Der Fluchtplan

Der Dachraum von Legrees Wohnhaus war, wie fast alle Dachräume, groß, öde, staubig, mit Spinnweben überzogen und mit altem Gerümpel angefüllt. Die reiche Familie, welche das Haus in den Tagen seines Glanzes bewohnte, hatte sehr viel prächtige Möbel kommen lassen, die sie zum Teil mit fortgenommen hatte, während einzelne Stücke in modrigen unbewohnten Zimmern verlassen zurückblieben oder in diesem Raume aufgespeichert wurden. Eine oder zwei große Kisten, in welchen die Möbel eingepackt gewesen, lehnten an der Wand. In derselben bemerkte man ein kleines Fenster, welches durch seine trüben bestaubten Scheiben ein dürftiges, ungewisses Licht auf die hohen Lehnstühle und staubbedeckten Tische, die dereinst bessere Tage gesehen hatten, fallen ließ. Im ganzen war es ein unheimlicher und spukhafter Ort; aber so spukhaft er war, fehlte es unter den abergläubischen Negern nicht an Geschichten, um seine Schrecken noch zu vermehren. Vor einigen Jahren war eine Negerin, die sich Legrees Unzufriedenheit zugezogen hatte, dort mehrere Wochen eingesperrt gewesen. Was dort geschah, sagen wir nicht, die Neger flüsterten sich unbestimmte, grauenhafte Gerüchte darüber zu; aber soviel wußte man, daß man den Leichnam der Unglücklichen eines Tages herunterholte und begrub; und darauf, hieß es, ertönten Flüche und Verwünschungen und das Klatschen heftiger Hiebe durch die alte Dachkammer und vermischten sich mit dem Stöhnen und Jammern der Verzweiflung. Als Legree zufällig einmal etwas davon anhörte, geriet er in den heftigsten Zorn und schwor, dem nächsten, der Geschichten von diesem Dachraum erzählte, Gelegenheit zu geben, zu erfahren, was darin sei, denn er wolle ihn eine Woche lang dort anschließen lassen. Dieser Wink genügte, um alle im Reden behutsam zu machen, obgleich er nicht im mindesten den Glauben an die Wahrheit der Geschichten erschütterte. Allmählich gewöhnte sich jeder im Hause, weil sich jeder davon zu sprechen scheute, die nach dem Dachraum führende Treppe zu vermeiden, und die Sage wurde allmählich vergessen. Jetzt war Cassy auf einmal eingefallen, Legrees so große abergläubische Reizbarkeit zu ihrer und ihrer Leidensgefährtin Befreiung zu benutzen.

Das Schlafzimmer Cassys lag gerade unter dem Dachraume. Eines Tages begann sie auf einmal, ohne mit Legree zu Rate zu gehen, mit großer Ostentation alles Möblement des Zimmers nach einem andern, ziemlich weit entlegenen auszuräumen. Die Sklaven, welche sie dazu hatte kommen lassen, liefen mit großem Eifer und in großer Verwirrung hin und her, als Legree von einem Ausritt zurückkehrte.

»Hallo! Hallo, Cassy!« sagte Legree. »Was gibt’s denn da?«

»Nichts, ich will nur ein anderes Zimmer haben«, sagte Cassy mürrisch.

»Und weshalb, möchte ich wissen?« sagte Legree.

»Nun, ich will«, sagte Cassy.

»Zum Teufel auch! Und weshalb?«

»Weil ich doch wenigstens dann und wann ein bißchen schlafen möchte.«

»Schlafen? Nun, was hindert dich am Schlafen?«

»Ich könnte es dir wahrscheinlich sagen, wenn du es hören wolltest«, sagte Cassy trocken.

»Heraus mit der Sprache, Dirne!« sagte Legree.

»Ach, es ist nichts. Dich wird es wahrscheinlich nicht stören – es ist nur Gestöhn und ein Lärm, als ob sich Leute balgten und auf dem Fußboden im Dachraum herumwälzten. Die halbe Nacht hindurch, von zwölf Uhr bis morgens früh.«

»Leute oben im Dachraume«, sagte Legree unruhig, aber mit einem gezwungenen Lachen, »wer sollten die sein, Cassy?«

Cassy erhob ihre stechenden schwarzen Augen und blickte Legree mit einem Ausdruck an, der ihn bis auf die Knochen durchzuckte, wie sie sagte:

»Gewiß, Simon, wer sollte das sein? Ich wollte, du könntest es mir sagen. Du weißt es aber wahrscheinlich nicht!«

Mit einem Fluche schlug Legree mit der Reitpeische nach ihr; aber sie trat zur Seite, schlüpfte durch die Tür, blickte zurück und sagte: »Wenn du in dem Zimmer schlafen willst, so wirst du alles erfahren. Es wäre vielleicht das Beste, du versuchtest es«, und dann machte sie sogleich die Tür zu und verschloß sie.

Legree lärmte und fluchte und drohte, die Tür einzuschlagen; aber zugleich schien er anderen Sinns zu werden und trat voller Unruhe in das Wohnzimmer. Cassy bemerkte, daß ihr Pfeil getroffen hatte; und von dieser Stunde an hörte sie nie auf, mit der ausnehmendsten Gewandtheit das glücklich begonnene System von Einschüchterung fortzusetzen.

In einem Astloch in dem Gebälk der Dachkammer hatte sie den Hals einer alten Flasche so angebracht, daß man bei dem schwächsten Winde die kläglichsten und unheimlichsten Jammertöne vernahm, während bei starkem Winde ein schrecklicher Wehschrei daraus wurde, der leichtgläubigen und abergläubischen Ohren wie ein Schrei des Entsetzens und der Verzweiflung vorkam.

Die Dienstboten vernahmen von Zeit zu Zeit diese Klänge, und alsbald frischte sich die Erinnerung an die alte Gespenstergeschichte mit voller Kraft wieder auf. Ein abergläubischer Schreckensschauer schien das ganze Haus zu erfüllen; und obgleich niemand ein Wort davon gegen Legree zu äußern wagte, fand er sich doch davon, wie von einer Atmosphäre umfangen.

Niemand ist so vollständig abergläubisch, wie der Gottlose. Der Christ fühlt sich durch den Glauben an einen weisen allmächtigen Vater beruhigt, dessen Gegenwart die unbekannte Leere mit Licht und Ordnung ausfüllt; aber für den Menschen, der Gott entthront hat, ist das Land der Geister in der Tat nach den Worten des hebräischen Sängers »ein Land der Finsternis und ein Schatten des Todes, ohne alle Ordnung, wo das Licht ist wie die Nacht«. Das Leben und der Tod sind ihm unheimliche Regionen, die mit Koboldsgestalten von unbestimmtem und schattenhaftem Grausen erfüllt sind.

Das schlummernde sittliche Gefühl in Legree war in ihm durch seine Gespräche mit Tom geweckt worden – nur um von der entschlossenen Kraft des Bösen niedergekämpft zu werden; aber doch klang noch in der dunklen, innerlichen Welt eine bebende Erschütterung nach, welche die Entstehung abergläubischer Furcht beförderte. Cassys Herrschaft über ihn war von einer seltsamen und eigentümlichen Art. Er war ihr Besitzer, ihr Tyrann und ihr Peiniger; sie war, wie er wußte, ganz und ohne jede Möglichkeit der Hilfe in seiner Gewalt; und dennoch kommt es vor, daß selbst der roheste Mann nicht in beständiger Gesellschaft eines starken weiblichen Charakters leben kann, ohne von ihm bedeutend beeinflußt zu werden. Als er sie zuerst gekauft hatte, war sie, wie sie erzählt hatte, ein in Luxus und Bildung erzogenes Weib; und dann zertrat er sie ohne Besinnen unter dem Fuße seiner Roheit. Aber wie die Zeit und entwürdigende Einflüsse und Verzweiflung ihren weiblichen Sinn verhärteten und die Flammen wilderer Leidenschaften anschürten, war sie gewissermaßen seine Herrin geworden, und er tyrannisierte und fürchtete sie abwechselnd. Dieser Einfluß war noch peinigender und entschiedener geworden, seit halber Wahnwitz allen ihren Worten und ihrem Tun einen seltsamen unheimlichen Anstrich gab.

Ein oder zwei Abende nach diesem Gespräch saß Legree in dem gewöhnlichen Zimmer neben einem flackernden Holzfeuer, welches die ganze Umgebung mit ungewissem Schimmer beleuchtete. Es war eine stürmische Nacht, wo in halb verfallenen alten Häusern gewöhnlich eine Unzahl von unbeschreiblichen Tönen zu vernehmen ist. Fenster rasselten, Läden klapperten, der Wind kam polternd die Esse herabgefahren und wirbelte allemal rauchend Asche empor, als ob eine Legion Gespenster hinter ihm drein kämen. Legree hatte seit einigen Stunden Rechnungen abgeschlossen und Zeitungen gelesen, während Cassy in einem Winkel saß und mürrisch ins Feuer blickte. Legree legte die Zeitung hin, und da er auf dem Tische ein altes Buch liegen sah, in welchem Cassy während der früheren Abendstunden gelesen hatte, so nahm er es und blätterte darin. Es war eine von jenen Sammlungen von Mord- und Gespenstergeschichten, die in ihrer grobrealistischen Darstellung eine seltsame Anziehungskraft auf den ausübten, der sie einmal zu lesen anfängt.

Legree schüttelte zweifelnd und höhnisch den Kopf, las aber eine Seite nach der andern, bis er nach einer Weile das Buch mit einem Fluche hinwarf.

»Du glaubst doch nicht an Gespenster, Cassy?« sagte er, indem er die Zange ergriff und das Feuer schürte. »Ich dachte, du hättest Verstand genug, dich nicht von leerem Gelärm einschüchtern zu lassen.«

»’s ist einerlei, was ich glaube«, sagte Cassy mürrisch.

»Früher versuchten sie mich immer auf dem Meere mit ihren Geschichten zu fürchten zu machen«, sagte Legree, »’s ist ihnen nie gelungen. Ich bin zu zähe für solch dummes Zeug, sage ich dir.« Cassy sah ihn aus ihrem dunklen Winkel scharf an. In ihrem Auge funkelte das seltsame Licht, welches Legree stets mit Unruhe erfüllte.

»Der Lärm war von weiter nichts, als von Ratten und vom Winde«, sagte Legree. »Ratten können einen Höllenlärm machen. Ich habe sie manchmal unten im Schiffsraume gehört; und der Wind – Teufel! aus dem Winde kann man alles machen.«

Cassy wußte, daß Legree von ihrem Blick unruhig wurde, und deshalb antwortete sie nicht, sondern starrte ihn mit demselben seltsamen unheimlichen Ausdruck wie vorher an.

»Heraus mit der Sprache, Weib – du bist anderer Meinung?« sagte Legree.

»Können Ratten die Treppe herunterkommen und durch den Gang schreiten und eine Türe öffnen, wenn du sie verschlossen und einen Stuhl dagegengestellt hast?« sagte Cassy. »Und können sie trapp, trapp, trapp, gerade auf dein Bett losschreiten und ihre Hand ausstrecken, so?« Cassy hatte ihre glitzernden Augen starr auf Legree geheftet, während sie sprach, und er stierte sie an, wie ein Mann, den ein böser Traum gefangenhält, bis er, wie sie zuletzt ihre ruhig kalte Hand auf die seine legte, mit einem Fluche zurücksprang.

»Weib, was meinst du, hast du das gesehen?«

»O nein – natürlich nicht – hätte ich das gesagt?« sagte Cassy mit kaltem Hohnlächeln.

»Aber hast du es wirklich gesehen? Sage, Cassy, was war’s eigentlich sprich dich aus!«

»Du kannst selbst dort schlafen«, sagte Cassy, »wenn du’s wissen willst.«

»Kam es aus dem Dachraume, Cassy?«

»Es – was?« sagte Cassy.

»Nun, was du erzähltest.«

»Ich habe dir nichts erzählt«, sagte Cassy mit mürrischer Verstocktheit. Legree ging unruhig im Zimmer auf und ab.

»Das muß untersucht werden. Heute abend noch werde ich nachsehen. Ich nehme meine Pistolen –«

»Tu das«, sagte Cassy, »schlafe in dem Zimmer. Ich möchte wirklich, du tätest es. Schieß mit deinen Pistolen danach – tue es!« Legree stampfte mit dem Fuße und fluchte fürchterlich.

»Fluche nicht«, sagte Cassy. »Niemand kann wissen, wer dich hört. Horch! Was war das?«

»Was?« sagte Legree aufschreckend.

Eine schwere alte Wanduhr, die in einer Ecke des Zimmers stand, schlug langsam zwölf.

Aus einem oder dem anderen Grunde konnte Legree weder sprechen noch sich regen, ein dumpfes Entsetzen hielt ihn gefangen, während Cassy ihn mit einem stechenden, höhnischen Glanz im Auge ansah und die Schläge zählte.

»Zwölf Uhr, jetzt wollen wir sehen«, sagte sie, indem sie sich umdrehte und die auf den Gang führende Tür öffnete und stehenblieb, wie um zu lauschen.

»Horch! Was ist das?« sagte sie und erhob den Finger.

»Es ist bloß der Wind«, sagte Legree. »Hörst du nicht, wie verwünscht es draußen stürmt.«

»Simon, komm hierher«, sagte Cassy flüsternd, indem sie seine Hand ergriff und ihn an den Fuß der Treppe führte. »Weißt du, was das ist? Horch!«

Ein wilder Schrei gellte die Treppe herunter. Er kam aus dem Dachraum. Legree wankten die Knie, sein Gesicht wurde weiß vor Furcht.

»Willst du nicht deine Pistolen holen?« sagte Cassy mit einem Hohnlächeln. »Es ist Zeit, daß wir die Sache untersuchen, das ist gewiß. Ich wollte, du gingest jetzt hinauf, sie sind dabei.«

»Ich gehe nicht«, sagte Legree mit einem Fluche.

»Warum nicht? Wir wissen ja, es gibt keine Gespenster! Komm!« Und Cassy sprang lachend die gewundene Treppe hinauf und sah sich nach ihm um. »Komm mit!«

»Ich glaube, du bist wirklich der Teufel«, sagte Legree. »Komm herunter, du Hexe – komm herunter, Cassy! Du sollst nicht hinaufgehen!«

Aber Cassy lachte wild auf und flog vollends hinauf. Er hörte sie die Tür des Dachraums aufmachen. Ein heftiger Windstoß fuhr herunter und löschte das Licht aus, welches er in der Hand hielt, und zugleich erscholl ein entsetzliches, gespenstisches Gekreisch; es war ihm, als ob es ihm unmittelbar ins Ohr gellte.

Wie wahnwitzig stürzte Legree ins Zimmer zurück, wohin ihm in wenigen Augenblicken Cassy folgte, bleich, ruhig, kalt, wie ein Racheengel und mit dem alten grauenerregenden Funkeln in dem Auge.

»Ich hoffe, du bist zufrieden gestellt«, sagte sie.

»Verwünscht seist du, Cassy!« sagte Legree.

»Weshalb?« sagte Cassy. »Ich bin nur hinaufgegangen und habe die Tür zugemacht. Was mag es wohl mit diesem Dachraume für ein Bewenden haben, Simon?« sagte sie.

»Das geht dich nichts an!« sagte Legree.

»Wirklich nicht? Nun, jedenfalls freut es mich, daß ich nicht darunter schlafe!« sagte Cassy.

Als Cassy sah, daß der Abend stürmisch werden würde, war sie oben im Dachraume gewesen und hatte die Fenster geöffnet. Natürlich mußte nun, wie sie die Tür aufmachte, ein heftiger Zug entstehen und das Licht auslöschen.

Das mag als eine Probe des Spiels dienen, welches Cassy Legree vorgaukelte, bis er lieber seinen Kopf in eines Löwen Rachen gesteckt hätte, als in diesen Dachraum. Unterdessen brachte Cassy nachts, wenn alle übrigen schliefen, langsam und vorsichtig einen für längere Zeit ausreichenden Vorrat Lebensmittel zusammen. Sie trug auch Stück für Stück den größten Teil von ihrer und Emmelines Garderobe hinauf. Als alles soweit fertig war, wartete sie nur noch auf eine geeignete Gelegenheit, um ihren Plan auszuführen.

In einer gutgelaunten Stunde hatte Cassy Legree das Versprechen abgeschmeichelt, sie mit nach der nächsten Stadt zu nehmen, die unmittelbar am Red River lag. Er hielt sein Versprechen, und sie merkte sich mit einem zu fast übernatürlicher Klarheit geschärften Gedächtnis jede Wendung des Weges und schätzte bei sich die Zeit ab, die sie auf die Zurücklegung desselben werde verwenden müssen.

Mittlerweile war die Zeit gekommen, wo alles zur Tat reif war, und unseren Lesern wird es vielleicht nicht uninteressant sein, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, um den letzten Meisterstreich vorbereiten zu sehen.

Es war gegen Abend.

Legree hatte einen Ritt auf eine benachbarte Farm gemacht. Seit vielen Tagen hatte sich Cassy ungewöhnlich gnädig und nachgiebig in ihren Launen gezeigt, und sie und Legree hatten allem Anschein nach auf dem besten Fuße miteinander gestanden. Jetzt finden wir sie und Emmeline in dem Zimmer der letzteren mit dem Zusammensuchen und Packen zweier Bündel beschäftigt.

»So, das wird genug sein«, sagte Cassy. »Jetzt setz deinen Hut auf und laß uns aufbrechen: Es ist jetzt gerade die rechte Zeit.«

»Aber sie können uns ja noch sehen«, sagte Emmeline.

»Das sollen sie ja«, sagte Cassy ruhig. »Siehst du nicht, daß wir ihnen jedenfalls das Vergnügen lassen müssen, uns zu verfolgen? Wir machen es so: Wir stehlen uns zur Hintertür hinaus und laufen nach den Baracken zu. Sambo oder Quimbo sieht uns gewiß. Sie verfolgen uns, und wir flüchten in den Sumpf; dann können sie uns nicht weiterverfolgen, sondern müssen erst nach dem Hause zurück und Lärm machen und die Hunde losketten usw.; und während sie herumlärmen und übereinanderstolpern, wie sie es immer machen, schleichen wir uns in den Bach, der hinter dem Hause läuft, und waten in ihm fort, bis wir der Hintertür gegenüber kommen. Dadurch werden die Hunde irre, denn sie verlieren die Spur im Wasser. Alles wird aus dem Hause fortlaufen, um uns zu suchen, und dann schlüpfen wir zur Hintertür herein und hinauf in den Dachraum, wo ich in einer der großen Kisten ein hübsches Bett zurechtgemacht habe. In dem Dachraume müssen wir eine ziemliche Zeit bleiben, denn ich sage dir, er wird Himmel und Erde aufbieten, uns zu fangen. Er wird ein paar von den alten Sklavenaufsehern von den anderen Plantagen kommen lassen und eine große Jagd anstellen; und sie werden keinen Zollbreit von diesem Sumpfe undurchsucht lassen. Er prahlt damit, daß ihm noch kein Sklave entflohen ist. So mag er denn suchen, solange es ihm gefällt.«

»Cassy, wie gut du dir alles ausgedacht hast!« sagte Emmeline. »Wer anders als du hätte jemals darauf kommen können?«

Weder Freude noch Frohlocken zeigte sich in Cassys Augen – nur eine verzweiflungsvolle Entschlossenheit.

»Komm«, sagte sie und reichte Emmeline die Hand.

Die beiden Flüchtlinge schlüpften geräuschlos aus dem Hause und eilten durch die dichter werdenden Schatten des Abends die Baracken entlang. Der zunehmende Mond am westlichen Himmel verzögerte ein wenig den Eintritt der Nacht. Wie Cassy erwartete, hörten sie, als sie den Rand der die Plantage umgebenden Sümpfe fast erreicht hatten, eine Stimme hinter sich halt rufen. Es war jedoch nicht Sambo, sondern Legree, der sie mit heftigen Verwünschungen verfolgte. Der Ton machte den schwächeren Charakter Emmelines wanken.

Sie ergriff Cassy beim Arme und sagte:

»O Cassy, ich werde ohnmächtig!«

»Dann mußt du sterben!« sagte Cassy, indem sie ein kleines Stilett hervorzog und es vor den Augen des Mädchens funkeln ließ.

Die Drohung erfüllte ihren Zweck. Emmeline fiel nicht in Ohnmacht, sondern stürzte sich mit Cassy in einen Teil des Sumpflabyrinths, welcher so tief und dunkel war, daß Legree jede Hoffnung aufgeben mußte, ihnen ohne weiteren Beistand zu folgen.

»Na, jedenfalls sind sie jetzt in die Falle gelaufen – die Bälger!« sagte er und lachte brutal in sich hinein. »Jetzt haben wir sie sicher. Sie sollen mir dafür schwitzen!«

»Heda, Sambo! Quimbo! Alles zuhauf!« rief Legree vor den Baracken, wo die Männer und Frauen eben von der Arbeit kamen. »Es sind zwei Flüchtlinge im Sumpf. Jeder Nigger, der sie fängt, kriegt fünf Dollar. Laßt die Hunde los! Laßt Tiger und Fury und die übrigen los!«

Die Aufregung, welche diese Nachricht auf der Stelle hervorbrachte, war groß. Viele kamen diensteifrig gesprungen, um ihre Hilfe anzubieten, teils von der Aussicht auf die Belohnung, teils von der kriechenden Dienstwilligkeit bewogen, welche eine der schädlichsten Folgen der Sklaverei ist. Einige rannten dorthin, andere dahin. Einige wollten Fackeln von Fichtenästen holen. Andere ketteten die Hunde los, deren heiseres wildes Gebell die Lebendigkeit der Szene nicht wenig vermehrte.

»Master, sollen wir sie schießen, wenn wir sie nicht haschen können?« sagte Sambo, dem sein Herr eine Büchse herausbrachte.

»Auf Cassy könnt ihr schießen, wenn ihr Lust habt. Es ist Zeit, daß sie zum Teufel geht, wohin sie gehört; aber auf das Mädchen nicht«, sagte Legree. »Und jetzt, Burschen, seid munter und flink. Fünf Dollar demjenigen, der sie hascht, und außerdem ein Glas Branntwein für jeden von euch!«

Die ganze Schar eilte unter dem Schimmer flammender Fackeln und Geheul und wildem Gebrüll von Menschen und Tieren nach dem Sumpfe, und eine Strecke liefen alle im Hause Beschäftigten dem Haufen nach. Deshalb war das ganze Haus verlassen, als Cassy und Emmeline zur Hintertür hereinschlüpften. Das Geschrei und Gebrüll ihrer Verfolger schallte noch durch die Luft; und aus den Fenstern des Wohnzimmers konnten Cassy und Emmeline sehen, wie sich der Haufe mit den Fackeln eben am Rande des Sumpfes entlang ausbreitete.

»Sieh!« sagte Emmeline zu Cassy. »Die Jagd hat angefangen. Sieh, wie die Lichter herumtanzen! Horch, die Hunde, horch! Hörst du nicht? Wenn wir dort wären, wäre unser Leben keine Picayune wert. O, um Gottes willen, wir wollen uns verstecken. Rasch!«

»Wir haben keine Veranlassung zu eilen«, sagte Cassy kaltblütig. »Sie sind alle der Jagd nachgelaufen – das ist der Spaß des heutigen Abends! Wir werden seinerzeit schon hinaufgehen. Unterdessen will ich für die Reisekosten sorgen«, sagte sie und holte ruhig einen Schlüssel aus der Tasche des Rocks, den Legree in der Eile hingeworfen hatte.

Sie schloß den Schreibtisch auf und nahm einen Packen Banknoten heraus, den sie rasch überzählte.

»Ach, tu das doch nicht«, sagte Emmeline.

»Warum nicht?« sagte Cassy. »Willst du, daß wir in den Sümpfen verhungern sollen oder Geld genug haben, um die freien Staaten erreichen zu können? Mit Geld kann man alles ausrichten, Mädchen.« Und mit diesen Worten steckte sie das Geld in ihren Busen.

»Das ist aber gestohlen«, flüsterte Emmeline fast weinend.

»Gestohlen?« sagte Cassy mit höhnischem Lachen. »Die, welche Leib und Seele stehlen, sollen uns nicht damit kommen. Jede dieser Banknoten ist gestohlen – gestohlen von armen, verhungernden, geplagten Geschöpfen, die zuletzt zu seinem Nutzen zum Teufel gehen müssen. Er soll mir vom Stehlen sprechen! Aber wir können ebensogut hinaufgehen; ich habe einen Vorrat Lichter und einige Bücher, um uns die Zeit zu vertreiben. Ich bin ziemlich sicher, daß sie uns dort nicht suchen werden. Wenn sie’s tun, so will ich ihnen schon ein Gespenst zeigen.«

Als Emmeline in den Dachraum trat, fand sie eine große Kiste, in der früher verschiedene schwere Möbel eingepackt gewesen, die aber jetzt auf die eine Seite gestellt war, so daß die offene Seite nach der Mauer oder vielmehr der Dachrinne zugekehrt stand.

Cassy zündete eine kleine Lampe an, und nun krochen sie unter der Dachrinne herum und nahmen in der Kiste Platz. Ein paar kleine Matratzen und einige Kissen lagen darin; ein Kasten in der Nähe enthielt reichlichen Vorrat von Lichtern, Lebensmitteln und den zu ihrer Reise nötigen Kleidungsstücken, die Cassy in Bündel von merkwürdig kleinem Umfang zusammengeschnürt hatte.

»Da«, sagte Cassy, wie sie die Lampe an einen kleinen Haken hing, den sie zu diesem Zweck in die Seitenwand der Kiste geschlagen hatte, »das ist für jetzt unsere Wohnung. Wie gefällt sie dir?«

»Bist du sicher, daß sie uns nicht im Dachraume suchen?«

»Ich möchte Simon Legree hier sehen«, sagte Cassy. »Nein, sie kommen gewiß nicht. Er wird zu froh sein, wegbleiben zu können. Was die Dienstboten betrifft, so würde sich jeder von ihnen lieber erschießen lassen, als daß er hier hereinguckte.«

Einigermaßen beruhigt, setzte sich Emmeline wieder auf ihr Kissen.

»Was meintest du, Cassy, als du sagtest, du wolltest mich töten?« sagte sie voll Einfalt.

»Ich wollte dich abhalten, in Ohnmacht zu fallen«, sagte Cassy, »und es gelang auch. Und jetzt sage ich dir, Emmeline, du mußt dich entschließen, nicht ohnmächtig zu werden, was auch kommen mag. Das ist ganz und gar nicht nötig. Wenn ich dich nicht abgehalten hätte, wärst du jetzt in der Gewalt dieses Elenden.«

Emmeline überlief ein Schauer.

Einige Zeitlang saßen die beiden schweigend nebeneinander. Cassy las in einem französischen Buche; Emmeline sank von der Erschöpfung überwältigt, in einen Halbschlummer und schlief einige Zeit. Lautes Rufen und Schreien, Pferdegetrappel und Hundegebell weckte sie.

Mit einem leisen Aufschrei fuhr sie auf.

»Die Jäger sind wieder zurück – weiter ist’s nichts«, sagte Cassy ruhig. »Fürchte dich nicht. Sieh zu diesem Astloch hinaus. Siehst du sie alle unten? Simon muß es für diese Nacht sein lassen. Schau nur, wie schmutzig sein Pferd ist vom Herumwaten im Sumpfe; die Hunde sehen auch etwas demütig aus. Ja, mein lieber Mann, Ihr werdet die Jagd noch manchmal versuchen müssen – das Wild ist nicht da.«

»Ach, sprich doch nicht!« sagte Emmeline. »Wenn sie dich hören.«

»Wenn sie etwas hören, so werden sie sich ganz besonders in acht nehmen, nicht hierherzukommen«, sagte Cassy. »Dabei ist keine Gefahr, wir können so viel Lärm machen, wie wir wollen – wir vergrößern nur den Effekt damit.«

Endlich herrschte mitternächtliche Stille über dem ganzen Hause. Sein Unglück verwünschend und grimmige Rache für den nächsten Tag schwörend, ging Legree zu Bett.