Nimm dich in acht, Simon Legree!

Das große Wohnzimmer in Legrees Haus war ein großes langes Gemach mit einem geräumigen Kamin. Früher waren die Wände mit einer brillanten und teuren Tapete bedeckt gewesen, die jetzt zerrissen und mißfarbig vermodernd von den feuchten Wänden herabhing. Überall war der eigentümliche Geruch, aus Moder, Schmutz und Verfall zusammengesetzt, vorherrschend, wie man ihn oft in dumpfigen, alten Häusern bemerkt. Die Tapete war stellenweise von Bier- und Weinflecken verunziert oder mit mit Kreide geschriebenen Notizen und langen zusammenaddierten Zahlenreihen bedeckt, als ob sich jemand hier im Rechnen geübt hätte. Im Kamin stand eine Pfanne mit glühenden Holzkohlen, denn obgleich das Wetter nicht kalt war, war es des Abends in diesem großen Zimmer doch immer feucht und schaurig; und außerdem brauchte Legree Feuer, seine Zigarre anzubrennen und das Wasser zu seinem Punsch heiß zu machen. Die rötliche Glut der Holzkohle beleuchtete das unordentliche und ungemütliche Aussehen des Zimmers – Sättel, Zäume, verschiedenes Geschirr, Reitpeitschen, Überröcke und verschiedene andere Kleidungsstücke lagen überall im Zimmer in verwirrter Mannigfaltigkeit herum, und die schon früher erwähnten Hunde hatten sich nach eigenem Geschmack und Belieben mitten darunter gelagert.

Legree braute sich eben ein Glas Punsch, wozu er das heiße Wasser aus einem zersprungenen Kruge mit abgebrochenem Ausguß goß, und brummte dabei:

»Die Pest über diesen Sambo, daß er einen solchen Skandal zwischen mir und den neuen Leuten anfängt! Der Kerl kann vor einer Woche nicht arbeiten – gerade in der drängendsten Zeit des Jahres!«

»Ja, das sieht Euch ganz ähnlich!« sagte eine Stimme hinter seinem Stuhle. Es war Cassy, die während seines Selbstgesprächs unbemerkt eingetreten war.

»Ha! Teufelsweib! Du bist also wieder da, nicht wahr?«

»Ja, ich bin wieder da«, sagte sie kalt; »und noch dazu, um meinen eigenen Willen zu haben!«

»Du lügst, Metze! Ich werde mein Wort halten. Entweder benimm dich vernünftig oder bleibe unten in den Baracken und iß und arbeite mit den übrigen.«

»Lieber wollte ich 10000mal in dem schmutzigsten Loche der Baracken wohnen, als in deiner Gewalt sein!« sagte die Frau.

»Aber du bist doch bei alledem in meiner Gewalt«, sagte er und sah sie mit wildem Grinsen an. »Das ist wenigstens mein Trost. So setze dich hier auf meinen Schoß, liebes Kind; höre auf vernünftiges Zureden«, sagte er und faßte sie am Arme.

»Simon Legree, nimm dich in acht!« sagte das Weib mit einem raschen Blitz in dem Auge und einem so wilden und wahnwitzigen Blick, daß er fast Entsetzen erregte. »Du fürchtest dich vor mir, Simon«, sprach sie langsam, »und du hast Ursache dazu! Aber nimm dich in acht, denn ich habe den Teufel im Leibe.«

Die letzten Worte flüsterte sie ihm mit zischendem Tone ins Ohr.

»Hinaus! Ich glaube bei meiner Seele, es ist wahr!« sagte Legree, indem er sie von sich stieß und voll Unruhe ansah. »Aber trotz allem, Cassy«, sagte er, »warum kannst du nicht gut mit mir sein, wie früher?«

»Gut sein!« sagte sie bitter. Sie brach kurz ab – eine Welt von erstickenden Empfindungen stieg in ihrem Herzen empor und drängte ihre Worte zurück.

Cassy hatte über Legree immer die Art Einfluß behalten, den ein kräftiges leidenschaftliches Weib stets über den rohsten Mann bewahren kann; aber in letzter Zeit war sie unter dem verabscheuten Joche ihrer Sklaverei immer reizbarer und ruheloser geworden, und ihre Reizbarkeit machte sich manchmal in wahnwitzigem Wüten Luft; und wegen dieser Anfälle fing Legree an sie zu fürchten, denn er war ganz von der abergläubischen Angst vor Wahnsinnigen beherrscht, die man bei rohen und ungebildeten Gemütern häufig findet. Als Legree Emmeline mit nach Hause brachte, flammten alle noch glimmenden Funken weiblichen Gefühls in dem ausgebrannten Herzen Cassys auf, und sie nahm Partei für das Mädchen, und ein wütender Zank fand zwischen ihr und Legree statt. In seiner Wut schwor Legree, er werde sie zur Feldarbeit verwenden, wenn sie sich nicht ruhig verhalte. Mit stolzem Trotz erklärte Cassy, sie werde freiwillig aufs Feld gehen. Und sie arbeitete dort einen Tag, wie wir beschrieben haben, um zu zeigen, wie vollkommen sie die Drohung verachte. Legree war den ganzen Tag über von einer heimlichen Unruhe beherrscht, denn Cassy hatte einen Einfluß auf ihn, von dem er sich nicht befreien konnte. Als sie ihren Korb an die Waage brachte, hatte er ein Zeichen der Nachgiebigkeit erwartet und sie mit halb versöhnlichem, halb spöttischem Tone angeredet; und sie hatte mit der bittersten Verachtung geantwortet.

Die grausame Behandlung des armen Tom hatte sie nur noch mehr gereizt; und sie war Legree bloß in das Haus nachgegangen, um ihn wegen seiner Roheit auszuschelten.

»Ich wollte, du benähmst dich anständig, Cassy«, sagte Legree.

»Du sprichst von Anständigbenehmen! Und was hast du getan? Du, der nicht immer Verstand genug hat, seine teuflische Hitze im Zaume zu halten, um nicht einen seiner besten Arbeiter in der dringendsten Jahreszeit untauglich zu machen!«

»Ich war ein Narr, das ist wahr, daß ich’s dazu kommen ließ«, sagte Legree. »Aber da der Bursche den Kopf aufsetzte, mußte sein Trotz gebrochen werden.«

»Ich glaube nicht, daß du seinen Trotz brechen wirst!«

»Nicht?« sagte Legree und stand leidenschaftlich auf. »Das möchte ich doch sehen! Er wäre der erste Nigger, der’s mit mir aufgenommen hätte! Ich lasse ihm jeden Knochen im Leibe zerschlagen, aber nachgeben muß er!«

Gerade da ging die Tür auf und Sambo trat ein. Er näherte sich seinem Herrn mit einer Verbeugung und hielt ihm ein gefaltetes Papier hin.

»Was ist das, du Hund?« sagte Legree.

»’s ist ’n Hexending, Master!«

»Was?«

»Etwas, was sich Nigger von Hexen geben lassen. Sie fühlen dann nichts, wenn sie gepeitscht werden. Er hatte es mit einer schwarzen Schnur um den Hals gebunden.«

Legree war wie die meisten gottlosen und grausamen Menschen abergläubisch.

Er nahm das Papier und öffnete es nicht ohne Zittern.

Es fiel ein Silberdollar heraus und eine lange glänzende Locke von blondem Haar, die sich, als wäre sie lebendig, um Legrees Finger schlang.

»Hölle und Teufel!« schrie er in plötzlicher Leidenschaft, indem er mit den Füßen stampfte und wütend an der Haarlocke zerrte, als ob sie ihn brenne. »Wo ist die hergekommen? Nehmt sie weg! – Verbrennt sie!« kreischte er, indem er sie abriß und in das Kohlenbecken warf. »Wozu hast du sie mir gebracht?«

Sambo stand mit weit offenem Munde und erstarrt vor Staunen da; und Cassy, die das Zimmer eben verlassen wollte, blieb ebenfalls stehen und sah ihn voller Verwunderung an.

»Daß du mir nicht wieder solches Teufelszeug herbringst«, sagte er und drohte Sambo, der eiligst seinen Rückzug nach der Tür nahm, mit der Faust, dann hob er den Silberdollar auf und warf ihn klirrend durch die Fensterscheibe hinaus in die Nacht.

Sambo war froh, als er mit heiler Haut zur Tür hinaus war. Als er fort war, schien sich Legree über seinen Schreckanfall ein wenig zu schämen. Er setzte sich mürrisch in seinen Stuhl und trank langsam seinen Punsch.

Cassy wollte unbemerkt von ihm hinausgehen und schlüpfte fort, um den armen Tom zu pflegen, wie wir bereits erzählt haben.

Aber was war mit Legree geschehen – und was konnte in einer einfachen blonden Haarlocke diesen rohen Mann, dessen Herz mit jeder Form der Grausamkeit vertraut war, entsetzen? Um eine Antwort darauf zu geben, müssen wir viele Jahre zurückgehen. So verhärtet und verworfen auch der gottlose Mann jetzt zu sein schien, so hatte es doch eine Zeit gegeben, wo ihn eine Mutter an ihrem Busen eingewiegt und ihn mit Gebeten und frommen Liedern eingesungen hatte – wo das Wasser der heiligen Taufe seine jetzt sündenbeladene Stirn benetzt hatte. In frühester Kindheit hatte eine blondhaarige Mutter ihn beim Schalle der Sabbatglocke zur Gottesverehrung und zum Gebete geführt. Im fernen Neuengland hatte diese Mutter ihren einzigen Sohn mit langdauernder unveränderlicher Liebe und geduldigen Gebeten aufgezogen. Von einem hartherzigen Vater gezeugt, an welchen diese sanfte Frau eine Welt von ungewürdigter Liebe verschwendet hatte, war Legree in die Fußstapfen seines Vaters getreten. Roh, widerspenstig und tyrannisch, verachtete er ihre Ratschläge und Ermahnungen und riß sich schon in früher Jugend von ihr los, um sein Glück zur See zu versuchen. Nur ein einziges Mal kehrte er nach Hause zurück, und da umfing ihn seine Mutter mit der Sehnsucht eines Herzens, das etwas lieben muß und nichts anderes zu lieben hat, und suchte ihn mit heißem Gebete und Flehen einem sündigen Leben zu seinem ewigen Seelenheil zu entreißen.

Das war Legrees Tag der Gnade. An jenem Tage riefen ihn gute Engel; an jenem Tage war er fast gewonnen, und die Barmherzigkeit hielt ihn an der Hand. Sein Herz wurde innerlich weich – er kämpfte in sich – aber die Sünde trug den Sieg davon, und er setzte die ganze Kraft seiner rauhen Natur gegen die Überzeugung seines Gewissens. Er zechte und fluchte und war wilder und brutaler als je. Und eines Abends, wo seine Mutter in der letzten Qual ihrer Verzweiflung sich ihm zu Füßen warf, stieß er sie mit dem Fuße von sich, daß sie bewußtlos zu Boden sank, und floh mit rohen Flüchen auf sein Schiff. Das nächste Mal hörte Legree von seiner Mutter bei einem Gelage mit betrunkenen Zechgenossen, wo man ihm einen Brief übergab. Er brach ihn auf und eine lange Haarlocke fiel heraus und wickelte sich um seine Finger. Der Brief meldete ihm den Tod seiner Mutter und daß sie ihn sterbend gesegnet und ihm verziehen habe. Das Böse besitzt eine schauerliche unheilige Zauberkraft, welches die herrlichsten und heiligsten Dinge zu Phantomen des Schreckens und Entsetzens macht. Die bleiche zärtliche Mutter – ihr Sterbegebet und ihre vergebende Liebe – wirkten in dem dämonischen Sünderherzen wie ein Verdammungsurteil, begleitet von einer bangen Furcht vor dem Gericht und dem göttlichen Zorne. Legree verbrannte die Haarlocke und verbrannte den Brief, und wie er sie in der Flamme zischen und prasseln sah, schauderte er innerlich, wie er an das ewige Feuer dachte. Er versuchte sich die Erinnerung durch Zechen und Schwelgen und Fluchen zu vertreiben, aber oft in tiefer Nacht, deren feierliche Stille die Seele des Lasterhaften zu gezwungener Einkehr in sich selbst treibt, hatte er die bleiche Mutter neben seinem Bette stehen sehen und gefühlt, wie sich das weiche Haar um seine Finger wickelte, bis der kalte Todesschweiß ihm am Gesicht hinablief und er entsetzt aus dem Bette sprang.

»Verwünscht!« sprach Legree vor sich hin, wie er seinen Punsch nippte. »Wie ist er dazu gekommen? Ob es nicht gerade aussah, wie – hu! Ich dachte, ich hätte das vergessen. Verflucht will ich sein, wenn ich glaube, man könnte überhaupt was vergessen – zum Henker damit! Es ist mir so einsam! Ich will Emmeline rufen. Sie kann mich nicht leiden – der Zieraffe! ’s ist mir einerlei – ich will schon machen, daß sie kommt!«

Legree trat in eine große Vorhalle, aus welcher man auf eine Wendeltreppe, die früher einmal prächtig gewesen, in das obere Geschoß ging; aber der Durchgang war schmutzig und liederlich und von Kisten und unansehnlichem Gerumpel versperrt. Die mit keinem Teppich überzogene Treppenflucht schien sich in dem Dunkel hinaufzuwinden, niemand weiß, wohin. Der blasse Mondschein schimmerte durch ein zerbrochenes Fenster über der Tür. Die Luft war dumpf und schaurig, wie in einem Grabgewölbe.

Legree blieb an dem Fuß der Treppe stehen und hörte eine Stimme singen. Es kam ihm in dem öden alten Hause so seltsam und geisterhaft vor, vielleicht, weil seine Nerven schon in einem angegriffenen Zustande waren. »Horch! Was ist das?« Eine wilde pathetische Stimme sang ein unter den Sklaven sehr gebräuchliches Kirchenlied:

»O Jammer, Jammer, Jammer wird erschallen,
Wenn Christus auf dem Richterthrone sitzt!«

»Verdammt sei das Mädchen!« sagte Legree. »Ich will ihr das Maul stopfen. – Emmeline! Emmeline!« rief er laut und drohend; aber nur ein spöttischer Widerhall von den Wänden antwortete ihm. Die liebliche Stimme sang weiter:

»Dort trennen Eltern sich von Kindern!
Dort trennen Eltern sich von Kindern,
Um nimmer wieder sich zu sehn!«

Und klar und laut schallte durch die leeren Hallen der Refrain:

»O Jammer, Jammer, Jammer wird erschallen,
Wenn Christus auf dem Richterthrone sitzt!«

Legree blieb stehen. Er hätte sich geschämt, es zu erzählen, aber große Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn und sein Herz schlug laut vor Furcht; es war ihm sogar, als sähe er in dem Raume vor sich etwas Weißes sich erheben und schimmern, und schauderte bei dem Gedanken, daß die Gestalt seiner toten Mutter ihm plötzlich erscheinen könnte.

»Eins weiß ich«, sagte er vor sich hin, wie er zurück in sein Zimmer wankte und sich hinsetzte; »ich will diesen Kerl von nun an ungeschoren lassen; was brauchte ich nur sein verfluchtes Papier anzugreifen? Ich glaube wahrhaftig, ich bin behext! Ich habe seit der Zeit beständig gefröstelt oder geschwitzt! Wo mag er die Haarlocke herhaben? Es kann doch nicht die gewesen sein! Die habe ich verbrannt, das weiß ich! Es wäre doch närrisch, wenn eine Haarlocke wieder auferstehen könnte!«

Ach Legree! Diese goldene Locke war bezaubert; jedes Haar derselben hielt dich mit einem Zauber von Schrecken und Reue umfangen und wurde von einer höheren Macht benutzt, deine grausamen Hände zu binden, damit sie dem Hilflosen nicht das äußerste Leid zufügten!

»Ihr da!« sagte Legree, indem er mit dem Fuße stampfte und den Hunden pfiff. »Steht auf und leistet mir Gesellschaft!« Aber die Hunde öffneten nur schläfrig ein Auge und machten es wieder zu.

»Ich werde Sambo und Quimbo rufen, daß sie mir was vorsingen und einen ihrer Höllentänze tanzen, um mir diese gräßlichen Gedanken zu vertreiben«, sagte Legree, und er setzte seinen Hut auf, trat auf die Veranda hinaus und stieß in ein Horn, mit dem er gewöhnlich seine beiden Sklavenaufseher herbeirief.

Wenn Legree bei gnädiger Laune war, ließ er oft diese beiden Würdigen zu sich aufs Zimmer kommen, machte ihnen erst den Kopf mit Whisky warm und fand dann einen Spaß daran, sie singen, tanzen oder sich balgen zu lassen, wie es ihm seine Laune eingab.

Als Cassy zwischen ein und zwei Uhr nachts von ihren dem armen Tom geleisteten Liebesdiensten zurückkehrte, hörte sie wildes Schreien, Jauchzen und Singen, untermischt mit Hundegebell und andere Symptome allgemeinen Aufruhrs aus Legrees Zimmer erschallen.

Sie ging die Verandastufen hinauf und sah hinein. Legree und die beiden Aufseher, alle drei in einem Zustande viehischer Betrunkenheit, sangen, brüllten, warfen Stühle um und zogen sich allerlei lächerliche und gräßliche Gesichter.

Sie legte ihre kleine zarte Hand auf den Fensterrahmen und sah ihnen zu. Es lag eine Welt von Seelenschmerz, bitterer Verachtung und wildem Groll in den schwarzen Augen, während sie hinblickte. »Wäre es eine Sünde, die Welt von einem solchen Elenden zu befreien?« sprach sie zu sich selbst.

Sie ging um das Haus herum nach einer Hintertür, schlich sich die Treppe hinauf und klopfte an Emmelines Tür.