III.

Gullivers Reisen erschienen nach der Rückkehr Swifts nach Irland, aber mit jener Heimlichkeit, in die er beinahe immer die Veröffentlichung seiner Werke hüllte. Er hatte England im Monat August verlassen; und um dieselbe Zeit erhielt der Buchhändler das Manuscript, das ihm, wie er sagte, von einem Fiaker in den Laden geworfen wurde.

Gulliver wurde im nächsten Monat November veröffentlicht, mit Veränderungen und Auslassungen, die der Buchdrucker aus Aengstlichkeit darin anbrachte. Swift beklagte sich darüber in seinem Briefwechsel und ergänzte dieselben durch einen Brief Gullivers an seinen Vetter Sympson, der an die Spitze der folgenden Ausgaben gesetzt wurde. Aber das Publikum sah nichts Allzuängstliches in diesem ungewöhnlichen allegorischen Roman, der allgemeines Aufsehen machte und von allen Klassen, von Staatsmännern wie von Kinderwärterinnen, gelesen wurde. Man wollte durchaus den Verfasser kennen lernen, und selbst die Freunde SwiftsPopeGayArbuthnot, schrieben ihm, wie wenn sie darüber in Zweifel wären.

Aber obgleich sie sich so ausgedrückt hatten, daß einige Biographen dadurch getäuscht werden konnten, die der Meinung waren, sie wären wirklich über die Sache im Zweifel, so ist es doch gewiß, daß seine Freunde das Werk schon vor seiner Erscheinung mehr oder weniger kannten. Ihre Zurückhaltung war erheuchelt, um sich in die Laune Swifts zu schicken, oder vielleicht auch aus Furcht, sie möchten, im Falle ihre Briefe aufgefangen würden, genöthigt werden, gegen den Verfasser zu zeugen, wenn das Werk den Minister erbittern würde. Niemals vielleicht war ein Buch so gesucht von allen Klassen der Gesellschaft; die Leser aus den höheren Kreisen fanden darin eine persönliche und politische Satyre; der Pöbel Abenteuer nach seinem Geschmack; die Freunde des Romantischen Wunderbares; die jungen Leute Geist; ernsthafte Männer moralische und politische Lehren; das vernachläßigte Greisenalter und der getäuschte Ehrgeiz Grundsätze einer verdrießlichen und bitteren Misanthropie.

Der Plan der Satyre ist in seinen verschiedenen Theilen ein verschiedener. Die Reise nach Lilliput ist eine Anspielung auf den Hof und die Politik Englands. Sir Robert Walpole ist in der Persönlichkeit des ersten Ministers Flimnap [Fußnote]gemalt; und er verzieh dies Swift niemals, und widersetzte sich auch beharrlich jedem Plane, der den Dechanten nach England wieder zurückführen könnte.

Die Parteien der Torys und Whigs sind durch die Parteien der hohen und der niedern Absätze bezeichnet; die mit dem kleinen und mit dem großen Zipfel sind die Baptisten und Protestanten. Der Prinz von Wales, der die Torys und Whigs gleich gut behandelte, lachte von Herzen über die Nachgiebigkeit des präsumtiven Thronfolgers, der einen hohen und einen niedern Absatz trug. Blefusen, wo Gulliver vor der Undankbarkeit des lilliputanischen Hofes eine Freistätte suchen muß, damit ihm nicht die Augen ausgestochen werden, ist Frankreich, wohin sich der Herzog von Ormond und Lord Bolingbrokevor der Undankbarkeit des englischen Hofes flüchten mußten. Diejenigen, welche die geheime Geschichte der RegierungGeorgs I. kennen, werden leicht die übrigen Anspielungen verstehen. Das Aergerniß, welches Gulliver gibt durch die Art und Weise, auf welche er den Brand des kaiserlichen Palastes löscht, ist eine Anspielung auf die Ungnade, in welche der Verfasser bei der Königin Anna fiel, weil er das Mährchen von der Tonne geschrieben hatte, dessen man sich erinnerte, um ihm ein Verbrechen daraus zu machen, während man den Dienst vergessen hatte, welchen dieses Werk der hohen Geistlichkeit geleistet. Auch müssen wir darauf aufmerksam machen, daß die Verfassung und das System der öffentlichen Erziehung im Kaiserthum Lilliput als Muster dargestellt ist, und daß das Verderben, welches am Hofe herrschte, erst von den letzten drei Regierungen sich herschrieb. Es war dies Swifts Ansicht über die englische Verfassung.

In der Reise nach Brobdingnag hat die Satyre eine allgemeinere Anwendung und es ist schwer darin etwas zu finden, das sich auf die politischen Ereignisse und auf die Minister jener Zeit bezieht. Es ist hier die Ansicht, daß sich aus den Handlungen und Gefühlen des Menschen Wesen bildeten von einem kalten, berechnenden, philosophischen Charakter, und mit unendlicher Gewalt begabt. Der Monarch dieser Gnackskinder ist die Personifikation eines patriotischen Königs, der gegen alles Merkwürdige gleichgültig, gegen das Schöne kalt ist und an nichts Antheil nimmt, als an dem, was den allgemeinen Nutzen und das öffentliche Wohl betrifft. Die Intriguen und die Aergernisse eines europäischen Hofes sind in den Augen eines solchen Fürsten eben so gehäßig in ihren Resultaten als verächtlich in ihren Motiven. Der Contrast, denGullivers Ankunft von Lilliput, wo er ein Riese gewesen war, bei einer Menschenrace, unter welcher er nur ein Pygmäe ist, macht, ist von glücklicher Wirkung. Es kehren nothwendig dieselben Ideen zurück; aber da sie sich durch die Rolle, welche der Erzähler spielt, umkehren, so ist es mehr eine Entwicklung, als eine Wiederholung.

Über den Hof von Brobdingnag gibt es einige Stellen, die man auf die Ehrendamen am londoner Hofe hat anwendenwollen, vor welchen Swift, wie uns Delany erzählt, keine große Achtung hatte.

Urbuthnot, der ein Gelehrter war, billigte die Reise nach Laputa nicht, in welcher er wahrscheinlich eine Verspottung »der königlichen Gesellschaft« erblickte; das ist gewiß, daß man darin einige Anspielungen auf die geachtetsten Philosophen jener Zeit findet. Man behauptet sogar, es finde sich darin ein Zug gegen Sir Isaak Newton. Der glühende Patriot hatte die Ansicht der Philosophen zu Gunsten der Kupfermünze von Wood nicht vergessen. Man meint, der Schneider, welcher, nachdem er die Gestalt Gullivers mit einem Halbkreise ausgemessen und sein Maß mit einer mathematischen Figur genommen hatte, ihm sehr schlecht gemachte Kleider bringt, sey eine Anspielung auf einen Irrthum des Buchdruckers, der durch Hinzufügung einer Ziffer zu einer astronomischen Berechnung Newtons über die Entfernung der Sonne von der Erde, diese zu einer unberechenbaren Höhe gesteigert habe. Swifts Freunde glaubten auch, die Idee des Schlägers (Flapper)[1]  ihm durch die beständige Zerstreuung Newtons eingegeben worden sey. Der Dechant sagte zu Dryden Swift: »SirIsaak sey der allerungeschickteste Gesellschafter von der Welt und wenn man eine Frage an ihn stelle, so drehe und wende er sie zuvor im Kreise in seinem Hirn herum, ehe er darauf antworten könne. (Wenn Swift dies erzählte, so beschrieb er zwei oder drei Kreise auf seiner Stirne.)

Aber obgleich Swift den größten Philosophen seiner Zeit vielleicht mit Unehrerbietigkeit behandelt hat, und in mehreren seiner Schriften sehr wenig auf die Mathematik zu halten scheint, so ist doch die Satyre Gullivers mehr gegen den Mißbrauch der Wissenschaft, als gegen die Wissenschaft selbst gerichtet. Diejenigen, welche den Plan einer Akademie von Laputa entwerfen, werden als Menschen dargestellt, welche mit einem leichten Anstrich von Mathematik ihre mechanischen Pläne nach bloßer Laune oder aus Verkehrtheit des Verstandes vervollkommnen wollen. Zur Zeit Swifts gab es viele Leute dieser Gattung, welche die Leichtgläubigkeit der Unwissenden mißbrauchten, sie zu Grunde richteten und durch ihre Ungeschicklichkeit die Fortschritte der Wissenschaft hemmten. Bei der Verspottung dieser Projektmacher, der Einen als selbst getäuscht durch die Halbheit ihrer Kenntnisse, der Andern als wirkliche Betrüger, entlehnte Swift, der sie, seit sie seinen Oheim Godwin zu Grunde gerichtet hatten, verabscheute, viele Züge und vielleicht den ganzen Gedanken ausRabelais (fünftes Buch, dreiundzwanzigstes Kapitel); wo Pantagruel die Beschäftigungen der Hofleute der Quint-Essenz, Königin von Entelecheria beobachtet.

Swift spottet noch über die Lehrer der spekulativen Wissenschaften, die mit dem Studium dessen beschäftigt sind, was man damals physische und mathematische Magie nannte, ein Studium, welches, auf keinem soliden Grunde ruhend, von der Erfahrung weder hergenommen noch bestätigt wurde, sondern zwischen Wissenschaft und Mysticismus mitten inne schwamm; – dahin gehört die Alchymie, die Bereitung von bronzenen Figuren, die sprechen, von singenden Waldvögeln, von sympathetischen Pulvern, von Salben, die man nicht auf die Wunde legte, sondern an die Waffe, die sie hervorgebracht hatte, von Essenzfläschchen, mit welchen man ganze Morgen Landes düngen könnte, nebst andern ähnlichen Wundern, deren Kräfte die Betrüger anpriesen, die unglücklicherweise immer Leute fanden, die sich dadurch täuschen ließen. Die Maschine des guten Professors von Lagado, um den Fortschritt der spekulativen Wissenschaft zu beschleunigen und um Bücher über alle Gegenstände ohne die Hülfe von Geist und Kenntnissen zu verfassen, war eine Verspottung der vonRaimundus Lullus erfundenen und von seinen weisen Erklärern vervollkommneten Kunst, oder des mechanischen Processes, vermöge dessen nach Cornelius Agrippa, einem der Schüler des Lullus, »jeder Mensch über irgend eine Materie sprechen und mit einer gewissen Anzahl großer Worte, Namen und Zeitwörter einen Satz mit viel Glanz und Feinheit längere Zeit behandeln könnte.«

Der Leser konnte sich mitten in die große Akademie von Lagado versetzt glauben, wenn er die kurze und große Kunst der Erfindung und Beweisführung las, welche darin besteht, den Gegenstand, den man behandeln soll, einer aus verschiedenen feststehenden und beweglichen Cirkeln zusammengesetzten Maschine anzupassen. Der Hauptzirkel war fest, und man las darin die Namen der Substanzen und aller Dinge, die irgend ein Thema an die Hand geben konnten, in Ordnung aufgestellt, z.B. Gott, Engel, Erde, Himmel, Mensch, Thier u.s.f. In diesem festen Cirkel war ein anderer beweglicher Cirkel angebracht, in welchem die von den Logikern sogenannten Accidenzien aufgeschrieben waren, wie Quantität, Qualität, Relation u.s.f. In andern Kreisen waren die absoluten und relativen Attribute zu sehen u.s.w., mit den Frageformeln. Wenn man die Kreise so drehte, daß die verschiedenen Attribute auf die aufgestellte Frage zu stehen kamen, entstand dadurch eine Art mechanische Logik, welche Swift unstreitig im Auge hatte, als er die berühmte Bücherverfertigungsmaschine beschrieb.

Man hat mehrmals versucht, durch diese Art zusammenzusetzen und zu folgern, die sogenannte Kunst der Künste auf die höchste Stufe der Vollkommenheit zu bringen. Kircher der hundert verschiedene Künste gelehrt hat, hat die Maschine desLullus verjüngt und vervollkommnet; der Jesuite Knittel hat nach demselben System das Compendium aller Wissenschaften und Künste verfertigt; Brunus hat nach demselben Plane die Kunst der Logik erfunden; und Kuhlmannsetzt vollends in Erstaunen, wenn er eine Maschine ankündigt, die nicht nur die Kunst der allgemeinen Kenntnisse, oder das Hauptsystem aller Wissenschaften enthalten soll, sondern auch die Kunst, die Sprache zu erlernen, die Kunst der Auslegung, der Kritik, die Kunst die heilige und profane Geschichte, die Biographien aller Art zu lernen, die Bibliothek der Bibliothekengar nicht zu zählen, welche die Essenz aller gedruckten Bücher enthält. Wenn ein Gelehrter in erträglichem Latein verkündete, alle diese Kenntnisse könne man mit Hülfe eines mechanischen Instruments, das viel Aehnlichkeit mit dem Spielwerk eines Kindes hatte, erwerben, dann war es Zeit, daß die Satyre diesen Chimären Gerechtigkeit widerfahren ließ. Also nicht die Wissenschaft hat Swift lächerlich zu machen gesucht, sondern nur die chimärischen Studien, denen man zuweilen den Namen der Wissenschaft gab.

In der Karikatur der politischen Projektenmacher läßt Swift seine toristischen Ansichten durchschimmern; und wenn man die traurige Geschichte der Struldbruggs liest, erinnert man sich an die Zeit, wo der Verfasser eine Gleichgültigkeit gegen den Tod faßte, die er in den letzten Jahren seines Lebens mit mehr Recht fühlen sollte.

Die Reise zu den Huyhnhnms ist eine beißende Satyre gegen die menschliche Natur; sie konnte nur durch den Unwillen eingegeben seyn, der, wie Swift in seiner Grabschrift anerkennt, so lange an seinem Herzen genagt hatte.

In einem Lande lebend, wo das Menschengeschlecht in kleine Tyrannen und unterdrückte Sklaven eingetheilt war, einAnbeter der Freiheit und Unabhängigkeit, die er täglich mit Füßen treten sah, ließ ihn die ungezähmte Energie seiner Gefühle ein Geschlecht verabscheuen, das fähig war, solche Ungerechtigkeiten zu begehen und zu dulden. Dabei dürfen wir nicht aus dem Auge lassen, seine mit jedem Tage abnehmende Gesundheit, sein durch den Verlust einer Frau, die er geliebt, und durch den betrübenden Anblick der Gefahr, welche dem Leben eines andern Frauenzimmers, das ihm so theuer war, drohte, gestörtes häusliches Glück; sein eigenes, seit seinem Herbste welkendes Leben; die Gewißheit, es in einem Lande zu beschließen, das er verabscheute, und nicht das bewohnen zu können, in welchem er so schmeichelhafte Hoffnungen gefaßt und alle seine Freunde zurückgelassen hatte.

Diese Verbindung der Umstände kann einen Menschenhaß entschuldigen, der gleichwohl Swifts Herz niemals gegen die Wohlthätigkeit verschloß. Diese Erwägungen beschränken sich nicht bloß auf die Person des Verfassers; sie sind auch eine Art Entschuldigung für das Werk. Trotz dem Hasse, von dem es eingegeben ist, gibt der Charakter der Yahus eine sittliche Lehre. Nicht den Mann wollte Swift schildern, der durch Religion aufgeklärt ist, oder auch nur die natürliche Aufklärung besitzt; sondern den Mann, der durch die freiwillige Sklaverei seiner geistigen Fähigkeiten und seiner Triebe erniedrigt ist, so wie man ihn leider in den niedersten Klassen der Gesellschaft findet, wenn er der Unwissenheit und den Lastern, die hier einheimisch sind, preisgegeben ist. Unter diesem Gesichtspunkt kann der Widerwille, den dieses Gemälde einflößt, für die Moral nur nützlich seyn; denn der Mensch, der sich einer physischen Sinnlichkeit, der Grausamkeit, dem Geize hingibt, nähert sich dem Yahu.

Wir wollen nicht so weit gehen, zu behaupten, daß ein sittlicher Zweck die Nacktheit des Gemäldes rechtfertige, welchesSwift von dem Menschen in diesem Zustande der Erniedrigung entwirft, der ihn den Thieren nahe bringt. Die Moralisten sollen die Römer nachahmen, die den Verbrechen, deren Abscheulichkeit empören konnte, öffentliche Züchtigungen auflegten, und welche die Angriffe auf die Schamhaftigkeit heimlich straften. Trotz dieser auf die Vernunft oder auf Vorurtheile gegründeten Unwahrscheinlichkeiten, erregten Gulliver’s Reisen ein allgemeines Interesse; sie verdienten es, durch ihre Neuheit und durch ihren inneren Werth. Lucian, Rabelais, Morus, Bergerac, Alletz und viele andern Schriftsteller waren schon auf den Einfall gekommen, durch Reisende erzählen zu lassen, was sie in idealen Regionen beobachtet hatten. Aber alle bekannten Utopien waren auf kindische Erdichtungen gegründet, oder dienten zum Rahmen für ein System unausführbarer Gesetze. Swift war es vorbehalten, die Moral seines Werkes durch den Humor zu erheitern, die Ungereimtheit durch beißende Satyre zu vermeiden, und die unwahrscheinlichsten Ereignisse durch den Charakter und Styl des Erzählers das Ansehen der Wahrscheinlichkeit zu geben. Der Charakter des erdichteten Reisenden ist genau der Charakter Dampiers oder eines andern hartnäckigen Seemanns jener Zeit, der, mit Muth und Verstand begabt, die fernen Meere durchsteuert, mit seinen englischen Vorurtheilen die er alle wieder nach Portsmuth oder nach Plymouth zurückbringt, und der nach seiner Rückkehr ernsthaft und einfach erzählt, was er in den fremden Ländern gesehen und was man ihm gesagt hat. Dieser Charakter ist so ganz englisch, daß die Ausländer ihn nur mit Mühe würdigen können. Die BemerkungenGullivers sind niemals feiner oder tiefer, als die des Kapitäns eines Handelsschiffes, oder die eines Chirurgen aus der Londoner City, der eine lange Reise gemacht hat.

Robinson Crusoe, der Ereignisse erzählt, die der Wahrheit weit näher kommen, steht in Beziehung auf den Ernst und die Wahrscheinlichkeit der Erzählung vielleicht nicht über Gulliver. Die ganze Person Gullivers ist mit solcher Wahrheit geschildert, daß ein Matrose behauptete, er habe den Kapitän Gulliver recht gut gekannt, aber er wohne zu Wapping und nicht in Notherhithe. Dieser Kontrast der natürlichen Leichtigkeit und Einfachheit des Styls mit den erzählten Wundern ist es, was einen Hauptreiz dieser merkwürdigen Satyre auf die Unvollkommenheiten, Thorheiten und Laster des menschlichen Geschlechtes ausmacht. Die genauen Berechnungen, die sich in den zwei ersten Theilen finden, tragen dazu bei, der Fabel einige Wahrscheinlichkeit zu geben. Man behauptet, bei der Beschreibung eines natürlichen Gegenstandes, wenn die Verhältnisse richtig beobachtet seyen, sey das Wunderbare, möge nun der Gegenstand vergrößert oder verkleinert seyn, für das Auge des Zuschauers weniger fühlbar. Das ist gewiß, daß die Proportionen im Allgemeinen ein wesentliches Attribut der Wahrheit und folglich der Wahrscheinlichkeit sind. Wenn der Leser einmal das Daseyn der Menschen zugibt, welche der Reisende gesehen haben will, so ist es schwer, einen Widerspruch in der Erzählung zu finden. Im Gegentheil scheint es, Gulliver und die Menschen, die er sieht, betragen sich gerade so, wie sie sich unter den vom Verfasser erdichteten Umständen betragen mußten. Unter diesem Gesichtspunkte betrachtet, ist das größte Lob, das man für Gullivers Reisen anführen kann, das Urtheil, das ein gelehrter irländischer Prälat darüber fällte, welcher sagte, es gebe Dinge darin, die man ihm niemals glauben machen könne. Es gehört eine große Kunst dazu, uns Gulliver zu zeigen, wie er stufenweise durch den Einfluß der Gegenstände, die ihn umgeben, seine Ideen über die Proportionen der menschlichen Gestalt bei seiner Ankunft in Lilliput und Brobdingnag verliert, und sich an die Proportionen der Riesen und Pygmäen gewöhnt, in deren Mitte er lebt.

Um diese Betrachtungen nicht weiter auszudehnen, bitte ich nur den Leser zu bemerken, mit welch unendlicher Kunst die menschlichen Handlungen zwischen diesen zwei verschiedenen Arten erdichteter Wesen getheilt sind, um die Satyre anziehender zu machen. In Lilliput werden die politischen Intriken und Kabalen, welche die Hauptbeschäftigung der europäischen Höflinge sind, auf einem Hof von kleinen sechs Zoll hohen Geschöpfen übergetragen, ein Gegenstand des Gelächters; während der Leichtsinn der Frauen und die Thorheiten an den europäischen Höfen, welche der Verfasser den Damen am Hofe von Brobdingnag andichtet, bei einer Nation von so erschreckender Höhe ungeheuer und abstoßend werden. Durch solche Mittel und durch tausend andere, in denen man den Griffel eines großen Meisters findet, und bei denen man die Wirkung fühlt, während man der Ursache nur durch eine lange Zergliederung habhaft werden kann, hat Swifts Genie aus einem Feenmärchen einen Roman gemacht, dem man, was Kunst der Darstellung und echten Geist der Satyre betrifft, keinen andern an die Seite stellen kann.

Der Ruf von Gullivers Reisen verbreitete sich bald in Europa, Voltaire, der sich damals in England befand, rühmte sie seinen Freunden in Frankreich an, und empfahl ihnen, sie übersetzen zu lassen. Der Abbe Desfontaines unternahm diese Uebersetzung. Seine Zweifel, seine Besorgnisse, seine Entschuldigungen sind in einer merkwürdigen Einleitung aufgezeichnet, die sehr geeignet ist, von dem Geist und den Ansichten eines französischen Gelehrten jener Zeit eine Vorstellung zu geben. Dieser Uebersetzer gesteht, er fühle, daß er alle Regeln verletze; und während er um Gnade bittet für die seltsamen Erdichtungen, die er in ein französisches Gewand zu kleiden versucht habe, bekennt er zugleich, daß ihm bei gewissen Stellen vor Schrecken und Verwunderung die Feder aus den Händen gefallen sey, als er alle Wohlanständigkeit von dem englischen Satiriker so keck habe verletzen sehen. Er zittert, es möchten einige Züge bei Swift auf den Hof von Versailles angewendet werden, und er betheuert mit vielen Umschweifen, es sey nur von den toriz und wigts ( torys undwhigs) in dem aufrührerischen Königreiche England die Rede. Er schließt mit der Versicherung an seine Leser, daß er nicht nur dem Geschmack seiner Landsleute zu Gefallen vieles verändert habe, sondern daß er auch alle Einzelnheiten der Seereise und viele andere Eigenthümlichkeiten, die im Original so verwerflich seyen, unterdrückt habe. Ohngeachtet dieser Affektation von Geschmack und Zartgefühl ist die Uebersetzung erträglich. Zwar hat sich der Abbe Desfontainesentschädigt, indem er eine Fortsetzung der Reisen in einem, wie man leicht denken kann, von dem des Originals sehr verschiedenen Style veröffentlichte. Auch in England hat man eine Fortsetzung von Gullivers Reisen (angeblich einen dritten Band) veröffentlicht. Es ist dies die unverschämteste Verbindung von Diebstahl und Verfälschung, die man sich jemals in der literarischen Welt erlaubt hat. Während man behauptet, diese Fortsetzung sey vom Verfasser des echtenGulliver, fand es sich, daß sie nicht einmal das Werk seines Nachahmers war, der nur ein ganz unbekanntes französisches Werk, die Geschichte der Severamben, abgeschrieben hatte. 

Abgesehen von diesen Fortsetzungen mußte ein Werk, das ein so großes Aufsehen gemacht hatte, nothwendig auf die Idee führen, es nachzuahmen, zu parodiren und zu erklären; es mußte nothwendig einige Dichter begeistern, seinem Verfasser Lobsprüche und Satyren eintragen, kurz, es mußte Alles geschehen, was gewöhnlich einen solchen Triumph begleitet, selbst den Sklaven hinter dem Triumphwagen nicht ausgenommen, dessen rohe Beleidigungen den triumphirenden Autor daran erinnerten, daß er noch ein Mensch sey.

Gullivers Reisen konnten die Gunst, in welcher der Verfasser am Hofe des Prinzen von Wales stand, nur vermehren. Man schrieb ihm sehr feine und sehr herzliche Briefe und viele Scherze über Gulliver, die Yahus und die Lilliputaner. Als SwiftEngland verließ, hatte er die Fürstin und Mistreß Howard um ein kleines Geschenk gebeten, als Andenken an die Auszeichnung die sie ihm vor einem gewöhnlichen Geistlichen zuzuerkennen schienen. Er hatte das Geschenk der Fürstin auf einen Werth von zehn Pfund Sterling und das Geschenk der Mistreß Howard auf eine Guinee bestimmt, die Fürstin versprach ein Geschenk in Denkmünzen, die sie aber niemals überschickte. Mistreß Howard, ihrem Worte getreuer, sandteSwift einen Ring und kündigte ihm ihn durch einen Brief an, auf den er im Namen Gullivers antwortete; Swift fügte zu der Antwort eine kleine goldene Krone hinzu, die das Diadem von Lilliput vorstellte. Die Fürstin geruhte, ein Stück Seide aus einer irischen Fabrik anzunehmen, aus dem sie sich ein Kleid machen ließ. In seinem Briefwechsel kommt Swift ein wenig allzuoft auf dieses Geschenk zurück. Alles schien darauf hinzudeuten, daß, im Fall der Fürst den Thron besteigen würde,Gulliver, um uns der Ausdrücke des Lord Peterborough zu bedienen, »seine Tanzschuhe nur mit Kreide zu bestreichen und auf dem Seile tanzen zu lernen brauche, um Bischof zu werden.«