15. Kapitel

Die Kunst

Dichtung ist leidenschaftliche Rede, deren bewegter Klang die Weise; insofern ist kein Volk ohne Poesie und Musik. Allein zu den poetisch vorzugsweise begabten Nationen gehörte und gehört die italienische nicht; es fehlt dem Italiener die Leidenschaft des Herzens, die Sehnsucht, das Menschliche zu idealisieren und das Leblose zu vermenschlichen, und damit das Allerheiligste der Dichtkunst. Seinem scharfen Blick, seiner anmutigen Gewandtheit gelingen vortrefflich die Ironie und der Novellenton, wie wir sie bei Horaz und bei Boccaccio finden, der launige Liebes- und Liederscherz, wie Catullus und die guten neapolitanischen Volkslieder ihn zeigen, vor allem die niedere Komödie und die Posse. Auf italischem Boden entstand in alter Zeit die parodische Tragödie, in neuer das parodische Heldengedicht. In der Rhetorik und Schauspielkunst vor allem tat und tut es den Italienern keine andere Nation gleich. Aber in den vollkommenen Kunstgattungen haben sie es nicht leicht über Fertigkeiten gebracht, und keine ihrer Literaturepochen hat ein wahres Epos und ein echtes Drama erzeugt. Auch die höchsten in Italien gelungenen literarischen Leistungen, göttliche Gedichte wie Dantes Commedia und Geschichtbücher wie Sallustius und Macchiavelli, Tacitus und Colletta sind doch von einer mehr rhetorischen als naiven Leidenschaft getragen. Selbst in der Musik ist in alter wie in neuer Zeit das eigentlich schöpferische Talent weit weniger hervorgetreten als die Fertigkeit, die rasch zur Virtuosität sich steigert und an der Stelle der echten und innigen Kunst ein hohles und herzvertrocknendes Idol auf den Thron hebt. Es ist nicht das innerliche Gebiet, insoweit in der Kunst überhaupt ein Innerliches und ein Äußerliches unterschieden werden kann, das dem Italiener als eigene Provinz anheimgefallen ist; die Macht der Schönheit muß, um voll auf ihn zu wirken, nicht im Ideal vor seine Seele, sondern sinnlich ihm vor die Augen gerückt werden. Darum ist er denn auch in den bauenden und bildenden Künsten recht eigentlich zu Hause und darin in der alten Kulturepoche der beste Schüler des Hellenen, in der neuen der Meister aller Nationen geworden.

Es ist bei der Lückenhaftigkeit unserer Überlieferung nicht möglich, die Entwicklung der künstlerischen Ideen bei den einzelnen Völkergruppen Italiens zu verfolgen; und namentlich läßt sich nicht mehr von der italischen Poesie reden, sondern nur von der Poesie Latiums. Die latinische Dichtkunst ist wie jede andere ausgegangen von der Lyrik oder vielmehr von dem ursprünglichen Festjubel, in welchem Tanz, Spiel und Lied noch in ungetrennter Einheit sich durchdringen. Es ist dabei bemerkenswert, daß in den ältesten Religionsgebräuchen der Tanz und demnächst das Spiel weit entschiedener hervortreten als das Lied. In dem großen Feierzug, mit dem das römische Siegesfest eröffnet ward, spielten nächst den Götterbildern und den Kämpfern die vornehmste Rolle die ernsten und die lustigen Tänzer: jene geordnet in drei Gruppen, der Männer, der Jünglinge und der Knaben, alle in roten Röcken mit kupfernem Leibgurt, mit Schwertern und kurzen Lanzen, die Männer überdies behelmt, überhaupt in vollem Waffenschmuck; diese in zwei Scharen geteilt, der Schafe in Schafpelzen mit buntem Überwurf, der Böcke nackt bis auf den Schurz mit einem Ziegenfell als Umwurf. Ebenso waren vielleicht die älteste und heiligste von allen Priesterschaften die „Springer“ und durften die Tänzer (ludii, ludiones) überhaupt bei keinem öffentlichen Aufzug und namentlich bei keiner Leichenfeier fehlen, weshalb denn der Tanz schon in alter Zeit ein gewöhnliches Gewerbe ward. Wo aber die Tänzer erscheinen, da stellen auch die Spielleute oder, was in ältester Zeit dasselbe ist, die Flötenbläser sich ein. Auch sie fehlen bei keinem Opfer, bei keiner Hochzeit und bei keinem Begräbnis, und neben der uralten öffentlichen Priesterschaft der Springer steht gleich alt, obwohl im Range bei weitem niedriger, die Pfeifergilde (collegium tibicinum, 1, 205), deren echte Musikantenart bezeugt wird durch das alte und selbst der strengen römischen Polizei zum Trotz behauptete Vorrecht, an ihrem Jahresfest maskiert und süßen Weines voll auf den Straßen sich herumzutreiben. Wenn also der Tanz als ehrenvolle Verrichtung, das Spiel als untergeordnete, aber notwendige Tätigkeit auftritt und darum öffentliche Genossenschaften für beide bestellt sind, so erscheint die Dichtung mehr als ein Zufälliges und gewissermaßen Gleichgültiges, mochte sie nun für sich entstehen oder dem Tänzer zur Begleitung seiner Sprünge dienen.

Den Römern galt als das älteste dasjenige Lied, das in der grünen Waldeseinsamkeit die Blätter sich selber singen. Was der „günstige Geist“ (faunus, von favere) im Haine flüstert und flötet, das verkünden die, denen es gegeben ist, ihm zu lauschen, den Menschen wieder in rhythmisch gemessener Rede (casmen, später carmen, von canere). Diesen weissagenden Gesängen der vom Gott ergriffenen Männer und Frauen (vates) verwandt sind die eigentlichen Zaubersprüche, die Besprechungsformeln gegen Krankheiten und anderes Ungemach und die bösen Lieder, durch welche man dem Regen wehrt und den Blitz herabruft oder auch die Saat von einem Feld auf das andere lockt; nur daß in diesen wohl von Haus aus neben den Wort- auch reine Klangformeln erscheinenSo gibt der ältere Cato (agr. 160) als kräftig gegen Verrenkungen den Spruch: hauat hauat hauat ista pista sista damia bodannaustra, der vermutlich seinem Erfinder ebenso dunkel war, wie er es uns ist. Natürlich finden sich daneben auch Wortformeln; so z. B. hilft es gegen Gicht, wenn man nüchtern eines andern gedenkt und dreimal neunmal, die Erde berührend und ausspuckend, die Worte spricht: „Ich denke dein, hilf meinen Füßen. Die Erde empfange das Unheil, Gesundheit sei mein Teil“ (terra pestem teneto, salus hic maneto. Varro rust. 1, 2, 27).. Fester überliefert und gleich uralt sind die religiösen Litaneien, wie die Springer und andere Priesterschaften sie sangen und tanzten und von denen die einzige bis auf uns gekommene, ein wahrscheinlich als Wechselgesang gedichtetes Tanzlied der Ackerbrüder zum Preise des Mars, wohl auch hier eine Stelle verdient:

Enos, Lases, iuvate!
Ne velue rue, Marmar, sins incurrere in pleores!
Satur fu, fere Mars! Timen sali! sta! berber!
Semunis alternei advocapit conctos!
Enos, Marmar, invato!
Triumpe!
Nos, Lares, iuvate! Ne veluem (= malam luem) ruem (= ruinam), Mamers, sinas incurrere in plures! Satur esto, fere Mars! In limen insili! sta! verbera (limen?)! Semones alterni advocate cunctos! Nos, Mamers, iuvato! Tripudia! Die ersten fünf Zeilen werden je dreimal, der Schlußruf fünfmal wiederholt. Die Übersetzung ist vielfach unsicher, besonders der dritten Zeile.

Die drei Inschriften des Tongefäßes vom Quirinal lauten: ioue sat deiuosqoi med mitat nei ted endo gosmis uirgo sied – asted noisi ope toitesiai pakariuois – duenos med feked (= onus me fecit) enmanom einom dze noine (wahrscheinlich = die noni) med malo statod. Sicher verständlich sind nur einzelne Wörter; bemerkenswert vor allem, daß Formen, die wir bisher nur als umbrische und oskische kannten, wie das Adjektiv pacer und die Partikel einom im Wert von et, hier wahrscheinlich doch als altlateinische uns entgegentreten.

 

Uns, Laren, helfet!

an die Götter

Nicht Sterben und Verderben, Mars, Mars,

 

laß einstürmen auf mehrere.

 

Satt sei, grauser Mars!

an die einzelnen

Auf die Schwelle springe! stehe! tritt sie!

Brüder

 

an alle

 

Brüder

Den Semonen, erst ihr, dann ihr, rufet zu, allen

an den Gott

Uns, Mars, Mars, hilf!

an die einzelnen

Springe!

Brüder

 

 

Das Latein dieses Liedes und der verwandten Bruchstücke der Baliarischen Gesänge, welche schon den Philologen der augustischen Zeit als die ältesten Urkunden ihrer Muttersprache galten, verhält sich zu dem Latein der Zwölf Tafeln etwa wie die Sprache der Nibelungen zu der Sprache Luthers; und wohl dürfen wir der Sprache wie dem Inhalt nach diese ehrwürdigen Litaneien den indischen Veden vergleichen.

Schon einer jüngeren Epoche gehören die Lob- und Schimpflieder an. Daß es in Latium der Spottlieder schon in alten Zeiten im Überfluß gab, würde sich aus dem Volkscharakter der Italiener abnehmen lassen, auch wenn nicht die sehr alten polizeilichen Maßnahmen dagegen es ausdrücklich bezeugten. Wichtiger aber wurden die Lobgesänge. Wenn ein Bürger zur Bestattung weggetragen ward, so folgte der Bahre eine ihm anverwandte oder befreundete Frau und sang ihm unter Begleitung eines Flötenspielers das Leichenlied (nenia). Desgleichen wurden bei dem Gastmahl von den Knaben, die nach der damaligen Sitte die Väter auch zum Schmaus außer dem eigenen Hause begleiteten, Lieder zum Lobe der Ahnen abwechselnd bald ebenfalls zur Flöte gesungen, bald auch ohne Begleitung bloß gesagt (assa voce canere). Daß auch die Männer bei dem Gastmahl der Reihe nach sangen, ist wohl erst spätere vermutlich den Griechen entlehnte Sitte. Genaueres wissen wir von diesen Ahnenliedern nicht; aber es versteht sich, daß sie schilderten und erzählten und insofern neben und aus dem lyrischen Moment der Poesie das epische entwickelten.

Andere Elemente der Poesie waren tätig in dem uralten, ohne Zweifel über die Scheidung der Stämme zurückreichenden Volkskarneval, dem lustigen Tanz oder der Satura (I, 44). Der Gesang wird dabei nie gefehlt haben; es lag aber in den Verhältnissen, daß bei diesen vorzugsweise an Gemeindefesten und den Hochzeiten aufgeführten und gewiß vorwiegend praktischen Späßen leicht mehrere Tänzer oder auch mehrere Tänzerscharen ineinander griffen und der Gesang eine gewisse Handlung in sich aufnahm, welche natürlich überwiegend einen scherzhaften und oft einen ausgelassenen Charakter trug. So entstanden hier nicht bloß die Wechsellieder, wie sie später unter dem Namen der fescenninischen Gesänge auftreten, sondern auch die Elemente einer volkstümlichen Komödie, die bei dem scharfen Sinn der Italiener für das Äußerliche und das Komische und bei ihrem Behagen an Gestenspiel und Verkleidung auf einen vortrefflich geeigneten Boden gepflanzt war.

Erhalten ist nichts von diesen Inkunabeln des römischen Epos und Drama. Daß die Ahnenlieder traditionell waren, versteht sich von selbst und wird zum Überfluß dadurch bewiesen, daß sie regelmäßig von Kindern vorgetragen wurden; aber schon zu des älteren Cato Zeit waren dieselben vollständig verschollen. Die Komödien aber, wenn man den Namen gestatten will, sind in dieser Epoche und noch lange nachher durchaus improvisiert worden. Somit konnte von dieser Volkspoesie und Volksmelodie nichts fortgepflanzt werden als das Maß, die musikalische und chorische Begleitung und vielleicht die Masken.

Ob es in ältester Zeit das gab, was wir Versmaß nennen, ist zweifelhaft; die Litanei der Arvalbrüder fügt sich schwerlich einem äußerlich fixierten metrischen Schema und erscheint uns mehr als eine bewegte Rezitation. Dagegen begegnet in späterer Zeit eine uralte Weise, das sogenannte saturnischeDer Name bezeichnet wohl nichts als das „Liedermaß“, insofern die sătura ursprünglich das beim Karneval gesungene Lied ist. Von demselben Stamm ist auch der Säegott Saeturnus oder Saiturnus, später Sāturnus benannt; sein Fest, die Saturnalien, ist allerdings eine Art Karneval, und es ist möglich, daß die Possen ursprünglich vorzugsweise an diesem aufgeführt wurden. Aber Beweise einer Beziehung der Satura zu den Saturnauen fehlen, und vermutlich gehört die unmittelbare Verknüpfung des versus sāturnius mit dem Gott Saturnus und die damit zusammenhängende Dehnung der ersten Silbe erst der späteren Zeit an. oder faunische Maß, welches den Griechen fremd ist und vermutlich gleichzeitig mit der ältesten latinischen Volkspoesie entstand. Das folgende, freilich einer weit späteren Zeit angehörende Gedicht mag von demselben eine Vorstellung geben.

Quod ré suá difeídens – ásperé afleícta
Paréns timéns heíc vóvit – vóto hóc soúto
Decumá factá poloúcta – leíbereís lubéntes
Donú danúnt –
Hércolei – m áxsumé – méreto
Semól te oránt se vóti – crébro cóndémnes

Was, Mißgeschick befürchtend – schwer betroffnem Wohlstand,
Sorgvoll der Ahn gelobt hier, – des Gelöbnis eintraf,
Zu Weih‘ und Schmaus den Zehnten – bringen gern die Kinder
Dem Hercoles zur Gabe – dar, dem hochverdienten;
Sie flehn zugleich dich an, daß – oft du sie erhörest.

In saturnischer Weise scheinen die Lob- wie die Scherzlieder gleichmäßig gesungen worden zu sein, zur Flöte natürlich und vermutlich so, daß namentlich der Einschnitt in jeder Zeile scharf angegeben ward, bei Wechselliedern hier auch wohl der zweite Sänger den Vers aufnahm. Es ist die saturnische Messung, wie jede andere im römischen und griechischen Altertum vorkommende, quantitativer Art, aber wohl unter allen antiken Versmaßen sowohl das am mindesten durchgebildete, da es außer anderen mannigfaltigen Lizenzen sich die Weglassung der Senkungen im weitesten Umfang gestattet, als auch das der Anlage nach unvollkommenste, indem diese einander entgegengesetzten iambischen und trochäischen Halbzeilen wenig geeignet sind, einen für höhere poetische Leistungen genügenden rhythmischen Bau zu entwickeln.

Die Grundelemente der volkstümlichen Musik und Choreutik Latiums, die ebenfalls in dieser Zeit sich festgestellt haben müssen, sind für uns verschollen; außer daß uns von der latinischen Flöte berichtet wird als einem kurzen und dünnen, nur mit vier Löchern versehenen, ursprünglich, wie der Name zeigt, aus einem leichten Tierschenkelknochen verfertigten musikalischen Instrument.

Daß endlich die späteren stehenden Charaktermasken der latinischen Volkskomödie oder der sogenannten Atellane: Maccus der Harlekin, Bucco der Vielfraß, Pappus der gute Papa, der weise Dossennus – Masken, die man so artig wie schlagend mit den beiden Bedienten, dem Pantalon und dem Dottore der italienischen Pulcinellkomödie verglichen hat –, daß diese Masken bereits der ältesten latinischen Volkskunst angehören, läßt sich natürlich nicht eigentlich beweisen; da aber der Gebrauch der Gesichtsmasken in Latium für die Volksbühne von unvordenklichem Alter ist, während die griechische Bühne in Rom erst ein Jahrhundert nach ihrer Begründung dergleichen Masken an nahm, da jene Atellanenmasken ferner entschieden italischen Ursprungs sind und da endlich die Entstehung wie die Durchführung improvisierter Kunstspiele ohne feste, dem Spieler seine Stellung im Stück ein für allemal zuweisende Masken nicht wohl denkbar ist, so wird man die festen Masken an die Anfänge des römischen Schauspiels anknüpfen oder vielmehr sie als diese Anfänge selbst betrachten dürfen.

Wenn unsere Kunde über die älteste einheimische Bildung und Kunst von Latium spärlich fließt, so ist es begreiflich, daß wir noch weniger wissen über die frühesten Anregungen, die hier den Römern von außen her zuteil wurden. In gewissem Sinn kann schon die Kunde der ausländischen, namentlich der griechischen Sprache hierher gezählt werden, welche letztere den Latinern natürlich im allgemeinen fremd war, wie dies schon die Anordnung hinsichtlich der Sibyllinischen Orakel beweist, aber doch unter den Kaufleuten nicht gerade selten gewesen sein kann; und dasselbe wird zu sagen sein von der eng mit der Kunde des Griechischen zusammenhängenden Kenntnis des Lesens und Schreibens. Indes die Bildung der antiken Welt ruhte weder auf der Kunde fremder Sprachen noch auf elementaren technischen Fertigkeiten; wichtiger als jene Mitteilungen wurden für die Entwicklung Latiums die musischen Elemente, die sie bereits in frühester Zeit von den Hellenen empfingen. Denn lediglich die Hellenen und weder Phöniker noch Etrusker sind es gewesen, welche in dieser Beziehung eine Einwirkung auf die Italiker übten; nirgends begegnet bei den letzteren eine musische Anregung, die auf Karthago oder Caere zurückwiese, und es darf wohl überhaupt die phönikische wie die etruskische den Bastard- und darum auch nicht weiterzeugenden Formen der Zivilisation zugezählt werdenDen Gebrauch der Leier im Ritual bezeugen Cic. De orat. 3, 51,197; Cic. Tusc. 4, 2, 4; Dion. Hal. 7, 72; App. Pun. 66 und die Inschrift Orelli 2448, vgl. 1803. Ebenso ward sie bei den Nenien angewandt (Varro bei Nonius unter nenia und praeficae). Aber das Leierspiel blieb darum nicht weniger unschicklich (Scipio bei Macr. Sat. 2, 10 und sonst); von dem Verbot der Musik im Jahre 639 wurden nur der „latinische Flötenspieler samt dem Sängern, nicht der Saitenspieler ausgenommen, und die Gäste bei dem Mahle sangen nur zur Flöte (Cato bei Cic. Tusc. 1, 2, 3; 4, 2, 3; Varro bei Nonius unter assa voce; Hor. carm. 4, 15, 30). Quintilian, der das Gegenteil sagt (inst. 1, 10, 20), hat, was Cicero (De orat. 3, 51) von den Götterschmäusen erzählt, ungenau auf Privatgastmähler übertragen.. Daß von dem Sagenschatz der Griechen bereits in dieser Zeit nach Latium floß, zeigt schon die bereitwillige Aufnahme der griechischen Bildwerke mit ihren durchaus auf dem poetischen Schaue der Nation ruhenden Darstellungen; und auch die altlatinischen Barbarisierungen der Persephone in Prosepna, des Bellerophontes in Melerpanta, des Kyklops in Codes, des Laomedon in Alumentus, des Ganymedes in Catamitus, des Neilos in Melus, der Semele in Stimula lassen erkennen, in wie ferner Zeit schon solche Erzählungen von Latinern vernommen und wiederholt worden sind. Endlich aber und vor allem kann das römische Haupt- und Stadtfest (ludi maximi, Romani) wo nicht seine Entstehung, doch seine spätere Einrichtung nicht wohl anders als unter griechischem Einfluß erhalten haben. Es ward als außerordentliche Dankfeier, regelmäßig auf Grund eines von dem Feldherrn vor der Schlacht getanen Gelübdes und darum gewöhnlich bei der Heimkehr der Bürgerwehr im Herbst, dem kapitolinischen Jupiter und den mit ihm zusammen hausenden Göttern ausgerichtet. Im Festzuge begab man sich nach dem zwischen Palatin und Aventin abgesteckten und mit einer Arena und Zuschauerplätzen versehenen Rennplatz: voran die ganze Knabenschaft Roms, geordnet nach den Abteilungen der Bürgerwehr zu Pferde und zu Fuß; sodann die Kämpfer und die früher beschriebenen Tänzergruppen, jede mit der ihr eigenen Musik; hierauf die Diener der Götter mit den Weihrauchfässern und dem anderen heiligen Gerät; endlich die Bahren mit den Götterbildern selbst. Das Schaufest selbst war das Abbild des Krieges, wie er in ältester Zeit gewesen, der Kampf zu Wagen, zu Roß und zu Fuß. Zuerst liefen die Streitwagen, deren jeder nach homerischer Art einen Wagenlenker und einen Kämpfer trug, darauf die abgesprungenen Kämpfer, alsdann die Reiter, deren jeder nach römischer Fechtart mit einem Reit- und einem Handpferd erschien (desultor); endlich maßen die Kämpfer zu Fuß, nackt bis auf einen Gürtel um die Hüften, sich miteinander im Wettlauf, im Ringen und im Faustkampf. In jeder Gattung der Wettkämpfe ward nur einmal und zwischen nicht mehr als zwei Kämpfern gestritten. Den Sieger lohnte der Kranz, und wie man den schlichten Zweig in Ehren hielt, beweist die gesetzliche Gestattung, ihm denselben, wenn er starb, auf die Bahre zu legen. Das Fest dauerte also nur einen Tag, und wahrscheinlich ließen die Wettkämpfe an diesem selbst noch Zeit genug für den eigentlichen Karneval, wobei denn die Tänzergruppen ihre Kunst und vor allem ihre Possen entfaltet haben mögen und wohl auch andere Darstellungen, zum Beispiel Kampfspiele der Knabenreiterei, ihren Platz fandenDas Stadtfest kann ursprünglich nur einen Tag gewährt haben, da es noch im sechsten Jahrhundert aus vier Tagen szenischer und einem Tag circensischer Spiele bestand (F. W. Ritschl, Parerga zu Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) und notorisch die szenischen Spiele erst später hinzugekommen sind. Daß in jeder Kampfgattung ursprünglich nur einmal gestritten ward, folgt aus Liv. 44, 9; wenn später an einem Spieltag bis zu fünfundzwanzig Wagenpaare nacheinander liefen (Varro bei Serv. georg. 3, 18), so ist das Neuerung. Daß nur zwei Wagen und ebenso ohne Zweifel nur zwei Reiter und zwei Ringer um den Preis stritten, folgt daraus, daß zu allen Zeiten in den römischen Wagenrennen nur so viel Wagen zugleich liefen, als es sogenannte Faktionen gab und dieser ursprünglich nur zwei waren, die weiße und die rote. Das zu den circensischen gehörende Reiterspiel der patrizischen Epheben, die sogenannte Troia, ward bekanntlich von Caesar wieder ins Leben gerufen; ohne Zweifel knüpfte es an den Aufzug der Knabenbürgerwehr zu Pferde, dessen Dionys (7, 72) gedenkt. . Auch die im ernsten Kriege gewonnenen Ehren spielten bei diesem Feste eine Rolle; der tapfere Streiter stellte an diesem Tage die Rüstungen der erschlagenen Gegner aus und trug ebenso wie der Sieger im Wettspiel den Kranz, mit dem die dankbare Gemeinde ihn geschmückt hatte.

Solcher Art war das römische Sieges- oder Stadtfest, und auch die übrigen öffentlichen Festlichkeiten Roms werden wir uns ähnlich, wenn auch in den Mitteln beschränkter vorzustellen haben. Bei der öffentlichen Leichenfeier traten regelmäßig Tänzer und daneben, wenn mehr geschehen sollte, noch Wettreiter auf, wo dann die Bürgerschaft durch den öffentlichen Ausrufer vorher besonders zu dem Begräbnis eingeladen ward.

Aber dieses mit den Sitten und den Übungen Roms so eng verwachsene Stadtfest trifft mit den hellenischen Volksfesten wesentlich zusammen: so vor allem in dem Grundgedanken der Vereinigung einer religiösen Feier und eines kriegerischen Wettkampfs; in der Auswahl der einzelnen Übungen, die bei dem Fest von Olympia nach Pindaros‘ Zeugnis von Haus aus im Laufen, Ringen, Faustkampf, Wagenrennen, Speer- und Steinwerfen bestanden; in der Beschaffenheit des Siegespreises, der in Rom so gut wie bei den griechischen Nationalfesten ein Kranz ist und dort wie hier nicht dem Lenker, sondern dem Besitzer des Gespannes zuteil wird; endlich in dem Hineinziehen allgemein patriotischer Taten und Belohnungen in das allgemeine Volksfest. Zufällig kann diese Übereinstimmung nicht sein, sondern nur entweder ein Rest uralter Volksgemeinschaft oder eine Folge des ältesten internationalen Verkehrs; für die letztere Annahme spricht die überwiegende Wahrscheinlichkeit. Das Stadtfest in der Gestalt, wie wir es kennen, ist keine der ältesten Einrichtungen Roms, da der Spielplatz selbst erst zu den Anlagen der späteren Königszeit gehört (I, 123); und so gut wie die Verfassungsreform damals unter griechischem Einfluß erfolgt ist (I, 109), kann gleichzeitig im Stadtfest eine ältere Belustigungsweise – der „Sprung“ (triumpus, 1, 44) und etwa das in Italien uralte und bei dem Fest auf dem Albaner Berg noch lange in Übung gebliebene Schaukeln – mit den griechischen Rennen verbunden und bis zu einem gewissen Grade durch dieselben verdrängt worden sein. Es ist ferner von dem ernstlichen Gebrauch der Streitwagen wohl in Hellas, aber nicht in Latium eine Spur vorhanden. Endlich ist das griechische Stadion (dorisch σπάδιον) als spatium mit der gleichen Bedeutung in sehr früher Zeit in die lateinische Sprache übergegangen und liegt sogar ein ausdrückliches Zeugnis dafür vor, daß die Römer die Pferde- und Wagenrennen von den Thurinern entlehnten, wogegen freilich eine andere Angabe sie aus Etrurien herleitet. Demnach scheinen die Römer außer den musikalischen und poetischen Anregungen auch den fruchtbaren Gedanken des gymnastischen Wettstreits den Hellenen zu verdanken.

Es waren also in Latium nicht bloß dieselben Grundlagen vorhanden, aus denen die hellenische Bildung und Kunst erwuchs, sondern es hat auch diese selbst in frühester Zeit mächtig auf Latium gewirkt. Die Elemente der Gymnastik besaßen die Latiner nicht bloß insofern, als der römische Knabe wie jeder Bauernsohn Pferde und Wagen regieren und den Jagdspieß führen lernte und als in Rom jeder Gemeindebürger zugleich Soldat war; sondern es genoß die Tanzkunst von jeher öffentlicher Pflege, und früh trat mit den hellenischen Wettkämpfen eine gewaltige Anregung hinzu. In der Poesie war die hellenische Lyrik und Tragödie aus ähnlichen Gesängen erwachsen, wie das römische Festlied sie darbot, enthielt das Ahnenlied die Keime des Epos, die Maskenposse die Keime der Komödie; und auch hier mangelte griechische Einwirkung nicht.

Um so merkwürdiger ist es, daß alle diese Samenkörner nicht aufgingen oder verkümmerten. Die körperliche Erziehung der latinischen Jugend blieb derb und tüchtig, aber fern von dem Gedanken einer künstlerischen Ausbildung des Körpers, wie die hellenische Gymnastik sie verfolgte. Die öffentlichen Wettkämpfe der Hellenen veränderten in Italien nicht gerade ihre Satzungen, aber ihr Wesen. Während sie Wettkämpfe der Bürger sein sollten und ohne Zweifel anfangs auch in Rom waren, wurden sie Wettkämpfe von Kunstreitern und Kunstfechtern; und wenn der Beweis freier und hellenischer Abstammung die erste Bedingung der Teilnahme an den griechischen Festspielen war, so kamen die römischen bald in die Hände von freigelassenen und fremden, ja selbst von unfreien Leuten. Folgeweise verwandelte sich der Umstand der Mitstreiter in ein Zuschauerpublikum, und von dem Kranz des Wettsiegers, den man mit Recht das Wahrzeichen von Hellas genannt hat, ist in Latium späterhin kaum die Rede.

Ähnlich erging es der Poesie und ihren Schwestern. Nur die Griechen und die Deutschen besitzen den freiwillig hervorsprudelnden Liederquell; aus der goldenen Schale der Musen sind auf Italiens grünen Boden eben nur wenige Tropfen gefallen. Zur eigentlichen Sagenbildung kam es nicht. Die italischen Götter sind Abstraktionen gewesen und geblieben und haben nie zu rechter persönlicher Gestaltung sich gesteigert oder, wenn man will, verdunkelt. Ebenso sind die Menschen, auch die größten und herrlichsten, dem Italiker ohne Ausnahme Sterbliche geblieben und wurden nicht wie in Griechenland in sehnsüchtiger Erinnerung und liebevoll gepflegter Überlieferung in der Vorstellung der Menge zu göttergleichen Heroen erhoben. Vor allem aber kam es in Latium nicht zur Entwicklung einer Nationalpoesie. Es ist die tiefste und herrlichste Wirkung der musischen Künste und vor allem der Poesie, daß sie die Schranken der bürgerlichen Gemeinden sprengen und aus den Stämmen ein Volk, aus den Völkern eine Welt erschaffen. Wie heutzutage in unserer und durch unsere Weltliteratur die Gegensätze der zivilisierten Nationen aufgehoben sind, so hat die griechische Dichtkunst das dürftige und egoistische Stammgefühl zum hellenischen Volksbewußtsein und dieses zum Humanismus umgewandelt. Aber in Latium trat nichts Ähnliches ein; es mochte Dichter in Alba und in Rom geben, aber es entstand kein latinisches Epos, nicht einmal, was eher noch denkbar wäre, ein latinischer Bauernkatechismus von der Art wie die Hesiodischen ‚Werke und Tage‘. Es konnte wohl das latinische Bundesfest ein musisches Nationalfest werden wie die Olympien und Isthmien der Griechen. Es konnte wohl an Albas Fall ein Sagenkreis anknüpfen, wie er um Ilions Eroberung sich spann, und jede Gemeinde und jedes edle Geschlecht Latiums seine eigenen Anfänge darin wiederfinden oder hineinlegen. Aber weder das eine noch das andere geschah und Italien blieb ohne nationale Poesie und Kunst.

Was hieraus mit Notwendigkeit folgt, daß die Entwicklung der musischen Künste in Latium mehr ein Eintrocknen als ein Aufblühen war, das bestätigt, auch für uns noch unverkennbar, die Überlieferung. Die Anfänge der Poesie eignen wohl überall mehr den Frauen als den Männern; Zaubergesang und Totenlied gehören vorzugsweise jenen und nicht ohne Grund sind die Liedesgeister, die Casmenen oder Camenen und die Carmentis Latiums, wie die Musen von Hellas weiblich gefaßt worden. Aber in Hellas kam die Zeit, wo der Dichter die Sangfrau ablöste und Apollon an die Spitze der Musen trat; Latium hat keinen nationalen Gott des Gesanges und die ältere lateinische Sprache keine Bezeichnung für den DichterVates ist wohl zunächst der Vorsänger (denn so wird der vates der Salier zu fassen sein) und nähert sich dann im älteren Sprachgebrauch dem griechischen προφήτης: es ist ein dem religiösen Ritual angehörendes Wort und hat, auch als es später vom Dichter gebraucht ward, immer den Nebenbegriff des gotterfüllten Sängers, des Musenpriesters, behalten.. Die Liedesmacht ist hier unverhältnismäßig schwächer aufgetreten und rasch verkümmert. Die Übung musischer Künste hat sich hier früh teils auf Frauen und Kinder, teils auf zünftige und unzünftige Handwerker beschränkt. Daß die Klagelieder von den Frauen, die Tischlieder von den Knaben gesungen wurden, ist schon erwähnt worden; auch die religiösen Litaneien wurden vorzugsweise von Kindern ausgeführt. Die Spielleute bildeten ein zünftiges, die Tänzer und die Klagefrauen (praeficae) unzünftige Gewerbe. Wenn Tanz, Spiel und Gesang in Hellas stets blieben, was sie auch in Latium ursprünglich gewesen waren, ehrenvolle und dem Bürger wie seiner Gemeinde zur Zier gereichende Beschäftigungen, so zog sich in Latium der bessere Teil der Bürgerschaft mehr und mehr von diesen eitlen Künsten zurück, und um so entschiedener, je mehr die Kunst sich öffentlich darstellte und je mehr sie von den belebenden Anregungen des Auslandes durchdrungen war. Die einheimische Flöte ließ man sich gefallen, aber die Lyra blieb geächtet; und wenn das nationale Maskenspiel zugelassen ward, so schien das ausländische Ringspiel nicht bloß gleichgültig, sondern schändlich. Während die musischen Künste in Griechenland immer mehr Gemeingut eines jeden einzelnen und aller Hellenen zusammen werden und damit aus ihnen eine allgemeine Bildung sich entwickelt, schwinden sie in Latium allgemach aus dem allgemeinen Volksbewußtsein, und indem sie zu in jeder Beziehung geringen Handwerken herabsinken, kommt hier nicht einmal die Idee einer der Jugend mitzuteilenden, allgemein nationalen Bildung auf. Die Jugenderziehung blieb durchaus befangen in den Schranken der engsten Häuslichkeit. Der Knabe wich dem Vater nicht von der Seite und begleitete ihn nicht bloß mit dem Pfluge und der Sichel auf das Feld, sondern auch in das Haus des Freundes und in den Sitzungssaal, wenn der Vater zu Gaste oder in den Rat geladen war. Diese häusliche Erziehung war wohl geeignet, den Menschen ganz dem Hause und ganz dem Staate zu bewahren; auf der dauernden Lebensgemeinschaft zwischen Vater und Sohn und auf der gegenseitigen Scheu des werdenden Menschen vor dem fertigen und des reifen Mannes vor der Unschuld der Jugend beruhte die Festigkeit der häuslichen und staatlichen Tradition, die Innigkeit des Familienbandes, überhaupt der gewichtige Ernst (gravitas) und der sittliche und würdige Charakter des römischen Lebens. Wohl war auch diese Jugenderziehung eine jener Institutionen schlichter und ihrer selbst kaum bewußter Weisheit, die ebenso einfach sind wie tief; aber über der Bewunderung, die sie erweckt, darf es nicht übersehen werden, daß sie nur durchgeführt werden konnte und nur durchgeführt ward durch die Aufopferung der eigentlichen individuellen Bildung und durch völligen Verzicht auf die so reizenden wie gefährlichen Gaben der Musen.

Über die Entwicklung der musischen Künste bei den Etruskern und Sabellern mangelt uns so gut wie jede KundeDaß die Atellanen und Fescenninen nicht der kampanischen und etruskischen, sondern der latinischen Kunst angehören, wird seiner Zeit gezeigt werden.. Es kann höchstens erwähnt werden, daß auch in Etrurien die Tänzer (histri, histriones) und die Flötenspieler (subulones) früh und wahrscheinlich noch früher als in Rom aus ihrer Kunst ein Gewerbe machten und nicht bloß in der Heimat, sondern auch in Rom um geringen Lohn und keine Ehre sich öffentlich produzierten. Bemerkenswerter ist es, daß an dem etruskischen Nationalfest, welches die sämtlichen Zwölfstädte durch einen Bundespriester ausrichteten, Spiele wie die des römischen Stadtfestes gegeben wurden; indes die dadurch nahegelegte Frage, inwieweit die Etrusker mehr als die Latiner zu einer nationalen, über den einzelnen Gemeinden stehenden musischen Kunst gelangt sind, sind wir zu beantworten nicht mehr imstande. Anderseits mag wohl in Etrurien schon in früherer Zeit der Grund gelegt sein zu der geistlosen Ansammlung gelehrten, namentlich theologischen und astrologischen Plunders, durch den die Tusker späterhin, als in dem allgemeinen Verfall die Zopfgelehrsamkeit zur Blüte kam, mit den Juden, Chaldäern und Ägyptern die Ehre teilten, als Urquell göttlicher Weisheit angestaunt zu werden.

Womöglich noch weniger wissen wir von sabellischer Kunst; woraus natürlich noch keineswegs folgt, daß sie der der Nachbarstämme nachgestanden hat. Vielmehr läßt sich nach dem sonst bekannten Charakter der drei Hauptstämme vermuten, daß an künstlerischer Begabung die Samniten den Hellenen am nächsten, die Etrusker ihnen am fernsten gestanden haben mögen; und eine gewisse Bestätigung dieser Annahme gewährt die Tatsache, daß die bedeutendsten und eigenartigsten unter den römischen Poeten, wie Naevius, Ennius, Lucilius, Horatius, den samnitischen Landschaften angehören, wogegen Etrurien in der römischen Literatur fast keine anderen Vertreter hat als den Arretiner Maecenas, den unleidlichsten aller herzvertrockneten und worteverkräuselnden Hofpoeten, und den Volaterraner Persius, das rechte Ideal eines hoffärtigen und mattherzigen, der Poesie beflissenen Jungen.

Die Elemente der Baukunst sind, wie dies schon angedeutet ward, uraltes Gemeingut der Stämme. Den Anfang aller Tektonik macht das Wohnhaus; es ist dasselbe bei Griechen und Italikern. Von Holz gebaut und mit einem spitzen Stroh- oder Schindeldach bedeckt, bildet es einen viereckigen Wohnraum, welcher durch die mit dem Regenloch im Boden korrespondierende Deckenöffnung (cavum aedium) den Rauch entläßt und das Licht einführt. Unter dieser „schwarzen Decke“ (atrium) werden die Speisen bereitet und verzehrt; hier werden die Hausgötter verehrt und das Ehebett wie die Bahre aufgestellt; hier empfängt der Mann die Gäste und sitzt die Frau spinnend im Kreise ihrer Mägde. Das Haus hatte keinen Flur, insofern man nicht den unbedeckten Raum zwischen der Haustür und der Straße dafür nehmen will, welcher seinen Namen vestibulum, das ist der Ankleideplatz, davon erhielt, daß man im Hause im Untergewand zu gehen pflegte und nur, wenn man hinaustrat, die Toga umwarf. Auch eine Zimmereinteilung mangelte, außer daß um den Wohnraum herum Schlaf- und Vorratskammern angebracht werden konnten; und an Treppen und aufgesetzte Stockwerke ist noch weniger zu denken.

Ob und wieweit aus diesen Anfängen eine national-italische Tektonik hervorging, ist kaum zu entscheiden, da die griechische Einwirkung schon in der frühesten Zeit hier übermächtig eingegriffen und die etwa vorhandenen volkstümlichen Anfänge fast ganz überwuchert hat. Schon die älteste italische Baukunst, welche uns bekannt ist, steht nicht viel weniger unter dem Einfluß der griechischen als die Tektonik der augustischen Zeit. Die uralten Gräber von Caere und Alsium sowie wahrscheinlich auch das älteste unter den kürzlich aufgedeckten praenestinischen sind ganz wie die Thesauren von Orchomenos und Mykenae durch übereinandergeschobene, allmählich einspringende und mit einem großen Deckstein geschlossene Steinlagen überdacht gewesen. In derselben Weise ist ein sehr altertümliches Gebäude an der Stadtmauer von Tusculum gedeckt, und ebenso gedeckt war ursprünglich das Quellhaus (tullianum) am Fuße des Kapitols, bis des darauf gesetzten Gebäudes wegen die Spitze abgetragen ward. Die nach demselben System angelegten Tore gleichen sich völlig in Arpinum und in Mykenae. Der Emissar des Albaner Sees hat die größte Ähnlichkeit mit dem des Kopaischen. Die sogenannten kyklopischen Ringmauern kommen in Italien, vorzugsweise in Etrurien, Umbrien, Latium und der Sabina häufig vor und gehören der Anlage nach entschieden zu den ältesten Bauwerken Italiens, obwohl der größte Teil der jetzt vorhandenen wahrscheinlich erst viel später, einzelne sicher erst im siebenten Jahrhundert der Stadt aufgeführt worden sind. Sie sind, eben wie die griechischen, bald ganz roh aus großen unbearbeiteten Felsblöcken mit dazwischen eingeschobenen kleineren Steinen, bald quadratisch in horizontalen LagenDieser Art sind die Servianischen Mauern gewesen. Sie bestehen teils aus einer Verstärkung der Hügelabhänge durch vorgelegte bis zu vier Metern starke Futtermauern, teils in den Zwischenräumen, vor allem am Viminal und Quirinal, wo vom Esquilinischen bis zum Collinischen Tore die natürliche Verteidigung fehlte, aus einem Erdwall, welcher nach außen durch eine ähnliche Futtermauer abgeschlossen wird. Auf diesen Futtermauern ruhte die Brustwehr. Ein Graben, nach zuverlässigen Berichten der Alten 30 Fuß tief und 100 Fuß breit, zog sich vor dem Wall hin, zu dem die Erde aus eben diesem Graben genommen war. Die Brustwehr hat sich nirgends erhalten; von den Futtermauern sind in neuerer Zeit ausgedehnte Überreste zum Vorschein gekommen. Die Tuffblöcke derselben sind im länglichen Rechteck behauen, durchschnittlich 60 Zentimeter (= 2 röm. Fuß) hoch und breit, während die Länge von 70 Zentimetern bis zu drei Metern wechselt, und ohne Anwendung von Mörtel, abwechselnd mit den Lang- und mit den Schmalseiten nach außen, in mehreren Reihen nebeneinander geschichtet.

Der im Jahre 1862 in der Villa Negroni aufgedeckte Teil des Servianischen Walls am Viminalischen Tor ruht auf einem Fundament gewaltiger Tuffblöcke von drei bis vier Metern Höhe und Breite, auf welchem dann aus Blöcken von demselben Material und derselben Größe, wie sie bei der Mauer sonst verwandt waren, die Außenmauer sich erhob. Der dahinter aufgeschüttete Erdwall scheint auf der oberen Fläche eine Breite bis zu etwa dreizehn Metern oder reichlich 40 röm. Fuß, die ganze Mauerwehr mit Einrechnung der Außenmauer von Quadern eine Breite bis zu fünfzehn Metern oder 50 röm. Fuß gehabt zu haben. Die Stücke aus Peperinblöcken, welche mit eisernen Klammern verbunden sind, sind erst bei späteren Ausbesserungsarbeiten hinzugekommen.

Den Servianischen wesentlich gleichartig sind die in der Vigna Nussiner am Abhang des Palatins nach der Kapitolseite und an anderen Punkten des Palatin aufgefundenen Mauern, die von Jordan (Topographie der Stadt Rom im Altertum. Bd. 2. Berlin 1885, S. 173) wahrscheinlich mit Recht für Überreste der Burgmauer des palatinischen Rom erklärt worden sind.

Die bildenden und zeichnenden Künste sind jünger als die Architektur; das Haus muß erst gebaut sein, ehe man daran geht, Giebel und Wände zu schmücken. Es ist nicht wahrscheinlich, daß diese Künste in Italien schon während der römischen Königszeit recht in Aufnahme gekommen sind; nur in Etrurien, wo Handel und Seeraub früh große Reichtümer konzentrierten, wird die Kunst oder, wenn man lieber will, das Handwerk in frühester Zeit Fuß gefaßt haben. Die griechische Kunst, wie sie auf Etrurien gewirkt hat, stand, wie ihr Abbild beweist, noch auf einer sehr primitiven Stufe und es mögen wohl die Etrusker in nicht viel späterer Zeit von den Griechen gelernt haben, in Ton und Metall zu arbeiten, als diejenige war, in der sie das Alphabet von ihnen entlehnten. Von etruskischer Kunstfertigkeit dieser Epoche geben die Silbermünzen von Populonia, fast die einzigen mit einiger Sicherheit dieser Epoche zuzuweisenden Arbeiten, nicht gerade einen hohen Begriff; doch mögen von den etruskischen Bronzewerken, welche die späteren Kunstkenner so hoch stellten, die besten eben dieser Urzeit angehört haben, und auch die etruskischen Terrakotten können nicht ganz gering gewesen sein, da die ältesten in den römischen Tempeln aufgestellten Werke aus gebrannter Erde, die Bildsäule des kapitolinischen Jupiter und das Viergespann auf seinem Dache, in Veii bestellt worden waren und die großen derartigen Aufsätze auf den Tempeldächern überhaupt bei den späteren Römern als „tuscanische Werke“ gingen.

Dagegen war bei den Italikern, nicht bloß bei den sabellischen Stämmen, sondern selbst bei den Latinern, das eigene Bilden und Zeichnen in dieser Zeit noch erst im Entstehen. Die bedeutendsten Kunstwerke scheinen im Auslande gearbeitet worden zu sein. Der angeblich in Veii verfertigten Tonbilder wurde schon gedacht; daß in Etrurien verfertigte und mit etruskischen Inschriften versehene Bronzearbeiten wenn nicht in Latium überhaupt, doch mindestens in Praeneste gangbar waren, haben die neuesten Ausgrabungen bewiesen. Das Bild der Diana in dem römisch-latinischen Bundestempel auf dem Aventin, welches als das älteste Götterbild in Rom galtWenn Varro (bei Aug. civ. 4, 31, vgl. Plut. Num. 8) sagt, daß die Römer mehr als 170 Jahre die Götter ohne Bilder verehrt hätten, so denkt er offenbar an dies uralte Schnitzbild, welches nach der konventionellen Chronologie zwischen 176 und 219 (578 und 535) der Stadt dediziert und ohne Zweifel das erste Götterbild war, dessen Weihung die dem Varro vorliegenden Quellen erwähnten. Vgl. oben 1, 230., glich genau dem massaliotischen der ephesischen Artetuis und war vielleicht in Elea oder Massalia gearbeitet. Es sind fast allein die seit alter Zeit in Rom vorhandenen Zünfte der Töpfer, Kupfer- und Goldschmiede, welche das Vorhandensein eigenen Bildens und Zeichnens daselbst beweisen; von ihrem Kunststandpunkt aber ist es nicht mehr möglich, eine konkrete Vorstellung zu gewinnen.

Versuchen wir aus den Archiven ältester Kunstüberlieferung und Kunstübung geschichtliche Resultate zu gewinnen, so ist zunächst offenbar, daß die italische Kunst ebenso wie italisches Maß und italische Schrift nicht unter phönikischem, sondern ausschließlich unter hellenischem Einfluß sich entwickelt hat. Es ist nicht eine einzige unter den italischen Kunstrichtungen, die nicht in der altgriechischen Kunst ihr bestimmtes Musterbild fände, und insofern hat die Sage ganz recht, wenn sie die Verfertigung der bemalten Tonbilder, ohne Zweifel der ältesten Kunstart, in Italien zurückführt auf die drei griechischen Künstler: den „Bildner“, „Ordner“ und „Zeichner“, Eucheir, Diopos und Eugrammos, obwohl es mehr als zweifelhaft ist, daß diese Kunst zunächst von Korinth und zunächst nach Tarquinii kam. Von unmittelbarer Nachahmung orientalischer Muster findet sich ebensowenig eine Spur als von einer selbständig entwickelten Kunstform; wenn die etruskischen Steinschneider an der ursprünglich ägyptischen Käfer- oder Skarabäenform festhielten, so sind doch auch die Skarabäen in Griechenland in sehr früher Zeit nachgeschnitten worden, wie denn ein solcher Käferstein mit sehr alter griechischer Inschrift sich in Aegina gefunden hat, und können also den Etruskern recht wohl durch die Griechen zugekommen sein. Von dem Phöniker mochte man kaufen; man lernte nur von dem Griechen.

Auf die weitere Frage, von welchem griechischen Stamm den Etruskern die Kunstmuster zunächst zugekommen sind, läßt sich eine kategorische Antwort nicht geben; doch bestehen bemerkenswerte Beziehungen zwischen der etruskischen und der ältesten attischen Kunst. Die drei Kunstformen, die in Etrurien wenigstens späterhin in großer, in Griechenland nur in sehr beschränkter Ausdehnung geübt worden sind, die Grabmalerei, die Spiegelzeichnung und die Steinschneidekunst, sind bis jetzt auf griechischem Boden einzig in Athen und Aegina beobachtet worden. Der tuskische Tempel entspricht genau weder dem dorischen noch dem ionischen; aber in den wichtigsten Unterscheidungsmomenten, in dem um die Cella herumgeführten Säulengang sowie in der Unterlegung eines besonderen Postaments unter jede einzelne Säule, folgt der etruskische Stil dem jüngeren ionischen; und eben der noch vom dorischen Element durchdrungene ionisch-attische Baustil steht in der allgemeinen Anlage unter allen griechischen dem tuskischen am nächsten. Für Latium mangelt es so gut wie ganz an sicheren kunstgeschichtlichen Verkehrsspuren; wenn aber, wie sich dies ja genau genommen von selbst versteht, die allgemeinen Handels- und Verkehrsbeziehungen auch für die Kunstmuster entscheidend gewesen sind, so kann mit Sicherheit angenommen werden, daß die kampanischen und sizilischen Hellenen wie im Alphabet so auch in der Kunst die Lehrmeister Latiums gewesen sind; und die Analogie der aventinischen Diana mit der ephesischen Artemis widerspricht dem wenigstens nicht. Daneben war denn natürlich die ältere etruskische Kunst auch für Latium Muster. Den sabellischen Stämmen ist wie das griechische Alphabet so auch die griechische Bau- und Bildkunst wenn überhaupt doch nur durch Vermittlung der westlicheren italischen Stämme nahegetreten.

Wenn aber endlich über die Kunstbegabung der verschiedenen italischen Nationen ein Urteil gefällt werden soll, so ist schon hier ersichtlich, was freilich in den späteren Stadien der Kunstgeschichte noch bei weitem deutlicher hervortritt, daß die Etrusker wohl früher zur Kunstübung gelangt sind und massenhafter und reicher gearbeitet haben, dagegen ihre Werke hinter den latinischen und sabellischen an Zweckrichtigkeit und Nützlichkeit nicht minder wie an Geist und Schönheit zurückstehen. Es zeigt sich dies allerdings für jetzt nur noch in der Architektur. Der ebenso zweckmäßige wie schöne polygone Mauerbau ist in Latium und dem dahinterliegenden Binnenland häufig, in Etrurien selten und nicht einmal Caeres Mauern sind aus vieleckigen Blöcken geschichtet. Selbst in der auch kunstgeschichtlich merkwürdigen religiösen Hervorhebung des Bogens und der Brücke in Latium ist es wohl erlaubt, die Anfänge der späteren römischen Aquädukte und römischen Konsularstraßen zu erkennen. Dagegen haben die Etrusker den hellenischen Prachtbau wiederholt, aber auch verdorben, indem sie die für den Steinbau festgestellten Gesetze nicht durchaus geschickt auf den Holzbau übertrugen und durch das tief hinabgehende Dach und die weiten Säulenzwischenräume ihrem Gotteshaus, mit einem alten Baumeister zu reden, „ein breites, niedriges, sperriges und schwerfälliges Ansehen“ gegeben haben. Die Latiner haben aus der reichen Fülle der griechischen Kunst nur sehr weniges ihrem energisch realistischen Sinne kongenial gefunden, aber was sie annahmen, der Idee nach und innerlich sich angeeignet und in der Entwicklung des polygonen Mauerbaus vielleicht ihre Lehrmeister übertroffen; die etruskische Kunst ist ein merkwürdiges Zeugnis handwerksmäßig angeeigneter und handwerksmäßig festgehaltener Fertigkeiten, aber so wenig wie die chinesische ein Zeugnis auch nur genialer Rezeptivität. Wie man sich auch sträuben mag, so gut wie man längst aufgehört hat, die griechische Kunst aus der etruskischen abzuleiten, wird man sich auch noch entschließen müssen, in der Geschichte der italischen Kunst die Etrusker aus der ersten in die letzte Stelle zu versetzen.