8. Kapitel

Pompeius‘ und Caesars Gesamtherrschaft

Unter den Demokratenchefs, die seit Caesars Konsulat sozusagen offiziell als die gemeinschaftlichen Beherrscher des Gemeinwesens, als die regierenden „Dreimänner“ anerkannt waren, nahm der öffentlichen Meinung zufolge durchaus die erste Stelle Pompeius ein. Er war es, der den Optimaten der „Privatdiktator“ hieß; vor ihm tat Cicero seinen vergeblichen Fußfall; ihm galten die schärfsten Sarkasmen in den Mauerplakaten des Bibulus, die giftigsten Pfeile in den Salonreden der Opposition. Es war dies nur in der Ordnung. Nach den vorliegenden Tatsachen war Pompeius unbestritten der erste Feldherr seiner Zeit, Caesar ein gewandter Parteiführer und Parteiredner, von unleugbaren Talenten, aber ebenso notorisch von unkriegerischem, ja weibischem Naturell. Diese Urteile waren seit langem geläufig; man konnte es von dem vornehmen Pöbel nicht erwarten, daß er um das Wesen der Dinge sich kümmere und einmal festgestellte Plattheiten wegen obskurer Heldentaten am Tajo aufgebe. Offenbar spielte Caesar in dem Bunde nur die Rolle des Adjutanten, der das für seinen Chef ausführte, was Flavius, Afranius und andere, weniger fähige Werkzeuge versucht und nicht geleistet hatten. Selbst seine Statthalterschaft schien dies Verhältnis nicht zu ändern. Eine sehr ähnliche Stellung hatte erst kürzlich Afranius eingenommen, ohne darum etwas Besonderes zu bedeuten; mehrere Provinzen zugleich waren in den letzten Jahren wiederholentlich einem Statthalter untergeben und schon oft weit mehr als vier Legionen in einer Hand vereinigt gewesen; da es jenseits der Alpen wieder ruhig und Fürst Ariovist von den Römern als Freund und Nachbar anerkannt war, so war auch keine Aussicht zur Führung eines irgend ins Gewicht fallenden Krieges. Die Vergleichung der Stellungen, wie sie Pompeius durch das Gabinisch-Manilische, Caesar durch das Vatinische Gesetz erhalten hatten, lag nahe; allein sie fiel nicht zu Caesars Vorteil aus. Pompeius gebot fast über das gesamte Römische Reich, Caesar über zwei Provinzen. Pompeius standen die Soldaten und die Kassen des Staats beinahe unbeschränkt zur Verfügung, Caesar nur die ihm angewiesenen Summen und ein Heer von 24000 Mann. Pompeius war es anheimgegeben, den Zeitpunkt seines Rücktritts selber zu bestimmen; Caesars Kommando war ihm zwar auf lange hinaus, aber doch nur auf eine begrenzte Frist gesichert. Pompeius endlich war mit den wichtigsten Unternehmungen zur See und zu Lande betraut worden; Caesar ward nach Norden gesandt, um von Oberitalien aus die Hauptstadt zu überwachen und dafür zu sorgen, daß Pompeius ungestört sie beherrsche.

Aber als Pompeius von der Koalition zum Beherrscher der Hauptstadt bestellt ward, übernahm er, was über seine Kräfte weit hinausging. Pompeius verstand vom Herrschen nichts weiter, als was sich zusammenfassen läßt in Parole und Kommando. Die Wellen des hauptstädtischen Treibens gingen hohl, zugleich von vergangenen und von zukünftigen Revolutionen; die Aufgabe, diese in jeder Hinsicht dem Paris des neunzehnten Jahrhunderts vergleichbare Stadt ohne bewaffnete Macht zu regieren, war unendlich schwer, für jenen eckigen vornehmen Mustersoldaten aber geradezu unlösbar. Sehr bald war er so weit, daß Feinde und Freunde, beide ihm gleich unbequem, seinetwegen machen konnten, was ihnen beliebte; nach Caesars Abgang von Rom beherrschte die Koalition wohl noch die Geschicke der Welt, aber nicht die Straßen der Hauptstadt. Auch der Senat, dem ja immer noch eine Art nominellen Regiments zustand, ließ die Dinge in der Hauptstadt gehen, wie sie gehen konnten und mochten; zum Teil, weil der von der Koalition beherrschten Fraktion dieser Körperschaft die Instruktionen der Machthaber fehlten, zum Teil, weil die grollende Opposition aus Gleichgültigkeit oder Pessimismus beiseite trat, hauptsächlich aber, weil die gesamte hochadlige Körperschaft ihre vollständige Ohnmacht wo nicht zu begreifen, doch zu fühlen begann. Augenblicklich also gab es in Rom nirgends eine Widerstandskraft irgendwelcher Regierung, nirgends eine wirkliche Autorität. Man lebte im Interregnum zwischen dem zertrümmerten aristokratischen und dem werdenden militärischen Regiment; und wenn das römische Gemeinwesen wie kein anderes alter oder neuer Zeit alle verschiedensten politischen Funktionen und Organisationen rein und normal dargestellt hat, so erscheint in ihm auch die politische Desorganisation, die Anarchie, in einer nicht beneidenswerten Schärfe. Es ist ein seltsames Zusammentreffen, daß in denselben Jahren, in welchen Caesar jenseits der Alpen ein Werk für die Ewigkeit schuf, in Rom eine der tollsten politischen Grotesken aufgeführt ward, die jemals über die Bretter der Weltgeschichte gegangen ist. Der neue Regent des Gemeinwesens regierte nicht, sondern schloß sich in sein Haus ein und maulte im stillen. Die ehemalige, halb abgesetzte Regierung regierte gleichfalls nicht, sondern seufzte, bald einzeln in den traulichen Zirkeln der Villen, bald in der Kurie im Chor. Der Teil der Bürgerschaft, dem Freiheit und Ordnung noch am Herzen lagen, war des wüsten Treibens übersatt; aber völlig führer- und ratlos verharrte er in nichtiger Passivität und mied nicht bloß jede politische Tätigkeit, sondern, soweit es anging, das politische Sodom selbst. Dagegen: das Gesindel aller Art hatte nie bessere Tage, nie lustigere Tummelplätze gehabt. Die Zahl der kleinen großen Männer war Legion. Die Demagogie ward völlig zum Handwerk, dem denn auch das Handwerkszeug nicht fehlte: der verschabte Mantel, der verwilderte Bart, das langflatternde Haar, die tiefe Baßstimme; und nicht selten war es ein Handwerk mit goldenem Boden. Für die stehenden Brüllaktionen waren die geprüften Gurgeln des Theaterpersonals ein begehrter Artikel56; Griechen und Juden, Freigelassene und Sklaven waren in den öffentlichen Versammlungen die regelmäßigsten Besucher und die lautesten Schreier; selbst wenn es zum Stimmen ging, bestand häufig nur der kleinere Teil der Stimmenden aus verfassungsmäßig stimmberechtigten Bürgern. „Nächstens“, heißt es in einem Briefe aus dieser Zeit, „können wir erwarten, daß unsere Lakaien die Freilassungssteuer abvotieren.“ Die eigentlichen Mächte des Tages waren die geschlossenen und bewaffneten Banden, die von vornehmen Abenteurern aus fechtgewohnten Sklaven und Lumpen aufgestellten Bataillone der Anarchie. Ihre Inhaber hatten von Haus aus meistenteils zur Popularpartei gezählt; aber seit Caesars Entfernung, der der Demokratie allein zu imponieren und allein sie zu lenken verstanden hatte, war aus derselben alle Disziplin entwichen und jeder Parteigänger machte Politik auf seine eigene Hand. Am liebsten fochten diese Leute freilich auch jetzt noch unter dem Panier der Freiheit; aber genau genommen waren sie weder demokratisch noch antidemokratisch gesinnt, sondern schrieben auf die einmal unentbehrliche Fahne, wie es fiel, bald den Volksnamen, bald den Namen des Senats oder den eines Parteichefs; wie denn zum Beispiel Clodius nacheinander für die herrschende Demokratie, für den Senat und für Crassus gefochten oder zu fechten vorgegeben hat. Farbe hielten die Bandenführer nur insofern, als sie ihre persönlichen Feinde, wie Clodius den Cicero, Milo den Clodius, unerbittlich verfolgten, wogegen die Parteistellung ihnen nur als Schachzug in diesen Personenfehden diente. Man könnte ebensogut ein Charivari auf Noten setzen als die Geschichte dieses politischen Hexensabbaths schreiben wollen; es liegt auch nichts daran, all die Mordtaten, Häuserbelagerungen, Brandstiftungen und sonstigen Räuberszenen inmitten einer Weltstadt aufzuzählen und nachzurechnen, wie oft die Skala vom Zischen und Schreien zum Anspeien und Niedertreten und von da zum Steinewerfen und Schwerterzücken durchgemacht ward. Der Protagonist auf diesem politischen Lumpentheater war jener Publius Clodius, dessen, wie schon erwähnt ward, die Machthaber sich gegen Cato und Cicero bedienten. Sich selbst überlassen, trieb dieser einflußreiche, talentvolle, energische und in seinem Metier in der Tat musterhafte Parteigänger während seines Volkstribunats (696 58) ultrademokratische Politik, gab den Städtern das Getreide umsonst, beschränkte das Recht der Zensoren, sittenlose Bürger zu bemäkeln, untersagte den Beamten, durch religiöse Formalitäten den Gang der Komitialmaschine zu hemmen, beseitigte die Schranken, die kurz zuvor (690 64), um dem Bandenwesen zu steuern, dem Assoziationsrecht der niederen Klassen gesetzt worden waren, und stellte die damals aufgehobenen „Straßenklubs“ ( collegia compitalicia) wieder her, welche nichts anderes waren als eine förmliche, nach den Gassen abgeteilte und fast militärisch gegliederte Organisation des gesamten hauptstädtischen Freien- oder Sklavenproletariats. Wenn dazu noch das weitere Gesetz, das Clodius ebenfalls bereits entworfen hatte und als Prätor 702 (52) einzubringen gedachte, den Freigelassenen und den im tatsächlichen Besitz der Freiheit lebenden Sklaven die gleichen politischen Rechte mit den Freigeborenen gab, so konnte der Urheber all dieser tapferen Verfassungsbesserungen sein Werk für vollendet erklären und als neuer Numa der Freiheit und Gleichheit den süßen Pöbel der Hauptstadt einladen, in dem auf einer seiner Brandstätten am Palatin von ihm errichteten Tempel der Freiheit ihn zur Feier des eingetretenen demokratischen Millenniums das Hochamt zelebrieren zu sehen. Natürlich schlossen diese Freiheitsbestrebungen den Schacher mit Bürgerschaftsbeschlüssen nicht aus; wie Caesar hielt auch Caesars Affe für seine Mitbürger Statthalterschaften und andere Posten und Pöstchen, für die untertänigen Könige und Städte die Herrlichkeitsrechte des Staates feil.

All diesen Dingen sah Pompeius zu, ohne sich zu regen. Wenn er es nicht empfand, wie arg er damit sich kompromittierte, so empfand es sein Gegner. Clodius ward so dreist, daß er über eine ganz gleichgültige Frage, die Rücksendung eines gefangenen armenischen Prinzen, mit dem Regenten von Rom geradezu anband; und bald ward der Zwist zur förmlichen Fehde, in der Pompeius‘ völlige Hilflosigkeit zu Tage kam. Das Haupt des Staates wußte dem Parteigänger nichts anders zu begegnen als mit dessen eigenen, nur weit ungeschickter geführten Waffen. War er von Clodius wegen des armenischen Prinzen schikaniert worden, so ärgerte er ihn wieder, indem er den von Clodius über alles gehaßten Cicero aus dem Exil erlöste, in das ihn Clodius gesandt hatte, und erreichte denn auch so gründlich seinen Zweck, daß er den Gegner in einen unversöhnlichen Feind verwandelte. Wenn Clodius mit seinen Banden die Straßen unsicher machte, so ließ der siegreiche Feldherr gleichfalls Sklaven und Fechter marschieren, in welchen Balgereien natürlich der General gegen den Demagogen den kürzeren zog, auf der Straße geschlagen, und von Clodius und dessen Spießgesellen Gaius Cato in seinem Garten fast beständig in Belagerung gehalten ward. Es ist nicht der am wenigsten merkwürdige Zug in diesem merkwürdigen Schauspiel, daß in ihrem Hader der Regent und der Schwindler beide wetteifernd um die Gunst der gestürzten Regierung buhlten, Pompeius, zum Teil auch, um dem Senat gefällig zu sein, Ciceros Zurückberufung zuließ, Clodius dagegen die Julischen Gesetze für nichtig erklärte und Marcus Bibulus aufrief, deren verfassungswidrige Durchbringung öffentlich zu bezeugen!

Ein positives Resultat konnte natürlicherweise aus diesem Brodel trüber Leidenschaften nicht hervorgehen; der eigentlichste Charakter desselben war eben seine bis zum Gräßlichen lächerliche Zwecklosigkeit. Selbst ein Mann von Caesars Genialität hatte es erfahren müssen, daß das demokratische Treiben vollständig abgenutzt war und sogar der Weg zum Thron nicht mehr durch die Demagogie ging. Es war nichts weiter als ein geschichtlicher Lückenbüßer, wenn jetzt, in dem Interregnum zwischen Republik und Monarchie, irgendein toller Geselle mit des Propheten Mantel und Stab, die Caesar selbst abgelegt hatte, sich noch einmal staffierte und noch einmal Gaius Gracchus‘ große Ideale parodisch verzerrt über die Szene gingen; die sogenannte Partei, von der diese demokratische Agitation ausging, war so wenig eine, daß ihr später in dem Entscheidungskampf nicht einmal eine Rolle zufiel. Selbst das läßt sich nicht behaupten, daß durch diesen anarchistischen Zustand das Verlangen nach einer starken, auf Militärmacht gegründeten Regierung in den Gemütern der politisch indifferent Gesinnten lebendig angefacht worden sei. Auch abgesehen davon, daß diese neutrale Bürgerschaft hauptsächlich außerhalb Roms zu suchen war und also von dem hauptstädtischen Krawallieren nicht unmittelbar berührt ward, so waren diejenigen Gemüter, die überhaupt durch solche Motive sich bestimmen ließen, schon durch frühere Erfahrungen, namentlich die Catilinarische Verschwörung, gründlich zum Autoritätsprinzip bekehrt worden; auf die eigentlichen Ängsterlinge aber wirkte die Furcht vor der von dem Verfassungsumsturz unzertrennlichen, ungeheuren Krise bei weitem nachdrücklicher als die Furcht vor der bloßen Fortdauer der im Grunde doch sehr oberflächlichen hauptstädtischen Anarchie. Das einzige Ergebnis derselben, das geschichtlich in Anschlag kommt, ist die peinliche Stellung, in die Pompeius durch die Angriffe der Clodianer geriet und durch die seine weiteren Schritte wesentlich mitbedingt wurden.

Wie wenig Pompeius auch die Initiative liebte und verstand, so ward er doch diesmal durch die Veränderung seiner Stellung sowohl Clodius als Caesar gegenüber gezwungen, aus seiner bisherigen Passivität herauszutreten. Die verdrießliche und schimpfliche Lage, in die ihn Clodius versetzt hatte, mußte auf die Länge selbst seine träge Natur zu Haß und Zorn entflammen. Aber weit wichtiger war die Verwandlung, die in seinem Verhältnis zu Caesar stattgefunden hatte. Wenn von den beiden verbündeten Machthabern Pompeius in der übernommenen Tätigkeit vollkommen bankrott geworden war, so hatte Caesar aus seiner Kompetenz etwas zu machen gewußt, was jede Berechnung wie jede Befürchtung weit hinter sich ließ. Ohne wegen der Erlaubnis viel anzufragen, hatte Caesar durch Aushebungen in seiner großenteils von römischen Bürgern bewohnten südlichen Provinz sein Heer verdoppelt, hatte mit diesem, statt von Norditalien aus über Rom Wache zu halten, die Alpen überschritten, eine neue kimbrische Invasion im Beginn erstickt und binnen zwei Jahren (696, 697 58, 57) die römischen Waffen bis an den Rhein und den Kanal getragen. Solchen Tatsachen gegenüber ging selbst der aristokratischen Taktik des Ignorierens und Verkleinerns der Atem aus. Der oft als Zärtling Verhöhnte war jetzt der Abgott der Armee, der gefeierte sieggekrönte Held, dessen junge Lorbeeren die welken des Pompeius überglänzten und dem sogar der Senat die nach glücklichen Feldzügen üblichen Ehrenbezeigungen schon 697 (57) in reicherem Maße zuerkannte, als sie je Pompeius zuteil geworden waren. Pompeius stand zu seinem ehemaligen Adjutanten, genau wie nach den Gabinisch-Manilischen Gesetzen dieser gegen ihn gestanden hatte. Jetzt war Caesar der Held des Tages und der Herr der mächtigsten römischen Armee, Pompeius ein ehemals berühmter Exgeneral. Zwar war es zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn noch zu keiner Kollision gekommen und das Verhältnis äußerlich ungetrübt; aber jedes politische Bündnis ist innerlich aufgelöst, wenn das Machtverhältnis der Beteiligten sich wesentlich verschiebt. Wenn der Zank mit Clodius nur ärgerlich war, so lag in der veränderten Stellung Caesars für Pompeius eine sehr ernste Gefahr: ebenwie einst Caesar und dessen Verbündete gegen ihn, so sah jetzt er sich genötigt, gegen Caesar einen militärischen Rückhalt zu suchen und, seine stolze Amtlosigkeit beiseitelegend, aufzutreten als Bewerber um irgendein außerordentliches Amt, das ihn in den Stand setzte, dem Statthalter der beiden Gallien mit gleicher und womöglich mit überlegener Macht zur Seite zu bleiben. Wie seine Lage, war auch seine Taktik genau die Caesars während des Mithradatischen Krieges. Um die Militärmacht des überlegenen, aber noch entfernten Gegners durch die Erlangung eines ähnlichen Kommandos aufzuwiegen, bedurfte Pompeius zunächst der offiziellen Regierungsmaschine. Anderthalb Jahre zuvor hatte diese unbedingt ihm zur Verfügung gestanden. Die Machthaber beherrschten den Senat damals sowohl durch die Komitien, die ihnen als den Herren der Straße unbedingt gehorchten, wie durch den von Caesar energisch terrorisierten Senat; als Vertreter der Koalition in Rom und als deren anerkanntes Haupt hätte Pompeius vom Senat wie von der Bürgerschaft ohne Zweifel jeden Beschluß erlangt, den er wünschte, selbst wenn er gegen Caesars Interesse war. Allein durch den ungeschickten Handel mit Clodius hatte Pompeius die Straßenherrschaft eingebüßt und konnte nicht daran denken, einen Antrag zu seinen Gunsten bei der Volksgemeinde durchzusetzen. Nicht ganz so ungünstig standen die Dinge für ihn im Senat; doch war es auch hier zweifelhaft, ob Pompeius nach dieser langen und verhängnisvollen Passivität die Zügel der Majorität noch fest genug in der Hand habe, um einen Beschluß, wie er ihn brauchte, zu bewirken.

Auch die Stellung des Senats, oder vielmehr der Nobilität überhaupt, war inzwischen eine andere geworden. Eben aus ihrer vollständigen Erniedrigung schöpfte sie frische Kräfte. Es war bei der Koalition von 694 (60) verschiedenes an den Tag gekommen, was für das Sonnenlicht noch keineswegs reif war. Die Entfernung Catos und Ciceros, welche die öffentliche Meinung, wie sehr auch die Machthaber dabei sich zurückhielten und sogar sich die Miene gaben, sie zu beklagen, mit ungeirrtem Takt auf ihre wahren Urheber zurückführte, und die Verschwägerung zwischen Caesar und Pompeius erinnerten mit unerfreulicher Deutlichkeit an monarchische Ausweisungsdekrete und Familienallianzen. Auch das größere Publikum, das den politischen Ereignissen ferner stand, ward aufmerksam auf die immer bestimmter hervortretenden Grundlagen der künftigen Monarchie. Von dem Augenblick an, wo dieses begriff, daß es Caesar nicht um eine Modifikation der republikanischen Verfassung zu tun sei, sondern daß es sich handle um Sein oder Nichtsein der Republik, werden unfehlbar eine Menge der besten Männer, die bisher sich zur Popularpartei gerechnet und in Caesar ihr Haupt verehrt hatten, auf die entgegengesetzte Seite übergetreten sein. Nicht mehr in den Salons und den Landhäusern des regierenden Adels allein wurden die Reden von den „drei Dynasten“, dem „dreiköpfigen Ungeheuer“ vernommen. Caesars konsularischen Reden horchte die Menge dichtgedrängt, ohne daß Zuruf oder Beifall aus ihr erscholl; keine Hand regte sich zum Klatschen, wenn der demokratische Konsul in das Theater trat. Wohl aber pfiff man, wo eines der Werkzeuge der Machthaber öffentlich sich sehen ließ, und selbst gesetzte Männer klatschten, wenn ein Schauspieler eine antimonarchische Sentenz oder eine Anspielung gegen Pompeius vorbrachte. Ja als Cicero ausgewiesen werden sollte, legten eine große Zahl – angeblich zwanzigtausend – Bürger, größtenteils aus den Mittelklassen, nach dem Beispiel des Senats das Trauergewand an. „Nichts ist jetzt populärer“, heißt es in einem Briefe aus dieser Zeit, „als der Haß der Popularpartei.“ Die Machthaber ließen Andeutungen fallen, daß durch solche Opposition leicht die Ritter ihre neuen Sonderplätze im Theater, der gemeine Mann sein Brotkorn einbüßen könne; man nahm darauf mit den Äußerungen des Unwillens sich vielleicht etwas mehr in acht, aber die Stimmung blieb die gleiche. Mit besserem Erfolg ward der Hebel der materiellen Interessen angesetzt. Caesars Gold floß in Strömen. Scheinreiche mit zerrütteten Finanzen, einflußreiche, in Geldverlegenheiten befangene Damen, verschuldete junge Adlige, bedrängte Kaufleute und Bankiers gingen entweder selbst nach Gallien, um an der Quelle zu schöpfen, oder wandten sich an Caesars hauptstädtische Agenten; und nicht leicht ward ein äußerlich anständiger Mann – mit ganz verlorenem Gesindel mied Caesar sich einzulassen – dort oder hier zurückgewiesen. Dazu kamen die ungeheuren Bauten, die Caesar für seine Rechnung in der Hauptstadt ausführen ließ und bei denen eine Unzahl von Menschen aller Stände vom Konsular bis zum Lastträger hinab Gelegenheit fand zu verdienen, sowie die unermeßlichen, für öffentliche Lustbarkeiten aufgewandten Summen. In beschränkterem Maße tat Pompeius das gleiche; ihm verdankte die Hauptstadt das erste steinerne Theater, und er feierte dessen Einweihung mit einer nie zuvor gesehenen Pracht. Daß solche Spenden eine Menge oppositionell Gesinnter, namentlich in der Hauptstadt, mit der neuen Ordnung der Dinge bis zu einem gewissen Grade aussöhnten, versteht sich ebenso von selbst, wie daß der Kern der Opposition diesem Korruptionssystem nicht erreichbar war. Immer deutlicher kam es zu Tage, wie tief die bestehende Verfassung im Volke Wurzel geschlagen hatte und wie wenig namentlich die dem unmittelbaren Parteitreiben ferner stehenden Kreise, vor allem die Landstädte, der Monarchie geneigt oder auch nur bereit waren, sie über sich ergehen zu lassen. Hätte Rom eine Repräsentativverfassung gehabt, so würde die Unzufriedenheit der Bürgerschaft ihren natürlichen Ausdruck in den Wahlen gefunden und, indem sie sich aussprach, sich gesteigert haben; unter den bestehenden Verhältnissen blieb den Verfassungstreuen nichts übrig als dem Senat, der, herabgekommen wie er war, doch immer noch als Vertreter und Verfechter der legitimen Republik erschien, sich unterzuordnen. So kam es, daß der Senat, jetzt da er gestürzt worden war, plötzlich eine weit ansehnlichere und weit ernstlicher getreue Armee zu seiner Verfügung fand, als da er in Macht und Glanz die Gracchen stürzte und, geschirmt durch Sullas Säbel, den Staat restaurierte. Die Aristokratie empfand es; sie fing wieder an sich zu regen. Eben jetzt hatte Marcus Cicero, nachdem er sich verpflichtet hatte, den Gehorsam im Senat sich anzuschließen und nicht bloß keine Opposition zu machen, sondern nach Kräften für die Machthaber zu wirken, von denselben die Erlaubnis zur Rückkehr erhalten. Obwohl Pompeius der Oligarchie hiermit nur beiläufig eine Konzession machte und vor allem dem Clodius einen Possen zu spielen, demnächst ein durch hinreichende Schläge geschmeidigtes Werkzeug in dem redefertigen Konsular zu erwerben bedacht war, so nahm man doch die Gelegenheit wahr, wie Ciceros Verbannung eine Demonstration gegen den Senat gewesen war, so seine Rückkehr zu republikanischen Demonstrationen zu benutzen. In möglichst feierlicher Weise, übrigens gegen die Clodianer durch die Bande des Titus Annius Milo geschützt, brachten beide Konsuln nach vorgängigem Senatsbeschluß einen Antrag an die Bürgerschaft, dem Konsular Cicero die Rückkehr zu gestatten, und der Senat rief sämtliche verfassungstreue Bürger auf, bei der Abstimmung nicht zu fehlen. Wirklich versammelte sich am Tage der Abstimmung (4. August 697 57) in Rom namentlich aus den Landstädten eine ungewöhnliche Anzahl achtbarer Männer. Die Reise des Konsulars von Brundisium nach der Hauptstadt gab Gelegenheit zu einer Reihe ähnlicher, nicht minder glänzender Manifestationen der öffentlichen Meinung. Das neue Bündnis zwischen dem Senat und der verfassungstreuen Bürgerschaft ward bei dieser Gelegenheit gleichsam öffentlich bekannt gemacht und eine Art Revue über die letztere gehalten, deren überraschend günstiges Ergebnis nicht wenig dazu beitrug, den gesunkenen Mut der Aristokratie wiederaufzurichten. Pompeius‘ Hilflosigkeit gegenüber diesen trotzigen Demonstrationen sowie die unwürdige und beinahe lächerliche Stellung, in die er Clodius gegenüber geraten war, brachten ihn und die Koalition um ihren Kredit; und die Fraktion des Senats, welche derselben anhing, durch Pompeius‘ seltene Ungeschicklichkeit demoralisiert und ratlos sich selber überlassen, konnte nicht verhindern, daß in dem Kollegium die republikanisch-aristokratische Partei wieder völlig die Oberhand gewann. Das Spiel dieser stand in der Tat damals – 697 (57) – für einen mutigen und geschickten Spieler noch keineswegs verzweifelt. Sie hatte jetzt, was sie seit einem Jahrhundert nicht gehabt, festen Rückhalt in dem Volke; vertraute sie diesem und sich selber, so konnte sie auf dem kürzesten und ehrenvollsten Wege zum Ziel gelangen. Warum nicht die Machthaber mit offenem Visier angreifen? Warum kassierte nicht ein entschlossener und namhafter Mann an der Spitze des Senats die außerordentlichen Gewalten als verfassungswidrig und rief die sämtlichen Republikaner Italiens gegen die Tyrannen und deren Anhang unter die Waffen? Möglich war es wohl, auf diesem Wege die Senatsherrschaft noch einmal zu restaurieren. Allerdings spielten die Republikaner damit hohes Spiel; aber vielleicht wäre auch hier, wie so oft, der mutigste Entschluß zugleich der klügste gewesen. Nur freilich war die schlaffe Aristokratie dieser Zeit eines solchen einfachen und mutigen Entschlusses kaum noch fähig. Aber es gab einen anderen, vielleicht sichereren, auf jeden Fall der Art und Natur dieser Verfassungsgetreuen angemesseneren Weg: sie konnten darauf hinarbeiten, die beiden Machthaber zu entzweien und durch diese Entzweiung schließlich selber ans Ruder zu gelangen. Das Verhältnis der den Staat beherrschenden Männer hatte sich verschoben und gelockert, seit Caesar übermächtig neben Pompeius sich gestellt und diesen genötigt hatte, um eine neue Machtstellung zu werben; es war wahrscheinlich, daß, wenn er dieselbe erlangte, es damit auf die eine oder die andere Weise zwischen ihnen zum Bruch und zum Kampfe kam. Blieb in diesem Pompeius allein, so war seine Niederlage kaum zweifelhaft, und die Verfassungspartei fand in diesem Fall nach beendigtem Kampfe nur statt unter der Zwei-, sich unter der Einherrschaft. Allein, wenn die Nobilität gegen Caesar dasselbe Mittel wandte, durch das dieser seine bisherigen Siege erfochten hatte, und mit dem schwächeren Nebenbuhler in Bündnis trat, so blieb mit einem Feldherrn wie Pompeius, mit einem Heere wie das der Verfassungstreuen war, der Sieg wahrscheinlich diesen; nach dem Siege aber mit Pompeius fertig zu werden, konnte, nach den Beweisen von politischer Unfähigkeit, die derselbe zeither gegeben, nicht als eine besonders schwierige Aufgabe erscheinen.

Die Dinge hatten sich dahin gewandt, eine Verständigung zwischen Pompeius und der republikanischen Partei beiden nahezulegen; ob es zu einer solchen Annäherung kommen und wie überhaupt das völlig unklar gewordene Verhältnis der beiden Machthaber und der Aristokratie gegeneinander zunächst sich stellen werde, mußte sich entscheiden, als im Herbst 697 (57) Pompeius mit dem Antrag an den Senat ging, ihn mit einer außerordentlichen Amtsgewalt zu betrauen. Er knüpfte wieder an an das, wodurch er elf Jahre zuvor seine Macht begründet hatte: an die Brotpreise in der Hauptstadt, die ebendamals wie vor dem Gabinischen Gesetz eine drückende Höhe erreicht hatten. Ob sie durch besondere Machinationen hinaufgetrieben worden waren, wie deren Clodius bald dem Pompeius, bald dem Cicero und diese wieder jenem Schuld gaben, läßt sich nicht entscheiden; die fortdauernde Piraterie, die Leere des öffentlichen Schatzes und die lässige und unordentliche Überwachung der Kornzufuhr durch die Regierung reichten übrigens auch ohne politischen Kornwucher an sich schon vollkommen aus, um in einer fast lediglich auf überseeische Zufuhr angewiesenen Großstadt Brotteuerungen herbeizuführen. Pompeius‘ Plan war, sich vom Senat die Oberaufsicht über das Getreidewesen im ganzen Umfang des Römischen Reiches und zu diesem Endzwecke teils das unbeschränkte Verfügungsrecht über die römische Staatskasse, teils Heer und Flotte übertragen zu lassen, sowie ein Kommando, welches nicht bloß über das ganze Römische Reich sich erstreckte, sondern dem auch in jeder Provinz das des Statthalters wich – kurz, er beabsichtigte, eine verbesserte Auflage des Gabinischen Gesetzes zu veranstalten, woran sich sodann die Führung des eben damals schwebenden Ägyptischen Krieges ebenso von selbst angeschlossen haben würde wie die des Mithradatischen an die Razzia gegen die Piraten. Wie sehr auch die Opposition gegen die neuen Dynasten in den letzten Jahren Boden gewonnen hatte, es stand dennoch, als diese Angelegenheit im September 697 (57) im Senat zur Verhandlung kam, die Majorität desselben noch unter dem Bann des von Caesar erregten Schreckens. Gehorsam nahm sie den Vorschlag im Prinzip an, und zwar auf Antrag des Marcus Cicero, der hier den ersten Beweis der in der Verbannung gelernten Fügsamkeit geben sollte und gab. Allein bei der Feststellung der Modalitäten wurden von dem ursprünglichen Plane, den der Volkstribun Gaius Messius vorlegte, doch sehr wesentliche Stücke abgedungen. Pompeius erhielt weder freie Verfügung über das Ärar, noch eigene Legionen und Schiffe, noch auch eine der der Statthalter übergeordnete Gewalt, sondern man begnügte sich, ihm zum Behuf der Ordnung des hauptstädtischen Verpflegungswesens ansehnliche Summen, fünfzehn Adjutanten und in allen Verpflegungsangelegenheiten volle prokonsularische Gewalt im ganzen römischen Gebiet auf die nächsten fünf Jahre zu bewilligen und dies Dekret von der Bürgerschaft bestätigen zu lassen. Es waren sehr mannigfaltige Ursachen, welche diese, fast einer Ablehnung gleichkommende Abänderung des ursprünglichen Planes herbeiführten: die Rücksicht auf Caesar, dem in Gallien selbst seinen Kollegen nicht bloß neben-, sondern überzuordnen eben die Furchtsamsten am meisten Bedenken tragen mußten; die versteckte Opposition von Pompeius‘ Erbfeind und widerwilligem Bundesgenossen Crassus, dem Pompeius selber zunächst das Scheitern seines Planes beimaß oder beizumessen vorgab; die Antipathien der republikanischen Opposition im Senat gegen jeden die Gewalt der Machthaber der Sache oder auch nur dem Namen nach erweiternden Beschluß; endlich und zunächst die eigene Unfähigkeit des Pompeius, der, selbst nachdem er hatte handeln müssen, es nicht über sich gewinnen konnte, zum Handeln sich zu bekennen, sondern wie immer seine wahre Absicht gleichsam im Inkognito durch seine Freunde vorführen ließ, selber aber in bekannter Bescheidenheit erklärte, auch mit Geringerem sich begnügen zu wollen. Kein Wunder, daß man ihn beim Worte nahm und ihm das Geringere gab. Pompeius war nichtsdestoweniger froh, wenigstens eine ernstliche Tätigkeit und vor allen Dingen einen schicklichen Vorwand gefunden zu haben, um die Hauptstadt zu verlassen; es gelang ihm auch, freilich nicht ohne daß die Provinzen den Rückschlag schwer empfanden, dieselbe mit reichlicher und billiger Zufuhr zu versehen. Aber seinen eigentlichen Zweck hatte er verfehlt; der Prokonsulartitel, den er berechtigt war in allen Provinzen zu führen, blieb ein leerer Name, solange er nicht über eigene Truppen verfügte. Darum ließ er bald darauf den zweiten Antrag an den Senat gelangen, daß derselbe ihm den Auftrag erteilen möge, den vertriebenen König von Ägypten, wenn nötig mit Waffengewalt, in seine Heimat zurückzuführen. Allein je mehr es offenbar ward, wie dringend er des Senats bedurfte, desto weniger nachgiebig und weniger rücksichtsvoll nahmen die Senatoren sein Anliegen auf. Zunächst ward in den Sibyllinischen Orakeln entdeckt, daß es gottlos sei, ein römisches Heer nach Ägypten zu senden; worauf der fromme Senat fast einstimmig beschloß, von der bewaffneten Intervention abzustehen. Pompeius war bereits so gedemütigt, daß er auch ohne Heer die Sendung angenommen haben würde; allein in seiner unverbesserlichen Hinterhältigkeit ließ er auch dies nur durch seine Freunde erklären und sprach und stimmte für die Absendung eines anderen Senators. Natürlich wies der Senat jenen Vorschlag zurück, der ein dem Vaterlande so kostbares Leben freventlich preisgab, und das schließliche Ergebnis der endlosen Verhandlungen war der Beschluß, überhaupt in Ägypten nicht zu intervenieren (Januar 698 56).

Diese wiederholten Zurückweisungen, die Pompeius im Senat erfuhr und, was schlimmer war, hingehen lassen mußte, ohne sie wettzumachen, galten natürlich, mochten sie kommen von welcher Seite sie wollten, dem großen Publikum als ebensoviele Siege der Republikaner und Niederlagen der Machthaber überhaupt; die Flut der republikanischen Opposition war demgemäß im stetigen Steigen. Schon die Wahlen für 698 (56) waren nur zum Teil im Sinne der Dynasten ausgefallen: Caesars Kandidaten für die Prätur, Publius Vatinius und Gaius Alfius, waren durchgegangen, dagegen zwei entschiedene Anhänger der gestürzten Regierung, Gnaeus Lentulus Marcellinus und Gnaeus Domitius Calvinus, jener zum Konsul, dieser zum Prätor gewählt worden. Für 699 (55) aber war als Bewerber um das Konsulat gar Lucius Domitius Ahenobarbus aufgetreten, dessen Wahl bei seinem Einfluß in der Hauptstadt und seinem kolossalen Vermögen schwer zu verhindern und von dem es hinreichend bekannt war, daß er sich nicht an verdeckter Opposition werde genügen lassen. Die Komitien also rebellierten; und der Senat stimmte ein. Es ward feierlich von ihm geratschlagt über ein Gutachten, das etruskische Wahrsager von anerkannter Weisheit über gewisse Zeichen und Wunder auf Verlangen des Senats abgegeben hatten. Die himmlische Offenbarung verkündete, daß durch den Zwist der höheren Stände die ganze Gewalt über Heer und Schatz auf einen Gebieter überzugehen und der Staat in Unfreiheit zu geraten drohe – es schien, daß die Götter zunächst auf den Antrag des Gaius Messius zielten. Bald stiegen die Republikaner vom Himmel auf die Erde herab. Das Gesetz über das Gebiet von Capua und die übrigen von Caesar als Konsul erlassenen Gesetze waren von ihnen stets als nichtig bezeichnet, und schon im Dezember 697 (57) im Senat geäußert worden, daß es erforderlich sei, sie wegen ihrer Formfehler zu kassieren. Am 6. April 698 (56) stellte der Konsular Cicero im vollen Senat den Antrag, die Beratung über die kampanische Ackerverteilung für den 15. Mai auf die Tagesordnung zu setzen. Es war die förmliche Kriegserklärung; und sie war um so bezeichnender, als sie aus dem Munde eines jener Männer kam, die nur dann ihre Farbe zeigen, wenn sie meinen, es mit Sicherheit tun zu können. Offenbar hielt die Aristokratie den Augenblick gekommen, um den Kampf nicht mit Pompeius gegen Caesar, sondern gegen die Tyrannis überhaupt zu beginnen. Was weiter folgen werde, war leicht zu sehen. Domitius hatte es kein Hehl, daß er als Konsul Caesars sofortige Abberufung aus Gallien bei der Bürgerschaft zu beantragen beabsichtige. Eine aristokratische Restauration war im Werke; und mit dem Angriff auf die Kolonie Capua warf die Nobilität den Machthabern den Handschuh hin.

Caesar, obwohl er über die hauptstädtischen Ereignisse von Tag zu Tag detaillierte Berichte empfing und, wenn die militärischen Rücksichten es irgend erlaubten, sie von seiner Südprovinz aus in möglichster Nähe verfolgte, hatte doch bisher sichtbar wenigstens nicht in dieselben eingegriffen. Aber jetzt hatte man ihm so gut wie seinen Kollegen, ja ihm vornehmlich, den Krieg erklärt, er mußte handeln und handelte rasch. Eben befand er sich in der Nähe; die Aristokratie hatte nicht einmal für gut befunden, mit dem Bruche zu warten, bis er wieder über die Alpen zurückgegangen sein würde. Anfang April 698 (56) verließ Crassus die Hauptstadt, um mit seinem mächtigeren Kollegen das Erforderliche zu verabreden; er fand Caesar in Ravenna. Von da aus begaben beide sich nach Luca und hier traf auch Pompeius mit ihnen zusammen, der bald nach Crassus (11. April), angeblich um die Getreidesendungen aus Sardinien und Afrika zu betreiben, sich von Rom entfernt hatte. Die namhaftesten Anhänger der Machthaber, wie der Prokonsul des diesseitigen Spaniens, Metellus Nepos, der Proprätor von Sardinien, Appius Claudius, und viele andere, folgten ihnen nach; hundertundzwanzig Liktoren, über zweihundert Senatoren zählte man auf dieser Konferenz, wo bereits, im Gegensatz zu dem republikanischen, der neue monarchische Senat repräsentiert war. In jeder Hinsicht stand das entscheidende Wort bei Caesar. Er benutzte es, um die bestehende Gesamtherrschaft auf einer neuen Basis gleichmäßigerer Machtverteilung wiederherzustellen und fester zu gründen. Die militärisch bedeutendsten Statthalterschaften, die es neben der der beiden Gallien gab, wurden den zwei Kollegen zugestanden: Pompeius die beider Spanien, Crassus die von Syrien, welche Ämter ihnen durch Volksschluß auf fünf Jahre (700-704 54-50) gesichert und militärisch wie finanziell angemessen ausgestattet werden sollten. Dagegen bedang Caesar sich die Verlängerung seines Kommandos, das mit dem Jahre 700 (54) zu Ende lief, bis zum Schluß des Jahres 705 (49) aus, sowie die Befugnis, seine Legionen auf zehn zu vermehren und die Übernahme des Soldes für die eigenmächtig von ihm ausgehobenen Truppen auf die Staatskasse. Pompeius und Crassus ward ferner für das nächste Jahr (699 55), bevor sie in ihre Statthalterschaften abgingen, das zweite Konsulat zugesagt, während Caesar es sich offen hielt, gleich nach Beendigung seiner Statthalterschaft im Jahre 706 (48), wo das gesetzlich zwischen zwei Konsulaten erforderliche zehnjährige Intervall für ihn verstrichen war, zum zweitenmal das höchste Amt zu verwalten. Den militärischen Rückhalt, dessen Pompeius und Crassus zur Regulierung der hauptstädtischen Verhältnisse um so mehr bedurften, als die ursprünglich hierzu bestimmten Legionen Caesars jetzt aus dem Transalpinischen Gallien nicht weggezogen werden konnten, fanden sie in den Legionen, die sie für die spanischen und syrischen Armeen neu ausheben und erst, wenn es ihnen selber angemessen schiene, von Italien aus an ihre verschiedenen Bestimmungsplätze abgehen lassen sollten. Die Hauptfragen waren damit erledigt; die untergeordneten Dinge, wie die Festsetzung der gegen die hauptstädtische Opposition zu befolgenden Taktik, die Regulierung der Kandidaturen für die nächsten Jahre und dergleichen mehr, hielten nicht lange auf. Die persönlichen Zwistigkeiten, die dem Verträgnis im Wege standen, schlichtete der große Meister der Vermittlung mit gewohnter Leichtigkeit und zwang die widerstrebenden Elemente, sich miteinander zu behaben. Zwischen Pompeius und Crassus ward äußerlich wenigstens ein kollegialisches Einvernehmen wiederhergestellt. Sogar Publius Clodius ward bestimmt, sich und seine Meute ruhig zu halten und Pompeius nicht ferner zu belästigen – keine der geringsten Wundertaten des mächtigen Zauberers.

Daß diese ganze Schlichtung der schwebenden Fragen nicht aus einem Kompromiß selbständiger und ebenbürtig rivalisierender Machthaber, sondern lediglich aus dem guten Willen Caesars hervorging, zeigen die Verhältnisse. Pompeius befand sich in Luca in der peinlichen Lage eines machtlosen Flüchtlings, welcher kommt, bei seinem Gegner Hilfe zu erbitten. Mochte Caesar ihn zurückweisen und die Koalition als gelöst erklären oder auch ihn aufnehmen und den Bund fortbestehen lassen, wie er eben war – Pompeius war sowieso politisch vernichtet. Wenn er in diesem Fall mit Caesar nicht brach, so war er der machtlose Schutzbefohlene seines Verbündeten. Wenn er dagegen mit Caesar brach und, was nicht gerade wahrscheinlich war, noch jetzt eine Koalition mit der Aristokratie zustande brachte, so war doch auch dieses notgedrungen und im letzten Augenblick abgeschlossene Bündnis der Gegner so wenig furchtbar, daß Caesar schwerlich, um dies abzuwenden, sich zu jenen Konzessionen verstanden hat. Eine ernstliche Rivalität des Crassus Caesar gegenüber war vollends unmöglich. Es ist schwer zu sage., welche Motive Caesar bestimmten, seine überlegene Stellung ohne Not aufzugeben und, was er seinem Nebenbuhler selbst bei dem Abschluß des Bundes 694 (60) versagt und dieser seitdem, in der offenbaren Absicht gegen Caesar gerüstet zu sein, auf verschiedenen Wegen ohne, ja gegen Caesars Willen vergeblich angestrebt hatte, das zweite Konsulat und die militärische Macht, jetzt freiwillig ihm einzuräumen. Allerdings ward nicht Pompeius allein an die Spitze eines Heeres gestellt, sondern auch sein alter Feind und Caesars langjähriger Verbündeter Crassus; und unzweifelhaft erhielt Crassus seine ansehnliche militärische Stellung nur als Gegengewicht gegen Pompeius‘ neue Macht. Allein nichtsdestoweniger verlor Caesar unendlich, indem sein Rival für seine bisherige Machtlosigkeit ein bedeutendes Kommando eintauschte. Es ist möglich, daß Caesar sich seiner Soldaten noch nicht hinreichend Herr fühlte, um sie mit Zuversicht in den Krieg gegen die formellen Autoritäten des Landes zu führen, und darum ihm daran gelegen war, nicht jetzt durch die Abberufung aus Gallien zum Bürgerkrieg gedrängt zu werden; allein ob es zum Bürgerkriege kam oder nicht, stand augenblicklich weit mehr bei der hauptstädtischen Aristokratie als bei Pompeius, und es wäre dies höchstens ein Grund für Caesar gewesen, nicht offen mit Pompeius zu brechen, um nicht durch diesen Bruch die Opposition zu ermutigen, nicht aber ihm das zuzugestehen, was er ihm zugestand. Rein persönliche Motive mochten mitwirken; es kann sein, daß Caesar sich erinnerte, einstmals in gleicher Machtlosigkeit Pompeius gegenübergestanden zu haben und nur durch dessen freilich mehr schwach- als großmütiges Zurücktreten vom Untergang gerettet worden zu sein; es ist wahrscheinlich, daß Caesar sich scheute, das Herz seiner geliebten und ihren Gemahl aufrichtig liebenden Tochter zu zerreißen – in seiner Seele war für vieles Raum noch neben dem Staatsmann. Allein die entscheidende Ursache war unzweifelhaft die Rücksicht auf Gallien. Caesar betrachtete – anders als seine Biographen – die Unterwerfung Galliens nicht als eine zur Gewinnung der Krone ihm nützliche beiläufige Unternehmung, sondern es hing ihm die äußerliche Sicherheit und die innere Reorganisation, mit einem Worte, die Zukunft des Vaterlandes daran. Um diese Eroberung ungestört vollenden zu können und nicht gleich jetzt die Entwirrung der italischen Verhältnisse in die Hand nehmen zu müssen, gab er unbedenklich seine Überlegenheit über seinen Rivalen daran und gewährte Pompeius hinreichende Macht, um mit dem Senat und dessen Anhang fertigzuwerden. Es war das ein arger politischer Fehler, wenn Caesar nichts wollte, als möglichst rasch König von Rom werden; allein der Ehrgeiz des seltenen Mannes beschränkte sich nicht auf das niedrige Ziel einer Krone. Er traute es sich zu, die beiden ungeheuren Arbeiten: die Ordnung der inneren Verhältnisse Italiens und die Gewinnung und Sicherung eines neuen und frischen Bodens für die italische Zivilisation, nebeneinander zu betreiben und zu vollenden. Natürlich kreuzten sich diese Aufgaben; seine gallischen Eroberungen haben ihn auf seinem Wege zum Thron viel mehr noch gehemmt als gefördert. Es trug ihm bittere Früchte, daß er die italische Revolution, statt sie im Jahre 698 (56) zu erledigen, auf das Jahr 706 (48) hinausschob. Allein als Staatsmann wie als Feldherr war Caesar ein überverwegener Spieler, der, sich selber vertrauend wie seine Gegner verachtend, ihnen immer viel und mitunter über alles Maß hinaus vorgab.

Es war nun also an der Aristokratie, ihren hohen Einsatz gutzumachen und den Krieg so kühn zu führen, wie sie kühn ihn erklärt hatte. Allein es gibt kein kläglicheres Schauspiel, als wenn feige Menschen das Unglück haben, einen mutigen Entschluß zu fassen. Man hatte sich eben auf gar nichts vorgesehen. Keinem schien es beigefallen zu sein, daß Caesar möglicherweise sich zur Wehr setzen, daß nun gar Pompeius und Crassus sich mit ihm aufs neue und enger als je vereinigen würden. Das scheint unglaublich; man begreift es, wenn man die Persönlichkeiten ins Auge faßt, die damals die verfassungstreue Opposition im Senate führten. Cato war noch abwesend57; der einflußreichste Mann im Senat war in dieser Zeit Marcus Bibulus, der Held des passiven Widerstandes, der eigensinnigste und stumpfsinnigste aller Konsulare. Man hatte die Waffen lediglich ergriffen, um sie zu strecken, sowie der Gegner nur an die Scheide schlug; die bloße Kunde von den Konferenzen in Luca genügte, um jeden Gedanken einer ernstlichen Opposition niederzuschlagen und die Masse der Ängstlichen, das heißt die ungeheure Majorität des Senats, wieder zu ihrer in unglücklicher Stunde verlassenen Untertanenpflicht zurückzubringen. Von der anberaumten Verhandlung zur Prüfung der Gültigkeit der Julischen Gesetze war nicht weiter die Rede; die von Caesar auf eigene Hand errichteten Legionen wurden durch Beschluß des Senats auf die Staatskasse übernommen; die Versuche, bei der Regulierung der nächsten Konsularprovinzen Caesar beide Gallien oder doch das eine derselben hinwegzudekretieren, wurden von der Majorität abgewiesen (Ende Mai 698 56). So tat die Körperschaft öffentlich Buße. Im geheimen kamen die einzelnen Herren, einer nach dem andern, tödlich erschrocken über ihre eigene Verwegenheit, um ihren Frieden zu machen und unbedingten Gehorsam zu geloben – keiner schneller als Marcus Cicero, der seine Wortbrüchigkeit zu spät bereute und hinsichtlich seiner jüngsten Vergangenheit sich mit Ehrentiteln belegte, die durchaus mehr treffend als schmeichelhaft waren58. Natürlich ließen die Machthaber sich beschwichtigen; man versagte keinem den Pardon, da keiner die Mühe lohnte, mit ihm eine Ausnahme zu machen. Um zu erkennen, wie plötzlich nach dem Bekanntwerden der Beschlüsse von Luca der Ton in den aristokratischen Kreisen umschlug, ist es der Mühe wert, die kurz zuvor von Cicero ausgegangenen Broschüren mit der Palinodie zu vergleichen, die er ausgehen ließ, um seine Reue und seine guten Vorsätze öffentlich zu konstatieren59.

Wie es ihnen gefiel und gründlicher als zuvor konnten also die Machthaber die italischen Verhältnisse ordnen. Italien und die Hauptstadt erhielten tatsächlich eine, wenn auch nicht unter den Waffen versammelte Besatzung und einen der Machthaber zum Kommandanten. Von den für Syrien und Spanien durch Crassus und Pompeius ausgehobenen Truppen gingen zwar die ersteren nach dem Osten ab; allein Pompeius ließ die beiden spanischen Provinzen durch seine Unterbefehlshaber mit der bisher dort stehenden Besatzung verwalten, während er die Offiziere und Soldaten der neu, dem Namen nach zum Abgang nach Spanien ausgehobenen Legionen auf Urlaub entließ und selbst mit ihnen in Italien blieb. Wohl steigerte sich der stille Widerstand der öffentlichen Meinung, je deutlicher und allgemeineres begriffen ward, daß die Machthaber daran arbeiteten, mit der alten Verfassung ein Ende zu machen und in möglichst schonender Weise die bestehenden Verhältnisse der Regierung und Verwaltung in die Formen der Monarchie zu fügen; allein man gehorchte, weil man mußte. Vor allen Dingen wurden alle wichtigeren Angelegenheiten und namentlich alle das Militärwesen und die äußeren Verhältnisse betreffenden, ohne den Senat deswegen zu fragen, bald durch Volksbeschluß, bald durch das bloße Gutfinden der Herrscher erledigt. Die in Luca vereinbarten Bestimmungen hinsichtlich des Militärkommandos von Gallien wurden durch Crassus und Pompeius, die Spanien und Syrien betreffenden durch den Volkstribun Gaius Trebonius unmittelbar an die Bürgerschaft gebracht, auch sonst wichtigere Statthalterschaften häufig durch Volksschluß besetzt. Daß für die Machthaber es der Einwilligung der Behörden nicht bedürfe, um ihre Truppen beliebig zu vermehren, hatte Caesar bereits hinreichend dargetan; ebensowenig trugen sie Bedenken, ihre Truppen sich untereinander zu borgen, wie zum Beispiel Caesar von Pompeius für den Gallischen, Crassus von Caesar für den Parthischen Krieg solche kollegialische Unterstützung empfing. Die Transpadaner, denen nach der bestehenden Verfassung nur das latinische Recht zustand, wurden von Caesar während seiner Verwaltung tatsächlich als römische Vollbürger behandelt60. Wenn sonst die Einrichtung neu erworbener Gebiete durch eine Senatskommission beschafft worden war, so organisierte Caesar seine ausgedehnten gallischen Eroberungen durchaus nach eigenem Ermessen und gründete zum Beispiel ohne jede weitere Vollmacht Bürgerkolonien, namentlich Novum Comum (Como) mit fünftausend Kolonisten. Piso führte den Thrakischen, Gabinius den Ägyptischen, Crassus den Parthischen Krieg, ohne den Senat zu fragen, ja ohne auch nur, wie es herkömmlich war, an den Senat zu berichten; in ähnlicher Weise wurden Triumphe und andere Ehrenbezeigungen bewilligt und vollzogen, ohne daß der Senat darum begrüßt ward. Offenbar liegt hierin nicht eine bloße Vernachlässigung der Formen, die um so weniger erklärlich wäre, als in den bei weitem meisten Fällen eine Opposition des Senats durchaus nicht zu erwarten war. Vielmehr war es die wohlberechnete Absicht, den Senat von dem militärischen und dem Gebiet der höheren Politik zu verdrängen und seine Teilnahme an der Verwaltung auf die finanziellen Fragen und die inneren Angelegenheiten zu beschränken; und auch die Gegner erkannten dies wohl und protestierten, soweit sie konnten, gegen dies Verfahren der Machthaber durch Senatsbeschlüsse und Kriminalklagen. Während die Machthaber also den Senat in der Hauptsache beiseite schoben, bedienten sie sich der minder gefährlichen Volksversammlungen auch ferner noch – es war dafür gesorgt, daß die Herren der Straße denen des Staats dabei keine Schwierigkeit mehr in den Weg legten; indes in vielen Fällen entledigte man sich auch dieses leeren Schemens und gebrauchte unverhohlen autokratische Formen.

Der gedemütigte Senat mußte wohl oder übel in seine Lage sich schicken. Der Führer der gehorsamen Majorität blieb Marcus Cicero. Er war brauchbar wegen seines Advokatentalents, für alles Gründe oder doch Worte zu finden, und es lag eine echt Caesarische Ironie darin, den Mann, mittels dessen vorzugsweise die Aristokratie ihre Demonstrationen gegen die Machthaber aufgeführt hatte, als Mundstück des Servilismus zu verwenden. Darum erteilte man ihm Verzeihung für sein kurzes Gelüsten, wider den Stachel zu löcken, jedoch nicht ohne sich vorher seiner Unterwürfigkeit in jeder Weise versichert zu haben. Gewissermaßen um als Geisel für ihn zu haften, hatte sein Bruder einen Offizierposten im gallischen Heere übernehmen müssen; ihn selbst hatte Pompeius genötigt, eine Unterbefehlshaberstelle unter ihm anzunehmen, welche eine Handhabe hergab, um ihn jeden Augenblick mit Manier zu verbannen. Clodius war zwar angewiesen worden, ihn bis weiter in Ruhe zu lassen, aber Caesar ließ ebensowenig um Ciceros willen den Clodius fallen wie den Cicero um des Clodius willen, und der große Vaterlandserretter wie der nicht minder große Freiheitsmann machten im Hauptquartier von Samarobriva sich eine Antichambrekonkurrenz, die gehörig zu illustrieren es leider an einem römischen Aristophanes gebrach. Aber nicht bloß ward dieselbe Rute über Ciceros Haupte schwebend erhalten, die ihn bereits einmal so schmerzlich getroffen hatte; auch goldene Fesseln wurden ihm angelegt. Bei seinen bedenklich verwickelten Finanzen waren ihm die zinsfreien Darlehen Caesars und die Mitaufseherschaft über die ungeheure Summen in Umlauf setzenden Bauten desselben in hohem Grade willkommen und manche unsterbliche Senatsrede erstickte in dem Gedanken an den Geschäftsträger Caesars, der nach dem Schluß der Sitzung ihm den Wechsel präsentieren möchte. Also gelobte er sich, „künftig nicht mehr nach Recht und Ehre zu fragen, sondern um die Gunst der Machthaber sich zu bemühen“ und „geschmeidig zu sein wie ein Ohrläppchen“. Man brauchte ihn denn, wozu er gut war: als Advokaten, wo es vielfach sein Los war, eben seine bittersten Feinde auf höheren Befehl verteidigen zu müssen, und vor allem im Senat, wo er fast regelmäßig den Dynasten als Organ diente und die Anträge stellte, „denen andere wohl zustimmten, er aber selbst nicht“; ja als anerkannter Führer der Majorität der Gehorsamen erlangte er sogar eine gewisse politische Bedeutung. In ähnlicher Weise wie mit Cicero verfuhr man mit den übrigen der Furcht, der Schmeichelei oder dem Golde zugänglichen Mitgliedern des regierenden Kollegiums, und es gelang, dasselbe im ganzen botmäßig zu erhalten.

Allerdings blieb eine Fraktion von Gegnern, die wenigstens Farbe hielten und weder zu schrecken noch zu gewinnen waren. Die Machthaber hatten sich überzeugt, daß Ausnahmemaßregeln, wie die gegen Cato und Cicero, der Sache mehr schadeten als nützten und daß es ein minderes Übel sei, die unbequeme republikanische Opposition zu ertragen, als aus den Opponenten Märtyrer der Republik zu machen. Darum ließ man es geschehen, daß Cato zurückkam (Ende 698 56) und von da an wieder im Senat und auf dem Markte, oft unter Lebensgefahr, den Machthabern eine Opposition machte, die wohl ehrenwert, aber leider doch auch zugleich lächerlich war. Man ließ es geschehen, daß er es bei Gelegenheit der Anträge des Trebonius auf dein Marktplatz wieder einmal bis zum Handgemenge trieb und daß er im Senat den Antrag stellte, den Prokonsul Caesar wegen seines treulosen Benehmens gegen die Usipeten und Tencterer diesen Barbaren auszuliefern. Man nahm es hin, daß Marcus Favonius, Catos Sancho, nachdem der Senat den Beschluß gefaßt hatte, die Legionen Caesars auf die Staatskasse zu übernehmen, zur Tür der Kurie sprang und die Gefahr des Vaterlandes auf die Gasse hinausrief; daß derselbe in seiner skurrilen Art die weiße Binde, die Pompeius um sein krankes Bein trug, ein deplaziertes Diadem hieß; daß der Konsular Lentulus Marcellinus, da man ihm Beifall klatschte, der Versammlung zurief, sich dieses Rechts, ihre Meinung zu äußern, jetzt ja fleißig zu bedienen, da es ihnen noch gestattet sei; daß der Volkstribun Gaius Ateius Capito den Crassus bei seinem Abzug nach Syrien in allen Formen damaliger Theologie öffentlich den bösen Geistern überantwortete. Im ganzen waren dies eitle Demonstrationen einer verbissenen Minorität: doch war die kleine Partei, von der sie ausgingen, insofern von Bedeutung, als sie teils der im stillen gärenden republikanischen Opposition Nahrung und Losung gab, teils ab und zu doch die Senatsmajorität, die ja im Grunde ganz dieselben Gesinnungen gegen die Machthaber hegte, zu einem gegen diese gerichteten Beschluß fortriß. Denn auch die Majorität fühlte das Bedürfnis, wenigstens zuweilen und in untergeordneten Dingen ihrem verhaltenen Groll Luft zu machen und namentlich, nach der Weise der widerwillig Servilen, ihren Groll gegen die großen Feinde wenigstens an den kleinen auszulassen. Wo es nur anging, ward den Werkzeugen der Machthaber ein leiser Fußtritt versetzt: so wurde Gabinius das erbetene Dankfest verweigert (698 56), so Piso aus der Provinz abberufen, so vom Senat Trauer angelegt, als der Volkstribun Gaius Cato die Wahlen für 699 (55) so lange hinderte, bis der der Verfassungspartei angehörige Konsul Marcellinus vom Amt abgetreten war. Sogar Cicero, wie demütig er immer vor den Machthabern sich neigte, ließ doch auch eine ebenso giftige wie geschmacklose Broschüre gegen Caesars Schwiegervater ausgehen. Aber sowohl diese oppositionellen Velleitäten der Senatsmajorität wie der resultatlose Widerstand der Minorität zeigen nur um so deutlicher, daß das Regiment, wie einst von der Bürgerschaft auf den Senat, so jetzt von diesem auf die Machthaber übergegangen und der Senat schon nicht viel mehr war als ein monarchischer, aber auch zur Absorbierung der antimonarchischen Elemente benutzter Staatsrat. „Kein Mensch“, klagten die Anhänger der gestürzten Regierung, „gilt das mindeste außer den dreien; die Herrscher sind allmächtig und sie sorgen dafür, daß keiner darüber im unklaren bleibe; der ganze Senat ist wie umgewandelt und gehorcht den Gebietern; unsere Generation wird einen Umschwung der Dinge nicht erleben.“ Man lebte eben nicht in der Republik, sondern in der Monarchie.

Aber wenn über die Lenkung des Staats von den Machthabern unumschränkt verfügt ward, so blieb noch ein von dem eigentlichen Regiment gewissermaßen abgesondertes politisches Gebiet, das leichter zu verteidigen und schwerer zu erobern war: das der ordentlichen Beamtenwahlen und das der Geschworenengerichte. Daß die letzteren nicht unmittelbar unter die Politik fallen, aber überall und vor allem in Rom von dem das Staatswesen beherrschenden Geiste mitbeherrscht werden, ist von selber klar. Die Wahlen der Beamten gehörten allerdings von Rechts wegen zu dem eigentlichen Regiment des Staates; allein da in dieser Zeit derselbe wesentlich durch außerordentliche Beamte oder auch ganz titellose Männer verwaltet ward und selbst die höchsten ordentlichen Beamten, wenn sie zu der antimonarchischen Partei gehörten, auf die Staatsmaschine in irgend fühlbarer Weise einzuwirken nicht vermochten, so sanken die ordentlichen Beamten mehr und mehr herab zu Figuranten, wie sich denn auch eben die oppositionellsten von ihnen geradezu und mit vollem Recht als machtlose Nullen bezeichneten, ihre Wahlen also zu Demonstrationen. So konnte, nachdem die Opposition von dem eigentlichen Schlachtfeld bereits gänzlich verdrängt war, dennoch die Fehde noch in den Wahlen und den Prozessen fortgeführt werden. Die Machthaber sparten keine Mühe, um auch hier Sieger zu bleiben. Hinsichtlich der Wahlen hatten sie bereits in Luca für die nächsten Jahre die Kandidatenlisten untereinander festgestellt und ließen kein Mittel unversucht, um die dort vereinbarten Kandidaten durchzubringen. Zunächst zum Zweck der Wahlagitation spendeten sie ihr Gold aus. Jährlich wurden aus Caesars und Pompeius‘ Heeren eine große Anzahl Soldaten auf Urlaub entlassen, um an den Abstimmungen in Rom teilzunehmen. Caesar pflegte selbst von Oberitalien aus in möglichster Nähe die Wahlbewegungen zu leiten und zu überwachen. Dennoch ward der Zweck nur sehr unvollkommen erreicht. Für 699 (55) wurden zwar, dem Vertrag von Luca entsprechend, Pompeius und Crassus zu Konsuln gewählt und der einzige ausharrende Kandidat der Opposition, Lucius Domitius, beseitigt; allein schon dies war nur durch offenbare Gewalt durchgesetzt worden, wobei Cato verwundet ward und andere höchst ärgerliche Auftritte vorfielen. In den nächsten Konsularwahlen für 700 (54) ward gar, allen Anstrengungen der Machthaber zum Trotz, Domitius wirklich gewählt, und auch Cato siegte jetzt ob in der Bewerbung um die Prätur, in der ihn das Jahr zuvor zum Ärgernis der ganzen Bürgerschaft Caesars Klient Vatinius aus dem Felde geschlagen hatte. Bei den Wahlen für 701 (53) gelang es der Opposition, unter andern Kandidaten auch die der Machthaber so unwidersprechlich der ärgerlichsten Wahlumtriebe zu überweisen, daß diese, auf die der Skandal zurückfiel, nicht anders konnten als sie fallen lassen. Diese wiederholten und argen Niederlagen der Dynasten auf dem Wahlschlachtfeld mögen zum Teil zurückzuführen sein auf die Unregierlichkeit der eingerosteten Maschinerie, die unberechenbaren Zufälligkeiten des Wahlgeschäfts, die Gesinnungsopposition der Mittelklassen, die mancherlei hier eingreifenden und die Parteistellung oft seltsam durchkreuzenden Privatrücksichten; die Hauptursache aber liegt anderswo. Die Wahlen waren in dieser Zeit wesentlich in der Gewalt der verschiedenen Klubs, in die die Aristokratie sich gruppierte; das Bestechungswesen war von denselben im umfassendsten Maßstab und mit größter Ordnung organisiert. Dieselbe Aristokratie also, die im Senat vertreten war, beherrschte auch die Wahlen; aber wenn sie im Senat grollend nachgab, wirkte und stimmte sie hier im geheimen und vor jeder Rechenschaft sicher den Machthabern unbedingt entgegen. Daß durch das strenge Strafgesetz gegen die klubbistischen Wahlumtriebe, das Crassus als Konsul 699 (55) durch die Bürgerschaft bestätigen ließ, der Einfluß der Nobilität auf diesem Felde keineswegs gebrochen ward, versteht sich von selbst und zeigen die Wahlen der nächsten Jahre.

Ebensogroße Schwierigkeiten machten den Machthabern die Geschworenengerichte. Bei ihrer dermaligen Zusammensetzung entschied in denselben, neben dem auch hier einflußreichen Senatsadel, vorwiegend die Mittelklasse. Die Festsetzung eines hochgegriffenen Geschworenenzensus durch ein von Pompeius 699 (55) beantragtes Gesetz ist ein bemerkenswerter Beweis dafür, daß die Opposition gegen die Machthaber ihren Hauptsitz in dem eigentlichen Mittelstand hatte und die hohe Finanz hier wie überall sich gefügiger erwies als dieser. Nichtsdestoweniger war der republikanischen Partei hier noch nicht aller Boden entzogen und sie ward nicht müde, mit politischen Kriminalanklagen, zwar nicht die Machthaber selbst, aber wohl deren hervorragende Werkzeuge zu verfolgen. Dieser Prozeßkrieg ward um so lebhafter geführt, als dem Herkommen gemäß das Anklagegeschäft der senatorischen Jugend zukam und begreiflicherweise unter diesen Jünglingen mehr als unter den älteren Standesgenossen noch republikanische Leidenschaft, frisches Talent und kecke Angriffslust zu finden war. Allerdings waren die Gerichte nicht frei; wenn die Machthaber Ernst machten, wagten sie so wenig wie der Senat den Gehorsam zu verweigern. Keiner von den Gegnern wurde von der Opposition mit so grimmigem, fast sprichwörtlich gewordenem Hasse verfolgt wie Vatinius, bei weitem der verwegenste und unbedenklichste unter den engeren Anhängern Caesars; aber sein Herr befahl, und er ward in allen gegen ihn erhobenen Prozessen freigesprochen. Indes Anklagen von Männern, die so wie Gaius Licinius Calvus und Gaius Asinius Pollio das Schwert der Dialektik und die Geißel des Spottes zu schwingen verstanden, verfehlten ihr Ziel selbst dann nicht, wenn sie scheiterten; und auch einzelne Erfolge blieben nicht aus. Meistens freilich wurden sie über untergeordnete Individuen davongetragen, allein auch einer der höchstgestellten und verhaßtesten Anhänger der Dynasten, der Konsulat Gabinius, ward auf diesem Wege gestürzt. Allerdings vereinigte mit dem unversöhnlichen Haß der Aristokratie, die ihm das Gesetz über die Führung des Seeräuberkrieges so wenig vergab wie die wegwerfende Behandlung des Senats während seiner syrischen Statthalterschaft, sich gegen Gabinius die Wut der hohen Finanz, der gegenüber er als Statthalter Syriens es gewagt hatte, die Interessen der Provinzialen zu vertreten, und selbst der Groll des Crassus, dem er bei Übergabe der Provinz Weitläufigkeiten gemacht hatte. Sein einziger Schutz gegen alle diese Feinde war Pompeius, und dieser hatte alle Ursache, seinen fähigsten, kecksten und treuesten Adjutanten um jeden Preis zu verteidigen; aber hier wie überall verstand er es nicht, seine Macht zu gebrauchen und seine Klienten so zu vertreten, wie Caesar die seinigen vertrat: Ende 700 (54) fanden die Geschworenen den Gabinius der Erpressungen schuldig und schickten ihn in die Verbannung.

Im ganzen waren also auf dem Gebiete der Volkswahlen und der Geschworenengerichte es die Machthaber, welche den kürzeren zogen. Die Faktoren, die darin herrschten, waren minder greifbar und darum schwerer zu terrorisieren oder zu korrumpieren als die unmittelbaren Organe der Regierung und Verwaltung. Die Gewalthaber stießen hier, namentlich in den Volkswahlen, auf die zähe Kraft der geschlossenen und in Koterien gruppierten Oligarchie, mit der man noch durchaus nicht fertig ist, wenn man ihr Regiment gestürzt hat, und die um so schwerer zu brechen ist, je verdeckter sie auftritt. Sie stießen hier ferner, namentlich in den Geschworenengerichten, auf den Widerwillen der Mittelklassen gegen das neue, monarchische Regiment, den mit allen daraus entspringenden Verlegenheiten sie ebensowenig zu beseitigen vermochten. Sie erlitten auf beiden Gebieten eine Reihe von Niederlagen, von denen die Wahlsiege der Opposition zwar nur den Wert von Demonstrationen hatten, da die Machthaber die Mittel besaßen und gebrauchten, um jeden mißliebigen Beamten tatsächlich zu annullieren, die oppositionellen Kriminalverurteilungen aber in empfindlicher Weise sie brauchbarer Gehilfen beraubten. Wie die Dinge standen, vermochten die Machthaber die Volkswahlen und die Geschworenengerichte weder zu beseitigen noch ausreichend zu beherrschen, und die Opposition, wie sehr sie auch hier sich eingeengt fand, behauptete bis zu einem gewissen Grade doch den Kampfplatz.

Noch schwieriger aber erwies es sich, der Opposition auf einem Felde zu begegnen, dem sie immer eifriger sich zuwandte, je mehr sie aus der unmittelbaren politischen Tätigkeit herausgedrängt ward. Es war dies die Literatur. Schon die gerichtliche Opposition war zugleich, ja, vor allem eine literarische, da die Reden regelmäßig veröffentlicht wurden und als politische Flugschriften dienten. Rascher und schärfer noch trafen die Pfeile der Poesie. Die lebhafte hocharistokratische Jugend, noch energischer vielleicht der gebildete Mittelstand in den italischen Landstädten, führten den Pamphleten- und Epigrammenkrieg mit Eifer und Erfolg. Nebeneinander fochten auf diesem Felde der vornehme Senatorensohn Gaius Licinius Calvus (672-706 82-48), der als Redner und Pamphletist ebenso wie als gewandter Dichter gefürchtet war, und die Munizipalen von Cremona und Verona, Marcus Furius Bibaculus (652-691 102-63) und Quintus Valerius Catullus (667 bis ca. 700 87-54), deren elegante und beißende Epigramme pfeilschnell durch Italien flogen und sicher ihr Ziel trafen. Durchaus herrscht in der Literatur dieser Jahre der oppositionelle Ton. Sie ist voll von grimmigem Hohn gegen den „großen Caesar“, „den einzigen Feldherrn“, gegen den liebevollen Schwiegervater und Schwiegersohn, welche den ganzen Erdkreis zugrunde richten, um ihren verlotterten Günstlingen Gelegenheit zu geben, die Spolien der langhaarigen Kelten durch die Straßen Roms zu paradieren, mit der Beute der fernsten Insel des Westens königliche Schmäuse auszurichten und als goldregnende Konkurrenten die ehrlichen Jungen daheim bei ihren Mädchen auszustechen. Es ist in den Catullischen Gedichten61 und den sonstigen Trümmern der Literatur dieser Zeit etwas von jener Genialität des persönlich-politischen Hasses, von jener in rasender Lust oder ernster Verzweiflung überschäumenden republikanischen Agonie, wie sie in mächtigerer Weise hervortreten in Aristophanes und Demosthenes. Wenigstens der einsichtigste der drei Herrscher erkannte es wohl, daß es ebenso unmöglich war, diese Opposition zu verachten wie durch Machtbefehl sie zu unterdrücken. Soweit er konnte, versuchte Caesar vielmehr die namhaftesten Schriftsteller persönlich zu gewinnen. Schon Cicero hatte die rücksichtsvolle Behandlung, die er vorzugsweise von Caesar erfuhr, zum guten Teil seinem literarischen Ruf zu danken; aber der Statthalter Galliens verschmähte es nicht, selbst mit jenem Catullus durch Vermittlung seines in Verona ihm persönlich bekannt gewordenen Vaters einen Spezialfrieden zu schließen; der junge Dichter, der den mächtigen General eben mit den bittersten und persönlichsten Sarkasmen überschüttet hatte, ward von demselben mit der schmeichelhaftesten Auszeichnung behandelt. Ja Caesar war genialisch genug, um seinen literarischen Gegnern auf ihr eigenes Gebiet zu folgen und als indirekte Abwehr vielfältiger Angriffe einen ausführlichen Gesamtbericht über die gallischen Kriege zu veröffentlichen, welcher die Notwendigkeit und Verfassungsmäßigkeit seiner Kriegführung mit glücklich angenommener Naivität vor dem Publikum entwickelte. Allein poetisch und schöpferisch ist nun einmal unbedingt und ausschließlich die Freiheit; sie, und sie allein, vermag es, noch in der elendesten Karikatur, noch mit ihrem letzten Atemzug frische Naturen zu begeistern. Alle tüchtigen Elemente der Literatur waren und blieben antimonarchisch, und wenn Caesar selbst sich auf dieses Gebiet wagen durfte ohne zu scheitern, so war der Grund doch nur, daß er selbst sogar jetzt noch den großartigen Traum eines freien Gemeinwesens im Sinne trug, den er freilich weder auf seine Gegner noch auf seine Anhänger zu übertragen vermochte. Die praktische Politik ward nicht unbedingter von den Machthabern beherrscht als die Literatur von den Republikanern62

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Es ward nötig, gegen diese zwar machtlose, aber immer lästiger und dreister werdende Opposition mit Ernst einzuschreiten. Den Ausschlag gab, wie es scheint, die Verurteilung des Gabinius (Ende 700 54). Die Herrscher kamen überein, eine wenn auch nur zeitweilige Diktatur eintreten zu lassen und mittels dieser neue Zwangsmaßregeln namentlich hinsichtlich der Wahlen und der Geschworenengerichte durchzusetzen. Als derjenige, dem zunächst die Regierung Roms und Italiens oblag, übernahm die Ausführung dieses Beschlusses Pompeius; sie trug denn auch den Stempel der ihm eigenen Schwerfälligkeit im Entschließen und im Handeln und seiner wunderlichen Unfähigkeit, selbst da, wo er befehlen wollte und konnte, mit der Sprache herauszugehen. Bereits Ausgang 700 (54) ward in Andeutungen und nicht durch Pompeius selbst die Forderung der Diktatur im Senat vorgebracht. Als ostensibler Grund diente die fortwährende Klub- und Bandenwirtschaft in der Hauptstadt, die durch Bestechungen und Gewalttätigkeiten allerdings auf die Wahlen wie auf die Geschworenengerichte den verderblichsten Druck ausübte und den Krawall daselbst in Permanenz hielt; man muß es zugeben, daß sie es den Machthabern leichtmachte, ihre Ausnahmemaßregeln zu rechtfertigen. Allein begreiflicherweise scheute sogar die servile Majorität davor zurück, das zu bewilligen, was der künftige Diktator selbst sich zu scheuen schien offen zu begehren. Als dann die beispiellose Agitation für die Wahlen zum Konsulat für 701 (53) die ärgerlichsten Auftritte herbeiführte, die Wahlen ein volles Jahr über die festgesetzte Zeit sich verschleppten und erst nach siebenmonatlichem Interregnum im Juli 701 (53) stattfanden, fand Pompeius darin den erwünschten Anlaß als das einzige Mittel, den Knoten wo nicht zu lösen, doch zu zerhauen, dem Senat jetzt bestimmt die Diktatur zu bezeichnen; allein das entscheidende Befehlswort ward immer noch nicht gesprochen. Vielleicht wäre es noch lange ungesprochen geblieben, wenn nicht bei den Konsularwahlen für 702 (52) gegen die Kandidaten der Machthaber Quintus Metellus Scipio und Publius Plautius Hypsaeus, beide dem Pompeius persönlich nahestehende und durchaus ergebene Männer, der verwegenste Parteigänger der republikanischen Opposition, Titus Annius Milo, als Gegenkandidat in die Schranken getreten wäre. Milo, ausgestattet mit physischem Mut, mit einem gewissen Talent zur Intrige und zum Schuldenmachen und vor allem mit reichlich angeborener und sorgfältig ausgebildeter Dreistigkeit, hatte unter den politischen Industrierittern jener Tage sich einen Namen gemacht und war in seinem Handwerk nächst Clodius der renommierteste Mann, natürlich also auch mit diesem in tödlichster Konkurrenzfeindschaft. Da dieser Achill der Straße von den Machthabern acquiriert worden war und mit ihrer Zulassung wieder den Ultrademokraten spielte, so ward der Hektor der Straße selbstverständlich Aristokrat, und die republikanische Opposition, die jetzt mit Catilina selbst Bündnis geschlossen haben würde, wenn er sich ihr angetragen hätte, erkannte Milo bereitwillig an als ihren rechtmäßigen Vorfechter in allen Krawallen. In der Tat waren die wenigen Erfolge, die sie auf diesem Schlachtfelde davon trug, das Werk Milos und seiner wohlgeschulten Fechterbande. So unterstützten denn hinwiederum Cato und die Seinigen Milos Bewerbung um das Konsulat; selbst Cicero konnte nicht umhin, seines Feindes Feind, seinen langjährigen Beschützer, zu empfehlen; und da Milo selbst weder Geld noch Gewalt sparte, um seine Wahl durchzusetzen, so schien dieselbe gesichert. Für die Machthaber wäre sie nicht bloß eine neue empfindliche Niederlage gewesen, sondern auch eine wirkliche Gefahr; denn es war vorauszusehen, daß der verwegene Parteigänger sich nicht so leicht wie Domitius und andere Männer der anständigen Opposition als Konsul werde annullieren lassen. Da begab es sich, daß zufällig unweit der Hauptstadt, auf der Appischen Straße, Achill und Hektor aufeinandertrafen und zwischen den beiderseitigen Banden eine Rauferei entstand, in welcher Clodius selbst einen Säbelhieb in die Schulter erhielt und genötigt ward, in ein benachbartes Haus sich zu flüchten. Es war dies ohne Auftrag Milos geschehen; da die Sache aber so weit gekommen war und der Sturm nun doch einmal bestanden werden mußte, so schien das ganze Verbrechen Milo wünschenswerter und selbst minder gefährlich als das halbe: er befahl seinen Leuten, den Clodius aus seinem Versteck hervorzuziehen und ihn niederzumachen (13. Januar 702 52). Die Straßenführer von der Partei der Machthaber, die Volkstribune Titus Munatius Plancus, Quintus Pompeius Rufus und Gaius Sallustius Crispus, sahen in diesem Vorfall einen passenden Anlaß, um im Interesse ihrer Herren Milos Kandidatur zu vereiteln und Pompeius‘ Diktatur durchzusetzen. Die Hefe des Pöbels, namentlich die Freigelassenen und Sklaven, hatten mit Clodius ihren Patron und künftigen Befreier eingebüßt: die erforderliche Aufregung war also leicht bewirkt. Nachdem der blutige Leichnam auf der Rednerbühne des Marktes in Parade ausgestellt und die dazu gehörigen Reden gehalten worden waren, ging der Krawall los. Zum Scheiterhaufen für den großen Befreier ward der Sitz der perfiden Aristokratie bestimmt: die Rotte trug den Körper in das Rathaus und zündete das Gebäude an. Hierauf zog der Schwarm vor Milos Haus und hielt dasselbe belagert, bis dessen Bande die Angreifer mit Pfeilschüssen vertrieb. Weiter ging es vor das Haus des Pompeius und seiner Konsularkandidaten, von denen jener als Diktator, diese als Konsuln begrüßt wurden, und von da vor das des Zwischenkönigs Marcus Lepidus, dem die Leitung der Konsulwahlen oblag. Da dieser pflichtmäßig sich weigerte, dieselben, wie die brüllenden Haufen es forderten, sofort zu veranstalten, so ward auch er fünf Tage lang in seiner Wohnung belagert gehalten.

Aber die Unternehmer dieser skandalösen Auftritte hatten ihre Rolle überspielt. Allerdings war auch ihr Herr und Meister entschlossen, diesen günstigen Zwischenfall zu benutzen, um nicht bloß Milo zu beseitigen, sondern auch die Diktatur zu ergreifen; allein er wollte sie nicht von einem Haufen Knüttelmänner empfangen, sondern vom Senat. Pompeius zog Truppen heran, um die in der Hauptstadt herrschende und in der Tat aller Welt unerträglich gewordene Anarchie niederzuschlagen; zugleich befahl er jetzt, was er bisher erbeten, und der Senat gab nach. Es war nur ein nichtiger Winkelzug, daß auf Vorschlag von Cato und Bibulus der Prokonsul Pompeius unter Belassung seiner bisherigen Ämter statt zum Diktator zum „Konsul ohne Kollegen“ ernannt ward (25. des Schaltmonats67 702 52) – ein Winkelzug, welcher eine mit zwiefachem inneren Widerspruch behaftete68 Benennung zuließ, um nur die einfach sachbezeichnende zu vermeiden, und der lebhaft erinnert an den weisen Beschluß des verschollenen Junkertums, den Plebejern nicht das Konsulat, sondern nur die konsularische Gewalt einzuräumen.

Also im legalen Besitz der Vollmacht, ging Pompeius an das Werk und schritt nachdrücklich vor gegen die in den Klubs und den Geschworenengerichten mächtige republikanische Partei. Die bestehenden Wahlvorschriften wurden durch ein besonderes Gesetz wiederholt eingeschärft und durch ein anderes gegen die Wahlumtriebe, das für alle seit 684 (70) begangenen Vergehen dieser Art rückwirkende Kraft erhielt, die bisher darauf gesetzten Strafen gesteigert. Wichtiger noch war die Verfügung, daß die Statthalterschaften, also die bei weitem bedeutendere und besonders die weit einträglichere Hälfte der Amtstätigkeit, an die Konsuln und Prätoren nicht sofort bei dem Rücktritt vom Konsulat oder der Prätur, sondern erst nach Ablauf von weiteren fünf Jahren vergeben werden sollten, welche Ordnung selbstverständlich erst nach vier Jahren ins Leben treten konnte und daher für die nächste Zeit die Besetzung der Statthalterschaften wesentlich von den zur Regulierung dieses Interim zu erlassenden Senatsbeschlüssen, also tatsächlich von der augenblicklich den Senat beherrschenden Person oder Fraktion abhängig machte. Die Geschworenenkommissionen blieben zwar bestehen, aber dem Rekusationsrecht wurden Grenzen gesetzt und, was vielleicht noch wichtiger war, die Redefreiheit in den Gerichten aufgehoben, indem sowohl die Zahl der Advokaten als die jedem zugemessene Sprechzeit durch Maximalsätze beschränkt und die eingerissene Unsitte: neben den Tat- auch noch Charakterzeugen oder sogenannte „Lobredner“ zugunsten des Angeklagten beizubringen, untersagt ward. Der gehorsame Senat dekretierte ferner auf Pompeius‘ Wink, daß durch den Raufhandel auf der Appischen Straße das Vaterland in Gefahr geraten sei; demnach wurde für alle mit demselben zusammenhängenden Verbrechen durch ein Ausnahmegesetz eine Spezialkommission bestellt und deren Mitglieder geradezu von Pompeius ernannt. Es ward auch ein Versuch gemacht, dem zensorischen Amt wieder eine ernstliche Bedeutung zu verschaffen und durch dasselbe die tief zerrüttete Bürgerschaft von dem schlimmsten Gesindel zu säubern.

Alle diese Maßregeln erfolgten unter dem Drucke des Säbels. Infolge der Erklärung des Senats, daß das Vaterland gefährdet sei, rief Pompeius in ganz Italien die dienstpflichtige Mannschaft unter die Waffen und nahm sie für alle Fälle in Eid und Pflicht; vorläufig ward eine ausreichende und zuverlässige Truppe auf das Kapitol gelegt; bei jeder oppositionellen Regung drohte Pompeius mit bewaffnetem Einschreiten und stellte während der Prozeßverhandlungen über die Ermordung des Clodius allem Herkommen zuwider auf der Gerichtsstätte selbst Wache auf.

Der Plan zur Wiederbelebung der Zensur scheiterte daran, daß unter der servilen Senatsmajorität niemand sittlichen Mut und Autorität genug besaß, um sich um ein solches Amt auch nur zu bewerben. Dagegen ward Milo von den Geschworenen verurteilt (8. April 702 52), Catos Bewerbung um das Konsulat für 703 (51) vereitelt. Die Reden- und Pamphletenopposition erhielt durch die neue Prozeßordnung einen Schlag, von dem sie sich nicht wieder erholt hat; die gefürchtete gerichtliche Beredsamkeit ward damit von dem politischen Gebiet verdrängt und trug fortan die Zügel der Monarchie. Verschwunden war die Opposition natürlich weder aus den Gemütern der großen Majorität der Nation noch auch nur völlig aus dem öffentlichen Leben – dazu hätte man die Volkswahlen, die Geschworenengerichte und die Literatur nicht bloß beschränken, sondern vernichten müssen. Ja eben bei diesen Vorgängen selbst tat Pompeius durch seine Ungeschicklichkeit und Verkehrtheit wieder dazu, daß den Republikanern selbst unter seiner Diktatur einzelne, für ihn empfindliche Triumphe zuteil wurden. Die Tendenzmaßregeln, die die Herrscher zur Befestigung ihrer Macht ergriffen, wurden natürlicherweise offiziell als im Interesse der öffentlichen Ruhe und Ordnung getroffene Verfügungen charakterisiert und jeder Bürger, der die Anarchie nicht wollte, als mit denselben wesentlich einverstanden bezeichnet. Mit dieser durchsichtigen Fiktion trieb es Pompeius aber so weit, daß er in die Spezialkommission zur Untersuchung des letzten Auflaufs statt sicherer Werkzeuge die achtbarsten Männer aller Parteien, sogar Cato einwählte und seinen Einfluß auf das Gericht wesentlich dazu anwandte, um die Ordnung zu handhaben und das in den Gerichten dieser Zeit hergebrachte Spektakeln seinen Anhängern so gut wie den Gegnern unmöglich zu machen. Diese Neutralität des Regenten sah man den Urteilen des Spezialhofes an. Die Geschworenen wagten zwar nicht, Milo selbst freizusprechen; aber die meisten untergeordneten Angeklagten von der Partei der republikanischen Opposition gingen frei aus, während die Verurteilung unnachsichtlich diejenigen traf, die in dem letzten Krawall für Clodius, das heißt für die Machthaber Partei genommen hatten, unter ihnen nicht wenige von Caesars und selbst von Pompeius‘ vertrautesten Freunden, sogar seinen Kandidaten zum Konsulat, Hypsaeus, und die Volkstribune Plancus und Rufus, die in seinem Interesse die Erneute dirigiert hatten. Wenn Pompeius deren Verurteilung nicht hinderte, um unparteiisch zu erscheinen, so war dies eine Albernheit, und eine zweite, daß er denn doch wieder in ganz gleichgültigen Dingen zu Gunsten seiner Freunde seine eigenen Gesetze verletzte, zum Beispiel im Prozeß des Plancus als Charakterzeuge auftrat, und einzelne ihm besonders nahestehende Angeklagte, wie den Metellus Scipio, in der Tat vor der Verurteilung schützte. Wie gewöhnlich wollte er auch hier entgegengesetzte Dinge: indem er versuchte, zugleich den Pflichten des unparteiischen Regenten und des Parteihauptes Genüge zu tun, erfüllte er weder diese noch jene und erschien der öffentlichen Meinung mit Recht als ein despotischer Regent, seinen Anhängern mit gleichem Recht als ein Führer, der die Seinigen entweder nicht schützen konnte oder nicht schützen wollte.

Indes wenn auch die Republikaner noch sich regten und sogar, hauptsächlich durch Pompeius‘ Fehlgriffe, hie und da ein einzelner Erfolg sie anfrischte, so war doch der Zweck, den die Machthaber bei jener Diktatur sich gesteckt hatten, im ganzen erreicht, der Zügel straffer angezogen, die republikanische Partei gedemütigt und die neue Monarchie befestigt. Das Publikum fing an sich in diese zu finden. Als Pompeius nicht lange nachher von einer ernsthaften Krankheit genas, ward seine Wiederherstellung durch ganz Italien mit den obligaten Freudenbezeigungen gefeiert, die bei solchen Gelegenheiten in Monarchien üblich sind. Die Machthaber zeigten sich befriedigt: schon am 1. August 702 (52) legte Pompeius die Diktatur nieder und teilte das Konsulat mit seinem Klienten Metellus Scipio.

  1. Das heißt cantorum convicio contiones celebrare (Cic. Sest. 55, 118).
  2. Cato war noch nicht in Rom, als Cicero am 11. März 698 (56) für Sestius sprach (Sest. 28, 60) und als im Senat infolge der Beschlüsse von Luca über Caesars Legionen verhandelt ward (Plut. Caes. 21); erst bei den Verhandlungen im Anfang 699 (55) finden wir ihn wieder tätig; und da er im Winter reiste (Plus. Cato min 38), kehrte er also Ende 698 (56) nach Rom zurück. Er kann daher auch nicht, wie man mißverständlich aus Asconius (p. 35, 53) gefolgert hat, im Februar 698 (56) verteidigt haben.
  3. Me asinum germanum fuisse (Art. 4, 5, 3).
  4. Diese Palinodie ist die noch vorhandene Rede über die den Konsuln des Jahres 699 (55) anzuweisenden Provinzen. Sie ist Ausgang Mai 698 (56) gehalten; die Gegenstücke dazu sind die Reden für Sestius und gegen Vatinius und die über das Gutachten der etruskischen Wahrsager aus den Monaten März und April, in denen das aristokratische Regime nach Kräften verherrlicht und namentlich in sehr kavalierem Ton behandelt wird. Man kann es nur billigen, daß Cicero, wie er selbst gesteht (Att. 4, 5, 1), sogar vertrauten Freunden jenes Dokument seines wiedergekehrten Gehorsams zu übersenden sich schämte.
  5. Überliefert ist dies nicht. Allein daß Caesar auf den latinischen Gemeinden, das heißt aus dem bei weitem größeren Teil seiner Provinz überhaupt keine Soldaten ausgehoben hat, ist an sich schon völlig unglaublich und wird geradezu widerlegt dadurch, daß die Gegenpartei die von Caesar ausgehobene Mannschaft geringschätzig bezeichnet als „größtenteils aus den transpadanischen Kolonie* gebürtig“ (Caes. civ. 3, 87); denn hier sind offenbar die launischen Kolonien Strabos (Ascon. Pis. p. 3; Suet. Caes. 8) gemeint. Von launischen Kohorten aber findet sich in Caesars gallischer Armee keine Spur; vielmehr sind nach seinen ausdrücklichen Angaben alle von ihm im Cisalpinischen Gallien ausgehobenen Rekruten den Legionen zu- oder in Legionen eingeteilt worden. Es ist möglich, daß Caesar mit der Aushebung die Schenkung des Bürgerrechts verband; aber wahrscheinlicher hielt er vielmehr in dieser Angelegenheit den Standpunkt seiner Partei fest, welche den Transpadanern das römische Bürgerrecht nicht so sehr zu verschaffen suchte, als vielmehr es ansah, als ihnen schon gesetzlich zustehend. Nur so konnte sich das Gerücht verbreiten, daß Caesar von sich aus bei den transpadanischen Gemeinden römische Munizipalverfassung eingeführt habe (Cic. Att. 5, 3, 2; ad fam. 8, 1 2). So erklärt es sich auch, warum Hirtius die transpadanischen Städte als „Kolonien römischer Bürger“ bezeichnet (Gall. 8, 24) und warum Caesar die von ihm gegründete Kolonie Comum als Bürgerkolonie behandelte (Suet. Caes. 28; Strab. 5, 1 p. 213; Plut. Caes. 29), während die gemäßigte Partei der Aristokratie ihr nur dasselbe Recht wie den übrigen transpadanischen Gemeinden, also das launische, zugestand, die Ultras sogar das den Ansiedlern erteilte Stadtrecht überhaupt für nichtig erklärten, also auch die an die Bekleidung eines launischen Munizipalamtes geknüpften Privilegien den Comensern nicht zugestanden (Cic. Att. 5, 11, 2; App. civ. 2, 26). Vgl. Hermes 16, 1880, S. 30.
  6. Die uns aufbehaltene Sammlung ist voll von Beziehungen auf die Ereignisse der Jahre 699 (55) und 700 (54) und ward ohne Zweifel in dem letzteren bekannt gemacht; der jüngste Vorfall, dessen sie gedenkt, ist der Prozeß des Vatinius (August 700 54). Hieronymus‘ Angabe, daß Catullus 697/98 (57/56) gestorben, braucht also nur um wenige Jahre verschoben zu sein. Daraus, daß Vatinius bei „seinem Konsulat sich verschwört“, hat man mit Unrecht geschlossen, daß die Sammlung erst nach Vatinius‘ Konsulat (707 47) erschienen ist; es folgt daraus nur, daß Vatinius, als sie erschien, schon darauf rechnen durfte, in einem bestimmten Jahre Konsul zu werden, wozu er bereits 700 (54) alle Ursache hatte; denn sicher stand sein Name mit auf der in Luca vereinbarten Kandidatenliste (Cic. Art. 4, 8 b, 2).
  7. Das folgende Gedicht Catulls (29) ist im Jahre 699 (53) oder 700 (54), nach Caesars britannischer Expedition und vor dem Tode der Julia, geschrieben.
  8. Wer kann es ansehn, wer vermag es auszustehn,
    Wer nicht ein Bock, ein Spieler oder Schlemmer ist,
    Daß jetzt Mamurra sein nennt das, was einst besaß
    Der Langhaarkelten und der fernen Briten Land?
    Du Schlappschwanz Romulus, das siehst und gibst du zu?
    Der also soll in Übermut und salbenschwer ,
    Als süßer Schnabelierer, als Adonis nun
    Hier ziehn in aller unsrer Mädchen Zimmer ein?
    Du Schlappschwanz Romulus, das siehst und gibst du zu?
    Ein Schlemmer bist du, bist ein Spieler, bist ein Bock!
    Drum also übersetztest, einziger General,
    Zum fernstentlegnen Eiland du des Okzidents,
    Damit hier euer ausgedienter Zeitvertreib
    Zwei Millionen könne oder drei vertun?
    Was heißt verkehrt freigebig sein, wenn dieses nicht?
    Hat nicht genug schon er verdorben und verpraßt?
    Zuerst verlottert ward das väterliche Gut,
    Sodann des Pontus Beute, dann Iberiens,
    Davon des Tajo goldbeschwerte Welle weiß.
    Den fürchtet, ihr Britanner; Kelten, fürchtet den!
    Was heget ihr den Lumpen, welcher gar nichts als
    Ein fettes Erbe durch die Gurgel jagen kann?
    Drum also ruiniertet ihr der Erde Kreis,
    Ihr liebevollen Schwiegervater-Schwiegersohn?
  9. Mamurra aus Formiae, Caesars Günstling und eine Zeitlang während der gallischen Kriege Offizier in dessen Heer, war, vermutlich kurz vor Abfassung dieses Gedichts, nach der Hauptstadt zurückgekehrt und wahrscheinlich damals beschäftigt mit dem Bau seines vielbesprochenen, mit verschwenderischer Pracht ausgestatteten Marmorpalastes auf dem Caelischen Berge. Die iberische Beute wird sich auf Caesars Statthalterschaft des Jenseitigen Spanien beziehen und Mamurra schon damals, wie sicher später in Gallien, in seinem Hauptquartier sich befunden haben; das pontische geht vermutlich auf Pompeius‘ Krieg gegen Mithradates, da zumal. nach der Andeutung des Dichters nicht bloß Caesar den Mamurra bereichert hat.
  10. Unschuldiger als diese giftige, von Caesar bitter empfundene Invektive (Suet. Caes. 73) ist ein anderes, ungefähr gleichzeitiges Gedicht desselben Poeten (11), das hier auch stehen mag, weil es mit seiner pathetischen Einleitung zu einer nichts weniger als pathetischen Kommission den Generalstab der neuen Machthaber, die aus der Spelunke plötzlich ins Hauptquartier avancierten Gabinius, Antonius und wie sie weiter heißen, sehr artig persifliert. Man erinnere sich, daß es in einer Zeit geschrieben ward, wo Caesar am Rhein und an der Themse kämpfte und wo die Expeditionen des Crassus nach Parthien, des Gabinius nach Ägypten vorbereitet wurden. Der Dichter, gleichsam auch von einem der Machthaber einen der vakanten Posten erhoffend, gibt zweien seiner Klienten die letzten Aufträge vor der Abreise:
  11. Furius und Aurelius, Adjutanten
    Ihr Catulls, mag ziehn er an Indiens Ende,
    Wo des Ostmeers brandende Welle weithin
    Hallend den Strand schlägt,
    Oder nach Hyrkanien und Arabien,
    In der pfeilfroh’n Parther Gebiet und Saker
    Oder wo den Spiegel des Meers der siebenfältige Nil färbt;
    Oder führt sein Weg ihn die Alpen über,
    Wo den Malstein setzte der große Caesar,
    Wo der Rhein fließt und an dem Erdrand hausen
    Wilde Britanner –
    Ihr, bereit, all das mit Catullus, was ihm
    Götterratsschluß davon bestimmt, zu teilen,
    Meinem Schatz noch bringet zuvor die kurze
    Leidige Botschaft!
    Mag sie stehn und gehen mit ihren Männern,
    Welche sie dreihundert zugleich umarmt hält,
    Keinem treulieb, aber zu jeder Stunde
    Jedem zu Willen.
    Nicht wie sonst nachblickte sie meiner Liebe,
    Die geknickt mutwillig sie, gleich dem Veilchen,
    Das entlang am Saume des Ackers wandelnd
    Streifte die Pflugschar.
  12. In diesem Jahr folgte auf den Januar mit 29 und den Februar mit 23 Tagen der Schaltmonat mit 28 und sodann der März.
  13. Consul heißt Kollege (I, 260) und ein Konsul, der zugleich Prokonsul ist, ist zugleich wirklicher und stellvertretender Konsul.