20. Novelle

Lydia, die Gemahlin des Nikostratus, verliebt sich in ihren Diener Pyrrhus. Dieser fordert drei Beweise, um sich davon zu überzeugen. Lydia gibt sie ihm nicht nur, sondern läßt sich auch in Gegenwart ihres Gemahls von ihm liebkosen und weiß dennoch diesem einzureden, daß er nichts gesehen habe.

In Argos, einer alten Stadt in Achaja, die durch ihre Könige mehr als durch ihre Größe berühmt geworden ist, war einst ein Mann von Stand namens Nikostratus, dem das Schicksal in seinem Alter noch eine junge, vornehme Dame zur Gattin bescherte, die ebenso unternehmend als schön war und Lydia hieß. Reich wie er war, lebte er auf großem Fuße und hielt eine Menge Diener, Hunde und Falken, denn er liebte die Jagd mit Leidenschaft. Unter anderm hatte er einen Diener, der ebenso anmutig, manierlich und von schöner Gestalt war, als gewandt in allen Dingen, die er unternahm. Er hieß Pyrrhus und besaß vor allen andern seine besondere Gunst und sein Zutrauen. In diesen verliebte Lydia sich derart, daß ihre Gedanken Tag und Nacht nur auf ihn gerichtet waren. Pyrrhus aber, der entweder ihre Liebe nicht bemerkte oder sie nicht bemerken wollte, schien sich darum gar nicht zu bekümmern. Dies war ihr sehr empfindlich, und sie faßte den festen Vorsatz, ihn aufmerksam darauf zu machen. Sie rief demnach eine von ihren Mägden namens Lusca zu sich, auf die sie großes Vertrauen setzte, und sprach zu ihr: »Lusca, die Wohltaten, die ich dir erwiesen habe, müssen mir billig deine Treue und deinen Gehorsam verbürgen; sieh dich also vor, daß von dem, was ich dir jetzt anvertrauen will, niemand etwas erfährt als der, den ich dir nenne. Du siehst, Lusca, ich bin ein junges, frisches Weib, ich besitze alles im Überfluß, was eine Frau sich nur wünschen kann, und es fehlt mir in der Welt an nichts als an einer Sache: das Alter meines Gemahls ist dem meinigen nicht angemessen; ich finde mich demnach mit dem schlecht versorgt, was den jungen Frauen das liebste ist, und da mich nicht weniger als andere danach verlangt, und das Schicksal mir so wenig günstig gewesen ist, daß es mir einen alten Mann beschieden hat, so ist es schon längst bei mir beschlossen, daß ich nicht meine eigene Feindin sein und mein Glück und Vergnügen vernachlässigen will. Um dieses ebenso vollkommen als alles übrige zu genießen, habe ich mir Pyrrhus, als den würdigsten vor allen andern, ausersehen, daß seine Umarmungen es mir verschaffen sollen. Ich habe mein Herz so sehr an ihn gehängt, daß mir nicht wohl ist, wenn ich ihn nicht sehe oder an ihn denke; und wenn ich nicht bald mit ihm zusammen sein kann, so glaube ich wahrlich, daß es mir noch das Leben kostet. Wenn dir also mein Leben lieb ist, so erkläre ihm auf die schicklichste Weise meine Liebe und bitte ihn, daß er zu mir komme, wenn ich ihn durch dich werde rufen lassen.«

Die Zofe war bereit; sie nahm die erste Gelegenheit wahr, Pyrrhus auf die Seite zu ziehen und den Auftrag ihrer Frau auszurichten.

Pyrrhus, der sich nie dergleichen vermutet hatte und fürchtete, die Dame ließe ihm das nur sagen, um ihn in Versuchung zu führen, gab rasch und mit Härte zur Antwort: »Lusca, ich kann nicht glauben, daß meine Gebieterin solche Worte gesprochen hat; bedenke also wohl, was du sprichst; denn wenn dies auch wirklich von ihr käme, so glaube ich doch nicht, daß es ihr Ernst gewesen sei, und wenn es ihr Ernst gewesen wäre, so hält mich doch mein Herr mehr in Ehren, als ich verdiene, und ich würde ihm eine solche Beleidigung nicht zufügen, wenn ich auch wüßte, mein Leben damit zu retten. Hüte dich also, daß du mir mit dergleichen Reden nie wieder vor die Augen kommst.«

Lusca ließ sich durch seine barsche Antwort nicht schrecken. »Pyrrhus,« sagte sie, »ich werde von diesen Dingen und von allem, was meine Frau mir befiehlt, mit dir reden, so oft sie es mir aufträgt, es mag dir lieb oder leid sein, aber nimm mir’s nicht übel, du bist ein Schafskopf.«

Damit verließ sie ihn ein wenig verdrießlich und ging zu ihrer Frau, die sich über seine Antwort fast zu Tode grämen wollte. Nach einigen Tagen sprach sie indessen wieder zu ihrer Zofe: »Lusca, du weißt, der Baum fällt nicht auf den ersten Hieb; ich dächte also, du gingest wieder zu dem Halsstarrigen, der sich zu meinem Kummer auf eine sonderbare Art pflichtgetreu bezeigt, und schilderst ihm zu gelegener Zeit die ganze Glut meines Herzens. Kurz, gib dir alle mögliche Mühe, die Sache zustande zu bringen; denn wenn wir es bewenden lassen, so bricht mir das Herz und Pyrrhus wird meinen, ich hätte ihn nur zum besten gehabt, und wird mich hassen, da ich doch seine Liebe zu gewinnen wünsche.« Die Zofe bat ihre Frau, guten Muts zu sein; sie ging wieder zu Pyrrhus, und weil sie ihn bei heiterer Laune antraf, sprach sie zu ihm: »Pyrrhus, vor einigen Tagen sagte ich dir, wie sehr unsere Gebieterin von Liebe zu dir entzündet wäre, und ich bringe dir jetzt von neuem die Bestätigung davon. Wenn du dich ferner noch so hartnäckig zeigest wie neulich, so sei versichert, daß sie nicht lange leben wird. Laß dich demnach erbitten, ihre Wünsche zu erfüllen; denn wenn du noch länger auf deinem Eigensinn bestehst so mußt du dich künftig als einen Toren betrachten, da ich dich doch immer für einen vernünftigen Menschen gehalten habe. Mußt du es dir nicht zur Ehre schätzen, dich von einer so schönen und edlen Frau geliebt zu wissen? Und überdies, wie sehr hast du Ursache, dem Glück zu danken, daß es dir ein solches Kleinod darbietet, das nicht nur deinen jugendlichen Wünschen so angemessen ist, sondern dir auch eine nie versiegende Quelle öffnet, um alle deine Bedürfnisse zu befriedigen? Wo findest du einen von deinesgleichen, dem größere Freuden bevorstehen als dir wenn du gescheit bist? Welcher andere wird mit Waffen und Pferden, mit Geld und mit Kleidern reichlicher versorgt sein als du, wenn du ihre Liebe erwiderst? Öffne demnach dein Herz meinen Worten, kehre in dich und bedenke, daß nur einmal das Glück uns mit lächelndem Blick und mit offenem Schoß entgegenkommt. Wer alsdann nicht weiß, sich ihm in die Arme zu werfen, und muß hernach darben und betteln, der beklage sich nicht über das Unglück, sondern nur über sich. Überdies mußt du das Band der Treue zwischen Herrn und Diener nicht für so heilig halten als zwischen Verwandten und Freunden, sondern es ist genug, wenn der Diener sich bestrebt, seinem Herrn so redlich zu begegnen wie dieser ihm. Und meinst du denn, wenn du eine schöne Frau oder Mutter oder Tochter oder Schwester hättest, die dem Nikostratus gefiele, daß er sich so gewissenhaft gegen dich betragen würde, wie du mit ihm in Rücksicht auf seine Gemahlin verfahren willst? Du wärest ein Tor, wenn du es glaubtest. Sei versichert, wenn Bitten und Schmeicheleien nicht helfen wollten, so würde er auch wohl zu Zwangsmitteln greifen, es möchte dir behagen, wie es wolle. Laß uns also gegen sie und die Ihrigen so verfahren, wie sie es mit uns machen und mit allem, was uns angehört. Genieße die Wohltat des Glückes; stoße es nicht von dir, sondern komm ihm entgegen und nimm es auf, wenn es dich besucht. Denn wahrlich, wenn du es nicht tust, so wirst du nicht nur deiner Gebieterin den gewissen Tod bereiten, sondern du wirst es so oft und so lange bereuen, daß du dir selber den Tod wünschen wirst.«

Pyrrhus, der mehr als einmal über die erste Botschaft der Lusca nachgedacht hatte, war bereits entschlossen, wenn sie noch einmal wiederkäme, ihr eine andere Antwort zu geben und sich ganz in den Willen seiner Gebieterin zu fügen, sobald er gewiß versichert sein könne, daß man ihn nicht bloß auf die Probe stellen wolle. »Höre, Lusca,« gab er ihr zur Antwort, »ich sehe wohl ein, daß alles wahr ist, was du mir sagst; allein andererseits kenne ich auch meinen Herrn als einen sehr klugen und scharfsichtigen Mann, und da er mir alle seine Sachen anvertraut, so fürchte ich, daß Lydia dies alles mit seinem Wissen und Willen so angestellt hat, um mich zu versuchen. Wenn sie aber, um mich zu beruhigen, drei Dinge erfüllen will, so soll sie mir nach diesem nichts befehlen können, worin ich ihr nicht auf der Stelle gehorche. Die drei Dinge, die ich von ihr fordere, sind folgende: Erstlich muß sie dem besten Falken ihres Gemahls in seiner Gegenwart den Hals umdrehen; zweitens muß sie mir ein Büschel Haare aus dem Barte des Nikostratus und drittens einen von den besten Zähnen aus seinem Munde schicken.«

Diese Forderung fand Lusca sehr hart, und Lydia fand sie noch härter. Doch Amor, der ein meisterhafter Tröster und ein listenreicher Ratgeber ist, bewog sie, die Ausführung zu unternehmen. Sie ließ also dem Pyrrhus durch ihre Magd sagen, daß alles, was er verlangt hätte, gewiß und bald geschehen solle, und weil er doch seinen Herrn für so klug und weise hielt, so verspreche sie ihm noch überdies, daß er ihre erste Gunstbezeigung in seiner Gegenwart genießen, und daß Nikostratus dennoch das, was er selbst gesehen hätte, für nicht geschehen halten solle. Pyrrhus war voll Erwartung, wie sie sich dabei benehmen würde.

Nach einigen Tagen, als Nikostratus ein großes Gastmahl gab und, wie er oft zu tun pflegte, einige Edelleute bewirtete, trat Lydia nach aufgehobener Tafel in einem grünen Samtkleide und völlig geschmückt, in den Speisesaal, ging nach der Stange, auf der der Lieblingsfalke ihres Gemahls saß, nahm ihn in Gegenwart der Gäste und des Pyrrhus herunter, als wollte sie ihn zur Jagd auf die Hand setzen, ergriff ihn bei den Fängen, schlug ihm den Kopf an die Mauer und tötete ihn.

»Wehe, Weib, was hast du getan!« fuhr Nikostratus sie an.

Sie antwortete ihm nicht, sondern wandte sich an die Herren, die bei ihm zu Gast waren und sagte: »Meine Herren ich würde mich nicht scheuen, mich an einem Könige zu rächen, der mich beleidigt hätte; wieviel mehr denn an einem Falken? Ihr müßt wissen, daß dieser Falke mich schon längst um all die Zeit gebracht hat, die ein Ehemann billig dem Vergnügen seiner Frau widmen sollte. Denn sowie die Morgenröte aufgeht, steht Nikostratus auf, steigt zu Pferde und durchstreift mit seinem Falken auf der Hand die Fluren, um ihn stoßen zu sehen, indes ich einsam, allein und mißmutig im Bett zurückbleiben muß. Ich habe deswegen schon mehr als einmal Lust gehabt, zu tun, was ich jetzt tat, und ich habe es bisher nur deswegen unterlassen, weil ich wünschte, daß es in Gegenwart solcher Männer geschehen sollte, wie ihr seid, die über mein Verfahren ein gerechtes Urteil fällen können.«

Die Edelleute, die dies anhörten und nichts anderes glaubten, als daß ihre Zärtlichkeit für ihren Gemahl mit ihren Worten übereinstimmte, sagten lachend zu dem erzürnten Nikostratus: »Wahrlich, Eure Gemahlin hat recht und hat wohlgetan, ihr erlittenes Unrecht durch den Tod des Falken zu rächen.« Nachdem Lydia sich wieder in ihre Zimmer begeben hatte, scherzten die Männer noch mit ihrem Gemahl über den Vorfall und verwandelten seinen ganzen Zorn in Lachen. Pyrrhus, der alles mit angesehen hatte, dachte: Der Anfang ist gut und scheint für meine Liebe von guter Vorbedeutung zu sein. Wollten die Götter, daß sie so fortfahre.

Nachdem Lydia den Falken getötet hatte, waren kaum einige Tage verflossen, so fing sie in ihrem Zimmer mit ihrem Gemahl, der mit ihr scherzte, einen kleinen verliebten Zwist an, wobei er sie im Scherz ein wenig bei den Haaren zupfte und ihr dadurch Anlaß gab, ihr zweites Versprechen zu erfüllen. Sie faßte nämlich ihren Herrn Gemahl zur Vergeltung beim Bart und rupfte ihm ein Zipfelchen Haar glatt aus der Haut, und als Nikostratus zürnen wollte, sagte sie lachend zu ihm: »Warum machst du solch ein saures Gesicht, daß ich dir ein halbes Dutzend Haare aus dem Bart rupfe? Es hat dir gewiß nicht halb so wehgetan als mir, wie du mich eben bei den Haaren zogest.« Indem sie nun noch eine Weile miteinander tändelten, fand sie Gelegenheit, das Zipfelchen Barthaar zu sich zu stecken, und sandte es noch am gleichen Tage ihrem teuern Geliebten. Die dritte Bedingung machte ihrem Scharfsinn mehr zu schaffen; doch da sie vielen Witz besaß, den die Liebe noch mehr geschärft hatte, so fand sie bald ein Mittel, auch diese zu erfüllen.

Nikostratus hatte zwei junge Edelknaben in seinem Dienst, die ihm von ihren Eltern anvertraut waren, um in seinem Hause adlige Sitten zu lernen; der eine diente ihm bei Tisch als Vorleger und der andere als Mundschenk. Diese ließ Lydia zu sich rufen und redete ihnen ein, daß sie aus dem Munde röchen. Sie sollten deswegen, wenn sie ihrem Herrn bei Tisch aufwarteten, das Gesicht so viel wie möglich von ihm abwenden und sich übrigens gegen niemand etwas davon merken lassen. Nachdem die Knaben, die ihr glaubten, dieses ein paar Tage befolgt hatten, nahm sie Gelegenheit, ihren Gemahl zu fragen, ob er das Betragen der Knaben wohl bemerkt hätte.

»Jawohl,« sprach Nikostratus, »und ich habe sie schon fragen wollen, was sie damit meinen.«

»Tue es nicht,« sprach Lydia, »denn ich kann es dir selbst erklären. Ich habe bisher davon geschwiegen, weil ich dich nicht kränken wollte. Weil ich aber jetzt finde, daß es andere schon gemerkt haben, so lohnt es sich nicht, es dir länger zu verhehlen. Es ist nichts anderes, als daß du gewaltig aus dem Munde riechst, und ich weiß selbst nicht, woher es kommt, da es sonst nicht zu sein pflegte. Da du aber viel mit angesehenen Leuten umgehst, so ist es eine unangenehme Sache, und man müßte suchen, ihr abzuhelfen.«

»Woher könnte das kommen«, sprach Nikostratus. »Sollte ich etwa einen faulen Zahn im Munde haben?«

»Das ist möglich«, versetzte Lydia und führte ihn ans Fenster, ließ ihn den Mund auftun und sagte, als sie erst die eine, dann die andere Seite besichtigt hatte: »Ist es möglich, Nikostratus, daß du es solange hast aushalten können? Da hast du einen Zahn, der nicht nur angegangen, sondern schon ganz hohl ist. Wahrlich, wenn du ihn noch länger im Munde behältst, so läufst du Gefahr, daß er die andern daneben mit ansteckt. Ich rate dir, ihn ausziehen zu lassen, ehe das Übel weiter um sich greift.«

»Wenn du es meinst, so habe ich nichts dagegen«, sprach Nikostratus. »Schicke nur gleich nach einem Arzt, der ihn mir ausziehe.«

»Gott bewahre,« versetzte sie, »daß man deswegen gleich zum Arzt schicken sollte! Mich deucht, er sitzt so, daß ich selbst ihn dir ohne Schwierigkeit ausziehen kann. Die Zahnbrecher gehen überdies so rauh bei solchen Gelegenheiten zu Werk, daß ich es nicht über mein Herz bringen könnte, dich unter ihren Händen zu sehen oder zu wissen; darum will ich es lieber selbst tun. Denn wenn ich finde, daß es dich zu sehr schmerzt, so kann ich innehalten, und das würde der Arzt nicht tun.«

Sie schickte augenblicklich nach den nötigen Werkzeugen und ließ jedermann außer Lusca aus dem Zimmer gehen. Nikostratus ward auf eine Ruhebank gelegt, Lusca mußte ihn halten, und Lydia setzte ihm die Zange an einen der Zähne, brach ihn, so laut er auch schrie, mit Gewalt heraus und verbarg ihn, indem sie ihm einen alten, faulen Zahn, den sie bei der Hand hatte, in der Heftigkeit seines Schmerzes geschickt für den ausgezogenen unterschob und zu ihm sagte: »Sieh nur, was du so lange im Munde behalten hast.«

Nikostratus glaubte ihr, und soviel er auch ausgestanden hatte und noch fortwährend jammerte, so hielt er sich doch für genesen, als der Zahn heraus war; man gab ihm einige schmerzstillende Mittel, und er ging, als der Schmerz nachgelassen hatte, aus dem Zimmer. Sobald er fort war, sandte Lydia den Zahn ihrem Geliebten, der nunmehr nicht länger an ihrer Liebe zweifelte, sondern erklärte, daß er zu allen ihren Befehlen bereit wäre.

Der Dame dünkte in ihrer Sehnsucht nach Vereinigung mit dem Geliebten jede Stunde wie tausend. Dennoch hatte sie sich vorgenommen, ihm noch größere und sicherere Beweise ihrer Liebe zu geben, und wollte auch noch ihr letztes, freiwilliges Versprechen erfüllen. Zu diesem Zwecke stellte sie sich krank, und als Nikostratus sie einst des Nachmittags besuchte und nur Pyrrhus allein ihn begleitete, bat sie die beiden, sie zur Erleichterung ein wenig in den Garten zu führen. Nikostratus unterstützte sie demnach an einer Seite, Pyrrhus an der andern, und sie führten sie in den Garten, wo sie sie unter einen schönen Birnbaum auf dem weichen Rasen niedersetzten. Nachdem sie eine kleine Weile gesessen hatte, sagte Lydia zu Pyrrhus, dem sie ihre Absicht bereits entdeckt hatte: »Pyrrhus, mich verlangt sehr nach den Birnen dieses Baumes; steige doch hinauf und wirf uns einige herab.«

Pyrrhus stieg den Augenblick hinauf und warf einige Birnen hinunter. Plötzlich rief er aus:

»Ei. Herr, was beginnt Ihr da? Und Ihr, Lydia, wie könnt Ihr Euch zu dergleichen in meiner Gegenwart bequemen? Meint Ihr denn, daß ich blind bin? Ihr waret ja diesen Augenblick noch so krank; wie seid Ihr denn so schnell gesund geworden, daß Ihr solche Dinge treibt? Und wenn Ihr sie schon treiben wollt, so fehlt es Euch nicht an Zimmern; warum geht Ihr nicht lieber ins Haus, wo Ihr Euch mit mehr Schicklichkeit ergötzen könnt, als hier in meiner Gegenwart.«

»Was schwatzt Pyrrhus?« fragte Lydia ihren Gemahl. »Ist er verrückt?«

»Nein, verrückt bin ich nicht«, sprach Pyrrhus. »Aber Ihr meint wohl, daß ich nicht sehen kann.«

Nikostratus war ganz erstaunt und sagte: »Wahrlich, Pyrrhus, ich glaube, du träumst.«

»Wahrlich, ich träume nicht,« antwortete Pyrrhus, »und Ihr träumt auch nicht; Ihr regt und bewegt Euch wacker hin und her, und wenn sich dieser Birnbaum so rasch bewegte wie Ihr, so bliebe keine Birne daran sitzen.«

»Was kann das sein?« fragte Lydia. »Sollte er wirklich sowas zu sehen glauben, wie er sagt? Bei den Göttern, wenn ich so gesund wäre wie sonst, so stiege ich selbst hinauf um zu sehen, was für wunderliche Dinge ihm dort oben erscheinen.«

Pyrrhus auf seinem Baume blieb indessen bei seinen Reden, bis ihm endlich Nikostratus befahl herunterzusteigen und ihn fragte, was er denn eigentlich behaupte, gesehen zu haben.

Pyrrhus antwortete: »Ihr müßt mich wohl beide für einen Narren halten oder für einen, der aus dem Traum redet. Wenn Ihr es denn durchaus hören wollt: ich sah Euch auf Eurer Frau, und indem ich von dem Baume stieg, standet Ihr wieder auf und setztet Euch dahin, wo Ihr jetzt sitzet.«

»Wahrhaftig, du bist nicht gescheit«, sprach Nikostratus. »Wir beide haben uns nicht von der Stelle gerührt, seitdem du auf den Baum gestiegen bist.«

»Was hilft es, darüber zu streiten«, sprach Pyrrhus. »Genug, ich habe Euch gesehn, und habe ich Euch gesehn, so habe ich Euch auf Eurem eigenen Grund und Boden gesehn.«

Nikostratus erstaunte immer mehr und sagte endlich: »Ich will doch sehen, ob der Baum wirklich verzaubert ist, daß man Wunderdinge sieht, wenn man darin sitzt.« Damit kletterte er hinauf, und als er in dem Wipfel saß, begannen Pyrrhus und die Frau sich miteinander zu vergnügen. Als Nikostratus es gewahr ward, schrie er: »Ha, du treuloses Weib, was tust du? Und du, Pyrrhus, dem ich mein ganzes Vertrauen geschenkt habe?« Mit diesen Worten fing, er an, wieder vom Baume herunterzusteigen. Lydia und Pyrrhus antworteten: »Wir sitzen hier ganz still«, und indem sie ihn heruntersteigen sahen, setzten sie sich wieder an dieselbe Stelle, wo er sie verlassen hatte. Doch kaum hatte er den Fuß wieder auf der Erde, so fing er an, ihnen die ärgsten Scheltworte zu sagen. Pyrrhus sagte ganz kaltblütig: »Jetzt glaube ich wirklich, Herr, Ihr hattet vorhin recht, als Ihr sagtet, ich hätte nicht richtig gesehen, als ich im Birnbaum saß; denn ich sehe nun und bin überzeugt, daß es Euch ebenso gegangen ist wie mir. Daran könnt Ihr selbst nicht zweifeln, wenn Ihr nur bedenkt, daß Eure Gemahlin, die klügste und keuscheste der Frauen, wenn sie je imstande wäre, Euch eine solche Beleidigung zuzufügen, es gewiß nicht vor Euren Augen tun würde. Von mir selbst will ich gar nicht reden, denn ehe ich mir nur einen solchen Gedanken erlaubte, ließ ich mich lieber vierteilen; wieviel weniger würde ich es in Eurer Gegenwart tun. Darum muß wohl gewiß diese verwünschte Gesichtstäuschung an dem Birnbaum liegen, denn ich hätte mir’s von aller Welt nicht ausreden lassen, daß Ihr hier vor meinen Augen Eurer Gattin fleischlich beigewohnt hättet, wenn Ihr mir nicht sagtet, es hätte Euch geschienen, daß ich dasselbe getan hätte. Ich spreche aber die lautere Wahrheit, wenn ich sage, daß ich nicht im Traum daran gedacht habe, und noch viel weniger imstande wäre, es zu tun.«

Lydia, die sich sehr entrüstet stellte, sprang auf und sagte: »Daß dich der Himmel strafe, wenn du mich für so einfältig hältst, dergleichen Unanständigkeiten, wie du behauptest, gesehen zu haben, auch noch vor deinen Augen zu begehen! Sei versichert, wenn die Begierde mich anwandelte, ich käme nicht hierher, sondern würde wissen, im Hause Ort und Gelegenheit dazu dergestalt zu wählen, daß es mich wundern sollte, wenn du je dahinterkämst.«

Nikostratus selbst schien es einzuleuchten, daß es wohl so sein müsse, wie sie beide sagten, und daß sie sich schwerlich in seiner Gegenwart einer solchen Ungebührlichkeit schuldig machen würden. Er ließ demnach von seinen Vorwürfen und beleidigenden Reden ab und fing an, über das Wunderbare des Vorfalls zu sprechen und über die sonderbare Verblendung derjenigen, die den Birnbaum bestiegen. Lydia aber, die sich noch immer darüber erzürnt stellte, daß Nikostratus eine solche Meinung von ihr geäußert hätte, sagte: »Wahrlich, dieser Birnbaum soll, was an mir liegt, nimmermehr weder mich noch ein anderes rechtliches Weib wieder in Schande bringen. Geh, Pyrrhus, hole eine Axt und räche dich und mich an ihm, indem du ihn abhauest; wiewohl Nikostratus selbst damit einen Streich auf den Kopf verdiente, weil er sich unbedachtsamerweise die Augen des Verstandes so plötzlich verblenden ließ. Denn was ihm auch seine leiblichen Augen vorspiegelten, das hätte er doch nimmermehr glauben oder als wahr annehmen sollen.« Pyrrhus lief geschwind nach einer Axt und hieb den Baum um. Als er fiel, sprach Lydia zu ihrem Gemahl: »Jetzt, da dieser Feind meiner Ehre hingestreckt ist, entsage ich meinem Zorn.« Sie gewährte ihrem Gemahl die Verzeihung, um die er sie bat, und warnte ihn, die, die ihn über alles liebte, wieder mit solchen Dingen zu verdächtigen. Der arme betrogene Nikostratus begleitete sie nebst ihrem Liebhaber wieder nach dem Palaste, wo Pyrrhus und Lydia sich hernach oft in größerer Bequemlichkeit miteinander ergötzten.

3. Novelle

Drei Jünglinge verschwenden das Ihrige und geraten in Armut. Einer ihrer Neffen, der aus Verzweiflung nach Hause zurückkehrt, macht unterwegs mit einem Abt Bekanntschaft, den er hernach für eine Tochter des Königs von England erkennt. Sie vermählt sich mit ihm, ersetzt seinen Oheimen ihren Verlust und verhilft ihnen wieder zum Wohlstand.

In Florenz war einst ein Kavalier namens Tedaldo, von dem Geschlechte der Lamberti, wie einige behaupten wollen, obgleich andere behaupten, er habe den Agolanti zugehört, welche letzteren ihre Meinung vielleicht auf das Gewerbe stützten, das in der Folge seine Söhne trieben und das in der Familie der Agolanti Tradition geworden ist. Ohne mich darauf einzulassen, von welchem dieser Häuser er abstammte, wird es genügen, anzumerken, daß er zu seiner Zeit einer der reichsten Edelleute war, und daß er drei Söhne hatte, von denen der älteste Lamberto hieß, der zweite Tedaldo und der dritte Agolante, lauter schöne, muntere Jünglinge, von welchen jedoch der älteste kaum achtzehn Jahre alt war, als der Vater starb und ihnen, als seinen rechtmäßigen Erben, sein bewegliches und unbewegliches Vermögen hinterließ. Die Jünglinge, die einen so beträchtlichen Schatz an barem Gelde und an Grundstücken in die Hände bekamen und damit nach ihrem eigenen Belieben, ohne Einrede und Widerspruch, schalten konnten, fingen an, auf allerlei Art das Ihrige zu vertun, indem sie ein großes Haus, kostbare Pferde, Jagdhunde, Falken, offene Tafel hielten, Geschenke machten, Turniere anstellten und nicht nur lebten, wie es Edelleuten ziemt, sondern wie es ihnen nach ihrem jugendlichen Leichtsinn in den Kopf kam. Diese Lebensart konnte nicht lange dauern, ohne die väterlichen Schätze zu erschöpfen. Als ihre gewöhnlichen Einkünfte nicht zureichten, fingen sie an, ihre Grundstücke eines nach dem andern zu versetzen und zu verkaufen, und wurden es nicht eher gewahr, wie sie mit ihren Umständen nach und nach auf die Neige gerieten, bis die Armut ihnen die Augen öffnete, die der Reichtum verschlossen hatte. Lamberto berief deswegen eines Tages seine Brüder zusammen und stellte ihnen vor, in welchem Ansehen ihr Vater gelebt hätte und in welche Dürftigkeit sie durch die übermäßige Verschwendung geraten wären. Er gab sich daher alle Mühe, sie zu überreden, ehe ihre armseligen Umstände noch sichtbarer würden, seinem Rat und Beispiel zu folgen, die wenigen Güter zu verkaufen, die ihnen noch übrig geblieben wären, und davonzureisen; was sie auch taten und ohne Abschied und Aufsehen Florenz verließen und geradeswegs nach England gingen, ohne irgendwo Station zu machen. In London mieteten sie ein kleines Haus, machten wenig Aufwand und liehen ihr bißchen Geld, das ihnen geblieben, auf Wucherzinsen; hierbei war ihnen das Glück so günstig, daß sie in wenigen Jahren einen ungeheuren Reichtum sammelten. Einer nach dem andern zogen sie nun wieder nach Florenz, kauften einen großen Teil ihrer vorigen Besitztümer zurück und manches neue dazu; verheirateten sich, und da sie noch immer in England Wucher trieben, so übergaben sie dort einem ihrer Neffen namens Alessandro ihre Geschäfte; allein uneingedenk des Zustandes, in welchen ihre törichte Verschwendung sie schon einmal versetzt hatte, und ohne Rücksicht darauf, daß sie alle drei jetzt Familienväter geworden waren, fingen sie wieder an, in Florenz mehr Aufwand als je vorher zu treiben, zumal, da sie bei allen Kaufleuten großen Kredit genossen.

Einige Jahre hindurch waren sie imstande, diesen Aufwand fortzusetzen, weil ihnen Alessandro ansehnliche Summen überwies, der in England den Baronen auf ihre Liegenschaften und andere Einkünfte Geld vorstreckte und dafür ansehnliche Zinsen bezog. Indem aber die drei Brüder fortfuhren zu verschwenden und zu borgen, wenn sie nichts hatten, weil sie immer auf England oder eine Goldquelle rechneten, brach daselbst wider alles Vermuten ein Krieg aus zwischen dem Könige und einem seiner Prinzen. Darüber geriet die ganze Insel in Zwiespalt, indem es der eine mit dem Vater, der andere mit dem Sohne hielt, so daß dem Alessandro die verpfändeten Güter der Barone keine Sicherheit mehr boten und alle seine Hilfsquellen versiegten. Weil man indessen immer noch hoffte, daß zwischen dem Vater und dem Sohne wieder Frieden werden und daß Alessandro alsdann seine Gelder samt den Zinsen erhalten würde, so blieb dieser noch in England, und seine drei Oheime dachten nicht daran, ihre Ausgaben einzuschränken, so daß sie täglich tiefer in Schulden gerieten. Wie sich aber nach einigen Jahren die Hoffnung ganz verlor, daß ihre Erwartungen würden erfüllt werden, ging nicht nur ihr Kredit zu Ende, sondern ihre Gläubiger drangen auch auf Bezahlung, und da ihr Vermögen bei weitem nicht hinreichte, ihre Schulden zu tilgen, so mußten sie ins Gefängnis wandern, ihre Weiber und Kinder irrten auf den Dörfern und sonst hier und da in armseligen Lumpen umher, und es schien, als ob ihnen nichts anderes als immerdar Not und Elend bevorstände.

Alessandro, der in England verschiedene Jahre vergebens auf den Frieden gewartet hatte und besorgte, daß sein dortiger Aufenthalt ihm ebenso gefährlich werden könnte, als er unnütz war, entschloß sich, nach Italien zurückzukehren, und machte sich ganz allein auf den Weg. Wie er nun durch Brügge kam, ward er gewahr, daß ein Abt in weißer Ordenstracht mit ihm zugleich aus der Stadt ritt, den eine Menge Mönche nebst einem zahlreichen Troß begleiteten, und daß ihnen zwei Kavaliere aus altangesehenem Geschlecht, Verwandte des Königs, nachfolgten, mit denen Alessandro, als mit guten Bekannten, ein Gespräch anknüpfte und von ihnen willig zum Reisegefährten angenommen ward. Unterwegs fragte sie Alessandro im Vertrauen, wer die Mönche wären, die mit so vielem Gepäck voranzögen? Einer von den Kavalieren gab ihm zur Antwort: »Derjenige, der vor uns herzieht, ist ein junger Vetter von uns, der kürzlich zum Abt einer der reichsten Abteien in England ist erwählt worden. Weil er aber noch zu jung ist, um nach den Gesetzen mit dieser Würde bekleidet zu werden, so ziehen wir mit ihm nach Rom, um von dem Heiligen Vater Dispensation wegen seines Alters und die Bestätigung in seiner Würde zu erlangen. Aber hierüber soll mit niemand gesprochen werden.«

Da nun der junge Abt bald vorn, bald hinten im Zuge ritt, wie vornehme Herren auf Reisen wohl zu tun pflegen, so traf er einmal mit Alessandro zusammen, der ein sehr schöner und wohlgewachsener Jüngling und überaus wohlerzogen, angenehm und gebildet in seinen Sitten war, so daß er ihm auf den ersten Blick außerordentlich gefiel. Er rief ihn zu sich, redete ihn freundlich an und fragte ihn, wer er wäre, woher er käme und wohin er wolle. Alessandro erzählte ihm unbefangen alle seine Umstände, befriedigte seine Neugier und erbot sich zu allen ihm möglichen Diensten. Der Abt, der seine Rede zierlich und wohlgeordnet fand, seine Manieren genau beobachtete und sich überzeugte, er müsse seiner niedrigen Beschäftigung ungeachtet ein Edelmann sein, ward immer mehr und mehr für ihn eingenommen. Da ihn ohnehin seine Schicksalsschläge bereits zum Mitleid bewogen hatten, so tröstete er ihn sehr freundlich und ermahnte ihn, guten Mut zu fassen, weil ihn, wenn er ein braver Mann sei, der Himmel sehr leicht auf eben die Staffel wieder erheben könne, von welcher das Glück ihn hinabgestürzt habe, und vielleicht noch höher. Zugleich bat er ihn, weil er doch nach Toskana ginge, ihn zu begleiten, weil er auch dahin wolle. Alessandro dankte ihm für seine tröstlichen Worte und versicherte, daß er ihm völlig zu Diensten stände.

Indem nun der Abt, bei welchem die Unterredung mit Alessandro allerlei neue unbekannte Empfindungen geweckt hatte, weiterreiste, kamen sie nach einiger Zeit in ein Dorf, das eben nicht reichlich mit Herbergen versehen war. Weil nun der Abt daselbst zu übernachten wünschte, so ließ ihn Alessandro bei einem Wirte absteigen, mit dem er wohlbekannt war, und bestellte ihm ein Nachtlager in dem noch am ehesten geeigneten Zimmer des Hauses. Und weil er als ein gewandter Jüngling bereits des Abtes rechte Hand geworden war, so brachte er die übrige Reisegesellschaft, so gut er konnte, da und dort im Dorfe unter. Als der Abt zu Abend gegessen hatte, und es schon gegen die Nacht ging, so daß ein jeder sich zur Ruhe gelegt hatte, fragte Alessandro den Wirt, wo er denn selbst schlafen könne.

»Das weiß ich wahrhaftig nicht«, sprach der Wirt. »Du siehst, alles ist vollgepfropft, und ich muß selbst mit den Meinigen auf Bänken und Brettern liegen; doch in der Kammer des Abtes stehen ein paar Kornkisten, worauf ich dir ein Stück Bettzeug legen kann, und damit mußt du dich, wenn du willst, für diese Nacht begnügen.«

»Was soll ich in des Abtes Kammer machen,« sprach Alessandro, »die so klein ist, daß man nicht einmal einen seiner Mönche neben ihn hat betten können? Hätt‘ ich das bedacht, ehe die Vorhänge zugezogen wurden, so hätten meinetwegen die Mönche auf den Kornkisten liegen mögen und ich hätte mich da gebettet, wo sie jetzt übernachten.«

»Die Sache ist aber nun einmal nicht anders,« sprach der Wirt, »und du wirst dich dort so gut befinden wie anderswo. Der Abt schläft; die Vorhänge sind zugezogen; ich lege dir leise eine Matratze hin, und du schläfst wie ein König.«

Da Alessandro fand, daß die Sache sich einrichten ließ, ohne den Abt zu stören, ließ er es sich gefallen und legte sich, so sacht er konnte, zur Ruhe. Der Abt aber, der noch nicht eingeschlafen war, sondern seinen neu geweckten Gedanken leidenschaftlich nachhing, hatte alles gehört, was Alessandro und der Wirt miteinander sprachen, und hatte auch bemerkt, wo sich Alessandro schlafen legte. Er war sehr froh darüber und dachte: Der Himmel hat meine Wünsche begünstigt, und wenn ich mir diese Gelegenheit nicht zunutze mache, so kommt sie vielleicht so bald nicht wieder. Er entschloß sich demnach, sie nicht fahren zu lassen, und wie es ihm schien, daß alles im Hause schon im tiefen Schlummer lag, rief er den Alessandro mit leiser Stimme und befahl ihm, sich neben ihn zu legen, was dieser auch tat und sich, jedoch nicht ohne einigen Widerspruch, entkleidete und neben ihm niederlegte. Der Abt fuhr ihm darauf mit der Hand über die bloße Brust, wie wohl ein liebendes Mädchen seinem Liebhaber zu tun pflegt; worüber Alessandro sich mächtig wunderte und nicht wußte, ob den Abt nicht irgendeine unerlaubte Lust anwandele. Entweder, weil der Abt eine solche Besorgnis bei ihm vermuten mußte oder Alessandro sie wirklich nicht verhehlen konnte, ward sie der Abt bald gewahr und lächelte darüber, nahm die Hand des Alessandro und legte sie auf seine eigene Brust, indem er sagte: »Alessandro, laß deinen unbegründeten Verdacht fahren und erkenne hier, was ich bisher verbarg.«

Alessandro fühlte, indem er seine Hand auf die Brust des Abtes legte, ein Paar runde, zarte, feste Brüste, die aus lebendem Elfenbein schienen und die ihm bald begreiflich machten, daß er neben einem Mädchen läge, und er war schon im Begriff, sie, ohne eine weitere Aufmunterung zu erwarten, in seine Arme zu schließen und zu küssen, wie sie ihm mit diesen Worten zuvorkam: »Ehe du dich mir näherst, höre zuvor, was ich dir sagen will. Du weißt nunmehr, daß ich ein Weib bin und kein Mann. Ich habe als Jungfrau das Haus meines Vaters verlassen, in der Absicht, vom Papst mich vermählen zu lassen. Entweder, dein Glück oder mein Unstern hat es so gefügt, daß ich neulich, wie ich dich zuerst sah, mich dergestalt in dich verliebte, wie noch nie eine Frau geliebt hat. Sogleich beschloß ich, dich und keinen andern zum Gemahl zu wählen. Willst du mich aber nicht zu deinem Weibe, so entferne dich augenblicklich von mir und begib dich zurück auf dein Lager.«

Alessandro, der zwar nicht wußte, wer sie war, der aber Rücksicht nahm auf seine Begleiter, und also nicht zweifelte, sie müsse sehr reich und vornehm sein, und der überdies ihre Schönheit kannte, bedachte sich nicht lange, sondern versicherte, daß er sich höchst glücklich schätzen würde, da sie es wünsche, ihr Gemahl zu werden. Darauf richtete sie sich im Bett auf, vor einem Bilde, worauf ein Kruzifix vorgestellt war, gab ihm einen Ring in die Hand und hieß ihm, mit demselben sich feierlich mit ihr zu verloben, worauf sie beide den Überrest der Nacht in zärtlicher und wonnevoller Umarmung miteinander zubrachten. Nachdem sie für die Zukunft ihre Maßregeln verabredet hatten, stand Alessandro zeitig auf, ging aus der Kammer, ohne daß jemand gewahr ward, wo er geschlafen hatte, und machte sich mit unbeschreiblichem Vergnügen mit dem Abt und seinen Begleitern wieder auf den Weg. Nach mancher Tagesreise gelangten sie miteinander endlich nach Rom.

Nachdem sie sich dort einige Tage aufgehalten hatten, begab sich der Abt mit den beiden Kavalieren und Alessandro geradeswegs zum Papst, den der Abt, nachdem er ihm seine geziemende Ehrerbietung erwiesen hatte, folgendermaßen anredete: »Heiliger Vater, Ihr wißt besser als irgendein anderer, daß ein jeder, der gut und ehrbar in der Welt zu leben wünscht, jede Gelegenheit vermeiden muß, die ihn zu andern Wegen verleiten könnte. Ich bin deswegen, um immer unangefochten leben zu können, in der Tracht, in welcher ich vor Euch erscheine, und mit einem großen Teil der Schätze meines Vaters, des Königs von England, heimlich entflohen, weil er mich blutjunges Mädchen mit dem König von Schottland, einem abgetakelten, steinalten Herrn, vermählen wollte. Deswegen machte ich mich auf den Weg, um zu Euch zu kommen, damit Ihr mir einen Gemahl gebt. Mich bewog auch nicht so sehr das Alter des Königs von Schottland zur Flucht, als vielmehr die Besorgnis, es möchte mich die Schwachheit meiner Jugend verlocken, wenn ich mich mit ihm vermählt hätte, etwas zu tun, das den göttlichen Gesetzen und dem königlichen Blute meines Vaters zuwider wäre. Indem ich in dieser Absicht hierher reiste, hat, wie ich glaube, Gott, der am besten weiß, was jedem not tut, mir nach seiner Barmherzigkeit denjenigen zugeführt, den er mir zum Gemahl bestimmte, nämlich diesen Jüngling« — und sie zeigte auf Alessandro — »der hier neben mir steht und dessen hohe Tugenden und Sitten der einer Königin würdig sind, wenngleich seine Geburt keiner königlichen gleichkommt. Ihn habe ich mir erwählt, und ihn und keinen andern begehre ich zu meinem Gemahl, was auch die Absicht meines Vaters oder anderer Leute sein mag. Und obwohl jetzt der erste Beweggrund wegfällt, weswegen ich die Reise hierher unternahm, so gefiel es mir doch, sie bis Ende fortzusetzen, teils um die heiligen und ehrwürdigen Stätten, von welchen diese Stadt voll ist, und Eure Heiligkeit selbst zu besuchen, teils auch, damit ich meine Vermählung mit Alessandro, die bisher nur im Angesicht Gottes geschlossen war, auch vor Euch und mithin vor der ganzen Welt kundmache. Deswegen bitte ich Euch demütigst, Euch dasjenige gefällig sein zu lassen, was Gott und mir gefallen hat, und uns Euren Segen zu geben, damit wir durch ihn der Zustimmung des da oben, dessen Statthalter Ihr seid, desto mehr versichert zu Gottes und Eurer Ehre miteinander leben und dereinst sterben mögen.«

Alessandro verwunderte sich über die Maßen, wie er hörte, daß seine Gemahlin eine Prinzessin von England sei, doch erfüllte es ihn mit heimlicher Freude. Allein weit mehr verwunderten sich die beiden Kavaliere und waren so außer sich, daß sie Alessandro und vielleicht auch der Prinzessin würden einen Schimpf angetan haben, wenn sie sich anderswo als in Gegenwart des Papstes befunden hätten.

Andererseits wunderte sich der Papst ebenfalls über die Kleidung der Prinzessin und über ihre Wahl; weil er aber sah, daß das Geschehene nicht mehr zu ändern war, entschloß er sich, ihre Bitte zu gewähren. Er besänftigte demnach zuerst die Kavaliere, deren Unwillen er bemerkte, und nachdem er sie mit der Prinzessin und mit Alessandro versöhnt hatte, ordnete er an, was weiter geschehen solle, und an einem gewissen, von ihm bestimmten Tage, an dem er alle Kardinäle und andere vornehme Herren zu einem großen Feste hatte einladen lassen, stellte er ihnen die Prinzessin im königlichen Schmucke vor, in welchem sie so schön und liebenswürdig erschien, daß sie mit Recht von jedermann bewundert ward. Auch Alessandro war prächtig gekleidet und zeigte in seinem Anstande und in seinen Sitten nicht den Jüngling, der sich von Wucher ernährt hatte, sondern vielmehr ein königliches Wesen, so daß ihm die beiden Kavaliere mit Ehrerbietung begegneten; worauf der Papst die Vermählung feierlich begehen ließ und, nachdem die Hochzeit mit vieler Pracht vollzogen war, dem Brautpaar seinen päpstlichen Segen gab und sie entließ.

Es gefiel Alessandro und seiner Gemahlin, wie sie Rom verließen, nach Florenz zu gehen, woselbst die Fama bereits die Nachricht von ihrer Verbindung verbreitet hatte und wo sie von den Einwohnern mit großen Ehrenbezeigungen empfangen wurden. Die Prinzessin ließ die drei Brüder wieder auf freien Fuß stellen, nachdem sie ihre Schulden bezahlt und sie und ihre Gemahlinnen in alle ihre Güter wieder eingesetzt hatte. Alessandro und seine Gemahlin nahmen mit Einwilligung der andern den Agolante mit sich und verließen Florenz. Bei ihrer Ankunft in Paris wurden sie vom König von Frankreich ehrenvoll empfangen. Von dort gingen die beiden Kavaliere voraus nach England und vermochten den König, die Prinzessin wieder zu Gnaden anzunehmen und sie und ihren Gemahl mit großer Feierlichkeit zu empfangen. Er schlug ihn bald darauf mit großem Gepränge zum Ritter und gab ihm die Grafschaft Cornwall zum Geschenk. Dieser aber bewies sein großes Geschick und gab sich erfolgreich Mühe, Vater und Sohn wieder auszusöhnen, welches dem Lande zum großen Heil gereichte und ihm die Herzen aller Untertanen gewann. Agolante erhielt auch alles wieder, was man ihm schuldig war, und kehrte mit bedeutendem Reichtum nach Florenz zurück, nachdem ihn der Graf Alessandro vorher zum Ritter geschlagen hatte. Dieser lebte hernach sehr geehrt und glücklich mit seiner Gemahlin. Der Sage nach eroberte er durch seine Tapferkeit und Klugheit, und mit dem Beistande seines Schwiegervaters, das Königreich Schottland und ward zum Könige darüber gekrönt.

21. Novelle

Der Pfarrer zu Varlungo liegt bei Frau Belcolore und läßt ihr seinen Chorrock zum Pfande. Er borgt hernach von ihr einen Mörser, und als er ihn wiederschickt, läßt er den Chorrock als Unterpfand für den Mörser zurückfordern, und sie gibt ihn mit einer Stichelrede zurück.

In dem Dörfchen Varlungo lebte ein rüstiger, im Dienste der Weiber wohl erprobter Pfarrer, der zwar nicht sonderlich lesen konnte, aber doch seine Pfarrkinder des Sonntags unter der Ulme mit manchem salbungsvollen Worte zu erbauen wußte; und wenn die Männer in Geschäften abwesend waren, so verstand kein Pfaff, weder vor noch nach ihm, ihre Weiber besser zu besuchen, ihnen Heiligenbildchen, Weihwasser und Wachsstummel zu bringen und ihnen seinen Segen dabei zu geben. Unter den Weibern in seinem Dorfe, die ihm zuerst in seine Augen fielen, war vorzüglich eine, die ihm vor allen anderen gefiel, namens Monna Belcolore, die Frau eines Bauern, der sich Bentivegno del Mazzo nennen ließ. Sie war auch wirklich ein ebenso hübsches als frisches und kernfestes, bräunliches Bauernweib, besser zur Wollust gebaut als irgendeine andere, und keine konnte besser als sie Zimbel schlagen oder das Lied singen: »Das Wasser läuft ins Zwiebelfeld«, oder, wenn es nötig war, mit einem hübschen Tuche in der Hand einen Reigen anführen oder im Kreise rundzutanzen. Darum ward auch der Pfarrer so vernarrt in sie, daß er kaum seiner Sinne mächtig blieb; keuchend trabte er ganze Tage umher, um sie zu sehen, und wenn er des Sonntags fand, daß sie in der Kirche war, so schrie er sein Kyrie und Sanktus wie ein Waldesel, um seine Kunst und Kraft im Gesange hören zu lassen; wenn sie aber nicht da war, so ließ er’s sachte angehen. Doch wußte er sich dabei so zu benehmen, daß weder Bentivegno noch sonst jemand im Dorfe etwas davon gewahr ward. Um sich bei Monna Belcolore desto besser in Gunst zu setzen, schenkte er ihr von Zeit zu Zeit bald ein Bündel von dem besten frischen Knoblauch den er mit eigenen Händen in seinen Garten gesetzt hatte, bald ein Körbchen voll Bohnen, bald eine Schnur Zwiebeln oder Bohnen; und wenn er nur eine Gelegenheit sah, so beäugelte er sie und schwänzelte um sie herum wie ein verliebter Pudel. Weil sie jedoch immer die Spröde spielte, so konnte er lange nicht bei ihr zum Ziele kommen. Einst traf es sich, als er gerade in der Mittagsstunde auf der Straße herumschlenderte, daß ihm Bentivegno del Mazzo begegnete, der einen beladenen Esel vor sich hertrieb. Er sprach ihn an und fragte ihn, wohin er ginge.

»Die Wahrheit zu sagen, Hochwürden,« sprach Bentivegno, »ich muß in die Stadt, wegen einer Angelegenheit sozusagen, und ich bringe diese Sachen dem Herrn Bonaccori da Ginestreto, daß er mir helfen soll, weil mich der Herr Defizialrichter durch seinen Prokulator parentorisch hat vorladen lassen.«

Der Pfarrer war froh und sagte: »Du tust wohl, mein Sohn; Gott segne dein Vorhaben! Komm bald zurück, und wenn dir von ungefähr Lampuccio und Naldino in den Weg kommen, so vergiß nicht, ihnen zu sagen, daß sie mir die Riemen zu meinem Dreschflegel schicken.«

»Soll geschehen«, sprach Bentivegno und trieb nach Florenz. Der Pfarrer hielt dies für die gelegenste Zeit, sein Glück bei Monna Belcolore zu versuchen; er machte sich auf den Weg und hielt sich nirgends auf, bis er zu ihr kam.

»Gott zum Gruß!« rief er, »ist jemand zu Hause?«

Belcolore, die auf den Boden gegangen war, rief herunter, als sie seine Stimme hörte: »Willkommen, Herr Pfarrer; wie kommt’s, daß Ihr so in der Mittagshitze ausgeht?«

»So wahr ich lebe,« sprach der Priester, »bloß um ein wenig bei dir zu verweilen, weil ich deinem Mann begegnet bin, der nach der Stadt ging.«

Belcolore kam herunter, breitete ein Tuch auf die Erde und fing an, Kohlsamen zu sieben, den ihr Mann eben gedroschen hatte.

»Höre, Belcolorchen,« sprach der Pfarrer, »Willst du mich denn immer so schmachten lassen?«

»Nun, was tu‘ ich Euch denn?« sprach Belcolore und lachte.

»Du tust mir zwar nichts,« sprach der Pfarrer, »aber du läßt dir auch nichts von mir tun, was ich gern möchte und was Gott geboten hat.«

»Ei, geht doch!« sprach sie. »Tun denn so was auch die Priester?«

»Warum nicht, so gut wie andere Männer und noch besser?« sprach der Pfarrer. »Wir liefern weit bessere Arbeit als andere, und weißt du, warum? Weil unsere Mühle nur selten mahlt und mit gesammeltem Wasser. Das sollst du sehen, und dein Schade soll’s nicht sein, wenn du still bist und mich machen lässest.«

»Wieso soll es mein Schade nicht sein?« versetzte Belcolore. »Ihr seid ja alle so geizig wie der Teufel.«

»Ich weiß nicht was du verlangst«, sprach der Pfarrer. »Fordere nur. Willst du ein Paar hübsche Schuhe? Oder willst du ein schönes Stirnband oder eine Strähne feiner Wolle, oder was sonst?«

»Das wäre mir was Rechtes«, sprach Belcolore. »Das alles habe ich selbst. Aber wenn Ihr mir so gut seid, wie Ihr sagt, so tut mir einen Dienst, und ich will Euch alles zu Gefallen tun.«

»Sage mir nur, was ich tun soll, und es soll geschehen«, sprach der Priester.

»Gut«, versetzte Belcolore. »Ich muß Sonnabend nach Florenz, um Wolle abzuliefern, die ich gesponnen habe, und um mein Spinnrad reparieren zu lassen. Wenn Ihr mir fünf Lire leihen wollt, soviel habt Ihr gewiß, so kann ich vom Pfandverleiher meinen dunklen Rock einlösen und meinen Feiertagsgürtel, den ich zum Brautschatz mitgebracht habe, denn Ihr seht wohl, so kann ich mich weder in der Kirche noch an anderen ehrbaren Orten sehen lassen, und hernach will ich auch immer gerne tun, was Ihr haben wollt.«

»So wahr mir Gott helfe, ich habe sie jetzt nicht bei mir,« sprach der Pfarrer, »aber sei versichert, ehe Sonnabend kommt, will ich sie dir mit Freuden verschafft haben.«

»Ja, wer Euch glaubte!« sprach Belcolore. »Versprechen könnt Ihr alles meisterlich, aber halten tut Ihr nichts. Meint Ihr’s mit mir auch so zu machen wie mit der Biliuzza, die mit leerer Hand ausgehen mußte? Das soll Euch bei meiner Treue nicht gelingen; denn sie ist deswegen bös in den Mund der Leute gekommen. Habt Ihr sie nicht bei Euch, so geht hin und holt sie.«

»Ich bitte dich,« sprach der Pfarrer, »schicke mich doch jetzt nicht wieder bis nach Hause. Du siehst, wie gut es steht, niemand ist hier, und wer weiß, wenn ich wiederkomme, finde ich vielleicht jemand bei dir, der uns hindert, und wir können nicht wissen, ob sich eine so günstige Gelegenheit wie diese sobald wieder bieten wird.«

»Meinetwegen«, sprach sie. »Wollt Ihr gehen, so geht, wo nicht, so könnt Ihr lange warten.«

Als der Pfarrer sah, daß er nichts von ihr erhalten würde als salvum me fac, und er wollte es doch sine custodia vollbringen, sprach er: »Höre, du glaubst mir nicht, daß ich dir das Geld bringen werde. Aber ich will dir zur Sicherheit diesen violetten Chorrock hier zum Pfande lassen.«

»Diesen Chorrock?« sprach Belcolore und warf die Nase in die Höhe. »Wieviel ist er denn wert?«

»Was er wert ist?« rief der Pfarrer. »Du mußt wissen, daß es Zweibrückener, vielleicht auch Dreibrückener Tuch ist, ja einige Leute im Dorfe halten es gar für Vierbrückener; und es sind noch nicht vierzehn Tage, wo ich ihn von dem Trödler Lotto für sieben Lire kaufte, und Buglietti, der sich, wie du weißt, auf dergleichen Zeug versteht, hat mir versichert, daß er noch mindestens fünf Soldi mehr wert ist.«

»Das hätt‘ ich wahrhaftig nicht geglaubt«, sprach Belcolore. »Aber gebt ihn nur erst her.«

Der Pfarrer, bei dem der Bogen aufs höchste gespannt war, zog den Chorrock aus und gab ihn ihr. Sie verwahrte ihn und sagte: »Herr, gehen wir dort in den Schuppen, da kommt kein Mensch hin.« Das taten sie. Und der Pfarrer leckte ihr nicht schlecht das Gesicht ab, machte sie zur Schwägerin des lieben Gottes und vertrieb sich mit ihr eine geraume Weile äußerst vergnüglich die Zeit. Der Pfarrer ging hernach ohne Chorrock im bloßen Rock nach Hause, als wenn er von einer Hochzeit käme. Als er nun anfing nachzurechnen, daß die Endchen Lichter, die er in einem ganzen Jahre zum Opfer bekomme, ihm nicht die Hälfte der fünf Lire einbrächten, fand er, daß er nicht wohlgetan hatte, und es reute ihn seinen Chorrock zum Pfande gelassen zu haben. Er sann daher auf ein Mittel, ihn ohne Zahlung eines Lösegeldes wiederzubekommen, welches ihm auch, weil er ziemlich verschlagen war, nur allzugut gelang. Weil eben am folgenden Tage ein Festtag war, so schickte er einen Knaben aus der Nachbarschaft zu Monna Belcolore und ließ sie bitten, ihm ihren steinernen Mörser zu leihen, weil morgen Binouccio del Poggio und Nuto Buglietti bei ihm essen würden und er ihnen eine gute Suppe vorzusetzen wünsche. Belcolore lieh ihm den Mörser. Als nun der Mittag kam, und der Pfarrer wußte, daß Bentivegno mit seiner Frau zu Tische saß, rief er seinen Meßner und sagte: »Nimm diesen Mörser, trage ihn zu Belcolore und sage ihr: ‚Der Herr läßt Euch danken und bitten ihm den Chorrock wiederzuschicken, den er dem Knaben zum Pfand an Euch mitgegeben hat‘.«

Der Meßner ging mit dem Mörser hin und fand Belcolore und Bentivegno bei ihrer Mahlzeit, stellte den Mörser hin und sagte, was ihm der Pfarrer befohlen hatte. Als Belcolore hörte, daß er den Chorrock forderte, war sie im Begriff, ihm zu antworten, allein ihr Mann rief mit verdrießlicher Miene: »Was? Nimmst du von dem geistlichen Herrn ein Pfand? Bei Gott, ich habe schier Lust, dir eine derbe Maulschelle zu geben! Geh zum Henker und gib ihn ihm wieder und merke dir’s, daß du ihm niemals nein sagst, wenn er etwas von unseren Sachen gebraucht, wenn’s auch unser Esel selbst wäre.«

Die Frau stand maulend auf, holte den Chorrock aus ihrem Kasten und gab ihn dem Meßner, indem sie sprach »Bestellt Eurem Herrn von mir, die Belcolore täte ein Gelübde, daß er nimmermehr seine Suppe wieder in ihrem Mörser anrühren solle, weil er ihr diesmal zu viel der Ehre dadurch erwiesen habe.«

Der Meßner brachte dem geistlichen Herrn den Chorrock und sagte ihm, was ihm aufgetragen war. Der Pfarrer lachte und sagte: »Wenn du sie wiedersiehst, so, sage ihr, wenn sie mir ihren Mörser nicht leihen will, so leih ich ihr auch nicht meinen Stößer; so bleiben wir einander nichts schuldig.«

Bentivegno meinte, seine Frau hätte die Worte deswegen gesprochen, weil er ihr einen Verweis gegeben hatte, und machte sich also nichts daraus. Belcolore aber war auf den geistlichen Herrn schlecht zu sprechen und wechselte bis zur Weinlese kein Wort mit ihm. Als ihr aber der Pfarrer drohte, sie geradeswege dem Teufel in den Rachen zu schicken, söhnte sie sich, ins Bockshorn gejagt, mit ihm wieder aus in der Zeit zwischen dem Most und den heißen Kastanien. Sie pflegten sich hernach noch oft miteinander gütlich zu tun, und statt der fünf Lire ließ ihr der Pfarrer ihre Zimbel neu überziehen und ein Glöcklein daran hängen, und damit war sie zufrieden.

2. Novelle

Martellino verstellt sich als Krüppel und gibt vor, durch den Leichnam des hl. Heinrich geheilt worden zu sein. Sein Betrug wird entdeckt, er wird geprügelt, wird festgesetzt, und läuft große Gefahr, gehenkt zu werden; kommt aber noch glücklich davon.

Es lebte vor nicht langer Zeit in Treviso ein Deutscher namens Heinrich, ein armer Mann, der sein Brot als Lastträger verdienen mußte, aber dabei einen sehr frommen Wandel führte und bei jedermann beliebt war, daher denn, wie die Leute aus Treviso versichern (es mag nun wahr sein oder nicht), in der Stunde seines Todes die Glocken der Hauptkirche zu Treviso, ohne von jemand gezogen zu sein, von selbst anfingen zu läuten. Das ward von jedermann für ein Wunder und Heinrich deswegen für einen Heiligen gehalten; alles Volk in der Stadt lief zusammen nach dem Hause, wo sein Leichnam lag, den sie wie eine Reliquie nach der Hauptkirche trugen, und Lahme, Gichtbrüchige, Blinde und Kranke jeder Art, oder Leute, die sonst Mängel hatten, zu ihm brachten, als ob die Berührung seines Leibes sie alle gesund machen könnte. Während dieses allgemeinen Zulaufes begab es sich, daß in Treviso drei Männer aus Florenz ankamen, wovon der eine Stecchi hieß, der andere Martellino und der dritte Marchese, die ihr Brot damit verdienten, daß sie an den Höfen umherzogen und die Leute damit belustigten, daß sie die Gebärden eines jeden Menschen nachmachten. Da sie hier noch nie gewesen waren, so wunderten sie sich, einen so großen Auflauf von Menschen zu finden, und wie sie die Ursache davon erfuhren, wurden sie neugierig, dieselbe auch zu sehen; sie ließen demnach ihr Gepäck in einer Herberge, und Marchese sagte: »Wir wollen zwar hingehen, den Heiligen zu sehen, allein ich weiß wahrlich nicht, wie wir zu ihm gelangen wollen, weil ich höre, daß der Platz voll von Deutschen und andern Landsknechten ist, die der Herr der Stadt dort auf den Beinen hält, um Unruhen zu verhüten; überdies ist die Kirche (sagt man) so voll von Menschen, daß man fast nicht hineinkommen kann.«

Martellino, der sehr neugierig war, sagte: »Das soll uns nicht hindern; ich will wohl ein Mittel finden, bis zu dem Leichnam vorzudringen.«

»Und wie denn?« fragte Marchese.

»Das will ich dir sagen«, entgegnete Martellino. »Ich will mich wie ein Gichtbrüchiger anstellen, und du sollst mich an einer Seite und Stecchi an der anderen führen, als wenn ich allein nicht gehen könnte, und ihr wolltet mich zu dem Heiligen bringen, daß er mich gesund mache. Da wird kein Mensch sein, wenn er uns sieht, der uns nicht aus dem Wege ginge, uns Platz zu machen.«

Dieses gefiel Marchese und Stecchi, und sie beeilten sich, ihre Herberge zu verlassen. Sie gingen an einen einsamen Ort, wo sich Martellino die Hände, Finger, Arme und Beine, die Augen und das Gesicht dermaßen verrenkte und verdrehte, daß es scheußlich anzusehen war; wer ihn erblickte, konnte nicht umhin, zu glauben, daß er am ganzen Leibe verstümmelt und gelähmt wäre. So faßten ihn Marchese und Stecchi unter die Arme und gingen mit ihm nach der Kirche mit ganz andächtiger Miene und baten demütig und um Gottes willen einen jeden, der ihnen im Wege war, Platz zu machen, was auch bereitwillig geschah. Jeder erwies ihnen Aufmerksamkeit, überall ward »Platz! Platz!« gerufen, und sie gelangten bis zur Leiche des heiligen Heinrich, die von einigen angesehenen Männern umgeben war, die den Martellino auf den Leichnam hoben, damit er die Gabe der Gesundheit von ihm empfinge. Martellino, auf welchen aller Augen gerichtet waren, lag ein wenig still und wußte dann meisterlich erst den einen, dann den anderen Finger zu regen, dann die Hand, dann einen Arm, bis er sich endlich völlig aufrichtete. Wie das die Leute sahen, brach ein jeder so laut in Lobsprüche auf den heiligen Heinrich aus, daß man kein Wort vor dem andern verstehen konnte.

Zum Unglück stand nicht weit davon einer von seinen florentinischen Mitbürgern, der den Martellino sehr gut kannte, und wie er ihn, nachdem er sich ganz aufgerichtet hatte, gewahr ward, überlaut zu lachen anfing und sagte:

»Daß doch der Henker den Kerl! Wer sollte nicht gedacht haben, wie er herkam, daß er wirklich gichtbrüchig wäre?«

Dieses hörten einige Leute aus Treviso und fragten, ob der Mensch denn wirklich nicht gichtbrüchig wäre.

»Gott bewahre!« sprach jener. »Er war immer so gerade wie der Beste von uns; aber er versteht besser als irgendein anderer Gaukler die Kunst, sich eine jede Gestalt zu geben, wie ihr wohl gesehen habt.«

Wie dieses ruchbar ward, brauchte es nichts weiter, um den Pöbel aufzubringen, der hinzustürmte und schrie: »Greift den Schelm, den Spötter Gottes und seiner Heiligen, der so gesund ist wie wir und den Gichtbrüchigen mimt, um uns und unsern Heiligen zu verspotten.«

Mit diesen Worten ergriffen sie ihn, zogen ihn von dem Gerüst herunter, zerrten ihn bei den Haaren, rissen ihm die Kleider vom Leibe und bearbeiteten ihn mit Faustschlägen und Rippenstößen; kurz, man schien zu glauben, wer ihm nicht eins versetzte, der könnte kein braver Kerl sein. Martellino bat zwar um Gottes willen um Barmherzigkeit und wehrte sich dabei seiner Haut, so gut er konnte; allein es half alles nichts, und die Faustschläge und Fußtritte fielen immer dichter. Wie Stecchi und Marchese dies gewahr werden, fürchteten sie, es möchte ein schlimmes Ende nehmen, und da sie für sich selbst besorgt waren, so durften sie es nicht wagen, ihrem Kameraden zu Hilfe zu kommen. Im Gegenteil schrien sie so laut wie die übrigen: »Schlagt ihn tot, den Hund!« Doch sannen sie im stillen auf ein Mittel, ihn den Händen des Pöbels zu entreißen, der ihn gewiß würde getötet haben, wenn nicht Marchese beizeiten auf einen glücklichen Einfall gekommen wäre. Dieser, der bemerkt hatte, daß die ganze löbliche Polizei zugegen war, ging, so eilig er konnte, zu dem vom Stadtvogt bestellten Kommandanten und rief: »Helft um Gottes willen! Hier ist ein Spitzbube, der mir meinen Beutel mit mehr als hundert Goldgulden gestohlen hat; ich bitte Euch, laßt ihn festnehmen, damit ich das Meinige wiederbekomme.«

Den Augenblick liefen ein Dutzend Häscher dahin, wo man dem armen Martellino den Pelz wusch. Mit genauer Not gelang es ihnen, den zusammengerotteten Pöbel zu zerstreuen und ihm den Martellino, übel gemißhandelt und zerzaust, aus den Händen zu reißen. Sie brachten ihn nach dem Rathause, wohin ihm viele von denen nachfolgten, die sich für beleidigt hielten. Wie sie hörten, daß man ihn als einen Beutelschneider eingezogen hatte, glaubten sie, sie könnten ihn nicht besser an den Galgen bringen als durch ähnliche Beschuldigungen, und ein jeder fing an zu schreien, er sei auch von ihm bestohlen worden. Wie dies der Richter hörte, der ein gestrenger Mann war, ließ er ihn gleich ins heimliche Verhör bringen und fing an, ihn zu befragen. Martellino antwortete ihm mit lauter Scherzreden und schien sich aus seiner Verhaftung nichts zu machen, worüber der Richter aufgebracht ward, ihn auf die Folter spannen und ihm einige tüchtige Hiebe geben ließ, um ihn zum Bekenntnis zu bringen und ihn dann hängen zu lassen. Wie man ihn wieder aufstehen ließ, und der Richter ihn fragte, ob es wahr sei, was man gegen ihn vorbrächte, und Martellino wohl merkte, daß das bloße Leugnen ihn nicht retten würde, sprach er: »Mein Herr, ich bin bereit, Euch die Wahrheit zu bekennen; fragt aber vorher einen jeden Eurer Ankläger, wann und wo ich ihm seine Börse gestohlen habe, so will ich Euch hernach sagen, was ich getan habe und was nicht.«

Der Richter war es zufrieden und ließ einige von den Klägern rufen. Der eine sagte, er hätte ihm vor acht Tagen, der andere vor vier und wieder ein anderer, er hätte ihm heute seinen Beutel genommen. Wie dieses Martellino hörte, sprach er: »Mein Herr, alle diese Menschen lügen in ihren Hals, und das kann ich Euch leicht beweisen; denn wollte Gott, ich wäre so gewiß nie in Eure Stadt gekommen, als ich bis vor wenigen Stunden meinen Fuß nicht hierher gesetzt habe und zu meinem Unglück gleich bei meiner Ankunft hingegangen bin, den heiligen Leichnam zu sehen, wobei man mich so abgedroschen hat, wie Ihr mich seht. Daß dieses wahr sei, kann Euch der Torschreiber mit seiner Rolle beweisen, und auch mein Hauswirt, wenn’s nötig ist. Wenn Ihr demnach findet, daß ich Euch die Wahrheit sage, so bitte ich Euch, mich nicht diesen gottlosen Lumpen zu Gefallen martern und töten zu lassen.«

Indem die Sache so stand und Marchese und Stecchi hörten, daß der Richter dem Martellino hart zusetzte und ihn schon gefoltert hätte, ward ihnen bange, und sie dachten: »Wir haben einen dummen Streich gemacht und bringen unsern Kameraden aus der Pfanne auf die Kohlen.« Sie eilten demnach geschwind zurück zu ihrem Wirt und erzählten diesem den ganzen Verlauf der Sache. Er lachte über die Geschichte und brachte sie zu einem gewissen Sandro Agolanti, der in Treviso wohnte und viel bei dem Landesherrn galt, welchem er alles in gehöriger Ordnung erzählte und nebst den andern ihn bat, mit der Lage des Martellino Mitleid zu haben. Sandro mußte herzlich lachen, ging zu dem Herrn und erhielt von ihm, daß nach Martellino gesandt würde, was auch geschah. Die Boten, die nach ihm geschickt wurden, fanden ihn noch im Hemd, ganz angst und verzagt in den Händen des Richters, der nichts von seiner Rechtfertigung hören wollte, sondern große Lust hatte, ihn hängen zu lassen; daher er ihn auch durchaus nicht eher herausgeben wollte, bis er gezwungen ward, es zu tun.

Wie Martellino vor den Herrn kam und ihm alles aufrichtig gestanden hatte, bat er um nichts so angelegentlich als um die Gnade, ihn nur gleich gehen zu lassen, weil er noch immer so lange glauben würde, den Strick um die Gurgel zu haben, bis er wieder nach Florenz käme. Der Herr könnte sich des Lachens nicht mehr enthalten und ließ einem jeden von den dreien ein Kleid geben.

So entgingen sie unverhofft einer großen Gefahr und zogen mit heiler Haut wieder heim.

11. Novelle

Cimon wird durch die Liebe vernünftig; er entführt Iphigenia, seine Geliebte, mit Gewalt auf dem Meere. In Rhodus gerät er in Gefangenschaft, aus welcher Lysimachus ihn befreite und gemeinschaftlich mit ihm Iphigenia und Kassandra an ihrem Hochzeitstage entführt, worauf sie mit ihnen nach Kreta fliehen, sich mit ihren Geliebten vermählen und darauf in Frieden nach Hause berufen werden.

Wir lesen in den alten Geschichten der Cyprier, daß einst auf der Insel Cypern ein adeliger Mann lebte namens Aristippus, der unter allen seinen Landsleuten den größten Überfluß an zeitlichen Gütern besaß. Nichts werde seinem Glück gefehlt haben, wenn das Schicksal ihm nicht in einer Hinsicht ein größeres Herzeleid als anderen Menschen beschieden hätte; er hatte nämlich unter mehreren Kindern einen Sohn, der zwar an Größe, Wohlgestalt und Schönheit alle übrigen Jünglinge übertraf, allein ein Halbidiot war, so daß alle Hoffnung verloren schien, etwas aus ihm zu machen. Er hieß eigentlich Galeso; weil aber weder die Mühe, die seine Lehrer sich mit ihm gaben, noch die Güte oder Strenge seines Vaters, noch irgendein Mittel, welches andere Leute ersonnen, imstande waren, ihm das geringste von den Wissenschaften oder guten Sitten beizubringen, so pflegte man ihn wegen seiner groben und plumpen Stimme, Gebärden und Handlungen, die mehr viehisch als menschlich waren, Cimon zu nennen, ein Beiname, der bei ihnen ebensoviel bedeutete, als wenn wir jemand ein Vieh schelten. Sein ungeschliffenes Benehmen machte seinem Vater vielen Verdruß, bis er endlich alle Hoffnung aufgab, ihn zu einem rechtlichen Menschen zu erziehen. Um ihn nur aus seinen Augen zu entfernen, schickte er ihn auf ein Dorf und befahl ihm, bei den Knechten und Bauern zu bleiben. Dieses ließ er sich auch gern gefallen, weil ihm selbst die bäurische Lebensart besser behagte als der Umgang mit den Menschen in der Stadt.

Als nun Cimon auf dem Lande lebte und sich mit Feldarbeit beschäftigte, traf es sich eines Tages kurz nach Mittag, daß er mit seiner Hacke auf der Schulter von einem Dorf nach einem andern ging und durch ein hübsches Gehölz kam, welches, es war im Mai, in dem herrlichsten Laube prangte. Hier schien sein Glücksstern seine Schritte nach einer Wiese zu leiten, die von hohen Bäumen umgeben und an einer Seite von einem schönen kühlen Bache umflossen ward. An dessen Ufer sah er auf dem grünen Rasen ein wunderschönes Mädchen in einem so leichten Gewande schlafen, daß es fast keinen ihrer blendenden Reize verbarg; denn vom Gürtel niederwärts hatte sie nur eine feine weiße Decke über sich gebreitet. Zu ihren Füßen schliefen zwei Frauen und ein Mann, wohl ihre Bediensteten. Als Cimon das Mädchen erblickte, stutzte er, als wenn er noch nie eine weibliche Gestalt gesehen hätte, stützte sich auf seine Hacke und betrachtete sie mit stummer Verwunderung. In seiner rauhen Brust, der tausend Lehren und Ermahnungen nicht einen Funken Empfindung für eine gesittete Aufführung hatten beibringen können, ward auf einmal ein Gefühl erweckt, welches seinem groben, plumpen Vorstellungsvermögen zu verstehen gab, dies sei das schönste Wesen, welches jemals ein Sterblicher erblickt habe. Jetzt fing er an, auch die einzelnen Teile dieser Schönheit zu mustern; er bewunderte ihr Haupthaar, dem das Gold an Glanze weichen mußte, die Stirne, die Nase, den Mund, den Hals und die Arme; vor allen Dingen aber die sanften Brüste, die eben anfingen, sich zu wölben. Und als wenn er aus einem Bauern auf einmal zum Kenner und Richter der Schönheit geworden wäre, so konnte er sich den Wunsch nicht versagen, ihre Augen zu sehen, die ein tiefer Schlaf noch verschlossen hielt. Um diese zu erblicken, wandelte ihn mehr als einmal die Lust an, die schöne Schläferin zu wecken. Weil er sie aber unendlich schöner fand als alle Frauen, die er jemals gesehen hatte, so zweifelte er, ob sie nicht vielleicht eine Göttin wäre, und weil er noch Verstand genug hatte, um einzusehen, daß er Göttern mehr Ehrfurcht schuldig wäre als Menschen, so enthielt er sich und wollte lieber warten, bis sie von selbst erwachen würde. Wiewohl ihm darüber die Zeit fast zu lang ward, so empfand er doch so viel Vergnügen, daß er sich nicht entschließen konnte, sich zu entfernen. Endlich fügte es sich, daß die Jungfrau, deren Name Iphigenia war, früher als ihre Leute erwachte und, indem sie ihre Augen aufschlug und ihr Haupt erhob, den Cimon erblickte, wie er auf seine Hacke gestützt vor ihr stand. Da ihn jedermann kannte, sowohl wegen seines bäurischen Wesens und seiner schönen Gestalt, als weil er der Sohn eines so angesehenen und vermögenden Mannes war, so nannte sie ihn bei seinem Namen und fragte: »Cimon, was hast du um diese Stunde hier im Walde zu schaffen?« Cimon antwortete nicht, sondern indem ihre Augen sich öffneten, blickten die seinigen sie unverwandt an, und er schien zu empfinden, daß eine sanfte Süßigkeit, die sie ihm einflößten, sein Innerstes mit einem nie gekannten Entzücken erfüllte. Dieses bemerkte die Jungfrau, und weil sie fürchtete, sein starrer Blick möchte ihn bei seinem bäurischen Wesen zu Unanständigkeiten führen, so weckte sie ihre Frauen, stand auf und sagte: »Gehab dich wohl, Cimon!« Cimon antwortete: »Ich gehe mit dir.« Und obwohl die Jungfrau sich seine Begleitung verbat, weil sie sich noch immer vor ihm fürchtete, so konnte sie ihn doch nicht los werden, bis er sie ganz nach ihrem Hause begleitet hatte. Von Stunde an ging er zu seinem Vater und erklärte ihm, er habe durchaus keine Lust, wieder nach dem Dorfe zurückzukehren. Dem Vater war dies zwar nicht lieb, doch ließ er ihm seinen Willen, indem er neugierig war, zu sehen, was ihn bewogen hätte, seinen Entschluß zu ändern. Da indessen Cimons Herz, auf welches weder Lehren noch Ermahnungen einigen Eindruck hatten machen können, von Iphigenias Reizen bezwungen, der Pfeil der Liebe getroffen hatte, so entwickelte sich nunmehr bei ihm von Tag zu Tag ein neuer Begriff nach dem andern, so daß sein Vater, seine Verwandten und alle, die ihn kannten, darüber in die äußerste Verwunderung gerieten. Zuerst bat er seinen Vater, ihn zierlich und ordentlich, so wie seine übrigen Brüder, kleiden zu lassen, was der mit Vergnügen tat. Hierauf suchte er den Umgang gebildeter Jünglinge und bemerkte mit Aufmerksamkeit die Aufführung, die sich für Edelleute und besonders für Verliebte schickte; und so lernte er gleich anfangs zu jedermanns Verwunderung in kurzer Zeit nicht nur die ersten Anfangsgründe der Wissenschaften, sondern ward auch bald einer der ersten und geschicktesten Philosophen. Die Liebe, die er zu Iphigenie im Herzen trug, wandelte nicht allein seine rohe bäurische Stimme zum städtischen Wohllaut, sondern er ward auch ein Meister im Gesang und Saitenspiel, im Reiten und Fechten, und bewies sich in allen kriegerischen Übungen zu Wasser und zu Lande gleich tapfer und geschickt. Mit einem Worte, es waren seit dem ersten Tage seiner Liebe noch keine vier Jahre verflossen, so war er der anmutigste, tugendhafteste und vollkommenste Jüngling auf der ganzen Insel Cypern.

Obwohl nun Cimon, wie Jünglinge wohl pflegen, in den Äußerungen seiner Liebe zu Iphigenia manches übertrieb, so ließ sich doch sein Vater dieses nicht nur gerne gefallen, sondern tat ihm auch selbst allen möglichen Vorschub, um in dieser Hinsicht nach seiner Neigung zu handeln, in der Erwägung, daß die Liebe ihn ja aus einem Tiere wieder zu einem Menschen gemacht hatte. Cimon, welcher nach diesem nie wieder Galeso heißen wollte, weil Iphigenia ihn einmal Cimon genannt hatte, suchte endlich das Ziel seiner Wünsche zu erreichen und ließ deswegen bei Cypseo, Iphigenias Vater, wiederholt um sie anhalten. Allein Cypseo gab zur Antwort, er habe sie einem gewissen adeligen Jüngling in Rhodus, namens Pasimunde, bereits versprochen, und er wolle sein Wort nicht brechen. Als nun die Zeit kam, daß die festgesetzte Vermählung sollte vollzogen werden, und der Bräutigam Abgesandte schickte, um seine Braut heimzuholen, dachte Cimon bei sich: Jetzt, Iphigenia, ist es Zeit, zu beweisen, wie sehr ich dich liebe. Dein Anblick hat mich zum Menschen gemacht, dein Besitz würde mich ohne Zweifel zu dem Glück eines Gottes erheben; und wahrlich, ich will dich besitzen oder sterben!

Er warb hierauf in der Stille einige junge Edelleute an, die seine Freunde und Waffenbrüder geworden waren, ließ heimlich ein Schiff ausrüsten und mit allem Nötigen zum Seegefecht versehen und stach in See, um das Fahrzeug abzufangen, das Iphigenia zu ihrem Bräutigam führen sollte. Dieses ging gleichfalls in See und steuerte gerade nach Rhodus zu. Der Vater des Mädchens hatte inzwischen den Freunden ihres Gatten die ihnen gebührende Ehre erwiesen; sie waren mit ihr zu Schiff gegangen und richteten geradeswegs auf Rhodus. Cimon aber lag nicht auf der Bärenhaut; er traf am folgenden Tage mit ihnen zusammen und schrie ihnen zu: »Streicht die Segel oder erwartet euren Tod in den Wellen, wenn ich euch überwinde!«

Seine Gegner brachten ihre Waffen aufs Verdeck und rüsteten sich zum Widerstande. Cimon aber warf nach seinen Worten dem modischen Schiffe einen eisernen Enterhaken an Bord, als es sich schnell zu entfernen suchte, und befestigte es damit an dem Schnabel des seinigen. Er wartete nicht, bis seine Gefährten ihm folgten, sondern grimmig wie ein Löwe sprang er in das Schiff der Rhodier, achtete nicht die Zahl seiner Gegner, indem die Liebe ihm unüberwindliche Kraft verlieh, stürzte sich, einen Dolch in der Hand, mit erstaunlicher Gewalt mitten unter seine Feinde und schlachtete sie, mit seinem Dolch bald hier- bald dorthin stoßend, wie Schafe ab. Erschrocken warfen die Rhodier ihre Waffen von sich und baten einstimmig um Pardon. »Jünglinge,« sprach Cimon zu ihnen, »mich trieb weder Raubgier noch Haß gegen euch, von Cypern auszulaufen und euch im offenen Meere mit bewaffneter Hand anzugreifen, sondern mich bewog das, was mir das Teuerste ist, was ich erwerben kann und was ihr mir ohne Mühe in Frieden gewähren könnt, nämlich Iphigenia, die ich über alles in der Welt liebe. Da ich sie nicht von ihrem Vater in Frieden und Freundschaft erhalten konnte, so zwang mich die Liebe, sie mit den Waffen in der Hand von euch zu gewinnen. Ich bin willens, die Stelle bei ihr zu vertreten, die man eurem Pasimunde bestimmt hatte. Gebt sie mir und zieht in Gottes Namen eure Wege.«

Die Jünglinge überlieferten ihm, mehr gezwungen als freiwillig, die in Tränen schwimmende Iphigenia. Als Cimon ihre Tränen fließen sah, sprach er: »Edle Jungfrau, sei unbekümmert. Ich bin dein Cimon, dem seine standhafte Liebe ein größeres Recht gibt, dich zu besitzen, als Pasimunde die gegebene Zusage.«

Sobald Cimon sie an Bord seines Schiffes sah, kehrte er wieder um zu seinen Gefährten und ließ die Rhodier fahren, ohne sie im geringsten an ihrem Eigentum zu verletzen. Höchst entzückt über die teure geliebte Beute, sann er nur darauf, sie zu beruhigen, und stellte hiernächst seinen Gefährten vor, daß es nicht ratsam wäre, gleich nach Cypern zurückzukehren; er fand sie auch einstimmig seiner Meinung, daß es besser sein würde, nach Kreta zu gehen, wo sie fast alle und Cimon insbesondere, durch ältere und neuere Verbindungen mit vielen angesehenen Geschlechtern verwandt und befreundet waren, und weil sie daselbst mit Iphigenia in Sicherheit zu sein glaubten, so richteten sie ihren Lauf dahin. Allein das Glück, welches dem Cimon die Eroberung seiner Geliebten leicht genug gemacht hatte, blieb ihm nicht lange treu, sondern es verwandelte nur zu bald die innige Freude des liebenden Jünglings in die bitterste Betrübnis. Es waren noch nicht vier Stunden seit jenem Gefecht mit den Rhodiern vergangen, als mit anbrechender Nacht, von der Cimon sich unaussprechliche, nie gefühlte Seligkeit versprochen hatte, sich ein fürchterlicher Sturm mit Ungewitter erhob, so daß die tobenden Wellen im schrecklichen Kampfe mit dem schwarzen GewöIk sich fast zu vermengen schienen und es den Schiffsleuten unmöglich machten, nicht nur das Schiff zu regieren, sondern sich auf Deck auch nur aufrecht zu erhalten, um alles Nötige zu unternehmen. Cimon war äußerst bekümmert um Iphigenia; er glaubte, die Götter hätten ihm nur deswegen seine Wünsche zum Teil gewährt, damit sie ihm den Tod desto schmerzlicher machten, dem er vorher mutig entgegengegangen war. Seine Gefährten waren nicht weniger in Ängsten; am meisten aber Iphigenia, die bei jeder Schlagwelle ihren Tod in den Wogen zu finden glaubte und Cimon mit seiner Liebe verwünschte und seine Vermessenheit schalt, weil sie gewiß glaubte, das Ungewitter wäre aus keiner anderen Ursache entstanden, als weil die Götter nicht zugeben wollten, daß der, welcher sie wider ihren Ratschluß zu seiner Gemahlin machen wollte, die Frucht seiner verwegenen Unternehmung genießen, sondern daß er sie zuerst elendiglich umkommen sehen und dann selbst dem Tode geweiht werden sollte. Indem nun der Sturm immer heftiger, die Wehklage immer lauter und die Verlegenheit der Schiffsleute immer größer und allgemeiner ward, und niemand wußte, wohin das Schiff triebe, wurden sie bis in die Nähe der Insel Rhodus verschlagen; sie wurden das Land gewahr, und ohne zu wissen, daß es Rhodus war, bemühten sie sich nur, das Schiff unter dem Schutze des Landes vor Anker zu bringen, um ihr Leben zu retten. Das Glück war ihnen auch insoweit günstig, daß sie eine kleine Bucht entdeckten, in die kurz vorher die Rhodier, mit welchen Cimon gekämpft hatte, eingelaufen waren, und kaum entdeckten sie in der Morgendämmerung, daß sie bei Rhodus vor Anker gekommen waren, so bemerkten sie auch, indem sich das Wetter ein wenig aufklärte, in der Entfernung eines Bogenschusses das Schiff, mit welchem sie sich des Abends vorher geschlagen hatten. Cimon ward darüber sehr bestürzt, und weil er ahnte, was ihm bevorstand, so befahl er, alle Kräfte anzustrengen, um das Schiff wieder in See zu bringen und sich dann der Führung des Schicksals zu überlassen, weil sie an keinen schlimmeren Ort als an diesen geraten könnten. Man tat alles mögliche, um die See wieder zu gewinnen, jedoch vergeblich. Der widrige Wind verhinderte sie nicht nur, aus der Bucht wieder auszulaufen, sondern er trieb sie, aller Anstrengungen ungeachtet, nur immer näher ans Land, wo sie von der Mannschaft des modischen Schiffes allsobald gesehen und erkannt wurden.

Unverzüglich lief einer von ihnen nach einem nahegelegenen Landgut, wohin die modischen Edelleute schon vorausgegangen waren, und meldete, daß Cimon und Iphigenia mit ihrem Schiffe zufälligerweise an die gleiche Stelle vom Unwetter verschlagen worden wären.

Dies war den Edelleuten sehr lieb zu hören; sie versammelten eine Menge Leute aus dem Dorfe und eilten nach dem Gestade, wo Cimon mit den Seinigen soeben gelandet und im Begriffe war, mit ihnen in den nahegelegenen Wald zu flüchten. Sie wurden aber sämtlich mit Iphigenia gefangengenommen und nach dem Landgut gebracht. Lysimachus, dem in diesem Jahr die oberste Gewalt auf der Insel anvertraut war, begab sich dahin, begleitet von einem zahlreichen Gefolge bewaffneter Leute aus der Stadt und ließ Cimon nebst den Seinigen, vermöge ihrer Anklage, die Pasimunde bei dem Senat von Rhodus angebracht hatte, ins Gefängnis führen.

So ward dem armen verliebten Cimon seine Iphigenia wieder entrissen, nachdem er sie eben erst entführt und ihr nichts als ein paar Küsse geraubt hatte. Iphigenia ward indessen von vielen edlen Frauen in Rhodus empfangen, die sich bemühten, ihr nach dem Schrecken über ihre Entführung und über die Wut des ungestümen Meeres einige Erholung zu verschaffen, und bei denen sie bis an den Tag verweilte, der zu ihrer Hochzeit angesetzt war. Cimon und seinen Gefährten schenkte man zwar das Leben, weil sie am Tage zuvor den Rhodischen Jünglingen freien Abzug vergönnt hatten (obgleich Pasimunde sich alle Mühe gab, ein Todesurteil gegen sie auszuwirken), doch verdammte man sie alle zu lebenslänglicher Gefangenschaft.

Pasimunde eilte indessen, Anstalten zu seiner Vermählung zu treffen; doch indem er sich damit beschäftigte, schien das Schicksal es schon wieder zu bereuen, daß es Cimon plötzlich einen so bösen Streich gespielt hatte, und es führte von neuem eine Gelegenheit herbei, um ihm wieder aufzuhelfen. Pasimunde hatte nämlich einen Bruder, dem er zwar an Jahren, aber nicht an guten Eigenschaften überlegen war, namens Ormisda. Dieser hatte sich seit langer Zeit um ein schönes und edles Mädchen der Stadt, Kassandra genannt, beworben, in das Lysimachus gleichfalls sehr verliebt war; doch hatten dieser Heirat bisher verschiedene Hindernisse im Wege gestanden. Als aber Pasimunde jetzt im Begriffe war, seine eigene Hochzeit mit großem Gepränge zu begehen, hielt er es für das beste, um doppelte Unkosten und doppelte Feierlichkeiten zu sparen, daß Ormisda sich zur gleichen Zeit verheirate. Er knüpfte demnach die Unterhandlungen mit Kassandras Eltern wieder an und brachte es glücklich zustande, daß am gleichen Tage, an dem Pasimunde Iphigenia heirate, Ormisda sich Kassandra vermählen solle.

Als Lysimachus dies vernahm, schmerzte es ihn sehr, alle seine Hoffnungen getäuscht zu sehen, weil er sich ganz gewiß geschmeichelt hatte, Kassandra selbst zu bekommen, wenn aus der Heirat mit Ormisda nichts würde. Er verbarg inzwischen listig seinen Unmut darüber, indes er auf Mittel sann, Ormisdas Absichten zu vereiteln; doch sah er dazu keinen anderen Ausweg, als Kassandra zu entführen. Vermöge der Macht, die er in Händen hatte, schien ihm dieses nicht schwer zu sein; doch hielt er eben deswegen diese Maßregel für weniger erlaubt und anständig, als wenn ihm diese Gewalt nicht wäre anvertraut gewesen. Nachdem er jedoch lange darüber hin und her gedacht hatte, behielt endlich die Liebe den Sieg über die Gewissenhaftigkeit, und er entschloß sich, Kassandra zu entführen, es koste was es wolle. Indem er nun überlegte, welche Gehilfen er sich wählen und wie er die Anstalten treffen wolle, fiel ihm Cimon ein, der mit seinen Gefährten im Gefängnis schmachtete, und er glaubte, daß er nirgends einen besseren und treueren Helfer seiner Sache finden könne. Er ließ demnach an einem Abend Cimon insgeheim zu sich kommen und redete ihn folgendermaßen an: »Cimon! So wie die Götter sich den Menschen als die besten und reichlichsten Geber alles Guten zeigen, so wissen sie auch am besten, ihre Tugenden auf die Probe zu stellen und diejenigen nach Verdienst zu belohnen, welche am festesten und beständigsten in allen Wechselfällen des Schicksals befunden werden. Sie verlangten von deiner Tugend größere Beweise, als du in dem Hause deines Vaters hättest geben können, der, wie ich weiß, an allen Glücksgütern einen Überfluß hat. Deswegen haben sie dich, wie ich höre, zuerst durch den Stachel der Liebe aus einem unempfindlichen Tierleben zu einem vernünftigen Zustande erweckt; darauf hat dein hartes Schicksal dich hierher in eine beschwerliche Gefangenschaft geführt, weil die Götter versuchen wollten, ob dein Mut sich durch den plötzlichen Verlust deiner eroberten geliebten Beute würde wankend machen lassen. Bist du aber noch ebenso gesinnt wie vormals, so haben sie dir nie ein erwünschteres Geschenk gemacht als die Gelegenheit, welche sie dir jetzt bieten, und die ich dir verkünden will, damit du dich wieder ermannest und Mut gewinnst. Pasimunde, der sich über dein Unglück freut und dir gern den Tod bereitet hätte, beeilt sich jetzt, seine Vermählung mit deiner Iphigenia zu vollziehen, um sich des Schatzes zu erfreuen, welchen dir dein günstiges Glück zuerst bescherte und ihn dir dann plötzlich im launischen Zorn wieder entriß. Wie sehr dich dieses schmerzen muß, wenn du so zärtlich liebst, wie ich glaube, das weiß ich aus eigener Erfahrung, indem des Pasimundes Bruder Ormisda mir in Kassandras Person, die ich unaussprechlich liebe, an demselben Tage eine ähnliche Kränkung zubereitet. Ich weiß keinen anderen Weg, den das Schicksal uns offen gelassen hat, um diesem Unrecht und dieser Kränkung zuvorzukommen als durch unseren herzhaften Mut und durch die Kraft unseres Armes, der uns mit dem Schwerte die Bahn brechen muß, du zur zweiten, ich zur ersten Entführung der Geliebten. Denn wofern dir, ich will nicht sagen, deine Freiheit, denn diese hat wohl ohne den Besitz Iphigenias nur einen geringen Wert für dich, sondern die Wiedererlangung deiner Geliebten selbst am Herzen liegt, so geben sie dir die Götter in deine Hand, wenn du mir in meinen Unternehmungen beistehen willst.«

Diese Worte weckten den gesunkenen Mut in Cimons Brust wieder auf. Er besann sich nicht lange auf eine Antwort, sondern sprach: »Lysimachus, du kannst dir bei dieser Unternehmung weder einen tapferen, noch einen treueren Gefährten wählen als mich, wenn ich dasjenige damit erlangen kann, was du mich hoffen lässest; sage mir also nur, was ich tun soll, so sollst du sehen, mit wieviel Eifer und Kraft ich es ausführen werde.« Lysimachus antwortete: »Über drei Tage werden die beiden Bräute ihren Einzug in den Palast ihrer Gatten halten. Am Abend wollen wir beide, du mit deinen Gefährten und ich mit einigen zuverlässigen Männern, das Haus überfallen, unsere Geliebten mitten aus dem Kreise der versammelten Gäste entführen und sie auf ein Schiff bringen, das ich schon heimlich habe ausrüsten lassen, und wer sich uns widersetzt, der soll durch unser Schwert fallen.«

Cimon gefiel der Anschlag, und er verhielt sich bis zum anberaumten Zeit still in seinem Gefängnis. Als der Hochzeitstag kam, war der Aufzug sehr festlich und prunkvoll, und im Hause der beiden Brüder erscholl alles von lautem Jubel. Als Lysimachus alles veranstaltet und sich und Cimon samt dessen Gefährten und seinen eigenen Freunden mit Waffen versehen hatte, die sie unter ihren Kleidern versteckten, ermunterte er sie durch eine zweckmäßige Anrede zur wackeren Ausführung der Tat und teilte sie hierauf in drei Haufen, wovon er den einen in der Stille nach dem Hafen schickte, um den Weg nach dem Schiffe nötigenfalls offen zu halten. Mit den beiden anderen Haufen ging er nach dem Hause des Pasimunde, wo er den einen an der Tür ließ, um sich den Rückweg zu sichern. Der andere folgte ihm und Cimon die Treppe hinauf. Als sie in den Speisesaal kamen, wo die jungen Bräute mitten unter vielen anderen Damen bereits an der Tafel saßen, sprangen sie zu, stießen die Tische um, bemächtigten sich ein jeder seiner Geliebten und übergaben sie dem Schutz ihrer Waffengenossen mit dem ausdrücklichen Befehl, sie sofort auf das segelfertige Schiff zu bringen. Die beiden Bräute weinten und jammerten, und alle übrigen Weiber samt den Dienern erhoben ein lautes Jammern und bald widerhallte das ganze Haus von Lärm und Klagegeschrei. Cimon und Lysimachus zogen ihre Schwerter und bahnten sich, ohne Widerstand zu finden, da alle zurückwichen, den Weg zur Freitreppe. Indem sie die Treppe hinuntereilten, kam ihnen Pasimunde entgegen, der bei dem entstandenen Getümmel mit einer großen Keule herbeigelaufen kam. Cimon versetzte ihm aber einen Schwerthieb, der ihm den Schädel fast voneinander spaltete und ihn tot zu Boden streckte. Der unglückliche Ormisda, der seinem Bruder zu Hilfe eilte, fiel ebenfalls unter den Streichen des Cimon, und einige andere, die ihnen den Weg streitig machen wollten, wurden von den Gefährten des Cimon und Lysimachus verwundet und zurückgetrieben. Sie hinterließen im Hause Blut, Geschrei, Wehklagen und Trauer und erreichten in geschlossenem Haufen schnell und ungehindert den Hafen, wo sie die Damen einschifften und dann selbst in Eile ihr Schiff bestiegen, weil sie sahen, daß schon am Ufer eine Menge bewaffneter Leute sich zusammenrottete, um die beiden Jungfrauen wieder zu befreien. Sie ruderten schnell und fröhlich davon und wurden bei ihrer Ankunft in Kreta von ihren vielen Freunden und Verwandten freudig und herzlich aufgenommen, feierten ihre Hochzeit und erfreuten sich ihrer geliebten Beute. In Cypern und auf Rhodus entstanden indessen große und langwierige Fehden um ihretwillen. Doch endlich schlugen sich einige friedliebende Freunde und Verwandte auf beiden Inseln ins Mittel und brachten es dahin, daß Cimon und Iphigenia nach einer kurzen Verbannung wieder nach Cypern und Lysimachus mit Kassandra nach Rhodus zurückkehren durften. Und noch lange lebte jedes Paar glücklich in seiner Heimat.

12. Novelle

Riccciardo Manardi wird von Messer Lizio da Valbona bei seiner Tochter im Bette gefunden; er heiratet sie und lebt ferner in Frieden und Freundschaft mit ihrem Vater.

Es ist noch nicht lange her, da in Romagna ein braver und angesehener Kavalier lebte, namens Messer Lizio da Valbona, den seine Gemahlin, Madonna Giacomina, indem er schon zu altern anfing, mit einer Tochter beschenkte, die, als sie heranwuchs, alle Mädchen an Schönheit und Liebreiz übertraf, und weil sie überdies das einzige Kind ihrer Eltern war, von ihnen außerordentlich geliebt und zugleich mit äußerster Sorgfalt bewacht ward, weil die Eltern hofften, sie besonders vorteilhaft zu verheiraten. Ein gewisser schöner, rüstiger Jüngling von dem Geschlecht der Manardi aus Bretinoio, namens Ricciardo, lebte inzwischen mit dem Vater auf einem so vertrauten Fuße, daß weder er noch seine Gattin ihn anders als wie ihren eigenen Sohn betrachteten und ihn ebenso unbefangen bei sich aus- und eingehen ließen. Als dieser das schöne, reizende, wohlerzogene Mädchen, das eben zum mannbaren Alter herangereift war, täglich vor Augen hatte, verliebte er sich glühend in sie, wußte aber seine Liebe so zu verbergen, daß nur sie allein sie bemerkte und nicht unterließ, seine Zärtlichkeit zu erwidern. Ricciardo war froh, als er diese Entdeckung machte, und mehr als einmal schwebte ihm seine Liebeserklärung auf der Zunge; doch lange hielt ihn seine Schüchternheit zurück, bis er sich endlich einst ein Herz faßte und sagte: »Catarina, ich bitte dich, laß mich nicht vor Liebe sterben.«

»Wollte Gott,« gab sie ihm zur Antwort, »daß du mich nicht noch mehr sterben, vielmehr verschmachten ließest.« Diese Antwort löste ihm vollends die Zunge, und er versetzte: »An mir soll es nicht liegen, alles zu tun, was du wünschest; aber du mußt für das Mittel sorgen, dir und mir das Leben zu retten.«

»Du siehst, Ricciardo,« antwortete Catarina, »Wie streng ich bewacht werde, und ich weiß kein Mittel zu entdecken, wie du zu mir kommen könntest; kannst du dich aber auf etwas besinnen, das ich ohne Verletzung meines guten Rufes tun kann, so sprich, und es soll geschehen.«

Ricciardo, der darüber schon nachgedacht hatte, sagte sofort: »Holde Catarina, ich weiß kein anderes Mittel, als wenn du versuchtest, auf den Balkon, der nach eurem Garten herausgeht, zu kommen oder dort zu schlafen. Wenn ich dann wüßte, daß du in der Nacht dort wärst, wollte ich schon zu dir hinaufklettern, so hoch es ist.«

»Wenn du es wagen willst hinaufzukommen, so hoffe ich es schon so einzurichten, daß man mir erlaubt, dort zu schlafen«, sprach Catarina. Ricciardo antwortete, er wolle es gewiß wagen. Ein verstohlener Kuß besiegelte diese Verabredung, worauf sie einander schnell verließen. Es ging schon gegen Ende des Maimonats. Am folgenden Tage beklagte sich Catarina bei ihrer Mutter, daß sie in der vorigen Nacht in ihrem Zimmer vor Hitze nicht hätte schlafen können.

»Was sprichst du von Hitze, Kind?« sprach die Mutter. »Es war ja noch nicht einmal warm.«

»Wenn Ihr sagtet,« erwiderte Catarina, »meiner Ansicht nach, so möchte es wohl seine Richtigkeit haben, liebe Mutter. Aber Ihr müßt bedenken, daß junge Mädchen heißeres Blut haben als bejahrte Frauen.«

»Das ist wahr, mein Töchterchen«, sprach, die Mutter. »Allein ich kann nicht über Wärme und Kälte gebieten, wie du wohl wünschest. Man muß die Witterung so nehmen, wie sie die Jahreszeit mit sich bringt; vielleicht wird es künftige Nacht kühler, daß du ruhiger schlafen kannst.«

»Das gebe der Himmel«, sprach Catarina. »Aber die Nächte pflegen gewöhnlich gegen den Sommer nicht kühler zu werden.«

»Was soll denn also nach deinem Willen geschehen?« fragte die Mutter wieder.

»Wenn Ihr und der Vater nichts dawider hättet,« antwortete die Tochter, »so möchte ich mir wohl neben seinem Zimmer, auf dem Balkon, der nach dem Garten liegt, ein Bett machen und die Nacht da schlafen. Ich würde die Nachtigall singen hören und im Kühlen viel besser schlafen als bei Euch in Eurem Zimmer.«

»Gut, mein Töchterchen«, sprach die Mutter. »Ich will’s dem Vater sagen, und wenn er damit zufrieden ist, so soll es geschehen.«

Als die Frau Messer Lizio die Sache vortrug, gab er ihr, weil er ein alter Mann und daher vermutlich ein wenig mürrisch war, zur Antwort: »Was schwatzt das Mädel von einer Nachtigall, die sie in den Schlaf singen soll? Ich werde sie lehren, sich vom Gezirp der Zikaden einschläfern zu lassen.«

Als Catarina diese Antwort von ihrer Mutter hörte, brachte sie, mehr aus Verdruß als vor Hitze, die folgende Nacht nicht allein schlaflos zu, sondern sie ließ auch ihrer Mutter keine Ruhe und klagte beständig über die große Hitze. Des andern Morgens sprach die Mutter zu Messer Lizio: »Du hast wenig Liebe für das arme Mädchen. Was kann es dir schaden, wenn sie auf dem Balkon schläft? Sie hat die vergangene Nacht vor lauter Hitze im Bett keine Ruhe gehabt; und ist es denn so wunderbar, daß ein junges Mädchen so gern die Nachtigall singen hört? Sie ist ja noch blutjung. Jugend ist Jugend und liebt, was sie mag.«

»Nun gut denn,« sprach Messer Lizio, »laß ihr ein Bett machen wie und wo du willst, aber laß es mit Vorhängen umgeben; mag sie sich dann nach Herzenslust vom Gesang der Nachtigall einwiegen lassen.«

Als Catarina dies erfuhr, eilte sie, sich ihr Bett bereiten zu lassen, und weil sie schon in der folgenden Nacht dort schlafen durfte, gab sie, sobald sie Ricciardo gewahr ward, ihm ein gewisses Zeichen, woran er ersah, was er zu tun hätte. Messer Lizio, der hörte, daß seine Tochter zu Bett gegangen war, verschloß die Tür, die aus seinem Zimmer nach dem Balkon ging, und legte sich gleichfalls zu Bett. Als Ricciardo merkte, daß alles im Hause still war, erstieg er mit Hilfe einer Leiter die Gartenmauer und kletterte dann an den Absätzen der Mauer des Hauses, nicht ohne große Gefahr abzustürzen, hinauf bis auf den Balkon, wo ihn sein Mädchen in aller Stille mit großer Freude empfing. Sie küßten sich und legten sich zusammen nieder und schenkten sich gegenseitig alle Freuden und Wonnen ihrer jungen Leiber und Seelen. Die Geschichte sagt nicht, wie oft sie die Nachtigall schlagen ließen; weil aber ihre Lust groß und die Nacht kurz war, so verging ihnen diese so schnell, daß sich ihnen unbemerkt der Tag bereits näherte, als sie kaum Zeit gehabt hatten, ein wenig einzuschlummern; und teils die warme Jahreszeit, teils ihre zärtlichen Liebkosungen hatten sie so erhitzt, daß sie ohne alle Bedeckung lagen. Catarina hatte mit der Rechten den Hals ihres Geliebten fest umschlungen und mit der Linken hielt sie das Ding, das Frauen, besonders vor Männern, zu nennen sich schämen. In dieser Lage schliefen sie noch, als der Tag sie überraschte, aber nicht weckte. Messer Lizio stand auf, und weil es ihm einfiel, daß seine Tochter auf dem Balkon schlief, war er neugierig zu sehen, wie sie bei dem Nachtigallensang geruht hätte. Leise öffnete er die Tür, hob den Vorhang, der vor das Bett gespannt war, vorsichtig auf und fand die beiden Verliebten in der vorbeschriebenen Stellung nackt, unbedeckt und umschlungen im süßesten Schlafe. Als er das Gesicht des Ricciardo erkannte, kehrte er wieder um, ging nach der Kammer seiner Frau, weckte sie und sagte: »Steh geschwind auf, Frau; deine Tochter hat die Nachtigall so reizend gefunden und ihr so gut nachgestellt, daß sie sie gefangen hat und noch immer in der Hand hält.«

»Wie ist das möglich!« rief die Frau.

»Das sollst du sehen, wenn du nur geschwind kommst«, antwortete Messer Lizio.

Sie warf geschwind ihr Morgengewand über und folgte leise ihrem Manne, der sie an das Bett führte, den Vorhang wegschob und ihr zeigte, wie fest ihre Tochter die Nachtigall hielt, nach deren Gesang sie sich so gesehnt hatte. Die Mutter, welche sich von Ricciardo gröblich betrogen fühlte, wollte Lärm machen und ihn mit Vorwürfen überschütten! Allein Messer Lizio sagte zu ihr: »Frau, wenn du mich liebst, so halte den Mund. Da sie die Nachtigall einmal gefangen hat, so soll sie sie auch behalten. Ricciardo ist reich und ein Edelmann; eine Verbindung mit ihm kann nicht anders als vorteilhaft für uns sein. Will er sich mit mir in Güte vertragen, so muß er das Mädchen heiraten, damit er innewird, daß er die Nachtigall nicht in einen fremden Käfig, sondern in seinen eigenen gesperrt hat.«

Damit ließ sich die Frau besänftigen, zumal sie sah, daß ihr Mann über den Vorfall nicht aufgebracht war. Weil sie fand, daß ihre Tochter eine gute Nacht gehabt, gut geschlafen und den Vogel gefangen hatte, so gab sie sich zufrieden und schwieg.

Bald nach diesem Gespräch, sie brauchten nicht lange zu warten, erwachte Ricciardo, und als er fand, daß es schon hellichter Tag war, dachte er, er wäre des Todes. »O Himmel, liebes Herz!« rief er, indem er Catarina weckte. »Was fangen wir an? Der Tag ist schon angebrochen und hat mich hier überrascht.«

Indem hob Messer Lizio den Vorhang auf und sagte: »Dafür soll wohl Rat werden.«

Ricciardo glaubte schon, daß ihm das Herz aus dem Leibe gerissen würde, als er den Alten erblickte. »Ach, Herr!« sprach er, indem er sich im Bett aufrichtete. »Habt Gnade mit mir, um Gottes willen! Ich bekenne, daß ich als ein treuloser und böser Mensch den Tod verdient habe. Macht mit mir, was Ihr wollt, nur bitte ich Euch, schonet womöglich mein Leben und bringt mich nicht um.«

»Ricciardo,« antwortete der Alte, »meine Liebe für dich und das Vertrauen, das ich dir schenkte, hatten diesen Lohn nicht von dir verdient. Weil aber die Sache einmal so steht, und weil deine Jugend dich zu diesem großen Fehltritt verleitet hat, so kannst du deinen Tod und meine Schande abwenden, wenn du dich mit Catarina vermählst, sie auf immer zu der Deinigen machst, damit sie immer dein sei, wie sie es diese Nacht gewesen ist. Auf diese Weise kannst du meine Verzeihung erlangen und dir selbst das Leben retten. Wo nicht, so befiehl deine Seele Gott!«

Catarina hatte indessen die Nachtigall losgelassen, die Decke über die Augen gezogen und bitterlich geweint. Jetzt bat sie ihren Vater um Verzeihung für Ricciardo und ihren Geliebten um seine Einwilligung in die ihm vorgeschriebene Bedingung, damit sie einander in guter Ruhe noch viele Nächte wie die vergangene schenken könnten. Ricciardo ließ sich nicht lange bitten; denn ihn bewog teils die Scham über seinen begangenen Fehler und der Wunsch, ihn wieder gutzumachen, teils die Furcht vor dem Tode und die Liebe zum Leben; und vor allen Dingen seine innige Liebe und die Begierde, seine Geliebte völlig zu besitzen, so daß er sich nicht einen Augenblick bedachte und erklärte, er wolle sich in den Willen Messer Lizios fügen und tun, was er heische. Lizio ließ sich demnach von seiner Frau einen Ring bringen, mit dem Ricciardo in ihrer beider Gegenwart sich unverzüglich mit Catarina feierlich verlobte. Darauf gingen die beiden Alten wieder davon und sagten. »Schlaft nun aus, denn das habt ihr vielleicht nötiger als das Aufstehen.« Nach ihrem Weggang umarmten sich die beiden jungen Menschen von neuem, und da sie in der Nacht erst sechs Meilen geritten waren, so brachten sie es, bevor sie aufstanden, noch auf weitere zwei und ließen es dann für diesen Tag genug sein. Ricciardo nahm sogleich nach dem Aufstehen mit seinem Schwiegervater gehörige Abrede, wiederholte in Gegenwart aller beiderseitigen Freunde und Verwandten die Vermählung nach einigen Tagen förmlich, worauf er seine junge Frau mit großem Prunk heimführte, ein stattliches, schönes Hochzeitsfest veranstaltete und in der Folge den Nachtigallenfang bei Tage und bei Nacht mit ihr in Freude und Frieden fortsetzen konnte, so oft es ihm beliebte.

13. Novelle

Theodoro verliebt sich in Violante, die Tochter seines Herrn Messer Amerigo. Sie wird schwanger, und er wird zum Galgen verurteilt. Indem man ihn mit Geißelhieben nach dem Richtplatze führt, erkennt ihn sein Vater; er kommt los und heiratet seine Geliebte.

Zur Zeit, als der gute König Wilhelm über Sizilien herrschte, lebte auf dieser Insel ein Edelmann namens Messer Amerigo, Abata von Trapani, der unter anderen zeitlichen Gütern auch mit Kindern reichlich gesegnet war. Weil er nun viele Bedienung nötig hatte, und einmal einige genuesische Freibeuter auf ihren Galeeren aus der Levante ankamen, die an der armenischen Küste gekreuzt und eine Menge Kinder entführt hatten, so kaufte er einige davon, weil er sie für Türken hielt. Die meisten schienen Kinder von Hirten, aber ein Knabe befand sich darunter von edlerer Bildung und Anstand als die übrigen, der Theodoro hieß. Als er heranwuchs, ward er, seiner Dienstbarkeit ungeachtet, ein beständiger Gesellschafter der Kinder seines Herrn, und da bei ihm die Natur über die zufälligen Umstände siegte, so ward er so wohlerzogen und gesittet, daß Amerigo großen Wohlgefallen an ihm fand und ihm die Freiheit schenkte. Weil er von ihm nichts anderes wußte, als daß er ein Türke wäre, so ließ er ihn taufen und Pietro nennen und machte ihn zum Verwalter seines Hauswesens, weil er unbedingtes Zutrauen auf ihn setzte.

Als die Söhne des Amerigo heranwuchsen, entwickelte sich eine seiner Töchter, namens Violante, zu einem sehr schönen und liebenswürdigen Mädchen, und weil ihr Vater eben nicht eilte, sie zu verheiraten, so hatte sie Zeit, sich in Pietro zu verlieben, den sie wegen seines angenehmen Wesens und seiner Aufführung sehr hoch schätzte; doch schämte sie sich, ihm ihre Neigung zu entdecken. Die Liebe sparte ihr indessen diese Mühe; denn so schüchtern auch die Blicke Pietros ihre Reize gemustert hatten, so hinterließen diese dennoch einen so tiefen Eindruck auf sein Herz, daß ihm nicht wohl war, wenn er sie nicht sah; wiewohl er sich sorgfältig hütete, daß jemand seine Liebe gewahr würde, die er selbst nicht für erlaubt hielt.

Doch die Jungfrau, die ihn gern sah, ward bald von seiner Gegenliebe überzeugt, und um ihn noch mehr aufzumuntern, ließ sie ihn deutlich merken, daß sie sie billige. So stand es eine geraume Zeit zwischen ihnen, ohne daß sie sich getrauten, einander ihre Herzen zu eröffnen, so sehr dieses auch ihr beiderseitiger Wunsch war. Doch indem sie sich beide von der Glut ihrer Liebe durchdrungen fühlten, bereitete der Zufall eine Gelegenheit, welche sich ihnen ausdrücklich anzubieten schien, damit sie die Schüchternheit fahren ließen, welche bisher ihrer Liebe im Wege gestanden hatte. Herr Amerigo hatte nämlich ungefähr eine Meile von Trapani ein sehr schönes Landhaus, wohin seine Gattin mit ihrer Tochter und mit anderen Frauen oft zum Vergnügen zu Fuß zu gehen pflegte.

Als sich einst an einem schwülen Tage daselbst befanden und Pietro sie dahin begleitet hatte, überzog sich, wie oft im Sommer, der Himmel plötzlich mit Wolken, die ein nahes Ungewitter ankündigten, daher die Dame mit ihrer Gesellschaft, um nicht dort von dem Unwetter überrascht zu werden, sich aufmachte und so schnell wie möglich nach Trapani zurückeilte. Ihre Tochter und Pietro gingen indessen als junge Leute viel schneller als die Mutter und die übrige Gesellschaft, und vielleicht beflügelte die Liebe ihre Schritte nicht weniger als die Furcht vor dem Sturme. Als sie nun bereits einen solchen Vorsprung vor den übrigen gewonnen hatten, daß sie ihnen fast aus dem Gesicht gekommen waren, entstand nach einigen Donnerschlägen ein heftiges Hagelwetter. Die alte Dame nahm nebst ihren Gefährtinnen Zuflucht in einem Bauernhause. Pietro und Violante aber hatten sich in eine kleine, leere, verfallene Hütte geflüchtet, wo sie genötigt waren, sich unter dem geringen Obdach ganz nahe aneinander zu schmiegen. Diese Berührung weckte ihre Sehnsucht und gab ihnen Mut und Worte, sie zu gestehen. Pietro sprach zuerst: »Ach, wollte Gott, daß der Hagel nimmer aufhören möchte, wenn ich unterdessen immer in meiner jetzigen Lage bleiben könnte!«

»Ach!« seufzte das Mädchen. »Ich fühle mich hier nicht weniger behaglich.«

Auf diese Worte folgte ein Händedruck, auf diesen eine Umarmung; ihre Lippen begegneten einander. Und währenddessen hagelte es immer weiter. — Doch warum soll ich jede Stufe beschreiben, welche sie allmählich, noch bevor es zu hageln aufhörte, bis zum letzten und höchsten Wonnegenuß der Liebe führte? Genug, sie wurden einig, sich diesen Genuß in Zukunft ferner heimlich zu verschaffen. Das Ungewitter ging vorüber, sie erwarteten vor dem Tore, welches nicht mehr weit war, die Mutter und kehrten mit ihr nach Hause zurück. Hier wußten sie ihre Maßregeln so geschickt zu treffen, daß sie sich noch oft ihrer Liebe insgeheim erfreuen konnten, und dieses währte so lange, bis das Mädchen endlich schwanger ward, worüber sie beide in unbeschreibliche Verlegenheit gerieten. Deshalb probierte sie allerlei Mittel, gegen das Gebot der Natur sich ihrer Leibesfrucht zu entledigen. Aber vergebens. Pietro war deshalb für sein Leben besorgt und wollte fliehen. Als er dieses aber seiner Geliebten sagte, antwortete sie ihm: »Wenn du mich verläßt, so bringe ich mich selbst ums Leben.«

Pietro, der sie zärtlich liebte, versetzte: »Wie kannst du wünschen, meine Seele, daß ich hier bleiben soll? Deine Schwangerschaft wird unsern Fehltritt entdecken. Dir zwar wird man leicht verzeihen, aber ich Armer werde allein für dein und mein Vergehen büßen müssen.«

Das Mädchen erwiderte: »Pietro, mein Fehltritt wird sich freilich nicht verhehlen lassen; aber sei versichert, daß der deinige nimmermehr kund werden soll, wenn du dich nicht selbst verrätst.«

»Wenn du mir dies versprichst, so will ich bleiben,« sprach Pietro, »aber vergiß nicht, mir Wort zu halten.« Violante, die, solange sie konnte, ihre anderen Umstände verhehlte, vermochte endlich nicht länger, den zunehmenden Umfang ihrer Gestalt zu verbergen, so daß sie sich gezwungen sah, ihrer Mutter mit Tränen ihren Zustand zu offenbaren und sie um Schonung und Rettung zu bitten. In der ersten Hitze machte die Mutter ihr die härtesten Vorwürfe, indem sie zugleich darauf drang, genau zu wissen, wie alles zugegangen wäre. Violante fand jedoch Mittel, die Wahrheit in ein fabelhaftes Gewand zu hüllen, um alles Unglück von Pietro abzuwenden. Die Mutter glaubte ihr und schickte ihre Tochter nach einer entlegenen Meierei, um ihren Zustand zu verbergen. Hier überfiel sie die Stunde der Geburt, und wie die Frauen zu tun pflegen, schrie sie in den Wehen. Amerigo, dessen Gegenwart seine Gattin hier nicht vermutete, weil er äußerst selten an diesen Ort zu kommen pflegte, kam unglücklicherweise eben von der Reiherbeize dahin und ging nahe an dem Zimmer vorbei, wo er das Geschrei der Gebärenden hörte und voll Verwunderung hineintrat, um zu sehen, was es gäbe. Als seine Gattin ihn so unerwartet erblickte, stand sie auf und gestand ihm mit Schmerzen, was ihrer Tochter begegnet war. Weil er aber nicht so leichtgläubig war wie die gute Frau, so ließ er sich durchaus nicht einreden, daß das Mädchen nicht wüßte, von wem sie schwanger sei, und er drang in sie, wenn sie Verzeihung von ihm erlangen wolle, ihm die reine Wahrheit zu gestehen oder ohne Barmherzigkeit ihren Tod zu gewärtigen. Die Frau gab sich zwar alle ersinnliche Mühe, ihrem Manne die Sache so vorzustellen, wie ihre Tochter sie erzählt hatte. Allein es war umsonst. Er ging sinnlos vor Raserei mit gezücktem Degen auf das Mädchen los, das während des Wortwechsels ihrer Eltern von einem Knaben entbunden worden, und schrie ihr zu: »Sage, wessen Kind dies ist, oder stirb auf der Stelle!«

Das arme Mädchen brach in Todesangst das Pietro gegebene Wort und berichtete alles was zwischen ihm und ihr vorgegangen war. Kaum enthielt sich der wütende Vater, sie ums Leben zu bringen; doch machte er nur mit Worten und Vorwürfen seinem Zorne Luft, schwang sich dann auf sein Roß, ritt nach Trapani und klagte dem königlichen Statthalter, Messer Currado, welchen Schimpf ihm Pietro angetan hätte. Dieser ward demnach, ehe er sich’s versah, ergriffen und gestand auf der Folter alles. Er ward hierauf nach einigen Tagen von dem Statthalter verurteilt, öffentlich durch die Stadt gestäupt und gehängt zu werden. Und damit auf einmal die beiden Liebenden und die Frucht ihrer Liebe getilgt würden, so mischte Amerigo, dem es nicht genügte, Pietro zum Tode gebracht zu haben, einen Gifttrank und gab ihn nebst einem gezückten Dolche einem Diener mit dem grausamen Befehl: »Geh mit diesen beiden Dingen zu Violante und sage ihr in meinem Namen, sie soll zwischen diesen beiden Todesarten, dem Gift und dem Dolche, wählen, oder ich werde sie im Angesicht aller Einwohner der Stadt verbrennen lassen, wie sie es verdient hat. Dann nimm ihr neugeborenes Kind, zerschmettere ihm den Schädel an der Mauer und wirf es den Hunden zum Fraß vor.«

Als der grausame Vater diesen unmenschlichen Befehl gegen seine Tochter und seinen Enkel gegeben hatte, ging der Diener davon und war nur zu sehr geneigt, den blutdürstigen Auftrag zu vollziehen.

Indem Pietro seinem Urteil gemäß von den Schergen nach dem Richtplatz gegeißelt ward, traf es sich, daß der Zug von ihnen vor einem Gasthofe vorbeigeführt wurde, in dem drei edle Armenier abgestiegen waren, die als Abgesandte des Königs von Armenien mit wichtigen Aufträgen, einen neuen Kreuzzug betreffend, zum Papst reisen sollten und sich hier einige Tage aufhielten, um auszuruhen und sich zu erholen, und vom Adel in Trapani, besonders von Herrn Amerigo, äußerst liebenswürdig aufgenommen wurden. Als diese den Zug kommen hörten, der Pietro vorbeiführte, traten sie ans Fenster, um zuzusehen. Pietro war bis an den Gürtel entblößt, und die Hände waren ihm auf den Rücken gebunden.

Einer von den drei Abgesandten, ein sehr ehrwürdiger alter Mann namens Fineo, ward von ungefähr gewahr, daß Pietro auf der Brust einen großen roten Fleck hatte, der nicht von irgendeinem äußeren Grund, der Stäupung etwa, herrührte, sondern in der Natur der Haut lag, mit anderen Worten ein Muttermal, wie wir es nennen, war. Dieses Mal erinnerte ihn auf der Stelle an einen Sohn, den ihm vor mehr als fünfzehn Jahren am Ufer von Lajazzo die Seeräuber geraubt hatten, und von dem er nie die geringste Nachricht hatte erhalten können. Als er nun das Alter des Gestäupten ungefähr schätzte, so meinte er, sein Sohn, wenn er noch lebe, müsse gerade so alt sein, und das Mal veranlaßte ihn vollends zu glauben, daß er es selbst wäre, und daß er sich in diesem Falle seines eigenen und des väterlichen Namens noch wohl erinnern und die armenische Sprache nicht ganz vergessen haben würde. Er rief ihn demnach, als er näher kam, bei seinem Namen Theodoro!

Pietro horchte auf, und Fineo fragte ihn auf armenische »Aus welchem Land und wessen Sohn bist du?«

Aus Achtung für den ehrwürdigen Alten hielten die Häscher still und ließen Pietro Zeit zu antworten. »Ich bin aus Armenien«, gab er zur Antwort, »und bin der Sohn eines Mannes, der sich Fineo nennt. Unbekannte Männer haben mich als Kind entführt.«

Mehr Zeugnis brauchte Fineo nicht, um versichert zu sein, daß er seinen längst verlorenen Sohn wiedergefunden hatte. Er eilte mit nassen Augen mit seinen Gefährten die Treppe hinunter, umarmte ihn mitten unter den Henkersknechten, warf ihm seinen eigenen Mantel von kostbarem Stoff um und bat den, der ihn zum Tode führte, zu warten, bis er Befehl erhalten würde, ihn weiterzuführen.

Dieser zeigte sich willig, zu warten. Fineo hatte die Ursache schon vernommen, weswegen Pietro das Leben abgesprochen worden war, weil das Gerücht davon sich schon überall verbreitet hatte. Er eilte demnach mit seinen Gefährten und Dienern zum Statthalter und sagte zu ihm: »Mein Herr, der, den Ihr als einen leibeigenen Knecht zum Tode verurteilt habt, ist ein freigeborener Mensch und mein leiblicher Sohn und ist bereit, die zu seiner Gattin zu nehmen, die er, wie ich höre, um ihre Jungfräulichkeit gebracht hat. Ich bitte Euch demnach, seine Hinrichtung so lange aufzuschieben, bis man erfahren kann, ob sie ihn haben will; damit Ihr nicht im Falle, daß sie ihn mag, ungesetzlich gegen ihn verfahrt.« Messer Currado erstaunte nicht wenig, als er hörte, daß Pietro der Sohn des Fineo wäre; er gestand, daß dieser recht hätte, war ein wenig beschämt über den bösen Streich, den das Schicksal dem Jüngling gespielt hatte, und ließ ihn deswegen eiligst holen und Messer Amerigo zu sich rufen, um ihm zu erzählen, was geschehen war. Amerigo, der glaubte, daß seine Tochter und sein Enkel schon hingerichtet wären, empfand darüber die bitterste Reue, als er sah, daß alles so glücklich könne ausgeglichen werden, wenn sie noch lebten. Er sandte jedoch eiligst hin, um womöglich die Ausführung seines Befehls noch zu verhindern. Glücklicherweise fand man den Diener, den Amerigo abgeschickt hatte, noch mit dem Dolche und Giftbecher in der Hand, aber im Begriff, das unglückliche Mädchen, das nicht den Mut hatte zu wählen, mit harten Worten zur Entscheidung zu zwingen.

Auf den Befehl seines Herrn ließ er nunmehr ab und kam zurück, um ihm zu sagen, wie die Sachen ständen. Amerigo war darüber sehr froh; er eilte zu Fineo, entschuldigte sich so gut er konnte unter Tränen wegen des Geschehenen und bat ihn um Verzeihung, mit der Versicherung, daß er seine Tochter mit Freuden Theodoro zur Gemahlin geben wolle, wenn er willig sei, sie zu heiraten. Fineo ließ die Entschuldigung gelten und antwortete: »Mein Sohn soll allerdings Eure Tochter heiraten, und weigert er sich, so mag das gesprochene Urteil über ihn ergehen.«

Da Amerigo und Fineo darüber einig waren, begaben sie sich zu Theodoro, der noch zwischen der Todesangst und der Freude, seinen Vater wiedergefunden zu haben schwebte, und verlangten seine Entschließung zu wissen. Als dieser vernahm, daß er Violante zur Gemahlin haben solle, glaubte er einen Sprung aus der Hölle ins Paradies zu tun und versicherte den beiden Alten, daß sie ihm keine größere Gnade gewähren könnten, wenn es ihnen so gefiele.

Jetzt sandte man noch zu Violante, um auch ihren Willen zu vernehmen. Als sie hörte, was Theodoro geschehen war, und als man ihr sagte, was ihnen beiden jetzt bevorstehe, nachdem sie kurz vorher voll Schmerz und Verzweiflung einem augenblicklichen Tode entgegengesehen hatte, so kostete es sie nicht wenig Mühe, die gute Nachricht zu glauben und sich allmählich wieder zu erheitern. Endlich antwortete sie, wenn sie selbst wählen dürfte, so könne ihr kein größeres Glück widerfahren, als die Gattin Theodoros zu werden; doch unterwerfe sie sich ganz den Befehlen ihres Vaters.

Nachdem man also über des Mädchens Vermählung einer Meinung war, wurde zur großen Freude aller Einwohner von Trapani ein glänzendes Fest gefeiert. Violante erholte sich, sie übergab ihren Knaben einer Amme und verließ schöner als je das Wochenbett. Als Fineo von Rom zurückkam, bezeigte sie ihm ihre kindliche Ergebenheit, wie es einem Vater gegenüber geziemt. Er freute sich seiner schönen Schwiegertochter; die Hochzeit ward von ihm mit Pracht und Jubel gefeiert, und Fineo liebte sie stets mit väterlicher Zärtlichkeit wie seine eigene Tochter. Nach wenigen Tagen ging er mit Sohn, Schwiegertochter und Enkel zu Schiff und begab sich mit ihnen nach Lajazzo, wo sie ferner blieben und das junge Ehepaar bis ans Ende seiner Tage in Frieden und Eintracht lebte.

14. Novelle

Pietro di Vinciolo geht aus zum Abendessen. Seine Frau läßt unterdessen einen jungen Burschen zu sich kommen. Pietro kommt wieder nach Hause und entdeckt die Streiche seiner Frau; weil er aber selbst nicht besser ist als sie, so verträgt er sich mit ihr in Güte.

In Perugia wohnte einmal ein reicher Mann namens Pietro di Vinciolo, der vielleicht mehr in der Absicht, andern ein Blendwerk vorzumachen und die böse Meinung zu widerlegen, die jedermann in Perugia von ihm hatte, als aus Neigung eine Frau nahm. Das Schicksal führte ihm auch ein Weib zu, welches ein Seitenstück zu seinen eigenen bösen Begierden war; denn die Frau, die er sich wählte, war ein derbes rothaariges Weibchen von so warmem Blute, daß sie lieber zwei Männer als einen genommen hätte, indes sie einen Mann an ihm bekam, der sich mehr um andere Dinge als darum bekümmerte, seiner Frau die Liebe zu geben, die sie beanspruchen durfte. Da sie dieses gewahr ward und sich selbst jung und hübsch, voll Kraft und Saft fühlte, so kam es ihr im Anfang sehr ungelegen und gab nicht selten Anlaß zu harten Worten und zu unangenehmen Auftritten zwischen ihr und ihrem Ehemann. Als sie aber fand, daß sie dadurch mehr aufgebracht als ihr Mann gebessert ward, dachte sie bei sich selbst: Der Nichtswürdige vernachlässigt mich, um in Holzpantinen durchs Trockne zu gehen; warum soll ich nicht ebensogut ins Wasser gehen? Ich habe ihn geheiratet und ihm eine große Mitgift zugebracht, weil ich glaubte, einen Mann an ihm zu finden, der das begehre, wonach die Männer begehren und begehren müssen. Wenn ich anders von ihm gedacht hätte, so würde ich ihn nicht genommen haben. Er wußte, daß er an mir ein Weib bekäme, und wenn ihm das nicht behagte, so hätte er mich können sitzen lassen, wenn er die Weiber nicht ausstehen kann. Das läßt sich nicht länger aushalten. Wenn ich nicht hätte wollen in der Welt leben, so wäre ich in ein Kloster gegangen; wenn ich aber, um das Leben zu genießen, da ich nun einmal lebe und leben will, solange warten wollte, bis ich bei diesem mein Glück und mein Vergnügen fände, so könnte ich grau darüber werden, und wenn ich alt würde, es zu spät bereuen, daß ich meine Jugend ungenutzt hätte verstreichen lassen. Er selbst zeigt mir den Weg, wo ich meinen Zeitvertreib suchen soll, und was ihm zur Schmach und Schande gereichen muß, das ist für mich noch eher erlaubt und schicklich, denn ich handle dann nur den Gesetzen, er aber ihnen und der natürlichen Ordnung zugleich zuwider.

Nachdem das Weibchen dieses mehr als einmal bei sich erwogen hatte, machte sie, um ihren Endzweck heimlich zu erreichen, Bekanntschaft mit einer alten Frau, die eine wahre heilige Verdiana zu sein schien, die die Schlangen aus der Hand füttert. Mit dem Rosenkranz in der Hand war sie bei allen Wallfahrten zugegen, sprach von nichts als von dem Leben der Heiligen oder von den Wunden des heiligen Franziskus und ward fast von jedermann selbst für eine Heilige gehalten. Dieser offenbarte sie bei einer Gelegenheit, die ihr günstig schien, ihr Anliegen ohne Rückhalt.

»Bei Gott, der alles weiß, mein Töchterchen,« sprach die Alte, »du hast wohl recht, und wenn du sonst keine Ursache dazu hättest, so ist’s doch von dir und von einem jeden jungen Weib wohlgetan, daß ihr eure Jugendzeit nicht verschleudert; denn nichts kann einen mehr schmerzen, wenn man’s recht betrachtet, als verlorene Zeit; und wozu, in Henkers Namen, sind wir weiter nütze, wenn wir alt werden, als daß wir die Asche in der Kohlenpfanne glimmend erhalten? Wenn das irgend jemand weiß und davon erzählen kann, so bin ich’s. Ich bin eine von denen, die jetzt im Alter, da mir’s nicht mehr helfen kann, mit schweren und bittern Gewissensbissen bedauern muß, daß ich die Zeit so verstreichen ließ; denn obwohl ich sie nicht gänzlich verloren habe (du kannst wohl denken, daß ich keine solche alberne Gans war!), so tat ich doch nicht alles, was ich hätte tun können, und wenn ich jetzt an die Vergangenheit denke, da, wie du siehst, keiner mehr bereit wäre, Feuer aus mir zu schlagen, so weiß der Himmel, wie es mich schmerzt. Mit den Männern ist es ganz was anderes; die sind zu allerhand anderen Dingen nütze, und überhaupt taugen die meisten im Alter mehr als in der Jugend. Wir Weiber aber taugen zu nichts als hierzu und Kinder zu gebären, und darum sucht man uns auch nur und geht uns nach. Und sähest du’s an nichts anderem, so könntest du es doch daraus entnehmen, daß wir Frauen zu jederzeit dazu bereit sind, die Männer aber nicht. Überdies bringt ein Weib zehn Männer von Kräften, aber zehn Männer vermögen nicht, eine Frau mattzusetzen. Weil wir nun einmal zu diesem Endzweck geboren sind, was ich dir wohl noch mit mehreren Gründen beweisen könnte, so sage ich dir noch einmal, vergilt deinem Manne Gleiches mit Gleichem, damit im Alter deine Seele dem Leibe keine Vorwürfe zu machen habe. Man hat auf dieser Welt nichts als was man genießt, besonders haben die Frauen noch mehr Ursache als die Männer, ihre Zeit zu nützen; denn du siehst wohl, wenn wir alt werden, so kümmert sich weder unser Mann noch andere Leute mehr um uns, sondern man schickt uns in die Küche, um mit dem Kater uns zu unterhalten und Töpfe und Näpfe zu zählen, und sie machen noch wohl noch gar Gassenhauer auf uns und singen: ‚Für die jungen Weiber Liebe, für die alten Weiber Hiebe‘. Doch um dich nicht aufzuhalten, Töchterchen, so will ich dir jetzt nur sagen, daß du niemand besser wählen konntest als mich, um dir nach Wunsch zu dienen; denn mir ist gewiß keiner zu fein, daß ich mich nicht unterstände, ihm zu sagen, was nötig ist, und keiner zu plump und ungeschliffen, daß ich ihn nicht abhobelte und ihn dazu brächte, was ich will. Sage mir nur, wer dir am besten gefällt, und laß mich handeln. Aber eines muß ich dir sagen, mein Töchterchen, du darfst mich nicht vergessen; ich bin ein armes Weib, und du sollst auch von nun an Teil haben an all meinen Gebeten und Wallfahrten, damit unser Herrgott deinen abgeschiedenen Verwandten Licht und Kerze beschere.«

Die Alte schwieg, und die junge Frau ward mit ihr handelseinig, indem sie ihr das Nötige überließ. Sie beschrieb ihr einen jungen Menschen, den sie oft in ihrer Straße gesehen hatte, gab ihr ein Stück Pökelfleisch und ließ sie gehen mit Gott. Nach einigen Tagen führte ihr die Alte den von ihr bezeichneten Jüngling heimlich zu, und von Zeit zu Zeit wieder andere, und das Weibchen ließ, bei aller Furcht vor ihrem Mann, keine einzige gute Gelegenheit unbenutzt vorbeigehen.

Einmal war ihr Mann des Abends bei einem seiner Freunde namens Ercolano zum Essen eingeladen; sie befahl demnach der Alten, ihr einen Jüngling, der einer der hübschesten und muntersten in Perugia war, zu bringen. Die Alte richtete den Auftrag pünktlich aus. Als sie sich eben mit dem jungen Menschen zu Tische setzen wollte, pochte unvermutet ihr Mann an die Haustür. Sie war vor Schrecken fast des Todes und suchte womöglich den Jüngling vor ihm zu verbergen. Weil sie sich auf keinen besseren Platz besann oder keinen andern hatte, so ließ sie ihn im Hausflur neben dem Zimmer, wo sie aßen, sich unter einem Hühnerkorb verstecken, der dort war, und warf den Überzug einer Matratze darüber, die sie an diesem Tage hatte lüften lassen, worauf sie geschwind ihrem Mann die Tür öffnete. »Nun,« rief sie ihm entgegen, »hast du dein Abendessen so schnell durch die Gurgel gejagt?«

»Ich habe noch keinen Bissen über die Zunge gebracht«, sprach Pietro.

»Wie wäre das wohl zugegangen?« fragte sie.

»Das will ich dir sagen«, antwortete Pietro. »Ercolano, seine Frau und ich hatten uns kaum zu Tische gesetzt, so hörten wir neben uns jemand niesen. Das erste und zweite Mal achteten wir nicht darauf; als aber der Niesende sich zum dritten, vierten und fünften Male hören ließ und gar nicht aufhörte zu niesen, da nahm es uns endlich wunder, und Ercolano, der schon über seine Frau gemurrt hatte, daß sie uns zu lange an der Tür hatte warten lassen, fuhr auf und schrie wütend: ‚Was ist das? Wer niest hier so?‘ Damit stand er auf und lief einer Treppe zu, die nicht weit von uns war und unter welcher sich ein Bretterverschlag befand, um Sachen aus der Hand zu legen, wie man dergleichen zur Bequemlichkeit der Bewohner in manchen Häusern hat. Weil es ihm schien, daß das Niesen von dorther komme, so öffnete er den Verschlag, und es schlug ihm ein unleidlicher Schwefeldampf entgegen. Ich muß dir sagen, daß uns der Schwefelgeruch schon vorher beschwerlich geworden war, und wie wir uns darüber beklagten, sprach die Frau, sie hätte ihre Schleier geschwefelt, um sie weiß zu bleichen, und hätte die Schwefelpfanne unter die Treppe gesetzt, wovon es noch ein wenig röche. Als der Dampf sich etwas verzogen hatte, guckte Ercolano in den Verschlag hinein und wurde den gewahr, der geniest hatte und noch immerfort nieste, weil ihm der Schwefeldampf den Atem benommen und alles Niesens ungeachtet die Brust schon dermaßen beklemmt hatte, daß er einige Minuten später nicht mehr hätte niesen noch irgend etwas anderes tun können. Als ihn Ercolano gewahr ward, rief er: ‚Ha, Weib! Jetzt seh‘ ich, warum wir solange vor der Tür haben warten müssen, ehe du uns aufmachtest; aber ich will nimmer froh werden, wo ich dir das nicht bezahle.‘ Als die Frau diese Drohung hörte und fand, daß ihre Sünde ans Licht gekommen war, sprang sie vom Tische auf und lief Hals über Kopf von dannen, ohne an eine Entschuldigung zu denken, und ich weiß nicht, wohin sie gelaufen ist. Ercolano merkte nicht darauf, daß seine Frau sich aus dem Staube machte, sondern rief dem Niesenden immer lauter zu, er solle herauskommen; allein er mochte rufen, solange er wollte, so rührte sich jener nicht, weil er schon ohnmächtig geworden war. Ercolano schleppte ihn also bei den Füßen heraus und sprang schon nach einem Messer, um ihm vollends den Rest zu geben. Weil mir selbst aber vor der Polizei bange war, so eilte ich hinzu und wehrte ihm, daß er den Menschen um die Ecke brachte, noch ihm Schaden zufügte. Indem ich nun den Burschen verteidigte und einen Riesenspektakel machte, kamen auch die Nachbarn dazu. Diese nahmen den jungen Mann, der sich nicht widersetzen konnte, und führten ihn weg, ich weiß nicht wohin. Siehst du! So wurden wir um unsere Mahlzeit betrogen, und ich habe sie nicht nur nicht durch die Gurgel gejagt, sondern noch keinen Bissen zum Munde gebracht, wie ich dir vorhin sagte.«

Die Frau merkte aus dieser Geschichte, daß andere Weiber ebenso klug wären wie sie, obwohl es nicht immer bei allen glücklich damit abliefe, und sie hätte zwar gern der Frau des Ercolano das Wort geredet; weil sie aber glaubte, sich von ihren eigenen Fehlern um so eher weiß zu brennen, wenn sie fremde Sünden tadele so rief sie: »Schöne Geschichten sind das, die ich da höre! Das ist also das ehrbare fromme Weib; das ist die keusche, treue Ehefrau, die ich immer für so heilig gehalten habe, daß ich bei ihr hätte beichten mögen; und was noch am schlimmsten ist: es sind ihre Jugendjahre schon vorbei, und sie sollte anderen mit gutem Beispiel vorangehen. Verwünscht sei die Stunde, da sie geboren ward, und verwünscht jede Stunde, die sie noch lebt, das treulose, ehrvergessene Weib, diese ewige Schmach und Schande aller Weiber in der Stadt. Sie tritt so ihre Ehre, die Treue, die sie ihrem Mann gelobt hat, und die Achtung der Welt mit Füßen. Sollte sie sich nicht schämen, ihren braven Mann, einen der ehrenhaftesten Bürger, der ihr so gut begegnet, durch einen anderen beschimpfen zu lassen und sich selbst mit in Schande zu stürzen? Ich will vor Gott keine Gnade haben, wenn ein solches Weibsbild Barmherzigkeit verdient; man sollte sie umbringen; man sollte sie lebendig auf den Scheiterhaufen setzen und sie zu Asche verbrennen.«

In dem Augenblick fiel ihr ihr guter Freund ein, der nicht weit davon unter dem Hühnerkorb saß, und sie fand deswegen für gut, ihren Mann zu erinnern, daß es Zeit wäre, zu Bett zu gehen. Pietro, der mehr Lust hatte zu essen als zu schlafen, fragte sie, ob sie nicht etwas zum Abendessen bei der Hand hätte.

»Abendessen?« sprach sie. »Hat sich was mit dem Abendessen, wenn du nicht zu Hause bist! Glaubst du, ich bin so eine wie das Weib des Ercolano? Geh nur lieber zu Bett, das wird das beste sein.«

Von ungefähr waren desselben Abends einige Bauern von Pietros Landgut zur Stadt gekommen, die ihm Feldfrüchte gebracht und ihre Esel in einen Stall gezogen hatten, der an den Hausflur stieß, in welchem der junge Mensch saß. Da sie vergessen hatten, ihr Vieh zu tränken, so zog einer von den Eseln, den der Durst anwandelte, den Kopf aus der Halfter, ging aus dem Stalle heraus und schnüffelte allenthalben nach Wasser herum, und so kam er gerade an den Hühnerkorb, unter welchem der Jüngling verborgen lag. Weil dieser sich auf allen Vieren niederducken mußte, so ragten die Finger seiner einen Hand ein wenig unter dem Korbe hervor, und sein Glück oder sein Unglück, wie man es nehmen will, fügte es so, daß ihn der Esel darauftrat so daß er vor Schmerz laut aufschrie. Den Pietro nahm das gewaltig wunder, weil er merkte, daß die Stimme sich in seinem Hause hören ließ. Er ging also hinaus in die Kammer, und da der arme Schelm, dem der Esel die Fingerspitzen noch immer festklemmte, fortfuhr zu winseln, so rief er: »Wer da?«

Ging nach dem Hühnerkorbe, hob ihn auf und fand den jungen Menschen darunter, der außer dem Schmerz, den ihm der Tritt des Esels verursachte, auch noch vor Furcht zitterte, daß Pietro ihm übel mitspielen würde.

Als Pietro in ihm einen erkannte, dem er aus seiner lasterhaften Neigung heraus schon lange nachgestiegen war, fragte er ihn: »Wie kommst du hierher?«

Der Jüngling antwortete ihm aber nicht auf seine Frage, sondern bat ihn nur um Gottes willen, Barmherzigkeit mit ihm zu haben.

»Steh auf«, sprach Pietro, »und fürchte nichts von mir — aber sage mir aufrichtig, wie und warum du hierher gekommen bist.«

Der arme Junge beichtete ihm alles. Pietro war über den Fund ebenso froh, als seine Frau bekümmert war. Er führte den Jüngling bei der Hand in das Zimmer, wo seine Frau in größten Ängsten saß. Pietro setzte sich ihr gegenüber und sagte: »Du schimpftest ja eben erst so unbarmherzig auf die Frau des Ercolano und sagtest, man müsse sie verbrennen, weil sie euch allen zum Schandfleck gereiche; warum vergaßest du aber, dich selbst mit einzuschließen? Oder wenn du dazu keine Lust hattest, wie durftest du es dann wagen, so von ihr zu reden, da du doch wußtest, daß du selbst es nicht besser machtest? Dich bewog wahrlich nichts anderes als der Hang, der euch allen gemein ist, daß ihr gern die fremde Schuld zum Deckmantel eurer eigenen gebraucht. Möchte das Feuer vom Himmel fallen und euch alle verzehren, ihr Natterngezücht!«

Als die Frau merkte, daß die erste Hitze ihres Mannes in Scheltworten verdampfte, und daß er eben nicht so gar böse darüber war, einen hübschen Knaben bei ihr zu finden, gewann sie wieder Mut und sagte: »Ich glaube wohl, daß du das Feuer vom Himmel über uns herunter wünschest, weil du deine Frau so lieb hast, wie der Hund den Knüppel; aber beim Himmel, dein Wunsch wird dir nicht erfüllt werden! Doch ich möchte wohl wissen, worüber du dich so zu beklagen hast; denn es wäre wahrhaftig sehr artig von dir, wenn du mich mit der Frau des Ercolano über einen Kamm scheren wolltest, die ein altes, scheinheiliges Mensch ist und dennoch von ihrem Mann alles hat, was sie nur wünschen kann, und er ihr begegnet, wie es einer Frau gebührt. Aber ich armes Weib habe es nicht so gut; denn du gibst mir zwar Kleider und Schuhe, aber du weißt leider wohl, wie es um das übrige steht, und wie lange es her ist, daß du nicht mehr bei mir gelegen hast; da ich doch lieber barfuß und in Lumpen gehen möchte, wenn ich von dir nur im Bett gut behandelt würde, als alle schönen Sachen von der Welt haben und mir so von dir begegnen lassen muß, wie du mich behandelst. Denn ich muß dir’s nur geradeheraus sagen, Pietro, ich bin eine Frau, so gut wie jede andere, und habe dieselben Neigungen und Bedürfnisse wie andere Frauen, und wenn ich finde, daß du sie nicht befriedigst, so hast du keine Ursache zu schelten, wenn ich mich anderswo versorge. Zum wenigsten mache ich dir nicht die Schande, daß ich mich mit Straßenjungen oder mit liederlichen Lumpenkerlen abgebe.«

Pietro merkte wohl, daß seine Frau nicht leicht wieder aufhören würde, da ihr die Zunge einmal gelöst war. Weil er sich nun wenig aus ihr machte, so sprach er: »Schweige nur, Frau, ich will dich schon zufriedenstellen. Tue mir nur jetzt den Gefallen, uns etwas zu essen zu geben; denn ich denke, dieser Bursche hat wohl ebensowenig zu Nacht gegessen als ich selbst.«

»Freilich nicht,« sprach die Frau; »denn als dich der Unstern herführte, wollten wir uns eben zu Tische setzen und essen.«

»So spute dich nur,« sprach Pietro, »daß wir zu essen bekommen; ich will hernach schon alles so einrichten, daß du dich nicht sollst zu beklagen haben.«

Als sie ihren Mann besänftigt sah, erhob sie sich, ließ schnell den Tisch decken und das Essen auftragen, das schon früher hergerichtet war. Dann ließ sie es sich mit ihrem lasterhaften Mann und dem hübschen Knaben gut schmecken.

Wie Pietro nach dem Abendessen seine Einrichtung traf, um alle drei zufriedenzustellen, das ist nicht bekannt. Nur soviel weiß man, daß am nächsten Morgen der Junge, als er heimging, sich lange nicht darüber klar werden konnte, ob die Frau oder der Mann ihm eifriger Bescheid getan. Genug, es soll damit gesagt sein, daß ein jeder suche, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, und wenn er’s nicht auf der Stelle tun kann, so warte er, bis die Gelegenheit kommt; denn wie man in den Wald ruft, so schallt es wieder heraus.

15. Novelle

Madonna Filippa, die ihr Mann in den Armen ihres Liebhabers überrascht, wird vor Gericht gefordert. Sie rettet sich durch eine dreiste und launige Verantwortung und bringt zugleich die Milderung eines harten Gesetzes zuwege.

In der Stadt Prato hatte man vor Zeiten ein Gesetz, das ebenso streng als ungerecht jedes Weib, das von ihrem Ehemann im Ehebruch mit einem Geliebten betroffen wurde, nicht minder zu dem grausamen Tode auf dem Scheiterhaufen verdammte als diejenige, die aus schnödem Geiz und Gewinnsucht sich einem jeden für Geld überließ. Als dieses Gesetz noch in Kraft war, begab es sich, daß eine schöne, adlige und sehr verliebte Dame, Madonna Filippa, von ihrem Gemahl Rinaldo Pugliesi eines Nachts in ihrem eigenem Zimmer in den Armen des Lazarino Guazzaglio, eines schönen und edlen Jünglings ihrer Nachbarschaft, den sie zärtlich liebte, überrascht wurde. Rinaldo war so aufgebracht, daß er sich kaum enthalten konnte, auf sie zuzustürzen und sie beide auf der Stelle ums Leben zu bringen; er hätte sie auch gewiß nicht verschont, wenn ihn nicht die Besorgnis um sein eigenes Leben abgehalten hätte, dem ersten Antriebe seines Zorns zu folgen. Allein obwohl er seine erste Hitze unterdrückte, so konnte er es doch nicht über sich gewinnen, auf das Pratesische Gesetz Verzicht zu leisten, welches seiner Gemahlin den Tod bestimmte, den mit eigener Hand zu geben ihm nicht gestattet war. Da er nun Beweis genug gegen sie in Händen hatte, ihr Vergehen zu bezeugen, trug er kein Bedenken, sie am folgenden Morgen zu verklagen und sie vor Gericht zu fordern. Die Dame, hochherzig wie es die wahrhaftig liebenden Frauen zu sein pflegen, ließ sich durch alle ihre Freunde und Verwandten nicht abhalten, vor Gericht zu erscheinen und lieber mit dem freimütigen Bekenntnis der Wahrheit in den Tod zu gehen, als durch eine feige Flucht sich einer entehrenden Verbannung auszusetzen und sich dadurch des edlen Jünglings, in dessen Armen sie die vergangene Nacht geliebt und liebend geruht, unwürdig zu bezeigen. Als sie demnach in Begleitung vieler Herren und Damen, die ihr noch immer rieten, sich aufs Leugnen zu legen, vor dem Richter erschien, fragte sie mit ruhigem Blick und fester Stimme, warum sie vorgeladen sei.

Der Richter, gerührt von ihrer großen Schönheit, von ihrem edlen Anstand und von dem festen Mut, den sie in ihrer Rede zeigte, hatte Mitleid mit ihr und wünschte, daß sie nicht ein Bekenntnis ablegen möchte, das ihn um seiner eigenen Pflicht und Ehre willen nötigte, sie zum Tode zu verurteilen. Weil er jedoch nicht vermeiden konnte, sie wegen der Anklage zu befragen, so sprach er:

»Madonna, Ihr seht hier Euren Gemahl Rinaldo, der sich beklagt, daß er Euch mit einem andern Mann im Ehebruch betroffen habe, und verlangt, daß ich Euch deswegen dem hergebrachten Gesetze gemäß zum Tode verurteilen soll. Dieses kann aber nicht geschehen, wofern Ihr selbst Euch nicht schuldig bekennt. Überlegt demnach wohl, was Ihr antwortet, und sagt mir, ob das wahr sei, dessen Euch Euer Gemahl beschuldigt.«

Die Dame antwortete, ohne die Fassung zu verlieren, mit heiterer Miene:

»Messer, es ist wahr, daß Rinaldo mein Mann ist und daß er mich gestern abend in den Armen des Lazarino angetroffen hat, bei dem ich wegen meiner herzlichen und aufrichtigen Liebe zu ihm oft gelegen habe. Das kann und will ich nicht leugnen. Allein Ihr werdet vermutlich wohl wissen, daß kein Gesetz einseitig sein sollte, und daß zugleich ein jedes billig mit Zustimmung aller derer, die es angeht, abgefaßt werden sollte. Das ist aber bei diesem Gesetz nicht beobachtet worden, das nur den armen Frauen allein zur Last fällt, da sie doch bei der Abfassung desselben weder ihre Stimme dazu gegeben haben, noch dabei zu Rat gezogen worden sind. Es verdient demnach mit Recht den Namen eines höchst unbilligen Gesetzes. Wollt Ihr es aber dennoch zum Schaden meines Leibes und Eurer Seele an mir zur Ausführung bringen, so habt Ihr die Gewalt dazu in den Händen. Ehe Ihr jedoch zu meiner Verurteilung schreitet, bitte ich Euch, mir die kleine Gunst zu erweisen, daß Ihr meinen Mann fragt, ob ich ihm jemals eine abschlägige Antwort gegeben habe, oder ob ich ihm nicht jederzeit auf den ersten Wink, und so oft es ihm beliebte, zu Willen gewesen sei.«

Rinaldo wartete nicht, bis ihn der Richter fragte, sondern gab seiner Frau freiwillig das Zeugnis, daß er sie zu jeder Stunde willig und bereit gefunden hätte, seine Wünsche zu erfüllen.

»Herr Richter!« fuhr sie fort. »Da also mein Mann immer bei mir fand, was er bedurfte und was ihm Vergnügen machte, so frage ich Euch, was ich mit dem machen sollte, was er übrig ließ? Sollte ich es vielleicht den Hunden vorwerfen? Oder war es nicht besser, einen Edelmann, der mich mehr als sich selbst liebte, damit zu beschenken, als es umkommen und verderben zu lassen?«

Es hatten sich bei dem Verhör einer so vornehmen und angesehenen Dame fast alle Bürger aus Prato eingefunden, und als sie diese lustige Frage hörten, riefen sie nach vielem Gelächter einmütig, sie hätte recht und führe ihre Sache vortrefflich. Und ehe sie von der Stelle gingen, milderten sie mit Genehmigung und auf den Vorschlag des Richters das unbarmherzige Gesetz und setzten fest, daß es künftighin nur gegen solche Weiber in Kraft bleiben solle, die für Geld ihren Männern untreu würden. Dem Rinaldo gereichte demnach sein unüberlegtes Unterfangen nur zur Demütigung, und seine Frau, als wäre sie vom Scheiterhaufen erstanden, kehrte frei und fröhlich, mit Ruhm bedeckt, nach Hause zurück.

1. Novelle

(Übersetzung von Karl Witte)

Herr Chapelet täuscht einen frommen Pater durch eine falsche Beichte und stirbt. Trotz des schlechten Lebenswandels, den er geführt, kommt er nach seinem Tode in den Ruf der Heiligkeit und wird Sankt Chapelet genannt.

Es ziemt sich, ihr liebwerten Damen, ein jedes Ding, das der Mensch unternimmt, mit dem heiligen und wunderbaren Namen dessen zu beginnen, der alle Dinge geschaffen hat. Darum denke ich denn, der ich als erster bei unseren Erzählungen den Anfang machen soll, mit einer jener wunderbaren Fügungen zu beginnen, deren Kunde unser Vertrauen auf ihn als den Unwandelbaren bestärken und uns lehren wird, seinen Namen immerdar zu preisen. Es ist offenbar, daß die weltlichen Dinge insgesamt vergänglich und sterblich sowie nach innen und nach außen reich an Leiden, Qual und Mühe sind und unzähligen Gefahren unterliegen, welchen wir, die wir mitten unter ihnen leben und selbst ein Teil von ihnen sind, weder widerstehen noch uns ihrer erwehren könnten, wenn uns Gottes besondere Gnade nicht die nötige Kraft und Fürsorge verliehe. Was diese Gnade anbetrifft, so haben wir uns keineswegs einzubilden, daß sie um irgendeines Verdienstes willen, das wir hätten, über uns komme, vielmehr geht sie nur von seiner eigenen Huld aus und wird den Bitten derer gewährt, die einst wie wir sterblich waren, jetzt aber, weil sie während ihres Erdenwallens seinem Willen folgten, mit ihm im Himmel der ewigen Seligkeit teilhaftig sind. An sie, als an Fürsprecher, die unsere Schwäche und Gebrechlichkeit aus eigener Erfahrung kennen, richten wir vor allem jene Bitten, die wir vielleicht nicht wagten, unserem höchsten Richter gegenüber laut werden zu lassen. Um so überschwenglichere Gnade haben wir aber in ihm zu erkennen, wenn wir, deren sterbliches Auge auf keine Weise in das Geheimnis des göttlichen Willens eindringen kann, durch falschen Wahn betrogen, einen zu unserem Fürsprecher vor der Majestät Gottes erwählen, den er von seinem Angesicht verbannt hat, und wenn er, vor dem nichts verborgen ist, dessen ungeachtet mehr auf die reine Gesinnung des Bittenden als auf dessen Unwissenheit oder auf des Angerufenen Verdammung sieht und das Gebet ebenso erhört, als ob der vermeintliche Fürsprecher die Seligkeit, ihn zu schauen, genösse. Daß es sich so verhält, wird aus der Geschichte offenbar werden, die ich euch erzählen will. Offenbar nach menschlichem Dafürhalten, sage ich, da Gottes Ratschlüsse uns verborgen bleiben.

Es wird nämlich berichtet, daß Musciatto Franzesi, als er von einem reichen und angesehenen Kaufherrn zum Edelmanne geworden war und nun mit dem Bruder des Königs von Frankreich, dem vom Papst Bonifaz herbeigerufenen und unterstützten Karl ohne Land, nach Toskana ziehen sollte, sich entschloß, seine Geschäfte, welche, wie es bei Kaufleuten der Fall zu sein pflegt, äußerst verwickelt waren, mehreren Bevollmächtigten zu übertragen. Für alles fand er Rat, nur blieb ungewiß, wo er jemanden auftreiben wollte, der geschickt wäre, jene Schulden einzutreiben, die er bei einigen Burgundern ausstehen hatte. Der Grund seines Bedenkens lag darin, daß ihm wohlbekannt war, was für ein wortbrüchiges, händelsüchtiges und abscheuliches Volk die Burgunder sind und daß er sich auf niemand besinnen konnte, der abgefeimt genug gewesen wäre, um ihrer Bösartigkeit mit Erfolg Widerpart zu leisten. Als er in solchem Zweifel lange hin und her überlegt hatte, fiel ihm ein gewisser Ciapperello von Prato ein, der sein Haus in Paris oft zu besuchen pflegte. Die Franzosen, die den Namen Ciapperello nicht verstanden und der Meinung waren, er wolle so viel sagen wie chapeau, was in ihrer Landessprache Kranz bedeutet, nannten diesen Mann, der klein von Gestalt und sehr geschniegelt war, seiner Kleinheit halber nicht Chapeau, sondern Chapelet, unter welchem Namen er denn überall bekannt war, während nur wenige wußten, daß er Ciapperello hieß.

Das Leben, das dieser Chapelet führte, war folgendermaßen beschaffen: In seinem Beruf als Notar hätte er es für eine große Schande gehalten, wenn eine der von ihm ausgestellten Urkunden, obgleich er deren wenige ausstellte, anders als gefälscht befunden worden wäre. Solcher falschen Urkunden aber machte er, soviel man nur wollte, und dergleichen lieber umsonst als rechtmäßige für schwere Bezahlung. Falsches Zeugnis legte er auf Verlangen und aus freien Stücken besonders gern ab, und da in Frankreich Eidschwüre um jene Zeit in höchstem Ansehen standen, gewann er, da er sich nicht um einen Meineid scherte, auf unrechtmäßige Weise alle Prozesse, in denen er die Wahrheit nach seinem Gewissen zu beschwören berufen ward. Ausnehmendes Wohlgefallen fand er daran, und großen Fleiß verwandte er darauf, unter Freunden, Verwandten und was sonst immer für Leuten Unfrieden und Feindschaft anzuzetteln, und je größeres Unglück daraus entstand, desto mehr freute er sich. Wurde er aufgefordert, jemand umbringen zu helfen oder an einer anderen Schandtat teilzunehmen, so weigerte er sich niemals und war der erste auf dem Platz. Oft war er auch bereit, mit eigenen Händen zu ermorden und zu verwunden. In seiner beispiellosen Jähheit lästerte er Gott und alle Heiligen um jeder Kleinigkeit willen auf das gräßlichste. In der Kirche ließ er sich niemals antreffen und verspottete alle christlichen Sakramente mit den verruchtesten Worten. Um so mehr war er dafür in den Schenken und anderen Sündenhäusern. Aus Rauben und Stehlen hätte er sich ebensowenig ein Gewissen gemacht, als ein Heiliger daraus, Almosen zu geben. Er fraß und soff in solchem Übermaß, daß er mehrmals knapp mit dem Leben davonkam. Spielen und im Spiel betrügen betrieb er wie ein Handwerk. Doch wozu so viele Worte! Genug, er war der schändlichste Mensch, der vielleicht je geboren ward, und schon seit langer Zeit konnten nur die Macht und das Ansehen des Herrn Musciatto ihm bei seinen Verbrechen durchhelfen, so daß weder Einzelpersonen, die er häufig, noch die Gerichte, die er fortwährend beleidigte, Hand an ihn legten.

Dieser Ciapperello war es, den Herr Musciatto, welcher seinen Lebenswandel sehr genau kannte, jetzt als den rechten Mann auserkor, um der burgundischen Bosheit die Spitze zu bieten. So ließ er ihn denn rufen und sprach zu ihm: »Chapelet, ich stehe, wie du weißt, im Begriff, ganz von hier wegzuziehen, und da ich unter anderm noch mit einer Anzahl von Burgundern zu tun habe, so kenne ich niemand, dem ich mich besser als dir anvertrauen könnte, um von so betrügerischem Volk mein Geld einzutreiben. Du hast jetzt nichts zu tun, und wenn du diese Angelegenheit übernehmen willst, so verspreche ich dir, dich mit den Gerichten auszusöhnen und dir an dem, was du für mich eintreibst, einen Anteil zu lassen, daß du zufrieden sein kannst.« Herr Chapelet, der müßig ging, auch an irdischen Gütern keinen Überfluß hatte und nun den verlieren sollte, der lange Zeit sein Stecken und Stab gewesen war, sagte ohne langes Besinnen und gewissermaßen notgedrungen, ja, er sei gern bereit.

Nach gehöriger Verabredung und nach Empfang der Vollmacht des Herrn Musciatto und der Gnadenbriefe des Königs reiste Chapelet, als Herr Musciatto Paris verlassen, nach Burgund, wo ihn fast niemand kannte. Hier fing er, wider seine Natur, ganz freundlich und sanftmütig an, seinen Auftrag auszuführen und die Schulden einzufordern, gleichsam als wollte er sich die Bosheit bis zuletzt aufsparen.

Inzwischen war Chapelet ins Haus zweier Brüder aus Florenz gezogen, die Geld auf Wucherzinsen liehen und ihm, Herrn Musciatto zuliebe, viel Ehre erwiesen. In deren Hause erkrankte er jetzt, und obgleich die beiden Brüder ihm sogleich geschickte Ärzte rufen, ihn durch ihre Diener pflegen ließen und überhaupt alles taten, was zu seiner Heilung förderlich sein konnte, so war doch jede Hilfe vergeblich. Dem guten Mann, der nachgerade alt geworden war und liederlich gelebt hatte, ging es nach der Aussage der Ärzte täglich schlechter und schlechter, und es zeigte sich zum großen Leidwesen der Brüder gar bald, daß Chapelet an keiner anderen Krankheit als der des nahen Todes leide.

Diese beiden Brüder nun fingen eines Tages nicht weit von dem Zimmer, wo Chapelet krank lag, folgendermaßen zu reden an: »Was sollen wir mit dem Menschen anfangen«, sagte der eine zum andern. »Wir sind auf jeden Fall seinetwegen in einer sehr verdrießlichen Lage. Ihn jetzt, krank wie er ist, aus dem Hause zu weisen, wäre gewiß unserem Ruf ebenso nachteilig wie unüberlegt von unserer Seite; denn die Leute, die gesehen haben, wie wir ihn erst aufgenommen und für seine Pflege und Heilung gesorgt, wären überzeugt, daß er uns keinen Grund gegeben haben könne, ihn nun als einen Todkranken aus dem Hause zu tun. Auf der anderen Seite aber ist er ein so gottloser Mensch gewesen, daß er weder wird beichten, noch das Abendmahl oder die letzte Ölung wird annehmen wollen, und stirbt er, ohne gebeichtet zu haben, so nimmt keine Kirche den Leichnam auf, und er wird wie ein toter Hund in die Grube geworfen. Sollte er aber auch beichten, so sind seine Sünden so zahlreich und so verrucht, daß nichts dadurch gebessert wird; denn es wird sich weder Mönch noch Pfaffe finden, der ihn lossprechen könnte oder wollte, und stirbt er ohne Absolution, so schmeißen sie ihn auch in die Grube. Kommt es aber so oder so, immer wird das ganze Volk, das ohnehin wegen unseres von ihm verabscheuten Gewerbes äußerst schlecht auf uns zu sprechen ist und Lust genug haben mag, uns auszuplündern, offen gegen uns aufstehen und sagen: ‚Diese Hunde von Italienern, die man in der Kirche abweist, wollen wir nicht mehr unter uns dulden.‘ Sie werden unser Haus stürmen und sich kein Gewissen daraus machen, uns nicht nur Hab und Gut zu nehmen, sondern gar leicht sich an unserem Leib und Leben vergreifen. So sind wir denn auf alle Fälle bei Chapelets Tod übel daran.«

Herr Chapelet, der, wie gesagt, ganz nahe bei dem Orte lag, wo die beiden redeten, und wie man es oft bei Kranken findet, ein feines Gehör hatte, verstand alles, was sie über ihn sagten. Er ließ sie zu sich rufen und sprach: »Ich wünsche nicht, daß ihr euch meinetwegen Gedanken macht oder in Furcht seid, daß euch jemand um meinetwillen kränken möchte. Ich habe gehört, was ihr über mich gesprochen habt, und ich bin wohl überzeugt, daß es so käme, wir ihr sagt, wenn das geschähe, was ihr voraussetzt; aber es soll schon anders gehen. Ich habe zu meinen Lebzeiten unserem Herrgott so viel zuleide getan, daß jetzt, wo ich sterbe, ein Streich mehr auch keinen Unterschied machen wird. Darum schafft mir nur den erfahrensten und frömmsten Mönch herbei, den ihr zu finden wißt, und habt ihr den, so laßt mich nur machen. Ich werde eure und meine Angelegenheit schon so besorgen, daß alles gut sein wird und ihr Ursache habt, zufrieden zu sein.«

Obgleich die beiden Brüder daraus noch keine besondere Hoffnung schöpften, gingen sie doch in ein Mönchskloster und verlangten nach einem frommen und verständigen Manne, der einem Italiener, welcher bei ihnen krank liege, die Beichte hören könnte. Man gab ihnen einen bejahrten Mönch mit, der ein heiliges, makelloses Leben führte, ein großer Schriftgelehrter und gar ehrwürdiger Mann war und bei allen Bürgern im besonderen und hohen Ansehen der Heiligkeit stand. Diesen brachten sie zu dem Kranken.

Als er in die Kammer eingetreten war, wo Chapelet lag, und sich an sein Bett gesetzt hatte, hub er freundlich an, ihm Mut zuzusprechen; und dann erst fragte er ihn, wie lange es her sei, daß er zum letzten Male gebeichtet habe. Chapelet, der sein Leben lang nicht gebeichtet hatte, antwortete ihm: »Ehrwürdiger Vater, sonst ist es meine Gewohnheit, alle Woche wenigstens einmal zur Beichte zu gehen, die vielen Male ungerechnet, wo ich öfter gehe; aber ich muß gestehen, jetzt, wo ich krank geworden bin, sind schon acht Tage vergangen, ohne daß ich gebeichtet hätte, soviel Schmerzen hat die Krankheit mir bereitet.«

»Mein Sohn«, sagte darauf der Mönch, »daran hast du wohlgetan, und also magst du auch in Zukunft tun. Doch da du so oft beichtest, so sehe ich wohl, ich werde wenig Mühe haben, dich zu fragen und deine Antworten anzuhören.« Chapelet sprach: »Herr Pater, sagt das nicht; wie oft und wie vielmals ich auch zur Beichte gegangen bin, so habe ich mich doch nie entschließen können, anders zu verfahren, als eine Generalbeichte aller meiner Sünden vom Tage meiner Geburt an bis zum Beichttag abzulegen. Darum bitte ich Euch, bester Vater, daß Ihr mich ebenso genau über alles ausfragt, als ob ich nie gebeichtet hätte. Und schont mich nur ja nicht etwa, weil ich krank bin; denn ich will viel lieber dieses mein Fleisch plagen, als aus Schonung dafür irgend etwas tun, was meiner unsterblichen Seele, die mein Heiland mit seinem kostbaren Blute losgekauft hat, zum Verderben gereichen könnte.« Diese Worte hatten den ganzen Beifall des heiligen Mannes und schienen ihm von einem gesammelten Gemüt Zeugnis zu geben.

Nachdem er also diese Gewohnheit Chapelet gegenüber sehr gelobt hatte, fing er an, ihn zu befragen, ob er sich je mit Weibern in Wollust versündigt habe. Chapelet antwortete ihm mit einem Seufzer: »Mein Vater, was das anbetrifft, so schäme ich mich, Euch die Wahrheit zu sagen, denn ich fürchte, sie könnte als eitles Selbstlob ausgelegt werden.« Der heilige Pater entgegnete: »Rede nur ruhig; denn wer die Wahrheit spricht, sei es in der Beichte oder bei anderer Gelegenheit, der sündigt niemals.« »Nun denn«, erwiderte Chapelet, »weil Ihr mich darüber beruhigt, so will ich Euch nur sagen, ich bin noch ebenso rein und unbefleckt, wie ich aus dem Schoße meiner Mutter hervorkam.« »Des möge Gott dich segnen«, sagte der Mönch, »Wie wohl hast du daran getan! Und um so verdienstlicher ist deine Keuschheit, da du, wenn du gewollt hättest, weit eher das Gegenteil tun konntest als wir und alle andern, die durch eine Ordensregel gebunden sind.«

Hierauf fragte er ihn, ob er sich je durch Völlerei Gottes Mißfallen zugezogen habe. Mit einem lauten Seufzer antwortete Chapelet: »Allerdings und oftmals.« Denn weil er sich daran gewöhnt habe, außer den vierzigtägigen Fasten, welche fromme Leute jährlich halten, auch allwöchentlich wenigstens drei Tage lang mit Wasser und Brot zu fasten, so habe er das Wasser, vor allem wenn er von Gebeten oder Wallfahrten besonders angestrengt gewesen sei, mit derselben Lust und demselben Wohlgefallen getrunken wie der größte Säufer den Wein. Manchmal habe es ihn auch nach Kräutersalat gelüstet, wie ihn die Bäuerinnen machen, wenn sie aufs Feld gehen, und das Essen habe ihm besser geschmeckt, als es seiner Ansicht nach einem schmecken dürfe, der aus Gottesfurcht faste, wie er es doch getan habe. »Mein Sohn«, sagte darauf der Mönch, »das sind Sünden, welche die Natur mit sich bringt; die haben wenig zu bedeuten, und um ihretwillen möchte ich nicht, daß du dein Gewissen mehr als not tut beschwertest. Es geschieht jedem Menschen, wenn er auch noch so heilig ist, daß ihm nach langem Fasten das Essen gut schmeckt und nach großer Anstrengung das Trinken.« »Ach, Herr Pater«, antwortete Chapelet, »Ihr sprecht so, um mich zu beruhigen. Das solltet Ihr nicht tun. Euch ist ja bekannt, daß ich wohl weiß, wie alles, was man tut, um Gott zu dienen, in ganz reiner Gesinnung, frei von jeder befleckenden Lust getan werden muß und daß, wer dem zuwiderhandelt, sündigt.«

Höchlich zufrieden sagte der Mönch: »Nun, so freut es mich, daß du es so ansiehst, und ich lobe in diesem Stück dein ängstliches und sorgsames Gewissen. Aber sage mir: Hast du dich durch Geiz vergangen und mehr verlangt, als du verlangen solltest, oder behalten, was du nicht behalten durftest?« »Ehrwürdiger Vater«, erwiderte ihm Chapelet, »es sollte mir leid tun, wenn Ihr eine falsche Meinung von mir hättet, weil ich bei den Wucherern hier wohne. Ich habe keinen Teil an ihrem Handwerk; vielmehr bin ich zu ihnen gekommen, um ihnen ins Gewissen zu reden und sie von diesem abscheulichen Erwerbe abzubringen. Auch wäre mir das, wie ich glaube, gelungen, hätte mich Gott nicht so heimgesucht. Ich kann Euch aber sagen, daß mein Vater mir ein schönes Vermögen hinterließ, von dem ich nach seinem Tode den größeren Teil als Almosen weggab. Dann habe ich, um mich zu ernähren und den Armen Gottes beistehen zu können, meinen kleinen Handel getrieben und dabei allerdings den Erwerb im Auge gehabt; was ich aber erworben habe, das habe ich immer mit den Armen gleichmäßig geteilt und meine Hälfte zu meiner Notdurft verbraucht, die andere aber jenen geschenkt. Dafür hat mir aber auch mein Schöpfer beigestanden, so daß meine Geschäfte täglich besser und besser gegangen sind.«

»Daran hast du wohlgetan«, sagte der Mönch. »Aber hast du dich etwa häufig erzürnt?« »Ja«, sagte Herr Chapelet, »das habe ich freilich gar oft getan. Und wer könnte sich wohl dessen enthalten, wenn er die Menschen alle Tage die abscheulichsten Dinge treiben sieht, wenn er beobachtet, wie sie Gottes Gebote nicht halten und sein Gericht nicht fürchten? Wohl zehnmal des Tages habe ich lieber tot als lebendig sein wollen, wenn ich sah, wie die jungen Leute den Eitelkeiten der Welt nachliefen, schworen und sich verschworen, in die Schenken, aber um die Kirche herumgingen und weit mehr auf den Wegen der Welt als auf dem Pfade Gottes wandelten.« Darauf erwiderte der Mönch: »Mein Sohn, das ist ein edler Zorn, um dessentwillen ich für mein Teil dir keine Buße aufzuerlegen wüßte. Sage nur aber, wäre es vielleicht möglich, daß du dich irgendeinmal vom Zorn zu einem Mord, zu Schlägereien oder zu Schimpfworten hättest verleiten lassen?« »Ach du meine Güte, Herr Pater«, sagte Chapelet, »ich halte Euch für einen Mann Gottes; wie könnt Ihr doch solche Reden führen. Glaubt Ihr denn, ich bildete mir ein, daß Gott mich so lange am Leben erhalten hätte, wenn mir nur der entfernteste Gedanke gekommen wäre, etwas von dem zu tun, was Ihr da genannt habt? Dergleichen können ja nur Mörder und Straßenräuber tun; sooft ich dergleichen gesehen, habe ich immer gesagt: Geh, und Gott bessere dich.«

»Gott segne dich, mein Sohn«, sprach der Pater. »So sage mir denn, ob du jemals gegen irgendwen falsches Zeugnis abgelegt oder von andern schlecht gesprochen oder wider Willen des Eigentümers dich an fremdem Gute bereichert hast.« »Ach ja, Herr Pater«, sagte Chapelet, »was die üble Nachrede betrifft, freilich ja. Denn einmal hatte ich einen Nachbarn, der seine Frau in einem fort prügelte, ohne den geringsten Anlaß zu haben. Da hat mich denn das Mitleid mit dem armen Weibe, das er, sooft er sich betrunken hatte, jämmerlich zurichtete, einmal so gepackt, daß ich gegen ihre Verwandten recht auf ihn gescholten habe.« »Wohl denn«, antwortete der Mönch, »nun sage mir aber, wie ich höre, so bist du ein Kaufmann gewesen; hast du niemals jemand nach Art der Kaufleute betrogen?« »Ja, wahrhaftig, Herr Pater«, sagte Herr Chapelet, »Wie er hieß, das weiß ich aber nicht. Es war einer, der mir Geld brachte, was er für ein Stück Tuch schuldig war, das ich ihm verkauft hatte. Nun tat ich das Geld, ohne es zu zählen, in einen Kasten, und reichlich einen Monat später fand ich, daß es vier Heller mehr waren, als mir zukamen. Wohl ein ganzes Jahr lang habe ich sie aufgehoben; weil ich aber den, dem sie gehörten, in der ganzen Zeit nicht mehr wiedersah, habe ich sie am Ende als Almosen verschenkt.« »Das war eine Kleinigkeit«, sagte der Mönch, »und du hast recht daran getan, so damit zu verfahren.«

Der fromme Mönch fragte ihn noch mancherlei, worauf er immer in dieser Weise antwortete. So wollte denn jener schon zur Absolution schreiten, als Chapelet sprach: »Herr Pater, noch eine Sünde habe ich auf dem Gewissen, die ich Euch nicht gebeichtet.« »Und die wäre?« sagte der Mönch. »Ich entsinne mich«, antwortete jener, »daß ich an einem Samstag gegen Abend von meinem Diener das Haus kehren ließ und also die schuldige Ehrfurcht vor dem Tage des Herrn vergessen habe.« »Mein Sohn«, erwiderte der Geistliche, »das hat weiter nichts zu bedeuten.« »Sagt nicht, das habe nichts zu bedeuten«, entgegnete Chapelet. »Den Sonntag soll man ehren; denn an diesem Tag war es, daß unser Heiland von den Toten auferstand.« Darauf sagte der Mönch: »Und hast du sonst noch etwas zu beichten?« »Ja, Herr Pater«, antwortete Chapelet, »einmal habe ich in Gedanken in der Kirche ausgespuckt.« Der Mönch fing an zu lächeln und sagte: »Mein Sohn, das sind Dinge, die man sich nicht zu Herzen nehmen soll; wir sind Geistliche und spucken alle Tage in der Kirche aus.« »Und tut daran sehr übel«, sprach Herr Chapelet; »denn nichts auf der Welt soll man so rein halten wie den Tempel des Herrn, in dem man dem Höchsten opfert.«

Um es kurz zu machen, Sünden von dieser Art beichtete er ihm noch eine Menge. Dann fing er an zu seufzen und brach in einen Strom von Tränen aus, deren ihm, wenn er wollte, immer reichlich zu Gebote standen. »Was ist dir, mein Sohn?« sagte der Geistliche. »Ach, Herr Pater«, erwiderte Chapelet, »eine Sünde habe ich noch auf dem Herzen, die habe ich nie gebeichtet, so schäme ich mich, sie zu bekennen; wenn ich nur daran denke, so weine ich, wie Ihr mich jetzt weinen seht, und um dieser Sünde willen kann ich nur auch nicht denken, daß Gott Erbarmen mit mir haben wird.« »Schäme dich, mein Sohn«, entgegnete der Mönch, »was redest du da? Wären alle Sünden, die von allen Menschen jemals zusammen begangen worden sind oder, solange die Welt stehen wird, noch von den Menschen begangen werden, in einem einzigen Menschen vereinigt, und der wäre reuig und zerknirscht, wie ich sehe, daß du es bist, so ist Gottes Gnade und Barmherzigkeit so groß, daß er sie alle, sobald sie gebeichtet wären, ihm freudig vergeben würde; und so sage denn zuversichtlich, was du getan hast.« Darauf sprach Herr Chapelet, ohne vom Weinen abzulassen: »Ach, ehrwürdiger Vater, es ist eine gar zu schwere Sünde, und wenn es nicht auf Eure Fürbitte hin geschieht, so kann ich kaum glauben, daß Gott sie mir jemals vergeben sollte.« Der Mönch antwortete ihm: »Sage sie nur ruhig, denn ich verspreche dir, daß ich für dich zu Gott beten werde.« Herr Chapelet weinte noch in einem fort und schwieg; der Mönch aber ermunterte ihn erneut, zu reden. Als nun Chapelet den Geistlichen so mit Weinen eine lange Weile hingehalten hatte, stieß er einen tiefen Seufzer aus und sprach: »Ehrwürdiger Vater, weil Ihr mir denn versprochen habt, Gott für mich zu bitten, so will ich’s Euch sagen. Wißt denn, wie ich noch klein war, habe ich einmal meine Mutter geschmäht.« Und kaum hatte er so gesprochen, so hub er von neuem bitterlich zu weinen an. »Mein Sohn«, antwortete der Mönch, »dünkt dich denn das wirklich solch eine schwere Sünde? Lästern die Leute nicht etwa täglich ihren Herrgott? Und doch vergibt er gern einem jeden, der bereut, ihn gelästert zu haben. Und du verzweifelst, für diesen Fehltritt Vergebung zu finden? Fasse Mut und weine nicht; denn wahrlich, wärest du einer von denen gewesen, die unsern Herrn ans Kreuz geschlagen haben, und wärest du so zerknirscht, wie ich es jetzt an dir sehe, so vergäbe er dir.« Darauf sagte Chapelet: »Um Himmels willen, Herr Pater, was sprecht Ihr da? Allzusehr habe ich mich vergangen, und allzu große Sünde war es, daß ich meine Herzensmutter schmähte, die mich neun Monate lang Tag und Nacht im Leibe getragen hat und mich mehr als hundertmal auf den Armen hielt; und wenn Ihr nicht für mich betet, so wird mir’s auch nicht verziehen werden.«

Als der Mönch inneward, daß Chapelet weiter nichts zu sagen hatte, sprach er ihn los und gab ihm in der festen Überzeugung, Chapelet, dessen Reden er für lautere Wahrheit nahm, sei ein frommer, gottseliger Mensch, den Segen. Und wer möchte wohl zweifeln, wenn er jemand auf dem Totenbette also reden hörte? Nach dem allen sagte er: »Herr Chapelet, Ihr werdet mit Gottes Hilfe bald wieder gesund sein; sollte es aber dennoch geschehen, daß Gott Eure gesegnete und zum Abschied von dieser Welt bereite Seele zu sich riefe, hättet Ihr alsdann etwas dawider, daß Euer Körper in unserem Kloster beerdigt würde?« »Durchaus nicht«, entgegnete Chapelet; »vielmehr möchte ich sonst nirgends liegen als eben bei Euch. Ihr habt mir ja versprochen, für mich zu beten, und auch ohne das habe ich von jeher besondere Ehrfurcht für Euren Orden gehabt. Und so bitte ich Euch, daß Ihr Christi wahrhaftigen Leib, den Ihr diesen Morgen auf dem Altare eingesegnet habt, mir zusendet, sobald Ihr in Euer Kloster zurückgekommen seid. Denn ich denke ihn, wenn Ihr es gestattet, obgleich unwürdig, zu genießen und dann die letzte heilige Ölung zu empfangen, damit ich, wenn ich als Sünder gelebt habe, wenigstens als Christ sterben möge.« Der heilige Mann sagte, das sei wohl gesprochen und er sei alles zufrieden. Das Sakrament solle dem Kranken sogleich gebracht werden. Und so geschah es.

Die beiden Brüder hatten sehr gefürchtet, Chapelet werde sie täuschen, und sich deshalb der Bretterwand nahe gesetzt, welche die Kammer, in welcher der Kranke lag, von der anstoßenden trennte. Hier hatten sie die ganze Beichte belauscht und bequem verstanden, was Chapelet dem Mönche gesagt. Mehr als einmal reizten die Geschichten, die sie ihn beichten hörten, sie so sehr zum Lachen, daß wenig daran fehlte, so wären sie damit herausgeplatzt. Dann aber sagten sie wieder zueinander: »Himmel, welch ein Mensch ist das, den weder Alter noch Krankheit, noch Furcht vor dem Tode, dem er sich nahe sieht, oder vor Gott, vor dessen Richterstuhl er in wenigen Stunden zu stehen vermuten muß, von seiner Verruchtheit haben abbringen und zu dem Entschluß führen können, anders zu sterben, als er gelebt hat.« Indes, sie hatten gehört, seine Leiche solle in der Kirche aufgenommen werden, und um das Übrige kümmerten sie sich nicht. — Herr Chapelet empfing bald darauf das Abendmahl, dann, als sein Befinden sich über die Maßen verschlechterte, die letzte Ölung und starb noch am Tage seiner musterhaften Beichte, bald nach der Vesper.

Die beiden Brüder besorgten aus dem Nachlaß des Verstorbenen ein anständiges Begräbnis und meldeten den Todesfall im Kloster, damit die Mönche, wie es der Brauch ist, die Nachtwache bei der Leiche halten und sie am andern Morgen abholen sollten.

Der fromme Mönch, der sein Beichtiger gewesen war, besprach sich, als er seinen Tod vernahm, mit dem Prior des Klosters. Er ließ zum Kapitel läuten und schilderte den versammelten Mönchen, welch ein frommer Mann Chapelet, seiner Beichte zufolge, gewesen war. In der Hoffnung, daß Gott durch ihn noch große Wunder verrichten werde, überredete er sie, man müsse diese Leiche notwendig mit besonderer Auszeichnung und Ehrfurcht empfangen. Der Prior und die übrigen Mönche pflichteten in ihrer Leichtgläubigkeit dieser Meinung bei, und so gingen sie denn sämtlich noch spät am Abend in das Haus, wo Chapelets Leichnam lag, und hielten über diesem eine große und feierliche Vigilie.

Am andern Morgen kamen sie alle, mit Chorhemden und Mäntelchen angetan, die Chorbücher in der Hand und die Kreuze voraus, um den Leichnam mit Gesang zu holen. Dann trugen sie ihn unter Gepränge und großer Feierlichkeit in ihre Kirche, und fast die ganze Einwohnerschaft des Städtchens, Männer und Frauen, schloß sich dem Zuge an. Als die Leiche in der Kirche niedergesetzt worden war, stieg der Geistliche, dem Chapelet gebeichtet hatte, auf die Kanzel und berichtete von des Verstorbenen frommem Leben, von seinem Fasten, seiner Keuschheit, seiner Einfalt, Unschuld und Heiligkeit die wunderbarsten Dinge. Unter anderm erzählte er, was Herr Chapelet ihm unter Tränen als seine größte Sünde gebeichtet und wie er ihn kaum zu überzeugen vermocht habe, daß Gott ihm auch diese vergeben werde. Dann begann er die Zuhörer zu schelten und sagte: »Ihr aber, ihr von Gott Verdammten, ihr lästert um jedes Strohhalmes willen, der euch zwischen die Füße kommt, Gott, seine Mutter und alle Heiligen im Paradiese.« Außerdem sagte er noch viel von seiner Herzensgüte und Lauterkeit.

Mit einem Wort, seine Reden, denen die Gemeinde vollkommenen Glauben schenkte, bemächtigten sich in solchem Maße der frommen Herzen der Versammlung, daß alle, sobald der Gottesdienst zu Ende war, sich untereinander stießen und drängten, um dem Toten Hände und Füße zu küssen. Die Kleider wurden ihm auf dem Leibe zerrissen; denn jeder hielt sich für glücklich, wenn er einen Fetzen davon haben konnte. In der Tat mußten die Mönche den Körper den ganzen Tag über ausstellen, daß ihn jedweder nach Gefallen beschauen konnte. In der folgenden Nacht wurde er in einer Kapelle ehrenvoll in einem Marmorsarge bestattet, und schon am Tage darauf fingen die Leute an, den Toten zu besuchen, zu verehren und Lichter anzuzünden. Mit der Zeit gelobten sie ihm Opfergaben und begannen dann, ihrem Versprechen gemäß, Wachsbilder aufzuhängen. Der Ruf seiner Heiligkeit und seine Verehrung wuchsen so sehr, daß nicht leicht jemand in irgendeiner Gefahr einen anderen Heiligen anrief als Sankt Chapelet, wie sie ihn nannten und noch heute nennen, und allgemein wird versichert, daß Gott durch ihn gar viele Wunder getan habe und deren noch täglich an jedem tue, der die Fürsprache dieses Heiligen andächtig erbitte.

So lebte und starb Herr Ciapperello von Prato und wurde ein Heiliger, wie ihr gehört habt. Daß es möglich ist, dieser Mensch sei wirklich im Anschauen Gottes selig, will ich allerdings nicht leugnen, denn so ruchlos und abscheulich sein Leben war, so kann er doch in den letzten Augenblicken seines Lebens so viel Reue empfunden haben, daß Gott sich vielleicht seiner erbarmt und ihn in sein Reich aufgenommen hat. Weil uns dies aber verborgen bleibt, so spreche ich nach dem, was uns offenbar ist, und sage, daß er vielmehr in den Krallen des Teufels verdammt als im Paradiese zu sein verdient. Verhält es sich aber so, dann können wir deutlich erkennen, wie unermeßlich Gottes Gnade gegen uns ist, die nicht unseren Irrtum, sondern die Lauterkeit unseres Glaubens betrachtet, wenn wir einen seiner Feinde in der Meinung, er sei sein Freund, zum Mittler zwischen ihm und uns machen und er uns erhört, als hätten wir uns einen wahren Heiligen zu unserem Fürsprecher bei seiner Gnade erwählt. Und so empfehlen wir uns ihm denn mit allem, was uns not ist, in der festen Überzeugung, erhört zu werden, damit er uns in diesem allgemeinen Elend und in dieser so heiteren Gesellschaft im Lobe seines Namens, in dem wir sie begonnen, gesund und unversehrt erhalten möge. Und damit schwieg Panfilo.