5. Kapitel

Britannien

Siebenundneunzig Jahre waren vergangen, seitdem römische Truppen das große Inselland im nordwestlichen Ozean betreten und unterworfen und wiederum verlassen hatten, bevor die römische Regierung sich entschloß, die Fahrt zu wiederholen und Britannien bleibend zu besetzen. Allerdings war Caesars britannische Expedition nicht bloß, wie seine Züge gegen die Germanen, ein defensiver Vorstoß gewesen. So weit sein Arm reichte, hatte er die einzelnen Völkerschaften reichsuntertänig gemacht und ihre Jahresabgabe an das Reich hier wie in Gallien geordnet. Auch die führende Völkerschaft, welche durch ihre bevorzugte Stellung fest an Rom geknüpft und somit der Stützpunkt der römischen Herrschaft werden sollte, war gefunden: die Trinovanten (Essex) sollten auf der keltischen Insel dieselbe, mehr vorteilhafte als ehrenvolle Rolle übernehmen wie auf dem gallischen Kontinent die Häduer und die Reiner. Die blutige Fehde zwischen dem Fürsten Cassivellaunus und dem Fürstenhaus von Camalodunum (Colchester) hatte unmittelbar die römische Invasion herbeigeführt; dieses wieder einzusetzen, war Caesar gelandet, und der Zweck ward für den Augenblick erreicht. Ohne Zweifel hat Caesar sich nie darüber getäuscht, daß jene Tribute ebenso wie diese Schutzherrschaft zunächst nur Worte waren; aber diese Worte waren ein Programm, das die bleibende Besetzung der Insel durch römische Truppen herbeiführen maßte und herbeiführen sollte.

Caesar selbst kam nicht dazu, die Verhältnisse der unterworfenen Insel bleibend zu ordnen; und für seine Nachfolger war Britannien eine Verlegenheit. Die reichsuntertänig gewordenen Briten entrichteten den schuldigen Tribut gewiß nicht lange, vielleicht überhaupt niemals; das Protektorat über die Dynastie von Camalodunum wird noch weniger respektiert worden sein und hatte lediglich zur Folge, daß Fürsten und Prinzen dieses Hauses wieder und wieder in Rom erschienen und die Intervention der römischen Regierung gegen Nachbarn und Rivalen anriefen – so kam König Dubnovellaunus, wahrscheinlich der Nachfolger des von Caesar bestätigten Trinovantenfürsten, als Flüchtling nach Rom zu Kaiser Augustas, so später einer der Prinzen desselben Hauses zu Kaiser Gaius110.

In der Tat war die Expedition nach Britannien ein notwendiger Teil der Caesarischen Erbschaft; es hatte auch schon während der Zweiherrschaft Caesar der Sohn zu einer solchen einen Anlauf genommen und nur davon abgesehen wegen der dringenderen Notwendigkeit, in Illyricum Ruhe zu schaffen, oder auch wegen des gespannten Verhältnisses zu Antonius, das zunächst den Parthern sowohl wie den Britannern zustatten kam. Die höfischen Poeten aus Augustus‘ früheren Jahren haben die britannische Eroberung vielfach antizipierend gefeiert; das Programm Caesars also nahm der Nachfolger an und auf. Als dann die Monarchie feststand, erwartete ganz Rom, daß der Beendigung des Bürgerkrieges die britannische Expedition auf dem Fuße folgen werde; die Klagen der Poeten über den schrecklichen Hader, ohne welchen längst die Britanner im Siegeszug zum Kapitol geführt worden wären, verwandelten sich in die stolze Hoffnung auf die neu zum Reich hinzutretende Provinz Britannien. Die Expedition wurde auch zu wiederholten Malen angekündigt (727, 728 27, 26); dennoch stand Augustus, ohne das Unternehmen förmlich fallenzulassen, bald von der Durchführung ab, und Tiberius hielt, seiner Maxime getreu, auch in dieser Frage an dem System des Vaters fest111. Die nichtigen Gedanken des letzten Julischen Kaisers schweiften wohl auch über den Ozean hinüber; aber ernste Dinge vermochte er nicht einmal zu planen. Erst die Regierung des Claudius nahm den Plan des Diktators wieder auf und führte ihn durch.

Welche Motive nach der einen wie nach der andern Seite hin bestimmend waren, läßt sich teilweise wenigstens erkennen. Augustus selbst hat geltend gemacht, daß die Besetzung der Insel militärisch nicht nötig sei, da ihre Bewohner nicht imstande seien, die Römer auf dem Kontinent zu belästigen, und für die Finanzen nicht vorteilhaft; was aus Britannien zu ziehen sei, fließe in Form des Einfuhr- und Ausfuhrzolles der gallischen Häfen in die Kasse des Reiches; als Besatzung werde wenigstens eine Legion und etwas Reiterei erforderlich sein und nach Abzug der Kosten derselben von den Tributen der Insel nicht viel übrig bleiben112. Dies alles war unbestreitbar richtig, ja noch keineswegs genug; die Erfahrung erwies später, daß eine Legion bei weitem nicht ausreichte, um die Insel zu halten. Hinzuzunehmen ist, was die Regierung zu sagen allerdings keine Veranlassung hatte, daß bei der Schwäche des römischen Heeres, wie sie durch die innere Politik Augusts einmal herbeigeführt war, es sehr bedenklich erscheinen mußte, einen erheblichen Bruchteil desselben ein für allemal auf eine ferne Insel des Nordmeers zu bannen. Man hatte vermutlich nur die Wahl, von Britannien abzusehen oder deswegen das Heer zu vermehren; und bei Augustus hat die Rücksicht auf die innere Politik stets die auf die äußere überwogen.

Aber dennoch muß die Überzeugung von der Notwendigkeit der Unterwerfung Britanniens bei den römischen Staatsmännern vorgewogen haben. Caesars Verhalten würde unbegreiflich sein, wenn man sie nicht bei ihm voraussetzt. Augustus hat das von Caesar gesteckte Ziel trotz seiner Unbequemlichkeit zuerst förmlich anerkannt und niemals förmlich verleugnet. Gerade die weitsichtigsten und folgerichtigsten Regierungen, die des Claudius, des Nero, des Domitian, haben zu der Eroberung Britanniens den Grund gelegt oder sie erweitert; und sie ist, nachdem sie erfolgt war, nie betrachtet worden wie etwa die Traianische von Dakien und Mesopotamien. Wenn die sonst so gut wie unverbrüchlich festgehaltene Regierungsmaxime, daß das Römische Reich seine Grenzen nur zu erfüllen, nicht aber auszudehnen habe, allein in betreff Britanniens dauernd beiseite gesetzt worden ist, so liegt die Ursache darin, daß die Kelten so, wie Roms Interesse es erheischte, auf dem Kontinent allein nicht unterworfen werden konnten. Diese Nation war allem Anschein nach durch den schmalen Meeresarm, der England und Frankreich trennt, mehr verbunden als geschieden; dieselben Völkernamen begegnen hüben und drüben; die Grenzen der einzelnen Staaten griffen öfter über den Kanal hinüber; der Hauptsitz des hier mehr wie irgendwo sonst das ganze Volkstum durchdringenden Priestertums waren von jeher die Inseln der Nordsee. Den römischen Legionen das Festland Galliens zu entreißen, vermochten diese Insulaner freilich nicht; aber wenn der Eroberer Galliens selbst, und weiter die römische Regierung in Gallien andere Zwecke verfolgte als in Syrien und Ägypten, wenn die Kelten der italischen Nation angegliedert werden sollten, so war diese Aufgabe wohl unausführbar, solange das unterworfene und das freie Keltengebiet über das Meer hin sich berührten und der Römerfeind wie der römische Deserteur in Britannien eine Freistatt fand113. Zunächst genügte dafür schon die Unterwerfung der Südküste, obwohl die Wirkung natürlich sich steigerte, je weiter das freie Keltengebiet zurückgeschoben ward. Claudius‘ besondere Rücksicht auf seine gallische Heimat und seine Kenntnis gallischer Verhältnisse mag auch hierbei mit im Spiel gewesen sein114. Den Anlaß zum Kriege gab, daß eben dasjenige Fürstentum, welches von Rom in einer gewissen Abhängigkeit stand, unter der Führung seines Königs Cunobelinus – es ist dies Shakespeares Cymbeline – seine Herrschaft weit ausbreitete115 und sich von der römischen Schutzherrschaft emanzipierte. Einer der Söhne desselben, Adminius, der gegen den Vater sich aufgelehnt hatte, kam schutzbegehrend zum Kaiser Gaius, und darüber, daß dessen Nachfolger sich weigerte, dem britischen Herrscher diese seine Untertanen auszuliefern, entspann sich der Krieg zunächst gegen den Vater und die Brüder dieses Adminius. Der eigentliche Grund desselben freilich war der unerläßliche Abschluß der Unterwerfung einer bisher nur halb besiegten, eng zusammenhaltenden Nation.

Daß die Besetzung Britanniens nicht erfolgen könne ohne gleichzeitige Vermehrung des stehenden Heeres, war auch die Ansicht derjenigen Staatsmänner, die sie veranlaßten; es wurden drei der Rhein-, eine der Donaulegionen dazu bestimmt116, gleichzeitig aber zwei neu errichtete Legionen den germanischen Heeren zugeteilt. Zum Führer dieser Expedition und zugleich zum ersten Statthalter der Provinz wurde ein tüchtiger Soldat, Aulus Plautius, ausersehen; sie ging im Jahre 43 nach der Insel ab. Die Soldaten zeigten sich schwierig, wohl mehr wegen der Verbannung auf die ferne Insel als aus Furcht vor dem Feinde. Einer der leitenden Männer, vielleicht die Seele des Unternehmens, der kaiserliche Kabinettssekretär Narcissus, wollte ihnen Mut einsprechen – sie ließen den Sklaven vor höhnendem Zuruf nicht zu Worte kommen, aber taten, wie er wollte, und schifften sich ein.

Besondere Schwierigkeit hatte die Besetzung der Insel nicht. Die Eingeborenen standen politisch wie militärisch auf derselben niedrigen Entwicklungsstufe, welche Caesar auf der Insel vorgefunden hatte. Könige oder Königinnen regierten in den einzelnen Gauen, die kein äußeres Band zusammenschloß und die in ewiger Fehde miteinander lagen. Die Mannschaften waren wohl von ausdauernder Körperkraft und von todesverachtender Tapferkeit und namentlich tüchtige Reiter. Aber der homerische Streitwagen, der hier noch eine Wirklichkeit war und auf dem die Fürsten des Landes selber die Zügel führten, hielt den geschlossenen römischen Reiterschwadronen ebensowenig stand, wie der Infanterist ohne Panzer und Helm, nur durch den kleinen Schild verteidigt, mit seinem kurzen Wurfspieß und seinem breiten Schwert im Nahkampf dem kurzen römischen Messer gewachsen war oder gar dem schweren Pilum des Legionärs und dem Schleuderblei und dem Pfeil der leichten römischen Truppen. Der Heermasse von etwa 40000 wohlgeschulten Soldaten hatten die Eingeborenen überall keine entsprechende Abwehr entgegenzustellen. Die Ausschiffung traf nicht einmal auf Widerstand; die Briten hatten Kunde von der schwierigen Stimmung der Truppen und die Landung nicht mehr erwartet. König Cunobelinus war kurz vorher gestorben; die Gegenwehr führten seine beiden Söhne, Caratacus und Togodumnus. Der Marsch des Invasionsheeres ward sofort auf Camalodunum gerichtet117 und in raschem Siegeslauf gelangte es bis an die Themse; hier wurde Halt gemacht, vielleicht hauptsächlich, um dem Kaiser die Gelegenheit zu geben, den leichten Lorbeer persönlich zu pflücken. Sobald er eintraf, ward der Fluß überschritten, das britische Aufgebot geschlagen, wobei Togodumnus den Tod fand, Camalodunum selber genommen. Wohl setzte der Bruder Caratacus den Widerstand hartnäckig fort und gewann sich, siegend oder geschlagen, einen stolzen Namen bei Freund und Feind; aber das Vorschreiten der Römer war dennoch unaufhaltsam. Ein Fürst nach dem andern ward geschlagen und abgesetzt – elf britische Könige nennt der Ehrenbogen des Claudius als von ihm besiegt; und was den römischen Waffen nicht erlag, das ergab sich den römischen Spenden. Zahlreiche vornehme Männer nahmen die Besitzungen an, die auf Kosten ihrer Landsleute der Kaiser ihnen verlieh; auch manche Könige fügten sich in die bescheidene Lehnsstellung, wie denn der der Regner (Chichester), Cogidumnus, und der der Icener (Norfolk), Prasutagus, eine Reihe von Jahren als Lehnsfürsten die Herrschaft geführt haben. Aber in den meisten Distrikten der bis dahin durchgängig monarchisch regierten Insel führten die Eroberer ihre Gemeindeverfassung ein und gaben, was noch zu verwalten blieb, den örtlichen Vornehmen in die Hand; was denn freilich schlimme Parteiungen und innere Zerwürfnisse im Gefolge hatte. Noch unter dem ersten Statthalter scheint das gesamte Flachland bis etwa zum Humber hinauf in römische Gewalt gekommen zu sein; die Icener zum Beispiel haben bereits ihm sich ergeben. Aber nicht bloß mit dem Schwert bahnten die Römer sich den Weg. Unmittelbar nach der Einnahme wurden nach Camalodunum Veteranen geführt und die erste Stadt römischer Ordnung und römischen Bürgerrechts, die „Claudische Siegeskolonie“, in Britannien gegründet, bestimmt zur Landeshauptstadt. Unmittelbar nachher begann auch die Ausbeutung der britannischen Bergwerke, namentlich der ergiebigen Bleigruben; es gibt britannische Bleibarren aus dem sechsten Jahre nach der Invasion. Offenbar hat in gleicher Schleunigkeit der Strom römischer Kaufleute und Industrieller sich über das neu geschlossene Gebiet ergossen; wenn Camalodunum römische Kolonisten empfing, so bildeten anderswo im Süden der Insel, namentlich an den warmen Quellen der Sulis (Bath), in Verulamium (St. Albans, nordwestlich von London) und vor allem in dem natürlichen Emporium des Großverkehrs, in Londinium an der Themsemündung, bloß infolge des freien Verkehrs und der Einwanderung sich römische Ortschaften, die bald auch formell städtische Organisation erhielten. Die vordringende Fremdherrschaft machte nicht bloß in den neuen Abgaben und Aushebungen, sondern vielleicht mehr noch in Handel und Gewerbe überall sich geltend. Als Plautius nach vierjähriger Verwaltung abberufen ward, zog er, der letzte Private, der zu solcher Ehre gelangt ist, triumphierend in Rom ein, und Ehren und Orden strömten herab auf die Offiziere und Soldaten der siegreichen Legionen; dem Kaiser wurden in Rom und danach in anderen Städten Triumphbogen errichtet wegen des „ohne irgendwelche Verluste“ errungenen Sieges; der kurz vor der Invasion geborene Kronprinz erhielt anstatt des großväterlichen den Namen Britannicus. Man wird hierin die unmilitärische, der Siege mit Verlust entwöhnte Zeit und die der politischen Altersschwäche angemessene Überschwenglichkeit erkennen dürfen; aber wenn die Invasion Britanniens vom militärischen Standpunkt aus nicht viel bedeuten will, so muß doch den leitenden Männern das Zeugnis gegeben werden, daß sie das Werk in energischer und folgerichtiger Weise angriffen und die peinliche und gefahrvolle Zeit des Übergangs von der Unabhängigkeit zur Fremdherrschaft in Britannien eine ungewöhnlich kurze war.

Nach dem ersten raschen Erfolg freilich entwickelten auch hier sich die Schwierigkeiten und selbst die Gefahren, welche die Besetzung der Insel nicht bloß den Eroberten brachte, sondern auch den Eroberern.

Des Flachlandes war man Herr, aber nicht der Berge noch des Meeres. Vor allem der Westen machte den Römern zu schaffen. Zwar im äußersten Südwest, im heutigen Cornwall, hielt sich das alte Volkstum wohl mehr, weil die Eroberer sich um diese entlegene Ecke wenig kümmerten, als weil es geradezu sich gegen sie auflehnte. Aber die Siluren im Süden des heutigen Wales und ihre nördlichen Nachbarn, die Ordoviker, trotzten beharrlich den römischen Waffen; die den letzteren anliegende Insel Mona (Anglesey) war der rechte Herd der nationalen und religiösen Gegenwehr. Nicht die Bodenverhältnisse allein hemmten das Vordringen der Römer; was Britannien für Gallien gewesen, das war jetzt für Britannien, und insbesondere für diese Westküste, die große Insel Ivernia; die Freiheit drüben ließ die Fremdherrschaft hüben nicht feste Wurzel fassen. Deutlich erkennt man an der Anlegung der Legionslager, daß die Invasion hier zum Stehen kam. Unter Plautius‘ Nachfolger wurde das Lager für die vierzehnte Legion am Einfluß des Tern in den Severn bei Viroconium (Wroxeter, unweit Shrewsbury118) angelegt, vermutlich um dieselbe Zeit südlich davon das von Isca (Caerleon = castra legionis) für die zweite, nördlich das von Deva (Chester = castra) für die zwanzigste; diese drei Lager schlossen das walisische Gebiet ab gegen Süden, Norden und Westen und schützten also das befriedete Land gegen das frei gebliebene Gebirge. Dorthin warf sich, nachdem seine Heimat römisch geworden war, der letzte Fürst von Camalodunum, Caratacus. Er wurde von dem Nachfolger des Plautius, Publius Ostorius Scapula, im Ordovikergebiet geschlagen und bald darauf von den geschreckten Briganten, zu denen er geflüchtet war, den Römern ausgeliefert (51) und mit all den Seinen nach Italien geführt. Verwundert fragte er, als er die stolze Stadt sah, wie es die Herren solcher Paläste nach den armen Hütten seiner Heimat verlangen könne. Aber damit war der Westen keineswegs bezwungen; die Siluren vor allem verharrten in hartnäckiger Gegenwehr, und daß der römische Feldherr ankündigte, sie bis auf den letzten Mann ausrotten zu wollen, trug auch nicht dazu bei, sie fügsamer zu machen. Der unternehmende Statthalter Gaius Suetonius Paullinus versuchte einige Jahre später (61), den Hauptsitz des Widerstandes, die Insel Mona, in römische Gewalt zu bringen, und trotz der wütenden Gegenwehr, welche ihn hier empfing und in der die Priester und die Weiber vorangingen, fielen die heiligen Bäume, unter denen mancher römische Gefangene geblutet hatte, unter den Äxten der Legionäre. Aber aus der Besetzung dieses letzten Asyls der keltischen Priesterschaft entwickelte sich eine gefährliche Krise in dem unterworfenen Gebiete selbst, und die Eroberung Monas zu vollenden, war dem Statthalter nicht beschieden.

Auch in Britannien hatte die Fremdherrschaft die Probe der nationalen Insurrektion zu bestehen. Was Mithradates in Kleinasien, Vercingetorix bei den Kelten des Kontinents, Civilis bei den unterworfenen Germanen unternahmen, das versuchte bei den Inselkelten eine Frau, die Gattin eines jener von Rom bestätigten Vasallenfürsten, die Königin der Icener, Boudicca. Ihr verstorbener Gatte hatte, um seiner Frau und seiner Töchter Zukunft zu sichern, seine Herrschaft dem Kaiser Nero vermacht, sein Vermögen zwischen ihm und den Seinigen geteilt. Der Kaiser nahm die Erbschaft an, aber was ihm nicht zufallen sollte, dazu; die fürstlichen Vettern wurden in Ketten gelegt, die Witwe geschlagen, die Töchter in schändlicherer Weise mißhandelt. Dazu kam andere Unbill des späteren Neronischen Regiments. Die in Camalodunum angesiedelten Veteranen jagten die früheren Besitzer von Haus und Hof, wie es ihnen beliebte, ohne daß die Behörden dagegen einschritten. Die vom Kaiser Claudius verliehenen Geschenke wurden als widerrufliche Gaben eingezogen. Römische Minister, die zugleich Geldgeschäfte machten, trieben auf diesem Wege die britannischen Gemeinden eine nach der anderen zum Bankrott. Der Moment war günstig. Der mehr tapfere als vorsichtige Statthalter Paullinus befand sich, wie gesagt wurde, mit dem Kern der römischen Armee auf der entlegenen Insel Mona, und dieser Angriff auf den heiligsten Sitz der nationalen Religion erbitterte ebenso die Gemüter, wie er dem Aufstande den Weg ebnete. Der alte gewaltige Keltenglaube, der den Römern so viel zu schaffen gemacht, loderte noch einmal, zum letzten Mal, in mächtiger Flamme empor. Die geschwächten und weitgetrennten Legionslager im Westen und im Norden gewährten dem ganzen Südosten der Insel mit seinen aufblühenden römischen Städten keinen Schutz. Vor allem die Hauptstadt Camalodunum war völlig wehrlos, eine Besatzung nicht vorhanden, die Mauern nicht vollendet, wohl aber der Tempel ihres kaiserlichen Stifters, des neuen Gottes Claudius. Der Westen der Insel, wahrscheinlich niedergehalten durch die dort stehenden Legionen, scheint sich bei der Schilderhebung nicht beteiligt zu haben und ebensowenig der nicht botmäßige Norden; aber, wie das bei keltischen Aufständen öfter vorgekommen ist, es erhob sich im Jahre 61 auf die vereinbarte Losung das ganze übrige unterworfene Gebiet auf einen Schlag gegen die Fremden, voran die aus ihrer Hauptstadt vertriebenen Trinovanten. Der zweite Befehlshaber, der zur Zeit den Statthalter vertrat, der Prokurator Decianus Catus, hatte im letzten Augenblick, was er von Soldaten hatte, dieser zum Schutz gesandt: es waren 200 Mann. Sie wehrten sich mit den Veteranen und den sonstigen waffenfähigen Römern zwei Tage im Tempel; dann wurden sie überwältigt und was in der Stadt römisch war, umgebracht bis auf den letzten. Das gleiche Schicksal erfuhr das Hauptemporium des römischen Handels, Londinium, und eine dritte aufblühende römische Stadt, Verulamium (St. Albans, nordwestlich von London), nicht minder die auf der Insel zerstreuten Ausländer – es war eine nationale Vesper, gleich jener Mithradatischen und die Zahl der Opfer – angeblich 70000 – nicht geringer. Der Prokurator gab die Sache Roms verloren und flüchtete nach dem Kontinent. Auch die römische Armee ward in die Katastrophe verwickelt. Eine Anzahl zerstreuter Detachements und Besatzungen erlag den Angriffen der Insurgenten. Quintus Petillius Cerialis, der im Lager von Lindum den Befehl führte, marschierte auf Camalodunum mit der neunten Legion; zur Rettung kam er zu spät und verlor, von ungeheurer Übermacht angegriffen, in der Feldschlacht sein gesamtes Fußvolk; das Lager erstürmten die Briganten. Es fehlte nicht viel, daß den obersten Feldherrn das gleiche Schicksal erreichte. Eilig zurückkehrend von der Insel Mona, rief er die bei Isca stehende zweite Legion heran; aber sie gehorchte dem Befehle nicht und mit nur etwa 10000 Mann mußte Paullinus den ungleichen Kampf gegen das zahllose und siegreiche Insurgentenheer aufnehmen. Wenn je der Soldat die Fehler der Führung gutgemacht hat, so war es an dem Tage, wo dieser kleine Haufen, hauptsächlich die seitdem gefeierte vierzehnte Legion, wohl zu seiner eigenen Überraschung den vollen Sieg erfocht und die römische Herrschaft in Britannien abermals festigte; viel fehlte nicht, daß Paullinus Name neben dem des Varus genannt worden wäre. Aber der Erfolg entscheidet, und hier blieb er den Römern119. Der schuldige Kommandant der ausgebliebenen Legion kam dem Kriegsgericht zuvor und stürzte sich in sein Schwert. Die Königin Boudicca trank den Giftbecher. Der übrigens tapfere Feldherr wurde zwar nicht in Untersuchung gezogen, wie anfangs die Absicht der Regierung zu sein schien, aber bald unter einem schicklichen Vorwand abgerufen.

Die Unterwerfung der westlichen Teile der Insel wurde von Paullinus Nachfolgern nicht sogleich fortgesetzt. Erst der tüchtige Feldherr Sextus Iulius Frontinus unter Vespasian zwang die Siluren zur Anerkennung der römischen Herrschaft; sein Nachfolger Gnaeus Iulius Agricola führte nach harten Kämpfen mit den Ordovikern das aus, was Paullinus nicht erreicht hatte, und besetzte im Jahre 78 die Insel Mona. Nachher ist von aktivem Widerstand in diesen Gegenden nicht die Rede; das Lager von Viroconium konnte, wahrscheinlich um diese Zeit, aufgehoben, die dadurch frei gewordene Legion im nördlichen Britannien verwendet werden. Aber die anderen beiden Legionslager von Isca und von Deva sind noch bis in die diocletianische Zeit an Ort und Stelle geblieben und erst in dem späteren Besatzungsstand verschwunden. Wenn dabei auch politische Rücksichten mitgewirkt haben mögen, so ist doch der Widerstand des Westens wahrscheinlich, vielleicht gestützt auf Verbindungen mit Ivernia, auch später noch fortgeführt worden. Dafür spricht ferner das völlige Fehlen römischer Spuren in dem inneren Wales und das daselbst bis auf den heutigen Tag sich behauptende keltische Volkstum.

Im Norden bildete den Mittelpunkt der römischen Stellung, östlich von Viroconium das Lager der neunten spanischen Legion in Lindum (Lincoln). Zunächst mit diesem berührte sich in Nordengland das mächtigste Fürstentum der Insel, das der Briganten (Yorkshire); es hatte sich nicht eigentlich unterworfen, aber die Königin Cartimandus suchte doch mit den Eroberern Frieden zu halten und erwies sich ihnen gefügig. Die Partei der Römerfeinde hatte hier im Jahre 50 loszuschlagen versucht, aber der Versuch war rasch unterdrückt worden. Caratacus, im Westen geschlagen, hatte gehofft, seinen Widerstand im Norden fortführen zu können, aber die Königin lieferte ihn, wie schon gesagt ward, den Römern aus. Diese inneren Zwistigkeiten und häuslichen Händel müssen dann in dem Aufstand gegen Paullinus, bei dem wir die Briganten in einer führenden Stellung fanden und der eben die Legion des Nordens mit seiner ganzen Schwere traf, mit im Spiel gewesen sein. Indes war die römische Partei der Briganten einflußreich genug, um nach Niederwerfung des Aufstandes die Wiederherstellung des Regiments der Cartimandus zu erlangen. Aber einige Jahre nachher bewirkte die Patriotenpartei daselbst, getragen durch die Losung des Abfalles von Rom, welche während des Bürgerkrieges nach Neros Katastrophe den ganzen Westen erfüllte, eine neue Schilderhebung der Briganten gegen die Fremdherrschaft, an deren Spitze Cartimandus‘ früherer, von ihr beseitigter und beleidigter Gemahl, der kriegserfahrene Venutius stand; erst nach längeren Kämpfen bezwang Petillius Cerialis das mächtige Volk, derselbe, der unter Paullinus nicht glücklich gegen eben diese Briten gefochten hatte, jetzt einer der namhaftesten Feldherren Vespasians und der erste von ihm ernannte Statthalter der Insel. Der allmählich nachlassende Widerstand des Westens machte es möglich, die eine der drei bisher dort stationierten Legionen mit der in Lindum stehenden zu vereinigen und das Lager selbst von Lindum nach dem Hauptort der Briganten, Eburacum (York), vorzuschieben. Indes so lange der Westen ernstliche Gegenwehr leistete, geschah im Norden nichts weiter für die Ausdehnung der römischen Grenze; am Kaledonischen Walde, sagt ein Schriftsteller vespasianischer Zeit stocken seit dreißig Jahren die römischen Waffen. Erst Agricola griff, nachdem er im Westen fertig war, die Unterwerfung auch des Nordens energisch an. Er schuf vor allem sich eine Flotte, ohne welche die Verpflegung der Truppen in diesen, wenige Hilfsmittel darbietenden Gebirgen unmöglich gewesen sein würde. Gestützt auf diese gelangte er unter Titus (80) bis an die Tava-Bucht (Firth of Tay) in die Gegend von Perth und Dundee und wandte die drei folgenden Feldzüge daran, die weiten Landstriche zwischen dieser Bucht und der bisherigen römischen Grenze an beiden Meeren genau zu erkunden, den örtlichen Widerstand überall zu brechen und an den geeigneten Stellen Verschanzungen anzulegen, wobei namentlich die natürliche Verteidigungslinie, welche durch die beiden tief einschneidenden Buchten Clota (Firth of Clyde) bei Glasgow und Bodotria (Firth of Forth) bei Edinburgh gebildet wird, zum Rückhalt ausersehen ward. Dieser Vorstoß rief das gesamte Hochland unter die Waffen; aber die gewaltige Schlacht, welche die vereinigten kaledonischen Stämme den Legionen zwischen den beiden Buchten Forth und Tay an den Graupischen Bergen lieferten, endigte mit dem Siege Agricolas. Nach seiner Ansicht mußte die Unterwerfung der Insel, einmal begonnen, auch vollendet, ja auch auf Ivernia ausgedehnt werden; und es ließ sich dafür mit Rücksicht auf das römische Britannien geltend machen, was mit Rücksicht auf Gallien die Besetzung der Insel herbeigeführt hatte; hinzu kam, daß bei energischer Durchführung der Besetzung des gesamten Inselkomplexes der Aufwand an Menschen und Geld für die Zukunft wahrscheinlich sich verringert haben würde.

Die römische Regierung folgte diesen Ratschlägen nicht. Wieweit bei der Rückberufung des siegreichen Feldherrn im Jahre 85, der übrigens länger, als sonst der Fall zu sein pflegte, im Amte geblieben war, persönliche und gehässige Motive mitgewirkt haben, muß dahingestellt bleiben; das Zusammentreffen der letzten Siege des Generals in Schottland und der ersten Niederlagen des Kaisers im Donauland war allerdings in hohem Grade peinlich. Aber für das Einstellen der Operationen in Britannien120 und für die, wie es scheint, damals erfolgte Abberufung einer der vier Legionen, mit denen Agricola seine Feldzüge ausgeführt hatte, nach Pannonien, gibt die damalige militärische Lage des Staats, die Ausdehnung der römischen Herrschaft auf dem rechten Rheinufer in Obergermanien und der Ausbruch der gefährlichen Kriege in Pannonien, eine völlig hinreichende Erklärung. Das freilich ist damit nicht erklärt, warum hiermit dem Vordringen gegen Norden überhaupt ein Ziel gesetzt und Nordschottland sowohl wie Irland sich selber überlassen wurden. Daß seitdem die Regierung, nicht wegen Zufälligkeiten der augenblicklichen Lage, sondern ein für allemal von der Vorschiebung der Reichsgrenze absah und daran bei allem Wechsel der Persönlichkeiten festhielt, lehrt die gesamte spätere Geschichte der Insel und lehren insbesondere die gleich zu erwähnenden mühsamen und kostspieligen Wallbauten. Ob sie im rechten Interesse des Staates auf die Vollendung der Eroberung verzichtet hat, ist eine andere Frage. Daß die Reichsfinanzen bei dieser Erweiterung der Grenzen nur einbüßen würden, wurde auch jetzt ebenso geltend gemacht121, wie früher gegen die Besetzung der Insel selbst, konnte aber freilich nicht entscheiden. Militärisch durchführbar war die Besetzung so, wie Agricola sie gedacht hatte, ohne Zweifel ohne wesentliche Schwierigkeit. Aber ins Gewicht mochte die Erwägung fallen, daß die Romanisierung der noch freien Gebiete große Schwierigkeit bereitet haben würde wegen der Stammesverschiedenheit. Die Kelten im eigentlichen England gehörten durchaus zu denen des Festlands; Volksname, Glaube, Sprache waren beiden gemeinsam. Wenn die keltische Nationalität des Kontinents einen Rückhalt an der Insel gefunden hatte, so griff umgekehrt die Romanisierung Galliens notwendig auch nach England hinüber, und diesem vornehmlich verdankte es Rom, daß in so überraschender Schnelligkeit Britannien sich gleichfalls romanisierte. Aber die Bewohner Irlands und Schottlands gehörten einem anderen Stamme an und redeten eine andere Sprache; ihr Gadhelisch verstand der Brite wahrscheinlich so wenig wie der Germane die Sprache der Skandinaven. Als Barbaren wildester Art werden die Kaledonier – mit den Ivernern haben die Römer sich kaum berührt – durchaus geschildert. Andererseits waltete der Eichenpriester (Derwydd, Druida) seines Amtes an der Rhone wie in Anglesey, aber nicht auf der Insel des Westens noch in den Bergen des Nordens. Wenn die Römer den Krieg hauptsächlich geführt hatten, um das Druidengebiet ganz in ihre Gewalt zu bringen, so war dieses Ziel einigermaßen erreicht. Ohne Frage hätten in anderer Zeit alle diese Erwägungen die Römer nicht vermocht, auf die so nahe gerückte Seegrenze im Norden zu verzichten und wenigstens Kaledonien wäre besetzt worden. Aber weitere Landschaften mit römischem Wesen zu durchdringen, vermochte das damalige Rom nicht mehr; die zeugende Kraft und der vorschreitende Volksgeist waren aus ihm entwichen. Wenigstens diejenige Eroberung, die nicht durch Verordnungen und Märsche erzwungen werden kann, wäre, wenn man sie versucht hätte, schwerlich gelungen.

Es kam also darauf an, die Nordgrenze für die Verteidigung in geeigneter Weise einzurichten; und darum dreht sich fortan hier die militärische Arbeit. Der militärische Mittelpunkt blieb Eburacum. Das weite, von Agricola besetzte Gebiet wurde festgehalten und mit Kastellen belegt, die als vorgeschobene Posten für das zurückliegende Hauptquartier dienten; wahrscheinlich ist der größte Teil der nicht legionären Truppen zu diesem Zweck verwendet worden. Später folgte die Anlage zusammenhängender Befestigungslinien. Die erste der Art rührt von Hadrian her und ist auch insofern merkwürdig, als sie in gewissem Sinn bis auf den heutigen Tag noch besteht und vollständiger bekannt ist als irgendeine andere der großen militärischen Bauten der Römer. Es ist genau genommen eine von Meer zu Meer in der Länge von etwa 16 deutschen Meilen westlich an den Solway Firth, östlich an die Mündung der Tyne führende, nach beiden Seiten hin festungsmäßig geschützte Heerstraße. Die Verteidigung bildet nördlich eine gewaltige ursprünglich mindestens 16 Fuß hohe und 8 Fuß dicke, an beiden Außenseiten aus Quadersteinen erbaute, dazwischen mit Bruchsteinen und Mörtel ausgefüllte Mauer, vor welcher ein nicht minder imponierender, 9 Fuß tiefer, oben bis 34 Fuß und mehr breiter Graben sich hinzieht. Gegen Süden ist die Straße geschützt durch zwei parallele, noch jetzt 6 bis 7 Fuß hohe Erddämme, zwischen denen ein 7 Fuß tiefer Graben mit einem nach Süden aufgehöhten Rande sich hinzieht, so daß die Anlage von Damm zu Damm eine Gesamtbreite von 24 Fuß hat. Zwischen der Steinmauer und den Erddämmen, auf der Straße selbst, liegen die Lagerplätze und Wachthäuser, nämlich in der Entfernung einer kleinen Meile voneinander die Kohortenlager, angelegt als selbständig wehrfähige Kastelle mit Toröffnungen nach allen vier Seiten; zwischen je zweien derselben eine kleinere Anlage ähnlicher Art mit Ausfallstoren nach Norden und Süden; zwischen je zweien von diesen vier kleinere Wachthäuser in Rufweite voneinander. Diese Anlage von großartiger Solidität, welche als Besatzung 10000 bis 12000 Mann erfordert haben muß, bildete seitdem das Fundament der militärischen Operationen im nördlichen England. Eigentlicher Grenzwall war sie nicht; vielmehr haben nicht bloß die schon seit Agricolas Zeit weit darüber hinaus vorgeschobenen Posten daneben fortbestanden, sondern es ist späterhin, zuerst unter Pius, dann in umfassenderer Weise unter Severus gleichsam als Vorposten für den Hadrianswall122

123

Weniger als von diesen imponierenden Verteidigungsanlagen wissen wir von der Anwendung, die sie gefunden haben und überhaupt den späteren Ereignissen auf diesem fernen Kriegsschauplatz. Unter Hadrian ist eine schwere Katastrophe hier eingetreten, allem Anschein nach ein Überfall des Lagers von Eburacum und die Vernichtung der dort stehenden Legion124, derselben neunten, die im Boudiccakrieg so unglücklich gefochten hatte. Wahrscheinlich ist diese nicht durch feindlichen Einfall herbeigeführt, sondern durch den Abfall der nördlichen als reichsuntertänig geltenden Völkerschaften, insbesondere der Briganten. Damit wird in Verbindung zu bringen sein, daß der Hadrianswall ebenso gegen Süden wie gegen Norden Front macht; offenbar war er auch dazu bestimmt, das nur oberflächlich unterworfene Nordengland niederzuhalten. Auch unter Hadrians Nachfolger Pius haben hier Kämpfe stattgefunden, an denen die Briganten wieder beteiligt waren; doch läßt sich Genaueres nicht erkennen125. Der erste ernstliche Angriff auf diese Reichsgrenze und die erste nachweisliche Überschreitung der Mauer – ohne Zweifel derjenigen des Pius – erfolgte unter Marcus und weiter unter Commodus; wie denn auch Commodus der erste Kaiser ist, der den Siegesbeinamen des Britannikers angenommen hat, nachdem der tüchtige General Ulpius Marcellus die Barbaren zu Paaren getrieben hatte. Aber das Sinken der römischen Macht tritt seitdem hier ebenso hervor wie an der Donau und am Euphrat. In den unruhigen Anfangsjahren des Severus hatten die Kaledonier ihre Zusage, sich nicht mit den römischen Untertanen einzulassen, gebrochen, und, auf sie gestützt, ihre südlichen Nachbarn, die Maeaten, den römischen Statthalter Lupus genötigt, gefangene Römer mit großen Summen zu lösen. Dafür traf sie Severus‘ schwerer Arm nicht lange vor seinem Tode; er drang in ihr eigenes Gebiet ein und zwang sie zur Abtretung beträchtlicher Strecken126, aus welchen freilich, nachdem der alte Kaiser im Jahre 211 im Lager von Eburacum gestorben war, seine Söhne die Besatzungen sofort freiwillig zurückzogen, um der lästigen Verteidigung überhoben zu sein.

Aus dem dritten Jahrhundert wird von den Schicksalen der Insel kaum etwas gemeldet. Da keiner der Kaiser, bis auf Diocletian und seine Kollegen, den Siegernamen von der Insel geführt hat, mögen ernstere Kämpfe hier nicht stattgefunden haben, und wenn auch in dem Landstrich zwischen den Wällen des Pius und des Hadrianus das römische Wesen wohl nie festen Fuß gefaßt hat, scheint doch wenigstens der Hadrianswall was er sollte, auch damals geleistet und hinter ihm die fremdländische Zivilisation gesichert sich entwickelt zu haben. In der Zeit Diocletians finden wir den Bezirk zwischen beiden Wällen geräumt, aber den Hadrianswall nach wie vor besetzt und das übrige römische Heer zwischen ihm und dem Hauptquartier Eburacum kantonierend zur Abwehr der seitdem oft erwähnten Raubzüge der Kaledonier, oder wie sie jetzt gewöhnlich heißen, der Tätowierten (picti) und der von Ivernia her einströmenden Skoten.

Eine ständige Flotte haben die Römer in Britannien gehabt; aber wie das Seewesen immer die schwache Seite der römischen Wehrordnung geblieben ist, war auch die britische Flotte nur unter Agricola vorübergehend von Bedeutung.

Wenn, wie dies wahrscheinlich ist, die Regierung darauf gerechnet hatte, nach erfolgter Besetzung der Insel den größten Teil der dorthin gesandten Truppen zurücknehmen zu können, so erfüllte diese Hoffnung sich nicht: nur eine der entsendeten vier Legionen ist, wie wir sahen, unter Domitian abberufen worden; die drei anderen müssen unentbehrlich gewesen sein, denn es ist nie der Versuch gemacht worden, sie zu verlegen. Dazu kamen die Auxilien, die zu dem wenig einladenden Dienst auf der abgelegenen Nordseeinsel dem Anschein nach im Verhältnis stärker als die Bürgertruppen herangezogen wurden. In der Schlacht am Graupischen Berge im Jahre 84 fochten außer den vier Legionen 8000 zu Fuß und 3000 zu Pferde von den Hilfssoldaten. Für die Zeit von Traian und Hadrian, wo von diesen in Britannien sechs Alen und 21 Kohorten, zusammen etwa 15000 Mann standen, wird man das gesamte britannische Heer auf etwa 30000 Mann anzuschlagen haben. Britannien war von Haus aus ein Kommandobezirk ersten Ranges, den beiden rheinischen und dem syrischen vielleicht im Rang, aber nicht an Bedeutung nachstehend, gegen das Ende des zweiten Jahrhunderts wahrscheinlich die angesehenste aller Statthalterschaften. Es lag nur an der weiten Entfernung, daß die britannischen Legionen in der Korpsparteiung der früheren Kaiserzeit in zweiter Reihe erscheinen; bei dem Korpskrieg nach dem Erlöschen des Antoninischen Hauses fochten sie in der ersten. Darum aber war es auch eine der Konsequenzen des Sieges des Severus, daß die Statthalterschaft geteilt ward. Seitdem standen die beiden Legionen von Isca und Deva unter dem Legaten der oberen, die eine von Eburacum und die Truppen an den Wällen, also die Hauptmasse der Auxilien, unter dem der unteren Provinz127. Wahrscheinlich ist die Verlegung der ganzen Besatzung nach dem Norden, die, wie oben bemerkt ward, nach bloß militärischen Rücksichten wohl zweckmäßig gewesen sein würde, mit deswegen unterblieben, weil sie einem Statthalter drei Legionen in die Hand gegeben hätte.

Daß finanziell die Provinz mehr kostete, als sie eintrug, kann hiernach nicht verwundern. Für die Wehrkraft des Reiches dagegen kam Britannien erheblich in Betracht; das Kompensationsverhältnis von Besteuerung und Aushebung wird auch für die Insel in Anwendung gekommen sein und die britischen Truppen galten neben den illyrischen für die besten der Armee. Gleich anfänglich sind dort sieben Kohorten aus den Eingeborenen aufgestellt und diese weiter bis auf Hadrian stetig vermehrt worden; nachdem dieser das System aufgebracht hatte, die Truppen möglichst aus ihren Garnisonsbezirken zu rekrutieren, scheint Britannien dies für seine starke Besatzung wenigstens zum großen Teil geleistet zu haben. Es war ein ernster und tapferer Sinn in den Leuten; sie trugen die Steuern und die Aushebung willig, nicht aber Hoffart und Brutalität der Beamten.

Für die innere Ordnung Britanniens bot als Grundlage sich die dort zur Zeit der Eroberung bestehende Gauverfassung, welche, wie schon bemerkt ward, von derjenigen der Kelten des Kontinents sich nur darin wesentlich entfernte, daß die einzelnen Völkerschaften der Insel, es scheint sämtlich, unter Fürsten standen. Aber diese Ordnung scheint nicht beibehalten und der Gau (civitas) in Britannien, wie in Spanien, ein geographischer Begriff geworden zu sein; wenigstens ist es kaum anders zu erklären, daß die britannischen Völkerschaften genau genommen verschwinden, sowie sie unter römische Herrschaft geraten, und von den einzelnen Gauen nach ihrer Unterwerfung so gut wie gar nicht die Rede ist. Wahrscheinlich sind die einzelnen Fürstentümer, wie sie unterworfen und eingezogen wurden, in kleinere Gemeinden zerschlagen worden; es ward dies dadurch erleichtert, daß auf der Insel sich nicht, wie auf dem Kontinent, eine ohne monarchische Spitze geordnete Gauverfassung vorfand. Damit hängt auch wohl zusammen, daß, während die gallischen Gaue eine gemeinsame Hauptstadt und in dieser eine politische und religiöse Gesamtvertretung besessen haben, von Britannien nichts ähnliches gemeldet wird. Gefehlt hat der Provinz ein Concilium und ein gemeinsamer Kaiserkultus nicht; aber wäre der Altar des Claudius in Camalodunum128 auch nur annähernd gewesen, was der des Augustus in Lugudunum, so würde davon wohl etwas verlauten. Die freie und große politische Gestaltung, welche dem gallischen Lande von Caesar gewährt und von seinem Sohne bestätigt worden war, paßt in den Rahmen der späteren Kaiserpolitik nicht mehr.

Von der mit der Invasion ziemlich gleichzeitigen Gründung der Kolonie Camalodunum war schon die Rede, wie es auch bereits hervorgehoben wurde, daß die italische Stadtverfassung früh in einer Reihe britannischer Ortschaften eingeführt worden ist. Auch hierin ist Britannien mehr nach dem Muster Spaniens als nach dem des keltischen Kontinents behandelt worden.

Die inneren Zustände Britanniens müssen, trotz der allgemeinen Gebrechen des Reichsregiments, wenigstens im Vergleich mit anderen Gebieten, nicht ungünstige gewesen sein. Kannte man im Norden nur Jagd und Weide und waren hier die Einwohner wie die Anwohner zu Fehde und Raub jederzeit bei der Hand, so entwickelte sich der Süden in dem ungestörten Friedensstand vor allem durch Ackerbau, daneben durch Viehzucht und Bergwerksbetrieb zu mäßiger Wohlfahrt: die gallischen Redner der diocletianischen Zeit preisen den Reichtum der fruchtbaren Insel, und oft genug haben die Rheinlegionen ihr Getreide aus Britannien empfangen.

Das Straßennetz der Insel, das ungemein entwickelt ist und für das namentlich Hadrian in Verbindung mit seinem Wallbau viel getan hat, hat natürlich zunächst militärischen Zwecken gedient; aber neben, ja vor den Legionslagern nimmt Londinium darin einen Platz ein, welcher seine leitende Stellung im Verkehr deutlich vor Augen bringt. Nur in Wales gab es Reichsstraßen allein in der nächsten Nähe der römischen Lager, von Isca nach Nidum (Neath) und von Deva zur Überfahrt nach Mona.

Zu der Romanisierung verhielt sich das römische Britannien ähnlich wie das nördliche und mittlere Gallien. Die nationalen Gottheiten, der Mars Belatucadrus oder Cocidius, die der Minerva gleichgesetzte Göttin Sulis, nach welcher die heutige Stadt Bath hieß, sind auch in lateinischer Sprache noch vielfach auf der Insel verehrt worden. Ein exotisches Gewächs ist die aus Italien eindringende Sprache und Sitte auf der Insel noch mehr gewesen als auf dem Kontinent; noch gegen das Ende des ersten Jahrhunderts lehnten die angesehenen Familien dort sowohl die lateinische Sprache ab wie die römische Tracht. Die großen städtischen Zentren, die eigentlichen Herde der neuen Kultur, sind in Britannien schwächer entwickelt; wir wissen nicht bestimmt, welche englische Stadt für das Concilium der Provinz und die gemeinschaftliche Kaiserverehrung als Sitz gedient und in welchem der drei Legionslager der Statthalter der Provinz residiert hat; wenn, wie es scheint, die Zivilhauptstadt Britanniens Camalodunum gewesen ist, die Militärhauptstadt Eburacum129, so kann dieses sich so wenig mit Mainz messen wie jenes mit Lyon. Die Trümmerstätten auch der namhaften Ortschaften, der Claudischen Veteranenstadt Camalodunum und der volkreichen Kaufstadt Londinium, nicht minder die vielhundertjährigen Legionslager von Deva, Isca, Eburacum haben Inschriftsteine nur in geringfügiger Zahl, namhafte Städte römischen Rechts wie die Kolonie Glevum (Gloucester), das Municipium Verulamium bis jetzt nicht einen einzigen ergeben; die Sitte des Denksteinsetzens, auf deren Ergebnisse wir für solche Fragen großenteils angewiesen sind, hat in Britannien nie recht durchgeschlagen. Im inneren Wales und in anderen weniger zugänglichen Strichen sind römische Denkmäler überhaupt nicht zum Vorschein gekommen. Daneben aber stehen deutliche Zeugen des von Tacitus hervorgehobenen regen Handels und Verkehrs, so die zahllosen Trinkschalen, die aus den Ruinen Londons hervorgegangen sind, und das Londoner Straßennetz. Wenn Agricola bemüht war, den munizipalen Wetteifer in der Ausschmückung der eigenen Stadt durch Bauten und Denkmäler, wie er von Italien sich auf Afrika und Spanien übertragen hatte, auch nach Britannien zu verpflanzen, und die vornehmen Insulaner zu bestimmen, in ihrer Heimat die Märkte zu schmücken und Tempel und Paläste zu errichten, wie dies anderswo üblich war, so ist ihm das für die Gemeindebauten nur in geringem Umfang gelungen. Aber in der Privatwirtschaft ist es anders; die stattlichen, römisch angelegten und geschmückten Landhäuser, von denen jetzt nur noch die Mosaikfußböden übrig geblieben sind, finden sich im südlichen Britannien bis in die Gegend von York hinauf130 ebenso häufig wie im Rheinland. Die höhere schulmäßige Jugendbildung drang von Gallien aus allmählich in Britannien ein. Unter Agricolas administrativen Erfolgen wird angeführt, daß der römische Hofmeister in die vornehmen Häuser der Insel anfange, seinen Weg zu finden. In hadrianischer Zeit wird Britannien als ein von den gallischen Schulmeistern erobertes Gebiet bezeichnet, und „schon spricht Thule davon, sich einen Professor zu mieten“. Diese Schulmeister waren zunächst Lateiner, aber es kamen auch Griechen; Plutarchos erzählt von einer Unterhaltung, die er in Delphi pflog mit einem aus Britannien heimkehrenden griechischen Sprachlehrer aus Tarsos. Wenn im heutigen England, abgesehen von Wales, und bis vor kurzem von Cornwall, die alte Landessprache verschwunden ist, so ist sie nicht den Angeln oder den Sachsen, sondern dem römischen Idiom gewichen; und wie es in Grenzländern zu geschehen pflegt, in der späteren Kaiserzeit stand keiner treuer zu Rom als der britannische Mann. Nicht Britannien hat Rom aufgegeben, sondern Rom Britannien – das letzte, was wir von der Insel erfahren, sind die flehentlichen Bitten der Bevölkerung bei Kaiser Honorius um Schutz gegen die Sachsen, und dessen Antwort, daß sie sich selber helfen möchten, wie sie könnten.

  1. Allem Anschein nach sind die politischen Relationen zwischen Rom und Britannien in der Zeit vor der Eroberung wesentlich auf das von Caesar wiederhergestellte und garantierte (Gall. 5, 22) Fürstentum der Trinovanten zu beziehen. Daß König Dubnovellaunus, der nebst einem anderen ganz unbekannten Britannerfürsten bei Augustas Schutz suchte, hauptsächlich in Essex herrschte, zeigen seine Münzen (mein Monumentum Ancyranum. 2. Aufl. 1883, S. 138f.). Die britannischen Fürsten, die den Augustus beschickten und seine Oberherrschaft anerkannten (denn so scheint Strab. 4, 5, 3, p. 200 gefaßt werden zu müssen; vgl. Tac. ann. 2, 24), haben wir auch zunächst dort zu suchen. Cunobelinus, nach den Münzen der Sohn des Königs Tasciovanus, von dem die Geschichte schweigt, gestorben, wie es scheint, bejahrt, zwischen 40 und 43, im Regiment also wahrscheinlich dem späteren des Augustus und denen des Tiberius und Gaius parallel gehend, residierte in Camalodunum (Dio 60, 21); um ihn und um seine Söhne dreht sich die Vorgeschichte der Invasion. Wohin Bericus, der zum Claudias kam (Dio 60, 19), gehört, wissen wir nicht, und es mögen auch andere brittische Dynasten dem Beispiel derer von Colchester gefolgt sein; aber an der Spitze stehen diese.
  2. Tac. Agr. 13: consilium id divus Augustas vocabat, Tiberius praeceptum.
  3. Die Auseinandersetzung bei Strabon (2, 5, 8, p. 115; 4, 5, 3, p. 200) gibt offenbar die gouvernementale Version. Daß nach Einziehung der Insel der freie Verkehr und damit der Ertrag der Zölle sinken werde, muß wohl als Eingeständnis des Satzes genommen werden, daß die römische Herrschaft und die römischen Tribute den Wohlstand der Untertanen herabdrückten.
  4. Als Ursache des Krieges gibt Sueton (Claud. 17) an: Britanniam tunc tumultuantem ob non redditos transfugas; was O. Hirschfeld mit Recht in Verbindung bringt mit Gai. 44: Adminio Cunobellini Britannorum regis filio, qui pulsus a patre cum exigua mani transfugerat, in deditionem recepto. Mit dem tumultuari werden wohl wenigstens beabsichtigte Plünderfahrten nach der gallischen Küste gemeint sein. Um den Bericus (Dio 60, 19) ist der Krieg gewiß nicht geführt worden.
  5. Ebenso war Mona nachher receptaculum perfugarum (Tac. ann. 14, 29).
  6. Tac. ann. 12, 37: pluribus gentibus imperitantem.
  7. Die drei Legionen vom Rhein sind die 2. Augusta, die 14. und die 20.; aus Pannonien kam die 9. spanische. Dieselben vier Legionen standen dort noch zu Anfang der Regierung Vespasians; dieser rief die 14. ab zum Kriege gegen Civilis, und diese kam nicht zurück, dafür aber wahrscheinlich die 2. adiutrix. Diese ist vermutlich unter Domitian nach Pannonien verlegt, unter Hadrian die 9. aufgelöst und durch die 6. victrix ersetzt worden. Die beiden anderen Legionen, 2. Augusta und 20., haben vom Anfang bis zum Ende der Römerherrschaft in England gestanden.
  8. Die nur auf bedenkliche Emendationen gestützte Identifikation der Boduner und Catuellaner bei Dio 60, 20 mit Völkerschaften ähnlichen Namens bei Ptolemaeos kann nicht richtig sein; diese ersten Kämpfe müssen zwischen der Küste und der Themse stattgefunden haben.
  9. Tac. ann. 12, 31: (P. Ostorius) cuncta castris ad … ntonam (überliefert ist castris antonam) et Sabrinam fluvios cohibere parat. So ist hier herzustellen, nur daß der sonst nicht überlieferte Name des Flusses Tern nicht ergänzt werden kann. Die einzigen in England gefundenen Inschriften von Soldaten der 14. Legion, die unter Nero England verließ, sind in Wroxeter, dem sogenannten „englischen Pompeii“ zum Vorschein gekommen. Da dort sich auch die Grabschrift eines Soldaten der 20. gefunden hat, war das von Tacitus bezeichnete Lager vielleicht anfänglich beiden Legionen gemeinsam und ist die 20. erst später nach Deva gekommen. Daß das Lager bei Isca gleich nach der Invasion angelegt ward, geht aus Tac. ann. 12, 32 u. 38 hervor.
  10. Eine schlechtere Relation als die des Tacitus über diesen Krieg (14, 31-39) ist selbst bei diesem unmilitärischsten aller Schriftsteller kaum aufzufinden. Wo die Truppen standen und wo die Schlachten geliefert wurden, hören wir nicht dafür aber von Zeichen und Wundern genug und leere Worte nur zu viel. Die wichtigen Tatsachen, die im Leben des Agricola (31) erwähnt werden, fehlen im Hauptbericht insonderheit die Erstürmung des Lagers. Daß Paullinus, von Mona kommend, nicht bedacht ist, die Römer im Südosten zu retten, sondern seine Truppen Zu vereinigen, begreift sich, aber nicht, warum er, wenn er Londinium aufopfern wollte, deswegen dahin marschiert. Ist er wirklich dorthin gekommen, so kann er nur mit einer persönlichen Bedeckung, ohne das Korps, das er auf Mona bei sich gehabt, dort erschienen sein; was freilich auch keinen Sinn hat. Das Gros der römischen Truppen, sowohl der von Mona zurückgeführten wie der sonst noch vorhandenen, kann nach Rufreibung der 9. Legion nur auf der Linie Deva – Viroconium – Isca gestanden haben; Paullinus schlug die Schlacht mit den beiden in den beiden ersten dieser Lager stehenden Legionen der 14. und der (unvollständigen) 20. Daß Paullinus schlug, weil er schlagen maßte, sagt Dio (62, 1-12), und wenngleich dessen Erzählung sonst auch nicht gebraucht werden kann, um die des Tacitus zu bessern, so scheint dies durch die Sachlage selbst gefordert.
  11. Tac. hist. I, 2 faßt das Resultat zusammen in die Worte perdomita Britannia et statim missa.
  12. Der kaiserliche Finanzbeamte unter Pius, Appian (prooem. 5), bemerkt, daß die Römer den besten Teil (τό κράτιστον) der britischen Insel besetzt hätten οιδέν τ΄ς άλλης δεόμενοι. ου‘ γάρ εύφορος αυτοίς εστίν ουδ‘ ήν έχουσιν. Das ist die Antwort der Gouvernementalen an Agricola und seine Meinungsgenossen.
  13. Die Meinung, daß der nördliche Wall an die Stelle des südlichen getreten sei, ist ebenso verbreitet wie unhaltbar; die Kohortenlager am Hadrianswall, wie sie uns die Inschriften des 2. Jahrhunderts zeigen, bestanden im wesentlichen unverändert noch am Ende des 3. (denn dieser Epoche gehört der betreffende Abschnitt der Notitia an). Beide Anlagen haben nebeneinander bestanden, seit die jüngere hinzugetreten war; auch zeigt die Masse der Denkmäler am Severuswall mit Evidenz, daß er bis zum Ende der römischen Herrschaft in Britannien besetzt geblieben ist.
  14. Der Bau des Severus kann nur auf die nördliche Anlage bezogen werden. Einmal war die Anlage des Hadrian von der Art, daß eine etwaige Wiederherstellung unmöglich, wie dies von der Severischen gesagt wird, als Neubau aufgefaßt werden konnte; aber die Anlage des Pius war ein bloßer Erddamm (murus cespiticius, vita c. 5) und unterliegt hier die gleiche Annahme minderem Bedenken. Zweitens paßt die Länge des Severuswalles von 32 Milien (Aur. Vict. epit. 20; die unmögliche Zahl 132 ist ein Schreibfehler unserer Handschriften des Eutropius 8, 19 – wo Paulus das Richtige bewahrt hat –, der dann von Hier. chron. a. Abr. 2221, Oros. hist. 7, 17, 7 und Cassiod. chron. zum Jahre 207 übernommen worden ist) nicht auf den Hadrianswall von 80 Milien; aber die Anlage des Pius, die nach den inschriftlichen Erhebungen etwa 40 Milien lang war, kann wohl gemeint sein, da die Endpunkte der Severischen Anlage an den beiden Meeren recht wohl andere und näher gelegene gewesen sein können. Wenn endlich nach Dio 76,12 von der Mauer, welche die Insel in zwei Teile teilt, nördlich die Kaledonien südlich die Maeaten wohnen, so sind zwar die Wohnsitze der letzteren sonst nicht bekannt (vgl. Dio 75, 5), können aber unmöglich auch nach der Schilderung, die Dio von ihrer Gegend macht, südlich vom Hadrianswall angesetzt und die der Kaledonier bis an diesen erstreckt werden. Also ist hier die Linie Glasgow-Edinburgh gemeint.
  15. Der Hauptbeweis dafür liegt in dem unzweifelhaft bald nach dem Jahre 108 (CIL VII, 241) eintretenden Verschwinden dieser Legion und ihrer Ersetzung durch die 6. victrix. Die beiden Notizen, welche auf dies Ereignis hindeuten (Fronto p. 217 Naher: Hadriano imperium obtinente quantum militum a Britannis caesum? Vita 5: Britanni teneri sub Romana dicione non poterant) sowie die Anspielung bei Iuvenal (14, 196: castella Brigantum) führen auf einen Aufstand, nicht auf einen Einfall.
  16. Wenn Pius nach Pausanias (8, 43, 4) απετέμετο τών εν Βριταννία Βριγάντων τήν πολλήν ότι επεσβαίνειν καί ούτοι σύν όπλοις ήρξαν εις τήν Γενουνίαν μοίραν (unbekannt, vielleicht, wie O. Hirschfeld vorschlägt, die Brigantenstadt Vinovia) υπκόους Ρωμαίων, so folgt daraus nicht, daß es auch Briganten in Kaledonien gab, sondern daß die Briganten in Nordengland damals das befriedete Brittenland heimsuchten und darum ein Teil ihres Gebiets konfisziert ward.
  17. Daß er die Absicht gehabt hat, den ganzen Norden in römische Gewalt zu bringen (Dio 76, 13), verträgt sich weder recht mit der Abtretung (a. a. O.) noch mit dem Mauerbau und ist wohl ebenso fabelhaft wie der römische Verlust von 50000 Mann, ohne daß es auch nur zum Kampfe kam.
  18. Die Teilung ergibt sich aus Dio 55, 23.
  19. Auf ihn geht wohl das Epigramm des Seneca (vol. 4, p. 69 Bährens): oceanus que tuas ultra se respicit aras. Auch der Tempel, der nach der Spottschrift desselben Seneca (8, 3) dem Claudius bei Lebzeiten in Britannien errichtet ward, und der damit sicher identische Tempel des Gottes Claudius in Camalodunum (Tac. ann. 14, 31) ist wohl nicht als städtisches Heiligtum zu fassen, sondern nach Analogie der Augustusheiligtümer von Lugudunum und Tarraco. Die delecti sacerdotes, welche specie religionis omnes fortunas effundebant, sind die bekannten Provinzialpriester und Spielgeber.
  20. Das hier stationierte Kommando war wenigstens in späterer Zeit ohne Frage das wichtigste unter den britannischen; und es wird auch dort (denn an Eburacum ist hier ohne Zweifel gedacht) ein Palatium erwähnt (vita Severi 22). Das praeto rium, unterhalb Eburacum wohl an der Küste gelegen (Irin. Anton. Aug., p. 466), mag der Sommersitz des Statthalters gewesen sein.
  21. Nördlich von Aldborough und Easingwold (beide etwas nördlich von York) haben sich keine gefunden (J. C. Bruce, Description of the Roman wall. 3. Aufl. 1867, S. 61).