5. Kapitel

Der Parteienkampf während Pompeius‘ Abwesenheit

Mit dem Gabinischen Gesetze wechselten die hauptstädtischen Parteien die Rollen. Seit der erwählte Feldherr der Demokratie das Schwert in der Hand hielt, war seine Partei oder was dafür galt auch in der Hauptstadt übermächtig. Wohl stand die Nobilität noch geschlossen zusammen und gingen nach wie vor aus der Komitialmaschine nur Konsuln hervor, die nach dem Ausdrucke der Demokraten schon in den Windeln zum Konsulate designiert waren; die Wahlen zu beherrschen und hier den Einfluß der alten Familien zu brechen, vermochten selbst die Machthaber nicht. Aber leider fing das Konsulat, ebenda man es so weit gebracht hatte, die „neuen Menschen“ so gut wie vollständig davon auszuschließen, selber an, vor dem neu aufgehenden Gestirn der; exzeptionellen Militärgewalt zu erbleichen. Die Aristokratie empfand es, wenn sie auch nicht gerade es sich gestand; sie gab sich selber verloren. Außer Quintus Catulus, der mit achtbarer Festigkeit auf seinem wenig erfreulichen Posten als Vorfechter einer überwundenen Partei bis zu seinem Tode (694 60) ausharrte, ist aus den obersten Reihen der Nobilität kein Optimat zu nennen, der die Interessen der Aristokratie mit Mut und Stetigkeit vertreten hätte. Eben ihre talentvollsten und gefeiertsten Männer, wie Quintus Metellus Pius und Lucius Lucullus, abdizierten tatsächlich und zogen sich, soweit es irgend schicklicherweise anging, auf ihre Villen zurück, um über Gärten und Bibliotheken, über Vogelhäusern und Fischteichen den Markt und das Rathaus möglichst zu vergessen. Noch viel mehr gilt dies natürlich von der jüngeren Generation der Aristokratie, die entweder ganz in Luxus und Literatur unterging oder der aufgehenden Sonne sich zuwandte. Ein einziger unter den Jüngeren machte hiervon eine Ausnahme: es ist Marcus Porcius Cato (geboren 659 95), ein Mann vom besten Willen und seltener Hingebung, und doch eine der abenteuerlichsten und eine der unerfreulichsten Erscheinungen in dieser an politischen Zerrbildern überreichen Zeit. Ehrlich und stetig, ernsthaft im Wollen und im Handeln, voll Anhänglichkeit an sein Vaterland und die angestammte Verfassung, aber ein langsamer Kopf und sinnlich wie sittlich ohne Leidenschaft, hätte er allenfalls einen leidlichen Staatsrechenmeister abgeben mögen. Unglücklicherweise aber geriet er früh unter die Gewalt der Phrase, und, teils beherrscht von den Redensarten der Stoa, wie sie in abstrakter Kahlheit und geistloser Abgerissenheit in der damaligen vornehmen Welt im Umlauf waren, teils von dem Exempel seines Urgroßvaters, den zu erneuern er für seine besondere Aufgabe hielt, fing er an, als Musterbürger und Tugendspiegel in der sündigen Hauptstadt umherzuwandeln, gleich dem alten Cato auf die Zeiten zu schelten, zu Fuß zu gehen statt zu reiten, keine Zinsen zu nehmen, soldatische Ehrenzeichen abzulehnen und die Wiederherstellung der guten alten Zeit damit einzuleiten, daß er nach König Romulus‘ Vorgang ohne Hemd ging. Eine seltsame Karikatur seines Ahnen, des greisen Bauern, den Haß und Zorn zum Redner machten, der den Pflug wie das Schwert meisterlich führte, der mit seinem bornierten, aber originellen und gesunden Menschenverstand in der Regel den Nagel auf den Kopf traf, war dieser junge kühle Gelehrte, dem die Schulmeisterweisheit von den Lippen troff und den man immer mit dem Buche in der Hand sitzen sah, dieser Philosoph, der weder das Kriegs- noch sonst irgendein Handwerk verstand, dieser Wolkenwandler im Reiche der abstrakten Moral. Dennoch gelangte er zu sittlicher und dadurch selbst zu politischer Bedeutung. In einer durchaus elenden und feigen Zeit imponierten sein Mut und seine negativen Tugenden der Menge; er machte sogar Schule, und es gab einzelne – freilich waren sie danach –, die die lebendige Philosophenschablone weiter kopierten und abermals karikierten. Auf derselben Ursache beruht auch sein politischer Einfluß. Da er der einzige namhafte Konservative war, der wo nicht Talent und Einsicht, doch Ehrlichkeit und Mut besaß und immer bereitstand, wo es nötig und nicht nötig war, seine Person in die Schanze zu schlagen, so ward er, obwohl weder sein Alter noch sein Rang noch sein Geist ihn dazu berechtigten, dennoch bald der anerkannte Vormann der Optimatenpartei. Wo das Ausharren eines einzelnen entschlossenen Mannes entscheiden konnte, hat er auch wohl einen Erfolg erzielt und in Detailfragen, namentlich finanzieller Art, oft zweckmäßig eingegriffen, wie er denn in keiner Senatssitzung fehlte und mit seiner Quästur in der Tat Epoche machte, auch solange er lebte das öffentliche Budget im einzelnen kontrollierte und natürlich denn auch darüber mit den Steuerpächtern in beständigem Kriege lebte. übrigens fehlte ihm zum Staatsmann nicht mehr als alles. Er war unfähig, einen politischen Zweck auch nur zu begreifen und politische Verhältnisse zu überblicken; seine ganze Taktik bestand darin, gegen jeden Front zu machen, der von dem traditionellen moralisch-politischen Katechismus der Aristokratie abwich oder ihm abzuweichen schien, womit er denn natürlich ebensooft dem Gegner wie dem Parteigenossen in die Hände gearbeitet hat. Der Don Quichotte der Aristokratie, bewährte er durch sein Wesen und sein Tun, daß damals allenfalls noch eine Aristokratie vorhanden, die aristokratische Politik aber nichts mehr war als eine Chimäre.

Mit dieser Aristokratie den Kampf fortzusetzen, brachte geringe Ehre. Natürlich ruhten die Angriffe der Demokratie gegen den überwundenen Feind darum nicht. Wie die Troßbuben über ein erobertes Lager, stürzte sich die populäre Meute auf die gesprengte Nobilität, und wenigstens die Oberfläche der Politik ward von dieser Agitation zu hohen Schaumwellen emporgetrieben. Die Menge ging um so bereitwilliger mit, als namentlich Gaius Caesar sie bei guter Laune hielt durch die verschwenderische Pracht seiner Spiele (689 65), bei welchen alles Gerät, selbst die Käfige der wilden Bestien, aus massivem Silber erschien, und überhaupt durch eine Freigebigkeit, welche darum nur um so mehr fürstlich war, weil sie einzig auf Schuldenmachen beruhte. Die Angriffe auf die Nobilität waren von der mannigfaltigsten Art. Reichen Stoff gewährten die Mißbräuche des aristokratischen Regiments: liberale oder liberal schillernde Beamte und Sachverwalter wie Gaius Cornelius, Aulus Gabinius, Marcus Cicero fuhren fort, die ärgerlichsten und schändlichsten Seiten der Optimatenwirtschaft systematisch zu enthüllen und Gesetze dagegen zu beantragen. Der Senat ward angewiesen, den auswärtigen Boten an bestimmten Tagen Zutritt zu gewähren, um dadurch der üblichen Verschleppung der Audienzen Einhalt zu tun. Die von fremden Gesandten in Rom aufgenommenen Darlehen wurden klaglos gestellt, da dies das einzige Mittel sei, den Bestechungen, die im Senat an der Tagesordnung waren, ernstlich zu steuern (687 67). Das Recht des Senats, in einzelnen Fällen von den Gesetzen zu dispensieren, wurde beschränkt (687 67); ebenso der Mißbrauch, daß jeder vornehme Römer, der in den Provinzen Privatgeschäfte zu besorgen hatte, sich dazu vom Senat den Charakter eines römischen Gesandten erteilen ließ (691 63). Man schärfte die Strafen gegen Stimmenkauf und Wahlumtriebe (687, 691 67, 63), welche letztere namentlich in ärgerlicher Weise gesteigert wurden durch die Versuche der aus dem Senat gestoßenen Individuen, durch Wiederwahl in denselben zurückzugelangen. Es wurde gesetzlich ausgesprochen, was bis dahin sich nur von selbst verstanden hatte, daß die Gerichtsherren verbunden seien in Gemäßheit der nach römischer Weise zu Anfang des Amtes von ihnen aufgestellten Normen Recht zu sprechen (687 67).

Vor allem aber arbeitete man daran, die demokratische Restauration zu vervollkommnen und die leitenden Gedanken der gracchischen Zeit in zeitgemäßer Form zu verwirklichen. Die Wahl der Priester durch die Komitien, wie sie Gnaeus Domitius eingeführt, Sulla wieder abgeschafft hatte, ward durch ein Gesetz des Volkstribuns Titus Labienus im Jahre 691 (63) hergestellt. Man wies gern darauf hin, wieviel zur Wiederherstellung der Sempronischen Getreidegesetze in ihrem vollen Umfang noch fehle, und überging dabei mit Stillschweigen, daß unter den veränderten Umständen, bei der bedrängten Lage der öffentlichen Finanzen und der so sehr vermehrten Zahl der vollberechtigten römischen Bürger, diese Wiederherstellung schlechterdings unausführbar war. In der Landschaft zwischen dem Po und den Alpen nährte man eifrig die Agitation um politische Gleichberechtigung mit den Italikern. Schon 686 (68) reiste Gaius Caesar zu diesem Zweck daselbst von Ort zu Ort; 689 (65) machte Marcus Crassus als Zensor Anstalt, die Einwohner geradewegs in die Bürgerliste einzuschreiben, was nur an dem Widerstand seines Kollegen scheiterte; bei den folgenden Zensuren scheint dieser Versuch sich regelmäßig wiederholt zu haben. Wie einst Gracchus und Flaccus die Patrone der Latiner gewesen waren, so warfen sich die gegenwärtigen Führer der Demokratie zu Beschützern der Transpadaner auf, und Gaius Piso (Konsul 687 67) hatte es schwer zu bereuen, daß er gewagt hatte, an einem dieser Klienten des Caesar und Crassus sich zu vergreifen. Dagegen zeigten sich dieselben Führer keineswegs geneigt, die politische Gleichberechtigung der Freigelassenen zu befürworten; der Volkstribun Gaius Manilius, der in einer nur von wenigen Leuten besuchten Versammlung das Sulpicische Gesetz über das Stimmrecht der Freigelassenen hatte erneuern lassen (31. Dezember 687 67), ward von den leitenden Männern der Demokratie alsbald desavouiert und mit ihrer Zustimmung das Gesetz schon am Tage nach seiner Durchbringung vom Senate kassiert. In demselben Sinn wurden im Jahre 689 (65) durch Volksbeschluß die sämtlichen Fremden, die weder römisches noch latinisches Bürgerrecht besaßen, aus der Hauptstadt ausgewiesen. Man sieht, der innere Widerspruch der Gracchischen Politik, zugleich dem Bestreben der Ausgeschlossenen um Aufnahme in den Kreis der Privilegierten und dem der Privilegierten um Aufrechterhaltung ihrer Sonderrechte Rechnung zu tragen, war auch auf ihre Nachfolger übergegangen: während Caesar und die Seinen einerseits den Transpadanern das Bürgerrecht in Aussicht stellten, gaben sie andererseits ihre Zustimmung zu der Fortdauer der Zurücksetzung der Freigelassenen und zu der barbarischen Beseitigung der Konkurrenz, die die Industrie und das Handelsgeschick der Hellenen und Orientalen in Italien selber den Italikern machte. Charakteristisch ist die Art, wie die Demokratie hinsichtlich der alten Kriminalgerichtsbarkeit der Komitien verfuhr. Sulla hatte dieselbe nicht eigentlich aufgehoben, aber tatsächlich waren doch die Geschworenenkommissionen über Hochverrat und Mord an ihre Stelle getreten, und an eine ernstliche Wiederherstellung des alten, schon lange vor Sulla durchaus unpraktischen Verfahrens konnte kein vernünftiger Mensch denken. Aber da doch die Idee der Volkssouveränität eine Anerkennung der peinlichen Gerichtsbarkeit der Bürgerschaft wenigstens im Prinzip zu fordern schien, so zog der Volkstribun Titus Labienus im Jahre 691 (63) den alten Mann, der vor achtunddreißig Jahren den Volkstribun Lucius Saturninus erschlagen hatte oder haben sollte, vor dasselbe hochnotpeinliche Halsgericht, kraft dessen, wenn die Chronik recht berichtete, der König Tullus den Schwestermörder Horatius verrechtfertigt hatte. Der Angeklagte war ein gewisser Gaius Rabirius, der den Saturninus wenn nicht getötet, doch wenigstens mit dem abgehauenen Kopf desselben an den Tafeln der Vornehmen Parade gemacht hatte, und der überdies unter den apulischen Gutsbesitzern wegen seiner Menschenfängerei und seiner Bluttaten verrufen war. Es war, wenn nicht dem Ankläger selbst, doch den klügeren Männern, die hinter ihm standen, durchaus nicht darum zu tun, diesen elenden Gesellen den Tod am Kreuze sterben zu lassen; nicht ungern ließ man es geschehen, daß zunächst die Form der Anklage vom Senat wesentlich gemildert, sodann die zur Aburteilung des Schuldigen berufene Volksversammlung unter irgendeinem Vorwand von der Gegenpartei aufgelöst und damit die ganze Prozedur beseitigt ward. Immer waren durch dies Verfahren die beiden Palladien der römischen Freiheit, das Provokationsrecht der Bürgerschaft und die Unverletzlichkeit des Volkstribunats, noch einmal als praktisches Recht festgestellt und der demokratische Rechtsboden neu ausgebessert worden.

Mit noch größerer Leidenschaftlichkeit trat die demokratische Reaktion in allen Personenfragen auf, wo sie nur irgend konnte und durfte. Zwar gebot ihr die Klugheit, die Rückgabe der von Sulla eingezogenen Güter an die ehemaligen Eigentümer nicht zu betonen, um nicht mit den eigenen Verbündeten sich zu entzweien und zugleich mit den materiellen Interessen in einen Kampf zu geraten, dem die Tendenzpolitik selten gewachsen ist; auch die Rückberufung der Emigrierten hing mit dieser Vermögensfrage zu eng zusammen, um nicht ebenso unrätlich zu erscheinen. Dagegen machte man große Anstrengungen, um den Kindern der Geächteten die ihnen entzogenen politischen Rechte zurückzugegeben (691 63) und die Spitzen der Senatspartei wurden von persönlichen Angriffen unablässig verfolgt. So hing Gaius Memmius dem Marcus Lucullus im Jahre 688 (66) einen Tendenzprozeß an. So ließ man dessen berühmteren Bruder vor den Toren der Hauptstadt drei Jahre auf den wohlverdienten Triumph harren (688-691 66-63). Ähnlich wurden Quintus Rex und der Eroberer von Kreta, Quintus Metellus, insultiert. Größeres Aufsehen noch machte es, daß der junge Führer der Demokratie Gaius Caesar im Jahre 691 (63) nicht bloß sich es herausnahm, bei der Bewerbung um das höchste Priesteramt mit den beiden angesehensten Männern der Nobilität, Quintus Catulus und Publius Servilius, dem Sieger von Isaura, zu konkurrieren, sondern sogar bei der Bürgerschaft ihnen den Rang ablief. Die Erben Sullas, namentlich sein Sohn Faustus, sahen sich beständig bedroht von einer Klage auf Rückerstattung der von dem Regenten angeblich unterschlagenen öffentlichen Gelder. Man sprach sogar von der Wiederaufnahme der im Jahre 664 (99) sistierten demokratischen Anklagen auf Grund des Varischen Gesetzes. Am nachdrücklichsten wurden begreiflicherweise die bei den Sullanischen Exekutionen beteiligten Individuen gerichtlich verfolgt. Wenn der Quästor Marcus Cato in seiner täppischen Ehrlichkeit selber den Anfang damit machte, ihnen die empfangenen Mordprämien als widerrechtlich dem Staate entfremdetes Gut wiederabzufordern (689 65), so kann es nicht befremden, daß das Jahr darauf (690 64) Gaius Caesar als Vorsitzender in dem Mordgericht die Klausel in der Sullanischen Ordnung, welche die Tötung eines Geächteten straflos erklärte, kurzweg als nichtig behandelte und die namhaftesten unter den Schergen Sullas, Lucius Catilina, Lucius Bellienus, Lucius Luscius, vor seine Geschworenen stellen und zum Teil auch verurteilen ließ. Endlich unterließ man nicht, die lange verfemten Namen der Helden und Märtyrer der Demokratie jetzt wieder öffentlich zu nennen und ihre Andenken zu feiern. Wie Saturninus durch den gegen seinen Mörder gerichteten Prozeß rehabilitiert ward, ist schon erzählt worden. Aber einen anderen Klang noch hatte der Name des Gaius Marius, bei dessen Nennung einst alle Herzen geklopft hatten; und es traf sich, daß derselbe Mann, dem Italien die Errettung von den nordischen Barbaren verdankte, zugleich der Oheim des gegenwärtigen Führers der Demokratie war. Laut hatte die Menge gejubelt, als im Jahre 686 (68) Gaius Caesar es wagte, den Verboten zuwider bei der Beerdigung der Witwe des Marius die verehrten Züge des Helden auf dem Markte öffentlich zu zeigen. Aber als gar drei Jahre nachher (689 65) die Siegeszeichen, die Marius auf dem Kapitol hatte errichten und Sulla umstürzen lassen, eines Morgens, allen unerwartet, wieder an der alten Stelle frisch in Gold und Marmor glänzten, da drängten sich die Invaliden aus dem Afrikanischen und Kimbrischen Kriege, Tränen in den Augen, um das Bild des geliebten Feldherrn, und den jubelnden Massen gegenüber wagte der Senat nicht, an den Trophäen sich zu vergreifen, welche dieselbe kühne Hand den Gesetzen zum Trotz erneuert hatte.

Indes all dieses Treiben und Hadern, soviel Lärm es auch machte, war politisch betrachtet von sehr untergeordneter Bedeutung. Die Oligarchie war überwunden, die Demokratie ans Ruder gelangt. Daß die Kleinen und Kleinsten herbeieilten, um dem am Boden liegenden Feind noch einen Fußtritt zu versetzen; daß auch die Demokraten ihren Rechtsboden und ihren Prinzipienkult hatten; daß ihre Doktrinäre nicht ruhten, bis die sämtlichen Privilegien der Gemeinde in allen Stücken wiederhergestellt waren und dabei gelegentlich sich lächerlich machten, wie Legitimisten es pflegen – das alles war ebenso begreiflich wie gleichgültig. Im ganzen genommen ist die Agitation ziellos und sieht man ihr die Verlegenheit der Urheber an, einen Gegenstand für ihre Tätigkeit zu finden, wie sie sich denn auch fast durchaus um wesentlich schon erledigte oder um Nebensachen dreht. Es konnte nicht anders sein. In dem Kampfe gegen die Aristokratie waren die Demokraten Sieger geblieben; aber sie hatten nicht allein gesiegt und die Feuerprobe stand ihnen noch bevor – die Abrechnung nicht mit dem bisherigen Feind, sondern mit dem übermächtigen Bundesgenossen, dem sie in dem Kampfe mit der Aristokratie wesentlich den Sieg verdankten und dem sie jetzt eine beispiellose militärische und politische Gewalt selbst in die Hände gegeben hatten, weil sie nicht wagten, sie ihm zu verweigern. Noch war der Feldherr des Ostens und der Meere beschäftigt, Könige ein- und abzusetzen; wielange Zeit er dazu sich nehmen, wann er das Kriegsgeschäft für beendet erklären werde, konnte keiner sagen als er selbst, da wie alles andere, so auch der Zeitpunkt seiner Rückkehr nach Italien, das heißt der Entscheidung in seine Hand gelegt war. Die Parteien in Rom inzwischen saßen und harrten. Die Optimaten freilich sahen der Ankunft des gefürchteten Feldherrn verhältnismäßig ruhig entgegen; bei dem Bruch zwischen Pompeius und der Demokratie, dessen Herannahen auch ihnen nicht entging, konnten sie nicht verlieren, sondern nur gewinnen. Dagegen die Demokraten warteten mit peinlicher Angst und suchten während der durch Pompeius‘ Abwesenheit noch vergönnten Frist gegen die drohende Explosion eine Kontermine zu legen. Hierin trafen sie wieder zusammen mit Crassus, dem nichts übrig blieb, um dem beneideten und gehaßten Nebenbuhler zu begegnen, als sich neu und enger als zuvor mit der Demokratie zu verbünden. Schon bei der ersten Koalition hatten Caesar und Crassus als die beiden Schwächeren sich besonders nahe gestanden; das gemeinschaftliche Interesse und die gemeinschaftliche Gefahr zog das Band noch fester, das den reichsten und den verschuldetsten Mann von Rom zu engster Allianz verknüpfte. Während öffentlich die Demokraten den abwesenden Feldherrn als das Haupt und den Stolz ihrer Partei bezeichneten und alle ihre Pfeile gegen die Aristokratie zu richten schienen, ward im stillen gegen Pompeius gerüstet; und diese Versuche der Demokratie, sich der drohenden Militärdiktatur zu entwinden, haben geschichtlich eine weit höhere Bedeutung als die lärmende und größtenteils nur als Maske benutzte Agitation gegen die Nobilität. Freilich bewegten sie sich in einem Dunkel, in das unsere Überlieferung nur einzelne Streiflichter fallen läßt; denn nicht die Gegenwart allein, auch die Folgezeit hatte ihre Ursachen, einen Schleier darüber zu werfen. Indes im allgemeinen sind sowohl der Gang wie das Ziel dieser Bestrebungen vollkommen klar. Der Militärgewalt konnte nur durch eine andere Militärgewalt wirksam Schach geboten werden. Die Absicht der Demokraten war, sich nach dem Beispiel des Marius und Cinna der Zügel der Regierung zu bemächtigen, sodann einen ihrer Führer sei es mit der Eroberung Ägyptens, sei es mit der Statthalterschaft Spaniens oder einem ähnlichen ordentlichen oder außerordentlichen Amte zu betrauen und in ihm und seinem Heer ein Gegengewicht gegen Pompeius und dessen Armee zu finden. Dazu bedurften sie einer Revolution, die zunächst gegen die nominelle Regierung, in der Tat gegen Pompeius ging als den designierten Monarchen; und um diese Revolution zu bewirken, war von der Erlassung der Gabinisch-Manilischen Gesetze an bis auf Pompeius‘ Rückkehr (688 – 692 66 – 62) die Verschwörung in Rom in Permanenz25. Die Hauptstadt war in ängstlicher Spannung; die gedrückte Stimmung der Kapitalisten, die Zahlungsstockungen, die häufigen Bankrotte waren Vorboten der gärenden Umwälzung, die zugleich eine gänzlich neue Stellung der Parteien herbeiführen zu müssen schien. Der Anschlag der Demokratie, der über den Senat hinweg auf Pompeius zielte, legte eine Ausgleichung zwischen diesen nahe. Die Demokratie aber, indem sie der Diktatur des Pompeius die eines ihr genehmeren Mannes entgegenzustellen versuchte, erkannte genau genommen auch ihrerseits das Militärregiment an und trieb in der Tat den Teufel aus durch Beelzebub; unter den Händen ward ihr die Prinzipien- zur Personenfrage.

Die Einleitung zu der von den Führern der Demokratie entworfenen Revolution sollte also der Sturz der bestehenden Regierung durch eine zunächst in Rom von demokratischen Verschworenen angestiftete Insurrektion sein. Der sittliche Zustand der niedrigsten wie der höchsten Schichten der hauptstädtischen Gesellschaft bot hierzu den Stoff in beklagenswerter Fülle. Wie das freie und das Sklavenproletariat der Hauptstadt beschaffen waren, braucht hier nicht wiederholt zu werden. Es ward schon das bezeichnende Wort vernommen, daß nur der Arme den Armen zu vertreten fähig sei – der Gedanke regte sich also, daß die Masse der Armen so gut wie die Oligarchie der Reichen sich als selbständige Macht konstituieren und, statt sich tyrannisieren zu lassen, auch wohl ihrerseits den Tyrannen spielen könne. Aber auch in den Kreisen der vornehmen Jugend fanden ähnliche Gedanken einen Widerhall. Das hauptstädtische Modeleben zerrüttete nicht bloß das Vermögen, sondern auch die Kraft des Leibes und des Geistes. Jene elegante Welt der duftenden Haarlocken, der modischen Stutzbärte und Manschetten, so lustig es auch darin bei Tanz und Zitherspiel und früh und spät beim Becher herging, barg doch in sich einen erschreckenden Abgrund sittlichen und ökonomischen Verfalls, gut oder schlecht verhehlter Verzweiflung und wahnsinniger oder bübischer Entschlüsse. In diesen Kreisen ward unverhohlen geseufzt nach der Wiederkehr der cinnanischen Zeit mit ihren Ächtungen und Konfiskationen und ihrer Vernichtung der Schuldbücher; es gab Leute genug, darunter nicht wenige von nicht gemeiner Herkunft und ungewöhnlichen Anlagen, die nur auf das Signal warteten, um wie eine Räuberschar über die bürgerliche Gesellschaft herzufallen und das verlotterte Vermögen sich wieder zu erplündern. Wo eine Bande sich bildet, fehlt es an Führern nicht; auch hier fanden sich bald Männer, die zu Räuberhauptleuten sich eigneten. Der gewesene Prätor Lucius Catilina, der Quästor Gnaeus Piso zeichneten unter ihren Genossen nicht bloß durch ihre vornehme Geburt und ihren höheren Rang sich aus. Sie hatten die Brücke vollständig hinter sich abgebrochen und imponierten ihren Spießgesellen durch ihre Ruchlosigkeit ebensosehr wie durch ihre Talente. Vor allem Catilina war einer der frevelhaftesten dieser frevelhaften Zeit. Seine Bubenstücke gehören in die Kriminalakten, nicht in die Geschichte; aber schon sein Äußeres, das bleiche Antlitz, der wilde Blick, der bald träge, bald hastige Gang verrieten seine unheimliche Vergangenheit. In hohem Grade besaß er die Eigenschaften, die von dem Führer einer solchen Rotte verlangt werden: die Fähigkeit, alles zu genießen und alles zu entbehren, Mut, militärisches Talent, Menschenkenntnis, Verbrecherenergie und jene entsetzliche Pädagogik des Lasters, die den Schwachen zu Falle zu bringen, den Gefallenen zum Verbrecher zu erziehen versteht.

Aus solchen Elementen eine Verschwörung zum Umsturz der bestehenden Ordnung zu bilden, konnte Männern, die Geld und politischen Einfluß besaßen, nicht schwerfallen. Catilina, Piso und ihresgleichen gingen bereitwillig auf jeden Plan ein, der ihnen Ächtungen und Kassation der Schuldbücher in Aussicht stellte; jener war überdies noch mit der Aristokratie speziell verfeindet, weil sie sich der Bewerbung des verworfenen und gefährlichen Menschen um das Konsulat widersetzt hatte. Wie er einst als Scherge Sullas an der Spitze einer Keltenschar auf die Geächteten Jagd gemacht und unter anderen seinen eigenen hochbejahrten Schwager mit eigener Hand niedergestoßen hatte, so ließ er jetzt sich bereitwillig dazu herbei, der Gegenpartei ähnliche Dienst zuzusagen. Ein geheimer Bund ward gestiftet. Die Zahl der in denselben aufgenommenen Individuen soll 400 überstiegen haben; er zählte Affiliierte in allen Landschaften und Stadtgemeinden Italiens; überdies verstand es sich von selbst, daß einer Insurrektion, die das zeitgemäße Programm der Schuldentilgung auf ihre Fahne schrieb, aus den Reihen der liederlichen Jugend zahlreiche Rekruten ungeheißen zuströmen würden.

Im Dezember 688 (66) – so wird erzählt – glaubten die Leiter des Bundes den geeigneten Anlaß gefunden zu haben, um loszuschlagen. Die beiden für 689 (65) erwählten Konsuln Publius Cornelius Sulla und Publius Autronius Paetus waren vor kurzem der Wahlbestechung gerichtlich überwiesen und deshalb nach gesetzlicher Vorschrift ihrer Anwartschaft auf das höchste Amt verlustig erklärt worden. Beide traten hierauf dem Bunde bei. Die Verschworenen beschlossen, ihnen das Konsulat mit Gewalt zu verschaffen und dadurch sich selbst in den Besitz der höchsten Gewalt im Staate zu setzen. An dem Tage, wo die neuen Konsuln ihr Amt antreten würden, dem 1. Januar 689 (65) sollte die Kurie von Bewaffneten gestürmt, die neuen Konsuln und die sonst bezeichneten Opfer niedergemacht und Sulla und Paetus nach Kassierung des gerichtlichen Urteils, das sie ausschloß, als Konsuln proklamiert werden. Crassus sollte sodann die Diktatur, Caesar das Reiterführeramt übernehmen, ohne Zweifel, um eine imposante Militärmacht auf die Beine zu bringen, während Pompeius fern am Kaukasus beschäftigt war. Hauptleute und Gemeine waren gedungen und angewiesen; Catilina wartete an dem bestimmten Tage in der Nähe des Rathauses auf das verabredete Zeichen, das auf Crassus‘ Wink ihm von Caesar gegeben werden sollte. Allein er wartete vergebens; Crassus fehlte in der entscheidenden Senatssitzung, und daran scheiterte für diesmal die projektierte Insurrektion. Ein ähnlicher noch umfassenderer Mordplan ward dann für den 5. Februar verabredet; allein auch dieser ward vereitelt, da Catilina das Zeichen zu früh gab, bevor noch die bestellten Banditen sich alle eingefunden hatten. Darüber ward das Geheimnis ruchbar. Die Regierung wagte zwar nicht, offen der Verschwörung entgegenzutreten, aber sie gab doch den zunächst bedrohten Konsuln Wachen bei und stellte der Bande der Verschworenen eine von der Regierung bezahlte entgegen. Um Piso zu entfernen, wurde der Antrag gestellt, ihn als Quästor mit prätorischen Befugnissen nach dem diesseitigen Spanien zu senden; worauf Crassus einging, in der Hoffnung, durch denselben die Hilfsquellen dieser wichtigen Provinz für die Insurrektion zu gewinnen. Weitergehende Vorschläge wurden durch die Tribune verhindert.

Also lautet die Überlieferung, welche offenbar die in den Regierungskreisen umlaufende Version wiedergibt und deren Glaubwürdigkeit im einzelnen in Ermangelung jeder Kontrolle dahingestellt bleiben muß. Was die Hauptsache anlangt, die Beteiligung von Caesar und Crassus, so kann allerdings das Zeugnis ihrer politischen Gegner nicht als ausreichender Beweis dafür angesehen werden. Aber es paßt doch ihre offenkundige Tätigkeit in dieser Epoche auffallend genau zu der geheimen, die dieser Bericht ihnen beimißt. Daß Crassus, der in diesem Jahre Zensor war, als solcher den Versuch machte, die Transpadaner in die Bürgerliste einzuschreiben, war schon geradezu ein revolutionäres Beginnen. Noch bemerkenswerter ist es, daß Crassus bei derselben Gelegenheit Anstalt machte, Ägypten und Kypros in das Verzeichnis der römischen Domänen einzutragen26 und daß Caesar um die gleiche Zeit (689 oder 690 65 oder 64) durch einige Tribune bei der Bürgerschaft den Antrag stellen ließ, ihn nach Ägypten zu senden, um den von den Alexandrinern vertriebenen König Ptolemaeos wiedereinzusetzen. Diese Machinationen stimmen mit den von den Gegnern erhobenen Anklagen in bedenklicher Weise zusammen. Gewisses läßt sich hier nicht ermitteln; aber die große Wahrscheinlichkeit ist dafür, daß Crassus und Caesar den Plan entworfen hatten, sich während Pompeius‘ Abwesenheit der Militärdiktatur zu bemächtigen; daß Ägypten zur Basis dieser demokratischen Militärmacht ausersehen war; daß endlich der Insurrektionsversuch von 689 (65) angezettelt worden ist, um diese Entwürfe zu realisieren und Catilina und Piso also Werkzeuge in den Händen von Crassus und Caesar gewesen sind.

Einen Augenblick kam die Verschwörung ins Stocken. Die Wahlen für 690 (64) fanden statt, ohne daß Crassus und Caesar ihren Versuch sich des Konsulats zu bemeistern, dabei erneuert hätten; wozu mit beigetragen haben mag, daß ein Verwandter des Führers der Demokratie, Lucius Caesar, ein schwacher und von seinem Geschlechtsfreund nicht selten als Werkzeug benutzter Mann, diesmal um das Konsulat sich bewarb. Indes drängten die Berichte aus Asien zur Eile. Die kleinasiatischen und armenischen Angelegenheiten waren bereits vollständig geordnet. So klar auch die demokratischen Strategen es bewiesen, daß der Mithradatische Krieg erst mit der Gefangennahme des Königs als beendigt gelten könne und daß es deshalb notwendig sei, die Hetzjagd um das Schwarze Meer herum zu beginnen, vor allen Dingen aber von Syrien fernzubleiben – Pompeius war, unbekümmert um solches Geschwätz, im Frühjahr 690 (64) aus Armenien aufgebrochen und nach Syrien marschiert. Wenn Ägypten wirklich zum Hauptquartier der Demokratie ausersehen war, so war keine Zeit zu verlieren; leicht konnte sonst Pompeius eher als Caesar in Ägypten stehen. Die Verschwörung von 688 (66) durch die schlaffen und ängstlichen Repressivmaßregeln keineswegs gesprengt, regte sich wieder, als die Konsulwahlen für 691 (63) herankamen. Die Personen waren vermutlich wesentlich dieselben und auch der Plan nur wenig verändert. Die Leiter der Bewegung hielten wieder sich im Hintergrund. Als Bewerber um das Konsulat hatten sie diesmal aufgestellt: Catilina selbst und Gaius Antonius, den jüngeren Sohn des Redners, einen Bruder des von Kreta her übel berufenen Feldherrn. Catilinas war man sicher; Antonius, ursprünglich Sullaner wie Catilina und wie dieser vor einigen Jahren von der demokratischen Partei deshalb vor Gericht gestellt und aus dem Senat ausgestoßen, übrigens ein schlaffer, unbedeutender, in keiner Hinsicht zum Führer berufener, vollständig bankrotter Mann, gab um den Preis des Konsulats und der daran geknüpften Vorteile sich den Demokraten willig zum Werkzeug hin. Durch diese Konsuln beabsichtigten die Häupter der Verschwörung, sich des Regiments zu bemächtigen, die in der Hauptstadt zurückgebliebenen Kinder des Pompeius als Geiseln festzunehmen und in Italien und den Provinzen gegen Pompeius zu rüsten. Auf die erste Nachricht von dem in der Hauptstadt gefallenen Schlage sollte der Statthalter Gnaeus Piso im diesseitigen Spanien die Fahne der Insurrektion aufstecken. Die Kommunikation mit ihm konnte auf dem Seeweg nicht stattfinden, da Pompeius das Meer beherrschte; man zählte dafür auf die Transpadaner, die alten Klienten der Demokratie, unter denen es gewaltig gärte und die natürlich sofort das Bürgerrecht erhalten haben würden, ferner auf verschiedene keltische Stämme27. Bis nach Mauretanien hin liefen die Fäden dieser Verbindung. Einer der Mitverschworenen, der römische Großhändler Publius Sittius aus Nuceria, durch finanzielle Verwicklungen gezwungen, Italien zu meiden, hatte daselbst und in Spanien einen Trupp verzweifelter Leute bewaffnet und zog mit diesen als Freischarenführer im westlichen Afrika herum, wo er alte Handelsverbindungen hatte.

Die Partei strengte alle ihre Kräfte für den Wahlkampf an. Crassus und Caesar setzten ihr Geld – eigenes oder geborgtes -und ihre Verbindungen ein, um Catilina und Antonius das Konsulat zu verschaffen; Catilinas Genossen spannten jeden Nerv an, um den Mann an das Ruder zu bringen, der ihnen die Ämter und Priestertümer, die Paläste und Landgüter ihrer Gegner und vor allen Dingen Befreiung von ihren Schulden verhieß und von dem man wußte, daß er Wort halten werde. Die Aristokratie war in großer Not, hauptsächlich weil sie nicht einmal Gegenkandidaten aufzustellen vermochte. Daß ein solcher seinen Kopf wagte, war offenbar; und die Zeiten waren nicht mehr, wo der Posten der Gefahr den Bürger lockte – jetzt schwieg selbst der Ehrgeiz vor der Angst. So begnügte sich die Nobilität, einen schwächlichen Versuch zu machen, den Wahlumtrieben durch Erlassung eines neuen Gesetzes über den Stimmenkauf zu steuern -was übrigens an der Interzession eines Volkstribunen scheiterte – und ihre Stimmen auf einen Bewerber zu werfen, der ihr zwar auch nicht genehm, aber doch wenigstens unschädlich war. Es war dies Marcus Cicero, notorisch ein politischer Achselträger28, gewohnt bald mit den Demokraten, bald mit Pompeius, bald aus etwas weiterer Ferne mit der Aristokratie zu liebäugeln und jedem einflußreichen Beklagten ohne Unterschied der Person oder Partei – auch Catilina zählte er unter seinen Klienten – Advokatendienste zu leisten, eigentlich von keiner Partei oder, was ziemlich dasselbe ist, von der Partei der materiellen Interessen, die in den Griechen dominierte und den beredten Sachwalter, den höflichen und witzigen Gesellschafter gern hatte. Er hatte Verbindungen genug in der Hauptstadt und den Landstädten, um neben den vor der Demokratie aufgestellten Kandidaten eine Chance zu haben; und da auch die Nobilität, obwohl nicht gern, und die Pompeianer für ihn stimmten, ward er mit großer Majorität gewählt. Die beiden Kandidaten der Demokratie erhielten fast gleich viele Stimmen, jedoch fielen auf Antonius, dessen Familie angesehener war als die seines Konkurrenten, einige mehr. Dieser Zufall vereitelte die Wahl Catilinas und rettete Rom vor einem zweiten Cinna. Schon etwas früher war Piso, es hieß auf Anstiften seines politischen und persönlichen Feindes Pompeius, in Spanien von seiner einheimischen Eskorte niedergemacht worden29. Mit dem Konsul Antonius allein war nichts anzufangen; Cicero sprengte das lockere Band, das ihn an die Verschwörung knüpfte, noch ehe sie beide ihre Ämter antraten, indem er auf die von Rechts wegen ihm zustehende Losung um die Konsularprovinzen Verzicht leistete und dem tief verschuldeten Kollegen die einträgliche Statthalterschaft Makedonien überließ. Die wesentlichen Vorbedingungen auch dieses Anschlags waren also gefallen.

Inzwischen entwickelten die orientalischen Verhältnisse sich immer bedrohlicher für die Demokratie. Die Ordnung Syriens schritt rasch vorwärts; schon waren von Ägypten Aufforderungen an Pompeius ergangen, daselbst einzurücken und das Land für Rom einzuziehen; man mußte fürchten, demnächst zu vernehmen, daß Pompeius selbst das Niltal in Besitz genommen habe. Eben hierdurch mag Caesars Versuch, sich geradezu vom Volke nach Ägypten senden zu lassen, um dem Könige gegen seine aufrührerischen Untertanen Beistand zu leisten, hervorgerufen worden sein; er scheiterte, wie es scheint, an der Abneigung der Großen und Kleinen, irgend etwas gegen Pompeius‘ Interesse zu unternehmen. Pompeius‘ Heimkehr und damit die wahrscheinliche Katastrophe rückten immer näher; wie oft auch die Sehne gerissen war, es mußte doch wieder versucht werden, denselben Boten zu spannen. Die Stadt war in dumpfer Gärung: häufige Konferenzen der Häupter der Bewegung deuteten an, daß wieder etwas im Werke sei. Was das sei, ward offenbar, als die neuen Volkstribune ihr Amt antraten (10. Dezember 690 64) und sogleich einer von ihnen, Publius Servillius Rullus, ein Ackergesetz beantragte, das den Führern der Demokraten eine ähnliche Stellung verschaffen sollte, wie sie infolge der Gabinisch-Manilischen Anträge Pompeius einnahm. Der nominelle Zweck war die Gründung von Kolonien in Italien, wozu der Boden indes nicht durch Expropriation gewonnen werden sollte – vielmehr wurden alle bestehenden Privatrechte garantiert, ja sogar die widerrechtlichen Okkupationen der jüngsten Zeit in volles Eigentum umgewandelt. Nur die verpachtete kampanische Domäne sollte parzelliert und kolonisiert werden, im übrigen die Regierung das zur Assignation bestimmte Land durch gewöhnlichen Kauf erwerben. Um die hierzu nötigen Summen zu beschaffen, sollte das übrige italische und vor allem alles außeritalische Domanialland sukzessiv zum Verkauf gebracht werden; worunter namentlich die ehemaligen königlichen Tafelgüter in Makedonien, dem Thrakischen Chersones, Bithynien, Pontus, Kyrene, ferner die Gebiete der nach Kriegsrecht zu vollem Eigen gewonnenen Städte in Spanien, Afrika, Sizilien, Hellas, Kilikien verstanden waren. Verkauft werden sollte ingleichen alles, was der Staat an beweglichen und unbeweglichem Gut seit dem Jahre 666 (88) erworben und worüber er nicht früher verfügt hatte; was hauptsächlich auf Ägypten und Kypros zielte. Zu dem gleichen Zweck wurden alle untertänigen Gemeinden mit Ausnahme der Städte latinischen Rechts und der sonstigen Freistädte mit sehr hoch gegriffenen Gefällen und Zehnten belastet. Ebenfalls ward endlich für jene Ankäufe bestimmt der Ertrag der neuen Provinzialgefälle, anzurechnen vom Jahre 692 (62) und der Erlös aus der sämtlichen, noch nicht gesetzmäßig verwandten Beute; welche Anordnungen auf die neuen, von Pompeius im Osten eröffneten Steuerquellen und auf die in den Händen des Pompeius und der Erben Sullas befindlichen öffentlichen Gelder sich bezog. Zur Ausführung dieser Maßregel sollten Zehnmänner mit eigener Jurisdiktion und eigenem Imperium ernannt werden, welche fünf Jahre im Amte zu bleiben und mit 200 Unterbeamten aus dem Ritterstand sich zu umgeben hatten; bei der Wahl der Zehnmänner aber sollten nur die Kandidaten, die persönlich sich melden würden, berücksichtigt werden dürfen und, ähnlich wie bei den Priesterwahlen, nur siebzehn durch Los aus den fünfunddreißig zu bestimmende Bezirke wählen. Es war ohne großen Scharfsinn zu erkennen, daß man in diesem Zehnmännerkollegium eine der des Pompeius nachgebildete, nur etwas weniger militärisch und mehr demokratisch gefärbte Gewalt zu schaffen beabsichtigte. Man bedurfte der Gerichtsbarkeit namentlich, um die ägyptische Frage zu entscheiden, der Militärgewalt, um gegen Pompeius zu rüsten; die Klausel, welche die Wahl eines Abwesenden untersagte, schloß Pompeius aus, und die Verminderung der stimmberechtigten Bezirke sowie die Manipulation des Auslosens sollten die Lenkung der Wahl im Sinne der Demokratie erleichtern.

Indes dieser Versuch verfehlte gänzlich sein Ziel. Die Menge, die es bequemer fand, das Getreide im Schatten der römischen Hallen aus den öffentlichen Magazinen sich zumessen zu lassen, als es im Schweiße des Angesichts selber zu bauen, nahm den Antrag an sich schon mit vollkommener Gleichgültigkeit auf. Sie fühlte auch bald heraus, daß Pompeius einen solchen, in jeder Hinsicht ihn verletzenden Beschluß sich nimmermehr gefallen lassen werde und daß es nicht gut stehen könne mit einer Partei, die in ihrer peinlichen Angst sich zu so ausschweifenden Anerbietungen herbeilasse. Unter solchen Umständen fiel es der Regierung nicht schwer, den Antrag zu vereiteln; der neue Konsul Cicero nahm die Gelegenheit wahr, sein Talent, offene Türen einzulaufen, auch hier geltend zu machen; noch ehe die bereitstehenden Tribune interzedierten, zog der Urheber selbst den Vorschlag zurück (1. Januar 691 62). Die Demokratie hatte nichts gewonnen als die unerfreuliche Belehrung, daß die große Menge in Liebe oder in Furcht fortwährend noch zu Pompeius hielt und daß jeder Antrag sicher fiel, den das Publikum als gegen Pompeius gerichtet erkannte.

Ermüdet von all diesem vergeblichen Wühlen und resultatlosem Planen, beschloß Catilina, die Sache zur Entscheidung zu treiben und ein für allemal ein Ende zu machen. Er traf im Laufe des Sommers seine Maßregeln, um den Bürgerkrieg zu eröffnen. Faesulae (Fiesole), eine sehr feste Stadt in dem von Verarmten und Verschworenen wimmelnden Etrurien und fünfzehn Jahre zuvor der Herd des Lepidianischen Aufstandes, ward wiederum zum Hauptquartier der Insurrektion ausersehen. Dorthin gingen die Geldsendungen, wozu namentlich die in die Verschwörung verwickelten vornehmen Damen der Hauptstadt die Mittel hergaben; dort wurden Waffen und Soldaten gesammelt; ein alter sullanischer Hauptmann, Gaius Manlius, so tapfer und so frei von Gewissensskrupeln wie nur je ein Lanzknecht, übernahm daselbst vorläufig den Oberbefehl. Ähnliche wenn auch minder ausgedehnte Zurüstungen wurden an andern Punkten Italiens gemacht. Die Transpadaner waren so aufgeregt, daß sie nur auf das Zeichen zum Losschlagen zu warten schienen. Im bruttischen Lande, an der Ostküste Italiens, in Capua, wo überall große Sklavenmassen angehäuft waren, schien eine zweite Sklaveninsurrektion, gleich der des Spartacus, im Entstehen. Auch in der Hauptstadt bereitete etwas sich vor; wer die trotzige Haltung sah, in der die vorgeforderten Schuldner vor dem Stadtprätor erschienen, mußte der Szenen gedenken, die der Ermordung des Asellio vorangegangen waren. Die Kapitalisten schwebten in namenloser Angst; es zeigte sich nötig, das Verbot der Gold- und Silberausfuhr einzuschärfen und die Haupthäfen überwachen zu lassen. Der Plan der Verschworenen war, bei der Konsulwahl für 692 (62) zu der Catilina sich wieder gemeldet hatte, den wahlleitenden Konsul sowie die unbequemen Mitbewerber kurzweg niederzumachen und Catilinas Wahl um jeden Preis durchzusetzen, nötigenfalls selbst bewaffnete Scharen von Faesulae und den anderen Sammelpunkten gegen die Hauptstadt zu führen und mit ihnen den Widerstand zu brechen.

Cicero, beständig durch seine Agenten und Agentinnen von den Verhandlungen der Verschworenen rasch und vollständig unterrichtet, denunzierte an dem anberaumten Wahltag (20. Oktober) die Verschwörung in vollem Senat und im Beisein ihrer hauptsächlichsten Führer. Catilina ließ sich nicht dazu herab zu leugnen; er antwortete trotzig, wenn die Wahl zum Konsul auf ihn fallen sollte, so werde es allerdings der großen hauptlosen Partei gegen die kleine, von elenden Häuptern geleitete an einem Führer nicht länger fehlen. Indes da handgreifliche Beweise des Komplotts nicht vorlagen, war von dem ängstlichen Senat nichts weiter zu erreichen, als daß er in der üblichen Weise den von den Beamten zweckmäßig befundenen Ausnahmemaßregeln im voraus seine Sanktion erteilte (21. Oktober). So nahte die Wahlschlacht, diesmal mehr eine Schlacht als eine Wahl; denn auch Cicero hatte aus den jüngeren Männern namentlich des Kaufmannsstandes sich eine bewaffnete Leibwache gebildet; und seine Bewaffneten waren es, die am 28. Oktober, auf welchen Tag die Wahl vom Senat verschoben worden war, das Marsfeld bedeckten und beherrschten. Den Verschworenen gelang es weder, den wahlleitenden Konsul niederzumachen noch die Wahlen in ihrem Sinne zu entscheiden.

Inzwischen aber hatte der Bürgerkrieg begonnen. Am 27. Oktober hatte Gaius Manlius bei Faesulae den Adler aufgepflanzt, um den die Armee der Insurrektion sich scharen sollte – es war einer der Marianischen aus dem Kimbrischen Kriege –, und die Räuber aus den Bergen wie das Landvolk aufgerufen, sich ihm anzuschließen. Seine Proklamationen forderten, anknüpfend an die alten Traditionen der Volkspartei, Befreiung von der erdrückendem Schuldenlast und Milderung des Schuldprozesses, der, wenn der Schuldbestand in der Tat das Vermögen überstieg, allerdings immer noch rechtlich den Verlust der Freiheit für den Schuldner nach sich zog. Es schien, als wolle das hauptstädtische Gesindel, indem es gleichsam als legitimer Nachfolger der alten plebejischen Bauernschaft auftrat und unter den ruhmvollen Adlern des Kimbrischen Krieges seine Schlachten schlug, nicht bloß die Gegenwart, sondern auch die Vergangenheit Roms beschmutzen. Indes blieb diese Schilderhebung vereinzelt; in den anderen Sammelpunkten kam die Verschwörung nicht hinaus über Waffenaufhäufung und Veranstaltung geheimer Zusammenkünfte, da es überall an entschlossenen Führern gebrach. Es war ein Glück für die Regierung; denn wie offen auch seit längerer Zeit der bevorstehende Bürgerkrieg angekündigt war, hatten doch die eigene Unentschlossenheit und die Schwerfälligkeit der verrosteten Verwaltungsmaschinerie ihr nicht gestattet, irgendwelche militärische Vorbereitungen zu treffen. Erst jetzt ward der Landsturm aufgerufen und wurden in die einzelnen Landschaften Italiens höhere Offiziere kommandiert, um jeder in seinem Bezirk die Insurrektion zu unterdrücken, zugleich aus der Hauptstadt die Fechtersklaven ausgewiesen und wegen der befürchteten Brandstiftungen Patrouillen angeordnet. Catilina war in einer peinlichen Lage. Nach seiner Absicht hatte bei den Konsularwahlen gleichzeitig in der Hauptstadt und in Etrurien Iosgeschlagen werden sollen; das Scheitern der ersteren und das Ausbrechen der zweiten Bewegung gefährdete ihn persönlich wie den ganzen Erfolg seines Unternehmens. Nachdem einmal die Seinigen bei Faesulae die Waffen gegen die Regierung erhaben hatten, war in Rom seines Bleibens nicht mehr; und dennoch lag ihm nicht bloß alles daran, die hauptstädtische Verschwörung jetzt wenigstens zum raschen Losschlagen zu bestimmen, sondern wußte dies auch geschehen sein, bevor er Rom verließ – denn er kannte seine Gehilfen zu gut, um sich dafür auf sie zu verlassen. Die angesehenen unter den Mitverschworenen, Publius Lentulus Sura, Konsul 683 (71), später aus dem Senat gestoßen und jetzt, um in den Senat zurückzugelangen, wieder Prätor, und die beiden gewesenen Prätoren Publius Autronius und Lucius Cassius waren unfähige Menschen, Lentulus ein gewöhnlicher Aristokrat von großen Warten und großen Ansprüchen, aber langsam im Begreifen und unentschlossen im Handeln, Autronius durch nichts ausgezeichnet als durch seine gewaltige Kreischstimme; von Lucius Cassius gar begriff es niemand, wie ein so dicker und so einfältiger Mensch unter die Verschwörer geraten sei. Die fähigeren Teilnehmer aber, wie den jungen Senator Gaius Cethegus und die Ritter Lucius Statilius und Publius Gabinius Capito, durfte Catilina nicht wagen, an die Spitze zu stellen, da selbst unter den Verschworenen noch die traditionelle Standeshierarchie ihren Platz behauptete und auch die Anarchisten nicht meinten, obsiegen zu können, wenn nicht ein Konsular oder mindestens ein Prätorier an der Spitze stand. Wie dringend darum immer die Insurrektionsarmee nach ihrem Feldherrn verlangte und wie mißlich es für diesen war, nach dem Ausbruch des Aufstandes länger am Sitze der Regierung zu verweilen, entschloß Catilina sich dennoch, vorläufig noch in Rom zu bleiben. Gewohnt, durch seinen kecken Übermut den feigen Gegnern zu imponieren, zeigte er sich öffentlich auf dem Markte wie im Rathaus und antwortete auf die Drohungen, die dort gegen ihn fielen, daß man sich hüten möge, ihn aufs äußerste zu treiben; wem man das Haus anzünde, der werde genötigt, den Brand unter Trümmern zu löschen. In der Tat wagten es weder Private noch Behörden, auf den gefährlichen Menschen die Hand zulegen; es war ziemlich gleichgültig, daß ein junger Adliger ihn wegen Vergewaltigung vor Gericht zog, denn bevor der Prozeß zu Ende kommen konnte, mußte längst anderweitig entschieden sein. Aber auch Catilinas Entwürfe scheiterten, hauptsächlich daran, daß die Agenten der Regierung sich in den Kreis der Verschworenen gedrängt hatten und dieselbe stets von allem Detail des Kornplatts genau unterrichtet hielten. Als zum Beispiel die Verschworenen vor dem festen Praeneste erschienen (1. November), das sie durch einen Handstreich zu überrumpeln gehofft hatten, fanden sie die Bewohner gewarnt und gerüstet; und in ähnlicher Weise schlug alles fehl. Catilina fand bei all seiner Tollkühnheit es doch geraten, jetzt seine Abreise auf einen der nächsten Tage festzusetzen; vorher aber wurde noch auf seine dringende Mahnung in einer letzten Zusammenkunft der Verschworenen in der Nacht vom 6. auf den 7. November beschlossen, den Konsul Cicero, der die Kontermine hauptsächlich leitete, noch vor der Abreise des Führers zu ermorden und, um jedem Verrat zuvorzukommen, diesen Beschluß augenblicklich ins Werk zu setzen. Früh am Morgen des 7. November pochten denn auch die erkorenen Mörder an dem Hause des Konsuls; aber sie sahen die Wachen verstärkt und sich selber abgewiesen – auch diesmal hatten die Spione der Regierung den Verschworenen den Rang abgelaufen. Am Tage darauf (8. November) berief Cicero den Senat. Noch jetzt wagte es Catilina zu erscheinen und gegen die zornigen Angriffe des Konsuls, der ihm ins Gesicht die Vorgänge der letzten Tage enthüllte, eine Verteidigung zu versuchen, aber man hörte nicht mehr auf ihn und in der Nähe des Platzes, auf dem er saß, leerten sich die Bänke. Er verließ die Sitzung und begab sich, wie er übrigens auch ohne diesen Zwischenfall ohne Zweifel getan haben würde, der Verabredung gemäß nach Etrurien. Hier rief er sich selber zum Konsul aus und nahm eine zuwartende Stellung, um auf die erste Meldung von dem Ausbruch einer Insurrektion in der Hauptstadt die Truppen gegen dieselbe in Bewegung zu setzen. Die Regierung erklärte die beiden Führer Catilina und Manlius sowie diejenigen ihrer Genossen, die nicht bis zu einem bestimmten Tag die Waffen niedergelegt haben würden, in die Acht und rief neue Milizen ein; aber an die Spitze des gegen Catilina Gestimmten Heeres ward der Konsul Gaius Antonius gestellt, der notorisch in die Verschwörung verwickelt war und bei dessen Charakter es durchaus vom Zufall abhing, ob er seine Truppen gegen Catilina oder ihm zuführen werde. Man schien es geradezu darauf angelegt zu haben, aus diesem Antonius einen zweiten Lepidus zu machen. Ebensowenig ward eingeschritten gegen die in der Hauptstadt zurückgebliebenen Leiter der Verschwörung, obwohl jedermann mit Fingern auf sie wies und die Insurrektion in der Hauptstadt von den Verschworenen nichts weniger als aufgegeben, vielmehr der Plan derselben noch von Catilina selbst vor seinem Abgang von Rom festgelegt worden war. Ein Tribun sollte durch Berufung einer Volksversammlung das Zeichen geben, die Nacht darauf Cethegus den Konsul Cicero aus dem Wege räumen, Gabinius und Statilius die Stadt an zwölf Stellen zugleich in Brand stecken und mit dem inzwischen herangezogenen Heere Catilinas die Verbindung in möglichster Geschwindigkeit hergestellt werden. Hätten Cethegus‘ dringende Vorstellungen gefruchtet und Lentulus, der nach Catilinas Abreise an die Spitze der Verschworenen gestellt war, sich zu raschem Losschlagen entschlossen, so konnte die Verschwörung auch jetzt noch gelingen. Allein die Konspiratoren waren gerade ebenso unfähig und ebenso feig wie ihre Gegner; Wochen verflossen und es kam zu keiner Entscheidung.

Endlich führte die Kontermine sie herbei. In seiner weitläufigen und gern die Säumigkeit in dem Nächsten und Notwendigen durch die Entwerfung fernliegender und weitsichtiger Pläne bedeckenden Art hatte Lentulus sich mit den eben in Rom anwesenden Deputierten eines Keltengaus, der Allobrogen, eingelassen und diese, die Vertreter eines gründlich zerrütteten Gemeinwesens und selber tief verschuldet, versucht in die Verschwörung zu verwickeln, auch ihnen bei ihrer Abreise Boten und Briefe an die Vertrauten mitgegeben. Die Allobrogen verließen Rom, wurden aber in der Nacht vom 2. auf den 3. Dezember hart an den Toren von den römischen Behörden angehalten und ihre Papiere ihnen abgenommen. Es zeigte sich, daß die allobrogischen Abgeordneten sich zu Spionen der römischen Regierung hergegeben und die Verhandlungen nur deshalb geführt hatten, um dieser die gewünschten Beweisstücke gegen die Hauptleiter der Verschwörung in die Hände zu spielen. Am Morgen darauf wurden von Cicero in möglichster Stille Verhaftsbefehle gegen die gefährlichsten Führer des Komplotts erlassen und gegen Lentulus, Cethegus, Gabinius und Statilius auch vollzogen, während einige andere durch die Flucht der Festnehmung entgingen. Die Schuld der Ergriffenen wie der Flüchtigen war vollkommen evident. Unmittelbar nach der Verhaftung wurden dem Senat die weggenommenen Briefschaften vorgelegt, zu deren Siegel und Handschrift die Verhafteten nicht umhin konnten, sich zu bekennen, und die Gefangenen und Zeugen verhört; weitere bestätigende Tatsachen, Waffenniederlagen in den Häusern der Verschworenen, drohende Äußerungen, die sie getan, ergaben sich alsbald; der Tatbestand der Verschwörung war vollständig und rechtskräftig festgestellt und die wichtigsten Aktenstücke sogleich auf Ciceros Veranstaltung durch fliegende Blätter publiziert.

Die Erbitterung gegen die anarchistische Verschwörung war allgemein. Gern hätte die oligarchische Partei die Enthüllungen benutzt, um mit der Demokratie überhaupt und namentlich mit Caesar abzurechnen, allein sie war viel zu gründlich gesprengt, um dies durchsetzen und ihm das Ende bereiten zu können, das sie vor Zeiten den beiden Gracchen und dem Saturninus bereitet hatte; in dieser Hinsicht blieb es bei dem guten Willen. Die hauptstädtische Menge empörten namentlich die Brandstiftungspläne der Verschworenen. Die Kaufmannschaft und die ganze Partei der materiellen Interessen erkannte in diesem Krieg der Schuldner gegen die. Gläubiger natürlich einen Kampf um ihre Existenz; in stürmischer Aufregung drängte sich ihre Jugend, die Schwerter in den Händen, um das Rathaus und zückte dieselben gegen die offenen und heimlichen Parteigenossen Catilinas. In der Tat war für den Augenblick die Verschwörung paralysiert; wenn auch vielleicht ihre letzten Urheber noch auf freien Füßen waren, so war doch der ganze mit der Ausführung beauftragte Stab der Verschwörung entweder gefangen oder auf der Flucht; der bei Faesulae versammelte Haufen konnte ohne Unterstützung durch eine Insurrektion in der Hauptstadt unmöglich viel ausrichten.

In einem leidlich geordneten Gemeinwesen wäre die Sache hiermit politisch zu Ende gewesen und hätten das Militär und die Gerichte das weitere übernommen. Allein in Rom war es so weit gekommen, daß die Regierung nicht einmal ein paar angesehene Adlige in sicherem Gewahrsam zu halten imstande war. Die Sklaven und Freigelassenen des Lentulus und der übrigen Verhafteten regten sich; Pläne, hieß es, seien geschmiedet, um sie mit Gewalt aus den Privathäusern, in denen sie gefangen saßen, zu befreien; es fehlte, dank dem anarchischen Treiben der letzten Jahre, in Rom nicht an Bandenführern, die nach einer gewissen Taxe Aufläufe und Gewalttaten in Akkord nahmen; Catilina endlich war von dem Ereignis benachrichtigt und nahe genug, um mit seinen Scharen einer. dreisten Streich zu versuchen. Wieviel an diesen Reden Wahres war, läßt sich nicht sagen; die Besorgnisse aber waren gegründet, da der Verfassung gemäß in der Hauptstadt der Regierung weder Truppen noch auch nur eine achtunggebietende Polizeimacht zu Gebote stand und sie in der Tat jedem Banditenhaufen preisgegeben war. Der Gedanke ward laut, eile etwaigen Befreiungsversuche durch sofortige Hinrichtung der Gefangenen abzuschneiden. Verfassungmäßig war dies nicht möglich. Nach dem altgeheiligten Provokationsrecht konnte über den Gemeindebürger ein Todesurteil nur von der gesamten Bürgerschaft und sonst von keiner andren Behörde verhängt werden; seit die Bürgerschaftsgerichte selbst zur Antiquität geworden waren, ward überhaupt nicht mehr auf den Tod erkannt. Gern hätte Cicero das bedenkliche Ansinnen zurückgewiesen; so gleichgültig auch an sich die Rechtsfrage dem Advokaten sein mochte, er wußte wohl, wie nützlich es ebendiesem ist, liberal zu heißen, und verspürte wenig Lust, durch dies vergossene Blut sich auf ewig von der demokratischen Partei zu scheiden. Indes seine Umgebung, namentlich seine vornehme Gemahlin drängten ihn, seine Verdienste um das Vaterland durch diesen kühnen Schritt zu krönen; der Konsul, wie alle Feigen ängstlich bemüht, den Schein der Feigheit zu vermeiden und doch auch vor der furchtbaren Verantwortung zitternd, berief in seiner Not den Senat und überließ es diesem, über Leben und Tod der vier Gefangenen zu entscheiden. Freilich hatte dies keinen Sinn; denn da der Senat verfassungmäßig noch viel weniger hierüber erkennen konnte als der Konsul, so fiel rechtlich doch immer alle Verantwortung auf den letzteren zurück; aber wann ist je die Feigheit konsequent gewesen? Caesar bot alles auf, um die Gefangenen zu retten, und seine Rede voll versteckter Drohungen vor der künftigen unausbleiblichen Rache der Demokratie machte den tiefsten Eindruck. Obwohl bereits sämtliche Konsulare und die große Majorität des Senats sich für die Hinrichtung ausgesprochen hatten, schienen doch nun wieder die meisten, Cicero voran, sich zur Enthaltung der rechtlichen Schranken zu neigen. Allein indem Cato nach Rabulistenart die Verfechter der milderen Meinung der Mitwisserschaft an dem Komplott verdächtigte und auf die Vorbereitungen zur Befreiung der Gefangenen durch einen Straßenaufstand hinwies, wußte er die schwankenden Seelen wieder in eine andere Furcht zu werfen und für die sofortige Hinrichtung der Verbrecher die Majorität zu gewinnen. Die Vollziehung des Beschlusses lag natürlich dem Konsul ob, der ihn hervorgerufen hatte. Spät am Abend des fünften Dezembers wurden die Verhafteten aus ihren bisherigen Quartieren abgeholt und über den immer noch dicht von Menschen vollgedrängten Marktplatz in das Gefängnis gebracht, worin die zum Tode verurteilten Verbrecher aufbewahrt zu werden pflegten. Es war ein unterirdisches, zwölf Fuß tiefes Gewölbe am Fuß des Kapitols, das ehemals als Brunnenhaus gedient hatte. Der Konsul selbst führte den Lentulus, Prätoren die übrigen, alle von starken Wachen begleitet; doch fand der Befreiungsversuch, den man erwartete, nicht statt. Niemand wußte, ob die Verhafteten in ein gesichertes Gewahrsam oder zur Richtstätte geführt wurden. An der Türe des Kerkers wurden sie den Dreimännern übergeben, die die Hinrichtungen leiteten, und in dem unterirdischen Gewölbe bei Fackelschein erdrosselt. Vor der Türe hatte, bis die Exekutionen vollzogen waren, der Konsul gewartet und rief darauf über den Markt hin mit seiner lauten wohlbekannten Stimme der stumm harrenden Menge die Worte zu: „Sie sind tot!“ Bis tief in die Nacht hinein wogten die Haufen durch die Straßen und begrüßten jubelnd den Konsul, dem sie meinten, die Sicherung ihrer Häuser und ihrer Habe schuldig geworden zu sein. Der Rat ordnete öffentliche Dankfeste an und die ersten Männer der Nobilität, Marcus Cato und Quintus Catulus, begrüßten den Urheber des Todesurteils mit dem – hier zuerst vernommenen – Namen eines Vaters des Vaterlandes.

Aber es war eine grauenvolle Tat und nur um so grauenvoller, weil sie einem ganzen Volke als groß und preisenswert erschien. Elender hat sich wohl nie ein Gemeinwesen bankrott erklärt, als Rom durch diesen, mit kaltem Blute von der Majorität der Regierung gefaßten, von der öffentlichen Meinung gebilligten Beschluß, einige politische Gefangene, die nach den Gesetzen zwar strafbar waren, aber das Leben nicht verwirkt hatten, eiligst umzubringen, weil man der Sicherheit der Gefängnisse nicht traute und es keine ausreichende Polizei gab! Es war der humoristische Zug, der selten einer geschichtlichen Tragödie fehlt, daß dieser Akt der brutalsten Tyrannei von dem haltungslosesten und ängstlichsten aller römischen Staatsmänner vollzogen werden mußte und daß der „erste demokratische Konsul“ dazu ausersehen war, das Palladium der alten römischen Gemeindefreiheit, das Provokationsrecht, zu zerstören.

Nachdem in der Hauptstadt die Verschwörung erstickt worden war noch bevor sie zum Ausbruch kam, blieb es noch übrig, der Insurrektion in Etrurien ein Ende zu machen. Der Heerbestand von etwa 2000 Mann, den Catilina vorfand, hatte sich durch die zahlreich herbeiströmenden Rekruten nahezu verfünffacht und bildete schon zwei ziemlich vollzählige Legionen, worin freilich nur etwa der vierte Teil der Mannschaft genügend bewaffnet war. Catilina hatte sich mit ihnen in die Berge geworfen und ein Schlacht mit den Truppen des Antonius vermieden, um die Organisierung seiner Scharen zu vollenden und den Ausbruch des Aufstandes in Rom abzuwarten. Aber die Nachricht von dem Scheitern desselben sprengte auch die Armee der Insurgenten: die Masse der minder Kompromittierten ging daraufhin wieder nach Hause. Der zurückbleibende Rest entschlossener oder vielmehr verzweifelter Leute machte einen Versuch, sich durch die Apenninenpässe nach Gallien durchzuschlagen; aber als die kleine Schar an dem Fuß des Gebirges bei Pistoria (Pistoja) anlangte, fand sie sich hier von zwei Heeren in die Mitte genommen. Vor sich hatte sie das Korps des Quintus Metellus, das von Ravenna und Ariminum herangezogen war, um den nördlichen Abhang des Apennin zu besetzen; hinter sich die Armee des Antonius, der dem Drängen seiner Offiziere endlich nachgegeben und sich zu einem Winterfeldzuge verstanden hatte. Catilina war nach beiden Seiten hin eingekeilt und die Lebensmittel gingen zu Ende; es blieb nichts übrig, als sich auf den näherstehenden Feind, das heißt auf Antonius zu werfen. In einem engen von felsigen Bergen eingeschlossenen Tale kam es zum Kampfe zwischen den Insurgenten und den Truppen des Antonius, welche derselbe, um die Exekution gegen seine ehemaligen Verbündeten wenigstens nicht selbst vollstrecken zu müssen, für diesen Tag unter einem Vorwand einem tapferen, unter den Waffen ergrauten Offizier, dem Marcus Petreius, anvertraut hatte. Die Übermacht der Regierungsarmee kam bei der Beschaffenheit des Schlachtfeldes wenig in Betracht. Catilina wie Petreius stellten ihre zuverlässigsten Leute in die vordersten Reihen; Quartier ward weder gegeben noch genommen. Lange stand der Kampf und von beiden Seiten fielen viele tapfere Männer; Catilina, der vor dem Anfange der Schlacht sein Pferd und die der sämtlichen Offiziere zurückgeschickt hatte, bewies an diesem Tage, daß ihn die Natur zu nicht gewöhnlichen Dingen bestimmt hatte und daß er es verstand, zugleich als Feldherr zu kommandieren und als Soldat zu fechten. Endlich sprengte Petreius mit seiner Garde das Zentrum des Feindes und faßte, nachdem er dies geworfen hatte, die beiden Flügel von innen; der Sieg war damit entschieden. Die Leichen der Catilinarier – man zählte ihrer 3000 – deckten gleichsam in Reihe und Glied den Boden, wo sie gefochten hatten; die Offiziere und der Feldherr selbst hatten, da alles verloren war, sich in die Feinde gestürzt und dort den Tod gesucht und gefunden (Anfang 692 62). Antonius ward wegen dieses Sieges vom Senat mit dem Imperatorentitel gebrandmarkt und neue Dankfeste bewiesen, daß Regierung und Regierte anfingen, sich an den Bürgerkrieg zu gewöhnen.

Das anarchistische Komplott war also in der Hauptstadt wie in Italien mit blutiger Gewalt niedergeschlagen worden; man ward nur noch an dasselbe erinnert durch die Kriminalprozesse, die in den etruskischen Landstädten und in der Hauptstadt unter den Affiliierten der geschlagenen Partei aufräumten, und durch die anschwellenden italischen Räuberbanden, wie deren zum Beispiel eine aus den Resten der Heere des Spartacus und des Catilina erwachsene im Jahre 694 (60) im Gebiet von Thurii durch Militärgewalt vernichtet ward. Aber es ist wichtig, es im Auge zu behalten, daß der Schlag keineswegs bloß die eigentlichen Anarchisten traf, die zur Anzündung der Hauptstadt sich verschworen und bei Pistoria gefochten hatten, sondern die ganze demokratische Partei. Daß diese, insbesondere Crassus und Caesar, hier so gut wie bei dem Komplott von 688 (66) die Hand im Spiele hatten, darf als eine nicht juristisch, aber historisch ausgemachte Tatsache angesehen werden. Zwar daß Catulus und die übrigen Häupter der Senatspartei den Führer der Demokraten der Mitwisserschaft um das anarchistische Komplott ziehen und daß dieser als Senator gegen den von der Oligarchie beabsichtigten brutalen Justizmord sprach und stimmte, konnte nur von der Parteischikane als Beweis seiner Beteiligung an den Plänen Catilinas geltend gemacht werden. Aber mehr ins Gewicht fällt eine Reihe anderer Tatsachen. Nach ausdrücklichen und unabweisbaren Zeugnissen waren es vor allen Crassus und Caesar, die Catilinas Bewerbung um das Konsulat unterstützten. Als Caesar 690 (64) die Schergen Sullas vor das Mordgericht zog, ließ er die übrigen verurteilen, den schuldigsten und schädlichsten aber von ihnen allen, den Catilina, freisprechen. Bei den Enthüllungen des dritten Dezember nannte Cicero zwar unter den Namen der bei ihm angezeigten Verschworenen die der beiden einflußreichen Männer nicht; allein es ist notorisch, daß die Denunzianten nicht bloß auf diejenigen aussagten, gegen die nachher die Untersuchung gerichtet ward, sondern außerdem noch auf „viele Unschuldige“, die der Konsul Cicero aus dem Verzeichnis zu streichen für gut fand; und in späteren Jahren, als er keine Ursache hatte, die Wahrheit zu entstellen, hat eben er ausdrücklich Caesar unter den Mitwissern genannt. Eine indirekte, aber sehr verständliche Bezichtigung liegt auch darin, daß von den vier am dritten Dezember Verhafteten die beiden am wenigsten gefährlichen, Statilius und Gabinius, den Senatoren Caesar und Crassus zur Bewachung übergeben wurden; offenbar sollten sie entweder, wenn sie sie entrinnen ließen, vor der öffentlichen Meinung als Mitschuldige oder, wenn sie in der Tat sie festhielten, vor ihren Mitverschworenen als Abtrünnige kompromittiert werden. Bezeichnend für die Situation ist die folgende im Senat vorgefallene Szene. Unmittelbar nach der Verhaftung des Lentulus und seiner Genossen wurde ein von den Verschworenen in der Hauptstadt an Catilina abgesandter Bote von den Agenten der Regierung aufgegriffen und derselbe, nachdem ihm Straflosigkeit zugesichert war, in voller Senatssitzung ein umfassendes Geständnis abzulegen veranlaßt. Wie er aber an die bedenklichen Teile seiner Konfession kam und namentlich als seinen Auftraggeber den Crassus nannte, ward er von den Senatoren unterbrochen und auf Ciceros Vorschlag beschlossen, die ganze Angabe ohne weitere Untersuchung zu kassieren, ihren Urheber aber ungeachtet der zugesicherten Amnestie so lange einzusperren, bis er nicht bloß die Angabe zurückgenommen, sondern auch bekannt haben werde, wer ihn zu solchem falschen Zeugnis aufgestiftet habe! Hier liegt es deutlich zu Tage, nicht bloß daß jener Mann die Verhältnisse recht genau kannte, der auf die Aufforderung, einen Angriff auf Crassus zu machen, zur Antwort gab, er habe keine Lust, den Stier der Herde zu reizen, sondern auch daß die Senatsmajorität, Cicero an der Spitze, unter sich einig geworden war, die Enthüllungen nicht über eine bestimmte Grenze vorschreiten zu lassen. Das Publikum war so heikel nicht; die jungen Leute, die zur Abwehr der Mordbrenner die Waffen ergriffen hatten, waren gegen keinen so erbittert wie gegen Caesar; sie richteten am fünften Dezember, als er die Kurie verließ, die Schwerter auf seine Brust und es fehlte nicht viel, daß er schon jetzt an derselben Stelle sein Leben gelassen hätte, wo siebzehn Jahre später ihn der Todesstreich traf; längere Zeit hat er die Kurie nicht wieder betreten. Wer überall den Verlauf der Verschwörung unbefangen erwägt, wird des Argwohns sich nicht zu erwehren vermögen, daß während dieser ganzen Zeit hinter Catilina mächtigere Männer standen, welche, gestützt auf den Mangel rechtlich vollständiger Beweise und auf die Lauheit und Feigheit der nur halb eingeweihten und nach jedem Vorwande zur Untätigkeit begierig greifenden Senatsmehrheit, es verstanden, jedes ernstliche Einschreiten der Behörden gegen die Verschwörung zu hemmen, dem Chef der Insurgenten freien Abzug zu verschaffen und selbst die Kriegserklärung und Truppensendungen gegen die Insurrektion so zu lenken, daß sie beinahe auf die Sendung einer Hilfsarmee hinauslief. Wenn also der Gang der Ereignisse selbst dafür zeugt, daß die Fäden des Catilinarischen Komplotts weit höher hinaufreichen als bis zu Lentulus und Catilina, so wird auch das Beachtung verdienen, daß in viel späterer Zeit, als Caesar an die Spitze des Staates gelangt war, er mit dem einzigen noch übrigen Catilinarier, dem mauretanischen Freischarenführer Publius Sittius, im engsten Bündnis stand, und daß er das Schuldrecht ganz in dem Sinne milderte, wie es die Proklamationen des Manlius begehrten.

All diese einzelnen Inzichten reden deutlich genug; wäre das aber auch nicht, die verzweifelte Lage der Demokratie gegenüber der seit den Gabinisch-Manilischen Gesetzen drohender als je ihr zur Seite sich erhebenden Militärgewalt macht es an sich schon fast zur Gewißheit, daß sie, wie es in solchen Fällen zu gehen pflegt, in den geheimen Komplotten und dem Bündnis mit der Anarchie eine letzte Hilfe gesucht hat. Die Verhältnisse waren denen der cinnanischen Zeit sehr ähnlich. Wenn im Osten Pompeius eine Stellung einnahm ungefähr wie damals Sulla, so suchten Crassus und Caesar ihm gegenüber in Italien eine Gewalt aufzurichten, wie Marius und Cinna sie besessen hatten, um sie dann womöglich besser als diese zu benutzen. Der Weg dahin ging wieder durch Terrorismus und Anarchie, und diesen zu bahnen war Catilina allerdings der geeignete Mann. Natürlich hielten die reputierlicheren Führer der Demokratie sich hierbei möglichst im Hintergrund und überließen den unsauberen Genossen die Ausführung der unsauberen Arbeit, deren politisches Resultat sie späterhin sich zuzueignen hofften. Noch mehr wandten, als das Unternehmen gescheitert war, die höhergestellten Teilnehmer alles an, um ihre Beteiligung daran zu verhüllen. Und auch in späterer Zeit, als der ehemalige Konspirator selbst die Zielscheibe der politischen Komplotte geworden war, zog ebendarum über diese düsteren Jahre in dem Leben des großen Mannes der Schleier nur um so dichter sich zusammen und wurden in diesem Sinne sogar eigene Apologien für ihn geschrieben30.

Seit fünf Jahren stand Pompeius im Osten an der Spitze seiner Heere und Flotten; seit fünf Jahren konspirierte die Demokratie daheim, um ihn zu stürzen. Das Ergebnis war entmutigend. Mit unsäglichen Anstrengungen hatte man nicht bloß nichts erreicht, sondern moralisch wie materiell ungeheure Einbuße gemacht. Schon die Koalition vom Jahre 683 (71) mußte den Demokraten vom reinen Wasser ein Ärgernis sein, obwohl die Demokratie damals nur mit zwei angesehenen Männern der Gegenpartei sich einließ und diese auf ihr Programm verpflichtete. Jetzt aber hatte die demokratische Partei gemeinschaftliche Sache gemacht mit einer Bande von Mördern und Bankerottierern, die fast alle gleichfalls Überläufer aus dem Lager der Aristokratie waren, und hatte deren Programm, das heißt den Cinnanischen Terrorismus, wenigstens vorläufig akzeptiert. Die Partei der materiellen Interessen, eines der Hauptelemente der Koalition von 683 (71) wurde hierdurch der Demokratie entfremdet und zunächst den Optimaten, überhaupt aber jeder Macht, die Schutz vor der Anarchie gewähren wollte und konnte, in die Arme getrieben. Selbst die hauptstädtische Menge, die zwar gegen einen Straßenkrawall nichts einzuwenden hatte, aber es doch unbequem fand, sich das Haus über dem Kopfe anzünden zu lassen, ward einigermaßen scheu. Es ist merkwürdig, daß eben in diesem Jahr (691 63) die volle Wiederherstellung der Sempronischen Getreidespenden stattfand, und zwar von Seiten des Senats auf den Antrag Catos. Offenbar hatte der Bund der Demokratenführer mit der Anarchie zwischen jene und die Stadtbürgerschaft einen Keil getrieben, und suchte die Oligarchie, nicht ohne wenigstens augenblicklichen Erfolg, diesen Riß zu erweitern und die Massen auf ihre Seite hinüberzuziehen. Endlich war Gnaeus Pompeius durch all diese Kabalen teils gewarnt, teils erbittert worden; nach allem, was vorgefallen war, und nachdem die Demokratie die Bande, die sie mit Pompeius verknüpften, selber so gut wie zerrissen hatte, konnte sie nicht mehr schicklicherweise von ihm begehren, was im Jahre 684 (70) eine gewisse Billigkeit für sich gehabt hatte, daß er die demokratische Macht, die er und die ihn emporgebracht, nicht selber mit dem Schwerte zerstöre. So war die Demokratie entehrt und geschwächt; vor allen Dingen aber war sie lächerlich geworden durch die unbarmherzige Aufdeckung ihrer Ratlosigkeit und Schwäche. Wo es sich um die Demütigung des gestürzten Regiments und ähnliche Nichtigkeiten handelte, war sie groß und gewaltig; aber jeder ihrer Versuche, einen wirklich politischen Erfolg zu erreichen, war platt zur Erde gefallen. Ihr Verhältnis zu Pompeius war so falsch wie kläglich. Während sie ihn mit Lobsprüchen und Huldigungen überschüttete, spann sie gegen ihn eine Intrige nach der anderen, die eine nach der anderen, Seifenblasen gleich, von selber zerplatzten. Der Feldherr des Ostens und der Meere, weit entfernt, sich dagegen zur Wehr zu setzen, schien das ganze geschäftige Treiben nicht einmal zu bemerken und seine Siege über sie zu erfechten wie Herakles den über die Pygmäen, ohne selber darum gewahr zu werden. Der Versuch, den Bürgerkrieg zu entflammen, war jämmerlich gescheitert; hatte die anarchistische Fraktion wenigstens einige Energie entwickelt, so hatte die reine Demokratie die Rotten wohl zu dingen verstanden, aber weder sie zu führen, noch sie zu retten, noch mit ihnen zu sterben. Selbst die alte todesmatte Oligarchie hatte, gestärkt durch die aus den Reihen der Demokratie zu ihr übertretenden Massen und vor allem durch die in dieser Angelegenheit unverkennbare Gleichheit ihrer Interessen und derjenigen des Pompeius, es vermocht, diesen Revolutionsversuch niederzuschlagen und damit noch einen letzten Sieg über die Demokratie zu erfechten. Inzwischen war König Mithradates gestorben, Kleinasien und Syrien geordnet, Pompeius‘ Heimkehr nach Italien jeden Augenblick zu erwarten. Die Entscheidung war nicht fern; aber konnte in der Tat noch die Rede sein von einer Entscheidung zwischen dem Feldherrn, der ruhmvoller und gewaltiger als je zurückkam, und der beispiellos gedemütigten und völlig machtlosen Demokratie? Crassus schickte sich an, seine Familie und sein Gold zu Schiffe zu bringen und irgendwo im Osten eine Freistatt aufzusuchen; und selbst eine so elastische und so energische Natur wie Caesar schien im Begriff, das Spiel verloren zu geben. In dieses Jahr (691 63) fällt seine Bewerbung um die Stelle des Oberpontifex; als er am Morgen der Wahl seine Wohnung verließ, äußerte er, wenn auch dieses ihm fehlschlage, werde er, die Schwelle seines Hauses nicht wieder überschreiten.

  1. Wer die Gesamtlage der politischen Verhältnisse dieser Zeit übersieht, wird spezieller Beweise nicht bedürfen, um zu der Einsicht zu gelangen, daß das letzte Ziel der demokratischen Machinationen 688f. (66) nicht der Sturz des Senats war, sondern der des Pompeius. Doch fehlt es auch an solchen Beweisen nicht. Daß die Gabinisch-Manilischen Gesetze der Demokratie einen tödlichen Schlag versetzten, sagt Sallust (Cat. 39); daß die Verschwörung 688-689 (66-65) und die Servilische Rogation speziell gegen Pompeius gerichtet waren, ist gleichfalls bezeugt (Sall. Cat. 19; Val. Max. 6, 2, 4; Cic. leg. agr. 2, 17, 46). Überdies zeigt Crassus‘ Stellung zu der Verschwörung allein schon hinreichend, daß sie gegen Pompeius gerichtet war.
  2. Plut. Crass. 13; Cic. leg. agr. 2, 17, 44. In dies Jahr (689 65) gehört Ciceros Rede De rege Alexandrino, die man unrichtig in das Jahr 698 (56) gesetzt hat. Cicero widerlegt darin, wie die Fragmente deutlich zeigen, Crassus‘ Behauptung, daß durch das Testament des Königs Alexandros Ägypten römisches Eigentum geworden sei. Diese Rechtsfrage konnte und mußte im Jahre 689 (65) diskutiert werden; im Jahre 698 (56) aber war sie durch das Julische Gesetz von 695 (59) bedeutungslos geworden. Auch handelte es sich im Jahre 698 (56) gar nicht um die Frage, wem Ägypten gehöre, sondern um die Zurückführung des durch einen Aufstand vertriebenen Königs, und es hat bei dieser uns genau bekannten Verhandlung Crassus keine Rolle gespielt. Endlich war Cicero nach der Konferenz von Luca durchaus nicht in der Lage, gegen einen der Triumvirn ernstlich zu opponieren.
  3. Die Ambrani (Suet. Caes. 9) sind wohl nicht die mit den Kimbern zusammen genannten Ambronen (Plot. Mar. 19), sondern verschrieben für Arverni.
  4. Naiver kann dies nicht ausgesprochen werden, als es in der seinem Bruder untergeschobenen Denkschrift geschieht (pet. 1, 5; 13, 51 53 vom Jahre 690 64); der Bruder selbst würde schwerlich sich so offenherzig öffentlich geäußert haben. Als authentisches Belegstück dazu werden unbefangene Leute nicht ohne Interesse die zweite Rede gegen Rullus lesen, wo der „erste demokratische Konsul“, in sehr ergötzlicher Weise das liebe Publikum nasführend, ihm die „richtige Demokratie“ entwickelt.
  5. Seine noch vorhandene Grabschrift lautet: Cn. Calpurnius Cn, f. Piso quaestor pro pr. ex s. c. provinciam Hispaniam citeriorem optinuit.
  6. Eine solche ist der ‚Catilina‘ des Sallustius, der von dem Verfasser, einem notorischen Caesarianer, nach dem Jahre 708 (46) entweder unter Caesars Alleinherrschaft oder wahrscheinlicher unter dem Triumvirat seiner Erben veröffentlicht wurde; offenbar als politische Tendenzschrift, welche sich bemüht, die demokratische Partei, auf welcher ja die römische Monarchie beruht, zu Ehren zu bringen und Caesars Andenken von dem schwärzesten Fleck, der darauf haftete, zu reinigen, nebenher auch den Oheim des Trimvirn Marcus Antonius möglichst weißzuwaschen (vgl. z. B. c. 59 mit Dio 37, 39). Ganz ähnlich soll der ‚Jugurtha‘ desselben Verfassers teils die Erbärmlichkeit des oligarchischen Regiments aufdecken, teils den Koryphäen der Demokratie Gaius Marius verherrlichen. Daß der gewandte Schriftsteller den apologetischen und akkusatorischen Charakter dieser seiner Bücher zurücktreten läßt, beweist nicht, daß sie keine, sondern daß sie gute Parteischriften sind.