9. Kapitel

Kunst und Wissenschaft

Die Entwicklung der Kunst und namentlich der Dichtkunst steht im Altertum im engsten Zusammenhang mit der Entwicklung der Volksfeste. Das schon in der vorigen Epoche wesentlich unter griechischem Einfluß, zunächst als außerordentliche Feier, geordnete Dankfest der römischen Gemeinde, die „großen“ oder „römischen Spiele“, nahm während der gegenwärtigen an Dauer wie an Mannigfaltigkeit der Belustigungen zu. Ursprünglich beschränkt auf die Dauer eines Tages wurde das Fest nach der glücklichen Beendigung der drei großen Revolutionen von 245, 260 und 387 (509, 494 und 367) jedesmal um einen Tag verlängert und hatte am Ende dieser Periode also bereits eine viertägige Dauer68

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Denn an Dichtern fehlte es in Latium nicht. Latinische „Vaganten“ oder „Bänkelsänger“ (grassatores, spatiatores) zogen von Stadt zu Stadt und von Haus zu Haus und trugen ihre Lieder (saturae) mit gestikulierendem Tanz zur Flötenbegleitung vor. Das Maß war natürlich das einzige, das es damals gab, das sogenannte saturnische. Eine bestimmte Handlung lag den Liedern nicht zugrunde, und ebensowenig scheinen sie dialogisiert gewesen zu sein; man wird sich dieselben nach dem Muster jener eintönigen, bald improvisierten, bald rezitierten Ballaten und Tarantellen vorstellen dürfen, wie man sie heute noch in den römischen Osterien zu hören bekommt. Dergleichen Lieder kamen denn auch früh auf die öffentliche Bühne und sind allerdings der erste Keim des römischen Theaters geworden. Aber diese Anfänge der Schaubühne sind in Rom nicht bloß, wie überall, bescheiden, sondern in bemerkenswerter Weise gleich von vornherein bescholten. Schon die Zwölf Tafeln treten dem üblen und nichtigen Singsang entgegen, indem sie nicht bloß auf Zauber-, sondern selbst auf Spottlieder, die man auf einen Mitbürger verfertigt oder ihm vor der Türe absingt, schwere Kriminalstrafen setzen und die Zuziehung von Klagefrauen bei der Bestattung verbieten. Aber weit strenger als durch die gesetzlichen Restriktionen ward die beginnende Kunstübung durch den sittlichen Bann getroffen, welchen der philisterhafte Ernst des römischen Wesens gegen diese leichtsinnigen und bezahlten Gewerbe schleuderte. „Das Dichterhandwerk“, sagt Cato, „war sonst nicht angesehen; wenn jemand damit sich abgab oder bei den Gelagen sich anhängte, so hieß er ein Bummler.“ Wer nun aber gar Tanz, Musik und Bänkelgesang für Geld betrieb, ward bei der immer mehr sich festsetzenden Bescholtenheit eines jeden durch Dienstverrichtungen gegen Entgelt gewonnenen Lebensunterhalts von einem zwiefachen Makel getroffen. Wenn daher das Mitwirken bei den landüblichen maskierten Charakterpossen als ein unschuldiger jugendlicher Mutwille betrachtet ward, so galt das Auftreten auf der öffentlichen Bühne für Geld und ohne Masken geradezu für schändlich, und der Sänger und Dichter stand dabei mit dem Seiltänzer und dem Hanswurst völlig in gleicher Reihe. Dergleichen Leute wurden durch die Sittenmeister regelmäßig für unfähig erklärt, in dem Bürgerheer zu dienen und in der Bürgerversammlung zu stimmen. Es wurde ferner nicht bloß, was allein schon bezeichnend genug ist, die Bühnendirektion betrachtet als zur Kompetenz der Stadtpolizei gehörig, sondern es ward auch der Polizei wahrscheinlich schon in dieser Zeit gegen die gewerbmäßigen Bühnenkünstler eine außerordentliche arbiträre Gewalt eingeräumt. Nicht allein hielten die Polizeiherren nach vollendeter Aufführung über sie Gericht, wobei der Wein für die geschickten Leute ebenso reichlich floß, wie für den Stümper die Prügel fielen, sondern es waren auch sämtliche städtische Beamte gesetzlich befugt, über jeden Schauspieler zu jeder Zeit und an jedem Orte körperliche Züchtigung und Einsperrung zu verhängen. Die notwendige Folge davon war, daß Tanz, Musik und Poesie, wenigstens soweit sie auf der öffentlichen Bühne sich zeigten, den niedrigsten Klassen der römischen Bürgerschaft und vor allem den Fremden in die Hände fielen; und wenn in dieser Zeit die Poesie dabei noch überhaupt eine zu geringe Rolle spielte, als daß fremde Künstler mit ihr sich beschäftigt hätten, so darf dagegen die Angabe, daß in Rom die gesamte sakrale und profane Musik wesentlich etruskisch, also die alte, einst offenbar hochgehaltene latinische Flötenkunst durch die fremdländische unterdrückt war, schon für diese Zeit gültig erachtet werden.

Von einer poetischen Literatur ist keine Rede. Weder die Maskenspiele noch die Bühnenrezitationen können eigentlich feste Texte gehabt haben, sondern wurden je nach Bedürfnis regelmäßig von den Vortragenden selbst verfertigt. Von schriftstellerischen Arbeiten aus dieser Zeit wußte man späterhin nichts aufzuzeigen als eine Art römischer ‚Werke und Tage‘, eine Unterweisung des Bauern an seinen Sohn70

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Wie die Anfänge der römischen Schaubühne so gehören auch die Anfänge der römischen Geschichtschreibung in diese Epoche, sowohl der gleichzeitigen Aufzeichnung der merkwürdigen Ereignisse wie der konventionellen Feststellung der Vorgeschichte der römischen Gemeinde.

Die gleichzeitige Geschichtschreibung knüpft an das Beamtenverzeichnis an. Das am weitesten zurückreichende, das den späteren römischen Forschern vorgelegen hat und mittelbar auch uns noch vorliegt, scheint aus dem Archiv des kapitolinischen Jupitertempels herzurühren, da es von dem Konsul Marcus Horatius an, der denselben am 13. September seines Amtsjahres einweihte, die Namen der jährigen Gemeindevorsteher aufführt, auch auf das unter den Konsuln Publius Servilius und Lucius Aebutius (nach der jetzt gangbaren Zählung 291 der Stadt 463) bei Gelegenheit einer schweren Seuche erfolgte Gelöbnis: von da an jedes hundertste Jahr in die Wand des kapitolinischen Tempels einen Nagel zu schlagen, Rücksicht nimmt. Späterhin sind es die Maß- und Schriftgelehrten der Gemeinde, das heißt die Pontifices, welche die Namen der jährigen Gemeindevorsteher von Amts wegen verzeichnen und also mit der älteren Monat- eine Jahrtafel verbinden; beide werden seitdem unter dem – eigentlich nur der Gerichtstagtafel zukommenden – Namen der Fasten zusammengefaßt. Diese Einrichtung mag nicht lange nach der Abschaffung des Königtums getroffen sein, da in der Tat, um die Reihenfolge der öffentlichen Akte konstatieren zu können, die offizielle Verzeichnung der Jahrbeamten dringendes praktisches Bedürfnis war; aber wenn es ein so altes offizielles Verzeichnis der Gemeindebeamten gegeben hat, so ist dies wahrscheinlich im gallischen Brande (364-390) zugrunde gegangen und die Liste des Pontifikalkollegiums nachher aus der von dieser Katastrophe nicht betroffenen kapitolinischen, so weit diese zurückreichte, ergänzt worden. Daß das uns vorliegende Vorsteherverzeichnis zwar in den Nebensachen, besonders den genealogischen Angaben nach der Hand aus den Stammbäumen des Adels vervollständigt worden ist, im wesentlichen aber von Anfang an auf gleichzeitige und glaubwürdige Aufzeichnungen zurückgeht, leidet keinen Zweifel; die Kalenderjahre aber gibt dasselbe nur unvollkommen und annähernd wieder, da die Gemeindevorsteher nicht mit dem Neujahr, ja nicht einmal mit einem ein für allemal festgestellten Tage antraten, sondern aus mancherlei Veranlassungen der Antrittstag sich hin und her schob und die häufig zwischen zwei Konsulaten eintretenden Zwischenregierungen in der Rechnung nach Amtsjahren ganz ausfielen. Wollte man dennoch nach dieser Vorsteherliste die Kalenderjahre zählen, so war es nötig, den Antritts- und Abgangstag eines jeden Kollegiums nebst den etwaigen Interregnen mit anzumerken; und auch dies mag früh geschehen sein. Außerdem aber wurde die Liste der Jahrbeamten zur Kalenderjahrliste in der Weise hergerichtet, daß man durch Akkommodation jedem Kalenderjahr ein Beamtenpaar zuteilte und, wo die Liste nicht ausreichte, Fülljahre einlegte, welche in der späteren (Varronischen) Tafel mit den Ziffern 379-383, 421, 430, 445, 453 bezeichnet sind. Vom Jahre 291 (463) ist die römische Liste nachweislich, zwar nicht im einzelnen, wohl aber im ganzen, mit dem römischen Kalender in Übereinstimmung, also insoweit chronologisch sicher, als die Mangelhaftigkeit des Kalenders selbst dies verstattet; die jenseits jenes Jahres liegenden 47 Jahrstellen entziehen sich der Kontrolle, werden aber wenigstens in der Hauptsache gleichfalls richtig sein73; was jenseits des Jahres 245 (509) liegt, ist chronologisch verschollen.

Eine gemeingebräuchliche Ära hat sich nicht gebildet; doch ist in sakralen Verhältnissen gezählt worden nach dem Einweihungsjahr des kapitolinischen Jupitertempels, von wo ab ja auch die Beamtenliste lief.

Nahe lag es, neben den Namen der Beamten die wichtigsten unter ihrer Amtsführung vorgefallenen Ereignisse anzumerken; und aus solchen, dem Beamtenkatalog beigefügten Nachrichten ist die römische Chronik, ganz wie aus den der Ostertafel beigeschriebenen Notizen die mittelalterliche, hervorgegangen. Aber erst spät kam es zu der Anlegung einer förmlichen, die Namen sämtlicher Beamten und die merkwürdigen Ereignisse Jahr für Jahr stetig verzeichnenden Chronik (liber annalis) durch die Pontifices. Vor der unter dem 5. Juni 351 (403) angemerkten Sonnenfinsternis, womit wahrscheinlich die vom 20. Juni 354 (400) gemeint ist, fand sich in der späteren Stadtchronik keine Sonnenfinsternis nach Beobachtung verzeichnet; die Zensuszahlen derselben fangen erst seit dem Anfang des fünften Jahrhunderts der Stadt an, glaublich zu lauten; die vor dem Volk geführten Bußsachen und die von Gemeinde wegen gesühnten Wunderzeichen scheint man erst seit der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts regelmäßig in die Chronik eingetragen zu haben. Allem Anschein nach hat die Einrichtung eines geordneten Jahrbuchs und, was sicher damit zusammenhängt, die eben erörterte Redaktion der älteren Beamtenliste zum Zweck der Jahrzählung mittels Einlegung der chronologisch nötigen Fülljahre in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts stattgefunden. Aber auch nachdem sich die Übung festgestellt hatte, daß es dem Oberpontifex obliege, Kriegsläufte und Kolonisierungen, Pestilenz und teuere Zeit, Finsternisse und Wunder, Todesfälle der Priester und anderer angesehener Männer, die neuen Gemeindebeschlüsse, die Ergebnisse der Schatzung Jahr für Jahr aufzuschreiben und diese Anzeichnungen in seiner Amtwohnung zu bleibendem Gedächtnis und zu jedermanns Einsicht aufzustellen, war man damit von einer wirklichen Geschichtschreibung noch weit entfernt. Wie dürftig die gleichzeitige Aufzeichnung noch am Schlusse dieser Periode war und wie weiten Spielraum sie der Willkür späterer Annalisten gestattete, zeigt mit schneidender Deutlichkeit die Vergleichung der Berichte über den Feldzug vom Jahre 456 (298) in den Jahrbüchern und auf der Grabschrift des Konsuls Scipio74. Die späteren Historiker waren augenscheinlich außerstande, aus diesen Stadtbuchnotizen einen lesbaren und einigermaßen zusammenhängenden Bericht zu gestalten; und auch wir würden, selbst wenn uns das Stadtbuch noch in seiner ursprünglichen Fassung vorläge, schwerlich daraus die Geschichte der Zeit pragmatisch zu schreiben vermögen. Indes gab es solche Stadtchroniken nicht bloß in Rom, sondern jede latinische Stadt hat wie ihre Pontifices, so auch ihre Annalen besessen, wie dies aus einzelnen Notizen zum Beispiel für Ardea, Ameria, Interamna am Nar deutlich hervorgeht; und mit der Gesamtheit dieser Stadtchroniken hätte vielleicht sich etwas Ähnliches erreichen lassen, wie es für das frühere Mittelalter durch die Vergleichung der verschiedenen Klosterchroniken erreicht worden ist. Leider hat man in Rom späterhin es vorgezogen, die Lücke vielmehr durch hellenische oder hellenisierende Lüge zu füllen.

Außer diesen freilich dürftig angelegten und unsicher gehandhabten offiziellen Veranstaltungen zur Feststellung der verflossenen Zeiten und vergangenen Ereignisse können in dieser Epoche kaum Aufzeichnungen vorgekommen sein, welche der römischen Geschichte unmittelbar gedient hätten. Von Privatchroniken findet sich keine Spur. Nur ließ man sich in den vornehmen Häusern es angelegen sein, die auch rechtlich so wichtigen Geschlechtstafeln festzustellen und den Stammbaum zu bleibendem Gedächtnis auf die Wand des Hausflurs zu malen. An diesen Listen, die wenigstens auch die Ämter nannten, fand nicht bloß die Familientradition einen Halt, sondern es knüpften sich hieran auch wohl früh biographische Aufzeichnungen. Die Gedächtnisreden, welche in Rom bei keiner vornehmen Leiche fehlen durften und regelmäßig von dem nächsten Verwandten des Verstorbenen gehalten wurden, bestanden wesentlich nicht bloß in der Aufzählung der Tugenden und Würden des Toten, sondern auch in der Aufzählung der Taten und Tugenden seiner Ahnen; und so gingen auch sie wohl schon in frühester Zeit traditionell von einer Generation auf die andere über. Manche wertvolle Nachricht mochte hierdurch erhalten, freilich auch manche dreiste Verdrehung und Fälschung in die Überlieferung eingeführt werden.

Aber wie die Anfänge der wirklichen Geschichtschreibung gehören ebenfalls in diese Zeit die Anfänge der Aufzeichnung und konventionellen Entstellung der Vorgeschichte Roms. Die Quellen dafür waren natürlich dieselben wie überall. Einzelne Namen, wie die der Könige Numa, Ancus, Tullus, denen die Geschlechtsnamen wohl erst später zugeteilt worden sind, und einzelne Tatsachen, wie die Besiegung der Latiner durch König Tarquinius und die Vertreibung des tarquinischen Königsgeschlechts mochten in allgemeiner, mündlich fortgepflanzter wahrhafter Überlieferung fortleben. Anderes lieferte die Tradition der adligen Geschlechter, wie zum Beispiel die Fabiererzählungen mehrfach hervortreten. In anderen Erzählungen wurden uralte Volksinstitutionen, besonders mit großer Lebendigkeit rechtliche Verhältnisse symbolisiert und historisiert; so die Heiligkeit der Mauern in der Erzählung vom Tode des Remus, die Abschaffung der Blutrache in der von dem Ende des Königs Tatius, die Notwendigkeit der die Pfahlbrücke betreffenden Ordnung in der Sage von Horatius Cocles75, die Entstehung des Gnadenurteils der Gemeinde in der schönen Erzählung von den Horatiern und Curiatiern, die Entstehung der Freilassung und des Bürgerrechts der Freigelassenen in derjenigen von der Tarquinierverschwörung und dem Sklaven Vindicius. Ebendahin gehört die Geschichte der Stadtgründung selbst, welche Roms Ursprung an Latium und die allgemeine latinische Metropole Alba anknüpfen soll. Zu den Beinamen der vornehmen Römer entstanden historische Glossen, wie zum Beispiel Publius Valerius der „Volksdiener“ (Poplicola) einen ganzen Kreis derartiger Anekdoten um sich gesammelt hat, und vor allem knüpften an den heiligen Feigenbaum und andere Plätze und Merkwürdigkeiten der Stadt sich in großer Menge Küstererzählungen von der Art derjenigen an, aus denen über ein Jahrtausend später auf demselben Boden die Mirabilia Urbis erwuchsen. Eine gewisse Zusammenknüpfung dieser verschiedenen Märchen, die Feststellung der Reihe der sieben Könige, die ohne Zweifel auf der Geschlechterrechnung ruhende Ansetzung ihrer Regierungszeit insgesamt auf 240 Jahre76 und selbst der Anfang offizieller Aufzeichnung dieser Ansetzungen hat wahrscheinlich schon in dieser Epoche stattgefunden: die Grundzüge der Erzählung und namentlich deren Quasichronologie treten in der späteren Tradition mit so unwandelbarer Festigkeit auf, daß schon darum ihre Fixierung nicht in, sondern vor die literarische Epoche Roms gesetzt werden muß. Wenn bereits im Jahre 458 (296) die an den Zitzen der Wölfin saugenden Zwillinge Romulus und Remus in Erz gegossen an dem heiligen Feigenbaum aufgestellt wurden, so müssen die Römer, die Latium und Samnium bezwangen, die Entstehungsgeschichte ihrer Vaterstadt nicht viel anders vernommen haben als wir sie bei Livius lesen; sogar die Aboriginer, das sind die „Vonanfanganer“, dies naive Rudiment der geschichtlichen Spekulation des latinischen Stammes, begegnen schon um 465 (289) bei dem sizilischen Schriftsteller Kallias. Es liegt in der Natur der Chronik, daß sie zu der Geschichte die Vorgeschichte fügt und wenn nicht bis auf die Entstehung von Himmel und Erde, doch wenigstens bis auf die Entstehung der Gemeinde zurückgeführt zu werden verlangt; und es ist auch ausdrücklich bezeugt, daß die Tafel der Pontifices das Gründungsjahr Roms angab. Danach darf angenommen werden, daß das Pontifikalkollegium, als es in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts anstatt der bisherigen spärlichen und in der Regel wohl auf die Beamtennamen sich beschränkenden Aufzeichnungen zu der Anlegung einer förmlichen Jahreschronik fortschritt, auch die zu Anfang fehlende Geschichte der Könige Roms und ihres Sturzes hinzufügte und, indem es auf den Einweihungstag des kapitolinischen Tempels, den 13. September 245 (509), zugleich die Stiftung der Republik setzte, einen freilich nur scheinhaften Zusammenhang zwischen der zeitlosen und der annalistischen Erzählung herstellte. Daß bei dieser ältesten Aufzeichnung der Ursprünge Roms auch der Hellenismus seine Hand im Spiele gehabt hat, ist kaum zu bezweifeln; die Spekulation über Ur- und spätere Bevölkerung, über die Priorität des Hirtenlebens vor dem Ackerbau und die Umwandlung des Menschen Romulus in den Gott Quirinus sehen ganz griechisch aus, und selbst die Trübung der echt nationalen Gestalten des frommen Numa und der weisen Egeria durch die Einmischung fremdländischer pythagoreischer Urweisheit scheint keineswegs zu den jüngsten Bestandteilen der römischen Vorgeschichte zu gehören.

Analog diesen Anfängen der Gemeinde sind auch die Stammbäume der edlen Geschlechter in ähnlicher Weise vervollständigt und in beliebter heraldischer Manier durchgängig auf erlauchte Ahnen zurückgeführt worden; wie denn zum Beispiel die Aemilier, Calpurnier, Pinarier und Pomponier von den vier Söhnen des Numa: Mamercus, Calpus, Pinus und Pompo, die Aemilier überdies noch von dem Sohne des Pythagoras Mamercus, der „Wohlredende“ (αιμύλος) genannt, abstammen wollten.

Dennoch darf trotz der überall hervortretenden hellenischen Reminiszenzen diese Vorgeschichte der Gemeinde wie der Geschlechter wenigstens relativ eine nationale genannt werden, insofern sie teils in Rom entstanden, teils ihre Tendenz zunächst nicht darauf gerichtet ist, eine Brücke zwischen Rom und Griechenland, sondern eine Brücke zwischen Rom und Latium zu schlagen.

Es war die hellenische Erzählung und Dichtung, welche jener anderen Aufgabe sich unterzog. Die hellenische Sage zeigt durchgängig das Bestreben, mit der allmählich sich erweiternden geographischen Kunde Schritt zu halten und mit Hilfe ihrer zahllosen Wander- und Schiffergeschichten eine dramatisierte Erdbeschreibung zu gestalten. Indes verfährt sie dabei selten naiv. Ein Bericht wie der des ältesten Rom erwähnenden griechischen Geschichtswerkes, der sizilischen Geschichte des Antiochos von Syrakus (geschlossen 330 424): daß ein Mann namens Sikelos aus Rom nach Italia, das heißt nach der brettischen Halbinsel gewandert sei – ein solcher, einfach die Stammverwandtschaft der Römer, Siculer und Brettier historisierender und von aller hellenisierenden Färbung freier Bericht ist eine seltene Erscheinung. Im ganzen ist die Sage, und je später desto mehr, beherrscht von der Tendenz, die ganze Barbarenwelt darzustellen als von den Griechen entweder ausgegangen oder doch unterworfen; und früh zog sie in diesem Sinn ihre Fäden auch über den Westen. Für Italien sind weniger die Herakles- und Argonautensage von Bedeutung geworden, obwohl bereits Hekatäos († nach 257 497) die Säulen des Herakles kennt und die Argo aus dem Schwarzen Meer in den Atlantischen Ozean, aus diesem in den Nil und zurück in das Mittelmeer führt, als die an den Fall Ilions anknüpfenden Heimfahrten. Mit der ersten aufdämmernden Kunde von Italien beginnt auch Diomedes im Adriatischen, Odysseus im Tyrrhenischen Meer zu irren, wie denn wenigstens die letztere Lokalisierung schon der Homerischen Fassung der Sage nahe genug lag. Bis in die Zeiten Alexanders hinein haben die Landschaften am Tyrrhenischen Meer in der hellenischen Fabulierung zum Gebiet der Odysseussage gehört; noch Ephoros, der mit dem Jahre 414 (340) schloß, und der sogenannte Skylax (um 418 336) folgen wesentlich dieser. Von troischen Seefahrten weiß die ganze ältere Poesie nichts; bei Homer herrscht Aeneas nach Ilions Fall über die in der Heimat zurückbleibenden Troer. Erst der große Mythenwandler Stesichoros (122-201 632-553) führte in seiner ‚Zerstörung Ilions‘ den Aeneas in das Westland, um die Fabelwelt seiner Geburts- und seiner Wahlheimat, Siziliens und Unteritaliens, durch den Gegensatz der troischen Helden gegen die hellenischen poetisch zu bereichern. Von ihm rühren die seitdem feststehenden dichterischen Umrisse dieser Fabel her, namentlich die Gruppe des Helden, wie er mit der Gattin und dem Söhnchen und dem alten, die Hausgötter tragenden Vater aus dem brennenden Ilion davongeht, und die wichtige Identifizierung der Troer mit den sizilischen und italischen Autochthonen, welche besonders in dem troischen Trompeter Misenos, dem Eponymos des Misenischen Vorgebirges, schon deutlich hervortritt77. Den alten Dichter leitete dabei das Gefühl, daß die italischen Barbaren den Hellenen minder fern als die übrigen standen und das Verhältnis der Hellenen und der Italiker dichterisch angemessen dem der homerischen Achäer und Troer gleich gefaßt werden konnte. Bald mischt sich denn diese neue Troerfabel mit der älteren Odysseussage, indem sie zugleich sich weiter über Italien verbreitet. Nach Hellanikos (schrieb um 350 400) kamen Odysseus und Aeneas durch die thrakische und molottische (epeirotische) Landschaft nach Italien, wo die mitgeführten troischen Frauen die Schiffe verbrennen und Aeneas die Stadt Rom gründet und sie nach dem Namen einer dieser Troerinnen benennt; ähnlich, nur minder unsinnig, erzählte Aristoteles (370-432 384-322), daß ein achäisches, an die latinische Küste verschlagenes Geschwader von den troischen Sklavinnen angezündet worden und aus den Nachkommen der also zum Dableiben genötigten achäischen Männer und ihrer troischen Frauen die Latiner hervorgegangen seien. Damit mischten denn auch sich Elemente der einheimischen Sage, wovon der rege Verkehr zwischen Sizilien und Italien wenigstens gegen das Ende dieser Epoche schon die Kunde bis nach Sizilien verbreitet hatte; in der Version von Roms Entstehung, welche der Sizilianer Kallias um 465 (289) aufzeichnete, sind Odysseus-, Aeneas- und Romulusfabeln ineinandergeflossen78. Aber der eigentliche Vollender der später geläufigen Fassung dieser Troerwanderung ist Timaeos von Tauromenion auf Sizilien, der sein Geschichtswerk 492 (262) schloß. Er ist es, bei dem Aeneas zuerst Lavinium mit dem Heiligtum der troischen Penaten und dann erst Rom gründet; er muß auch schon die Tyrerin Elisa oder Dido in die Aeneassage eingeflochten haben, da bei ihm Dido Karthagos Gründerin ist und Rom und Karthago ihm in demselben Jahre erbaut heißen. Den Anstoß zu diesen Neuerungen gaben, neben der eben zu der Zeit und an dem Orte, wo Timaeos schrieb, sich vorbereitenden Krise zwischen den Römern und den Karthagern, offenbar gewisse nach Sizilien gelangte Berichte über latinische Sitten und Gebräuche; im wesentlichen aber kann die Erzählung nicht von Latium herübergenommen, sondern nur die eigene nichtsnutzige Erfindung der alten „Sammelvettel“ gewesen sein. Timaeos hatte von dem uralten Tempel der Hausgötter in Lavinium erzählen hören; aber daß diese den Lavinaten als die von den Aeneiaden aus Ilion mitgebrachten Penaten gälten, hat er ebenso sicher von dem Seinigen hinzugetan, wie die scharfsinnige Parallele zwischen dem römischen Oktoberroß und dem Trojanischen Pferde und die genaue Inventarisierung der lavinischen Heiligtümer – es waren, sagt der würdige Gewährsmann, Heroldstäbe von Eisen und Kupfer und ein tönerner Topf troischer Fabrik! Freilich durften eben die Penaten noch Jahrhunderte später durchaus von keinem geschaut werden; aber Timaeos war einer von den Historikern, die über nichts so genau Bescheid wissen als über unwißbare Dinge. Nicht mit Unrecht riet Polybios, der den Mann kannte, ihm nirgend zu trauen, am wenigsten aber da, wo er – wie hier – sich auf urkundliche Beweisstücke berufe. In der Tat war der sizilische Rhetor, der das Grab des Thukydides in Italien zu zeigen wußte und der für Alexander kein höheres Lob fand, als daß er schneller mit Asien fertig geworden sei als Isokrates mit seiner ‚Lobrede‘, vollkommen berufen, aus der naiven Dichtung der älteren Zeit den wüsten Brei zu kneten, welchem das Spiel des Zufalls eine so seltsame Zelebrität verliehen hat.

Inwieweit die hellenische Fabulierung über italische Dinge, wie sie zunächst in Sizilien entstand, schon jetzt in Italien selbst Eingang gefunden hat, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Die Anknüpfungen an den odysseischen Kreis, welche späterhin in den Gründungssagen von Tusculum, Praeneste, Antium, Ardea, Cortona begegnen, werden wohl schon in dieser Zeit sich angesponnen haben; und auch der Glaube an die Abstammung der Römer von Troern oder Troerinnen mußte schon am Schluß dieser Epoche in Rom feststehen, da die erste nachweisliche Berührung zwischen Rom und dem griechischen Osten die Verwendung des Senats für die „stammverwandten“ Ilier im Jahre 472 (282) ist. Daß aber dennoch die Aeneasfabel in Italien verhältnismäßig jung ist, beweist ihre im Vergleich mit der odysseischen höchst dürftige Lokalisierung; und die Schlußredaktion dieser Erzählungen sowie ihre Ausgleichung mit der römischen Ursprungssage gehört auf jeden Fall erst der Folgezeit an.

Während also bei den Hellenen die Geschichtschreibung, oder was so genannt ward, sich um die Vorgeschichte Italiens in ihrer Art bemühte, ließ sie in einer für den gesunkenen Zustand der hellenischen Historie ebenso bezeichnenden wie für uns empfindlichen Weise die gleichzeitige italische Geschichte so gut wie vollständig liegen. Kaum daß Theopomp von Chios (schloß 418 336) der Einnahme Roms durch die Kelten beiläufig gedachte und Aristoteles, Kleitarchos, Theophrastos, Herakleides von Pontos († um 450 300) einzelne Rom betreffende Ereignisse gelegentlich erwähnten; erst mit Hieronymos von Kardia, der als Geschichtschreiber des Pyrrhos auch dessen italische Kriege erzählte, wird die griechische Historiographie zugleich Quelle für die römische Geschichte.

Unter den Wissenschaften empfing die Jurisprudenz eine unschätzbare Grundlage durch die Aufzeichnung des Stadtrechts in den Jahren 303, 304 (451, 450). Dieses unter dem Namen der Zwölf Tafeln bekannte Weistum ist wohl das älteste römische Schriftstück, das den Namen eines Buches verdient. Nicht viel jünger mag der Kern der sogenannten „königlichen Gesetze“ sein, das heißt gewisser, vorzugsweise sakraler Vorschriften, die auf Herkommen beruhten und wahrscheinlich von dem Kollegium der Pontifices, das zur Gesetzgebung nicht, wohl aber zur Gesetzweisung befugt war, unter der Form königlicher Verordnungen zu allgemeiner Kunde gebracht wurden. Außerdem sind vermutlich schon seit dem Anfang dieser Periode wenn nicht die Volks-, so doch die wichtigsten Senatsbeschlüsse regelmäßig schriftlich verzeichnet worden; wie denn über deren Aufbewahrung bereits in den frühesten ständischen Kämpfen mitgestritten ward.

Während also die Masse der geschriebenen Rechtsurkunden sich mehrte, stellten auch die Grundlagen einer eigentlichen Rechtswissenschaft sich fest. Sowohl den jährlich wechselnden Beamten als den aus dem Volke herausgegriffenen Geschworenen war es Bedürfnis, an sachkundige Männer sich wenden zu können, welche den Rechtsgang kannten und nach Präzedentien oder in deren Ermangelung nach Gründen eine Entscheidung an die Hand zu geben wußten. Die Pontifices, die es gewohnt waren, sowohl wegen der Gerichtstage als wegen aller auf die Götterverehrung bezüglichen Bedenken und Rechtsakte vom Volke angegangen zu werden, gaben auch in anderen Rechtspunkten auf Verlangen Ratschläge und Gutachten ab und entwickelten so im Schoß ihres Kollegiums die Tradition, die dem römischen Privatrecht zugrunde liegt, vor allem die Formeln der rechten Klage für jeden einzelnen Fall. Ein Spiegel, der all diese Klagen zusammenfaßte, nebst einem Kalender, der die Gerichtstage angab, wurde um 450 (300) von Appius Claudius oder von dessen Schreiber Gnaeus Flavius dem Volk bekanntgemacht. Indes dieser Versuch, die ihrer selbst noch nicht bewußte Wissenschaft zu formulieren, steht für lange Zeit gänzlich vereinzelt da. Daß die Kunde des Rechtes und die Rechtweisung schon jetzt ein Mittel war, dem Volk sich zu empfehlen und zu Staatsämtern zu gelangen, ist begreiflich, wenn auch die Erzählung, daß der erste plebejische Pontifex Publius Sempronius Sophus (Konsul 450 304) und der erste plebejische Oberpontifex Tiberius Coruncanius (Konsul 474 280) diese Priesterehren ihrer Rechtskenntnis verdankten, wohl eher Mutmaßung Späterer ist als Überlieferung.

Daß die eigentliche Genesis der lateinischen und wohl auch der anderen italischen Sprachen vor diese Periode fällt und schon zu Anfang derselben die lateinische Sprache im wesentlichen fertig war, zeigen die freilich durch ihre halb mündliche Tradition stark modernisierten Bruchstücke der Zwölf Tafeln, welche wohl eine Anzahl veralteter Wörter und schroffer Verbindungen, namentlich infolge der Weglassung des unbestimmten Subjekts, aber doch keineswegs, wie das Arvalied, wesentliche Schwierigkeiten des Verständnisses darbieten und weit mehr mit der Sprache Catos als mit der der alten Litaneien übereinkommen. Wenn die Römer im Anfang des siebenten Jahrhunderts Mühe hatten, Urkunden des fünften zu verstehen, so kam dies ohne Zweifel nur daher, daß es damals in Rom noch keine eigentliche Forschung, am wenigsten eine Urkundenforschung gab. Dagegen wird in dieser Zeit der beginnenden Rechtweisung und Gesetzesredaktion auch der römische Geschäftsstil zuerst sich festgestellt haben, welcher, wenigstens in seiner entwickelten Gestalt, an feststehenden Formeln und Wendungen, endloser Aufzählung der Einzelheiten und langatmigen Perioden der heutigen englischen Gerichtssprache nichts nachgibt und sich dem Eingeweihten durch Schärfe und Bestimmtheit empfiehlt, während der Laie je nach Art und Laune mit Ehrfurcht, Ungeduld oder Ärger nichtsverstehend zuhört. Ferner begann in dieser Epoche die rationelle Behandlung der einheimischen Sprachen. Um den Anfang derselben drohte, wie wir sahen, das sabellische wie das latinische Idiom sich zu barbarisieren und griff die Verschleifung der Endungen, die Verdumpfung der Vokale und der feineren Konsonanten ähnlich um sich wie im fünften und sechsten Jahrhundert unserer Zeitrechnung innerhalb der romanischen Sprachen. Hiergegen trat aber eine Reaktion ein: im Oskischen werden die zusammengefallenen Laute d und r, im Lateinischen die zusammengefallenen Laute g und k wieder geschieden und jeder mit seinem eigenen Zeichen versehen; o und u, für die es im oskischen Alphabet von Haus aus an gesonderten Zeichen gemangelt hatte und die im Lateinischen zwar ursprünglich geschieden waren, aber zusammenzufallen drohten, traten wieder auseinander, ja im Oskischen wird sogar das i in zwei lautlich und graphisch verschiedene Zeichen aufgelöst; endlich schließt die Schreibung sich der Aussprache wieder genauer an, wie zum Beispiel bei den Römern vielfältig s durch r ersetzt ward. Die chronologischen Spuren führen für diese Reaktion auf das fünfte Jahrhundert; das lateinische g zum Beispiel war um das Jahr 300 (450) noch nicht, wohl aber um das Jahr 500 (250) vorhanden; der erste des Papirischen Geschlechts, der sich Papirius statt Papisius nannte, war der Konsul des Jahres 418 (336); die Einführung jenes r anstatt des s wird dem Appius Claudius, Zensor 442 (312) beigelegt. Ohne Zweifel steht die Zurückführung einer feineren und schärferen Aussprache im Zusammenhang mit dem steigenden Einfluß der griechischen Zivilisation, welcher eben in dieser Zeit sich auf allen Gebieten des italischen Wesens bemerklich macht; und wie die Silbermünzen von Capua und Nola weit vollkommener sind als die gleichzeitigen Asse von Ardea und Rom, so scheint auch Schrift und Sprache rascher und vollständiger sich im kampanischen Lande reguliert zu haben als in Latium. Wie wenig trotz der darauf gewandten Mühe die römische Sprache und Schreibweise noch am Schlusse dieser Epoche festgestellt war, beweisen die aus dem Ende des fünften Jahrhunderts erhaltenen Inschriften, in denen namentlich in der Setzung oder Weglassung von m, d und s im Auslaut und n im Inlaut und in der Unterscheidung der Vokale o u und e i die größte Willkür herrscht79; es ist wahrscheinlich, daß gleichzeitig die Sabeller hierin schon weiter waren, während die Umbrer von dem regenerierenden hellenischen Einfluß nur wenig berührt worden sind.

Durch diese Steigerung der Jurisprudenz und Grammatik muß auch der elementare Schulunterricht, der an sich wohl schon früher aufgekommen war, eine gewisse Steigerung erfahren haben. Wie Homer das älteste griechische, die Zwölf Tafeln das älteste römische Buch waren, so wurden auch beide in ihrer Heimat die wesentliche Grundlage des Unterrichts und das Auswendiglernen des juristisch-politischen Katechismus ein Hauptstück der römischen Kindererziehung. Neben den lateinischen „Schreibmeistern“ (litteratores) gab es natürlich, seit die Kunde des Griechischen für jeden Staats- und Handelsmann Bedürfnis war, auch griechische Sprachlehrer (grammatici80), teils Hofmeister-Sklaven, teils Privatlehrer, die in ihrer Wohnung oder in der des Schülers Anweisung zum Lesen und Sprechen des Griechischen erteilten. Daß wie im Kriegswesen und bei der Polizei so auch bei dem Unterricht der Stock seine Rolle spielte, versteht sich von selbst81

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Daß die Römer in den mathematischen und mechanischen Wissenschaften zu keiner Zeit sich ausgezeichnet haben, ist bekannt und bewährt sich auch für die gegenwärtige Epoche an dem fast einzigen Faktum, welches mit Sicherheit hierhergezogen werden kann, der von den Dezemvirn versuchten Regulierung des Kalenders. Sie wollten den bisherigen, auf der alten, höchst unvollkommenen Trieteris beruhenden vertauschen mit dem damaligen attischen der Oktaeteris, welcher den Mondmonat von 29½ Tagen beibehielt, das Sonnenjahr aber statt auf 368¾ a vielmehr auf 365¼ Tage ansetzte und demnach bei unveränderter gemeiner Jahrlänge von 354 Tagen nicht, wie früher, auf je vier Jahre 59, sondern auf je acht Jahre 90 Tage einschaltete. In demselben Sinne beabsichtigten die römischen Kalenderverbesserer unter sonstiger Beibehaltung des geltenden Kalenders in den zwei Schaltjahren des vierjährigen Zyklus nicht die Schaltmonate, aber die beiden Februare um je sieben Tage zu verkürzen, also diesen Monat in den Schaltjahren statt zu 29 und 28 zu 22 und 21 Tagen anzusetzen. Allein mathematische Gedankenlosigkeit und theologische Bedenken, namentlich die Rücksicht auf das eben in die betreffenden Februartage fallende Jahrfest des Terminus, zerrütteten die beabsichtigte Reform in der Art, daß der Schaltjahrfebruar vielmehr 24- und 23tägig ward, also das neue römische Sonnenjahr in der Tat auf 366¼ Tag auskam. Einige Abhilfe für die hieraus folgenden praktischen Übelstände ward darin gefunden, daß, unter Beseitigung der bei den jetzt so ungleich gewordenen Monaten nicht mehr anwendbaren Rechnung nach Monaten oder Zehnmonaten des Kalenders, man sich gewöhnte, wo es auf genauere Bestimmungen ankam, nach Zehnmonatfristen eines Sonnenjahrs von 365 Tagen oder dem sogenannten zehnmonatlichen Jahre von 304 Tagen zu rechnen. überdies kam besonders für bäuerliche Zwecke der auf das ägyptische 365¼tägige Sonnenjahr von Eudoxos (blüht 386 368) gegründete Bauernkalender auch in Italien früh in Gebrauch.

Einen höheren Begriff von dem, was auch in diesen Fächern die Italiker zu leisten vermochten, gewähren die Werke der mit den mechanischen Wissenschaften eng zusammenhängenden Bau- und Bildkunst. Zwar eigentlich originelle Erscheinungen begegnen auch hier nicht; aber wenn durch den Stempel der Entlehnung, welcher der italischen Plastik durchgängig aufgedrückt ist, das künstlerische Interesse an derselben sinkt, so heftet das historische sich nur um so lebendiger an dieselbe, insofern sie teils von einem sonst verschollenen Völkerverkehr die merkwürdigsten Zeugnisse bewahrt, teils bei dem so gut wie vollständigen Untergang der Geschichte der nichtrömischen Italiker fast allein uns die verschiedenen Völkerschaften der Halbinsel in lebendiger Tätigkeit nebeneinander darstellt. Neues ist hier nicht zu sagen; aber wohl läßt sich mit schärferer Bestimmtheit und auf breiterer Grundlage ausführen, was schon oben gezeigt ward, daß die griechische Anregung die Etrusker und die Italiker von verschiedenen Seiten her mächtig erfaßt, und dort eine reichere und üppigere, hier, wo überhaupt, eine verständigere und innigere Kunst ins Leben gerufen hat.

Wie völlig die italische Architektur aller Landschaften schon in ihrer ältesten Periode von hellenischen Elementen durchdrungen ward, ist früher dargestellt worden. Die Stadtmauern, die Wasserbauten, die pyramidalisch gedeckten Gräber, der tuscanische Tempel sind nicht oder nicht wesentlich verschieden von den ältesten hellenischen Bauwerken. Von einer Weiterbildung der Architektur bei den Etruskern während dieser Epoche hat sich keine Spur erhalten; wir begegnen hier weder einer wesentlich neuen Rezeption noch einer originellen Schöpfung – man müßte denn Prachtgräber dahin rechnen wollen, wie das von Varro beschriebene sogenannte Grabmal des Porsena in Chiusi, das lebhaft an die zwecklose und sonderbare Herrlichkeit der ägyptischen Pyramiden erinnert.

Auch in Latium bewegte man während der ersten anderthalb Jahrhunderte der Republik sich wohl lediglich in den bisherigen Gleisen, und es ist schon gesagt worden, daß mit der Einführung der Republik die Kunstübung eher gesunken als gestiegen ist. Es ist aus dieser Zeit kaum ein anderes architektonisch bedeutendes latinisches Bauwerk zu nennen als der im Jahre 261 (493) in Rom am Circus erbaute Cerestempel, der in der Kaiserzeit als Muster des tuscanischen Stiles gilt. Aber gegen das Ende dieser Epoche kommt ein neuer Geist in das italische und namentlich das römische Bauwesen: es beginnt der großartige Bogenbau. Zwar sind wir nicht berechtigt, den Bogen und das Gewölbe für italische Erfindungen zu erklären. Es ist wohl ausgemacht, daß in der Epoche der Genesis der hellenischen Architektur die Hellenen den Bogen noch nicht kannten und darum für ihre Tempel die flache Decke und das schräge Dach ausreichen mußten; allein gar wohl kann der Keilschnitt eine jüngere, aus der rationellen Mechanik hervorgegangene Erfindung der Hellenen sein, wie ihn denn die griechische Tradition auf den Physiker Demokritos (294-397 460-357) zurückführt. Mit dieser Priorität des hellenischen Bogenbaus vor dem römischen ist auch vereinbar, was vielfach und vielleicht mit Recht angenommen wird, daß die Gewölbe an der römischen Hauptkloake und dasjenige, welches über das alte, ursprünglich pyramidalisch gedeckte kapitolinische Quellhaus späterhin gespannt ward, die ältesten erhaltenen Bauwerke sind, bei welchen das Bogenprinzip zur Anwendung gekommen ist; denn es ist mehr als wahrscheinlich, daß diese Bogenbauten nicht der Königs-, sondern der republikanischen Periode angehören und in der Königszeit man auch in Italien nur flache oder überkragte Dächer gekannt hat. Allein wie man auch über die Erfindung des Bogens selbst denken mag, die Anwendung im großen ist überall und vor allem in der Baukunst wenigstens ebenso bedeutend wie die Aufstellung des Prinzips; und diese gebührt unbestritten den Römern. Mit dem fünften Jahrhundert beginnt der wesentlich auf den Bogen gegründete Tor-, Brücken- und Wasserleitungsbau, der mit dem römischen Namen fortan unzertrennlich verknüpft ist. Verwandt ist hiermit noch die Entwicklung der den Griechen fremden, dagegen bei den Römern vorzugsweise beliebten und besonders für die ihnen eigentümlichen Kulte, namentlich den nicht griechischen der Vesta, angewendeten Form des Rundtempels und des Kuppeldachs83.

Etwas Ähnliches mag von manchen untergeordneten, aber darum nicht unwichtigen Fertigkeiten auf diesem Gebiet gelten. Von Originalität oder gar von Kunstübung kann dabei nicht die Rede sein; aber auch aus den festgefügten Steinplatten der römischen Straßen, aus ihren unzerstörbaren Chausseen, aus den breiten, klingend harten Ziegeln, aus dem ewigen Mörtel ihrer Gebäude redet die unverwüstliche Solidität, die energische Tüchtigkeit des römischen Wesens.

Wie die tektonischen, und womöglich noch mehr, sind die bildenden und zeichnenden Künste auf italischem Boden nicht so sehr durch griechische Anregung befruchtet, als aus griechischen Samenkörnern gekeimt. Daß dieselben, obwohl erst die jüngeren Schwestern der Architektur, doch wenigstens in Etrurien schon während der römischen Königszeit sich zu entwickeln begannen, wurde bereits bemerkt; ihre hauptsächliche Entfaltung aber gehört in Etrurien, und um so mehr in Latium, dieser Epoche an, wie dies schon daraus mit Evidenz hervorgeht, daß in denjenigen Landschaften, welche die Kelten und Samniten den Etruskern im Laufe des vierten Jahrhunderts entrissen, von etruskischer Kunstübung fast keine Spur begegnet. Die tuskische Plastik warf sich zuerst und hauptsächlich auf die Arbeit in gebranntem Ton, in Kupfer und in Gold, welche Stoffe die reichen Tonlager und Kupfergruben und der Handelsverkehr Etruriens den Künstlern darboten. Von der Schwunghaftigkeit, womit die Tonbildnerei betrieben wurde, zeugen die ungeheuren Massen von Reliefplatten und statuarischen Arbeiten aus gebranntem Ton, womit Wände, Giebel und Dächer der etruskischen Tempel nach Ausweis der noch vorhandenen Ruinen einst verziert waren, und der nachweisliche Vertrieb derartiger Arbeiten aus Etrurien nach Latium. Der Kupferguß stand nicht dahinter zurück. Etruskische Künstler wagten sich an die Verfertigung von kolossalen, bis zu fünfzig Fuß hohen Bronzebildsäulen, und in Volsinii, dem etruskischen Delphi, sollen um das Jahr 489 (265) zweitausend Bronzestatuen gestanden haben, wogegen die Steinbildnerei in Etrurien, wie wohl überall, weit später begann und außer inneren Ursachen auch durch den Mangel eines geeigneten Materials zurückgehalten ward – die lunensischen (carrarischen) Marmorbrüche waren noch nicht eröffnet. Wer den reichen und zierlichen Goldschmuck der südetruskischen Gräber gesehen hat, der wird die Nachricht nicht unglaublich finden, daß die tyrrhenischen Goldschalen selbst in Attika geschätzt wurden. Auch die Steinschneidekunst ward, obwohl sie jünger ist, doch auch in Etrurien vielfältig geübt. Ebenso abhängig von den Griechen, übrigens den bildenden Künstlern vollkommen ebenbürtig, waren die sowohl in der Umrißzeichnung auf Metall wie in der monochromatischen Wandmalerei ungemein tätigen etruskischen Zeichner und Maler.

Vergleichen wir hiermit das Gebiet der eigentlichen Italiker, so erscheint es zunächst gegen die etruskische Fülle fast kunstarm. Allein bei genauerer Betrachtung kann man der Wahrnehmung sich nicht entziehen, daß sowohl die sabellische wie die latinische Nation weit mehr als die etruskische Fähigkeit und Geschick für die Kunst gehabt haben müssen. Zwar auf eigentlich sabellischem Gebiet, in der Sabina, in den Abruzzen, in Samnium, finden sich Kunstwerke so gut wie gar nicht und mangeln sogar die Münzen. Diejenigen sabellischen Stämme dagegen, welche an die Küsten der Tyrrhenischen oder Ionischen See gelangten, haben die hellenische Kunst sich nicht bloß wie die Etrusker äußerlich angeeignet, sondern sie mehr oder minder vollständig bei sich akklimatisiert. Schon in Velitrae, wo wohl allein in der einstmaligen Landschaft der Volsker deren Sprache und Eigentümlichkeit späterhin sich behauptet haben, haben sich bemalte Terrakotten gefunden von lebendiger und eigentümlicher Behandlung. In Unteritalien ist Lucanien zwar in geringem Grade von der hellenischen Kunst ergriffen worden; aber in Kampanien wie im brettischen Lande haben sich Sabeller und Hellenen wie in Sprache und Nationalität so auch und vor allem in der Kunst vollständig durchdrungen und es stehen namentlich die kampanischen und brettischen Münzen mit den gleichzeitigen griechischen so vollständig auf einer Linie der Kunstbehandlung, daß nur die Aufschrift sie von ihnen unterscheidet. Weniger bekannt, aber nicht weniger sicher ist es, daß auch Latium wohl an Kunstreichtum und Kunstmasse, aber nicht an Kunstsinn und Kunstübung hinter Etrurien zurückstand. Offenbar hat die um den Anfang des 5. Jahrhunderts erfolgte Festsetzung der Römer in Kampanien, die Verwandlung der Stadt Cales in eine latinische Gemeinde, der falernischen Landschaft bei Capua in einen römischen Bürgerbezirk, zunächst die kampanische Kunstübung den Römern aufgeschlossen. Zwar mangelt bei diesen nicht bloß die in dem üppigen Etrurien fleißig gepflegte Steinschneidekunst völlig und begegnet nirgends eine Spur, daß die latinischen Gewerke gleich den etruskischen Goldschmieden und Tonarbeitern für das Ausland tätig gewesen sind. Zwar sind die latinischen Tempel nicht gleich den etruskischen mit Bronze- und Tonzierat überladen, die latinischen Gräber nicht gleich den etruskischen mit Goldschmuck angefüllt worden und schillerten die Wände jener nicht wie die der etruskischen von bunten Gemälden. Aber nichtsdestoweniger stellt sich im ganzen die Waage nicht zum Vorteil der etruskischen Nation. Die Erfindung des Janusbildes, welche wie die Gottheit selbst den Latinern beigelegt werden darf, ist nicht ungeschickt, und originellerer Art als die irgendeines etruskischen Kunstwerks. Die schöne Gruppe der Wölfin mit den Zwillingen lehnt wohl an ähnliche griechische Erfindungen sich an, ist aber in dieser Ausführung sicher wenn nicht in Rom, so doch von Römern erfunden; und es ist bemerkenswert, daß sie zuerst auf den von den Römern in und für Kampanien geprägten Silbermünzen auftritt. In dem oben erwähnten Cales scheint bald nach seiner Gründung eine besondere Gattung figurierten Tongeschirrs erfunden worden zu sein, das mit dem Namen der Meister und des Verfertigungsorts bezeichnet und in weitem Umfang bis nach Etrurien hinein vertrieben worden ist. Die vor kurzem auf dem Esquilin zum Vorschein gekommenen figurierten Altärchen von gebranntem Ton entsprechen in der Darstellung wie in der Ornamentik genau den gleichartigen Weihgeschenken der kampanischen Tempel. Indes schließt dies nicht aus, daß auch griechische Meister für Rom gearbeitet haben. Der Bildner Damophilos, der mit Gorgasos die bemalten Tonfiguren für den uralten Cerestempel verfertigt hat, scheint kein anderer gewesen zu sein als der Lehrer des Zeuxis, Demophilos von Himera (um 300 450). Am belehrendsten sind diejenigen Kunstzweige, in denen uns teils nach alten Zeugnissen, teils nach eigener Anschauung eine vergleichendes Urteil gestattet ist. Von latinischen Arbeiten in Stein ist kaum etwas anderes übrig als der am Ende dieser Periode in dorischem Stil gearbeitete Steinsarg des römischen Konsuls Lucius Scipio; aber die edle Einfachheit desselben beschämt alle ähnlichen etruskischen Werke. Aus den etruskischen Gräbern sind manche schöne Bronzen alten strengen Kunststils, namentlich Helme, Leuchter und dergleichen Gerätstücke erhoben worden; aber welches dieser Werke reicht an die im Jahre 458 (296) am ruminalischen Feigenbaum auf dem römischen Markte aus Strafgeldern aufgestellte bronzene Wölfin, noch heute den schönsten Schmuck des Kapitols? Und daß auch die latinischen Metallgießer so wenig wie die etruskischen vor großen Aufgaben zurückschraken, beweist das von Spurius Carvilis (Konsul 461 293) aus den eingeschmolzenen samnitischen Rüstungen errichtete kolossale Erzbild des Jupiter auf dem Kapitol, aus dessen Abfall beim Ziselieren die zu den Füßen des Kolosses stehende Statue des Siegers hatte gegossen werden können; man sah dieses Jupiterbild bis vom Albanischen Berge. Unter den gegossenen Kupfermünzen gehören bei weitem die schönsten dem südlichen Latium an; die römischen und umbrischen sind leidlich, die etruskischen fast bildlos und oft wahrhaft barbarisch. Die Wandmalereien, die Gaius Fabius in dem 452 302 dedizierten Tempel der Wohlfahrt auf dem Kapitol ausführte, erwarben in Zeichnung und Färbung noch das Lob griechisch gebildeter Kunstrichter der augusteischen Epoche; und es werden von den Kunstenthusiasten der Kaiserzeit wohl auch die caeritischen, aber mit noch größerem Nachdruck die römischen, lanuvinischen und ardeatischen Fresken als Meisterwerke der Malerei gepriesen. Die Zeichnung auf Metall, welche in Latium nicht wie in Etrurien die Handspiegel, sondern die Toilettenkästchen mit ihren zierlichen Umrissen schmückte, ward in Latium in weit geringerem Umfang und fast nur in Praeneste geübt; es finden sich vorzügliche Kunstwerke unter den etruskischen Metallspiegeln wie unter den praenestinischen Kästchen, aber es war ein Werk der letzteren Gattung, und zwar ein höchst wahrscheinlich in dieser Epoche in der Werkstatt eines praenestinischen Meisters entstandenes Werk84, von dem mit Recht gesagt werden konnte, daß kaum ein zweites Erzeugnis der Graphik des Altertums so wie die ficoronische Cista den Stempel einer in Schönheit und Charakteristik vollendeten und noch vollkommen reinen und ernsten Kunst an sich trägt.

Der allgemeine Stempel der etruskischen Kunstwerke ist teils eine gewisse barbarische Überschwenglichkeit im Stoff wie im Stil, teils der völlige Mangel innerer Entwicklung. Wo der griechische Meister flüchtig skizziert, verschwendet der etruskische Schüler schülerhaft den Fleiß; an die Stelle des leichten Materials und der mäßigen Verhältnisse griechischer Werke tritt bei den etruskischen ein renommistisches Hervorheben der Größe und Kostbarkeit oder auch bloß der Seltsamkeit des Werkes. Die etruskische Kunst kann nicht nachbilden, ohne zu übertreiben: das Strenge wird ihr hart, das Anmutige weichlich, das Schreckliche zum Scheusal, die Üppigkeit zur Zote, und immer deutlicher tritt dies hervor, je mehr die ursprüngliche Anregung zurücktritt und die etruskische Kunst sich auf sich selber angewiesen findet. Noch auffallender ist das Festhalten an den hergebrachten Formen und dem hergebrachten Stil. Sei es, daß die anfängliche freundlichere Berührung mit Etrurien hier den Hellenen den Samen der Kunst auszustreuen gestattete, eine spätere Epoche der Feindseligkeit aber den jüngeren Entwicklungsstadien der griechischen Kunst den Eingang in Etrurien erschwerte, sei es, was wahrscheinlicher ist, daß die rasch eintretende geistige Erstarrung der Nation die Hauptsache dabei tat: die Kunst blieb in Etrurien auf der primitiven Stufe, auf welcher sie bei ihrem ersten Eindringen daselbst sich befunden hatte, wesentlich stehen – bekanntlich ist dies die Ursache gewesen; weshalb die etruskische Kunst, die unentwickelt gebliebene Tochter der hellenischen, solange als deren Mutter gegolten hat. Mehr noch als das strenge Festhalten des einmal überlieferten Stils in den älteren Kunstzweigen beweist die unverhältnismäßig elende Behandlung der später aufgekommenen, namentlich der Bildhauerei in Stein und des Kupfergusses in der Anwendung auf Münzen, wie rasch aus der etruskischen Kunst der Geist entwich. Ebenso belehrend sind die gemalten Gefäße, die in den jüngeren etruskischen Grabstätten in so ungeheurer Anzahl sich finden. Wären dieselben so früh wie die mit Umrissen verzierten Metallplatten oder die bemalten Terrakotten bei den Etruskern gangbar geworden, so würde man ohne Zweifel auch sie in Menge und in wenigstens relativer Güte dort fabrizieren gelernt haben; aber in der Epoche, in welcher dieser Luxus emporkam, mißlang die selbsttätige Reproduktion vollständig, wie die vereinzelten mit etruskischen Inschriften versehenen Gefäße beweisen, und man begnügte sich darum, dieselben zu kaufen, statt sie zu formen.

Aber auch innerhalb Etruriens erscheint ein weiterer bemerkenswerter Gegensatzinder künstlerischen Entwicklung der südlichen und der nördlichen Landschaft. Es ist Südetrurien, hauptsächlich die Bezirke von Caere, Tarquinii, Volci, die die gewaltigen Prunkschätze besonders von Wandgemälden, Tempeldekorationen, Goldschmuck und gemalten Tongefäßen bewahren; das nördliche Etrurien steht weit dahinter zurück, und es hat zum Beispiel sich kein gemaltes Grab nördlich von Chiusi gefunden. Die südlichsten etruskischen Städte Veii, Caere, Tarquinii sind es, die der römischen Tradition als die Ur- und Hauptsitze der etruskischen Kunst gelten; die nördlichste Stadt Volaterrae, mit dem größten Gebiet unter allen etruskischen Gemeinden, steht von allen auch der Kunst am fernsten. Wenn in Südetrurien die griechische Halbkultur, so ist in Nordetrurien vielmehr die Unkultur zu Hause. Die Ursachen dieses bemerkenswerten Gegensatzes mögen teils in der verschiedenartigen, in Südetrurien wahrscheinlich stark mit nicht etruskischen Elementen gemischten Nationalität, teils in der verschiedenen Mächtigkeit des hellenischen Einflusses zu suchen sein, welcher letztere namentlich in Caere sich sehr entschieden geltend gemacht haben muß; die Tatsache selbst ist nicht zu bezweifeln. Um so mehr mußte die frühe Unterjochung der südlichen Hälfte Etruriens durch die Römer und die sehr zeitig hier beginnende Romanisierung der etruskischen Kunst verderblich werden; was Nordetrurien, auf sich allein beschränkt, künstlerisch zu leisten vermochte, zeigen die wesentlich ihm angehörenden Kupfermünzen.

Wenden wir die Blicke von Etrurien nach Latium, so hat freilich auch dies keine neue Kunst geschaffen; es war einer weit späteren Kulturepoche vorbehalten, aus dem Motiv des Bogens eine neue, von der hellenischen Tektonik verschiedene Architektur zu entwickeln und sodann mit dieser harmonisch eine neue Bildnerei und Malerei zu entfalten. Die latinische Kunst ist nirgend originell und oft gering; aber die frisch empfindende und taktvoll wählende Aneignung des fremden Gutes ist auch ein hohes künstlerisches Verdienst. Nicht leicht hat die latinische Kunst barbarisiert und in ihren besten Erzeugnissen steht sie völlig im Niveau der griechischen Technik. Eine gewisse Abhängigkeit der Kunst Latiums wenigstens in ihren früheren Stadien von der sicher älteren etruskischen soll darum nicht geleugnet werden; es mag Varro immerhin mit Recht angenommen haben, daß bis auf die im Cerestempel von griechischen Künstlern ausgeführten nur „tuscanische“ Tonbilder die römischen Tempel verzierten; aber daß doch vor allem der unmittelbare Einfluß der Griechen die latinische Kunst bestimmt hat, ist an sich schon klar und liegt auch in eben diesen Bildwerken sowie in den latinischen und römischen Münzen deutlich zu Tage. Selbst die Anwendung der Metallzeichnung in Etrurien lediglich auf den Toilettenspiegel, in Latium lediglich auf den Toilettenkasten deutet auf die Verschiedenartigkeit der beiden Landschaften zuteil gewordenen Kunstanregung. Es scheint indes nicht gerade Rom gewesen zu sein, wo die latinische Kunst ihre frischesten Blüten trieb; die römischen Asse und die römischen Denare werden von den latinischen Kupfer- und den seltenen latinischen Silbermünzen an Feinheit und Geschmack der Arbeit bei weitem übertroffen und auch die Meisterwerke der Malerei und Zeichnung gehören vorwiegend Praeneste, Lanuvium, Ardea an. Auch stimmt dies vollständig zu dem früher bezeichneten realistischen und nüchternen Sinn der römischen Republik, welcher in dem übrigen Latium sich schwerlich mit gleicher Strenge geltend gemacht haben kann. Aber im Lauf des fünften Jahrhunderts und besonders in der zweiten Hälfte desselben regte es denn doch sich mächtig auch in der römischen Kunst. Es war dies die Epoche, in welcher der spätere Bogen- und Straßenbau begann, in welcher Kunstwerke wie die Kapitolinische Wölfin entstanden, in welcher ein angesehener Mann aus einem altadeligen römischen Geschlechte den Pinsel ergriff, um einen neugebauten Tempel auszuschmücken und dafür den Ehrenbeinamen des „Malers“ empfing. Das ist nicht Zufall. Jede große Zeit erfaßt den ganzen Menschen; und wie starr die römische Sitte, wie streng die römische Polizei immer war, der Aufschwung, den die römische Bürgerschaft als Herrin der Halbinsel oder richtiger gesagt, den das zum erstenmal staatlich geeinigte Italien nahm, tritt auch in dem Aufschwung der latinischen und besonders der römischen Kunst ebenso deutlich hervor wie in dem Sinken der etruskischen der sittliche und politische Verfall der Nation. Wie die gewaltige Volkskraft Latiums die schwächeren Nationen bezwang, so hat sie auch dem Erz und dem Marmor ihren unvergänglichen Stempel aufgedrückt.

  1. Was Dionys (6, 95; vgl. B. G. Niebuhr, Römische Geschichte. Bd. 2, S. 40) und, schöpfend aus einer anderen Dionysischen Stelle, Plutarch (Cam. 42) von dem latinischen Fest berichtet, ist, wie außer anderen Gründen schlagend die Vergleichung der letzteren Stelle mit Liv. 6, 42 (F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) zeigt, vielmehr von den römischen Spielen zu verstehen; Dionys hat, und zwar nach seiner Gewohnheit im Verkehrten beharrlich, den Ausdruck ludi maximi mißverstanden.
  2. Übrigens gab es auch eine Überlieferung, wonach der Ursprung des Volksfestes, statt wie gewöhnlich auf die Besiegung der Latiner durch den ersten Tarquinius, vielmehr auf die Besiegung der Latiner am Regiller See zurückgeführt ward (Cic. div. 1, 26, 55; Dion. Hal. 7, 71). Daß die wichtigen, an der letzten Stelle aus Fabius aufbehaltenen Angaben in der Tat auf das gewöhnliche Dankfest und nicht auf eine besondere Votivfeierlichkeit gehen, zeigt die ausdrückliche Hinweisung auf die jährliche Wiederkehr der Feier und die genau mit der Angabe bei dem falschen Asconius (Ps. Ascon. p. 142 Or.) stimmende Kostensumme.
  3. >Erhalten ist davon das Bruchstück:
  4. Bei trocknem Herbste, nassem – Frühling, wirst du, Knabe,
    Einernten große Spelte.
  5. Wir wissen freilich nicht, mit welchem Rechte dieses Gedicht späterhin als das älteste römische galt (Macr. Sat. 5, 20; Fest. v. flaminius p. 93 M; Serv. georg. 1, 101; Plin. nat. 17, 2, 14).
  6. Nur die ersten Stellen in der Liste geben Anlaß zum Verdacht und mögen später hinzugefügt sein, um die Zahl der Jahre von der Königsflucht bis zum Stadtbrande auf 120 abzurunden.
  7. 1, 470. Nach den Annalen kommandiert Scipio in Etrurien, sein Kollege in Samnium und ist Lucanien dies Jahr im Bunde mit Rom; nach der Grabschrift erobert Scipio zwei Städte in Samnium und ganz Lucanien.
  8. Diese Richtung der Sage erhellt deutlich aus dem älteren Plinius (nat. 36, 15, 100).
  9. Man rechnete, wie es scheint, drei Geschlechter auf ein Jahrhundert und rundete die Ziffer 233 1/3 auf 240 ab, ähnlich wie die Epoche zwischen der Königsflucht und dem Stadtbrand auf 120 Jahre abgerundet ward. Wodurch man gerade auf diese Zahlen geführt ward, zeigt zum Beispiel die oben erörterte Feststellung des Flächenmaßes.
  10. Auch die „troischen Kolonien“ auf Sizilien, die Thukydides, Pseudoskylax und andere nennen, sowie die Bezeichnung Capuas als einer troischen Gründung bei Hekataeos werden auf Stesichoros und auf dessen Identifizierung der italischen und sizilischen Eingeborenen mit den Troern zurückgehen.
  11. Nach ihm vermählte sich eine aus Ilion nach Rom geflüchtete Frau Rome oder vielmehr deren gleichnamige Tochter mit dem König der Aboriginer Latinos und gebar ihm drei Söhne, Romos, Romylos und Telegonos. Der letzte, der ohne Zweifel hier als Gründer von Tusculum und Praeneste auftritt, gehört bekanntlich der Odysseussage an.
  12. In den beiden Grabschriften des Lucius Scipio, Konsul 456 (298), und des gleichnamigen Konsuls vom Jahre 495 (259) fehlen m und d im Auslaut der Beugungen regelmäßig, doch findet sich einmal Luciom und einmal Gnaivod; es steht nebeneinander im Nominativ Cornelio und filios; cosol, cesor und consol censor; aidiles, dedet, ploirume (= plurimi), hec (Nom. Sing.) neben aidilis, cepit, quei, hic. Der Rhotazismus ist bereits vollständig durchgeführt; man findet duonoro (= bonorum), ploirume, nicht wie im saliarischen Liede foedesum, plusima. Unsere inschriftlichen Überreste reichen überhaupt im allgemeinen nicht über den Rhotazismus hinauf; von dem älteren s begegnen nur einzelne Spuren, wie noch späterhin honos, labos neben honor und labor und die ähnlichen Frauenvornamen Maio (maios, maior) und Mino auf neu gefundenen Grabschriften von Praeneste.
  13. Litterator und grammaticus verhalten sich ungefähr wie Lehrer und Maître; die letztere Benennung kommt nach dem älteren Sprachgebrauch nur dem Lehrer des Griechischen, nicht dem der Muttersprache zu. Litteratus ist jünger und bezeichnet nicht den Schulmeister, sondern den gebildeten Mann.
  14. Es ist doch wohl ein römisches Bild, was Plautus (Bacch. 431) als ein Stück der guten alten Kindererziehung anführt:
  15. wenn nun du darauf nach Hause kamst,
    In dem Jäckchen auf dem Schemel saßest du zum Lehrer hin;
    Und wenn dann das Buch ihm lesend eine Silbe du gefehlt,
    Färbte deinen Buckel er dir bunt wie einen Kinderlatz.
  16. Eine Nachbildung der ältesten Hausform, wie man wohl gemeint hat, ist der Rundtempel sicher nicht; vielmehr geht der Hausbau durchaus vom Viereck aus. Die spätere römische Theologie knüpfte diese Rundform an die Vorstellung des Erdballs oder des kugelförmig die Zentralsonne umgebenden Weltalls (Fest. v. rutundam p. 282; Plut. Num. 11; Ov. fast. 6, 267f.); in der Tat ist dieselbe wohl einfach darauf zurückzuführen, daß für die zum Abhegen und Aufbewahren bestimmte Räumlichkeit als die bequemste wie die sicherste Form stets die kreisrunde gegolten hat. Darauf beruhten die runden Schatzhäuser der Hellenen ebenso wie der Rundbau der römischen Vorratskammer oder des Penatentempels; es war natürlich auch die Feuerstelle – das heißt den Altar der Vesta – und die Feuerkammer – das heißt den Vestatempel – rund anzulegen, so gut wie dies mit der Zisterne und der Brunnenfassung (puteal) geschah. Der Rundbau an sich ist graecoitalisch wie der Quadratbau und jener der Kammer eigen, wie dieser dem Wohnhaus; aber die architektonische und religiöse Entwicklung des einfachen Tholos zum Rundtempel mit Pfeilern und Säulen ist latinisch.
  17. Novius Plautius goß vielleicht nur die Füße und die Deckelgruppe; das Kästchen selbst kann von einem älteren Künstler herrühren, aber, da der Gebrauch dieser Kästchen sich wesentlich auf Praeneste beschränkt hat, kaum von einem anderen als einem praenestinischen.