Kapitel 1 Der Verfasser gibt Nachricht von seiner Person und seiner Familie. Seine erste Veranlassung zu reisen. Er leidet Schiffbruch, sucht sich durch Schwimmen zu retten, erreicht wohlbehalten den Strand von Lilliput, wird gefangen genommen und in das Innere des Landes gebracht.

Mein Vater besaß ein kleines Gut in Nottinghamshire; ich war der Dritte seiner fünf Söhne. Mit dem vierzehnten Jahre ward ich auf die Universität Cambridge geschickt, wo ich drei Jahre lang blieb und fleißig studirte. Jedoch die damit verbundenen Kosten waren zu groß für das kleine Vermögen meines Vaters, obgleich ich nur einen unbedeutenden Wechsel erhielt; somit wurde ich bei HerrnJames Bates, einem ausgezeichneten Wundarzte der Hauptstadt London, in die Lehre gegeben, bei welchem ich drei Jahre blieb. Von Zeit zu Zeit schickte mir mein Vater kleine Geldsummen, die ich auf die Erlernung der Schifffahrtkunde und auf das Studium anderer mathematischen Wissenschaften verwandte, deren Kenntniß für diejenigen durchaus nothwendig ist, welche große Reisen unternehmen wollen; ich hegte nämlich immer ein gewisses Vorgefühl, dies werde früher oder später mein Schicksal seyn. Als ich Herrn Bates verließ, kehrte ich zu meinem Vater zurück, und erlangte von ihm, meinem Onkel James und einigen andern Verwandten die Summe von 43 Pfund. Zugleich wurden mir 30 Pfund jährlich versprochen, so daß ich die Universität Leyden beziehen konnte. Dort studierte ich zwei Jahre und sieben Monate die Medicin. Ich wußte, daß sie mir auf großen Reisen von Nutzen seyn würde.

Bald nach meiner Rückkehr von Leyden erhielt ich durch die Empfehlung meines guten Lehrers Bates die Stelle eines Wundarztes auf der Schwalbe, deren Capitän der Commander Abraham Pannel war. Mit diesem Schiffe machte ich einige Reisen nach der Levante und andern Gegenden. Nach meiner Rückkehr beschloß ich, mich in London niederzulassen, wozu mich auch Hr. Bates ermuthigte, nachdem er mich mehreren seiner Patienten empfohlen hatte. Ich miethete mir ein Stockwerk eines kleinen Hauses in Old Jewry, und da man mir rieth den Stand des Hagestolzen aufzugeben, verheirathete ich mich mit Marie Burton, der zweiten Tochter des Strumpfhändlers Edmund Burton in Newgatestreet, von der ich 60 Pfund Mitgift erhielt.

Nach zwei Jahren starb aber mein guter Lehrer Bates. Ich hatte nur wenig Freunde und somit verschlimmerte sich auch mein Geschäft, denn mein Gewissen erlaubte mir nicht auf tadelnswerthe Art in meiner Praxis mitunter zu verfahren, wie dies bei so vielen meiner Collegen gewöhnlich ist. Nachdem ich deßhalb eine lange Berathung mit meiner Frau und mehreren meiner Bekannten gehalten hatte, beschloß ich wieder in See zu gehen. Ich wurde Wundarzt auf zwei Schiffen und machte sechs Jahre lang verschiedene Reisen nach Ostindien und Amerika, wodurch ich mein Vermögen etwas vermehrte. In meinen Mußestunden las ich die besten älteren und neueren Schriftsteller, denn ich hatte stets eine nicht unbedeutende Anzahl Bücher mitgenommen; war ich an’s Land gegangen, so beobachtete ich die Sitten und Charaktere der verschiedenen Nationen und erlernte ihre Sprachen. Durch die Stärke meines Gedächtnisses war ich zu letzterem befähigt.

Da die letzte dieser Reisen nicht sehr glücklich ausfiel, ward ich des Seefahrens müde, und beschloß, bei meiner Frau und meiner Familie zu bleiben. Ich zog aus Old Jewry nach Fetterlane und von da nach Wapping, denn ich hoffte, unter den dortigen Matrosen mir eine ärztliche Praxis zu verschaffen; allein diese Veränderung schlug nicht zu meinem Vortheil aus. Nachdem ich drei Jahre auf eine Verbesserung meiner Lage gewartet hatte, erhielt ich vom Capitän William Prichard, dem Eigenthümer der Antilope, welche im Begriff war, nach der Südsee abzusegeln, ein vortheilhaftes Anerbieten. Wir fuhren am 4. Mai 1699 von Bristol ab und unsre Reise war anfangs glücklich.

Einige Gründe bestimmen mich, den Leser mit den Einzelnheiten unsrer Reise in jenen Meeren nicht zu langweilen; es genüge die Bemerkung, daß wir auf unserer Fahrt von Bristol nach Ostindien durch einen heftigen Sturm nordwestlich von Van Diemen’s Land getrieben wurden. Durch nautische Beobachtungen bemerkten wir, daß wir uns in der 2ten Minute des 30sten Grades südlicher Breite befanden. Zwölf Mann hatten wir durch übermäßige Arbeit bei schlechter Nahrung bereits verloren; die Uebrigen waren gänzlich erschöpft. Am 5. November, dem Anfang des Sommers unter diesen Breitengraden, war das Wetter trübe; die Matrosen gewahrten ein Felsenriff in der Entfernung von einer halben Kabel-Länge; der Wind war stark. Wir wurden darauf hingetrieben und scheiterten. Sechs von der Mannschaft, worunter ich mich befand, setzten das Boot aus und suchten vom Schiff und dem Felsenriff loszukommen. Wir ruderten nach meiner Berechnung drei Seemeilen, bis es unmöglich ward, die Ruder länger zu führen, da unsere Kräfte durch fortwährende Anstrengung im Schiffe bereits aufgerieben waren. Wir gaben uns deßhalb den Wogen preis und nach ungefähr einer halben Stunde ward das Boot durch einen plötzlichen Windstoß von Norden her umgeworfen. Ich kann nicht berichten, was aus meinen Gefährten im Boot und der Schiffsmannschaft geworden ist, vermuthe jedoch, daß sie ertranken. Was mich betrifft, so schwamm ich auf gut Glück, wohin Wogen und Fluth mich trieben.

Oft ließ ich die Füße herabhängen, konnte aber keinen Grund fassen; als ich beinah verloren war, denn ich konnte nicht länger mit den Wellen ringen, fand ich endlich festen Boden; zugleich ließ auch der Sturm nach. Der Strand war so flach, daß ich beinah eine Meile gehen mußte, bevor ich auf das trockene Ufer, um 8 Uhr Abends wie ich glaube, gelangte. Alsdann ging ich noch eine halbe Meile, konnte aber keine Spur von Einwohnern und Wohnungen entdecken. Zuletzt ward ich so schwach, daß ich gar nichts mehr bemerkte. Da ich sehr müde und das Wetter heiß war, ich auch, als ich das Schiff verließ, eine halbe Pinte Branntwein getrunken hatte, fühlte ich Neigung zum Schlaf. Ich legte mich auf das Gras, welches mir kurz und weich zu seyn schien und schlief dann fester, wie jemals in meinem Leben, so viel ich weiß, und wie ich glaube an die neun Stunden. Als ich erwachte, war der Tag angebrochen. Ich versuchte aufzustehn, konnte mich aber nicht bewegen; während ich auf dem Rücken lag, bemerkte ich, daß meine Arme und Beine fest gebunden an dem Boden hafteten. Dasselbe war mit meinen sehr langen und dicken Haaren der Fall. Auch fühlte ich mehrere kleine Binden am ganzen Leibe von den Schulterhöhlen bis zu den Schenkeln. Ich konnte nur aufwärts blicken; die Sonne ward heiß und ihr Licht blendete meine Augen. Ich vernahm ein verwirrtes Geräusch in meiner Nähe; in der Stellung jedoch, die ich einnahm, konnte ich nur den Himmel sehen. Mittlerweile fühlte ich, wie sich etwas auf meinem linken Schenkel bewegte; irgend ein Geschöpf rückte leise vorwärts, und kam über meine Brust bis fast an mein Kinn; ich erkannte in demselben eine Menschengestalt von etwa sechs Zoll Höhe, mit Bogen und Pfeilen in der Hand und mit einem Köcher auf dem Rücken. Zugleich fühlte ich, daß wenigstens noch vierzig derselben Menschengattung dem Ersteren folgten. Ich war äußerst erstaunt und brüllte so laut, daß sie sämmtlich erschrocken fortliefen; Einige, wie ich nachher hörte, beschädigten sich durch den Fall, als sie von meiner Seite herabspringen wollten. Sie kamen aber bald wieder; Einer von ihnen wagte sich so weit, daß er vollkommen in mein Gesicht blicken konnte, erhob voll Bewunderung seine Hände und Augen und rief mit schallender und deutlicher Stimme:Hekinah Degul. Die Uebrigen wiederholten dieselben Worte mehrere Male; ich konnte damals aber den Sinn derselben noch nicht verstehen.

Der Leser wird wohl vermuthen, daß ich mich in keiner bequemen Lage befand; ich suchte los zu kommen und hatte zuletzt das Glück, die Stricke zu zerreissen oder die Pfähle abzubrechen, woran mein rechter Arm befestigt war. Als ich ihn nun zum Gesicht erhob, bemerkte ich die Art, wie man mich gebunden hatte. Durch einen heftigen Ruck, der mir viel Schmerz verursachte, machte ich die Bande, welche mein Haar auf der rechten Seite hielten, etwas lockerer, so daß ich im Stande war, meinen Kopf zwei Zoll umzuwenden; allein die Geschöpfe liefen noch einmal fort, ehe ich eines derselben ergreifen konnte, worauf ein sehr lauter Ruf von mehreren Stimmen entstand, der aber schnell wieder verhallte. Hierauf hörte ich, wie Einer Tolgo Phonac rief. Sogleich trafen mehr als hundert Pfeile meine linke Hand und prickelten mich wie Nadeln. Außerdem wurde eine andere Salve in die Luft, so wie wir die Bomben in Europa schleudern, geschossen. Ich glaube, eine Menge Pfeile fiel auf meinen Körper, ich habe sie aber nicht gefühlt. Einige richteten ihre Geschosse auf mein Gesicht, das ich sogleich mit der rechten Hand bedeckte. Als dieser Pfeilschauer vorüber war, begann ich aus Gram und wegen meiner Schmerzen zu seufzen; ich suchte mich wieder loszumachen, und erhielt noch eine zweite und größere Salve; Einige suchten mit Speeren in meine Seite zu stechen; zum Glück aber trug ich ein Wamms von Büffelleder, das sie nicht durchbohren konnten. Ich hielt es deßhalb für das Klügste regungslos liegen zu bleiben, bis die Nacht einbräche.

Da meine linke Hand bereits von den Banden gelöst war, konnte ich mich sehr leicht gänzlich befreien, und was die Einwohner betraf, so hegte ich die Ueberzeugung, ihrem größten Heere vollkommen gewachsen zu seyn, wenn alle Soldaten von derselben Größe wären, wie jenes Geschöpf, das ich gesehen. Allein das Glück hatte mir ein andres Loos beschieden. Als die Volksmasse meine Ruhe sah, gab sie mir keine weitere Salve von Pfeilen; aus dem Lärm, den ich vernahm, konnte ich jedoch den Schluß ziehen, daß ihre Anzahl sich vermehrte. Auch vernahm ich, wie man in Entfernung von vier Ellen, meinem rechten Ohre gegenüber, ungefähr eine Stunde lang in der Art polterte, wie es bei beschäftigten Arbeitern der Fall zu seyn pflegt. Deßhalb drehte ich den Kopf nach der Seite hin, so gut es die Stricke und Pfähle erlaubten, und erblickte ein ungefähr anderthalb Fuß hohes Gerüst, welches mit einer oder drei Leitern, um es zu besteigen, versehen, vier jener Eingebornen tragen konnte.

Von dort aus hielt eines der Geschöpfe, wie es schien ein Mann von Stande, eine lange an mich gerichtete Rede, wovon ich aber keine Sylbe verstand. Jedoch ich muß noch erwähnen, daß jene Hauptperson, bevor, sie ihre Rede begann, dreimal ausrief: Langro dehul san (diese, so wie auch die früheren Worte wurden mir nachher wiederholt und erklärt). Hierauf traten ungefähr fünfzig Einwohner näher, welche die Stricke an der linken Seite meines Kopfes abschnitten, so daß ich denselben rechts hin drehen und die Gestalt so wie die Handlung des Diminutiv-Menschen, welcher reden wollte, beobachten konnte. Er war ein Mann von mittlerer Größe, und schlanker als die andern drei, welche ihn begleiteten. Einer derselben war ein Page, der ihm die Schleppe hielt, und etwas länger als mein Mittelfinger zu seyn schien. Die andern Beiden standen an den Seiten der hohen Person, um sie zu halten. Diese spielte vollkommen die Rolle eines Redners, und ich konnte manche Perioden der Drohung, eine andere der Versprechung, des Mitleids und der Höflichkeit unterscheiden. Ich antwortete in wenig Worten, jedoch in der unterthänigsten Weise. Die linke Hand und die Augen erhob ich zur Sonne, als wollte ich sie zum Zeugen anrufen. Da ich nun aber mehrere Stunden, bevor ich das Schiff verließ, nur einige sehr schmale Bissen gegessen hatte, war ich jetzt beinahe verhungert; die Ansprüche der Natur wirkten deßhalb mit solcher Stärke, daß ich es nicht unterlassen konnte, meine Ungeduld, vielleicht gegen die strengen Regeln des Anstandes, dadurch zu zeigen, daß ich meinen Finger mehrere Male in den Mund steckte, um anzudeuten, ich müsse durchaus Nahrung zu mir nehmen.

Der Hurgo (so nannten die Andern den erwähnten vornehmen Herrn, wie ich nachher erfuhr) verstand mich vollkommen. Er stieg von dem Gerüste herab und gab Befehl, mehrere Leitern an meine Seite zu stellen; ungefähr hundert Einwohner stiegen hinauf und gingen mit Körben voll Fleisch, welches auf des Königs Befehl nach der ersten Nachricht von meiner Ankunft hieher gesandt war, auf meinen Mund zu. Ich erkannte dasselbe als das Fleisch verschiedener Thiere, konnte es aber nach dem Geschmack nicht unterscheiden. Mir wurden Keulen- und Rippenstücke, von der Gestalt der Hammel-Keulen und Rippen, gebracht; sie waren sehr schmackhaft gekocht, aber nur von der Größe eines Lerchenflügels. Zwei oder drei steckte ich auf einmal mit drei runden Broden, so dick wie Musketenkugeln, in den Mund. Jene versahen mich nun so schnell als möglich mit Nahrung, und äußerten dabei mehr als tausendmal ihr Erstaunen über meine Größe und meinen Hunger. Darauf gab ich ein anderes Zeichen, daß ich zu trinken wünsche. Sie hatten durch meinen Appetit bereits erkannt, eine kleine Quantität werde mir nicht genügen und da sie nun sehr verständig waren, zogen sie mit vieler Geschicklichkeit eines ihrer größten Fässer zu mir hinauf, rollten es auf meine Hand und stießen den Boden ein; ich trank es mit einem Zuge aus, und dies war ganz natürlich, denn es enthielt keine halbe Pinte und schmeckte beinah wie der sogenannte Petit Bourgogne,aber köstlicher. Alsdann brachte man mir ein zweites Faß, das ich auf dieselbe Weise leerte; ich gab durch Zeichen zu verstehen, man möge mir noch mehr bringen, aber leider war nichts mehr vorhanden. Als ich diese Wunder vollbrachte, stießen die erwähnten Geschöpfe ein lautes Geschrei aus, tanzten auf meiner Brust und wiederholten mehrere Male, wie früher, Hekinah Degul. Dann gaben sie mir durch Zeichen zu verstehen, ich solle die leeren Fässer fortwerfen. Zuerst aber hatten sie den Umstehenden erklärt, auf ihrer Hut zu seyn. Als die Fässer nun durch die Luft flogen, ertönte ein abermaliges Freudengeschrei.

Ich muß gestehen, daß ich wohl in Versuchung kam, dreißig oder vierzig von jenen Herren, welche auf meiner Brust herum spazirten, die ich packen konnte, mit kurzem Proceß auf den Boden zu werfen. Allein die Erinnerung meiner so eben überstandenen Plage, wahrscheinlich noch nicht die schlimmste Peinigung, die in ihrer Macht lag, und dann auch mein Ehrenwort ruhig zu bleiben, (denn so deutete ich mir meine unterthänigen Bewegungen) brachte mich bald auf andere Gedanken. Außerdem hielt ich mich durch die Gesetze der Gastfreundschaft jenen Leuten für moralisch verpflichtet. Sie bewirtheten mich ja mit so viel Kostenaufwand und Freigebigkeit. Dennoch mußte ich über die Unerschrockenheit dieser Diminutiv-Menschen erstaunen, welche keck genug auf meinem Leibe spazieren gingen, während meine linke Hand durchaus zu meiner Verfügung stand, und die dennoch nicht vor einem so wunderbaren Geschöpf, wie ich ihnen erscheinen mußte, erzitterten. Als meine neuen Bekannten darauf bemerkten, daß ich nicht weiter zu essen verlangte, erschien eine Person hohen Ranges von Seiten Seiner Kaiserlichen Majestät. Seine Excellenz stieg auf mein rechtes Knie, unter meinen Waden hinauf; marschirte mit einem Dutzend Trabanten an mein Gesicht, präsentirte mir sein Creditiv mit dem königlichen Siegel, hielt es mir dicht vor die Augen, und sprach ungefähr zehn Minuten ohne Zeichen von Zorn, jedoch mit dem Ausdruck der Entschlossenheit; oftmals wies die Excellenz nach einer bestimmten Richtung, wo, wie ich bald bemerkte, die Hauptstadt in der Entfernung einiger Meilen lag. Seine Majestät hatte nämlich im geheimen Rathe beschlossen, mich dorthin transportiren zu lassen. Ich antwortete in wenig Worten. Allein, was half mir das? Deßhalb machte ich ein Zeichen mit meiner noch freien Hand. Ich legte sie auf die andre (beiläufig gesagt, ich mußte mich sehr in Acht nehmen, den Kopf seiner Excellenz nicht zu berühren, und ihn oder sein Gefolge zu beschädigen) und dann auf meinen Kopf und meinen Leib. Dies sollte nämlich bedeuten, ich wünsche meine Freiheit. Wie es schien, verstand Se. Excellenz mich vollkommen, schüttelte jedoch mißbilligend ihr Haupt und hielt ihre Hand in solcher Art, daß sie mir zu verstehen gab, ich müsse als Gefangener fortgeführt werden. Zugleich aber eröffnete sie mir durch andere Zeichen, ich würde Getränk und Speise zur Genüge erhalten und sehr gut behandelt werden. Hierauf versuchte ich noch einmal meine Fesseln zu zerreißen, allein zum zweiten Mal empfand ich das Prickeln der Pfeile auf Gesicht und Händen, die bereits beide mit Blasen bedeckt waren; auch fühlte ich, daß noch einige Pfeile in der Haut steckten, und sah zugleich, wie die Zahl meiner Feinde sich vermehrte. Somit gab ich Zeichen, sie mögten mit mir thun, was sie wollten. Alsdann entfernte sich der Hurgo nebst seinem Gefolge mit vieler Höflichkeit und vergnügtem Gesicht. Bald darauf vernahm ich einen allgemeinen Schrei, worin die Worte Peplom selanhäufig wiederholt wurden; ich fühlte zugleich wie eine Menge von Leuten die Stricke an meiner linken Seite in der Art lösten, daß ich mich auf die rechte umdrehen konnte, um endlich meine Blase zu erleichtern.

Dies that ich in vollem Maße, zum großen Erstaunen meiner neuen Bekannten, die aus meinen Bewegungen auf mein Vorhaben schlossen und sogleich rechts und links eine Gasse öffneten, den Strom zu vermeiden, der mit solchem Getöse und solcher Heftigkeit aus mir hervorbrauste. Zuvor jedoch hatten sie mir Gesicht und Hände mit einer angenehm duftenden Salbe eingerieben, welche in wenigen Minuten den durch die Pfeile verursachten Schmerz entfernte; dieser Umstand, so wie auch die Erfrischung, die ich durch Getränk und Speise erhalten hatte, welche wirklich sehr nahrhaft war, machte mich zum Schlaf geneigt. Wie man mir nachher gesagt hat, schlief ich acht Stunden, und dies war sehr natürlich, denn die Aerzte hatten auf Befehl des Kaisers einen Schlaftrunk mit dem Weine gemischt. Wie es scheint, war der Kaiser, sobald man mich nach meiner Landung auf dem Strande schlafend gefunden hatte, sogleich durch Couriere davon benachrichtigt worden und hatte im Staatsrath beschlossen, man solle mich in der von mir berichteten Weise fesseln und verhaften, wie es wahrend meines Schlafes geschah; ferner solle mir Speise und Trank zur Genüge gereicht, und eine Maschine zu meinem Transport in die Hauptstadt in Stand gerichtet werden.

Dieser Entschluß konnte vielleicht kühn und gefährlich erscheinen; auch würde ein europäischer Fürst bei ähnlicher Gelegenheit schwerlich eine solche Maßregel treffen. Nach meiner Meinung war er aber sowohl klug als edelmüthig. Hätten nämlich jene Leute es versucht, mich mit ihren Pfeilen und Speeren zu tödten, während ich schlief, so wäre mein erstes Gefühl beim Erwachen sicherlich ein heftiger Schmerz gewesen; dadurch wäre meine Wuth und alle meine Kraft aufgeregt worden, so daß ich meine Bande sehr leicht würde zersprengt haben. Da sie in dem Fall mir keinen Widerstand hätten leisten können, durften sie auch keine Gnade erwarten.

Das Volk zeichnet sich durch mathematisches Wissen aus und hat es zu einer großen Vollkommenheit in mechanischen Arbeiten gebracht, weil der Kaiser, der überhaupt als berühmter Beschützer der Gelehrten gilt, jene Bestrebungen unterstützt und ermuthigt. Dieser Fürst besitzt mehrere auf Rädern ruhende Maschinen zum Transport der Bäume und anderer Dinge von großem Gewicht. Er läßt oft seine größten Kriegsschiffe, wovon einige an neun Fuß lang sind, an Ort und Stelle, wo das Zimmerholz wächst, verfertigen, und dann in der Entfernung von drei bis vierhundert Ellen zur See fahren. Fünfhundert Zimmerleute und Ingenieure wurden sogleich in Thätigkeit gesetzt, um die größte Maschine der Art, welche vorhanden war, in der Schnelle zuzurichten. Es war ein hölzerner und drei Zoll über den Boden erhabener Bau, sieben Fuß lang, vier Fuß breit, und mit zweiundzwanzig Rädern versehen. Der Freudenruf, den ich vernahm, erscholl wegen der Ankunft der Maschine, die, wie es schien, schon vier Stunden nach meiner Landung in Bewegung gesetzt wurde. Sie ward mit meiner Lage parallel gestellt; aber nun kam die größte Schwierigkeit. Wie sollte ich auf das Fuhrwerk gehoben werden? Achtzig Pfähle von ein Fuß Höhe wurden zu dem Zweck eingerammt. Sehr starke Stricke, von der Dicke eines Bindfadens, wurden mit Haken an eine gleiche Zahl von Banden geheftet, welche die Arbeiter mir um Hände, Hals, Leib und Arme geschlungen hatten. An den Pfählen hingen diese Stricke auf Rollen; neunhundert der stärksten Männer wanden dieselben auf. Somit wurde ich in ungefähr drei Stunden emporgehoben, in die Maschine geworfen und dort festgebunden. Alles dies ist mir nachher erzählt worden, denn während der Operation lag ich, wegen des Schlaftrunkes in dem von mir genossenen Weine, im tiefsten Schlaf. Fünfzehnhundert Pferde, die größten, welche der Kaiser besaß, die an Länge zwei Zoll und an Höhe einen halben Zoll betrugen, wurden vorgespannt, um mich zur Hauptstadt zu ziehen, welche, wie ich hörte, eine halbe Meile entfernt war.

Nachdem wir ungefähr vier Stunden unterweges gewesen waren, erwachte ich durch einen sehr lächerlichen Umstand. Als nämlich das Fuhrwerk anhielt, damit irgend einer plötzlichen Verwirrung abgeholfen werde, konnten zwei oder drei junge Eingeborne ihre Neugier, mich schlafen zu sehen, nicht unterdrücken. Sie kletterten auf das Fuhrwerk, und schlichen sich auf den Zehen an mein Gesicht. Einer von ihnen, ein junger Gardeoffizier, steckte aber in mein linkes Nasenloch die Spitze seines Spontons, welche mich wie ein Strohhalm kitzelte, so daß ich mehrere Male niesen mußte. Dann schlichen sie sich unbemerkt davon und erst nach drei Wochen erfuhr ich die Ursache meines plötzlichen Erwachens. Während der übrigen Zeit machten wir einen langen Marsch; in der Nacht ward Halt gemacht. Fünfhundert Gardisten waren an jeder Seite aufgestellt; die eine Hälfte derselben trug Fackeln; die andere, mit Bogen und Pfeilen ausgerüstet, stand bereit auf mich zu schießen, sobald ich mich rühren würde. Am nächsten Morgen setzten wir bei Sonnenaufgang uns wieder in Bewegung und waren gegen Mittag nur noch zweihundert Ellen von den Stadthoren entfernt. Der Kaiser kam uns mit seinem ganzen Hofe entgegen; die Großoffiziere wollten aber durchaus nicht leiden, daß Seine Majestät durch das Besteigen meines Körpers sein Leben in Gefahr setze.

Der Wagen hielt bei einem alten Tempel an, welcher, wie es hieß, der größte im ganzen Königreiche war. Einige Jahre vorher war er durch einen unnatürlichen Mord befleckt worden. Das Volk hielt ihn deshalb für entweiht und man hatte ihn nunmehr zum gewöhnlichen Gebrauch bestimmt und alle heiligen Geräthe und Verzierungen daraus hinweggeschafft. Das Gebäude ward mir als Wohnung angewiesen. Das große nach Norden hin gerichtete Thor war vier Fuß hoch und zwei Fuß breit, so daß ich bequem hindurchkriechen konnte. Auf jeder Seite dieses Thores befand sich ein kleines Fenster, kaum sechs Fuß über dem Boden erhaben; auf dem, welches sich links befand, spannte der Hofschmied des Königs einundneunzig Ketten aus, von der Größe derjenigen, woran die Damen ihre Uhren tragen; diese wurden mit einundsechszig Schlössern an meinem linken Schenkel befestigt. Dem Tempel gegenüber, auf der anderen Seite der Heerstraße, stand in der Entfernung von zwanzig Fuß ein wenigstens fünf Fuß hoher Thurm. Diesen bestieg der Kaiser mit dem ersten Adel seines Hofes, um mich zu sehen. Ich selbst konnte sie nicht erblicken, habe es aber nachher erfahren. Zu demselben Zweck sollen wenigstens hunderttausend Menschen aus der Stadt gekommen seyn, und ich glaube, daß nicht weniger wie zehntausend meinen Leib mit Leitern erstiegen, und den Verboten meiner Wachen trotzten. Bald aber erschien eine Proklamation, welche diese Neugier bei Todesstrafe untere sagte. Als die Arbeiter sahen, es sey mir unmöglich meine Ketten zu brechen, durchschnitten sie alle Stricke, womit ich gefesselt war. Hierauf erhob ich mich in so melancholischer Gemüthsverfassung, wie ich noch nie bisher empfunden hatte. Allein der Lärm und das Staunen des Volkes, als man mich aufstehen und herumgehen sah, ist nicht zu beschreiben. Die Ketten an meinem linken Schenkel waren ungefähr zwei Ellen lang und gestatteten mir nicht allein im Halbkreise vorwärts und rückwärts zu gehen, sondern erlaubten mir auch in das Thor zu kriechen und mich der Länge nach im Tempel auszustrecken, da sie vier Zoll vom Thore befestigt waren.