in Ohnmacht und fiel hinter den Strohsack. Ich war in großer Verlegenheit, und da ich nicht wußte, wie ich mich aus der Klemme ziehen sollte, so rief ich die Bäuerin und befahl ihr, Essig zu bringen, denn ich hatte keine Riechessenz mehr. Plötzlich fiel mir die berühmte Nieswurz ein, die mir bei Frau von *** so gute Dienste getan hatte. Ich nahm die kleine Dose und stopfte ihr eine tüchtige Prise in die Nasenlöcher. Die Wirkung begann in dem Augenblick, wo die Bäuerin mit dem Essig kam. Ich befahl ihr, der Nonne die Schläfen einzureiben. Sie nahm ihr die Haube ab, und nur ihr schwarzes Haar konnte mich überzeugen, daß ich nicht meine teure Venetianerin vor mir hatte. Die Nieswurz brachte sie wieder zum Bewußtsein, sie schlug ihre großen schwarzen Augen auf, und von diesem Augenblick an war ich wahnsinnig in sie verliebt. Als die Bäuerin sah, daß sie wieder bei Bewußtsein und außer Gefahr war, ging sie hinaus. Ich aber nahm die Nonne in in meine Arme und überströmte sie mit heißen Küssen trotz ihrem ewigen Niesen.

»Ich flehe Sie an,« rief sie, »erlauben Sie mir meinen Schleier wieder anzulegen, denn sonst werde ich exkommuniziert.«

Ich lachte über ihre Furcht und fuhr fort, sie mit meinen glühenden Liebkosungen zu überhäufen.

»Ich sehe, Sie glauben mir nicht – aber ich schwöre Ihnen, die Äbtissin hat mir gedroht, den Bannfluch gegen mich zu schleudern, wenn ich mich von irgendeinem Mann ohne Schleier sehen ließe.«

»Fürchten Sie die Bannstrahlen der Äbtissin nicht mehr, meine schöne Freundin – sie sind ohnmächtig.«

Da jedoch das Niesen immer heftiger wurde, so fürchtete ich, durch die Erschütterung könnten die Wehen eintreten. Ich rief daher von neuem die Bäuerin und empfahl sie der Sorgfalt der guten Frau, nachdem ich ihr versprochen hatte, am nächsten Tage um dieselbe Stunde wieder zu kommen.

Es lag nicht in meiner Art, eine Frau im Stich zu lassen, deren Schicksal einem jeden die größte Teilnahme einflößen mußte. Aber ich konnte mir aus meinen Gefühlen kein Verdienst mehr machen; ich hatte mich in diese neue M. M. mit schwarzen Augen leidenschaftlich verliebt, und die Liebe macht sehr selbstsüchtig; denn bei allen Opfern, die wir dem Gegenstand unserer Leidenschaft bringen, denken wir nur an uns selber.

Ich war also entschlossen, alles für sie zu tun und sie ganz gewiß nicht in ihrem gegenwärtigen Zustand in ihr Kloster zurückkehren zu lassen. Mir schien, ich vollbrächte eine Gott wohlgefällige Handlung, indem ich sie rettete; denn nur Gott hatte diese vollkommene Ähnlichkeit mit einer von mir geliebten Frau zustande bringen können, und Gott hatte gewollt, daß ich viel Geld gewann, daß ich gerade im richtigen Augenblick die Zeroli fand, um die Neugierigen, die hinter mir her spioniert haben würden, auf eine falsche Spur zu bringen, so daß sie gewiß nicht erraten konnten, welche Beweggründe mich in der Gegend festhielten. Freigeister und Mystiker werden mich vielleicht für verrückt halten; aber was tut das? Ich habe stets eine eigene Lust empfunden, die Ereignisse meines Lebens in Beziehung zu Gott zu bringen. Und trotzdem haben Denker von gewöhnlicher Gesinnung mich des Atheismus beschuldigt!

Am nächsten Tage ging ich um acht Uhr zur liebenswürdigen Zeroli, die ich nicht vergessen hatte. Ich fand sie schlafend. Ihre Jungfer bat mich, recht leise einzutreten, um sie nicht zu wecken. Sie ließ mich allein und machte die Tür zu. Ich begriff die Sachlage, denn ich erinnerte mich augenblicklich, daß vor zwanzig Jahren eine Venetianerin, deren Schlaf ich dummerweise respektiert hatte, mich ausgelacht und nachher hinausgeworfen hatte. Ich handelte also dementsprechend, deckte sie leise auf und begann mit jenen zarten Vorspielen der Liebe, die die Lust so sehr erhöhen. Die Zeroli gab sich freilich die größte Mühe,sich schlafend zu stellen; aber von ihrem Gefühl hingerissen, überließ sie sich meinen Liebkosungen mit einer Glut, die die meinige noch übertraf und sie schließlich zwang, über ihre Kriegslist zu lachen. Sie sagte mir, ihr Mann sei nach Genf gefahren, um ihr eine Repetieruhr zu kaufen; er werde erst den nächsten Tag wiederkommen und sie könne die Nacht mit mir verbringen.

»Warum die Nacht, meine Liebe, da uns doch der Tag so günstig ist? Die Nacht ist zum Schlafen da, und der Tag verdoppelt den Genuß, da seine Helligkeit uns erlaubt, alle unsere Sinne gleichzeitig zu beschäftigen. Wenn du niemand erwartest, werde ich den ganzen Vormittag bei dir verbringen.«

»Meinetwegen. Es wird niemand kommen.«

Bald lag ich in ihren Armen, und vier Stunden lang überließen wir uns allen Wollüsten, indem wir uns gegenseitig betrogen, um uns unsere Glut besser zu beweisen, und herzlich lachten, wenn wir uns dessen überführen konnten. Nach dem letzten Angriff bat sie mich, ich möchte zum Dank für ihre Zärtlichkeit noch drei Tage in Aix bleiben.

»Ich verspreche dir, solange hier zu bleiben, als du mir solche Beweise deiner Liebe wie heute früh geben wirst.«

»Stehen wir also auf und gehen wir essen.«

»In Gesellschaft, meine Liebe? Wenn du deine Augen sehen könntest!«

»Um so besser; man wird das Vorgefallene erraten, und die beiden Gräfinnen werden vor Ärger platzen. Niemand soll daran zweifeln können, daß du nur meinetwegen in Aix bleibst.«

»Um mich lohnt es sich nicht der Mühe, mein Engel! Aber meinetwegen; ich erfülle deinen Wunsch mit Vergnügen, und wenn ich in diesen drei Tagen all mein Geld verlieren sollte.«

»Ich wäre in Verzweiflung, wenn du verlörest; aber wenn du nur nicht gegen die Bank spielst, so wirst du nicht verlieren, obgleich du dich bestehlen läßt.«

»Glaube mir, ich sehe es wohl, und lasse mich nur von den Damen bestehlen. Auch du hast mir einige falsche Parolis geboten.«

»Das ist wahr, aber viel weniger als die Gräfinnen. Und das ärgert mich; denn sie denken ohne Zweifel, du hast sie gewähren lassen, weil du in sie verliebt bist.«

»Die guten Damen täuschen sich durchaus; denn um keine von den beiden wäre ich nur einen einzigen Tag hier geblieben.«

»Das freut mich sehr. Aber ich muß dir doch mitteilen, was für eine Bemerkung der Marquis des Saint-Maurice gestern über dich gemacht hat.«

»Sprich nur! ich hoffe, er wird sich keine Beleidigung erlaubt haben.«

»Dies nicht; er hat gesagt, du hättest niemals dem Engländer anbieten dürfen, sich bei den letzten acht Karten zurückzuziehen; denn du hattest die Gewinnaussicht für dich, wenn er trotzdem gewonnen hätte, so hätte er glauben können, daß du die Karte kenntest.«

»Nicht übel. Aber sage dem Marquis, ein Ehrenmann könne nicht in solchen Verdacht kommen. Außerdem war der Charakter des jungen Lords mir bekannt, und ich war beinahe sicher, daß er mein Anerbieten nicht annehmen würde.«

Als wir im Speisesaal erschienen, empfing man uns mit Händeklatschen. Die schöne Zeroli schien mich am Zügel zu führen, und ich legte die bescheidenste Haltung an den Tag. Nach dem Essen wagte niemand mir den Vorschlag zu machen, eine Bank aufzulegen, denn alle Börsen waren leer. Man begnügte sich mit einem Trente-et-quarante, das den ganzen Tag dauerte und mir etwa zwanzig Louis kostete.

Wie gewöhnlich verschwand ich gegen Abend. Nachdem ich Leduc eingeschärft hatte, während meines ganzen Aufenthaltes in Aix mein Zimmer nicht einen Augenblick zu verlassen, machte ich mich auf den Weg nach dem Häuschen, wo die unglückliche Nonne voll Ungeduld auf mein Erscheinen warten mußte. Trotz der Dunkelheit glaubte ich bald darauf zu bemerken, daß jemand mir folgte. Ich blieb stehen, man überholte mich. Zwei Minuten darauf setzte ich meinen Weg fort und sah dieselben Personen, die ich nicht hätte einholen können, wenn sie nicht ihre Schritte verlangsamt hätten. Dies konnte nicht ohne Bedeutung sein, aber ich glaubte mich dessen vergewissern zu müssen. Ich verließ die Straße und ging in derselben Richtung weiter; ich war sicher, daß ich den Weg wieder finden würde, wenn ich nicht mehr verfolgt würde. Bald aber gewann ich die Gewißheit, daß ich Spione hinter mir hatte, denn ich sah dieselben gespensterhaften Gestalten in geringer Entfernung. Ich ging schneller und versteckte mich hinter einem Baum; sobald ich meine Spione bemerkte, gab ich einen Pistolenschuß in die Luft ab und wartete. Als ich eine Minute darauf niemanden mehr sah, ging ich nach dem Bauernhäuschen.

Ich stieg die Treppe hinauf und fand meine Nonne in einem Bett liegen; auf einem Tisch brannten zwei Kerzen.

»Sind Sie krank, Madame?«

»Ich war es einen Augenblick, aber ich befinde mich Gott sei Dank sehr wohl, nachdem ich um zwei Uhr in der Frühe einen strammen Jungen zur Welt gebracht habe.«

»Und wo ist das Kind?«

»Ach, ich habe nur ein einziges Mal das Glück gehabt, es zu küssen; dann hat meine gute Wirtin es mir fortgenommen und ich weiß nicht wohin gebracht. Die heilige Jungfrau hat meine Gebete erhört; ich hatte nur ein paar Augenblicke einen starken Schmerz, und eine Viertelstunde nach meiner Entbindung nieste ich noch. Sagen Sie mir, sind Sie ein Engel oder ein Mensch! Ich habe gefürchtet, eine Sünde zu begehen, indem ich Sie anbetete.«

»Sie geben mir da eine Nachricht, die mich aufs höchste erfreut. Und die Laienschwester?«

»Sie atmet noch, aber wir haben keine Hoffnung mehr, daß sie durchkommt. Ihr Gesicht ist völlig entstellt. Wir haben ein schreckliches Verbrechen begangen, und Gott wird mich dafür bestrafen.«

»Nein, meine Liebe, Gott wird Ihnen verzeihen; denn das reinste aller Wesen kann nur die böse Absicht bestrafen, und Sie haben eine solche nicht gehabt. Beten Sie die göttliche Vorsehung an, die alles zum besten lenkt.«

»Ihre Worte trösten mich. Meine Bäuerin versichert, Sie seien ein Engel; denn Ihr Pulver hat meine Niederkunft bewirkt. Ich werde Sie niemals vergessen, obgleich ich nicht weiß, wer Sie sind.«

Die Bäuerin trat ein; ich dankte ihr dafür, daß sie die Kranke gepflegt und ihr geholfen hätte, sich ihrer schweren Bürde zu entledigen. Ich empfahl ihr von neuem, vorsichtig zu sein, und vor allen Dingen den Priester gut zu behandeln, den sie holen lassen würde, wenn die Laienschwester tot wäre; sie müßte ihn verhindern, Beobachtungen zu machen, die verhängnisvoll werden könnten.

»Alles wird gut gehen«, sagte sie; »denn kein Mensch weiß etwas davon, daß die Laienschwester krank ist, und ebensowenig, warum die gnädige Frau im Bett geblieben ist.«

»Was haben Sie mit dem Kinde gemacht?«

»Ich habe es selber nach Annecy getragen; dort habe ich alles gekauft, was für den augenblicklichen Zustand der gnädigen Frau und für den Tod der anderen notwendig sein kann.«

»Weiß Ihr Bruder etwas?«

»Gott soll mich bewahren! Übrigens ist er gestern fortgegangen und wird erst in acht Tagen wiederkommen. Wir haben nichts zu fürchten.«

Ich gab ihr abermals zehn Louis und bat sie, einige Möbel zu kaufen und mir für den nächsten Tag etwas Essen zu besorgen. Sie sagte mir, sie habe noch viel Gold übrig behalten, und ich glaubte, sie würde wahnsinnig werden, als ich ihr gesagt hatte, der ganze Rest wäre für sie. Da ich glaubte, die Kranke mochte Ruhe nötig haben, so verließ ich sie mit dem Versprechen, am nächsten Abend pünktlich wieder zu kommen.

Es lag mir daran, mir diese leidige Geschichte bald vom Halse zu schaffen, und ich konnte nicht eher Viktoria rufen, als bis die arme Laienschwester unter der Erde war. Ich hatte eine Heidenangst; denn wenn der Priester nicht geradezu ein Trottel war, so mußte er entdecken, daß die Frau an Gift gestorben war.

Am nächsten Morgen suchte ich meine schöne Zeroli auf; ihr Mann war bei ihr, und sie betrachtete die Uhr, die er für sie gekauft hatte. Er kam auf mich zu, reichte mir die Hand und sagte, er wünsche sich Glück, daß seine Frau die Macht besessen habe, mich in Aix zurückzuhalten. Ich sagte ihm, dies wäre ihr nicht schwer gefallen, und ein Bravo! war seine ganze Antwort.

Dieser Chevalier war einer von jenen Männern, die lieber für gutmütige Ehegatten als für dumm gelten wollen. Seine Frau nahm meinen Arm, wir ließen ihn im Zimmer allein und gingen nach dem Brunnen. Unterwegs sagte sie mir, sie würde am nächsten Tage allein sein und würde nicht mehr so neugierig sein, meine nächtlichen Wanderungen ausspionieren zu wollen.

«Ah! So hast also du mich verfolgen lassen?«

»Nein; ich selber bin dir gefolgt, aber es geschah nur, um einen Spaß zu haben; denn in jener Gegend sind nur Berge. Ich hätte dich aber nicht für so boshaft gehalten. Du hast mir eine schöne Angst eingejagt! Weißt du auch, daß du mich hättest totschießen können? Zum Glück, mein Herr, haben Sie vorbeigeschossen.«

»Mit Absicht, liebe Freundin; denn ohne eine Ahnung zu haben, daß du es wärest, habe ich in die Luft geschossen. Ich war überzeugt, daß dies genügen würde, um die Neugierigen fernzuhalten.«

»Allerdings; sie werden dir nicht mehr nachgehen.«

»Wenn sie das tun, so werde ich sie vielleicht gewähren lassen; denn mein Spaziergang ist sehr unschuldiger Art. Ich bin stets um zehn Uhr zu Hause.«

Wir saßen noch bei Tisch, als wir eine sechsspännige Berline ankommen sahen. Es war der Marquis Prié mit einem Ludwigsritter und zwei reizenden Damen, von denen die eine, wie meine Schöne mir eifrig mitteilte, die Geliebte des Marquis war. Es wurden vier neue Gedecke aufgelegt, und in der Zwischenzeit, bis die Neuangekommenen bedient wurden, erzählte man ihnen die Geschichte von den Engländern, gegen die ich Bank gehalten hatte. Der Marquis machte mir ein Kompliment darüber und sagte mir, er habe sich nicht mit der Hoffnung geschmeichelt, daß er die Ehre haben würde, mich in Aix wiederzufinden. Sofort nahm Madame Zeroli das Wort und sagte: wenn sie nicht gewesen wäre, würde er mich nicht mehr gefunden haben. Da ich an ihre Unbesonnenheiten gewöhnt war, so konnte ich nichts Besseres tun als dies zuzugeben; dies schien ihr ein außerordentliches Vergnügen zu machen, obgleich ihr Mann anwesend war. Aber dieser teilte ihren Triumph.

Der Marquis sagte mir, er würde die Ehre haben, mir nach dem Essen eine kleine Bank zu legen, was ich aus Höflichkeit annehmen mußte. Ich verlor in sehr kurzer Zeit etwa hundert Louis. Hierauf ging ich auf mein Zimmer, um einige Briefe zu schreiben, und sobald es dämmerig wurde, begab ich mich zu meiner Nonne.

»Was gibt es Neues?«

»Die Laienschwester ist tot; morgen wird man sie begraben, und morgen war der Tag, an dem wir ins Kloster zurückkehren sollten. Hier ist mein Brief an die Äbtissin. Sie wird mir eine andere Laienschwester schicken, oder sie wird befehlen, daß ich mich von meiner Bäuerin nach dem Kloster zurückbringen lasse.«

»Was hat der Priester gesagt?«

»Er hat gesagt, die Laienschwester sei an einer Betäubung des Gehirns infolge eines Schlagflusses gestorben.«

»Das ist ein großes Glück.«

»Ich möchte ihn fünfzehn Messen für sie lesen lassen; erlauben Sie mir dies?«

»Sehr gern, meine Liebe; diese Messen sollen die Belohnung für den Priester oder vielmehr für seine glückliche Unwissenheit sein.«

Ich rief die Bäuerin, befahl ihr die Messen lesen zu lassen und bat sie dem Priester zu sagen, die Messen sollten für die Seele derjenigen Person sein, die die Kosten trage. Sie sagte mir, die Tote wäre entsetzlich anzusehen, und sie lasse sie von zwei Frauen bewachen, die sie mit Weihwasser besprengten, damit nicht die Hexen in Gestalt von Katzen ihr dieses oder jenes Glied raubten. Ich war weit entfernt, über ihre Furcht zu lachen, sondern sagte ihr, sie tue ganz recht, und fragte sie hierauf, wo sie das Opium gekauft habe.

»Die Verkäuferin ist eine sehr ehrenwerte Hebamme, die ich seit langer Zeit kenne. Wir brauchten es, um die unglückliche Laienschwester einzuschläfern, sobald sich die Wehen einstellen würden.«

»Seid Ihr erkannt worden, als Ihr das Kind in das Findelhaus brachtet?«

»Kein Mensch hat mich gesehen, als ich es auf die Drehscheibe legte; auf einem Zettel habe ich mitgeteilt, daß das Kind noch nicht getauft sei.«

»Wer hat diesen Zettel geschrieben?«

»Ich selber.«

»Ihr müßt daran denken, das Begräbnis gut zu bezahlen.«

»Dieses wird nur sechs Franken kosten, die der Pfarrer von den zwei Louis bestreiten wird, welche man bei der Toten gefunden hat. Der Rest wird dazu dienen, um Messen lesen zu lassen und ihr dadurch Vergebung dafür zu verschaffen, daß sie Geld bei sich gehabt hat.«

»Wie? durfte sie mit gutem Gewissen nicht einmal zwei Louis bei sich haben?«

»Nein,« sagte die Nonne, »ohne Vorwissen der Äbtissin dürfen wir bei Strafe der Exkommunikation kein Geld haben.«

»Und was hat man Ihnen gegeben, um hier zu leben?«

»Täglich zehn savoyische Sous. Jetzt werde ich hier gehalten wie eine Prinzessin. Sie werden dies beim Abendessen sehen, denn obwohl die gute Frau weiß, daß das Geld, das Sie ihr gaben, ihr gehört, so gibt sie es doch in verschwenderischer Weise für mich aus.«

»Sie weiß, Schwester, daß dies meine Absicht ist. – Hier habt Ihr noch mehr; fahret so fort!«

Mit diesen Worten zog ich noch zehn Louis aus meiner Börse und gab sie der Bäuerin mit der Aufforderung, keine Ausgabe zu sparen, um die Kranke zu pflegen. Ich weidete mich an dem Glück der guten Frau, die mir die Hände küßte und mir sagte, sie habe durch mich ihr Glück gemacht und werde sich Kühe kaufen.

Das reizende Wesen erinnerte mich lebhaft an die Augenblicke des Glücks, dessen ich mit meiner göttlichen M. M. genossen hatte. Als ich mit ihr allein war, geriet meine Phantasie in Glut; ich trat an ihr Bett heran und begann von ihrem Verführer zu sprechen, indem ich ihr sagte, ich sei sehr überrascht, daß er in der schrecklichen Lage, in die er sie gebracht, nicht für die notwendige Hilfe gesorgt habe.

Sie antwortete mir: »Geld hätte ich wegen meines Gelübdes der Armut und des Gehorsams doch nicht annehmen können; ich werde der Äbtissin sogar den Louis zurückgeben, der von dem durch den Bischof verschafften Almosen noch übrig geblieben ist. Daß ich gewissermaßen ganz verlassen war, als ich das Glück hatte, Ihnen zu begegnen, glaube ich dem Umstand zuschreiben zu müssen, daß Herr Coudert meinen Brief nicht erhalten hat.«

»Das kann wohl sein. Aber ist er reich, ist er schön?«

»Reich, ja; aber schön – nein. Im Gegenteil, er ist sehr häßlich, bucklig und mindestens fünfzig Jahre alt.«

»Wie ist es möglich, daß Sie sich in einen solchen Pavian haben verlieben können?«

»Ich habe ihn niemals geliebt; aber er wußte mein Mitleid zu erregen. Er wollte sich umbringen; ich glaubte ihm dies und versprach ihm, nachts in den Garten zu kommen, wo er mich erwarten wollte. Ich ging aber nur in der Absicht hin, ihn zu bitten, daß er sich entfernen möchte. Er tat dies auch; aber erst nachdem er seine böse Lust befriedigt hatte.«

»Er hat Ihnen also Gewalt angetan?«

»Nein, das würde ihm nicht gelungen sein; aber er weinte, warf sich vor mir auf die Knie und bat mich so inständig, daß ich ihn gewähren ließ, nachdem er mir versprochen hatte, daß er sich nicht das Leben nehmen und nicht wieder in den Garten kommen würde.«

»Und haben Sie nicht befürchtet, daß Ihre Gefälligkeit Folgen haben würde?«

»Ich verstand nichts davon, denn ich hatte immer geglaubt, daß mindestens drei Male notwendig seien, um zu empfangen.«

»Unglückselige Unwissenheit! Wieviel Unglück richtet sie an! Er hat Sie also nicht mehr gequält, um neue Zusammenkünfte zu erlangen?«

»Er hat mich oft darum gebeten, aber ich habe ihm keine mehr bewilligt, weil unser Beichtvater mir das Versprechen abnahm, ihm nichts mehr zu gewähren, wenn ich meine Absolution haben wollte.«

»Haben Sie Ihren Verführer genannt?«

»Nein, natürlich nicht; das würde der gute Beichtvater mir nicht erlaubt haben, denn damit hätte ich eine große Sünde begangen.«

»Haben Sie dem Beichtvater etwas von Ihrem Zustande gesagt?«

»Auch das nicht; aber er wird sich die Wahrheit gedacht haben. Er ist ein ehrwürdiger Greis, der ohne Zweifel für mich zu Gott gebetet hat, und Ihre kostbare Bekanntschaft ist vielleicht die Frucht seiner Gebete.«

Ich war tief gerührt und schwieg, in meine Gedanken versunken, fast eine ganze Stunde lang. Ich sah, daß das Unglück des reizenden Mädchens nur von ihrer Unwissenheit und Aufrichtigkeit, von ihrer vollkommenen Unschuld und von einem übel verstandenen Mitleid herrührte, das sie veranlaßte, diesem geilen Ungeheuer etwas zu bewilligen, worauf sie wenig Wert legte, weil sie niemals verliebt gewesen war und darum von dessen Bedeutung keine Ahnung hatte. Sie hatte Religion, aber es war eine gewohnheitsmäßige, gedankenlose und darum sehr schwache Religion. Sie verabscheute die Sünde, weil sie sich durch die Beichte davon reinigen mußte, wenn sie sich nicht der Strafe ewiger Verdammnis aussetzen wollte, und sie wollte nicht verdammt sein. Sie besaß viel natürlichen Menschenverstand, wenig Geist, weil sie niemals in der Lage gewesen war, ihn zu üben, und im übrigen eine Unwissenheit, wie man sie nur einer Nonne verzeihen kann. Indem ich dies alles erwog, sah ich voraus, daß ich es sehr schwierig finden würde, von ihr die Gunstbezeugung zu erlangen, die sie dem Herrn de Coudert nicht hatte abschlagen können; sie hatte diese zu sehr zu bereuen gehabt, um sich von neuem der gleichen Gefahr auszusetzen.

Die Bäuerin kam wieder herein, legte zwei Gedecke auf einen kleinen Tisch und trug uns das Abendessen auf. Mundtücher, Teller, Gläser, Löffel, Messer usw. – alles war neu und von einer sehr appetitlichen Sauberkeit. Die Weine waren sehr gut und die Speisen köstlich, weil es keine erkünstelten Gerichte waren. Es gab gebratenes Wildbret, Fisch, Rahmkäse und sehr gutes Obst. Ich verbrachte anderthalb Stunden damit, mir dies alles gut schmecken zu lassen, trank dazu zwei Flaschen Wein und plauderte mit meiner Nonne, die sehr wenig aß. Ich war ganz in Feuer; die Bäuerin war von meinen Lobsprüchen entzückt und versprach mir, mich jeden Abend in derselben Weise zu bewirten.

Als ich mit meiner Nonne allein war, deren Zauberantlitz so feurige Erinnerungen in mir weckte, sprach ich mit ihr über ihre Gesundheit und besonders von den Folgen, die die Befreiung von einer neun Monate lang getragenen Bürde nach sich zu ziehen pflegte. Sie sagte mir: »Ich befinde mich sehr gut und kann zu Fuß nach Chambéry zurückkehren. Das einzige, was mich belästigt, sind meine Brüste; aber die Bäuerin hat mir versichert, die Milch werde morgen verschwinden und sie werden dann ihre natürliche Form wieder annehmen.«

»Gestatten Sie mir, sie zu untersuchen; ich verstehe mich darauf.«

»Sehen Sie!«

Sie entblößte sich; sie dachte gar nicht daran, daß dies mir angenehm sein könnte, sondern wollte nur höflich sein; außerdem traute sie mir keine Hintergedanken zu. Ich betastete zwei Halbkugeln von einer Weiße und Formschön heit, daß sie einen Lazarus vom Tode erweckt hätten. Ich hütete mich, ihre Schamhaftigkeit zu verletzen, doch fragte ich sie mit der allerruhigsten Miene, wie sie sich ein bißchen weiter unten befinde. Gleichzeitig streckte ich sanft meine Hand aus. Sie hielt mich jedoch sachte zurück und bat mich, nicht dorthin zu fassen, weil sie noch etwas unwohl wäre. Ich bat sie um Verzeihung und sprach die Hoffnung aus, daß ich sie am nächsten Tage wieder völlig hergestellt finden würde. »Die Schönheit Ihres Busens«, fügte ich hinzu, »vermehrt noch die Teilnahme, die Sie mir eingeflößt haben.« Mit diesen Worten preßte ich meinen Mund auf den ihrigen, und ich fühlte, wie ein Kuß gleichsam unwillkürlich ihren Lippen entschlüpfte. Dieser Kuß drang in alle meine Adern; ich fühlte mich aufs höchste erregt und sah, daß ich schnell aus ihrer Gesellschaft fliehen mußte, wenn ich mich nicht der Gefahr aussetzen wollte, ihr ganzes Vertrauen zu verlieren. Ich entfernte mich daher, indem ich sie zärtlich als meine liebe Tochter grüßte.

Es regnete in Strömen, und ich war bis auf die Haut durchnäßt, als ich in meinem Zimmer ankam. Dieses Bad war freilich sehr gut, um meine Glut zu dämpfen, aber es war schuld daran, daß ich spät aufstand. Nachdem ich mich angekleidet hatte, steckte ich die beiden Porträts, die meine M. M. als Nonne im Ordenskleid und als Venus in Naturzustande darstellten, in die Tasche. Ich war sicher, daß sie mir bei meiner neuen Nonne gute Dienste leisten würden.

Da ich die schöne Zeroli nicht zu Hause traf, ging ich nach dem Brunnen, wo ich sie denn auch wirklich fand. Sie machte mir zärtliche Vorwürfe, die ich für bare Münze hinnahm, und wir versöhnten uns auf einem Spaziergange. Nach dem Mittagessen legte der Marquis de Prié eine Bank; da ich jedoch nur hundert Louis sah, so begriff ich, daß er viel zu gewinnen, aber wenig aufs Spiel zu setzen wünschte. Ich legte hundert Louis vor mich hin, und als er mir sagte, wir spielten ja nur zu unserer Unterhaltung, und ich möchte daher nicht nur auf eine einzige Karte spielen, antwortete ich ihm, ich würde einen Louis auf jede der dreizehn Karten setzen.

»Sie werden verlieren.«

»Das wollen wir einmal sehen.«

Damit breitete ich das ganze Buch auf dem Tisch aus und setzte auf jede Karte einen Louis.

Nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit hätte ich allerdings verlieren müssen; aber das Schicksal entschied anders, denn ich gewann achtzig Louis.

Um acht Uhr machte ich der Gesellschaft meine Verbeugung und ging den gewohnten Weg nach dem Tempel meiner neuen Liebe. Ich fand die Kranke entzückend. Sie sagte mir, sie habe ein leichtes Fieber gehabt; aber die Bäuerin habe ihr gesagt, es sei nur das Milchfieber und sie werde schon am nächsten Tag wieder ganz gesund sein und aufstehen können. Als ich meine Hand ausstreckte, um die Decke aufzuheben, ergriff sie sie und küßte sie, indem sie mir sagte, sie fühle das Bedürfnis, mir diesen Beweis ihrer kindlichen Liebe zu geben. Sie war einundzwanzig Jahre alt, ich fünfunddreißig. Welch eine Tochter für einen solchen Vater! Was ich für sie empfand, glich denn auch keineswegs väterlicher Liebe. Indessen sagte ich ihr: das Vertrauen, das sie mir zeige, indem sie mich entkleidet im Bette liegend empfange, vermehre meine Zärtlichkeit für sie; aber am nächsten Tage würde ich traurig sein, wenn ich sie wieder als Nonne gekleidet sähe.

»Nun, so werden Sie mich im Bett finden! Ich tue Ihnen diesen Gefallen recht gern; denn bei der Hitze ist mein wollenes Kleid mir sehr unbequem; aber ich glaubte Ihnen mehr zu gefallen, wenn ich anständiger gekleidet wäre; da es Ihnen jedoch einerlei ist, so soll Ihr Wunsch erfüllt werden.«

In diesem Augenblick trat die Bäuerin ein und gab ihr den Brief der Äbtissin, den ihr Neffe gerade eben von Chambéry zurückgebracht hatte. Die Äbtissin schrieb ihr, sie würde ihr zwei Laienschwestern schicken, um sie nach dem Kloster zurückzubringen, und da sie wieder gesund wäre, so könnte sie den Weg zu Fuß machen und auf diese Weise das Geld sparen, um es für nützlichere Zwecke zu verwenden. Der Bischof wäre auf dem Lande, und da sie die beiden Laienschwestern nicht ohne dessen Erlaubnis schicken dürfte, so könnten sie erst in acht oder zehn Tagen abreisen. Sie befahl ihr, unter Androhung der großen Exkommunikation, niemals ihr Zimmer zu verlassen, mit keinem Manne ein Wort zu sprechen, auch nicht mit dem Bauern, in dessen Haus sie wohne, und nur mit der Bäuerin zu verkehren. Zum Schluß teilte sie ihr mit, sie werde für die Seelenruhe der Gestorbenen eine Messe lesen lassen.

Ich sagte ihr hierauf: »Ich danke Ihnen, Madame, für die Mitteilung dieses Briefes; aber sagen Sie mir bitte, ob ich während dieser acht oder zehn Tage kommen und Ihnen meine Aufwartung machen darf; denn ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß ich ein Mann bin. Ich habe mich hier in Aix nur solange aufgehalten, weil Sie mir die lebhafteste Teilnahme eingeflößt haben; aber wenn es wegen der eigentümlichen Exkommunikation, womit Ihre alte Oberin Sie bedroht, Ihnen nur im geringsten widerstrebt, mich zu empfangen, so werde ich morgen abreisen. Nun sprechen Sie!«

»Mein Herr, unsere Äbtissin ist verschwenderisch mit ihren Blitzen, und diese Exkommunikation, womit sie mich bedroht, habe ich mir bereits zugezogen; aber ich hoffe, Gott wird sie nicht bestätigen, denn sie hat mich nicht elend, sondern glücklich gemacht. Ich will Ihnen also aufrichtig sagen, daß Ihre Besuche jetzt das Glück meines Lebens sind, und ich werde mich doppelt glücklich schätzen, wenn Sie mit Vergnügen zu mir kommen. Aber ich hätte wohl einen Wunsch, wenn Sie mir diesen erfüllen könnten, ohne gegen eine Pflicht der Verschwiegenheit zu verstoßen: ich möchte, daß Sie mir sagen, für wen Sie mich gehalten haben, als Sie das erstemal im Dunkeln mit mir zusammen kamen; denn Sie können sich nicht vorstellen, wie überrascht ich war und welche Angst ich hatte. Ich hatte keine Ahnung von solchen Küssen, wie die, womit Sie mein Gesicht bedeckten; abey diese haben meine Exkommunikation nicht verschlimmern können, denn ich empfing sie ohne meine Einwilligung, und Sie haben mir ja später selber gesagt, daß sie einer anderen galten.«

»Madame, ich werde Ihren Wunsch erfüllen. Ich kann es tun, denn Sie wissen jetzt, daß wir Menschen sind, daß das Fleisch schwach, oder eigentlich oftmals stärker ist als der Geist, und daß es die stärksten Seelen dazu fortreißt, gegen die Vernunft zu verstoßen. Sie werden alle Wechselfälle einer zweijährigen Liebschaft mit der schönsten und klügsten von allen Nonnen meines Vaterlandes hören.«

»Sagen Sie mir alles, mein Herr! Da ich in denselben Fehler verfallen bin, so würde ich ungerecht und unmenschlich sein, wenn ich an irgendeinem Umstände Anstoß nähme; denn gewiß haben Sie mit ihr mehr gemacht als Coudert mit mir gemacht hat.«

»Ich habe viel mehr gemacht, Madame, und viel weniger als Ihr Buckliger; denn ich habe ihr kein Kind gemacht. Hätte ich dieses Unglück gehabt, so würde ich sie entführt haben und mit ihr nach Rom gegangen sein. Wir hätten uns dem Heiligen Vater zu Füßen geworfen; er hätte sie von ihrem Gelübde entbunden, und meine liebe M. M. würde heute meine Gattin sein.«

»Großer Gott! M. M. ist mein Name!«

Dieser Umstand, der im Grunde nichts zu bedeuten hatte, machte doch unser Zusammentreffen zu etwas Wunderbarem und setzte mich nicht weniger in Erstaunen als sie. Es war ein eigentümlicher, nichtiger Zufall; aber ein solcher wirkt oft sehr stark auf befangene Geister und kann dann die wichtigsten Folgen haben.

Nachdem ich einige Minuten geschwiegen hatte, erzählte ich ihr alles was zwischen der schönen Venetianerin und mir vorgegangen war. Ich schilderte unsere Liebeskämpfe in lebhaften und natürlichen Farben; denn es war nicht nur die Erinnerung noch meinem Geiste gegenwärtig, sondern ich hatte auch ihr lebendes Abbild vor den Augen, und ich konnte auf ihrem Gesicht die Wirkung verfolgen, die meine Erzählung hervorbrachte. Als ich fertig war, fragte sie mich: »Aber gleicht Ihre M. M. mir wirklich so sehr, daß Sie sich täuschen konnten?«

Ich zog aus meiner Brieftasche das Porträt, worauf sie als Nonne abgebildet war, und antwortete ihr: »Urteilen Sie selber!«

»Es ist wahr, abgesehen von den Augen ist es vollkommen mein Bild. Dieselbe Tracht, dasselbe Gesicht – geradezu ein Wunder! Welcher Zufall! Dieser Ähnlichkeit verdanke ich mein ganzes Glück. Gelobt sei Gott, daß Sie mich nicht lieben, wie Sie diese Nonne geliebt haben, die ich mit Vergnügen meine Schwester nenne! Unerforschliche Vorsehung, alle deine Wege sind anbetungswürdig, und wir sind nur gebrechliche, unwissende und stolze Sterbliche!«

Die gute Bäuerin kam herein und brachte uns ein Abendessen, das noch besser war als das vorige. Die Kranke aß nur eine Suppe, aber sie versprach mir, am nächsten Tage würde sie mir die Spitze bieten.

Nachdem ihre Wirtin den Tisch abgeräumt hatte, verbrachte ich noch eine Stunde mit ihr; durch mein zurückhaltendes Benehmen bestärkte ich sie in ihrer irrtümlichen Annahme, daß ich nur die Gefühle eines Vaters für sie hätte. Sie ließ mich aus eigenem Antriebe sehen, daß ihr Busen wieder seine natürliche Form annahm.

Ich überzeugte mich davon mit meinen eigenen Händen, ohne daß sie den geringsten Widerstand leistete, denn sie begriff gar nicht, daß dies irgendeinen Eindruck auf mich machen könnte. Die Küsse, womit ich ihre Augen und Lippen bedeckte, schrieb sie der innigen Freundschaft zu, die sie bei mir voraussetzte. Sie sagte mir lächelnd, sie danke Gott, daß sie nicht blond sei wie ihre Schwester, und ich lächelte über ihre Naivität.

Aber dieses Spiel ließ sich nicht lange durchhalten, und ich mußte vorsichtig vorgehen. Sobald ich daher fühlte, daß das Gefühl meine Vernunft unterjochen wollte, gab ich ihr einen letzten Kuß und entfernte mich schnell. In meinem Zimmer übergab Leduc mir ein Briefchen der Madame Zeroli, die mir schrieb, wir würden uns am Brunnen sehen, weil sie von der Geliebten des Marquis zum Essen eingeladen wäre.

Ich schlief gut, aber meine Phantasie führte mir im Schlummer die Reize meiner neuen M. M. vor. Am Morgen sagte Frau Zeroli mir beim Brunnen, die ganze Gesellschaft behaupte, daß ich verlieren müßte, wenn ich auf dreizehn Karten gleichzeitig spielte; denn es wäre nicht wahr, daß in jeder Taille eine Karte viermal gewänne; der Marquis hätte dies zugegeben, trotzdem aber gesagt, er würde mir nicht mehr erlauben, auf diese Art zu spielen.

»Dabei wäre nur eine einzige kleine Schwierigkeit – nämlich die, daß er, wenn ich es wollte, nichts anderes dagegen machen könnte, als daß er das Spiel aufgebe.«

»Seine Geliebte hat sich erboten, Sie zu veranlassen, daß Sie wieder wie gewöhnlich spielen.«

Ich dankte ihr lächelnd.

In den Gasthof zurückgekehrt, machte ich eine Partie Quinze mit dem Marquis und verlor fünfzig Louis; hierauf ließ ich mich überreden, eine Bank zu legen. Ich holte mir fünfhundert Louis und setzte mich an den Tisch, um das Glück herauszufordern. Ich nahm Desarmoises zum Croupier und erklärte, ich würde keine Karte halten, die nicht mit ihrem Einsatz belegt wäre, und würde um halb acht aufhören. Ich saß zwischen den beiden Schönen. Ich legte meine fünfhundert Louis vor mich hin und ließ mir vom Wirt hundert Sechsfrankentaler geben, um die Damen zu amüsieren Aber es trat ein Hindernis ein.

Da ich vor mir nur ausgepackte Karten sah, so verlangte ich neue. Der Saalkellner sagte mir: »Ich habe nach Chambéry geschickt, um hundert Spiele kaufen zu können, und der Bote muß gleich zurückkommen. Unterdessen können Sie mit diesen hier abziehen, die so gut wie neu sind.«

»Ich will keine Karten, die so gut wie neu sind, sondern ganz neue. Ich habe Vorurteile, mein guter Freund, und diese sind so stark, daß niemand sie besiegen kann. Bis Ihr Mann zurückkommt, werde ich Zuschauer sein. Es tut mir aufrichtig leid, daß ich die Damen warten lassen muß.«

Niemand wagte auch nur die geringste Bemerkung zu machen, und ich verließ meinen Platz, nachdem ich mein Geld in die Taschen gesteckt hatte.

Der Marquis de Prié hielt die Bank und spielte sehr vornehm. Ich setzte mich neben Frau Zeroli, die mich an ihrem kleinen Spiel beteiligte und mir am anderen Morgen fünf oder sechs Louis gab. Der Bote, der sofort von Chambéry zurückkommen sollte, kam erst um Mitternacht. Ich war froh, so gut weggekommen zu sein; denn in Savoyen und besonders unter den Spielern gibt es Leute, die schärfere Augen haben als ein Luchs. Ich legte mein Geld wieder in meine Kassette und ging ins freie Feld hinaus.

Da ich meine schöne Nonne noch im Bett fand, fragte ich sie: »Wie befinden Sie sich heute, Madame?«

»Nennen Sie mich doch Tochter! Dieses Wort ist so süß, daß ich wünschte, Sie wären mein Vater, um sie ohne jede Scheu in die Arme schließen zu können.«

»Nun, meine liebe Tochter, fürchte nichts und öffne mir deine Arme.«

»Ja, umarmen wir uns!«

»Meine Kinder sind heute hübscher als gestern; gib sie her und laß mich daran saugen!«

»Welche Torheit! Aber, lieber Papa, ich glaube gar, du trinkst die Milch deiner armen Tochter.«

»Sie ist so süß, liebes Herz, und die paar Tropfen, die ich verschluckt habe, machen mich so glücklich. Du kannst nicht böse darüber sein, mir dieses unschuldige Vergnügen gewährt zu haben.«

»Nein, ganz gewiß bin ich nicht böse darüber, denn du hast mir ein größeres Vergnügen gemacht. Ich werde dich nun nicht mehr meinen Papa, sondern mein Bübchen nennen.«

»Wie freut es mich, dich heute Abend bei so guter Laune zu finden.«

»Ich bin es, weil du mich glücklich gemacht hast. Ich fürchte nichts mehr und fühle, daß der Friede wieder in meine Seele zurückgekehrt ist. Die Bäuerin hat mir gesagt, in wenigen Tagen werde ich wieder ebenso sein, wie ich war, bevor ich Coudert kannte.«

»Doch nicht ganz ebenso; der Leib zum Beispiel …«

»Schweig! Es ist unmöglich, daran etwas zu erkennen. Ich bin selber ganz erstaunt darüber.«

»Laß mich sehen.«

»O nein, nicht sehen, lieber Freund! Aber fühlen darfst du.«

»Du hast recht.«

»O! nicht dort,bitte!«

»Warum denn nicht? Du kannst doch auch nicht anders beschaffen sein als deine liebe Schwester, die jetzt etwa dreißig Jahre sein mag. Ich will dir ihr Bild zeigen, worauf sie ganz nackt ist.«

»Hast du es? Es würde mir Freude machen, es zu sehen.«

Ich zog das Bild aus meiner Tasche und gab es ihr. Sie bewunderte es, küßte es, und fragte mich, ob es nach der Natur gemalt sei.

»Ganz gewiß; sie wußte, daß mir dies Vergnügen machen würde.«

»Wie schön es ist! Es ähnelt mir mehr als das andere. Aber der Maler hat ihr so lange Haare gemacht, um dir damit ein Vergnügen zu bereiten.«

»Durchaus nicht. Die Nonnen sind bei uns nur verpflichtet, ihre Haare nicht von Männern sehen zu lassen.«

»Wir haben dasselbe Vorrecht, man schneidet uns die Haare ein einziges Mal; hierauf lassen wir sie wachsen, wie wir wollen.«

»Du hast also lange Haare?«

»So lang wie diese; aber sie werden dir nicht gefallen, denn sie sind schwarz.«

»Was sagst du da! Das ist ja meine Lieblingsfarbe. Um Gottes willen zeige sie.«

»Um Gottes willen verlangst du ein Verbrechen von mir, denn ich verfalle abermals der Exkommunikation. Aber ich kann dir nichts abschlagen; du wirst sie nach dem Abendessen sehen, denn ich will der Bäuerin kein Ärgernis geben.«

»Du hast recht, liebe Freundin; ich finde, dn bist ein entzückendes Geschöpf. Ich werde vor Schmerz sterben, wenn du diese Hütte verläßt, um in dein trauriges Gefängnis zurückzukehren.«

»Ich muß wohl dorthin zurückkehren, um meine Sünden abzubüßen.«

»Ich hoffe, du wirst so vernünftig sein, über die dummen Bannflüche der Äbtissin zu lachen.«

»Ich beginne schon, sie nicht mehr so sehr zu fürchten.«

Ich war wonnetrunken, denn ich sah voraus, daß ich nach dem Abendessen vollkommen glücklich sein würde.

Als die Bäuerin wieder herein kam, gab ich ihr wiederum zehn Louis. An ihrer außerordentlichen Überraschung merkte ich, daß sie mich für verrückt hielt. Um sie zu beruhigen, sagte ich ihr, ich sei sehr reich, und es sei mein Wunsch, sie zu überzeugen, daß ich nie genug tun zu können glaube, um ihr meine Dankbarkeit für ihre liebevolle Pflege der würdigen Nonne zu bezeigen.

Sie weinte, küßte mir die Hände, und setzte uns eine köstliche Mahlzeit vor. Die Nonne aß gut und trank ganz tapfer; aber meine Seele war zu freudig, und in meinem Herzen war ein brennendes Verlangen; darum konnte ich ihrem Beispiel nicht folgen. Mich verlangte zu sehr, die schönen schwarzen Haare dieses Opfers ihrer Gutmütigkeit zu sehen. Dieser Appetit ließ für keinen anderen Platz.

Sobald die Bäuerin uns nicht mehr durch ihre Gegenwart störte, nahm sie ihre Haube ab und ließ auf ihre Alabasterschultern ihr dichtes, ebenholzschwarzes Haar herabfallen, das die Weiße ihrer Haut noch mehr hervorhob und eine entzückende Wirkung hervorbrachte. Sie legte das Porträt vor sich hin und machte sich das Vergnügen, ihre langen Haare wie die meiner ersten M. M. zu ordnen.

»Du scheinst mir schöner zu sein als deine Schwester,« sagte ich zu ihr; »aber ich glaube, sie war zärtlicher als du.«

»Zärtlicher, das ist möglich; aber nicht besser.«

»Ihr Liebesverlangen war viel lebhafter als das deinige.«

»Das glaube ich, denn ich habe niemals geliebt.«

»Das ist überraschend. Aber die Natur, der sinnliche Drang?«

»Das sind Sachen, lieber Freund, die wir im Kloster leicht beschwichtigen. Wir beichten es, denn wir wissen, daß es eine Sünde ist; aber der Beichtvater betrachtet diese Sache als eine Kinderei und spricht uns los, ohne uns auch nur eine Buße aufzulegen.«

»Er kennt die menschliche Natur und weiß eure traurige Lage zu würdigen.«

»Er ist ein alter Priester, sehr gelehrt und von strengen Sitten; aber er ist die Nachsicht selber. Die Trauer wird groß sein, wenn wir ihn eines Tages verlieren.«

»Aber fühlst du nicht bei deinen Liebesscherzen mit einer anderen Nonne, daß es eine schönere Liebe sein würde, wenn sie im Augenblick des Glückes sich in einen Mann verwandeln könnte?«

»Du machst mich lachen. Wenn meine Freundin ein Mann würde, so würde mir dies freilich nicht mißfallen; aber glaube mir, unsere Lust ist nicht so groß, daß wir dieses Wunder herbeiwünschen sollten.«

»Vielleicht ist nur ein Mangel an Temperament daran schuld. In dieser Hinsicht übertraf deine Schwester dich, denn sie zog mich bei weitem ihrer Freundin C. C. vor; du aber würdest mich nicht der Freundin vorziehen, die du im Kloster gelassen hast.«

»Nein, ganz gewiß nicht; denn mit dir würde ich mein Keuschheitsgelübde verletzen und würde mich Folgen aussetzen, vor denen ich jetzt zittere, so oft ich daran denke.«

»Du liebst mich also nicht?«

»Was wagst du da zu sagen? Ich bete dich an, und es tut mir recht leid, daß du nicht ein Weib bist.«

»Ich liebe dich ebenfalls; aber über deinen Wunsch muß ich lachen, denn ich mochte kein Weib werden, um dir zu gefallen, zumal da ich überzeugt bin, daß ich dich nicht so schön finden würde, wenn ich ein Weib wäre. Setze dich etwas mehr aufrecht, meine liebenswürdige Freundin, und laß mich sehen, wie deine schönen Haare die Hälfte deines schönen Leibes bedecken.«

»Aber da muß ich ja mein Hemd herunterlassen?«

»Natürlich. Gut so! Wie schön du bist! Laß mich an deinen schönen Brüsten saugen; ich bin ja dein Püppchen.«

Nachdem sie mir diesen Genuß gewährt hatte, sah sie mich mit der größten Freundlichkeit an und erlaubte mir, ihren nackten Leib mit meinen Armen zu umschlingen. Sei es, daß sie nicht wußte, welchen Genuß ich dabei empfand, sei es, daß sie sich nur so stellte, genug, sie sagte zu mir:

»Wenn man der Freundschaft eine solche Befriedigung gewähren kann, so ist sie der Liebe vorzuziehen; denn ich habe niemals in meinem Leben einen süßeren Genuß gehabt, als du ihn mir verschafftest, indem deine Lippen sich auf meinen Busen preßten. Erlaube mir, bei dir das gleiche zu tun.«

»Gerne, mein Herz; aber du wirst nichts finden.«

»Einerlei; wir werden doch lachen.«

Nachdem sie ihre Lust befriedigt hatte, lagen wir eine Viertelstunde lang einander in den Armen, und ich befand mich in einem unerträglichen Zustande.

»Sage mir die Wahrheit,« sagte ich zu ihr, »fühlst du nicht in der Glut unserer Küsse während dieser Entzückungen, die wir kindisch nennen wollen, viel größere Begierden?«

»Ja, ich gestehe es dir; aber diese Begierden sind strafbar, ich bin überzeugt, daß deine Wünsche nicht weniger heiß sind als die meinigen, und darum werden wir gut tun, mit diesen angenehmen Scherzen aufzuhören, denn, lieber Papa, unsere Freundschaft wird glühende Liebe – nicht wahr?«

»Ja, liebe Tochter, Liebe, unbesiegliche Liebe!«

»Ich fühle es wohl.«

»Wenn du es fühlst, so laß uns sie durch das süßeste Opfer ehren.«

»Nein, lieber Freund, nein, im Gegenteil, machen wir ein Ende, seien wir in Zukunft vorsichtiger und setzen wir uns nicht mehr der Gefahr aus, ihr Opfer zu werden. Wenn du mich liebst, mußt du ebenso denken wie ich.«

Mit diesen Worten entwand sie sich sanft meinen Armen und steckte ihre schönen Haare wieder unter ihre Haube. Ich half ihr, ihr grobes Leinwandhemd, das meinen Abscheu erregte, wieder anzuziehen, und sagte ihr, sie könne ruhig sein. Als ich ihr mein Bedauern aussprach, ihren schönen Leib durch eine so grobe Leinwand zerschunden zu sehen, sagte sie mir, sie sei daran gewöhnt, und alle Nonnen ihres Klosters trügen ebenfalls solche Hemden.

Ich fühlte mich sehr bedrückt, denn der Zwang, den ich mir auferlegte, schien mir unendlich viel größer zu sein als der Genuß, den eine vollkommene Befriedigung mir gewährt haben würde. Indessen dachte ich nicht daran, weiter zu gehen, ebensowenig aber, von meinem Vorhaben abzulassen. Ich mußte die Gewißheit haben, daß ich nicht den geringsten Widerstand finden würde. Ein gefaltetes Rosenblatt störte den berühmten Smyndirides, der die Weichheit seines Bettes liebte. Ebenso zog ich es vor, lieber zu gehen, als das Rosenblatt zu finden, das den wollüstigen Sybariten belästigt hatte. Verliebt und unglücklich entfernte ich mich, und nachdem ich um zwei Uhr morgens zu Bett gegangen war, schlief ich bis zum Mittag.

Bei meinem Erwachen gab Leduc mir ein Briefchen, das er mir eigentlich vor dem Zubettgehen hätte geben sollen. Er hatte es vergessen, und ich war ihm darob nicht böse. Madame Zeroli schrieb mir, sie erwarte mich um neun Uhr in ihrem Zimmer, wo sie allein sein werde. Ferner schrieb sie, sie gebe ein Abendessen und verlasse sich darauf, daß ich daran teilnehmen werde; da sie gleich darauf abreisen müsse, so nehme sie an, daß ich mit ihr fahre oder sie doch mindestens bis Chambéry begleiten werde. Obgleich ich sie noch liebte, konnte ich doch über alle diese Ansprüche nur lächeln. Sie um neun Uhr zu besuchen, war es zu spät; zum Souper konnte ich mich nicht verpflichten wegen meiner schönen Nonne, die ich in diesem Augenblick nicht um den ganzen Harem des Großtürken aufgegeben haben würde, und sie bis Chambéry zu begleiten war mir unmöglich, da ich vielleicht bei meiner Rückkehr den einzigen Gegenstand, der mich an Aix fesselte, nicht mehr vorgefunden hätte.

Indessen ging ich doch zu ihr, sobald ich mit meinem Anzug fertig war. Ich fand sie wütend. Ich bat sie um Entschuldigung, indem ich ihr sagte, ich hätte ihr Schreiben erst vor einer Stunde empfangen. Sie ging jedoch hinaus, ohne auf mich zu hören, und ließ mir nicht einmal soviel Zeit, ihr zu sagen, daß ich ihr nicht versprechen könnte, zu ihrem Abendessen zu kommen und ebensowenig sie bis Chambéry zu begleiten.

Bei Tisch schmollte sie mit mir.

Nach dem Essen sagte der Marquis de Prié zu mir, es seien neue Karten da und die ganze Gesellschaft wünsche, daß ich eine Bank auflege. Die Gesellschaft war zahlreich, denn eine Anzahl Herren und Damen waren am Morgen von Genf gekommen. Ich holte Geld und legte eine Bank von fünfhundert Louis auf. Um sieben Uhr hatte ich mehr als die Hälfte derselben verloren. Dadurch ließ ich mich jedoch nicht zurückhalten; ich steckte den Rest in meine Börse und ging.